Ausstellungen als Wissensordnungen: Zur Transformation des Kunstbegriffs auf der Documenta 11 [1. Aufl.] 9783839420201

Ausstellungen sind konstitutiv für die »Ordnungen des Wissens« einer Kultur - so etwa für den Kanon der Kunstgeschichte.

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German Pages 502 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
Dank
Exposition
AUSSTELLUNGEN – EIN INTERDISZIPLINÄRES FORSCHUNGSFELD: THEORIEN, METHODEN, WIDERSTÄNDE
Forschungsperspektiven: Kunst-, Bild- und Medienwissenschaften
Forschungsansätze zur Geschichte der Documenta und Documenta 11
Ausstellungstheorien und Ausstellungsanalysen
Bildwissenschaftliche Ansätze: zur »ikonischen Differenz« und zum Status des »Abbilds«
Im Zwischenraum: das Bild als Diskurs – das Bild als Objekt
Ausstellungen als Ordnungen des Wissens
Dispositiv Ausstellung
Zur Methode: die Heterogenität des Analysematerials
Fluchtlinien: zum Widerstand des Objekts
I BILDGESCHICHTEN – HISTORISCHE LINIEN DES DISPOSITIVS
Der Diskurs um die Abstraktion in der Documenta-Geschichte und im Museum of Modern Art
Zum Kunstbegriff der ersten Documenta-Ausstellungen (1955, 1959, 1964)
»How to Look at Modern Art?«: Clement Greenberg, Alfred Barr und das MoMA
Der modernistische Kunstbegriff und die Documenta 11
Vielschichtige Transformationen zwischen Documenta 4 (1968) und Documenta 12 (2007)
Epilog: zur Konstruktion von Kunstbegriff und Kunstgeschichte
Flächenbild – Materialität – Medialität
Zum Konzept des Ursprungs
Zur Naturalisierung von Geschichte
II BILDANORDNUNGEN – DIE RÄUMLICHE STRUKTUR DES DISPOSITIVS
Die szenografische Ordnung und der Kanon
Zum Begriff des Kanons
Wer zählt zum Kanon? – empirische Befunde zur Documenta 11
Im Kern des Kanons ? – Werkkonstellationen der Documenta 11
Roth, Kožaric´, Feyz djou: Werkprozesse und die Unordnung der Dinge
Exkurs: Trans- und Interkulturalität
Constant und Friedman: Urbanisierung und architektonische Dispositive
Exkurs: Architektonische Selbstreflexionen – die »Space Syntax« der Binding Brauerei
Bouabré und Portabella: konzeptuelle Kunst und dokumentarische Bilder
Darboven, Kawara und die Bechers: historische Konzeptkunst positionen auf der Documenta 11
Deutungsmöglichkeiten der historischen Konzeptkunstpositionen auf der Documenta 11
Zum Verhältnis der Geschlechter: Darboven und die Frauen der Documenta 11
Epilog: zur Reflexion von Wissensordnungen auf der Documenta 11
Totalität – Relationalität
Identitätslogik – Differenzlogik
Zur Methodologie von Ausstellungsanalysen: quantitative und qualitative Aspekte
III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE: KUNSTWERKE IM DISPOSITIV
Foto-, Film- und Videoinstallationen auf der Documenta 11
Zur Dominanz der fotografischen Bildmedien auf der Documenta 11
Zum Umgang der Documenta 11 mit der Geschichte der künstlerischen Fotografie am Beispiel der Bechers
»Politiken der Repräsentation« – Enwezors kuratorischer Ansatz und die fotografischen Bildmedien
Zur Reflexion massenmedialer Bildkulturen in der Kunst
Zur Auswahl der Werke und zum Vorgehen
Candida Höfer: Die Bürger von Calais (2000/2001)
Zum Werk: Aufbau der Fotoinstallation und Geschichte der Skulptur
Zur Reflexion massenmedialer Bildkulturen: Die Bürger von Calais in der kunsthistorischen Skulpturenfotografie
Diskursfelder um 1900: Skulpturenfotografie, vergleichendes Sehen und Objektivität
Fiona Tan: Countenance (2002)
Zum Werk: Aufbau der Filminstallation und inhaltliche Struktur der Projektionen
Zur Reflexion massenmedialer Bildkulturen: Porträtfotografie und Typologisierung
Diskursfelder der 1920er Jahre: Physiognomik und »Photographie als Weltsprache«
Eija-Liisa Ahtila: The House (2002)
Zum Werk: Aufbau der Videoinstallation und filmische Narration
Zur Reflexion massenmedialer Bildkulturen: »The Way Hollywood Tells It«
Diskursfelder der 1970er Jahre: »Apparatustheorie« und »Suture«
Epilog: Höfer, Tan und Ahtila und die Reflexion visueller Dispositive
Zum Status des »Kunstwerks«
Bild und Bildlichkeit
Kontext und Text – Diskurs und Objekt
LOSE ENDEN
Rückblick: Documenta 11 – drei Zugänge zum Dispositiv Ausstellung
Kontinuitäten und Diskontinuitäten: zur Transformation des Kunstbegriffs auf der Documenta 11
Fluchtlinien: zur Pluralisierung von Kunstbegriff und Kunstgeschichte
ANHANG
Literatur
Werkverzeichnis/Bildquellen/Bildrechte
Werkverzeichnis (Höfer, Tan, Ahtila)
Bildquellen/Bildrechte
Grundrisse zur Documenta 11
Tabellen und empirische Auswertungen zur Documenta 11
Tabelle 1: KünstlerInnenliste
Tabelle 2: Teilnehmerzahlen, sortiert nach Jahrgängen und Geschlecht
Tabelle 3: Geografische Zuordnung der KünstlerInnen und ihr Bezug zum westlichen Kunstbetrieb
Tabelle 4: Zuordnung der KünstlerInnen zum Kanon
Tabelle 5: Entstehungszeiten der ausgestellten Werke und dazugehörige Anzahl der KünstlerInnen
Tabelle 6: Entstehungszeiten der ausgestellten Werke mit Nennung der jeweiligen KünstlerInnen
Tabelle 7: Fotografische Bildmedien auf der Documenta 11
Tabelle 8: Medienauswertung zu den ausgestellten Werken
Werkstruktur: Fiona Tan/August Sander
Fiona Tan: Countenance (2002)
August Sander: Mappenwerk Menschen des 20. Jahrhunderts
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Ausstellungen als Wissensordnungen: Zur Transformation des Kunstbegriffs auf der Documenta 11 [1. Aufl.]
 9783839420201

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Katja Hoffmann Ausstellungen als Wissensordnungen

I mage | Band 35

Schriftenreihe des documenta Archivs Band 23

Katja Hoffmann (Dr. phil.) ist als freie Autorin, als Kunst- und Deutschlehrerin in Köln sowie als Dozentin in den Kunst- und Medienwissenschaften tätig. Sie fotografiert gern und zerschneidet gerne Fotografiertes. Website: www.hoffmannkatja.de

Katja Hoffmann

AUSSTELLUNGEN ALS WISSENSORDNUNGEN Zur Transformation des Kunstbegriffs auf der Documenta 11

Dissertation am Institut für Kunstgeschichte der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln.

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Lektorat: Katja Hoffmann Korrektorat: Mona Grosche Layout/Satz: Maria Hillmann Umschlaggestaltung/Grafik Tabellen: Tanja Knapp Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2020-7 Umschlagbild: Installation von Ivan Kožaric´: Atelier Kožaric´, 1930–2002 auf der Documenta 11; Abbildung mit freundlicher Genehmigung von Ivan Kožaric´, Werner Maschmann, Documenta GmbH. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Dank Exposition

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AUSSTELLUNGEN – EIN INTERDISZIPLINÄRES FORSCHUNGSFELD: THEORIEN, METHODEN, WIDERSTÄNDE Forschungsperspektiven: Kunst-, Bild- und Medienwissenschaften

23

Forschungsansätze zur Geschichte der Documenta und Documenta 11

27

Ausstellungstheorien und Ausstellungsanalysen

35

Bildwissenschaftliche Ansätze: zur »ikonischen Differenz« und zum Status des »Abbilds«

41

Im Zwischenraum: das Bild als Diskurs – das Bild als Objekt

47

Ausstellungen als Ordnungen des Wissens Dispositiv Ausstellung Zur Methode: die Heterogenität des Analysematerials

53 54 60

Fluchtlinien: zum Widerstand des Objekts

65

I BILDGESCHICHTEN – HISTORISCHE LINIEN DES DISPOSITIVS Der Diskurs um die Abstraktion in der Documenta-Geschichte und im Museum of Modern Art Zum Kunstbegriff der ersten Documenta-Ausstellungen (1955, 1959, 1964) »How to Look at Modern Art?«: Clement Greenberg, Alfred Barr und das MoMA Der modernistische Kunstbegriff und die Documenta 11

71 72 99 114

Vielschichtige Transformationen: zwischen Documenta 4 (1968) und Documenta 12 (2007)

117

Epilog: zur Konstruktion von Kunstbegriff und Kunstgeschichte Flächenbild – Materialität – Medialität Zum Konzept des Ursprungs Zur Naturalisierung von Geschichte

127 127 128 130

II BILDANORDNUNGEN – DIE RÄUMLICHE STRUKTUR DES DISPOSITIVS Die szenografische Ordnung und der Kanon Zum Begriff des Kanons Wer zählt zum Kanon? – empirische Befunde zur Documenta 11

135 136 143

Im Kern des Kanons ? – Werkkonstellationen der Documenta 11 Roth, Kožaric´, Feyzdjou: Werkprozesse und die Unordnung der Dinge Exkurs: Trans- und Interkulturalität Constant und Friedman: Urbanisierung und architektonische Dispositive Exkurs: Architektonische Selbstreflexionen – die »Space Syntax« der Binding Brauerei Bouabré und Portabella: konzeptuelle Kunst und dokumentarische Bilder Darboven, Kawara und die Bechers: historische Konzeptkunstpositionen auf der Documenta 11 Deutungsmöglichkeiten der historischen Konzeptkunstpositionen auf der Documenta 11 Zum Verhältnis der Geschlechter: Darboven und die Frauen der Documenta 11

155 157 169 174

Epilog: zur Reflexion von Wissensordnungen auf der Documenta 11 Totalität – Relationalität Identitätslogik – Differenzlogik Zur Methodologie von Ausstellungsanalysen: quantitative und qualitative Aspekte

180 183 191 204 208 213 213 215 217

III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE : KUNSTWERKE IM DISPOSITIV Foto-, Film- und Videoinstallationen auf der Documenta 11 Zur Dominanz der fotografischen Bildmedien auf der Documenta 11 Zum Umgang der Documenta 11 mit der Geschichte der künstlerischen Fotografie am Beispiel der Bechers »Politiken der Repräsentation« – Enwezors kuratorischer Ansatz und die fotografischen Bildmedien

221 225 227 231

Zur Reflexion massenmedialer Bildkulturen in der Kunst Zur Auswahl der Werke und zum Vorgehen

236 239

Candida Höfer: Die Bürger von Calais (2000/2001) Zum Werk: Aufbau der Fotoinstallation und Geschichte der Skulptur Zur Reflexion massenmedialer Bildkulturen: Die Bürger von Calais in der kunsthistorischen Skulpturenfotografie Diskursfelder um 1900: Skulpturenfotografie, vergleichendes Sehen und Objektivität

245 245 258 288

Fiona Tan: Countenance (2002) Zum Werk: Aufbau der Filminstallation und inhaltliche Struktur der Projektionen Zur Reflexion massenmedialer Bildkulturen: Porträtfotografie und Typologisierung Diskursfelder der 1920er Jahre: Physiognomik und »Photographie als Weltsprache«

309 309

Eija-Liisa Ahtila: The House (2002) Zum Werk: Aufbau der Videoinstallation und filmische Narration Zur Reflexion massenmedialer Bildkulturen: »The Way Hollywood Tells It« Diskursfelder der 1970er Jahre: »Apparatustheorie« und »Suture«

341 341 360 381

Epilog: Höfer, Tan und Ahtila und die Reflexion visueller Dispositive Zum Status des »Kunstwerks« Bild und Bildlichkeit Kontext und Text – Diskurs und Objekt

387 388 391 393

315 332

LOSE ENDEN Rückblick: Documenta 11 – drei Zugänge zum Dispositiv Ausstellung

397

Kontinuitäten und Diskontinuitäten: zur Transformation des Kunstbegriffs auf der Documenta 11

407

Fluchtlinien: zur Pluralisierung von Kunstbegriff und Kunstgeschichte

411

ANHANG Literatur

417

Werkverzeichnis/Bildquellen/Bildrechte Werkverzeichnis (Höfer, Tan, Ahtila) Bildquellen/Bildrechte

445 445 446

Grundrisse zur Documenta 11

449

Tabellen und empirische Auswertungen zur Documenta 11 Tabelle 1: KünstlerInnenliste Tabelle 2: Teilnehmerzahlen, sortiert nach Jahrgängen und Geschlecht Tabelle 3: Geografische Zuordnung der KünstlerInnen und ihr Bezug zum westlichen Kunstbetrieb Tabelle 4: Zuordnung der KünstlerInnen zum Kanon Tabelle 5: Entstehungszeiten der ausgestellten Werke und dazugehörige Anzahl der KünstlerInnen Tabelle 6: Entstehungszeiten der ausgestellten Werke mit Nennung der jeweiligen KünstlerInnen Tabelle 7: Fotografische Bildmedien auf der Documenta 11 Tabelle 8: Medienauswertung zu den ausgestellten Werken

455 456 474

Werkstruktur: Fiona Tan/August Sander Fiona Tan: Countenance (2002) August Sander: Mappenwerk Menschen des 20. Jahrhunderts

493 493 496

475 476 478 479 486 487

Dank

Danken und Gedanken liegen nah beieinander. Ich danke dem Kunsthistorischen Institut der Universität zu Köln, vor allem Prof. Dr. Ursula Frohne und Prof. Dr. Stefan Grohé für die Betreuung meines Dissertationsprojekts, darüber hinaus dem Institut für Kunst- und Medienwissenschaften der Universität Paderborn, vor allem Prof. Dr. Inga Lemke, ebenso dem Forschungskolleg Medienumbrüche FK 615 an der Universität Siegen, insbesondere der Nachwuchsforschergruppe Theorie der Medienumbrüche (Nicola Glaubitz, Henning Groscurth, Michael Ross, Jörgen Schäfer, Jens Schröter, Gregor Schwering, Jochen Venus). Die in diesen Zusammenhängen entstandenen Diskussionen und Gedanken hatten für diese Arbeit unschätzbaren Wert. Zudem danke ich Dr. Rolf Bäumer (Universität Siegen), Prof. Dr. Martina Dobbe (Universität Siegen/ Universität der Künste Berlin), Prof. Dr. Hubert Locher (Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart/Universität Marburg). Mit ihnen konnte ich in früheren und späteren Arbeitsstadien mein Projekt diskutieren. Auch von der Auseinandersetzung in der Arbeitsgruppe Kunstgeschichte als Bildbändigung unter der Leitung von Johannes Grave und Matteo Burioni während der Summerschool 2007 am Forschungskolleg eikones NFS Bildkritik: Macht und Bedeutung der Bilder der Universität BaselNRQQWHPHLQ3URMHNWHQRUPSUR¿WLHUHQ Darüber hinaus gründet meine Arbeit auf der großzügigen Unterstützung von Institutionen und Personen, die mir zahlreiches Forschungsmaterial und Informationen zur Verfügung gestellt haben: Kunst- und Museumsbibliothek Museum Ludwig, Köln: Gesina Kronenburg und Bettina Gembruch; Schaulager, Basel: Kathrin Grogel; Museum K 21, Düsseldorf: Doris Krystof; Documenta-Archiv, Kassel: Karin Stengel; Architekturbüro Kuehn Malvezzi, Berlin: Johannes Kuehn; Werner Maschmann und sein Fotoarchiv zur Documenta, Duisburg – und nicht zuletzt Eija-Liisa Ahtila, ihrer Assistentin Saara Juvonen ebenso wie Fiona Tan und ihrem Assistenten Bozzie Rabie. Ohne die »uneingeschränkte Freiheit der privaten Initiative« (von Spar) wäre dieses Projekt nicht auf den Weg und ebenso wenig zum Ende gekommen: Mein

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AUSSTELLUNGEN ALS WISSENSORDNUNGEN

größter Dank gilt hier sowohl Stefanie Stallschus für den intensiven Austausch und die Lektüre meiner Texte als auch Stefanie Zobel für das unschätzbare Korrektorat und den gemeinsamen Endspurt für die Abgabe der Dissertationsschrift – ebenso wie der eigeninitiativ organisierten Doktorandinnen-Arbeitsgruppe der beiden. Darüber hinaus begleitete mich meine »Mensa-Gruppe« mit viel kritischem Geist: Astrid Kusser, Malte Meyer und Theo Röhle. Neben Theo Röhle haben auch Kristin Böse und Markus Späth Teile meines Manuskripts kritisch redigiert. Ihnen sei herzlich für die freundschaftliche Unterstützung gedankt. Darüber hinaus war mir der streitbare Geist von Sabine Schöbel während des Entstehungsprozesses der Arbeit sehr kostbar. Auf dem langen Weg zur Drucklegung dieser Arbeit haben mich mit viel Ausdauer, großer Geduld und Fachkompetenz folgende Menschen unterstützt: Tanja .QDSSEHLGHUJUD¿VFKHQ%HDUEHLWXQJGHU7DEHOOHQXQGGHV7LWHOV0DULD+LOOPDQQ EHLP6DW]XQG/D\RXW)HOL[+RIIPDQQ)ORULDQ6FKPLWWXQG&DUROLQH6FKlIHUEHL GHU%LOGEHDUEHLWXQJ&KULVWLQH-FKWHUYRPtranscript-Verlag bei der Betreuung des JHVDPWHQ3XEOLNDWLRQVSURMHNWHV0HLQHU0XWWHU&KULVWLDQH+RIIPDQQGDQNHLFKGDVV VLH DXFK GLHVHQ (QGVSXUW PLW ¿QDQ]LHOOHU 8QWHUVWW]XQJ XQG QLFKW ]XOHW]W PLW YLHO Liebe und Gedanken begleitet hat. Weitere Menschen haben, wenn nicht inhaltlich, dann umso mehr persönlich, in verschiedenen Phasen der Arbeit zum Gelingen dieses Projektes beigetragen: Ich GDQNH %DUWKRORPlXV )LJDWRZVNL 3KLOLSS )UQNlV )HOL[ +RIIPDQQ$QWMH .QDSS Bettina Lange, Brigitte Lüttmann, Norbert Nussbaum, Britta Opel, Tatjana Schwedes, Bernd Ternes, Angela Ullrich. 'DIUGDVVHUPLFKGXUFKGLH+|KHQXQG7LHIHQGLHVHV3URMHNWHVPLWDOOHP:RKOwollen und großer Liebe begleitet hat und dafür, dass ich mich an seinem wunderbar widerständigen Geist und seinem enzyklopädischem Wissen immer wieder UHLEHQNRQQWHGDQNHLFKYRQJDQ]HP+HU]HQPHLQHP0DQQXQG)UHXQG0DWWKLDV +RIIPDQQ2KQHLKQZlUHGLHVH$UEHLWQLHPDOVP|JOLFKJHZRUGHQ

Für Matthias und Oskar

Exposition »Es gibt Sedimentierungslinien, sagt Foucault, aber auch ›Spaltungs‹- und ›Bruch‹-Linien. Will man die Linien des Dispositivs entwirren, so muß man in jedem Fall eine Karte anfertigen, man muß kartographieren, unbekannte Länder ausmessen.« 1

Gilles Deleuze

Ausstellungen fungieren in Kulturen als Ordnungen des Wissens. Sie ordnen Objekte LQHLQHUMHVSH]L¿VFKHQ6\VWHPDWLN6LHUHIHULHUHQDXIKLVWRULVFKHWDEOLHUWH'HXWXQJVmodelle ebenso wie sie Objekte sammeln und kontextualisieren. Sie aktualisieren traditionelle Wissensbestände, gelegentlich aber entwerfen sie auch alternative Deutungen von ehemals verbindlichem Wissen. In Anlehnung an Foucaults DispositivBegriff werden Ausstellungen im Rahmen meiner Untersuchung als Anordnungen begriffen, die konstitutiv für die Ordnungen des Wissens einer Kultur sind. Sie bilden wirkmächtige Deutungsinstanzen und bieten Auslegungsangebote für historische Ereignisse. Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen Kunstausstellungen, insbesondere die Documenta 11 und ihre Geschichte. Denn als eine der wichtigsten europäischen Kunstinstitutionen nach 1945 gab die Documenta weitgehend alle 5 Jahre Auskunft EHULQWHUQDWLRQDOH.XQVWHQWZLFNOXQJHQXQGHQWZDUIHLQHQVSH]L¿VFKHQ%OLFNDXI die Geschichte der Kunst. Darüber hinaus setzte sie sich immer wieder dezidiert mit ihrer eigenen institutionellen Position, aber auch mit den Ordnungsmodi der Kunstgeschichte ebenso wie mit musealen Präsentationsstrategien auseinander. Sie entwarf Deutungsmodelle für einen jeweils zeitgenössischen Kunstbegriff und bildet symptomatisch kulturpolitische Verhältnisse – nicht zuletzt der europäischen Nachkriegsgeschichte – bis in die Gegenwart ab. Aufgrund dessen dient die DocuPHQWDXQGLKUH*HVFKLFKWHPHLQHU5HÀH[LRQEHUGLH7UDQVIRUPDWLRQGHV.XQVWbegriffs im Rahmen der Geschichte des Kasseler Ausstellungsprojekts. An der elften Kasseler Kunstschau wurde, so die These der Arbeit, eine bedeutsame kulturelle 1 Deleuze 1991: »Was ist ein Dispositiv?«, S. 153.

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AUSSTELLUNGEN ALS WISSENSORDNUNGEN

Verschiebung virulent: Die Veränderung eines ehemals – nicht zuletzt innerhalb der ersten Documenta-Ausstellungen – hoch verbindlichen Kunstbegriffs der Moderne vor dem Hintergrund kultur- und gesellschaftspolitischer Veränderungen nach 1989 und im Zuge der Entwicklung massenmedialer Bildkulturen. Das internationale Großkunstprojekt stellte einerseits mit seiner Ausstellungsinszenierung kanonische Ordnungen des westlichen Kunstbetriebs infrage ebenso wie es mit dem dominanten Einsatz IRWRJUD¿VFKHUXQGGDPLWUHIHUHQWLHOOHU%LOGPHGLHQHLQHQPRGHUQLVWLVFKHQXQGGDPLW zugleich autonomen Kunstbegriff überformte. Die Documenta 11 gibt aufgrund der Auswahl und Anordnung ihrer Werke im Ausstellungsparcours Anlass dem Wissen über Kunst – und Bilder – konkreter nachzugehen und nach der Konstitution eines zeitgenössischen Kunstbegriffs zu fragen. Mit der offensiven und bewusst kuratierten Integration einzelner Werke von Künstlern und Künstlerinnen aus nicht eindeutig westlich-europäischen Ländern befragte die Kunstschau von 2002 postkoloniale Machtasymmetrien des westlichen Kunstbetriebs. Mit diesem kuratorischen Schachzug innerhalb der Ausstellungsinszenierung führte die elfte Documenta die gesellschaftspolitischen Fundamente eines ehemals – vermeintlich – kontextungebundenen Kunstbegriffs vor Augen, der bis heute eine Basis der fachwissenschaftlichen Auseinandersetzung bildet. Das Ausstellungskonzept bemühte sich daher um die Öffnung eines vor allem westlich-eurozentristisch konzentrierten Kanons der fachdisziplinären Kunstgeschichte und ihrer Institutionen. Die Documenta 11 kann ein Beispiel dafür liefern, wie vielfältig und komplex sich das historisch gewachsene Dispositiv Ausstellung darstellt. Sie stellte mit der Auswahl und Anordnung der künstlerischen Arbeiten alternative Wissensordnungen und damit auch eine mögliche Transformation des Kunstbegriffs zur Diskussion. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung geht es darum, das Spannungsverhältnis von Gegenwart und Geschichte im Dispositiv Ausstellung differenziert zu beschreiben und zu analysieren. Der Schwerpunkt meiner Auseinandersetzung bestimmt sich nicht darüber, vor allem postkoloniale Diskurse in ihrer vielfältigen Komplexität mit dem Ausstellungskonzept der Documenta 11 in Beziehung zu setzen: Dies einerseits deswegen, weil bereits einige Arbeiten und Publikationen erschienen sind, die sich dezidiert unter starkem Bezug auf postkoloniale Theorien mit der Documenta 11 beschäftigt haben; andererseits, weil durch diese weitgehend dominante, unbestritten durchaus wichtige Perspektive, der Blick auf HLQHPHGLHQXQGELOGZLVVHQVFKDIWOLFKH5HÀH[LRQGHV$XVVWHOOXQJVNRQ]HSWVYHUgleichsweise wenig Aufmerksamkeit gefunden hat. Gerade aber in der Verschränkung beider Perspektiven eröffnen sich meines Erachtens produktive Lektüren der Ausstellung: Sowohl die Öffnung eines ehemals weitgehend eurozentristisch ausgerichteten Kanons im westlichen Kunstbetrieb als auch der starke Einsatz IRWRJUD¿VFKHU%LOGPHGLHQVFKHLQHQGLHZLFKWLJHQNRQ]HSWXHOOHQ0DUNVWHLQHGHU elften Documenta zu bilden. Über diese Verschränkung bezog sie ihr Innovationspotential und transformierte ehemals relativ verbindliches Wissen über das, was als Kunst zu betrachten ist.

EXPOSITION

Die Untersuchung geht den Wissensordnungen, die innerhalb der Documenta 11 etabliert wurden, auf der Grundlage von drei unterschiedlichen Zugängen zum Dispositiv Ausstellung nach. Sie bilden die Metastruktur der Analyse und haben ]XJOHLFK DXFK PHWKRGLVFKUHÀH[LYHQ &KDUDNWHU 0LW GHQ WLWHOJHEHQGHQ %H]HLFKnungen der drei Analyseteile I Bildgeschichten, II Bildanordnungen, III Bild- und Bildlichkeitskonzepte verdeutlicht sich im Laufe der Analyse, wie eng Kunst- und Bildbegriff im kunstwissenschaftlichen Diskurs aneinander gekoppelt waren und VLQG'LH5HÀH[LRQGHVHLQHQLVWRKQHGLH5HÀH[LRQGHVDQGHUHQQLFKWGHQNEDU'LH Titel dieser drei Analyseteile haben die Funktion, die Transformation des Kunstbegriffs auch in Beziehung zu einer Veränderung des Bildbegriffs zu setzen. Auch wenn dieses Bezugsverhältnis im Rahmen dieser Studie nicht abschließend geklärt werden kann und soll, so dienen die thetischen Titel dazu, den fachdisziplinären Diskurs um das Bild kritisch aufzugreifen: Die Begriffe eröffnen im Rahmen der Analyse des Dispositivs Ausstellung und seiner Objektordnungen Möglichkeiten des Weiterdenkens. Der letzte Buchteil greift unter dem Titel Lose Enden die Auseinandersetzung mit dem Bildbegriff im Zusammenhang mit der Veränderung des Kunstbegriffs noch einmal auf. I Bildgeschichten

Als erstes beleuchtet die vorliegende Untersuchung die institutionelle Geschichte des Dispositivs Documenta 11, indem sie sich vornehmlich auf die in den ersten drei Documenta-Ausstellungen (1955, 1959, 1964) etablierten Wissensordnungen konzentriert. Dieser Teil der Analyse beleuchtet aber auch, dass ab 1968 weitere Ausstellungen realisiert wurden, auf deren konzeptioneller Orientierung die elfte Documenta aufbauen konnte. Mit der Thematisierung der vielschichtigen Transformation des Kunstbegriffs im Laufe der institutionellen Geschichte der Documenta wird das Innovationspotential des Ausstellungskonzeptes von 2002 durch eine differenzierte Historisierung eingeordnet und kritisch gewichtet: Es zeigt sich, GDVVVLFKEHUHLWVIUKHUH'RFXPHQWD$XVVWHOOXQJHQUHÀHNWLHUHQGPLWGHQ:LVVHQVordnungen – nicht zuletzt – auch der ersten drei Documenta-Konzeptionen auseinandergesetzt hatten. Die Veränderung des Wissens über Kunst zeichnet sich hier als vielschichtiger Prozess ab, der sowohl von Fortschritten als auch Retardierungen, von Kontinuitäten als auch Diskontinuitäten geprägt ist. Außerdem stellt dieser erste Analyseteil der Untersuchung die ersten Kasseler Ausstellungen in den internationalen Zusammenhang einer diskursdominanten, westlichen Kulturpolitik. Mit dieser Perspektive beleuchtet die Studie die historischen Dimensionen des Dispositivs nicht lediglich innerhalb der Binnenstruktur der Kasseler Institution: Hier wird der Diskurs über einen modernistischen Kunstbegriff, der nicht zuletzt im Rahmen des Museum of Modern Art in New York geführt wurde, mit dem Diskurs über den Kunstbegriff innerhalb der ersten drei Documenta-Ausstellungen in Verbindung gesetzt. Deutlich wird, dass der in den ersten Documenta-Ausstellungen etablierte Kunstbegriff nicht allein eine nationale oder lediglich westeuropäische Angelegenheit war. Zentrale Fragestellungen des ersten Analyseteils der Arbeit sind

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AUSSTELLUNGEN ALS WISSENSORDNUNGEN

folglich: Wie konstituierten die ersten Kasseler Kunstschauen ihren Kunstbegriff? $XIZHOFKHQ2EMHNWRUGQXQJHQEDXWHHUDXI":HOFKHKLVWRULRJUD¿VFKHQ2UGQXQJHQ wurden zugrunde gelegt? Wie wurden Begründungszusammenhänge innerhalb des Ausstellungsparcours geschaffen? Gesellschaftspolitische Aspekte, aber vor allem auch der Ausstellungsdiskurs, der sich über die präsentierten Werkkonstellationen, diverse Publikationen und nicht zuletzt in der Auswahl der Künstler manifestiert, spielen für die Analyse eine tragende Rolle. II Bildanordnungen

In Gegenüberstellung der Konzeption der elften Documenta mit den, hauptsächlich von Arnold Bode und Werner Haftmann konzipierten, ersten drei Kasseler Kunstereignissen wird eine Transformation des Kunstbegriffs beobachtbar. Mittels dieses vergleichenden Verfahrens tritt die Veränderung der Wissensordnungen markant in Erscheinung. Die vergleichende Analyse verdeutlicht nicht zuletzt diskursmächtige historische Linien des Dispositivs. Die Verschiebungen, die innerhalb der konzeptionellen Ausrichtung der elften Documenta zu beobachten sind, werden sichtbar, ebenso zeichnen sich aber auch Gemeinsamkeiten in den zugrunde gelegten Wissensordnungen ab. Diese vielschichtige Transformation wird am Ende des Buches unter dem Titel Lose Enden kritisch revisioniert. Der zweite große Analyseteil der Untersuchung widmet sich vor allem der szenoJUD¿VFKHQ2UGQXQJGHUHOIWHQ'RFXPHQWD'LHUlXPOLFKH6WUXNWXUGHV'LVSRVLWLYV steht hier im Mittelpunkt der Analyse. Sowohl die Auswahl der KünstlerInnen2 und Werke als auch die Anordnung der Exponate im Ausstellungsraum stellen hier den zentralen Bezugspunkt der Untersuchung dar. Hier spielt die kritische Befragung der kanonischen Ordnungen des westlichen Kunstbetriebs eine zentrale Rolle. Das prominent von der Documenta vertretene Konzept der Transkulturalität wird Thema sein ebenso wie das architektonische Binnengefüge der Ausstellungskonzeption. Zwei Exkurse, einerseits zum Begriff der Trans- und Interkulturalität, andererseits ]XUV]HQRJUD¿VFKHQ.RQ]HSWLRQGHU%LQGLQJ%UDXHUHLGHUSpace Syntax, vertiefen die Auseinandersetzung mit der räumlichen Struktur des Dispositivs. Leitende Fragestellungen sind: Inwiefern konnte die Kasseler Ausstellung von 2002 durch die Anordnung der Werke im Ausstellungsraum weniger kanonische und transkulturelle Deutungsperspektiven für eine alternative Geschichte der Kunst eröffnen, kurz: den Kanon des westlichen Kunstbetriebs kritisch revisionieren? Zeichnet

2 Innerhalb meiner Ausführungen wird sowohl die Schreibweise mit einem Binnen-I (KünstlerInnen, TeilnehmerInnen etc.) als auch in einzelnen Fällen, aufgrund der besseren Lesbarkeit, lediglich die männliche Form verwendet (Künstler, Teilnehmer etc.). Dort wo es wichtig erschien, zu unterstreichen, dass auch weibliche Protagonisten den »Gang der Geschichte« aktiv mitgestaltet haben, wurde das Binnen-I verwendet. Dort wo es wegfällt, sollte aus dem Kontext hervorgehen, ob auch Frauen oder lediglich Männer mit der beschriebenen Personengruppe gemeint sind. Dieses Verfahren regt dazu an, die Differenz zwischen Bezeichnung und Realität, zwischen Gesagtem und Gemeintem, zwischen Signifikat und Signifikant kritisch zu reflektieren: Sprache als aktive Gestaltung des Bewußtseins und der Realität im Sinne einer kritischen Reflexion des Geschlechterverhältnisses.

EXPOSITION

VLFKGDV.RQ]HSWQLFKWYRUDOOHPGXUFKHLQH9HUSÀLFKWXQJ]XP.DQRQHLQHUZHVWlichen Kunstgeschichte aus? Wie ging das Ausstellungsprojekt mit kanonischen Positionen um? Welche Rolle spielte beispielsweise die Konzeptkunst in Rahmen des Ausstellungskonzepts? Wie lässt sich eine Veränderung der Wissensordnung und im Zuge dessen, auch eine Transformation des Kunstbegriffs beschreiben? III Bild- und Bildlichkeitskonzepte

Der dritte große Analyseteil geht den dominant auf der elften Documenta präsentierWHQIRWRJUD¿VFKHQ%LOGPHGLHQQDFK'UHL:HUNHYRQGUHL.QVWOHULQQHQVWHKHQKLHU im Zentrum der Betrachtung: Die Fotoinstallation von Candida Höfer mit dem Titel Die Bürger von Calais (2000/2001), die Filminstallation Countenance (2002) von Fiona Tan ebenso wie die Videoinstallation The House (2002) von Eija-Liisa Ahtila. 'LHVHGUHLJDQ]XQWHUVFKLHGOLFKHQ,QVWDOODWLRQHQGLHDXIIRWRJUD¿VFKHQ%LOGPHGLHQ EDVLHUWHQ UHÀHNWLHUHQ VHKU SUlJQDQW YHUVFKLHGHQH ZLUNPlFKWLJH 5HSUlVHQWDWLRQVstrukturen massenmedialer Bildkulturen des 20. Jahrhunderts. Candida Höfer befragt mit ihren Bildern einen konventionalisierten Darstellungsmodus der Kunst reprodu]LHUHQGHQ)RWRJUD¿HVRZDUGLH6NXOSWXUHQIRWRJUD¿HLP.XQVWGLVNXUVXPYRQ einer schematischen Bildauffassung geprägt, die sich nachweislich bis in die Gegenwart kunsthistorischer Publikationen fortschreibt und den Diskurs um die Autonomie der Kunst visuell forciert. Fiona Tan setzt sich mit den Darstellungskonventionen der EUJHUOLFKHQ 3RUWUlWIRWRJUD¿H DXVHLQDQGHU XQG UHÀHNWLHUW GLH GDPLW HLQKHUJHKHQGH bildliche Typologisierung von Gesellschaft. Sie referiert auf ein Bildkompendium GHUHU-DKUHGDVIRWRJUD¿VFKH.RQYHQWLRQHQLQGHU'DUVWHOOXQJGHUEUJHUOLFKHQ Gesellschaft etabliert hatte: August Sanders Bilderatlas Menschen des 20. Jahrhunderts. Eija-Liisa Ahtila hingegen steht in Verhandlung mit den RepräsentaWLRQVVWUXNWXUHQGHV]HLWJHQ|VVLVFKHQ+ROO\ZRRGNLQRV6LHUHÀHNWLHUWVRZRKOYLVXHOOH Repräsentationsmodi von Dokumentation und Fiktion als auch Narrationsschemata des populären Kinos, wie etwa jenes von »Genie und Wahnsinn«. Darüber hinaus knüpft ihre Installation an Diskurse der 1970er Jahre an, welche die AufführungsEHGLQJXQJHQXQG:DKUQHKPXQJVDQRUGQXQJHQGHV'LVSRVLWLYV.LQRNULWLVFKUHÀHNtierten. Die in den Einzelwerkanalysen thematisierten Installationen knüpfen zwar an die postkoloniale Kritik der Documenta 11 an, sie üben jedoch eher eine Binnenkritik »innerhalb des Empire«: Sie befragen die Deutungshoheiten massenmedialer Bildkulturen, die in prägenden Diskursen einer westlich-europäischen Kultur-, Bild- und Mediengeschichte verankert sind. Mit der in dieser Untersuchung angelegten dreigliedrigen Analyseperspektive (I Bildgeschichten, II Bildanordnungen, III Bild- und Bildlichkeitskonzepte), die sowohl auf die historische als auch auf die aktuelle Struktur des Dispositivs eingeht und zugleich dezidiert einzelne Werke im Rahmen der Ausstellung in den Blick nimmt, kommt außerdem das Spannungsfeld zwischen Geschichte und Gegenwart ebenso wie zwischen Einzelobjekt und Diskurs]XU5HÀH[LRQ'LHVHUQLFKWDXÀ|Vbare Widerstand bildet ein zentrales Moment meiner Dispositivanalyse und wird die 6WXGLHUHÀH[LYEHJOHLWHQ

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AUSSTELLUNGEN ALS WISSENSORDNUNGEN

Forschungsperspektiven

Die vorliegende Untersuchung verknüpft drei Forschungsperspektiven, die in der fachdisziplinären Auseinandersetzung der Kunst-, Bild- und Medienwissenschaften bisher noch wenig Berücksichtigung fanden: Die Studie liefert zuerst methodische Grundlagenarbeit für das komplexe Feld der Ausstellungsanalyse. Sie entwirft einen differenzierten theoretisch-methodischen Rahmen, der das Dispositiv Ausstellung als vielschichtiges Ensemble aus Diskursen, Räumen und institutionellen Praktiken in den Blick nimmt. Auf der Grundlage von heterogenem Analysematerial wird sowohl die historische Dimension des Dispositivs, als auch dessen aktuelle Verfasstheit am Beispiel der Documenta 11 beleuchtet. Darüber hinaus berücksichtigt die Untersuchung empirische, quantitative Auswertungen zur Auswahl der KünstlerInnen und Werke und stellt diese in Zusammenhang mit der faktischen, qualitativen Anordnung der Kunstpositionen im Ausstellungsraum. Die Forschungsperspektiven wurden auf der Grundlage von aktuellen Ansätzen der New Museology und der angloamerikanischen Museum Studies entwickelt, ebenso wie Forschungsliteratur aus der Museologie und zur Ausstellungsgeschichte herangezogen wurde. Der erste Buchteil, der sich mit Ausstellungen als einem interdisziplinären Forschungsfeld beschäftigt, erörtert differenziert die theoretischmethodischen Grundlagen des Forschungsprojekts. Zum Zweiten widmet sich die vorliegende Untersuchung wichtigen Marksteinen der institutionellen Geschichte der Documenta: Sie stellt die ersten drei Kasseler Ausstellungen und ihren eurozentristischen Modernismus-Diskurs in ein Spannungsfeld mit der Konzeption der elften Documenta. Die Kasseler Ausstellung tritt hier als Symptomträgerin jeweiliger kultureller und auch gesellschaftspolitischer Veränderungsprozesse in Erscheinung. Mittels dieser historischen Perspektivierung kann eine Transformation des Kunstbegriffs, aber auch eine Veränderung des westlichen Kunstbetriebs nachgezeichnet werden. Die Analyse liefert Grundbausteine und methodische Zugänge, die dazu dienen können, auch die folgenden und zukünftigen Documenta-Ausstellungen kritisch zu untersuchen. Darüber hinaus entwickelt die Studie ein Analysemodell für zeitgenössische )RWR)LOPXQG9LGHRLQVWDOODWLRQHQ)RWR¿OPXQGPHGLHQZLVVHQVFKDIWOLFKH)RUschungsansätze spielen innerhalb der Einzelwerkanalysen eine zentrale Rolle. Die Untersuchung knüpft außerdem an eine fachdisziplinäre, bildwissenschaftliche Auseinandersetzung an. Sie versucht den von Gottfried Boehm geprägten – modernistisch verankerten – Bildbegriff und dessen Konzept der ikonischen Differenz aus VHLQHUKHUPHQHXWLVFKHQ)L[LHUXQJ]XO|VHQXPLKQIUGLHNQVWOHULVFKH5HÀH[LRQ massenmedialer Bildkulturen fruchtbar zu machen. Hier kommen bildwissenschaftOLFKH$QVlW]HXQGELOGWKHRUHWLVFKH5HÀH[LRQHQ]XU6SUDFKHGLHVLFK]ZLVFKHQ+HUmeneutik und Poststrukturalismus bewegen. Sie werden im ersten Buchteil, der sich mit der theoretischen und methodischen Grundlegung der Arbeit beschäftigt, beleuchtet. In diesem Sinne stellt die vorliegende Studie den Versuch dar, das Spannungsfeld zwischen einem tendenziell engen hermeneutischen Bildbegriff und einem vergleichsweise weiten poststrukturalistischen Visualitätsbegriff auszutragen.

EXPOSITION

Mit meinen Forschungsperspektiven werden auch die kontextuellen BedingunJHQ GHV DNDGHPLVFKHQ 'LVNXUVHV UHÀHNWLHUW 'HQQ DQ GHU 8QWHUVXFKXQJ YHUGHXWlicht sich, dass die universitäre Debatte keineswegs als autonome Metaposition zu verstehen, sondern selbst in der kulturellen Praxis ihrer Institutionen verankert ist. Dadurch, dass Ausstellungen in Bezug zu kunst-, bild- und medienwissenschaftlichen, und letztlich auch zu kulturwissenschaftlichen Ansätzen gesetzt werden, leisWHWGLH$UEHLWHLQHQ%HLWUDJ]XU5HÀH[LRQYRQ7KHRULHXQG3UD[LV'LH8QWHUVXFKXQJ ist von dem Versuch geleitet, »blinde Flecken« der Kunstgeschichte in den Blick zu nehmen, ohne dabei ihren Gegenstand – die Kunst – ad acta zu legen. Vielmehr soll es darum gehen, ein Desiderat der Fachgeschichte zu bearbeiten: Die fundierte LQWHUGLV]LSOLQlUH5HÀH[LRQGHV)RUVFKXQJVJHJHQVWDQGVAusstellung im Rahmen der Fachdisziplin. Die Werke der Documenta 11 treten hier als Symptomträger eines Umwälzungsprozesses der Bildkulturen in Erscheinung, welcher nicht zuletzt in der Entwicklung der Massenmedien zu verorten ist. Vor diesem Hintergrund ist auch die Kunstgeschichte herausgefordert, sich mit visuellen Phänomenen der Massenmedienkultur auseinanderzusetzen. Durch meine Analyse des Dispositivs Ausstellung wird ein polykausales, höchst dynamisches Netz von Begründungszusammenhängen sichtbar, von losen Enden, gleichzeitigen und ungleichzeitigen, kontinuierlichen und diskontinuierlichen, auch widersprüchlichen historischen Entwicklungen. Die Studie versucht durch die drei skizzierten Zugänge zum Gegenstand eine monolithische, monolineare und monokausale Erzählung über die eine Geschichte der Kunst und ihres Kunstbegriffs zu unterlaufen. Zugleich möchte sie sichtbar machen, dass die an der Documenta 11 zu beobachtende Transformation des Kunstbegriffs nicht zuletzt von einem Umbau kultureller Ordnungen und Wissensbestände zeugt.

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AUSSTELLUNGEN – EIN INTERDISZIPLINÄRES FORSCHUNGSFELD: THEORIEN, METHODEN, WIDERSTÄNDE

Forschungsperspektiven: Kunst-, Bild- und Medienwissenschaften »Freiheit wird dann, wie ich anzudeuten versucht habe, das absichtliche Vorwegnehmen von Zufall. Das ist, soweit ich weiß, kein innerer Widerspruch. Freiheit ist eine Strategie, eine Spielart. Freiheit hat erst innerhalb einer Spiel-Weltanschauung Sinn, wobei das Spiel als ein NotwendigWerden von Zufall angesehen wird. Ein Beispiel: Ich habe eine leere Leinwand vor mir. Ich mache einen Punkt. Von diesem Punkt aus baue ich ein Bild auf. Sogenannte bildende KünstlerInnen bestätigen das. Dieser Moment der Wahl des Punktes bestimmt den ganzen Prozess des Bilder-Machens. Das ist vielleicht der Kern der Freiheit. Dieses Wählen des Punktes ist zwar aleatorisch, aber es ist doch die Funktion des zu machenden Bildes. Es ist absichtlich. Ich erlebe das beim Schreiben.« 1

Vilém Flusser

Wäre die Arbeit nicht zwischen den Disziplinen und Methoden zu verorten und wäre ich nicht schon mehrfach darüber gestolpert, dass Vollständigkeit im Zuge interdisziplinärer Forschungsperspektiven und vernetzter Diskurse eine eher problematische Größe darstellt, dann hätte dieses Kapitel, neben der Entfaltung von Untersuchungsansätzen und der Erörterung des methodischen Vorgehens, die Funktion, einen Stand der Forschung darzulegen. Nun steht dieser Teil des Buches jedoch vor der Herausforderung, die Grenzen eines Projekts abzustecken, das vielschichtig vernetzt ist und sich mit Bezug auf genuin fachwissenschaftlich-kunsthistorische Diskurse dennoch disziplinär verortet. Die folgenden Ausführungen dienen dementsprechend dazu, den eigenen Forschungsansatz in Bezug zu aktuellen Diskursen der Kunst-, Bild- und Medienwissenschaften zu setzen und damit zugleich das Projekt zu positionieren. Es geht jedoch nicht darum, den eigenen Forschungsprozess

1 Flusser 2008: Kommunikologie weiter denken.

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AUSSTELLUNGEN – EIN INTERDISZIPLINÄRES FORSCHUNGSFELD

als einen abgeschlossenen darzustellen und ihn damit stillzulegen, sondern gleichermaßen die offen gebliebenen Fragehorizonte zu problematisieren. Position zu beziehen bedeutet in diesem Sinne auch Blicke auf den Kontext zu schärfen. Dies kann im besten Fall dazu führen, die Relativität des eigenen Standpunktes zu erkennen, ihn zu markieren und damit Herrschaftsdiskursen entgegen zu arbeiten. Zuerst widmet sich die folgende Darstellung der Verortung des Projekts im Rahmen der Kunstgeschichte und Kunstwissenschaft, um dann die Bezüge der Untersuchung zur Documenta-Forschung zu erörtern. Daran anschließend stehen $QVlW]H]XU$XVVWHOOXQJVDQDO\VHXQGLKUHWKHRUHWLVFKH5HÀH[LRQLP5DKPHQGHU New Museology im Zentrum der Betrachtung, um den Fragehorizont der Arbeit zu skizzieren. Das dann folgende Unterkapitel eröffnet bildwissenschaftliche Bezugsfelder, die für die Untersuchung eine zentrale Rolle spielen. Unter Berücksichtigung der Ansätze von Gottfried Boehm und William Timothy Mitchell werden die Konzeptionen des Iconic bzw. Pictorial Turn dargelegt und ihre theoretisch-methodischen Perspektiven für den Analysehorizont dieser Arbeit vertieft. In der Konfrontation der beiden Positionen kommt das Spannungsfeld von eher hermeneutischen gegenüber eher poststrukturalistischen Forschungsansätzen in den Blick, das auch diese Untersuchung begleiten wird. Das vorletzte Kapitel beschäftigt sich verstärkt mit dem methodischen Zugang zum Forschungsgegenstand Ausstellungen und skizziert, was unter dem titelgebenden Passus Ausstellungen als Wissensordnungen zu verstehen ist. Unter Bezugnahme auf die Überlegungen Foucaults zum Diskurs- und Dispositivbegriff wird hier die methodische Perspektive der Untersuchung entfaltet und die Heterogenität des Untersuchungsmaterials erörtert. Im letzten Schritt werden mögliche Fluchtlinien aus dem Dispositiv Ausstellung und aus seinem machtvollen Zugriff auf die Objekte in den Mittelpunkt gestellt. Medienwissenschaftliche Perspektiven kommen hier zunächst in den bildwissenschaftlich orientierten Kapiteln in den Blick.2 Die drei Werkanalysen im dritten Untersuchungsteil dieses Buches3 werden die Bezüge zu medienwissenschaftlichen Ansätzen vertiefen, da es hier um drei Installationen geht, die auf foto-, video- und NLQHPDWRJUD¿VFKHQ0HGLHQEDVLHUHQ Kunstgeschichte – Kunstwissenschaft – New Art History

-XWWD +HOG VSULFKW LQ LKUHU MQJVW HUVFKLHQHQHQ HLQIKUHQGHQ 0RQRJUD¿H XQWHU dem Titel Grundzüge der Kunstwissenschaft von einer »Restrukturierung der Kunstgeschichte«4. Sie vermeidet ganz offensichtlich die historische Fokussierung des Faches durch dessen Betitelung als »Wissenschaft«, um darüber ideologiekritischen und theoretischen Impulsen, die insbesondere von der sogenannten New Art

2 Vgl. in diesem Buchteil: Kapitel Bildwissenschaftliche Ansätze: zur »ikonischen Differenz« und zum Status des »Abbilds«, sowie Im Zwischenraum: das Bild als Diskurs – das Bild als Objekt. 3 Vgl. den Buchteil III Bild- und Bildlichkeitskonzepte. 4 Held 2007: Grundzüge der Kunstwissenschaft, S. 13 ff.

FORSCHUNGSPERSPEKTIVEN: KUNST-, BILD- UND MEDIENWISSENSCHAFTEN

History5 angestoßen wurden, Raum zu geben. Die New Art History bezeichnet, wie auch Locher betont, einen »Sammelbegriff nicht eine bestimmte Methode, sondern eine Reihe neuer, zumeist stark ideologiekritischer Ansätze, welche in der Absicht entwickelt wurden, den in den siebziger Jahren gängigen theoriefernen Umgang mit Kunst infrage zu stellen und das Establishment des Kunstbetriebs herauszufordern«6. Diese Form einer »neuen« kritischen Kunstgeschichte hat insbesondere im DQJORDPHULNDQLVFKHQ%HUHLFKHLQKRKHV0D‰DQ6HOEVWUHÀH[LRQJHJHQEHUGHQIDFKeigenen Begriffen, Theorien, methodischen Zugängen sowie den Gegenständen eingefordert. Die Wahl des Titels Kunstwissenschaft, den Jutta Held mit Perspektive auf die New Art History gewählt hat, schließt die historischen Dimensionen des Faches jedoch keinesfalls aus. Sie markiert aber den Anspruch auf eine stärker theoretiVFKH5HÀH[LRQXPHLQHUHODWLYWKHRULHIHUQHSRVLWLYLVWLVFKDXVJHULFKWHWHNXQVWKLVtorische Objektforschung zu ergänzen und zu erweitern. Diese Umorientierung ist gekennzeichnet, wie sie konstatiert, von einem »Schub an Verwissenschaftlichung des Faches, der auf Grundlage neuer wissenschaftstheoretischer Ansätze erfolgte und dazu führte, das, was zuvor das wissenschaftliche Zentrum der Kunstgeschichte ausgemacht hatte zu verdrängen, oder doch unter Legitimationsdruck zu setzen«.7

5 Wenngleich sich das Diskursfeld als durchaus heterogen darstellt, bieten folgende Bände vor allem für den angloamerikanischen Bereich einen Einblick in die thematischen Felder der letzten 20 Jahre: Harris 2001: The New Art History: ein einführender Überblicksband mit Angaben zu kanonischen Texten wichtiger fachwissenschaftlicher Debatten (feministische Kunstgeschichte, Identitätspolitiken, Subjektivität, Politiken der Repräsentation: Nationalstaat etc.); Nelson/Shiff 1997: Critical Terms for Art History: mit einer kritischen Sammlung zu einigen Key Concepts der Kunstgeschichte, sowie Rees/Borzello 1986: New Art History. Als ein wichtiger Vertreter einer kritischen Kunstgeschichte im angloamerikanischen Bereich kann Donald Preziosi gelten, vgl. dessen vielfach rezipierte Publikationen: Preziosi 1998: The Art of Art History. Unter Berücksichtigung traditioneller Positionen (Johann Joachim Winckelmann, Heinrich Wölfflin, Alois Riegl) und aktueller Ansätze (Mieke Bal, Norman Bryson, Nanette Salomon, Michael Baxandall) entwirft Preziosi einen multiperspektivischen Blick auf das Fach und gibt zugleich einen Einblick in die heterogene Entwicklung der Disziplin anhand einzelner ausgewählter thematischer Felder (bspw. »Art as History«, »Style«, »The Gendered Subject«, »Deconstruction and the Limits of Interpretation«). Vgl. außerdem: Preziosi 1989: »Rethinking Art History«. Den Versuch einer Übersicht der New Art History unternehmen Halbertsma/Zijlmans 1995: Gesichtspunkte. Kunstgeschichte heute. Im deutschsprachigen Raum forcierte seit 1968 der Ulmer Verein eine kritische, linke Kunstgeschichte. Er rief die Zeitschrift kritische berichte ins Leben, die zunächst das westdeutsche Organ einer marxistischen Kunstgeschichte darstellte. Zur inhaltlichen Wandlung jener ideologiekritisch orientierten Vertretung des Fachs vgl. auch: Werckmeister 2007: »Von Marx zu Warburg in der Kunstgeschichte der Bundesrepublik«. Die Zeitschrift Texte zur Kunst versucht unter einer poststrukturalistischen/postmodernen Perspektive an einen kritischen, häufig stark theoretisierenden Diskurs, jedoch mit engem Bezug zur aktuellen Kunst- und Ausstellungsszene, anzuschließen. In der theoretisch-politischen Perspektive findet sie ihr Pendant in der US-amerikanischen Zeitschrift October. Einblicke in die Geschichte einer fach- und gesellschaftskritisch motivierten linken Kunstgeschichte eröffnet folgender Sammelband, an dem auch Jutta Held beteiligt war: Berndt/Kaiser 1992: Frankfurter Schule und Kunstgeschichte. 6 Locher 1997: »Postmoderne Kunstgeschichte oder kritische Kunstgeschichte ›american style‹?«, S. 62. 7 Held 2007: Grundzüge der Kunstwissenschaft, S. 13.

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AUSSTELLUNGEN – EIN INTERDISZIPLINÄRES FORSCHUNGSFELD

Im Anschluss an diese aktuelle Diskussion um Gegenstandsbereiche, Institutionen und Problemfelder des Faches ist diese Untersuchung von dem Anliegen geleitet, DQMHQHQDNWXHOOHQIDFKZLVVHQVFKDIWOLFKHQ'LVNXUVXQGVHLQWKHRUHWLVFKHV5HÀHxionsniveau anzuknüpfen. Den fachdisziplinären Titel Kunstwissenschaft verstehe ich folglich als Integrationsbegriff, der theoretische und historische Aspekte miteinander zu verschränken sucht. Wenn im Folgenden von Kunstgeschichte die Rede sein wird, dann ist damit jenes oben erwähnte, historisch etablierte Zentrum des Faches gemeint, das traditionell »durch eine relativ theorieferne positivistische Sachforschung beherrscht wurde, die sich auf das Ausgraben von InformaWLRQHQNRQ]HQWULHUWHXPGLH,GHQWL¿]LHUXQJXQG'DWLHUXQJNQVWOHULVFKHU¯XYUHV endlos auszuweiten.«8 Held konstatiert darüber hinaus mit einer kritischen Sicht auf die Hermeneutik, dass dieses oben beschriebene »Alltagsgeschäft der Kunstgeschichte, das in den Museen, Universitäten und Zeitschriften dominierte, durch eine [...] intuitionsgestützte hermeneutische Interpretationskunst [ergänzt wurde, K.H.], die auf indirekte und ihr selbst meist unbewusste Weise die Richtung der Sachforschung, die Rangordnung der KünstlerInnen und Kunstwerke, Fragen des Kanons also [...], von einer essentialistischen Sicht ausgehend, [...] beeinflusste.« 9

Die hier vorliegende Auseinandersetzung versucht hingegen durch die Analyse des Dispositivs Ausstellung gerade auch den Diskurs über die Gegenstände der Kunst zu befragen und damit essentialistischen Ansätzen entgegenzuarbeiten. Wie etwa konstituiert sich auf diskursiver Ebene ein Kunstbegriff innerhalb des Ausstellungsprojektes Documenta? Wie lassen sich dessen historische Bedingungen beschreiben? Vor diesem Hintergrund erscheint es eher problematisch, von einem Stand der Forschung zu sprechen, insbesondere deshalb, weil die hier vorgestellten Überlegungen kunstwissenschaftliche sowie museologische als auch medien- und bildwissenschaftliche Ansätze zu integrieren versuchen.

8 Held 2007: Grundzüge der Kunstwissenschaft, S. 13. 9 Held 2007: Grundzüge der Kunstwissenschaft, S. 13.

Forschungsansätze zur Geschichte der Documenta und Documenta 11

Das Diskursfeld zur Geschichte, zur Konzeption und zur öffentlichen Rezeption der Documenta stellt sich als sehr dicht dar, denkt man beispielsweise an die jeweils aktuellen Ausgaben der Zeitschrift Kunstforum International zu den einzelnen Documenta-Ausstellungen.10 Darüber hinaus widmet sich ein ganzes Archiv, das Documenta-Archiv in Kassel, mit einer umfangreichen Bibliothek den Diskursen um das Großereignis in der nordhessischen Provinz. Schärft man den Blick und dringt in die Tiefen der kunsthistorisch-bibliographischen Datenbanken vor, wird jedoch schnell NODUGDVVUHODWLYZHQLJSXEOL]LHUWH0RQRJUD¿HQ]XU'RFXPHQWDH[LVWLHUHQGLHVLFK eingehend einer kritischen Analyse des Ausstellungsprojektes widmen.11 Im Folgenden werde ich die für meine Forschungsperspektiven wichtigen Veröffentlichungen kurz skizzieren und in Bezug zur vorliegenden Untersuchung setzen. Publikationen zur Geschichte der Documenta

Eine der ausführlichsten und wahrscheinlich prominentesten Publikationen zum Thema legte Harald Kimpel bereits 1997 vor.12 Dieser Band beleuchtet, wie sonst keine weitere Publikation, kritisch und facettenreich, en détail anhand von zahlreichem historischen Quellenmaterial die Geschichte der Documenta, ihre Institutionalisierung im Nachkriegsdeutschland, ihre Verstrickungen in lokalpolitische, institutionelle Netzwerke und in das gesellschaftspolitische Klima der Bundesrepublik Deutschland. Wenngleich das Buch den Anspruch erhebt, einen Überblick über 10 Für die hier vorliegende Arbeit sind vor allem folgende Ausgaben interessant: Bechtloff 2002: Documenta 11; Grasskamp 1982: Mythos Documenta. 11 Vgl. hierzu etwa die Trefferlisten zum Stichwort »Documenta« bei www.artlibraries.de des Fachverbunds Florenz-München-Rom (etwa 570 Titel) oder beim Documenta-Archiv (etwa 670 Titel). Diese Treffer verzeichnen jedoch kaum einschlägige Monografien (beide Seiten zuletzt abgerufen am 20.10.2009). 12 Kimpel 1997: Documenta. Mythos und Wirklichkeit.

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die historische Entwicklung dieser Großausstellung zu geben, liegt der Schwerpunkt doch auf den ersten Documenta-Ausstellungen. Kimpel bezieht sich in seiner Untersuchung ausführlich auf historisches Quellenmaterial und legt eine differenzierte Analyse des, wie er es formuliert, »Mythos Documenta« vor – wobei der Begriff »Mythos« selbst jedoch recht vage bleibt. Trotz aller Kritik an Kimpels essayistischer Polemik und der zu kurz kommenden Analyse der tatsächlichen Ausstellungspräsentationen13 hat die hier vorliegende Auseinandersetzung vielfach von GHQ KLVWRULVFKHQ 9RUDUEHLWHQ GLHVHU 3XEOLNDWLRQ SUR¿WLHUW 'DUEHU KLQDXV VSLHOWH auch die kritische Analyse von Walter Grasskamp, insbesondere der ersten Documenta von 195514, eine zentrale Rolle für die hier vorliegende Auseinandersetzung. Wenngleich meine Untersuchung den Schwerpunkt auf die Analyse der szenoJUD¿VFKHQ 2UGQXQJ XQG DXI DXVJHVXFKWH (LQ]HOZHUNH YHUVFKLHEW H[HPSODULVFKH :HUNNRQVWHOODWLRQHQXQGYRUQHKPOLFKHLQHVSH]L¿VFKH'RFXPHQWDGLHHOIWHHLQJHKHQGUHÀHNWLHUWOHJWHQGLH$UEHLWHQYRQ*UDVVNDPSXQG.LPSHOHLQHQZLFKWLJHQ Grundstein für die kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte des Kasseler Ausstellungsprojekts. Diese Arbeit versucht den von den zwei Autoren angestoßenen Diskurs über die Documenta-Ausstellungen der 1950er und 1960er Jahre zu erweitern. Unter Berücksichtigung kunsthistorischer Diskurse des 20. und nicht zuletzt ausgehenden 19. Jahrhunderts soll gezeigt werden, dass der innerhalb der frühen Documenta-Ausstellungen perspektivierte Kunst- und auch Bildbegriff seiQH9HUDQNHUXQJLQNXQVWKLVWRULVFKHQ:LVVHQVIRUPDWLRQHQ¿QGHWGLHDXIJUXQGLKUHU IRUPDOLVWLVFKHQ JDWWXQJV XQG JHVFKOHFKWVVSH]L¿VFKHQ 2ULHQWLHUXQJ LP +LQEOLFN auf den westlichen Kunstbetrieb weitgehend exklusiv funktionierten. In Erweiterung von Kimpels und Grasskamps Überlegungen richtet meine Untersuchung den Blick nicht zuletzt auf die eurozentristische Fundierung eines auf Allgemeingültigkeit bauenden, universalistischen Konzepts von Kunst. Ulrike Wollenhaupt-Schmidts im Jahr 1994 veröffentlichte Dissertation stellt die HLQ]LJH0RQRJUD¿HGDUGLHVLFKPLWGHUHUVWHQ'RFXPHQWDYRQXQGPLWGHQIU diese Ausstellung wichtigen Diskursen um die moderne Kunst zwischen 1945 und 1960 beschäftigt.15 Diese quellenreiche Publikation zeichnet insbesondere prägende deutschsprachige, einschlägig kunsthistorische Diskurse nach, die für die ersten Kasseler Kunstereignisse wichtig waren. Durch die präzise Aufarbeitung der einschlägigen Literatur zum Thema16, lieferte sie meiner Arbeit wichtige historische Hintergrundinformationen. 13 Vgl. folgende Rezension: Bonnet 1997: »Harald Kimpel, documenta: Mythos und Wirklichkeit«. 14 Grasskamp 1989: Die unbewältigte Moderne, insbesondere das Kapitel Entartete Kunst und Documenta 1. Verfemung und Entschärfung der Moderne (S. 465–498) und auch ders. 1991: »Documenta. Kunst des XX. Jahrhunderts. Internationale Ausstellung im Museum Fridericianum Kassel«. 15 Wollenhaupt-Schmidt 1994: Documenta 1955. 16 Die Arbeit dient aufgrund ihrer detailreichen chronologischen, historisch-additiven Struktur als wichtiges Nachschlagewerk. Sie führt aber weniger einen kritischen Diskurs über die kulturellen und gesellschaftlichen Voraussetzungen des Ausstellungsprojekts, was Kimpel und Grasskamp – freilich zugunsten einiger Verkürzungen – stärker im Blick hatten. Kimpel rückt etwa die kultur politischen Rahmenbedingungen des Kalten Krieges verstärkt in den Blick,

FORSCHUNGSANSÄTZE ZUR GESCHICHTE DER DOCUMENTA UND DOCUMENTA 11

Zudem existieren einige Publikationen, die historisches Quellenmaterial, etwa die Presserezeption, die öffentliche Darstellung und Wahrnehmung der Documenta in unterschiedlichen Medien17 VRZLH IRWRJUD¿VFKHV 'RNXPHQWDWLRQVPDWHULDO YRQ einzelnen Documenta-Projekten18 veröffentlicht haben. Zur Geschichte der Documenta wurden außerdem einige Überblicksbände publiziert.19 Sie dienten meiner Arbeit zur historischen Orientierung und der Aufarwohingegen sich Grasskamp insbesondere der Befragung der Documenta vor dem Hintergrund der Geschichte des Faschismus widmet. Wollenhaupt-Schmidts Arbeit dient weni ger dazu, den methodischen Blick auf das Thema Ausstellungsanalyse zu schärfen, da sie die methodisch problematischen Aspekte, etwa die Verzahnung von Ausstellungsdiskurs und Einzelwerken oder aber von gesellschaftspolitischen/kulturellen Rahmenbedingungen und Ausstellungen weitgehend ausblendet. Darüber hinaus bleiben museologische und ausstellungstheoretische Fragestellungen vollständig unberücksichtigt. 17 Vgl. unter anderem Westecker 1972: Documenta-Dokumente 1955–1968. Diese Publikation stellt erstmals eine Sammlung historischen Materials (Presseartikel, Archivfotos etc.) zusammen, allerdings ohne Angabe eindeutiger Quellen. Kimpel bezieht sich in seinem Buch Documenta. Mythos und Wirklichkeit (1997) vielfach auf diese Publikation. Zudem publizierte Schneckenburger zahlreiches Quellen- und Pressematerial von der Documenta 1 bis 7: Schneckenburger 1983: Documenta: Idee und Institution. Wagner veröffentlichte einen Band mit eigenen Feuilleton-Beiträgen aus der FAZ im Merve Verlag, die sich zu einem großen Teil auf die Documenta 8 bis 12 beziehen: Wagner 2007: Licht im Schatten von Babel. Für biografische Berichte über die Documenta von diversen Zeitzeugen vgl.: Orth 2007: Die Welt ist neu: 1955–1968. Zur Person von Arnold Bode: vgl. Georgsdorf 2007: Arnold Bode: Schriften und Gespräche, und auch: Orzechowski 1986: Arnold Bode. Seit den 1990er Jahren spielt offenbar die Analyse der öffentlichen Rezeption der Documenta in der Presse und Kunstkritik eine wesentlichere Rolle: vgl. Schwarze 2006: Die Expansion der Documenta-Kritik; Lemke 1995: Documenta-Dokumentationen. Das Documenta-Archiv listet darüber hinaus einige unveröffentlichte Abschlussarbeiten (deswegen nicht im Literaturverzeichnis im Anhang aufgeführt) zum Thema Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bzw. Medialisierung der Documenta: vgl. Borchers, Peter: Entwicklungstendenzen der Kasseler Documenta 1982–1992: eine Analyse von Präsentationen und Presserezeptionen zeitgenössischer Kunst, Augsburg 1995 (Diplomarbeit); Moeller, Ute: Die ersten beiden Documenta-Ausstellungen in Kassel: Vorraussetzungen und Aspekte zur Kunstkritik, Berlin 1990 (Magisterarbeit); Lindemeyer, Nina: Kassel und die documenta: zur Bedeutung der Kunstausstellung für die lokale Kultur, Berlin 2002 (Diplomarbeit); Schülke, Jasmin: Die documenta zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Medialisierung, Frankfurt a.M. 2008 (Magisterarbeit). Zur Documenta 11 liegen 2 Magisterarbeiten vor: Schmidt, Chrischona: Die Rolle des Betrachters auf der Documenta 11: Kritik der Ausstellung, Freiburg 2007 (Magisterarbeit) sowie: Gösel, Christian: Gezeigte und geliebte Kunst: Rezeptionsstrukturen zeitgenössischer Kunst, dargestellt am Beispiel Documenta 11, Kassel 2004 (Magisterarbeit). Aus einer wissenschaftsgeschichtlichen Perspektive ist interessant, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema Documenta und deren medialer Aufbereitung in Print und Fernsehen mit den 1990er Jahren verstärkt zuzunehmen scheint. 18 Harald Kimpel veröffentlichte zusammen mit Karin Stengel, der Leiterin des Documenta-Archivs, zu den ersten vier Documenta-Ausstellungen jeweils eine fotografische Rekonstruktion: Kimpel/ Stengel 1995: Documenta 1955; dies. 2000: 2. Documenta `59; dies. 2005: Documenta III; dies. 2007: 4. Documenta. 19 Vgl. Kimpel 2002: Documenta. Die Überschau; Schwarze 2008: Meilensteine – Documenta 1 bis 12. Kimpel versucht, einen Überblick über die einzelnen Ausstellungen zu geben, wohingegen Schwarze jeweils anhand von vier bis fünf KünstlerInnen die Documenta 1 bis 11 charakterisiert. Hier werden vorwiegend kanonische Positionen behandelt, die das Ausstellungsereignis auf einzelne Eckdaten zuspitzen.

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AUSSTELLUNGEN – EIN INTERDISZIPLINÄRES FORSCHUNGSFELD

beitung der institutionellen Geschichte. Das hier vorliegende Vorhaben grenzt sich methodisch-theoretisch von diesen Überblicksbänden insofern ab, als dass diese Publikationen eher die Funktion haben, die jeweiligen Ausstellungen, einzelne KünstlerInnen und Werke kursorisch zu beschreiben, und weniger versuchen, sich kritisch XQWHUHLQHUVSH]L¿VFKHQ)UDJHVWHOOXQJHLQHUVSH]L¿VFKHQ'RFXPHQWD$XVVWHOOXQJ]X widmen20. Einen weiteren differenzierten Einblick in die Geschichte des Kasseler Ausstellungsvorhabens liefern aus unterschiedlichen Perspektiven die Publikationen zum 50-jährigen Bestehen der Documenta mit ihrem vielfältigen Dokumentationsmaterial und zahlreichen Einzelbeiträgen.21$XFKVLH¿QGHQLP/DXIHGLHVHU$UEHLW an einzelnen Stellen Berücksichtigung und dienten der historischen Einordnung der Institution. Forschungsfelder zur Documenta 11

Das Documenta-Archiv bietet darüber hinaus zahlreiches unveröffentlichtes Material aus dem Bereich der Öffentlichkeitsarbeit (Pressespiegel), der Besucherforschung (Evaluationen) und des Vermittlungsprogramms (Material zur Vorbereitung des Führungsdienstes), was jedoch aus Gründen der Komplexitätsreduktion nicht zur Fundierung der Argumentation herangezogen wird. Dennoch aber hat etwa die Publikation von Hellinger, welche die Presserezeption über die »postkoloniale Documenta 11« im Zeitungsbereich untersuchte, wichtige Informationen für meine Untersuchung geliefert.22 Denn ihre Untersuchung der Pressestimmen zeigt, dass die Kunstschau von 2002 weitgehend grob auf einen Postkolonialismus-Diskurs redu]LHUWZXUGHZREHLKlX¿JUHODWLYHLQVHLWLJXQGXQWHUNRPSOH[OHGLJOLFKGLH4XDQWLtäten des Ausstellungsprojektes rekapituliert wurden – beispielsweise die Anzahl europäischer bzw. US-amerikanischer KünstlerInnen gegenüber der Anzahl von afrikanischen Künstlerinnen und Künstler – und Versatzstücke der postkolonialen 7KHRULHUHFKWREHUÀlFKOLFK]LWLHUWZXUGHQ'DVVGLH'RFXPHQWDVHOEVWGXUFKHLQHQ komplexen und manchmal vielleicht auch überspannten Begriffsapparat selbst dazu beigetragen haben mag, ist nicht abzustreiten. Dass die realisierte Ausstellung und YLHOHLKUHU:HUNHGHQQRFKYRQHLQHPHUKHEOLFKK|KHUHQ5HÀH[LRQVQLYHDX]HXJHQ kann die vorliegende Untersuchung zeigen.

20 Zu einzelnen Documenta-Ausstellungen wurden Sammelpublikationen herausgegeben: zur Documenta 5: Ausst.Kat. (2001) Wiedervorlage d5: Eine Befragung des Archivs; Stengel 2002: Wieder vorlage Documenta 5 (Tagungsband zur Ausstellung); zur Documenta 6: Rattemeyer 1983: Documenta: Trendmaker im internationalen Kunstbetrieb?; sowie Wackerbarth 1977: Kunst und Medien; zur Documenta 10: Stehr 1997: Materialien zur documenta X; zur Documenta 11: Balkenhol 2003: XXD11. Kunst und KünstlerInnen der Gegenwart. 21 Vgl. Stengel 2007: Documenta zwischen Inszenierung und Kritik; Glasmeier/Stengel 2005: Archive in Motion; dies. 2005: Diskrete Energien. 22 Hellinger 2007: Die ›documenta11‹ im Kreuzfeuer der Kritik. Auch Lüddemann beschäftigt sich in seiner Publikation mit der Documenta 11 und untersucht die Presserezeption an wenigen ausgewählten Artikeln unter systemtheoretischer Perspektive, vgl. ders. 2004: »Kunst und Kritik im Horizont der Wissensproduktion: Documenta 11«.

FORSCHUNGSANSÄTZE ZUR GESCHICHTE DER DOCUMENTA UND DOCUMENTA 11

Engt man das Recherchefeld auf die Documenta 11 ein, dann ist auffallend, dass ]XGLHVHU$XVVWHOOXQJELVGDWRGUHL0RQRJUD¿HQHUVFKLHQHQVLQGGLHVLFKEHUHLWVLP Titel ausgewiesen, mit dem Ausstellungsprojekt beschäftigen: die schon erwähnte Publikation von Hellinger23 GLH MQJVW HUVFKLHQHQH 0RQRJUD¿H YRQ 0DUFKDUW24 und eine im Netz publizierte Doktorarbeit, die an der Universität von Pretoria in Südafrika verfasst wurde25 2OLYHU 0DUFKDUW OHJWH VHLQH 0RQRJUD¿H ]X GHQ GUHL vergangenen Documenta-Ausstellungen (10, 11, 12) im Jahr 2008 vor. Er bezieht sich in seiner gerade 100 Seiten umfassenden Publikation auf vier Aspekte, die seiner Meinung nach den Ausstellungsbetrieb der Kasseler Documenta seit 1997 maßgeblich geprägt haben: Das Spannungsfeld von Politisierung und Depolitisierung, was er insbesondere an der Differenz zwischen der elften und zwölften Documenta festmacht. Zudem rückt er Aspekte der De- und Rezentrierung des Westens, insofern die Befragung der Kategorien von Zentrum und Peripherie in den Blick, thematisiert die Schnittstellen zwischen Kunst und Theorie auf der Documenta und legt einen Fokus auf die zunehmende Präsenz der Kunstvermittlung im Ausstellungskontext. Marcharts Anliegen ist es, der Frage nach kulturellen Hegemonien im Feld (bürgerlicher) Kunstausstellungen nachzugehen und zugleich immer wieder Verknüpfungen zur Geschichte der Documenta zu stiften. Seine theoUHWLVFKHQ*UXQGODJHQ¿QGHWHULP%HVRQGHUHQLQ7RQ\%HQQHWWVhEHUOHJXQJHQ]XU Ausstellungskultur des 19. Jahrhunderts, die auch in meiner Arbeit eine Rolle spielen werden. Unter Rückgriff auf Foucault, Gramsci und Laclau/Mouffe versucht Marchart, Ausstellungen als kulturelle Diskursfelder zu verstehen, in denen sich hegemoniale Strukturen etablieren, »Kämpfe um Konsens und Zustimmung ausgetragen werden«26. Ausstellungen werden in seiner Untersuchung als kulturelle Ereignisse perspektiviert, über die Kanonverschiebungen postuliert und forciert werden. Die Befragung kanonischer Ordnungen hat auch die vorliegende Arbeit im Blick.27 Jedoch spielt hier, anders als bei Marchart, die Analyse der Auswahl der KünstlerInnen und Werke und ihre faktische Anordnung der Exponate im Ausstellungsraum eine zentrale Rolle. Die vorliegende Studie versucht den Analysefokus zu verschieben und die verstärkt politikwissenschaftlich und linkstheoretische Perspektive Marcharts um eine kunst-, medien- und bildwissenschaftliche zu ergänzen. 23 24 25 26

Hellinger 2007: Die ›documenta11‹ im Kreuzfeuer der Kritik. Marchart 2008: Hegemonie im Kunstfeld. Van Niekerk 2008: Documenta 11 as Exemplar for Transcultural Curating. Marchart 2008: Hegemonie im Kunstfeld, S. 22. Marchart arbeitet mit einem starken, dichotomischen Analysemodell. Er versucht die Strukturen der »Dominanzgesellschaft« und deren bürgerlicher Hegemonialkultur gegenüber einer »subordinierten Kultur« zu beleuchten. Seine Argumentation wird zudem durch eine militante Rhetorik untermauert, bei der er unter anderem auf Gramscis Metapher des »Stellungskrieges« zurückgreift (vgl. S. 21 ff). Marcharts ideologiekritische Perspektive bleibt allerdings an einigen Stellen insbesondere durch das begriffsschwere, angestrengt politisierte Vokabular seltsam nebulös. Die »Frontverläufe« zwischen einer positiv bewerteten Documenta 10 und 11 gegenüber einer beinahe »lächerlichen« Documenta 12 erscheinen an einigen Stellen zu undifferenziert. 27 Vgl. hierzu den zweiten Analyseteil der vorliegenden Untersuchung II Bildanordnungen.

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AUSSTELLUNGEN – EIN INTERDISZIPLINÄRES FORSCHUNGSFELD

Dabei ist unbestritten, dass die Auseinandersetzung mit den auf der Documenta 11 etablierten Wissensordnungen nicht ohne eine politische Perspektive auskommen kann. Denn, wie sich zeigen wird, formieren sich auch in Ausstellungen WissensRUGQXQJHQGLHDXIPDFKWDV\PPHWULVFKHQNXOWXUHOOHQJHVFKOHFKWVVSH]L¿VFKHQRGHU PHGLDOHQ9HUKlOWQLVVHQ DXIEDXHQ ,P EHVWHQ )DOO UHÀHNWLHUHQ GLH V]HQRJUD¿VFKHQ Ordnungen diese Machtasymmetrien und bringen sie durch innovative Anordnungen und Werkkonstellationen kritisch zur Sprache. Die von Leoné van Nierkerk an der University of Pretoria verfasste Doktorarbeit widmet sich ebenfalls der Documenta 11, aber auch sie nimmt das Ausstellungskonzept vor allem unter der theoretischen Perspektive der Transkulturalität in den Blick und beschäftigt sich nur sehr beschränkt mit der tatsächlichen räumlichen Konzeption des Ausstellungsparcours und den Einzelwerken. Die im RahPHQ GLHVHU$UEHLW DQDO\VLHUWH 'RPLQDQ] GHU IRWRJUD¿VFKHQ %LOGPHGLHQ LP$XVstellungskonzept der Documenta 11 kommt in ihrer Analyse so gut wie gar nicht zur Sprache. Zwei weitere Sammelbände schließen durch ihre Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten einer »Weltkunstgeschichte« und mit ihrer postkolonialen Kritik an das Diskursfeld der Documenta 11 an: Sowohl die Publikation von Bismarck/ Below28 als auch der aus einer Ringvorlesung hervorgegangene Sammelband von Claus Volkenandt29 beziehen sich in einzelnen Beiträgen auf das kritische Potential der Kasseler Ausstellung von 2002. Einzelne in diesen Veröffentlichungen entfaltete Überlegungen werden in der folgenden Analyse sowohl durch kritische Abgrenzung DOVDXFKGXUFKNRQNUHWH%H]XJQDKPHQ%HUFNVLFKWLJXQJ¿QGHQ Für die hier vorliegende Untersuchung war vor allem ein Katalog interessant, der den Ausstellungsparcours der Documenta 11 anhand von einzelnen Raumansichten XQGGHQGDULQDXVJHVWHOOWHQ:HUNHQIRWRJUD¿VFKGRNXPHQWLHUW30. Die darin publi]LHUWHQ)RWRJUD¿HQYRQ:HUQHU0DVFKPDQQGLHQWHQLQYLHOIlOWLJHU+LQVLFKWPHLQHU Rekonstruktion des Ausstellungsereignisses. Zudem bildet dieser Katalog gewisserPD‰HQGDV=HQWUXPGHVVHOEVWUHÀH[LYHQ$QVSUXFKVGHUHOIWHQ'RFXPHQWDGDVLFK mit diesem Publikationsprojekt noch einmal die Auseinandersetzung mit den eigenen Repräsentationsstrukturen vermittelt. Eine derartige Publikation, die die gesamWHQ$XVVWHOOXQJVUlXPHIRWRJUD¿VFKNDUWRJUD¿HUWLVWELVGDWRLQGHU*HVFKLFKWHGHU Institution einzigartig. Sie gibt Anlass, über den konzeptionellen Ansatz der Ausstellung anhand der einzelnen Räume und den darin präsentierten Werken nachzudenken. Die Befragung dokumentarischer Bilder der Massenmedienkultur, die GLH HOIWH .DVVHOHU .XQVWVFKDX SUlJWH NRPPW PLW GLHVHP .DWDORJ ]XU 5HÀH[LRQ 'LH$XVVWHOOXQJ VSLHJHOW VLFK VHOEVW ± QLFKW ]XOHW]W GXUFK GLH LQ GHQ )RWRJUD¿HQ 28 Bismarck/Below 2005: Globalisierung/Hierarchisierung. 29 Volkenandt 2004: Kunstgeschichte und Weltgegenwartskunst; vgl. auch den folgenden Aufsatz von Volkenandt zur Documenta 11: ders. 2003: »Ästhetik der Differenz«. 30 Vgl. Ausst.Kat. (2002) Documenta 11_Platform 5: Ausstellungsorte; darüber hinaus auch: Angebauer 2002: Momente einer Ausstellung.

FORSCHUNGSANSÄTZE ZUR GESCHICHTE DER DOCUMENTA UND DOCUMENTA 11

zu sehenden Werke, die wiederum über den Repräsentationsstatus der Bilder der Massenmedienkultur nachdenken. Mit dieser Publikation kommt das hohe selbstUHÀH[LYH3RWHQWLDOGHV$XVVWHOOXQJVSURMHNWV]XP$XVGUXFN Neben dem erwähnten Katalog dienten der Hauptkatalog31 ebenso wie der Kurzführer32 meiner Beschäftigung mit der elften Documenta, ferner die Begleitpublikationen zu den einzelnen Plattformen33. Darüber hinaus spielten auch die Publikationen von Enwezor, die sich konkret auf die elfte Documenta beziehen, aber auch die Kataloge zu Ausstellungen, an denen er kuratorisch mitwirkte, eine wichtige Rolle. Sie sind im Literaturverzeichnis aufgeführt und werden an den entsprechenden Stellen meiner Analyse jeweils dezidiert angeführt.

31 Ausst.Kat. (2002) Documenta 11_Plattform 5: Ausstellung. 32 Ausst.Kat. (2002) Documenta11_Plattform 5: Ausstellung. Kurzführer. 33 Enwezor 2002: Demokratie als unvollendeter Prozess, Documenta11_Plattform1; ders. 2002: Experiments with Truth: Transitional Justice and the Processes of Truth and Reconciliation. Documenta11_Platform2; ders. 2002: Créolité and Creolization. Documenta11_Platform3; ders. 2002: Under Siege: Four African Cities: Freetown, Johannesburg, Kinshasa, Lagos. Documenta 11_Platform 4.

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Ausstellungstheorien und Ausstellungsanalysen

Mit dem Anliegen, Ausstellungen als »Ordnungen des Wissens« zu begreifen, knüpft die Arbeit nicht zuletzt auch an museologische Perspektiven an. Im Rahmen meiner Untersuchung geht es jedoch nicht um eine detailgenaue Rekonstruktion einer Institutionen- bzw. Sammlungsgeschichte, die insbesondere museumshistorische Ansätze im Blick haben. Dennoch gründet diese Studie auf einer vorangegangenen, eingehenden Auseinandersetzung mit der Institution Museum34, der Geschichte des Sammelns35 und einer mittlerweile beinahe schon kanonischen Ausstellungsgeschichte36, auf die ich mich an einigen Stellen beziehen werde. Auch geht es mir weniger um die Auseinandersetzung mit einem konkreten institutionellen Handlungsfeld (Sammlung, Archivierung, Öffentlichkeitsarbeit etc.), welche die traditionelle, praxisorientierte Museologie verstärkt interessiert37, sondern um eine kritisch-historische Befragung einer Ausstellungspraxis, die »Ordnungen des Wissens« konstituiert. Eine zentrale Rolle spielt folglich das Anliegen, einen Blick auf die von Ausstellungen vermittelten Diskurse und deren Bedeutung konstituierende Funktion innerhalb kultureller Prozesse zu werfen. +DWWHGLHWUDGLWLRQHOOH0XVHRORJLHKlX¿JSULPlUGLH3UD[HQGHU,QVWLWXWLRQ0XVHXP im Blick (Sammeln, Bewahren, Forschen und Vermitteln38), eröffnen vor allem 34 Für den deutschsprachigen Raum vgl. Sheehan 2002: Geschichte der deutschen Kunstmuseen; Joachimides 2001: Die Museumsreformbewegung in Deutschland und die Entstehung des modernen Museums 1880–1940; ders. 1995: Museumsinszenierungen: Zur Geschichte der Institution des Kunstmuseums. 35 Vgl. Grote 1994: Macrocosmos in Microcosmo. 36 Vgl. Hegewisch/Klüser 1991: Die Kunst der Ausstellung; Ausst.Kat. (1988) Stationen der Moderne. 37 Für einen systematischen Überblick der Disziplin aus vorwiegend angewandter Perspektive vgl. Waidacher 1999: Handbuch der allgemeinen Museologie; Flügel 2005: Einführung in die Museologie. 38 Zu den von Joseph Veach Noble 1970 als »Museum Manifesto« formulierten fünf museologischen Paradigmen (»to collect, to conserve, to study, to interpret, to exhibit«) und deren Veränderung vgl. Weil 2004: »Rethinking the Museum: An Emerging New Paradigm«.

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AUSSTELLUNGEN – EIN INTERDISZIPLINÄRES FORSCHUNGSFELD

Ansätze der angloamerikanischen Forschung seit Ende der 1980er Jahre innovative, NULWLVFKUHÀH[LYH3HUVSHNWLYHQIUHLQHHUZHLWHUWH5HÀH[LRQYRQ$XVVWHOOXQJHQXQG Museen. Sie sollen für diese Arbeit fruchtbar gemacht werden. Obwohl sich diese Ansätze in ihrer inhaltlichen Konzeption als durchaus heterogen darstellen, werGHQ VLH KlX¿J XQWHU GHP 7LWHO New Museology subsumiert, wohingegen man im deutschsprachigen Raum hierfür oft die Bezeichnung Neue Museologie verwendet.39 Diese Forschungsrichtung soll im Folgenden skizziert und in ihrer Relevanz für diese Arbeit perspektiviert werden. (LQHQ HUVWHQ ZLFKWLJHQ %HLWUDJ ]XU NULWLVFKHQ 5HÀH[LRQ XQG VWlUNHUHQ7KHRUH tisierung ausstellungsbezogener Fragestellungen leistete auf der Ebene der institutionellen Organisation der International Council of Museums (ICOM)40. Er rief 1989 ein Symposium ins Leben, das versuchte, einer weitgehend an den Gegenständen ausgerichteten traditionellen Museologie mit innovativen, stärker theoretischen und methodologischen Fragestellungen entgegenzuwirken41. Dieser Impuls resultierte insbesondere aus der Unzufriedenheit gegenüber dem gesellschaftlichen Wirkungs39 Vgl. zu der Ende der 1980er Jahre angestoßenen Debatte auch Ganslmayr 1989: »Die Bewegung ›Neue Museologie‹«. Für den angloamerikanischen Diskurs: vgl. Vergo 1989: New Museology. Des Weiteren spielte die Institution The Smithsonian Institution in Washington D.C. (USA) eine herausragende Rolle innerhalb des englischsprachigen Diskurses. Denn im Rahmen dieses Komplexes aus Museen und Forschungseinrichtungen (vgl.: www.si.edu, zuletzt abgerufen am 25.01.2012) wurden bereits Ende der 1980er Jahre Forschungsansätze im Bereich der New Museology geprägt. Aus den beiden, dort veranstalteten Tagungen im Jahr 1988 und 1990 sind die zwei bekannten Publikationen von Karp und Levine hervorgegangen: dies. 1991: Exhibiting Cultures: The Poetics and Politics of Display (zur Tagung von 1988); Karp/Kreamer/ Levine 1992: Museums and Communities. The Politics of Public Culture (zur Tagung von 1990). Es ist interessant, dass der letztgenannte Band – ganz ähnlich wie Marchart im Hinblick auf die Documenta (vgl. ders. 2008: Hegemonie im Kunstfeld) – museums- und ausstellungskritische Perspektiven auf der Grundlage von Gramscis Hegemoniekonzept diskutiert (vgl. hierzu: Karp: »Introduction: Museum and Communities: The Politics of Public Culture«, insbesondere S. 4 ff). Zur aktuellen Bestandsaufnahme der Forschungsfelder der sogenannten New Museology vgl. folgende Titel: MacDonald 2006: »Expanding Museum Studies: An Introduction«. Für eine breiten Überblick zur historischen Entwicklung des Forschungsfeldes seit den 1980er Jahren: vgl. dies. 1996: »Theorizing Museums: An Introduction«. Zur Relevanz der New Museology in der Praxis: vgl. Stam 2005: »The Informed Muse. The Implications of ›The New Museology‹ for Museum Practice«. Zur Neuen Museologie aus einschlägig soziologischer Perspektive: vgl. Kirchberg 2005: Gesellschaftliche Funktionen von Museen, insbesondere S. 165–187. Eine der ersten Dissertationen, die sich anhand von Fallstudien in Kanada, Mexiko und den USA mit alternativen Museumskonzepten (»Eco-Museums«) und der Neuen Museologie auseinandersetzte, legte Hauenschild vor: vgl. dies. 1988: Neue Museologie. 40 Zur Funktion von ICOM und dem Anspruch des Rates, die Professionalisierung der Museumsarbeit zu fördern, vgl. auch Boylan 2006: »The Museum Profession«; Besterman 2006: »Museum Ethic«, Sofka 1989: »ICOM und ICOFOM, Wegbereiter der heutigen Museologie«. Die Texte geben aus unterschiedlichen Perspektiven einen Einblick in das Dispositiv Ausstellung von Seiten der institutionellen Organisationsstrukturen. 41 Vgl. Auer 1989: Museologie. Neue Wege – Neue Ziele. Die Museologie etablierte sich erst allmählich mit der Institutionalisierung der Museen seit dem 19. Jahrhundert. Zur Geschichte der Museologie: vgl. Zieger 2004: »Die Wissenschaft vom Museum. Theorie der Museumspraxis«; Klausewitz 1989: »Zur Geschichte der Museologie (1878–1988)«.

AUSSTELLUNGSTHEORIEN UND AUSSTELLUNGSANALYSEN

grad herkömmlicher Museumsarbeit und aus dem Bedürfnis nach einer Revision der meist objektzentrierten Ansätze der älteren Museologie. Die Folge war eine stärkere 5HÀH[LRQ GHU SROLWLVFKHQ VR]LDOHQ XQG NXOWXUHOOHQ .RQWH[WH LQ GLH$XVVWHOOXQJHQ und Museen eingebunden sind. Die im deutschen universitären Umfeld wenig wahrgenommene angloamerikanische Debatte42 um das kulturelle und gesellschaftliche Deutungspotential von AusVWHOOXQJHQOLHIHUWHGLHVHU$UEHLWZLFKWLJH,PSXOVH]XU5HÀH[LRQGHU'RFXPHQWD)U meine Auseinandersetzung spielten insbesondere die aktuellen Sammelbände von Reesa Greenberg43, Sharon MacDonald44 und Donald Preziosi/Claire Farago45 eine wichtige Rolle: In ihnen rückt die kritische Auseinandersetzung mit den sogenannten Politiken der Repräsentation (»representational critique«46) sowie mit Fragen der Produktion von Bedeutung und Evidenz innerhalb der Ordnungsstrukturen von $XVVWHOOXQJHQ LQ GHQ %OLFN ,Q GLHVHU KlX¿J YRQ IHPLQLVWLVFKHQ XQG SRVWNRORQLDO motivierten Gruppen getragenen Debatte ging es vor allem um die Frage, unter welchen Prämissen Wissen hergestellt und präsentiert wird. Eingebunden in einen breiteren Diskurs sozial- und kulturkritischer Bewegungen der 1980er Jahre, unterzog man nicht nur museale Strukturen, sondern auch diverse akademische Disziplinen 42 Dies wird insbesondere daran deutlich, dass die im Folgenden genannten Publikationen zu den Museum Studies in nur wenigen Universitätsbibliotheken in Deutschland zu finden sind (Stand der Recherche: Oktober 2009). 43 Greenberg/Ferguson/Nairne 2006: Thinking about Exhibitions. 44 MacDonald 2006: A Companion to Museum Studies; dies. 1996: Theorizing Museums. MacDonald grenzt sich in ihrem programmatischen Leitartikel »Expanding Museum Studies« (in: dies. 2006: A Companion to Museum Studies, S. 1 ff) insofern von der New Museology ab, als dass sie wiederum eine stärkere Verschränkung theoretischer und praktischer Reflexion museologischer Fragestellungen im Blick hat und durch die Pluralisierung (»Studies«) gerade die Multiperspektivität der Zugänge unterstreichen möchte. Dieser Band versucht mit großem inhaltlichen Anspruch eine Erweiterung, stärkere Fundierung und neue Forschungsperspektiven innerhalb der methodischen Ansätze der Museum Studies vorzulegen. Wohingegen in der jüngeren Vergangenheit herausgegebene, einführende Publikationen aus diesem Feld häufig klassische Texte nochmals veröffentlichten, aber weniger an einer konzisen Weiterentwicklung des Faches arbeiteten, so etwa: Carbonell 2004: Museum Studies: An Anthology of Contexts: Der umfangreiche Band widmet sich in zahlreichen kurzen Texten kontextkritischen Perspektiven im Hinblick auf die Konstruktion von Natur, Kultur/Ethnie, Nation, und Geschichte in musealen Strukturen; Corson 2005: Heritage, Museums and Galleries: Dieser Sammelband konzentriert sich auf das Thema des kulturellen Erbes innerhalb musealer Kontexte in unterschiedlichen Ländern (etwa Südafrika, Australien, Neuseeland), eine wichtige Rolle spielt dabei die Frage kultureller Identitäten; Gail 2004: Reinventing the Museum: Diese Sammelpublikation veröffentlicht Texte mit vorwiegend museumspraktischem Anspruch. Sie beschäftigt sich bspw. mit musealen Organisationsstrukturen, mit dem Umgang mit unterschiedlichen Besucherprofilen, institutionspolitischen und museumspädagogischen Aspekten sowie mit Fragen der Öffentlichkeitsarbeit. Einen weitreichenden Überblick über mittlerweile kanonische Texte zur Ausstellungs- und Museumskultur (etwa von Hayden White, Stephen Bann, Mieke Bal, Donna Haraway, Homi Bhaba, André Malraux, Michel Foucault, Tony Bennett, Rosalind Krauss) liefert der umfangreiche Sammelband von Preziosi/Farago 2004: Grasping the World. 45 Preziosi/Farago 2004: Grasping the World. 46 MacDonald 2006: »Expanding Museum Studies«, S. 3.

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AUSSTELLUNGEN – EIN INTERDISZIPLINÄRES FORSCHUNGSFELD

einer eingehenden Kritik. Sharon MacDonald hält in der Einführung ihres für die vorliegende Untersuchung wichtigen Sammelbandes fest, dass im Zuge dieser Politisierungsbewegung die akademischen Disziplinen und ihre Wissensproduktionen – nicht zuletzt im Rahmen der New Museology – kritisch befragt wurden: »Rather than seeing them as engaged in a value-free discovery of ever-better knowledge, there was a move toward regarding knowledge, and its pursuit, realization, and deployment, as inherently political. What was researched, how and why, and, just as significantly, what was ignored or taken for granted and not questioned, came to be seen as matters to be interrogated and answered with reference not only to justifications internal to disciplines but also to wider social and political concerns. In particular, the ways in which differences, and especially inequalities, of ethnicity, gender, sexuality, and class, could be reproduced by disciplines – perhaps through exclusions from the ›canon‹, ›the norm‹, ›the objective‹, or ›the notable‹ came under the spotlight.«47

Infolgedessen widmete sich der Diskurs der New Museology verstärkt der musealen Konstruktion beispielsweise von ethnischen, regionalen, nationalen48, geschlechtsVSH]L¿VFKHQ49 oder auch fachdisziplinären50 Identitäten (»identity politics«51): »It was in this context of ›identity politics‹ that museums were subject to new critical attention. In many ways, the museum is an institution of recognition and identity par excellence. It selects certain cultural products for official safe-keeping, for posterity and public display [...]. This is typically presented in a language – spoken through architecture, spatial arrangements, and forms of display as well as in discursive commentary – of fact, objectivity, superior taste, and authoritative knowledge.«52

Wissensordnungen analysierte man folglich anhand unterschiedlichster Bedingungen: Architektonische Maßgaben, räumliche Inszenierungen und auch sprachliche Vermittlungsstrategien spielten dabei eine Rolle. Diese nicht zuletzt in der New Museology fokussierte Analyseperspektive bildet auch den methodischen Rahmen der vorliegenden Untersuchung.53 47 MacDonald 2006: »Expanding Museum Studies«, S. 3. 48 Die drei genannten Zugänge finden alle Berücksichtigung in: Karp/Levine 1991: Exhibiting Cultures. 49 Zum Beispiel Porter 1996: »Seeing through Solidity: a Feminist Perspective on Museums«. 50 Vgl. MacDonald 1998: The Politics of Display. Die Publikation umfasst eine Aufsatzsammlung, die sich mit Wissenschaftsmuseen auseinandersetzt. Die Wechselbeziehungen zwischen sozialen Ordnungen, Ausstellungskonzeptionen und Wissenschaftsverständnis werden hier anhand von Wissenschaftsmuseen aus den unterschiedlichsten Perspektiven beleuchtet. Der Band ist von einer diskursanalytischen Perspektive geprägt und baut auf Foucaults Überlegungen in der Ordnung der Dinge (1966) sowie in Überwachen und Strafen (1975) auf, vgl. hierzu dies. 1998: »Exhibitions of Power and Powers of Exhibition. An Introduction to the Politics of Display«. 51 MacDonald 2006: »Expanding Museum Studies«, S. 4. 52 MacDonald 2006: »Expanding Museum Studies«, S. 4. 53 Vgl. hierzu auch in diesem Buchteil das Kapitel Ausstellungen als Ordnungen des Wissens.

AUSSTELLUNGSTHEORIEN UND AUSSTELLUNGSANALYSEN

Vor dem beschriebenen Hintergrund stellte man das rationalistische Erbe der Aufklärung, so etwa enzyklopädische Ordnungen im Museumskontext und ihren Anspruch auf universale Vollständigkeit, infrage.54 Den in Ausstellungen vermittelten Eindruck von Objektivität zog man in Zweifel, so dass die museale Praxis, im Sinne einer expositorischen Konstruktion von Sachlichkeit und Objektivität und ihre Bedingungen der Inklusion und Exklusion ins Blickfeld rückten. $QJHQDXGLHVHU6WHOOH¿QGHQVLFK$QNQSIXQJVSXQNWHDQNULWLVFKH3HUVSHNWLYHQ der New Art History: beispielsweise beschäftigt sich Donald Preziosi mit dem Verhältnis von Museologie und Kunstgeschichte, wobei er beide Disziplinen als »epistemologische Technologien« begreift55. An dieses Diskursfeld schließt auch die vorliegende Untersuchung an, denn die Documenta selbst stellt sich als eine Geschichte der »Konstruktion von Wissensordnungen«, im Speziellen über Kunst- und Bildbegriffe dar. Die für den Diskurs der New Museology bekannten Autoren des Sammelbandes von Sharon MacDonald56 eröffnen einen multiperspektivischen Zugang zum Forschungsfeld Ausstellung,KUH$QVlW]H¿QGHQ]XP7HLOH[SOL]LWDEHUDXFK implizit, Eingang in die vorliegende Untersuchung.57 Einen wichtigen Bereich der Museologie und auch der Museum Studies bildet zudem die Auseinandersetzung mit der Wissensvermittlung, Bildungsaspekten und der Besucherforschung vor allem auf der Grundlage empirischer Evaluationen58. Dieser Bereich bleibt im Falle der hier vorliegenden Untersuchung jedoch weitgehend unberücksichtigt. (U¿QGHWDOOHQIDOOVGRUW(LQJDQJLQPHLQHhEHUOHJXQJHQZRVLFKGLH$QDO\VHLQ eine multiperspektivische Lektüre der Documenta aufgliedert und unterschiedliche Zugänge zum Forschungsgegenstand zur Debatte stellt, die sich nicht bruchlos ineinander blenden lassen. Dieses methodische Vorgehen trägt der Erkenntnis Rechnung, dass im Hinblick auf Ausstellungen nicht von einer Öffentlichkeit oder einem Publikum, folglich nicht von einer, singulären und eindeutigen Auslegung des Gegenstandes ausgegangen werden kann. MacDonald konstatiert zum Thema in einer früheren Publikation aus dem Jahr 1996: »In many cases the analystʼs 54 Vgl. MacDonald 1998: The Politics of Display; dies. 2006: A Companion to Museum Studies, insbesondere S. 9 ff. 55 Vgl. Preziosi 1998: »Introduction«, S. 10; ders. 1998: The Art of History: Kapitel The Other: Art History and/as Museology (S. 451–525); sowie den bereits genannten Sammelband: Preziosi/ Farago 2004: Grasping the World. 56 MacDonald 2006: A Companion to Museum Studies. 57 So etwa spielen die auch in diesem Band berücksichtigten Positionen von Donald Preziosi, Tony Bennett, Bill Hillier und Kali Tzortzi, Mieke Bal und Sharon McDonald eine wichtige Rolle für meine Untersuchung, vgl. hierzu auch die unter den Autoren aufgeführten Titel im Literaturverzeichnis. Unübersehbar sind in diesen Ansätzen die Bezüge zu Foucaults Auseinandersetzung mit dispositiven Strukturen in der bürgerlichen Gesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts: vgl. zu diesem Themenkomplex in diesem Buchteil auch das Kapitel Ausstellungen als Ordnungen des Wissens. 58 Der Erforschung dieser Aspekte hat sich Hooper-Greenhill gewidmet: dies. 1994: Museums and their Visitors; dies. 1995: »Audiences: a Curatorial Dilemma«; dies. 2000: Museums and Interpretations of Visual Culture.

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AUSSTELLUNGEN – EIN INTERDISZIPLINÄRES FORSCHUNGSFELD

›reading‹ is not acknowledged as a particular and positioned act of interpretation [...] but is presented as consonant with both the motives of exhibitors and the messages picked up by the visitors«59. Der letzte Analyseteil dieser Arbeit60 fragt verstärkt nach den über die Werke vermittelten Bild- und Bildlichkeitskonzepten, die innerhalb der elften KasseOHU .XQVWVFKDX YRU DOOHP GXUFK GLH 'RPLQDQ] GHU SUlVHQWLHUWHQ IRWRJUD¿VFKHQ Bildmedien in Erscheinung traten. Die Untersuchung versucht hier der Tatsache entgegenzuwirken, dass Ausstellungsanalysen oft kohärente Interpretationen entwerfen, die der Heterogenität des Produktions- und Rezeptionsprozesses von Ausstellungen wenig Rechnung tragen. Auch MacDonald moniert dieses methodische 'H¿]LW »It [die Ausstellungsanalyse, Anmerkung, K.H.] ignores the often competing agendas involved in exhibition-making, the ›messiness‹ of the process itself, and the interpretive agency of visitors. It also provides no account to the dynamics by which museum exhibitions are formed – including the routes by which ›dominant interests‹ or unconscious associations might come to make themselves felt, or of contexts in which they may be challenged.«61

Durch einen systematischen, aber dennoch multiperspektivischen Lektürezugang zur elften Documenta schreibt sich die methodische Komplexität von Ausstellungsanalysen in den Aufbau der vorliegenden Untersuchung ein. Die methodische Konzeption realisiert sich in den drei großen Analyseteilen, die sich einerseits der historischen Dimension des Dispositivs, andererseits seiner räumlichen Struktur, aber auch ausgewählten Einzelwerken widmet.

59 MacDonald 1996: Theorizing Museums, S. 5. 60 Vgl. III Bild- und Bildlichkeitskonzepte. 61 MacDonald 1996: Theorizing Museums, S. 5.

Bildwissenschaftliche Ansätze: zur »ikonischen Differenz« und zum Status des »Abbilds«

Die vergleichsweise neue, sogenannte Disziplin Bildwissenschaft ist umstritten und wird kontrovers diskutiert, da sich eine hochgradig heterogene ForschungsEHZHJXQJ KLQWHU GLHVHP %HJULII YHUELUJW 0DQ UHÀHNWLHUW EHLVSLHOVZHLVH )RUschungen über Bilder unter einer anthropologischen62 oder kulturwissenschaftlichikonologischen Perspektive63. Aber auch phänomenologisch-erkenntnistheoretische Zugänge zum Bildbegriff verbergen sich hinter der Bezeichnung.64 Zudem HUZHLWHUQ IRWRWKHRUHWLVFKH WHFKQLN XQG PHGLHQJHVFKLFKWOLFKH 5HÀH[LRQHQ GHQ Diskurs65 sowie ideologiekritische, tendenziell medien- und kulturwissenschaftliche Ansätze die Debatte bereichern66. Die vorliegende Arbeit nimmt perspektivisch – und vor allem im dritten Analyseteil – Bezug auf einzelne Ansätze dieses heterogenen Wissenschaftsfeldes. Dabei stehen insbesondere Auseinandersetzungen im Vordergrund, die sich medienwissenschaftlichen Fragestellungen |IIQHQXQGIRWRJUD¿VFKH%LOGPHGLHQLQNXOWXUHOOHQ3UR]HVVHQUHÀHNWLHUHQ %H]HLFKQHQGIUGLHELOGZLVVHQVFKDIWOLFKH$XVHLQDQGHUVHW]XQJLVWGDVVKlX¿J nicht lediglich Bilder aus dem einschlägig kunsthistorischen Diskurs in den Blick genommen werden, sondern vielfach auch Darstellungsformen der allgemeinen visuellen Kultur. Oft stehen visuell basierte Deutungspraxen einer Gesellschaft 62 Vgl. Belting 2002: Bild-Anthropologie. 63 Vgl. Bredekamp 2007: Bilder bewegen. Von der Kunstkammer zum Endspiel. 64 Vgl. Boehm 2007: Wie Bilder Sinn erzeugen; ders. 1994: »Die Wiederkehr der Bilder«; ders. 1978: »Zu einer Hermeneutik des Bildes«. 65 Vgl. Geimer 2002: Ordnungen der Sichtbarkeit; Wolf 2003: Diskurse der Fotografie; Wolf 2002: Paradigma Fotografie. 66 Vgl. Mitchell 2005: What Do Pictures want? The Lives and Loves of Images; Bal 2006: Kulturanalyse; dies. 2002: »Der Rembrandt der Frauen«; Bal/Bryson 1999: Looking In. The Art of Viewing.

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im Mittelpunkt des Interesses. Beispielsweise wird der Status wissenschaftlicher Bildgebungsverfahren67 oder auch massenmedialer Visualisierungsformen68 unterVXFKW=XU5HÀH[LRQYRQ%LOGHUQLQGHQ0DVVHQPHGLHQKDEHQGLHDQJORDPHULNDQLschen Visual und Cultural Studies erheblich beigetragen. Im Rahmen dieser Arbeit spielen innerhalb des englischsprachigen Diskurses vor allem die Überlegungen von William Timothy Mitchell eine zentrale Rolle. Darüber hinaus bestimmt das Konzept der ikonischen Differenz, das Gottfried Boehm maßgeblich prägte, den theoretischen und methodischen Zugang zu den Einzelwerkanalysen von Höfer, Tan und Ahtila. Beide Positionen werden im Folgenden näher erörtert. Gottfried Boehm perspektivierte in seiner Forschung einen Kunstbegriff, der auf den Abstraktionsleistungen der künstlerischen Moderne am Ausgang des 19. Jahrhunderts aufbaute. Dementsprechend konstatierte er 1994 in seinem prominenten Aufsatz unter dem Titel Die Wiederkehr der Bilder: »Gerade die poetische Leistung der Bilder wurde zum Leitsignal der Kunst des späten 19. Jahrhunderts, mehr noch für diejenige der Abstraktion, des surrealen Unbewussten, der kubistischen Weltkonstruktion usf. [...] Die eigentliche Leistung (und der Gehalt dieses historischen Geschehens) ist die Entkräftung des Abbildes und, zugleich die Entdeckung genuiner und produktiver Leistungen des Bildes selbst.« 69

Diese genuinen und produktiven Leistungen des Bildes leitet Boehm aus der sogenannten ikonischen Differenz ab. Sie lässt das Medium selbst in Erscheinung treten: »Was uns in einem Bild begegnet, beruht auf einem einzigen Grundkontrast, dem zwischen einer überschaubaren Gesamtfläche und allem was sie an Binnenereignissen einschließt. Das Verhältnis zwischen dem anschaulichen Ganzen und dem, was es an Einzelbestimmungen (der Farbe, der Form, der Figur etc.) beinhaltet, wurde vom KünstlerInnen auf irgendeine Weise optimiert. Die Regeln dafür sind historisch veränderlich, von Stilen, Gattungsordnungen, Auftraggebern usw. geprägt. Bilder – wie immer sie sich ausprägen mögen sind keine Sammelplätze beliebiger Details, sondern Sinneinheiten. Sie entfalten das Verhältnis zwischen ihrer sichtbaren Totalität und dem Reichtum ihrer dargestellten Vielfalt. Das historische Spektrum möglicher Wechselbestimmungen dieser ikonischen Differenz ist ausgesprochen reich.« 70

67 Vgl. Daston/Galison 2007: Objektivität; Geimer: 2002 Ordnungen der Sichtbarkeit; Wolf 2003: Diskurse der Fotografie; Bredekamp/Schneider/Dünkel 2008: Das Technische Bild; Hoffmann 2011: 1895: »›Über eine neue Art von Strahlen‹. Zur Enthüllung der Welt durch die Röntgenfotografie«. 68 Vgl. Maasen/Mayerhauser/Renggli 2006: Bilder als Diskurse – Bilddiskurse: hierin bspw. der Aufsatz von Jürgen Link zu medialen Darstellungsformen von Einwanderung unter der Perspektive einer Kollektivsymbolik. 69 Boehm 1994: »Die Wiederkehr der Bilder«, S. 16. 70 Boehm 1994: »Die Wiederkehr der Bilder«, S. 30.

BILDWISSENSCHAFTLICHE ANSÄTZE

Mit diesem Blick auf Bilder verband Boehm zugleich eine eindeutige Differenzierung zwischen Abbild und Bild, die er folgendermaßen beschreibt: »Denn Abbilder, in ihrer täglichen Rolle, erschöpfen sich darin, existierende Dinge oder Sachverhalte nochmals zu zeigen, nämlich dem äußeren Sinn des Auges. Sie illustrieren, ganz reibungslos dann, wenn sie sich als eine Art Double der Sache darbieten. [...] Abbilder sind zweifellos die verbreitetsten Bilder. Ein erheblicher Teil ihrer öffentlichen Präsenz (im Fernsehen, in Photos, Reklamen, Katalogen etc.) dient diesem Zweck. Es ist leicht einzusehen, dass der sekundäre Status des Abbildes [Hervorhebung, K.H.] das Bildverständnis schwer behindert.« 71

Mit dieser eindeutigen Konzeptualisierung massemedialer Bilder (Fernsehbilder, )RWRJUD¿HQ%LOGHUGHU:HUEXQJHWF DOVEUXFKORVH$EELOGHUGHUYRUIRWRJUD¿VFKHQ Wirklichkeit geriet jedoch aus dem Blick, dass Bilder der Kunst möglicherweise gerade mit diesen Abbildern in Verhandlung stehen und die Differenzierung erst das Resultat von Aushandlungsprozessen darstellt. Diese vorliegende Untersuchung versucht dementsprechend die von Boehm beschriebene »ikonische DiffeUHQ]©GLHVLFKSULPlUDXIGLH%LQQHQHUHLJQLVVHLQQHUKDOEHLQHU%LOGÀlFKHEH]LHKW um die Bezugnahme auf massenmediale Bildformen zu erweitern und insbesondere das Differenzverhältnis zwischen Bildern der Kunst und den Bildern der Massenmedien zu beleuchten.72 Gerade die Documenta 11 stellte aufgrund der hohen =DKODQDXVJHVWHOOWHQIRWR¿OPXQGYLGHRJUD¿VFKHQ$UEHLWHQGLH'LIIHUHQ]YRQ Bildern der Kunst und dokumentarischen, abbildenden Bildern zur Diskussion. Mit den präsentierten Werken kamen Darstellungsformen der Massenmedienkultur im Feld der Kunst ins Spiel, die man in der Rezeption der Kasseler Ausstellung von  KlX¿J DOV ªGRNXPHQWDULVFK© EH]HLFKQHWH 'XUFK GLH ]DKOUHLFKHQ DXI IRWR JUD¿VFKHQ %LOGPHGLHQ EDVLHUHQGHQ )RWR )LOP XQG 9LGHRLQVWDOODWLRQHQ VWHOOWH die elfte Documenta die Differenz zwischen Bildern der Massenmedienkultur und jenen der Kunst zur Disposition. Mit dieser Frage um das Differenzverhältnis beschäftigt sich das dritte große Analysekapitel. Mit der von Boehm vertretenen These, am Ende des 19. Jahrhunderts seien Bilder der Kunst gleichsam auf sich selbst zurückgeworfen worden, verbindet VLFKHLQZHQQJOHLFKDXFKYDJHVDEHUGHQQRFKKLVWRULRJUD¿VFKHV0RGHOO(V¿Qdet im Diskurs um einen modernistischen Kunstbegriff seine Verankerung, der vor allem innerhalb zentraler Institutionen des westlichen Kunstbetriebs in der Nachkriegszeit geführt wurde. Dass der »Ausgangspunkt Cézanne«, der auch Boehms kunsthistorischem Modell zugrunde liegt73, Teil eines hochgradig stabilen historioJUD¿VFKHQ.XQVWPRGHOOVGDUVWHOOWNDQQGLH$XVHLQDQGHUVHW]XQJPLWGHQHUVWHQGUHL

71 Boehm 1994: »Die Wiederkehr der Bilder«, S. 16 f. 72 Vgl. hierzu Buchteil III Bild- und Bildlichkeitskonzepte: Kapitel Zur Reflexion massenmedialer Bildkulturen in der Kunst. 73 Vgl. bspw. Boehm 1988: Paul Cézanne. Montagne Sainte-Victoire.

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Documenta-Ausstellungen, aber auch mit dem Museum of Modern Art zeigen74. Die vorliegende Untersuchung verdeutlicht insofern auch – auf einem bildwissenschaftlichen Nebenweg –, dass das Konzept der ikonischen Differenz, das Boehm nicht zuletzt für die Kunst der sogenannten Klassischen Moderne in Anschlag brachte, auf einem stark modernistisch orientierten, autonomen Kunstbegriff basierte, der auch in den Diskursen wichtiger Institutionen des westlichen Kunstbetriebs eine zentrale Rolle spielte. Vor diesem Hintergrund stellt sich das Konzept der ikonischen Differenz und der diesem Konzept zugrunde gelegte Kunstbegriff ganz und gar nicht als historisch und gesellschaftlich unabhängig dar. Trotz der hier anklingenden Kritik, lieferte dieses auf einem hermeneutischen Verfahren gründende Bildkonzept meiner Analyse eine wichtige Grundlage, was in den Untersuchungen der Einzelwerke nachvollziehbar wird. In der AuseinanderVHW]XQJ PLW :HUNHQ GLH DXI IRWRJUD¿VFKHQ %LOGPHGLHQ EDVLHUHQ YHUGHXWOLFKHQ sich jedoch auch die Grenzen dieses Verfahrens. Vor diesem Hintergrund geht es LPGULWWHQ$QDO\VHWHLOGHV%XFKHVHLQHUVHLWVGDUXP%RHKPV$QVDW]IUGLH5HÀH[LRQYRQ.XQVWZHUNHQIUXFKWEDU]XPDFKHQGLHDXIIRWRJUD¿VFKHQ%LOGPHGLHQ also vermeintlich auf »Abbildern« basieren75, andererseits wird aber gerade hier auch deutlich, dass die Beschäftigung mit Foto-, Film- und Videoinstallationen ohne die Bezugnahme auf massenmediale Bildkulturen nicht auskommt. Darüber hinaus spielen für die Analyse der Werke diskursanalytische Verfahren eine wichtige Rolle, da sich die Arbeiten der KünstlerInnen selbst auf Bilddiskurse der Massenmedien beziehen. Zentral für die Kasseler Ausstellung von 2002 war, dass sie anhand ihrer Werke das dokumentarische Bild als Resultat kulturhistorischer Prozesse (medialer, sozialer, WHFKQLVFKHUHWF UHÀHNWLHUWH6LHVWHOOWHGLYHUVH'DUVWHOOXQJVIRUPHQYRQ2EMHNWLYLWlW zur Diskussion. Mit dieser konzeptionellen Ausrichtung rückte sie einen Aspekt von ª$EELOGHUQ©LQGHQ%OLFNGHUDXFKLQGHUKLVWRULVFKELOGZLVVHQVFKDIWOLFKHQ5HÀHxion eine wichtige Rolle spielt: die Historizität bildlicher Objektivität. So stellt sich, was beispielsweise um 1900 als »Abbild« der Wirklichkeit galt und in historischen Quellen als »objektiv« verhandelt wurde, im Jahr 2009 als höchst unwahrscheinOLFK GDU HWZD GLH )RWRJUD¿H YRQ *HLVWHUQ76 und psychischen Energien77 oder aber GLH IRWRJUD¿VFKH DQJHEOLFK DXWKHQWLVFKH 'RNXPHQWDWLRQ HLQHV /HXFKWNlIHUEOLFNV durch sein Facettenauge78. Zudem zeigen verschiedene bildwissenschaftliche Auseinandersetzungen mit historischen, aber auch aktuellen Darstellungsformen der 74 Vgl. den ersten Analyseteil dieser Arbeit: I Bildgeschichten. 75 Vgl. hierzu den Buchteil III Bild- und Bildlichkeitskonzepte: Kapitel Zur Reflexion massenmedialer Bildkulturen in der Kunst. 76 Vgl. Krauss 1992: Jenseits von Licht und Schatten; Stiegler 2006: Theoriegeschichte der Photographie, insbesondere das Kapitel Bilder aus dem Totenreich: Photographie und Spiritismus (S. 115–131); Fischer 1995: »Ein Nachgebiet der Photographie«; Ausst.Kat. (1997) Im Reich der Phantome. 77 Vgl. Feerhov 1913: Die Photographie des Gedankens oder Psychographie. 78 Vgl. Exner 1891: The Physiology of the Compound Eyes of Insects and Crustaceans.

BILDWISSENSCHAFTLICHE ANSÄTZE

YLVXHOOHQ .XOWXU GDVV 2EMHNWLYLWlW GDV 5HVXOWDW MHZHLOV VSH]L¿VFKHU NXOWXUKLV torischer Bedingungen ist: so etwa das dokumentarische Abbilden im Film des 20. Jahrhunderts79 oder aber das den Körper des Menschen illustrierende Abbilden innerhalb anatomischer Atlanten im 18. Jahrhundert80 ebenso wie das sachliche AbbildenLP5DKPHQZLVVHQVFKDIWOLFKIRWRJUD¿VFKHU2EMHNWLYLHUXQJVYHUVXFKHLP 19. und 20. Jahrhundert81. 'DVV GLH 2EMHNWLYLWlW GLH GHP IRWRJUD¿VFKHQ %LOG VHLW VHLQHP$XINRPPHQ ]XJHVFKULHEHQZXUGHNHLQHIUDJORVPLWJHJHEHQH(LJHQVFKDIWIRWRJUD¿VFKHU%LOGmedien ist, sondern vielmehr nur einem Typus von Evidenz entspricht, der seinen Ort innerhalb einer Geschichte der Objektivität hat, verdeutlichen insbesondere bildwissenschaftliche Auseinandersetzungen um die Ordnungen der Sichtbarkeit82. So konstatiert etwa Galison im Hinblick auf das Verhältnis von Abbildungen und Objektivität im Rahmen der Wissenschaften des 19. Jahrhunderts: »Objektivität ist etwas Historisches. So wie sie in den physikalischen, medizinischen und biologischen Wissenschaften eingesetzt wird, ist sie durch und durch eine Kategorie des 19. Jahrhunderts, eine Kategorie die mit der Abbildung von Objekten verbunden ist.«83 Nicht zuletzt in der Auseinandersetzung mit einer Geschichte der Bilder des Wissens84 wird deutlich: Die ungebrochene Referentialität, die Gottfried Boehm zumindest in einer seiner früheren Schriften dem »Abbild« zuschrieb, stellt sich in einer Mediengeschichte der Visualisierungsformen und -techniken offenbar sehr vielschichtig und komplex dar. Abbildlichkeit – das zeigt sich an den kursorischen Beispielen – ist keinesfalls als ein vorraussetzungsloses Bildkonzept zu begreifen. ,QGHU3HUVSHNWLYH%RHKPVDEHUVLQGLP+LQEOLFNDXIGDV$EELOG6LJQL¿NDWXQG 6LJQL¿NDQWQRFKXQDEO|VEDUPLWHLQDQGHUYHUEXQGHQJHQDXGDVDEHU]ZHLIHOWGLH folgende Untersuchung unter Bezugnahme auf die Kunstwerke der Documenta 11 an und öffnet sich einer Analyseperspektive jenseits der Hermeneutik. Ist der Status des Abbildes in Frage gestellt, dann steht auch der Status des Kunstbildes zur Disposition. Der Zwischenraum rückt in den Blick. Genau diese Problemkonstellation, dieses Spannungsfeld kommt auf der Documenta 11 symptomatisch zur Geltung: An ihrem Konzept wird die streitbare Differenz von Abbildern, also 79 Vgl. Hohenberger 1998: Bilder des Wirklichen. Texte zur Theorie des Dokumentarfilms. 80 Vgl. Daston/Galison 1992: »Das Bild der Objektivität«. 81 Vgl. Armstrong 2003: »Der Mond als Fotografie«; Frizot 2003: »Der menschliche Gang und der kinematografische Algorithmus«. Didi-Huberman arbeitet die Rolle der Fotografie innerhalb der psychoanalytischen Forschung zum Krankheitsbild der Hysterie heraus: vgl. ders. 1997: Die Erfindung der Hysterie. Die photographische Klinik von Jean-Martin Charcot. 82 Vgl. Geimer 2002: Ordnungen der Sichtbarkeit; Daston/Galison 1992: »Das Bild der Objektivität«; dies. 2007: Objektivität; Galison 2003: »Urteil gegen Objektivität«. 83 Galison 2003: »Urteil gegen Objektivität«. 84 Vgl. Breidbach 2005: Bilder des Wissens; Geimer 2002: Ordnungen der Sichtbarkeit; Hagner 2001: Ansichten der Wissenschaftsgeschichte; Wolf 2003: Diskurse der Fotografie, insbesondere das Kapitel Medium des Wissens (S. 269–478).

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dokumentarischen Bildern der Massenmedienkultur, und den Bildern der Kunst virulent. So ließe sich vorab formulieren, dass eben genau darin der Kunstcharakter der Bilder der Kasseler Kunstschau von 2002 liegt: Sie stellten den Zwischenraum zur Debatte. Mit diesem offensichtlich bildlich ausgefochtenen Diskurs konnten sie an eine aktuelle Diskussion über die Massenmedienkultur anknüpfen, bei welcher der Status der Bilder als Repräsentanten der »vorbildlichen« Wirklichkeit zur Diskussion steht. Historisch etablierte Bildordnungen, die eine eindeutige Unterscheidung zwischen Dokumentation und Fiktion zugrunde legen, geraten mit der MedialisieUXQJ GHU .XQVW QLFKW ]XOHW]W GXUFK GLH IRWRJUD¿VFKHQ %LOGPHGLHQ LQV :DQNHQ 0LW GLHVHU (QWZLFNOXQJ VWHKHQ DXFK KLVWRULRJUD¿VFKH .XQVWJHVFKLFKWVPRGHOOH zur Disposition, die sich im Rahmen einer stilgebundenen Kunstgeschichtsschreibung auf sukzessive, chronologische Formentwicklungen und daraus ableitbare Epochenmodelle stützten. Dem hier entfalteten Problemhorizont widmet sich die vorliegende Untersuchung.

Im Zwischenraum: das Bild als Diskurs – das Bild als Objekt

Diese Arbeit knüpft an Forschungsperspektiven an, die unter dem Begriff des Iconic Turn bzw. Pictorial Turn ¿UPLHUHQ %RHKP IKUWH GHQ 7HUPLQXV GHU LNRnischen Wende (Iconic Turn) 1994 mit seinem schon oben erwähnten Beitrag in den deutschsprachigen Diskurs ein.85 Wohingegen der US-amerikanische Kunsthistoriker William Timothy Mitchell 1992 in der Zeitschrift Artforum einen Beitrag unter dem Titel The Pictorial Turn veröffentlichte.86 An Mitchells Beitrag wird im Gegensatz zu Boehms Perspektive deutlich, dass er seinen Pictorial Turn vornehmlich auf die massenmedialen Entwicklungen seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bezieht, wohingegen Boehm die historische Zäsur nicht zuletzt aus den Entwicklungen in den Bildkünsten am Ende des 19. Jahrhunderts ableitet. Trotz dieser inhaltlichen Differenz rücken beide Autoren Bilder als prägende Instanzen der visuellen Kultur in den Blick, wenngleich aus durchaus unterschiedlichen Perspektiven.87 In ihren Texten stellt sich die Bezeichnung des Turn jedoch nicht allein DOVKLVWRULRJUD¿VFKH=lVXUGDUVRQGHUQDXFKDOVHLQH$UW,QLWLDWLRQVIRUPHOGLHQHXH analytische Zugänge gegenüber den sich verändernden Bedingungen der visuellen .XOWXUHLQNODJWXQGHU|IIQHW%HLGH7H[WHN|QQHQLQVRIHUQDXFKDOV5HÀH[DXIGLH Entwicklungen der Massenmedienkultur gelesen werden, entstehen sie doch zu Beginn der 1990er Jahre – einem Zeitpunkt folglich, als die digitale Massenmedienkultur allmählich zu prosperieren begann und sich mit dieser Entwicklung auch die Produktions-, Distributions- und Rezeptionsmöglichkeiten von Bildern enorm erweiterten. Offenbar führen auch diese kulturhistorischen Bedingungen zu einer 85 Vgl. Boehm 1994: »Die Wiederkehr der Bilder«, S. 14. 86 Vgl. Mitchell 1992: »Der Pictorial Turn«; zum englischen Wiederabdruck vgl.: Mitchell 1994: »The Pictorial Turn«. 87 Vgl. hierzu auch den Briefwechsel zwischen Boehm und Mitchell, der die Debatte von 1992 bzw. 1994 revisioniert: Belting 2007: Bilderfragen, insbesondere S. 27–49.

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Revision des bereits etablierten Methodenrepertoires des Faches88, so dass sich der Kunst- und Bildbegriff unter dieser kontextbezogenen Perspektive ebenfalls als historische Variable entpuppt. Ebenso versteht Bredekamp die von Boehm geprägte Formel des Iconic Turn, »wenn sie nicht mehr sein soll als nur eine atmosphärische Beschreibung von Phänomenen«, als »Aufruf zur methodischen Schärfung der bildlichen Analysemittel auf jedwedem Feld und in jeglichem Medium, in denen sich Bilder statisch oder bewegt ausweisen«89. Und auch Bachmann-Medick hatte den Begriff des Turn als eine produktive Kategorie für die Kulturwissenschaften stark gemacht. An ihrer Auseinandersetzung wird deutlich, dass der durchaus auch inÀDWLRQlUJHQXW]WH7HUPLQXVGLDJQRVWLVFKH]XJOHLFKDEHUDXFKRSHUDWLYH4XDOLWlWHQ aufweisen kann, da er die Wahrnehmung und Analyse von Kulturen durch alternative Konzeptualisierungen verändert. Die Autorin betont, dass traditionelle KohäUHQ]EHJULIIH XQWHUDQGHUHP$XWRU:HUN7UDGLWLRQ(QWZLFNOXQJ(LQÀXVV GXUFK pluralistische, heterogenisierende Analysekategorien abgelöst werden.90 Diese nicht zuletzt ideengeschichtliche Wende rückt auch die vorliegende Untersuchung anhand der Analyse der Documenta 11 in den Blick. Verbindet sich mit Boehms Forschungsposition eine dezidiert hermeneutische Perspektive91, dann zeichnet sich Mitchells Zugang zu Bildern durch eine eher poststrukturalistische Methodik aus. Im Gegensatz zu Boehm fragt der US-amerikanische Wissenschaftler in seiner Forschung und auch in dem bereits erwähnten Text92 verstärkt nach den diskursiven Bedingungen, in die Bilder innerhalb einer massenmedialen Kultur eingebunden sind. Historische Ausgangspunkte ¿QGHWHUGDEHLJDQ]LP8QWHUVFKLHG]X%RHKPLQWHQGHQ]LHOOVHPLRWLVFKHQ$QVlWzen, wie etwa von Charles Sanders Peirce oder auch von Nelson Goodmann. Diese zeichentheoretisch orientierten Bezugspunkte bilden eine grundlegende Differenz ]X %RHKPV 3HUVSHNWLYH LQVRIHUQ VLH QLFKW GLH VSH]L¿VFKH SKlQRPHQRORJLVFKH Ausformung und eine im Gegenstand verortete, sinnstiftende Qualität von Bildlichkeit im Blick haben, sondern vielmehr nach strukturellen Generalisierungen (Konventionen/Kodes) von visuellen Zeichensystemen suchen. Eine grundlegende Gemeinsamkeit beider besteht jedoch darin, dass sie methodische und theoreti88 Vgl. hierzu auch die einführenden Überlegungen in diesem Buchteil im Kapitel Forschungsperspektiven: Kunst-, Bild- und Medienwissenschaften, Abschnitt Kunstgeschichte – Kunstwissenschaft – New Art History. 89 Bredekamp 2005: »Drehmomente – Merkmale und Ansprüche des iconic turn«, S. 16. 90 Vgl. Bachmann-Medick 2006: Cultural Turns, insbesondere das Kapitel Cultural Turns (S. 7–57). Die Publikation versucht, die Komplexität der Diskursfigur zu beleuchten. Bachmann-Medicks Anliegen ist es, die in den letzten Jahren proklamierten »turns« unter dem Sammelbegriff der Kulturwissenschaften zu bündeln. Zum Iconic Turn vgl. das gleichnamige Kapitel: S. 329–380. Ob allerdings die faktische Transformation der Kultur Ausgangspunkt der Diagnose war oder die Turns erst jene historischen, mithin sehr vagen und vielschichtigen Zäsuren konstruiert haben, bleibt ungeklärt. 91 Vgl. Boehm 1994: »Die Wiederkehr der Bilder”; ders. 1978: »Zu einer Hermeneutik des Bildes«; ders. 2007: Wie Bilder Sinn erzeugen. 92 Vgl. Mitchell 1992: »Der Pictorial Turn«; darüber hinaus auch ders. 2008: Bildtheorie.

IM ZWISCHENRAUM: DAS BILD ALS DISKURS – DAS BILD ALS OBJEKT

sche Zugänge zu visuellen bzw. bildlichen Erscheinungsformen jenseits der Sprache ermitteln und ikonischen bzw. piktoralen Formen eine eigene Aussagequalität zusprechen, die nicht allein in sprachlichen Diskursen aufgeht. Beide Autoren arbeiten folglich an einer Differenzbestimmung von bildlichen/ visuellen gegenüber sprachlichen Qualitäten, wenngleich beide unterschiedliche methodologische, theoretische Zugänge entwickeln.93 So konstatiert beispielsweise Mitchell kritisch, dass in Panofskys Ikonologie das Ikon gründlich vom Logos absorbiert sei94 und eine »kritische Ikonologie« den Widerstand des Ikons gegen den Logos einfordern müsse95. Wohingegen Boehms »Arbeit am Bild« weniger die Differenz zwischen Texten und Bildern thematisiert, sondern vielmehr die eigenständige, anschauliche Evidenz bildlicher Phänomene fokussiert, um so das Bild gegenüber der Sprache stark zu machen. Mit Bezug auf Merleau-Pontys phänomenologische Perspektive96 rückt Boehm den wahrnehmenden Vollzug der Anschauung am Objekt in den Blick – oder im Sinne Imdahls das »sehende Sehen«: das Bild als Gegenstand und Verfahren. Im Kontrast zu Boehms eher gegenstandsbezogenem Ansatz thematisiert Mitchell in seinen Überlegungen zum Pictorial Turn vor allem diskursive Kontexte, in die Bilder eingebunden sind: »Was immer der pictorial turn also ist, so sollte doch klar sein, daß er keine Rückkehr zu naiven Mimesis-, Abbild- oder Korrespondenztheorien von Repräsentation oder eine erneuerte Metaphysik von piktoraler ›Präsenz‹ darstellt: Er ist eher eine postlinguistische, postsemiotische Wiederentdeckung des Bildes als komplexes Wechselspiel von Visualität, Apparat, Institution, Diskurs, Körpern und Figurativität. Er ist die Erkenntnis, daß die Formen des Betrachters (das Sehen, der Blick, der flüchtige Blick, die Praktiken der Beobachtung, Überwachung und visuelle Lust) ebenso tiefgreifende Probleme wie die verschiedenen Formen der Lektüre (das Entziffern, Dekodieren, Interpretieren etc.) darstellen, und daß visuelle Erfahrung oder die ›visuelle Fähigkeit zu lesen‹ nicht zur Gänze nach dem Modell der Textualität erklärbar sein dürften.« 97

Entgegen einer hermeneutischen Methodik stellt Mitchell ein kohärentes Objekt, bei dem eine erschließbare Einheit des Gegenstandes vorausgesetzt wird, zur Disposition. Das Objekt existiert in Mitchells Auffassung nicht vorraussetzungslos, 93 Unter dieser Prämisse beziehen sich sowohl Boehm als auch Mitchell auf Wittgenstein, der der Bildpotenz der Sprache nachging. Beide nutzen Wittgensteins sprachphilosophische Überlegungen, um die traditionell abendländische Dichotomie von Bild und Text, Ikon und Logos, in deren Tradition auch Richard Rorty mit seinem Postulat des Linguistic Turn (1967) steht, in Frage zu stellen und hierzu eine alternative Perspektive im Hinblick auf Visualität bzw. Bildlichkeit zu entwerfen: vgl. Mitchell 1992: »Der Pictorial Turn«, S. 15 ff und Boehm 1994: »Die Wiederkehr der Bilder«, S. 13 ff. 94 Vgl. Mitchell 1992: »Der Pictorial Turn«, S. 30. 95 Vgl. Mitchell 1992: »Der Pictorial Turn«, S. 31. 96 Vgl. Merleau-Ponty 1974: Phänomenologie der Wahrnehmung. 97 Mitchell 1992: »Der Pictorial Turn«, S. 18 f.

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sondern konstituiert sich vorwiegend über seine Kontexte (kulturhistorische, institutionelle, technische, anthropologische etc.). Der Status des Bildes als eindeutig festschreibbares Objekt wird hier in Frage gestellt und als ein Bezugssystem von Subjekt und Objekt gedacht, die beide gemeinsam in jeweils historische Bedingungsverhältnisse eingebunden sind. Seine Anknüpfungspunkte an diese ObjektDXIIDVVXQJVLQGDXFKLQGHQhEHUOHJXQJHQ)RXFDXOWV]X¿QGHQGLHLPIROJHQGHQ Kapitel näher ausgeführt werden98. Aus den oben skizzierten Überlegungen entwickelt Mitchell einen ideologiekritisch motivierten Ansatz, der sich dementsprechend grundlegend von Boehms Perspektive unterscheidet. Vor allem die Ikonologie bildet Mitchells fachdisziplinären Bezugsrahmen, deren Methodik er jedoch nicht bruchlos antizipiert, sondern einer kritischen Revision unterzieht99. Und anders als Boehm, dessen hermeneutisch fundiertes Erkenntnisinteresse sich an die phänomenologischen Bedingungen von Bildlichkeit bindet, versucht Mitchell auf Grundlage von Althussers marxistisch fundierter Ideologietheorie eine kulturkritische Perspektive in seinem Methodenentwurf unterzubringen. Mag dieser letzte Teil von Mitchells Beitrag zum Pictorial Turn100 zunächst durch seine dekonstruktivistische Lektüre »von Panofsky durch Althusser« etwas irritierend erscheinen, so wird an der Wiedereinführung ideologiekritisch marxistischer Denkmodelle in das Feld der Kunstgeschichte, und hier insbesondere in das der Ikonologie, ein wichtiges Motiv deutlich: Mitchells methodisches Anliegen besteht offenbar darin die Kunstgeschichte aus ihrer eher marginalisierten Position in eine Fachdisziplin zu überführen, die als kritische Instanz gegenüber den Dispositiven der aktuellen massenmedialen Bildkultur fungieren kann. Wenn Boehms Ansatz nach differenzierten Formen der Bildkritik101 sucht, dann geht es dabei, offenbar eher im epistemologischen Sinn, um die erkenntnisstiftenden Potentiale des Ikonischen, wohingegen Mitchell vor allem die Verschränkung der visuellen Kultur – und ihrer Bilder – mit ihren sozialen, politischen und historischen Bedingungen im Blick hat.

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Vgl. in diesem Buchteil: Kapitel Ausstellungen als Ordnungen des Wissens. Das Bezugsverhältnis von Subjekt und Objekt thematisiert Foucault u.a. in seiner Auseinandersetzung mit Velázquez’ Las Meninas: ders. 1966: Die Ordnung der Dinge, und auch in seiner Auseinandersetzung mit Benthams Panpticon: ders. 1975: Überwachen und Strafen. 99 Dies wird vor allem daran deutlich, dass Mitchell Panofsky und Crary miteinander konfrontiert und mit diesem Verfahren versucht, unterschiedliche Desiderate der Ikonologie zu verdeutlichen (vgl. ders. 1992: »Der Pictorial Turn«, S. 22 ff). Er konstatiert, Crary binde in seiner Auseinandersetzung mit den Seh- und Medientechniken des 19. Jahrhunderts die Fragen visueller Repräsentation auch an die körperliche und mentale Aktivität des Betrachters, wohingegen Panofsky in seinem ikonologisch orientierten Perspektive-Aufsatz diese Aspekte weitgehend ausblende (vgl. Panofsky 1924/1925: »Perspektive als ›symbolische Form‹«; Crary 1990: Techniken des Betrachters). 100 Mitchell 1992: »Der Pictorial Turn«, S. 27 ff. 101 Vgl. auch das Forschungskolleg eikones – Bildkritik: Macht und Bedeutung der Bilder (www. eikones.ch).

IM ZWISCHENRAUM: DAS BILD ALS DISKURS – DAS BILD ALS OBJEKT

Die vorliegende Untersuchung rekurriert auf Boehms Bildbegriff, da sie sich der Analyse der bildlichen Binnenstruktur einzelner Werke widmet.102 Zugleich zeigen sich in den Einzelwerkanalysen aber auch die Grenzen dieses Konzepts: 'HQQLQVEHVRQGHUHGLHDXIIRWRJUD¿VFKHQ%LOGPHGLHQEDVLHUHQGHQ:HUNHVFKHLQHQ auf Repräsentationsmodi der Massenmedienkultur Bezug zu nehmen, so dass vor allem auch die bildmächtigen Visualisierungsformen globalisierter Mediensysteme berücksichtigt werden müssen. Im Zuge dieses analytischen Zugriffs kommt verstärkt Mitchells Perspektive auf Bildkulturen in den Blick, denn er fokussiert vor allem auch institutionelle, apparative und diskursive Aspekte von gesellschaftlich verankerten Visualisierungsformen. Wenn Mitchell das Bild als »komplexes Wechselspiel« begreift, dann stellt er eine eindeutig abgrenzbare Objektbeschaffenheit bildlicher Phänomene und ein damit verbundenes kohärentes Subjekt in Frage, wohingegen Boehm in seiner hermeneutischen Fokussierung auf den Bildbegriff eher den Gegenstandsbezug und eine eindeutig abgrenzbare Objektkohärenz aufrecht erhält. Dennoch nähert sich Mitchell Boehms Perspektive insofern, als dass das Zentrum seiner Analysen vorwiegend Bilder darstellen. Boehm hingegen weist Bezüge zu Mitchells Ansatz auf, insofern er mit seiner phänomenologischen Perspektive zugleich auch das Subjekt-Objekt-Verhältnis thematisiert, dies jedoch ohne damit den Universalitätsanspruch der Hermeneutik103]XUHODWLYLHUHQ%HLLKPEOHLEWGHU6LJQL¿NDQWVHLQ Gegenstand, insofern das Bild, weitgehend autonom, und somit weitgehend gesellschaftlich und Kontext ungebunden, wenngleich auch der Betrachter in der phänoPHQRORJLVFKHQ5HÀH[LRQGHV:DKUQHKPXQJVSUR]HVVHVHLQH5ROOHVSLHOW Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen positioniert sich die vorliegende Untersuchung mittels ihres methodischen Aufbaus in kritischer Distanz zu einem homogenen, totalisierenden Interpretationsverfahren. Die drei einzelnen Analyseteile sind deswegen als Montageeinheiten zu verstehen: Sie stehen gleichberechtigt QHEHQHLQDQGHUXPDOVZLGHUVWlQGLJH.RUUHNWLYHXQGSURGXNWLYH5HLEXQJVÀlFKHQ miteinander ins Spiel zu kommen. Auf dieser methodisch-theoretischen Grundlage werden folglich die Werke nicht als kohärente Objekte innerhalb einer engen hermeneutischen Interpretation aufgefasst, sondern als Gegenstände diverser, nicht zuletzt diskursiver Praxen. Mit diesem Analyseverfahren werden unterschiedliche 102 Vgl. die Einzelwerkanalysen zu Höfer, Tan und Ahtila im dritten Analyseteil der Arbeit: III Bild- und Bildlichkeitskonzepte. 103 Vgl. hierzu Forget 1984: Text und Interpretation, S. 7 ff. Hermeneutik meint in diesem Sinne ein Verfahren, dass der Konstitution von Sinn durch die Interpretation von Objekten nachgeht. Dabei sind die Objekte vornehmlich in einen kohärenten Sinnzusammenhang eingebunden (vgl. für eine ausführliche Beschreibung des hermeneutischen Verfahrens, die hier nicht geleistet werden kann: Gadamer 1960: Wahrheit und Methode). Die Hermeneutik erschließt die Möglichkeitsbedingungen der Konstitution von Sinn, jedoch geht sie (vielleicht zwangsläufig) nicht so weit, ihre eigenen Grundvoraussetzungen durch die Befragung von anderen Denkrichtungen, so etwa des Poststrukturalismus’ so weit zu treiben, dass ihr Universalitätsanspruch auf das »Verstehen« und damit auf »einen Sinn« in Zweifel gezogen würde (vgl. hierzu auch: Forget 1984: Text und Interpretation, S. 7 ff).

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Kontextualisierungsmöglichkeiten sichtbar. Gleichermaßen aber tritt in den Einzelwerkanalysen auch der Widerstand des Objekts in Erscheinung, da das Objekt mitWHOVVHLQHUPHGLHQVSH]L¿VFKHQ%HVFKDIIHQKHLWQLFKWYROOVWlQGLJEHUGDV'LVSRVLWLY determiniert werden kann.104 Zugleich verdeutlicht sich aber auch, dass die Werke selbst als Diskurseinheiten zu verstehen sind, die wiederum selbst in vielfältige nicht zuletzt historische Diskursfelder eingebunden sind105. Gerade in der Konfrontation von Objekt und Ausstellungsdiskurs kommen zwei unterschiedliche theoretische Perspektiven zum Tragen, die Anknüpfungspunkte an die Positionen von %RHKPXQG0LWFKHOO¿QGHQ9RUGLHVHP+LQWHUJUXQGYHUVXFKWGHUKLHUHQWZRUIHQH theoretisch-methodische Ansatz eine hermeneutische und eine eher poststrukturalistisch orientierte Analyseperspektive miteinander zu vermitteln, ohne dass sie ineinander aufgehen könnten. Diese methodische Reibung wird als ein nicht aufzuO|VHQGHU.RQÀLNWGLHYRUOLHJHQGH8QWHUVXFKXQJGXUFK]LHKHQXQGVLFK]XJOHLFKLQ den analytischen Prozess der Arbeit einschreiben.106

104 Vgl. in diesem Buchteil: Kapitel Fluchtlinien: zum Widerstand des Objekts. 105 Vgl. hier die jeweiligen untersuchten historischen Diskursfelder innerhalb der Einzelwerkanalysen zu Höfer, Tan und Ahtila im dritten Analyseteil: III Bild- und Bildlichkeitskonzepte. 106 Dieser Konflikt findet Anknüpfungspunkte in einem weiter gefassten wissenschaftstheoretischen Diskurs, der jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht aufgearbeitet werden kann. So etwa beschäftigt sich die Publikation von Philippe Forget (Forget 1984: Text und Interpretation) mit dem Disput von Derrida und Gadamer, in dem die Spannungsfelder von Hermeneutik und Poststrukturalismus/Dekonstruktion zum Tragen kommen. Zugleich zeigt der Band auch, dass durchaus Bezüge zwischen beiden geisteswissenschaftlich-philosophischen Perspektiven bestehen (vgl. etwa den darin enthaltenen Aufsatz von Francois Laruelle: »Anti Hermes«). Bertram stellt die Konfrontation von Hermeneutik und Dekonstruktion zur Debatte: Bertram 2002: Hermeneutik und Dekonstruktion.

Ausstellungen als Ordnungen des Wissens »Die bevorzugte Positionierung ist mit verschiedenen Formen des Relativismus ebenso wenig vereinbar wie mit den am explizitesten totalisierenden Ansprüchen auf wissenschaftliche Autorität. Die Alternative zum Relativismus ist allerdings nicht Totalisierung und eine einzige Sicht, die letztlich immer die unmarkierte Kategorie bezeichnet, deren Stärke von einer systematischen Verdunklung und Beschränkung abhängt. Die Alternative zum Relativismus ist eine Vielfalt partialen, verortbaren, kritischen Wissens, das die Möglichkeit von Netzwerken aufrechterhält, die in der Politik Solidarität und in der Epistemologie Diskussionszusammenhänge genannt werden.« 107

Donna Haraway

Die hier folgenden methodischen Überlegungen zur Ausstellungsanalyse sollen die analytischen Schritte der Untersuchung ebenso wie den Umgang mit dem Untersuchungsmaterial strukturieren. Der Gegenstand der Analyse, Ausstellungen, gibt jedoch zu allererst selbst Anlass, über das systematisch-methodische Verfahren, aber auch über dessen theoretischen Voraussetzungen nachzudenken. Inwiefern lassen sich Ausstellungen als Wissensordnungen beschreiben? Wie und über welche Objekte lassen sich Ausstellungen analysieren? Wie strukturieren Ausstellungen die Ordnungen des Wissens über Kunst und Bilder? Ob der Vorgang ein induktiver oder deduktiver war, ist in der Retrospektive VFKZHUOLFK]XGH¿QLHUHQ'DVDOOPlKOLFKH9HUIDVVHQGHU*HGDQNHQEHLP6FKUHLben lässt demzufolge den komplexen Nachvollzug des Entstehungsprozesses nicht zu, denn es existiert eine Differenz zwischen Denken und Schreiben. Diese ist nicht einholbar und bleibt so als nicht einlösbarer, widerständiger Rest bestehen. Entlasten soll er nicht, vielmehr aber die unabschließbare Suchbewegung – die auch das Zweifeln einschließt – markieren. Sie wird als Spur auch diesen Text nicht verlassen. 107 Haraway 1995: »Situiertes Wissen«, S. 84.

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DISPOSITIV AUSSTELLUNG

Die vorliegende Analyse zeichnet sich in den ersten beiden Teilen108 durch einen diskursanalytischen Zugang zum Forschungsgegenstand aus. Hier prägen nicht zuletzt die theoretischen Überlegungen Foucaults das Vorgehen, die auch den US-ameULNDQLVFKHQ'LVNXUVEHUGLH$QDO\VHYRQ$XVVWHOOXQJHQVWDUNEHHLQÀXVVWKDEHQ109. Sarasin fasst in seiner Auseinandersetzung mit Foucault das diskursanalytische Verfahren folgendermaßen zusammen: »Diskursanalyse zielt darauf, festzustellen, was faktisch gesagt wurde und dann gleichsam zu stabilen Aussagemustern kristallisierte, die nach einiger Zeit wieder verfallen.«110 Aus diesen sogenannten stabilen Aussagemustern formiert sich folglich Wissen, das für eine Gesellschaft auf bestimmte Zeit verbindlichen Charakter hat. Die folgende Studie geht diesen in Ausstellungen angelegten Wissensordnungen am Beispiel der Documenta 11 und ihrer Geschichte nach. Beschäftigen sich diskursanalytische Verfahren vorwiegend mit sprachlichen Äußerungen, dann erweitert die vorliegende Untersuchung ihren Gegenstandsbereich, um mit dem heterogenen Material, das den gesamten Komplex Ausstellung umfasst, umgehen zu können: Jenseits der publizierten Texte, in Form von beispielsweise Katalogen und Begleitpublikationen, spielen die Werke selbst und deren räumlich-architektonische Anordnung eine zentrale Rolle für die Analyse. An dieser Stelle kommt – neben dem Diskursbegriff – auch der Begriff des Dispositivs ins Spiel. Er soll im Folgenden anhand der Überlegungen Foucaults und seiner Werkentwicklung kursorisch skizziert werden. )RXFDXOW XQWHUVXFKW LQQHUKDOE VHLQHV ¯XYUHV XQWHUVFKLHGOLFKH ,QVWDQ]HQ GHU sogenannten Disziplinargesellschaft. Diese Bezeichnung wendet er auf die mit der französischen Revolution entstehenden, bürgerlich konstituierten Gesellschaftsformen an, die sich durch ein hohes Maß an Disziplinierung (bspw. von Zeit, Raum und Körper) auszeichnen. Die »Disziplinargesellschaft« manifestiert sich nicht zuletzt in den großen staatlichen Institutionen, wie etwa in Kliniken, Gefängnissen, Schulen oder aber im Militär. Mit seinem prominenten Buch Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses111 von 1975 legt er eine historische Studie vor, die die unterschiedlichen strukturellen Bedingungen der modernen Bestrafungskultur zu analysieren versucht.112 108 109 110 111 112

Vgl. I Bildgeschichten und II Bildanordnungen. Vgl. hierzu in diesem Buchteil das Kapitel Ausstellungstheorien und Ausstellungsanalysen. Sarasin 2005: Foucault, S. 106. Foucault 1975: Überwachen und Strafen. Diese Publikation entsteht in Auseinandersetzung mit der politischen Revolte um 1968 in Frankreich und entstammt seiner dezidiert institutionsfeindlichen, machtkritischen und linksradikal motivierten Phase in der ersten Hälfte der 1970er Jahre. Foucaults Nachdenken über die Haftbedingungen linker Aktivisten im gaullistischen Frankreich und die damit einhergehenden Repressionen sind Motiv für seine intellektuelle Auseinandersetzung mit den strukturellen Bedingungen und Manifestationen von Macht in der französischen Gesellschaft der 1970er Jahre und deren historischen Vorraussetzungen. Vgl. hierzu auch Sarasin 2005: Foucault, S. 124 ff.

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Für den Analysehorizont dieser Arbeit ist insbesondere interessant, dass er im Nachdenken über die politische Gegenwart historisch prägende Diskurse erarbeitete, um über diese zu einer kritischen Bewertung der Gegenwart und der aktuellen Verfassung der Gesellschaft zu gelangen. Hierfür bündelte Foucault unterschiedlichstes historisches Quellenmaterial, das zum Teil bis ins 18. Jahrhundert zurück reicht, beispielsweise aus den Bereichen der Justiz, der Wissenschaft und des Militärs. Sowohl historische Texte als auch visuelle Darstellungen – so beispielsweise architektoniVFKH *UXQGULVVH XQG 4XHUVFKQLWWH VFKHPDWLVFKH *UD¿NHQ 6WLFKH XQG )RWRJUD¿HQ – dienten ihm als empirische Grundlagen seiner Untersuchung. Diese Analysen fungierten als historischer Hintergrund für seine langjährigen Arbeiten über die Normierungsmacht und die Formierung des Wissens in der modernen Gesellschaft113, die auch in der Archäologie des Wissens (1969) und der Ordnung der Dinge (1966) ihre $XVJDQJVSXQNWH¿QGHQ Innerhalb der folgenden Ausstellungsanalyse geht es ebenfalls darum, historische Diskurslinien in der institutionellen Geschichte der Documenta nachzuzeichnen, um die Wissensordnungen der Documenta 11 erörtern zu können. Durch dieses Vorgehen verdeutlicht sich, inwiefern sich der Kunstbegriff im Laufe der Geschichte verändert hat. Was beispielsweise im Rahmen der ersten drei Documenta-Ausstellungen der 1950er und 1960er Jahre als verbindliches Wissen über Kunst postuliert wurde, stellt sich im Kontext der elften Kasseler Kunstschau als durchaus variabel und veränderlich dar. Mit dieser diachronen Analyseperspektive können Verschiebungen, aber auch Kontinuitäten von Wissensordnungen sichtbar werden. Folgt man Foucaults Ausführungen in der Ordnung der Dinge114 und der Archäologie des Wissens115, dann ist sein diskursanalytischer Ansatz, wie oben bereits erwähnt, zunächst weitgehend an die Sprache gebunden. Jedoch bricht schon in der Archäologie die Fixierung auf sprachliche Äußerungen, denn »Aussagen« müssen, so die Darlegungen des französischen Philosophen, nicht allein qua Grammatik und Sprache – etwa in Form eines Satzes – getroffen werden: »Ein genealogischer Baum, ein Rechnungsbuch, die Schätzung einer Handelsbilanz sind Aussagen: wo sind die Sätze? [...] Schließlich bilden eine Graphik, eine Wachstumskurve, eine Alterspyramide, eine Vorkommensabbildung Aussagen [...]. Es scheint also insgesamt nicht möglich, eine Aussage durch die grammatikalischen Merkmale zu GH¿QLHUHQ©116 Hier öffnet sich eine Perspektive, die – neben der Konzentration auf sprachliche Äußerungen – zusätzlich Formen der Visualität berücksichtigt und für die visuellen Aspekte in Ausstellungen (z. B. die Anordnung der Werke, die Inszenierung im Raum) fruchtbar gemacht werden kann. Foucault widmet sich zwar in seiner Archäologie des Wissens nicht intensiv den visuellen Phänomenen seines Untersuchungsfeldes, aber 113 114 115 116

Vgl. Foucault 1975: Überwachen und Strafen, S. 397. Foucault 1966: Ordnung der Dinge. Foucault 1969: Archäologie des Wissens. Foucault 1969: Archäologie des Wissens, S. 120.

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er setzt sich dennoch mit der strukturellen Heterogenität der Zeichen auseinander und trennt zwischen Aussageordnungen der »Sichtbarkeit« und »Sagbarkeit«117. Nicht allein geschriebene Sätze oder Sprechakte, folglich nicht lediglich sprachbasierte Artikulationen sind konstitutiv für Wissensordnungen. Auch heterogene Medienensembles aus Bildern und Sprache können Wissen ausbilden. Deleuze hält im Hinblick auf Foucault fest, dass sich das Sichtbare und das Sagbare zur Bildung eines jeden Wissens miteinander verbinde und beständig durchdringe.118 Er betont dennoch die Irreduzibilität des Sichtbaren auf das Sagbare: »Zwischen beiden gibt es keine Isomorphie, keine Übereinstimmung, obgleich ein wechselseitiges Vorraussetzungsverhältnis besteht.«119 In der vorliegenden Untersuchung steht vor allem die Analyse von visuellen Aspekten im Ausstellungskontext im Vordergrund120. Jedoch bleiben die sprachlichen Diskurse, die sich innerhalb der Ausstellungskataloge und Publikationen zur Documenta nachvollziehen lassen, keineswegs unberücksichtigt. Demzufolge werden Ausstellungen im Rahmen dieser Arbeit primär als Institutionen der Sichtbarkeit aufgefasst. Die Untersuchung wird jedoch zeigen, dass sich diese visuell basierten Wissensordnungen immer wieder mit sprachlichen Diskursen verschränken. Diese Analyseperspektive löst folglich den Diskursbegriff von seiner primär sprachlichen Fixierung und öffnet ihn verstärkt für visuelle Phänomene. Achim Landwehr hat unter Bezug auf Boehm und Mitchell darauf hingewiesen, dass bildwissenschaftliche Ansätze den Blick für visuelle Diskurse geschärft haben.121 Jedoch betont er auch, dass sich diskursanalytische Verfahren vorwiegend auf Sprache und Texte konzentrieren und Bilder weitaus weniger BerückVLFKWLJXQJ¿QGHQ(LQHV\VWHPDWLVFKDXVJHDUEHLWHWH0HWKRGRORJLHZLHVLHHWZDV Siegfried Jäger für sprachlich basierte Diskurse vorgelegt hat122, stellt im Hinblick auf visuelle Kulturen noch ein Desiderat in der Auseinandersetzung mit

117 Vgl. hierzu auch Deleuze 1986: Foucault, insbesondere das Kapitel Das Sichtbare und das Sagbare (Wissen) (S. 69–98). 118 Vgl. Deleuze 1986: Foucault, S. 87. 119 Deleuze 1986: Foucault, S. 87 f. Das Wechselverhältnis ist hochgradig komplex und rüttelt an einem philosophischen Verständnis von Erkenntnis, das auch in der Gegenüberstellung des von Rorty konstatierten Linguistic Turn gegenüber dem von Boehm konstatierten Iconic Turn zum Tragen kommt. Die erkenntnistheoretische Differenz von Bild und Begriff, Visualität und Sprache durchzieht auch diese Arbeit. 120 Zu Foucaults Auseinandersetzung mit Visualität vgl. Foucault 1966: Die Ordnung der Dinge, insbesondere das Kapitel Die Hoffräulein (S. 31–46); ders. 1967: »Worte und Bilder«; ders. 1968: »Dies ist keine Pfeife«. 121 Vgl. Landwehr 2008: Historische Diskursanalyse, vor allem das Kapitel Diskurse in Bildern (S. 56–59). 122 Vgl. Jäger 2004: Kritische Diskursanalyse. An dieser Stelle ist der Hinweis aus diversen Publikationen festzuhalten, dass die Diskursanalyse keine Methode darstellt, sondern eher ein Verfahren oder aber einen Forschungsstil: vgl. beispielsweise Bührmann/Schneider 2008: Vom Diskurs zum Dispositiv.

AUSSTELLUNGEN ALS ORDNUNGEN DES WISSENS

diskursanalytischen Verfahren dar123. Auch der einschlägige Sammelband von Kammler/Pfarr widmet sich unter Rückgriff auf Foucault nicht dezidiert der visuellen Kultur oder einem bildwissenschaftlichen Forschungsansatz.124 Mit der folgenden Analyse wird dementsprechend ein noch wenig erforschtes methodisches Gebiet betreten: Die Untersuchung zeichnet vor allem visuelle Argumentationen in Ausstellungen nach, um von dort nach den Wissensordnungen über Kunst – und Bilder – zu fragen. Mit der analytischen Wendung vom Diskurs zum Dispositiv, die auch Deleuze in seiner Auseinandersetzung mit dem französischen Philosophen erwähnt125, nahm Foucault stärker die ökonomischen und sozialen Bedingungen gesellschaftlicher Strukturen in den Blick, mehr noch: Er subsumierte letztlich den Diskurs unter den Dispositivbegriff, den er in einem 1978 erstmals veröffentlichten Interview folgendermaßen fasste: »Was ich unter diesem Titel festzumachen versuche ist erstens ein entschieden heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetzte, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebenso wohl wie Ungesagtes umfasst. [...] Das Dispositiv selbst ist das Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann.«126

'LHVH YLHO]LWLHUWH 'H¿QLWLRQ GHV 'LVSRVLWLYV GLH HLQH ]HQWUDOH %DVLV IU )RXFDXOWV Auseinandersetzung in Überwachen und Strafen (1975) liefert, kann auch den methodisch-analytischen Blick auf die Analyse von Ausstellungen rahmen: Quer zu einer lediglich auf Texten basierenden Analyse nimmt die vorliegende Untersuchung V]HQRJUD¿VFKH2UGQXQJHQGLHDUFKLWHNWRQLVFKHQ*HJHEHQKHLWHQGHU$XVVWHOOXQJVräume ebenso wie Werkkonstellationen innerhalb des Ausstellungsensembles und diverses auch auf Bildern basierendes Publikations- und Dokumentationsmaterial in GHQ %OLFN$XVVWHOOXQJHQ VWHOOHQ VLFK ± LP 6LQQH GHU IRXFDXOWVFKHQ 'H¿QLWLRQ GHV Dispositivs – folglich selbst als heterogene Ensembles aus Visualisierungen, räumOLFKHQ .RQ¿JXUDWLRQHQ LQVWDOODWLYHQ$QRUGQXQJHQ VSUDFKOLFKHQ WH[WOLFKHQ HEHQso wie bildlich präsentierten Artikulationen dar. Sie bilden dispositive Strukturen, indem sie in einer heterogenen medialen Zusammenstellung bestimmte Aussagen treffen, andere ausschließen, kurz: inkludieren und exkludieren. Aufgrund dessen 123 Der Sammelband von Maasen/Mayerhauser/Renggli widmet sich in einzelnen Aufsätzen der Rolle von Bildern in gesellschaftlichen Diskursen: Maasen/Mayerhauser/Renggli 2006: Bilder als Diskurse – Bilddiskurse. 124 Vgl. Kammler/Parr 2007: Foucault in den Kulturwissenschaften. Ein Beitrag zu den Medienwissenschaften streift das Forschungsfeld, widmet sich aber nicht dezidiert der Visualität: vgl. Parr 2007: »Foucault in den Medienwissenschaften«. 125 Vgl. zur Auseinandersetzung mit Foucaults Dispositivbegriff auch: Deleuze 1992: »Was ist ein Dispositiv?«. 126 Foucault 1978: Dispositive der Macht, S. 120.

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S URGX]LHUHQ$XVVWHOOXQJHQVSH]L¿VFKHV:LVVHQXQGVLQGLQGLHHSLVWHPLVFKHQ3UD[HQ einer Kultur eingebunden. Deleuze hält fest: »Das Wissen besteht in einer praktischen Einrichtung, einem ›Dispositiv‹ von Aussagen und Sichtbarkeiten.«127 Auch Tony Bennett begreift in seiner an Foucault angelehnten Perspektive Ausstellungen als dispositive Strukturen.128 Ein Ausstellungsensemble bezeichnet er als »exhibitionary complex«129, um auch hier das vielschichtige Netzwerk machtvoller Bedeutungsstrukturen zu beschreiben, das sich in Ausstellungen ausbildet. Eng an Foucaults Überwachen und Strafen angelehnt, begreift er die insbesondere im 19. Jahrhundert entstehenden Ausstellungskomplexe, wie etwa die Weltausstellungen, als Teil der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Disziplinierungsmaschinerie. In LKUHQ 6FKDXZHUWHQ GHQ DUFKLWHNWRQLVFK NRQ¿JXULHUWHQ %OLFNDFKVHQ GHQ$XVZDKO kriterien für die ausgestellten Objekte kommen die Fundamente der bürgerlichen Gesellschaft, ihre Exklusions- und Inklusionsverfahren zum Ausdruck. Ausstellungen sind in der Perspektive Bennetts auch immer als Orte zu begreifen, an denen sich VSH]L¿VFKH0DFKWNRQVWHOODWLRQHQ]HLJHQXQGUHDOLVLHUHQ'LHVHU$VSHNWZLUGLQVEHsondere im Vergleich der ersten Documenta-Ausstellungen mit der elften Kasseler Ausstellung deutlich. Denn hier zeigt sich, wie sich nicht zuletzt durch die Verschiebung der weltpolitischen Kräfteverhältnisse auch das Wissen über das, was als Kunst anzusehen ist, verändert. Foucault formuliert den Zusammenhang von Dispositiv und Wissen folgendermaßen: »Eben das ist ein Dispositiv: Strategien von Kräfteverhältnissen, die Typen von Wissen stützen und von diesen gestützt werden.«130 Dementsprechend fasst diese Untersuchung Ausstellungen als Wissensordnungen auf, da sie bestimmte Formen von Wissen stützen und zugleich selbst Teil kultureller Wissensformationen sind. Die Beantwortung der Frage, wer oder was als die wirkmächtige Instanz von Wissensordnungen gelten kann, wer also das Agens der Macht innerhalb eines Dispositivs bildet, ist komplex und kann im Rahmen dieser Untersuchung nur skizzenhaft in den einzelnen Kapiteln beleuchtet werden.131 Wenn Foucault insbesondere in den 1970er Jahren stark mit der Konstitution von Macht in der westlich-europäischen bürgerlichen Gesellschaft beschäftigt ist132, so verfolgt die hier vorliegende Untersuchung primär – neutraler formuliert – die Bedeutung und Wissen stiftende Funktion von Objektanordnungen und Objekten 127 128 129 130 131

Deleuze 1986: Foucault, S. 73. Vgl. Bennett 1995: Birth of the Museum; ders. 2006: »Civic Seeing«. Bennett 1995: »Exhibitionary Complex«. Foucault 1978: Dispositive der Macht, S. 123. Auch Sarasin verweist auf den kritischen und umstrittenen Machtbegriff bei Foucault innerhalb der Foucault-Forschung: »Eine Macht, die wissend, lokal und allumfassend ist, und die sogar noch dem Widerstand das Vokabular diktiert: In dieser Vielgestalt der Macht liegt die häufig kritisierte angebliche ›Unschärfe‹ des Foucaultschen Machtbegriffs. Ist denn ›alles‹, vom Staat bis zu den privaten Regungen des Individuums, unterschiedslos von ›der‹ Macht durchdrungen?« (Sarasin 2005: Foucault, S. 156; vgl. zum Begriff der Macht bei Foucault auch Sarasins Kapitel Macht und Sexualität, Biopolitik und Rassismus). 132 Vgl. Foucault 1973: Die Geburt der Klinik; ders. 1975: Überwachen und Strafen; ders. 1978: Dispositive der Macht.

AUSSTELLUNGEN ALS ORDNUNGEN DES WISSENS

selbst, die in Ausstellungen anzutreffen sind. Dass mit der Zusammenstellung dieser Objektensembles im Ausstellungsraum und den damit verbundenen Diskursen Machtaspekte verbunden sind, steht außer Frage. Sie werden innerhalb dieser Arbeit an einzelnen ausgewählten Stellen beleuchtet, so etwa im Hinblick auf den Einzugsbereich des westlichen Kunstbetriebs, seine exklusiven Auswahlmechanismen und die Konstitution kanonischer Ordnungen der Kunstgeschichte. In einem weiteren Schritt fragt die vorliegende Untersuchung danach, wie Ausstellungen als Wissensordnungen Episteme ausbilden: Strukturen des Denkens, auf denen Wissen gründet. Unter dieser Analyseperspektive kommt das Wissen über Kunst und Bilder in den Blick. Was wird zu einem jeweiligen historischen Zeitpunkt unter Kunst und was unter einem Bild verstanden? Dass diesem Wissen über Kunst und Bilder eine eigene Historizität eingeschrieben ist, kann insbesondere an Kunstausstellungen nachgezeichnet werden, die sich vor allem mit Kunst, aber auch mit Bildern beschäftigen. Demzufolge eignet sich auch die Documenta als eine seit den 1950er Jahren etablierte westliche Kunstinstitution zur Analyse dieses kulturellen Wissens über Kunst und Bilder. Zur Position des Kurators

Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen kann nicht allein ein Kurator oder eine Kuratorin als homogener Ausgangspunkt des Dispositivs Ausstellung betrachtet werden. Vielmehr wird hier davon ausgegangen, dass sich dispositive Strukturen, über heterogene Ensembles, überindividuell und institutionell getragen, ausbilden. Genau diese Aspekte haben auch die im Kapitel Ausstellungstheorien und Ausstellungsanalysen genannten Autoren wie etwa Mieke Bal, Tony Bennett oder Sharon Macdonald im Blick. Wenn in der folgenden Analyse von dem kuratorischen Ansatz eines Ausstellungsmachers gesprochen wird, dann impliziert diese Beschreibung nicht einen einzigen Autoren als »Schöpfer des Gegenstandes«. So etwa kann an den frühen Documenta-Konzeptionen gezeigt werden, dass der Kunstbegriff auf einem EUHLWHQ'LVNXUVEDVLHUWHGHUDXIHLQHPVSH]L¿VFKHQ:LVVHQEHU.XQVWJUQGHWHXQG dieses zugleich ausbildete. Genau jenes vielschichtige Netzwerk an Diskursen, das sich nicht zuletzt in Ausstellungen formiert, soll innerhalb dieser Untersuchung eingehend erörtert und entfaltet werden. Kuratoren stehen demzufolge nicht im Mittelpunkt des Interesses, sondern werden als realisierende Instanzen von Wissensordnungen begriffen, die ihre Anknüpfungspunkte auch außerhalb der Ausstellung in weiteren gesellschaftlichen und kulWXUHOOHQ'LVNXUVIHOGHUQ¿QGHQ,QHLQHPVWUHQJGLVNXUVDQDO\WLVFKHQ9HUIDKUHQZLUG dementsprechend ein »Äußerungssubjekt« ausgeschlossen. Ein Autor wird im Sinne Foucaults als »Position« innerhalb eines Diskurses begriffen.133 Kuratoren werden 133 In dieser paradigmatisch von Foucault vertretenen diskursanalytischen Sicht, begründet sich wahrscheinlich auch die Rede von »Positionen« im Kunstdiskurs: Nicht »Werke« werden ausgestellt, sondern »Positionen« präsentiert. Vgl. Foucault 1988: »Was ist ein Autor?«, aber auch Deleuzes Ausführungen zum Autor im Kapitel Das Sichtbare und das Sagbare (Wissen)«, in: Deleuze 1986: Foucault, S. 78 ff.

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im Rahmen dieser Arbeit folglich als Akteure des Kunstbetriebs verstanden, die über ihre Ausstellungstätigkeit in Diskursformationen einer Gesellschaft eingebettet sind. Insofern spricht auch Mieke Bal wiederholt von einer »expository agency«134, die nicht auf allein auf die Subjektivität eines Kurators oder einer Kuratorin zurückzuführen, sondern auch in den Wissensbeständen einer Kultur verankert ist.

ZUR METHODE: DIE HETEROGENITÄT DES ANALYSEMATERIALS

Der Materialkorpus zur Analyse des Dispositivs Ausstellung stellt sich – ganz im Sinne Foucaults – als heterogenes Ensemble dar. Er soll hier kurz in den drei wichtigsten Punkten skizziert werden, wobei in den jeweiligen Kapiteln die konkreten materiellen Bezüge detailliert durch die Erörterung des Quellenmaterials dargelegt werden. I Ausstellungskataloge – Monografien – Bildarchive

Der Analyse des Dispositivs Ausstellung dienen die im vorangegangenen Kapitel erwähnten Ausstellungskataloge135DEHUDXFKNXQVWKLVWRULVFKH0RQRJUD¿HQGLHLQ engem Zusammenhang mit den jeweiligen Kasseler Kunstereignissen standen, ebenso wie Texte von Künstlern und Kunstkritikern. Diese Quellen können die Wissensordnungen, die den jeweiligen Ausstellungskonzeptionen zugrunde lagen, sichtbar machen. Innerhalb der Quellen publizierte Bilder und Visualisierungen vermitteln bestimmte Formen des Wissens: so etwa Bildanordnungen, diagrammatische Darstellungen, beispielsweise in Form von kunsthistorischen Stammbäumen, oder auch VSH]L¿VFKHIRUPDOH$EELOGXQJVPRGLYRQ:HUNHQLQ$XVVWHOOXQJVNDWDORJHQ'DUEHU hinaus trägt die diskursive, sprachliche Rahmung des Ausgestellten zur Konstitution von Wissen im Dispositiv Ausstellung bei: so etwa Katalogbeiträge, Artikel zu den Ausstellungen oder aber publizierte Vorträge. Die Texte und Publikationen von Kuratorinnen und Kuratoren können Aufschluss über die konzeptuellen Grundlagen der Ausstellung geben. Das Text- und Bildmaterial wird zum Teil quantitativ ausgewertet, etwa durch Auflagehöhen und Erscheinungsfrequenzen innerhalb von Bibliotheks- und Fachdatenbanken oder aber durch das hoch frequentierte Auftreten einzelner KünstlerInnen und :HUNHLQ$XVVWHOOXQJVNDWDORJHQXQG0RQRJUD¿HQ]XHLQHPVSH]L¿VFKHQKLVWRULVFKHQ Zeitpunkt. Durch diese Bestandsaufnahmen können kanonische Wissensordnungen nachgezeichnet werden, die sich durch Anhäufungen, Wiederholungen und Rekapitulationen in unterschiedlichen Diskursfeldern als »stabile Aussagemuster« und damit als verbindliches Wissen formieren. Darüber hinaus dient vielfältiges Bildmaterial aus unterschiedlichen Archiven der Erschließung des Dispositivs Ausstellung: Die überwiegende Anzahl der in diesem

134 Bal 1996: Double Exposures. 135 Vgl. in diesem Buchteil: Kapitel Forschungsansätze zur Geschichte der Documenta und Documenta 11.

AUSSTELLUNGEN ALS ORDNUNGEN DES WISSENS

Buch abgebildeten Ausstellungsansichten zur Documenta 11 stammt aus dem BildDUFKLYGHV'RFXPHQWD)RWRJUDIHQYRQ:HUQHU0DVFKPDQQ'LH)RWRJUD¿HQ wurden aus einer Vielzahl von unterschiedlichen Ausstellungsansichten, die Maschmann während der elften Documenta abgelichtet hatte, ausgewählt. Zudem stellte das Documenta-Archiv Abbildungen zur ersten Documenta (1955) zur Verfügung. Außerdem konnte ich auf die Bildbestände von verschiedenen Künstlern und Galerien zurückgreifen.136 II Architekturen und Räume

Die Untersuchung beschäftigt sich darüber hinaus mit den architektonischen, UlXPOLFKHQ9RUUDXVVHW]XQJHQGHUV]HQRJUD¿VFKHQ2UGQXQJ'DV'LVSOD\GHU$XVVWHOOXQJVSDUFRXUVFKRUHRJUD¿HUWGHQ%HVXFKHUXQGVWLIWHW5HODWLRQHQ]ZLVFKHQGHQ Objekten. Tony Bennett etwa spricht in seiner Analyse zu verschiedenen Museen des 19. Jahrhunderts vom Eye Management, das den Betrachter in die Praxen des bürgerlichen Sehens – in das sogenannte Civic Seeing – einführt.137 Auch diese analytische Perspektive einer durch das Dispositiv Ausstellung disziplinierten WahrQHKPXQJ¿QGHW(LQJDQJLQGLHVH$UEHLW'LHhEHUOHJXQJHQ]XUDUFKLWHNWRQLVFKHQ Struktur von musealen Ausstellungsräumen – zur sogenannten Space Syntax –, die Bill Hillier und Kali Tzortzi ausformuliert haben138, untermauern die Analyse des Dispositivs. In ihrem Beitrag setzen sich die beiden Autoren mit der räumlichen Syntax unterschiedlicher Museumsräume auseinander und zeigen, wie die Anordnung des Raumes in der Gesamtarchitektur die Bewegung und damit auch Wahrnehmung des Betrachters strukturiert. Als Beispiel für die Analyse dispositiver Strukturen innerhalb architektonischer Zusammenhänge kann auch Foucaults Auseinandersetzung mit Benthams Panopticon dienen139. Das Panopticon gilt seinem Schöpfer, dem Rechtsphilosophen Bentham, im 18. Jahrhundert als ideale Überwachungsarchitektur für Gefängnisse. Durch die $QODJH GHV *HElXGHV LVW GHU 6WUlÀLQJ GHU VWlQGLJHQ 6LFKWEDUNHLW DXVJHVHW]W GHQQ dem Aufseher ist es qua seiner totalen Überwachungsposition im architektonischen Ensemble möglich, jeden Insassen zu jeder Zeit zu sehen. Übertragen auf das Feld der Kunst, kommt der Ausstellungsarchitektur eine ähnlich konstitutive Rolle zu, so dass sie in den unterschiedlichsten Analyseteilen eine zentrale Rolle spielt: Die jeweilige Strukturierung des Ausstellungsraumes kann Objekte sichtbar machen oder auch verbergen, sie kann abschotten oder auch zusammenführen. Kurz: Der Ausstellungsraum systematisiert Werkensembles, parzelliert oder verbindet Exponate innerhalb des Ordnungssystems der Ausstellung. Isolierte Werke, Werkabfolgen, systematisch, lineare oder aber auch verzweigte, tendenziell labyrinthisch organisierte 136 Zum Nachvollzug der jeweiligen Bildquellen vgl. im Anhang: Werkverzeichnis/Bildquellen/ Bildrechte. 137 Vgl. Bennett 2006: »Civic Seeing«. 138 Vgl. Hillier/Tzortzi 2006: »Space Syntax: The Language of Museum Space«. 139 Vgl. Foucault 1975: Überwachen und Strafen, S. 256 ff.

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5DXPDQODJHQJHEHQHLQHVSH]L¿VFKH2UGQXQJYRUGLHGDV'LVSRVLWLY$XVVWHOOXQJDOV Institution der Sichtbarkeit strukturieren. Die Verschränkung von Wissensordnungen und faktischer räumlicher Anordnung formuliert Sarasin folgendermaßen: »Die Verbindung zwischen Foucaults Diskursanalyse und seiner Analytik der Macht liegt in der Frage danach, wie Wissen sich im Raum organisiert, wie Räume strategisch von Wissen besetzt werden, wie Wissen strukturiert und räumlich gegliedert wird. Die Ordnungsstrukturen, die ein Diskurs errichtet, sind daher den architektonischen Strukturen des Panopticons streng analog. Beide Formen der Machtausübung schaffen Ordnung in einem ›rohe[n] chaotische[n] Aggregat‹140 von ungeregeltem Reden, von nicht unterscheidbaren Dingen und von unorganisierten Menschenmassen; beide organisieren Wahrnehmbarkeit durch Raumgliederungen, die Sichtbarkeit ermöglichen«.141

Vor diesem Hintergrund wird die Ausstellungsarchitektur innerhalb der vorliegenden Untersuchung als faktisch-physische, dispositive Struktur verstanden. Sie strukturiert Blicke und gibt Wege durch die Ausstellung vor, ebenso wie sie Werke exponieren und andere eher in den Hintergrund rücken lassen kann. Die im Anhang, am Ende des Buches abgedruckten Grundrisse142, die mit der freundlichen Genehmigung des Architekturbüros Kuehn Malvezzi reproduziert werden konnten, dienen als Referenzfolie für die vor allem im zweiten Analyseteil untersuchten Werkkonstellationen143. Darüber hinaus beleuchten die Grundrisse DXFKGLH6WUXNWXUHQHLQ]HOQHU$XVVWHOOXQJVUlXPHVRHWZD=XJlQJH:DQGÀlFKHQ Blickachsen. Diese architektonischen Gegebenheiten sind für die Einzelwerkanalysen wichtig, denn sie beschäftigen sich ausschließlich mit Foto-, Film- und Videoinstallationen, die sehr konzentriert mit der räumlichen Struktur des Ausstellungsraumes arbeiten144. Die Pläne der Ausstellungsgebäude dienen folglich der Analyse des Dispositivs Ausstellung im Hinblick auf seine räumliche Struktur. Sie können darüber hinaus die Einbettung der Werke in den architektonischen ebenso ZLHV]HQRJUD¿VFKHQ=XVDPPHQKDQJGHU$XVVWHOOXQJYHUGHXWOLFKHQ'LHIUGLHVH Arbeit wichtigen Werke und KünstlerInnen, die im Rahmen der Analyse eine zentrale Rolle spielen, sind in den Grundrissen mit einer Gitterstruktur unterlegt, so GDVV VLH OHLFKW DXI]X¿QGHQVLQGXQGLKUH$QRUGQXQJ LQQHUKDOE GHV$XVVWHOOXQJV parcours schnell nachvollziehbar ist. Im Inhaltsverzeichnis sind diese Positionen, die in den Grundrissen markiert sind, innerhalb der Kapitelüberschriften namentlich erwähnt, so dass ein schneller, punktueller Zugang zu den jeweiligen Analysen

140 Sarasin zitiert hier Immanuel Kant: Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft, Hamburg 1990, S. 15. (vgl. Sarasin 2005: Foucault, S. 141). 141 Sarasin 2005: Foucault, S. 141 f. 142 Vgl. im Anhang: Grundrisse zur Documenta 11. 143 Vgl. Buchteil II Bildanordnungen: Kapitel Im Kern des Kanons? – Werkkonstellationen der Documenta 11. 144 Vgl. Buchteil III Bild- und Bildlichkeitskonzepte.

AUSSTELLUNGEN ALS ORDNUNGEN DES WISSENS

einzelner Werke oder KünstlerInnen, oder auch einzelner Werkkonstellationen möglich ist. Die Abbildungsverweise in großen Lettern [Abb. A–G], die in den drei großen Analysekapiteln verwendet werden, verweisen auf die im Anhang abgebildeten Grundrisse der Documenta 11. Die alphabetische Verweisung auf die Grundrisse dient außerdem der Unterscheidung gegenüber den numerisch gezählWHQ$EELOGXQJHQGLHGLUHNWLP)OLH‰WH[W]X¿QGHQVLQG III Die szenografische Ordnung

'LH$QDO\VHGHUV]HQRJUD¿VFKHQ2UGQXQJEH]LHKWVLFKVRZRKODXIGLHAuswahl der :HUNHXQG.QVWOHU,QQHQDOVDXFKDXIGLHMHZHLOVVSH]L¿VFKHAnordnung der künstlerischen Arbeiten im Ausstellungsraum.145 'LH V]HQRJUD¿VFKH 2UGQXQJ GHU HOIWHQ Documenta wird über zwei unterschiedliche methodische Zugänge erforscht: Einerseits wird die Werk- und KünsterInnenauswahl auf empirischer Basis quantitativ ausgewertet146: Hier liefern die tabellarisch aufgeführten Auswertungen im Anhang dieses Buches eine wichtige Basis für die Analyse.147 Andererseits spielt aber auch die qualitative, faktisch-räumliche Anordnung eine zentrale Rolle für die Untersuchung des Dispositivs: Hier treten die Werkkonstellationen im Ausstellungsraum ins Zentrum der Betrachtung.148 )UGLH$QDO\VHGHUV]HQRJUD¿VFKHQ2UGQXQJLVWGLH9HUWHLOXQJZHLEOLFKHUXQG PlQQOLFKHU 7HLOQHKPHU LKUH JHRJUD¿VFKH =XRUGQXQJ ± XQG GDPLW LKUH 1lKH ]XP westlichen Kunstbetrieb –, aber auch die Zugehörigkeit zum kunsthistorischen Kanon bedeutsam. Darüber hinaus hat die Ermittlung der ältesten Werke und KünstlerInnen der Documenta zentralen Stellenwert, um die historischen Achsen des AusstellungsSDUFRXUVDXV¿QGLJ]XPDFKHQ$QKDQGGHUHPSLULVFKHQ(UKHEXQJHQGLHLP$QKDQJ zusammengefasst dargestellt sind, zeigt sich, wie sich das Dispositiv Ausstellung am Beispiel der Documenta 11 formiert. Die vorliegende Untersuchung analysiert, welche Positionen zum Kanon gezählt werden können, um die Anordnung der Werke innerhalb des Ausstellungsparcours kritisch einordnen zu können. Sie arbeitet die historischen, diachronen Achsen der Documenta 11 heraus, indem sie die ausgestellten, ältesten Werke und kanonische .XQVWSRVLWLRQHQLQGHQ%OLFNQLPPWhEHUGLH$QDO\VHGHUV]HQRJUD¿VFKHQ2UGQXQJ kann deutlich werden, wie das Dispositiv Ausstellung Wissen über Kunst und Bilder vermittelt, revisioniert aber auch historisch stabilisiert.

145 Vgl. vor allem Buchteil II Bildanordnungen. 146 Vgl. Buchteil II Bildanordnungen: Kapitel Wer zählt zum Kanon? – empirische Befunde zur Documenta 11. 147 Vgl. im Anhang: Tabellen und empirische Auswertungen zur Documenta 11. 148 Vgl. Buchteil II Bildanordnungen: Kapitel Im Kern des Kanons? – Werkkonstellationen der Documenta 11.

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Fluchtlinien: zum Widerstand des Objekts

Mit dem letzten großen Analyseteil der vorliegenden Untersuchung, III Bild- und Bildlichkeitskonzepte, rücken drei einzelne Werke ins Zentrum der Betrachtung. Sie werden in diesem Abschnitt der Studie als Einzelwerke in den Mittelpunkt gestellt, die nicht allein im Ausstellungsdiskurs aufgehen, sondern vielfältige Diskurslinien auch jenseits des Dispositivs der elften Documenta öffnen. Denn eine Ausstellung kann nicht als homogener Gegenstand, als Einzelobjekt begriffen werden. So stellt sich die Frage, wie mit den in ihr gezeigten Exponaten innerhalb einer Ausstellungsanalyse umgegangen werden kann. Aufgrund dessen rücken hier die Einzelwerke in den Blick. Die Installationen von Candida Höfer, Fiona Tan und Eija-Liisa Ahtila sollen hier weniger im Kontext des jeweiligen Künstlerinnen¯XYUHV EHOHXFKWHW ZHUGHQ XQG DXFK QLFKW DXVVFKOLH‰OLFK LP .RQWH[W GHU $XVstellung. Unter einer hermeneutischen Perspektive kommen die Werke hier als Träger von »Sinneinheiten« zur Geltung. Das Werk verliert mit diesem Zugang den Objektstatus innerhalb des Ausstellungsparcours und bekommt eine eigensinnige Qualität. Das Bezugsverhältnis von Text und Kontext, Werk und Ausstellung verschiebt sich: Nun kommt verstärkt der Text in den Blick und relativiert den machtvollen Zugriff des Kontextes. Dieser methodische Perspektivwechsel kann an die kritischen Überlegungen von Haraway anknüpfen, die im Rahmen wissenschaftlicher Prozesse den Status von »Objekten« als abgeschlossene Entitäten in Frage stellt. In diesem Sinne bezeichnet sie Objekte als »materiell-semiotische Akteure« und konstatiert: »Mit diesem unhandlichen Begriff [›materiell-semiotischer Akteur‹, Anmerkung, K.H.] ist beabsichtigt, das Wissensobjekt als eine aktive, Bedeutung generierende Axis [...] zu beleuchten, ohne jedoch jemals die unmittelbare Präsenz solcher Objekte zu unterstellen oder, was auf dasselbe hinausliefe, eine von diesen ausgehende, endgültige oder eindeutige Determinierung dessen, was zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt als objektives Wissen gelten kann.«149 149 Haraway 1995: »Situiertes Wissen«, S. 96.

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Wendet man den Blick auf die einzelnen Objekte innerhalb der Ausstellung und widmet sich neben den oben beschriebenen dispositiven Anordnungen den EinzelZHUNHQ LQ LKUHQ VSH]L¿VFKHQ YLVXHOOHQ XQG VSUDFKOLFKHQ $XVIRUPXQJHQ GDQQ kommt hier ein theoretisch-methodisches Spannungsfeld ins Spiel, das in einem vorgängigen Kapitel, das sich mit den bildtheoretischen Ansätzen von Boehm und Mitchell beschäftigt, beschrieben wird150 (V ¿QGHW LQ GHU PHWKRGLVFK DQJHlegten Konfrontation von Einzelobjekt (Werk) und Diskurs (Ausstellung) seinen Ausdruck. Entgegen der oben entfalteten eher poststrukturalistischen Perspektive, in der das Werk vorwiegend über die dispositive Anordnung der Ausstellung bestimmt wird, ist der letzte große Analyseteil auch ein Versuch, den Blick zu wenden: Die zuvor etablierte diskursanalytische Perspektive wird mit einem eher hermeneutischen Zugang zum Einzelwerk konfrontiert. Im Sinne von Deleuzes Foucault-Analyse eröffnen sich hier »Subjektivierungslinien«151, »Fluchtlinien«152, Möglichkeiten zur Produktion von Subjektivität also, die nicht notwendigerweise von der dispositiven Ordnung determiniert werden: »Indem sie sich den Dimensionen des Wissens und der Macht entziehen, scheinen die Subjektivierungslinien besonders geeignet, schöpferische Wege vorzuzeichnen, GLH]ZDULPPHUZLHGHUVFKHLWHUQDEHUDXFKDXIJHQRPPHQXQGPRGL¿]LHUWZHUGHQ bis hin zum Bruch mit dem alten Dispositiv.«153 Der von Tony Bennett beschriebene Exhibitionary Complex hingegen lässt eine solche Produktion von Subjektivität nicht zu.154 Denn in ihm sind die Handlungsfelder und Wahrnehmungsanordnungen der bürgerlichen Kultur eindeutig fest geschrieben. Museen und Ausstellungen, insbesondere jene megalomanen Shows wie die Weltausstellungen, liefern die Disziplinierungsplattformen, in denen die sich entwickelnde Massengesellschaft reguliert wird. Durch die Involviertheit in eine öffentliche, aber institutionalisierte Spektakel-, und damit auch Wahrnehmungskultur, steht sie jedoch zugleich auch unter ständiger Selbstbeobachtung und

150 Vgl. in diesem Buchteil: Kapitel Im Zwischenraum: das Bild als Diskurs – das Bild als Objekt. 151 Deleuze 1992: »Was ist ein Dispositiv?«, S. 155. 152 Deleuze beschreibt in seiner Analyse zu Foucaults Denken Subjektivierungslinien als Fluchtlinien, die über ein Dispositiv hinausweisen können (vgl. Deleuze 1992: »Was ist ein Dispositiv?«): Eine Subjektivierungslinie ist dabei als Prozess aufzufassen, als »Produktion von Subjektivität in einem Dispositiv: sie muß, insoweit es das Dispositiv zuläßt oder ermöglicht, geschaffen werden. Sie ist eine Fluchtlinie. Sie entgeht allen vorangehenden Linien, sie macht sich davon. Das Selbst ist weder ein Wissen noch eine Macht. Es ist ein Individuierungsprozeß, der sich auf Gruppen oder Personen bezieht und sich den etablierten Kräfteverhältnissen sowie den konstituierten Wissensarten entzieht: eine Art Mehrwert. Es ist nicht sicher, dass jedes Dispositiv so etwas zuläßt.« ( Deleuze 1992: »Was ist ein Dispositiv?«, S. 155–156). Insbesondere Kunstausstellungen, wie jene der Documenta, eröffnen, wie im Folgenden noch zu sehen sein wird, Möglichkeiten der Produktion von Subjektivität, da sie als temporäre Laborsituation vor allem auch dem schöpferischen Potential von Bildwerken Raum geben können und damit Subjektivierungsprozesse fördern. 153 Deleuze 1992: »Was ist ein Dispositiv?«, S. 159. 154 Vgl. Bennett 1995 : »The Exhibitionary Complex«.

FLUCHTLINIEN: ZUM WIDERSTAND DES OBJEKTS

führt damit in erheblichen Maße Mechanismen der Selbstregulation ein. Abweichendes Handeln und widerspenstiges Wahrnehmen werden demzufolge durch Ausschluss sanktioniert. So kommt Bennett zu einer pessimistischen Bilanz der öffentlichen Praxen des 19. Jahrhunderts, zu dem auch die Ausstellungskultur zählt, wenn er konstatiert: »Where instruction and rhetoric failed, punishment began.«155 Anders als bei Bennett dient der letzte große Analyseteil dazu, jenseits der eindeutigen Zuschreibung der Werke durch den Ausstellungsrahmen nach dem Status der Einzelobjekte und dem Wechselverhältnis zwischen Dispositiv und Objekt zu fragen. Hier geht es dementsprechend auch um die Potentialität der Einzelobjekte, GLH LP :DKUQHKPXQJVSUR]HVV ]ZLVFKHQ 6XEMHNW XQG 2EMHNW 5HÀH[LRQVSUR]HVVH ermöglichen können, die jenseits einer dispositiven Zuschreibung liegen. So betonen Fechner-Smarsly und Neef in ihrer Auseinandersetzung immer wieder auch die Wichtigkeit einzelner Objektanalysen innerhalb der interdisziplinär angelegten Methodologie Mieke Bals. Sie halten fest, dass die Forschungsgegenstände en déetail analysiert werden sollten, um das Wechselwirkungsverhältnis zwischen Forschungsdiskurs und Objekt in den Erkenntnisprozess zu integrieren: »Nur so nämlich eröffnet man dem Objekt die Möglichkeit ›zurückzusprechen‹: Indem es (auch unerwartet) die Interpretation verwickelt, diffundiert, kompliziert, stört, in Widersprüche verstrickt.«156 Warum nicht verschiedene Lektüren wagen?157 – und insofern dem zu Beginn des Kapitels beschriebenen Zweifel an einer linear organisierten, methodisch-theoretischen Ordnung des Wissens Ausdruck verleihen und einem kohärenten Bedeutungshorizont einen Widerstand entgegensetzen. Dies bedeutet nicht, in der jeweiligen Einzelanalyse eine systematische Interpretation aus den Augen zu verlieren. -HGRFKJHKWHVPHKUGDUXP'LVNXUVH]X|IIQHQ5HLEXQJVÀlFKHQLQ(UVFKHLQXQJ treten zu lassen, statt hermetische Deutungsmodelle zu präsentieren, die die intellektuelle Suchbewegung zugunsten einer kohärenten Interpretation suspendieren. Diese wissenschaftliche Praxis kann auch an den Ansatz von Mieke Bal anschließen: Die beiden Autoren Fechner-Smarsly und Neef paraphrasieren ihn lakonisch als »Resistenz gegen die Stringenz und für das Hakenschlagen«158. In der im dritten Analyseteil anvisierten Objektfokussierung geht es folglich um ein erneutes Öffnen des Diskurses der vorliegenden Untersuchung – von der diskursanalytischen Betrachtung hin zu einem eher hermeneutischen Verfahren, das sich einzelnen Werken widmet und zugleich die Eingebundenheit der Objekte in weitere historische Diskursfelder auslotet. Durch die Beschreibung historischer Diskurse, an die die untersuchten Exponate mit ihren Bildern anknüpfen können, verdeutlicht

155 Bennett 1995: The Birth of the Museum, S. 88. 156 Fechner-Smarsly/Neef 2006: »Kulturanalyse. Zur interdisziplinären Methodologie Mieke Bals«, S. 338. 157 Das fragt auch Ginzburg: vgl. ders. 1983: »Spurensicherung«. 158 Fechner-Smarsly/Neef 2006: »Kulturanalyse. Zur interdisziplinären Methodologie Mieke Bals«, S. 338.

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AUSSTELLUNGEN – EIN INTERDISZIPLINÄRES FORSCHUNGSFELD

sich, dass die Werke vielschichtig ausdeutbar und nicht auf eine eindeutige Auslegung zuzuschreiben sind. In dieser Polyvalenz, in dieser Vieldeutigkeit liegt ihr Potential, Subjektivität und damit auch Eigensinn zu produzieren. Mit Bals Ansatz verbindet sich auch eine rebellische Forderung, eine eigene – auch widerständige – Position einnehmen zu dürfen und zugleich in eine diskursive Ordnung eingebettet zu sein159. Diesem Verfahren ist demzufolge auch ein kritisches Moment gegenüber Herrschaftsdiskursen eingeschrieben, denn durch einen kontrastiven oder veränderten Deutungshorizont werden monolithische Wissensordnungen relativiert.

159 Vgl. Fechner-Smarsly/Neef 2006: »Kulturanalyse. Zur interdisziplinären Methodologie Mieke Bals«, S. 339–340.

I BILDGESCHICHTEN – HISTORISCHE LINIEN DES DISPOSITIVS

Der Diskurs um die Abstraktion in der Documenta-Geschichte und im Museum of Modern Art »Gleichzeitig stärken die linearen Erzählverläufe unweigerlich einen Kunstbegriff, in dem Kunst als autonome Tätigkeit verstanden wird. Hinter der Illusion der Kausalität – zu der die Ursprungsfabeln seit jeher verurteilen – verbirgt sich die Absicht, die Formen zu isolieren und sie von der Welt zu trennen.« 1

Carlos Basualdo

Der folgende, erste Teil der Analyse widmet sich der institutionellen, diachronen Achse des Dispositivs und erarbeitet die Leitmotive des in den ersten drei Kasseler Ausstellungen etablierten Kunstbegriffs. Denn innerhalb der ersten drei Documenta-Konzeptionen (1955, 1959, 1964) formierte sich ein kunsthistorisches Geschichtsmodell, auf dem sich ein abstrakter Kunstbegriff der Moderne2 gründete. Bemerkenswert ist, dass dieser Diskurs um einen modernistischen Kunstbegriff nicht allein auf die Documenta der 1950er und 1960er Jahre beschränkt war, sondern innerhalb des westlichen Kunstbetriebs und seiner Institutionen internationale Relevanz erlangte. Dies kann exemplarisch an der Auseinandersetzung um die moderne Kunst innerhalb des Museum of Modern Art in New York nachgezeichnet werden. Durch diese parallele Beobachtung der Diskurse zeigt sich, auf welcher hochgradig stabilen Wissensordnung der Kunstbegriff der ersten Documenta-Ausstellungen basierte. Diese Wissensordnung soll anhand von Ausstellungspublikationen, 1 Basualdo 2002: »Die Enzyklopädie von Babel«, S. 60. 2 Unter dem Begriff Moderne wird hier zunächst ein historischer Abschnitt in der Geschichte der Kunst verstanden, der vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis etwa in die Mitte des 20. Jahrhunderts reicht. Dass historische Zäsuren und Epochenschwellen immer auch eine historische Konstruktion darstellen und je nach Historiografie variabel, aber zur Beschreibung historischer Prozesse notwendig sind, ist zentraler Bestandteil der vorliegenden Auseinandersetzung und wird im Verlauf der Untersuchung immer wieder Thema sein.

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I BILDGESCHICHTEN

Beiträgen wichtiger Figuren der Debatte, wie etwa von Werner Haftmann, Clement Greenberg und Alfred Barr, durch zugängliches und prägnantes Bildmaterial und unter Rückgriff auf bereits vorliegende Forschungsarbeiten zur DocumentaGeschichte und zur Geschichte des Museum of Modern Art sichtbar gemacht werden.

ZUM KUNSTBEGRIFF DER ERSTEN DOCUMENTA-AUSSTELLUNGEN (1955, 1959, 1964)

Nicht zuletzt die Publikation von Harald Kimpel3 hat verdeutlicht, dass die konzeptionelle Ausrichtung der frühen Kasseler Kunstschauen auf eine kulturelle Harmonisierung Westeuropas zurückzuführen war, bei der sich die Bundesrepublik in ein öffentlich propagiertes demokratisches, freiheitlich-kapitalistisches System auf der westlichen Seite des Eisernen Vorhangs einfügte und zugleich gegenüber einer unfreiheitlichen, kommunistischen Kultur abgrenzte.4 Dieser Aspekt rahmt den folgenden Blick auf die Diskursfelder der ersten Documenta-Austellungen und damit auch auf die gesellschaftliche und kulturelle Dimension des Dispositivs. Andererseits stehen Rückbezüge auf prägende kunsthistorische Leitkategorien des 19. Jahrhunderts im Zentrum der Betrachtung. Sie schrieben sich zum Teil explizit, zum Teil aber auch implizit in die ersten Documenta-Ausstellungen ein. Die Ausstellungen fungierten – in ihrer Orientierung auf traditionelle Ordnungskategorien des kunsthistorischen Diskurses – auch als Stabilisierungsinstanzen zur Rehabilitierung eines kulturellen Koordinatensystems, das unter dem Faschismus auch im Bereich der Kunst deformiert worden war. Zugleich positionierten sich die Kasseler Kunstereignisse mit ihrer exklusiven Ausrichtung auf die Abstraktion als Antipode zum Sozialistischen RealismusXQGÀDQNLHUWHQGDPLWHLQH insbesondere von den USA forcierte Kulturpolitik. In diesem Kapitel steht vor allem die erste Documenta im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Das dort etablierte Konzept wurde in den folgenden beiden Ausstellungskonzeptionen von 1959 und 1964 verfestigt und beanspruchte selbst im Jahr der Studentenrevolte 1968 noch weithin seine Geltung. Von der ersten Kasseler Kunstschau ausgehend werden jeweils Bezüge zu den folgenden beiden Ausstellungen gestiftet. Das Material für die folgende Untersuchung liefern die vielfältigen im Kontext der ersten Documenta-Ausstellungen erschienenen Publikationen ebenso wie wichtige Forschungsarbeiten zur Documenta-Geschichte.5 Aufgrund der vielen Quellen und 3 Kimpel 1997: Documenta. Mythos und Wirklichkeit. 4 Diese Westorientierung und klare Frontstellung, die insbesondere die Adenauer-Politik forcierte, fand auf wirtschaftlicher Ebene in den Römischen Verträgen mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957 ihren Ausdruck, in die auch die BRD integriert war. Darüber hinaus ergänzte 1955 der Beitritt zur NATO ebenso wie zur Westeuropäischen Union den bundesrepublikanischen Integrations- und Harmonisierungskurs auf verteidigungspolitischer Ebene. 5 Dieses Kapitel verdankt zahlreiche Informationen vor allem den Vorarbeiten von Harald Kimpel, Walter Grasskamp, Karin Stengel, aber auch Florian Matzner: vgl. insbesondere Kimpel 1997: Documenta. Mythos und Wirklichkeit; Kimpel 2002: Documenta. Die Überschau; für eine erste

DER DISKURS UM DIE ABSTRAKTION

der Komplexität des Gegenstandsbereichs muss notwendigerweise verkürzend vorgegangen werden. Die Auswahl des Materials und der exemplarischen Bezugspunkte wurde nach ihrer Prägnanz getroffen. Zu betonen ist dabei, dass es im Folgenden nicht um die innovativen Momente der Documenta geht, nicht um Singularitäten, die auch LP5DKPHQGLHVHU$XVVWHOOXQJHQ]X¿QGHQZDUHQ6. Ziel der Studie ist, die dominanten historischen Diskurse der ersten drei Kasseler Kunstschauen herauszuarbeiten und deren Wissensordnungen über Kunst und Bilder zu analysieren. Diese Betrachtung legt das Fundament, um das Dispositiv Documenta 11 auch in seiner institutionellen Geschichte zu verorten. Die Untersuchung wird zeigen, dass sich nicht zuletzt in dieser Geschichte ein Kunstbegriff ausgeprägt hat, mit dem selbst die Kasseler Schau von 2002 noch in Verhandlung steht. Die Documenta als Diskursplattform für Kunstbegriffe

Die Documenta verhandelt seit ihrem Bestehen mittels ihrer jeweiligen Ausstellungskonzeptionen verschiedene Kunstbegriffe, die je nach historischem Kontext stark divergieren können. Auch Kimpel teilt diese Einschätzung, indem er festhält: »Jedes der AusVWHOOXQJVHUHLJQLVVHEULQJWHLQHQVSH]L¿VFKHQ.XQVWEHJULII]XU$QZHQGXQJGHQHVLOOXVtriert und mittels Belegstücken und raumgestalterischen Maßnahmen in Szene setzt.«7 Augenfällig arbeitet die Documenta seit ihrem Bestehen in mehr oder weniger ausgeprägter Form am Spannungsfeld von Kunstgeschichte und einem zeitgenössischen Kunstbegriff. Programmatisch war sie insbesondere in den 1950er und 1960er Jahren davon bestimmt, einen Überblick zu aktuellen Tendenzen der zeitgenössischen Kunst zu geben, entwarf jedoch auch immer einen historischen Bezugsrahmen, indem sie Positionen aus vorangegangenen Jahrzehnten, wenn nicht gar Jahrhunderten, ausstellte und von dort einen Bogen in die Kunst der unmittelbaren Gegenwart schlug. Innerhalb ihrer institutionellen Geschichte vermittelt sich der Anspruch, sowohl Diagnosen zum aktuellen Stand von Kunst und Kultur zu stellen als auch retrospektive Anteile in der jeweiligen Ausstellungskonzeption zu integrieren. An den einzelnen Ausstellungen zeigt sich, dass die jeweils konstruierten historischen Perspektiven gleichsam als rückwärtig ausgerichtete Selbstvergewisserung dienten, um dem jeweiligen auf der Documenta zur Diskussion gestellten zeitgenössischen Kunstbegriff über eine historioJUD¿VFKH(U]lKOXQJ]XOHJLWLPLHUHQ'XUFKHLQHVROFKHKLVWRULVFKH%DVLVHUVFKLHQGHU jeweils aktuelle Kunstbegriff weniger angreifbar. Denn er wurde als geschichtlich Rekonstruktion der Documenta von 1955: Grasskamp 1991: »Documenta – Kunst des XX. Jahrhunderts«; für die Rekonstruktionen der ersten vier Documenta-Ausstellungen anhand von fotografischem Bildmaterial vgl. die Bildbände von Kimpel/Stengel im Literaturverzeichnis; außerdem Matzner 1987: Künstlerlexikon mit Registern zur documenta 1–8. 6 Beispielsweise bemühte sich Arnold Bode 1955, Bert Brecht aus Ostberlin für einen Vortrag vor der Gesellschaft Abendländische Kunst des XX. Jahrhunderts nach Kassel einzuladen. Dazu konstatiert Grasskamp: »Es ist dies eines der Details, die nicht in das Bild einer Apotheose der Abstraktion als Kunst des Freien Westens und zum Klima des Kalten Krieges passen wollen, in dem man die documenta I im nachhinein gern angesiedelt hat.« (Grasskamp 1991: »Documenta – Kunst des XX. Jahrhunderts«, S. 124). 7 Kimpel 1997: Documenta. Mythos und Wirklichkeit, S. 247.

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I BILDGESCHICHTEN

»gewachsen«, das heißt einer kausalen Entwicklungslogik unterworfen, konzeptualisiert. Diese retrospektiven Anteile lieferten folglich oftmals die kunsthistorische Absicherung für die aktuelle Diagnose. Jedoch war und ist die Gewichtung der jeweiligen Anteile im Vorfeld des GroßHUHLJQLVVHVNHLQHVIDOOVXQVWULWWLJXQGKlX¿J6WRIINRQWURYHUVJHIKUWHU'LVNXVVLRQHQ So ist in einem Exposé zur Documenta-Konzeption aus den 1950er Jahren noch zu lesen, dass es die Aufgabe der Documenta sei, »die Entwicklungslinien der bildenden Kunst unseres Jahrhunderts seit den revolutionären Anfängen und beunruhigenden Vorgängen zu Beginn unseres Jahrhunderts dokumentarisch nachzuzeichnen und die heute erreichten Positionen in möglichster Schärfe zu bestimmen.«8 Jedoch führte die Kontroverse um eine solche historische, entwicklungslogische Perspektivierung bereits auf der Documenta 4 zum Rücktritt des Kunsthistorikers Werner Schmalenbach, der bei den beiden vorangegangenen Documenta-Ausstellungen insbesondere im Ausschuss für Malerei und Skulptur mitgearbeitet hatte. Grund für seine Entscheidung war eine Monate dauernde Diskussion um den Verzicht auf retrospektive Anteile, den er wegen VHLQHV KLVWRULRJUD¿VFKHQ$QVSUXFKV QLFKW EHIUZRUWHWH 'DV ELV GDWR YRQ GHQ 'RFXmenta-Leitern Werner Haftmann und Arnold Bode auch retrospektiv angelegte Ausstellungskonzept sollte nämlich auf der vierten Documenta durch eine ausnahmslos zeitgenössische Fokussierung abgelöst werden, so konstatiert auch Kimpel: »In dem Moment also, in dem die Wende von einer kunsthistorisch argumentierenden Ausstellung zur Aktualitätenschau vollzogen werden soll, kommt es zum Eklat.«9 Allein diese hier lediglich skizzierte Auseinandersetzung der frühen DocumentaGeschichte gibt einen Eindruck davon, dass durch die Auswahl und ZusammenVWHOOXQJGHU:HUNHLPPHUDXFKHLQKLVWRULRJUD¿VFKHV.RQ]HSW]XU'LVNXVVLRQVWDQG und steht, in das der jeweilige Kunstbegriff eingebettet ist. Insofern kann hier bereits festgehalten werden, dass aus der Kompilation von zeitgenössischen und historischen Objekten auf der Documenta, Geschichtsmodelle etabliert wurden und immer noch werden, die den jeweiligen Kunstbegriff der Gegenwart begründen. Die jeweils spezi¿VFKH =XVDPPHQVWHOOXQJ KLVWRULVFKHU XQG ]HLWJHQ|VVLVFKHU 2EMHNWH VFKDIIW LPPHU DXFK KLVWRULRJUD¿VFKH 2UGQXQJVVFKHPDWD DXV GHQHQ HLQ .XQVWEHJULII DEJHOHLWHW werden kann. Sowohl die Anordnung und Auswahl der Werke innerhalb des Ausstellungsensembles als auch die im Zuge der Ausstellung geführten Diskurse haben Anteil an der Konstruktion des jeweiligen Kunstbegriffs. Genau diesem Konstruktionsprozess soll innerhalb der frühen Documenta-Geschichte nachgegangen werden. Zum Untersuchungsmaterial

Neben dem als Maler, Zeichner, Hochschullehrer und Kurator tätigen Arnold Bode zeichnete sich der Ausstellungsmacher und Publizist Haftmann als promovierter Kunsthistoriker maßgeblich für das inhaltliche Konzept der ersten drei Kasseler 8 Kimpel 1997: Documenta. Mythos und Wirklichkeit, S. 164: nach einem Exposé aus dem Documenta-Archiv. 9 Kimpel 1997: Documenta. Mythos und Wirklichkeit, S. 197.

DER DISKURS UM DIE ABSTRAKTION

Ausstellungen und dessen kunsthistorischer Verortung verantwortlich. Insbesondere seine 1954, ein Jahr vor der ersten Documenta erschienene und zum Standardwerk avancierte Publikation Malerei im 20. Jahrhundert10 lieferte einen Argumentationsrahmen, in den auch die ersten Kasseler Ausstellungen eingebettet waren. Die Publikation von Haftmann bildete einen Teil des diskursiven Netzwerkes der ersten drei Kasseler Kunstereignisse, da sie, neben anderen Publikationen, den Kunstbegriff der frühen Documenta-Ausstellungen inhaltlich prägte. Sie besteht aus zwei Bänden: einerseits aus der schriftlichen Argumentation, andererseits aus einem Bildband. Dieser zweite Band illustriert durch die meist zum Vergleich angelegte Anordnung zweier Abbildungen einprägsam das im ersten Band dargelegte kunsthistorische Modell entlang exemplarischer Werke, die zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts und den 1950er Jahren entstanden sind. Der separate Bildband erschien allerdings HUVWZHQQJOHLFKGLHHUVWH$XVJDEHGHU0RQRJUD¿H  EHUHLWVDXFKHLQHQ weniger umfangreichen Bildteil integrierte. Nicht zuletzt die erste Documenta stellt in diesem Sinne eine praktische Realisation dieses kunsthistorischen Programms in Form einer Ausstellung dar. Die komplexe Verzahnung von publizistischer Kunstgeschichtsschreibung und Ausstellungskatalogen beschreibt auch Grasskamp und beleuchtet damit zugleich die Vielschichtigkeit des Dispositivs Ausstellung: »Der Bildband [von Haftmanns Publikation Malerei im 20. Jahrhundert, K.H.] überschneidet sich […] in Teilen mit den Katalogfotos der ersten drei documentas, selbst Farbklischees scheinen mitgewandert zu sein, was nicht nur eine begrüßenswerte Kostenersparnis mit sich brachte, sondern auch die Frage klären hilft, wie Kunstgeschichte gemacht wird. Zahlreiche Künstler, die auf der documenta bereits Erfolg hatten, gelangten nun in den Text- und Bildteil eines Standardwerks«.11

Aus dem detailreichen zweibändigen Werk können unterschiedliche Parameter herausgearbeitet werden, auf denen Haftmanns Kunstbegriff und sein historiogra¿VFKHV2UGQXQJVSULQ]LSDXIEDXHQGLHDXFKLQGHQIUKHQ'RFXPHQWD$XVVWHOOXQJHQ wiederzuerkennen sind. Bemerkenswerterweise bleibt bei seinen Ausführungen ofIHQDXIZHOFKHNXQVWKLVWRULVFKHQ*UXQGODJHQHUVLFKEH]LHKWGHQQVHLQH0RQRJUD¿H NRPPWRKQHMHJOLFKH4XHOOHQDQJDEHQXQGPHWKRGLVFKH5HÀH[LRQDXV'HXWOLFKZLUG 10 Haftmann 1962 [Erstausgabe 1954]: Malerei im 20. Jahrhundert. Uwe M. Schneede bemerkte, dass Haftmanns Publikation als Standardwerk sehr bedeutend war, da es die »einzige aus einer Feder stammende Kunstgeschichte der Moderne« in den 1950er Jahren war (vgl. Grasskamp 1982: »Modell documenta oder wie wird Kunstgeschichte gemacht?«, S. 19). Noch 1987 erscheint Haftmanns Publikation in der siebten Auflage und wurde unter anderem ins Italienische und Englische übersetzt sowie in den USA publiziert. Allein diese Aspekte spiegeln die große Popularität des darin angelegten kunsthistorischen Programms und seine Diskursmächtigkeit wider. In den folgenden Ausführungen beziehe ich mich auf die Ausgabe von 1962, bei deren Bildband es sich um die zweite erweiterte Auflage handelt, die bereits 1955 und 1960 erschienen war. Bei dem dazugehörigen Schriftband handelt es sich um die dritte, erweiterte Auflage von 1954. Die Grundzüge der textlichen, aber auch visuellen Argumentation, die für diese Untersuchung zentralen Stellenwert haben, sind jedoch gleich geblieben. 11 Grasskamp 1992: »Modell Documenta oder wie wird Kunstgeschichte gemacht?«, S. 19 f.

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bei der näheren Untersuchung seines Argumentationsgangs, dass sein Geschichtsmodell und der darin integrierte Kunstbegriff vor allem auf formanalytischen Prämissen aufbauen. Diese kunsthistorische Methodik hatte in der fachdisziplinären Auseinandersetzung der 1950er und 1960er Jahre paradigmatischen Status. Wenngleich mit unterschiedlichen Ausdifferenzierungen, fungiert dieses Ordnungsprinzip noch heute DOV .ODVVL¿NDWLRQVZHUN]HXJ GHV IDFKZLVVHQVFKDIWOLFKHQ 'LVNXUVHV 6LJQL¿NDQWH Formunterschiede werden dabei als Differenzkriterium für Epochen, Schulen, Orte, Personen, Nationen und Zeiten aufgefasst, um darüber Stilkategorien festzulegen. Eine formanalytische Methodik ist folglich Vorraussetzung für eine stilgeschichtlich argumentierende Kunstgeschichte.12 Haftmann entwirft in seinem Buch, aber auch innerhalb der Documenta, mittels einer Entwicklungsgeschichte der Malerei eine IRUPJHVFKLFKWOLFKH+LVWRULRJUD¿HGHU.XQVW0LWGLHVHP9HUIDKUHQJUHLIWHUIROJOLFK auf die Strukturmerkmale einer stilgeschichtlich argumentierenden Kunstgeschichte zurück, wie im Folgenden genauer beschrieben wird. Stilgeschichten

1. Zeitstil: Sowohl innerhalb der Ausstellungen von 1955, 1959 und 1964 als auch in den ersten drei Documenta-Katalogen sowie in Haftmanns Publikation zur Malerei im 20. Jahrhundert wird eine komparatistische, die Form fokussierende Methodik der Bildbetrachtung nahegelegt. Die Anordnungen der Bilder provozieren eine vergleichende Betrachtung: einerseits durch die visuelle Gestaltung der Kataloge, andererseits durch die Inszenierung der Exponate innerhalb der Ausstellungen. Meist sind sie so angeordnet, dass mindestens zwei Bilder nebeneinander zu sehen sind. Eine Methodik also, die die Basis einer Kunstgeschichte als Formenlehre darstellte, GLH LQVEHVRQGHUH +HLQULFK :|OIÀLQ EHUHLWV ]X$QIDQJ GHV  -DKUKXQGHUWV GXUFK GHQYHUVWlUNWHQ(LQVDW]GHU)RWRJUD¿HLQ)RUPYRQ]ZHLSDUDOOHOHQ'LDSURMHNWLRQHQ praktizierte.13 Diese kunsthistorische Methodik des vergleichenden Sehens14 wird im ersten Documenta-Katalog folgendermaßen umgesetzt: Die Publikation zeigt auf jeweils einer Doppelseite zwei sich gegenüberliegende Bildtafeln, die eine komparatistische Bildwahrnehmung nach ähnlichen Formschemata nahe legen. Sie stellt beispielsweise Bilder von Piet Mondrian und Franz Kupka [Abb. 1] oder von Theo 12 Zur Geschichte formanalytischer Methodik innerhalb des Faches und dessen Binnendifferenzierung vgl. beispielsweise Bauer 1996: »Form, Struktur, Stil«; Markschies 2003: »Formanalyse«; Sauerländer 1983: »From Stylus to Style«; Locher 2001: Kunstgeschichte als historische Theorie der Kunst, darin das Kapitel Kunst als Weltsprache – Form (S. 307–397). 13 So konstatiert Locher: »Stärker als alle seine Zeitgenossen und Vorläufer verlässt er [Wölfflin, K.H.] sich in seiner Argumentation auf die Fotografie. Durch den offensiven Einsatz dieses modernen Mediums – in der Vorlesung ebenso wie im Buch – gelang es Wölfflin mit demonstrativem Gestus ungleich direkter über Bilder zu sprechen als seine Vorgänger.« (Locher 2007: Kunstgeschichte im 20. Jahrhundert, S. 35). 14 Vgl. hierzu etwa Dilly 1975: »Lichtbildprojektion – Prothese der Kunstbetrachtung«, aber auch die Ausführungen im Buchteil III Bild- und Bildlichkeitskonzepte innerhalb der Einzelwerkanalyse zur Fotoinstallation von Candida Höfer das Kapitel Diskursfelder um 1900: Skulpturenfotografie, vergleichendes Sehen und Objektivität, Abschnitt Vergleichendes Sehen.

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Abb. 1: Documenta-Katalog 1955, Doppelseite: Piet Mondrian: Komposition D, 1932 (links) Frank Kupka: Senkrechte, blau und rot, 1913 (rechts)

Abb. 2: Documenta-Katalog 1955, Doppelseite: Theo van Doesburg: Rhythmus eines russischen Tanzes, 1918 (links) Sophie Taeuber-Arp: Vertikal-Horizontal Komposition, 1928 (rechts)

van Doesburg und Sophie Taeuber-Arp vergleichend gegenüber [Abb. 2]. Diese Bilder vermitteln durch ihre klare vertikale und horizontale Gliederung eine nicht zu übersehende formale Analogie, wohingegen beispielsweise die Malereien von Franz Marc und August Macke, nebeneinander angeordnet, durch ihr expressionistisches

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Abb. 3: Documenta-Katalog 1955, Doppelseite: August Macke: Spaziergänger auf der Brücke, 1912 (links) Franz Marc: Rehe im Walde II, 1913–1914 (rechts)

Formvokabular ihre Zugehörigkeit zueinander markieren [Abb. 3]. Die SchwarzWeiß-Abbildungen betonen zudem die formale Analogie, da keine Farbdifferenzen die mögliche Unterschiedlichkeit der Exponate unterstreichen. Eine der wenigen Gegenüberstellungen von Schwarz-Weiß- und Farbabbildungen im Katalog, wie am Beispiel von Macke und Marc [Abb. 3] zu sehen, verdeutlicht jedoch, dass Farbunterschiede und gegebenenfalls auch die Materialität des Farbauftrags Differenzen zwischen den Exponaten hervorheben könnten. Farbige Abbildungen, die eine solche Differenzierung zulassen, tauchen im Katalog jedoch weitaus weniger auf, als Abbildungen in Graustufen. Die Abstraktion, die folglich vor allem durch die Schwarz-Weiß-Abbildungen unterstrichen wird, weist sich hier, im Sinne Haftmanns und der Konzeption der ersten Documenta-Ausstellungen, als charakteristisches Merkmal der modernen Kunst aus und ist als tendenziell nicht mimetische Darstellung zu verstehen. Die Parallelisierung der Bilder und die damit verbundene Praxis des vergleichenden Sehens ist folglich die Bedingung der Möglichkeit einer im Detail an der Form argumentierenden Kunstgeschichte. Offensichtlich verhelfen GLH 0|JOLFKNHLWHQ GHU IRWRJUD¿VFKHQ 5HSURGXNWLRQ QLFKW ]XOHW]W LQ *UDXVWXIHQ dem Fach zu einer stil- und formanalytischen Methodik, auf der auch Haftmann und zugleich das Konzept der frühen Documenta-Ausstellungen aufbauten. Je nach Bildselektion und -kompilation kann folglich auch der Kunstbegriff variieren. Eine Variante dieser formanalytischen Methode wird innerhalb der Ausstellungsinszenierung der ersten Documenta durch Bildvergleiche realisiert, die eine diachrone Zeitachse versinnbildlichen. Die Abstraktion wird gleichsam als Zeitstil begriffen, wenn innerhalb der Kasseler Ausstellung von 1954 im größten

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Raum des Fridericianums an einer der Stirnseiten Pablo Picassos Gemälde Mädchen vor einem Spiegel aus dem Jahr 1932 [Abb. 4] und auf der anderen Seite Fritz Winters Malerei Komposition vor Blau und Gelb aus dem Jahr 1955 präsentiert wird [Abb. 5].15 In dieser konfrontativen Gegenüberstellung innerhalb des Ausstellungsparcours zeigt sich exemplarisch die Konstruktion eines abstrakten Kunstbegriffs innerhalb einer autonomen Entwicklungsgeschichte der Kunst: Ist bereits das mimetische Verhältnis zur vorbildlichen Wirklichkeit bei Picassos Gemälde weitgehend aufgelöst, radikalisiert Winters Tableau das Moment der Abstraktion noch HLQPDO LQGHP GLH HLQ]HOQHQ )RUPHQ LQQHUKDOE GHU %LOGÀlFKH NHLQHQ NRQNUHWHQ Bezug mehr zur außerbildlichen Realität aufbauen. Während bei Picasso noch eine weibliche Figur auszumachen ist, suspendiert Winters Bild jegliche Referenz zu einer außerbildlichen Wirklichkeit. Die Hängung der Exponate, die einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren überspannt und zugleich den Faschismus ungebrochen überspringt, legt eine abstrakte Formengeschichte nahe, die auf der malerischen Abstraktion gründet. Auch die Werke an den seitlichen Wänden untermauern diese Lesart der Kunstgeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, denn auch sie weisen ein abstraktes Formvokabular auf. Ihre Entstehungsdaten fügen sich ebenfalls in eine chronologische Formentwicklung ein, die nach dem Zweiten Weltkrieg vorwiegend in einer Radikalisierung nicht referentieller Bildmittel mündet. Auch GHU .DWDORJ ]HLFKQHW VLFK GXUFK GLHVH FKURQRORJLVFKH $UJXPHQWDWLRQV¿JXU DXV bei der die Kunst der Gegenwart an die sogenannte Klassische Moderne vor dem Faschismus anschlussfähig bleibt: Beispielsweise wird ein abstrahiertes Stillleben von Erich Heckel aus dem Jahre 1927 einem Stillleben von Hans Purrmann aus dem Jahre 1955 gegenübergestellt [Abb. 6]. Zwar weisen diese Bilder einen stärker ¿JXUDWLYHQ&KDUDNWHUDXIDOVHWZDGLH0DOHUHLYRQ3LFDVVRRGHU:LQWHUYHUZHLVHQ sie doch recht eindeutig auf eine alltägliche Szenerie außerhalb des malerischen Bildraums. Aber der extrem grobe Pinselduktus ebenso wie der Farbauftrag zeigen $EVWUDNWLRQVWHQGHQ]HQGLHVLFKHLQGHXWLJYRQGHQ¿OLJUDQHQ'DUVWHOOXQJHQHLQHV klassischen Stilllebens unterscheidet, das einer weitgehend realistischen WirklichNHLWVZLHGHUJDEHYHUSÀLFKWHWZDU Wenngleich Haftmann, und auch die ersten drei Documenta-Ausstellungen, sich QLFKWGH]LGLHUWDXIHLQHVSH]L¿VFKHIRUPDQDO\WLVFKH0HWKRGLNEHUXIHQRIIHQEDUHQGLH unterschiedlichen Diskursplattformen innerhalb des Dispositivs (Ausstellung, Katalog, Publikation) durch die visuellen Argumentationen die Verwendung dieses Analysewerkzeugs. Das charakteristische Merkmal des hier zugrunde gelegten Kunstbegriffs ist die Abkehr vom Mimesisparadigma und die Hinwendung zur Form16. Diese Entwicklung steht in Haftmanns Lesart für eine historische Zäsur am Ende des 19. Jahrhunderts und schließt damit zugleich an das weite Feld kunsthistorisch 15 Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Grasskamp 1991: »Documenta. Kunst des XX. Jahrhunderts«. 16 Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Locher zu Wölfflin in: Locher 2007: Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts, S. 35.

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Abb. 4: Ausstellungsansicht Documenta 1955, Fridericianum, 1. Obergeschoss: erste Stirnseite großer Malereisaal mit Pablo Picasso: Mädchen vor einem Spiegel, 1932

modernistischer Diskurse an, die den Beginn der modernen Kunst eben genau in jener Entwicklung der Malerei kurz vor Beginn des 20. Jahrhunderts verorten. Der Zeitstil der Abstraktion entwickelt sich folglich innerhalb einer linearen Chronologie und wird über materiale Fixierungen in visueller Form, das heißt in bildlichen Gegenüberstellungen, plausibilisiert. 2. Nationalstil: Innerhalb der kunsthistorisch-stilgeschichtlichen Methodik spielt auch die nationale Zuordnung der Bildwerke von hauptsächlich männlichen Künstlern eine wichtige Rolle. Diese Gliederung erlangte insbesondere in der Fachgeschichte des 19. Jahrhunderts ihre Geltung. Aber schon im 18. Jahrhundert etablierte Winckelmann17 »Stil zu einer kunsthistorischen Ordnungskategorie«18. %HLLKP¿QGHWVLFKEHUHLWVGHU$QVDW]GDVV.XQVWZHUNHHLQHUEHVWLPPWHQ]HLWOLchen und lokalen Provenienz als Ausdruck einer Nation verstanden werden können.19 Jedoch erlangte die Kunstgeschichte erst nach der französischen Revolution den institutionalisierten Status einer Wissenschaft, die im engen Verbund mit den

17 Vgl. Winckelmann 1764: Geschichte der Kunst des Alterthums. 18 Locher 2003: »Stil«, S. 337. 19 Vgl. Locher 2001: Kunstgeschichte als historische Theorie der Kunst, S. 109.

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Abb. 5: Ausstellungsansicht Documenta 1955, Fridericianum, 1. Obergeschoss: zweite Stirnseite großer Malereisaal mit Fritz Winter: Komposition vor Blau und Gelb, 1955

neu etablierten bürgerlichen Museen stand und sukzessive nationale Stillagen in den Blick nahm. Insbesondere das Erstarken einer nationalen bürgerlichen gIIHQWOLFKNHLWKDWWH]XU)ROJHGDVV.XQVWZHUNHLKUHQNOHULNDOHQXQGK|¿VFKHQ Zusammenhängen entrissen, die Funktion erhielten, die kulturelle Gründung des modernen Nationalstaats zu repräsentieren.20(LQVSH]L¿VFKHV)RUPYRNDEXODU ZXUGH GDPLW ]X HLQHP QDWLRQDOHQ ,GHQWL¿NDWLRQVPHUNPDO21 Bemerkenswert ist, dass sich genau dieses Ordnungskriterium auch innerhalb der AusstellungsLQV]HQLHUXQJ GHU HUVWHQ 'RFXPHQWD ZLHGHU¿QGHQ OlVVW22 [Abb. 7]. Die farbigen Markierungen innerhalb der Grundrisse des Fridericianums verweisen auf die jeweils nationalen, aber auch in einzelnen Räumen des Erd- und Obergeschosses

20 Vgl. Prange 2007: Kunstgeschichte 1750–1900, S. 61 und insbesondere das Kapitel zur »Kunst der Nation«, S. 62 ff. 21 Die Verbindung musealer Strukturen und nationalstaatlicher Anliegen im 19. Jahrhundert plausibilisiert auch Georg Kaufmann (vgl. Kaufmann 1993: Die Entstehung der Kunstgeschichte im 19. Jahrhundert). 22 Vgl. Grasskamp 1991: »Documenta – Kunst des XX. Jahrhunderts«, S. 118. So macht Grasskamp deutlich, dass sich unterschiedliche Räume verschiedenen Nationalitäten widmen, etwa Raum 7 italienischen Künstlern und Raum 5 deutschen Künstlern. Dabei ist festzuhalten, dass dieser Ordnungsmodus zwar nicht durchgängig angewendet wurde, jedoch eine maßgebliche Rolle spielte.

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Abb. 6: Documenta-Katalog 1955, Doppelseite: Erich Heckel: Blumenstilleben vor bemalter Wand, 1927 (links) Hans Purrmann: Stilleben mit Früchten, 1955 (rechts)

DXIGLHJDWWXQJVVSH]L¿VFKHQ6FKZHUSXQNWHGHU$XVVWHOOXQJVUlXPH,P+LQEOLFN auf die nationalen Schwerpunkte ist sehr auffällig, dass Deutschland, Italien, Spanien und Frankreich der größte Platz im Parcours eingeräumt wurde.23 Darüber hinaus dominieren die deutschen Künstler sowohl im Erd- als auch Obergeschoss das Ausstellungsensemble. Diese Inszenierungspraxis war, wie auch Grasskamp konstatiert24, der kulturellen Rehabilitierung des deutschen Kunstund Kulturlebens nach dem Faschismus geschuldet. Bemerkenswert ist, dass auch Haftmann seine publizierte Kunstgeschichte national und nach KünstlerEHZHJXQJHQ NODVVL¿]LHUWH $XFK LQ VHLQHP *HVFKLFKWVZHUN ELOGHQ )UDQNUHLFK Italien und Deutschland – neben zahlreichen Künstlergruppen und »Meisterklassen« – die Kategorien einer Kunstgeschichte, die nach den Kriterien eines Nationalstils geordnet wurde. Haftmann formuliert hierzu: »die Entwicklungen

23 Meine Auswertung der nationalen und gattungsspezifischen Schwerpunkte basiert auf der Ausstellungsrekonstruktion von: Grasskamp 1991: »Documenta. Kunst des XX. Jahrhunderts. Internationale Ausstellung im Museum Fridericianum Kassel, 15. Juli bis 18. September 1955« und Kimpel/Stengel 1995: Documenta 1955. Erste internationale Kunstausstellung. Eine fotografische Rekonstruktion. Die Zuordnung der Künstler zu lediglich einem einzelnen Staat – ungeachtet der Migrations- und Emigrationsbewegungen in den einzelnen Biografien – folgt der vorgenommenen nationalen Zuordnung der Künstler, die am Anfang des Documenta-Katalogs von 1955 zu finden ist: vgl. Ausst.Kat. (1955) Documenta. Kunst des XX. Jahrhunderts. 24 Vgl. Grasskamp 1991: »Documenta. Kunst des XX. Jahrhunderts. Internationale Ausstellung im Museum Fridericianum Kassel, 15. Juli bis 18. September 1955«.

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Abb. 7: Documenta 1955, Grundriss Fridericianum, Erdgeschoss (unten) und 1. Obergeschoss (oben): Farbmarkierungen nach nationalen und gattungsspezifischen Schwerpunkten

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in der abstrakten Malerei laufen in einer verschwiegenen Schicht ab. Selbstverständlich gehen die einzelnen Regungen wieder durch alle europäischen Länder KLQGXUFK 'LH9HUÀHFKWXQJLVWJDQ]HQJ$EHUEHLDOOHUHXURSlLVFKHQ/DJHUXQJ [...] treten doch die einzelnen nationalen Komponenten kräftiger hervor«.25 'LHVH LQ GLHVHP =LWDW ]XJUXQGH JHOHJWH 'HQN¿JXU YRQ +DIWPDQQ ZHLVW HQJH 3DUDOOHOHQ ]X :|OIÀLQV *HGDQNHQJDQJ LQ VHLQHQ EHUHLWV  YHUIDVVWHQ Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen auf, obgleich er originär für den stilgeschichtlichen Übergang von der Renaissance zum Barock formuliert wurde: »Trotz aller Ausweichungen und Sondergänge ist die Entwicklung des Stils in der neueren abendländischen Kunst eine einheitliche gewesen, wie die Kultur des modernen Europa als einheitliche gefasst werden kann. Aber innerhalb dieser Einheit ist mit der durchgehenden Verschiedenheit der nationalen Typen zu rechnen.«26 Ebenso wie dieser als kanonisch geltende Vertreter der formanalytischen Kunstgeschichte ist auch Haftmann in seiner Publikation, ebenso wie die erste 'RFXPHQWDHLQHU/lQGHUNODVVL¿NDWLRQJHIROJW'LHVHJOLHGHUWVLFKQDFK.QVWlern und Künstlergruppierungen auf, basierend auf formalen Kriterien. Unterschiedliche abstrakte Darstellungen stehen hier für nationale Formsprachen, die VLFKHEHQVRZLHEHL:|OIÀLQXQWHUHLQHHXURSlLVFKHIRUPJHVFKLFKWOLFKH%HZHgung subsumieren lassen. Haftmanns Systematik verweist dementsprechend auf eine kunsthistorische Wissensordnung, die ihre Anknüpfungspunkte in der FachJHVFKLFKWHGHVXQGIUKHQ-DKUKXQGHUWV¿QGHW,QGHQEHLGHQJU|‰WHQ5lXmen des Fridericianums, im Ober- und Erdgeschoss, die schwerpunktmäßig einer Gattung – einerseits der Malerei, andererseits der Skulptur – gewidmet waren, ZXUGH GLH YRUZLHJHQG QDWLRQDOH .ODVVL¿]LHUXQJ ]XJXQVWHQ HLQHU HXURSlLVFKHQ Orientierung geöffnet [vgl. Abb. 7: rote Markierungen]. Wie das Beispiel zu den Positionierungen der Gemälde von Picasso und Winter innerhalb der Ausstellungsinszenierung der ersten Documenta zeigen konnte, erscheint das deutsche Kunst- und Kulturleben wieder als durchaus anschlussfähig an die abstrakten Kunstbewegungen Europas. Die europäisch-nationale Gliederung der ersten Documenta ist zweifellos vor dem Hintergrund politischer Bestrebungen nach dem Faschismus zu verstehen: Haftmann ließ keinen Zweifel daran, insbesondere in seinem einführenden Katalogtext, dass es auch um die Wiedereingliederung Deutschlands in das europäische Kulturleben ging. Es ist auffällig, dass er dabei auf kunsthistorische Ordnungsmodi zurückgriff, die in nationalstaatlichen wie auch in musealen und fachdisziplinären Diskursen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts verankert waren. Sie stellten in den 1950er und 1960er Jahren nach einer Zeit der absoluten kulturellen Deformation unter dem Faschismus offenbar auch restaurative Stabilisierungskategorien dar und dienten einer Reformulierung kultureller Identität.

25 Haftmann 1962: Malerei im 20. Jahrhundert, Bd. 1, S. 286. 26 Wölfflin 1915: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe, S. 273.

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Autonomie und Form

Mit dem von Haftmann konstatierten Umbruch um 1900 wird ein seit der RenaisVDQFHJOWLJHV'DUVWHOOXQJVSDUDGLJPDDEJHO|VW6LJQL¿NDWXQG6LJQL¿NDQWWUHWHQIU LKQLP%LOGDXVHLQDQGHUGDGLH.XQVWGHU0RGHUQHQLFKWPHKUHLQH]ZDQJVOlX¿JH Referenz zur außerbildlichen Wirklichkeit aufweist. Haftmann charakterisiert diese bildnerische Zäsur folgendermaßen: »Sie [die Malerei, K.H.] war in den letzten Jahrhunderten ihrer Geschichte, in der sich jetzt abschließenden Epoche der Renaissance, mit allen Fasern an die sichtbare Wirklichkeit gebunden und dringend auf sie als der erscheinenden, überschaubaren, anschaulichen und deshalb im tiefsten Grund fraglos existierenden ›Natur‹ angewiesen.«27 Wie sich bereits in den obigen Ausführungen andeutete, entwickelte Haftmann ein der mimetischen Funktion entbundenes Autonomiepostulat: Das Bild, so der Kunsthistoriker, »verliert seinen Charakter als Ausschnitt, grenzt und schließt sich in sich selbst ein als selbstständiger Organismus, indem nichts reproduziert wird [Hervorhebung, K.H.]. [...] Die einzelnen Kategorien, die den Bildleib zusammensetzen, müssen demnach ihres illusionistischen Charakters entkleidet werden. Erscheinungsort der Bildwelt ist die Fläche.«28 Die in der Renaissance entwickelte »illusionistische, perspektivische Naturbühne«29 wird in Haftmanns Geschichte der Kunst durch die Abstraktionsleistungen vor allem innerhalb der Malerei abgelöst, zugleich aber – und das ist ein zentraler Punkt der hier geführten Auseinandersetzung – bleibt der Kunstbegriff an das Flächenbild der Malerei gekoppelt. An dem oben angeführten Zitat wird deutlich, dass der Bildbegriff mit einem Originalitätspostulat verbunden ist, bei dem jegliche Reproduktion ausgeschlossen erscheint. Im Bild wird »nichts reproduziert« und genau daraus bezieht das Bild ganz offensichtlich seinen Status als Bild der Kunst. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass Haftmann über das formalanalytische Ordnungskriterium der Abstraktion eine Epochenschwelle zwischen dem perspekWLYLVFKHQ %LOGUDXP GHU 5HQDLVVDQFH XQG HLQHU SULPlU ÀlFKHQRULHQWLHUWHQ %LOGDXIfassung der Moderne konstatiert: »Das Perspektivische ist da nur eine unter vielen möglichen bildnerischen Erscheinungsweisen des Raumes und auch nicht notwendig an das Abbildliche gebunden«.30 Die Autonomie der Kunst wird hier folglich aus dem nicht-referentiellen Moment des im Bild Dargestellten abgeleitet. Die so bezeichnete Abstraktion, die ein autonomes Binnengefüge innerhalb des Bildrahmens konstituiert, ist somit ein an formale Strukturen gebundener Darstellungsmodus. Haftmanns Bild- und damit auch der implizierte Kunstbegriff basieren dabei auf einem relationalen System geometrischer Formen, das nicht notwendigerweise auf die außerbildliche Wirklichkeit verweist.

27 28 29 30

Haftmann 1962: Malerei im 20. Jahrhundert, Bd. 2, S. 11. Haftmann 1962: Malerei im 20. Jahrhundert, Bd. 2, S. 23. Haftmann 1962: Malerei im 20. Jahrhundert, Bd. 2, S. 23. Haftmann 1962: Malerei im 20. Jahrhundert, Bd. 2, S. 23.

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Er folgt einem traditionell kunsthistorischen Ordnungssystem, indem er aus der Veränderung formaler Kriterien auf einer von ihm konstatierten diachronen Zeitachse ein chronologisches, monolineares Epochenmodell ableitet. Der Kunstbegriff basiert vornehmlich auf der Abstraktion. Diese Deutungsperspektive schlägt sich maßgeblich auch in den ersten drei Documenta-Ausstellungen nieder, die eindeutig auf ein abstraktes Formvokabular setzen.31 Gattungsfokus: Malerei und Skulptur

Entsprechend der traditionellen, kunsthistorischen Gattungstypologisierung setzte sich Haftmann primär mit der Malerei und der Skulptur32 auseinander. Diese Gewichtung schlug sich vor allem in den ersten drei Documenta-Ausstellungen nieder, denn weitere Formen künstlerischer Praxis wurden in den Kasseler Kunstschauen der 1950er und 1960er Jahre mit weniger Aufmerksamkeit bedacht.33 So lag das Hauptgewicht der ersten Documenta zweifellos auf diesen beiden Gattungen34, wohingegen die Architektur räumlich peripher durch 60 dokumentarisch anJHOHJWH)RWRJUD¿HQPRGHUQLVWLVFKHU*HElXGHYHUWUHWHQZDUGLHLQGHQ-DKUHQ]ZLschen 1905 und 1955 entstanden waren. Auch die zweite Documenta beschäftigte sich primär mit den Gattungen Malerei und Skulptur, erweiterte ihr Repertoire jedoch mit vergleichsweise wenigen Exponaten aus dem Bereich der Druckgra¿N*DQ]lKQOLFKGLHGULWWH.DVVHOHU*UR‰DXVVWHOOXQJ6LHVWHOOWHYRUZLHJHQG*Hmälde und Skulpturen aus und zeigte wenige installative Anordnungen unter dem Titel Licht und Bewegung: Hier waren beispielsweise Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker mit ihren bewegten Licht-Raum-Installationen vertreten. Außerdem präsentierte die dritte Documenta in einem kleineren Ausstellungsteil eine vergleichsweise kleine Anzahl von viel beachteten Handzeichnungen. Um die traditionellen Formen künstlerischer Praxis zu ergänzen, zeigte man in den Räumen der Staatlichen Werkkunstschule in Kassel zudem eine kleine Auswahl an angewandten Arbeiten unter den Titeln Industrial Design und Graphik. Der Kanon der klassischen Gattungen wird hier erstmals um den Bereich der angewandten Kultur erweitert, bleibt aber immer noch ein peripheres Anliegen des Ausstellungskonzeptes.

31 Die fotografischen Rekonstruktionen der einzelnen Documenta-Ausstellungen von Kimpel und Stengel geben dazu eine aufschlussreiche Übersicht: vgl. Kimpel/Stengel 2007: 4. Documenta; dies. 2005: Documenta III; dies. 2000: 2. Documenta; dies. 1995: Documenta 1955. 32 Die kunsthistorische Differenzierung der Begriffe Skulptur und Plastik bleibt aus Gründen der Komplexitätsreduktion im Folgenden unberücksichtigt. 33 Diese Tatsache belegen auch die Auswertungen von Florian Matzner. Seine Auflistungen der »Produktarten« (er benutzt den Terminus »Gattungen« nicht) zu den einzelnen Documenta-Ausstellungen verdeutlichen die absolute Dominanz der Gattungen Malerei und Skulptur auf den ersten drei Documenta-Ausstellungen: vgl. Matzner 1987: Künstlerlexikon mit Registern zur documenta 1–8, insbesondere zur Malerei: S. 264 ff, zur Skulptur: S. 304 ff. 34 Vgl. hierzu auch den Grundriss zur ersten Documenta [Abb. 7] mit den beiden großen Hauptsälen, die sich einerseits der Malerei, andererseits der Skulptur widmen.

DER DISKURS UM DIE ABSTRAKTION

Der Kunstbegriff der frühen Documenta-Ausstellungen basiert damit hauptsächlich auf dem kunsthistorischen Ordnungsprinzip der Einzelgattungen, nur im vergleichenden Blick kommen die formalen Kriterien der Abstraktion zur Anschauung. Steht die Malerei in Haftmanns oben bereits erwähnten kanonischen Geschichtswerk im Zentrum der Betrachtung, so untermauert auch die zeitgenössische, im Jahr 1958 von Will Grohmann herausgegebene Publikation unter dem Titel Neue Kunst nach 194535 das Modell eines autonomen Kunstbegriffs für eben diese Gattung. Eduard Triers Band Moderne Plastik von Auguste Rodin bis Marino Marini von 195436 ergänzt zudem das teleologische Argumentationsmuster für den Bereich Skulptur. Beide Autoren stützen das von Haftmann für die ersten Documenta-Ausstellungen entworfene Leitmotiv der Abstraktion, so dass es kein Zufall ist, dass sowohl Grohmann als auch Trier für die zweite und dritte Ausstellung Mitglieder im Ausschuss für Malerei und Skulptur und im Documenta-Rat wurden37. Festzuhalten bleibt, dass sich die ersten drei Ausstellungen vor allem durch die Dominanz der Gattung Malerei auszeichnen, was auch bei Florian Matzner empirisch nachzuvollziehen ist.38 An diesen Beispielen zeigt sich, wie vielschichtig sich das Diskursnetz um einen abstrakten und autonomen Kunstbegriff der Moderne innerhalb der Documenta konstituierte. Auffällig an Haftmanns Argumentation und an den Ausstellungsinszenierungen der Jahre 1955, 1959 und 1964 ist, dass trotz der These einer Umbruchssituation der Kunst, vorwiegend die klassischen Gattungen und dabei insbesondere die Malerei berücksichtigt wurden. Gattungsüberschreitende Kunstformen oder die neuen Medien FotoJUD¿HXQG)LOPIDQGHQNDXP(LQJDQJLQGDV$XVVWHOOXQJVNRQ]HSW39. Genau diese Medien 35 Grohmann 1958: Neue Kunst nach 1945. 36 Trier 1954: Moderne Plastik. 37 Eduard Trier wirkt auch auf der Documenta 4 im Arbeitsausschuss Plastik und Ambiente mit und ist zugleich Mitglied im Documenta-Rat (vgl. Kimpel 2002: Documenta. Eine Überschau, S. 27, 39, 52). 38 Vgl. Matzner 1987: Künstlerlexikon mit Registern zur documenta 1–8: für die D 1: Malerei: S. 264–268, Skulptur: S. 304–305; für die D 2: Malerei: S. 268–275, Skulptur: S. 305–308; für die D 3: Malerei: S. 275–280, Skulptur: S. 308–311; für die D 4: Malerei: S. 280–282, Skulptur: S. 311–312. 39 Es soll hier nicht übersehen werden, dass die erste Documenta am Rande auch die Medien Fotografie und Film berücksichtigte, allerdings nicht im Sinne eines künstlerischen Mediums: Neben Architekturfotografien, die im dokumentarischen Sinne »moderne Tendenzen der Architektur« thematisierten, zeigte man auch Porträtfotografien der Künstler, die auf der Ausstellung durch Werke repräsentiert waren sowie einen fotografischen Bilderatlas, der kulturelle Artefakte aus ganz unterschiedlichen Epochen und Ländern und Regionen der Erde zeigte. Dieser Bilderatlas fungierte als eine Art historischer Vorspann innerhalb der Eingangshalle des Museum Fridericianum (vgl. Kimpel 1997: Documenta. Mythos und Wirklichkeit, S. 266) und versuchte die aktuelle Kunst und ihre Abstraktionstendenzen unter ein allgemeines, weltumspannendes Formvokabular diverser Kulturen zu subsumieren. Festzuhalten bleibt, dass die Fotografie auf der ersten Documenta weitgehend illustrativ, gleichsam als erklärendes Beiwerk, eingesetzt wird und nicht im Rahmen der künstlerischen Praxen auftaucht. Darüber hinaus ist zu erwähnen, dass ein exklusives Filmprogramm im Filmpalast Wilhelmshöhe zur Aufführung kam, in dem prominente in- und ausländische Filme von den 1910er bis zu den 1950er Jahren gezeigt wurden (vgl. Klippel 2005: »Das Filmprogramm der ersten Documenta«; Thöner/Wissner 2005: »Filmprogramm der documenta 1«; Wegenast 2005: »Anziehung und Abstoßung«).

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waren jedoch von der Kulturkritik der 1920er und 1930er Jahre als Kulturtechniken GHU0RGHUQHUHÀHNWLHUWZRUGHQGLHLQVEHVRQGHUHHLQHQWUDGLWLRQHOOHQ.XQVWEHJULII veränderten und neue Formen der reproduzierbaren Kunst generierten40. Ein autonomer Kunstbegriff, im Sinne einer kontextunabhängigen Formentwicklung, bindet sich offensichtlich in den ersten drei Documenta-Ausstellungen an die klassische *DWWXQJVOHKUH0LWGHQIRWRJUD¿VFKHQQHXHQ0HGLHQKlWWH]XPLQGHVWGLH)UDJHGHU Abbildlichkeit zur Debatte gestanden, die Haftmann und die Documenta Ausstellungen jedoch kategorisch ausschlossen. Genie und Originalität

-HGHV (SRFKHQPRGHOO EDVLHUW DXI HLQHP VSH]L¿VFKHQ 0RPHQW GHP HLQHU :HQGH RGHUDXFKHLQHV+|KHSXQNWHV6LHZHUGHQZDKUQHKPEDUZHQQVSH]L¿VFKHNXOWXUHOOH Symptomatiken verdichtet zu Tage treten. So beginnt Haftmanns Erzählung auch mit der These einer Wende, die er am Impressionismus und dessen wahrnehmungsUHÀH[LYHQ0RGXODWLRQHQIHVWPDFKW6LHOHJHQGHQ*UXQGVWHLQIUGLHDEVWUDNWH$XVdruckswelt der Malerei. Bemerkenswert ist dabei, dass das Epochenmodell – neben nationalen Zuordnungen und der Einteilung in »Meisterklassen« – an ausgewählte Künstlersubjekte gebunden ist, die als prototypische Vertreter der Entwicklung stilisiert werden. Sie bilden den Ausgangspunkt der nationalen und letztlich europäischen Formgenealogie und untermauern den Umwälzungsprozess mittels ihrer künstlerischen Bildwerke. An ihrem künstlerischen Schaffen ist die Formentwicklung exemplarisch zu beobachten. Gemeinsam ist ihnen das Abstraktionsvermögen innerhalb ihrer bildnerischen Gestaltung. Auch hier bezieht sich Haftmann offensichtlich auf ein traditionelles kunsthistorisches Modell. Denn die historische Entwicklung der Kunst gründete innerhalb der fachdisziplinären Geschichtsschreibung KlX¿J DXI HLQHU Ahnengenealogie künstlerischer Genies, deren jeweils prototypisches Ausdrucksvermögen ein epochales Signum konstituierte. Auffällig ist insofern auch bei Haftmann, dass seine beinahe ausschließlich männlichen Protagonisten der Kunstgeschichte mit zahlreichen Attributen ausgezeichnet werden, die einem traditionellen Geniebegriff folgen: So etwa werden sie mit einer originellen Einbildungskraft ausgestattet, die ein einzigartiges Ausdrucksvermögen garantiert, das den Ausgangspunkt der Zeitenwende bildet.41 Auch Haftmann bemüht den Genie-Topos 40 Walter Benjamin und Siegfried Kracauer sind unbestritten zwei der prominentesten Vertreter dieser Auseinandersetzung (vgl. Benjamin 1936: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, sowie der Sammelband mit Aufsätzen von Kracauer: Kracauer 1977: Ornament der Masse). 41 Zweifellos ist der Geniebegriff historischen Transformationsprozessen unterworfen (vgl. Löhr 2003: »Genie«; Krieger 2007: Was ist ein Künstler?, insbesondere S. 13–57). Jedoch lassen sich spezifische Genie-Attribute als stereotype Künstlerbeschreibungen festhalten, die im Laufe der Geschichte in unterschiedlichen Ausprägungen zum Tragen kommen. So hält Krieger fest: »Die in der Renaissance gebräuchlich gewordenen Begriffe Genius und Ingenium bilden einerseits die Grundlage für den modernen Begriff des ›Genies‹, gleichzeitig gehen sie auf antikes Ideengut zurück.« (Krieger 2007: Was ist ein Künstler?, S. 20). Beispielsweise etablieren etwa die Künstlerviten Vasaris den Topos der künstlerischen, nicht erlernbaren Einbildungskraft (ingenium), die das

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indem er beispielsweise konstatiert: »Seurat gehört zu jenen bewussten Genies, für die auch ein kurzes Leben und wenige Bilder genügen, sich voll auszudrücken«42. 'DUEHUKLQDXVYHUIDVVWGHU.XQVWKLVWRULNHUHLQH+LVWRULRJUD¿HGHU.XQVWGLH auf stilistisch-formalen Erbfolgen künstlerischer Meisterschaft basiert. Bei dieser historischen Konstruktion wird die Kunstgeschichte als eine historische Verkettung singulärer Meisterleistungen verstanden und bedarf folglich einer chronologischen Anordnung genialer Schöpfungsakte.43 $QGHUV DOV HWZD EHL :|OIÀLQV ª.XQVW geschichte ohne Namen« verschränkt Haftmann formanalytische Aspekte mit dem Topos des Genies, um seinen Kunstbegriff zu fundieren und realisiert seine DQ .QVWOHUVXEMHNWHQ RULHQWLHUWH KLVWRULRJUD¿VFKH :LVVHQVRUGQXQJ LQQHUKDOE GHU Kapitelstruktur des Geschichtswerkes durch die Beschreibung unterschiedlicher genialer Künstlerpersönlichkeiten. Zwei prominente Franzosen dienen ihm als Ausgangspunkte seiner Chronologie: »Die große Freiheit, die Gauguin brachte und die die moderne Malerei ihm schuldet, konnte nur zu Werken führen, wenn sie unter ein Gesetz trat. Dies Gesetz hieß Cézanne. Auch das hat Gauguin gewusst.«44 Folgt man Löhrs Auseinandersetzung mit dem Geniebegriff, dann rekapituliert Haftmann hier eine genialistische, weithin historisch etablierte Kunstgeschichtsschreibung, denn dieser hält kritisch fest: »Allerdings werden auch in den Avantgardebestrebungen um die Wende zum 20. Jahrhundert Genie-Klischees weitergeführt, etwa in der Rezeption Gauguins und Cézannes.«45 Auch für Matisse, der zudem 1955 im zweiten Geschosses des Fridericianums präsentiert wurde46, bemühte Haftmann die Meisterkategorie, denn – »durch Cézanne inspiriert« –, wird der französische Künstler aufgrund der »formalen Klarheit seiner ornamentalen Strukturen und seines methodischen Vorgehens« ebenfalls als »französisches Genie« bezeichnet47. Auch das »Genie Pablo Picassos« steht als KHUDXVUDJHQGH 6FK|SIHU¿JXU ªEHU GHU JDQ]HQ .XQVWHQWZLFNOXQJ GHU HUVWHQ -DKUhunderthälfte des 20. Jahrhunderts«48. Nicht zuletzt deswegen wird seinem Bild Mädchen vor einem Spiegel (1932) im Hauptsaal für Malerei, in direkter Nähe zu 0DWLVVH HLQH GHU VLJQL¿NDQWHVWHQ 3RVLWLRQHQ LP JHVDPWHQ $XVVWHOOXQJVSDUFRXUV der ersten Documenta zugewiesen: An der Stirnseite des Raumes angeordnet, ist es beinahe von jeder Position aus einsehbar und dominiert die Blickachse durch den Ausstellungsraum [Abb. 4].

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Wesen des genialen Schöpfungsaktes bestimmt und an, für ihre Zeit herausragende Individuen gebunden ist (vgl. Vasari 1568: Le Vite). Haftmann 1962: Malerei im 20. Jahrhundert, Bd. 1, S. 21. Wie Epochenschwellen zu begründen sind, wann Stillagen sich eindeutig voneinander ablösen, bleibt dabei jedoch häufig fraglich (vgl. beispielsweise Wölfflin: »Das Problem des Neu-Anfangens«, in: ders. 1915: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe, S. 271–272). Haftmann 1962: Malerei im 20. Jahrhundert, Bd. 1, S. 40. Löhr 2003: »Genie«, S. 121. Vgl. Grasskamp 1991: »Documenta. Kunst des XX. Jahrhunderts«. Vgl. Haftmann 1962: Malerei im 20. Jahrhundert, Bd. 1, S. 109 ff. Haftmann 1962: Malerei im 20. Jahrhundert, Bd. 1, S. 139.

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$XIIlOOLJ LVW GDUEHU KLQDXV GDVV GDV .QVWOHUVXEMHNW LQ +DIWPDQQV 0RQRJUD¿H durch männliche und weitgehend europäische Protagonisten repräsentiert ist: Das 605 Textseiten und fünf Teile umfassende Werk des Kunsthistorikers widmet allein HLQHU )UDX 3DXOD 0RGHUVRKQ%HFNHU HLQ NQVWOHUPRQRJUD¿VFKHV .DSLWHO 'LHVHP stehen 40 Artikel gegenüber, die sich mit den männlichen Protagonisten der Haftmannschen Kunstgeschichte beschäftigen. Die restlichen Kapitel beschreiben nach nationalen Schwerpunkten überwiegend prominente Künstlervereinigungen des frühen 20. Jahrhunderts: darunter Die Brücke und Der Blaue Reiter, oder aber die bereits unter den »Ismen« der Moderne subsumierten Kunstrichtungen, etwa Futurismus, Kubismus, Expressionismus, Surrealismus, Dadaismus. Auch diese Strömungen sind weitgehend durch männliche Protagonisten repräsentiert. Im Namensregister der .QVWOHULP$QKDQJGHU0RQRJUD¿HVLQGXQWHUGHQLQVJHVDPWNQDSS.QVWOHU,Qnen lediglich 10 Frauen aufgeführt49. Auch in der visuellen Aufbereitung zeigen soZRKOGHU.DWDORJGHUHUVWHQXQG]ZHLWHQ'RFXPHQWDDOVDXFK+DIWPDQQV0RQRJUD¿H lediglich männliche Künstlerporträts50, die als bürgerliche Individualporträts51 meist im Ambiente des eigenen Ateliers abgelichtet sind. Sie waren teilweise auf der ersten Documenta im Erdgeschoss des Fridericianums ausgestellt und rahmen zudem die Künstlereinträge des Documenta-Katalogs zur Malerei von 1959. Auch die Ausstellungsinszenierungen der ersten drei Kasseler Kunstereignisse zeichnen sich durch die Dominanz von Werken männlicher Künstler aus. Das Künstlerlexikon von Florian Matzner, das sich mit den ersten acht Documenta-Ausstellungen befasst, belegt dabei das frappierende Ungleichgewicht zwischen männlichen und weiblichen Künstlern auf den Kasseler Kunstschauen. Dieses asymmetrische VerKlOWQLVlQGHUWHVLFKHUVWPLWGHUVHFKVWHQ'RFXPHQWD  VLJQL¿NDQWZHQQJOHLFK der Anteil an Frauen gegenüber den Männern immer noch verschwindend gering war. Obwohl hier primär die ersten drei Documenta-Ausstellungen im Zentrum des Interesses stehen, soll der folgende kurze Überblick die ungleichgewichtigen Verhältnisse empirisch untermauern: Dementsprechend stellten auf der ersten Documenta bei einer Gesamtzahl von 148 KünstlerInnen lediglich acht Frauen aus. An der zweiten Documenta nahmen bei 392 TeilnehmerInnen nur 19 Frauen teil, wohingegen im Rahmen der dritten Kasseler Kunstschau bei einer Gesamtzahl von 280 KünstlerInnen lediglich zwölf weibliche Teilnehmer ausstellten. Auf die vierte Documenta wurde eine unschlagbare Anzahl von vier Frauen bei einer Gesamtzahl von 280 TeilnehmerInnen eingeladen, und an der fünften Ausstellung nahmen 18 Frauen bei insgesamt 218 KünstlerInnen teil. Von 492 KünstlerInnen waren auf der sechsten 49 Grandma Moses (Anna Maria Robertson, USA), Natalie Gontscharowa (RU), Grace Hartigan (USA), Benedetta Marinetta (I) ausgewiesen als »Gattin von F.T. Marinetti«, Paula ModersohnBecker (DE), Berthe Morisot (FR), Gabriele Münter (DE), Georgia O´Keefe (USA), Suzanne Valadon (FR), Marianne Werefkin (RU). 50 Mit einer Ausnahme: Maria Elena Vieira da Silva ist im Katalog der zweiten Documenta als einzige Frau abgelichtet. 51 Vgl. hierzu auch die Ausführungen Grasskamps zu den Porträtfotografien auf der ersten Documenta (Grasskamp 1989: Die unbewältigte Moderne, S. 89–94).

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Documenta 89 weibliche Teilnehmerinnen vertreten. Auf der Documenta 7 hingegen nahmen wiederum von insgesamt 182 KünstlerInnen lediglich 32 Frauen teil.52 Es zeigt sich, dass die innerhalb des Dispositivs Documenta forcierte Kunstgeschichtsschreibung zur Konstitution eines auf männlichen, europäischen Künstlersubjekten basierenden Kunstbegriffs beitrug. Beinahe ausschließlich wurde allein ihnen der Geniestatus im öffentlichen Diskurs zugeschrieben. Die konstatierten singulären Leistungen, die sich von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1950er Jahre als Kontinuitätserzählung einer abstrakten Stilgeschichte lesen lassen, blenden allerdings weitgehend gesellschaftspolitische und soziale Umstände der historischen Figuren aus. Auch die Ausstellungsinszenierung, die primär auf die Präsentation der Werke und weniger auf die Erörterung der gesellschaftlichen und historischen Bedingungen der Entstehung setzt, untermauert diesen autonomisierten Werk- und Künstlerstatus53. Die Autonomie der Kunst wird damit an Künstlersubjekte gebunden, deren originäre Schöpferkraft relativ unabhängig von JHVHOOVFKDIWOLFKHQ5DKPHQEHGLQJXQJHQH[LVWLHUWZHQQJOHLFKVLHGRFKKlX¿JLQHLQH nationale Formensprache eingebettet werden. Gestützt wird dieses Modell innerhalb YRQ +DIWPDQQV 0RQRJUD¿H ]X JXWHU /HW]W GXUFK HLQH ª$KQHQJDOHULH GHU JUR‰HQ Meister«, die bis in die Renaissance reicht und die subjektiven Einzelleistungen als Teil einer autonomen Teleologie der Kunst erscheinen lassen: »Das autonome Bild mit seinem autonomen Raum erstand im Geiste Cézannes wie unter dem Gesetz einer Konstruktion. Cézanne gehört zu der Reihe der großen Konstrukteure, zu Giotto, Uccello, Piero della Francesca, Veronese, Poussin. [...] In der Bildkonstruktion Cézannes lag das Gesetz, an dem auch die Ausdruckswelt des Menschen wirklich werden konnte. So ist Cézanne der Vater aller modernen Malerei, ein Prophet, der die Gesetzestafeln hielt«. 54

Zwar verdeutlicht Haftmann, dass sich die moderne Kunst seit etwa Ende des 19. Jahrhunderts durch vielschichtige Gleichzeitigkeiten auszeichnet, die Abstraktion innerhalb des bildnerischen Ausdrucks in unterschiedlichsten Ausformungen in Erscheinung treten kann und sich durchaus parallele Entwicklungen nachvollziehen lassen. Dennoch aber verweisen seine Ausführungen auf die Existenz eines singulären AusJDQJVSXQNWHV GHU DOV 0DUNVWHLQ VHLQHU +LVWRULRJUD¿H GHU PRGHUQHQ .XQVW LPPHU wieder rekapituliert wird: Das Konzept des »Ursprungs der modernen Kunst« wird 52 Die hier angegebenen Zahlen beziehen sich auf Matzner 1987: Künstlerlexikon mit Registern zur documenta 1–8, Kapitel 4: S. 333 ff. Die Zahlen stellen Richtwerte dar, denn im Register sind zum Teil einzelne, wenige KünstlerInnen unter zwei verschiedenen Ländern aufgeführt, wenn Geburtsland und Aufenthaltsland nicht identisch sind. Insofern kann man davon ausgehen, dass der Anteil an Frauen wenn, dann eher noch geringer ist. Die Gesamtzahl der jeweiligen TeilnehmerInnen ist folgender Publikation entnommen: Kimpel 2002: Documenta. Eine Überschau. 53 Das unterstreicht beispielsweise auch die fotografische Präsentation der männlichen Künstler im Eingangbereich des Fridericianums auf der ersten Documenta, die ohne jeden Kommentar auskommen. Biografische Hintergründe blendet man aus. 54 Haftmann 1962: Malerei im 20. Jahrhundert, Bd. 1, S. 45.

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DQYLHOHQ6WHOOHQVHLQHU0RQRJUD¿HLPPHUZLHGHUDQ&p]DQQHV2ULJLQDOLWlWJHEXQden. Im Rahmen der ersten Documenta-Ausstellung nimmt allerdings Picasso diese Funktion ein, dessen Bild Mädchenkopf von 1905 das älteste Werk im Ausstellungsparcours repräsentiert. Grasskamp betont darüber hinaus, dass innerhalb der ersten Documenta die prominent gehängten Bilder von Picasso, Mädchen vor einem Spiegel (1932), und von Matisse, Rotes Atelier (1911), als »Ahnherren« der zeitgenössischen Kunst fungieren55. Folgt man Kriegers Ausführungen, dann beruft sich Haftmann auf einen historisch etablierten Kunstbegriff, der ehemals auf imitatio, der Nachahmung der Natur, beruht. Imitatio, so Krieger, sei jedoch in der Moderne durch den Originalitätsbegriff abgelöst worden: »›Imitatio‹ war also lange Zeit in Theorie wie künstlerischer Praxis ein äußerst erfolgreiches kreatives Verfahren, bis es in der Moderne durch die Diskreditierung der Nachahmung und den forcierten Anspruch auf Originalität abgelöst worden ist. Dieser Anspruch wurde bereits im 16. Jahrhundert formuliert und er steht in direktem Zusammenhang mit der Behauptung eines künstlerischen Ingeniums bzw. Genius’. Auch wenn diese Proklamationen nur sehr begrenzten Einfluss auf die Realität künstlerischer Produktion erlangt haben, so bereiteten sie doch die moderne Genietheorie vor.«56

An ihren Ausführungen wird deutlich, dass Originalität und Genie historische Konzepte darstellen, auf denen auch Haftmanns Kunstbegriff gründete. Die originelle Schöpferkraft der vorwiegend männlichen Künstler zeichnete sich durch die Abkehr vom Mimesisparadigma und durch die Autonomisierung des Bildraumes – vor allem innerhalb der Malerei – aus. Kontinuität

Ist die erste Documenta, wie Grasskamp konstatierte, als »maßgebliche Station einer Rezeptionsgeschichte der Ausstellung ›Entartete Kunst‹« zu verstehen57, so zeigt VLFKDQGHQ$XVIKUXQJHQLQ+DIWPDQQV0RQRJUD¿HGDVVHUGHU.XQVWHLQDXWRQRmes Eigenleben zurechnet, das selbst unter der faschistischen Diffamierung keinen Schaden genommen hatte. Grasskamp analysierte diese Haltung kritisch, indem er betonte, die erste Documenta hätte sich präsentiert, als wolle sie die einstige Hetzausstellung unter dem Hitler-Regime als »bedauerliche Entgleisung« revidieren und die Moderne international rehabilitieren58. In Haftmanns Autonomieverständnis von Kunst stellen die totalitaristischen Regime der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in 55 Vgl. Grasskamp 1991: »Documenta. Kunst des XX. Jahrhunderts«, S. 119–120. 56 Krieger 2007: Was ist ein Künstler?, S. 20. 57 Grasskamp 1989: Die unbewältigte Moderne, S. 76. Kimpel hält darüber hinaus im Hinblick auf die vertretenen Künstlerpositionen der ersten Documenta gegenüber der Ausstellung Entartete Kunst fest: »Von 58 deutschen Beteiligten der d1 wurden 31 von den berüchtigten Zurschaustellungen des Dritten Reiches missbraucht« (Kimpel 1997: Documenta. Mythos und Wirklichkeit, S. 253). 58 Vgl. Grasskamp 1989: Die unbewältigte Moderne, S. 76.

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Russland, Italien und Deutschland, aber auch die sich jenseits des Eisernen Vorhangs formierenden kommunistischen Staaten lediglich eine Zwischenepisode dar, welche die kontinuierlich fortschreitende Formentwicklung der Kunst zwar verzögern, aber den historischen Prozess keinesfalls unterbinden können.59 Die Erzählung einer Kontinuitätsgeschichte der abstrakten Kunst ist im Diskurs der Documenta – wie auch Kimpel vielfältig demonstriert – von zwei Motiven geprägt: Einerseits von der Überwindung und Abgrenzung vom Faschismus, andererseits von der Abgrenzung gegenüber dem Sozialistischen Realismus.60 Denn die Abstraktion war mit einem freiheitlich demokratischen Verständnis von Kultur assoziiert, wohingegen der Sozialistische Realismus als Ausdruck eines totalitaristischen Regimes angesehen wurde. Die Gleichschaltung der Kulturapparate in den diktatorischen Regimen Europas ließ Haftmann nicht an seinem kunsthistorischen Epochenmodell zweifeln. So kommt der Kunsthistoriker im Hinblick auf den Zweiten Weltkrieg zu dem Schluss: »Die Kunst selbst blieb auch in der Katakombe lebendig. Obwohl mehr als die Hälfte des europäischen Territoriums unter dem totalitären Dirigismus geriet, blieb die europäische Kunst im ganzen [sic!] intakt und ging unbeirrt ihren Weg voran«61. Haftmann weitet hier einen Kunstbegriff, den er in seinem Buch lediglich aus der Gattung der Malerei ableitet, in einem recht undifferenzierten Rundumschlag auf das gesamte weite Spektrum der künstlerischen Produktion aus. Zugleich spricht er der Kunst gewissermaßen einen Subjektstatus zu, denn sie schreitet unaufhaltsam, ohne Brüche und Widerstände, kontinuierlich voran. Stellte Haftmann die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts noch als einen Zeitraum in Europa dar, in dem der Stil der Abstraktion noch nicht als Gesamtkomplex vorhanden gewesen ist, aus dem »Gewirk der einzelnen Anstrengungen« aber dennoch langsam ein Muster hervorgetreten sei62, so kommt die Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg in seinen Augen aber endlich zu ihrer Verwirklichung. Die »Kunst der neuen Generationen«, wie Haftmann sie titulierte, stelle sich nach dem Zweiten Weltkrieg in die Reihe der künstlerischen Entwicklungsprozesse, die, wie er betont, mit Cézanne in Gang gekommen waren. Das Begonnene, so hält er fest, würde nun bruchlos weitergeführt werden.63 In der Perspektive des Kunsthistorikers setzte sich die europäische Kunstgeschichte nach 1945 folglich ganz ohne Kontinuitätsverlust fort. Um die kulturelle Anschluss-

59 Haftmann konstatiert darüber hinaus: »Der Totalitarismus ist der Oberbegriff, unter dem scheinbar so gegensätzliche Bewegungen wie der Bolschewismus der leninistisch-stalinistischen Phase, der Faschismus Mussolinis und der Nationalsozialismus Hitlers in enge Nachbarschaft geraten. Als verblüffendsten und deutlichsten Ausdruck dieser inneren, gegen die menschliche Freiheit gerichteten Übereinstimmung hat er exakt die gleiche Kunstanschauung hervorgebracht«, und hält zudem fest: »Der offizielle Kunststil totalitärer Länder ist überall der gleiche« (Haftmann 1962: Malerei im 20. Jahrhundert, Bd. 1, S. 421). Ganz im Gegensatz dazu steht dann, nach Haftmanns Auffassung, die abstrakte Kunst ab 1945 für ein freiheitlich demokratisches System. 60 Vgl. Kimpel 1997: Documenta, Mythos und Wirklichkeit, S. 274. 61 Haftmann 1962: Malerei im 20. Jahrhundert, Bd. 1, S. 426. 62 Vgl. Haftmann 1962: Malerei im 20. Jahrhundert, Bd. 1, S. 429. 63 Vgl. Haftmann 1962: Malerei im 20. Jahrhundert, Bd. 1, S. 495.

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fähigkeit Deutschlands zu sichern, subsumiert Haftmann die nationale Entwicklung unter einen gesamteuropäischen Abstraktionsdiskurs. Die deutsche Kunst, auch die der jüngsten Generation, so etwa von Baumeister, Nay und Winter steht in seinen Augen ebenfalls bruchlos in der Kontinuität der modernen Kunstentwicklung. Ihre EHGHXWHQGVWHQ.UlIWHVHLHQXQ]ZHLIHOKDIWLPDEVWUDNWHQ/DJHU]X¿QGHQ64. Auch hier bezieht sich Haftmann lediglich auf die Malerei, subsumiert aber offensichtlich alle weiteren Kunstproduktionen unter diesen Kunstbegriff, der doch vor allem an das malerische Tafelbild gebunden ist. Dieser Diskurs manifestiert sich auch im Ausstellungsparcours: Baumeister und Nay nahmen an allen drei Documenta Ausstellungen zwischen 1955 und 1964 teil und Winter war zumindest auf den ersten beiden verWUHWHQ6LHDOOHEHWHLOLJWHQVLFKQHEHQZHQLJHQGUXFNJUD¿VFKHQ$UEHLWHQIDVWDXVschließlich im Bereich der Malerei. Die retrospektiv konstruierte Erzählung einer Kontinuitätsgeschichte der abstrakWHQ.XQVW¿QGHWLQGHU*HJHQZDUWGHU1DFKNULHJV]HLWEUXFKORVLKUH)RUWIKUXQJ± dieses Bild vermitteln zumindest die ersten Documenta-Ausstellungen. Dabei blieben allerdings die Emigrationsbewegungen jüdischer Kultur- und Kunstschaffender, die intellektuellen und kulturellen Verlusterfahrungen Europas durch den Faschismus völlig unberücksichtigt. Dementsprechend konstatiert Haftmann: »Ja, der Krieg selbst und die Situation, die er hinterließ, hatten keinen oder nur sehr geringen EinÀX‰DXIVLH>GLH.XQVW.+@©65 Diese Argumentation verfolgt Haftmann auch im Katalog zur ersten Documenta, indem er konstatiert: »Dabei war es nicht so, dass die Verfemung der modernen Kunst den Künstlern selbst geschadet hätte. Ihnen ist wohl ein äußerstes Unrecht geschehen, das mit größter Härte in das äußere Leben und seine Sicherungen eingriff, das aber doch die innere Substanz gar nicht berühren konnte. Der Künstler ging in den Untergrund, malte in Waschküchen, modellierte in verfallenen Fabrikhallen und nährte sich wie die Lilien auf dem Felde. Aus seinem Auftrag trat er nicht hinaus, denn er stand mit seinem ganzen Wesen in einer unveräußerlichen Folgerichtigkeit, die der allgemeinen Strukturwandlung im Geiste der Epoche selbst zu Grunde lag.« 66

,KUH9ROOHQGXQJ¿QGHGLH(QWZLFNOXQJGHU.XQVWVRGHU.XQVWKLVWRULNHULQGHUZLHGHU gewonnenen Freiheit nach dem Faschismus, da dann »die schöpferischen Kräfte Europas über alle trennenden Umstände hinweg«67 miteinander verbunden werden konnten. Europa steht in Haftmanns Lesart für einen tendenziell homogenen Kunstbegriff. Denn allmählich, resümiert er, sei die Kunst in den europäischen Ländern 64 Vgl. Haftmann 1962: Malerei im 20. Jahrhundert, Bd. 1, S. 496 f. 65 Haftmann 1962: Malerei im 20. Jahrhundert, Bd. 1, S. 493. 66 Haftmann: »Einleitung«, in: Ausst.Kat. (1955) Documenta. Kunst des XX. Jahrhunderts, S. 16. Auch hier wird deutlich, dass Haftmann offensichtlich auf ein historisches Stereotyp referiert, nämlich den Künstler, der qua göttlicher Befähigung seinen Auftrag erfüllt. Wenngleich der »Auftrag« bei Haftmann zunächst aus einer geistes- und kulturgeschichtlichen Wende abgleitet wird, scheint diese Denkfigur an historische Künstlerbilder anzuknüpfen (vgl. hierzu Bogen 2003: »Gott/Künstler«). 67 Haftmann 1962: Malerei im 20. Jahrhundert, Bd. 1, S. 495.

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wieder zu überblicken, so dass, »das einheitliche Grundmuster in aller Deutlichkeit« zutage liege68. Haftmann beschreibt den »organischen Entwicklungsprozess« folgendermaßen: »Über alle Grenzen hinweg unterstand die Kunst den gleichen Antrieben, und was in den dunklen Jahren als verzweifelt isolierte Leistung erschien, erwies sich nun als Teil eines allgemeinen organischen Wachstums.«69 Das hier entwickelte Geschichtsmodell folgt einer linearen, evolutionären HisWRULRJUD¿H GLH NHLQH UHJUHVVLYHQ 6FKULWWH DXIZHLVW NHLQH :LHGHUKROXQJVPRPHQWH birgt oder aber den Fortschritt als Rückgriff und damit retrospektive Wendung interSUHWLHUW'DUEHUKLQDXVEOHLEHQJHVHOOVFKDIWVSROLWLVFKH(LQÀVVHZHLWJHKHQGXQEHrücksichtigt. Das hatte zur Folge, dass die frühen Documenta-Ausstellungen einen relativ hermetischen Kunstbegriff forcierten, der keine Heterogenität der Objekte, keine gesellschaftlichen und politischen Kontexte und somit auch keine pluralistische Kunstauffassung integrieren konnte. Die Geschichte der Kunst wurde als eine kontinuierliche, monolineare Entwicklung verstanden, die ihren Ausgangspunkt allein in Europa fand und sich auf einer diachronen Zeitachse sukzessive weiter ausbildete. Dies zeigt sich beispielsweise im Ausstellungsparcours im zentralen Raum für die Malerei im oberen Stockwerk des Fridericianums durch die Gegenüberstellung von Picassos Gemälde mit Winters Malerei. Im unteren Geschoss des Ausstellungsgebäudes plausibilisiert man das Modell durch einer Gegenüberstellung von Henry Moores Bronze Zwei sitzende Figuren (König und Königin) von 1953 und einer Skulptur von Hans Arp, die um 1933 entstanden sein muss.70 Universalismus

%HL GHU JHRJUD¿VFKHQ %HVFKUlQNXQJ GHV SRVWXOLHUWHQ PRGHUQHQ XQG ]XJOHLFK autonomen Kunstbegriffs auf Europa sollte es nicht bleiben. Insbesondere die Documenta 2 propagierte das Konzept der »Abstraktion als Weltsprache«71, GDV EHUHLWV LQ LKUHU HUVWHQ$XÀDJH  DQJHOHJW ZDU$XFK +DIWPDQQ UHNDSLWXliert in seiner Publikation, bereits 1926 habe die »unvergessene Internationale Kunstausstellung in Dresden« verdeutlicht, dass es sich bei der modernen Kunst um eine Stilbewegung europäischen, gar universalen Ausmaßes handele.72 Nicht allein die zunächst im Zentrum der Publikation stehenden künstlerischen

68 Vgl. Haftmann 1962: Malerei im 20. Jahrhundert, Bd. 1, S. 495. 69 Haftmann 1962: Malerei im 20. Jahrhundert, Bd. 1, S. 495. 70 Vgl. hierzu auch die fotografische Rekonstruktion der ersten Documenta: Kimpel/Stengel 1995: Documenta 1955. Erste internationale Kunstausstellung. Eine fotografische Rekonstruktion, S. 44. Trotz vielfältiger Recherchen konnte das Entstehungsjahr der Skulptur von Arp nicht eindeutig festgestellt werden, da die Abbildung im Documenta-Katalog (vgl. Abb. 120) und bei Kimpel/ Stengel differieren. Vermutlich handelt es sich um das Werk Pagodenfrucht (1934), Bronze, in Höhe von 140 cm (vgl. Ausst.Kat. (1955) Documenta. Kunst des XX. Jahrhunderts, S. 33 im Werkverzeichnis). 71 Vgl. hierzu unter anderem Kimpel 2002: Documenta. Eine Überschau, S. 27 ff. Zum US-amerikanischen Impetus auf der zweiten Documenta vgl. Autsch 2007: »Die Welt schmeißt mit Farben«. 72 Vgl. Haftmann 1962: Malerei im 20. Jahrhundert, Bd. 1, S. 420 f.

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I BILDGESCHICHTEN

Entwicklungen innerhalb der Länder Italien, Frankreich, Deutschland und deren Protagonisten konstituieren den Status Quo der modernen Kunst. Die Geschichte der Kunst stellt sich vielmehr als eine weltumspannende globale Transformation dar, in die auch die außereuropäische Welt eingebunden ist: »Zur Annahme dieser Einsicht zwingt die geschichtlich noch nie dagewesene Tatsache, dass der europäische Lebensentwurf, den wir im letzten halben Jahrhundert entwickelt haben und dessen ästhetischer Ausdruck die moderne Kunst und Architektur ist, heute Geltung um den Erdkreis herum erlangt hat. Von Europa bis Amerika, von Kanada bis Brasilien, von Persien bis Japan hat er die oft über Jahrtausende aufgebauten und gehaltenen Kulturbastionen der Folklore überwältigt und an der Oberfläche vernichtet. An ihm beginnt die Weltkultur sichtbar zu werden. Klee, Kandinsky, Picasso sind heute weltgültige Meister.« 73

Haftmanns Kunstbegriff und zugleich jener der Documenta nimmt damit universalistische und darüber hinaus imperialistische Züge an, die durchaus in der Tradition kolonialistischer Herrschaftsansprüche stehen, insofern die europäisch-westliche Kultur als »Leitkultur« propagiert wird.74 Dies ist besonders vor dem Hintergrund interessant, dass ost- und außereuropäische, nicht westliche KünstlerInnen eine verschwindend geringe Minderheit in den ersten drei Documenta-Ausstellungen ausmachten75, ebenso wenig wie sie in Haftmanns Geschichtswerk Beachtung fanden. Darüber hinaus blieb der Fortschrittsglaube der Moderne unangezweifelt, den doch unter anderem die Kulturkritik der 1920er Jahre, etwa Benjamin und Kracauer, bereits im Hinblick auf die Schattenseiten einer westlichen Massenkultur kritisiert hatten. Haftmanns primär an der Malerei orientierte Argumentation erweiterte er am Ende seines Buches ohne Bedenken, und ganz im Sinne des kunst-

73 Haftmann 1962: Malerei im 20. Jahrhundert, Bd. 1, S. 604. 74 Hier ist zu erwähnen, dass der universalistische Topos der »Abstraktion als Weltsprache« nicht allein im Dispositiv Documenta anzutreffen ist, vgl. beispielsweise auch die folgende Publikation: Poensgen/Zahn 1958: Abstrakte Kunst eine Weltsprache, mit einem Beitrag von Werner Hofmann unter dem Titel Quellen zur abstrakten Kunst, der weitgehend auf Schriften und Äußerungen von Künstlern beruht. 75 Vgl. hierzu Matzner 1987: Künstlerlexikon mit Registern zur documenta 1–8, S. 235–357: Innerhalb der bei Matzner publizierten Auflistung zeigt sich, dass an der ersten Documenta-Ausstellung vier Künstler aus der Sowjetunion, ein Künstler aus Tunesien und ein Künstler aus Ungarn teilnahmen – bei einer Gesamtzahl von 148 KünstlerInnen (vgl. Kimpel 2002: Documenta. Eine Überschau, S. 11). Die restlichen Künstlerinnen und Künstler der ersten Documenta stammten aus Westeuropa und neun aus den USA. An der Documenta 2 nahmen nach Matzner bei einer Gesamtzahl von 392 KünstlerInnen (vgl. Kimpel 2002: Documenta. Eine Überschau, S. 27) ein Künstler aus Ägypten, zwei aus Argentinien, zwei aus Brasilien, einer aus Chile, einer aus Israel, vier aus Japan, vier aus Jugoslawien, einer aus Kuba, einer aus Mexiko, sieben aus Polen, drei aus Rumänien, elf aus der Sowjetunion, drei aus der Tschechoslowakei, einer aus der Türkei, einer aus Tunesien und fünf Künstler aus Ungarn teil. Auch auf der dritten Documenta – mit einer Teilnehmerzahl von 280 KünstlerInnen – ändert sich die erhebliche Dominanz westlich-europäischer bzw. nordamerikanischer Positionen nicht.

DER DISKURS UM DIE ABSTRAKTION

historischen Kanons, auf die bis dahin weitgehend unberücksichtigten klassischen Gattungen Skulptur und Architektur. Ihre formalen Vergleichbarkeiten und identischen Strukturen, so Haftmann, geben »einen Einblick in die gleichgestimmte Resonanz und gleichgerichtete Lagerung der Ausdrucksschichten innerhalb der Generationsreihen, die den Ausdruck des Jahrhunderts trugen, Lagerungen, die sich dann in den einzelnen Verfahren und mit Hilfe der einzelnen Materialien als die Grundanordnung nach außen spiegeln, die wir in der umfassenderen Dimension des Kulturgeschichtlichen Stil [Hervorhebung, K.H.] nennen.«76

Mit diesem kulturgeschichtlichen Überbau erweitert Haftmann die primär an der Malerei beobachteten Entwicklungen zu einem universellen Phänomen der Menschheitsgeschichte, da er von einer »Totalität des Vorgangs« spricht, bei dem nicht mehr das »Schicksal des Einzelnen« in Rede stehe, sondern »das Schicksal der Gattung des Menschen«77. Der hier proklamierte Transformationsprozess erfährt darüber hinaus eine Naturalisierung, indem »Stil« in Form einer geologischen Metapher, gleichsam als Lagerung von Gesteinsschichten beschrieben wird. Haftmann entwirft in einem hegemonialen Zug einen weltumspannenden, historisch gewachsenen, essentialistischen und damit unhinterfragbaren Kunstbegriff. So kam es auch dazu, dass die amerikanischen Positionen, insbesondere der Abstrakte Expressionismus, auf der zweiten und dritten Documenta mühelos neben den europäischen Positionen in das Entwicklungsmodell integriert werden konnten.78 Hier deutet sich bereits eine diskursive Formation an, die eben nicht allein Inhalt der Documenta war, sondern zugleich den westlichen Kunstdiskurs nach 1945 prägend bestimmte: Gemeint ist die Konstitution eines modernistischen Kunstbegriffs, der sich insbesondere aus dem malerischen Tafelbild ableitete und auf der hier dargelegten Wissensordnung über Kunst gründete. Dieser Diskurs um einen moderQHQ XQG DXVVFKOLH‰OLFK DEVWUDNWHQ .XQVWEHJULII ¿QGHW LQ GHQ 86DPHULNDQLVFKHQ Debatten um das Museum of Modern Art seine Anschlusspunkte, wie im folgenden Kapitel näher erörtert wird.

76 Haftmann 1962: Malerei im 20. Jahrhundert, Bd. 2, S. 9. 77 Vgl. Haftmann 1962: Malerei im 20. Jahrhundert, Bd. 2, S. 9. 78 Dies wird nicht zuletzt daran deutlich, dass Porter A. McCray, der Leiter des International Program am Museum of Modern Art, auf der zweiten Documenta völlig autark die US-amerikanischen Beiträge kuratierte (vgl. unter anderem Kimpel: Documenta. Die Überschau, S. 33). Auf der zweiten Documenta wurden zum ersten Mal vor allem die Künstler ausgestellt, die innerhalb des Abstrakten Expressionismus und somit auch für einen modernistischen Kunstbegriff »stilbildend« waren: beispielsweise Franz Kline, Willem de Kooning, Barnett Newman, Jackson Pollock, Mark Rothko. Vgl. hierzu auch die Künstlerliste der Documenta 2 unter der Länderkategorie Vereinigte Staaten in: Matzner: Künstlerlexikon mit Registern zur documenta 1–8, S. 347. Bezeichnend ist auch hier das von 49 US-amerikanischen TeilnehmerInnen lediglich drei Frauen aus den USA auf der Documenta 2 vertreten waren.

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I BILDGESCHICHTEN

Exkurs: Abstraktion als Symptomatik der Moderne – zu Haftmann und Wölfflin

An dieser Stelle erscheint es wichtig zu betonen, dass Haftmann an einigen Stellen seiner schriftlichen Ausführungen die Abstraktion nicht lediglich auf eine formal stilgeschichtliche Kategorie zurückführt. Die Entwicklung der abstrakten Formsprache innerhalb der Kunst interpretiert der Kunsthistoriker – in einem Nebenweg seiner Ausführungen – auch als Reaktion auf die Abstraktionsleistungen der Moderne und insbesondere auf die Erkenntnisse der Naturwissenschaften. So konstatiert er, dass sich beispielsweise durch die mathematischen Abstraktionen der Quantentheorie Plancks (1900) oder der Relativitätstheorie Einsteins (1905) Wirklichkeitsvorstellungen verschoben hätten.79'LHVHULQ+DIWPDQQVKLVWRULRJUD¿VFKHQ0RGHOOXP VWDWW¿QGHQGH8PEUXFKVWHOOWVLFKZLHGHU.XQVWKLVWRULNHUHVIRUPXOLHUWDOVª9HUUNkung von vertrauten Bezüglichkeiten«80 dar. Nach seiner Auffassung bildet die Kunst GHU0RGHUQHHLQHQ5HÀH[DXIGLHVHQDEVWUDNWHQ9RUJDQJ,P=XJHGHUEHVFKULHEHnen historischen Entwicklung bricht sie mittels ihres bildnerischen Darstellungsprogramms mit einem eindeutigen Referenzsystem gegenüber der sinnlich erfahrbaren :HOWXQGLVW$XVGUXFNGLHVHU0RGL¿NDWLRQYRQ:LUNOLFKNHLWVYRUVWHOOXQJHQ*HQDX in dieser Verbindung von formalen Ausprägungen der Artefakte einer Kultur und einer – wenn auch bei Haftmann wenig ausgearbeiteten – Analyse ihrer geistigen VerIDVVXQJ¿QGHQVLFK$QNQSIXQJVSXQNWHDQIRUPDQDO\WLVFKH$QVlW]HGLHQDFKGHQ kulturellen Voraussetzungen einer Genese von Formsprachen fragen, die innerhalb einer Gesellschaft auftauchen. Im Hinblick auf diesen Aspekt lassen sich ParalleOHQ ]XP PHWKRGLVFKHQ$QVDW] :|OIÀLQV HQWGHFNHQ$XFK HU EHREDFKWHW LQ VHLQHQ Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen (1915) Formverschiebungen, um daraus letztlich eine wahrnehmungspsychologische Struktur der Epoche, eine »Geschichte des Sehens« abzuleiten.81:|OIÀLQHUNHQQWLP)RUPYRNDEXODUYRQ5HQDLVVDQFHXQG%DURFNHLQHVSH]L¿VFKHXQGXQWHUVFKLHGOLFKHª2ULHQWLHUXQJ]XU:HOW©82. Eine ähnliche formpsychologische Auffassung lässt sich bei Haftmann erkennen, wenn er für die Moderne formuliert: Die Malerei des 20. Jahrhunderts »ist die Ausformung in der :HOWGHU%LOGHUGHU'HQNXQG(PS¿QGXQJVZHLVHQLQGHQHQGHUPRGHUQH0HQVFK sich selbst und seine Umwelt begreift«83. Ausgehend von formalen Strukturen erkennt er in den Bildwerken kulturelle Transformationen, die die Moderne ab dem Ende des 19. Jahrhunderts bestimmen. Der von Haftmann entwickelte Kunstbegriff löst sich an einigen Stellen folglich von seiner oben entfalteten formgenealogischen und autonomen Basis, um als kulturelle Symptomatik ausgedeutet zu werden. Jedoch bleibt die dominante Diskurslinie in einem formanalytisch basierten Modell verankert, ebenso

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Vgl. Haftmann 1962: Malerei im 20. Jahrhundert, Bd. 2, S. 12 ff. Haftmann 1962: Malerei im 20. Jahrhundert, Bd. 2, S.12 f. Vgl. Wölfflin 1915: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Vgl. Wölfflin 1915: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe, S. 29. Haftmann 1962: Malerei im 20. Jahrhundert, Bd. 2, S. 9.

DER DISKURS UM DIE ABSTRAKTION

ZLHEHL:|OIÀLQ%HLGHOHLWHQDXVGHQH[NOXVLYDXVJHZlKOWHQ%HVWlQGHQLKUHU.XOWXU eine autonome Geschichte der Kunst anhand der visuell wahrnehmbaren Formen ab.

»HOW TO LOOK AT MODERN ART?«: CLEMENT GREENBERG, ALFRED BARR UND DAS MOMA

Der Begriff des »Modernismus« stellt sich als ein höchst vielschichtiger dar.84 Einer der prominentesten Vertreter einer modernistischen Lesart der Kunst im US-amerikanischen Diskurs war zweifellos der Kunstkritiker Clement Greenberg. Er verstand unter »Modernismus« ein anti-mimetisches Programm und bezog sich dabei, ganz ähnlich wie Haftmann, vor allem auf die Gattung der Malerei ab dem Ende des 19. Jahrhunderts. Er formulierte sein Konzept folgendermaßen: »Die realistische und naturalistische Kunst pflegte das Medium zu verleugnen, ihr Ziel war es, die Kunst mittels der Kunst zu verbergen; der Modernismus wollte mittels der Kunst auf die Kunst aufmerksam machen. Die einschränkenden Bedingungen, die das Medium der Malerei definieren – die plane Oberfläche, die Form des Bildträgers, die Eigenschaften der Pigmente –, wurden von den alten Meistern als negative Faktoren behandelt, die allenfalls indirekt eingestanden werden durften. Der Modernismus betrachtete dieselben Einschränkungen als positive Faktoren, die nun offen anerkannt werden. Manets Gemälde waren die erste modernistische Malerei, weil sie offen heraus erklärten, dass sie auf einer planen Fläche gemalt werden.« 85

Greenberg entwickelt mit dieser historischen Perspektive, ähnlich wie Haftmann, eine Ahnengeschichte der Meister und versucht die Werke des Abstrakten Expressionismus, zum damaligen Zeitpunkt im Jahr 1960 durch künstlerische Vorläufer zu historisieren.86

84 Er wird in unterschiedlichen fachdisziplinären Kontexten sehr divers verwendet: So bezeichnet er beispielsweise eine entscheidende Umstrukturierung gesellschaftlicher, politischer und kultureller Verhältnisse im 19. Jahrhundert, die im Zusammenhang mit den Effekten der Industrialisierung, Urbanisierung, dem Entstehen der Nationalstaaten in Europa und der damit einhergehenden Etablierung einer bürgerlichen Gesellschaft und Öffentlichkeit sowie der Profilierung einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung stehen. Diesen Modernismus-Begriff hatte etwa Foucault in seinem Frühwerk im Blick. Harrison hingegen berücksichtigt zwar auch diese gesellschaftlich transformativen Kräfte, grenzt den Begriff jedoch in seiner Auseinandersetzung auf den Bereich der Kunst ab Ende des 19. Jahrhunderts ein (vgl. Harrison 1997: »Modernism«). 85 Greenberg 1960: »Modernistische Malerei«, S. 267–268. Zum hier zugrunde gelegten Modernismus-Begriff in der Kunst, vgl. außerdem die folgenden Schriften: Greenberg 1940: »Zu einem neueren Laokoon«, insbesondere S. 71–81; ders. 1939: »Avantgarde und Kitsch«, sowie Drucker 1998: »Modernism. An overview«. 86 Unbestritten ist, dass der modernistische Diskurs in den USA durch die allmähliche Etablierung der Pop-Art mit Beginn der 1960er Jahren seine Dominanz früher als in Deutschland einbüßte. Dies mag vor allem daran gelegen haben, dass sich die Documenta als diskursmächtige deutsche Institution mit dem Erbe des Faschismus und seiner Diffamierungspolitik im Kunstbereich konfrontiert sah und bis 1968 eine weitgehend konservative Kulturpolitik vertrat: Die Berufung

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I BILDGESCHICHTEN

Ebenso verfolgt er, wie der Kasseler Kunsthistoriker der ersten Documenta-Ausstellungen, eine teleologische Lesart der Entwicklung der Kunst am Beispiel der Malerei: »In der Tat waren nicht wenige Künstler, die wichtige Beiträge zur Entwicklung der modernen Malerei geleistet haben, von dem Wunsch ausgegangen, aus dem Bruch mit dem nachahmenden Realismus eine größere Ausdruckskraft zu gewinnen, doch die unerbitterliche Logik der Entwicklung [Hervorhebung, K.H.] brachte es mit sich, dass ihre Werke letzten Endes eine fortgesetzte Neutralisierung der expressiven Elemente vollzogen. Dies galt für van Gogh ebenso wie für Picasso und Klee. Alle Wege führten zum selben Ziel.« 87

'LH(QWZLFNOXQJGHU.XQVWVWHOOWVLFKDXFKEHL*UHHQEHUJDOV]ZDQJVOlX¿JHU3UR]HVV dar, der sich auf die Abstraktion hinbewegt und letzten Endes in der radikalen Reduktion der expressiven Elemente und damit in einer Radikalisierung der abstrakten, bildnerischen Mittel mündet – ein Argumentationsgang also, den auch die Documenta verfolgte. Eine auf dieser Modernismus-Auffassung aufbauende Museumskonzeption, die zudem vorwiegend auf europäische Positionen der abstrakten Malerei ausgerichtet war, hatte das Museum of Modern Art (MoMA) in New York seit Beginn der 1930er verfolgt und damit die nationale, aber auch internationale Kunstszene geprägt. Diese modernistische Ausrichtung wurde insbesondere von dessen Gründungsdirektor Alfred Barr88 und dem bereits erwähnten Clement Greenberg, forciert89. Dass Greenberg und Barr in ihrer Sicht auf den Modernismus sehr eng beieinander lagen, YHUGHXWOLFKWDXFK.DQWRULQLKUHU0RQRJUD¿HEHUGHQ*UQGXQJVGLUHNWRU »Although Barr bemoaned the limits placed on art by the demands of abstraction, in his logic the ›artist prefers impoverishment to adulteration‹. In proto-Greenbergian language, he proclaimed that ›an ›abstract‹ painting is really a most positively concrete painting since it confines the attention to its immediate, sensuous, physical surface‹. Barr´s flight from interpretation was part of his Herculean effort to assess the territory of abstraction, to find order in the myriad of forms [Hervorhebung, K.H.] that constituted modern art, and to present it as an undeniable part of scholarship without the political and transcendental contingencies that may prompt artists. In doing so, he found content in comparing techniques of ›how forms work‹.« 90

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auf traditionelle Wissensordnungen der Kunstgeschichte (Form/Stil, Genie, Originalität, Malerei und Skulptur etc.) wirkte offensichtlich kulturpolitisch stabilisierend und ermöglichte zugleich die Integration der im NS-Regime als »entartet« sanktionierten KünstlerInnen. Greenberg 1940: »Zu einem neueren Laokoon«, S. 79. Vgl. hierzu auch die gesammelten Schriften von Barr 1986: Defining Modern Art. Greenberg zählte zum Inner Circle des MoMA. Dieser Kreis (unter anderem bestehend aus Barr, Greenberg und Guggenheim) traf federführende Entscheidungen im Bereich der Künstlerförderung. So sprachen sich die genannten Köpfe auch für eine Förderung Jackson Pollocks zu Beginn der 1940er Jahre aus (vgl. Gilbaut 1983: Wie New York die Idee der Modernen Kunst gestohlen hat, S. 111 ff). Kantor 2002: Alfred H. Barr, Jr. and the Intellectual Origins of the Museum of Modern Art, S. 318. Zitate von Barr aus: Barr 1936: »Cubism and Abstract Art: Introduction«, S. 11 und 13.

DER DISKURS UM DIE ABSTRAKTION

Alfred Barr hatte folglich für das konzeptionelle Fundament des Museum of Modern Art einen abstrakten, formalistischen Kunstbegriff zugrunde gelegt91, den er auch in seiner 1936 initiierten Ausstellung Cubism and Abstract Art92 zu plausibilisieren versuchte. Bemerkenswert ist, dass er im Zuge dieser Kunstschau auf dem Titelblatt des Ausstellungskatalogs eine mittlerweile durchaus prominente Darstellung einer Entwicklungsgeschichte der abstrakten Kunst in Form einer diagrammatischen Struktur publizierte [Abb. 8]. An dieser Darstellung ist auffällig, dass sie einen aus der naturwissenschaftlichen Praxis entlehnten Präsentationssmodus verwendet: Sie entwirft einen Stammbaum der Kunst, der strukturell mit biologischen bzw. verwandtschaftlichen, und damit »natürlichen« Genealogien vergleichbar ist93. Durch diese Darstellungsform vermittelt sich ein objektivierendes Moment, denn gemeinhin schreibt man den Naturwissenschaften als den sogenannten exakten Wissenschaften ein hohes Maß an Objektivität zu. Durch dieses naturalisierende Verfahren wird, ganz ähnlich wie in den Argumentationsmustern Haftmanns, die Entwicklung der Kunst nach natürlichen, essentialistischen Prämissen im Rahmen einer »organischen Formengeschichte« organisiert und als eine notwendige, kontinuierlich fortschreitende Bewegung dargestellt. Darüber hinaus versinnbildlicht die Darstellung von Barr eindeutige, lineare Kausalitätsbezüge, die auf einer teleologischen, auf die Abstraktion hin orientierten Fortschrittsgeschichte basieren: Die Pfeile deuten lediglich in eine, in die »abstrakte Zukunft« weisende Richtung. Dies hat zur Folge, dass beispielsweise horizontale, RGHUDEHUDXFKZHFKVHOVHLWLJH(LQÀXVVQDKPHQGXUFKGLHVHGLDJUDPPDWLVFKH'DUVWHOlung weitgehend ausgeschlossen werden. Edward Tufte setzt sich in seiner Publikation mit den Evidenzbildungen visueller Darstellungen auseinander und widmet sich dabei auch dem Barr’schen Diagramm94, insbesondere den Pfeilen und ihrer Kausalität stiftenden Funktion: »Although the causal paths in the art chart are complex, the idea of causality is simplistic. Depicted by single-headed arrows, causality flows just one way without the back-and-forth possibilities of mutual influence in art. Such arrows represent major and sometimes false assumptions about the allowable scope of causal mechanisms. There are no paired arrows [...] or double-headed arrows [...], which would signal contemporaneous influence and feedback among art styles and artists – for example, intense interplay of Braque, Picasso, and Matisse within Cubism.« 95 91 Vgl. zur Entstehungsgeschichte und zum Konzept des Museums: Kantor 2002: Alfred H. Barr, Jr. and the Intellectual Origins of the Museum of Modern Art; vgl. auch die programmatische Schrift von Barr 1966: What is Modern Painting?. Diese Publikation legt den Schwerpunkt auf die abstrakte Kunst, worauf ich in diesem Kapitel noch zurückkomme. 92 Vgl. auch Ausst.Kat. (1936) Cubism and Abstract Art. 93 Zum Thema genealogischer Darstellungsvarianten der Kunst vgl. auch Schmidt-Burckhardt 2005: Stammbäume der Kunst. 94 Vgl. Tufte: Beautiful Evidence, insbesondere das Kapitel Links and Causal Arrows: Ambiguity in Action« (S. 64–82). 95 Tufte 2006: Beautiful Evidence, S. 67.

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I BILDGESCHICHTEN

Abb. 8: Titelseite des Ausstellungskatalogs Cubism And Abstract Art, New York 1936, mit einem Diagramm von Alfred Barr

Diese nicht zuletzt im Rahmen der Ausstellung und über das Diagramm vermittelte monolithische, zunächst vorwiegend europäisch ausgerichtete Perspektive auf die Kunst provozierte mit Ende der 1930er Jahren heftige Kritik an den Aktivitäten des Museum of Modern Art durch zahlreiche New Yorker

DER DISKURS UM DIE ABSTRAKTION

Künstler96 und veranlasste Ad Reinhardt, der ein ausgewiesener Verfechter einer abstrakten, modernistischen Malerei war97, zu diversen kritischen Illustrationen. Offensichtlich von genealogischen Entwicklungsbäumen inspiriert, entwarf Reinhardt 1946 die, auch innerhalb des Katalogs der Documenta 11 in Nesbits Beitrag abgebildete, cartoonartige Skizze unter dem Titel How to Look at Modern Art in America [Abb. 9].98 'LH =HLFKQXQJ VWHOOW LQ )RUP HLQHV %DXPHV HLQH .DUWRJUD¿H GHU DPHULNDQLschen Kunstszene dar, die sich hier in zwei Lager teilt: in das Lager der abstrakten und jenes der eher gegenständlichen Künstler dieser Zeit. Im Gegensatz zu Barrs diagrammatischer Darstellung von 1936 thematisierte Reinhardt hier nicht allein eine autonome, gesellschaftsunabhängige Entwicklung der Kunst, sondern berücksichtigt zugleich auch kontextuelle Bedingungen, wie etwa den Kunstmarkt. Die Karikatur macht deutlich, dass das, was als Kunst angesehen wird, auch von gesellschaftlich-kulturellen und ökonomischen Faktoren abhängt: So zum Beispiel von Sponsoren, wie etwa Pepsi-Cola. Auch hier werden die »alten Meister« der frühen Klassischen Moderne, wie etwa Cezanne, Picasso und Matisse, als Ahnherren der modernen Kunst bemüht. Im Gegensatz zu Reinhardts Karikatur verlagert Barr in seinem Diagramm jedoch gegenständliche Kunstströmungen ebenso wie gesellschaftliche Kontexte in die Sphäre der Unsichtbarkeit. Er konstruierte damit eine exklusive »Ordnung der Sichtbarkeit« im Feld der formalistischen Abstraktion. So 96 Barrs starke Ausrichtung auf die vorwiegend abstrakte Kunst in Europa rief insbesondere bei der zeitgenössischen Künstlergeneration in den USA starke Kritik hervor – vor allem bei den später unter dem Abstrakten Expressionismus bekannt gewordenen Künstlern der sogenannten New York School. Viele New Yorker Künstler hatten moniert, dass gerade die zeitgenössische US-amerikanische Malerei im MoMA zugunsten europäischer Positionen unterrepräsentiert sei. Dies hatte zur Folge, dass sich eine Interessensvertretung der abstrakten Maler gründete (AAA: American Abstract Artists, sowie die American Association of Abstract Art). Sie demonstrierten beispielsweise 1940 gegen den starken Eurozentrismus des MoMA und gegen die damit einhergehende Vernachlässigung US-amerikanischer Positionen. Ad Reinhardt war einer der Beteiligten, dessen satirische, cartoonartige Flugblätter während der Protestaktionen gegen das MoMA verteilt wurden, vgl. Sandler 1986: »Introduction«, S. 27 ff. Ein Meilenstein dieser kontrovers geführten Auseinandersetzung stellte die erwähnte Ausstellung Cubism and Abstract Art (1936) im MoMA dar: Sie bezog sich vorwiegend retrospektiv auf den Kubismus und die abstrakte Kunst in Europa unter Ausschluss US-amerikanischer Positionen. 97 Vgl. beispielsweise Reinhardt 1943: »[Abstraction vs. Illustration]«; ders. 1943: »Painting and Pictures«; zur Kritik am institutionalisierten »Betriebssystem Kunst« vgl. auch Reinhardt 1953: »Der Künstler auf der Suche nach einer Akademie«; ders. 1954: »Der Künstler auf der Suche nach einer Akademie. Teil II: Wer sind die Künstler?«. Die deutsche Publikation von Bippus/Glasmeier (Bippus/Glasmeier 2007: Künstler in der Lehre) gibt hilfreiche Hinweise zu Reinhardts Anspielungen im letztgenannten Text, ebenso zu Reinhardts Engagement in der Künstlergewerkschaft und seinem aktivistischen Plädoyer für die Selbstorganisation der künstlerischen Arbeit. Die von Reinhardt verfassten Texte untermauern dessen kritische Haltung gegenüber dem Kunstbetrieb, der er auch mit der im Documenta-Katalog (2002) abgebildeten Karikatur Ausdruck verleiht. 98 Dass Ad Reinhardt die Reflexion historiografischer Ordnungen interessierte, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass er 1966 eine Rezension zu George Kublers Schrift Die Form der Zeit (1962) verfasste (Reinhardt 1966: »Art vs. History«). In diesem Reflexionspotential gründet offensichtlich auch das Interesse an Reinhardt innerhalb des Katalogs zur Documenta 11.

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I BILDGESCHICHTEN

Abb. 9: Ad Reinhardt: How to Look at Modern Art in America, 1946, gezeichnete Karikatur

KlOWDXFK7XIWHIHVWª>@WKHFKDUWVKRZVRQO\WKRVHLQÀXHQFHVinternal to art, even though work may be shaped by external ideas or metaphors from science, technology, architecture, philosophy, literature, current events.«99 In Barrs Entwurf von 1936 [Abb. 8] zeigt sich einprägsam, dass die historiogra¿VFKH2UGQXQJDOOHLQGHU$EVWUDNWLRQJHZLGPHWLVWXQGHLQHZHLWJHKHQGH[NOXVLYH 99 Tufte 2006: Beautiful Evidence, S. 65.

DER DISKURS UM DIE ABSTRAKTION

DEHQGOlQGLVFKHXURSlLVFKH*HVFKLFKWHHQWZLUIW$X‰HUHXURSlLVFKH(LQÀVVHVLQG komplett enthistorisiert, so etwa die »Negro Sculpture«, »Japanese Prints«, »NearEastern Art«100XQGMHJOLFKHlX‰HUHQSROLWLVFKHQJHVHOOVFKDIWOLFKHQ(LQÀVVHVLQG exkludiert. Dieses Exklusionsverfahren bringt Tufte in Kürze auf den Punkt: »A graphic summarizing 45 years of radical change with 80 words and 51 arrows will necessarily operate at a high level of generality and omit relevant variables.«101 Reinhardt versucht – im Gegensatz zu Barrs Darstellung – den Kontext des Kunstlebens verstärkt zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund kann der Abdruck seiner Karikatur im Katalog der Documenta 11 als ein Plädoyer zur verstärkten Auseinandersetzung mit dem westlichen Kunstbetrieb – und insofern auch mit den gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen des Dispositivs Ausstellung und dem darin diskursivierten Kunstbegriff – verstanden werden. Nicht zuletzt die kleine Karikatur am linken Bildrand, die sich mit der abstrakten Malerei in kritischer Weise auseinandersetzt, versinnbildlicht eine kritische Haltung gegenüber dem vom MoMA vertretenen modernistischen Kunstbegriff. Bemerkenswert ist außerdem, dass sich die Diskursmächtigkeit dieses Kunstbegriffs in einer weiteren Ausstellung prominent manifestiert: 1941 holte Barr die Kunstschau Italian Painting and Sculpture, 1300–1800 an das Museum of Modern Art. In dieser Ausstellung fand die beschriebene Kunstauffassung ihre erweiterte historische Verankerung. Barr verfolgte eine klassisch eurozentristische Perspektive: Der Museumsmann wollte die Kunst des formalistischen Modernismus bis in die Tiefen der italienischen Renaissance verwurzelt sehen. In der Sammelpublikation zu Barrs gesammelten Schriften konstatieren die HerausJHEHUª,QWKHFDWDORJXHSUHIDFH%DUUMXVWL¿HGWKHH[KLELWLRQ‫ތ‬VSODFHDW0R0$ by invoking the ›great tradition of European art and its American branches‹ and UHFDOOLQJ&p]DQQH‫ތ‬VGHVLUHWRSDLQW¾VRPHWKLQJVROLGDQGHQGXULQJOLNHWKHDUWRI the museums‹. Barr charted the ancestry of modernism.«102 Erneut entwarf Barr eine diagrammatische Genealogie und ebnete den Weg für eine autonome Entwicklungsgeschichte der modernen, abstrakten Kunst, die LKUHKLVWRULVFKH:XU]HOLQGHU5HQDLVVDQFH¿QGHW>$EE@ Auch in dieser Geschichtskonstruktion wird die strukturelle Anlage einer autonomen Historiographie der Kunst wiederholt und retrospektiv »fortgeschrieben«. Wie die Skizze von Alfred Barr zeigt, bildet Cézanne ein weiteres Mal eine zentrale Figur in der Geschichte der europäischen Kunst, diesmal jedoch nicht als

100 Diese Einflüsse sind zwar auf der Zeitleiste eingetragen, aber im Gegensatz zu den europäischen Kunstbewegungen werden sie jeweils in orangefarbenen Kästen als unspezifische Prägungen, ohne Nennung von konkreten Jahreszahlen und Künstlerinnen oder Künstlern dargestellt (in der hier gezeigten Abbildung 8 handelt es sich um die hellgrau gerahmten Kästen). Konkrete Künstlersubjekte findet man lediglich in der im Diagramm dargestellten europäischen Moderne. 101 Tufte 2006: Beautiful Evidence, S. 65. 102 Barr 1939: »Italian Sources of Three Great Traditions of European Painting«, S. 176. Mit dieser Überschrift ist auch das abgebildete Diagramm betitelt [Abb. 10].

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I BILDGESCHICHTEN

Abb. 10: Historisches Entwicklungsmodell mit dem Titel Italian Sources of Three Great Traditions of European Painting von Alfred Barr zur Ausstellung Italian Painting and Sculpture, 1300–1800, New York 1941

DER DISKURS UM DIE ABSTRAKTION

Ausgangspunkt, sondern als Nachfolger einer genealogischen Verkettung der »alten Meister«. Die Diskursmächtigkeit des modernistischen Kunstbegriffes manifestiert sich darüber hinaus in einer Skizze, die Barr 1933 für das Beratungskomitee der Museumssammlung anfertigte und 1941 um einige Akzente veränderte103 [Abb. 11]. Die von Sybil Kantor aus den Archiven des Museum of Modern Art veröffentlichte Zeichnung zeigt einen Torpedo, der durch die Zeit rauscht. Die Autorin widmet sich anhand dieser Skizze der Sammlungsentwicklung, allerdings ohne auf die ¿JUOLFKH'DUVWHOOXQJXQGLKUHP|JOLFKH%HGHXWXQJHLQ]XJHKHQ5LFKWHWPDQGHQ Blick auf die Art und Weise der bildlichen Darstellung, dann scheint es, als bilde sich hier – in den entlegenen Winkeln des visuellen Archivs – die auch von Serge Guilbaut thematisierte hegemoniale Position des US-amerikanischen Modernismus’ ab104. Die Sprengladung der modernen Unterwasserwaffe umfasst ganz offensichtlich im hinteren Bereich – und damit in der Vor- und Frühphase der modernistischen Erzählung – kanonische Protagonisten der europäischen Malerei: etwa die Impressionisten, vertreten durch die namentliche Nennung von Renoir und Degas. Ähnlich wie im Diagramm zur Ausstellung Cubism and Abstract Art erhält der Neoimpressionismus am ausgehenden 19. Jahrhundert zentralen Stellenwert, vertreten durch Cézanne, Seurat und Gauguin. Die Antriebskraft des Torpedos rührt zunächst noch aus einer »Drehschraube«, die neben europäischen auch nicht-europäische »Prototypen« der Kunst in Betracht zieht, die allerdings in der revidierten Version von 1941 suspendiert werden. Den vorderen Teil des Torpedos bestimmen in der Version von 1933 noch verstärkt die französische Klassische Moderne, der »Rest Europas« und die Mexikaner: »French School of Paris«, »Rest of Europe«, »Mexicans«. Nur etwa ein Drittel der Fläche ist den Amerikanern gewidmet. Dieses Verhältnis verändert sich jedoch in der zweiten Skizze von 1941. Die Revision ist wohl auch den erwähnten Protesten gegen die Konzeption des MoMA geschuldet, an denen auch Ad Reinhardt teilgenommen hatte. Die USA und Mexiko nehmen nun, in der Skizze von 1941, in der Zeit zwischen 1925 und 1950 sukzessive mehr Raum ein und stellen ab Ende der 1940er Jahre die alleinigen Vertreter der modernistischen Kunst dar. Zwar soll an dieser Stelle nicht unberücksichtigt bleiben, dass Barr sich auch für Positionen der surrealistischen Malerei einsetzte und zudem die neuen Medien )RWRJUD¿HXQG)LOPHEHQVRZLH'HVLJQ2EMHNWHIUGLH6DPPOXQJHQGHVMoMA in Betracht zog. Dennoch betonte der Gründungsdirektor des Museums immer wieder, dass die abstrakte Malerei als Signum der modernen Kunst anzusehen sei.

103 Kantor untertitelt sie mit folgender Information: »›Torpedo moving through time‹ diagrams of the ideal permanent collection of Modern Art, as advanced in 1933 (top) and in 1941 (bottom). Prepared by Alfred H. Barr, Jr., for the ›Advisory Committee Report on the Museum Collection‹, 1941.« (Kantor 2002: Alfred H. Barr, Jr. and the Intellectual Origins of the Museum of Modern Art, S. 367; vgl. zu den Skizzen auch Varnedoe 1995: »The Evolving Torpedo«). 104 Vgl. Guilbaut 1983: Wie New York die Idee der modernen Kunst gestohlen hat.

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Abb. 11: Skizze von Alfred Barr zur Entwicklung der »modernen Kunst”, 1933/1941, Archiv Museum of Modern Art, New York

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Dementsprechend konstatiert er auch er in seinem kleinen, in vielfacher Wiederauflage publizierten Buch unter dem Titel What is Modern Painting?: »After the war, painters in general [Hervorhebung, K.H.] turned away from destruction in horror. As before [Hervorhebung, K.H.], they painted in a great many different ways but, looking around one, it was clear that abstract painting was the dominant, characteristic art of the mid-century [Hervorhebung, K.H.]. (That is, in the free world. Painters controlled by the Communists, however, are enjoined to use a realistic style though, of course, this does not mean that ›realistic‹ painters, in America for instance, are ordinarily Communist in sympathy!)«105.

An diesem Zitat zeigt sich, dass Barr ganz ähnlich wie Haftmann argumentierte, denn in Referenz auf Klee, Kandinsky, Beckmann ebenso wie Picasso propagierte er eine moderne Kunst im Sinne einer abstrakten Kunst als Signum der Freiheit.106 Im Zuge seiner Argumentation war »Realismus« zugleich mit propagandistischen Motiven einer kommunistischen oder auch faschistischen Politik assoziiert, wie die folgende Aussage nahelegt: »Similarly the Soviet authorities, even earlier than the Nazis, began to suppress modern art, calling it leftist deviation, Western decadence, bourgeois, formalistic. [...]. The Soviet artists who remain107 are enjoined – and well paid to paint pictures in a popular realistic style preferably with propaganda content. Other styles are forbidden and other subjects discouraged.«108 Hatte Kimpel für die frühen Documenta-Ausstellungen konstatiert, sie seien politisch vorwiegend von zwei Motivationen getragen gewesen – einerseits von der Überwindung und Abgrenzung vom Faschismus und andererseits von der Abgrenzung gegenüber dem Sozialistischen Realismus109 – so tritt exakt dieses Motiv auch in Barrs Argumentation in Erscheinung: »Why do totalitarian dictators hate modern art? Because the artist, perhaps more than any other member of society, stands for individual freedom, freedom to think and paint without approval of a Goebbels or a Central Commitee of the Communist Party, to work in the style he wants, to tell the truth as he feels from inner necessity that he must tell it.«110 Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass die von Barr bereits 1943 publizierte und mindestens bis 1984 vielfach neu aufgelegte Schrift What is Modern Painting?111 exakt 105 Barr 1966: What is Modern Painting?, S. 42. 106 Vgl. Barr 1966: What is Modern Painting?, S. 47. 107 Barr meint damit alle jene Künstler, die seit etwa 1921 in der Sowjetunion geblieben und nicht, wie zum Beispiel Chagall und Kandinsky, emigriert waren (vgl. Barr 1966: What is Modern Painting?, S. 47). 108 Barr 1966: What is Modern Painting?, S. 47. 109 Vgl. Kimpel 1997: Documenta. Mythos und Wirklichkeit, S. 274. 110 Barr 1966: What is Modern Painting?, S. 47. 111 Der Bibliothekskatalog des Museum of Modern Art verzeichnet Ausgaben von 1943, 1946, 1952, 1966 und 1984. Die hier zugrunde gelegte Ausgabe von 1966 verzeichnet Auflagen aus folgenden Jahren: 1943, 1945, 1946, 1949, 1952, 1956, 1959, 1963. Im Jahr 1953 erschienen zudem Ausgaben auf Spanisch und Portugiesisch.

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Abb. 12: Frontispiz und Titelseite aus einer Publikation von Alfred Barr, Museum of Modern Art, New York, publiziert zwischen 1943–1984

das Gemälde auf ihrem Frontispiz abbildet, das auch auf der ersten Documenta eine tragende Rolle spielte [Abb. 12]: Picassos Mädchen vor einem Spiegel aus dem Jahr 1932. Während dieses Bild die Stirnseite des größten Raumes der Kasseler Ausstellung von 1955 prominent bespielt hatte [Abb. 4], war es hier als ein prologischer Einstieg, direkt links neben dem Titel What is Modern Painting? – gleichsam als vorauseilende Antwort – angeordnet. Eines wird auch im US-amerikanischen Diskurs deutlich: Die moderne Malerei vermittelt sich als abstrakte Malerei. Hier treten erstaunlich parallel gelagerte visuelle Argumentationen in Erscheinung, die sowohl die Kasseler Kunstschau als auch das Museum of Modern Art bestimmten und von der Diskursmächtigkeit eines abstrakten Kunstbegriffs zeugen. Exkurs: Kontroversen im Modernismus-Diskurs

Die wohl bekannteste Kritik an Barrs schematischem, abstrakten Kunstbegriff übte Meyer Schapiro bereits 1937 aus der Perspektive einer materialistisch-marxistischen Kunstgeschichte. Bei ihm wird die Opposition von Abstraktion und – nicht zuletzt IRWRJUD¿VFKHP±5HDOLVPXVYRQkünstlerischem Bild und dokumentarischem Abbild, als eine höchst problematische Dichotomie ins Feld geführt: »Die logische Opposition von realistischer und abstrakter Kunst, mittels derer Barr den neueren Wandel erklärt, basiert auf zwei Annahmen über das Wesen der Malerei, die Gemeingut der Schriften über abstrakte Kunst sind [Hervorhebung, K.H.], nämlich das die Wiedergabe eine

DER DISKURS UM DIE ABSTRAKTION

passive Spiegelung der Dinge und daher eigentlich unkünstlerisch, dass abstrakte Kunst hingegen eine rein ästhetische Aktivität sei, unabhängig von Gegenständen und auf ihren eigenen Gesetzen fußend. Der abstrakte Maler verurteilt die Wiedergabe der äußeren Welt, weil er in ihr ein mechanisches Verfahren des Auges und der Hand sieht, an dem Empfindungen und Phantasie des Künstlers nur wenig teilhaben. [...] Diese Auffassung ist völlig einseitig und beruht auf einem falschen Begriff von Wiedergabe. Es gibt keine passive, ›photographische‹ Darstellung im oben beschriebenen Sinn; die wissenschaftlichen Elemente der Wiedergabe der älteren Kunst – Perspektive, Anatomie, Licht und Schatten – sind sowohl Ordnungsprinzipien und Ausdrucksmittel als auch Kunstgriffe der Darstellung. Alle Wiedergaben von Gegenständen, wie genau sie auch scheinen, sogar Photographien gehen von Wertungen, Methoden und Standpunkten aus, die in irgendeiner Weise das Bild gestalten und oft seine Inhalte bestimmen. Andererseits gibt es keine nicht durch Erfahrung bedingte ›reine Kunst‹, jedes Phantasiegebilde, jede formale Konstruktion, selbst ein wahlloses Kritzeln sind auch von Kenntnissen und nichtkünstlerischen Belangen geprägt.«112

Es scheint, als treffe diese Beschreibung den Kern der Auseinandersetzung, den auch GLH'RFXPHQWDLP-DKULP+LQEOLFNDXIGHQ.XQVWVWDWXVIRWRJUD¿VFKHU%LOG medien im Feld der Kunst führt. Denn wie an den Werkanalysen deutlich werden wird, beschäftigen sich die Exponate in vielfältiger Hinsicht mit vermeintlich abbilGHQGHQIRWRJUD¿VFKHQ%LOGPHGLHQLQNULWLVFKHU:HLVH,QGHU$QDO\VHYRQ6FKDSLUR kommt ein bipolarer Kunstbegriff – und damit auch Bildbegriff – zwischen Abstraktion und Realismus zur Geltung, der von der Documenta 11, jedoch diesmal von der 6HLWHGHUIRWRJUD¿VFKHQ:LHGHUJDEHGHU:LUNOLFKNHLWDXIJHJULIIHQZHUGHQVROOWH Auch der bereits erwähnte Kanadier Serge Guilbaut setzte sich 1983 mit seinem Versuch einer materialistischen Kunstgeschichtsschreibung überaus kritisch mit dem oben beschriebenen modernistischen Kunstbegriff auseinander.113 Er legt in seiner 112 Schapiro 1937: »Das Wesen der abstrakten Malerei«, zuerst erschienen in Marxist Quarterly (January-March 1937). Zur Kritik Meyer Schapiros an Barr vgl. auch: Kantor 2002: Alfred H. Barr, Jr. and the Intellectual Origins of the Museum of Modern Art, Kapitel Collision with Meyer Schapiro (S. 328–331). 113 Vgl. Guilbaut 1983: Wie New York die Idee der Modernen Kunst gestohlen hat. Guilbaut zeichnet sehr aufschlussreich die Vernetzungen der New Yorker Kunstszene und den wirkmächtigen Diskurs um den Abstrakten Expressionismus nach, der die US-amerikanische Debatte um den Modernismus maßgeblich prägte. Mit einem Symposium unter dem Titel Hot Paint for Cold War, das 1986 in Vancouver stattfand, wurde der Diskurs mit dem Versuch weiter geführt, ähnlichen modernistischen Entwicklungen auch in Paris und Montreal nachzugehen und damit die hegemoniale Stellung der USA im Bereich der Malerei während des Kalten Krieges kritisch zu befragen: vgl. Guilbaut 1990: Reconstructing Modernism. Einen historischen Einblick in die bildende Kunst, schwerpunktmäßig am Beispiel der Malerei auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs in der Zeit zwischen 1945 und 1962 gibt Christine Lindley. Auch sie konstatiert – ebenso wie Guilbaut – eine imperialistische Kulturpolitik der USA, die den (Re)Import einer streng formalistischen Ästhetik von den USA nach Europa nach sich zog. Lindley berücksichtigt aber zugleich, an den Werken argumentierend, auch die Ähnlichkeiten und Parallelen der Kunstproduktion in Ost und West jenseits der offiziellen und oppositionell aufgeladenen Kulturpolitik zwischen Abstraktem Expressionismus und Sozialistischem Realismus: vgl. Lindley 1990: Art in the Cold War.

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3XEOLNDWLRQGLH]ZDUKlX¿JLPSOL]LWHDEHUGHQQRFKZLFKWLJHJHVHOOVFKDIWVSROLWLVFKH Funktion des Abstrakten Expressionismus – als vermeintlich autonome Kunst – für das Selbstverständnis eines »liberalen, freiheitlichen Amerikas« im Kräfteverhältnis von Kapitalismus und Sozialismus während des Kalten Krieges dar. Der kanadische Kunsthistoriker analysierte in den 1980er Jahren die Prominenz der abstrakten Kunst und insbesondere des Abstrakten Expressionismus vor dem Hintergrund des Kalten Krieges als eine spätkapitalistische Kunst und interpretierte sie als genuin amerikanischen Kulturimperialismus. Die Documenta 11 erweiterte 2002 diesen Diskurs im Hinblick auf die geopolitischen Veränderungen nach 1989 und rückte die hegemoniale Stellung des westlichen Kunstbetriebs nach der Beendigung des Ost-West.RQÀLNWV XQG XQWHU HLQHU SRVWNRORQLDOHQ 3HUVSHNWLYH LQ GHQ %OLFN LQGHP VLH HKHU peripher wahrgenommene künstlerische Positionen aus afrikanischen Ländern, aus dem Nahen Osten, Osteuropa, aber auch aus Latein- und Mittelamerika an wichtigen, zum Teil zentralen Stellen ihres Ausstellungsparcours positionierte.114 An der teilweise widersprüchlich erscheinenden Darstellung zum Leben und Wirken Alfred Barrs von Irving Sandler, der 1986 die Einführung zu dessen gesammelten Schriften verfasste, wird deutlich, wie komplex sich das Diskursgefüge über den nicht zuletzt von Barr postulierten modernistischen Kunstbegriff darstellt. So etwa versuchte Sandler noch 1986 – auch in kritischer Auseinandersetzung mit Serge Guilbaut115 – zu verdeutlichen, dass Barr im Gegensatz zu Greenberg keinesfalls eine genuin formalistische Perspektive auf die moderne Kunst gehabt und vielmehr Greenberg einen autonomen, monolinearen, fortschrittsorientierten Kunstbegriff verfolgt habe: »Very early in his career Barr rejected the vanguardist notion, that art was progressing in one direction – the claim Clement Greenberg would later make. For avant-gardism, Barr substituted the conception of the history of art as a vast storehouse of ideas that living artists could use for new departures, depending on their vision, energy, and independence. [...] By 1934 Barr questioned every definition of what makes art modern: ›The truth is that modern art cannot be defined with any degree of finality either in time or in character and any attempt to do so implies a blind faith, insufficient knowledge, or academic lack of realism‹«.116

Sandlers 1986 verfasste durchaus positive Einschätzung der Position Barrs ist noch VWDUN YRQ GHQ LGHRORJLVFKHQ .RQÀLNWOLQLHQ GHV Kalten Krieges geprägt: Er verteidigt die Position des ehemaligen Museumsdirektors vor dem Hintergrund seines liberalen, demokratischen Kunstbegriffs in einer westlich-amerikanischen Kulturhemisphäre. Dies wird vor allem an Sandlers Darlegungen zu Barrs Einsatz für die 114 Vgl. hierzu den Buchteil II Bildanordnungen. 115 Vgl. Sandler 1986: »Introduction«, S. 45. Sandler verteidigt offensichtlich auch die Position Barrs gegenüber Serge Guilbaut. 116 Vgl. Sandler 1986: »Introduction, S. 13, Zitat nach Barr: »Modern and ›Modern‹«, S. 83. Insofern ordnet Sandler Barr auch weniger formalistisch orientiert ein als etwa Kantor.

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New York School und für die Künstler des Abstrakten Expressionismus deutlich, den er in seiner politischen, antikommunistischen Dimension thematisiert117. Festzuhalten bleibt, trotz aller Kontroversen, dass die vielfältigen Ausstellungsprojekte sowie die Schriften Barrs, beispielsweise zu Picasso und Matisse, in ihrer konzeptionellen und strukturell gleichförmigen, formalästhetisch weitgehend abstrakten Ausrichtung ebenso wie die bereits erwähnte Publikation unter dem Titel What is Modern Painting? von der Wirkmächtigkeit jener formalistischen Modernismuskonzeption zeugen, die insbesondere durch das Museum of Modern Art einer breiten Öffentlichkeit vermittelt wurde118. Sie fand bereits in der zweiten Documenta mit den amerikanischen Positionen ihren Niederschlag. Darüber hinaus bleibt unbestritten, dass Barr sich sehr früh für moderne Medien, insbesondere den Film einsetzte und ein Archiv für den künstlerischen Film am MoMA ins Leben rief. Auf der Grundlage dieses Bestandes konnte beispielsweise der aus Deutschland emigrierte Siegried Kracauer VHLQH¿OPWKHRUHWLVFKHQhEHUOHJXQJHQYHUIDVVHQ119. An den in diesem Exkurs skizzierten kritischen Äußerungen gegenüber Barrs Position zeigt sich auch, dass seine Modernismuskonzeption zum Teil weniger liberal eingeschätzt wurde, als man dies am Museum of Modern Art propagierte. So etwa setzen sich Griselda Pollock120, Jutta Held121, aber auch Douglas Crimp122 sowie Edward Tufte123 aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven sehr kritisch mit dem modernistischen Kunstbegriff des Museum of Modern Art und seinen hegemonialen Ausprägungen auseinander: Pollock fragt nach der einseitig männlichen Genese des am New Yorker Museum vertretenen Kunstbegriffs, während Held die eurozentristisch-westliche Perspektive des MoMA am Beispiel der Ausstellung »Primitivism« in 20th Century Art (1984) in den Blick rückt. Crimp beleuchtet die monolithische Konzeption des Modernismus am MoMA im Hinblick auf dessen einseitige, formalistische Zuspitzung und Tufte erörtert, wie bereits dargelegt, allein

117 Vgl. beispielsweise Sandler 1986: »Introduction«, S. 46–47: hier konstatiert Sandler: »Barr was aware of the need to combat Soviet expansion and the potential role of American Art in this effort.« 118 Vgl. zu Barrs Auseinandersetzung und Analyse von Picasso und Matisse Kantor 2002: Alfred H. Barr, Jr. and the Intellectual Origins of the Museum of Modern Art, S. 342–352. Wie stark Kunst und Politik miteinander verwoben waren (jenseits eines formal begründeten Autonomieanspruchs der Kunst), zeigen auch die folgenden Beiträge Barrs aus den 1950er Jahren, die versuchen, die kommunistischen Vorbehalte einzelner Vertreter der US-amerikanischen Rechten gegenüber der abstrakten Kunst aus dem Weg zu räumen: Barr 1952: »Is Modern Art Communistic?«; ders. 1956: »Artistic Freedom«. 119 Vgl. Kracauer 1960: Theorie des Films. 120 Pollock 2000: »Modernity and the Spaces of Femininity«, S. 50 ff. 121 Held 2008: »Politisierung von Kunst«. 122 Crimp 1993: Über die Ruinen des Museums, Kapitel Ausstellungskunst (insbesondere S. 268– 283). Darüber hinaus zeichnet sich die gesamte Publikation von Crimp durch eine kritische Haltung gegenüber einem modernistischen Kunstbegriff aus. Crimp zitiert oder erwähnt interessanterweise Greenberg an keiner Stelle. 123 Vgl. Tufte 2006: Beautiful Evidence, S. 65–70.

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I BILDGESCHICHTEN

an der diagrammatischen Struktur, die Barr 1934 zur Entwicklung der abstrakten Kunst entwarf, deren Ausschlussmechanismen. Bereits an diesen Kontroversen wird die Relevanz eines westlich-eurozentristischen Kunstbegriffs, der nicht zuletzt im beschriebenen Modernismus-Diskurs verankert ist, deutlich. Selbst die Documenta 11 ist noch von diesen historischen Linien geprägt und unternimmt mit ihrer Konzeption den Versuch, die beschriebene, historisch gewachsene und vor allem höchst diskursmächtige Wissensordnung zu revisionieren.

DER MODERNISTISCHE KUNSTBEGRIFF UND DIE DOCUMENTA 11

An den obigen Ausführungen zeigt sich, wie sich innerhalb der USA ein diskursdominanter modernistischer Kunstbegriff formierte, der in den frühen DocumentaAusstellungen sein Pendant fand. Zu Beginn dieses Buchteils wurden die zentralen Motive des Kunstbegriffes herausgearbeitet, die prägnant für die ersten Documenta Ausstellungen waren. Er zeichnete sich durch einen dekontextualisierenden Autonomieanspruch aus, der auf einer gesellschaftsunabhängigen, historischen Entwicklung abstrakter Formen gründete und vor allem auf die traditionellen Gattungen, insbesondere die Malerei fokussiert war. Darüber hinaus war er an ein westlicheuropäisches Künstlersubjekt gebunden, das vorwiegend durch männliche Protagonisten repräsentiert wurde. Ihm lag eine universalistische und kontinuierlich IRUWVFKUHLWHQGH +LVWRULRJUD¿H ]XJUXQGH GHUHQ (QGSXQNW GLH $EVWUDNWLRQ ELOGHWH Bezeichnend für den modernistischen Kunstbegriff war zudem, dass er bruchlos an einen historischen Geniediskurs anknüpfen konnte, der an ein Originalitätspostulat gekoppelt war. Genau diese Aspekte lassen sich auch in der hier skizzierten USDPHULNDQLVFKHQ'HEDWWHZLHGHU¿QGHQ'DEHLLVWDXIIlOOLJGDVVVLFKGHU0RGHUQLVmus-Diskurs am Beispiel der frühen Documenta-Ausstellungen, aber auch in den Debatten um das Museum of Modern Art GXUFK HLQ WHOHRORJLVFKHV KLVWRULRJUD¿sches Kunstgeschichtsmodell auszeichnet. Zwar wird man in einzelnen Perspektivierungen sicherlich Differenzen wahrnehmen können, insbesondere in der USamerikanischen Fixierung von Greenberg auf den Abstrakten Expressionismus, den Haftmann mit Positionen des Informell ergänzt hatte.124 Dennoch aber zeigt sich 124 Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, die Differenzen und Gemeinsamkeiten der formalistischen Kunstauffassung von Greenberg und Haftmann en détail zu analysieren. Die Ausführungen zu Haftmanns Publikation Malerei im 20. Jahrhundert konnten jedoch bereits untermauern, dass für ihn – ebenso wie für Greenberg (vgl. Greenberg 1960: »Modernistische Malerei«, S. 268) – die Flächigkeit als medienspezifische Bedingung der Malerei eine zentrale Rolle spielte (vgl. in diesem Buchteil im Kapitel Zum Kunstbegriff der ersten Documenta-Ausstellungen (1955, 1959, 1964) den Abschnitt Autonomie und Form). Sicherlich wäre es lohnend, den Bezügen zwischen der US-amerikanischen Kulturpolitik und den frühen Documenta-Ausstellungen noch einmal unter Berücksichtigung der historischen Quellen (etwa des Documenta-Archivs und des Archivs im MoMA) nachzugehen, um die ausgewiesene Fokussierung der ersten Documenta-Ausstellungen auf einen abstrakten Kunstbegriff vor dem Hintergrund eines westlich-amerikanischen Kulturprotektionismus nach dem Zweiten Weltkrieg zu befragen. Im Rahmen dieser

DER DISKURS UM DIE ABSTRAKTION

etwa in der Bewertung von Kantor, dass auch Greenberg und Barr auf der Grundlage kunsthistorischer Prämissen argumentierten, die ebenso für die ersten DocumentaAusstellungen erhebliche Relevanz hatten: »Greenberg led the way in art criticism in the 1950s and 1960s with the same conceptual underpinning as Barr: treating modernism as an epochal style that had evolved from traditional art, following the categorial formalism of Heinrich Wölfflin, ensured its continuity with all that had gone before; the method of formal analysis [...]; and most conspicuously, the purity emanating from abstraction displays the willfulness of the modernist artist. The two formalist critics, Greenberg and Barr, were concerned with epochal styles, history, quality, purity, and above all, originality.«125

Kantor macht deutlich, dass jene formalistische Kunstauffassung ihre Anknüpfungspunkte in den Traditionslinien einer europäischen Kunstgeschichte fand, namentlich EHL +HLQULFK:|OIÀLQ +DIWPDQQ ZDU GLHVHU7UDGLWLRQ YHUSÀLFKWHW ZDV GLH RELJHQ Ausführungen zeigen konnten und auch Greenberg bezieht sich mehrfach explizit auf :|OIÀLQ126. Dass der Kunstbegriff des skizzierten US-amerikanischen ModernismusDiskurses, der zudem ab 1959 das Bild der zweiten Documenta prägen sollte, auch im Hintergrund der Documenta 11 stand, vermittelt sich außerdem in Molly Nesbits Beitrag im Documenta-Katalog von 2002. Hier rekapituliert die Autorin in ihrer Auseinandersetzung mit der New Yorker Kunstszene genau diese Debatte: »Ihre Formen [jene der abstrakten Kunst, Ergänzung, K.H.] sollten im Krieg wie im Frieden für sich existieren, losgelöst von weltlichen Wurzeln durch die ganze formalistische Kritik, durch ihre modernistischen Anhänger und durch die pädagogischen Programme, mit denen The Museum of Modern Art in den dreißiger Jahren begonnen hatte. [...] In ihrer Kombination hatten die Argumente der Abstraktion den Status eines philosophischen Denkmodells verliehen. ›Der Inhalt‹, hatte Clement Greenberg geschrieben, ›sollte sich vollständig in der Form auflösen, dass weder das künstlerische oder das literarische Werk als Ganzes noch ein Teil von ihm auf irgendetwas zurückgeführt werden kann, das außerhalb von ihm selbst liegt.‹«127

Wenngleich Nesbits Text den im Modernismus zugrunde gelegten autonomen Kunstbegriff nur sehr kursorisch skizziert, so steht er doch ganz offensichtlich im Hintergrund der kritischen Auseinandersetzung der Documenta 11, die sich nicht zuletzt Untersuchung geht es jedoch vor allem um prägende, dominant wahrnehmbare Diskurse, die sich durch gleichförmige Aussagemuster auszeichnen, um die wirkmächtige, dispositive Struktur des modernistischen Kunstbegriffs zu erarbeiten. 125 Kantor 2002: Alfred H. Barr, Jr. and the Intellectual Origins of the Museum of Modern Art, S. 324. 126 Vgl. Greenberg 1962: »Nach dem Abstrakten Expressionismus«, S. 317 f; Greenberg 1964: »Nachmalerische Abstraktion«, S. 344 f. 127 Nesbit 2002: »The Port of Calls«, S. 88–89; Greenberg ist zitiert aus: Greenberg 1939: »Avantgarde und Kitsch«, S. 33.

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PLWWHOVGHUYLHOIlOWLJHQ,QVWDOODWLRQHQGLHDXIIRWRJUD¿VFKHQ%LOGPHGLHQEDVLHUWHQ YRQ GLHVHP$XWRQRPLHSRVWXODW GLVWDQ]LHUWH *HUDGH IRWRJUD¿VFKH %LOGPHGLHQ YHUweigern allein durch ihre mediale Referentialität, die auf einem indexikalischem Aufzeichnungsverfahren gründet, eine exklusive Selbstreferenz, so dass künstlerische Verfahren, die insbesondere mit diesen Medien arbeiten, von vornherein einer auf einem abstrakten Formalismus gründenden Kunstautonomie diametral entgegenstehen. Hatte etwa Greenberg den Modernismus noch als anti-realistisch und in keiner Weise referentiell beschrieben, so brach die Documenta 11 gerade durch die dominante EinIKUXQJ IRWRJUD¿VFKHU %LOGPHGLHQ PLW MHQHP PRGHUQLVWLVFKHQ 3DUDGLJPD )U GLH folgende Argumentation ist insbesondere von Interesse, dass diese Diskursformation um den Modernismus, den Haftmann, Greenberg, Barr, aber letztlich auch Boehm128 prägten, eine kategoriale Unterscheidung zwischen Realismus und Selbstbezüglichkeit der Kunst, folglich zwischen »Abbild« und »Bild« einführten. Wenn Greenberg YRQGHUª)OlFKLJNHLW©DOVPHGLHQVSH]L¿VFKHP0HUNPDOGHU0DOHUHLVSUDFKVR¿QGHW dieser Aspekt sein Pendant in Boehms Bildlichkeitskonzept, das »auf einem einzigen *UXQGNRQWUDVWGHP]ZLVFKHQHLQHUEHUVFKDXEDUHQ*HVDPWÀlFKHXQGDOOHPZDVVLH an Binnenereignissen einschließt«129 beruht, und auch Haftmann lässt sich mit seinem autonomen, an die Form gebundenen Kunstbegriff an diese Lesart anschließen. In diesem Netzwerk aus unterschiedlichen Diskursen tritt der modernistische Kunstbegriff als dispositive, wirkmächtige Wissensordnung in Erscheinung, ebenso wie der darin aufgehobene Bildbegriff. Innerhalb der Einzelwerkanalysen – im dritten, großen Analyseteil des vorliegenden Buches – wird sich zeigen, dass die Konzeption der elften Documenta diesen Kunst- und Bildbegriff revisionierte: Das im Modernismus etablierte Oppositionsverhältnis von Realismus und Abstraktion, von Autonomie und Verweisung steht hier zur Debatte. Die Wissensordnung, auf der der modernistische Kunstbegriff aufbaut, zeichnet sich darüber hinaus durch eine westlich-eurozentristisch Perspektive aus, die den westlichen Kunstbetrieb in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts maßgeblich prägte. Sowohl die Ausführungen zum Kunstbegriff der ersten drei Documenta-Ausstellungen als auch die Auseinandersetzung mit dem Modernismus-Diskurs rund um das Museum of Modern Art konnten dies belegen. Die Documenta 11 revisioniert auch diese dispositive Struktur mittels ihrer Ausstellungsinszenierung. Der folgende zweite, große Analyseteil des vorliegenden Buches widmet sich diesem Aspekt ausführlich: Hier wird die Auswahl und Anordnung der Kunstpositionen im Ausstellungsparcours eingehend analysiert.

128 Vgl. das Kapitel Bildwissenschaftliche Ansätze: zur »ikonischen Differenz« und zum Status des »Abbilds« sowie das Kapitel Im Zwischenraum: das Bild als Diskurs – das Bild als Objekt im Buchteil Ausstellungen – ein interdisziplinäres Forschungsfeld. 129 Boehm 1994: »Die Wiederkehr der Bilder«, S. 30.

Vielschichtige Transformationen: zwischen Documenta 4 (1968) und Documenta 12 (2007)

Die folgende – lediglich kursorische – Skizze der Documenta-Ausstellungen nach 1964 soll dazu dienen, die bereits in der Geschichte der Documenta in Erscheinung tretenden Abgrenzungen und Bezugnahmen auf den oben skizzierten modernistisch-autonomen Kunstbegriff und seine vielschichtigen Transformationen zu beleuchten. Seine historische und nachdrückliche Wirkmächtigkeit wird dadurch sichtbar. Zugleich werden einzelne Aspekte der Ausstellungen hervorgehoben, die eine tragende Rolle spielten und nicht zuletzt auch das Konzept der elften Documenta prägten. Die Documenta 11 bildet in dieser Lesart einen Kristallisationspunkt in der kritischen Auseinandersetzung mit dem Modernismus und dem mit diesem einhergehenden Verständnis eines autonomen Kunstbegriffs. Vor dem Hintergrund postkolonialer Machtverhältnisse und sich massenmedialisierender sowie globalisierender Bildkulturen steht die Autonomie eines modernistischen Kunstbegriffs folglich zur Disposition. Die folgende historische Skizze soll verdeutlichen, dass in der Retrospektive, LP+LQEOLFNDXIGLH*HVFKLFKWHGHU'RFXPHQWDQLFKWYRQHLQHU]ZDQJVOlX¿JHQ »folgerichtigen« Entwicklung ebenso wenig wie von einem plötzlichen Umbruch die Rede sein kann, an deren Ende die elfte Kasseler Kunstschau steht. Vielmehr handelt es sich um einen sukzessiven, vielschichtigen Umbau des Wissens über Kunst, der sich allmählich, aber keinesfalls ad hoc vollzieht.130 Eine Transformation meint folglich eine auf unterschiedlichen Zeitsträngen sich vollziehende Veränderung in einem diachronen Prozess, der sich durch viele Schichten zieht (trans), von Kontinuitäten, aber auch Diskontinuitäten geprägt ist. Eine HistoriRJUD¿HNXOWXUHOOHU3KlQRPHQHGLHUHYROXWLRQlUHXQGSO|W]OLFKH%UFKHNRQVWDtiert, scheint eher das Resultat retrospektiver Projektion zu sein. Demnach soll 130 Zu historischen Umbrüchen und den Schwierigkeiten ihrer Beschreibung vgl. Glaubitz/Groscurth/ Hoffmann (u.a.) 2011: Eine Theorie der Medienumbrüche 1900/2000.

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I BILDGESCHICHTEN

die folgende Darstellung verdeutlichen, dass zu unterschiedlichen historischen Zeitpunkten bereits Anzeichen einer Veränderung des modernistischen Kunstbegriffs in Erscheinung traten. In meiner Lesart bildet jedoch die elfte Documenta einen markanten Kristallisationspunkt, da in ihr einzelne Gesichtspunkte – nämlich GLHIRWRJUD¿VFKHQ%LOGPHGLHQXQGGLH,QIUDJHVWHOOXQJHLQHVDXWRQRPHQXQGHXUR]HQtristischen Kunstbegriffs – sehr konzentriert in Erscheinung treten. Jedoch schließt diese, meine Perspektivierung, keinesfalls alternative Entwicklungen und weitere Kristallisationspunkte im weiten Feld der Kunst, und auch nicht im Rahmen der elfWHQ'RFXPHQWDDXV(VLVW±HQWJHJHQHLQHUWHOHRORJLVFKHQ+LVWRULRJUD¿H±EHPHUkenswert, dass einige Aspekte dieses vielschichtigen Veränderungsprozesses bereits zu einem frühen Zeitpunkt auftauchen, jedoch in anderen Folgeausstellungen durchaus auch wieder verschwinden. Insofern liegt der hier konstruierten Erzählung ein KLVWRULRJUD¿VFKHV 0RGHOO ]XJUXQGH GDV ]XJOHLFK :HLWHUHQWZLFNOXQJHQ DEHU DXFK »Rückbildungen«, Retardierungen sowie polylineare Entwicklungsstränge denken kann, die sowohl Fort- wie auch Rückschritte integrieren. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen versucht die folgende Skizze eine teleologische Geschichtsschreibung, die gleichsam auf die Documenta 11 »zusteuert«, zu unterlaufen, um Kontinuierliches und Diskontinuierliches sichtbar werden zu lassen und zugleich kohäUHQWHEUXFKORVHKLVWRULRJUD¿VFKH2UGQXQJHQ]XNRQWHUNDULHUHQ(VJHKWDOVRGDUXP Diskursfelder zu öffnen, Kontroversen anzuregen – statt abzuschließen, zu beenden, totalitäre Ganzheiten zu konstruieren. Vergleicht man die ersten drei Documenta-Konzeptionen mit den darauf folgenden, dann ist bemerkenswert, dass sich die späteren Ausstellungen in mehr oder weniger starker Bezugnahme von dem in den 1950er und 1960er Jahren etablierten autonomen Kunstbegriff entweder abgrenzten oder sich auch auf ihn beriefen. Ohne an dieser Stelle die einzelnen Documenta-Ausstellungen en détail in ihren Abgrenzungsdiskursen und Bezugnahmen kritisch analysieren zu können, wird doch eine grobe Gewichtung ihres Umgangs mit dem Autonomiepostulat und zugleich dessen historische Wirkmächtigkeit deutlich. Darüber hinaus treten historische Diskursformationen in Erscheinung, mit der auch die elfte Documenta in Verhandlung stand. OffensichtOLFKVWHKHQGLHQDFKDOVRLP$QVFKOXVVDQGLHGULWWH'RFXPHQWDVWDWW¿QGHQGHQ Großereignisse, so auch die elfte Documenta, in unterschiedlicher Ausprägung mit den oben entfalteten Kategorien (Autonomie und Formalismus, Gattungsfokussierung, Genie und Originalität, Abstraktion vs. Realismus usf.) in Verhandlung, die Haftmann und Bode noch in sehr konzentrierter Form im Blick hatten. An den Abgrenzungen und Bezugnahmen der nachfolgenden Kasseler Kunstschauen ab 1968 zeigt sich, wie wirkmächtig und stabil jener Kunstbegriff der ersten drei Documenta-Ausstellungen war und bis heute ist: Er diente den späteren Ausstellungen immer wieder als BezugsÀlFKHRKQHGDVVVLHLKPQRWZHQGLJHUZHLVHDI¿UPDWLYIROJWHQ Zwischen Documenta 4 und Documenta 11

Zunächst kann festgehalten werden, dass mit der vierten Kasseler Kunstschau (1968), unter der letztmaligen Leitung Arnold Bodes, auch die seit Ende der 1950er

VIELSCHICHTIGE TRANSFORMATIONEN

Jahre im US-amerikanischen Kunstbetrieb verstärkt vertretene Pop-Art prominent und nicht nur – wie noch auf der dritten Documenta – peripher ausgestellt wurde. Damit hielten auch ikonische Darstellungsmodi der Massenmedienkultur Einzug in die Hallen einer ehemals ausschließlich abstrakten Documenta. Vor diesem Hintergrund wurde bereits die Legitimation einer autonomen Kunst schwierig. Das einst als autonom erklärte Formenvokabular wurde hier um die Bildwelten von Werbung und Presse erweitert. So hält auch Kimpel fest: »Mit einem einschneidenden Personal und Konzeptionswandel wird auch die Autonomie der Kunst in ihrer abstrakten Realisierung fraglich. Die Abstraktion wird durch einen tendenziell pluralistischen Kunstbegriff, wie er sich in den 60er Jahren etabliert, abgelöst.«131 Und auch mit Harald Szeemanns fünfter Documenta (1972) wurde mit dem programmatischen Ansatz: »Befragung der Realität – Bildwelten heute« ein heterogenes Ensemble an Bildern der Alltagskultur den künstlerischen Praxen gegenübergestellt. Grasskamp konstatiert hierzu: »Die Parallelen Bildwelten dienten der Kontrastierung künstlerischer Arbeitsweisen mit der visuellen Kultur des Alltags«132. Durch diese Methode der kontrastiven Gegenüberstellung unterschiedlicher Bildwelten setzte sich auch das fünfte Kasseler Kunstereignis ganz eindeutig von den oben beschriebenen Prämissen eines eindeutig autonomen Kunstbegriffs ab, den Haftmann und Bode noch im Blick hatten. Aufgrund dessen wurde innerhalb der RezepWLRQVJHVFKLFKWHGHU'RFXPHQWDLQVEHVRQGHUHLKUHIQIWH$XÀDJHDOVSDUDGLJPDWLVFKH Zäsur begriffen, da sie mit der Berücksichtigung heterogener Bildwelten – unter anderem der Massenmedienkultur – einen deutlichen Bruch gegenüber dem früheren oben beschriebenen Konzept von Haftmann und Bode markierte. Auch aus dem, vor allem von Enwezor stark betonten Bezug der elften Documenta auf die fünfte Kasseler Großausstellung von 1972 leitet sich der Untersuchungshorizont dieser Arbeit ab: Enwezor betonte, dass eines der charakteristischen Merkmale der Documenta 5 gewesen sei, dass sie vor allem den Wandel der Medien – und insofern eben nicht den Wandel der Formen – berücksichtigt habe133. Darüber hinaus machte er deutlich, dass es bereits Künstlern der 1960er Jahre, die auch auf der fünften Documenta ausgestellt waren, darum gegangen sei, das Verhältnis der Vorstellung von Kunst und Sichtbarkeit neu zu gestalten134. Seine Aussage »Viele Künstler arbeiten nicht mehr an [...] einem Willen zur Form«135 kann als Abgrenzung gegenüber der Konzeption der ersten drei Documenta-Ausstellungen und ihrem modernistischen Kunstbegriff verstanden werden. Darüber hinaus rückte die fünfte Documenta institutionskritische Arbeiten YHUVWlUNWLQGHQ%OLFN6LHXQWHUPDXHUWHQGLH6HOEVWUHÀH[LRQGHV$XVVWHOOXQJVHUHLJnisses und förderten das Nachdenken über Wissensordnungen, die innerhalb diverser

131 132 133 134 135

Kimpel 1997: Documenta. Mythos und Wirklichkeit, S. 278. Grasskamp 1982: »Modell Documenta oder wie wird Kunstgeschichte gemacht?«, S. 22. Vgl. Enwezor 2001: »Reflexionen zur d5«, S. 40. Vgl. Enwezor 2001: »Reflexionen zur d5«, S. 43. Enwezor 2001: »Reflexionen zur d5«, S. 44.

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I BILDGESCHICHTEN

Praxen des Ausstellens konstituiert werden. Auch hier kann die elfte Documenta in verschiedener Ansicht anschließen, thematisierte sie doch mittels diverser Werke die Praxis des Ausstellens als eine »Politik der Repräsentation«. Bemerkenswerterweise wurde die von Manfred Schneckenburger kuratierte sechste Documenta (1977) nicht ebenfalls als Bezugspunkt der Ausstellung von 2002 stark gemacht. Vergleicht man die auf ihr präsentierten Künstler mit jenen der elften Documenta, dann zeigen sich bereits hier personelle Überschneidungen: Bernd und Hilla Becher, On Kawara, Hanne Darboven sowie Chantal Akerman und Joan Jonas waren ebenfalls auf der Kunstschau von 1977 ausgestellt. Auffallend ist darüber hinaus, dass sich die sechste Documenta neben den klassischen Gattungen erstmals sehr NRQ]HQWULHUW GHQ 0HGLHQ )LOP )RWRJUD¿H XQG 9LGHR ZLGPHWH 0LW GLHVHP NXUDWRrischen Schachzug schloss sie – jenseits der klassischen Gattungen und jenseits der Abstraktion – an das innovative Konzept von Szeemann an. Durch die Verlagerung GHV6FKZHUSXQNWHVDXIQLFKW]XOHW]WIRWRJUD¿VFKH%LOGPHGLHQPDUNLHUWHVLHHLQH'LIferenz gegenüber den ersten Ausstellungskonzepten, die sich einem formalistischen, autonomen Kunstbegriff verschrieben hatten. Anders als die fünfte Documenta ordnete die Ausstellung von 1977 ihre Werke jedoch wiederum nach einem klassisch, gattungstypologischen Modell136. Mit dieser Strukturierung nach Einzelgattungen referierte sie erneut auf eine traditionelle Wissensordnung der Kunstgeschichte, die bereits die ersten drei Documenta-Ausstellungen bemüht hatten. Die sechste Kasseler Kunstschau widmete sich zudem erstmals verstärkt vielen Filmemachern, die unter den Titeln Nouvelle Vague, Neuer Deutscher Film oder auch Neorealismus bekannt wurden. Ebenso präsentierte sie Fotografen, die unter anderem in den 1920er Jahren – so auch in der Weimarer Republik – wichtig waren und auf den ersten Documenta-Ausstellungen weitgehend unberücksichtigt blieben.137 Die Ausstellung von 1977 ebnete den Weg zu einer breiteren Medienakzeptanz im Feld der Kunst und einer Revision GHUNQVWOHULVFKHQ3UD[HQLP%HUHLFKGHUIRWRJUD¿VFKHQ%LOGPHGLHQ,P5DKPHQGHU 'RFXPHQWD*HVFKLFKWHVFKXIGLHVH$XÀDJHYRUDOOHPDXFKHLQH/HJLWLPDWLRQVEDVLVIU die Auseinandersetzung mit den Medien Foto, Film und Video138. Sie öffnete zugleich 136 So sind auch die drei zur Ausstellung erschienenen Kataloge nach den Kategorien 1. Malerei, Plastik, Performance, 2. Fotografie, Film, Video und 3. Handzeichnungen, Design, Bücher sortiert (vgl. Ausst.Kat. (1977) Documenta 6, Bd. 1, 2, 3). 137 Vgl. auch hier den aufschlussreichen Überblick bei Matzner 1987: Künstlerlexikon mit Registern zur documenta 1–8: zur Documenta 6 unter der Kategorie Fotografie, S. 255–260, aber auch unter der Kategorie Filmkunst, S. 250–254. An beiden Auflistungen wird in der Gegenüberstellung mit den vorangegangenen Ausstellungen deutlich, wie unterrepräsentiert die Medien Foto und Film bis 1977 waren. Trotzdem die fünfte Documenta (1972) ihre Auseinandersetzung mit der visuellen Kultur sehr stark betonte, zeigt das Lexikon von Matzner, dass lediglich 17 Künstler mit Fotografien und sieben Künstler mit Filmen vertreten waren (S. 250). An der Documenta 6 nahmen etwa 10-mal so viele KünstlerInnen im Bereich Fotografie und etwa 14-mal so viele KünstlerInnen im Bereich Film teil, zudem umfasste die Documenta von 1977 mit 492 TeilnehmerInnen die höchste Anzahl an Künstlern in der gesamten Geschichte der Documenta. 138 Dabei ist zu betonen, dass das Medium Video durch etwa 40 KünstlerInnen bei weitem weniger vertreten war als Fotografie und Film (vgl. Matzner 1987: Künstlerlexikon mit Registern zur documenta 1–8, S. 316–317).

VIELSCHICHTIGE TRANSFORMATIONEN

ein Diskursfeld, bei dem ein Kunstbegriff jenseits der traditionellen Gattungen in GHQ%OLFNNDPGHUYHUVWlUNWDXFKIRWRJUD¿VFKH%LOGPHGLHQLQWHJULHUHQNRQQWH'LHser Aspekt ebnete untere anderem den Weg für ein Ausstellungskonzept, wie es die elfte Documenta im Blick hatte. Zwar war der von der sechsten Documenta realisierte Medienfokus sicherlich nicht die notwendige, aber dennoch eine hinreichende Bedingung für die elfte Documenta. Dass die Kasseler Kunstschau von 2002 die sechste Documenta für ihre Eigendarstellung nicht als Referenzfolie auswies, lag wahrscheinlich daran, dass das gattungstypologische Ordnungsmodell dem multiperspektivischen und auch repräsentationskritischen Kunstbegriff der elften Documenta diametral entgegenstand.139 Die siebte Kasseler Ausstellung (1982) kann im Rahmen der Documenta Geschichte hingegen als eine Art »Rückschritt« zu einem oben ausführlich beschriebenen autonomen Kunstbegriff gewertet werden: Sowohl gesellschaftliche Aspekte als auch Medialisierungsphänomene wurden hier weitgehend ausgeblendet. Diese Ausstellung verfolgte unter der Leitung von Rudi Fuchs prominent ein »Konzept der Musealisierung«140, das zugleich die Autonomisierung der Kunst betonte. Kimpel konstatiert: »Mit seiner konservativen Kunstanschauung bietet Rudi Fuchs ein entschiedenes Kontrastprogramm zu den kuratorischen Abenteuern von documenta 5 und 6. Der ›Kostbarmacher‹ von Kunst (wie ihn einmal Harald Szeemann titulierte) beendet abrupt alle Exkursionen der documenta in gesellschaftlich definierte Räume und kommerziell genutzte Medien. [...] Durchdrungen von der Mission, die Autonomie der Gegenwartskunst zu retten, tritt der künstlerische Leiter in der Absicht an, dem zeitgenössischen Kunstaufkommen wieder mit ›Würde‹ und ›Respekt‹ zu begegnen.«141

Gattungstypologisch zeichnet sich diese Documenta durch die Dominanz der Malerei aus und beruft sich hiermit wiederum stark auf den oben skizzierten Kunstbegriff der frühen Documenta-Ausstellungen. Darüber hinaus entdeckt auch Kimpel im Hinblick auf die tendenziell konservative Präsentation der Exponate Parallelen zur ersten Documenta von 1955. Er zieht vor allem deswegen eine Verbindung zwischen den beiden Ausstellungen, weil beide nationale Ausdrucksvarianten in der Kunst thematisiert und zugleich die Kunst als globales künstlerisches Verständigungsmittel betont hätten.142 Die achte Kasseler Großausstellung (1987) unter der erneuten Leitung von Manfred Schneckenburger öffnete sich hingegen wieder stärker einer gesellschaftlich orientierten Kunstauffassung und nahm eher Abstand von den Prämissen eines DXWRQRPHQ.XQVWEHJULIIV$XFKKLHU¿QGHQVLFKIROJOLFK$QNQSIXQJVSXQNWH]XU 139 Vgl. hierzu auch im Buchteil III Bild- und Bildlichkeitskonzepte: Kapitel »Politiken der Repräsentation« – Enwezors kuratorischer Ansatz und die fotografischen Bildmedien. 140 Vgl. Kimpel 2002: Documenta. Die Überschau, S. 91 ff. 141 Kimpel 2002: Documenta. Die Überschau, S. 93. 142 Vgl. Kimpel 1997: Documenta. Mythos und Wirklichkeit, S. 360.

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I BILDGESCHICHTEN

Documenta 11, die nach den gesellschaftlichen, kulturellen und nicht zuletzt auch historischen Fundamenten eines zeitgenössischen Kunstbegriffs fragte. Kimpel fasst das achte Kasseler Konzept folgendermaßen zusammen: »Dokumentiert wird eine ästhetische Praxis, die sich im Kontext von Gesellschaft und Geschichte positioniert«143. Darüber hinaus verdeutlicht er, dass die Ausstellung von 1987 einen einschlägigen Gattungsdiskurs vermeidet: »Statt eine Strukturierung nach Gattungen vorzunehmen, verhandelt die documenta 8 gattungsübergreifende Phänomene; an Stelle der Vorführung neuer Medien thematisiert sie die Wechselbeziehungen zwischen den Medien: Kunst zwischen Autonomie und Anwendung«.144 Zwar ist die achte Documenta weniger an den neuen Medien interessiert, aber es lassen VLFKGXUFKDXV3DUDOOHOHQ]XUHOIWHQ'RFXPHQWDLP+LQEOLFNDXIGLH$XÀ|VXQJHLQHU 6WUXNWXULHUXQJQDFK*DWWXQJHQ¿QGHQ'DUEHUKLQDXVVWDQGDXFKGLH$XVVWHOOXQJ von 2002 im Spannungsfeld von ästhetischer Autonomie und gesellschaftlicher Eingebundenheit. So bezeichnet Kimpel Schneckenburgers Konzeption als »Gratwanderung zwischen autonomer und angewandter Produktion«145. Auch hier wird wiederum deutlich, dass der nicht zuletzt in den frühen Documenta-Ausstellungen YHUKDQGHOWH .XQVWEHJULII HLQH SUlJHQGH 5HLEXQJVÀlFKH IU GLH QDFKIROJHQGHQ Kasseler Kunstereignisse darstellte. Die neunte Documenta (1992) zeichnete sich hingegen dadurch aus, dass Jan Hoet als künstlerischer Leiter betont konzeptionslos auftrat: Auf einen systematisierenden oder thematischen Argumentationsrahmen wurde zugunsten einer assoziativen Exponatschau verzichtet. An kunsthistorischer Selbstvergewisserung festhaltend, zeigte der Ausstellungsmacher als historische Referenzpunkte längst kanonisierte Werke, so etwa von Paul Gauguin, Alberto Giacometti und Barnett Newman, die sich ganz eindeutig im westlichen Kunstkanon einordnen ließen und auch nicht kritischUHÀH[LY LQ GHQ $XVVWHOOXQJVSDUFRXUV HLQJHEXQGHQ ZXUGHQ 'LHVHU NRQ]HSWLRQHOOH Aspekt reichte sehr nah an den Kunstbegriff der ersten Documenta-Ausstellungen heran: Auch hier diente die Rekapitulation von Positionen der frühen Klassischen Moderne der linearen Darstellung einer autonomen Geschichte der Kunst, die unter anderem mit dem Abstrakten Expressionismus und dem Informel ihre Verlängerung nach 1945 fand. Mit der von Catherine David kuratierten Documenta 10 (1997) öffnete sich das Ausstellungskonzept einem stärker gesellschaftlich orientierten Rahmen, wie ihn beispielsweise auch die Documenta 5 im Blick hatte. Darüber hinaus überschritt diese Documenta – zumindest in ihrer theoretischen Aufarbeitung – mit 1DFKGUXFNGLH*UHQ]HQGHVZHVWOLFKHQ.XQVWV\VWHPVXQGIRUFLHUWHHLQH5HÀH[LRQ kultureller Entwicklungen zwischen 1945 und 1997. Dabei spielte die kritische Auseinandersetzung mit den kulturpolitischen Rahmenbedingungen des Kalten

143 Kimpel 2002: Documenta. Die Überschau, S. 106. 144 Kimpel 2002: Documenta. Die Überschau, S. 111. 145 Kimpel 2002: Documenta. Die Überschau, S. 111.

VIELSCHICHTIGE TRANSFORMATIONEN

Krieges eine tragende Rolle. Die Ausstellung öffnete sich – im Vergleich zu den vier vorangegangenen Documenta-Konzepten – einem vergleichsweise stark politisierten Diskurs: Durch den materialreichen Katalog, die öffentlichen Diskussionen XQGGLHEHJOHLWHQGHQ0DJD]LQHIRNXVVLHUWHVLHHLQHWKHRUHWLVFKH5HÀH[LRQLKUHU*Hgenstände und ihrer eigenen institutionellen Bedingungen. Gesellschaftliche Grundfragen der Gegenwart wurden in dieser »manifestation culturelle«, wie die künstlerische Leiterin das Großereignis betitelte, zum Thema gemacht. So etwa spielte die Aufarbeitung des Nazi-Regimes und die Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg innerhalb diverser kultureller Felder – so etwa im Theater, in Literatur, Philosophie und im Film – in ganz unterschiedlichen nationalen Kulturgeschichten eine tragende Rolle. Der Ausstellungskatalog fokussierte eine dezidiert internationale Perspektive auf politische Brennpunkte nach 1945146. Bemerkenswert an dieser Konzeption war, dass sie mit Nachdruck auch soziopolitische Fragen außerhalb Europas behandelte und damit – im Gegensatz zu den ersten Documenta-Ausstellungen – einer eurozentrischen Perspektive im Feld der Kunst entgegen arbeitete: So etwa thematisierte das Konzept den Prozess der Dekolonisierung unter anderem unter Bezugnahme auf Frantz Fanon147 und Edward Said148 und widmete sich neben der Nouvelle Vague etwa auch dem African/Black American Cinema149. Diese Ausstellung ebnete aufgrund ihrer thematischen und politischen Ausrichtung auch den Weg für die Konzeption der Documenta 11. Die Autonomie des in den ersten Kasseler Ausstellungen proklamierten Kunstbegriffs sowie dessen lineare Geschichtsschreibung innerhalb eines genuin europäischen Kulturkreises wurde in der von Catherine David federführend geleiteten Documenta brüchig. Zugleich stellte sich die Frage, wie ein Kunstbegriff unter den Vorzeichen der Globalisierung zu konzeptualisieren wäre, der zudem Positionen außerhalb der US-amerikanischen und europäischen Hemisphäre berücksichtigen konnte. Bezeichnend war an dieser zehnten Documenta der Umgang mit den traditionellen Gattungstypologien: Insbesondere die Malerei fand – ganz im Gegensatz zur elften Documenta – in diesem Konzept keinen Platz. War diese Gattung bei den ersten Documenta-Ausstellungen die prägende Instanz des dort proklaPLHUWHQ.XQVWEHJULIIVGDQQLVWLKUH$EZHVHQKHLWDOVHLQHNULWLVFKH5HÀH[LRQ jenes Diskurses zu verstehen, der seinen universalistischen Anspruch vor allem aus der europäischen Tradition des malerischen Tafelbildes ableitete.

146 Vgl. Ausst.Kat. (1997) Documenta X. Der Katalog stellt eine sehr heterogene Montage prägender Diskurse der Nachkriegszeit zusammen und richtet den Blick auf disparate politische Brennpunkte (am Beispiel der UdSSR/Russland, Japan, Cuba, Vietnam, Indien, Algerien, Budapest 1958, Mai 1968 etc.). Er entwirft ein Panorama von kulturkritischen Auseinandersetzungen linker Intellektueller nach 1945 mit internationaler Perspektive (beispielsweise Hannah Arendt, Theodor Adorno, Maurice Blanchot). Eine wichtige Rolle spielt auch die Geschichte der Dekolonisation. 147 Vgl. Fanon 1969: Die Verdammten dieser Erde. 148 Vgl. Said 1994: Kultur und Imperialismus. 149 Vgl. Ausst.Kat. (1997) Documenta X, insbesondere das Kapitel African/Black American Cinema (S. 448–458).

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I BILDGESCHICHTEN

Ausblick: Die Documenta 12 (2007)

Die von Haftmann und Bode verantworteten Ausstellungen gründeten offensichtlich auf unterschiedlichen Versatzstücken kunsthistorischer Paradigmen (Form, Genie, Originalität etc.) und einem monolinearen Geschichtsmodell, das allein die Abstraktion im Blick hatte. Rekapituliert man den oben entfalteten kursorischen Durchgang durch die Geschichte der Documenta, dann zeigt sich, dass die unterschiedlichen Ausstellungskonzeptionen auf je verschiedene Weise an die ein oder anderen Parameter dieses autonomen, aus dem Flächenbild hergeleiteten Kunstbegriffs anknüpfen, sich aber auch von diesem abgrenzen. Es ist bemerkenswert, dass insbesondere die zwölfWH$XÀDJHGHU'RFXPHQWDLP-DKUXQWHUGHU/HLWXQJYRQ5RJHU0%XHUJHOXQG Ruth Noack wieder dezidiert auf das Paradigma der Form zurückgriff und sich ganz explizit auf die erste Documenta von 1955 bezog150, ohne jedoch auf die oben entfalteten, durchaus problematischen Aspekte und hegemonialen Ansprüche des dort vermittelten Kunstbegriffs einzugehen. Die Documenta von 2007 koppelte sich relativ unbedarft an die formalistische Konzeption eines modernistischen Kunstbegriffs, ohne jedoch dessen durchaus kontrovers diskutierte Implikationen zu diskutieren. Bemerkenswerterweise ging Buergel in seinem paradigmatischen Text, innerhalb des Documenta-Magazins, das sich mit der »Modernität« als einem der drei Leitbegriffe der Ausstellung auseinandersetzte151, in keiner Weise auf die durchaus umstrittene Konzeption der ersten Documenta ein152. Ganz im Gegenteil: Buergel hob die Ausstellung von 1955 in ihrer Vorbildfunktion dezidiert hervor. Vor allem über eine UHÀHNWLHUWHXQGNULWLVFKH%H]XJQDKPHDXIGLH'RFXPHQWDYRQKlWWHPDQGDV Konzept der zwölften Documenta ausdifferenzieren können, um die in ihr ausgestellten Werke nicht unter einem naiven Formalismus verhandeln zu müssen. Buergel be]RJVLFKMHGRFKZHLWJHKHQGDI¿UPDWLYXQGXQJHEURFKHQDXIGDV.RQ]HSWGHUHUVWHQ Documenta153 und stellte zugleich den Anspruch, das Formvokabular außereuropäischer und nicht westlicher Kulturen in den Blick zu nehmen. Bei einem vorwiegend auf dem formanalytischen Vergleich aufbauenden Ausstellungskonzept lag jedoch der Schritt zur Fortschreibung eines modernistischen Kunstbegriffs und seiner hegemonialen, eurozentristischen Kunstgeschichte – trotz einer Öffnung für außereuropäische und nicht westliche Kunstpositionen – nahe. Insbesondere dann, wenn man das Konzept eines »Ursprungs« bemüht, das Buergel in seinem programmatischen Text für die erste Documenta in Anspruch nahm.154 In dieser ausdrücklichen Bezugnahme DXIHLQHQª8UVSUXQJ©LQQHUKDOEKLVWRULRJUD¿VFKHU2UGQXQJHQVRKDWWHEHUHLWV)RXcault deutlich gemacht, werden Diskurse tendenziell hegemonial und exklusiv, denn

150 Vgl. Buergel 2007: »Der Ursprung«. 151 Die drei Magazine waren mit jeweils einem der Leitbegriffe betitelt: Modernity (No. 1), Life (No. 2), Education (No. 3). 152 Vgl. etwa Grasskamps bereits erwähnte, kritische Auseinandersetzung mit der ersten Documenta in: Grasskamp 1989: Die unbewältigte Moderne. 153 Vgl. Buergel 2007: »Der Ursprung«. 154 Vgl. Buergel 2007: »Der Ursprung«.

VIELSCHICHTIGE TRANSFORMATIONEN

sie schließen heterogene Entwicklungsstränge und damit Anschlussmöglichkeiten für eine polylineare Geschichtsschreibung und ein differenziertes, vielschichtiges Verständnis der Kultur der Gegenwart aus.155 So betont Foucault in seiner kritischen Auseinandersetzung mit der Kategorie des Ursprungs, dass genau dieses historioJUD¿VFKH2UGQXQJVPRGHOOGHU.RQVWUXNWLRQYRQ.RKlUHQ]XQG+RPRJHQLWlWGLHQH zugleich aber den Widerstreit mächtiger Kräfteverhältnisse ausblende, um Machtverhältnisse zu stabilisieren156. Der historische Prozess jedoch zeichne sich in seinem faktischen Vollzug vor allem durch Heterogenität und Kontingenz aus, wobei die retrospektive Konstruktion eines homogenen Ursprungs in seinen Augen – und in Auseinandersetzung mit Nietzsche – auch immer eine Historie impliziere, die »die Vielfalt der Zeit in eine geschlossene Totalität einbringen und auf einen Nenner bringen will«157. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen kann man Buergels Berufung auf den »Ursprung 1955« zugleich als Totalitätskonstruktion lesen, die einen westlichen-eurozentristischen Kunstbegriff als deutungsmächtige, dispositive Struktur erneut auf den Plan ruft.

155 Vgl. Foucault 1974: »Nietzsche, die Genealogie, die Historie«. 156 Vgl. Foucault 1974: »Nietzsche, die Genealogie, die Historie«. 157 Foucault 1974: »Nietzsche, die Genealogie, die Historie«, S. 96.

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Epilog: zur Konstruktion von Kunstbegriff und Kunstgeschichte

FLÄCHENBILD – MATERIALITÄT – MEDIALITÄT

Kimpel konstatierte: Die Documenta nehme »seit den 50er Jahren eine maßgebende Position unter denjenigen Instanzen ein, die eine Manifestierung des Autonomiegedankens für die westliche Nachkriegskunst mit dem Ziel betreiben, künstlerische Praxis von jeder Art gesellschaftlicher Einmischung zu entbinden.«158 Wie durch die obige Analyse deutlich werden konnte, wurde dieser autonome Kunstbegriff vorwiegend aus den %LQQHQHUHLJQLVVHQGHUPDOHULVFKHQ%LOGÀlFKHDEJHOHLWHWGLHVLFKDXVGHU%HREDFKWXQJ der Formen konstituierten. Grasskamp hält 1982 im Hinblick auf die historische Dimension des Kunstbegriffs innerhalb der Kasseler Ausstellungen fest: »Die Documenta ist ein Modellfall für die Herstellung von Kunstgeschichte«159. Diese Geschichte unterstellte zumindest innerhalb der ersten drei Ausstellungskonzepte eine Formentwicklung mit autonomen Status. Aus den ersten Documenta-Ausstellungen ging ein Kunstbegriff hervor, der auf dem Flächenbild der Malerei, auf einer gerahmten, überschaubaren Totalität also, und den in ihr dargestellten Binnenereignissen gründete, bei dem zugleich Medialität (visuelle Erscheinung) und Materialität (der Bildträger) unabdingbar miteinander gekoppelt waren. Das malerische Tafelbild fungierte maßgeblich als die faktische, materielle Referenz für diesen allgemeinen Kunstbegriff.160 Diese Betrachtungsweise verstellte allerdings den Blick auf die Entwicklung der Massenmedien und damit zugleich auf die heterogene Entwicklung der Kunst, die zunehmend massenmediale Bildformen in ihre Praxis integrierte. Mit der verstärkten Medialisierung der Bild158 Kimpel 1997: Documenta. Mythos und Wirklichkeit, S. 139. 159 Grasskamp 1982: »Modell Documenta oder wie wird Kunstgeschichte gemacht?«, S. 17. 160 Damit schließen die ersten Documenta-Ausstellungen an einen Diskurs an, der die Geschichte der Kunst vorwiegend als eine Geschichte des Flächenbildes beschrieben hatte. Dieser Diskurs ist tief in der europäischen Ideengeschichte verankert, vgl. zu dessen fragmentarischer (Re)Konstruktion: Glaubitz/Schröter 2009: »Zur Diskursgeschichte des Flächen- und Raumbildes«.

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I BILDGESCHICHTEN

kulturen und auch der künstlerischen Praxis stand nicht erst in den 1950er Jahren, sondern mindestens seit den 1920er Jahren dieser Kunstbegriff, der auf einem Bildbegriff des malerischen Flächenbildes gründete, zur Diskussion. Dieser Aspekt wurde von den ersten drei Documenta-Ausstellungen weitgehend ausgeblendet.161 Der beschriebene mit den ersten drei Kasseler Kunstereignissen postulierte modernistische Kunstbegriff musste jedoch mit dem verstärkten Einzug massenmedialer Bildkulturen in die künstlerische Praxis – spätestens mit der fünften Documenta – einer Revision unterzogen werGHQ0LWGHUHUK|KWHQ3UlVHQ]IRWRJUD¿VFKHU%LOGHULP)HOGGHU.XQVWGLHQLFKWPHKU notwendigerweise auf der Kopplung von Materialität und Medialität basierten, stellt sich folglich die Frage nach einer alternativen Konzeptualisierung eines Kunstbegriffs und seiner Geschichte. Dieser Frage wird sich der zweite, vor allem aber auch der letzte Analyseteil dieses Buches widmen, denn auch das Ausstellungskonzept der elften DocuPHQWD]HLFKQHWHVLFKGXUFKHLQHDXIIlOOLJH3UlVHQ]DQIRWRJUD¿VFKHQ%LOGPHGLHQDXV

ZUM KONZEPT DES URSPRUNGS

Die Basis des beschriebenen modernistischen Kunstbegriffs bildete offensichtlich ein hermeneutischer Zugang zum Objekt: Die Auslegung und das Verstehen der Werke basierte auf einem interpretatorischen Akt, der von einem kohärenten Künstlersubjekt, einer einheitlichen Werkkategorie und einer daran gebundenen singulären Objekt161 Beispielsweise verdeutlicht die Ausstellung Film und Fotografie (1929) wie vielfältig der künstlerische Umgang mit den neuen Medien Film und Fotografie bereits in den 1920er Jahren war: vgl. hierzu Eskildsen/Horak 1979: Film und Foto der zwanziger Jahre; außerdem: Hoormann 2002: Lichtspiele. Zur Medienreflexion der Avantgarde in der Weimarer Republik. Darüber hinaus beschäftigte man sich auch um die Jahrhundertwende bereits mit der Fotografie als künstlerischem Ausdrucksmedium: vgl. Ausst. Kat. (2006) Impressionist Camera: Pictorial Photography. Zudem kann der Katalog zur fotografischen Sammlung des Museum Ludwig in Köln Aufschluss darüber geben, wie vielfältig man sich bereits in den 1950er und 1960er Jahren mit dem Medium Fotografie in der künstlerischen Praxis auseinandersetzte (vgl. Mißelbeck 1996: Photographie des 20. Jahrhunderts): Eugene Atget, Johannes Theodor Bargeld, Herbert Bayer, Brassaï, Madame D’Ora, Henri Cartier-Bresson, Gertrude Fehr, Robert Doisneau, Chargesheimer, Edward Weston, Dorothea Lange, Man Ray, Andy Warhol, Ed Ruscha, Weegee sind nur wenige der aufgeführten und bereits kanonisierten KünstlerInnen, die nicht zuletzt in den 1950er und 1960er Jahren künstlerisch fotografisch tätig waren. Der Kölner Katalog gibt insofern einen guten Einblick in die Desiderate der ersten drei Documenta-Ausstellungen. Zu einer Reflexion der frühen Documenta-Geschichte im Hinblick auf ihren »blinden Fleck« gegenüber den medialen künstlerischen Praxen der 1920er Jahre vgl. Hoffmann 2009: »Medium Kunstausstellung – Medium Bild«. Darüber hinaus blieben innerhalb der Konzeption der ersten drei Documenta-Ausstellungen auch künstlerische Arbeiten im Bereich des strukturalistischen Films der 1950er und 1960er Jahre unberücksichtigt, ebenso wie Filme der 1950er Jahre mit eher surrealistischer Verankerung, wie etwa von Maya Deren. Folgender Katalog gibt einen guten Einblick in experimentelle Filmpraxen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und untermauert noch einmal (gleichsam auf der anderen Seite der Folie) die exklusive Perspektive der frühen Documenta-Ausstellungen auf einen modernistischen Kunstbegriff: Ausst. Kat. (1977) Film als Film. Vgl. für die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Medium Film in den 1950er Jahren auch das Dissertationsprojekt von Stefanie Stallschus, die sich mit von Bildhauern und Malern produzierten Filmen beschäftigt (Stallschus 2009: Zwischen den Bildern).

EPILOG: ZUR KONSTRUKTION VON KUNSTBEGRIFF UND KUNSTGESCHICHTE

beschaffenheit ausgeht. Wo nicht zuletzt Haftmann, Barr und auch Greenberg den Künstler als genuinen Produzenten des künstlerischen Schöpfungsaktes begreifen, der als kohärentes, mithin autarkes Subjekt das Kunstwerk hervorbringt, stellt beispielsweise Rosalind Krauss – als eine der poststrukturalistisch orientierten US-amerikanischen Kunsthistorikerinnen und ehemalige »Greenberg-Schülerin« – eben genau diese Kategorien infrage: Mit ihrer Kritik an einem autonomen, essentialistisch ausgerichteten Kunstbegriff der Moderne stehen die darauf gegründeten Kategorien, wie etwa der Künstler als genuiner Autor, die einheitliche Werkkategorie und die Originalität des Schöpfungsaktes zur Disposition162. Nicht zuletzt die innerhalb der ersten drei Documenta-Ausstellungen etablierte Wissensordnung über einen zeitgenössischen Kunstbegriff steht den Überlegungen von Krauss diametral gegenüber: so hatte beispielsweise +DIWPDQQPLWVHLQHPKLVWRULRJUD¿VFKHQ.RQ]HSWGLH.DWHJRULHYRQ8UVSUXQJXQG2ULJLQDOLWlWPLWGHUª9DWHU¿JXU&p]DQQH©163 stilisiert, der als Exponent der Geschichtsentwicklung den Beginn der »neuen Epoche« markiert. Ganz ähnlich wie in den Ausführungen Boehms, aber auch Barrs begründet Cézanne in dieser Geschichtskonstruktion als historische Figur mittels seines Werkes den Ursprungsort der Kunst der Moderne und bildet eine historische Zäsur. Die ersten drei Documenta-Ausstellungen arbeiten mit einem Konzept von Autorschaft, das für die Kunst und ihre Geschichte deshalb so bedeutend war und ist – wie Herta Wolf in ihrer Auseinandersetzung mit Rosalind Krauss festhält – »weil es jedes Werk von anonymen Massenproduktionen bzw. kunsthandwerklichen Objekten zu unterscheiden erlaubt«164. Die Intransparenz der Quellen und Methoden innerhalb von Haftmanns Publikation, die als Grundlage der frühen Documenta-Ausstellungen gelten können, führte darüber hinaus dazu, dass die kunsthistorischen Ordnungsmodi essentialistischen Status erlangten, denn ihre vermeintliche Naturgegebenheit bedurfte keiner Legitimation. Genau diese Naturalisierung, die sich aus einem Ursprung und einer als organisch verstandenen Entwicklungslogik ableitet, bildet innerhalb der poststruktuUDOLVWLVFKHQ'HEDWWHHLQHQ$QODVVIU.ULWLN,P6LQQHHLQHU%HIUDJXQJKLVWRULRJUD¿scher Kohärenzen und eindeutiger Sinnsetzungen geht es der poststrukturalistischen Kritik darum, »die Vorstellung des Ursprungs selbst zur Disposition zu stellen«165. Wolf konstatiert: »[..] genau dies tut die poststrukturalistische Theorie, wenn sie das Konzept ›Ursprung‹ dadurch hinterfragt, daß sie einen verortbaren Anfang als einem LPPHU9RUJlQJLJHQYHUSÀLFKWHWDXVZHLVW©166 Die folgenden beiden Analyseteile werden sich damit beschäftigen, ob und wie die elfte Documenta diese historisch gewachsenen essentialistischen Wissensordnungen infrage stellte. 162 163 164 165

Vgl. Krauss 1985: Die Originalität der Avantgarde. Vgl. Haftmann 1962: Malerei im 20. Jahrhundert, Bd. 1, S. 45. Wolf 2000: »Vorwort«, S. 17. Wolf 2000: »Vorwort«, S. 17. Genau diese kritische Reflexion nimmt auch Foucault vor (vgl. Foucault 1974: »Nietzsche, die Genealogie, die Historie«). 166 Wolf 2000: »Vorwort«, S. 17.

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I BILDGESCHICHTEN

ZUR NATURALISIERUNG VON GESCHICHTE

Roland Barthes beschreibt in seinen Mythen des Alltags (1964) den Mythos als eine Bedeutungsstruktur, die geschichtliche Entwicklungen naturalisiert und damit die Bedingungen ihres Entstehens ihrer Erklärungsbedürftigkeit entzieht. Entwicklung ZLUGLP0\WKRVDOV]ZDQJVOlX¿JHU3UR]HVVYHUVWDQGHQGHUVLFKDQHLQHIRUWVFKULWWVRULHQWLHUWH NDXVDOH 2UGQXQJ ELQGHW GLH XQKLQWHUIUDJW EOHLEW 1DFK %DUWKHV ¿QGHW der Mythos Eingang in zahlreiche bürgerliche Erzählungen. Auch der als organisch beschriebene Kunstbegriff der Moderne kann als eine Form bürgerlicher Mythenproduktion verstanden werden, wenn man Barthes’ Erläuterungen folgt: »Der Mythos leugnet nicht die Dinge, seine Funktion besteht im Gegenteil darin, von ihnen zu sprechen. Er reinigt sie nur einfach, er macht sie unschuldig, er gründet sie als Natur und Ewigkeit, er gibt ihnen eine Klarheit, die nicht die der Erklärung ist, sondern die der Feststellung.«167 In der Naturalisierung von Geschichte – hier konkret: in der Darstellung der Geschichte der Kunst als organischem Wachstumsprozess – vollzieht sich eben JHQDX MHQH 0\WKL¿]LHUXQJ GLH %DUWKHV DOV EUJHUOLFKH ,GHRORJLH EHVFKUHLEW $Q diesen mythologisierenden Diskurs ist zugleich ein Akt der Essentialisierung geknüpft, der die Entstehensbedingungen und politischen Rahmenbedingungen der Erzählung nicht sichtbar werden lässt. Im Hinblick auf die Kasseler Kunstschau der ersten Jahre lässt sich beispielsweise festhalten, dass nahezu die gesamte politisch engagierte Kunst der Weimarer Republik unter dem genealogischen Entwicklungsmodell der Abstraktion ausgeklammert wurde. Diese historischen Aspekte gingen im Zuge der Frontstellung gegenüber dem Sozialistischen Realismus verloren und blendeten zugleich die künstlerische Auseinandersetzung mit beispielsweise den massenmedialen Bildkulturen aus. Der modernistische Kunstbegriff umging durch die Naturalisierung einer autonomen Formentwicklung, durch eine unhinterfragte Gattungsfokussierung ebenso wie durch eine essentialistische Ahnengenealogie künstlerischer Meisterschaft mögliche Kontroversen um die hier zugrunde gelegten kunsthistorischen Wissensordnungen. Differenzen wurden homogenisiert. Einem universalistischen Kunstbegriff wurde das Terrain geebnet. Bedingungslosigkeit war sein prägendes Merkmal, ganz wie in der mythischen Erzählung: »Indem er [der Mythos, K.H.] von der Geschichte zur Natur übergeht, bewerkstelligt der Mythos eine Einsparung. Er schafft die Komplexität der menschlichen Handlungen ab und leiht ihnen die Einfachheit der Essenzen, er unterdrückt jede Dialektik, jedes Vordringen über das unmittelbar Sichtbare hinaus, er organisiert eine Welt ohne Widersprüche, weil ohne Tiefe, eine in der Evidenz ausgebreitete Welt, er begründet eine glückliche Klarheit. Die Dinge machen den Eindruck, als bedeuteten sie von ganz allein«168 .

167 Barthes 1964: Mythen des Alltags, S. 131. 168 Barthes 1964: Mythen des Alltags, S. 131–132.

EPILOG: ZUR KONSTRUKTION VON KUNSTBEGRIFF UND KUNSTGESCHICHTE

Die Wissensordnungen der ersten Documenta-Ausstellungen stehen vor dem Hintergrund der hier skizzierten Kritik folglich zur Diskussion, da sie essentialistische Züge aufweisen. Im Folgenden soll es nicht darum gehen, zu einer normativen Bewertung der Ausstellungskonzepte aus Vergangenheit und Gegenwart zu kommen: Es geht vielmehr darum, anhand der Gegenüberstellung der in den Ausstellungen zugrunde gelegten Wissensordnungen, eine mögliche Transformation des Kunstbegriffs nachzuzeichnen. Die Documenta 11 nahm durch ihre Konzeption diverse $VSHNWHGHUSRVWVWUXNWXUDOLVWLVFKHQ.ULWLNDXIXQGUHÀHNWLHUWHPLWWHOVLKUHUV]HQRJUD¿VFKHQ2UGQXQJDEHUDXFKEHUGLH(LQ]HOZHUNHKLVWRULVFKHWDEOLHUWHV:LVVHQEHU Kunst und Bilder. Dieses hatte sich im Laufe der Documenta-Geschichte und nicht zuletzt innerhalb der Kasseler Kunstschau der ersten Jahre ausgebildet. Durch die vergleichende Betrachtung der Diskurse aus Vergangenheit und Gegenwart kann eine mögliche Veränderung, eine Verschiebung, eine Transformation der Wissensordnung beobachtet werden. Inwiefern die noch von Werner Haftmann und Arnold Bode inszenierte kunsthistorische Wissensordnung und der darauf gründende Kunstbegriff durch die von Okwui Enwezor geleitete elfte Documenta befragt, unterlaufen oder aber auch bestätigt wurde, ist Gegenstand der weiteren Untersuchung.

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II BILDANORDNUNGEN – DIE RÄUMLICHE STRUKTUR DES DISPOSITIVS

Die szenografische Ordnung und der Kanon »Inwieweit bedeutet ein Überdenken des Kanons nicht gleichzeitig auch, den Begriff der autonomen Kunst neu zu formulieren?« 1

Carlos Basualdo

»›Masterpieces‹ imply ›heroes‹ and I believe in neither.« 2

Joseph Kosuth

Standen im vorangegangenen, ersten Analyseteil die Geschichte der Documenta und insbesondere die ersten drei Documenta-Ausstellungen im Zentrum der Betrachtung – die historischen Linien des Dispositivs –, so bildet in diesem Teil der Analyse die V]HQRJUD¿VFKH 2UGQXQJ der Documenta 11 den Ausgangspunkt der Untersuchung: Hier spielt die aktuelle, räumliche Struktur des Dispositivs die zentrale Rolle. In diesem Buchteil geht es weniger um einzelne, ausführliche Werkanalysen, wenngleich die Untersuchung ohne die Beschreibung einzelner Exponate nicht auskommen wird, um die Bedeutungsstrukturen, die sich innerhalb der im Ausstellungsraum angeordneten Werke ergeben, erläutern zu können. Die folgende Analyse geht davon aus, dass sich innerhalb der V]HQRJUD¿VFKHQ2UGQXQJ, also sowohl in der Auswahl der Arbeiten und KünstlerInnen als auch in der räumlichen Anordnung, Wissensordnungen konstituieren. Die Analyse der Auswahl, aber auch der Anordnung der Werke im Ausstellungsraum lässt das Dispositiv Ausstellung in seiner Bedeutung stiftenden Funktion, in seinen Bezugnahmen und Abgrenzungen gegenüber der Geschichte der Documenta ebenso wie gegenüber kanonischen Wissensstrukturen sichtbar werden. Den folgenden Ausführungen sind einige Überlegungen zum Kanonbegriff vorangestellt. Daran anschließend geben einzelne empirische Auswertungen zur Künstlerauswahl der elften Documenta Aufschluss darüber,

1 Basualdo 2002: »Die Enzyklopädie von Babel«, S. 62. 2 Kosuth 1970: »Statement from Information«, S. 74.

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II BILDANORDNUNGEN

welche ausgestellten Positionen zum Kanon zu zählen und welche eher aus diesem ausgeschlossen sind. Diese empirischen Erhebungen liefern eine zentrale Grundlage, um die Anordnung der Werke im Ausstellungsraum darauf folgend zu erörtern.

ZUM BEGRIFF DES KANONS

Beschäftigte man sich innerhalb der Kunstgeschichte mit dem Kanon, dann bezog man sich fast ausschließlich auf den Bildhauer Polyklet und seine überlieferte idealtypische Auffassung von Bildhauerei. Sie wurde anhand einer Skulptur der Antike – auch als »Doryphoros« bekannt – vermittelt. Mit dem Begriff des Kanons befasste sich folglich innerhalb der kunsthistorischen Auseinandersetzung traditionell vorwiegend die Antiken- und Renaissanceforschung, die hauptsächlich auf positivistischen Studien von ELOGKDXHULVFKHQ$UWHIDNWHQJUQGHWH(LQHZHLWUHLFKHQGHUH5HÀH[LRQEHUGLHPHWKRdischen Grundlagen des Faches und die Kriterien zur Auswahl der Gegenstandsbereiche der Disziplin stellt im deutschsprachigen Diskurs jedoch noch eine recht große Forschungslücke dar.3 Lediglich einzelne Ansätze innerhalb der Kunstgeschichte, die sich mit Gendertheorien oder den sogenannten Postcolonial Studies beschäftigen, reÀHNWLHUHQYHUVWlUNWGLHVH$VSHNWHGHV)DFKHV4 Aktuell treiben vor allem eher die Literaturwissenschaften eine kanonkritische Auseinandersetzung voran, die eine SelbstUHÀH[LRQGHUIDFKGLV]LSOLQlUHQ.ULWHULHQ0HWKRGHQXQG*UHQ]HQXPIDVVW5 3 Dies bestätigt auch Jutta Held: »Zum Begriff der Kanons liegen in der Kunstwissenschaft bisher keine grundlegenden Studien vor.« (Held 2007: Grundzüge der Kunstwissenschaft, S. 243; vgl. auch das Kapitel Probleme und Wertung der Kanonbildung, in: ebd.: S. 241–249). Eine der wenigen mir bekannten Publikationen, die sich explizit mit dem Thema in kritischer Weise auseinandersetzt, ist eine Ausgabe des Kunstforums aus dem Jahr 2002. Hier wird 1. eine kritisch-historische Perspektive (unter anderem anhand von Vasari und des Genres der Kanonschrift) und 2. eine pragmatische Perspektive (anhand des Kunstmarkts und Ausstellungsbetriebs) auf Kanonisierungsprozesse gerichtet (vgl. Metzger 2002: »Titel-Dokumentation: Über das Kanonische«). Im angloamerikanischen Raum wurde diese Auseinandersetzung bereits stärker geführt: vgl. etwa Camille/Celik/Onians/Rifkin/ Steiner 1996: »A Range of Critical Perspectives: Rethinking the Canon«; Silvers 1998: »The Canon in Aesthetics«; Moxey 1998: »Politicising the Canon«. Der Deutsche Kunsthistorikertag beschäftigte sich im März 2009 in Marburg mit dem Schwerpunktthema Kanon, wozu aber bis dato keine Publikation vorliegt und auch m. W. nicht in Planung ist. Vgl. auch die Suchergebnisse bei www.artlibraries.net (zuletzt abgerufen am 20.01.2012) unter dem Stichwort »Kanon«. Hier zeigt sich, dass sich kaum eine Monografie innerhalb der deutschsprachigen Kunstgeschichte explizit mit dem Begriff und dem mit diesem Begriff implizierten Korpus an einschlägigen Werken und Methoden beschäftigt. 4 Vgl. beispielsweise Salomon 1993: »Der kunsthistorische Kanon«; Zimmermann 2006: »Einführung: Gender als Kategorie kunsthistorischer Forschung«; Schmidt-Linsenhoff 2002: Schwerpunkt: Postkolonialismus. Die zu gleichnamigen Symposion erschienene Publikation (Heydebrand 1998: Kanon Macht Kultur) enthält bei 37 Aufsätzen zwei Beiträge zu kunsthistorischen Themen: vgl. Roesler-Friedenthal 1998: »Das Portrait des Künstlers in den Kanonisierungsprozessen der Kunstgeschichte«; Vinken 1998: »Auf Leben und Tod«. 5 Vgl. Kaiser/Matuschek 2001: Begründungen und Funktionen des Kanons; Heydebrand 1998: Kanon Macht Kultur; Assmann 1987: Kanon und Zensur; vgl. auch die folgenden Buchbesprechungen zum Thema: Dücker 2000: »Besprechungen«.

DIE SZENOGRAFISCHE ORDNUNG UND DER KANON

Die kunsthistorische Auseinandersetzung verbindet mit dem Begriff des Kanons also vorwiegend einen skulpturalen Idealtypus innerhalb der antiken Bildhauerei.6 Berger beschäftigt sich in einem Katalogbeitrag der viel beachteten Ausstellung Polyklet. Der Bildhauer der griechischen Plastik7 ebenfalls mit dem Kanonbegriff im Hinblick auf die Antike. Er verdeutlicht, dass diese Bezeichnung in der antiken Literatur auf eine Schrift des Polyklet mit dem Titel Kanon zurückgeführt wird. Kanon bedeutet nach Berger und auch gemäß des Eintrages im Historischen Wörterbuch für Philosophie »Schilfrohr, Messstab« und im übertragenen Sinne »Richtlinie, Richtschnur«.8 Der Text von Berger macht deutlich, dass der Begriff des Kanons für eine idealtypische Lehre über bildhauerische Maßverhältnisse und Proportionsvorstellungen stand. Bühler beschreibt in seiner Auseinandersetzung mit Polyklet den antiken Kanonbegriff folgendermaßen: »Mit dem Namen ›Polyklet‹ ist aufgrund diverser antiker Überlieferungen die Aufstellung eines Bildhauerkanons (also der Aufbau einer Figur nach regelhaften, mathematisch fassbaren und reproduzierbaren Proportionsverhältnissen) sowie dessen Verwirklichung in einer ›Kanon‹ genannten Musterstatue verbunden.«9 Von Steuben konstatiert in einem weiteren Katalogbeitrag zu Polyklets Statue des Doryphoros: »Ein Zitat aus dem Kanon besagt, dass das Schöne, Gute, Richtige [...] aus vielen Zahlen bestehe [...]. Der Kanon war also eine auf Maßen und Maßverhältnissen beruhende Proportionslehre«10, die – wie er festhält – dann anhand HLQ]HOQHU 6WDWXHQ IDNWLVFK H[HPSOL¿]LHUW ZXUGH .DQRQLVFKH 6WUXNWXUHQ GDV ZLUG hier deutlich, bildeten sich folglich über den materiellen, faktischen Nachvollzug regelhafter Maßgaben und den in der Geschichte folgenden Varianzen eines als Ideal anerkannten Vorbilds aus. Das Vorbild ist dadurch gekennzeichnet, dass es im Laufe der Geschichte immer wieder als maßgebliche, als »klassisch« geltende Referenz rekapituliert, damit anerkannt und stabilisiert wurde.11 6

Vgl. hierzu beispielsweise Bühler 2002: Kontrapost und Kanon; Schmidt 1988: Kanon; Ausst.Kat. (1990) Polyklet. Der Bildhauer der griechischen Plastik, siehe darin auch die Beiträge von: Philipp 1990: »Zu Polyklets Schrift Kanon«; Berger 1990: »Zum Kanon des Polyklet; Steuben 1990: »Der Doryphoros«. 7 Vgl. auch Ausst.Kat. (1990) Polyklet. Der Bildhauer der griechischen Plastik. Zu den ersten Vorarbeiten zur Polyklet-Ausstellung, die das Liebighaus in Frankfurt 1990/91 veranstaltete, gehörten außerdem die umfangreichen Replikenverzeichnisse zu Werken Polyklets, die Kreikenbom im Vorfeld zusammenstellte (vgl. Kreikenbom 1990: Bildwerke des Polyklet). Sie zeigen am Beispiel von Diskophoros, Hermes, Doryphoros, Herakles, Diadumenos, welche kanonische Bedeutung Polyklet für nachfolgende Bildhauer hatte. 8 Vgl. Berger 1990: »Zum Kanon des Polyklet«, S. 156; zum Begriff des Kanons vgl. Ritter (1971– 2007): Historisches Wörterbuch der Philosophie, S. 13441–13453. 9 Bühler 2002: Kontrapost und Kanon, S. 418. 10 Steuben 1990: »Der Doryphoros«, S. 185. 11 Dieses Motiv des klassischen Ideals findet sich vielfach auch in der frühen kunsthistorischen Forschung wieder, so etwa auch in Winckelmanns Darlegungen zur Laokoon-Gruppe. Denn Winckelmann analysiert diese nach seinem idealtypischen, an der Antike ausgerichteten Kunstbegriff von »edler Einfalt und stiller Größe« (vgl. Winckelmann 1756: Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst, S. 21–22). Auch die Lehre der

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II BILDANORDNUNGEN

In dem für diese Untersuchung anvisierten Kanonbegriff – der zunächst einen Korpus an allgemein anerkannten, kulturell hoch relevanten Werken bezeichnet – schreibt sich folglich ein abendländisch-europäischer Bedeutungsgehalt fort, der in der AnWLNHHLQHQKLVWRULVFKHQ$XVJDQJVSXQNW¿QGHW(LQLGHDOW\SLVFKHU.DQRQEHJULIIZLUG jedoch innerhalb der elften Documenta kritisch zur Debatte gestellt, denn sie rekapituliert kanonische Kunstpositionen nicht lediglich als Ideal. Im Gegenteil: Sie verVXFKWGLHVHNULWLVFK]XUHÀHNWLHUHQLQGHPVLHGLH9RUUDXVVHW]XQJHQGLH(QWVWHKXQJVbedingungen dieser Wissensordnung befragt. Zwar bezieht sich die Documenta 11 nicht explizit auf die Antike und ihre Funktion im Rahmen einer abendländisch-europäisch orientierten Kunstgeschichte. In ihrer kritischen Positionierung gegenüber eurozentristischen Kunstgeschichtsmodellen steht jedoch diese Bezugsgröße – zunächst die Antike und nachfolgend auch die Kunst der Renaissance als idealtypischer Ursprungsort einer Geschichte der Kunst – im Hintergrund der Auseinandersetzung. Auf diesen historischen Bezugsgrößen gründete das Fach eine vorwiegend in Europa fundierte Kunstgeschichte, die weitgehend exklusiven Charakter hatte und bis ins 20. Jahrhundert in dieser Exklusivität fortgeschrieben wurde. So monierte auch Boehm in einem seiner Texte, in dem er kunsthistorische Publikationen zwischen 1900 und 1933 untersuchte, dass die Tendenzen der Kunstgeschichte dieser Zeit vorwiegend darauf abgezielt hätten, die letztlich an einem klassischen Kunstverständnis entwickelten Prämissen bis in die Gegenwart fortzusetzen.12 Die Documenta 11 steht zwar nicht unmittelbar und explizit mit einem klassischen Kunstverständnis in Verhandlung, befragt aber einen eurozentristischen Kunstbegriff, der seine Wurzeln vor DOOHPDXFKLQGLHVHQKLVWRULVFKHQ5HIHUHQ]SXQNWHQ¿QGHW'LHVZLUGXQWHUDQGHUHPLQ den einzelnen Werkanalysen deutlich. Beispielsweise provoziert die in diesem Buch ausführlich behandelte Fotoinstallation zu Rodins Plastik Die Bürger von Calais von &DQGLGD +|IHU GLH 5HÀH[LRQ HLQHV NODVVLVFKHQ 6NXOSWXUHQLGHDOV GHP QRFK$GROI YRQ+LOGHEUDQGYHUSÀLFKWHWZDU13. Da das Werk des französischen Bildhauers nicht in GHQNODVVLVFKJHSUlJWHQ.XQVWEHJULIIGHVJHQDQQWHQ.XQVWKLVWRULNHUVSDVVWH¿HOHV bei ihm durch das kanonische Deutungsraster hindurch. Kanonkritik bedeutet folgOLFKLP6LQQHGHU'RFXPHQWDDXFKGLHNULWLVFKH5HÀH[LRQHLQHVHXUR]HQWULVWLVFKHQ Konzeptes von Kunst und dessen Wissensordnungen. Materialkanon, Deutungskanon und Identitätsstiftung

Auch das Symposium unter dem Titel Kanon Macht Kultur14 bilanzierte, dass ein Kanon – immer noch dem antiken Verständnis entsprechend – eine Regel, einen Maßstab etabliert, der sich sowohl materiell, in Form von Texten, aber auch durch französischen Kunstakademie richtete sich vor allem im 18. Jahrhundert nach jenen klassischen Vorbildern (vgl. hierzu Dresdner 1915: Die Entstehung der Kunstkritik im Zusammenhang der Geschichte des europäischen Kunstlebens). 12 Vgl. Boehm 1985: »Die Krise der Repräsentation«, S. 124. 13 Vgl. im Buchteil III Bild- und Bildlichkeitskonzepte: Kapitel Candida Höfer: Die Bürger von Calais (2000/2001) , darin das Kapitel Historische Diskursfelder um 1900. 14 Vgl. Heydebrand 1998: Kanon Macht Kultur.

DIE SZENOGRAFISCHE ORDNUNG UND DER KANON

HLQHQVSH]L¿VFKHQ.RUSXVDQ,QWHUSUHWDWLRQHQXQG%HGHXWXQJV]XVFKUHLEXQJHQDXVzeichnet. Heydebrand erweitert jedoch den Kanonbegriff, indem sie eine Unterscheidung vornimmt: Sie differenziert – hier für den Bereich Literatur – zwischen einem »materialen Kanon« und einem »Deutungskanon«.15 Übertragen auf den Bereich der Kunst, wäre der materiale Kanon als ein Korpus von konkreten, fassbaren Artefakten – folglich Kunstobjekten, oder zumindest sinnlich erfahrbaren Werken (Realien) – zu begreifen. Der Deutungskanon hingegen würde dann die Kriterien und Methoden EH]HLFKQHQDXIJUXQGGHUHUHLQNDQRQLVLHUWHV9HUVWlQGQLVYRQVSH]L¿VFKHQ:HUNHQ entsteht. Diese Deutungspraxen lassen sich, so Heydebrand, etwa in Anthologien, Lexika und Rezeptionsgeschichten nachvollziehen. Auf die Kunst bezogen, erscheint es sinnvoll, auch Ausstellungen und publizierte Kunstgeschichten zu berücksichtigen, wie bereits im ersten Analyseteil dieses Buches anschaulich wurde. Heydebrand hält fest, dass man innerhalb des Materialkanons auch eine Binnendifferenzierung vornehmen kann, die zugleich auch den Deutungskanon verändert. Beispielsweise kann sich ein Kanon auf unterschiedliche Gattungen beziehen, so etwa im Bereich der Kunst auf die Gattungen der Malerei oder Skulptur, wie am Beispiel der ersten Documenta-Ausstellungen deutlich wurde. Mit einer veränderten Binnendifferenzierung –beispielsweise durch die Heterogenisierung der Gattungen oder durch die ]XQHKPHQGH ,QWHJUDWLRQ YRQ IRWRJUD¿VFKHQ %LOGPHGLHQ LQ GLH .XQVW ± YHUVFKLHEW sich folglich auch die Deutung der Objekte. Der materiale Kanon kann aber auch ganz anders binnendifferenziert werden, etwa durch die Gliederung der Werke nach Stilen, Epochen, Sprachen, ethnischen Zugehörigkeiten oder nach sozialen Milieus.16 Simone Winko hat darüber hinaus betont, dass ein Kanon nicht aufgrund von transhistorischen Qualitäten entstehe, die sich durchsetzen.17 Ein Kanon, so hält die Autorin fest, ist vielmehr »das historisch und kulturell variable Ergebnis komplizierter Selektions- und Deutungsprozesse. [...] Kanones erfüllen verschiedene Funktionen für ihre Trägergruppe: Sie stiften Identitäten, indem sie für die Gruppe konstitutive Normen und Werte repräsentieren; sie legitimieren die Gruppe und grenzen sie gegen andere ab; sie geben Handlungsorientierungen, indem sie ästhetische und moralische Normen wie auch Verhaltensregeln kodieren; sie sichern Kommunikation über gemeinsame Gegenstände. Je homogener eine Gesellschaft ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass es einen Kanon oder wenige Kanones gibt.«18

Die Autorin unterstreicht für den Korpus eines Kanons, dass dieser – als Materialsammlung – in der Regel von anderen Objekten abgrenzt wird, um dadurch ein identi¿NDWRULVFKHV0RPHQWIUGLH7UlJHUJUXSSH]XELHWHQhEHUWUlJWPDQGLHVHhEHUOHgungen auf den Kunstbetrieb, dann könnte man die Trägergruppe eines Kanons als 15 16 17 18

Vgl. Heydebrand 1998: »Kanon Macht Kultur. Versuch einer Zusammenfassung«. Vgl. auch Heydebrand 1998: »Kanon Macht Kultur. Versuch einer Zusammenfassung«, S. 613. Vgl. Winko 2001: »Kanon«, S. 300. Winko 2001: »Kanon«, S. 300.

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II BILDANORDNUNGEN

einen Kreis aus KuratorInnen, KunsthistorikerInnen, KünstlerInnen, AusstellungsbesucherInnen, KulturpolitikerInnen, VertreterInnen des Kunstmarkts und Sponsoren, etwa Galeristen und Unternehmen, beschreiben. Zusammen bilden sie eine kulturelle Deutungsgemeinschaft. Diese bringt über ihre diskursiven Praxen kanonische Ordnungen hervor, aus denen sich beispielsweise ein Kunstbegriff ableiten lässt. Es ist jedoch festzuhalten, dass eine Trägergruppe sich nicht notwendigerweise homoJHQDXIHLQHQVSH]L¿VFKHQ'HXWXQJVNDQRQEHUXIW'HQQRFKDEHUEDVLHUWGHU±ZHQQJOHLFKDXFKKlX¿JNRQWURYHUVJHIKUWH'LVNXUVGHU7UlJHUJUXSSH±DXIHLQHPUHODWLY verbindlichen materiellen Korpus, der den Anlass für die Auseinandersetzung liefert. Die Beschäftigung mit dem Materialkanon kann folglich auch unterschiedliche Deutungskanones hervorbringen.19 Sowohl der Materialkanon als auch der Deutungskanon stellen letztlich jedoch keine statische Größe dar. Sie können als historische Variable verstanden werden. Denn Wissensordnungen, und damit auch kanonische Ordnungen, sind keine transhistorisch stabilen Gebilde. Im Laufe des historischen Prozesses verändern sie sich. Eine Transformation des Kanons bedeutet folglich immer auch eine Veränderung von Wissensordnungen. Kernkanon und Kanonveränderung

Heydebrand thematisiert in ihrer Zusammenfassung zum Symposion Kanon Macht Kultur die temporale Reichweite eines Kanons. Sie unterscheidet einen zeitresistenten Kanon, den »Kernkanon«, von einem akuten, eher zeitgebundenen Kanon und geht von einer relativen transhistorischen Qualität des Kernkanons aus.20 Dieser ist zwar nicht statisch und ewig stabil, aber doch gegenüber Veränderungen relativ resisWHQW+H\GHEUDQGV'H¿QLWLRQGHV.HUQNDQRQVEH]LHKWVLFKDXIHLQHQEHU-DKUKXQderte gültigen Bestand von Werken. Sie bemerkt am Ende ihrer Auseinandersetzung, dass – selbst wenn ein Kernkanon über Jahrhunderte hinweg die gleichen Autorennamen enthalte – starke Veränderungen in Aufbau, Bedeutung und Funktion innerhalb kanonischer Strukturen möglich seien.21 Statt des Begriffs »Kernkanon« wird auf dem Symposion auch der Begriff »absoluter«, »Spitzen-« oder »Musterkanon« geprägt22. Heydebrand fast ihn folgendermaßen zusammen:

19 Vgl. etwa den »Laokoon-Streit« oder auch den »Dresdner Holbeinstreit«, den unter anderem Kultermann thematisiert (vgl. Kultermann 1966: Geschichte der Kunstgeschichte, vor allem Kapitel IV und XIII). Mithin vertreten die einzelnen Rezipienten unterschiedliche Auffassungen gegenüber dem Werk, das Werk aber bleibt als materialer Kanon des Diskurses erhalten, lediglich der Deutungskanon variiert. An Kultermanns Darstellung zum »Holbeinstreit« wird deutlich, wie eng Ausstellungspraxis, museale Kultur und Kunstgeschichte miteinander verschränkt sind. Diese prominente Auseinandersetzung zeigt eindrucksvoll, wie stark der universitäre, fachwissenschaftliche Diskurs und die museale Praxis des Ausstellens sich gegenseitig bedingen, aufeinander bezogen und an der Produktion von kanonischen Ordnungen beteiligt sind. 20 Vgl. Heydebrand 1998: »Kanon Macht Kultur. Versuch einer Zusammenfassung«, S. 614. 21 Vgl. Heydebrand 1998: »Kanon Macht Kultur. Versuch einer Zusammenfassung«, S. 616. 22 Vgl. die entsprechenden Texte von Aleida Assmann, die sich auch auf Harold Bloom bezieht, von Benno Wagner und Jürgen Link in: Heydebrand 1998: Kanon Macht Kultur.

DIE SZENOGRAFISCHE ORDNUNG UND DER KANON

»Er umfasst weltliterarisch unangefochtene Werke/Autoren. Auch diese bilden keine feste, unwandelbare Konstellation, sind aber unter künstlerischen und akademischen Kennern unstrittig. Dieser Kanon ist relativ stabil; seine Zeitresistenz scheint auf intraästhetischen Qualitäten zu beruhen, die ihn für künstlerische wie nichtkünstlerische Diskurse in verschiedenen Zeiten anschlußfähig machen. [...] er beruht weitgehend auf Konsens.« 23

Wie diese intraästhetischen Werte zu beschreiben sind, bleibt allerdings noch zu diskutieren. In jedem Fall aber zeichnet sich ein Kernkanon durch eine hohe Stabilität aus, die seinen relativ unangefochtenen Bestand sichert. Ähnlich wie Simone Winko betont auch Dücker die Transformationsprozesse, denen kanonische Ordnungen unterliegen, wenn sie konstatiert: »Angesichts der prinzipiellen Offenheit des ästhetischen Kanons sind Positionsveränderungen [...] ganzer Materialfelder und Traditionen [...] aufgrund veränderter Deutungsverhalten GDXHUQGP|JOLFKVRGD‰YRQVWlQGLJHU¾1HXNRQ¿JXUDWLRQ½GHV.DQRQVDXV]XJHKHQ ist. Kanonveränderung bedeutet Weltveränderung.«24 Dücker hält weiterhin fest, dass es für den Menschen als Mitglied einer kulturellen Deutungsgemeinschaft unvermeidlich sei, »auf der Basis vorgefundener Überlieferungen Erfahrungen zu machen, Wirklichkeit durch ästhetisch organisierte Auslegungsangebote zu konstruieren, Wissen zu produzieren und diesen zeitgebundenen Orientierungsbestand für Erfahrungen und die Wissenssuche künftiger Kommunikationsgemeinschaften verfügbar zu halten, um die Kontinuität des eigenen Kollektivs zu sichern.«25 Die Rekapitulation des Wissens ist nach den oben dargelegten Ausführungen offensichtlich konstitutiv für die Kanonbildung, und nach Winko also auch konstitutiv für die Identitätsstiftung einer kulturellen Gemeinschaft. Es lässt sich folglich festhalten, dass der Kanon innerhalb kultureller Praxen durch den Rückgriff auf historische Wissensbestände ausgebildet wird, die laut der zitierten Forscherinnen, relativ variabel sein können, aber zumindest immer auch auf einem konsistenten Teilbestand, der über längere Zeit stabil bleibt, basieren. Ein Kanon entsteht dementsprechend nicht ad hoc, sondern ist Resultat historischer Überlieferungsprozesse. Die diskursive Wiederholung des Wissens ist dabei die Grundlage, um einen Kanon verfügbar zu halten. Durch Wiederholung bilden sich Aussagemuster, welche die Basis für eine identitätsstiftende Kanonbildung darstellen. Diese Überlegungen zum Kanon können an Foucaults Auseinandersetzung in seiner Archäologie des Wissens anschließen, denn in der Wiederholung, so konstatiert der französische Philosoph, bilden sich wirkmächtige Wissensordnungen aus, die prägend auf eine Kultur wirken.26

23 24 25 26

Vgl. Heydebrand 1998: »Kanon Macht Kultur. Versuch einer Zusammenfassung«, S. 615. Dücker 2000: »Besprechungen«, S. 145. Dücker 2000: »Besprechungen«, S. 143. Vgl. im Buchteil Ausstellungen – ein interdisziplinäres Forschnungsfeld: Kapitel Ausstellungen als Ordnungen des Wissens und darin die Ausführungen zu Foucault.

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Nicht allein die ersten Documenta-Ausstellungen zeichnen sich durch den Rückgriff auf historische Positionen aus27. Auch an der Documenta 11 wird nachvollziehbar, dass sie historische Wissensbestände erneut verfügbar macht und dadurch stabiliVLHUW6LHVWHKWGXUFKGLHDXVJHVWHOOWHQ:HUNHVHOEVWDEHUDXFKGXUFKGLHVSH]L¿VFK getroffene Auswahl der Arbeiten mit der Historie und bereits kanonisierten Wissensbeständen in Verhandlung. Wie bereits an der Documenta von 1955, 1959 und 1964 deutlich wurde, können Ausstellungen historisches Wissen aktualisieren, indem sie bereits bekannte und zum Teil etablierte Kunstpositionen – und Deutungsmuster – in den Ausstellungsparcours integrieren. Andererseits können sie aber auch an der Veränderung und Umdeutung kanonischer Strukturen arbeiten, die Veränderungen des Kunstbegriffs nach sich ziehen. 'LHIROJHQGH$QDO\VHZLGPHWVLFKGHUV]HQRJUD¿VFKHQ2UGQXQJ=XQlFKVWZHUden einige empirische Auswertungen vorangestellt, die beleuchten, welche Werke und KünstlerInnen der Documenta 11 zum Kanon zu zählen sind. Diese empirische Grundlage dient dazu, die dann folgende Analyse der Ausstellungsinszenierung in ihrer Bedeutung tragenden Struktur erläutern zu können. Einerseits wird es darum gehen, exemplarisch Bezugssysteme zwischen den eher weniger kanonischen und den bereits kanonisierten und damit auch historischen Positionen des Ausstellungsparcours zu erörtern. Andererseits werden die prominent ausgestellten historischen 27 Dabei umfasst hier der Begriff Position sowohl den Künstler/die Künstlerin selbst als auch sein/ ihr Werk. Insofern gilt im Rahmen dieser Arbeit auch ein historisch bereits etablierter Künstler mit einem aktuellen Werk innerhalb einer Ausstellung als historische Position. Die Bezeichnung »Position«, oder auch lediglich der Name des Künstlers, steht dann für eine spezifische künstlerische Praxis und einen Werkkomplex, der sich durch eine bereits diachron etablierte charakteristische Aussage bzw. Ausdrucksform auszeichnet. So bezeichne ich etwa im Hinblick auf die szenografische Ordnung der Documenta 11 Joan Jonas, trotzdem sie eine aktuell produzierte Videoinstallation von 2002 zeigte, als »historische Position« ebenso wie beispielsweise Hanne Darboven. Auch sie zeigte auf der Documenta 11 kein bekanntes historisches Werk, aber ihre ausgestellte Arbeit knüpfte sehr direkt an ihre bereits renommierte konzeptuelle Kunstpraxis an, die ihre Position charakterisiert. Es wäre sicherlich lohnend, innerhalb des kunstwissenschaftlichen Diskurses den Begriffen Werk, Arbeit und Position noch einmal im Hinblick auf ihre je spezifischen Semantiken nachzugehen und ihre Bedeutung in Verbindung mit ihren jeweiligen geistesgeschichtlichen Kontexten zu analysieren. Impliziert doch der Begriff Werk noch eher einen kohärenten Werkzusammenhang, eine sinnstiftende Einheit, die relativ losgelöst von einem Kontext existiert und auf innerästhetische Qualitäten zurückgeführt wird. Wohingegen der Begriff der Position eher das relationale Verhältnis zu anderen Positionen und damit auch das Verhältnis des Gegenstands zu seinem Kontext betont. Der Begriff der Position führt damit eine Relativität ein, den der Begriff Werk aufgrund seines implizierten Originalitätsstatus und einer damit verbundenen, unhintergehbaren Totalität eher suspendiert. Hier vermittelt sich einerseits eine identitätslogische, eher hermeneutische, andererseits eine differenzlogische, eher poststrukturalistisch Auffassung von Kunst. Demgegenüber rückt der Begriff der Arbeit stärker die tatsächliche künstlerische Praxis als Leistung (im Rahmen einer ökonomischen Ordnung oder auch körperlichen, geistigen Leistung) in den Mittelpunkt. Der Begriff Werk ist hingegen noch viel stärker mit der Vorstellung eines Künstlergenius assoziiert, der eher weniger aufgrund seiner eigenen Anstrengung, sondern vielmehr wegen seiner ihm gegebenen Einbildungskraft das Werk erschafft (vgl. zu letzterem Aspekt auch den ersten Analyseteil dieses Buches I Bildgeschichten: Kapitel Zum Kunstbegriff der ersten Documenta-Ausstellungen (1955, 1959, 1964).

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Konzeptkunstpositionen, die durch die Arbeiten von Bernd und Hilla Becher, On Kawara und Hanne Darboven repräsentiert wurden, in ihrer Funktion innerhalb der V]HQRJUD¿VFKHQ 2UGQXQJ DQDO\VLHUW 'LH IROJHQGH 8QWHUVXFKXQJ EHVFKlIWLJW VLFK damit, inwiefern die elfte Documenta mittels ihrer Werkauswahl und Anordnung eine Verschiebung und Umdeutung kanonischer Strukturen realisierte. Fasst man den Kanon als Wissensordnung auf, dann kann man davon ausgehen, dass mit der Veränderung kanonischen Wissens auch eine Veränderung der Wissensordnungen, über das, was unter »Kunst« zu verstehen ist, einhergeht.

WER ZÄHLT ZUM KANON? – EMPIRISCHE BEFUNDE ZUR DOCUMENTA 11 Zum Kanonisierungsprozess im westlichen Kunstbetrieb

In diesem Kapitel geht es zunächst einmal darum, die ausgestellten Künstlerinnen und Künstler der elften Documenta in ihrem kanonischen Status einordnen zu können. Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen bin ich davon ausgegangen, dass für eine hohe Integration in den westlichen Kunstkanon folgende Aspekte maßgeblich sein dürften: einerseits eine ausgeprägte Beteiligung an internationalen Großausstellungen und andererseits ein breites Spektrum an Publikationen zum Werk, so HWZD$XVVWHOOXQJVNDWDORJHXQGPRQRJUD¿VFKH9HU|IIHQWOLFKXQJHQ]XGHQMHZHLOLJHQ KünstlerInnen. Darüber hinaus wurden vorwiegend die Künstler und Künstlerinnen mit den Geburtsjahrgängen zwischen 1910 und 1960 berücksichtigt (vgl. Tabelle 1), da diese im Jahr 2002, im Jahr der elften Documenta also, mindestens 40 Jahre alt gewesen sind. Geht man davon aus, dass der Kanonisierungsprozess einer künstlerischen Position im Normalfall etwa ab dem 30. Lebensjahr beginnt, dann kann man mit der zeitlichen Zäsur des 40. Lebensjahres auf eine mögliche erste Etablierungsphase im Kunstbetrieb von zehn Jahren zurückblicken. Zwischen dem 30. und mindestens 40. Lebensjahr sollte folglich die Beteiligung an internationalen, wichtigen Ausstellungen und eine recht starke Rezeption in Kunstpublikationen nachweisbar sein, denn – wie Heydebrand und Winko beschrieben haben28 – bilden sich durch die Wiederholung und Rekapitulation von Wissen kanonische Strukturen aus. Dieser zeitlichen Zäsur von 40 Jahren liegt außerdem die Annahme zugrunde, dass ± ]XPLQGHVW LP +LQEOLFN DXI GLH .QVWOHUELRJUD¿HQ GHU 'RFXPHQWD ± PLW GHP 30. Lebensjahr im Normalfall29 eine Ausbildung an der Kunstakademie abgeschlossen gewesen sein dürfte. Gegebenenfalls konnten einzelne Personen sogar bereits auf eine, wenngleich recht kurze, aber eigenständige, künstlerische Praxis jenseits der akademischen Institutionen zurückblicken. Zwischen etwa dem 40. und 50. Lebensjahr sollte dann eine kontinuierliche Präsenz in wichtigen Ausstellungen und Publikationen nachzuvollziehen sein, so dass man von einer stabilen Position innerhalb des westlichen Kunstkanons sprechen kann, die hier als gesättigte Kanonisierung 28 Vgl. in diesem Buchteil das einführende Kapitel Zum Begriff des Kanons. 29 Vgl. zur Produktion des Normalfalls: Link 1999: Versuch über den Normalismus.

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bezeichnet werden soll.30 Eine gesättigte Kanonisierung meint folglich eine wiederholte Rezeption der Kunstposition in internationalen Ausstellungen sowie eine hohe Präsenz in den Diskursen des westlichen Kunstbetriebs. Dies schließt – neben den Ausstellungsaktivitäten – auch die Präsenz in Forschung und Lehre der Universitäten und anderer Bildungsinstitutionen ein. Eine kanonisch gesättigte Position zeichnet sich außerdem sowohl durch die Präsenz in Lexika oder kanonisierenden SammelElQGHQDOVDXFKGXUFKHLQH3XEOLNDWLRQVODJHDXVGLHPRQRJUD¿VFKH9HU|IIHQWOLFKXQgen, eventuell auch Herausgeberschriften der KünstlerInnen selbst umfasst. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass eine gesättigte kanonische Position auch in bekannten Kunstsammlungen und wichtigen Museen, also staatlich oder privat geförderten Ausstellungsinstitutionen, vertreten ist. Die Tabellenstruktur und ihre Auswertung

Die Grundlage für die Einschätzung zum Status der jeweiligen Künstlerposition im Kanon bildeten Recherchen unter den oben angeführten Kriterien (Ausstellungsbeteiligungen, Publikationslage, Präsenz in einschlägigen Sammlungen), aber auch der Rückgriff auf ein relativ allgemeinverbindliches Fachwissen zu den Personen, die nach 1945 innerhalb des internationalen Kunstbetriebs eine tragende Rolle spielten. Dieses Fachwissen wird sowohl in kunsthistorischen Publikationen als auch in Seminaren an Hochschulen und auf Tagungen vermittelt. Die ergänzenden Informationen zu Tabelle 1 im Anhang dieses Buches liefern Hinweise, auf welcher Grundlage die Einordnung in den Kanon vorgenommen wurde. Insbesondere wurde bei den Teilnahmen an internationalen Großausstellungen die Documenta, aber auch die Biennale in Venedig berücksichtigt, ferner die Biennalen von São Paulo in Brasilien, von Johannesburg in Südafrika und von Istanbul in der Türkei. Hatte ein Künstler oder eine Künstlerin bereits in den Jahren zwischen 1950 und 1990 an einer Documenta oder der Biennale in Venedig teilgenommen, so wurde dies als Kriterium für eine relativ stabile Position im Kanon gewertet. Denn die wiederholte Präsentation auf der Documenta 11 im Jahr 2002 spricht dafür, dass diese jeweiligen KünstlerInnen sich über einen mindestens 10-jährigen Zeitraum im Kunstbetrieb behauptet haben und durch ihren langjährigen Bekanntheitsgrad erneut auf der Documenta präsen30 Hier ist anzumerken, dass sich offensichtlich die Zyklen der Kanonisierung verkürzt haben. Bezogen sich beispielsweise bis etwa in die 1980er Jahre sogenannte Retrospektiven noch auf nicht mehr lebende oder zumindest sehr alte und über Jahrzehnte etablierte Künstlerpositionen, so sind in der zeitgenössischen Ausstellungskultur bereits »Retrospektiven« von Künstlern und Künstlerinnen zu entdecken, die vergleichsweise sehr jung oder aber vergleichsweise auf eine sehr kurze Schaffensphase zurückblicken. Offensichtlich protegiert hier der Kunstmarkt verstärkt einzelne Kunstpositionen. Eine über Jahrzehnte zu beobachtende Werkentwicklung scheint dabei weniger relevant zu sein. Dies mag auch mit der Ablösung von stilhistorischen, an die Formentwicklung gebundenen Geschichtsmodellen zusammenhängen. Diese werden offensichtlich durch stärker thematische Fokusse ersetzt, so dass in Retrospektiven von aktuell noch lebenden, jüngeren Künstlern zwischen 30 und 40 Jahren weniger die Werkentwicklung im Rahmen eines langjährigen künstlerischen Prozesses im Mittelpunkt steht, sondern vielmehr einzelne Werkaspekte wichtig werden, die an aktuelle Diskurse des Kunstbetriebs anschlussfähig sind.

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tiert wurden. Bereits etabliertes Wissen wird hier erneut aktualisiert, rekapituliert und auch stabilisiert. Nach Heydebrand und Winko wird folglich der Kanonisierungsprozess vorangetrieben, da man auf historische Wissensbestände zurückgreift und diese in der Gegenwart verfügbar hält. Darüber hinaus ist festzuhalten: Je länger die Ausstellungsbeteiligungen in der Vergangenheit liegen, desto stärker kann man davon ausgehen, dass die Position im Kanon stabil und gesättigt ist, denn die KünstlerInnen haben sich dann über einen langen Zeitraum kontinuierlich im Kunstbetrieb etabliert und gehalten. Diese Annahme hat zur Folge, dass etwa der 1921 geborene, NURDWLVFKH.QVWOHU,YDQ.RåDULüPLWVHLQHU$XVVWHOOXQJVEHWHLOLJXQJDQGHU%LHQQDOH in Venedig im Jahr 1976 und an der Biennale von São Paulo im Jahr 1979 zum Kanon gezählt wurde. Dem ostafrikanischen, aus der Elfenbeinküste stammenden Künstler Frédéric Bruly Bouabré wurde hingegen mit seiner Teilnahme an der venezianischen Biennale im Jahr 1995 noch keine stabile Position im Kanon zugeschrieben (vgl. Tabelle 4): Einerseits war der 1923 geborene Bouabré zum Zeitpunkt der Biennale im Jahr 1995 bereits 72 Jahre alt und andererseits hatte diese international renommierte Ausstellung auch erst sechs Jahre vor der elften Documenta stattgefunden. (LQHMlKULJHNRQVLVWHQWH(WDEOLHUXQJVSKDVHZDUDOVRLQGLHVHU.QVWOHUELRJUD¿H noch nicht nachzuvollziehen, so dass er – nach den oben beschriebenen Kriterien – nicht in den Kanon des westlichen Kunstbetriebs eingeordnet wurde. Jedoch befand sich dieser Künstler zum Zeitpunkt der Documenta bereits in der Übergangsphase zu einer gesättigten Position, denn Ausstellungsbeteiligungen in internationalen Kunstinstitutionen sind bei ihm vor allem ab 1989, nach seiner Teilnahme an der umstrittenen Ausstellung Magiciens de la Terre in Paris, festzustellen31. Die KünstlerInnenliste (Tabelle 1) erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit im Hinblick auf die Informationen zu den ausgestellten Künstlerinnen und Künstlern. Sie führt aber alle weiblichen und männlichen Teilnehmer der elften Documenta auf. Auch beinhalten die Auswertungstabellen (Tabelle 2, 3, 4) zur KünstlerInnenliste weitaus mehr Informationen, als hier im Detail besprochen werden können. Sie können jedoch einer weiterführenden Diskussion über kanonische Strukturen im kunstwissenschaftlichen Diskurs als Grundlage dienen. Zur besseren Nachvollziehbarkeit der Auswertungsergebnisse sind alle Auswertungen der KünstlerInnenliste (Tabelle 1) im Anhang in 3 Tabellen (vgl. Tabelle 2, 3, 4) komprimiert gesammelt und nach ihrem Komplexitätsgrad gegliedert. Dies soll eine möglichst leichte Zugänglichkeit zu den Informationen, auch jenseits der Ausführungen in diesem Kapitel, gewährleisten: Beginnend mit den Auswertungen zum Alter und Geschlecht GHU7HLOQHKPHU 7DEHOOH ZLGPHWVLFK7DEHOOHGHUJHRJUD¿VFKHQ=XRUGQXQJGHU KünstlerInnen und ihrem Bezug zum westlichen Kunstbetrieb. Tabelle 4 ermittelt die ]XP.DQRQ]lKOHQGHQ.QVWOHU,QQHQXQGEHUFNVLFKWLJWDXFKDXIGHUHQJHRJUD¿VFKH Zuordnung, die aus Tabelle 3 hervorgeht. Durch diese Zusammenführung kann ein =XVDPPHQKDQJ ]ZLVFKHQ JHRJUD¿VFKHU 9HURUWXQJ XQG =XJHK|ULJNHLW ]XP .DQRQ 31 Vgl. unter anderem www.culturebase.net/index.php unter dem Namen des Künstlers (zuletzt abgerufen am 20.01.2012).

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hergestellt werden: Es zeigt sich, dass KünstlerInnen, die in einem westlichen Land geboren sowie aufgewachsen sind und immer noch dort leben, eher Eingang in den .DQRQ¿QGHQDOVMHQHGLHJHRJUD¿VFKZHQLJHULP:HVWHQ]XYHURUWHQVLQG Die Analyse der Werkanordnungen im folgenden Kapitel32 fokussiert exemplarisch auf einzelne Auswertungsergebnisse der Tabelle 1. Unbestritten sind einige kanonische bzw. nichtkanonische Einordnungen (Tabelle 1 und 4) ebenso wie die geoJUD¿VFKH=XRUGQXQJXQGGLH(LQRUGQXQJGHV%H]XJVGHU.QVWOHU,QQHQ]XPZHVW lichen Kunstbetrieb (Tabelle 3) variabel auszudeuten und damit streitbar. Es erscheint DQGLHVHP3XQNWZLFKWLJIHVW]XKDOWHQGDVVGHU.DQRQHEHQVRZLHGLHJHRJUD¿VFKH Zuordnung und die Nähe zum westlichen Kunstbetrieb der einzelnen KünstlerInnen stetiger Veränderung unterworfen ist. Die Auswertungen dienen deswegen vor allem dazu, die Diskussion um kanonische Strukturen anzuregen und nicht zuletzt die in $XVVWHOOXQJHQHWDEOLHUWHQ:LVVHQVRUGQXQJHQNULWLVFK]XUHÀHNWLHUHQ'LH(UKHEXQgen zur kanonischen Einordnung der KünstlerInnen können außerdem verdeutlichen, dass historische Forschung immer mit dem Problem zeitlicher Zäsuren als heuristischem Instrumentarium konfrontiert ist. Die Prozessualität historischer Abläufe wird mit dem Festlegen zeitlicher Abschnitte in ihre Grenzen verwiesen, was immer eine notwendige und zugleich Differenzen tilgende Komplexitätsreduktion darstellt. Es sollte deswegen berücksichtigt werden, dass die kanonische Einordnung auf meine Recherchen zur Publikationslage und Ausstellungsbeteiligungen vor dem Jahr 2002 – also vor der Documenta 11 – zurückgeht. Der Status einzelner Kunstpositionen hat sich mittlerweile, das heißt nach etwa zehn Jahren, erheblich verändert: Beispielsweise ist der Kanonisierungsprozess von Frédéric Bruly Bouabré, David Goldblatt, Victor Grippo, Candida Höfer, Santu Mofokeng oder auch Thomas Hirschhorn erheblich vorangeschritten. Sind keine weiterführenden ergänzenden Informationen LQGHU.QVWOHU,QQHQOLVWH 7DEHOOH ]X¿QGHQVRLVWGLHVKlX¿JDXIGLHGDPDOLJH schlechte Publikationslage zu den einzelnen Positionen und auf wenig rekonstruierbare Ausstellungsbeteiligungen in wichtigen, westlichen Kunstinstitutionen vor 2002 zurückzuführen. Dieser Mangel an recherchierbaren Informationen wurde ebenfalls als Kriterium gewertet, den jeweiligen KünstlerInnen keine gesättigte, stabile Position im Kanon zuzuweisen. Für die Auswertung des Kanons wurde zudem eine Binnendifferenzierung in die Bereiche Bildende Kunst, Film und Architektur vorgenommen (vgl. Tabelle 1 und 4), die durch die Kürzel K, F und A vermerkt ist. Die Recherchen haben ergeben, dass einzelne auf der Documenta ausgestellte Positionen in den jeweiligen Film- oder auch Architektur-Kontexten weitaus bekannter waren als im engeren Kreis der bildenden Kunst: Beispielsweise wurden Jonas Mekas, Ulrike Oettinger und Chantal Akerman schon ab den 1970er Jahren verstärkt auf bekannten, in der Filmszene wichtigen internationalen Filmfestivals wahrgenommen. Desgleichen rezipierte man auch Yona Friedman sowie Constant schon zu dieser Zeit international in architektur-

32 Vgl. in diesem Buchteil: Kapitel Im Kern des Kanons? – Werkkonstellationen der Documenta 11.

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theoretischen Debatten.33 Auch für die FilmemacherInnen und Architekten sind die weiterführenden Informationen in Form von Internetadressen und Literaturhinweisen unter den ergänzenden Informationen LQ 7DEHOOH  ]X ¿QGHQ 6LH N|QQHQ GHU vertiefenden Auseinandersetzung mit der kanonischen Einordnung dienen. Lebensalter, Geschlecht und kanonische Zuordnung der KünstlerInnen – Tabellen 2 und 4

Betrachtet man die Auswertung der KünstlerInnenliste (Tabelle 1) im Hinblick auf die Geburtsjahrgänge der auf der Documenta 11 ausgestellten Künstlerinnen und Künstler (vgl. Tabelle 2), dann kommen nach dem vorgeschlagenen Modell34 70 TeilnehmerInnen in Frage, deren kanonischer Status zu untersuchen ist: Denn 70 der ausgestellten Personen wurden zwischen 1910 und 1960 geboren. Auffällig zeigt sich in Tabelle 2, dass die meisten der insgesamt 121 KünstlerInnen35 in den 1950er und 1960er Jahren geboren wurden: im jeweiligen Jahrzehnt einerseits 34, andererseits 37 KünstlerInnen. Diese TeilnehmerInnen waren folglich zum Zeitpunkt der Documenta mindestens 33 und höchstens 52 Jahre alt, das heißt: Sie befanden sich nach der hier vorgeschlagenen chronologischen Systematik im Prozess der Kanonisierung oder nahmen bereits eine gesättigte Position im Kanon ein. Es kann davon ausgegangen werden, dass die älteren KünstlerInnen bereits eher eine stabile Position im .DQRQ HLQQHKPHQ DOV GLH MQJHUHQ GD VLH NQVWOHUELRJUD¿VFK EHUHLWV HLQH OlQJHUH Etablierungsphase im Kunstbetrieb hinter sich gebracht haben. Außerdem ist nach der Beteiligung an einer Documenta eine kontinuierliche Etablierung und damit eine allmählich gesättigte Position im westlichen Kunstkanon recht wahrscheinlich, wenngleich auch nicht immer die notwendige Konsequenz.36

33 Es existieren unbestritten Überschneidungsbereiche zwischen Kunst, Architektur und Film: so etwa stellte Chantal Akerman bereits auf der Documenta 6 aus und auch Constant nahm an der Documenta 2 und 3 teil. Er wurde außerdem durch seine Beteiligung an der Situationistischen Internationale bekannt, die Guy Debord federführend initiiert hatte. Yona Friedman hingegen erhielt bereits 1962 den ersten Preis, den Goldenen Löwen, beim Filmfestival in Venedig ebenso wie den zweiten Preis beim Filmfestival in Locarno. Die Kategorien werden bei Nahsicht brüchig. 34 Vgl. den vorangegangenen, ersten Abschnitt in diesem Kapitel: Zum Kanonisierungsprozess im westlichen Kunstbetrieb. 35 Hellinger spricht von 116 KünstlerInnen/Künstlergruppen (vgl. Hellinger 2007: Die ›documenta11‹ im Kreuzfeuer der Kritik, S. 41). Panzer spricht von 114 KünstlerInnen/Künstlergruppen (vgl. Panzer 2005: »Documenta: Temporale Musealisierung und Paradoxien musealer Präsentation«, S. 198). Ich gehe von der im Katalog »Ausstellungsorte« veröffentlichten Künstlerliste aus (vgl. Ausst.Kat. (2002) Documenta 11_Platform 5: Ausstellungsorte, S. 222–236) und beziehe mich auf eine Gesamtanzahl von 121 Künstlerinnen und Künstlern. Die Zählung ist anhand der Tabelle 1 im Anhang dieses Buches nachzuvollziehen. 36 So etwa kaufte das Düsseldorfer K 21 nach der Documenta 11 gleich drei Arbeiten von Künstlern an, die auch auf der Kasseler Ausstellung von 2002 zu sehen waren: eine Videoinstallation von Shirin Neshat – allerdings nicht die auf der D 11 gezeigte –, Steve McQueens Videoinstallation Western Deep (2002) und Eija-Liisa Ahtilas Videoinstallation The House (2002), die beide auch auf der elften Documenta ausgestellt waren.

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Die Auswertung in Tabelle 4 zeigt, dass vor allem die ältesten Kunstpositionen der 'RFXPHQWD YJO 7DEHOOH   EHLVSLHOVZHLVH /RXLVH %RXUJHRLV ,YDQ .RåDULü Constant, Leon Golub oder auch Dieter Roth und Bernd und Hilla Becher, zu den kanonischen Positionen im Bereich der bildenden Kunst zu zählen sind. Tabelle 4 verdeutlicht zudem, dass die in den 1940er Jahren geborenen und somit mindestens 50- bis 60-jährigen Künstlerinnen und Künstler zu mindestens 50 Prozent zu den kanonisierten Positionen gezählt werden können: zehn der 17 KünstlerInnen sind als kanonisch einzustufen. Außerdem wird deutlich, dass die insgesamt 19 Künstlerinnen und Künstler, die in den 1910er, 1920er und 1930er Jahren geboren wurden – folglich die mindestens 60- bis 90-jährigen – zu fast 100 Prozent zum Kanon zu rechnen sind. Lediglich drei Künstler, die in dieser Zeitspanne geboren sind, können zum Zeitpunkt der elften Documenta im Jahr 2002 als eher weniger kanonisch gelten (Frédéric Bruly Bouabré, David Goldblatt, Jef Geys). An der Auswertung wird deutlich, dass die auf der Documenta ausgestellten historischen Kunstpositionen fast ausschließlich zum Kanon zu zählen sind und damit eine Bedeutung tragende Struktur in GHUV]HQRJUD¿VFKHQ2UGQXQJDXVELOGHQ6LHVWHOOHQKLVWRULVFKH0DUNVWHLQHGDUGHUHQ Funktion innerhalb des Ausstellungsparcours in diesem Buchteil an exemplarischen Beispielen detailliert in den Blick genommen werden soll. Darüber hinaus überwiegt die Anzahl der männlichen Teilnehmer an der elften Documenta bei Weitem: Ohne die Berücksichtigung der Künstlerkollektive ab 1980 (vgl. Tabelle 2), bei der die Dominanz der Männer ebenfalls unübersehbar ist, stehen den 76 männlichen 34 weibliche Künstler gegenüber. In Tabelle 4 wird deutlich, dass sich auch der Kanon durch ein Übergewicht männlicher Künstler auszeichnet. Dieses Ungleichgewicht scheint die elfte Kasseler Kunstschau durch die Inszenierung LKUHU:HUNHLP$XVVWHOOXQJVSDUFRXUVNULWLVFK]XUHÀHNWLHUHQ'DVYRUOLHJHQGH%XFK wird durch die Auseinandersetzung mit der Ausstellungsinszenierung von Hanne Darboven und mit weiteren weiblichen Künstlern der elften Documenta diese These erörtern.37 Die geografische Zuordnung der KünstlerInnen und ihre Nähe zum westlichen Kunstbetrieb – Tabelle 3

Ein wichtiger Aspekt, der in der empirischen Auswertung berücksichtigt wurde, ist GLHJHRJUD¿VFKH=XRUGQXQJGHUDXIGHU'RFXPHQWDDXVJHVWHOOWHQ.QVWOHULQQHQ XQG.QVWOHU'HQQGLHVHVWHKWKlX¿JLQHLQHPHQJHQ=XVDPPHQKDQJ]XUNDQRQLschen Einordnung der jeweiligen Kunstposition. Tabelle 3 widmet sich deswegen der JHRJUD¿VFKHQ=XRUGQXQJGHU.QVWOHU,QQHQXQGLKUHU1lKH]XPZHVWOLFKHQ.XQVWbetrieb, wohingegen Tabelle 4 dann in genauer Ausdifferenzierung zeigt, welche KünstlerInnen zum Kanon zu zählen sind und welche nicht. Wenngleich die Documenta 11 versuchte, die eindeutige territoriale, mithin nationalstaatliche, und auch die eindeutige kulturelle Zuordnung von Künstlerpositionen – mit Recht – kritisch 37 Vgl. in diesem Buchteil das Kapitel Zum Verhältnis der Geschlechter: Darboven und die Frauen der Documenta 11.

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]XUHÀHNWLHUHQ38VRVSLHOWGLHJHRJUD¿VFKH+HUNXQIWIUGHQ.DQRQLVLHUXQJVSUR]HVV doch immer noch eine tragende Rolle. Tabelle 3 versucht – auf Grundlage der Informationen aus Tabelle 1 – über GLH JHRJUD¿VFKH =XRUGQXQJ GHU 7HLOQHKPHU,QQHQ XQWHU GHU %HUFNVLFKWLJXQJ GHV Geburts-, aber auch des aktuellen Aufenthaltsortes im Jahr 2002 sowie diverser bioJUD¿VFKHU(FNGDWHQGLH1lKHGHUHLQ]HOQHQ.QVWOHU,QQHQ]XPZHVWOLFKHQ.XQVWEHtrieb einzuschätzen. Ist beispielsweise ein auf der Documenta 11 ausgestellter Künstler in Westeuropa, den USA, Kanada oder Australien geboren und aufgewachsen, so ist es sehr wahrscheinlich, dass dieser eher einen starken bis sehr starken Bezug zum westlichen Kunstbetrieb aufweist als ein anderer Künstler, der beispielsweise in Afrika geboren und auch dort aufgewachsen ist. Diese Nähe zum westlichen Kunstbetrieb – so die These – führt dann auch dazu, dass der jeweilige Künstler HKHU DXI GHU 'RFXPHQWD DXVJHVWHOOW ZLUG =ZDU VLQG GLHVH JHRJUD¿VFKHQ .DWHJRrisierungen und Ableitungen sehr grobmaschig, aber es zeigt sich tatsächlich, dass lediglich acht männliche Künstler (bzw. männlich dominierte Künstlerkollektive) auf der Documenta ausgestellt waren, die nicht in Nordamerika, Westeuropa oder Australien geboren waren und auch nicht dort lebten (vgl. Tabelle 3).39 Nach meinen 38 Vgl. hierzu auch in diesem Buchteil: Kapitel Exkurs: Trans- und Interkulturalität. 39 Diese hier vorgenommene geografische Einteilung geht im Sinne der Komplexitätsreduktion von einem »homogenen westlichen Zentrum« und einer politischen Kartografie aus, die letztlich noch in einer Ost-West-Einteilung vor 1989 bzw. in einer historisch gewachsenen kolonialen Nord-SüdEinteilung der globalen Weltkarte verankert ist. Diese meiner Untersuchung zugrunde gelegte Kartografie dient als heuristisches Instrumentarium und macht insofern Sinn, als dass mit dieser Einteilung grob der Einzugsbereich des westlichen Kunstbetriebs am Beispiel der elften Documenta nachgezeichnet werden kann. Es zeigt sich, dass sich, trotz der Veränderung der politischen Verhältnisse nach Beendigung des Ost-West-Konflikts und auch nach der Dekolonisierung, im westlichen Kunstbetrieb immer noch historische Machtkonstellationen niederschlagen. Sie sind auf historisch gewachsene kulturelle Grenzziehungen im Rahmen des Ost-West-Konflikts, aber auch auf weiterhin existierende koloniale bzw. postkoloniale Strukturen zurückzuführen. Wie auch im Anhang in den vorangestellten Erläuterungen zu Tabelle 1 erwähnt, werden folgende Regionen bzw. Länder hier unter dem Begriff Westen gefasst: Westeuropa (alle europäischen NATO-Staaten vor 1989 und Finnland), Nordamerika (USA, Kanada) und Australien. Soziale Gefälle innerhalb des »Westens« und auch die Problematik, die hier zugrunde gelegte Definition eines »homogenen Westens« als »Zentrum« anzunehmen – wohingegen alle übrigen Länder und darin gelegene internationale Metropolen die »Peripherie« bilden –, bleiben unberücksichtigt. So etwa hat möglicherweise eine Person, die in einer sozial und kulturell unterprivilegierten Region in einem westlichen Staat aufwächst (z. B. William Eggleston, Glenn Ligon), weniger Zugang zum westlichen Kunstbetrieb als ein Künstler, der in Johannesburg/Südafrika in einer weißen Anwaltsfamilie aufwächst und unter anderem an der von Enwezor kuratierten internationalen Biennale der Hauptstadt in den 1990er Jahren teilnehmen konnte (z. B. William Kentridge). Eine solche Binnendifferenzierung konnte diese Arbeit allerdings kaum leisten: in den ergänzenden Informationen zu Tabelle 1 werden solche Aspekte teilweise berücksichtigt. Beim detaillierten Studium der Einzelbiografien der auf der Documenta ausgestellten Künstler wird außerdem deutlich, dass die kulturellen und sozialen Kontexte, in die die jeweiligen Teilnehmer eingebunden waren, nicht notwendigerweise deckungsgleich sind mit den nationalen und geografischen Zuordnungen (vgl. hierzu auch in diesem Buchteil das Kapitel Exkurs: Trans- und Interkulturalität sowie bspw. die Angaben zu Artur Barrio in Tabelle 1 im Anhang dieses Buches). Die Auswertungen der Tabelle 3 liefern folglich eine grobe Annäherung, die den geografischen Einzugsbereich und das

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Recherchen hatten diese acht Künstler bzw. Künstlerkollektive bis zum Jahr 2002 – dem Jahr, in dem die Documenta stattfand – sehr wenig Kontakt zum westlichen .XQVWEHWULHEGDLQQHUKDOELKUHU:HUNELRJUD¿HNDXPELVJDUNHLQHZLFKWLJHQLQWHUnationalen Ausstellungsbeteiligungen und Publikationen nachzuweisen waren (vgl. auch Tabelle 1, Kategorie 4, hellblaue Markierung)40: Ryuji Miyamoto (*1947), Seifollah Samadian (*1954), Ravi Agarwal (*1958), Muyiwa Osifuye (*1960), Amar Kanwar (*1964), Yang Fudong (*1971) und 2 Künstlerkollektive Le Groupe Amos (gegründet 1989), Raqs Media Collective (gegründet 1991). Tabelle 3 macht deutlich, dass die größte Anzahl der auf der Documenta 11 ausgestellten Künstler, nämlich 94 TeilnehmerInnen (58 + 36), einen verstärkten Bezug zum westlichen Kunstbetrieb aufwiesen. 58 von diesen TeilnehmerInnen waren in einem westlichen Land geboren und alle 94 lebten zur Zeit der Documenta kontinuierlich in einem Staat der westlichen Hemisphäre. Die Ausprägung des Bezugs zum westlichen Kunstbetrieb wird in Tabelle 3 wie folgt bezeichnet: »sehr stark bis stark« (jeweils für Kategorie 1 und 2), »relativ stark« (für Kategorie 3) sowie »weniger stark bis gar nicht« (Kategorie 4). Wie EHUHLWVHUZlKQWVWHOOWGLHJHRJUD¿VFKH=XRUGQXQJHLQHQPD‰JHEOLFKHQ)DNWRUGDU um die Bezugsstärke der KünstlerInnen zum westlichen Kunstbetrieb zu bestimmen. Der Bezug zum westlichen Kunstbetrieb erschließt sich – wie auch in den einführenden Erläuterungen zu Tabelle 1 bis 4 im Anhang beschrieben – aus Beteiligungen an bekannten, internationalen Ausstellungsereignissen (Biennalen, Documenta) oder Ausstellungen in prominenten Museen, durch wichtige Publikationen zu den jeweiligen KünstlerInnen und deren Aufenthalten in Kunstmetropolen, die einen unmittelbaren Zugang zu wichtigen Kunstinstitutionen ermöglichen (Galerien, Museen, temporäre Ausstellungen etc.). Die Ergebnisse der Recherchen sind in den ergänzenden Informationen der Tabelle 1 sowie in den weiteren Ausführungen zu den jeweiligen KünstlerInnen in diesem Buch nachzuvollziehen. Die beiden ersten Kategorien der Tabelle 3 zeichnen sich dadurch aus, dass die KünstlerInnen zum Zeitpunkt der elften Documenta kontinuierlich in einem westlichen Land ansässig waren. Lediglich der Geburtsort in einem nicht-westlichen Land bildet zwischen Kategorie 1 und 2 das Unterscheidungskriterium. Ihr starker bis sehr starker Bezug zum westlichen Kunstbetrieb lässt sich durch Ausstellungsbeteiligungen und einschlägige Publikationen nachweisen oder wird durch ihren ständigen Aufenthaltsort in einem westlichen Land im Jahr 2002 nahegelegt. Eine differenzierte Unterscheidung, wie intensiv der Kontakt zum westlichen Kunstbetrieb ist (zwischen »stark« bis »sehr stark«), kann zum Teil über die ergänzenden Informationen in Tabelle 1 und auch über die

damit verbundene Machtgefüge des westlichen Kunstbetriebs, in das auch die Documenta 11 eingebunden ist, versucht abzubilden. Vgl. zur Problematik der Kategorie Westen gegenüber dem sogenannten Rest auch: Hall 1994: »The West and the Rest«. 40 Zur besseren Nachvollziehbarkeit sind hier die Geburtsjahre angegeben, so dass man die Künstler in Tabelle 1 zügig auffinden kann, da diese chronologisch nach Geburtsjahren sortiert sind.

DIE SZENOGRAFISCHE ORDNUNG UND DER KANON

Darlegungen zu den einzelnen KünstlerInnen in diesem Buch erschlossen werden.41 Kategorie 3 zeichnet sich dadurch aus, dass der Geburts- und aktuelle, stetige Aufenthaltsort im Jahr 2002 zwar nicht in einem westlichen Land liegt, aber der Bezug zum westlichen Kunstbetrieb dennoch besteht (durch Studienaufenthalte an westlichen Kunstinstituten, Stipendien oder Beteiligungen an internationalen Großausstellungen). Die Bezugsstärke wird hier in Relation zu den ersten beiden Kategorien als weniger stark ausgeprägt eingeschätzt. Dennoch zeigt sich, dass auch KünstlerInnen dieser dritten Kategorie – wenngleich eher in Ausnahmefällen – zum Kanon gezählt ZHUGHQ N|QQHQ ZLH HWZD GHU NURDWLVFKH .QVWOHU ,YDQ .RåDULü YJO KLHU]X DXFK Tabelle 4). Die bereits erwähnte vierte und letzte Kategorie liefert für die Analyse von Wissensordnungen, die auf der Documenta 11 etabliert wurden, aufschlussreiche Informationen: Die unter dieser Kategorie zu verzeichnenden, ausschließlich männlichen Künstler waren weder in einem westlichen Land geboren, noch lebten sie zur Zeit der Kasseler Kunstschau im Jahr 2002 in einem westlichen Land. Darüber hinaus hatten sie kaum bis gar keine Kontakte zum westlichen Kunstbetrieb vor dem Jahr 2002. Mit der bereits oben genannten Anzahl von acht Teilnehmern stellen diese Kunstpositionen eine Minderheit im Ausstellungsparcours der Documenta 11 dar (vgl. Tabelle 1 und 3). Ingesamt zeigt sich in der Auswertung, dass nur ein sehr geringer Anteil der TeilnehmerInnen ihrer künstlerischen Tätigkeit in einem nicht-westlichen Staat nachgingen: Wie bereits oben erwähnt, lebten 94 (58 + 36, vgl. Tabelle 3) der 121 ausgestellten KünstlerInnen schon seit langen Jahren in einem westlichen Land bzw. einer westlichen Metropole und gingen folglich auch überwiegend dort ihrer künstlerischen Tätigkeit nach. Von den restlichen 27 (19 + 8, vgl. Tabelle 3), die alle in keinem westlichen Land geboren wurden und auch bis zum Zeitpunkt der Documenta im Jahr 2002 nicht in einem solchen lebten, hatten allerdings 19 TeilnehmerInnen bereits engere Kontakte zum westlichen Kunstbetrieb (etwa durch Ausstellungsbeteiligungen, Stipendien etc.). An den Auswertungsergebnissen zeigt sich, wie stark die Documenta in den Machtgefügen des westlichen Kunstbetriebs YHUDQNHUWLVW'HQQLQGLH.DVVHOHU$XVVWHOOXQJ¿QGHQRIIHQVLFKWOLFKEHUZLHJHQG die KünstlerInnen Eingang, die bereits verstärkt über Kontakte zum westlichen Kunstbetrieb verfügen. Für eine Analyse der Wissensordnungen, die innerhalb der Documenta 11 etabliert wurden, ist deshalb von besonderem Interesse, wie die Kasseler Kunstschau vor dem Hintergrund ihres postulierten Anspruchs, vor allem DXFKSRVWNRORQLDOH$V\PPHWULHQNULWLVFK]XUHÀHNWLHUHQLQQHUKDOELKUHUUHDOLVLHUWHQ 41 Eine weiterführende empirische Erhebung, die den Intensitätsgrad zwischen »stark« bis »sehr stark« differenziert festlegt, hätte den Rahmen dieser Untersuchung gesprengt. Die Tendenzen können hier lediglich an ausgewählten Künstlern näher bestimmt werden: Beispielsweise fällt On Kawara zwar unter die zweite Kategorie. Er zählt jedoch zu den Künstlern, die einen sehr starken Bezug zum westlichen Kunstbetrieb aufweisen, was an den folgenden Ausführungen zur historischen Konzeptkunst belegt werden kann. Deutlich wird an der Unterscheidung zwischen Kategorie 1 und 2, dass gerade die Künstler zum westlichen Kunstkanon zu zählen sind, die man der Kategorie 1 (dunkelgrün) zuordnen kann (vgl. Tabelle 4).

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II BILDANORDNUNGEN

Ausstellungsinszenierung mit diesem Ungleichgewicht umgegangen ist. Um diesen Aspekt, unter Bezugnahme auf die hier erörterten empirischen Zahlenwerte, kritisch unter die Lupe zu nehmen, wird das folgende Kapitel vor allem die Anordnung der Exponate im Ausstellungsraum analysieren. Die Praxis des Ausstellens, die Realisation der räumlichen Struktur von Wissensordnungen im Ausstellungsparcours, kommt hiermit in den Blick. Kanon und geografische Zuordnung – Tabelle 4

7DEHOOH  QLPPW GLH LQ 7DEHOOH  HUKREHQHQ (UJHEQLVVH XQWHU HLQHU VSH]L¿VFKHQ Perspektive in den Blick. Sie zeigt einerseits, welche der zwischen 1910 und 1960 geborenen 70 TeilnehmerInnen zum Kanon zu zählen sind und sie macht andererVHLWVDXFKGHXWOLFKZHOFKHQJHRJUD¿VFKHQ5HJLRQHQGLHVH.QVWOHU,QQHQ]X]XRUGnen sind: Von den 26 Künstlern und Künstlerinnen, die nach den oben beschriebenen Kriterien42 zu den kanonischen Positionen im Bereich Bildende Kunst zu zählen sind, sind 16 von ihnen in westlichen Ländern geboren, dort aufgewachsen und auch zur Zeit der Documenta 11 noch dort ansässig (dunkelgrüne Markierung). Fünf weitere TeilnehmerInnen von diesen 26 sind zwar nicht in der westlichen Hemisphäre geboren, leben aber seit langer Zeit dort (hellgrüne Markierung: On Kawara, Luis Camnitzer, Igor und Svetlana Kopystiansky, Alfredo Jaar). Lediglich fünf KünstlerInnen, die nicht in westlichen Ländern aufgewachsen sind und auch QLFKW GRUW OHEHQ N|QQHQ ]XP .DQRQ JH]lKOW ZHUGHQ QDPHQWOLFK ,YDQ .RåDULü 9LFWRU *ULSSR &LOGR 0HLUHOHVV 6DQMD ,YHNRYLü XQG 'RULV 6DOFHGR GXQNHOEODXH Markierung). Sie hatten allerdings bereits vor der Documenta 11 einen relativ starken Bezug zum westlichen Kunstbetrieb. Keiner derjenigen, ausschließlich männlichen Künstler, die nicht in einem westlichen Land geboren waren und auch zum Zeitpunkt der Documenta nicht dort lebten (hellblaue Markierung) zählt zum Kanon in der bildenden Kunst. Die Auswertung macht außerdem deutlich, dass 21 von 26 zum Kanon zählenden KünstlerInnen ihrer Kunstpraxis in westlichen Ländern nachgehen (dunkel- und hellgrüne Markierung). Erneut wird deutlich: Der Zugang zum westlichen Kunstbetrieb ist – zumindest am Beispiel der Documenta – offenVLFKWOLFKLPPHUQRFKYHUVWlUNWYRQGHUJHRJUD¿VFKHQ9HURUWXQJGHU.QVWOHU,QQHQ in einem westlichen Staat abhängig. Auch bei den nicht zum Kanon zu zählenden, auf der Documenta ausgestellten KünstlerInnen überwiegt die Zahl derer, die seit ihrer Geburt in westlichen Ländern leben und auch dort arbeiten bzw. die zwar nicht in einem westlichen Land geboren sind, aber schon lange dort leben (vgl. Tabelle 4: dunkel- und hellgrüne Markierung). Lediglich neun der 36 ausgewerteten, nicht zum Kanon zählenden Künstler der Documenta 11 sind nicht in einem westlichen Staat geboren und

42 Vgl. in diesem Kapitel den Abschnitt Zum Kanonisierungsprozess im westlichen Kunstbetrieb und auch die ergänzenden Informationen in Tabelle 1 zu den jeweiligen KünstlerInnen ebenso wie die detaillierten Ausführungen zu einzelnen KünstlerInnen in diesem Buch, die über ihre namentliche Nennung im Inhaltsverzeichnis auffindbar sind.

DIE SZENOGRAFISCHE ORDNUNG UND DER KANON

leben auch nicht dort (dunkel- und hellblaue Markierung) – auch hier ausschließlich Männer: Frédéric Bruly Bouabré, David Goldblatt, Georges Adéagbo, Ryuji Miyamoto, Bodys Isek Kingelez, Seifollah Samadian, William Kentridge, Santu Mofokeng und Ravi Agarwal. Einige dieser Künstler befanden sich zum Zeitpunkt der Documenta 11 allerdings schon im Übergang zu einer eher gesättigten Position im Kanon, wie etwa der bereits erwähnte Bouabré, aber auch Goldblatt, Adéagbo, Kentridge oder Mofokeng. Diese Künstler waren zum größten Teil bereits vor der Documenta an Ausstellungsprojekten von Enwezor beteiligt.43 Auch hier bleibt festzuhalten, dass sich der Einzugsbereich des westlichen Kunstbetriebs immer noch vornehmlich auf Künstlerinnen und Künstler bezieht, die in westlichen Ländern leben und arbeiten. Zusammengefasst ergeben die Auswertungen der Tabelle 1, dass sich der Einzugsbereich der Documenta überwiegend auf männliche Teilnehmer und geogra¿VFKYRUDOOHPDXI.QVWOHU,QQHQEH]LHKWGLHLQ/lQGHUQGHV:HVWHQVNRQWLQXLHUlich ansässig sind. Auch der Kanon speist sich vorwiegend aus KünstlerInnen, die in westlichen Ländern leben, darüber hinaus zeichnet auch er sich durch die Dominanz männlicher Künstler aus. Vor dem Hintergrund dieser Auswertungsergebnisse soll nun im Folgenden analysiert werden, wie die Documenta mit diesen Ungleichgewichten innerhalb ihrer Ausstellungsinszenierung umgegangen ist: Wie setzte sie beispielsweise eher nicht zum Kanon zählende KünstlerInnen in ein Bezugssystem zu den kanonischen Größen des westlichen Kunstbetriebs? Wie setzte sie die Werke GHU DQ GHU 'RFXPHQWD EHWHLOLJWHQ )UDXHQ LQ 6]HQH" 'LH 5HÀH[LRQ GHU DXI GHU 'RFXPHQWDHWDEOLHUWHQ:LVVHQVRUGQXQJHQLQQHUKDOEGHU6]HQRJUD¿HGHU$XVVWHOOXQJ bildet den Ausgangspunkt der folgenden Analyse.

43 Vgl. bspw. Ausst.Kat. (1997) Trade Routes. History and Geography. 2nd Johannesburg Biennale 1997.

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Im Kern des Kanons ? – Werkkonstellationen der Documenta 11

Betrachtet man die auf der Documenta 11 ausgestellte Werkauswahl, dann zeigt sich sehr schnell, dass nur sehr wenige Künstler und Künstlerinnen Werke präsentiert hatten, die vor den 1980er Jahren entstanden waren (vgl. Tabelle 5). Darüber hinaus zählte der überwiegende Teil dieser Künstler zum kunstwissenschaftlichen Kanon (vgl. Tabelle 6 und Tabelle 4). Außerdem hatten die meisten Künstler, die historische, vor den 1980er Jahren angefertigte Arbeiten zur Schau stellten, Exponate aus den 1960er und 1970er Jahren ausgewählt. In dieser Zeitspanne lag IROJOLFK HLQ KLVWRULVFKHU 6FKZHUSXQNW GHU V]HQRJUD¿VFKHQ 2UGQXQJ 1XU ZHQLJH Werke waren vor diesen beiden Jahrzehnten entstanden44 (vgl. Tabelle 6): Die Documenta 11 zeigte lediglich einige Modelle von Constant, die er bereits ab 1956 entworfen hatte, und auch die von Bernd und Hilla Becher ausgestellten Fotogra¿HQGHUSiegerländer Fachwerkhäuser datieren ab 1959. Eine einzige Ausnahme, GLHELVYRUGLHHU-DKUHUHLFKWHELOGHWHGLH$WHOLHULQVWDOODWLRQYRQ,YDQ.RåDULü in der Binding Brauerei.45 Sie entstand in einem Zeitraum zwischen 1930 und 2002. Aus Tabelle 6 im Anhang dieses Buches geht hervor, dass folgende Positionen mit ihren im Ausstellungsparcours ältesten Werken die historischen Linien innerKDOEGHU'RFXPHQWDELOGHWHQ,YDQ.RåDULü&RQVWDQW%HUQGXQG+LOOD%HFKHU Frédéric Bruly Bouabré, Hanne Darboven, Chohreh Feyzdjou, Yona Friedman, David Goldblatt, On Kawara, Pere Portabella und Dieter Roth. David Goldblatt wird in den folgenden Ausführungen jedoch eine weniger große Rolle spielen, GDVHLQHIRWRJUD¿VFKH$UEHLWPLWHLQHP(QWVWHKXQJV]HLWUDXP]ZLVFKHQXQG 1980 bereits auf der Schwelle zu den 1980er Jahren liegt. Wichtig für die hier

44 Vgl. hierzu auch die Werkliste mit Künstlerinformationen in: Ausst.Kat. (2002) Documenta 11_ Platform 5: Ausstellungsorte, S. 222–236. 45 Vgl. auch das Titelbild dieser Publikation.

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II BILDANORDNUNGEN

vorliegende Untersuchung ist, dass die Werke der genannten Künstler und Künstlerinnen aus den Jahren zwischen 1930 und 1978 als historische Marksteine eine Bedeutung tragende Struktur etablieren: Einerseits, weil sie als die ältesten Werke einen ausgewählten Blick in die Vergangenheit werfen und damit die GegenZDUWLQVSH]L¿VFKHU:HLVHUHÀHNWLHUHQDQGHUHUVHLWVZHLOGLHVH:HUNH]XPJU|‰WHQ Teil von KünstlerInnen geschaffen wurden, die zum Kanon zu zählen sind. Aus 7DEHOOHJHKWKHUYRUGDVV,YDQ.RåDULü&RQVWDQW%HUQGXQG+LOOD%HFKHU+DQQH Darboven, Yona Friedman, On Kawara, Pere Portabella – zumindest im Filmbereich – und Dieter Roth unter den Künstlern und Künstlerinnen, die historische Werke präsentierten, zu den kanonischen Positionen zu zählen sind. Untersucht man die Entstehungsdaten der auf der Kasseler Ausstellung von 2002 gezeigten Werke, dann ergibt sich, dass den zwölf teilnehmenden KünstlerInnen, die Werke aus den 1930er bis 1970er Jahren präsentierten, eine vergleichsweise große Anzahl an Künstlerinnen und Künstlern gegenüberstand, die weitaus jüngere Exponate ausgestellt hatten (vgl. Tabelle 5): So zeigten 16 Teilnehmer Arbeiten aus den 1980er Jahren, 42 Künstler Arbeiten aus den 1990er Jahren und sogar 101 Künstler präsentierten Werke, die sie ab dem Jahr 2000 angefertigt hatten. Diese Tatsache unterstreicht einmal mehr, dass die Werke der zwölf Künstlerinnen und Künstler, die vor den 1980er Jahren entstanden waren, als historische Marksteine fungierten. Durch ihre geringe Anzahl kam ihnen ein Sonderstatus innerhalb des Ausstellungsensembles zu, da sie einer sehr großen Menge an zeitgenössischen Werken gegenüberstanden, die vor allem in den letzten beiden Jahren vor der Documenta entstanden waren. Dementsprechend traten die ältesten Werke im Rahmen des Ausstellungsparcours unmittelbar mit zeitgenössischen Werken in einen Dialog. Den Werken von Roth und Feyzdjou kam darüber hinaus ein besonderer Stellenwert zu, da beide Künstler zum Zeitpunkt der elften Documenta bereits seit einigen Jahren nicht mehr lebten. Feyzdjou war bereits 1996, Roth im Jahr 1998 verstorben. Die Documenta sprach gerade diesen beiden Personen dadurch, dass sie nicht mehr zu den lebenden und zeitgenössisch noch produzierenden Künstlern zählten, eine exklusive Position zu. Denn aufgrund ihrer konzeptionellen Ausrichtung bezieht sich die Documenta für gewöhnlich primär auf aktuell noch praktisch tätige und lebende Künstler. Die folgenden Ausführungen widmen sich anhand der ältesten Exponate und GHQGDUXQWHU]X¿QGHQGHQNDQRQLVFKHQ.XQVWSRVLWLRQHQDXVJHZlKOWHQ:HUNNRQVtellationen und Themenfeldern der Documenta 11: Die Bedeutung tragende Struktur, die zwischen den kanonischen und eher weniger kanonischen Kunstpositionen entstand, wird analysiert, ebenso wie die Inszenierung des Kanons einer ZHVWOLFKHXURSlLVFKHQ.XQVWJHVFKLFKWHLQQHUKDOEGHU6]HQRJUD¿HGHU$XVVWHOOXQJ erörtert wird.

IM KERN DES KANONS ? – WERKKONSTELLATIONEN DER DOCUMENTA 11

ROTH, KOŽARIC´ , FEYZ DJOU: WERKPROZESSE UND DIE UNORDNUNG DER DINGE

Die Documenta 11 präsentierte mit der Installation $WHOLHU.RåDULü von dem kroaWLVFKHQ.QVWOHU,YDQ.RåDULüLKUHlOWHVWH$UEHLW46 Sie war, wie bereits erwähnt, in den Jahren zwischen 1930 und 2002 entstanden und wurde in der Binding Brauerei ausgestellt. Auch Dieter Roths Installation Große Tischruine deckte mit einer Entstehungsphase von 28 Jahren (1970–1998) einen vergleichsweise großen Zeitraum ab. Ebenso war die Rauminstallation mit dem Titel Boutique Product of Chohreh Feyzdjou von der iranischen Künstlerin Chohreh Feyzdjou innerhalb von 20 Jahren, zwischen 1973 und 1993, entstanden. %HPHUNHQVZHUWLVWGDVVGLHGUHL,QVWDOODWLRQHQYRQ5RWK.RåDULüXQG)H\]GMRX – nicht zuletzt in ihrer Funktion als historische Marksteine – untereinander starke inhaltliche Bezüge aufbauten, die direkt auf den konzeptionellen Kern der Documenta 11 verwiesen. Denn von den zwölf Künstlern, die Arbeiten zwischen den HU XQG HU -DKUHQ DXVVWHOOWHQ WKHPDWLVLHUWHQ LQVEHVRQGHUH 5RWK .RåDULü und Feyzdjou durch die Inszenierung ihrer jeweiligen Ateliersituationen Werk- und Arbeitsprozesse, die den Werkbegriff als eine abschließbare, einheitliche Entität infrage stellten. Auffällig war, dass alle drei Ateliersituationen die zeitlichen und prozessualen Dimensionen der eigenen künstlerischen Arbeit in den Blick nahmen: Sie integrierten dezidiert eine retrospektive Sicht auf das eigene Werk und thematisierten die Werkentwicklung und vielfältige, verzweigte Entstehungsprozesse innerhalb der jeweils persönlichen künstlerischen Arbeit. Dieter Roth: Große Tischruine (1970–1998), Tagebuch (1984)

Dieter Roths auf der Documenta 11 präsentierte Installation gab den Blick auf eine inszenierte Ateliersituation frei47, die Auskunft über die Arbeitsbedingungen und Werkprozesse des Künstlers geben konnte [Abb. 13]. Der im linken Flügel des zweiten Geschosses im Fridericianum gelegene Raum [Abb. B], welcher vor der Videoinstallation von Gef Geys lag, beheimatete dieses beinahe monströse Arbeitsszenario. Hier häufte sich das über Jahrzehnte von Roth angesammelte Arbeitsmaterial (Filmprojektoren, Kassetten, Filmrollen, Holz, Papiere, Kisten, Kleber, Bücher etc.) samt GHQ6SXUHQVHLQHVWlJOLFKHQ/HEHQV %LHUÀDVFKHQ7DVVHQ2UGQHU6FKQLSVHOOHHUH Kartons etc.) in einer eigenwilligen, höchst individuellen Anordnung. Denn das ganze Inventar stapelte sich in kuriosen Formationen teils geordnet, teils unübersichtlich – zumindest von außen betrachtet wenig systematisch – auf Tischen, Regalen und provisorisch angelegten Türmen. Das zwischen Chaos und Ordnung pendelnde Szenario gab einen Einblick in die historischen Schichten der Arbeits- und Werkprozesse des Künstlers und stellte zugleich die Temporalität des künstlerischen Schaffens als eine Art Materialarchäologie aus: Der Atelierbestand integrierte eine große 46 Vgl. auch das Titelbild dieser Publikation. 47 Vgl. die Werkangaben in: Ausst.Kat. (2002) Documenta 11_Platform 5: Ausstellungsorte, S. 234.

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II BILDANORDNUNGEN

Abb. 13: Dieter Roth: Große Tischruine, 1970–1998, Ausstellungsansicht im Fridericianum

Anzahl von Speichermedien in Form der bereits erwähnten Papiere, Kartons, Kassetten, Filmrollen, Lichtbildprojektoren und Monitore. Darüber hinaus vermittelten die Objekte, Werkzeuge und Materialien diverse unabgeschlossene Arbeitsstadien und boten zugleich einen Blick auf bereits getätigte Arbeitsabläufe. Das Atelier fungierte insofern auch als dokumentarisches Materialarchiv, denn es machte den Schaffensprozess anhand faktischer Objekte als eine Anreihung von Übergangsstadien sichtbar, ohne dass man jedoch den Künstler selbst am Werke sah. Die Anordnung der Objekte rückte vor allem den Entwicklungsprozess der künstlerischen Tätigkeit ins Blickfeld, der sich ganz und gar nicht als ein kohärenter oder geordneter darbot, sondern vielmehr als Resultat zufälliger Entscheidungen, materialer und medialer Gegebenheiten. Der Raum vermittelte den Eindruck von einem Arbeitsort, in dem sich ein kreativer, vielleicht manchmal exzessiver und leidenschaftlicher Wüterich in seinen intensiven Schaffensphasen durch die Berge seines Materials gräbt. Die hier inszenierte Unordnung der Dinge bildet einen auffälligen Kontrast zu einer systematisch geordneten, kunsthistorischen Geschichtsschreibung, die

IM KERN DES KANONS ? – WERKKONSTELLATIONEN DER DOCUMENTA 11

Abb. 14: Dieter Roth: Tagebuch, 1982, Ausstellungsansicht im Fridericianum

:HUNHQWZLFNOXQJHQKlX¿JDOVHLQHQNRKlUHQWHQNRQWLQXLHUOLFKHQXQGªIROJHULFK tigen« Prozess darstellt, wie er beispielsweise noch in Haftmanns Ausführungen für die Künstler der Klassischen Moderne postuliert wurde48. Im Hinblick auf die Speichermedien konnte die Atelierinstallation auch Bezüge zur etwas neueren, ebenfalls auf der Documenta im gleichen Stockwerk des Fridericianums ausgestellten Arbeit von Roth aufbauen [Abb. 14, Abb. B]. Bereits 1982 entstanden, verwies diese Installation mit ihrem bedeutungsvollen Titel Tagebuch thematisch auf die mit Erinnerungsprozessen verbundenen Aufzeichnungspraxen einer massenmedialisierten visuellen Kultur. Anders als ein traditionelles Tagebuch arbeitete dasjenige von Roth mit einem visuellen Archiv, denn diese Arbeit bestand aus 35 Super-8-Filmen, die über zahlreiche Projektoren – auf einem langen Tisch nebeneinander angeordnet – an die Wand projiziert wurden. Roth machte mit 48 Vgl. Buchteil I Bildgeschichten: Kapitel Zum Kunstbegriff der ersten Documenta-Ausstellungen (1955, 1959, 1964).

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dieser Arbeit sein auf Bewegtbildern basierendes Archiv sichtbar, das Einblicke in die individuelle Erinnerungskultur des Künstlers gab, zugleich aber auch eine massenmediale Bild- und Speicherungspraxis einer historisch gewordenen visuellen Kultur vor Augen führte. War doch der Super-8-Film seit 1965 und insbesondere in den 1970er Jahren ein weit verbreitetes Medium im Amateurbereich, um das familiäre Fotoalbum durch das Bewegtbild vielleicht nicht ganz zu ersetzen, so doch stetig zu ergänzen.49 Ivan Kožaric´: Atelier Kožaric´ (1930–2002)

'DVLQGLH%LQGLQJ%UDXHUHLYHUOHJWH$WHOLHUGHVNURDWLVFKHQ.QVWOHUV,YDQ.RåDULü [Abb. 15, Abb. D] versammelte gleichfalls zahlreiche Werkfragmente und vielfältiges Arbeitsmaterial. Der Künstler zeigte aber auch Plastiken, die er in der Zeit zwischen den 1930er Jahren und 2002 geschaffen hatte. Auf der Documenta 11 präsentierte er sein Material allerdings in einer – gegenüber Roth – vergleichsweise klaren Ordnung.50 Formen, Farben und Größen der einzelnen Objekte bildeten hier, ganz im Gegensatz zu Roths Anordnung, das prägende Ordnungskriterium.51 Aber auch hier zeichneten sich Werkprozesse anhand der einzelnen Objekte ab, so dass für den Betrachter unterschiedliche Werkstadien sichtbar wurden. Ganz ähnlich wie bei Roth und Feyzdjou spielte hier das Ausstellen der künstlerischen Arbeit als heteroJHQHUYLHOVFKLFKWLJHU3UR]HVVHLQHWUDJHQGH5ROOH0LW.RåDULüSUlVHQWLHUWHPDQ einen osteuropäischen, ehemals jugoslawischen und heute kroatischen, in Zagreb lebenden Künstler, der mit dem Geburtsjahrgang 1922 einen großen Teil der europäischen Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts und insbesondere die kulturSROLWLVFKHQ .RQÀLNWOLQLHQ LQQHUKDOE GHV Kalten Krieges miterlebt hatte. Er nahm zwar bereits 1976 an der Biennale in Venedig für den jugoslawischen Pavillon und 1979 an der Biennale in São Paulo teil, jedoch war er zur Zeit des Ost-West-KonÀLNWVLQQHUKDOEGHVZHVWHXURSlLVFKHQ.XQVWEHWULHEVZHLWDXVZHQLJHUYHUWUHWHQDOV etwa Dieter Roth52. Durch einen Stipendienaufenthalt in Paris konnte er 1959/60 49 1965 brachte die Firma Kodak den Super-8-Film auf den Markt. Er etablierte sich in den 1970er Jahren zu einem der populärsten Aufzeichnungsmedien im Amateurbereich. Der Verbrauch von Filmmaterial erreichte aber erst um 1979 und 1980 mit jährlich 19 Millionen allein in Deutschland verkauften Super-8-Kassetten seinen Höchststand (vgl. auch http://de.wikipedia.org/wiki/ Super_8, zuletzt abgerufen am 10.01.2012). 50 Vgl. die Werkangaben in: Ausst.Kat. (2002) Documenta 11_Platform 5: Ausstellungsorte, S. 231; darüber hinaus zum Werk: Kožaric´ 1996: Ateljer Kožaric´. 51 Vgl. hierzu die Installationsansicht auf dem Titelcover in Farbe. 52 Dies zeigt sich auch daran, dass entsprechend der Recherchen in den einschlägigen Datenbanken (www.artlibraries.de und Karlsruher Katalog, zuletzt abgerufen am 20.10.2009) innerhalb der gesamtdeutschen Bibliotheken keine englischsprachige, französische oder auch deutsche monografische Publikation zu Kožaric´s Werk vorlag. Zum auf der Documenta ausgestellten Werk Atelier Kožaric´ existiert lediglich eine englische Übersetzung zu einer vom Künstler selbst herausgegebenen Publikation: vgl. Kožaric´ 1996: Ateljer Kožaric´, die mir jedoch selbst nur in kroatischer Fassung vorlag. Die Ausstellungstätigkeit von Kožaric´ bezieht sich vorwiegend auf

IM KERN DES KANONS ? – WERKKONSTELLATIONEN DER DOCUMENTA 11

Abb. 15: Ivan Kožaric´: Atelier Kožaric´, 1930–2002, Ausstellungsansicht in der Binding Brauerei

engere Kontakte zum westlichen Kunstbetrieb knüpfen, was sein Werk nachhaltig EHHLQÀXVVWH %HPHUNHQVZHUW DQ VHLQHQ$UEHLWHQ LVW GLH HLJHQVWlQGLJH DEVWUDNWH Formsprache, die auch in der hier abgebildeten Ateliersituation deutlich erkennbar wird. Insbesondere die an den Wänden präsentierten Arbeiten zeugen von der Auseinandersetzung mit einem abstrakten Formvokabular innerhalb tendenziell PRQRFKURPHU%LOGÀlFKHQGLHQLFKW]XOHW]WIUVHLQH6FKDIIHQVSKDVHLP.RQWH[W der Künstlergruppe Gorgona LQ GHQ HU -DKUHQ W\SLVFK ZDU .RåDULü QLPPW innerhalb des Ausstellungsparcours insofern eine Sonderstellung ein, als dass er zu den wenigen nicht-westlichen Künstlern zählt, die als kanonisch bezeichnet werden können. Als Künstler mit eher abstrakter Formensprache vertritt er, entgegen dem gängigen Deutungskanon, eine sehr eigenständige Position. Denn, wie im ersten Analyseteil dieser Arbeit deutlich wurde, verband man mit der Abstraktion vor allem eine Formensprache, die mit dem freiheitlich-demokratischen Westen assoziiert war und weniger mit dem Schaffen osteuropäischer Künstler: Vor allem die ersten Documenta-Ausstellungen zeugen von dieser einschlägigen Deutungsperspektive wie im vorangegangenen Buchteil I Bildgeschichten deutlich werden konnte. Darüber hinaus hatte Jugoslawien zur Zeit des Kalten Krieges DOV EORFNIUHLHU 6WDDW HLQH 6RQGHUVWHOOXQJ LP 2VW:HVW.RQÀLNW ZDV VLFK DXFK kulturpolitisch auf das Schaffen der Künstler auswirkte53.RåDULüV:HUNQLPPW folglich in der Wissensordnung einer traditionellen westlich-europäischen Kunstgeschichte eine widerständige Position ein.

das Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens. Die Publikationen sind vorwiegend auf kroatischer Sprache herausgegeben. 53 Davon zeugt beispielsweise Kožaric´s Studienaufenthalt in Paris, außerdem die Mitgliedschaft des Künstlers in der kroatischen Künstlergruppe Gorgona, die sich in den 1960er Jahren verstärkt mit abstrakten Tendenzen in der zeitgenössischen Kunst beschäftigte.

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II BILDANORDNUNGEN

Abb. 16: Chohreh Feyzdjou: Boutique Product of Chohreh Feyzdjou, 1973–1993, Ausstellungsansicht im Fridericianum

Chohreh Feyzdjou: Boutique Product of Chohreh Feyzdjou (1973–1993)

Die 1955 im Iran geborene und bereits 1996 in Paris verstorbene Chohreh Feyzdjou KDWWHLQGHQ-DKUHQ]ZLVFKHQXQGJDQ]lKQOLFKZLH.RåDULüXQG5RWK eine Installation geschaffen, die ebenfalls den Werkprozess, und damit das künstlerische Arbeiten selbst, zur Anschauung brachte [Abb. 16].54 Die Documenta 11 präsentierte Feyzdjous Installation prominent im Erdgeschoss des Fridericianums in dem rechts vom Eingangsbereich gelegenen Raum, der zu einem der größten innerhalb dieses Ausstellungsgebäudes zählte [Abb. A]. Wollte man die Arbeiten im rechten Flügel des Fridericianums anschauen, musste man Feyzdjous Raum passieren. Insofern wies man ihrer Arbeit mit dieser markanten Positionierung an einem zentralen Ort des Eingangsbereichs eine exponierte Stellung innerhalb der V]HQRJUD¿VFKHQ2UGQXQJ]X Mit der Auswahl dieser historischen Position, deren Entstehungsjahr auf 1973 GDWLHUW UHÀHNWLHUWH GLH 'RFXPHQWD HLQHQ YRUZLHJHQG HXURSlLVFKZHVWOLFK NRQ]HQtrierten Kanon innerhalb des Kunstbetriebs. Beispielsweise wurde die prominente Position von Dieter Roth durch die Installation der iranischen Künstlerin mit einem 54 Vgl. die Werkangaben in: Ausst.Kat. (2002) Documenta 11_Platform 5: Ausstellungsorte, S. 227.

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formal und inhaltlich ähnlichen, aber weitaus weniger kanonischen Werk, das zudem in außereuropäische Kulturkontexte eingebunden war, konfrontiert. Der eher marginalisierte Stellenwert von Feyzdjou innerhalb des kunstwissenschaftlichen Diskurses wird vor allem daran deutlich, dass ihre Arbeiten bis zur elften Documenta vergleichsweise wenig Beachtung fanden. Dies zeigt sich an ihrer relativ geringen Präsenz in internationalen Ausstellungen, aber auch an der wenig gesättigten Publikationslage zu ihrem Werk.55 Gerade dadurch, dass die elfte Documenta die Arbeit einer bereits verstorbenen Künstlerin ausstellte, wurde ihr eine ungleich höhere Bedeutung zugeschrieben, zählt es doch zu den paradigmatischen Setzungen des Kasseler Konzepts, sich vornehmlich auf aktuelle, zeitgenössische Werke von noch lebenden Künstlern und Künstlerinnen zu beziehen. Zudem stellten im Jahr 2002 im Iran aufgewachsene und auch dort ausgebildete Künstlerinnen im internationalen Kunstbetrieb eher eine Seltenheit dar: Die Documenta widmete mit der Wahl von Feyzdjou gerade solchen relativ wenig wahrgenommenen, eher marginalisierten Positionen erhöhte Aufmerksamkeit. Darüber hinaus war Feyzdjous individuelle, DEHUDXFKIDPLOLlUH%LRJUD¿HYRQYLHOVFKLFKWLJHQNXOWXUHOOHQ.RQWH[WHQJHSUlJW,KU Vater emigrierte mit seiner jüdischen Familie vor 1955 in den Iran, so dass sie selbst in einer moslemischen Gesellschaft innerhalb einer jüdischen Minderheit aufwuchs. Sie studierte Kunst in Teheran und im Anschluss daran auch an der Sorbonne und der École des Beaux-Arts in Paris. Die Documenta 11 öffnete mit dieser, an prominenter Stelle präsentierten Arbeit den Blick für künstlerische Praxen, die stark von ELRJUD¿VFKHQ(UIDKUXQJHQPLWDX‰HUHXURSlLVFKHQ.XOWXUHQJHSUlJWZDUHQ'LH$XVstellung befragte mit diesem Fokus auf Künstlerinnen und Künstler mit familiären und auch individuellen Migrationserfahrungen Ordnungskriterien und Einzugsbereiche des westlichen Kunstbetriebs, welche die ersten drei Documenta-Ausstellungen eher weniger dezidiert im Blick hatten, da sie maßgeblich auf westlich-europäische Kunstproduktionen konzentriert waren. So hatten die ersten drei Kasseler Ausstellungen die Migrationshintergründe insbesondere jüdischer Künstlerinnen und Künstler im Zuge des Zweiten Weltkriegs weitgehend ausgeblendet. Zwar hatte die erste Documenta dem aus Osteuropa stammenden Marc Chagall mit jüdischer Herkunft einen kompletten Raum gewidmet, jedoch thematisierte man die Relevanz des Raumes vor dem Hintergrund der faschistischen Diffamierungen jüdischer Künstlerinnen und Künstler während des Nazi-Regimes nicht. Dies hätte wahrscheinlich Haftmanns kunsthistorisches Programm einer teleologischen, von gesellschaftlichen Rahmen55 2007 erscheint erstmals ein umfassender monografischer Ausstellungskatalog zum Werk der Künstlerin: vgl. Ausst.Kat. (2007) Tout Art Est En Exil. 1993 widmete sich eine Ausstellung allein der auf der Documenta 11 gezeigten Installation: vgl. Ausst.Kat. (1993) Product of Chohreh Feyzdjou. Darüber hinaus sind wenige und lediglich relativ kurze Artikel und Publikationen zu Feyzdjous Werk erschienen sowie einige Interviews, vgl. den Beitrag von Ralf Seidel, der mit zahlreichen, interessanten Verweisen eine philosophische Perspektive eröffnet, um die Identitätsfragen von »Eigenem« und »Fremdem« im Werk von Feyzdjou vor dem Hintergrund ihrer jüdischen Herkunft zu reflektieren: Seidel 2003: »Entfernte Fremde«. Der Artikel aus dem Kunstmagazin Art gibt zudem einen relativ guten Überblick über die Ausstellungstätigkeiten der Künstlerin bis 2002: vgl. Müller 2002: »Nachforschungen über eine Unbekannte«.

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bedingungen weitgehend losgelösten Kunstentwicklung zu sehr infrage gestellt und die Begrenztheit seines Geschichtsmodells offengelegt. Die Verlusterfahrungen der durch den Faschismus verursachten Emigrationsbewegungen jüdischer Künstler wurden rhetorisch und konzeptuell weitgehend umschifft, um dem bundesrepublikanischen Anspruch auf die kulturelle Wiedereingliederung in das westeuropäische Staatengefüge gerecht zu werden.56 Die Documenta 11 konnte hingegen mit historischer Distanz, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, und als mittlerweile institutionalisiertes und globalisiertes Kunstunternehmen, ihren Blick dezidiert auf vielfältige Migrationsbewegungen richten, die innerhalb der Werke in unterschiedlichem Maße zum Tragen kamen. Sie verdeutlichte durch ihren – nicht zuletzt auch theoretischen – Fokus auf Aspekte der Transkulturalität57 diesen bis dato relativ stark ausgeblendeten Aspekt einer westlich orientierten Kunstgeschichtsschreibung. &KRKUHK )H\]GMRXV %LRJUD¿H ]HLFKQHW VLFK HLQHUVHLWV GXUFK MGLVFKH DQGHUHUVHLWV DEHU DXFK GXUFK PRVOHPLVFKSHUVLVFKH .XOWXUHLQÀVVH DXV 'DUEHU KLQDXV war sie durch ihr Studium in Paris und ihren späteren dortigen Wohnsitz mit einer stark westlich-europäischen Lebenswelt konfrontiert. Dieser Wandel zwischen den Welten, die stetige Veränderung der Standorte und Bezugspunkte prägte ihr Werk, das sich durch ständiges Überarbeiten der Materialien, durch beharrliches Sortieren und Eingliedern, stetiges Abbauen und Dekonstruieren sowie erneutes Aufbauen und Zusammenfügen auszeichnet. Ihre auf der Documenta 11 gezeigte Installation entzieht sich eher einer Interpretation, da die vielschichtigen Arbeitsprozesse, Verpackungen und Verhüllungen einen Blick auf die Bilder und auch einen Einblick in die Material- und Objektbeschaffenheit verwehren: Die hier abgebildete Installationsansicht [Abb. 16] zeugt davon, dass Feyzdjou in einem langwierigen Prozess ihre innerhalb ihrer künstlerischen Tätigkeit entstandenen Bilder aus den Keilrahmen gelöst, die Leinwände in meterlangen Bahnen zusammengenäht und mit einer Farbschicht aus schwarzem Pigment überzogen hatte, um sie dann auf Rohre von etwa drei Meter hohen Baugerüsten aufzurollen. Dieses im Fridericianum installierte Szenario erinnert an die Präsentation der Waren von Teppich- und Tapetenhändlern oder aber an alte Schrift- und Thorarollen. Man konnte auf den kleineren Rollen persische Gedichte entdecken – offensichtlich ein Verweis auf wichtige, prägende Bestandteile der iranischen Kultur, in der sie aufgewachsen war. Die Installationsansicht zeigt zudem im hinteren Bereich an der Wand, dass die Künstlerin weitere Leinwände aufgewickelt und separat, hochkant aufgestellt präsentiert hatte. Sie vermittelten den Eindruck von Reststücken eines Bazarhändlers, die billiger zu haben und deswegen weniger prominent ausgestellt waren. Auch hier wurde kein Einblick gewährt. Und dort wo die Leinwände, ähnlich wie Kleidungsstücke, nach Größen geordnet, hintereinander in einem Gestell abgehängt waren, gaben sie lediglich die Ansicht auf schwarz ELVEUDXQHLQJHIlUEWH%LOGÀlFKHQIUHL8QWHUGHQJUREHQGXQNOHQPRQRFKURPHQ 56 Vgl. hierzu den Buchteil I Bildgeschichten. 57 Vgl. hierzu in diesem Buchteil das Kapitel Exkurs: Trans- und Interkulturalität.

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2EHUÀlFKHQVWUXNWXUHQ YHUEDUJHQ VLFK P|JOLFKHUZHLVH %LOGVFKLFKWHQ GLH MHGRFK – wenn überhaupt – lediglich in der Vergangenheit sichtbar gewesen sein mussten. Wie auf der Abbildung zu sehen, umfasste das Szenario zudem diverse Transportkisten und Kästen, die zum Teil verschlossen, zum Teil zur Einsicht geöffnet waren, aber auch Konserven und Einmachgläser. Auch hier konnte man die in ihnen aufbewahrten Utensilien aufgrund einer schwarzen, auf Pigment basierenden )lUEXQJ KlX¿J QLFKW LGHQWL¿]LHUHQ )H\]GMRX SUlSDULHUWH LKUH 2EMHNWH YRUQHKPlich mit Wachs, wobei hauptsächlich die Überbleibsel ihrer Arbeitsprozesse den Grundstock für ihre eigenartigen Gebilde lieferten, die sie in Gläsern und Kästen deponierte: Haare, Wolle, Federn, Stofffetzen, aber auch Gebrauchsgegenstände, wie Stifte, Pinsel, Latexhandschuhe, Watte und Nägel. Deutlich wurde: Nicht das Einzelobjekt als Unikat oder Original, sondern die Summe der einzelnen Objekte, LKUH6DPPOXQJ3UlSDULHUXQJ.ODVVL¿]LHUXQJXQG$XVVWHOOXQJVWDQGIUGLH.QVWlerin im Zentrum des Interesses. Die Gegenstände waren, unter einer schwarzen Pigmentschicht vergraben, ihrer Identität beraubt, einem ständigen Verwandlungsprozess unterworfen. Mit dieser Inszenierung konterkarierte die Künstlerin jegliche Kostbarkeitslogik, die etwa mit dem Status des »Originals« innerhalb einer westlich-europäischen Kunstgeschichte verbunden wird. Feyzdjou unterstrich ihre Haltung auch dadurch, dass sie die Kisten und Behälter ihrer Objekte mit einer rosafarbenen Etikettierung auszeichnete, die sich auffällig von den schwarz getünchten Präparaten abhob. Auf den Etiketten war die Aufschrift »Product of Chohreh Feyzdjou« zu lesen. Wie eine Marke, ein Logo, zur Auszeichnung eines Massenprodukts schmückten diese Auszeichnungen die Behälter der weitgehend bis zur Unkenntlichkeit überarbeiteten Objekte. Sie waren außerdem mit einer Referenznummer versehen, um Auskunft über das Entstehungs- und Verarbeitungsdatum der Gegenstände zu geben. Ganz offensichtlich stand die Künstlerin hier mit den Marktmechanismen des westlichen Kunstbetriebs in Verhandlung: Einerseits hatten die Objekte innerhalb des Werkprozesses durch die ständige Über- und VerDUEHLWXQJLKUH¿[LHUEDUH,GHQWLWlWYHUORUHQDQGHUHUVHLWVDEHUZXUGHLKU:DUHQZHUW als Kunstprodukt gerade durch die auffällige Markierung unterstrichen. Mit diesem künstlerischen Verfahren knüpfte Feyzdjou auch an einen bereits im ersten Buchteil thematisiertem kunsthistorischen Diskurs zur Malerei an: Indem sie ihre Bilder durch die materiale Dekonstruktion (in Nägel, Keilrahmen und Leinwände) eben genau jener Gattung entzog, die nicht zuletzt noch auf den ersten drei DocumentaAusstellungen die maßgebliche Referenzfolie für die Konstitution des Kunstbegriffs bildete, stellte sie das malerische Tafelbild als konstitutives Element einer ZHVWOLFKHQ+LVWRULRJUD¿HGHU.XQVW]XU'LVSRVLWLRQ Die Installation von Feyzdjou eröffnete vielfältige kulturelle, Bedeutung stiftende Referenzsysteme, die nicht ausschließlich innerhalb einer westlich-europäischen Kunstgeschichte zu verorten sind. Ihre Arbeit verweist auf diverse Versatzstücke unterschiedlicher kultureller Kontexte: Die Künstlerin spielt zum einen mit dem Motiv der Bilderlosigkeit und des Objektentzugs, das insbesondere in der jüdischen Tradition verankert ist. Zugleich aber bezieht sie sich gerade durch

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diesen prominent inszenierten »Ausstieg aus dem Bild« kritisch auf eine europäisch-abendländische Kulturtradition, die der Malerei den höchsten Stellenwert im Gattungsdiskurs einräumte und das Tafelbild als maßgeblichen Referenzpunkt einer Geschichte der Kunst stilisierte. In Feyzdjous Installation, die mit ihren Stellgerüsten und alten Kisten wie ein Warenlager der Vergangenheit anmutet, scheinen die Objekte einer ständigen Transformation zu unterliegen, da die materialen Strukturen palimpsestartige Spuren der vielfachen Veränderung aufweisen. Die Kisten und Kästen zeugen von einer QRPDGLVFKHQ PLJUDQWLVFKHQ ([LVWHQ] GLH VLFK NHLQHVZHJV GXUFK HLQH GH¿QLWLYH Position bestimmen lässt: Die Transportkisten waren ganz in diesem Sinne mit der Beschriftung »Teheran-Paris« versehen und verwiesen damit eher auf einen Zwischenraum, auf einen Raum des Übergangs, als auf einen eindeutigen Standpunkt. )H\]GMRXVNQVWOHULVFKH$UEHLWHQW]LHKWVLFKGH¿QLWLYHQNXOWXUHOOHQ=XZHLVXQJHQ aber auch kunsthistorischen Kategorien, mehr noch: Sie versucht diese offensichtlich zu unterlaufen. Denn Identität stellte für die Künstlerin stets eine brüchige Kategorie dar, konstatierte sie doch einst in einem Interview: »Und es sind doch eher Ereignisse, Verletzungen, die unseren Platz im Leben bestimmen, als ein für allemal feststehende Zugehörigkeiten.«58 Roth, Kožaric´, Feyzdjou und der Kanon: eine Zwischenbilanz

Sowohl die Installation von Roth als auch das in der Binding Brauerei ausgestellte $WHOLHU YRQ .RåDULü UHÀHNWLHUHQ JHPHLQVDP PLW GHU$UEHLW YRQ )H\]GMRX KLVWRULsche (Re)Konstruktions- und Erinnerungsprozesse anhand materialer Artefakte. Entziehen sich die beiden Szenarien von Roth und Feyzdjou eher einer eindeutigen Zuordnung ihrer Objekte – einerseits durch die Inszenierung einer relativ undurchdringlichen, chaotischen Anordnung innerhalb des Ateliers, andererseits durch die Chiffrierung der Objekte durch schwarzes Pigment, durch zahlreiche Verhüllungen XQG9HUSDFNXQJHQ±VRSUlVHQWLHUWHGDV$WHOLHUGHVNURDWLVFKHQ.QVWOHUV.RåDULü eine relativ nachvollziehbare formale Ordnungsstruktur. Gemeinsam ist allen drei Installationen, dass sie den künstlerischen Werkprozess, das Ordnen, Sortieren, die damit verbundene Deutung der Objekte, aber auch GLH SRWHQWLHOOH 8QRUGQXQJ GHU 'LQJH UHÀHNWLHUHQ 'DV RIIHQVLFKWOLFK EHZXVVWH Spiel zwischen Verbergen und Präsentieren, zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit und auch das augenfällige Be- und Überarbeiten der Objekte spielt bei allen drei Arbeiten eine tragende Rolle. Die Installationen stellen jeweils ein Materialarchiv bereit, das je einen Jahrzehnte überschreitenden Zeitraum abdeckt und zugleich den Werkprozess als temporalen, vielschichtigen Arbeitsvorgang, in dem Material und Bedeutung konstruiert und geschichtet wurde, in Szene setzt. Diese Aspekte greifen HLQ ]HQWUDOHV 7KHPD GHU .DVVHOHU $XVVWHOOXQJ DXI GLH 5HÀHxion zeitlicher und sinnstiftender Ordnungen und nicht zuletzt auch das Inszenieren von Ausstellungen selbst, im Sinne einer Bedeutung tragenden Struktur. 58 Zitiert nach einem Interview in: Seidel 2003: »Entfernte Fremde«, S. 286.

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Im Hinblick auf die ausgestellten zeitgenössischen Werke der Documenta 11 konnte die Installation des weniger bekannten afrikanischen Künstlers Georges Adéagbo mit dem Titel »L’explorateur et les explorateurs devant l’histoire de l’exploration«...! Le théâtre du monde (»Der Entdecker und die Entdecker angesichts der Geschichte der Entdeckungen«...! Das Theater der Welt), welche die Documenta in Auftrag gegeben hatte, an dieses Themenfeld anknüpfen: Auch der aus Benin stammende und in Cotonou lebende Künstler hatte eine Art Ateliersituation inszeniert, innerhalb der er unzähliges, eigens zusammen gesammeltes Alltagsmaterial aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten in eine individuelle Ordnungsstruktur fügte. Mit dieser zeitgenössischen Arbeit stellte die Documenta – ebenso wie mit der bereits besprochenen Installation von Feyzdjou – die Wissensordnungen einer westlich orientierten Kunstgeschichte zur Diskussion. Adéagbo hatte seine Arbeit so angelegt, dass sie vor allem unter Berücksichtigung der Kolonialisierungsgeschichte und den noch immer bestehenden (postkolonialen) Machtverhältnissen zwischen den Ländern Afrikas und Europas ausgedeutet werden musste: Durch seine Materialsammlungen führte er die Konstitution von symbolischen Ordnungen, Deutungshoheiten und kulturelle Synthesen afrikanischer und europäischer .XOWXUHQ YRU$XJHQ$GpDJER UHÀHNWLHUWH PLW VHLQHP ]XP7HLO KRFK DVVR]LDWLYHQ Verfahren Wahrnehmungsstrukturen über die »afrikanische Kultur«, aber auch über die »westliche Kultur«. Durch die Gegenüberstellung unterschiedlichster Objekte aus eher westlich-europäisch und eher afrikanisch geprägten Kontexten provozierte er das Nachdenken über Zuschreibungs- und Deutungspraxen von Kulturen. Kulturelle Differenz stellt sich in dieser Installation vor dem Hintergrund einer gemeinsamen kolonialen Vergangenheit und sich globalisierender Kulturen jedoch nicht als JlQ]OLFKªDQGHUV©RGHUªIUHPG©GDU$GpDJERV$UEHLWNRQQWHPLWGLHVHU5HÀH[LRQ über Ordnungs- und Wissenssysteme an die hier skizzierten historischen Arbeiten YRQHWZD5RWK)H\]GMRXXQG.RåDULüDQVFKOLH‰HQ,P+LQEOLFNDXIGLH5HÀH[LRQ von Wissensordnungen eröffnete nicht zuletzt diese Installation ein transkulturelles 5HÀH[LRQVSRWHQWLDO59, da eine fundierte Analyse dieses Werkes ohne das Infragestellen und Überschreiten kanonischer Wissensordnungen der westlich-europäischen Kunstgeschichte und ihrer methodischen Grundlagen nicht auskommt60. Gerade GLHVH5HÀH[LRQYRQ:LVVHQVRUGQXQJHQSURYR]LHUWHGLHHOIWH'RFXPHQWDGXUFKGLH Gegenüberstellung von kanonischen und weniger kanonischen Werken und durch ungewöhnliche historische Referenzsysteme. 'LHEHLGHQ,QVWDOODWLRQHQYRQ5RWKXQG.RåDULüXQWHUPDXHUWHQ±DOVEHUHLWVkanonisierte Positionen61 – eine Auseinandersetzung historisch, die sich mit der Frage um die Konstruktion von Wissen und damit nicht zuletzt mit kunsthistorischen 59 Vgl. zum Begriff der Transkulturalität den diesem Kapitel folgenden Exkurs: Trans- und Interkulturalität. 60 Vgl. zu einer ausführlichen Auseinandersetzung mit dieser Installation die noch unveröffentlichte Dissertation: Schankweiler 2006: Georges Adéagbo. 61 Vgl. hierzu auch Tabelle 4 im Anhang dieses Buches.

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Wissensordnungen beschäftigt. Mit Feyzdjou hingegen integrierte die Documenta eine weniger kanonische, aber zugleich historische Position, die eine ähnliche thematische Perspektive verfolgte. An diesen Arbeiten, die durch ihre retrospektive Anlage die Vergangenheit ganz explizit mit der Gegenwart vermittelten, wird deutlich, dass eben jene beiden temporalen Einheiten (Vergangenheit/Gegenwart) keinesZHJVHLQGHXWLJYRQHLQDQGHU]XWUHQQHQVLQG'HQQVRZRKOEHL5RWKXQG.RåDULüDOV auch bei Feyzdjou zeigt sich, dass der Blick auf die Vergangenheit keinesfalls eine WUDQVKLVWRULVFKJOWLJHXQGGDPLWHLQHREMHNWLYHXQG¿[LHUEDUH*U|‰HGDUVWHOOW*DQ] im Gegenteil: An den Arbeiten wird deutlich, dass die Geschichte immer in direktem Bezug zur jeweiligen Gegenwart steht, die Werke und Objekte selbst im Laufe der Geschichte vielfältigen Transformationsprozessen unterliegen und keinesfalls VWDWLVFK¿[LHUEDUH*U|‰HQGDUVWHOOHQ'HQQGLH9HUJHJHQZlUWLJXQJGHU9HUJDQJHQ heit, die aktuelle Aneignung historischer Objekte impliziert immer auch einen jeweils aktuellen Blick und damit eine aktualisierende Deutung, die, je nach Zeitgenossenschaft, höchst variabel ausfallen kann. Die drei Installationen stellten ihre MHHLJHQHXQG]XJOHLFKYDULDEOH'HXWXQJGHU9HUJDQJHQKHLWDXVXQGGDPLWGDVKlX¿J zu vernehmende Diktum der »historischen Distanz« als notwendige Vorraussetzung für die kunsthistorische Analyse infrage. An dieser Stelle deutet sich bereits an, dass die innerhalb der frühen Documenta-Ausstellungen relativ statische Konstruktion von Geschichte als organischem VerlaufDXIGHUHOIWHQ'RFXPHQWDNULWLVFKUHÀH[LY innerhalb der Werke selbst zur Sprache kam. Im Gegensatz zu den ersten drei Documenta-Ausstellungen rückte hier weniger eine historisch kohärente Entwicklung der Kunst und ihrer Geschichte in den Blick, vielmehr wird die Geschichte der Kunst als subjektiver, aber auch gesellschaftlicher Deutungsprozess ausgestellt und als YLHOVFKLFKWLJYHU]ZHLJWUHÀHNWLHUW6SLHOWHLQGHQIUKHQ'RFXPHQWD$XVVWHOOXQJHQ die Abstraktion die paradigmatische Rolle zur Konstruktion einer Kunstgeschichte, zeigt sich mit den hier erwähnten Beispielen, dass der Kunstbegriff auf der elften Documenta in viele einzelne historische und durchaus variable Stränge zerfasert. Der Deutungskanon, das wird hier deutlich, verändert sich, wodurch die strenge Fixierung auf eine formgenealogische Kunstgeschichte relativiert und auch der Materialkanon mit außereuropäischen Positionen konfrontiert wird, ohne jedoch den Kanon vollständig ad acta zu legen. 0LW GHQ$UEHLWHQ YRQ 5RWK )H\]GMRX XQG .RåDULü LQWHJULHUWH GLH$XVVWHOOXQJ DXFK HLQH VHOEVWUHÀH[LYH 3HUVSHNWLYH 'HQQ GLH JHQDQQWHQ$UEHLWHQ WKHPDWLVLHUWHQ selbst das Ausstellen von Werken und Künstlern – eine Praxis also, die zugleich auch immer konstitutiv für jede einzelne Documenta war und ist. Die drei Installationen stellten die Variabilität von Deutungsperspektiven aus, denn sie führten ganz unterschiedliche Präsentationsmodi eines künstlerischen Werks vor Augen. Die Werke der drei Künstler unterstreichen folglich einen Aspekt, der bereits innerhalb der methodischen Überlegungen zur Sprache kam62: Es wurde erwähnt, dass die niederländische Forscherin Mieke Bal in ihren Publikationen, die sich mit dem 62 Vgl. den ersten Buchteil dieser Arbeit: Ausstellungen – ein interdisziplinäres Forschungsfeld.

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Ausstellen beschäftigen, verdeutlicht, dass die Praxis des Ausstellens immer auch einen perspektivischen Zugriff auf die Objekte impliziert63. Im Rahmen der szenoJUD¿VFKHQ 2UGQXQJ GHU 'RFXPHQWD UFNW GLHVHU$VSHNW IROJOLFK DXI GHU (EHQH der Anordnung der Werke in den Blick: Das Ausstellen des Ausstellens spielt in den Werkinszenierungen der drei Künstler eine tragende Rolle. Auch hier lässt sich festhalten, dass die ersten Documenta-Ausstellungen der 1950er und 1960er Jahre GLHVHQ VHOEVWUHÀH[LYHQ$VSHNW ]XJXQVWHQ HLQHU NRKlUHQWHQ :HUNHLQKHLW XQEHUFNsichtigt ließen. Das Werk selbst wurde innerhalb der Documenta-Konzeptionen von Haftmann und Bode vorwiegend als Objekt begriffen, das relativ unabhängig vom subjektiven Zugriff existierte. An der Gegenüberstellung der ersten drei DocumentaAusstellungen mit der Kasseler Schau von 2002 lässt sich herausarbeiten, dass sich die erkenntnistheoretischen Vorraussetzungen verschoben haben und sich auch in der V]HQRJUD¿VFKHQ2UGQXQJQLHGHUVFKODJHQ(VZLUGVLFK]HLJHQGDVVGDV'LVSRVLWLY Ausstellung immer auch von seinen jeweils zeitgenössischen, ideengeschichtlichen Horizonten geprägt ist.

EXKURS: TRANS- UND INTERKULTURALITÄT

Der Begriff der Transkulturalität wurde von Okwui Enwezor nicht zuletzt für die inhaltliche Konzeption der Documenta 11 immer wieder betont und als ein leitendes Paradigma für die Ausstellung hervorgehoben.64 So formuliert der Politikwissenschaftler und Kurator im Einleitungstext des Ausstellungskatalogs zur elften Documenta: »Gegen die vermeintliche Reinheit und Autonomie des Kunstobjekts setzt die vielfach vernetzte Ausstellung einen neuen Begriff von Moderne, der auf den Ideen von Transkulturalität und Exterritorialität basiert. Damit ist das Ausstellungsprojekt [...] die Zusammenfassung einer Pluralität von Stimmen, die PDWHULHOOH5HÀH[LRQEHUHLQH5HLKHGLVSDUDWHUXQGGRFKPLWHLQDQGHUYHUNQSIWHU Aktionen und Prozesse.«65 Wenngleich Enwezor das Konzept der Transkulturalität als Erklärungsmodell für Kulturentwicklungen im Zeitalter der Globalisierung vielfach verwendete und es auch im Documenta-Katalog eine zentrale Rolle spielt, hat er meines Wissens nach keinen Erklärungsversuch unternommen, differenziert zu erörtern, was konkret unter diesem kontrovers diskutierten Begriff zu verstehen ist. Deshalb soll hier unter Berücksichtigung kultur- und sozialwissenschaftlicher Ansätze eine Annäherung an dieses komplexe Kulturphänomen versucht werden. Dies erscheint vor allem vor GHP +LQWHUJUXQG ZLFKWLJ GDVV GLH V]HQRJUD¿VFKH 2UGQXQJ GHU HOIWHQ 'RFXPHQWD $VSHNWHGHU,QWHUXQG7UDQVNXOWXUDOLWlWUHÀHNWLHUWHGLHGHQ.DQRQGHVZHVWOLFKHQ Kunstbetriebs in ein kritisches Licht rückten. 63 Vgl. Bal 1996: Double Exposures; dies. 2006: »Zeigen, Sagen, Prahlen«. 64 Vgl. Enwezor 2002: Großausstellungen und die Antinomien einer transnationalen globalen Form. 65 Enwezor 2002: »Black Box«, S. 55.

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Der Begriff der Transkulturalität spielte innerhalb des deutschsprachigen, kulturwissenschaftlich orientierten Diskurses eine zentrale Rolle in den Publikationen von Wolfgang Welsch. Eine erste Version seines extrem optimistischen Konzeptes präsentierte der Professor für Theoretische Philosophie bereits 1991 innerhalb eines Vortrags66. Der Philosoph diagnostizierte auf dieser Grundlage auch 2005 noch HLQH$XÀ|VXQJ YRQ PXOWL XQG LQWHUNXOWXUHOOHQ 9HUKlOWQLVVHQ XQG NRQVWDWLHUWH GLH ª$XÀ|VXQJ GHU(LJHQ)UHPG'LIIHUHQ]©67 zugunsten transkultureller Formationen. Welschs Konzept geht im Gegensatz zu einem traditionellen Kulturmodell, das er insbesondere bei Herder verankert sieht, davon aus, dass Kulturen eben nicht mehr autonome Entitäten darstellen, sondern sich grundsätzlich durch die Vernetzung mit anderen Kulturen auszeichnen.68 Auch das Konzept des Multikulturalismus ist nach Welsch immer noch im traditionellen Kulturmodell Herders verankert, da man hier die Einzelkulturen noch als homogen und abgegrenzt denke.69 Ebenso sei dies beim Konzept der Interkulturalität der Fall. Dieses unterscheide sich lediglich darin, dass man hier den Dialog zwischen den – jedoch immer noch grundsätzlich verschiedenen – Kulturen in den Mittelpunkt stelle.70 Welsch steht folglich für eine theoretische Umorientierung des traditionellen Kulturbegriffs im Herder’schen Sinne. Er rückt im Gegensatz dazu kulturelle Formationen ins Zentrum der Betrachtung, die sich durch vielfältige kulturelle Herkünfte und diverse Verbindungen untereinander auszeichnen. Diese Hybridkonstellationen gehen durch die traditionellen Kulturen hindurch. Im Hinblick auf die Documenta 11 ist dieser Aspekt besonders wichtig, da die dort ausgestellten Werke und Künstler in vielfältige, kulturell hybride Arbeitskontexte eingebunden waren. Ein weiterer Aspekt von Welschs Konzept der Transkulturalität bezieht sich darauf, dass die kulturelle Identität von der nationalen Identität abgekoppelt und eben nicht 66 Vgl. Welsch 1994: »Transkulturalität. Lebensformen nach der Auflösung der Kulturen«, S. 39: Nach eigenen Angaben veröffentlichte er sein Konzept erstmals schriftlich in: Information Philosophie, Heft 2, 1992, S. 5–20. 67 Welsch 1994: »Transkulturalität. Lebensformen nach der Auflösung der Kulturen«, S. 49. Darüber hinaus konstatiert Welsch in seinem Beitrag von 2005: »In Folge der zunehmenden Durchdringung der Kulturen gibt es nichts schlechthin Fremdes mehr. Alles ist in innerer oder äußerer Reichweite. Ebenso wenig gibt es noch schlechthin Eigenes.« (Welsch 2005: »Transkulturelle Gesellschaften«). 68 Vgl. Welsch 1994: »Transkulturalität. Lebensformen nach der Auflösung der Kulturen«, S. 39–44. Die Grundlagen zu seinem Kulturmodell formulierte Herder zwischen 1784 und 1791: vgl. Herder 1989: Ideen zur Philosophie der Menschheit. Herders Kulturkonzept geht – im Gegensatz zu Welschs Ansatz – von autonomen Einzelkulturen aus und davon, dass eine Kultur volksgebunden ist: »Kultur« ist die Kultur eines Volkes und kann von der Kultur anderer Völker spezifisch unterschieden und abgegrenzt werden. Herders Ansatz gründet außerdem auf der Annahme, dass jede Kultur mit der sprachlichen und territorialen Ausdehnung eines Volkes deckungsgleich ist. Zur kritischen Einordnung von Herders Modell vgl. Reckwitz’ Ausführungen zu einem »totalitätsorientierten Kulturbegriff«: Reckwitz 2000: Die Transformation der Kulturtheorien, insbesondere S. 72 ff. 69 Vgl. Welsch 1994: »Transkulturalität. Lebensformen nach der Auflösung der Kulturen«, S. 44–45. 70 Vgl. Welsch 1994: »Transkulturalität. Lebensformen nach der Auflösung der Kulturen«, S. 45–47.

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als deckungsgleich verstanden werden kann.71 »Kultur« ist unter dieser Prämisse – im Gegensatz zu Herders Auffassung – nicht automatisch an eine »Nationalkultur« gebunden. Mit diesem Kulturmodell wird auch die Idee einer nationalen Einheit und damit einer homogenen Kultur infrage gestellt und durch ein Verständnis von vielfältigen heterogenen Kulturformationen ersetzt, die nicht notwendigerweise territorial E]ZJHRJUD¿VFKJHEXQGHQVLQG,QGLHVHP6LQQHNRQVWDWLHUW:HOVFK »Das Konzept der Transkulturalität zielt auf ein vielmaschiges und integratives, nicht auf ein separatistisches und ausgrenzendes Verständnis von Kultur. Es favorisiert eine Kultur und Gesellschaft, deren pragmatische Leistungen nicht in Abgrenzung, sondern in Anschlüssen und Übergängen bestehen. Stets gibt es im Zusammentreffen mit anderen Lebensformen nicht nur Divergenzen, sondern auch Anschlussmöglichkeiten, und diese können entwickelt und erweitert werden, so dass sich eine gemeinsame Lebensform bildet, die auch Bestände einbegreift, die man früher nicht für anschlussfähig gehalten hätte.« 72

Wenngleich Welsch betont, dass der von ihm beschriebene kulturelle Transformationsprozess durch die fortdauernde Existenz von Einzelkulturen und den Übergang zu einer neuen, transkulturellen Form der Kulturen gekennzeichnet sei73, bleibt doch offen, wie transkulturelle Formationen ohne Rückgriff auf ein traditionelles Kulturmodell zu beschreiben sind74, und wie er die von ihm konstatierte Entwicklung von historischen kulturellen Vermischungsprozessen abgrenzt, die er gleichwohl auch zur Kenntnis nimmt75. Verglichen mit Welschs Überlegungen versuchen weitere Ansätze globale Kulturentwicklungen noch etwas differenzierter zu beschreiben. So etwa gehen die Autoren Antor und Schulze-Engler davon aus, dass das Konzept der Interkulturalität neben dem der Transkulturalität immer noch Relevanz habe und sich gegenwärtige kulturelle Transformationen vielmehr durch eine komplexe Verschränkung 71 Diesen Aspekt betont nicht allein Welsch, er wird in vielfältigen Diskursen zur Transkulturalität hervorgehoben. Vgl. auch Enwezor 2002: »Black Box«; ders. 2002: Großausstellungen und die Antinomien einer transnationalen globalen Form. 72 Welsch 1994: »Transkulturalität. Lebensformen nach der Auflösung der Kulturen«, S. 58. 73 Vgl. Welsch 1994: »Transkulturalität. Lebensformen nach der Auflösung der Kulturen«, S. 54, insbesondere Fußnote 27. 74 Es bleibt zu fragen, ob das Konzept der Transkulturalität tatsächlich eine »neue« kulturelle Formation beschreibt. Möglicherweise hat sich lediglich die Vermischung zwischen den Kulturen durch diverse Globalisierungsprozesse intensiviert und noch vielfältiger verzweigt. Als analytischer Zugriff jedoch, der die Verbindungslinien, Austausch- und Transferprozesse – im Gegensatz zur Betonung kultureller Differenzen – verstärkt betont, eröffnet das Konzept der Transkulturalität unbestritten produktive Einsichten. 75 Vgl. Welsch 1994: »Transkulturalität. Lebensformen nach der Auflösung der Kulturen«, insbesondere das Kapitel I Transkulturalität – schon in der Geschichte. Hier bemerkt Welsch in Rückgriff auf Rémi Brague, dass sich insbesondere die europäische Identität durch ihre »kulturelle Zweitrangigkeit« auszeichne. Denn historisch sei die europäische Identität sowohl in der griechischen Antike als auch im Judentum verankert gewesen, so dass sich bereits hier kulturelle Reinheitsfiktionen aufspalteten (vgl. ebd. S. 57, Fußnote 31).

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inter- und transkultureller Prozesse auszeichnen würden.76 Vor allem Schmitz hebt hervor, dass Welschs Konzept Anlass zur Skepsis gebe, da es die historisch generierten und realen globalen wie lokalen Machtasymmetrien und Ausbeutungsverhältnisse unsichtbar mache.77 In Anlehnung an Welsch unterscheidet aber auch Heinz Antor zwischen einem partikularistischen Kulturbegriff Herderscher Prägung und jenem beschriebenen hybridisierten Kulturbegriff: »Diese Differenzierung erlaubt eine Definition der drei zentralen Konzepte [Multikulturalismus, Interkulturalität, Transkulturalität; Ergänzungen, K.H.], wobei ›Multikulturalismus‹ und ›Interkulturalität‹ noch eine Vorstellung von Kulturen als separaten Entitäten und deren Nebeneinander beziehungsweise dialogischem Miteinander zugrunde liegt, während ›Transkulturalität‹ die Komplexität von Kultur und die zahlreichen hybriden Übergänge, Binnendifferenzierungen und kulturellen Vernetzungen reflektiert, die ein Denken in getrennten kulturellen Einheiten problematisch erscheinen lassen.« 78

Dennoch betont die im Rahmen des Zentrums für Inter- und Transkulturelle Studien (Köln) von Heinz Antor herausgegebene Publikation – verglichen mit Welsch – stärker die Relevanz immer noch bestehender interkultureller Konstellationen79, die insbesondere dann zum Tragen kommt, wenn es um die Anerkennung kultureller Differenz geht. Dementsprechend konstatiert Schulze-Engler: »Die Forderung nach der Respektierung kultureller Differenz [...] bleibt ja überall dort relevant, wo es um kulturelle Hierarchisierungen geht, die auf kulturellen Machtverhältnissen beruhen.«80 Das Problem des Konzepts von Interkulturalität besteht jedoch in der Auffassung von Schulze-Engler – ebenso wie bei Welsch – darin, dass es »die Kulturen vor allem als kollektive Subjekte wahrnimmt« und »die komplexe Binnendifferenzierung dieser Kulturen und die ebenso komplexen Verfahrensweisen und Motivationen, mit denen Individuen kulturelle Identität herstellen, weitgehend ausblendet«81. Er betont aber auch, dass die Problemhorizonte des Interkulturellen keineswegs historisch erledigt seien, dass sie jedoch der Ergänzung durch eine

76 Vgl. Antor 2006: »Multikulturalismus, Interkulturalität und Transkulturalität«, insbesondere S. 27 ff wie auch S. 36, und Schulze-Engler 2006: »Von ›Inter‹ zu ›Trans‹: Gesellschaftliche, kulturelle und literarische Übergänge«. 77 Vgl. Schmitz 2008: Kulturkritik ohne Zentrum, S. 25 f. 78 Antor 2006: »Inter- und Transkulturelle Studien in Theorie und Praxis«, S. 11; vgl. zu den Begriffen Interkulturalität und Multikulturalismus auch ders. 2006: »Multikulturalismus, Interkulturalität und Transkulturalität«. 79 Vgl. Antor 2006: Inter- und Transkulturelle Studien. 80 Schulze-Engler 2006: Von ›Inter‹ zu ›Trans‹: Gesellschaftliche, kulturelle und literarische Übergänge«, S. 45. 81 Schulze-Engler 2006: Von ›Inter‹ zu ›Trans‹: Gesellschaftliche, kulturelle und literarische Übergänge«, S. 45.

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transkulturelle Perspektive bedürfen82. Er diagnostiziert, dass gegenwärtige kulturelle Entwicklungsprozesse vor allem auch durch Gleichzeitigkeiten, komplexe und widersprüchliche gesellschaftliche Konstellationen geprägt sind, »zu denen ›ältere‹, ¾LQWHUNXOWXUHOOH½ .RQÀLNWH XP NXOWXUHOOH $QHUNHQQXQJ ¾]ZLVFKHQ½ GHQ .XOWXUHQ HEHQVRJHK|UHQZLH¾QHXHUH½¾WUDQVNXOWXUHOOH½.RQÀLNWHLQQHUKDOEYRQ(QVHPEOHV die nach wie vor als kollektiv geteilte Kulturen gelten.«83 Genau in diesem Spannungsfeld stand auch die Documenta 11, die einerseits den Fokus auf eher »nicht-westliche« Künstler richtete und damit das Konzept der Interkulturalität adressierte. Zugleich versuchte sie jedoch auch, transkulturelle Werkaspekte und Gemeinsamkeiten zwischen kanonischen, eher in westlichen Produktionskontexten entstandenen Werken und weniger kanonischen, in eher nicht-westlichen Produktionskontexten entstandenen Werken zu betonen. Diese Konfrontation provo]LHUWH]XJOHLFKGLHNULWLVFKH5HÀH[LRQKLVWRULVFKJHZDFKVHQHUDV\PPHWULVFKHU0DFKWYHUKlOWQLVVH'LH'RFXPHQWDSURYR]LHUWHPLWGHU$QODJHLKUHUV]HQRJUD¿VFKHQ2UGnung vor allem das Nachdenken über die Machtasymmetrien, die über die kanonischen Ordnungen einer westlich-europäischen Kunstgeschichte etabliert wurden und immer QRFKZHUGHQ'LH=XVDPPHQVWHOOXQJGHU:HUNHEHWRQWH±WURW]KlX¿JNXOWXUHOOKHWHURgener Produktionskontexte – Gemeinsamkeiten, aber auch Differenzen innerhalb der künstlerischen Arbeit, dies konnte bereits an den beschriebenen Werkkonstellationen deutlich werden. Diese komplexen Konstellationen werden im Folgenden an weiteren H[HPSODULVFKHQ%HLVSLHOHQGHUV]HQRJUD¿VFKHQ2UGQXQJEHOHXFKWHW Das Konzept der Transkulturalität setzt zwar ein demokratisches, nonhierarchisches Verständnis von Kultur voraus, bei dem alle Beteiligten möglichst gleichberechtigte Partner darstellen, aber dennoch ruft es auch Skepsis hervor. Denn es bleibt kritisch zu diskutieren, ob der Diskurs um Transkulturalität nicht auch als ein Phänomen globalisierter Machtverhältnisse zu verstehen ist, da gerade Akteure aus Ländern des sogenannten Westens – so auch Enwezor – dieses Diskursfeld bestreiten.84 Auch die Documenta 11 ist als eine Institution des westlichen Kunstbetriebs zu verstehen und damit in dieses globale Machtgefüge eingebunden. Es steht folglich zur Debatte, ob dieses historisch gewachsene Machtverhältnis im Rahmen der Documenta 11 nicht einfach schlicht reproduziert wurde. Dieser kritischen Befragung muss sich die elfte Kasseler Kunstschau stellen. Die folgenden Ausführungen werden beleuchten, inwiefern es dieser Ausstellung gelungen ist, diesen Aspekt innerhalb LKUHUV]HQRJUD¿VFKHQ2UGQXQJNULWLVFK]XUHÀHNWLHUHQ85 82 Vgl. Schulze-Engler 2006: Von ›Inter‹ zu ›Trans‹: Gesellschaftliche, kulturelle und literarische Übergänge«, S. 41. 83 Schulze-Engler 2006: Von ›Inter‹ zu ›Trans‹: Gesellschaftliche, kulturelle und literarische Übergänge«, S. 47. 84 Vgl. zur Komplexität dieser Konstellation auch: Spivak 2008: Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und Subalterne Artikulation. 85 Für eine weiterführende und ausführliche Auseinandersetzung mit dem Aspekt der Transkulturalität im Hinblick auf die Documenta 11 vgl. das an der University of Pretoria 2007 abgeschlossene Dissertationsprojekt: Niekerk 2008: Documenta 11 as Exemplar for Transcultural Curating.

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CONSTANT UND FRIEDMAN: URBANISIERUNG UND ARCHITEKTONISCHE DISPOSITIVE

Zu den auf der Documenta 11 ausgestellten ältesten Werken zählen auch die von Constant in einem Einzelraum im Kulturbahnhof präsentierten Arbeiten seines New Babylon-Projekts86. Die vorwiegend in den 1960er Jahren entwickelten, utopischen Stadtmodelle wurden anhand von Zeichnungen und plastischen Objekten im ersten Stock dieses Gebäudes ausgestellt [Abb. F]. Constants Ausstellungsraum nahm im +LQEOLFNDXIGLH*UXQGÀlFKHGHV$XVVWHOOXQJVJHElXGHVGHQJU|‰WHQ3ODW]LQQHUKDOE des Geschosses ein und fügte sich separat hinter die Räume der Atlas Group. Mit dieser, einen kompletten Raum füllenden Inszenierung wies die Documenta dem niederländischen Künstler eine gewichtige Position zu und etablierte ihn zugleich als historischen Markstein, denn seine architektonischen Entwürfe deckten insgesamt eine Zeitspanne zwischen 1956 und 1974 ab, so dass Constant sich in die Reihe der zwölf Künstler mit den ältesten Werken fügte87. Ebenso zählten einige der in der Binding Brauerei präsentierten Ausstellungsstücke von Yona Friedman88 [Abb. D] zu den ältesten, auf der elften Documenta gezeigten Werken. Zusammen mit Constant VWHOOWH )ULHGPDQ LQQHUKDOE GHU V]HQRJUD¿VFKHQ 2UGQXQJ HLQH KLVWRULVFKH 3RVLWLRQ dar, die sich mit globalen Stadtentwicklungen im 20. Jahrhundert auseinandersetzte. Insbesondere das in Architekturdiskursen bekannte Modell zu einer sogenannten Ville Spatiale (Raumstadt) von Friedman aus dem Jahr 1960 sowie perspektivische Zeichnungen und Aufrisse aus dieser Zeit fungierten als historische Marksteine des Documenta-Diskurses von 2002. Sowohl der aus Ungarn stammende Architekt Friedman, der von 1945 bis 1957 einige seiner Studien- und Arbeitsjahre in Israel verbracht hatte und sich später in Paris niederließ, als auch der 2005 verstorbene niederländische Künstler Constant wurden in den 1960er und 1970er Jahren vor allem in architekturtheoretischen Diskursen wahrgenommen. Constant war jedoch im Gegensatz zu Friedman bereits auf der Documenta 2 (1959) wie auch auf der Documenta 3 (1964) vertreten. Anfang der 1920er Jahre geboren, waren beide in den ideologiekritisch motivierten Debatten der Nachkriegsgeschichte involviert, die sich verstärkt mit Stadtplanungskonzepten, dem öffentlichen Raum und alternativen Stadtmodellen beschäftigten. Hier JLQJ HV YRU DOOHP XP GLH 5HÀH[LRQ XUEDQHU 6WUXNWXUHQ YRU GHP +LQWHUJUXQG GHU gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen Situation der europäischen NachNULHJVJHVHOOVFKDIWDEHUDXFKXPGHUHQ5HÀH[LRQLP=XJHGHU0RGHUQHGHUGDPLW zusammenhängenden Technisierung und Automatisierung. Man arbeitete an Alternativentwürfen für den öffentlichen Raum, die mit wenig Materialaufwand realisiert

86 Zu den Werkangaben vgl. Ausst.Kat. (2002) Documenta 11_Platform 5: Ausstellungsorte, S. 224. 87 Vgl. Tabelle 6 im Anhang dieses Buches. 88 Zu den Werkangaben vgl. Ausst.Kat. (2002) Documenta 11_Platform 5: Ausstellungsorte, S. 226.

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werden konnten, und man dachte zugleich über utopische Stadtmodelle nach. Architektur wurde dabei immer auch als emanzipatorische Struktur verstanden, die es zu gestalten galt.89 Constant erfuhr auch durch seine Partizipation an der Situationistischen Internationale um den Kreis von Guy Debord eine relativ breite Rezeption im Kunstbetrieb. Friedman hingegen wurde erst mit der elften Documenta stärker im Kunstkontext wahrgenommen.90 Allerdings sorgte seine bereits oben erwähnte und in den 1950er Jahren entwickelte Idee einer Ville Spatiale für breite Rezeption innerhalb der damaligen Architekturtheorie und -praxis.91 Ähnlich wie Constants New Babylon-Projekt entwarf auch Friedmans Modell einen städtischen Raum, der als zweite Ebene über dem älteren Stadtkern eine eigenständige Struktur auf schlanken Trägern bildete. Diese mehrgeschossige »Raum-Rahmen-Gitter-Struktur« sollte sich, weit über dem Boden, über die traditionellen und älteren Stadträume legen. Sie integrierte zugleich DEHUDXFKHLQHPRELOH,QIUDVWUXNWXUGLHLKUH%HZRKQHUXQG1XW]HUÀH[LEHOJHVWDOWHQ konnten. Der Entwurf von Friedmans Ville Spatiale war dabei von der Überzeugung getragen, dass Architektur immer nur einen Rahmen, eine Struktur vorgeben sollte, die von den Bewohnern nach eigenen Bedürfnissen ausgebaut werden konnte. Diesen Anspruch formulierte Friedman unter anderem auch in seinem veröffentlichten Manifest Architecture Mobile92. Ähnlich wie Constant, der zur gleichen Zeit, Mitte der 1950er Jahre, die Fundamente seines New Babylon-Projekts entwarf, sah Friedman in der zunehmenden Automatisierung der Arbeitswelt und dem damit zusammenhängenden Anstieg an Freizeit eine entscheidende gesellschaftliche Veränderung, dem auch die urbane Struktur Rechnung tragen sollte. An die Stelle der statischen und DXIZlQGLJHQKHUN|PPOLFKHQ$UFKLWHNWXUVROOWHQÀH[LEOHPRELOH6WUXNWXUHQWUHWHQ Mit den Werken von Constant und Friedman historisierte die Documenta 11 einen auch in der zeitgenössischen Kunst präsenten Diskurs über urbane Strukturen und die Entwicklung globaler Metropolen. Diese Auseinandersetzung hatte das Kasseler Projekt bereits zu einem zentralen Thema in einer der – vor der eigentlichen Ausstellung veranstalteten – sogenannten Plattformen gemacht93. Die FotoJUD¿HQGHU%HFKHUV±ZLH&RQVWDQWHEHQIDOOVLP.XOWXUEDKQKRIDXVJHVWHOOW>$EE(@ – schlossen mit ihrem Blick auf die Siegerländer Provinz an diesen Diskurs an.94 89 Vgl. zur Auseinandersetzung mit Stadtutopien folgende Publikationen, die sich auch auf Constant und Friedman beziehen: Eaton 2001: Die ideale Stadt; Ausst.Kat. (2008) Megastructure Reloaded. Visionäre Stadtentwürfe der sechziger Jahre reflektiert von zeitgenössischen Künstlern. 90 Nach der Documenta 2002 nahm er dann 2003 und auch 2009 an der Biennale in Venedig teil. 91 Zu Yona Friedmans emanzipatorischer Architekturtheorie, die stets auf die Partizipation der Bewohner und auf die Mobilität ihrer Raumstrukturen setzt vgl. Friedman 1975: Machbare Utopien; ders. 1974: Meine Fiebel; ders. 1958: L’Architecture Mobile; darüber hinaus: Tan 2008: »Yona Friedman und GEAM: ›Mobile Architektur‹ und das Recht auf Unterkunft«; vgl. zu einer weitreichenden Sammlung an Zeichnungen zu seinen Entwürfen: Friedman 2005: Cities. 92 Vgl. Friedman 1958: L’Architecture Mobile. 93 Vgl. Enwezor 2002: Under Siege: Four African Cities: Freetown, Johannesburg, Kinshasa, Lagos. 94 Zu einer ausführlicheren Analyse der Szenografie im Kulturbahnhof im Hinblick auf den Urbanismusdiskurs vgl. Hoffmann 2009: »Medium Kunstausstellung – Medium Bild«.

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Abb. 17: Bodys Isek Kingelez: Kimbembele Ihunga – Kimbeville, 1994, Ausstellungsansicht im Kulturbahnhof

Abb. 18: Bodys Isek Kingelez: Kimbembele Ihunga – Kimbeville, 1994, Detailansicht des Fußballstadions

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Aber auch jüngere Arbeiten der elften Documenta konnten an dieses Themenfeld anknüpfen: etwa die ebenfalls im Kulturbahnhof ausgestellten, improvisiert anmutenden Architekturmodelle für Berlin von Isa Genzken, vorwiegend aus dem Jahr VRZLHGLHDXV.DUWRQXQG%DOVDKRO]JHIHUWLJWHQ¿NWLRQDOHQ6WDGWHQWZUIHYRQ 1994 und 2001/2002 des kongolesischen Künstlers Bodys Isek Kingelez [Abb. 17, Abb. 18, Abb. E] mit ihren fantastischen Gebäuden als auch die Architekturmodelle XQGIRWRJUD¿VFKHQ5HÀH[LRQHQ]XP6WDGWUDXPYRQ+DYDQQDYRQ&DUORV*DUDLFRDLQ der Binding Brauerei, aus dem Jahr 2002 [Abb. D] – sie waren gegenüber dem Raum von Eija-Liisa Ahtila zu sehen. $XFKPLWGLHVHU$XVZDKODQ3RVLWLRQHQVSLHOWHGLH'RFXPHQWDLKUH5HÀH[LRQEHU GHQ.DQRQXQGVHLQHKLVWRULRJUD¿VFKHQ2UGQXQJHQDXV'HQQVRZRKOPLW*DUDLFRD als auch mit Kingelez führte sie zwei Positionen ins Feld, die in den vergangenen beiden Jahrzehnten weitaus weniger prominent als die architektonischen Entwürfe von Constant und Friedman rezipiert wurden. Darüber hinaus stellte auch Genzken eine weitaus kanonischere Position im westlichen Kunstbetrieb dar als die beiden außereuropäischen Künstler, so etwa hatte die in Berlin lebende Künstlerin bereits 1982 an der siebten Documenta teilgenommen. Insbesondere die Arbeiten von Kingelez und Garaicoa rückten in den Blick, dass das Nachdenken über urbane Strukturen und ihre gesellschaftlichen Implikationen nicht allein ein Metier nordamerikanischer oder auch westeuropäischer intellektueller und künstlerischer Auseinandersetzung darstellte, sondern durchaus auch eine Rolle jenseits der westlichen Hemisphäre spielt und sich insofern zugleich auch mit dieser verknüpft. Betrachtet man vergleichend die Konzeptionen der ersten drei DocumentaAusstellungen, dann zeigt sich hier, dass sich die Auseinandersetzung im Jahr 2002 ganz explizit auch außereuropäischen Positionen widmete: Man versuchte – jenseits eines Kunstbegriffs mit westlich-europäischer, mithin nationalstaatlicher Prägung – inter- und transkulturelle Perspektiven auszuloten95. Darüber hinaus XQWHUVWULFKGLHHOIWH'RFXPHQWDPLWGLHVHQ$UEHLWHQDXFKLKUH5HÀH[LRQEHUGLH Moderne und ihre Lebensbedingungen. Bereits innerhalb der Auseinandersetzung der Kulturkritik der 1920er Jahre, aber auch schon um die Jahrhundertwende, avancierte das Nachdenken über urbane Strukturen zu einem zentralen Motiv modernekritischer Diagnosen, aber auch optimistischer Zukunftsprognosen. Hier spielte das Thema der Verstädterung und die damit zusammenhängende gesellschaftliche, soziale und kulturelle Umstrukturierung eine enorm wichtige Rolle. Wie an Simmel, Kracauer, Benjamin, aber auch beispielsweise im Bereich des Films an Ruttmann deutlich wird, war gerade Berlin eines der zentralen Motive der deutschen Urbanismusdebatten der 1920er Jahre und Anhaltspunkt für intellektuelle Auseinandersetzungen über die gesellschaftlichen und kulturellen Umwälzungsprozesse der Moderne.96 'LH 5HÀH[LRQ EHU GLH *UR‰VWDGW ZDU KLVWRULVFK 95 Vgl. zu diesen beiden Begriffen das Kapitel Exkurs: Trans- und Interkulturalität in diesem Buchteil. 96 Vgl. etwa Simmel 1903: »Die Großstädte und das Geistesleben«. Dieser Artikel kann als eine der ersten prominenten Großstadtreflexionen gelten, die sich über das Verhältnis von urbanen Struk-

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weitgehend mit der Auseinandersetzung europäischer Intellektueller und Künstler assoziiert – auch Genzken beschäftigt sich mit Berlin. Jedoch fokussiert die Documenta 11 nicht lediglich auf einen europäisch-westlichen Diskurs über die Entstehung von Metropolen. Sie schloss zwar an diese Debatte an, allerdings mit einer Erweiterung der Perspektiven: Sie rückte ganz dezidiert mit Kingelez und Garaicoa auch die außereuropäische Auseinandersetzung mit diesem Thema in den Blick. Die Kasseler Kunstschau präsentierte die plastischen Arbeiten von Kingelez mit dem Titel New Manhattan City (2001–2002) und Kimbembele Ihunga – Kimbeville (1994) [Abb. 17, Abb. 18] zentral in der Mitte des größten Raumes im oberen Stockwerk des Kulturbahnhofs [Abb. E] direkt parallel zu Isa Genzkens Neuen Gebäuden für Berlin   'LHVH V]HQRJUD¿VFKH .RQIURQWDWLRQ SURYRzierte erneut das Nachdenken über kanonische Wissensordnungen im westlichen Kunstbetrieb. Diese Ausstellungsinszenierung konstituierte ein direktes interoder auch transkulturelles Bezugssystem. Die Gegenüberstellung der als Modell präsentierten Stadtutopie des kongolesischen Künstlers mit den Hochhausentwürfen der Berliner Künstlerin erweiterte ein historisch stark eurozentristisch ausgerichtetes Diskursfeld. Mit dieser Werkanordnung präsentierte die Documenta 11 die Möglichkeiten einer erweiterten Kunstgeschichte und eine Ausweitung ihrer Objekt- und Themenbereiche, jenseits eines zentralisierten Blicks auf westlicheuropäische Kunstpositionen. Die elfte Documenta konzentrierte sich mit dieser Werkauswahl auf ein Thema, das die ersten drei Kasseler Ausstellungen weitgehend außer Acht gelassen hatten. So etwa hatte sich die Kasseler Schau von 1955 lediglich am Rande der Architektur gewidmet, die doch in den 1920er Jahren, insbesondere im Hinblick auf das Bauhaus, enorm wichtig für die europäische Kultur gewesen war. Mit ihrer *DWWXQJV¿[LHUXQJDXI0DOHUHLXQG6NXOSWXUEOHQGHWHVLHGLHVHZLFKWLJHNQVWOHULsche Bezugsgröße der Vorkriegszeit weitgehend aus. Am Rande präsentierte man  XQWHU HLQHU VWUHQJ IRUPDOHQ 3HUVSHNWLYH )RWRJUD¿HQ SURPLQHQWHU$UFKLWHNturentwürfe von etwa Le Corbusier, Mies van der Rohe und einzelnen weiteren turen und menschlicher Wahrnehmung Gedanken machen. Auch Kracauers Kritiken im Feuilleton der Frankfurter Zeitung (1920–1931) nehmen zentrale Phänomene des Großstadtlebens in den Blick: wie etwa das Kino, die Fotografie, Tageszeitungen und Illustrierte, aber auch Massenveranstaltungen und weitere Formen der urbanen Unterhaltungskultur: vgl. Kracauer 1977: Das Ornament der Masse. Ebenso setzt sich Benjamin innerhalb seines – unvollendeten – Passagenwerks, dessen Fragmente in den Jahren zwischen 1927 und 1940 entstanden, anhand von Reflexionen über das Paris des 19. Jahrhunderts intensiv mit Großstadtphänomenen auseinander: so etwa mit den Straßenzügen, der sogenannten Hausmannisierung, Einkaufspassagen, Ausstellungswesen (Museen und Weltausstellungen), Eisenbahnen, Beleuchtung, Reklame, Eisenkonstruktionen, dem Panorama, der Fotografie, weiteren Reproduktionstechniken wie etwa der Lithographie etc., vgl. Benjamin 1991: Passagen-Werk. Auch viele Filme der 1920er Jahre zeugen von der Faszination an dem Motiv der Großstadt. Als eine der bekanntesten kinematografischen Reflexionen kann sicherlich Walter Ruttmanns Berlin Symphonie einer Großstadt (1927) gelten. Vgl. darüber hinaus auch den umfangreichen Ausstellungskatalog zu den 1920er Jahren, der einen Einblick in Themen dieser Zeit gibt und die Auseinandersetzung mit Modernisierungstendenzen weitreichend porträtiert: vgl. Ausst.Kat. (1977) Tendenzen der Zwanziger Jahre.

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Vertretern des Bauhauses.97 Die gesellschaftspolitische Dimension dieser Architekturen blieb allerdings unberücksichtigt, war doch das Bauhaus mit seinem sozialistischen Anspruch für die Reformierung der Lebensverhältnisse im Rahmen der industriellen Massenproduktion eingetreten. Viele der geistigen Köpfe mussten im Zuge der Verfolgungen des Nationalsozialismus aus Deutschland emigrieren und ließen sich in der Folgezeit vereinzelt auch an der US-amerikanischen Ostküste nieder98. Die erste Documenta-Ausstellung blendete offensichtlich – einerseits vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und dem damit verbundenen Anspruch auf eine demokratisch-kapitalistische Gesellschaftsordnung, andererseits aber wohl auch aufgrund eines bundesrepublikanischen Verdrängungsprozesses99 – die in den 1920er Jahren entworfenen Ansätze des Bauhauses in den Bereichen Kunst, Design, Architektur und Film weitgehend aus. Das Bauhaus wurde maßgeblich von jüdischen Künstlern, Architekten und Designern geprägt, die aufgrund des Holocaust entweder umgebracht worden waren oder sich gezwungen sahen, Europa zu verlassen. Das deutsche Kulturleben der 1950er Jahre und 1960er Jahre reagierte auf diese Katastrophe vor allem mit Verdrängung und mit der Unfähigkeit, diese desaströsen Verluste anders als durch Auslassung zum Thema zu machen. Man widmete allerdings – wie bereits erwähnt – auf der Documenta von 1955 dem jüdischen Künstler Chagall als fast einzigem Künstler einen kompletten Raum. Möglicherweise war diese vergleichsweise stille Form der Bewusstheit ein Versuch sich dem Trauma anzunähern. Darüber hinaus spannte sich über die genannten fünf Positionen – Constant, )ULHGPDQ*DUDLFRD.LQJHOH]*HQ]NHQ±LQQHUKDOEGHUV]HQRJUD¿VFKHQ2UGQXQJ der Documenta 11 ein thematisches Netz, das zugleich eine diachrone Zeitachse eröffnete, wobei zeitgenössische Werke – Genzken, Kingelez, Garaicoa – mit historischen Positionen – Constant und Friedman – in Bezug gesetzt werden konnten. Es war auffällig, das die Documenta 11 relativ wenige thematische Werkensembles präsentierte, sondern vielmehr auf eine Inszenierung der Werke in separaten Raumeinheiten setzte. Eine direkte Konfrontation von künstlerischen Positionen innerhalb eines Ausstellungsraumes war relativ selten. Lediglich der größte Raum im Erdgeschoss des Kulturbahnhofs, in dem auch Kingelez und Genzken ausgestellt waren [Abb. E], zeichnete sich durch eine vergleichsweise konzentrierte thematische Ausrichtung aus. Der Raum von Constant im ersten Stockwerk des Gebäudes 97 Vgl. hierzu den wenige Seiten umfassenden Architekturteil des Documenta-Katalogs von 1955: Ausst.Kat. (1955) Documenta. Kunst des XX. Jahrhunderts. 98 So etwa Josef Albers, Walter Gropius, László Moholy-Nagy und Ludwig Mies van der Rohe. Viele der jüdischen Bauhaus-Emigranten wurden am Black Mountain College tätig, das 1933 in der Nähe von Ashville in North Carolina gegründet wurde, aber auch beispielsweise in Chicago (László Moholy-Nagy: New Bauhaus) und in Cambridge (Walter Gropius: Harvard University). Die am Bauhaus entwickelten Lehr- und Entwurfskonzeptionen setzten sich durch den Einfluss der emigrierten, ehemaligen Bauhaus-Köpfe insbesondere in der Architektur, aber auch im Produktund Kommunikationsdesign mit großer Wirkmächtigkeit nicht nur in den Metropolen der US-amerikanischen Ostküste durch. 99 Vgl. hierzu die hochinteressante Studie: Welzer/Moller/Karoline 2005: »Opa war kein Nazi«.

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[Abb. F] bildete ein separates Pendant zum inhaltlichen Schwerpunkt der utopistischen Stadtentwürfe von Kingelez. Innerhalb der Binding Brauerei waren hingegen die Räume von Garaicoa und Friedman vergleichsweise nah beieinander angeordnet [Abb. D]. Sie befanden sich etwa im Zentrum der labyrinthisch organisierten Ausstellungszellen im hinteren Teil der Binding Brauerei. Lediglich der mit Malereien von Cecilia Edefalk bestückte Raum trennte die Ausstellungsparzellen der beiden Künstler, die eine historische Achse zwischen Gegenwart und Vergangenheit aufspannten. Mit den bereits kanonisierten Werken von Constant und Friedman etaEOLHUWHGLH'RFXPHQWDQLFKWDOOHLQHLQHKLVWRULVFKH$FKVH6LHUHÀHNWLHUWHLQGHU V]HQRJUD¿VFKHQ=XVDPPHQIKUXQJGLHVHUNDQRQLVFKHQ3RVLWLRQHQPLW$UEHLWHQYRQ beispielsweise Kingelez und Garaicoa auch Fragen der Inklusion und Exklusion im Hinblick auf historisch etablierte Wissensordnungen und den Kanon.

EXKURS: ARCHITEKTONISCHE SELBSTREFLEXIONEN – DIE »SPACE SYNTAX« DER BINDING BRAUEREI

%HL GHQ REHQ EHVSURFKHQHQ :HUNHQ VWDQG GLH 5HÀH[LRQ XUEDQHU 6WUXNWXUHQ XQG Architekturen im Mittelpunkt der Betrachtung. Bemerkenswert ist, dass die elfte 'RFXPHQWD JHQDX GLHVH 7KHPDWLN VHOEVWUHÀH[LY LQ GLH DUFKLWHNWRQLVFKH 6WUXNWXU ihres eigenen Ausstellungskonzepts integrierte. Dies war vor allem am Umbau der alten Binding Brauerei zu einem temporären Ausstellungsgebäude der elften Kasseler Kunstschau ablesbar: Das Architekturbüro Kuehn Malvezzi100 hatte für diesen ehemaligen Industriebau eine architektonische Binnenstruktur entworfen, die einem traditionellen, streng sukzessionistisch angelegten Ausstellungskonzept diametral entgegenstand, da die Raumparzellen nicht entlang einer einzigen linearen Ordnung angelegt waren. Das Ausstellungsgebäude [Abb. D] lässt sich grob in zwei Bereiche HLQWHLOHQHLQHQYRUGHUHQ7HLOGHUEHUGLHHKHUUHFKWHFNLJRUJDQLVLHUWH*UXQGÀlFKH beschrieben werden kann. Hier befand sich auch der Eingangsbereich. Wohingegen der hintere Teil der Binding Brauerei, auf einer eher quadratisch angelegten GrundÀlFKH EDVLHUW GLH HLQH ODE\ULQWKLVFKH 5DXPVWUXNWXU LQWHJULHUW %HWUDFKWHW PDQ GHQ Grundriss des umgebauten Industriegebäudes, dann wird schnell deutlich, dass sich der Besucher vor allem im hinteren Teil des Baus mittels seiner subjektiven Präferenzen und Entscheidungen, den Weg durch den labyrinthisch angelegten Ausstellungsparcours bahnen musste. Die Architektur der Binding Brauerei lieferte folglich die Basis für eine variable XQGG\QDPLVFKH5H]HSWLRQVVWUXNWXUGDVLHGLH%HVXFKHUQLFKWDXIHLQHVSH]L¿VFK chronologische Lektüre der Werke festlegte. Im Gegensatz dazu sahen die Raum100 Vgl. auch www.kuehnmalvezzi.com. Ein Ausstellungskatalog von Candida Höfer und Kuehn Malvezzi gibt anhand von Fotografien der Künstlerin Auskunft über die Bauprojekte des Architekturbüros. Hier sind auch Abbildungen der Binding Brauerei zu finden: Ausst.Kat. (2009) Projects Done. Ich danke Johannes Kuehn für seine Bereitschaft, meine Fragen zur architektonischen Realisierung der Binding Brauerei zu beantworten.

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VWUXNWXUHQ GHU 0RQXPHQWDOPXVHHQ GHV  -DKUKXQGHUWV GLHVH )RUP GHU ÀH[LEOHQ Besucherführung eher nicht vor, da die Architektur meist den Rahmen für eine streng chronologisch, stilgeschichtlich oder gattungstypologisch orientierte Präsentation vorgab101: So konstruierten sie zum Beispiel ringförmige Besichtigungsrouten, die vorwiegend aus einer Richtung erschlossen werden sollten.102 Als eines der ersten europäischen öffentlichen Museen, bereits 1779 fertig gestellt, ist das Fridericianum DOVV\PPHWULVFKH'UHLÀJHODQODJHYRUZLHJHQGYRQHLQHUVROFKHQOLQHDUHQ5DXPstruktur geprägt [vgl. Abb. 7], die vor allem für eine chronologische Präsentation der Werke vorgesehen war. Dieser Grundriss bestimmt – trotz diverser Umbauten nach dem Zweiten Weltkrieg103 – auch noch die heutigen Documenta-Konzeptionen. Jedoch versuchte man im Laufe der Geschichte der Kasseler Ausstellung, in mehr oder weniger starker Abgrenzung zu den traditionellen Präsentationsbedingungen, die musealen und damit auch architektonischen Vorraussetzungen des Ausstellens YHUVWlUNW ]X UHÀHNWLHUHQ ± +DUDOG 6]HHPDQQV .RQ]HSW GHU IQIWHQ .DVVHOHU$XVVWHOOXQJ NDQQ DOV HUVWHU 0HLOHQVWHLQ GLHVHU V]HQRJUD¿VFKHQ 6HOEVWUHÀH[LRQ DQJHsehen werden104. – Im Vergleich mit den ersten drei Kasseler Ausstellungen unterscheidet sich das Ausstellungskonzept der elften Documenta im Hinblick auf die architektonische Gestaltung sehr stark: Fungierte das Fridericianum in den 1950er und 1960er Jahren noch als das maßgebliche und zentrale Ausstellungsgebäude der Documenta, so hatte sich der Ausstellungsparcours bis zum Jahre 2002 durch die Nutzung verschiedener weiterer Bauten deutlich ausdifferenziert. Die elfte Documenta schuf mit dem durch Kuehn Malvezzi realisierten Umbau der Binding Brauerei einen Gegenentwurf zu dem beschriebenen traditionellen Museumskonzept und erweiterte die traditionelle Rezeptionsstruktur, die auch aktuell dem Fridericianum noch weitgehend zugrunde liegt: Der umgebaute ehemalige Industriebau brach die strenge Linearität eines traditionellen Ausstellungsparcours auf und schuf eine nonhierarchische Rezeptionsstruktur. Die ersten Documenta-Ausstellungen orientierten sich hingegen noch weitgehend an einer sukkzessionistischen Ordnung 101 Vgl. hierzu: Sheehan 1994: »Von der fürstlichen Sammlung zum öffentlichen Museum«, zum Monumentalmuseum insbesondere S. 860–867, und auch weiterführend: ders. 2002: Geschichte der deutschen Kunstmuseen. 102 Vgl. hierzu auch Hillier/Tzortzi 2006: »Space Syntax: The Language of Museum Space«, insbesondere S. 296–300. Beispielsweise integrierte das Alte Museum von Karl Friedrich Schinkel in Berlin (1825–1828) einen eher ringförmigen, linearen Ausstellungsparcours, der allen Besuchern die gleiche Folge der Räume und Werke nahelegte. 103 Vgl. zu einzelnen Umbaumaßnahmen des Fridericianums und weiteren Quellenangaben zum historischen Bau: Rattemeyer/Petzinger 1987: »Pars pro toto. Die Geschichte der Documenta. Am Beispiel des Treppenhauses des Fridericianums«. 104 Es soll jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, dass man bereits innerhalb der ersten drei Documenta-Ausstellungen sukzessive den Außenraum erschloss, so etwa zur Präsentation von Skulpturen die Karlsaue bei der Orangerie. Darüber hinaus wurde auch die Neue Galerie in Kassel temporär für einzelne Documenta-Ausstellungen nutzbar gemacht. Catherine David hatte mit dem Kulturbahnhof zudem einen weiteren Nutzbau für die Documenta erschlossen. Auch die Documenta-Halle zählt als Neubau mittlerweile zu den festen architektonischen Bestandteilen der Kasseler Ausstellung.

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und separierten vor allem die Gattungen in verschiedenen Räumen. Wie im ersten Analyseteil dieses Buches deutlich werden konnte, nahm insbesondere die erste Documenta innerhalb des Fridericianums in einzelnen Teilen noch eine nationale Binnendifferenzierung vor, die sich vorwiegend an den räumlichen Parzellen ausrichtete [vgl. Abb. 7]. Auch fügte sich das an einem abstrakten Formvokabular ausgerichtete kunsthistorische Programm und der strenge Fokus auf die Abstraktion, die das vorrangige Deutungsparadigma der ersten Documenta-Ausstellungen darstellte, in die eher linear angelegte Ausstellungsarchitektur ein. Ganz im Gegensatz zu dem historischen, klassizistisch konzipierten Museumsbau des Fridericianums konnte man nun auf der elften Documenta innerhalb der architektonischen StrukWXUGHU%LQGLQJ%UDXHUHLGLHVHSDUDWHQ5DXPPRGXOHÀH[LEHOPLWHLQDQGHUYHUNQSfen. Die von Kuehn Malvezzi entworfene Architektur arbeitete folglich einer hermetischen Lektüre der Werke entgegen und öffnete multiperspektivische Zugänge zu den einzelnen Arbeiten. Hillier und Tzortzi haben klar gemacht, dass mit der Zunahme verschiedener Ausstellungswege durch einen musealen Raum die Linearität der Ausstellungserzählung aufgebrochen wird.105 Ihre Studie zur Space Syntax von Museumsräumen verdeutlicht, dass mit der Vielfalt der Wege durch eine Ausstellung auch der sogenannte Integrationsgrad der Räume – der »degree of integration« – abnimmt106, da die einzelnen Gebäudesegmente nicht mehr strikt in eine YRUJHJHEHQH V]HQRJUD¿VFKH 6WUXNWXU HLQJHEXQGHQ VLQG107. Auch für die Binding Brauerei kann man von einem relativ niedrigen Integrationsgrad der Räume sprechen: Die Besucher konnten aus den einzelnen separierten Raumeinheiten, die über unterschiedliche Wege zu erreichen waren, diverse Bezugssysteme und damit eine vergleichsweise variable Bedeutungsstruktur zwischen den Werken knüpfen. Die Werke konnten vielfältig zueinander in Relation gesetzt werden. Die vorangegangenen Ausführungen zeigen, dass die elfte Documenta mit der Binding Brauerei ihr eigenen konzeptuellen Anspruch, dispositive Strukturen – nicht ]XOHW]W±LP'LVNXUVGHVZHVWOLFKHQ.XQVWEHWULHEVNULWLVFK]XUHÀHNWLHUHQDXIUlXPlicher Ebene konsequent verwirklichte: Die egalitäre Struktur dieses Ausstellungsgebäudes förderte das Aufbrechen zentralisierter, monolithischer Deutungsmodelle. Mit diesen Überlegungen wird deutlich, dass das Dispositiv Ausstellung nicht zuletzt durch die architektonische Anordnung seine Bedeutung tragende Struktur entfaltet. Offensichtlich schlagen sich in der räumlichen Syntax von Ausstellungs105 Vgl. Hillier/Tzortzi 2006: »Space Syntax: The Language of Museum Space«, insbesondere S. 298 ff. 106 Vgl. Hillier/Tzortzi 2006: »Space Syntax: The Language of Museum Space«, S. 285. Die Autoren machen an der räumlichen Struktur eines Gebäudes (vgl. S. 284 f), aber auch an der Frequentierung einzelner Räume durch die Besucher (vgl. hier das Schaubild zur Tate Britain Gallery, S. 287), einen sogenannten Integrationswert fest (»integration value”, S. 285), der Auskunft über die Wichtigkeit eines bestimmten Gebäudeteils geben kann. Je mehr Menschen einen Raum besuchen und je zentraler dieser innerhalb des architektonischen Zusammenhangs angeordnet ist, desto höher ist auch der Integrationswert. Je höher der Wert, umso wichtiger wird ein Gebäudeteil, etwa innerhalb eines Museums, eingeschätzt (vgl. S. 285 ff). 107 Vgl. Hillier/Tzortzi 2006: »Space Syntax: The Language of Museum Space«, S. 283 ff.

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gebäuden auch zeitgeschichtliche Episteme nieder: Die Binding Brauerei zeichnete sich durch eine Komplexitätssteigerung der Bezugssysteme zwischen den Objekten und eine stärkere Heterogenisierung von Deutungen der präsentierten Werke aus. Trotzdem sich die Ausstellung vor allem innerhalb der Binding Brauerei mit ihren weißen, separierenden Einzelparzellen sehr stark auf das modernistische Konzept des White Cube108 berief, konterkarierte sie dieses mit der dominanten InszenieUXQJIRWRJUD¿VFKHU%LOGPHGLHQ,QVWDOODWLRQHQPLW)RWRJUD¿HQ)LOPHQXQG9LGHRV holten Themen von hoher gesellschaftlicher und kultureller Brisanz in den weißen, vermeintlich Neutralität und Sachlichkeit vermittelnden Ausstellungsraum zurück und sprengten seine hermetische Abschottung auf. Die in vielen Werken genutzten IRWRJUD¿VFKHQ%LOGPHGLHQ109 verwiesen qua ihrer Indexikalität auf eine gesellschaftliche Wirklichkeit außerhalb des vermeintlich autonomen Ausstellungsraumes, durch den nicht zuletzt auch ein autonomer Kunstbegriff, wie ihn die ersten drei Kasseler Ausstellungen präsentierten, gestützt wurde.

BOUABRÉ UND PORTABELLA: KONZEPTUELLE KUNST UND DOKUMENTARISCHE BILDER

1HEHQ GHQ EHUHLWV EHVSURFKHQHQ:HUNHQYRQ5RWK.RåDULü )H\]GMRX &RQVWDQW und Friedman können auch die Arbeiten der Künstler Frédéric Bruly Bouabré und Pere Portabella aufgrund ihrer Entstehungsdaten zu den ältesten Werken der Documenta zählen. Zwar waren ihre Werke nicht durch eine unmittelbar gemeinsame inhaltliche Perspektive verbunden, wie dies bei den vorangegangenen Beispielen der Fall war, aber sie stellen historische Ankerpunkte dar, die für die Konzeption der elften Documenta wichtig erscheinen: Der afrikanische Künstler Bouabré bildete zusammen mit Feyzdjou die wohl am wenigsten kanonisierte Position unter den ältesten Werken der Documenta 11 und zeichnet sich durch ein künstlerisches Verfahren aus, dass an konzeptuelle Kunstpraxen erinnert. Portabella hingegen kann DOVHLQZLFKWLJHU9HUWUHWHULP%HUHLFKGHV'RNXPHQWDU¿OPVJHOWHQXQGELOGHWHLQHQ historischen Ankerpunkt für die auf der Documenta 11 ausgestellten foto-, videoXQG NLQHPDWRJUD¿VFKHQ ,QVWDOODWLRQHQ GLH KlX¿J GRNXPHQWDULVFKH %LOGIRUPHQ UHÀHNWLHUWHQ'LH:HUNHYRQ3RUWDEHOODXQG%RXDEUpELOGHWHQIROJOLFKLQ]ZHLHUOHL Hinsicht historische Bezugspunkte innerhalb des Ausstellungsparcours: einerseits LP +LQEOLFN DXI GLH 5HÀH[LRQ GHU IRWRJUD¿VFKHQ %LOGPHGLHQ 3HUH 3RUWDEHOOD  die im dritten Analyseteil dieser Arbeit noch eine wichtige Rolle spielen werden, andererseits im Hinblick auf konzeptuelle Kunstpraxen, die in inter- und transkulturellen Zusammenhängen entstehen und zugleich in außereuropäische Kulturen eingebunden sind (Frédéric Bruly Bouabré). 108 Vgl. hierzu O’Doherty 1990: In der weißen Zelle. 109 Vgl. hierzu Buchteil III Bild- und Bildlichkeitskonzepte: Kapitel Foto-, Film- und Videoinstallationen auf der Documenta 11.

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Abb. 19: Frédéric Bruly Bouabré: diverse Zeichnungen, 1963–1996, Ausstellungsansicht Binding Brauerei, Stirnseite des Ausstellungsraumes, links, vom Eingang der Binding Brauerei aus kommend (vgl. Abb. D)

Abb. 20: Frédéric Bruly Bouabré: Zeichnungen aus Wolken, 1990–1991, an der Stirnseite des Ausstellungsraumes, rechts, vom Eingang der Binding Brauerei aus kommend (vgl. Abb. D)

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Frédéric Bruly Bouabré: gezeichnete Bildkompendien (1963–1996)

)UpGpULF %UXO\ %RXDEUp ZXUGH ± HEHQVR ZLH &RQVWDQW .RåDULü XQG )ULHGPDQQ ± Anfang der 1920er Jahre geboren, konkret im Jahr 1923, zur Zeit der kolonialen Besetzung der Elfenbeinküste durch Frankreich. Er stellte in der Binding Brauerei ein enzyklopädisch anmutendes Bildkompendium aus, das sich aus diversen unterschiedlichen Werkeinheiten zusammensetzte und im kulturellen Kontext seines Herkunftslandes entstanden war110. Dieses Materialensemble, das aus gerahmten Zeichnungen, Skizzenbüchern und aus zum Teil über 100 Seiten umfassenden Manuskripten besteht, wurde in einem der längsten und schmalsten Räume der alten, umgebauten Kasseler Brauerei präsentiert [Abb. 19, Abb. 20, Abb. D]. Es setzte sich überwiegend aus kleinformatigen Zeichnungen in der Größe von 95 x 150 mm zusammen, die der =HLFKQHUXQG*HVFKLFKWHQHU¿QGHU%RXDEUpEHUHLWVVHLWHWZDXQSUlWHQWL|VPLW Buntstiften oder Kugelschreiber angefertigt hatte. Auch dieses Materialensemble deckte – ähnlich wie die Installationen von Roth, .RåDULüXQG)H\]GMRX±HLQHQOlQJHUHQKLVWRULVFKHQ=HLWUDXPDE'LH$UEHLWHQGDWLHren zwischen Mitte der 1960er Jahre bis 1996. Bouabrés Zeichnungen unterstreichen ebenso eine historische Perspektive des künstlerischen Werkprozesses, da hier die Entwicklung des Werkes sichtbar wird. Die Ausstellungsansicht [Abb. 19] verdeutOLFKWMHGRFKGDVVGLH$UEHLWHQYRQ%RXDEUp±DQGHUVDOVEHL5RWK.RåDULüXQG)H\] djou – weniger als eigenständiges installatives Gesamtkunstwerk inszeniert wurden. Denn die Zeichnungen waren vielmehr museal, in Bildrahmen und Vitrinen, organisiert. Das Werk des Westafrikaners zeichnet sich durch eine vielfältige, piktogrammatische Bildsprache aus, die ihre Zeichen und Symbole in den unterschiedlichsten Bereichen der Alltagskultur, in Mythen, Geschichten und Märchen, aber auch in GHU:HUEXQJ¿QGHW,Q%RXDEUpV=HLFKQXQJHQODVVHQVLFKVRZRKO,NRQRJUD¿HQGHV Christentums, Versatzstücke afrikanischer Mythen, und Fragmente der islamischen Erzählkultur entdecken, welche die vielfältigen kulturellen Kontexte widerspiegeln, mit denen der Künstler im Laufe seines Lebens innerhalb seines Landes konfrontiert war. Seine »narrativen Embleme«111 visualisieren die kulturellen Kontexte der Elfenbeinküste, deren Kolonialisierungserfahrung und die damit verbundenen VerschränNXQJHQXQWHUVFKLHGOLFKHU.XOWXUNUHLVHVRZLHGLH5HÀH[LRQGHUGDEHLHQWVWDQGHQHQ symbolischen Ordnungen. Bouabré besuchte eine katholische Schule und gehörte zugleich dem Stamm der Bété an, eine der drittgrößten Populationen der Elfenbeinküste. Seine unzähligen gewitzten, humoristischen Bildchen weisen vielschichtige Polysemien auf, welche die Bedeutungsstrukturen dieser disparaten Kulturen, ihre Bezugssysteme und Differenzen ausloten. Bouabré entwirft eine inter-, aber auch transkulturelle Bildsprache, die eben nicht allein der – eher imaginierten – homogenen, westafrikanischen Kultur seines Herkunftsland zuzuschreiben ist, sondern 110 Vgl. zu den unterschiedlichen Werkeinheiten das Werkverzeichnis zu den auf der Documenta 11 ausgestellten Arbeiten von Bouabré in: Ausst.Kat. (2002) Documenta 11_Platform 5: Ausstellungsorte, S. 223–224. 111 Ausst.Kat. (1993) Frédéric Bruly Bouabré, S. 34 ff.

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insbesondere kulturelle Formationen zwischen unterschiedlichen Kulturen, ihre Überschneidungsbereiche und Mischungsverhältnisse zum Thema macht. Gerade vor diesem Hintergrund lässt sich die prominente Anordnung von Bouabrés Arbeiten in dem länglichen Raum der Binding Brauerei erklären, der sich vor die labyrinthisch organisierten Räume im hinteren Teil des Gebäudes schiebt [Abb. D]. Billier und Tzortzi heben in ihrer Studie hervor, inwiefern architektonische Strukturen Bedeutung stiftende Funktionen einnehmen112. Sie verdeutlichen, wie im Ausstellungskontext Objekte strategisch angeordnet werden können: Ausstellungsstücke besetzen insbesondere dann zentrale Positionen, wenn man sie aufgrund der architektonischen Gegebenheiten passieren muss, um in weitere Räume zu gelangen RGHUZHQQVLHVLFKEHLVSLHOVZHLVHLQQHUKDOEYRQZLFKWLJHQ%OLFNDFKVHQEH¿QGHQHWZD am Ende eines Flures. Durch diese strategischen Anordnungen sind diese Objekte dann meistens nicht zu übersehen und rücken dominant in das Blickfeld der BesuFKHUhEHUWUlJWPDQGLHVHhEHUOHJXQJHQDXIGLHV]HQRJUD¿VFKH$QRUGQXQJLQQHUKDOE der Binding Brauerei, lässt sich festhalten, dass das Werk des afrikanischen Künstlers eine herausragende und dominante Position einnimmt: Der längliche Flur, der entlang des Eingangsbereiches des alten Industriegebäudes angeordnet ist [vgl. Abb. D] und unmittelbar zum hinteren, labyrinthisch angelegten Ausstellungsteil überleitet, führt direkt zum Ausstellungsraum von Bouabré. Wollte man nicht zunächst eine relativ lange Wegstrecke zurücklegen – die unter Umständen dem Besucher ohnehin nicht bekannt war –, um in das innere des Labyrinths vorzustoßen, lag es nahe, Bouabrés Raum zu durchschreiten. Mit dieser Positionierung fungierte der White Cube des kongolesischen Künstlers als Schleuse, er stellte eine Art Prolog dar, der den Auftakt für die weiteren Erkundungen innerhalb des labyrinthischen Ausstellungsensembles im hinteren Teil der Binding Brauerei bildete. Wie ein historischer Markstein saß Bouabrés Arbeit, ähnlich wie die Installation von Darboven, im Treppenhaus des Fridericianums, an einer Schanierstelle des architektonischen Raumgefüges, so dass der Besucher – für gewöhnlich – mit dieser, an zentraler Stelle präsentierten Arbeit konfrontiert wurde. Die Documenta wies im Rahmen der räumlichen Syntax der Binding Brauerei einem der acht außereuropäischen Künstler, die in einem afrikanischen Land geboren waren, immer noch dort lebten und auch nicht zum Kanon des westlichen Kunstbetriebs zählten113, eine Scharnierfunktion zu. Zwar waren die nicht aus Nordamerika oder Westeuropa stammenden Kunstpositionen auf der Documenta 11 immer noch unterrepräsentiert, was auch die Kunstkritik monierte114, aber die Kasseler Kunstausstellung aus dem Jahr 2002 setzte gerade mittels der Werkanordnungen im Ausstellungsraum diese eher marginalisierten Künstler aus nicht-westlichen LänGHUQLQHLQVSDQQXQJVUHLFKHVXQGUHÀH[LYHV9HUKlOWQLV]XGHQZHVWOLFKHQXQGDXFK kanonischen Positionen. Beispielsweise ergab sich zwischen Bouabrés Arbeit und den historischen Konzeptkunstpositionen – Hanne Darboven, On Kawara, Bernd und 112 Hillier/Tzortzi 2006: »Space Syntax: The Language of Museum Space«. 113 Vgl. hierzu auch die Tabelle 1, 3 und 4 im Anhang dieses Buches. 114 Vgl. hierzu Hellinger 2007: Die ›documenta11‹ im Kreuzfeuer der Kritik, insbesondere S. 66–72.

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Hilla Becher115 – ein vielschichtiges Bezugssystem: Auch Bouabré arbeitete innerhalb seines piktogrammatisch anmutenden Bildkompendiums mit einem relativ systematischen Werkaufbau, der sich durch Materialkohärenz, Wiederholungsstrukturen und formale Analogien auszeichnete. So erinnerte die Hängung seiner Zeichnungen, die regelmäßige Anordnung der Bilder, die Redundanz von Format und Rahmen an die vertikal und horizontal angeordnete Installation der auf DIN-A-4-Papier niedergeschriebenen Zahlenreihen von Hanne Darboven im Treppenhaus des FrideriFLDQXPVDEHUDXFKDQGLHLQ7DEOHDXVJHRUGQHWHQJOHLFKIRUPDWLJHQ)RWRJUD¿HQGHU Siegerländer Fachwerkhäuser der Bechers. Zwischen der Arbeit von Bouabré und den etablierten Konzeptkunstpositionen lässt sich ein gemeinsamer thematischer Bezug herausarbeiten: Sowohl der kongolesische Künstler als auch Darboven, Kawara und die Bechers setzten sich innerhalb ihrer ausgestellten Werke mit diversen Zeichenstrukturen auseinander, die auf eine vorbildliche Wirklichkeit verweisen. Allen vier Arbeiten ist gemeinsam, dass VLHGDV%H]XJVYHUKlOWQLVYRQ=HLFKHQXQG:LUNOLFKNHLWUHÀHNWLHUHQ'LH%HGHXWXQJ der Zeichen und ihre Übersetzung in weitere Medien spielen eine zentrale Rolle bei allen vier Künstlern: So etwa verbirgt sich hinter den numerischen Kompendien von Darboven ein Musikstück, hinter Kawaras Zahlenkodes eine temporale Systematik, die auf Zeiteinheiten einer europäisch-abendländischen Kultur verweist, und auch GLH6WUXNWXUGHV)DFKZHUNVLQGHQ)RWRJUD¿HQGHU%HFKHUVUHIHULHUWDXIHLQHQVSH]L¿VFK DUFKLWHNWRQLVFKHQ5HJLRQDONRGH0LQLPDOLVWLVFKRUJDQLVLHUWHV XQG NHLQHVIDOOV üppiges Fachwerk ebenso wie die Verschieferung der Fassade stehen für die Baukultur der Siegerländer Provinz. Bouabré hingegen entwarf eine piktogrammatische Bildsprache, die nicht zuletzt die Sprache der Bété in einen visuellen Zeichenkode überführt. Dieses Zeichenkompendium betitelte der Künstler selbst als »Bété-Alphabet«. Darüber hinaus entwickelte er weitere gezeichnete Bildkonvolute, die die Deutungssysteme seiner Kultur – die selbst eine Synthese aus Anteilen der französischen Kolonialmacht, deren importierter Kultur, den an der Elfenbeinküste bereits vor der Kolonisierung lebenden Bevölkerungsgruppen und den Versatzstücken einer aktuelOHQVLFKJOREDOLVLHUHQGHQ*HVHOOVFKDIWELOGHW±YLHOVFKLFKWLJUHÀHNWLHUHQVLH]XJOHLFK EHUVSLW]HQXQWHUODXIHQXQGSHUVLÀLHUHQ'HU.DQRQNRQ]HSWXHOOHU.XQVWGHUVLFK ab Ende der 1960er sukzessive herausbildete und zu dem auch Kawara, Darboven XQG GLH %HFKHUV ]lKOHQ N|QQHQ ZXUGH LQ GLHVHU V]HQRJUD¿VFKHQ $QRUGQXQJ PLW weniger im westlichen Kulturkontext sozialisierten Kunstpositionen in ein Bezugssystem gesetzt. Mit dieser Ausstellungsinszenierung relativierte die Documenta 11 eine eurozentristische, genuin westliche Kunstgeschichtsschreibung und stellte deren Exklusionsmechanismen zur Diskussion. Dies wird vor allem daran deutlich, dass alle vier Kunstpositionen durch die Entstehungsdaten ihrer Werke zu den ältesten Positionen der elften Documenta zu zählen sind und damit eine historische Achse im Ausstellungsparcours etablieren. Im Gegensatz zu den bereits genannten kanonisierten Konzeptkünstlern gilt jedoch Frédéric Bruly Bouabré zum Zeitpunkt der 115 Vgl. hierzu das folgende Kapitel zu diesen drei Kunstpositionen.

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elften Documenta nicht als historischer Referenzpunkt innerhalb einer westlichen Kunstgeschichtsschreibung. Zwar war Frédéric Bruly Bouabré bereits 1995 auf der Biennale in Venedig vertreten. Seine verstärkte Rezeption setzte jedoch, ganz im Gegensatz zu Darboven, Kawara und den Bechers, erst in den 1990er Jahren ein.116 Mit diesen Gegenüberstellungen von relativ kanonischen und weniger kanonischen Positionen provozierte das Konzept der Documenta Fragen, die den eurozentristisch orientierten Kunstbetrieb und seine exklusiven Wissensordnungen kritisch in den Blick nahmen. Kunstgeschichte stellt sich vor diesem Hintergrund als eine relative XQGGXUFKDXVYDULDEHODXVGHXWEDUH:LVVHQVVWUXNWXUGDULQGHUVSH]L¿VFKH2EMHNWHLQ HLQHUVSH]L¿VFKHQ2UGQXQJ]XVDPPHQJHIJWZHUGHQN|QQHQ'LH.DVVHOHU$XVVWHOlung stellte die Möglichkeit der Umschichtung dieser Ordnungen durch den Blick auf weniger westliche Kunstpositionen zur Debatte. Pere Portabella: Informe general sobre algunas cuestiones de interés para una proyección pública (1976)

Mit Pere Portabellas im Jahr 1976 entstandenen Film Informe general sobre algunas cuestiones de interés para una proyección pública (dt. Allgemeiner Bericht über einige interessante Themen für eine öffentliche Vorführung) kommt neben Hanne Darbovens frühen Filmen von 1968 und 1970/71117HLQZHLWHUHVNLQHPDWRJUD¿VFKHV Werk aus den 1970er Jahren auf der elften Documenta zur Aufführung. Wenngleich weniger prominent ausgestellt als die anderen oben behandelten Arbeiten von Roth, .RåDULü)H\]GMRX&RQVWDQW)ULHGPDQXQG%RXDEUpELOGHWH3RUWDEHOODV)LOPHLQHQ KLVWRULVFKHQ$QNHUSXQNWGHU'RFXPHQWDLP+LQEOLFNDXIGLH5HÀH[LRQIRWRJUD¿VFKHU%LOGPHGLHQ,P5DKPHQGHUV]HQRJUD¿VFKHQ2UGQXQJQDKP3RUWDEHOODV)LOP eine vergleichsweise randständige Position ein: Vom Eingang der Documenta-Halle aus gesehen, wurde er auf einem der vier Monitore gezeigt, die an der rechten Seite des Eingangsbereichs aufgestellt waren [Abb. G]. Er war damit eingereiht in ein Ensemble von vier, vor allem auch politisch motivierten Filmen unterschiedlicher Filmemacher. 116 Das zeigt auch ein Überblick in der internationalen Bibliotheksdatenbank für Kunstgeschichte (www.artlibraries.net, zuletzt abgerufen am 20.10.2009) unter dem Schlagwort »Frédéric Bruly Bouabré«: Hier finden sich erst ab dem Jahr 1993 Publikationen zu seinem Werk. Die Anzahl der Publikationen ist, verglichen mit jenen zu Darboven, Kawara und den Bechers, gering. Erwähnenswert ist, dass Bruly bereits 1989 durch seine Teilnahme an der Pariser Ausstellung Magiciens de la Terre, von Jean-Hubert Martin konzipiert, international stärker wahrgenommen wurde (vgl. Ausst.Kat (1989) Magiciens de la Terre). 1997 nahm er außerdem an der zweiten Johannesburger Biennale von Südafrika teil, die Okwui Enwezor kuratierte. Hier wurden zahlreiche Künstlerinnen und Künstler ausgestellt, die dann auch auf der Documenta 11 gezeigt wurden (z. B. Georges Adéagbo, Kendell Geers, Renée Green, Isaac Julien, Steve McQueen, Santu Mofokeng, Shirin Neshat, Cildo Meireles, Lorna Simpson, Bodys Isek Kingelez, Feng Mengbo, Fiona Tan, Alfredo Jaar und William Kentridge: vgl. Ausst.Kat. (1997) Trade Routes, zu Bouabré: S. 275). 117 Die präsentierten Filme von Darboven werden in dieser Untersuchung nicht weiter behandelt. Die Künstlerin spielt im folgenden Kapitel – in ihrer Funktion innerhalb der szenografischen Ordnung der elften Documenta – vorangig als Vertreterin einer historischen Konzeptkunstposition eine zentrale Rolle.

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Portabellas Dokumentation schildert innerhalb von 153 Minuten die gesellschaftliche Übergangssituation in Spanien Mitte der 1970er Jahre, nach dem Tod von General Franco. Der Filmemacher setzt die Proteste und politischen Auseinandersetzungen einer Gesellschaft im Übergang von einer Diktatur zu einem demokratischen 6\VWHP PLW DNWLYLVWLVFKHP$XJH LQ 6]HQH RKQH GDEHL GLH 5HÀH[LRQ GHU PHGLDOHQ Repräsentationsbedingungen unberücksichtigt zu lassen. Als linker und politisch engagierter Filmemacher zählt Portabella zu den wichtigsten Vertretern des neuen spanischen Kinos zur Zeit des Übergangs von der Franco-Diktatur zu einer demokratischen Gesellschaftsordnung. Dieser Film eröffnete – als frühester einschlägiger 'RNXPHQWDU¿OPLQQHUKDOEGHV$XVVWHOOXQJVHQVHPEOHV±GLHYRQGHU'RFXPHQWD initiierte Diskussion über dokumentarische Darstellungsformen im Bereich der Kunst. Die drei weiteren Filme vervollständigten die diachrone Achse bis in die unmittelbare Gegenwart: Der 1954 in Kamerun geborene und heute vorwiegend in Paris lebende JeanMarie Teno widmet sich in seinem im Jahr 2000 produzierten Film den sich auch nach dem Kolonialismus fortschreibenden Machtasymmetrien zwischen dem reichen Westen und den Ländern Afrikas. Ein Ankerpunkt seiner AuseinanderVHW]XQJLVWGLH+DXSWVWDGWYRQ.DPHUXQ-DXQGH'XUFKGDV¿OPLVFKH3RUWUlWGLHVHU Stadt verdeutlicht der Filmemacher, wie wenig sich hier das im Zuge der Kolonisation entwickelte Begehren nach einer Modernisierung der Lebensumstände erfüllt hat. Die zwei im Film prominent exponierten Hochhäuser der Stadt, Symbole der westlichen Urbanisierung, erzählen von den Modernisierungsbestrebungen des städtischen Zentrums. Der Film verdeutlicht jedoch, dass die Hoffnung auf eine Verbesserung der Lebensumstände im Hinblick auf die Gesamtsituation der Bevölkerung keineswegs eingelöst ist. Im Gegensatz dazu verfasste der 1938 in Amsterdam geborene und auch dort lebende Johan van der Keuken, der in den 1950er Jahren in Paris ein Filmstudium DXIJHQRPPHQ KDWWH LQ VHLQHP  HQWVWDQGHQHQ :HUN HLQHQ ¿OPLVFKHQ %HULFKW vom indischen Bundesstaat Kerala. Keuken verwebt in seinem Film Beobachtungen aus dem städtischen Leben der Region mit skizzenhaften Aufnahmen von traditionellen Kulturereignissen, wie etwa von Tänzen und Gesängen, Kampfritualen und religiösen Bräuchen, so dass sich ein vielschichtiges Bild der keralischen Kultur im Spannungsfeld von Tradition und Moderne ergibt. Darüber hinaus hatte der 1945 in Chile geborene Gaston Ancelovici 1986 ein Porträt der gesellschaftlichen Situation in Chile entworfen. Nach dem Sturz von Salvador Allende durch Augusto Pinochet verließ der Filmemacher im Jahr 1973 Chile und drehte im Exil als Mitglied der Gruppe Colectivo Cine Ojo einen Film, der die Situation des Landes zehn Jahre nach dem Putsch darstellte. Auch sein auf der Documenta präsentierter Film widmet sich anhand individueller Geschichten einer gesellschaftlichen Skizze der chilenischen Bevölkerung unter der diktatorischen Regierung Pinochets. Er beschreibt den alltäglichen Kampf der Zivilbevölkerung mit den restriktiven Maßnahmen der Polizei und des Militärs. Auch dieses Dokument geht – wie viele andere Filme von Ancelovici – den persönlichen Schicksalen der

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von Verfolgungen, Inhaftierungen und Exekutionen betroffenen Bevölkerung nach. Mit dieser Arbeit wurde in das aus den vier Filmen bestehende Ausstellungsensemble auch ein Dokument aus Lateinamerika integriert. Mit Ancelovicis Werk fügte man den Einzelbeobachtungen aus Spanien, Indien und Kamerun noch einen Bericht aus Chile hinzu. Dieser Ausstellungsteil innerhalb der Documenta-Halle richtete folglich das Augenmerk auf politische und kulturelle Brennpunkte in unterschiedlichen Kontinenten und Regionen der Erde. Die elfte Kasseler Kunstausstellung löste damit ihren Anspruch ein, das Blickfeld auf künstlerische Produktionen – über den Tellerrand des Westens hinaus – zu erweitern. Zugleich präsentierte die Documenta 11 mit diesen $UEHLWHQXQWHUVFKLHGOLFKH)RUPHQGHV¿OPLVFKHQ'RNXPHQWDULVPXVXQGUHÀHNWLHUWH damit die Möglichkeiten diverser medialer Darstellungen von Wirklichkeit. Dieses aus vier Filmen bestehende Ensemble fügte sich darüber hinaus in ein VSH]L¿VFK IU GLH 'RFXPHQWD+DOOH HQWZRUIHQHV $XVVWHOOXQJVNRQ]HSW HLQ 'LHVHU Ausstellungsort der elften Documenta versammelte nämlich diverses Dokumentationsmaterial von unterschiedlichen politischen Initiativen. Man hatte hier vielfältige Rechercheunterlagen, Videoaufzeichnungen und Fotos zusammengeführt: von Bürgerinitiativen wie beispielsweise Park Fiction, aber auch von außereuropäischen aktivistischen KünstlerInnen und Künstlerkollektiven, beispielsweise von der kongolesischen Initiative Le Groupe Amos, der senegalesischen Gruppe Huit Facettes oder aber auch von dem aus Litauen stammenden Künstlerpaar Gediminas und Nomeda Urbonas. Dieses Archiv gab Einblicke in die interventionistischen und eigeninitiativ organisierten politischen Praxen der einzelnen Gruppen und Personen, die sich durch ihr soziales, kreatives und politisches Engagement mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ihrer jeweiligen Lebensräume auseinandersetzten. Der Film von Portabella fügte sich folglich zusammen mit den drei anderen, oben beschriebenen Dokumentationen in das in der Documenta-Halle ausgestellte dokumentarische Archiv ein, das diverse Facetten der politischen Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen präsentierte. Es war jedoch auffällig, dass die vier Filme aufgrund ihrer Präsentation auf den kleinen Monitoren im Eingangsbereich im Vergleich zu den Black Box-Installationen – beispielsweise in der Binding Brauerei, im Fridericianum und im Kulturbahnhof – weniger als Einzelwerke zur Geltung kamen. Sie reihten sich vielmehr in die dokumentarische Vielfalt der in der Documenta-Halle ausgestellten Materialien ein. Der Ort stellte auch das gesammelte Dokumentationsmaterial von den vier vorangegangenen Plattformen in Wien, Neu Delhi, St. Lucia und Lagos bereit, ebenso wie ein Internetcafé. Die Zusammenstellung der vier Filme von Portabella, Teno, Keuken und AnceORYLFL ERW HLQHQ (LQEOLFN LQ GDV ZHLWH KLVWRULVFKH 6SHNWUXP ¿OPLVFKGRNXPHQWDULscher Arbeiten. In der Reihung deckten die Werke nicht nur eine globale Perspektive ab, sondern auch eine historische Zeitspanne zwischen den 1970er Jahren und der Gegenwart. Auch Jonas Mekas’ Film As I Was Moving Ahead Occasionally I Saw Brief Glimpses of Beauty (USA 2000), der lediglich im Bali Kino gezeigt wurde, sowie beispielsweise die Werke von Fiona Tan, Eija-Liisa Ahtila, Min-ha Trinh, Chantal Akerman oder aber Ulrike Ottinger schlossen an die von der elften Docu-

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menta angestoßene Auseinandersetzung über dokumentarische Darstellungsweisen LP ¿OPLVFKHQ XQG IRWRJUD¿VFKHQ 0HGLHQ DQ 'LHVH ]XPHLVW LQ HLQ]HOQHQ$XVVWHOOXQJVSDU]HOOHQ DXVJHVWHOOWHQ :HUNH ELOGHWHQ RIIHQVLFKWOLFK HLQHQ UHÀH[LYHQ .RPmentar auf das in der Documenta-Halle präsentierte »dokumentarische Archiv«, das stärker einen faktischen Einblick in die Tätigkeiten politisch aktivistischer Gruppen gab, als dass hier das »dokumentarische Bild« VHOEVWUHÀH[LY]XU6SUDFKHNDP/HGLJlich die vier beschriebenen Filme bildeten hier eine Ausnahme. Mit der historischen Position von Portabella erweiterte die Documenta 11 folglich den kanonischen Blick DXINQVWOHULVFKH$UEHLWHQGHUHUXQGHU-DKUHLP+LQEOLFNDXIGLH5HÀHxion dokumentarischer Bildformen in der Kunst.

DARBOVEN, KAWARA UND DIE BECHERS: HISTORISCHE KONZEPTKUNST POSITIONEN AUF DER DOCUMENTA 11 Zur Kanonisierung der Konzeptkunst in den 1970er Jahren

Hanne Darboven, Bernd und Hilla Becher ebenso wie On Kawara zählten unbestritten zu den weiteren historischen und auch kanonischen Kunstpositionen der elften Documenta. Gemeinsam sind sie zum Kanon im Bereich der bildenden Kunst zu zählen, da sie in den vergangenen Jahrzehnten in Ausstellungen und diversen Publikationen nicht zuletzt unter einer Kunstrichtung rezipiert wurden, die vor allem am Ende der 1960er Jahre und zu Beginn der 1970er Jahre unter dem Titel »Konzeptkunst«118LPZHVWOLFKHQ.XQVWEHWULHE¿UPLHUWH6HOEVWZHQQGLHVHUVXPPDrische Oberbegriff kritisch diskutiert wurde und seine inhaltliche Füllung bis heute strittig bleibt119, so zeigt sich ab den späten 1960er Jahren, dass man jene drei Positionen in Ausstellungen und einschlägigen Publikationen immer wieder gemeinsam unter diesem Titel präsentierte. Ab diesem Zeitraum etablierte sich folglich ein kanonisches Wissen darüber, welche Künstler unter dieser Kunstrichtung zu subsumieren waren. Um besser einordnen zu können, welche Bedeutung tragende Funktion die Arbeiten von Bernd und Hilla Becher, On Kawara und Hanne Darboven LQQHUKDOEGHUV]HQRJUD¿VFKHQ2UGQXQJGHUHOIWHQ'RFXPHQWDHLQQDKPHQHUVFKHLQW ein Blick auf den Kunstbetrieb Ende der 1960er und zu Beginn der 1970er Jahren sinnvoll. Denn gerade vor dieser historischen Folie kann die Auswahl und Präsentation ihrer Arbeiten auf der Documenta von 2002 eingehend erörtert werden. Bemerkenswert ist also zunächst, dass die vier Künstler um das Jahr 1970 innerKDOE]DKOUHLFKHU$XVVWHOOXQJHQJHPHLQVDPJH]HLJWZXUGHQ0DQ¿QGHWVLHDX‰HUGHP zusammen in diversen Katalogen und einschlägigen Publikationen zur Konzept118 Im Folgenden wird diese als »Konzeptkunst« bzw. »Conceptual Art« betitelte Kunstrichtung der späten 1960er und frühen 1970er Jahre als »historische Konzeptkunst« bezeichnet, ihre Vertreterinnen und Vertreter als »historische Konzeptkunstpositionen«. 119 Vgl. Tragatschnig 1998: Konzeptuelle Kunst, S. 11 ff; Scheer 1992: Postmoderne, S. 91, oder auch der Einführungstext zur Konzeptkunst in: Ausst.Kat. (1971) »Was die Schönheit sei, das weiß ich nicht«.

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kunst. Diese damalige wiederholte Rezeption trieb die Kanonisierung von Darboven, Kawara und den Bechers folglich stark voran. Die vier Künstler befanden sich zu dieser Zeit in ihrer Etablierungsphase innerhalb des Kunstbetriebs. Sowohl Bernd und Hilla Becher als auch On Kawara befanden sich um das Jahr 1970 zwischen dem 35. und 40. Lebensjahr. Hanne Darboven war erst ca. 30 Jahre alt. Im Hinblick auf die oben vorgeschlagene Systematisierung120 standen sie folglich am Anfang ihrer Kanonisierung: 1972 waren Hanne Darboven und die Bechers auf der fünften Documenta vertreten. Bereits 1977 wurden alle vier KünstlerInnen – die Bechers, Darboven und Kawara – gemeinsam auf der sechsten Documenta präsentiert. Hanne Darboven und On Kawara beteiligten sich darüber hinaus auch an der siebten Kasseler Ausstellung im Jahr 1982. Diese Beispiele zeugen von der allmählichen Etablierung dieser Künstler im westlichen Kunstbetrieb, die letztlich zu einer gesättigten Kanonisierung121 führte. Auch der Düsseldorfer Galerist und Ausstellungsmacher Konrad Fischer spielte damals eine zentrale Rolle bei der Etablierung der Konzeptkunst im deutschsprachigen Raum. Er förderte diese Kunstrichtung mit herausragendem Engagement und stellte in seinen Galerieräumen Vertreter dieser Kunstrichtung aus. Auf der US-amerikanischen Seite setzte sich vor allem der New Yorker Kunsthändler und Ausstellungsmacher Seth Sieglaub für Künstler dieser Kunstrichtung ein122. Diese beiden Akteure des westlichen Kunstbetriebs förderten folglich den Kanonisierungsprozess der sogenannten Konzeptkunst, denn sie präsentierten kontinuierlich Künstler der Öffentlichkeit, die man unter dieser Bezeichnung zusammenfasste – so auch die Bechers, Darboven und Kawara: Beispielsweise fand 1969 eine von Konrad Fischer und Rolf Wedewer kuratierte Ausstellung unter dem Titel Konzeption – conception im Schloss Morsbroich statt, die alle drei Künstlerpositionen gemeinsam präsentierte123. Klaus Honnef schloss an diesen Diskurs durch seine kanonisierende Publikation zur Konzeptkunst an, in der er – bereits 1971 – die genannte Ausstellung von Fischer und Wedewer als eine der wichtigsten »Concept-Ausstellungen« einordnete124. Innerhalb dieses mit Concept-Art betitelten Buches präsentierte er 13 Künstler, die in seiner Sicht die für ihn charakteristischen Positionen dieser Kunstrichtung darstellten: unter ihnen befanden sich auch die beiden auf der Documenta 11 ausgestellten Künstler On Kawara und Hanne Darboven. Ebenso tauchten die beiden auch in der 1972 von Honnef im Kunstmuseum Basel unter dem Titel ›Konzept‹-Kunst kuratierten Ausstel-

120 Vgl. in diesem Buchteil das Kapitel Wer zählt zum Kanon? – empirische Befunde zur Documenta 11, Abschnitt Zum Kanonisierungsprozess im westlichen Kunstbetrieb. 121 Vgl. zu diesem Begriff ebenfalls das Kapitel Wer zählt zum Kanon? – empirische Befunde zur Documenta 11, Abschnitt Zum Kanonisierungsprozess im westlichen Kunstbetrieb. 122 Vgl. Alberro: Conceptual Art, insbesondere das Kapitel Sieglaub as Idea (S. 152–170). 123 Vgl. Ausst.Kat. (1969) Konzeption – conception. 124 Vgl. Honnef 1971: Concept Art, S. 104. Zudem führt das von Honnef angelegte Verzeichnis der »wichtigsten Concept-Ausstellungen« zahlreiche zwischen 1967 und 1971 kuratierte Ausstellungen an, in denen Kawara und Darboven gemeinsam präsentiert wurden (vgl. S. 104–105).

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lung auf.125 Das historische Diskursfeld um die sogenannte Konzeptkunst verdichtete sich darüber hinaus durch weitere Ausstellungen, in denen auch die Bechers zusammen mit Hanne Darboven präsentiert wurden: So stellte man die beiden Positionen auf der zweiten Nürnberger Biennale 1971 in der Sektion mit dem Titel KonzeptConcept aus.126 Wiederum als eine der wichtigsten Konzept-Kunst-Ausstellungen bei Honnef erwähnt127, zeigte eine internationale Ausstellung im Museum of Modern Art in New York unter dem Titel Information128 gleich alle drei Positionen: Bernd und Hilla Becher präsentierten ihre auch von Carl Andre im US-amerikanischen Kontext PLW JUR‰HP ,QWHUHVVH UH]LSLHUWHQ )RWRJUD¿HQ YRQ ,QGXVWULHDUFKLWHNWXUHQ GHV 5XKU gebiets, die unter dem Titel Anonyme Skulpturen auch in Form eines Katalogs publiziert wurden.129 On Kawara stellte den ersten Teil der auch auf der Documenta 11 gezeigten Arbeit One Million Years aus und Hanne Darboven präsentierte – ähnlich wie auf der elften Documenta – eines ihrer numerisch aufgebauten Werke. An dieser Skizze wird deutlich, dass die drei Künstler aufgrund der genannten Ausstellungen und Publikationen als repräsentativ für das aktuelle zeitgenössische Kunstschaffen um 1970 gelten können.130 In der Folgezeit wurden sie dann innerhalb einer chronologisch aufgebauten Kunstgeschichte unter dem Titel Konzeptkunst als kanonische Positionen rezipiert. Aussagen hatten sich als stabile Aussagemuster formiert131: Eine kanonische Wissensordnung hatte sich – nicht zuletzt innerhalb diverser Ausstellungen – konstituiert.132 Wie bereits in den obigen Ausführungen dargelegt, gründet ein Kanon auf einem relativ kontinuierlichen Bestand an Objekten (literarische Werke, Kunstwerke, Architekturen, kulturelle Artefakte etc.), die identitätsstiftende Bezugspunkte für die Trägergruppe des Kanons bilden.133 Selbst wenn die Konzeptkunst zunächst die Idee in den Vordergrund der künstlerischen Praxis stellte, so zeigt sich doch an den drei Positionen, dass der – wenngleich relativ schlichte Materialbestand – immer auch ein 125 Vgl. auch Ausst.Kat. (1972) ›Konzept‹-Kunst. 126 Zusammen mit Joseph Kosuth, Robert Smithson, Marcel Broodthaers, Gilbert und George, John Latham, Lawrence Weiner und Robert Barry (vgl. Ausst.Kat. (1971) »Was die Schönheit sei, das weiß ich nicht«). 127 Vgl. Honnef 1971: Concept Art, S. 104–105. 128 Vgl. Ausst.Kat. (1970) Information. 129 Vgl. Andres Beitrag in der damals bereits wichtigen New Yorker Kunstzeitschrift Artforum: Andre 1972: »A Note on Bernhard and Hilla Becher«, sowie Ausst.Kat. (1969) Bernhard und Hilla Becher. Anonyme Skulpturen; zur Auseinandersetzung mit diesen Fotografien der Bechers vgl. auch Dobbe 2007: »Anonyme Skulpturen. Fotografie als Medium der Intermedialität«. 130 Auch Lucy Lippard spricht von einer Kunstrichtung, die in Amerika, Europa, England, Australien und Asien zum Ende der 1960er Jahre aufkommt (vgl. Lippard 1973: Six Years). 131 Vgl. die theoretische und methodische Grundlegung dieser Untersuchung im ersten Buchteil Ausstellungen – ein interdisziplinäres Forschungsfeld: Kapitel Ausstellungen als Ordnungen des Wissens. 132 Vgl. in diesem Buchteil zur Konstitution kanonischer Ordnungen das Kapitel Zum Begriff des Kanons. 133 Vgl. ebenfalls in diesem Buchteil das einführende Kapitel Zum Begriff des Kanons.

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zentrales Element für den Kanonisierungsprozess gewesen ist. Trotz des Beharrens auf den konzeptuellen Anteil der Werke, der sich primär über die intellektuelle Leistung des Betrachters konstituieren sollte, lässt sich doch auch im Hinblick auf die historische Konzeptkunst um 1970 von einem Materialkanon sprechen. Er gründete auf der wiederholten Rezeption dieser materiellen Objekte, die jedoch vergleichsweise unaufwändig zu medialisieren waren. Gerade die relativ unaufwändige Reproduzierbarkeit der konzeptuellen Kunst ermöglichte ihre stetige und weitreichende Distribution – nicht selten sogar per Telefon oder Faxgerät. Die Publikation der Ideen und .RQ]HSWHLQGLYHUVHQ0HGLHQIRUPHQGLH9HU|IIHQWOLFKXQJGHVQLFKWDOOHLQIRWRJUD¿VFKHQ'RNXPHQWDWLRQVPDWHULDOVLQ.DWDORJHQXQGDXFKGLHVFKOLFKWH9HUNlXÀLFKNHLW einer Idee mittels eines auf Papier aufgesetzten Vertrages trug zur Verbreitung der Konzeptkunst bei.134 Hier deutet sich bereits an, dass für die Konzeptkunst Medialisierungsaspekte eine zentrale Rolle spielten, die dann unter Bezugnahme auf die Bechers, Darboven und Kawara im Rahmen der Documenta 11 – so die These dieser Arbeit – verstärkt betont wurden. Mit dem oben beschriebenen Materialkanon der historischen Konzeptkunst um 1970 verbindet sich auch ein Deutungskanon.135 Er konstituiert sich beispielsweise in Karin Thomas’ kunsthistorischem Überblickswerk zur bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts. Der von ihr erstmals 1971 herausgegebene Band subsumiert Hanne Darboven und On Kawara als wichtige Protagonisten jener künstlerischen Praxis in der Zeit um 1970.136 Thomas gründet interessanterweise ihre im Buch angelegte historische Systematik auf der – bereits im ersten Analyseteil dieser Untersuchung NULWLVFKUHÀHNWLHUWHQ±.DWHJRULHGHV6WLOV137, die insbesondere im Titel ihrer Publikation Stilgeschichte der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts als Ordnung stiftende Instanz ausgewiesen ist. Stil ist hier als Kategorie des kunsthistorischen Deutungskanons für die Kunst des 20. Jahrhunderts sogar im Hinblick auf konzeptuelle Kunstpraxen immer noch gültig. Wichtig für die hier anvisierte Analyseperspektive ist vor allem, dass die beiden auch auf der Documenta 11 vertretenen Künstler Hanne Darboven und On Kawara innerhalb dieser kanonisierenden Publikation gleichsam als »Epochensignaturen« der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts fungieren, da sie hier als exemplarische Positionen der Konzeptkunst der 1970er Jahre aufgeführt werGHQ'DVV7KRPDV¶%XFKQRFKLQ]Z|OIWHU$XÀDJHHUVFKHLQW]HLJWQLFKW]XOHW]W dass diese Publikation immer noch als historisches Überblickswerk der Kunst des 20. Jahrhunderts rezipiert wird und auch die Einreihung der genannten Künstler 134 Vgl. zu den Distributionsbedingungen der Konzeptkunst auch Alberro 2003: Conceptual Art and the Politics of Publicity; vgl. zu den unaufwändig reproduzierbaren Materialbeständen der Konzeptkunst: Ausst.Kat. (1970) Information und Ausst.Kat. (1970) Software. Auch die Fotografien der Bechers fanden durch vielfältige Katalogproduktionen Verbreitung. 135 Vgl. zu den Begriffen Materialkanon und Deutungskanon in diesem Buchteil das einführende Kapitel Zum Begriff des Kanons. 136 Vgl. Thomas 1986: Bis heute, S. 334–339. 137 Vgl. im Buchteil I Bildgeschichten: Kapitel Zum Kunstbegriff der ersten Documenta-Ausstellungen (1955, 1959, 1964) unter anderem den Abschnitt Stilgeschichten.

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unter der kategorisierenden Bezeichnung »Konzeptkunst« immer noch Gültigkeit besitzt. Thomas macht für die sogenannte Konzeptkunst zugleich den Begriff der Abstraktion stark, ohne jedoch präzise zu klären, ob es sich dabei um ein formales Phänomen oder um einen intellektuellen Übersetzungsprozess handelt.138 Dieser Begriff mag der ihrem Buch zugrunde gelegten, formalanalytischen Ordnungskategorie des Stils geschuldet sein, zugleich aber deutet sich hier auch eine prominente Perspektive des Deutungskanons der Konzeptkunst an, die von der Dematerialisierung der Kunst ausgeht und die Werkentstehung verstärkt an den geistigen Prozess des Rezipienten delegiert. Dieses Deutungsmodell wurde von Joseph Kosuth, einem der prominentesten Vertreter und Fürsprecher konzeptueller Kunstpraxen, vehement vertreten. Er sprach sich bereits in den 1970er Jahren ganz dezidiert gegen einen modernistisch orientierten Formalismus in der Kunst aus, den der bereits erwähnte Kunstkritiker Clement Greenberg stark gemacht hatte139. Eben genau gegen jenen Kunstbegriff, der nicht zuletzt auf den ersten Documenta-Ausstellungen und im Museum of Modern Art in New York, vertreten wurde, wendet sich der Konzeptualist und theoretisch versierte Künstler Kosuth mit durchaus polemischer Rhetorik, wenn er in seinen Schriften festhält: »[...] formalist art and criticism accept as a definition of art one which exists solely on morphological grounds [...]. It is obvious then that formalist criticism´s reliance on morphology leads necessarily with a bias toward the morphology of traditional art. [...] Formalist criticism is no more than an analysis of the physical attributes [Hervorhebung, K.H.] of particular objects which happen to exist in a morphological context. But this doesn´t add any knowledge (or facts) to our understanding of the nature or function of art. Nor does it comment on whether or not the objects analyzed are even works of art, since formalist critics always bypass the conceptual element in works of art. Exactly why they don´t comment on the conceptual element in works of art is precisely because formalist art becomes art only by virtue of its resemblance to earlier works of art.«140

Kosuth nimmt das formgenealogische, bei ihm als »morphologisch« bezeichnete Programm eines formalistisch orientierten Kunstbegriffs in den Blick, um sich dann ganz deutlich von diesem abzugrenzen. Seine Perspektive auf die Kunst ist davon geleitet, dass das vergleichende Sehen, das aufgrund ähnlicher formaler StrukWXUHQ KLVWRULRJUD¿VFKH 2UGQXQJHQ HWDEOLHUW GXUFK HLQHQ .XQVWDQVDW] ]X HUVHW]HQ LVW GHU SULPlU NRQ]HSWXHOOH$VSHNWH LQV %OLFNIHOG UFNW XQG ]XJOHLFK HLQH 5HÀH xion des Kunstbegriffs einfordert. Er selbst hat hier einen Kunstbegriff im Blick, der GLH)RUP¿[LHUXQJGXUFKHLQHQLFKWPDWHULHOOHWHQGHQ]LHOOJHLVWLJWKHRUHWLVFKH%DVLV 138 Vgl. Thomas 1986: Bis heute, S. 334–339. 139 Vgl. hierzu das Kapitel »How to Look at Modern Art?«: Clement Greenberg, Alfred Barr und das MoMA im Buchteil I Bildgeschichten. 140 Kosuth 1969: »Art after Philosophy«, S. 17 f.

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ersetzt. Dabei wird vor allem die Position des Betrachters und sein Wahrnehmungsprozess betont: Denn Kunst, das ist die Auffassung Kosuths, konstituiert sich allein im Subjekt-Objekt Bezug. An diese Perspektive schließen auch Lucy Lippard und John Chandler mit ihrem prominenten Diktum der »dematerialisation of art«141 an. Nach ihrer Auffassung sollte die Objektzentriertheit der Kunst und des Modernismus durch das Konzept einer »art as idea«142 ersetzt werden. Die beiden Autoren betonen mit dieser Formulierung die Loslösung von der Materialität des Kunstobjekts als Signum konzepWXHOOHU .XQVWSUD[HQ 6LH IRUGHUQ GDVV GLH ª¿[HG UHODWLRQV UDWLRV DQG SURSRUWLRQV between things, in time as well as in space«143 untersucht werden. Mit diesem Ansatz VWHOOWHQVLHGLH¿[LHUWHQ5HODWLRQHQYRQ0DWHULDOLWlWXQG0HGLDOLWlWZLHVLHLQQHUKDOE der traditionellen Gattungen Malerei und Skulptur festgeschrieben waren, infrage. 'DUEHUKLQDXVUHÀHNWLHUWHQ/LSSDUGXQG&KDQGOHULQLKUHP%HLWUDJGHQStatus der Visualität von Kunstobjekten. Es ist auffällig, dass der Text noch dezidiert durch seine kritische Position gegenüber der sogenannten Visual Art geprägt ist, die zum damaligen Zeitpunkt noch sehr stark mit modernistischen Kunstpositionen und den traditionellen Gattungen Malerei und Skulptur assoziiert war. Denn die Fokussierung auf visuelle Qualitäten und formale Aspekte stand in Verdacht, einem REMHNW]HQWULHUWHQ XQG PDWHULDO¿[LHUWHQ .XQVWEHJULII GDV :RUW ]X UHGHQ 9LVXDOLWlW stand, nach Lippard und Chandler, im Rahmen konzeptueller Kunstpraxen – ganz im Gegensatz zu einem modernistischen Kunstbegriff – als referentielle Instanz zur Debatte: »However, the idea that art can be experienced in order to extract an idea or underlying intellectual schema as well as to perceive its formal essence continues from the opposing formalist premise that painting and sculpture should be looked at as objects per se rather than as reference [Hervorhebung, K.H.] to other images and representation.«144 Eben genau im Hinblick auf jenen Aspekt der Referentialität bauen sich Bezugspunkte zwischen den konzeptuellen Werken von Kawara, Darboven, den Bechers XQGGHQ]DKOUHLFKHQDXIIRWRJUD¿VFKHQ%LOGPHGLHQEDVLHUHQGHQ$UEHLWHQGHUHOIWHQ Documenta145 auf. Denn sowohl die Werke der historischen Konzeptkunstpositionen146DOVDXFKGLHYRUQHKPOLFKDXIIRWRJUD¿VFKHQ%LOGPHGLHQEDVLHUHQGHQ:HUNH 141 142 143 144 145 146

Lippard/Chandler 1968: »Dematerialisation of Art«. Lippard/Chandler 1968: »Dematerialisation of Art«, S. 31 ff. Lippard/Chandler 1968: »Dematerialisation of Art«, S. 31. Lippard/Chandler 1968: »Dematerialisation of Art«, S. 36. Vgl. zu dieser Auseinandersetzung den dritten Analyseteil: III Bild- und Bildlichkeitskonzepte. Es ist unbestritten, dass die Bechers im Laufe ihrer Werkrezeption und mit der verstärkten Anerkennung der Fotografie als künstlerischem Medium – seit etwa Mitte der 1970er Jahre – weniger eindeutig unter der Konzeptkunst subsumiert wurden als beispielsweise Darboven und Kawara. Dies machen auch die bereits erwähnten Publikationen und Ausstellungen von Honnef und Fischer deutlich. Die Bechers nahm man mit der zunehmenden Historisierung der Fotografie im Kunstbereich eher als Vertreter einer »konzeptuellen Fotografie« wahr. Hier zeichnet sich die Variabilität des Deutungskanons (Bechers als Vertreter der »Konzeptkunst« bzw. Bechers als Vertreter der »konzeptuellen Fotografie«) und eine Konstanz des Materialkanons ab.

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der Kasseler Kunstschau verweisen auf eine Wirklichkeit, die außerhalb ihrer selbst liegt und somit nicht lediglich an ihre Materialität gebunden ist. Genau diese Bindung von Materialität und Medialität, ebenso wie die autonome Selbstreferentialität, hatte Greenberg für einen modernistischen Kunstbegriff stark gemacht147. Mit den diesem Kunstbegriff zugrunde liegenden Wissensordnungen setzte sich die Konzeptkunst Ende der 1960er Jahre, ebenso wie die Documenta 11, auseinander. Auch Honnef trug Anfang der 1970er Jahre mit der erwähnten Publikation148 zur Etablierung eines ähnlichen Deutungskanons bei, sah er doch in der Konzeptkunst einen radikalen Abstraktionsvorgang, der von einer künstlerischen Idee festgelegt wird. Er jedoch bemühte dabei nicht den Begriff des Stils wie Karin Thomas. Vielmehr unterstrich er, ähnlich wie etwa Kosuth, Lippard und Chandler149, dass das einschlägige Merkmal jener Kunstrichtung die Unabhängigkeit vom Objekt sei. Der intellektuelle Prozess, den das Werk provoziere, stehe insofern im Mittelpunkt dieser künstlerisch-konzeptuellen Praxis.150 Obwohl Honnef, wie auch andere Positionen, die sich mit der Konzeptkunst auseinandersetzten, konstatiert, »dass die Bezeichnung Conceptual Art keine einheitliche künstlerische Tendenz deckt«151, wird sie doch, und QLFKWQXUEHLLKPKlX¿JXQWHUGLHVHU3HUVSHNWLYHHLQHUªDUWDVLGHD©KRPRJHQLVLHUW die das Konzept als die maßgebliche, das Werk konstituierende Instanz auffasst152. Dies wird insbesondere dann deutlich, wenn Honnef etwa Kosuths frühe Arbeiten mit den Abstraktionsleistungen eines Piet Mondrian vergleicht, um daraufhin die Emanzipation des US-amerikanischen Konzeptkünstlers von »sämtlichen bildnerischen Bevormundungen« zu konstatieren.153 An diesen Ausführungen zeigt sich, dass die historische Konzeptkunst in einer kanonischen Lesart als eine internationale Kunstrichtung um 1970 verstanden ZHUGHQ NDQQ GLH VLFK YRQ HLQHU IRUPDOHQ XQG WUDGLWLRQHOO PDWHULDO¿[LHUWHQ .XQVW – wie etwa Malerei und Plastik – abgrenzen wollte. Vor allem die Loslösung vom traditionellen Kunstobjekt154, dessen Dematerialisierung155, oder gar die »mediale Unabhängigkeit«156 stellen zentrale Aspekte in der Deutung und Einordnung der historischen Konzeptkunst dar. 147 Vgl. hierzu das Kapitel »How to Look at Modern Art?«: Clement Greenberg, Alfred Barr und das MoMA im Buchteil I Bildgeschichten, aber auch bspw. Greenberg 1939: »Avantgarde und Kitsch«. 148 Vgl. Honnef 1971: Concept Art. 149 Vgl. Kosuth 1991: Art After Philosophy and After; Lippard/Chandler 1968: »The Dematerialization of Art«; Lippard 1973: Six Years. 150 Vgl. Honnef 1971: Concept Art, S. 8–9. 151 Honnef 1971: Concept Art, S. 30. 152 Dieser einschlägigen Lesart folgen einzelne Autoren auch noch in den 1990er Jahren: vgl. Tragatschnig 1998: Konzeptuelle Kunst; Scheer 1992: Postmoderne. 153 Vgl. Honnef 1971: Concept Art, S. 8–9. 154 Vgl. Honnef: Concept Art. 155 Vgl. Lippard/Chandler 1968: »Dematerialization of Art«. 156 Scheer 1992: Postmoderne, unter anderem S. 92.

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Auffällig war nun im Hinblick auf die elfte Documenta, dass sie innerhalb ihres Ausstellungsparcours Darboven, Kawara und die Bechers nicht als historisches Ensemble präsentierte. Man ordnete sie hingegen in unterschiedlichen Ausstellungsgebäuden bzw. Gebäudeteilen an und legte daher auch keine kanonische Rezeption unter dem eher homogenisierenden und historisch bereits etablierten Titel Konzeptkunst nahe. Dadurch aber, dass die Documenta 11 diese drei kanonischen Positionen, die vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen zum Kernkanon der Kunst des 20. Jahrhunderts zählen können157LQQHUKDOELKUHU6]HQRJUD¿HVHKUVWDUNH[SRQLHUWH stellte sie noch einmal den Status dieser Kunstrichtung zur Diskussion. An der AnordQXQJGHU:HUNHLQQHUKDOEGHU6]HQRJUD¿HZLUGGHXWOLFKGDVVGLH'RFXPHQWDGLH einschlägige kanonische Deutung der Konzeptkunst erweiterte. Denn die Aufnahme der Werke von Kawara, Darboven und von den Bechers in den Ausstellungsparcours der Kasseler Ausstellung von 2002 ließ Merkmale der Konzeptkunst in Erscheinung treten, die in der beschriebenen kanonischen Deutungsperspektive weniger stark Berücksichtigung gefunden hatten. Bemerkenswert ist nämlich, dass im BezugsV\VWHP GHU V]HQRJUD¿VFKHQ 2UGQXQJ YRU DOOHP GLH LQ GHQ$UEHLWHQ DXIJHKREHQHQ Medialisierungsaspekte in den Vordergrund traten: Mediale Übersetzungsprozesse, die mit den Werken verbundene Entkopplung von Materialität und Medialität ebenso ZLHHLQHYHUVWlUNWH5HÀH[LRQGHUUHIHUHQWLHOOHQ4XDOLWlWGHU=HLFKHQGLHLQDOOHQGUHL Arbeiten enthalten ist, scheinen hier als ein zentrales Moment wichtig zu werden158. Diese Aspekte sollen im Folgenden unter Bezugnahme auf die drei Werke konkreter in den Blick genommen werden. Hanne Darboven: Kontrabasssolo, Opus 45 (1998–2000)

Darbovens Arbeit Kontrabasssolo, Opus 45159 (1998–2000) bestand aus musikalischen Notationen, die 3898 DIN-A-4 große Zeichnungen umfasste, die zum größten Teil durchgehend identisch gerahmt und über alle drei Stockwerke des Fridericianums an den Wänden der zentralen Rotunde angebracht waren [Abb. 21, Abb. A, B, C]. Die gerahmten Zahlenkodes stellten das Resultat eines langwierigen Arbeitsprozesses dar, bei dem die Künstlerin Musiknoten einzelner Partituren nach einer selbst erdachten Systematik in Zahlenreihen übersetzt hatte, wobei jeder Note HLQ VSH]L¿VFKHU =DKOHQZHUW ]XJHRUGQHW ZXUGH160 Jedes Blatt verzeichnete dabei 157 Zum Begriff Kernkanon vgl. in diesem Buchteil das einführende Kapitel Zum Begriff des Kanons. 158 An dieser Stelle wird deutlich, dass die Begriffe meist hinter der Reflexion zurück fallen: Bei der Auseinandersetzung mit der Konzeptkunst mit einem Werkbegriff zu arbeiten, erscheint problematisch, denn gerade dieser sollte ja aufgrund seiner historischen Verankerung in den Gattungen Malerei und Skulptur aufgebrochen werden. 159 Zu diesem Werk zählte auch ein Kristallschädel mit Sockel, der auf der hier gezeigten Abbildung nicht zu sehen ist sowie eine Schwarz-Weiß-Fotografie (vgl. die Werkangaben: Ausst.Kat. (2002) Documenta 11_Platform 5: Ausstellungsorte, S. 225). Sie werden an dieser Stelle nicht berücksichtigt, da sie für die hier im Zentrum stehenden Medialisierungsaspekte weniger von Bedeutung sind. 160 Vgl. zu Darbovens musikalischen Arbeiten auch: Lütteken 2000: »Musikalische Geschichte und bildnerische Form: Hanne Darbovens Grenzgänge«. Einen Einstieg in Darbovens Rezeptions-

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Abb. 21: Hanne Darboven: Kontrabasssolo, Opus 45, 1998–2000, Ausstellungsansicht im Treppenhaus des Fridericianums

70 Ziffern. Im Erdgeschoss und im ersten Stockwerk bestand die Hängung dieser Blätter aus jeweils elf übereinandergelagerten Reihen, die sich quer über die etwa 40 Meter lange Wand der Rotunde erstreckten, und auch das oberste Stockwerk des Fridericianums war ganz ähnlich organisiert, wobei lediglich sechs Bildreihen übereinander angeordnet waren. Die Ausstellungsansicht zeigt, dass die Bilderrahmen so eng nebeneinander angebracht waren, dass in den Zwischenräumen kein Blick DXIGLH:DQGÀlFKHPHKUP|JOLFKZDU'DGXUFKYHUPLWWHOWHGDV:HUNHLQHH[WUHP hermetische Geschlossenheit und visuelle Dominanz. Trotz der visuellen Qualität und der einprägsamen Inszenierung im Ausstellungsraum erschloss sich das Werk in seiner Bedeutungsdimension erst, wenn man den hinter den Zeichen liegenden hEHUVHW]XQJVSUR]HVV UHÀHNWLHUWH 'HQQ GDV DNULELVFKH DXIJHIDOWHWH =DKOHQXQLYHUsum der Künstlerin verwies auf eine auditiv wahrnehmbare, musikalische Partitur, die innerhalb des Fridericianums in den 3478161 Rahmen stillgelegt worden war. Die Redundanz der Zeichen und ihre überbordende Präsenz befragt die Zeichenhaftigkeit des Materials, denn diese wird gerade durch den Akt der Wiederholung unterVWULFKHQ XQG IKUW GDPLW HLQH VHOEVWUHÀH[LYH 'LPHQVLRQ LQ GDV:HUN HLQ ZHLO GHU Betrachter auf die mediale Qualität der materiellen Struktur zurückgeworfen wird.162 Jedoch zeichnet sich Darbovens numerischer Kode nicht durch einen eindeutigen Verweiszusammenhang aus, denn den Zahlen kann bei bloßer Betrachtung keine ¿[LHUEDUH%HGHXWXQJ]XJHVFKULHEHQZHUGHQ*HQDXLP+LQEOLFNDXIGLHVHQ$VSHNW ¿QGHWGDV9HUIDKUHQGHU.QVWOHULQ$QNQSIXQJVSXQNWHDQHLQH$XVHLQDQGHUVHW]XQJ

geschichte und unterschiedliche Werkaspekte, so auch zu ihren musikalischen Notationen, gibt Zdenek 1999: Hanne Darboven. Ein Reader. 161 420 der 3898 Blätter waren nicht gerahmt und wurden in den beigefügten Vitrinen gezeigt, die ebenfalls in der gezeigten Ausstellungsansicht zu sehen sind. 162 Vgl. auch Derridas kritische Auseinandersetzung mit »Wiederholung und Differenz«: Derrida 2004: Die différance.

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der Documenta 11 über die statische Fixierung von Bedeutung und Identität163, mit der sich auch Derrida auseinandergesetzt hatte. Der Derrida-Forscher und Professor für Grundlagen der interkulturellen Philosophie Heinz Kimmerle beschreibt unter Bezugnahme auf die Grammatologie164 Derridas Verfahren folgendermaßen: »Der wesentliche Schritt zu einer Wissenschaft von der Schrift oder Grammatologie, den er unternimmt, liegt darin, dass er Schrift nicht mehr als Zeichen auffasst, das für eine Sache steht, diese repräsentiert, sondern als Spur, die auf etwas verweist, das nicht statisch präsent [Hervorhebung, K.H.] ist, sondern weiter verweist innerhalb eines Gefüges von Verweisungen.«165 Eben in ein solches Gefüge von Verweisungen sind auch die Zahlen von Darboven eingebunden. Sie verweisen selbst auf Noten, die wiederum eine skripturale Transformation von Tönen darstellen, die Teil einer Partitur sind, die von Zeit zu Zeit auch von Darboven zur Aufführung gebracht wird. Die Partitur bezeichnet folglich ebenfalls kein statisches Gefüge von Raum und Zeit, sondern ist den jeweiligen raum-zeitlichen Bedingungen der Aufführung unterworfen. On Kawara: One Million Years (1970/71, 1998, 2002)

Auch in Kawaras Projekt spielte die mediale Übersetzung eine zentrale Rolle. Seine Arbeit bestand streng genommen aus drei Teilen, wobei die ersten beiden »Werkeinheiten« lange vor der elften Documenta zu Beginn der 1970er Jahre entstanden waren und der letzte Teil auf der Kasseler Ausstellung von 2002 performativ realisiert wurde: I: One Million Years – Past (998.031 BC to 1969 AD) II: One Million Years – Future (1999 AD to 1.001.998 AD) III: Installation mit 10 je einstündigen Live-Lesungen166 Innerhalb der ersten beiden Teile hatte der Künstler, ähnlich wie Darboven, über mehrere Jahre beinahe endlose Zahlenlisten, allerdings mit Schreibmaschine geschrieben, erstellt. Diese Listen folgen der zeitlichen Systematik des christlich-abendländischen Kalenders. Kawara hatte diesen Werkprozess im Jahr 1970 begonnen und dabei vom Jahr 998.031 (vor Christus) exakt eine Million Jahre in die Zukunft gezählt, um dann mit dem Jahr – und zugleich der Zahl – 1969 (nach Christus) das Projekt One Million Years (Past) abzuschließen. 1999 zählte er – an dieses Projekt anschließend – von genau dieser Jahreszahl eine Million Jahre in die Zukunft bis zum Jahr 1.001.998, mit dieser Ziffer beendete er dementsprechend den zweiten Teil seines Projektes One Million

163 Vgl. hierzu auch die Auseinandersetzung mit dem Werk von Chohreh Feyzdjou in diesem Buchteil: Kapitel Roth, Kožaric´, Feyzdjou: Werkprozesse und die Unordnung der Dinge. 164 Derrida 1974: Grammatologie. 165 Kimmerle 1992: Derrida, S. 40. 166 Vgl. zu den Werkangaben: Ausst.Kat. (2002) Documenta 11_Platform 5: Ausstellungsorte, S. 230.

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Abb. 22: On Kawara: One Million Years – Past (998.031 BC to 1969 AD), 1970/71, One Million Years – Future (1999 AD to 1.001.998 AD), 1998 Installationsansicht im Fridericianum während einer Live-Lesung

Years (Future).167 0LWGLHVHP9RUJHKHQUHÀHNWLHUW.DZDUDlKQOLFKZLH'DUERYHQHLnen Übersetzungsprozess von Zeit in einen Zahlenkode. Dementsprechend kann seine künstlerische Praxis, ebenso wie jene von Hanne Darboven, auch an die bereits HUZlKQWHQ hEHUOHJXQJHQ YRQ /LSSDUG XQG &KDQGOHU DQVFKOLH‰HQ ZHOFKH GLH 5HÀH xion der Zeit-Raum-Relationen innerhalb der Konzeptkunst betont hatten. Die beiden beschriebenen Projekte umfassen jeweils zehn Bände, in denen er in exakt der gleichen Formation seine Ziffern notierte (dementsprechend: One Million Years – Past und One Million Years – Future). Die 10-bändigen Kompendien beinhalten lose geheftete Blätter, auf denen die Zahlenreihen zu sehen sind. Sie sind jeweils horizontal in zehn Spalten aufgeteilt. Jede Spalte besteht aus fünf je 10-zeiligen Blöcken, wobei jede Zeile eine Zahl umfasst. Die Zahlen sind, je nach Zeitabschnitt, mit dem entsprechenden Kürzel BC (vor Christus) oder AD (nach Christus) versehen. Eine horizontale Reihe aus zehn Blöcken umfasst demnach ein Jahrhundert, ein einzelner Block eine Dekade. Zeit wird hier ganz offensichtlich akribisch in ein numerisches System übertragen, ihr Übersetzungskode sind die arabischen Zahlen, die formale Anordnung der Zahlen verweist dabei zugleich auf einen summarischen Kode von Dekaden und Jahrhunderten. Auch mit diesem beinahe manischen Verfahren tritt die Zeichenqualität durch die ständige Wiederholung der Zeichen und die akribische Struktur der Anordnung in Erscheinung. 167 Vgl. zu dem Verfahren auch den Ausst.Kat. (1980) On Kawara. Continuity/Discontinuity, S. 117. Die Angaben der Anfangs- und Endzahlen divergieren allerdings je nach Projekt. Lynn Cooke schreibt im Hinblick auf ein anderes, nach der gleichen Zählstruktur organisiertes Projekt, das in zwölf Auflagen zu ebenfalls zehn Bänden (pro Past- und Future-Teil) herausgegeben wurde: »That there are differences in commencement (and completion) years, minor discrepancies in what would normally be identical units in an edition, reflects On Kawara´s strict allegiance to the actuality of the present moment in which he brings any work to being.« (Cooke 1994: »On Kawara«, S. 1).

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Für die elfte Documenta wurde dieses schriftliche System dann noch einmal medial überformt: Kawara ließ die Zahlen auf der Kasseler Ausstellung von 2002 innerhalb von zehn je einstündigen Live-Lesungen im zentralen Raum des ersten Geschosses innerhalb des Fridericianums durch freiwillige Sprecher in Sprache übersetzen [Abb. 22, Abb. B]. Wie in der Ausstellungsansicht zu sehen, verlasen im Rahmen dieses Projekts jeweils zwei Personen, je ein Mann und eine Frau, in einem gläsernen Studio auf zwei Stühlen sitzend, über ein Mikrofon die Zahlen, die Kawara innerhalb der beiden Projekte niedergeschrieben hatte. Die Zeitlichkeit der Zahlenreihen wurde folglich prozessual in einem Sprechakt medialisiert und zugleich in eine weitere, vom performativen Akt abhängige Zeit überführt. Bedeutsam ist, dass Kawara mit seinem Verfahren die Zeit nicht lediglich in einem linearen, kontinuierlichen und chronologischen Ablauf thematisierte, sondern, ganz im Gegenteil, gerade die Relationen zwischen Zukunft, Vergangenheit und GegenZDUW]XU5HÀH[LRQEUDFKWHGLHHLQHMHZHLOVYHUVFKLHGHQH:DKUQHKPXQJYRQ=HLW zur Folge haben können. Verglichen mit Hanne Darbovens Vorgehen hatte Kawara jedoch ein diametral entgegen gesetztes Verfahren gewählt: Er übertrug schriftliche Kodes in akustische Sprechakte, wohingegen die Künstlerin Töne in Zahlenkodes transformierte. Die Zeichen, das zeigte sich allerdings in beiden Projekten, waren einem jeweils erneuten medialen Wandel unterworfen und nicht statisch im MateULDO¿[LHUW'LHVHU$VSHNWZXUGHVLQQOLFKHUIDKUEDUJHPDFKWXQGXQWHUPDXHUWHHLQHQ thematischen Aspekt der Documenta 11: die Medialisierung. Die Entkopplung von 0HGLDOLWlW XQG 0DWHULDOLWlW ZXUGH JOHLFKIDOOV GXUFK GLH ]DKOUHLFKHQ DXI IRWRJUD¿schen Bildmedien basierenden Werke thematisiert, womit sich der dritte Analyseteil dieses Buches beschäftigen wird. Bernd und Hilla Becher: Fachwerkhäuser des Siegener Industriegebiets (1959–1978, 1971–1972)

$XFKGLHIRWRJUD¿VFKHQ7DEOHDXVGHUFachwerkhäuser des Siegener Industriegebiets (1959–1978, 1971–1972) von Bernd und Hilla Becher168 setzen sich mit einem medialen Übersetzungsprozess auseinander [Abb. 23, Abb. 24]. Im Kulturbahnhof in einem großen Raum präsentiert [Abb. E], konnte man nachvollziehen, wie die von GHP.QVWOHUGXRIRWRJUD¿HUWHQ2EMHNWHYRQGHU'UHLGLPHQVLRQDOLWlWLQGLHIRWRJUD¿VFKH%LOGÀlFKHEHUWUDJHQZRUGHQZDUHQ Die Abbildung eines der ausgestellten Tableaus [Abb. 24] zeigt, dass die dreiGLPHQVLRQDOH $UFKLWHNWXU LQ GHU ÀlFKHQELOGOLFKHQ $XÀ|VXQJ GHU )RWRJUD¿H XQG durch die systematische Anordnung der Bilder eine andere Repräsentationsqualität aufweist als in der Wirklichkeit: Da alle Fassaden der Siegerländer Häuser exakt SDUDOOHO]XU%LOGÀlFKHDQJHRUGQHWXQGXQWHUJOHLFKHQ/LFKWYHUKlOWQLVVHQDXIJHQRPmen sind, erscheint – im vergleichenden Blick – die Gitterstruktur des Fachwerks 168 Vgl. die Werkangaben: Ausst.Kat. (2002) Documenta 11_Platform 5: Ausstellungsorte, S. 223; zur ausführlichen Auseinandersetzung mit der Werkgruppe selbst: Dobbe 2001: Bernd und Hilla Becher.

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Abb. 23: Bernd und Hilla Becher: Fachwerkhäuser des Siegener Industriegebiets, 1959–1978 und 1971–1972, Ausstellungsansicht im Kulturbahnhof

Abb. 24: Bernd und Hilla Becher: Fachwerkhäuser des Siegener Industriegebiets, Bildtableau: Giebelwände Fachwerk, 1959–1978

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innerhalb der Tableaus als beinahe abstraktes Liniegefüge. Das Volumen der Objekte, ihr räumliches Maß tritt nicht in Erscheinung, denn perspektivische Anordnungen und auch relationale Größenverhältnisse, die aus der Anordnung der Objekte im Vorder- bzw. Hintergrund resultieren, werden innerhalb dieser bildlichem Organisation des Raumes weitgehend vermieden. Der Übersetzungsprozess vom dreidimensionaOHQ2EMHNWLQGLH%LOGÀlFKHGHU0HGLDOLVLHUXQJVSUR]HVVDOVRZLUGKLHUPLWWHOVGHU Inszenierung der Fassadenansicht vor Augen geführt.

DEUTUNGSMÖGLICHKEITEN DER HISTORISCHEN KONZEPTKUNSTPOSITIONEN AUF DER DOCUMENTA 11 Medialisierung

An den Ausführungen zu den historischen Konzeptkunstpositionen der Documenta 11 konnte deutlich werden, dass sowohl Darboven als auch Kawara ebenso wie die %HFKHUVGLHUHIHUHQWLHOOH4XDOLWlWYRQ=HLFKHQUHÀHNWLHUHQDEHUDXFKGDV9HUKlOWnis zwischen den Medien durch die Inszenierung von Übersetzungsprozessen von einem Medium in ein anderes zur Sprache bringen. In ihren Werken kommt die 'LIIHUHQ]]ZLVFKHQ0HGLXPXQG0DWHULDO]XU5HÀH[LRQ,Q(UZHLWHUXQJGHUHUVWmals in den 1970er Jahren formulierten, eher kanonischen Deutung einer »Dematerialisierung«, »Medienunabhängigkeit« und »Objektlosigkeit« der Konzeptkunst, richtete die Documenta verstärkt den Fokus auf die Medialisierungsaspekte dieser .XQVWULFKWXQJ ,Q GHU LQQHUKDOE GHU V]HQRJUD¿VFKHQ2UGQXQJUHDOLVLHUWHQ=XVDPmenführung der beschriebenen Arbeiten von Darboven, Kawara und den Bechers PLW GHQ YLHOHQ DXVJHVWHOOWHQ DXI IRWRJUD¿VFKHQ %LOGPHGLHQ EDVLHUHQGHQ :HUNHQ wurde vor allem dieser Aspekt der Konzeptkunst betont. In den Werken der vier Künstler traten zudem die Repräsentationspraktiken einer technokratischen, medientechnologisierten Gesellschaft in Erscheinung: Die akribisch notierten Tabellen einer Hanne Darboven, die Aktenordner füllenden Jahreslisten von On Kawara ebenso wie die enzyklopädischen Kompendien architektoniVFKHU6WUXNWXUHQLQGHQ)RWRJUD¿HQYRQ%HUQGXQG+LOOD%HFKHU$OOHGUHL$UEHLten erinnern an vermeintlich objektive, neutrale Repräsentationstechniken einer hochgradig rationalisierten Gesellschaft, die ihre Information in mediale Kodes übersetzt und ihre archivarischen Techniken der Wissensspeicherung zunehmend technologisch verfeinert. Ganz im Gegensatz zu etwa Scheers These der »medialen Ungebundenheit«169 der Konzeptkunst trat hier folglich die Frage um die medialen Repräsentationsmöglichkeiten von Wirklichkeit ins Zentrum der Betrachtung. Diese thematische Fokussierung fand ebenfalls Anknüpfungspunkte an viele ausgestellte ([SRQDWHGHUHOIWHQ'RFXPHQWDGLHDXIIRWRJUD¿VFKHQ%LOGPHGLHQEDVLHUWHQ'HU folgende letzte Analyseteil kann diese These unterstreichen.

169 Scheer 1992: Postmoderne, unter anderem S. 92.

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Die Ausstellungsinszenierung der elften Documenta gab darüber hinaus $QODVVGLHIUGLHKLVWRULVFKH.RQ]HSWNXQVWGHUHU-DKUHEHWRQWHª$XÀ|VXQJ des Objektstatus« noch einmal kritisch in den Blick zu nehmen. Die Konzeption der Kasseler Kunstausstellung legte nahe, die Idee, das Konzept, als maßgebliche Bedeutung tragende Instanz des Werkes zu überdenken. An den Arbeiten von den Bechers, Darboven und Kawara konnte deutlich werden, dass diese künstlerischen 3UD[HQ0HGLDOLVLHUXQJVSUR]HVVHUHÀHNWLHUWHQGLH]ZDUQLFKWGLUHNWDQHLQHessentialistisch verstandene Objektmaterialität anschlossen, aber dennoch die Materialebene nicht komplett suspendierten. Die Documenta unterstrich nicht zuletzt anhand dieser drei Positionen, dass die Konzeptkunst auch mittels ihrer materiellen Basis auf eine außerhalb ihrer Erscheinungsform liegende Wirklichkeit verwies. Sie betonte aber auch, dass diese Materialität medialisierbar ist und dadurch zirkulationsfähig und reproduzierbar wird. Im Vergleich mit dem Kunstbegriff der ersten drei Documenta-Ausstellungen tritt hier eine Wissensordnung über Kunst in Erscheinung, bei der das Kunstobjekt sich durch eine Entkopplung von Materialität und Medialität auszeichnet. Vor allem die Medialisierungsqualität des Objekts rückt hier in den Fokus der Betrachtung. 'LH.DVVHOHU$XVVWHOOXQJVFKORVVPLWGLHVHUEHUGLHV]HQRJUD¿VFKH2UGQXQJ fokussierten Deutung der Konzeptkunst an eine Perspektive an, die eher im USamerikanischen Diskurs vertreten wurde. Hier nahmen einzelne Ausstellungen um 1970 die medialen Aspekte dieser Kunstrichtung verstärkt in den Blick. Sie waren mit Bedeutung tragenden Titeln ausgezeichnet, die bereits auf einen Medienfokus verwiesen: Information (1970)170, Software (1970)171 oder auch Art by Telephone (1969)172. Der Katalog zur letztgenannten Ausstellung wurde sogar als Schallplatte veröffentlicht. Zudem geht Kynaston L. McShine in seinem Essay zur genannten Ausstellung Information (1970) auf informationstechnologische Entwicklungen und massenmediale Veränderungen ein, die, seiner Meinung nach, in der Konzeptkunst ihren Niederschlag gefunden hätten und traditionelle Kategorien der Kunstgeschichte aufbrechen würden.173 Darüber hinaus publizierte Theodor Nelson – der wegen seiner informationstheoretischen und computertechnologischen Überlegungen auch innerhalb der deutschsprachigen Medienwissenschaften verstärkt rezipiert wurde – im Katalog zur Ausstellung Software (1970) – Bezug nehmend auf Vannevar Bush und Ivan Sutherland – einen Artikel zur Computerisierung der Gesellschaft und ihren medientechnologischen Entwicklungen.174 Auch die beiden Autoren Robert Morgan und Alexander Alberro betonen verstärkt die medialen

170 171 172 173 174

Vgl. Ausst.Kat. (1970) Information. Vgl. Ausst.Kat. (1970) Software. Vgl. Ausst.Kat. (1969) Art by Telephone. Vgl. McShine 1970: »Essay«. Vgl. Nelson 1970: »The Crafting of Media«.

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Aspekte der Konzeptkunst.175 Die elfte Kasseler Ausstellung schien mit der Präsentation historischer Konzeptkunstpositionen diese vielschichtigen Medialisierungsaspekte im Feld der Kunst mit einer diachronen Perspektive zu untermauern. Diese Deutungsperspektive fand insbesondere in den ausgestellten zeitgenössischen :HUNHQGLHPLWIRWRJUD¿VFKHQ%LOGPHGLHQDUEHLWHWHQLKUH$QVFKOXVVSXQNWH'LHVHP Aspekt wird sich der folgende Analyseteil zu den Bild- und Bildlichkeitskonzepten auf der Documenta 11 widmen. Originalität und Künstlersubjekt

Ein weiterer Aspekt, der mit der Ausstellung der historischen KonzeptkunstposiWLRQHQLQ=XVDPPHQKDQJJHEUDFKWZHUGHQNDQQLVWGLH5HÀH[LRQEHUGHQ2ULJLnalitätsstatus von Kunstwerken. Mit der Präsentation von Darboven, Kawara und DXFK GHQ %HFKHUV UHÀHNWLHUWH GLH HOIWH 'RFXPHQWD HEHQ DXFK MHQHQ 'LVNXUV GHU noch die ersten Documenta-Ausstellungen maßgeblich prägte. Rekapituliert man einige der Prämissen, die noch bei den ersten Kasseler Kunstereignissen konstitutiv für den dort vermittelten Kunstbegriff waren176 – beispielsweise das Beharren auf den Originalitätsstatus des Kunstwerks, der auf ingeniöser Meisterschaft gründete –, so stellte die elfte Documenta diesen Ansatz infrage. Die drei Konzeptkunstpositionen schienen ganz dezidiert künstlerisch subjektive Anteile zu vermeiden, die sich allein im Material manifestierten. Diese Auffassung von Werkoriginalität reklamierte man noch für den auf der Documenta der 1950er Jahre und 1960er Jahre vertretenen Kunstbegriff, der vornehmlich auf die Gattungen Malerei und Skulptur rekurrierte: Künstlerische Meisterschaft wurde immer auch als das Resultat eines LQGLYLGXHOOHQPDWHULHOO¿[LHUWHQNQVWOHULVFKHQ$NWHVYHUVWDQGHQEHLGHPVLFKGLH persönliche Handschrift im Material manifestierte. Die Betonung der Medialität PXVVWH]ZDQJVOlX¿J]XU(QWZHUWXQJHLQHVWUDGLWLRQHOOJHIDVVWHQ.XQVWEHJULIIVIKren, bei dem das Künstlersubjekt eindeutig eine individuelle, materielle Spur im Objekt hinterließ. Auch Vinken setzt sich mit der historischen Konstruktion von Originalität am Beispiel von Vasari auseinander. Denn auch bei ihm, so konstatiert die Autorin, waren in letzter Instanz alle Kunstwerke Selbstporträts, »geprägt vom unverwechselbaren Stempel einmaliger Individualität«177. Darüber hinaus hält die Autorin fest, dass sich diese Deutungsperspektive bis ins 20. Jahrhundert fortgeschrieben habe: »Diese unverwechselbare Einmaligkeit der Selbsterzeugung ist das bis in die Moderne hinreichende Erbe der Renaissancekünstler.«178

175 Vgl. Morgan 1994: Conceptual Art, insbesondere die Kapitel II Conceptual Art: The Internalization of the Document und III The Photograph as Information within the Context of Art; Alberro 2003: Conceptual Art. Alberro beschäftigt sich allerdings mehr mit den medialen Distributionsaspekten der Konzeptkunst, den sogenannten Politics of Publicity. 176 Vgl. Buchteil I Bildgeschichten: Kapitel Zum Kunstbegriff der ersten Documenta-Ausstellungen (1955, 1959, 1964). 177 Vinken 1998: »Auf Leben und Tod«, S. 205. 178 Vinken 1998: »Auf Leben und Tod«, S. 205.

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Mit den technokratisch anmutenden Visualisierungen hingegen, die Ordnungssysteme und Systematiken enzyklopädischer Sammlungsakte nachvollziehen und zugleich eine Welt der Zeichen mittels Medialisierung präsentieren, rekapitulieren Darboven, Kawara und die Bechers Repräsentationstechniken einer medientechnischen Gesellschaft, die sich eher durch eine Entsubjektivierung und Versachlichung auszeichnen. Die individuelle Handschrift als Originalitätsgarant wird in diesen künstlerischen Verfahren weitgehend suspendiert. Die monoton und gleichförmig gehängten Zahlenreihen von Darboven entsprachen einer rationalen, bis ins kleinste Detail kalkulierten Präsentationstechnik und einer beinahe automatisierten Aufschreibesystematik, die dem Zufälligen, Kontingenten einer expressiven Ausdruckshandlung keinen Platz mehr einräumte. Ganz ähnlich lässt sich auch das Verfahren Kawaras beschreiben, der seine Jahreszahlen von beliebigen Personen in monotoner Folge verbal rezitieren ließ. Der Akt der Repräsentation war damit eher ZHQLJHUDQHLQHQLQGLYLGXHOOHQ$XWRUXQGDXFKZHQLJHUDQHLQVSH]L¿VFKHV.QVWlersubjekt gebunden. Insbesondere bei Kawara war das Werk durch eine polyzentrische Autorschaft geprägt, die auf unterschiedliche Personen verteilt war und sich in minimalen numerischen Sprechakten manifestierte. So hält auch Römer fest: »Gerade die Kriterien der Konzeptkunst – die Relativierung des Autorbegriffs, die Aufwertung der künstlerischen Idee zugunsten der medialen Reproduzierbarkeit sowie die Verleugnung der traditionellen Kategorie ›Inhalt‹ – stellen eine Negation des traditionellen Originalitätsverständnisses dar, weil auf den auktorialen Gestus oder eine Handschrift verzichtet wurde.«179 Dementsprechend stehen die handschriftlich notierten Zahlenreihen von Darboven weniger für einen individuellen graphischen Ausdruck, als vielmehr für ein kalkuliertes Zahlenwerk, das einen Schreibprozess in seinem langwierigen, akribischen Akt der Entstehung und seiner =HLFKHQTXDOLWlWUHÀHNWLHUW$XFKGLH0HWKRGHGHU%HFKHUVHQWVSULFKWHLQHPIRWRJUD¿VFKHQ2EMHNWLYLWlWVJHVWXVGHUGXUFKLPPHUJOHLFKI|UPLJH%HOLFKWXQJVYHUKlOWnisse, jeweils fast identische Betrachterstandpunkte und durch den Verzicht auf die )DUEIRWRJUD¿HGLH5HSUlVHQWDWLRQVWHFKQLNHQDUFKLYDULVFKHU3UD[HQ]XUHÀHNWLHUHQ scheint. Ein Darstellungsmodus also, der Neutralität und Sachlichkeit suggeriert und subjektive Anteile vollständig auszublenden versucht. Der Status der Originalität eines Kunstwerkes – im Sinne einer durch einen individuellen Zeichenakt materiell manifestierten Spur – wird durch diese eher automatisierten Prozesse zur Disposition gestellt. Eine traditionell aufgefasste WerkRULJLQDOLWlWGLHGHQ.XQVWVWDWXV¿[LHUWXQGLQQHUKDOEGHV:HUNHVYHURUWHW±IROJOLFK auch eine werkimmanente Qualität bezeichnet – wurde innerhalb der Konzeptkunst erschüttert. Genau über diesen Aspekt dachte auch Kosuth in den 1970er Jahren nach: »The belief system of the old language of painting had collapsed, and coinciding with it collapsed our ability to believe in the social, cultural, economic and political order of which it had been part. When this institution of painting and

179 Römer 2004: »Conceptual Art und Originalität«, S. 212.

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sculpture collapsed, something much more important than a style of art-making was altered – it meant the meaning of art was in crisis.«180 Die auf der Documenta 11 ausgestellten historischen Konzeptkunstpositionen bringen mit der Befragung des Werkbegriffs – seiner Materialität und Medialität – ebenso wie mit der kritischen Auseinandersetzung über den Status von Originalität und der Konstitution eines damit in Verbindung stehenden Künstlersubjekts ehemals ZHLWJHKHQGYHUELQGOLFKH:LVVHQVRUGQXQJHQHLQHV.XQVWEHJULIIV]XU5HÀH[LRQGHU noch die ersten Documenta-Ausstellungen maßgeblich prägte.

ZUM VERHÄLTNIS DER GESCHLECHTER: DARBOVEN UND DIE FRAUEN DER DOCUMENTA 11

An der exponierten Inszenierung des Werks von Hanne Darboven im Treppenhaus des Fridericianums [Abb. A, B, C, Abb. 21] manifestiert sich außerdem die kriWLVFKH 5HÀH[LRQ GHV .XQVWNDQRQV LP +LQEOLFN DXI GLH *HVFKOHFKWHUYHUKlOWQLVVH Denn hier wurde einer Künstlerin, sowohl in räumlicher aber auch in zeitlicher +LQVLFKWYLHO3ODW]LQQHUKDOEGHUV]HQRJUD¿VFKHQ:HUNDQRUGQXQJHLQJHUlXPW,KUH ausgestellten Werke deckten nicht nur einen sehr weiten Zeitraum – von 1968 bis 1998181 – ab. Dem Kontrabasssolo kam, allein aufgrund seiner visuellen Präsenz in einem der zentralsten Gebäudeteile der Documenta, ein besonderer Stellenwert zu. Nicht allein die Tatsache, dass Hanne Darboven eine nachdenkliche Beobachterin des 20. Jahrhunderts war und die bundesrepublikanische Geschichte vielschichWLJUHÀHNWLHUWH182, kann ihre exponierte Inszenierung im Fridericianum begründen. Bezeichnend ist auch, dass diese Frau zu den wenigen prominenten KonzeptkunstKünstlerinnen der 1960er und 1970er Jahre zählen kann. Diese Tatsache bestätigt ein Blick in die oben bereits erwähnten Kataloge und einschlägigen Publikationen zur historischen Konzeptkunst183: Neben Darboven tauchen als weibliche Protagonisten des Diskurses lediglich Hilla Becher und Lucy Lippard auf, ansonsten aber ist das Feld weitgehend von männlichen Kollegen dominiert. Im Diskurs um die Konzeptkunst der 1970er Jahre wurde kaum ein künstlerisches Werk einer Frau derart stark wahrgenommen wie die Arbeiten von Hanne Darboven. Vor diesem 180 Kosuth 1971: »Painting versus Art versus Culture (or why you can paint if you want to, but it probably won´t matter)«, S. 90. In einem Beitrag zur Ausstellung Information (1970) konstatiert Kosuth zudem: »My activity as an artist should be considered as one which is separate from the ›construction‹ of significant individual ›works‹. My activities since 1965, have consisted of series of investigations which are comprised of propositions on/about/of ›art‹. ›Masterpieces‹ imply ›heroes‹ and I believe in neither.« (Kosuth 1970: »Statement from Information«, S. 74); vgl. auch Kosuths Beitrag zu »Meisterwerken«: Kosuth 1985: »On Masterpieces«, S. 119–220. 181 Vgl. hierzu auch Tabelle 6 im Anhang dieses Buches. 182 Vgl. Zdenek 1999: Hanne Darboven. Ein Reader. 183 Vgl. in diesem Buchteil: Kapitel Darboven, Kawara und die Bechers: historische Konzeptkunstpositionen auf der Documenta 11, Abschnitt Zur Kanonisierung der Konzeptkunst in den 1970er Jahren.

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Hintergrund erscheint die prominente Inszenierung ihres Werkes innerhalb des Ausstellungsparcours sehr bedeutsam. Denn vor der Kulisse eines männlich dominierten Kanons stellte sie als Frau insbesondere noch in den frühen 1970er Jahren eine Singularität dar – nicht zuletzt im Rahmen der Konzeptkunst, die als eine der wichtigsten westlich-europäischen Kunstrichtungen nach 1945 gelten kann. Darbovens Werk nahm im architektonischen Gefüge des Fridericianums eine Scharnierfunktion ein: An dieser Künstlerin führte kein Weg vorbei – es sei denn, man bewegte sich allein über die Seitentreppen des Gebäudes zu den einzelnen Geschossebenen. Dieser Umstand ist der Tatsache geschuldet, dass die Rotunde des Fridericianums den zentralen Kern des Gebäudes bildet. Sie integriert das Treppenhaus des historischen Ausstellungsgebäudes, über das man gewöhnlich die beiden oberen Etagen erreicht, ebenso wie die zentralen Flure, die auf der elften 'RFXPHQWDDXFKDOV$XVVWHOOXQJVÀlFKHQGLHQWHQ%HUHLWV5DWWHPH\HUXQG3HW]LQger haben die Rolle des Treppenhauses im Rahmen der ersten acht DocumentaAusstellungen eingehend beschrieben.184 Sie verdeutlichen in ihrem Beitrag, dass diese zentrale Stelle im Ausstellungsgebäude innerhalb der Geschichte der Documenta auf ganz unterschiedliche Weise der jeweiligen konzeptionellen Ausrichtung der Kasseler Kunstschau diente. Vor diesem Hintergrund kann man davon ausgehen, dass auch auf der elften Documenta diese bedeutsame Stelle mit großer kuratorischer Bewusstheit bespielt wurde. Einerseits unterstreicht Darbovens Werk zentrale Punkte der Ausstellung: so etwa einen Modernismus-kritischen Diskurs im Hinblick auf den Werkbegriff und den Status des Originals, der nicht mehr allein an die Materialität des Objekts, sondern auch an mediale Qualitäten der künstlerischen Arbeit gebunden war. Andererseits unterstreicht die Auswahl Darbovens einen bewussten Umgang mit den historisch gewachsenen, ungleichen Geschlechterverhältnissen, die sich nicht zuletzt auch innerhalb der Documenta-Geschichte niederschlagen.185 Mit der prominenten Ausstellung von Darboven im Treppenhaus des Fridericianums konterkarierte die elfte Kasseler Kunstschau die noch auf den ersten Documenta-Ausstellungen praktizierte Engführung des Kunstbegriffs auf ein europäisches und zugleich auch männliches Künstlersubjekt. Die Ausstellungsinszenierung ging folglich mit der kanonischen Geschichtsschreibung einer westlichen Kunstgeschichte, die vorwiegend männliche Künstler ins Blickfeld rückte, sehr bewusst um.186 Zwar zeigen die Auswertungen in den Tabellen 2 und 3 im 184 Vgl. Rattemeyer/Petzinger 1987: »Pars pro toto. Die Geschichte der Documenta. Am Beispiel des Treppenhauses des Fridericianums«. 185 Vgl. im Buchteil I Bildgeschichten: Kapitel Zum Kunstbegriff der ersten Documenta-Ausstellungen (1955, 1959, 1964). 186 Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Thema Kunstgeschichtsschreibung und Geschlechterverhältnis vgl. Nochlin 1971: »Why Have There Been No Great Woman Artists?«. Zu einer der seltenen frühen Kunstgeschichten, die das künstlerische Schaffen von Frauen behandelt vgl. Guhl 1858: Die Frauen in der Kunstgeschichte; darüber hinaus: Lübke 1862: Die Frauen in der Kunstgeschichte (Vortrag). Zur kritischen Auseinandersetzung mit dem vorwiegend an männlichen Künstlern orientierten Kanon der westlich-europäischen Kunstgeschichte: Salomon 1993:

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Anhang dieses Buches, dass auch auf der elften Documenta das Feld durch männliche Protagonisten des Kunstbetriebs bei Weitem stark dominiert wurde, aber die V]HQRJUD¿VFKH$QRUGQXQJGHU:HUNHVFKHLQWGLHVHVDV\PPHWULVFKH9HUKlOWQLVNULtisch aufzunehmen: Neben Hanne Darboven wurden auch zahlreiche weitere weibliche Kunstschaffende bewusst im Ausstellungsparcours positioniert: Mit der prominent inszenierten Konzeptkünstlerin wurde der Blick auf das strukturelle Ungleichgewicht der Geschlechterverhältnisse im Kanon des westlichen Kunstbetriebs geschärft und im zweiten Stockwerk des Fridericianums weitergeführt [Abb. C]. Hier präsentierte man überwiegend Werke von Künstlerinnen, die mit audiovisuellen Medien arbeiWHWHQXQGVLFKLQQHUKDOELKUHU:HUNELRJUD¿HRGHUDXFKXQPLWWHOEDULQQHUKDOELKUHU ausgestellten Arbeit mit weiblichen Rollenbildern auseinandersetzen: Shirin Neshat, &KDQWDO$NHUPDQ)LRQD7DQXQG6DQMD,YHNRYLü$EHUDXFKLQGHU%LQGLQJ%UDXHUHL war auffallend, dass man sich für die Künstlerin Candida Höfer entschieden und keinen der prominenten, männlichen Protagonisten der sogenannten Becher-Schule zur Präsentation im Ausstellungsparcours ausgewählt hatte [Abb. D]. In dieser, den männlichen Kanon einer westlichen Kunstgeschichte infrage stellenden Perspektive ist auch die Wahl von Louise Bourgeois kein Zufall. Denn die alte, weitsichtige Dame – im Jahr 1911 geboren –, deren Werk in der Binding %UDXHUHL DXVJHVWHOOW ZXUGH >$EE '@ VHW]WH VLFK LQ LKUHP ¯XYUH DXI YLHOIlOWLJH Weise mit Darstellungs- und Wahrnehmungskonventionen von Frauenbildern auseinander187. Aus Tabelle 1 im Anhang geht hervor, dass sie die älteste der insgesamt 121 auf der Documenta 11 ausgestellten Künstlerinnen und Künstler war. Auch die Stellung des »Ältesten«, des sogenannten »Ahnherren« oder des »Alten Meisters« war auf den ersten Documenta-Ausstellungen den männlichen Protagonisten einer westlich-europäischen Kunstgeschichte vorbehalten gewesen. Das Postulat der ª(UVWHQ©GHVª8UVSUXQJV©RGHUDEHUGHUª0XWWHU¿JXU©YHUPLHGGLH'RFXPHQWD im Hinblick auf Bourgeois jedoch – offensichtlich mit großer Bewusstheit, um den traditionellen Deutungskanon der Meistergenealogien im Hinblick auf weibliche Künstlerinnen nicht schlicht zu reproduzieren. Auch die Entscheidung für eine zeitgenössische Arbeit von Joan Jonas, die ebenfalls in der Binding Brauerei präsentiert wurde, ergänzte das Netzwerk an Künstlerinnen auf der elften Documenta. Auffällig war auch hier, dass man sich – ganz ähnlich wie bei Höfer – nicht für einen männlichen Protagonisten des westlichen Kunstbetriebs entschieden hatte. Für den Bereich der Videokunst und Performance wäre beispielsweise auch der ebenfalls in New York lebende und aus gleicher Generation stammende Künstler Vito Acconci in Frage gekommen. Darüber hinaus präsentierte man in der Binding Brauerei auch einen Film von Ulrike Ottinger. Die Filmemacherin hatte man bis in die 1990er Jahre vor allem »Der kunsthistorische Kanon – Unterlassungssünden«; und auch Vinken 1998: »Auf Leben und Tod«. 187 Vgl. Jahn 1999: Louise Bourgeois.

IM KERN DES KANONS ? – WERKKONSTELLATIONEN DER DOCUMENTA 11

auf Filmfestivals188 und in einschlägigen Programmkinos ebenso wie in der eher feministisch orientierten Filmwissenschaft wahrgenommen. Ihre direkte räumliche Nähe zu Louise Bourgeois erscheint bedeutsam, denn auch sie zählt zu jenen .XQVWVFKDIIHQGHQGLHVLFKPLW)UDJHQJHVFKOHFKWVVSH]L¿VFKHU,GHQWLWlWDXVHLQDQdersetzen. Wenngleich ihr Film Südostpassage. Eine Reise zu den neuen weißen Flecken auf der Landkarte Europas (Deutschland 2002) sich nicht ausschließlich diesem Thema widmet, spielt die Rolle der Frauen nach dem Zusammenbruch des Ostblocks auch hier eine wichtige Rolle.189 Zusammen mit Chantal Akermann, die im Fridericianum ausgestellt war, zählt Ottinger zu denjenigen Filmemacherinnen, die man mit den 1990er Jahren allmählich auch im Kunstkontext rezipierte. Bereits in den 1970er und 1980er Jahren wurde den beiden Frauen in einschlägigen Filmdiskursen breite Aufmerksamkeit gewidmet. Bezeichnend für die zwei Filmemacherinnen ist, dass sie sich schon in ihrem Frühwerk mit geschlechtsspe]L¿VFKHQ5ROOHQELOGHUQXQGGHUHQIHPLQLVWLVFKHU.ULWLNDXVHLQDQGHUVHW]WHQ$XFK mit der Auswahl dieser beiden Positionen verzeichnet die elfte Documenta einen bewussten Umgang mit dem Kanon des westlichen Kunstbetriebs. Die innerhalb der Ausstellung etablierte Auswahl und Anordnung an Künstlerinnen und ihrer :HUNHEUDFKWHGDV9HUKlOWQLVGHU*HVFKOHFKWHUNULWLVFKUHÀH[LYLQV6SLHO An der Ausstellungsinszenierung weiblicher Künstlerinnen auf der Documenta 11 wird deutlich, dass die Kasseler Ausstellung von 2002 den Kanon im +LQEOLFNDXIGLH3UlVHQ]ZHLEOLFKHU3URWDJRQLVWHQLP.XQVWEHWULHENULWLVFKUHÀHNtierte. Das Ausstellungsensemble tritt unter dieser Analyseperspektive nicht mehr nur als neutrale Instanz zur Präsentation von Kunst in den Blick. Vielmehr wird an GHQ KLHU GDUJHOHJWHQ$XVIKUXQJHQ GHXWOLFK GDVV LQQHUKDOE GHU V]HQRJUD¿VFKHQ Ordnung wirkmächtige Bedeutungsstrukturen etabliert werden. Durch die Vernetzung jüngerer Künstlerinnen mit bereits kanonisierten weiblichen Positionen, wie etwa Darboven, Jonas oder Bourgeois, entwarf die elfte Documenta ein historisches Bezugsfeld zu weiblicher Autorschaft und befragt Exklusions- und Inklusionsverfahren eines primär männlich strukturierten Kanons, aus dem nicht zuletzt auch ein wirkmächtiger Kunstbegriff abgeleitet wurde. Der Auswahlprozess, die VSH]L¿VFKH 6HOHNWLRQ GHU .QVWOHULQQHQ LVW IROJOLFK LPPHU DXFK DOV 'HXWXQJV prozess zu verstehen. Der historisch primär männlich orientierte Kanon stellt vor diesem Hintergrund keine transhistorische Größe dar. Die Documenta 11 zeichnet sich durch die Veränderung einer geschlechtsasymmetrischen Wissensordnung aus, die noch einen Grundpfeiler des in den ersten Documenta-Ausstellungen fokussierten Kunstbegriffs bildete. An der empirischen Auswertung zeigt sich zwar, dass an der elften Documenta bei einer Gesamtzahl von 121 KünstlerInnen lediglich 34 Frauen teilnahmen. 188 Vgl. zum Werk Ottingers: www.ulrikeottinger.com. Der Link zur Chronologie des Werks gibt einen Überblick über ihre Beteiligungen an diversen internationalen Filmfestivals seit den 1970er Jahren (zuletzt abgerufen am 09.01.2012). 189 Vgl. hierzu die Texte zu Ottingers Werk und zu ihrem ausgestellten Film unter: www.ulrikeottinger.com (zuletzt abgerufen am 09.01.2012).

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II BILDANORDNUNGEN

Gegenüber diesem quantitativen Wert kann jedoch festgehalten werden, dass vor DOOHPEHUGLHEHVFKULHEHQHTXDOLWDWLYH6WUXNWXUGHUV]HQRJUD¿VFKHQ2UGQXQJGDV *HVFKOHFKWHUYHUKlOWQLVNULWLVFKUHÀH[LY]XU$QVFKDXXQJNDP:LUNXQJVPlFKWLJH Bedeutungsproduktion ist folglich nicht notwendigerweise allein von quantitativen Verhältnissen abhängig. Für eine kritische Analyse von Ausstellungskonzepten erscheint die ausgewogene Berücksichtigung beider Aspekte, quantitativer wie qualitativer, methodologisch vielversprechend, um zu einer differenzierten Bewertung zu gelangen. Es bleibt abschließend festzuhalten, dass auch auf der Documenta 11 Künstlerinnen, die in keinem westlichen Land aufgewachsen waren und auch nicht dort lebten, bei weitem gegenüber den Frauen unterrepräsentiert waren, die kontinuierlich in einem westlichen Land ansässig waren und dadurch einen engen Bezug zum westlichen Kunstbetrieb hatten.190 Das Ungleichgewicht zwischen den Ländern des Westens und jenen, die außerhalb dieses Einzugsbereichs liegen, schlägt sich folglich auch noch in der Auswahl der weiblichen Teilnehmerinnen der Documenta 11 nieder. Das Dispositiv Ausstellung gewinnt anhand solcher Beobachtungen seine Konturen.

190 Vgl. Tabelle 3 im Anhang.

Epilog: zur Reflexion von Wissensordnungen auf der Documenta 11

TOTALITÄT – RELATIONALITÄT

An Carlos Basualdos Ausführungen im Documenta-Katalog wird deutlich, dass AusVWHOOXQJHQ DOV :LVVHQVRUGQXQJHQ ]X YHUVWHKHQ VLQG GLH HV NULWLVFK ]X UHÀHNWLHUHQ gilt. In diesem Sinne konstatiert er: ª$XFK.XQVWDXVVWHOOXQJHQEHUQHKPHQKlX¿J lineare Modelle, um die historische Entwicklung und das Verhältnis zwischen der Kunst vergangener Zeiten und heutigen Produktionen darzustellen. Die Linearität dieser Erzählweisen steht zweifellos im Zusammenhang mit ihrem stillschweigend – oder ausdrücklich – totalisierenden Anspruch.«191 Die Ausführungen in diesem Buchteil konnten verdeutlichen, dass die Auswahl der Werke und die Positionierung der Exponate im Ausstellungsraum keiner totalisierenden Deutung folgten. Die Konzeption der Documenta 11 hatte keine lineare Geschichte der Kunst im Blick, sondern eröffnete vielfältige Möglichkeiten der Vernetzung mit historischen und zeitgenössischen, aber auch mit kanonischen und weniger kanonischen Positionen. Der elften Kasseler Großausstellung ging es weniger um die eindeutige Fixierung eines zeitgenössischen Kunstbegriffs, als vielmehr um das Ausloten von Modellen und Möglichkeitsbedingungen desselben. Im Vergleich mit dieser Konzeption wurde bei den ersten drei Kasseler Ausstellungen der 1950er und 1960er Jahre noch eine Universalität des Kunstbegriffs unter dem Diktum »Abstraktion als Weltsprache« zugrunde gelegt. Wie im ersten Analyseteil dieVHV%XFKHVGHXWOLFKZXUGHIROJWHGLHGRUWDQJHOHJWH+LVWRULRJUD¿HGHU.XQVWHLQHU weitgehend linearen Lesart die an der Abstraktion ausgerichtet war. Die Documenta von 2002 bezog sich zwar teilweise auch auf einen historisch bereits etablierten Kanon einer westlich-europäischen Kunstgeschichtsschreibung, wie beispielsweise anhand der ausgestellten Positionen von Kawara, den Bechers 191 Basualdo 2002: »Die Enzyklopädie von Babel«, S. 59.

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II BILDANORDNUNGEN

XQG 'DUERYHQ VRZLH &RQVWDQW XQG )ULHGPDQ DEHU DXFK 5RWK XQG IHUQHU .RåDULü GHXWOLFKZHUGHQNRQQWH'LHV]HQRJUD¿VFKH$QRUGQXQJVWHOOWHMHGRFKNHLQHWRWDOL sierende Deutung, sondern alternative Deutungen und damit auch eine mögliche kritische Revision des Kanons und seiner Auslegung durch alternative, relationale Bezugssysteme zur Diskussion. Die Exponate traten als vielschichtig vernetzte Bedeutungsträger in Erscheinung. Die Konfrontation von kanonischen Größen der westlichen Kunstszene mit weniger kanonisierten Künstlern und Künstlerinnen, die sich außerdem durch einen schwach ausgeprägten Bezug zum westlichen Kunstbetrieb auszeichneten, provozierte das Nachdenken darüber, auf welchen Grundlagen sich das Wissen über Kunst nicht zuletzt innerhalb einer westlich-europäischen KunstJHVFKLFKWVVFKUHLEXQJJUQGHW'LHVH5HÀH[LRQEH]RJVLFKGDUEHUKLQDXVDXFKDXI das Geschlechterverhältnis, das mittels einer bewussten Positionierung weiblicher Teilnehmerinnen im Ausstellungsparcours zur Diskussion gestellt wurde. 'LH +LVWRULRJUD¿H HLQHU ZHVWOLFKHQ .XQVWJHVFKLFKWVVFKUHLEXQJ ZXUGH ]XGHP GDGXUFK NULWLVFK UHÀHNWLHUW GDVV XQWHU GHQ ]Z|OI .QVWOHU,QQHQ GLH GLH lOWHVWHQ Werke der elften Documenta präsentierten, auch Chohreh Feyzdjou und Frédéric Bruly Bouabré vertreten waren: Diese beiden Künstler wurden bis zum Jahr 2001 im westlichen Kunstbetrieb eher weniger wahrgenommen und zählten zum Zeitpunkt der elften Documenta nicht zum Kanon. Mit ihren beiden Werken stellten sie MHGRFKKLVWRULVFKH$FKVHQLQQHUKDOEGHUV]HQRJUD¿VFKHQ2UGQXQJGHU'RFXPHQWD dar, die Perspektiven für eine weniger westlich-eurozentristische Kunstgeschichtsschreibung eröffneten. Darüber hinaus konnten durch die präsentierten alternativen Kontextualisierungen im Ausstellungsparcours kanonische Deutungen prominenter Kunstpositionen erweitert, verändert oder auch kritisch infrage gestellt werden, wie am Beispiel der historischen Konzeptkunst, aber auch an Constant und Friedman, Roth und .RåDULüGHXWOLFKZXUGH,P+LQEOLFNDXIGLH$XVOHJXQJKLVWRULVFKHU.RQ]HSWNXQVWSRVLWLRQHQWUDWHQYRUDOOHP$VSHNWHGHU0HGLDOLVLHUXQJXQGDXFKGLH5HÀH[LRQEHU die Möglichkeiten der Bedeutungsproduktion mittels medial vermittelter Zeichen ins Zentrum der Betrachtung. Konzeptuelle Kunstpraxen wurden außerdem durch die Auswahl und Anordnung der Werke in eine transkulturelle Perspektive gerückt: Auch die Installationen von Künstlern wie beispielsweise Georges Adéagbo oder Frédéric Bruly Brouabré waren mit der Frage beschäftigt, wie Bedeutung über diverse Zeichensysteme produziert und vermittelt wird. Die Auseinandersetzung mit Zeichenstrukturen und machtvoller Bedeutungsproduktion trat folglich als ein verbindendes Moment zwischen den Werken in Erscheinung. An den Überlegungen zur Anordnung und Zusammenstellung der Werke im Ausstellungsparcours der Documenta 11 wird deutlich, dass sich der dort vermittelte Kunstbegriff, im Gegensatz zu den frühen Documenta-Ausstellungen der 1950er und 1960er Jahre, nicht mehr allein aus einem nationalstaatlichen bzw. westlich-europäischen, eher totalisierenden Kunstverständnis ableitet. Die Ausstellung aus dem Jahr 2002 richtete den Blick auf vielfältige inter- und transkulturelle Aspekte, die innerhalb der Werke, aber auch durch ihre Zusammen-

EPILOG: ZUR REFLEXION VON WISSENSORDNUNGEN AUF DER DOCUMENTA 11

VWHOOXQJLP$XVVWHOOXQJVSDUFRXUV]XP7UDJHQNDPHQ'LH6]HQRJUD¿H]HLFKQHWH sich durch die überlegte Integration von Künstlerinnen und Künstlern aus, die durch ihre Herkunft und aktuellen Aufenthaltsorte nicht allein von einem westliFKHQ.XQVWNRQWH[WJHSUlJWZDUHQ'XUFKHLQHV]HQRJUD¿VFKH2UGQXQJGLHHKHU westlich-europäische und weniger westlich-europäische Kunstpositionen in Relation zueinander setzte, wurden Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen den Kunstkontexten diverser Kulturen192, und somit inter- und transkulturelle Formationen sichtbar. Ehemals Differentes wurde hier auf ganz unterschiedliche Weise synthetisiert: Die Möglichkeiten einer transkulturellen Kanonbildung im Bereich der Kunst wurden zur Debatte gestellt. Basualdo betont in seinem EinführungsWH[W]XP'RFXPHQWD.DWDORJGLHVHYRQGHU'RFXPHQWDIRNXVVLHUWH5HÀH[LRQ kanonischer Wissensstrukturen: »Selbstverständlich geht es nicht darum, den Gang der Zeit aufzuheben, sondern ihn in komplexeren und weniger ausschließenden Begriffen neu zu denken. Und zwar so, dass beispielsweise statt eines einzigen Kanons mehrere sich überlagernde, widersprüchliche und veränderliche Pfade existieren können.«193 Es bleibt jedoch zu diskutieren, inwieweit zwischen dem Postulat einer »universellen Kunstsprache der Abstraktion«, im Sinne von Haftmann und Bode, und der Forderung nach einer stärkeren Berücksichtigung »transkultureller Formationen in der Kunst«, im Sinne von Enwezor, Parallelen zu konstatieren sind. Denn auch die Betonung von Transkulturalität steht in der Gefahr zu einem universellen, totalisierenden Deutungsschema zu avancieren, das kulturelle und auch historische Differenzen nivelliert.

IDENTITÄTSLOGIK – DIFFERENZLOGIK

Betrachtet man das Konzept der elften Documenta so mag man die Infragestellung kanonischer Ordnungssysteme auch als Symptomatik gesellschaftlicher und kultureller Transformationsprozesse deuten. Kanonveränderung bedeutet dann – entsprechend meiner Ausführungen zum Begriff des Kanons – tatsächlich Weltveränderung. Die Documenta 11 zeichnete sich im Gegensatz zu den frühen .DVVHOHU$XVVWHOOXQJHQDXIJUXQGGHUUlXPOLFKHQ6WUXNWXULHUXQJLKUHVV]HQRJUD¿schen Parcours, aber auch aufgrund der Auswahl der Werke ebenso wie innerhalb LKUHU7H[WHXQG3XEOLNDWLRQHQGXUFKHLQHUKHEOLFKK|KHUHVWKHRUHWLVFKHV5HÀHxionsniveau aus. Damit war sie offensichtlich ebenso Symptom ihrer Zeit wie auch die Kasseler Ausstellungen der 1950er und 1960er Jahre. Zeichneten sich die ersten Documenta-Ausstellungen verstärkt durch eine hermeneutische Fixierung auf die Werke aus, war eines der charakteristischen Merkmale der elften 192 Vgl. zum Begriff Zwischenraum im Hinblick auf kulturelle Austauschverhältnisse: Bhaba 2000: »Das theoretische Engagement«. 193 Basualdo 2000: »Die Enzyklopädie von Babel«, S. 60.

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Documenta ein vergleichsweise dominanter theoretischer Überbau, der weniger eine essentialistische Perspektive auf die Kunstobjekte richtete, als vielmehr die variablen Relationen zwischen den Objekten betonte. Die Documenta 11 führte vor Augen, dass kulturelles Wissen, und so auch der Kunstbegriff, als »historisch«, damit als »relativ« zu begreifen ist und ständiger Transformation unterliegt. Im Gegensatz zur Betonung der Relativität des eigenen, jeweils historischen Standpunktes, waren die Kasseler Ausstellungen der 1950er und 1960er Jahre von dem Anspruch getragen, die kulturelle Identität Deutschlands nach dem Faschismus zu restaurieren und die kulturelle Integration der BRD in ein europäLVFKHV6WDDWHQJHIJH]XJHZlKUOHLVWHQ9RUGHP+LQWHUJUXQGGHV2VW:HVW.RQÀLNWV diente die Abstraktion als totalisierendes Leitparadigma eines westlichen KunstEHJULIIV'LHHOIWH'RFXPHQWDKLQJHJHQZDUQDFKZHQLJHUPLWGHQ.RQÀLNW linien des Kalten Krieges konfrontiert. Durch den Fall des Eisernen Vorhangs war die innerhalb der Ausstellung von 2002 etablierte Wissensordnung verstärkt durch NXOWXUHOOH XQG SROLWLVFKH 3KlQRPHQH JHSUlJW GLH MHQVHLWV GHV 2VW:HVW.RQÀLNWV lagen: Nicht zuletzt der 11. September 2001 und eine zunehmende kulturelle Globalisierung hatten dazu beigetragen, dass im akademischen und politischen Diskurs Fragen der Transkulturalität verstärkt in den Fokus gerieten. Die elfte Documenta war folglich Symptom – aber selbst auch realisierende Instanz – einer Entwicklung, in der sich eine Veränderung von Wissensordnungen manifestierte, die nicht zuletzt in dieser Ausstellung sichtbar wurde. Was zuerst da war – Henne oder Ei – lässt sich schwerlich rekonstruieren. Vor dem Hintergrund der hier nur grob skizzierten gesellschaftlichen und kultuUHOOHQ 9HUlQGHUXQJHQ VSLHJHOW GLH V]HQRJUD¿VFKH 2UGQXQJ GHU 'RFXPHQWD HLQ verändertes Deutungsverhalten einer Deutungsgemeinschaft und ihrer Identitätsstiftung wider194. An der Auswahl und Anordnung der Werke im Ausstellungsraum, ebenso wie an den angelagerten Diskursen, lässt sich im Vergleich mit den ersten Documenta-Ausstellungen eine Veränderung der epistemischen Vorraussetzungen der zugrunde gelegten Wissensordnungen ablesen: Charakteristisch für die elfte Documenta ist, dass sie sich durch die Verschiebung von einem eher identitätslogischen zu einem eher differenzlogischen Weltverständnis auszeichnet195. Denn die auf der Kasseler Ausstellung präsentierten Wissensordnungen waren weniger von essentialistisch verstandenen Seinsordnungen geprägt, die allein auf materiell, ¿[LHUEDUHQ2EMHNWHQEDVLHUWHQ'LH$XVVWHOOXQJVWHOOWHYLHOPHKU:LVVHQVRUGQXQJHQ zur Diskussion, die eben gerade epistemische Modelle eines eindeutigen Ursprungs oder auch Zentrums infrage stellten. Sie machte deutlich, dass einem vermeintlichen Ursprung stets etwas Vorgängiges vorausgeht und Objektordnungen auf den

194 Vgl. hierzu in diesem Buchteil: Kapitel Zum Begriff des Kanons, Abschnitt Materialkanon, Deutungskanon, Identitätsstiftung. 195 Vgl. Drechsel/Schmidt/Gölz 2000: Kultur im Zeitalter der Globalisierung. Von Identität und Differenz, vor allem die Exkurse zur Identitäts- und Differenzlogik, S. 51–64.

EPILOG: ZUR REFLEXION VON WISSENSORDNUNGEN AUF DER DOCUMENTA 11

 HGLQJXQJHQ HLQHU MH VSH]L¿VFK KLVWRULVFKHQ GLVSRVLWLYHQ $QRUGQXQJ JUQGHQ196 % In einem differenzlogischen Modell wird Wissen dementsprechend als relational begriffen197 ± XQG JHQDX GLHVHU$VSHNW ZXUGH LQ GHU V]HQRJUD¿VFKHQ 2UGQXQJ anhand des kritischen Umgangs mit kanonischen Positionen unterstrichen. Darüber hinaus ermöglichte beispielsweise auch die räumliche Struktur der Binding Brauerei variable Relationen zwischen den Werken, statt totalisierende, essentialistische Deutungen zu fokussieren. Dieser »epistemische Umschlag« wurde auch in vielen der ausgestellten Werke selbst sichtbar.198 Diese Beobachtungen lösen die elfte Documenta aus einem einseitig postkolonialen Diskurs, der vielfach für diese Ausstellung in Anschlag gebracht wurde. Denn sowohl aufgrund der Auswahl und Anordnung der Werke als auch durch die :HUNHVHOEVWUFNHQZHLWHUH$VSHNWHLQGHQ%OLFNGLHQLFKWDOOHLQLQGHQ5HÀH[LRnen machtasymmetrischer, gesellschaftlicher Verhältnisse nach der Dekolonisation aufgehen. Totalisierende Deutungen versuchte die Ausstellung von 2002 durch die Pluralisierung von Deutungsperspektiven zu umgehen. Dort, wo die Werke auf eine VLQJXOlUH%HGHXWXQJ]XJHVSLW]WZXUGHQZXUGHQVLH]XJOHLFKIUGLIIHUHQ]LHUWH5HÀHxionen still gelegt.

ZUR METHODOLOGIE VON AUSSTELLUNGSANALYSEN: QUANTITATIVE UND QUALITATIVE ASPEKTE

Für eine Methodologie der Ausstellungsanalyse ist festzuhalten, dass bei der kritiVFKHQ5HÀH[LRQGHV'LVSRVLWLYV$XVVWHOOXQJGLH8QWHUVXFKXQJGHUUlXPOLFKHQ6WUXNWXUXQGGLHLQLKUDXIJHKREHQHV]HQRJUD¿VFKH2UGQXQJHLQHWUDJHQGH5ROOHVSLHOW,P Hinblick auf die Auswahl der Kunstpositionen – wie oft in der Kritik moniert – bestätigte auch die elfte Documenta ein postkoloniales Ungleichgewicht, das einer historisch gewachsenen Machtasymmetrie geschuldet war. Jedoch spielt für eine diffeUHQ]LHUWH$QDO\VHGHV'LVSRVLWLYV$XVVWHOOXQJGLH%HUFNVLFKWLJXQJGHUVSH]L¿VFKHQ Anordnung der Kunstpositionen im Ausstellungsraum ebenfalls eine zentrale Rolle: 'XUFKGLH3RVLWLRQLHUXQJGHU2EMHNWHLQQHUKDOEGHU6]HQRJUD¿HNRQVWLWXLHUWVLFKHLQH qualitative Bedeutungsstruktur, die – jenseits empirisch quantitativer Auswertungen – eine mindestens ebenso wichtige Rolle für die Analyse des Dispositivs spielt. Dass die Konzeption der Documenta eben genau auf jene räumliche Dramaturgie, auf die bewusste Inszenierung von Werkkonstellationen setzte, untermauert auch der Text von Carlos Basualdo:

196 Für weiterführende Überlegungen zu dieser Epistemologie vgl. Foucault 1974: »Nietzsche, die Genealogie, die Historie«; für den Bereich der Kunstgeschichte: Krauss 1985: Die Originalität der Avantgarde und andere Mythen der Moderne. 197 Vgl. Haraway 1995: »Situiertes Wissen«. 198 Vgl. hierzu auch die Werkanalysen im folgenden dritten Analyseteil III Bild- und Bildlichkeitskonzepte.

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II BILDANORDNUNGEN

»Dass sich die Enzyklopädie199 der Documenta11 auf eine großzügigere und komplexere Geographie einlässt, als kanonische Erzählungen desselben historischen Zeitraums 200 , verlangt von ihr auch, sich selbst anhand eines Beziehungsgefüges zu organisieren, bei dem chronologische Ordnungen nicht notwendigerweise den Vorrang haben. Es wäre jedoch irrig, in dieser Geste eine Verneinung der Historizität künstlerischer oder kultureller Produktion oder gar eine Missachtung der Unumkehrbarkeit der Historie zu sehen. Vielmehr ist festzustellen, dass sich die Modernität in einer Reihe asynchroner und paralleler Zeitlichkeiten entfaltet, auf die im Rundgang durch die Ausstellung nicht anders eingegangen werden kann, als durch die Verräumlichung der vielfältigen Beziehungen zwischen den Arbeiten, die in weit voneinander entfernten geografischen Situationen und zu verschiedenen Zeiten entstanden sind.« 201

,QGHUV]HQRJUD¿VFKHQ9HUUlXPOLFKXQJGHU.XQVWSRVLWLRQHQLQLKUHQUHODWLRQDOHQ Bezugssystemen untereinander, entsteht folglich eine qualitative BedeutungsstrukWXUGLHGDV3RWHQWLDOKDW:LVVHQVRUGQXQJHQ]XU5HÀH[LRQ]XEULQJHQ+LVWRULVFK etablierte Deutungen können stabilisiert werden ebenso wie ehemals verbindliche Auslegungen kritisch revisioniert werden können. Auch die räumlich-architektonische Syntax – die sogenannte Space Syntax – gibt auf einer qualitativen Ebene Einblick in die innerhalb der Ausstellung zugrunde gelegten Wissensordnungen und ihre epistemischen Grundlagen.

199 Basualdo entwickelt hier einen Begriff von »Enzyklopädie«, der eben nicht eine allumfassende Weltsicht in Form eines universalen Ordnungssystems meint, sondern vielmehr eine Wissensordnung, die von vornherein die umfassende Weltsicht zugunsten fragmentarischer Ansichten auf gegeben hat: »Sie [die kanonische Ordnung, Anmerkung K.H.] im Namen eines zugleich umfassenderen und fragmentarischeren enzyklopädischen Projekts zur Rede zu stellen – und das ist die ausdrückliche Absicht der Documenta11 – erfordert den Versuch, die Ausstellungsmodelle auf denen sie beruht [wozu auch die ersten Documenta-Ausstellungen zählen können, Anmerkung K.H.], umzuformulieren.« (Basualdo 2002: »Die Enzyklopädie von Babel, S. 60). 200 Entsprechend der Tabelle 6 im Anhang ist hier folglich ein Zeitraum zwischen 1930 bis 2002 gemeint. Dies ist die Zeitspanne in der die ausgestellten Werke der Documenta 11 entstanden sind. 201 Basualdo 2002: »Die Enzyklopädie von Babel«, S. 61.

III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE : KUNSTWERKE IM DISPOSITIV

Foto-, Film- und Videoinstallationen auf der Documenta 11 »Interessiert und neugierig werde ich, wenn ich sehe, wie die Leute da in den abgedunkelten Räumen sitzen und die Filme aufmerksam anschauen. Sie sehen sie wirklich an und denken dabei vielleicht über die historischen Beziehungen zwischen den bewegten Bildern nach, die als künstlerische und solche die als rein dokumentarisch angesehen werden.« 1

Okwui Enwezor

»Auf die eine oder andere Weise sitzen wir immer bereits im Kino.« 2

Mark Nash

Stand im vorangegangenen Analyseteil die räumliche Struktur des Dispositivs Ausstellung, die darin präsentierte Auswahl ebenso wie darin inszenierte Anordnung der Werke im Mittelpunkt der Betrachtung, so widmet sich die folgende Auseinandersetzung exemplarisch einzelnen Werken der Ausstellung, die auf foto-, video- oder NLQHPDWRJUD¿VFKHQ 0HGLHQ EDVLHUHQ$XIIlOOLJ DP$XVVWHOOXQJVNRQ]HSW GHU HOIWHQ Documenta war nämlich, dass sie vornehmlich Installationen präsentierte, die mit IRWRJUD¿VFKHQ%LOGPHGLHQVRZRKOLQEHZHJWHUDOVDXFKVWDWLVFKHU)RUPDUEHLWHWHQ Mark Nash widmet sich deswegen wohl auch in seinem Essay innerhalb des DocuPHQWD.DWDORJV GHU =XQDKPH NLQHPDWRJUD¿VFKHU XQG YLGHRJUD¿VFKHU %LOGIRUPHQ im Ausstellungsraum. Mit seinem Text knüpft er an den Medienfokus der elften Documenta an. Auffallend ist jedoch an Nashs Artikel, dass er sich allein mit dem Bewegtbild beschäftigt. Zudem widmet sich kein weiterer Artikel des Katalogs dem YDULDQWHQUHLFKHQ6SHNWUXPIRWRJUD¿VFKHU%LOGIRUPHQGLHDXIGHU.DVVHOHU$XVVWHOlung von 2002 zu sehen waren. An dieser Stelle setzt das Anliegen dieses dritten und OHW]WHQ$QDO\VHWHLOVDQ(VVROOGDUXPJHKHQGLHIRWRJUD¿VFKHQ%LOGPHGLHQLQLKUHP 1 Enwezor 2002: »Kunst als Teil eines umfassenden Systems«, S. 89. 2 Nash 2002: »Bildende Kunst und Kino«, S. 128.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

auf der Documenta gezeigten Visualisierungsspektrum innerhalb unterschiedlicher Kunstwerke zu untersuchen. Außerdem soll ihr Status als »Kunstwerke« im Dispositiv Ausstellung kritisch erörtert werden. Überlegungen zum auf der elften Documenta verhandelten Kunst- und Bildbegriff werden die Analyse begleiten. Unbestritten stellte die Documenta 11 nicht die erste der Kasseler Kunstausstellungen dar, die sich dem Thema der Medialisierung und dem weiten Spektrum der visuellen Kultur widmete, betrachtet man etwa die fünfte und sechste Documenta3. Im vergleichenden Blick zwischen den ersten Documenta-Ausstellungen der 1950er und 1960er Jahre und dem Ausstellungsprojekt von 2002 verdeutlicht sich jedoch eine Transformation, eine Wandlung des Kunstbegriffs, in Bezug auf die jeweils zugrunde gelegten Bild- und Bildlichkeitskonzepte vor dem Hintergrund massenmedialer Bildproduktionen. Dieser Aspekt steht hier im Mittelpunkt der Betrachtung. Der Begriff der Bildlichkeit umschreibt die visuelle, sinnlich wahrnehmbare Qualität eines Bildes, die mediale Erscheinungsform also. Mit dem Begriff Bildkonzept ist hingegen das Wissen gemeint, auf dem unser Verständnis von einem Bild beruht: So etwa gründet der Kunstbegriff der ersten Documenta-Ausstellungen auf einem BildkonzeptGDVQRFKYRUZLHJHQGDQGDVÀlFKLJH7DIHOELOGGHU0DOHUHLGHVVHQ.RSSOXQJ YRQ 0DWHULDOLWlW XQG 0HGLDOLWlW JHEXQGHQ LVW ± GHU XQDXÀ|VEDUHQ9HUELQGXQJ YRQ Bildträger und Bilderscheinung also – außerdem beruht es auf einer relativ strikten Trennung von Subjekt und Objekt. Das dem Kunstbegriff der ersten drei DocumentaAusstellungen zugrunde liegende Bildlichkeitskonzept gründet vorwiegend auf der Gattung des malerischen Tafelbildes, konkret: auf der wahrnehmbaren Materialität und Flächigkeit des Objekts und auch auf dessen statischer Erscheinungsform. Die folgende Untersuchung wird von der Frage begleitet sein, inwiefern mit einer möglichen Transformation des Kunstbegriffs auch ein verändertes Verständnis von Bildern einhergeht. Umgekehrt rückt aber auch das veränderte Verständnis von Bildern durch die zunehmende Massenmedialisierung der visuellen Kultur in den Blick, aus dem zugleich eine Wandlung des Kunstbegriffs resultieren kann. Auch hier scheint es sich um einen zirkulären Prozess zu handeln, bei dem der Ausgangspunkt schwerlich zu rekonstruieren ist. Henne oder Ei? Die zentrale These in diesem Teil des Buches ist, dass die elfte Kasseler KunstausVWHOOXQJHLQHQLQGHUIUKHQ*HVFKLFKWHGHU'RFXPHQWDWHQGHQ]LHOOIRUP¿[LHUWHQDOV DXWRQRPYHUVWDQGHQHQ.XQVWEHJULIIGXUFKGLHGRPLQDQWH3UlVHQWDWLRQIRWRJUD¿VFKHU Bildmedien herausfordert. Denn im Gegensatz zu einem auf der Abstraktion gründenGHQDXWRQRPHQ.XQVWEHJULIIGHUVLFKDXVGHU$XÀ|VXQJGHV9HUZHLV]XVDPPHQKDQJV zwischen dem Bild und der außerbildlichen Realität ableitet, stellten zahlreiche Installationen der elften Documenta diesen Verweiszusammenhang durch den dominanten (LQVDW] IRWRJUD¿VFKHU %LOGPHGLHQ ZLHGHUXP ]XU 'LVNXVVLRQ 'HQQ GHU )RWRJUD¿H unterstellt man zunächst einmal aufgrund ihrer indexikalischen Referentialität4 einen 3 Vgl. auch hierzu das Kapitel Vielschichtige Transformationen: zwischen Documenta 4 (1968) und Documenta 12 (2007) im ersten Analyseteil dieses Buches I Bildgeschichten. 4 Vgl. hierzu auch Krauss 1976/1977: »Anmerkungen zum Index« (Teil I und Teil II).

FOTO-, FILM- UND VIDEOINSTALLATIONEN AUF DER DOCUMENTA 11

HLQGHXWLJHQ 9HUZHLV]XVDPPHQKDQJ ]XU YRUIRWRJUD¿VFKHQ :LUNOLFKNHLW )RWRJUD¿sche Bildmedien umfassen in der hier zugrunde gelegten Auffassung folglich jene Medientechniken, die durch ein indexikalisches Aufzeichnungsverfahren die AbbilGXQJGHUYRUIRWRJUD¿VFKHQ:LUNOLFKNHLWHUP|JOLFKHQLQGLHVHP6LQQHDOVRHWZDGLH (LQ]HOELOGIRWRJUD¿H 3ULQW'LDGLJLWDOH)RUPDWHHWF GLHDXIHLQHPIRWRJUD¿VFKHQ $EELOGXQJVYHUIDKUHQ EDVLHUHQGH .LQHPDWRJUD¿H RGHU DXFK9LGHRJUD¿H +LHUEHL LVW es zunächst irrelevant, ob es sich um analoge oder digitale Medientechniken handelt, GHQQLQEHLGHQIRWRJUD¿VFKHQ9HUIDKUHQZLUGGDVGXUFKGLH/LQVHHLQIDOOHQGH/LFKW DXIJH]HLFKQHW ± VHL HV GXUFK HLQH DQDORJH 6SXU DXI GHP OLFKWHPS¿QGOLFKHQ 3DSLHU oder als Spur in Form der Wandlung des Lichts in digitale 0-1-Kodes.5 Die zahlreich SUlVHQWLHUWHQIRWRYLGHRXQGNLQHPDWRJUD¿VFKHQ,QVWDOODWLRQHQXQGGLH$XVHLQDQGHUVHW]XQJ PLW LKUHP 5HIHUHQ]YHUKlOWQLV ]XU YRUIRWRJUD¿VFKHQ :LUNOLFKNHLW VWHKHQ hier im Mittelpunkt der Betrachtung. Wie lässt sich auf der Grundlage der ausgestellWHQ :HUNH GHU 'RFXPHQWD HLQ .XQVWEHJULII EHVFKUHLEHQ GHU DXFK IRWRJUD¿VFKH Bildmedien berücksichtigt? 0LW GHP GRPLQDQWHQ (LQVDW] IRWRJUD¿VFKHU %LOGPHGLHQ EULFKW GLH 'RFXmenta 11 die Autonomie des im ersten Analyseteil dieses Buches beschriebenen Kunstbegriffs auf, der nicht zuletzt bereits durch die Konzeptkunst infrage gestellt wurde. Die Integration massenmedialer Bildformen in die Kunst, die auf der Documenta 11 deutlich wahrnehmbar war, stellt folglich eine Erweiterung und Revisionierung der Kritik der historischen Konzeptkunst am Modernismus dar. Hatte die historische Konzeptkunst bereits unterschiedliche Aspekte der Medialisierung in den Vordergrund gerückt und damit die Autonomie und den an das abstrakte Formvokabular der Malerei gebundenen Kunstbegriff infrage gestellt, so nahmen viele :HUNHGHU'RFXPHQWDGLH5HÀH[LRQPDVVHQPHGLDOHU%LOGIRUPHQVHKUNRQ]HQtriert in den Blick: Nicht allein die Medialisierung, die Übersetzung der Zeichen von einem Medium in ein anderes, sondern auch das Nachdenken über die Effekte, die möglichen dispositiven Strukturen der massenmedialen Bildkulturen, die auf IRWRJUD¿VFKHQ%LOGPHGLHQ basieren, schien auf der elften Kasseler Kunstschau eine herausragende Rolle zu spielen. Enwezor betonte die Relevanz der Massenmedien im Zuge weltweiter Globalisierungstendenzen vor allem in einem Vortrag im Rahmen der Berliner Thyssen5 Vgl. hierzu auch Schröter 2004: »Analog/Digital – Opposition oder Kontinuum?«, insbesondere S. 25, und auch Schröter 2004: »Das Ende der Welt. Analoge vs. digitale Bilder – mehr oder weniger ›Realität‹?«. Ein Wikipedia-Eintrag zur Digitalfotografie beschreibt deren Bilderzeugung folgendermaßen: »In der Digitalfotografie werden zur Wandlung der Lichtwellen in digitale Signale Halbleiter-Strahlungsdetektoren in CCD- oder cmOS-Technik als Bildsensoren verwendet. Bei dieser Digitalisierung eines analogen Bildes handelt es sich um eine Bildwandlung, bei der eine Diskretisierung (Zerlegung in Bildpunkte) und Quantisierung (Umwandlung der Farbinformation in einen digitalen Wert) des analogen Bildes durchgeführt wird.« (http://de.wikipedia.org/ wiki/Digitalfotografie, zuletzt abgerufen am 20.01.2012). Das Licht schreibt sich also sowohl im analogen als auch digitalen Verfahren ein, entweder in die chemische Emulsion oder aber in die Oberfläche eines lichtempfindlichen Bildsensors. Auch die Digitalfotografie integriert folglich ein indexikalisches Verfahren.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

Vorlesungen zur Ikonologie der Gegenwart6. In diesem Vortrag setzte er sich kritisch mit internationalen Großausstellungen auseinander. Der Kurator hält in seinem Beitrag unter Bezug auf Arjun Appadurai7 fest, dass sich die gegenwärtige globale Kulturentwicklung durch ein weit verzweigtes Kulturnetzwerk auszeichne, bei der Massenmobilität ebenso wie die Vermittlungsleistung der Massenmedien eine zentrale Rolle spielten.8 Diese Vermittlungsleistung der Massenmedien, vor DOOHPMHQHGLHIRWRJUD¿VFKH%LOGHULQWHJULHUHQVWDQGJDQ]RIIHQVLFKWOLFKDXFKDXI der Documenta 11 zur Diskussion. Denn die elfte Kasseler Kunstschau schloss mit GHUGRPLQDQWHQ3UlVHQWDWLRQIRWRJUD¿VFKHU%LOGPHGLHQXQGPDVVHQPHGLDOHU'DUVWHOOXQJVIRUPHQ DQ HLQHQ 'LVNXUV DQ GHU QLFKW ]XOHW]W GHP IRWRJUD¿VFKHQ %LOG einen hohen Stellenwert im Globalisierungsprozess einräumte9. Den Stellenwert massenmedialer Distribution von Bildern betont auch Stuart Hall, wenngleich er den Bildbegriff – im Sinne einer fundierten kunst- und bildwissenschaftlichen Betrachtung – hier wenig ausdifferenziert: »Die globale Massenkultur wird durch die modernen Mittel der kulturellen Produktion bestimmt, durch das Bild [Hervorhebung, K.H.], das die Sprachgrenzen schneller und einfacher überschreitet und über sie hinweg in einer sehr viel unmittelbareren Weise spricht. Sie wird dadurch bestimmt, dass die visuellen und grafischen Künste direkt in die Umgestaltung des Alltagslebens, der Unterhaltung und der Freizeit hineinwirken. Sie wird durch Fernsehen, Film und das Bild, die Metaphorik und die Stile der Massenwerbung bestimmt. Als Inbegriff all dieser Formen der Massenkommunikation könnte das Satellitenfernsehen gelten.«10

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Vgl. Enwezor 2002: Großausstellungen und die Antinomien einer transnationalen globalen Form. Die Publikation wurde von Gottfried Boehm und Horst Bredekamp herausgegeben. 7 Vgl. Appadurai 1996: Modernity at Large. 8 Vgl. Enwezor 2002: Großausstellungen und die Antinomien einer transnationalen globalen Form, S. 27. 9 Vgl. zum Stellenwert der Massenmedien in Globalisierungsprozessen innerhalb der deutschsprachigen Medien- und Kommunikationswissenschaft: Hepp 2004: Netzwerke der Medien. Medienkulturen und Globalisierung; vgl. ebenso einen Sammelband, der die Rolle der Massenmedien in Globalisierungsprozessen auch unter der Perspektive der Transkulturalität erörtert: Hepp/ Löffelholz 2002: Grundlagentexte der transkulturellen Kommunikation; dies. 2002: »Transkulturelle Kommunikation«; darüber hinaus: Luger/Renger 1994: Dialog der Kulturen. Die multikulturelle Gesellschaft und die Medien; Imhof/Blum/Bonfadelli/Jarren 2004: Mediengesellschaft, hier insbesondere das Kapitel Was ist die Mediengesellschaft? (S. 33–155). Im anglo-amerikanischen Bereich setzte sich der britische Soziologe Stuart Hall als einer der bekanntesten Vertreter der Cultural Studies mit der Rolle der Massenmedien und den damit verbundenen Globalisierungsprozessen auseinander: vgl. Hall 1992: »The West and the Rest«; ders. 2002: »Die Zentralität von Kultur«; ders. 1994: »Das Globale und das Lokale. Globalisierung und Ethnizität«. Hall spielte für die theoretische Rahmung des Documenta-Konzepts von 2002 eine wichtige Rolle. Er war auf den von der Documenta 11 veranstalteten internationalen Diskussionsplattformen sehr präsent: vgl. hierzu die von Enwezor herausgegebenen Publikationen, vor allem: Enwezor 2002: Demokratie als unvollendeter Prozess. Die Programme zu den Plattformen sind publiziert in: Hellinger 2007: Die ›Documenta 11‹ im Kreuzfeuer der Kritik, S. 155–161. 10 Hall 1994: »Das Globale und das Lokale. Globalisierung und Ethnizität«, S. 52.

FOTO-, FILM- UND VIDEOINSTALLATIONEN AUF DER DOCUMENTA 11

Die von Stuart Hall angesprochenen vielfältigen Medialisierungsphänomene11 der PDVVHQPHGLDOHQ YLVXHOOHQ .XOWXU UHÀHNWLHUWHQ YLHOH GHU DXI GHU 'RFXPHQWD JH]HLJWHQ:HUNH(LQHQKLVWRULVFKHQ$XVJDQJVSXQNWGLHVHU5HÀH[LRQLP%HUHLFKGHU Kunst verortet die Documenta 11 – wie bereits erwähnt – einerseits in Positionen der historischen Konzeptkunst. Andererseits präsentierte sie aber auch zahlreiche KünstlerInnen, die historisch bereits im Bereich des Films eine zentrale Rolle spielWHQXQGGRNXPHQWDULVFKH%LOGIRUPHQXQGLKUH5HSUlVHQWDWLRQVTXDOLWlWHQUHÀHNWLHUW hatten: so etwa Jonas Mekas, Pere Portabella, Johan van der Keuken, Ulrike Ottinger, Gaston Ancelovici, Chantal Akerman oder auch Minh-ha Trinh T.12. Vor dem Hintergrund der hier nur grob skizzierten globalen Medialisierungsphänomene scheint sich GLH 'RPLQDQ] GHU IRWRJUD¿VFKHQ %LOGPHGLHQ LP $XVVWHOOXQJVSDUFRXUV GHU HOIWHQ .DVVHOHU$XVVWHOOXQJ]XHUNOlUHQ6LHELOGHQHLQHQ5HÀH[DXIGLH:DQGOXQJGLHVHU gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten. Ihre Verwendung im Bereich der .XQVW VWHOOW HLQH NULWLVFKH 5HÀH[LRQ PDVVHQPHGLDOHU %HGHXWXQJVSURGXNWLRQ GDU Diese These soll in den folgenden Werkanalysen erörtert werden.

ZUR DOMINANZ DER FOTOGRAFISCHEN BILDMEDIEN AUF DER DOCUMENTA 11

(PSLULVFKOlVVWVLFKGLH'RPLQDQ]GHUIRWRJUD¿VFKHQ%LOGPHGLHQDXIGHU'RFX menta 11 anhand der Gliederung der KünstlerInnen nach ihrer jeweiligen Mediennutzung belegen13: von insgesamt 121 Künstlerinnen und Künstlern, die auf der 'RFXPHQWD DXVJHVWHOOW ZXUGHQ DUEHLWHWHQ PLQGHVWHQV  PLW IRWRJUD¿VFKHQ %LOGPHGLHQ6LHYHUZHQGHWHQGDVIRWRJUD¿VFKH%LOGVRZRKOLQVWDWLVFKHUDOVDXFK bewegter Form oder aber sie loteten die Grenzbereiche der konventionellen fotoJUD¿VFKHQ XQG NLQHPDWRJUD¿VFKHQ 'DUVWHOOXQJVPRGL DXV VR GDVV VLH EHLVSLHOVweise an den bildlichen Grenzbereichen von Stasis und Bewegung arbeiteten: EHLVSLHOVZHLVHUHÀHNWLHUWHQ)LRQD7DQDEHUDXFK-DPHV&ROHPDQGLHVHPHGLDOHQ 11 Unter Medialisierung ist in Bezug auf die Entwicklung der Massenmedien – grob skizziert – die zunehmende, zentrale Bedeutung von Massenmedien innerhalb sich globalisierender Kulturen zu verstehen. Sie zeichnet sich durch einen markant gestiegenen Umfang alltäglichen Medienkonsums aus, durch die Begleitung und Durchdringung der privaten und beruflichen Lebensbereiche mit Medien, durch eine Vervielfachung des Medienangebots und eine Ausdifferenzierung der Medieninhalte. Darüber hinaus bezeichnet »Medialisierung” einen Anstieg der massenhaften Rezeption, Produktion und Distribution von Medieninhalten, aber auch Medienprodukten sowie einen Bedeutungszuwachs der Massenmedien an der Konstruktion von Bedeutung und Macht, sozialen und gesellschaftlichen Normen und Werten. Zudem kann man unter Medialisierung eine technisch beschleunigte Zirkulation der Medieninhalte und zugleich die leichte Zugänglichkeit zu einer Vielfalt von Medienprodukten verstehen; vgl. zum Begriff der Medialisierung auch Haller 2004: »Die Mediengesellschaft oder das Dilemma der Unvereinbarkeit von Identität und Universalität«, insbesondere das Unterkapitel Die Indikatoren der »Medialisierung« der Gesellschaft (S. 37–38) sowie den Beitrag von Meynen 2009: »Medialisierung«. 12 Vgl. im Anhang: Tabelle 4 mit den aufgeführten kanonischen Positionen im Bereich Film (F). 13 Vgl. im Anhang: Tabelle 7 und Tabelle 8.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

Übergänge in ihren auf der Documenta 11 ausgestellten Installationen. Bei 60 von GLHVHQJHQDQQWHQ.QVWOHU,QQHQVWHOOWHGDVIRWRJUD¿VFKH%LOGLP:HUN]XVDPmenhang nicht ein Medium unter anderen Medien dar, vielmehr spielte es die tragende und konstitutive Rolle für die jeweilige künstlerische Arbeit. Von den 60 .QVWOHU,QQHQVHW]HQDXVVFKOLH‰OLFKGLHVWDWLVFKH(LQ]HOELOGIRWRJUD¿HLQLKUHQ Installationen ein. Ihre Fotoprints oder Fotoabzüge wurden innerhalb des Ausstellungsensembles sehr divers präsentiert: beispielsweise montierten Allan Sekula, David Goldblatt und Candida Höfer, aber auch Bernd und Hilla Becher ihre fotoJUD¿VFKHQ (LQ]HOELOGHU VRZRKO LQ %LOGUHLKHQ %LOGNRPSHQGLHQ RGHU W\SRORJLVFK sortierten Bildensembles. Weitere 38 Künstlerinnen und Künstler verwendeten gezielt bewegte Projektionsbilder in ihren Installationen. Meist im Videoformat über einen Beamer präsentiert oder über unterschiedlichste Monitore, etwa Plasma Screens, aufgeführt, zeichneten sich deren Werke überwiegend durch ein- und mehrkanalige Projektionen aus: so etwa bespielte Lorna Simpson 31 LCD-Monitore mit jeweils unterschiedlichen Zeitschleifen, Chantal Akerman präsentierte hingegen 19 Monitore als eine durchschreitbare Bewegtbild-Montage im Ausstellungsraum. Beide Installationen bestanden folglich aus einer mehrkanaligen Simultanmontage von Bewegtbildern, GLHVLFKDXVHLQHUMHZHLOVVSH]L¿VFKHQ$QRUGQXQJYRQ0RQLWRUHQ]XVDPPHQVHW]WH Diese Simultanmontagen kamen auf der Documenta in ganz unterschiedlichen Konstellationen vor: so etwa montierten Fiona Tan und Eija-Liisa Ahtila – anders als 6LPSVRQXQG$NHUPDQ±GUHLJUR‰IRUPDWLJH3URMHNWLRQVÀlFKHQQHEHQHLQDQGHUDXI GHQHQMHZHLOVVLPXOWDQ¿OPLVFKH%LOGHU]XVHKHQZDUHQ $EHUDXFKHLQNDQDOLJHIRWRJUD¿VFKHXQGYLGHRJUD¿VFKH3URMHNWLRQHQNDPHQ]XU$XIführung: James Coleman etwa blendete innerhalb seiner Diainstallation I.N.I.T.I.A.L.S. (1993–1994) IRWRJUD¿VFKH(LQ]HOELOGHUJUR‰IRUPDWLJDXIHLQHPUHFKWHFNLJIHVWJHOHJten Wandabschnitt ineinander, Steve McQueen hingegen präsentierte innerhalb seines Werkes Western Deep (2002) eine einkanalige Videoprojektion exakt Wand füllend im Raum. Die systematische Zusammenstellung der KünstlerInnen im Anhang zeigt, dass GLHPHLVWHQWUDGLWLRQHOO¿OPLVFKHQ$XVJDQJVIRUPDWH PPPPPP DXI'9' transferiert wurden14. Demzufolge geht es bei diesen Arbeiten offenbar nicht maßgeblich um die Werkmaterialität, die insbesondere bei dem beschriebenen Kunstbegriff der ersten Documenta-Ausstellungen eine wichtige Rolle spielte. Der materielle Bildträger ist hier – ganz im Gegenteil – relativ austauschbar, so dass die breite, technisch unaufwendige Zirkulation der Medieninhalte durch die Medien möglich wird: Das Bild ist folglich von seinem materialen Träger entkoppelt. Lediglich Dieter Roth, Jonas Mekas und Fiona Tan verwendeten traditionelles Zelluloid-Material15: so basierte die bereits erwähnte Filminstallation Tagebuch von Roth auf Super-8-Projektionen16, während 14 Vgl. im Anhang: Tabelle 8. 15 Auch Fiona Tan geht in späteren Ausstellungen dazu über, ihr Filmmaterial auf DVD zu überspielen. 16 Vgl. im Buchteil II Bildanordnungen: Kapitel Roth, Kožaric´, Feyzdjou: Werkprozesse und die Unordnung der Dinge.

FOTO-, FILM- UND VIDEOINSTALLATIONEN AUF DER DOCUMENTA 11

Mekas seinen Film im 16 mm-Format im Kasseler Bali-Kino zeigte und Fiona Tan ihre Filminstallation mit drei 16 mm-Endlosschleifen präsentierte. An diesem Spektrum wird deutlich, dass sich sowohl die Präsentationsmodi des IRWRJUD¿VFKHQ%LOGHVDOVDXFKGLHGHVWUDGLWLRQHOOHQ.LQRVEHUQHXH0HGLHQWHFKQRlogien – nicht zuletzt im Ausstellungsparcours der Documenta 11 – ausdifferenziert haben. Festzuhalten bleibt, dass die Kasseler Ausstellung sich durch eine Absage DQ GDV IRWRJUD¿VFKH (LQ]HOELOG DXV]HLFKQHWH GD )RWRJUD¿HQ PHLVWHQV LQ YLHOIlOWLgen Bildzusammenstellungen, sowohl statisch als auch bewegt, präsentiert wurden. Die meisten der erwähnten 60 KünstlerInnen, konkret 38 von ihnen17, arbeiteten mit HLQHU GLDFKURQHQ GXUFK GLH =HLW ODXIHQGHQ $QRUGQXQJ PHLVW EHZHJWHU IRWRJUD¿VFKHU%LOGHULQQHUKDOEYRQ¿OPLVFKHQ3URMHNWLRQHQ'LHUHVWOLFKHQSUlVHQWLHUWHQ LKUHIRWRJUD¿VFKHQVWDWLVFKHQ(LQ]HOELOGHUKLQJHJHQYRUZLHJHQGQHEHQHLQDQGHULQ Tableaus oder Reihen und damit in einem vergleichenden Zusammenhang.18 Durch GLH)RNXVVLHUXQJDXIGLH0HGLHQ)RWRJUD¿H)LOPXQG9LGHR|IIQHWHVLFKGLH'RFXmenta 11 aktuellen bild- und medienwissenschaftlichen Fragestellungen und setzte sich hierdurch in ein Spannungsverhältnis zu traditionellen kunsthistorischen Ordnungskategorien: Denn das dem Modernismus eingeschriebene Postulat der AutoQRPLHGHU.XQVWZXUGHYRUDOOHPGXUFKGLH3UlVHQWDWLRQIRWRJUD¿VFKHU%LOGPHGLHQ zur Disposition gestellt.

ZUM UMGANG DER DOCUMENTA 11 MIT DER GESCHICHTE DER KÜNSTLERISCHEN FOTOGRAFIE AM BEISPIEL DER BECHERS

Bemerkenswert an der Konzeption der elften Kasseler Kunstausstellung war, dass VLH VLFK QLFKW DQ HLQHU WUDGLWLRQHOOHQ IRWRJUD¿H RGHU ¿OPJHVFKLFKWOLFKHQ &KURQRORJLHDQOHKQWH±REZRKOVLHVLFKVFKZHUSXQNWPl‰LJPLWIRWRJUD¿VFKHQ%LOGPHGLHQ beschäftigte. Beispielsweise rekurriert man sowohl im deutschsprachigen als auch US-amerikanischen Diskurs der Kunstgeschichte ebenso wie innerhalb der musealen $XVHLQDQGHUVHW]XQJ KlX¿J DXI HLQ IRWRJUD¿HJHVFKLFKWOLFKHV 0RGHOO GDV HQWODQJ einer relativ linearen und chronologischen Erzählung eine Entwicklungsgeschichte GHU NQVWOHULVFKHQ )RWRJUD¿H HQWZLUIW ,Q GLHVHP 0RGHOO ZHUGHQ KlX¿J DNWXHOOH 17 Vgl. im Anhang: Tabelle 7. 18 An dieser Stelle soll keineswegs übersehen werden, dass die elfte Documenta Arbeiten von 32 KünstlerInnen präsentierte, die weitgehend ohne fotografische Bildmedien auskamen (vgl. Tabelle 7: Kategorie 4). Die Werke dieser KünstlerInnen beschäftigen sich weniger mit fotografischen Abbildungsmodi, wenngleich diese dennoch vereinzelt in ihren Installationen auftauchten. So etwa integrierte Georges Adéagbo in seiner Installation vielfältige Medien der visuellen Kultur (Postkarten, Bildbände, Poster, Fotografien, Zeitschriften etc.) ebenso wie Dieter Roth in seiner Atelierinstallation Filmprojektoren unterbrachte. Fotografische Bildmedien übernahmen innerhalb dieser Arbeiten jedoch nicht die Funktion eines konstitutiven Mediums, wie dies bei den Werken der oben erwähnten 60 KünstlerInnen der Fall war. Tabelle 7 und 8 im Anhang zeigen, wie viele KünstlerInnen in welchen Werkkonstellationen mit fotografischen Bildmedien arbeiteten bzw. diese überhaupt nicht nutzten.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

künstlerische Positionen auf Arbeiten der 1920er Jahre zurück bezogen. In der Auseinandersetzung mit der sogenannten Becher-Schule und ihren prominenten Vertretern, wie etwa Andreas Gursky, Thomas Struth oder aber auch Candida Höfer, ist diese Lesart durchaus ausgeprägt: Entlang einer stilgeschichtlichen Deutung, die VLFKDXIIRUPDOH$VSHNWHNRQ]HQWULHUWVHW]WPDQLKUH$UEHLWHQKlX¿JLQHLQHQYHUgleichenden Zusammenhang mit den Lehrern, Bernd und Hilla Becher, um von dort GHQKLVWRULVFKHQ6FKXOWHUVFKOXVV]XIRWRJUD¿VFKHQ3RVLWLRQHQGHUNeuen Sachlichkeit KHU]XVWHOOHQ 'LHVH )RUP GHU KLVWRULRJUD¿VFKHQ (U]lKOXQJ EHUXIW VLFK ZHLWJHKHQG DXI IRUPDOH 2UGQXQJVNDWHJRULHQ +lX¿J GLHQHQ GLH DOV ªQHXVDFKOLFK© EH]HLFKQHten, präzisen Bildästhetiken der 1920er Jahre, die sich durch scharfe Konturen und PDUNDQWH JOHLFKI|UPLJH 6WUXNWXUHQ LQQHUKDOE GHU %LOGÀlFKH DXV]HLFKQHQ DOV KLV WRULVFKH %H]XJVJU|‰H XP HWZD GLH IRWRJUD¿VFKHQ %LOGW\SRORJLHQ YRQ %HUQG XQG Hilla Becher – und über diese auch die Arbeiten ihrer Schüler – formalanalytisch zu historisieren. So etwa legt eine fotohistorisch kanonische Einordnung der Bechers nahe, sie im Kontext der Neuen Sachlichkeit zu historisieren und in Bezug zu den enzyklopädisch-formalen Verfahren eines August Sander, Renger-Patzsch oder Karl Blossfeldt zu setzen19. Bezeichnend für die elfte Documenta war, dass sie genau auf diese bekannte, ausschließlich auf westliche Kunstpositionen bezogene Chronologisierung verzichtete, die sich entlang formalistischer Kriterien aufbaut – mehr noch: sie konterkarierte diese Form der Geschichtsschreibung. Mit diesem Vorgehen politisierte sie im Sinne von Moxey den Kanon20 und stellte die »Kunstgeschichte der künstlerische )RWRJUD¿H©]XU'LVNXVVLRQ:LHEHUHLWVLPYRUDQJHJDQJHQHQ%XFKWHLOLP+LQEOLFN DXIGLH)RWRJUD¿HQGHU%HFKHUVHUZlKQWLQWHJULHUWHGLHHOIWH'RFXPHQWDGLHFachwerkhäuser des Siegener Industriegebietes in einen Urbanismus-Diskurs innerhalb des Kulturbahnhofs. Die Ausstellungsinszenierung rückte hier die üblicherweise an der Peripherie gelagerten Positionen, etwa von Bodys Isek Kingelez, ins Zentrum des Raumes und wies den Bechers eine Position in einer vorgelagerten Ausstellungsparzelle zu. Sie bildeten den Prolog zu dem beschriebenen Raum, in dem neben Kingelez auch Isa Genzken, David Goldblatt, Ravi Agarwal und William Eggleston zu sehen waren [Abb. E].21 Durch diese Anordnung stellte die Documenta die Auswahlkriterien der Kunstgeschichtsschreibung – nicht zuletzt der künstlerischen )RWRJUD¿H±LQIUDJH'LHWUDGLWLRQHOOIRUPDOLVWLVFKH/HVDUWGHU%HFKHUVZXUGHDXIgebrochen: Denn mit beispielsweise David Goldblatt und Ravi Agarwal kamen auch 19 Vgl. bspw. Lange 1997: »August Sander, Karl Blossfeldt, Albert Renger-Patzsch, Bernd und Hilla Becher. Vergleichende Konzeptionen«; Steinhauser 1994: »Traditionslinien. Zu Bernd und Hilla Bechers Industriephotographie«; Kuklinski 1994: »Photographie der Neuen Sachlichkeit«; Lange 2005: Was wir tun, ist letztlich Geschichten zu erzählen... Bernd und Hilla Becher. Eine Einführung in Leben und Werk, insbesondere das Kapitel Traditionslinien in der Photographiegeschichte (S. 75–95). 20 Vgl. Moxey 1998: »Politicising the Canon«. 21 Vgl. hierzu auch im Buchteil II Bildanordnungen: Kapitel Constant und Friedman: Urbanisierung und architektonische Dispositive.

FOTO-, FILM- UND VIDEOINSTALLATIONEN AUF DER DOCUMENTA 11

IRWRJUD¿VFKH6WDGWXQG/DQGVFKDIWVDQVLFKWHQHKHUZHQLJHUSURPLQHQWHUQLFKW]XP westlichen Kanon zählender Künstler ins Spiel, in deren direkte Nähe das bekannte Künstlerduo gerückt wurde.22 Mit dieser Inszenierungsstrategie setzte sich die elfte Documenta in kritische Distanz zu einer modernistischen, auf formale Strukturen NRQ]HQWULHUWHQ /HVDUW IRWRJUD¿VFKHU %LOGZHUNH 6LH NQSIWH ± LP *HJHQ]XJ ± DQ die kritische Auseinandersetzung des Fotografen Allan Sekula mit dem Modernismus an23. Der Fotograf selbst wurde mit seinen künstlerischen Arbeiten in der BinGLQJ%UDXHUHLQHEHQ&DQGLGD+|IHUSUlVHQWLHUW>$EE'@9RQGHU*UXQGÀlFKHGHV architektonischen Raumes her gesehen, kam Sekula der meiste Platz innerhalb der Binding Brauerei zu. Auch dieser kuratorische Schachzug untermauert die konzeptionelle Ausrichtung der elften Documenta: Denn der amerikanische Fotograf setzt sich nicht lediglich in seinen Texten, sondern auch in seinem künstlerischen Schaffen dezidiert kritisch mit einem modernistischen Formalismus auseinander.24 Darüber hinaus spricht er sich innerhalb seiner theoretischen Auseinandersetzungen für eine NULWLVFKH'RNXPHQWDUIRWRJUD¿HDXV6HLQHDQWLPRGHUQLVWLVFKH3RVLWLRQYHUGHXWOLFKW sich nicht zuletzt in einem seiner Aufsätze Ende der 1970er Jahre: »Künstler und Schriftsteller, die sich einer offenen politischen Kulturpraxis annähern, müssen sich aus ihrem eigenen professionellen Elitedenken und der Beschränktheit ihrer Interessen lösen. Eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Modernismus und dessen Gefahren könnte dabei nützlich sein. Das Problem des modernistischen Zirkels – eine ›immanente Kritik‹, die das Paradigma, von dem sie ausgeht, nicht überwinden kann und letztendlich jede Praxis auf einen Formalismus reduziert – ist umfassender als irgendeine einzelne wissenschaftliche Disziplin und infiziert sie doch alle.« 25

6HNXOD JHKW GDYRQ DXV GDVV DXFK GLH 'RNXPHQWDUIRWRJUD¿H QLHPDOV LQ PRGHUQLV tischer Lesart auf ihre formalen, »immanenten« Kriterien und auf den künstlerischen Ausdruck allein reduziert werden sollte. Eine solche traditionelle Perspektive skiz]LHUWHUIROJHQGHUPD‰HQª'RNXPHQWDUIRWRJUD¿HZLUGDOV.XQVWEHWUDFKWHWZHQQVLH ihre Referenz zur Welt transzendiert, wenn die Arbeit in erster Linie als Akt künstlerischen Selbstausdrucks verstanden werden kann.«26 Eben diese einseitig autonome

22 Vgl. hierzu auch im Anhang die Tabelle 4 und die Einordnung von Goldblatt und Agarwal in der rechten Spalte unter den nicht-kanonischen Künstlern, gegenüber den Bechers, in der linken Spalte der bereits kanonisierten Künstler im Bereich Bildende Kunst. 23 Vgl. hierzu Sekulas diverse Aufsätze: Sekula 1976/1978: »Den Modernismus demontieren, das Dokumentarische neu erfinden«; ders. 1981: »Der Handel mit Fotografien«; ders. 1986: »Der Körper und das Archiv«. 24 Vgl. zu Sekulas ausgestellter, fotografischer Arbeit auf der elften Documenta: Ausst.Kat. (2002) Allan Sekula. Seemansgarn. 25 Sekula 1976/1978: »Den Modernismus demontieren, das Dokumentarische neu erfinden«, S. 122. 26 Vgl. Sekula 1976/1978: »Den Modernismus demontieren, das Dokumentarische neu erfinden«, S. 127.

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Perspektive spricht Sekula dem Medium wegen seiner Referentialität, und damit seiner gesellschaftlichen Eingebundenheit, ab. Im Rahmen der beschriebenen konzeptionellen Ausrichtung der Documenta macht auch die Anordnung der Becher-FotoJUD¿HQLQQHUKDOEGHV.XOWXUEDKQKRIV6LQQ+LHUZXUGHLKUHGRNXPHQWDULVFKH4XDOLWlW EHWRQW 'LH IRWRJUD¿VFKHQ 7DEOHDXV GHU 6LHJHUOlQGHU )DFKZHUNKlXVHU ]HLJHQ QHEHQGHQ)RWRJUD¿HQYRQ'DYLG*ROGEODWW5DYL$JDUZDOXQG:LOOLDP(JJOHVWRQ einen weiteren Aspekt provinzieller Strukturen auf der globalen Landkarte. Sie werden hier nicht allein auf ihre formalen Kriterien reduziert, die möglicherweise ihre chronologische Einordnung im Rahmen einer modernistischen Geschichte der »FotoJUD¿HDOV.XQVW©QDKHJHOHJWKlWWH Bemerkenswert ist folglich, dass die Documenta nicht allein die kanonische Einordnung der Bechers im Hinblick auf die Konzeptkunst vermeidet27, sondern auch eine formalistische Lesart der Werke in Bezug auf eine kanonisch etablierte EntZLFNOXQJVJHVFKLFKWHGHUNQVWOHULVFKHQ)RWRJUD¿HYHUZHLJHUW'LHVZLUGDXFKGDUDQ deutlich, dass die Arbeiten der Bechers und von Candida Höfer, aber auch von Fiona Tan, an jeweils anderen Ausstellungsorten – weit voneinander entfernt – ausgestellt waren. In einer klassischen, historisch-formalanalytischen Systematik hätte man alle drei Arbeiten einander zuordnen können, insofern sie, in mehr oder weniger expliziter )RUP%H]JH]XU)RWRJUD¿HGHUNeuen Sachlichkeit aufweisen. Jedoch befand sich die Filminstallation Countenance (2002) von Fiona Tan im zweiten Stockwerk des Fridericianums, zwischen Shirin Neshat und Chantal Akerman [Abb. C], wohingegen man Candida Höfers 11-teilige Fotoinstallation unter dem Titel Die Bürger von Calais (2000/2001) als erste Arbeit auf der linken Seite des lang gezogenen Ausstellungsparcours der Binding Brauerei direkt neben Allan Sekula präsentierte [Abb. D]. Candida Höfer zeigte die berühmte Rodin-Skulptur zum Teil scharf konturiert in frontaler Ansicht in einem den formalästhetischen Prämissen der Neuen Sachlichkeit ähnlichen, eher neutralen, konventionell als eher »objektiv« bezeichneten DarstellungsPRGXVEHLGHPGDV2EMHNWKlX¿JSUl]LVHHLQGHXWLJNRQWXULHUWXQGIURQWDODXIJHQRPmen ist. Jedoch bricht sie mittels der Anordnung ihrer Bilder im Ausstellungsraum und durch die Inszenierung diverser Ansichten der Skulptur mit diesem neutralisierenden $XIQDKPHYHUIDKUHQ ,P *HJHQVDW] ]X GLYHUVHQ IRWRJUD¿VFKHQ $QVlW]HQ GHU Neuen Sachlichkeit wirft sie einen kritischen Blick auf das vermeintlich objektive Medium.28 Obwohl Candida Höfer mit den Bürgern von Calais den Sachlichkeitsanspruch der Becher-Enzyklopädien konterkariert, hätte man sie, im Hinblick auf ihren Lehrer Bernd Becher an der Düsseldorfer Kunstakademie, als »Becher-Schülerin« ausstellen können – ganz im Sinne einer klassisch kunsthistorischen Narration innerhalb eines genealogischen »Meister-Schüler-Ordnungssystems«: In der direkten Gegenüberstellung GHU )RWRJUD¿HQ GHU 6LHJHUOlQGHU )DFKZHUNKlXVHU PLW GHQ Bürgern von Calais hätte 27 Vgl. hierzu im Buchteil II Bildanordnungen: Kapitel Darboven, Kawara und die Bechers: historische Konzeptkunstpositionen auf der Documenta 11, und auch Deutungsmöglichkeiten der historischen Konzeptkunstpositionen auf der Documenta 11. 28 Vgl. für eine ausführliche Auseinandersetzung die folgende Werkanalyse: Candida Höfer: Die Bürger von Calais (2000/2001).

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man anhand formaler Kriterien die Differenzierungsleistungen der Schülerin gegenEHU LKUHQ /HKUHUQ LQQHUKDOE HLQHU *HVFKLFKWH GHU NQVWOHULVFKHQ )RWRJUD¿H EHWRQW (EHQJHQDXGLHVHVOLQHDUHKLVWRULRJUD¿VFKH9HUIDKUHQGDVEHLVSLHOVZHLVH$OIUHG%DUU mit seiner entwicklungsgeschichtlichen Diagrammatik verfolgte29, aber auch Werner +DIWPDQQPLWVHLQHUOLQHDUIRUWVFKULWWVRULHQWLHUWHQDXIGLH)RUP¿[LHUWHQ+LVWRULRJUD¿H der Kunst im Blick hatte30, befragte die elfte Documenta mittels einer alternativen, im Ausstellungsparcours realisierten Wissensordnung. Im Folgenden soll es darum gehen, die hier angedeutete Transformation des Kunstbegriffs exemplarisch anhand ausgewählter Werke nachzuzeichnen. Zunächst aber soll das Konzept der Documenta 11 in den Horizont von Okwui Enwezors kuraWRULVFKHU$UEHLWJHVWHOOWZHUGHQXPGLH5ROOHGHUIRWRJUD¿VFKHQ%LOGPHGLHQDXIGHU Kasseler Ausstellung von 2002 noch genauer bestimmen zu können.

»POLITIKEN DER REPRÄSENTATION« – ENWEZORS KURATORISCHER ANSATZ UND DIE FOTOGRAFISCHEN BILDMEDIEN

Es wurde bereits dargelegt, dass die Documenta 11 das primär an die Gattungen Malerei und Plastik gebundene, formalistische Programm der ersten Kasseler Ausstellungen mit massenmedialen Ausdrucksformen konterkarierte. Das kuratorische Team von 2002 hatte sich für eine mediendominierte Ausstellung entschieden, bei der formale Aspekte nicht im Zentrum des Konzepts stehen sollten. Dieser Entscheidung lag eine Annahme zugrunde, die bereits das einführende Bildkompendium des .DWDORJVYHUGHXWOLFKW6FKRQDQGLHVHU6WHOOHYHUPLWWHOWVLFKGDVVGLHIRWRJUD¿VFKHQ Bildmedien in ihrer massenmedialen Reproduktions-, Distributions- und Zirkulationsqualität an die strukturelle Verfasstheit einer zunehmend globalisierten und visualisierten Weltgesellschaft anknüpfen können. Der Katalog macht deutlich, dass in den Bildmedien und über sie wirkmächtige Visualisierungen verbreitet und RepräVHQWDWLRQVSROLWLNHQHWDEOLHUWZHUGHQ2KQHDQHLQHQVSH]L¿VFKHQ2UWRGHUHLQHVSH]L¿VFKH0DWHULDOLWlWJHEXQGHQ]XVHLQ]LUNXOLHUHQIRWRJUD¿VFKH%LOGHUXQGGLHLKQHQ inhärenten dispositiven Strukturen – durch die Möglichkeiten der technischen Reproduzierbarkeit – über diverse visuelle Kanäle. Waren im Rahmen des Kunstverständnisses der ersten Documenta-Ausstellungen Bildträger und Bild noch unabdingbar miteinander gekoppelt, so spielte bei der elften Documenta genau die vom Bildträger unabhängige Zirkulationsfähigkeit der Bilder durch die Medien, deren Distributionsund Selektionsmechanismen eingeschlossen, eine tragende Rolle. $XIIlOOLJLVWDOOHUGLQJVGDVVGLH'RPLQDQ]YRQIRWRJUD¿VFKHQ9LVXDOLVLHUXQJVformen der Massenmedienkultur in der Rezeption der elften Documenta weitaus 29 Vgl. Buchteil I Bildgeschichten: Kapitel »How to Look at Modern Art?«: Clement Greenberg, Alfred Barr und das MoMA. 30 Vgl. Buchteil I Bildgeschichten: Kapitel Zum Kunstbegriff der ersten Documenta-Ausstellungen (1955, 1959, 1964).

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weniger eine Rolle spielte als die kritische Perspektive der Großausstellung auf postkoloniale Machtstrukturen: Immer wieder sprach man schwerpunktmäßig von einer »postkolonialen Documenta«, während eine fundierte Auseinandersetzung mit der Dominanz massenmedialer Bildformen weitgehend unberücksichtigt blieb.31 Betrachtet man die Werke jedoch genauer, dann thematisierten sie in vielfältiger Hinsicht eine Kopplung von dispositiven, visuellen Strukturen und Massenmedien. In GHQNQVWOHULVFKHQ$UEHLWHQWUDWKlX¿JHLQPDFKWNULWLVFKHU±QLFKWQRWZHQGLJHUZHLVH ausschließlich postkolonialer – Diskurs in Erscheinung, der sich mit massenmedialen Repräsentationsstrategien auseinandersetzte. 'DVV JHUDGH DXFK IRWRJUD¿VFKH 0HGLHQ GXUFK LKUH ]XJHVFKULHEHQH 5HDOLWlWVnähe wirkungsvolle Machtstrukturen etablieren, hatte Okwui Enwezor bereits vor dem Jahr 2002 in unterschiedlichen von ihm kuratierten Ausstellungen zum Thema gemacht32. Auch vor diesem Hintergrund liegt es nahe, die elfte Documenta im Hinblick auf ihren Medienfokus genauer in den Blick zu nehmen. So etwa hält Christian Kravagna in Bezug auf die auch von Enwezor 1996 initiierte Ausstellung In/Sight: African Photographers, 1940 to the Present33 fest: »Das Kuratorenteam um Okwui Enwezor und Octavio Zaya demonstrierte damit auch die afrikanische Aneignung des Mediums, das für die kolonialistische Praxis und den Diskurs des Imperialismus von eminenter Bedeutung war. Die europäische Vorstellung war durch keine andere Repräsentationstechnik mehr geprägt als durch die fotografische Darstellung. Die ihr zugeschriebene Realitätsnähe machten sich die Anthropologie, Ethnografie, die koloniale Verwaltung sowie künstlerische und kommerzielle Exotismen zunutze.«34

31 Vgl. hierzu die bereits erwähnten Publikationen: Below/Bismarck 2005: Globalisierung/Hierarchisierung; Marchart 2008: Hegemonie im Kunstfeld; Volkenandt 2004: Kunstgeschichte und Weltgegenwartskunst; Lüddemann 2004: Kunstkritik als Kommunikation, insbesondere zur Documenta 11: S. 263–300; sowie Hellingers Untersuchung der Rezeption der elften Documenta in den Printmedien: Hellinger 2007: Die ›documenta11‹ im Kreuzfeuer der Kritik. 32 Vgl. Ausst.Kat. (1996) In/sight: African Photographers 1940 to Present; Ausst.Kat. (1997) Trade Routes. History and Geography. 2nd Johannesburg Biennale 1997; Ausst.Kat. (2001) The Short Century. Independence and Liberation Movements in Africa 1945–1994. Die Kataloge thematisieren an unterschiedlichen Stellen die interventionistische und künstlerische Aneignung fotografischer Bildmedien – entgegen den etablierten »Politiken der Repräsentation« in den Massenmedien etwa unter der Apartheid oder auch in kolonialen und postkolonialen Zusammenhängen. Darüber hinaus initiierte und kuratierte Enwezor nach der Documenta 11 weitere Ausstellungen, die sich mit dem analytischen Impuls zeitgenössischer, künstlerisch-fotografischer Positionen beschäftigten: Ausst.Kat. (2006) Snap Judgments. New Positions in Contemporary African Photography; Ausst.Kat. (2008) Archive Fever. Uses of the Document in Contemporary Art. Zur Ausstellungsgeschichte zeitgenössischer afrikanischer, künstlerischer Fotografie: vgl. Rocco 2006: »African In/Sight: Ten Years of Exhibiting Contemporary African Photography«. Zu Enwezors Auseinandersetzung mit der Konstruktion von Geschichte durch die Fotografie, in der das Medium ebenso wie das Archiv als dispositive Strukturen thematisiert werden: vgl. Enwezor 2008: »Archive Fever: Photography Between History and Monument«. 33 Vgl. Ausst.Kat. In/Sight (1996): African Photographers 1940 to Present. 34 Kravagna 2002: »Das dichte Jahrzehnt«, S. 107.

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An den Ausführungen von Kravagna wird deutlich, dass sich Enwezor in seiner kuratorischen Praxis mit großer Bewusstheit der Konstitution medialer Dispositive widmete. Dieser kritische Impuls prägte auch die Auseinandersetzung der Documenta 11. Mitte der 1990er Jahre machte die Ausstellung In/Sight am Beispiel der )RWRJUD¿HGHXWOLFKZLHVLFKª3ROLWLNHQGHU5HSUlVHQWDWLRQ©35 und mediale Strukturen miteinander verschränken und zugleich das Medium als wirkmächtige Apparatur der Realitäts- und Objektivitätskonstruktion fungierte. Kravagna betont in seinem oben erwähnten Beitrag, dass der kritische Diskurs um den Postkolonialismus nicht von den Strukturen visueller Dispositive zu trennen ist, denn insbesondere massenmediale Bildkulturen etablieren, wie er konstatiert, die visuelle Argumentation wirkmächtiger, hegemonialer Diskurse36. Da sich auch die sechste Documenta schwerpunktmäßig mit den Medien FotoJUD¿H)LOPXQG9LGHRDXVHLQDQGHUVHW]WHOLHJWHVQDKH]XIUDJHQLQZLHIHUQVLFK das unter Enwezor realisierte kuratorische Konzept von der Ausstellung aus dem Jahr 1977 abgrenzen lässt. Eine bedeutende Differenz macht sich daran fest, dass die sechste, sogenannte Medien-Documenta vorwiegend entlang traditioneller Gattungstypologien argumentierte und genau in diesem Sinne sowohl die Ausstellung als auch ihren Katalog gliederte: Man unterteilte beide in die Sektionen Fotogra¿H)LOP9LGHR als auch Malerei, Plastik, Performance sowie Handzeichnungen, Design, Bücher37. Auch Monika Lahme konstatiert im Hinblick auf die sechste Documenta: »Allen theoretischen Bemühungen zum Trotz gelingt der Versuch nicht, den traditionellen Stil- und Gattungskategorien mit Hilfe des Medienaspekts ein neues Strukturschema überzuordnen.«38 Darüber hinaus kritisierte Richard Cork 1978 die additive, museale Ausstellungskonzeption und die anthologischen Übersichten der sechsten Documenta, etwa die KLVWRULVFKHhEHUVFKDXGHU)RWRJUD¿H$EWHLOXQJ39: »Grandiose anthologies RQO\ UHLQIRUFH WKH SXEOLF‫ތ‬V VXVSLFLRQ WKDW DUW LV PDGH IRU PXVHXP FRQVXPSWLRQ alone.«40 Das kuratorische Konzept von 2002 grenzte sich gerade von dieser 35 Zum Begriff »Politiken der Repräsentation« vgl. auch den ersten Buchteil Ausstellungen – ein interdisziplinäres Forschungsfeld: Kapitel Ausstellungstheorien und Ausstellungsanalysen. 36 Vgl. Kravagna 2002: »Das dichte Jahrzehnt«. 37 Vgl. Ausst.Kat. (1977) Documenta 6, Bd. 1, 2, 3. Vgl. auch im Buchteil I Bildgeschichten: Kapitel Vielschichtige Transformationen: zwischen Documenta 4 (1968) und Documenta 12 (2007) meine Ausführungen zur Documenta 6. 38 Lahme 1983: »Die künstlerischen Programme der documenta-Ausstellungen«, S. 71. 39 Erich Stenger hatte für die Documenta 6 eine fotohistorische Abteilung eingerichtet. Er kuratierte außerdem als einer der ersten Fotohistoriker des frühen 20. Jahrhunderts den fotohistorischen Teil der vom Werkbund initiierten Ausstellung Film und Fotografie im Jahr 1929 (vgl. zur Aufarbeitung der Ausstellung: Eskildsen/Horak 1979: Film und Foto der zwanziger Jahre). Die fotografischen Sammlungen im Museum Ludwig beherbergen heute noch Stengers bedeutendes Archiv zur Geschichte der Fotografie des 19. und 20. Jahrhunderts. Zahlreiche Publikationen der Sammlung Agfa-Fotohistorama geben Einblick in dieses Archiv, vgl. bspw. Agfa Foto-Historama 1986: Das Agfa Foto-Historama im Wallraf-Richartz Museum/Museum Ludwig der Stadt Köln. 40 Cork 1978: »What does Documenta document?«, S. 47.

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museologischen, traditionell kunsthistorischen Ordnungsstruktur ab, um hierüber LKUHPNULWLVFKHQXQGDXFKVHOEVWUHÀH[LYHQ,PSHWXVJHJHQEHUZHVWOLFKGRPLQLHUten Wissensordnungen Ausdruck zu verleihen. Der Medienfokus der elften Documenta gründete dabei gerade nicht auf dem Versuch einer Erweiterung klassischer *DWWXQJVW\SRORJLHQ VRQGHUQ DXI GHU NULWLVFKHQ 5HÀH[LRQ PDVVHQPHGLDO NRQVWLtuierter »Politiken der Repräsentation« und ihren »Ordnungen der Sichtbarkeit«. In diesem Sinne konstatiert auch Enwezor: »Postkolonialität, das bedeutet nicht so sehr unendliche Entfernungen und Exotik, fremde Menschen und Kulturen als vielmehr spektakuläre Mediatisierung und Repräsentation von Nähe [Hervorhebung, K.H.] als vorherrschender Modus«.41 Diese Überlegungen sind zugleich verschränkt mit einer übergeordneten Debatte um die Wissensordnungen einer europäisch-westlichen Kultur und deren epistemologischen Grundlagen. So konstatiert auch Enwezor im Kunstforum International: »Mit der Betrachtung postkolonialer Strukturen geht auch die historische Befragung westlicher Denksysteme einher«.42 An diesen Aspekt schließen auch die folgenden Werkanalysen an, indem sie nach nicht zuletzt westlich-europäischen Wissensordnungen fragen, die vor allem auch auf visuellen Darstellungsformen gründen. Die aus den Bildern der Massenmedialisierung resultierenden dispositiven Strukturen, die in vielen der ausgestellten Werke zur Debatte standen, werden hier eingehend erörtert. Auch der visuelle Prolog des Ausstellungskataloges eröffnet die Debatte um GLH PDVVHQPHGLDOH .RQVWUXNWLRQ YRQ :LUNOLFKNHLW LQQHUKDOE IRWRJUD¿VFKGRNXmentarischer, sogenannter objektiver Bilder und gibt zugleich einen Einblick in das kuratorische Konzept von Enwezor. Denn die ersten Seiten konfrontieren die /HVHU,QQHQ PLW HLQHP .RPSHQGLXP MRXUQDOLVWLVFK DQPXWHQGHU )RWRJUD¿HQ GLH wie Ikonen der Medienkultur aufscheinen, untertitelt mit Bildunterschriften, die ein offensichtlich bruchloses Referenzsystem zwischen Bildern und Texten aufbauen. Die »Abbilder« scheinen einen eindeutigen Verweiszusammenhang herzuVWHOOHQGLH)RWRJUD¿HQIXQJLHUHQDOV'RNXPHQWDWLRQHQGHQQVLHYHUZHLVHQLQLKUHU ikonischen Struktur und aufgrund ihrer Untertitel auf politische Brennpunkte der :HOW 6R IXQJLHUHQ HWZD GLH )RWRJUD¿HQ YRQ HLQHU LQ GHQ 7RG VSULQJHQGHQ 3HUson vor der Fassade des WTC oder aber die abgelichteten Gebäuderuinen auf dem Ground Zero als dokumentarische Chiffren für die Katastrophe des 11. September 2001. Die Abbildungen von überfüllten Flüchtlingsboten bei ihrer Landung an der italienischen Küste, eine Aufnahme von Arafat beim Blutspenden für die Opfer der Terroranschläge in den USA, die Abbildungen von Eskalationen des Israel-PaläVWLQD.RQÀLNWV XQG GLH DEJHOLFKWHWHQ *OREDOLVLHUXQJVNULWLNHU EHLP 3URWHVW JHJHQ den G8-Gipfel in Genua zeigen, als Insignien der Medienkultur, die globalisierte Welt, als eine im Bild und über das Bild vermittelte. Hier legen die Aufnahmen ein 41 Enwezor 2002: »Die Black Box«, S. 44. Mediatisierung und Medialisierung werden hier äquivalent verstanden: vgl. hierzu: Meynen 2009: »Medialisierung«. 42 Enwezor 2002: »Kunst als Teil eines umfassenden Systems oder: Der erweiterte Horizont des deterritorialisierten Aktionsraums”, S. 84.

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HLQGHXWLJHVUHIHUHQWLHOOHV9HUKlOWQLV]XUYRUIRWRJUD¿VFKHQ:LUNOLFKNHLWQDKH6LH konstituieren damit Sinneinheiten der visuellen Kultur, die zunächst keinen Bruch mit ihrem Referenzsystem implizieren. Betrachtet man jedoch die Montage der Bilder genauer, dann tritt eben gerade in der Kompilation der Bilder und in ihrer strukturellen Verfasstheit die Medialisierung der visuellen Kultur in den Blick: Einerseits sind hier schwarz-weiße und farbige Bilder nebeneinander präsentiert, so dass ihre technische Basis, ihre Reproduktionsmöglichkeit, aber auch die Möglichkeiten visueller Varianz ins Auge stechen. Zugleich verweist die grobkörnige 3L[HODXÀ|VXQJDXIHLQXPIDQJUHLFKHV%LOGUHSHUWRLUHGHU0HGLHQNXOWXUGDVGXUFK unaufwändige Reproduktionsverfahren leicht zugänglich geworden ist. Insbesondere mit diesem an prominenter Stelle, am Anfang des Katalogs, präsentierten Bildrepertoire verwies die Documenta 11 programmatisch auf ihr kuratorisches Konzept: Sie postulierte ihr relationales Verhältnis zur Massenmedienkultur und implizierte damit ihre kritische Distanznahme gegenüber einem modernistisch fundierten Kunstbegriff. 'LHVHUSURORJLVFKH(LQVWLHJPDFKWGDUEHUKLQDXVGHXWOLFKGDVVGDVIRWRJUD¿sche Bild als »dokumentarisches Bild« innerhalb der elften Documenta in seinem bildlichen Status als »Abbild der Wirklichkeit« zur Diskussion steht. Mit diesem )RNXV DXI GLH 0|JOLFKNHLWHQ IRWRJUD¿VFKHU 5HSUlVHQWDWLRQ VFKOLH‰W GDV .RQ]HSW der Documenta an bildwissenschaftlich orientierte Fragestellungen an, die bereits im einführenden Buchteil zur Theorie und Methode dieser Untersuchung skizziert wurden43 'LH SURPLQHQWH$XVVWHOOXQJ IRWRJUD¿VFKHU %LOGPHGLHQ SURYR]LHUWH GLH )UDJH QDFK HLQHP .XQVWEHJULII GHU %LOGOLFKNHLWVIRUPHQ PLW HLQHP IRWRJUD¿VFK referentiellen Verhältnis zur vorbildlichen Wirklichkeit, jenseits eines ausschließOLFK IRUP¿[LHUWHQ$XWRQRPLHSRVWXODWV EHUFNVLFKWLJHQ NRQQWH *DQ] RIIHQVLFKWlich verschob sich hier die Befragung künstlerischer Produktion im Hinblick auf die Repräsentationsbedingungen der allgemeinen visuellen Kultur, so konstatiert auch Enwezor in seinem einführenden Artikel des Documenta-Katalogs: »Die eingehende analytische Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst, visueller Kultur und deren Art sich in Szene zu setzen, sowie mit anderen Repräsentationsordnungen sollte auch in Zusammenhang mit anderen Verschiebungen disziplinärer und kultureller Grenzen verstanden werden, die in die künstlerischen VerfahUHQVZHLVHQYRQKHXWHHLQÀLH‰HQ©44 Es bleibt zu fragen, wie ein solcher Kunstbegriff zu beschreiben ist, der weder in einer allgemeinen visuellen Kultur aufgeht, noch die Referenz zur außerbildlichen Wirklichkeit unberücksichtigt lässt. Die Frage um das Differenzverhältnis von allgemeiner visueller Kultur und Kunst steht folglich zur Debatte.

43 Vgl. im Buchteil Ausstellungen – ein interdisziplinäres Forschungsfeld: Kapitel Bildwissenschaftliche Ansätze: zur »ikonischen Differenz« und zum Status des »Abbilds«. 44 Enwezor 2002: »Die Black Box«, S. 42.

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ZUR REFLEXION MASSENMEDIALER BILDKULTUREN IN DER KUNST Kunst als Differenzverhältnis zur massenmedialen Bildkultur

Den folgenden Werkanalysen liegt die These zugrunde, dass die Exponate der 'RFXPHQWD GLH PLW IRWRJUD¿VFKHQ %LOGPHGLHQ DUEHLWHWHQ JHUDGH LQ LKUHP Differenzverhältnis zu den Visualisierungsformen der massemedialen Bildkultur zu beschreiben sind. Aufgrund dieser Differenz kann ihnen der Status als »Bilder der Kunst« zugesprochen werden. Mit dieser Ausgangsthese wird das von Boehm eingeführte Konzept der ikonischen Differenz45, dessen Prämissen auf der Basis eines modernistischen Kunstbegriffs entwickelt wurden46, überschritten und erweitert. Denn der Fokus liegt nicht allein auf den innerbildlichen Relationen eines Bildes und seinen Kontrastverhältnissen, die sich exklusiv in den in der Fläche angelegten formalen Strukturen manifestieren.47 Vielmehr rücken unter der hier anvisierten Analyseperspektive visuelle Formen der massenmedialen Bildkultur in den Blick, die als kontrastive Elemente fungieren, über die sich die Bilder der Kunst allererst bestimmen lassen: nämlich im Differenzverhältnis zu diversen visuellen Erscheinungsformen der Massenmedienkultur. Die hier entwickelte Analyseperspektive erweitert Boehms Konzept der ikonischen Differenz im Hinblick auf ein »Kontrastverhältnis«, das insbesondere in den Visualisierungsformen der massenmedialen Bildkultur gesucht wird und nicht allein gegenstandsimmanent, also nicht allein LQ GHU ªLPPDQHQWHQ 2UGQXQJ XQG 5HÀH[LYLWlW GHU %LOGHU©48 zu verorten ist. Die folgende Untersuchung befasst sich dementsprechend mit der Frage »ästhetischer Differenzen«49 zwischen massenmedialen Bildern der allgemeinen visuellen Kultur

45 Vgl. Buchteil Ausstellungen – ein interdisziplinäres Forschungsfeld: Kapitel Bildwissenschaftliche Ansätze: zur »ikonischen Differenz« und zum Status des »Abbilds«. Wie bereits in diesem Kapitel erwähnt, konstatiert Boehm: »Was uns als Bild begegnet, beruht auf einem einzigen Grundkontrast, dem zwischen einer überschaubaren Gesamtfläche und allem was sie an Binnenereignissen einschließt.« (Boehm 1994: »Die Wiederkehr der Bilder«, S. 29 f). 46 Vgl. auch im Buchteil I Bildgeschichten: Kapitel Der modernistische Kunstbegriff und die Documenta 11. Boehms modernistischer Kunst- und Bildbegriff gründet nicht zuletzt in seinen frühen Schriften, in denen er sich beinahe ausschließlich auf Bildbeispiele der abstrakten Kunst der Klassischen Moderne bezieht. So etwa entwickelt er seine Gedanken zur »Hermeneutik des Bildes« anhand von Paul Cézanne, Hans Arp, Piet Mondrian: vgl. Boehm 1978: »Zu einer Hermeneutik des Bildes«. Diese Positionen wurden auch auf der ersten Documenta gezeigt (Arp, Mondrian): vgl. Buchteil I Bildgeschichten: Kapitel Zum Kunstbegriff der ersten Documenta-Ausstellungen (1955, 1959, 1964). Auch in seinem prominenten Beitrag, der den Begriff des Iconic Turn geprägt hat, bezieht sich Boehm ausschließlich auf Bilder der abstrakten Moderne (vgl. Boehm 1994: »Die Wiederkehr der Bilder«). Der erste Analyseteil der Arbeit I Bildgeschichten konnte bereits verdeutlichen, dass sich das Motiv des »Gründervaters Cézanne« als Ausgangspunkt der Moderne sowohl bei Boehm als auch bei Haftmann, respektive Greenberg und Baar, wiederfinden lässt – bei Boehm vor allem auch, um dem Iconic Turn einen historischen Ort zuzuweisen, vgl. auch Boehm 1994: »Die Wiederkehr der Bilder«, Ausst.Kat. (1999) Cézanne und die Moderne, sowie Boehm 1988: Paul Cézanne. Montagne Sainte-Victoire. 47 Vgl. Boehm 1994: »Die Wiederkehr der Bilder«, S. 29 f. 48 Boehm 2007: »Iconic Turn. Ein Brief«, S. 30. 49 Vgl. zu diesem Thema die Anmerkungen Boehms in: Boehm 2007: »Iconic Turn. Ein Brief«, S. 32.

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und Bildern der Kunst. Zugleich kommt hier der bereits thematisierte Widerstand des Objekts ins Spiel.50 Innerhalb der Einzelwerkanalysen werden einerseits historisch gewachsene Visualisierungsformen aus diversen Bereichen der Massenmedienkultur zum Thema gemacht: so etwa eine als idealtypisch postulierte Visualisierung von Skulpturen LQQHUKDOEGHU.XQVWUHSURGX]LHUHQGHQ)RWRJUD¿H &DQGLGD+|IHU DEHUDXFKW\SLsche Repräsentationsstrategien innerhalb Menschen typologisierender Bildkompendien (Fiona Tan) ebenso wie Darstellungskonventionen des Hollywood-Kinos (EijaLiisa Ahtila). Gleichermaßen knüpfen die Analysen an eine zentrale Fragestellung bildwissenschaftlicher Forschung an: Sie fragen nach dem ikonischen Anteil in Prozessen der Wissens- und Erkenntnisbildung. Hier rückt das Bild als Wissen konstituierende und erkenntnisstiftende Instanz jenseits der Sprache in den Blick. Wie bereits im einführenden Buchteil zur Theorie und Methode dieser Untersuchung dargelegt51, geht die vorliegende Auseinandersetzung jedoch keineswegs davon aus, dass sprachOLFKEHJULIÀLFKH$QWHLOHLP5DKPHQHUNHQQWQLVXQGDXFKZLVVHQVELOGHQGHU3UR]HVVH keine Rolle spielen. Sie folgt aber hier der Perspektive Boehms: Logos, das heißt die Sinnstiftung, ist im Sinne Boehms nicht allein an die Sprache gebunden, sondern schließt Formen bildlicher Repräsentation gleichermaßen ein. Mit diesem AnalyseIRNXV ¿QGHW GLH 8QWHUVXFKXQJ LKUHQ ELOGZLVVHQVFKDIWOLFKHQ +RUL]RQW LQ HLQHU KHUmeneutischen Perspektive, die vor allem der Baseler Kunsthistoriker geprägt hat52. Meine Auseinandersetzung rückt Werke in den Mittelpunkt, die die bildlichen Anteile DQ:LVVHQVRUGQXQJHQGHUPDVVHQPHGLDOHQ%LOGNXOWXUUHÀHNWLHUHQ'LH.XQVWZHUNH haben folglich das Potential, Erkenntnis über die Repräsentationsstrukturen von Bildern, nicht zuletzt in den Massenmedien, zu stiften.53

50 Vgl. im ersten Buchteil Ausstellungen – ein interdisziplinäres Forschungsfeld: Kapitel Fluchtlinien: zum Widerstand des Objekts. 51 Vgl. im ersten Buchteil Ausstellungen – ein interdisziplinäres Forschungsfeld: Kapitel Im Zwischenraum: das Bild als Diskurs – das Bild als Objekt. 52 Vgl. im ersten Buchteil Ausstellungen – ein interdisziplinäres Forschungsfeld die folgenden Kapitel: Bildwissenschaftliche Ansätze: zur »ikonischen Differenz« und zum Status des »Abbilds« und Im Zwischenraum: das Bild als Diskurs – das Bild als Objekt. 53 »Wissen« bezeichnet folglich eine kulturell gesättigte Form der Erkenntnis, insofern es bereits kulturelle Akzeptanz und Verbreitung gefunden hat. Es ist in den Archiven der Kultur niedergelegt (bspw. in Enzyklopädien, Bibliotheken, Museen, Datenbanken etc.). Diese Überlegung schließt an Foucault an. Er beschreibt »Wissen«, wie er es auch in seiner Archäologie des Wissens darlegt, folgendermaßen: »Zwischen der Meinung und der wissenschaftlichen Erkenntnis lässt sich die Existenz eines besonderen Niveaus erkennen, das ich als das des Wissens zu bezeichnen vorschlage [Hervorhebung, K.H.]. Dieses Wissen verkörpert sich nicht nur in den theoretischen Texten oder den Instrumenten der Experimente, sondern in einem umfassenden Ensemble von Praktiken und Institutionen [Hervorhebung, K.H.]: Es [das Wissen, Anmerkung, K.H.] ist gleichwohl nicht schlicht und einfach deren Resultat und halbbewusster Ausdruck; es beinhaltet nämlich Regeln, die ihm zu Eigen [sic!] sind und so seine Existenz, sein Funktionieren und seine Geschichte charakterisieren; einige von diesen Regeln sind nur für einen einzigen Bereich da, andere sind mehreren Bereichen gemeinsam; es kann weitere geben, die für eine Epoche allgemeinverbindlich sind; letztlich bringen die Entwicklung dieses Wissens und seine Transformationen komplexe Kausalitätsbeziehungen ins

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

Visuelle Dispositive

Mit der beschriebenen Analyseperspektive rücken die dispositiven Aspekte von massenmedialen Visualisierungsformen in den Blick: Denn Bilder werden in der folgenden Untersuchung als Bestandteile von Wissensordnungen begriffen, die in wirkmächtige gesellschaftliche Strukturen eingebunden sind. In Anlehnung an Foucault gehe ich davon aus, dass sich Wissen innerhalb heterogener Ensembles – Institutionen, Medien, Praktiken, visuelle und sprachliche Diskurse, Architekturen etc. – formiert. Wissen kann folglich auch auf visuellen Formen gründen.54 Viele der auf der Documenta ausgestellten Werke greifen die dispositiven Anteile ELOGOLFKHU5HSUlVHQWDWLRQHQDXILQGHPVLHUHÀHNWLHUHQGDVVHVNHLQHªXQVFKXOGLgen« Bilder, keine »reinen« Bildformen gibt. Den Aspekt der gesellschaftlichen Eingebundenheit von Bildern hebt Mitchell hervor, wenn er sich mit Boehm über seinen Bildbegriff austauscht.55 Man könnte festhalten, dass er weniger Bilder, als vielmehr Visualitäten im Blick hat, insofern unter diesem Begriff Wahrnehmungsanordnungen – jenseits einer essentialistischen Objektzentrierung – zu verstehen sind. Bilder sind in Mitchells Perspektive stets eingebunden in kulturelle und gesellschaftliche Prozesse, die es zu berücksichtigen gilt. Viele der Exponate GHU HOIWHQ 'RFXPHQWD UHÀHNWLHUHQ ZLH VLFK LQ JHVHOOVFKDIWOLFKHQ XQG NXOWXUHOlen Prozessen wirkmächtige Bildformen ausprägen können: Sie bringen visuelle Dispositive ]XU 5HÀH[LRQ .XU] YLVXHOOH 'LVSRVLWLYH ZHUGHQ KLHU DOV :LVVHQV ordnungen verstanden, die sich vor allem visuell – über bildliche Repräsentationen – ausprägen. Jedoch geht die folgende Analyse nicht davon aus, dass ein Dispositiv allein und exklusiv über Visualisierungsformen beschrieben werden kann. Ein Dispositiv konstituiert sich innerhalb eines »heterogenen Ensembles«, das sowohl visuelle als auch sprachliche Diskurse ebenso wie Praxen, Institutionen, Medien etc. einschließt. Innerhalb meiner Untersuchung wird der Blick jedoch verstärkt auf visuelle Aspekte gerichtet. Die Auseinandersetzung mit den jeweils unterschiedlichen historischen Diskursfeldern (um 1900, 1920 und 1970) innerhalb der Werkanalysen zu Höfer, Tan und Ahtila beschäftigt sich aber auch mit den sprachlichen Anteilen (Publikationen, Aufsätze, einschlägige Debatten etc.) sowie mit der kulturellen Praxis (akademische Vorlesungen, Lichtbildvorträge, Kino etc.) von dispositiven Wahrnehmungsanordnungen. Hier vermittelt sich das Wechselverhältnis zwischen sprachlichen und bildlichen Diskursen, aber auch im Hinblick auf kulturelle Praktiken. Spiel.« (Foucault 1969: »Titel und Arbeiten«, S. 1071). Die Werke der Documenta – so die These – stiften Erkenntnis über die Wissen konstituierende Funktion von Bildern in den Massenmedien. 54 Vgl. hierzu im Buchteil Ausstellungen – ein interdisziplinäres Forschungsfeld, meine Ausführungen zu Foucault im Kapitel Ausstellungen als Ordnungen des Wissens. 55 Vgl. Mitchell 2007: »Pictorial Turn. Eine Antwort«, darüber hinaus: Mitchell 2008: Bildtheorie. Vgl. hierzu auch im Buchteil Ausstellungen – ein interdisziplinäres Forschungsfeld das Kapitel Im Zwischenraum: das Bild als Diskurs – das Bild als Objekt. Tom Holert hat einen ähnlichen Bildbegriff wie Mitchell im Blick: Holert 2000: »Bildfähigkeiten. Visuelle Kultur, Repräsentationskritik und Politik der Sichtbarkeit«.

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Es lässt sich festhalten, dass sich visuelle Dispositive über gesellschaftlich breitenwirksame Bildpraxen und nicht zuletzt auch über die zugrunde liegenden Medientechniken konstituieren: so etwa im Kino, Fernsehen, Internet, in Bildarchiven und in Ausstellungen. Die in ihnen integrierten Visualisierungsformen wirken durch Reproduktion, massenmediale Wiederholung und Zirkulation dominierend und standardisierend auf eine Gesellschaft. Aufgrund dieser massenmedialen Präsenz können die visuellen Darstellungsformen als enorm wirkmächtig gelten. Sie sind von medientechnischen Entwicklungen ebenso wie von kulturellen Deutungen abhängig. Diese Deutungen werden in Diskursen – sprachlichen wie bildlichen – und innerhalb der kulturellen Praxis realisiert. In einem visuellen Dispositiv können sich dementsprechend auch bildlich basierte Wissensordnungen ausbilden: so etwa die Differenz von »Kunstbild und Abbild«, von »Dokumentation und Fiktion«, von »Individuum und Typus«, von »Original und Reproduktion«, von »Subjektivität und Objektivität«, von »Männlichkeit und Weiblichkeit«, von »Eigenheit und Fremdheit«, oder aber auch von »Gesundheit und Krankheit«. Die Werke der folgenden Analyse rücken derartige wirkmächtige Wahrnehmungsanordnungen in den Blick. An die obigen Überlegungen anschließend, können die folgenden Untersuchungen zu den Foto-, Film- und Videoinstallationen von Höfer, Tan und Ahtila zeigen, dass massenmediale Bilder in ein komplexes Wechselverhältnis von kulturellen Praktiken, Sprache und Visualisierungsformen eingebunden sind ebenso wie von vielfältigen Medientechniken geprägt sind. Die Analyse geht folglich nicht von einem medientechnischen A Priori aus, das beispielsweise Kittler in seinem eher technikdeterministischen Ansatz mit dem Diktum »Medien bestimmen unsere Lage«56 zugrunde gelegt hatte und mit dieser Perspektive zugleich »die Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften«57 postulierte. Vielmehr steht hier die Bedeutungsproduktion von visuellen Formationen im Rahmen kultureller Praktiken im Mittelpunkt der Betrachtung und die damit zusammenhängende Konstitution von Wissensordnungen.

ZUR AUSWAHL DER WERKE UND ZUM VORGEHEN

Höfer knüpft mit ihrer Fotoinstallation zur berühmten Rodin-Plastik Die Bürger von Calais an Darstellungskonventionen des kunsthistorischen Diskurses im BeUHLFKGHU6NXOSWXUHQIRWRJUD¿HDQ=XJOHLFKNDQQLKUH$UEHLWDQ'HEDWWHQDQVFKOLHßen, die bereits um 1900 geführt wurden. Sie referiert auf einen Diskurs über die 56 Kittler 1986: Grammophon, Film, Typewriter, S. 3. 57 Kittler 1980: Die Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften. Zu einer theoretischen Auseinandersetzung mit technikdeterministischen Positionen gegenüber eher die kulturelle Praxis fokussierenden Ansätzen in den Medienwissenschaften: vgl. Winkler 1999: »Die prekäre Rolle der Technik«. Winkler rückt in seinem Artikel das zirkuläre Wechselverhältnis zwischen Technik und sozialen/gesellschaftlichen/kulturellen Praxen in den Blick. Zur kritischen Auseinandersetzung mit eher technikdeterministischen Positionen am Beispiel von Bolz und Kittler vgl.: Winkler 2003: »Flogging a Dead Horse?«.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

 HSUlVHQWDWLRQVTXDOLWlW IRWRJUD¿VFKHU %LOGPHGLHQ GHU YRQ 5RGLQ VHOEVW ± ZHQQ5 gleich höchst ambivalent – und auch innerhalb der kunsthistorischen Praxis ebenso wie in den Naturwissenschaften geführt wurde. Fiona Tan beschäftigt sich innerhalb ihrer Filminstallation mit Darstellungsformen der Neuen Sachlichkeit, die insbesondere in den 1920er Jahren eine zentrale Rolle innerhalb der Massenmedienkultur spielten. Zugleich knüpft die Künstlerin an bildarchivarische Praxen an, in denen es um die Typologisierung von Menschenbildern geht. Darüber hinaus öffnet sie mit ihrer – an August Sanders Bilderatlas angelehnten – Repräsentationsstrategie den Blick für Mediendiskurse der Weimarer Republik. Ahtila hingegen baut mit ihrer Videoinstallation Bezüge zum Mainstreamkino der 1990er Jahre auf und kann zugleich an kritische Auseinandersetzungen mit dem traditionellen Hollywoodkino anschließen, die schon in den 1970er Jahren geführt wurden. Mit der Auswahl dieser Werke kommen einerseits drei unterschiedliche Medienformate in den Blick (Foto, Film, Video): Die Installationen decken folglich HLQ EUHLWHV 6SHNWUXP DQ XQWHUVFKLHGOLFKHQ 5HSUlVHQWDWLRQVIRUPHQ IRWRJUD¿VFKHU Bildmedien ab, die auf der Documenta 11 zu sehen waren. Andererseits können die Werke mit je unterschiedlichen Diskursen der europäischen Kultur-, Bild- und Mediengeschichte innerhalb des 20. Jahrhunderts in Bezug gesetzt werden. HierGXUFKOlVVWVLFKHLQ3DQRUDPD]XU5HÀH[LRQPDVVHQPHGLDOHU%LOGNXOWXUHQLP)HOG der Kunst entfalten. Das thematische Spektrum kann die These untermauern, dass die Werke der elften Documenta sich in ein Differenzverhältnis zu den vielfältigen Repräsentationsstrukturen der Massenmedien setzen. Der bild- und medienwissenschaftliche Zugriff auf die drei Werke rückt eine alternative Lesart der Arbeiten der Documenta 11 ins Zentrum der Betrachtung. Sie liegt zwar nicht komplett jenseits der postkolonialen Kritik, aber der Fokus verschiebt sich: Durch die Vieldeutigkeit, die Polyvalenz der Werke, kommt ihre Eigensinnigkeit zum Tragen, da sie nicht lediglich auf einen Diskurs festgeVFKULHEHQZHUGHQ=ZDULVWLKUH'HXWXQJQLFKWXQHQGOLFKÀH[LEHODEHUGHQQRFK eröffnen die künstlerischen Arbeiten mehrdeutige Zugänge. Die Objekte bilden einen Widerstand gegenüber totalisierenden Diskursen. »Geschlecht« als wissenschaftskritische Perspektive

Die Auswahl der Künstlerinnen knüpft außerdem an eine Debatte an, die zwar innerhalb der postkolonialen Auseinandersetzung nicht notwendigerweise ausgeschlossen ist, aber in der Rezeption der Ausstellung und auch in den einführenden Texten zur Documenta wenig Berücksichtigung fand: gemeint ist ein kritischer Geschlechterdiskurs. Wenngleich sich die Einführungstexte im Documenta-Katalog diesem Aspekt nicht explizit widmen, so fand er doch seiQHQUHÀHNWLHUWHQ1LHGHUVFKODJLQGHUEHVFKULHEHQHQ$XVVWHOOXQJVNRQ]HSWLRQXQG GHU RIIHQVLFKWOLFK VHKU EHZXVVW LQV]HQLHUWHQ 6]HQRJUD¿H GHU .XQVWSRVLWLRQHQ58. 58 Vgl. den Buchteil II Bildanordnungen und hier insbesondere das Kapitel Zum Verhältnis der Geschlechter: Darboven und die Frauen der Documenta 11.

FOTO-, FILM- UND VIDEOINSTALLATIONEN AUF DER DOCUMENTA 11

Mit der Auswahl von Höfer, Tan und Ahtila führt diese Arbeit einen kritischen Geschlechterdiskurs fort. Die Auswahl der Forschungsgegenstände stellt folglich auch eine bewusste und praktische Auseinandersetzung mit den »Politiken der Repräsentation« dar. Sie schließt zugleich die Arbeit an der Öffnung eines traditionell männlich orientierten Kanons ein.59 Darüber hinaus basiert die hier anvisierte ForVFKXQJVSHUVSHNWLYH DXI GHU$QQDKPH GDVV HV IU GLH (UDUEHLWXQJ HLQHU UHÀHNtierten Forschungsposition unabdingbar ist, die Kategorie des Geschlechts60 als ein zentrales Moment der Auseinandersetzung im Blick zu haben. Es geht mir jedoch nicht um die Dekonstruktion meines Forschungsgegenstands, also um GLH'HNRQVWUXNWLRQGHU:HUNH]XJXQVWHQDOOHLQJHQGHUVSH]L¿VFKHU)UDJHVWHOOXQgen, sondern um das geschärfte Bewusstsein im Hinblick auf die Auswahl von Forschungsfeldern und Gegenständen. Dieses Bewusstsein impliziert zugleich eine wissenschaftskritische Haltung vor dem Hintergrund historisch etablierter, sozialer und gesellschaftlicher Machtkonstellationen, die in hohem Maße auch das Geschlechterverhältnis betreffen61 – und auch im Wissenschaftsdiskurs ihren 1LHGHUVFKODJ¿QGHQ9RUDOOHPDEHUVWHOOWGLHNULWLVFKH5HÀH[LRQZHVWOLFKHXURpäischer Wissensordnungen und Repräsentationsstrukturen in den Werken der drei Frauen einen integralen Bestandteil ihrer künstlerischen Auseinandersetzung dar. Mit ihren Werken knüpfen sie auf sehr eigenständige Weise an die kritische Debatte der Documenta 11 über die »Politiken der Repräsentation« an, die sich QLFKW ]XOHW]W LQQHUKDOE PDVVHQPHGLDOHU 'DUVWHOOXQJVIRUPHQ GLH DXI IRWRJUD¿schen Bildmedien basieren, manifestieren. Zum Vorgehen

In den folgenden drei Werkanalysen werde ich jeweils vor Beginn der Untersuchung GHQVSH]L¿VFKHQ$XIEDXGHU,QVWDOODWLRQHQHEHQVRZLHGLHMHZHLOLJH,QV]HQLHUXQJ des Exponats im Ausstellungsraum beschreiben: etwa die Anzahl der Bilder, RäuPH3URMHNWLRQVÀlFKHQ=XVDPPHQVWHOOXQJGHU(LQ]HOELOGHUHWF,QQHUKDOEGLHVHU 59 Zur hier angesprochenen strukturellen Marginalisierung von Frauen in der Kunst und Kunstgeschichte vgl. den folgenden Artikel, der eine Entwicklungsgeschichte der feministischen Kunstgeschichte und ihren kritischen Impetus nachzuzeichnen versucht: Halbertsma 1995: »Feministische Kunstgeschichte«. 60 Geschlecht verstehe ich in diesem Zusammenhang als historisch-soziale (»Gender«) und nicht als biologische Größe (»Sex«). »Geschlecht« ist insofern als eine dynamische Kategorie zu verstehen, die geschlechtsspezifische Zuschreibungen als sozial-historische Bedingung versteht und nicht als essentialistische und damit fixierte Kategorie, vgl. hierzu auch: Parker/Pollock 1981: »Critical Stereotypes: The ›Essential Feminine‹ or How Essential Is Feminity?«. 61 Zu einer differenzierten Auseinandersetzung hierzu, vgl. Pollock 2000: »Vision, Voice and Power: Feminist Art Histories and Marxism«. Pollock plädiert hier vor dem Hintergrund einer materialistisch-marxistischen Perspektive auf die Kunstgeschichtsschreibung für die kritische Reflexion des Geschlechterverhältnisses: Zwar sei die Kulturproduktion durch kapitalistische Verhältnisse geprägt, aber zugleich gelte es, die darin implementierten patriarchalen und sexistischen Aspekte differenziert in den Blick zu nehmen.

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Einführungen in das Werk kommen für die Untersuchung relevante historische Aspekte, aber auch Sachinformationen zu den Medienformaten, zu Größen und zum Material der jeweiligen Installation zur Sprache, ebenso wie die Quellen des Untersuchungs- und Abbildungsmaterials. Da die Arbeiten von Höfer und Ahtila eher komplexere Werkstrukturen aufweisen als die Installation von Tan, nehmen die Einführungen zu den Exponaten der beiden erst genannten Frauen mehr Raum ein. Nach der Beschäftigung mit dem Aufbau der Installationen folgt jeweils die Analyse eines Bereichs der massenmedialen Bildkultur, der in engem Zusammenhang mit dem jeweiligen Werk steht. Das Differenzverhältnis ]ZLVFKHQ VSH]L¿schen massenmedialisierten Darstellungskonventionen und den visuellen Inszenierungen der Werke steht hier im Mittelpunkt der Betrachtung. Die Gegenüberstellungen können sichtbar machen, wie sich die einzelnen Werke einerseits von den massenmedialen Darstellungsmodi unterscheiden, andererseits aber auch %H]JH]XLKQHQDXIEDXHQ'LHEHUGLH:HUNHLQLWLLHUWH5HÀH[LRQPDVVHQPHGLDler Bildkulturen steht hier im Mittelpunkt. Die ungleiche Länge der Analysekapitel ist der unterschiedlichen Forschungslage zum jeweiligen Thema und der ungleichen Aufarbeitung des jeweiligen Materialbestands, das für meine Untersuchung wichtig war, geschuldet. Beispielsweise existiert bis dato keine Untersuchung zu den Darstellungskonventionen von Rodins Bürgern von CalaisLQQHUKDOEGHU6NXOSWXUHQIRWRJUD¿HGLHIUPHLQH$XVHLQDQGHUVHW]XQJ PLW +|IHUV IRWRJUD¿VFKHU$UEHLW YRQ ]HQWUDOHU %HGHXWXQJ ZDU Im Hinblick auf die Analyse von Tans Installation spielte die Auseinandersetzung mit August Sander eine zentrale Rolle. Im Gegensatz zum vielfältigen, eher unerforschten Bildrepertoire der Bürger von Calais, ist der Bildbestand von August 6DQGHUV IRWRJUD¿VFKHP$WODV XQG GLH PLW LKP YHUEXQGHQHQ 'LVNXUVH LQQHUKDOE der Medienkultur der 1920er Jahre durch die Forschung und Publikationen des August Sander Archivs in Köln vergleichsweise gut aufgearbeitet. Darüber hinaus ist das Bildkompendium des Fotografen auch in zahlreichen weiteren Aufsätzen YLHOIlOWLJUHÀHNWLHUWZRUGHQ)UPHLQH%HVFKlIWLJXQJPLW$KWLODV,QVWDOODWLRQZDU die Auseinandersetzung mit den Darstellungskonventionen des klassischen Hollywoodkinos und mit den Wahrnehmungsanordnungen des Dispositivs Kino von großer Bedeutung. Der Diskurs um das Dispositiv Kino war bereits Gegenstand YHUVFKLHGHQHU ¿OPZLVVHQVFKDIWOLFKHU )RUVFKXQJHQ DXI GLH LFK ]XUFNJUHLIHQ konnte: unter anderem David Bordwells Auseinandersetzung mit dem Hollywoodkino wird innerhalb meiner Analyse eine zentrale Rolle spielen. Der dritte Teil der Untersuchung widmet sich dezidiert einzelnen historischen Diskursfeldern, an die die Werke anknüpfen können. Hier kommen kultur-, bildund medienhistorische Auseinandersetzungen zur Sprache, die in engem ZusamPHQKDQJPLWGHQ0HGLHQUHÀH[LRQHQVWHKHQGLHLQQHUKDOEGHU:HUNH7KHPDVLQG Anhand dieser historischen Debatten kann deutlich werden, dass visuelle Dispositive als komplexes Wechselspiel von bildlichen und sprachlichen Diskursen sowie jeweiliger kultureller Praxen zu verstehen sind. Die Arbeiten von Höfer, Tan und

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$KWLOD UHÀHNWLHUHQ ]ZDU YHUVWlUNW GLH YLVXHOOHQ $QWHLOH GLVSRVLWLYHU 6WUXNWXUHQ innerhalb massenmedialer Bildkulturen. Die Wirkmächtigkeit der Bilder kommt aber auch durch die Berücksichtigung einzelner, zentraler historischer Diskursfelder zur Geltung. Die Macht und Bedeutung der Bilder schlüsselt sich in einem vielschichtigen Netz aus Visualisierungsformen, sprachlichen Diskursen und kulturellen Praktiken auf. Die Werke bringen genau diese heterogenen Ensembles vor DOOHPDXIGHUELOGOLFKHQ(EHQH]XU5HÀH[LRQ

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Candida Höfer: Die Bürger von Calais (2000/2001)

ZUM WERK: AUFBAU DER FOTOINSTALLATION UND GESCHICHTE DER SKULPTUR

Auf den ersten Blick könnte die künstlerische Arbeit von Candida Höfer beinahe banal erscheinen: In einem rechteckigen, länglichen Raum der Binding Brauerei waren elf JUR‰IRUPDWLJH)RWRJUD¿HQ]XVHKHQGHUHQ0LQGHVWPD‰LQ+|KHXQG%UHLWHFP EHWUXJ>$EE$EE'@,QXQWHUVFKLHGOLFKHQ$QVLFKWHQXQGUlXPOLFKHQ.RQWH[WHQ ]HLJWHQVLHGLHEHUKPWHHUVWPDOVLQ&DODLV|IIHQWOLFKHQWKOOWH3ODVWLN August Rodins mit dem Titel Die Bürger von Calais. Zunächst erinnert das hier in einer ÜberVLFKWGDUJHVWHOOWH%LOGNRQYROXW>$EE@GHULQ.|OQOHEHQGHQ.QVWOHULQDQ)RWRJUD¿HQYRQSODVWLVFKHQ:HUNHQGLHPDQWUDGLWLRQHOOHUZHLVHLQNXQVWKLVWRULVFKHQ%LOGElQGHQYRU¿QGHW%HLJHQDXHU%HWUDFKWXQJXQWHUVFKHLGHQVLFK+|IHUV$XIQDKPHQMHGRFK GXUFK)RUPDWXQGELOGOLFKH,QV]HQLHUXQJYRQGLHVHQ$EELOGXQJHQXQGYHUDQODVVHQ]X HLQHUHLQJHKHQGHQ5HÀH[LRQEHUGLH'DUVWHOOXQJGHU6NXOSWXULQQHUKDOEGLHVHUIRWRJUD¿VFKHQ$UEHLW'DV0RGHOOIUGLHEHUKPWHGLHNODVVL]LVWLVFKHQ+DUPRQLHUHJHOQ EHUZLQGHQGH6NXOSWXUKDWWHGHU3DULVHU%LOGKDXHU$XJXVWH5RGLQEHUHLWV fertig 1 Im Folgenden verwende ich die Begriffe Plastik und Skulptur äquivalent. Beide Bezeichnungen stehen dementsprechend generalisierend für dreidimensionale Objekte, obwohl den Begriffen historisch eine Unterscheidung zugrunde lag. Sie hat sich mit der Entwicklung unterschiedlicher Techniken jedoch allmählich aufgelöst. Grohé konstatiert im Hinblick darauf: »Seit der technischen Literatur der ausgehenden Renaissance wird zwischen Skulptur und Plastik unterschieden. Skulptur bezeichnet ein Verfahren, das auf dem Wegnehmen von (hartem) Material beruht, Plastik ein Verfahren des Hinzufügens von (weichem) Material. Mit der Einbeziehung neuer Materialien und der experimentellen Entwicklung und allmählichen Anerkennung neuer Techniken wird diese Differenzierung für die Gattung in ihrer Allgemeinheit obsolet [...].« (vgl. Grohé 1999: Paragone um 1900, S. 7). 2 Zumindest wurde die fertige Gipsgruppe im Juni 1889 erstmals öffentlich in der Galerie Georges Petit in Paris ausgestellt. Nach Schmoll-Eisenwerth musste Rodin 1886 die Lösung der endgültigen

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

Abb. 25: Candida Höfer: Bürger von Calais, 2000/2001. Übersicht der auf der Documenta 11 präsentierten Fotografien. Die Abbildungen zeigen folgende Standorte der Skulptur Die Bürger von Calais (1895) von Auguste Rodin: Calais (II), London, Calais (III), Paris, Basel, Rom, Kopenhagen, Mariemont, Philadelphia, New York, Seoul (von links nach rechts u. von oben nach unten)

CANDIDA HÖFER: DIE BÜRGER VON CALAIS

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Komposition allerdings schon weitgehend geklärt haben (vgl. Schmoll-Eisenwerth 1997: »Auguste Rodin: Die Bürger von Calais«, S. 38–39). Vgl. Schmoll-Eisenwerth 1997: »Auguste Rodin: Die Bürger von Calais«, S. 32. In dieser Kritik an den unreflektierten Vorraussetzungen eines eigentlich traditionell gedachten Avantgardebegriffs, unter dem auch das Werk Rodins häufig subsumiert wird, begründet sich auch der Titel ihres Buches: Die Originalität der Avantgarde und andere Mythen der Moderne. Im Titel deutet sich bereits Krauss’ Auseinandersetzung mit Roland Barthes an, wie bereits im Abschlusskapitel des ersten Analyseteils erwähnt (I Bildgeschichten: Kapitel Epilog: Zur Konstruktion von Kunstbegriff und Kunstgeschichte): Auch der französische Kulturkritiker hatte sich mit der »Naturalisierung der bürgerlichen Kultur« beschäftigt. Diese stelle eine Identitätskonstruktion dar, die sich vor allem darüber bestimme, so Barthes’ These, dass Kultur zur Natur stilisiert und damit unhinterfragbar werde. Eine Disposition, die der Autor insbesondere auch im Mythos erkennt. Zu Krauss’ Auseinandersetzung mit Rodin vgl. Krauss 1981: »Die Originalität der Avantgarde«, sowie dies. 1982: »Mit freundlichen Grüßen«; zur Skulptur der Moderne, auch im Hinblick auf Rodin: dies. 1977: Passages in Modern Sculpture; darüber hinaus: Ausst.Kat. (1986) Qu’est-ce que la Sculpture Moderne?. An dieser Stelle sei Candida Höfer gedankt, die mir freundlicherweise die elf auf der Documenta ausgestellten Fotografien in digitaler Form zum Abdruck zur Verfügung gestellt hat. Vgl. Ausst.Kat. (2001) Candida Höfer. Zwölf – Twelve. Vgl. Ausst.Kat. (2001) Candida Höfer. Zwölf – Twelve.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

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Die Aufnahmen der Skulptur in Rom, die eigentlich aber vor dem Rathaus in Calais platziert ist, entstanden während eines Restaurierungsaufenthalts auf dem Gelände der Villa Medici im Jahr 2001 (vgl. Ausst.Kat. (2001) Candida Höfer. Zwölf – Twelve, S. 81 und S. 83). 9 Für eine detaillierte Beschreibung der historischen Umstände vgl. Schmoll-Eisenwerth 1997: »Auguste Rodin: Die Bürger von Calais«, insbesondere das Kapitel I Das historische Ereignis – Calais 1347 (S. 17–19). 10 Nach der Chroniques de France von etwa 1360–1365 des Jean Froissart, Schriftsteller und Historiograf aus der Picardie (geb. um 1337, gest. nach 1404): vgl. Schmoll-Eisenwerth 1997: »Auguste Rodin: Die Bürger von Calais«, S. 17. 11 Nicht allein Rodin hatte sich mit der historischen Begebenheit künstlerisch auseinandergesetzt. Dieses Thema baut auf einer bereits historisch gewachsenen ikonografischen Tradition auf, der sich Schmoll-Eisenwerth in seinem Beitrag zu den Bürgern von Calais eingehend widmet (vgl. Schmoll-Eisenwerth 1997: »Auguste Rodin: Die Bürger von Calais«, S. 19 ff). 12 Vgl. Schmoll-Eisenwerth 1997: »Auguste Rodin: Die Bürger von Calais«, S. 32, aber auch die kartografische Beschreibung bei Judrin/Laurent/Viéville 1977: Auguste Rodin, S. 120 f.

CANDIDA HÖFER: DIE BÜRGER VON CALAIS

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*DQ]LP*HJHQVDW]]XGHQ3UlPLVVHQGHU'RFXPHQWD$XVVWHOOXQJHQGHUHUXQG HU-DKUHGLHLPHUVWHQ$QDO\VHWHLOGHV%XFKHVEHVFKULHEHQZXUGHQOHJWGLH$UEHLWYRQ+|IHUHLQNULWLVFKHV$XJHQPHUNDXIGLH8QWHUVFKHLGXQJYRQ5HSURGXNWLRQ XQG 2ULJLQDO XQG GDPLW DXI GLH .RQVWLWXWLRQ HLQHU NRKlUHQWHQ DOVR HLQKHLWOLFKHQ HLQGHXWLJ DEJUHQ]EDUHQ :HUNNDWHJRULH 'LHVH 8QWHUVFKHLGXQJ LVW QLFKW ]XOHW]W PLW GHP %HLVSLHO 5RGLQ VHLW GHP  -DKUKXQGHUW QLFKW PHKU H[NOXVLY DQ HLQ RULJLQDOHV PDWHULHOO HLQ]LJDUWLJHV 2EMHNW JHEXQGHQ 'DV ]HLJHQ QLFKW QXU GLH YLHOIDFKHQ 5HSURGXNWLRQHQGHU3ODVWLNHQGHVIUDQ]|VLVFKHQ%LOGKDXHUV$XFKGLHIRWRJUD¿VFKHQ 5HSURGXNWLRQHQ HEHQVR ZLH GLH9DULDQ] GHU )RUPDWH XQG GLH GLVSDUDWH 6RUWLHUXQJ GHU )RWRJUD¿HQ YRQ +|IHUV Bürgern von Calais PDFKHQ GLHV GHXWOLFK ± EHWUDFKWHW PDQEHLVSLHOVZHLVHGLHXQWHUVFKLHGOLFKHQ%LOGHQVHPEOHVGLHLQGHQMHZHLOLJHQ$XVVWHOOXQJHQXQG.DWDORJHQSUlVHQWLHUWZHUGHQ6RHWZDIKUWGHU$XVVWHOOXQJVNDWDORJ GHU'RFXPHQWD)RWRJUD¿HQDXIZREHLLQGHU$XVVWHOOXQJVHOEVWOHGLJOLFKHOI YRQ GHQ  JHQDQQWHQ JH]HLJW ZXUGHQ ,Q GHU .DVVHOHU$XVVWHOOXQJVLQV]HQLHUXQJ IHKOWHQGLHLQGHU:HUNOLVWHGHV'RFXPHQWD.DWDORJVDQJHJHEHQHQ$XIQDKPHQYRQ 7RN\RXQG:DVKLQJWRQ'DUEHUKLQDXVYDULLHUHQGLH)RUPDWH]ZLVFKHQGHQXQWHU JOHLFKHP:HUNWLWHODXIJHIKUWHQ%LOGHUQYHUJOHLFKWPDQGLH$QJDEHQLP.DWDORJ]XU 'RFXPHQWDPLWGHQ$QJDEHQGHVHLQVFKOlJLJHQ.DWDORJV]XU)RWRDUEHLWXQG$XVstellung von Höfers Bürgern von Calais'HQ$QJDEHQGHV'RFXPHQWD.DWDORJV ]XIROJH ZXUGHQ DXI GHU .DVVHOHU$XVVWHOOXQJ OHGLJOLFK VHFKV$XIQDKPHQ JH]HLJW GLHPLWGHQ)RUPDWDQJDEHQGHV:HUNNDWDORJVLGHQWLVFKZDUHQ MHQHYRQ&DODLV,,,, .RSHQKDJHQ0DULHPRQW3DULV%DVHOXQG6HRXO 'LHUHVWOLFKHQVLHEHQVWHOOWHPDQ DXIGHUHOIWHQ'RFXPHQWDHQWZHGHULQDEZHLFKHQGHP)RUPDW &DODLV,,, London, 5RP  LQ HLQHU ]XPLQGHVW LP :HUNNDWDORJ QLFKW SXEOL]LHUWHQ$QVLFKW 1HZ YJO$EE@,Q+|IHUV )RWRLQVWDOODWLRQJHKWHVYLHOPHKUXPGLH$XVHLQDQGHUVHW]XQJPLWGHP2ULJLQDOLWlWVSRVWXODWYRUGHP+LQWHUJUXQGGLYHUVHU5HSURGXNWLRQVWHFKQLNHQ'LHVHU'LVNXUVXP 2ULJLQDO XQG 5HSURGXNWLRQ YHUELQGHW VLFK QLFKW DOOHLQ PLW GHU .XQVW GHU 0RGHUQH ± ZDV DP %HLVSLHO 5RGLQV GHXWOLFK ZLUG ± VRQGHUQ LQVEHVRQGHUH DXFK PLW GHP 0HGLXPGHU)RWRJUD¿H1XUHLQH6NL]]HGHUXQWHUVFKLHGOLFKHQ%HJULIIHGLH.UDXVV IUGLYHUVH5HSURGXNWLRQVYHUIDKUHQDQIKUWYHUGHXWOLFKWGLHXQEHVWUHLWEDUH5HOHYDQ] GLHVHV9HUIDKUHQVIUGDV6\VWHPGHU.XQVW:RQlPOLFKEH¿QGHWVLFKGDV2ULJLQDO ]ZLVFKHQ'XSOLNDWHQ(GLWLRQHQ2ULJLQDO(GLWLRQHQ.RSLHQ$EJVVHQ0XOWLSOHV 9HUYLHOIlOWLJXQJHQ$EJVVHQ YRQ$EJVVHQ" 8QG ZHOFKHQ 6WDWXV KDW HLQ 0RGHOO ± DOV %HGLQJXQJ GHU 0|JOLFKNHLW HLQHV$EJXVVHV ± RGHU GDV 1HJDWLY GLH GLJLWDOH 21 Rosalind Krauss hatte in ihrem provozierenden, aber sehr hellsichtigen Beitrag zur von Albert Elsen kuratierten Ausstellung Rodin Rediscovered, die in der National Gallery of Art in Washington 1981/1982 stattfand (vgl. Ausst.Kat. (1981) Rodin Rediscovered), deutlich gemacht, dass das kuratorische Konzept Einblicke in die Arbeitsbedingungen des berühmten Bildhauers, in die Produktionsbedingungen des Ateliers, die Funktion des Salons und auch in die fotografische Verbreitung des Werkes gebe. Doch auch diese Ausstellung, so konstatiert sie, liefere trotz ihrer scharfsinnigen Munition, die die Mythen der künstlerischen Moderne hätte dekonstruieren können, keine grundlegende Reflexion über den Topos der Originalität oder über das Künstlersubjekt. Beide Begriffe beruhen, so Krauss, auf der Einheitlichkeit bzw. Kohärenz eines Werkes, die jedoch gerade am Beispiel der künstlerischen Praxis von Rodin zur Disposition stehe (vgl. Krauss 1982: »Mit freundlichen Grüßen«, insbesondere S. 244). 22 Krauss 1982: »Mit freundlichen Grüßen«, S. 230. 23 Vgl. Krauss 1981: »Die Originalität der Avantgarde«, S. 201. 24 Vgl. Krauss 1981: »Die Originalität der Avantgarde«.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

'DWHL±DOV%HGLQJXQJGHU0|JOLFKNHLWHLQHV)RWRDE]XJVRGHU)RWRDXVGUXFNV±YRQ dem doch das womöglich nur vermeintliche Original erstellt wird? *HQDXGLHVH%HGLQJXQJHQGHU0|JOLFKNHLWHLQHVª.XQVWZHUNVLP=HLWDOWHUVHLQHU WHFKQLVFKHQ 5HSURGX]LHUEDUNHLW© GLH DXFK EHL +|IHU ]XP 7KHPD ZHUGHQ VWHOOHQ GLH.XQVWJHVFKLFKWHELVLQGLH*HJHQZDUWYRUGLH+HUDXVIRUGHUXQJHLQHUNRPSOH[HQ 0HWKRGRORJLHYRUGLH+HUDXVIRUGHUXQJHLQHU5HÀH[LRQLKUHUKLVWRULVFKHQ9RUDXVVHW]XQJHQ'LHYHUlQGHUWHQWHFKQLVFKHQXQGNXOWXUHOOHQ%HGLQJXQJHQYHUODQJHQQDFK HLQHP KRKHQ WKHRUHWLVFKHQ 5HÀH[LRQVSRWHQWLDOXP GLH (UVFKHLQXQJHQ GHU *HJHQZDUWVNXOWXU ± RKQH ]X JUREH .RPSOH[LWlWVUHGXNWLRQHQ ± LQ GHQ %OLFN QHKPHQ ]X N|QQHQ .UDXVV NRQVWDWLHUWH YRU GLHVHP +LQWHUJUXQG GHQ IDFKZLVVHQVFKDIWOLFKHQ 'LVNXUV KHUDXVIRUGHUQG ª'DV DEHU VLQG %HGLQJXQJHQ GLH IU GHQ .XQVWKLVWRULNHU lX‰HUVWEHXQUXKLJHQGVLQGGHQQHUNDQQVLFKHLQH6LWXDWLRQLUUHGX]LEOHU3OXUDOLWlW± HLQ0XOWLSOHRKQH2ULJLQDO±QLFKWYRUVWHOOHQ© Höfers Bildanordnung im Ausstellungsraum

+|IHUVIRWRJUD¿VFKH$UEHLWVHW]WDXIHLQHQVSH]L¿VFKHQ0RGXVELOGOLFKHU(UNHQQWQLV auf das vergleichende Sehen 6RZRKO GHU :HUNNDWDORJ DOV DXFK GLH$XVVWHOOXQJV LQV]HQLHUXQJDXIGHUHOIWHQ'RFXPHQWDIKUHQGLHVHQ$VSHNWHLQSUlJVDPYRU$XJHQ 'LH%LOGDQRUGQXQJLQEHLGHQ0HGLHQ±$XVVWHOOXQJXQG.DWDORJ±VFKDOWHWKlX¿J ]ZHL%LOGHUSDUDOOHORGHUDEHUOHJWGHQ9HUJOHLFKEHUGLH(ULQQHUXQJGHVEHUHLWV*HVHKHQHQQDKH'DVYHUELQGHQGH0RPHQWELOGHWGDEHLGDVVNXOSWXUDOH2EMHNWGDVVLFK ]XPLQGHVWLQGHQPHLVWHQ%LOGHUQRIIHQVLFKWOLFKYRP8PUDXPE]ZYRP%LOGJUXQG DEKHEW XQG GDGXUFK HLQ YHUJOHLFKEDUHV (OHPHQW ]ZLVFKHQ GHQ )RWRJUD¿HQ VFKDIIW In eben diesem vergleichenden Blick liegt offensichtlich ein erkenntnisstiftendes 0RPHQWGDVVQLFKWDOOHLQVSUDFKOLFK]X¿[LHUHQLVWXQGLP)ROJHQGHQJHQDXHUEHtrachtet werden soll. $UJXPHQWLHUWPDQHQWODQJGHUV]HQRJUD¿VFKHQ$QRUGQXQJGHU%LOGHULQQHUKDOE GHV$XVVWHOOXQJVUDXPVGHU'RFXPHQWDGDQQLVWDXIIlOOLJGDVVPLWGHP(LQWULWWLQ GHQDOV(LQ]HOSDU]HOOHDQJHOHJWHQDUFKLWHNWRQLVFKHQ5DXPGHUPLWVHLQHUVFKOLFKWHQ NODUHQ*HVWDOWXQJGHQNODVVLVFKHQ9RUJDEHQGHVWhite CubeIROJW]ZHLGRPLQDQWH Blickachsen entstehen, die aus den beiden Zugangsmöglichkeiten resultieren: Tritt PDQEHUGHQ'XUFKJDQJGHU6HLWHGHV$XVVWHOOXQJVUDXPHVHLQGHUDQGHQJUR‰HQ OlQJOLFKHQ )OXU GHU %LQGLQJ%UDXHUHL JUHQ]W >$EE '@ GDQQ VW|‰W GHU %OLFN GHU %HWUDFKWHUYHUPXWOLFK]XHUVWDXIGLHJHJHQEHUOLHJHQGH:DQG>$EE@ZHLOGLHVH LQ/DXIULFKWXQJOLHJWXQGNHLQH:HQGXQJGHU.|USHURGHUDXFK%OLFNDFKVHHUIRUGHUW'LHVH%OLFNULFKWXQJZLUGDXFKGDGXUFKXQWHUVWW]WGDVVHLQH'XUFKVLFKWYRP )OXULQGHQ5DXPRKQH:HLWHUHVP|JOLFKLVWGDNHLQHDUFKLWHNWRQLVFKHQ+LQGHUQLVVH GLHGLUHNWH6LFKWLQ+|IHUV$XVVWHOOXQJVSDU]HOOHHLQVFKUlQNHQ)ROJWPDQGHU$XIQDKPH GHV$XVVWHOOXQJVV]HQDULRV >$EE @ GDQQ ELHWHW GLH 6WLUQVHLWH GHV 5DXPHV ]ZHL$XIQDKPHQGHU5RGLQVNXOSWXUDQGLHLQ$XJHQK|KHH[DNWSDUDOOHOQHEHQHLQDQGHUDQJHRUGQHWVLQG6LH]HLJHQGLH6NXOSWXUHLQHUVHLWVLPMetropolitan Museum of 25 Krauss 1982: »Mit freundlichen Grüßen«, S. 237.

CANDIDA HÖFER: DIE BÜRGER VON CALAIS

Abb. 26

Abb. 27

Abb. 28

Abb. 29

Abb. 26: Candida Höfer: Die Bürger von Calais, 2000/2001, Ausstellungsansicht in der Binding Brauerei: Stirnseite des Ausstellungsraums Abb. 27: Candida Höfer: Die Bürger von Calais, 2000/2001, Ausstellungsansicht in der Binding Brauerei: Längsseite des Ausstellungsraums Abb. 28: Candida Höfer, The Metropolitan Museum of Art New York III 2000, C-Print, 152 x 152 cm Abb. 29: Candida Höfer: Rodin Museum Philadelphia IV 2000, C-Print, 152 x 152 cm

ArtLQ1HZ$EE@DQGHUHUVHLWVLPRodin Museum in 3KLODGHOSKLDDXIGHUUHFKWHQ6HLWH>$EE@%HWULWWPDQKLQJHJHQGHQ5DXPYRQ GHU /lQJVVHLWH GLH DQ GLH$XVVWHOOXQJVVHNWLRQ YRQ$OODQ 6HNXOD DQVFKOLH‰W >$EE $EE'@WULIIWGHU%OLFNXQPLWWHOEDUDXIHLQH$EELOGXQJGLHLQGHUNY Carlsberg GlyptotekLQ.RSHQKDJHQHQWVWDQGHQLVW>$EE@ 26 Die Größenangaben bzw. Seitenverhältnisse, der hier abgebildeten Fotografien von Höfers Werk Die Bürger von Calais variieren zum Teil minimal gegenüber den Größenangaben bzw. Seitenverhältnissen, die im Werkverzeichnis des Katalogs zur Documenta 11 verzeichnet sind

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

An der beschriebenen Bildanordnung im Ausstellungsraum ist auffallend, dass PLW GHU =XZHLVXQJ GLHVHU H[SRQLHUWHQ 3OlW]H GUHL $XIQDKPHQ LQV =HQWUXP GHU %HWUDFKWXQJ UFNHQ GLH MHZHLOV YHUKlOWQLVPl‰LJ WUDGLWLRQHOOH ,QQHQDQVLFKWHQ HLQHU PXVHDOHQ,QV]HQLHUXQJ]HLJHQ'HQQDXIGHQHUVWHQ%OLFNHUVFKHLQWGDV%LOGPRWLY XQG DXFK GHU %LOGDXVVFKQLWW GHU )RWRJUD¿HQ UHODWLY NRQYHQWLRQHOO VLHKW PDQ YRP )RUPDWGHU%LOGHUDE>$EE$EE$EE@GLH$EELOGXQJHQHULQQHUQDQ$XVVWHOOXQJVDXIQDKPHQ DXV .XQVW]HLWVFKULIWHQ RGHU NXQVWKLVWRULVFKHQ 3XEOLNDWLRQHQ .DWDORJH)DFKEFKHUHWF 6LH]HLJHQNHLQHLPWUDGLWLRQHOOHQ6LQQHVXEMHNWLYLHUHQGHQ$QWHLOHZLHHWZD8QVFKlUIHQRGHUDXFKXQJHZ|KQOLFKH%HWUDFKWHUVWDQGSXQNWH ZLHVWHLOH$XIRGHU8QWHUVLFKWHQ1LFKWVLUULWLHUW]XQlFKVWGHQ%OLFN'LH$XVVWHOOXQJVLQV]HQLHUXQJ GHU 'RFXPHQWD NRQIURQWLHUW GHQ %HVXFKHU DQ GLHVHU 6WHOOH PLW HLQHP]LHPOLFKNRQYHQWLRQHOOHQ%LOGYRNDEXODU'LHYRQ+|IHUDEJHOLFKWHWHQUHFKW XQVSHNWDNXOlUHQ6NXOSWXUHQDQVLFKWHQLQGHQGUHL0XVHHQVLQGLQGHQ+DXSWDFKVHQ der räumlichen Blickführung angebracht. Bei genauer vergleichender Betrachtung GHV JHVDPWHQ DXVJHVWHOOWHQ WHLOLJHQ %LOGNRQYROXWV ZLUG GLHVHV ]XQlFKVW VHKU VFKOLFKWHUVFKHLQHQGH%LOGYRNDEXODUMHGRFKVXEYHUVLYDXIJHEURFKHQ'HQQVRRIIHQVLFKWOLFKZLHVLFKGLHGUHL3ODVWLNHQLQGHQGUHLJHQDQQWHQ$EELOGXQJHQDOVª)LJXUHQ YRU HLQHP *UXQG© SUlVHQWLHUHQ WUHWHQ VLH NHLQHVZHJV LQ DOOHQ %LOGHUQ LQ (UVFKHLQXQJ6RHWZDYHUDQODVVWGHU9HUJOHLFK]ZLVFKHQGHUDQ]HQWUDOHU6WHOOHSUlVHQWLHUWHQ $XIQDKPHDXV.RSHQKDJHQ>$EEXQG$EE@PLWMHQHULP$XVVWHOOXQJVUDXP GLUHNWOLQNVPRQWLHUWHQ)RWRJUD¿HDXV3DULV>$EE@]XHLQHUEHLQDKHVXFKHQGHQ %HWUDFKWXQJ QDFK GHP ]HQWUDOHQ 0RWLY GHV %LOGHV %LOGHW GLH )RWRJUD¿H DXV GHU *O\SWRWKHNLQ.RSHQKDJHQGLH6NXOSWXUQRFKLQLKUHP)LJXU*UXQG9HUKlOWQLVHLQGHXWLJHUNHQQEDUDEVRVW|‰WGHU%OLFNLQGHU]ZHLWHQ$XIQDKPHDXIHLQH%DUULHUH

(vgl. Ausst.Kat. (2002) Documenta 11_Platform 5: Ausstellungsorte: Liste der ausgestellten Werke: Candida Höfer). Die Angaben aus dem Documenta-Katalog beziehen sich immer auf die Bilder mit Rahmung (vgl. auch das Werkverzeichnis im Anhang). Innerhalb dieses Buches wurden jedoch die von Candida Höfer freundlicherweise zur Verfügung gestellten Bilder (ohne Rahmung) verwendet. Die hier in den Bildunterschriften verzeichneten Größenangaben beziehen sich allerdings auf die Informationen aus dem genannten Documenta-Katalog von 2002: Daher kommt es zu leichten Varianzen im Hinblick auf die Seitenverhältnisse zwischen den hier abgedruckten Abbildungen und den Größenangaben in den Bildunterschriften. 27 Mit diesen formalen Aspekten assoziiert man in der kunsthistorischen, aber auch künstlerischen Auseinandersetzung traditionell einen subjektivierenden Blick: So etwa verband man mit dem sogenannten Piktorialismus, der sich durch starke Unschärfestrukturen auszeichnete, eine subjektive Ausdrucksqualität des fotografischen Bildes (vgl. beispielsweise die Beiträge von Peter Henry Emerson und Edward Steichen in: Kemp 1999: Theorie der Fotografie 1839–1912). Rodin, der die Fotografie sehr kritisch betrachtete (vgl. Rodin 1911: Die Kunst von Auguste Rodin, S. 73) – obwohl er sie selbst maßgeblich für seine künstlerische Produktion nutzte – schätzte Steichens Fotografien aufgrund ihrer subjektiven, fotografischen Ausdrucksqualität, die er an den Unschärfestrukturen der Aufnahmen festmachte. Auch in aktuellen kunsthistorischen Auseinandersetzungen folgt man häufig dieser Lesart: vgl. beispielsweise Dobbe 2007: »Wie man Skulpturen aufnehmen soll«, S. 58 ff. Unschärfe – das ist für den hier anvisierten Argumentationsrahmen wichtig – kann jedoch, je nach historischem Kontext, ganz unterschiedlich kodiert sein und stellt keine ontologisch gegebene subjektive Bildqualität dar (vgl. hierzu auch: Hoffmann 2007: »Unschärfe«).

CANDIDA HÖFER: DIE BÜRGER VON CALAIS

Abb. 31

Abb. 30 Abb. 30: Candida Höfer: Ny Carlsberg Glyptotek Copenhagen I 2000, C-Print, 207 x 152 cm Abb. 31: Candida Höfer: Musée Rodin Paris I 2000, C-Print, 152 x 152 cm

(UVW EHL JHQDXHUHP +LQVFKDXHQ LVW GDV )LJXUHQHQVHPEOH KLQWHU GHU DQ GHU Rue de VarenneJHOHJHQHQ0DXHUGHVLQ3DULVDQVlVVLJHQMusée Rodin erkennbar. *DQ]lKQOLFKYHUKlOWHVVLFKPLWGHP'XRGDVVDXIGHUUHFKWHQ/lQJVVHLWHGHV 5DXPHVDQJHEUDFKWLVW>$EE@KLHUWUHWHQHLQH$XIQDKPHDXVGHURodin Galerie LQ6HRXO>$EE@XQGHLQH$EELOGXQJYRQGHP*DUWHQGHV3DUODPHQWVJHElXGHVLQ /RQGRQ>$EE@LQHLQHQGLUHNWHQ'LDORJ,VWLQGHUPXVHDOHQ,QQHQDQVLFKWGLHLQ 6HRXOHQWVWDQGGLHFKDUDNWHULVWLVFKH)RUPXQJGHU3ODVWLNQLFKW]XEHUVHKHQ±KHEW VLHVLFKGRFKEHLQDKHZLHHLQ6FKDWWHQULVVYRQLKUHPKHOOHQ8PUDXPDE±VRELOGHW GLH$X‰HQDXIQDKPHLP*DUWHQYRQWestminsterLQ/RQGRQHLQNRQWUDVWLYHV3HQGDQW +LHUO|VWVLFKGLH6NXOSWXUEHLQDKHELV]XU8QNHQQWOLFKNHLWLP%LOGJUXQGDXI6LHWULWW DOOHLQEHUGLHYHUJOHLFKHQGH$QVLFKWDOV±JDQ]XQGJDUVLQQELOGOLFKHV±]HQWUDOHV 0RWLYLQGHQ%OLFNGHQQWDWVlFKOLFKEH¿QGHWVLHVLFKLP=HQWUXPGHUÀXFKWSXQNWSHUVSHNWLYLVFKHQ5DXPRUJDQLVDWLRQDP(QGHGHV3DUNJHOlQGHVGLUHNWYRUGHPGRPLQDQWHQQHXJRWLVFKHQ3DUODPHQWVJHElXGH-HGRFKZLUGVLHHEHQQLFKWSULPlUGXUFK ihre ausgewiesene, markante Figuration, folglich als Figur vor einem Grund sichtbar, VRQGHUQJHUDGHXQG]XDOOHUHUVWGHVZHJHQZHLOLPYHUJOHLFKHQGHQ%OLFNLKUH3UlVHQ] LQ(UVFKHLQXQJWULWW'LH6NXOSWXUNRPPWIROJOLFKHUVWLPEHZXVVWHQ9ROO]XJHLQHV UHÀHNWLHUHQGHQYHUJOHLFKHQGHQ6HKHQV]XU$QVFKDXXQJ :HQQJOHLFKGLHEHLGHQ$XIQDKPHQDXV&DODLVQLFKWXQPLWWHOEDUQHEHQHLQDQGHU DQJHRUGQHWVLQGVRIRUGHUQDXFKVLHHLQHQ%LOGYHUJOHLFKKHUDXV'LHJUR‰IRUPDWLJH $XIQDKPHGHV)LJXUHQHQVHPEOHVYRUGHP5DWKDXVLQ&DODLV &DODLV,,, >$EE@

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

Abb. 32

Abb. 33

Abb. 32: Candida Höfer: Rodin Gallery Seoul I 2001, C-Print, 152 x 152 cm Abb. 33: Candida Höfer: Gardens of the House of Parliament London II 2000, C-Print, 152 x 160 cm

EH¿QGHWVLFKDQOHW]WHU3RVLWLRQDXIGHUOLQNHQ6HLWHGHV5DXPHV>$EE@ZRKLQ JHJHQGDV|UWOLFKH3HQGDQW &DODLV,, DXIGHUDQGHUHQ6HLWHGHUOlQJOLFKHQ5DXPDFKVHGLUHNWLQGHU1lKHGHV5DXP]XJDQJVGHUDP)OXUGHU%LQGLQJ%UDXHUHLOLHJW SUlVHQWLHUW ZLUG >$EE @ %HLGH %LOGHU YHUELQGHW HLQ ]XQlFKVW QLFKW VHKU DXJHQ IlOOLJHU $VSHNW GHU DEHU EHL LQWHQVLYHUHU %HWUDFKWXQJ GHU )RWRJUD¿HQ LQV $XJH VSULQJW'LHPDUNDQWH%DFNVWHLQIDVVDGHGHV5DWKDXVHVYRQ&DODLVLQLKUHUURVWURWHQ )lUEXQJWULWWLQGHU)RWRJUD¿HGLHGDV*HElXGHYROOVWlQGLJ]HLJWPDUNDQWLQV%LOG >$EE@XQGWDXFKWHUQHXWLQGHU$XIQDKPHGLHGDV)LJXUHQHQVHPEOHJUR‰IRUPDWLJ DEELOGHWDPOLQNHQ%LOGUDQGDXI>$EE@$XFKGLHJUQH5DVHQÀlFKHYRQGHUGLH 6NXOSWXUXPJHEHQLVWYHUELQGHWGLHEHLGHQ%LOGHUPLWHLQDQGHU 0LWGHP%OLFNDXIGLH$EELOGXQJLPKLQWHUHQ7HLOGHV5DXPHV>$EE@ZLUGGHU %HWUDFKWHU±EHLLQWHQVLYHU%HWUDFKWXQJGHV%LOGHQVHPEOHV±DXIGLHLPYRUGHUHQ7HLO GHV5DXPHVEH¿QGOLFKH)RWRJUD¿H]XUFNJHZRUIHQ'HQQGHU]XQlFKVWXQVFKHLQEDUH %LOGSDUWLNHO ± HLQ 7HLO GHU URWHQ 5DWKDXVIDVVDGH ± GHU OHGLJOLFK DOV )UDJPHQW DP OLQNHQ5DQGGHV%LOGHV]XVHKHQLVWYHUZHLVWDXIGLHPlFKWLJH)RUPJHVWDOWGHV5DWhauses, die das Bild im vorderen Bereich des Ausstellungsraumes dominiert [Abb. @+LHUJHZLQQWGLH6NXOSWXUYRUGHP5DWKDXVGLHEHLÀFKWLJHU%HWUDFKWXQJEHLQDKH LQ GHU )DVVDGH GHV *HElXGHV XQWHUJHKW HUVW GXUFK GHQ YHUJOHLFKHQGHQ %OLFN LKUH %HGHXWVDPNHLW ,Q GHU (LQ]HOEHWUDFKWXQJ GHU )RWRJUD¿H GRPLQLHUW YRU DOOHP GLH)RUPJHVWDOWGHV*HElXGHVVDPWVHLQHULPSRVDQWHQ)DVVDGHGLH%LOGÀlFKH'DV )LJXUHQHQVHPEOHYRQ5RGLQLVWGHPHQWVSUHFKHQGGHUJUR‰HQ%LOGHLQKHLWª5DWKDXV© XQWHUJHRUGQHW'DVUHODWLRQDOH9HUKlOWQLVGDVGXUFKGLH$XVZDKOGHUEHLGHQ%LOGHU EHWRQWZLUGXQGGHQYHUJOHLFKHQGHQ%OLFNKHUDXVIRUGHUWOlVVWHUVWGDVYLVXHOOH'LVSRVLWLYGHUIRWRJUD¿VFKHQ'DUVWHOOXQJLQ(UVFKHLQXQJWUHWHQ'HXWOLFKZLUGQlPOLFK GDVVGLH)RWRJUD¿HQLFKWYRUDXVVHW]XQJVORVHLQHREMHNWLYH'DUVWHOOXQJGHV2EMHNWHV KHUYRUEULQJW9LHOPHKUNRPPWKLHUGLH6LFKWEDUNHLWXQG:DKUQHKPXQJGHV2EMHNWHVDOV5HVXOWDWGHUEHZXVVWHQWHFKQLVFKIRWRJUD¿VFKHQ%LOGRUJDQLVDWLRQDEHUDXFK

CANDIDA HÖFER: DIE BÜRGER VON CALAIS

Abb. 34

Abb. 35

Abb. 34: Candida Höfer: Place de l’Hôtel de Ville Calais III 2000, C-Print, 152 x 152 cm Abb. 35: Candida Höfer: Place de l’Hôtel de Ville Calais II 2000, C-Print, 152 x 160 cm

DOV(UJHEQLVHLQHUJHQDXHQ%HREDFKWXQJGHU%LOGHUGXUFKHLQ%HWUDFKWHUVXEMHNWLQ GHQ%OLFN(UVWLQGHUYHUJOHLFKHQGHQ%HWUDFKWXQJWULWWGDVUHODWLRQDOH9HUKlOWQLVYRQ )LJXUXQG*UXQG2EMHNWXQG8PUDXPPDUNDQWLQ(UVFKHLQXQJ+LHUZLUGGLH%LOGOLFKNHLWGLHPHGLDOH(UVFKHLQXQJGHUIRWRJUD¿VFKHQ$XIQDKPHUHÀHNWLHUW 0HLQH$XVIKUXQJHQ YHUGHXWOLFKHQ GDVV GLH ,QV]HQLHUXQJ GHV YHUJOHLFKHQGHQ %OLFNVEHL+|IHUHLQHWUDJHQGH5ROOHVSLHOW'LHVZLUGGDUDQGHXWOLFKZLHVRZRKOLP .RQWH[WGHUHOIWHQ'RFXPHQWDDOVDXFKLQQHUKDOEGHV:HUNNDWDORJVGLH)RWRJUD¿HQ LQYHUJOHLFKEDUH)RUPDWJU|‰HQJHEUDFKWZHUGHQ,QQHUKDOEGHU.DVVHOHU$XVVWHOOXQJ IlOOWGLH3UlVHQWDWLRQGHUPHLVWHQ%LOGHULQHLQHP5DKPHQIRUPDWYRQ[FP DXI'HU9HUJOHLFKGHUHLQ]HOQHQ)RWRJUD¿HQZLUGKLHUIROJOLFKQLFKWOHGLJOLFKEHU GDV%LOGPRWLYVRQGHUQDXFKEHUGLHZHLWJHKHQGLGHQWLVFKH*U|‰HGHU%LOGHUPLW Rahmen nahe gelegt. *DQ]lKQOLFKYHUKlOWHVVLFKEHLGHQ$EELOGXQJHQGHU)RWRJUD¿HQLQQHUKDOEGHV :HUNNDWDORJV+LHUULFKWHQVLFKGLH%LOGIRUPDWHJDQ]RIIHQVLFKWOLFKQDFKGHU*U|‰H GHU3XEOLNDWLRQ%HPHUNHQVZHUWLVWGDVVKLHU]XP7HLOHLQH9HUlQGHUXQJGHV%LOGIRUPDWVYRUJHQRPPHQZLUGGDVUHODWLRQDOH*U|‰HQYHUKlOWQLVGHU(LQ]HOELOGHUZLUG ]XJXQVWHQGHU9HUJOHLFKEDUNHLWDXIJHKREHQ%HVRQGHUVDXJHQIlOOLJHUVFKHLQWGLHVEHL GHQEHLGHQ]XOHW]WEHVSURFKHQHQ$EELOGXQJHQ>$EEXQG$EE@=ZDUVLQGGLH )RWRJUD¿HQLQGHU/LVWHDP(QGHGHV:HUNNDWDORJVPLWHUKHEOLFKHQ*U|‰HQXQWHUVFKLHden aufgeführtGLHVHZHUGHQLQGHU.DWDORJYHUVLRQMHGRFKZHLWJHKHQGDXIJHKREHQ 'HP6HLWHQIRUPDWGHV:HUNNDWDORJHVDQJHSDVVWSUlVHQWLHUWPDQGLHEHLGHQ)RWRJUD¿HQLQYHUJOHLFKEDUHU*U|‰H'HU.DWDORJ]HLJWVLHHQWJHJHQGHU)RUPDWDQJDEHQLQ

28 Calais III [Abb. 34], die Abbildung, die das Figurenensemble beinahe Bild füllend zeigt, wird mit einem Format von 152 x 152 cm aufgeführt. Calais II [Abb. 35], die Abbildung, die das Rathaus komplett zeigt, wird mit einem Format von 85 x 99,8 cm aufgeführt (vgl. Ausst.Kat. (2001) Candida Höfer. Zwölf – Twelve, S. 85).

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

GHU:HUNOLVWHLQEHLQDKHLGHQWLVFKHU+|KH$XFKLQQHUKDOEGHU.DVVHOHU$XVVWHOOXQJYRQLVWGLH+|KHGHU%LOGUDKPHQ±ELVDXIGLH$XIQDKPHYRQ.RSHQKDJHQ>$EE@±DXIFPIHVWJHOHJW'DVIRWRJUD¿VFKH*HVDPWZHUNYRQ+|IHUV Bürgern von CalaisGDVZLUGDQGHU*HJHQEHUVWHOOXQJYRQ.DWDORJXQG$XVVWHOlungsensemble deutlich, manifestiert sich folglich nicht notwendigerweise in einer HLQGHXWLJ¿[LHUWHQ0DWHULDOLWlW=XJOHLFKLVWDXFKGDV%LOGNRQ]HSWQLFKWPHKUDQGLH XQDXÀ|VEDUH (LQKHLW YRQ PDWHULHOOHP %LOGWUlJHU XQG YLVXHOOHP (UVFKHLQXQJVELOG JHEXQGHQZDVYRUDOOHPQRFKLQQHUKDOEGHUHUVWHQGUHL'RFXPHQWD$XVVWHOOXQJHQ GXUFKGLHSULPlUH*DWWXQJV¿[LHUXQJDXIGLH0DOHUHLGHU)DOOZDU

ZUR REFLEXION MASSENMEDIALER BILDKULTUREN: DIE BÜRGER VON CALAIS IN DER KUNSTHISTORISCHEN SKULPTURENFOTOGRAFIE

(LQH NULWLVFKH 'XUFKVLFKW YRQ HLQVFKOlJLJHQ$XVVWHOOXQJV XQG %HVWDQGVNDWDORJHQ VRZLH NXQVWKLVWRULVFKHQ 0RQRJUD¿HQ GLH VLFK PLW 5RGLQV:HUN EHVFKlIWLJHQ XQG LQQHUKDOEGHV-DKUKXQGHUWVSXEOL]LHUWZXUGHQ]HLJWGDVVGLHSODVWLVFKHQ:HUNH GHVIUDQ]|VLVFKHQ%LOGKDXHUVKlX¿JVHKUJOHLFKI|UPLJDEJHELOGHWZXUGHQ8PGLHVHV ZHQLJYDULDQWHQUHLFKH%LOGUHSHUWRLUHHLQHV%HUHLFKVGHUPDVVHQPHGLDOHQ%LOGNXOWXU ±KLHUGHU.XQVWUHSURGX]LHUHQGHQ)RWRJUD¿HDP%HLVSLHOGHU6NXOSWXUHQIRWRJUD¿H ±VROOHVLP)ROJHQGHQJHKHQ'HQQGLH)RWRJUD¿HQYRQ+|IHUVFKHLQHQGLH%LOGJHVFKLFKWH GHU 6NXOSWXUHQIRWRJUD¿H GHU Bürger von Calais LQ DXIIlOOLJHU:HLVH ]X HUJlQ]HQ]XUHÀHNWLHUHQXQGELVZHLOHQDXFKNULWLVFK]XNRQWHUNDULHUHQ:LHEHUHLWV dargelegt, treten Höfers Bilder durch die in und zwischen LKQHQ DQJHOHJWHQ ,QV]HQLHUXQJVVWUDWHJLHQLQHLQHQNULWLVFKHQ'LDORJPLWHLQDQGHU]XJOHLFKDEHUQHKPHQVLH DXFK%H]XJDXIGLHVHVVSH]L¿VFKH±]XPLQGHVWLP5DKPHQGHU$XVVWHOOXQJXQVLFKWEDUH±5HSHUWRLUHGHUPDVVHQPHGLDOHQ%LOGNXOWXU 'LHKLHUDEJHGUXFNWH%LOGWDIHOJLEW]XQlFKVWHLQHQhEHUEOLFNYRQIRWRJUD¿VFKHQ $EELOGXQJHQ GLH LQ GLYHUVHQ 3XEOLNDWLRQHQ YRQ  ELV ]XP -DKU  JOHLFKPl‰LJ EHU GLH -DKU]HKQWH YHUWHLOW ]X HQWGHFNHQ VLQG >$EE @ 'LH$XVZDKO GHU 3XEOLNDWLRQHQJHKW]XUFNDXIGHQ%HVWDQGGHU.|OQHUKunst- und Museumsbibliothek (V ZXUGHQ VRZRKO 9HU|IIHQWOLFKXQJHQ GLH VLFK DOOHLQ GHU 6NXOSWXU GHU Bürger von CalaisZLGPHQDOVDXFK0RQRJUD¿HQLQGHQHQGDVJHQDQQWH:HUNQHEHQ DQGHUHQ WKHPDWLVLHUW ZLUG EHUFNVLFKWLJW 'LH$XVZDKO ZXUGH DXV  XQWHU GHP 6WLFKZRUWª5RGLQ©DXIJHIKUWHQ7LWHOQGHUKunst- und Museumsbibliothek der Stadt Köln JHWURIIHQ 'DUEHU KLQDXV ZXUGHQ YHUHLQ]HOW HLQVFKOlJLJH NXQVWKLVWRULVFKH 1DFKVFKODJHZHUNH KLQ]XJH]RJHQ ± HWZD GLH Propyläen Kunstgeschichte ]XU *DWWXQJ6NXOSWXU'LH%LEOLRWKHNNDQQZHJHQLKUHVXPIDQJUHLFKHQ%HVWDQGHVDOVHLQH GHU ZLFKWLJVWHQ .XQVWELEOLRWKHNHQ LQ 'HXWVFKODQG JHOWHQ 'DKHU N|QQHQ DXFK GLH YRUZLHJHQG DXV GHQ  3XEOLNDWLRQHQ H[HPSODULVFK HQWQRPPHQHQ $EELOGXQJHQ als aussagekräftige Argumentationsgrundlage für die folgende Analyse dienen. Für 29 Vgl. Ausst.Kat. (2001) Candida Höfer. Zwölf – Twelve, S. 16 und 17.

CANDIDA HÖFER: DIE BÜRGER VON CALAIS

Gsell, Paris: 1911, 1920 ff

Bildband (ohne Autor), London: 1939, 1949

Tancock, Philadelphia: 1976

Schmoll-Eisenwerth, München: 1983

Rilke, Frankfurt a.M.: 1913, 1949, 1984 ff

Zeitler, Berlin: 1966

Jianou, Paris: 1967

Judrin/Laurent/Viéville, Paris/Calais: 1977

Bothner, Frankfurt a.M.: 1993

Masson/Mattiussi, Paris: 2004

Abb. 36: Typische fotografische Visualisierung von Rodins Skulptur Die Bürger von Calais (1895) in Monografien und kunsthistorischen Publikationen zwischen 1913 und 2004, mit Angabe der Autoren bzw. Herausgebernamen sowie Erscheinungsort und -jahr(en)

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260

III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

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%HWUDFKWHWPDQGLHYHUVFKLHGHQHQDXVJHZlKOWHQ)RWRJUD¿HQGHUEHUKPWHQ6NXOSWXUYRQ5RGLQLPhEHUEOLFN>$EE@GDQQLVWVHKUDXIIlOOLJGDVVVLFKKLHUJDQ] RIIHQVLFKWOLFK HLQH W\SLVFKH 9LVXDOLVLHUXQJVIRUP GHU 3ODVWLN KHUDXVELOGHW GLH VLFK UHODWLYYDULDQWHQDUPGXUFKGDVJHVDPWH-DKUKXQGHUW]LHKW'HQQLP+LQEOLFNDXI GLHÀlFKHQELOGOLFKH2UJDQLVDWLRQXQGDXFKLP%H]XJDXIGLH$QVLFKWGHU3ODVWLNVLQG VLFK GLH IRWRJUD¿VFKHQ 5HSURGXNWLRQHQ EHPHUNHQVZHUW lKQOLFK 'LH )RWRJUD¿HQ der Bürger von Calais]HLJHQDOOHZHLWJHKHQGeineVSH]L¿VFKH$QVLFKWGHU6NXOSWXU 'LHVH ZLUG ]XGHP PHLVWHQV DOV HLQ]LJH$QVLFKW GHV EHUKPWHQ:HUNV DEJHGUXFNW RKQHGDVVDOWHUQDWLYH'DUVWHOOXQJHQGHV2EMHNWVDXIGHUMHZHLOLJHQ6HLWHRGHUDXFK 'RSSHOVHLWH±RGHUVRJDULQGHUJHVDPWHQMHZHLOLJHQ3XEOLNDWLRQ±DEJHELOGHWZHUGHQ'LHLQGHUhEHUVLFKWJH]HLJWHKDXSWVlFKOLFKSXEOL]LHUWH$QVLFKWYLVXDOLVLHUWGDV DXVVHFKV)LJXUHQEHVWHKHQGH(QVHPEOHYRQHLQHUGHUEHLGHQOlQJOLFKHQ6HLWHQGHU sogenannten Plinthe GHU ÀDFKHQ XQG UHFKWHFNLJHQ %DVLV GHU )LJXUHQJUXSSH 'LH W\SLVFKH IRWRJUD¿VFKH'DUVWHOOXQJ]HLJWHLQHQ%OLFNDXIGLHGUHLYROOVWlQGLJVLFKW EDUHQ)LJXUHQLQYRUGHUHU5HLKHGHUHQPLWWOHUHGLHHLQ]LJHVHLWGHU(QWZLFNOXQJGHV )LJXUHQHQVHPEOHV EHWLWHOWH 3HUVRQ GDUVWHOOW (XVWDFKH GH 6DLQW3LHUUH MHQHU REHQ HUZlKQWHlOWHUH3DWUL]LHUGHUVLFKQDFKGHU&KURQLNYRQ)URLVVDUWDOVHUVWHUGHPHQJOLVFKHQ .|QLJ (GZDUG,,,DOVIUHLZLOOLJH*HLVHO]XU9HUIJXQJVWHOOWH5HFKWVYRQ LKPVWHKHQGLVWGHUHUVWH6FKOVVHOWUlJHU]XVHKHQDOV-HDQG$LUHEHQDQQWOLQNVGHU 30 Die restlichen fünf Figuren wurden erst nach Rodins Tod (1917) durch Georges Grappe, dem zweiten Direktor des 1917 gegründeten Musée Rodin, in den 1920er Jahren vollständig mit Namen betitelt (vgl. Schmoll-Eisenwerth 1997: »Auguste Rodin: Die Bürger von Calais«, S. 48). In der Literatur existieren jedoch erhebliche Differenzen in der Betitelung der restlichen Figuren: vgl. etwa Schmoll-Eisenwerth 1997: »Auguste Rodin: Die Bürger von Calais«, S. 44–45 und Bothner 1993: Auguste Rodin, S. 12.

CANDIDA HÖFER: DIE BÜRGER VON CALAIS

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

VLQGIROJOLFKLKUHSUlJHQGHQ0HUNPDOH'LHEHVFKULHEHQH)RUPOlVVWVLFKGHPHQWVSUHFKHQGDOVUHODWLYVWDELOHU5HSUlVHQWDWLRQVPRGXVLQHLQHU4XHUVFKQLWWVEHWUDFKWXQJ YRQ NXQVWKLVWRULVFKHQ 0RQRJUD¿HQ $XVVWHOOXQJV XQG %HVWDQGVNDWDORJHQ VRZLH IDFKZLVVHQVFKDIWOLFKHQ 1DFKVFKODJHZHUNHQ GLH VLFK PLW 5RGLQ EHVFKlIWLJHQ TXHU GXUFK GDV  -DKUKXQGHUW QDFKZHLVHQ 'LH VLFK ZLHGHUKROHQGH H[NOXVLYHXQGVSH]L¿VFKH$QVLFKWVRZLHGLHGLDFKURQHXQGV\QFKURQH5HGXQGDQ]GLHVHUFKDUDNWHULVWLVFKHQ'DUVWHOOXQJGHU6NXOSWXULQGLYHUVHQ9HU|IIHQWOLFKXQJHQ]X 5RGLQ]lKOHQ]XGHQPD‰JHEOLFKHQ%HGLQJXQJHQIUGLH$XVELOGXQJGHUEHVFKULHEHQHQW\SLVFKHQ9LVXDOLVLHUXQJVIRUP'DUEHUKLQDXVLVWDXIIlOOLJGDVVDXFK3RVWkarten und digitale Bildarchive als weitere Bereiche der massenmedialen BildNXOWXU DQ LKUHU =LUNXODWLRQ9HUEUHLWXQJ XQG$XVELOGXQJ PLWZLUNHQ (EHQVR OlVVW VLFK KLHU GHU EHVFKULHEHQH W\SLVFKH ± DXFK DOV ªVWHUHRW\S© ]X EH]HLFKQHQGH33 ± 5HSUlVHQWDWLRQVPRGXVQDFKZHLVHQ $XIIlOOLJLVWGDVVGLHVH%HREDFKWXQJHQ$QNQSIXQJVSXQNWHDQPHGLHQPRUSKRORJLVFKHhEHUOHJXQJHQLQQHUKDOEGHU0HGLHQZLVVHQVFKDIWHQ¿QGHQª0HGLDOH)RUPHQ© ZLH 5DLQHU /HVFKNH VWUXNWXUHOOH *OHLFKI|UPLJNHLWHQ LQQHUKDOE GHU 0DVVHQPHGLHQEH]HLFKQHWWUHWHQQlPOLFKVRGHVVHQ7KHVHLQVEHVRQGHUHGXUFK5HGXQGDQ] LQ(UVFKHLQXQJ34(LQHVLKUHUPDUNDQWHVWHQ0HUNPDOHEHVWHKHGDULQGDVVVLHªnicht originell >+HUYRUKHEXQJ .+@ VRQGHUQ VFKOLFKW JHZ|KQOLFK© VHLHQ Leschke EHVFKUHLEW GLHVH LQ GHQ 0DVVHQPHGLHQ ]X EHREDFKWHQGHQ (UVFKHLQXQJHQ GLH VLFK H[DNW PLW GHQ %HREDFKWXQJHQ ]X GHQ IRWRJUD¿VFKHQ 5HSURGXNWLRQHQ GHU 5RGLQ 3ODVWLNSDUDOOHOLVLHUHQODVVHQIROJHQGHUPD‰HQ »Gemeinsam ist diesen medialen Formen zunächst einmal, dass sie innerhalb der drei Dimensionen formaler Ästhetik, materialer Qualitäten und Zeit [...] vergleichsweise stabile Einheiten einrichten [...]. Mediale Formen und Muster sind also nichts anderes als wiedererkennbare Verhältnisse in eben diesen Dimensionen. Die Wiedererkennbarkeit der Formen setzt voraus, dass 33 Zur Stereotypenforschung in den Medienwissenschaften vgl. folgenden Aufsatz: Winkler 1993: »Stereotypen – ein neues Raster intertextueller Relationen«. Der Begriff Stereotyp (griech. stereós, »starr, fest«) stammt aus dem Druckwesen und der Pressetechnik. Er wird sowohl in der Sozialwissenschaft als auch in der Literatur- und Kulturtheorie in übertragenen meist pejorativen Bedeutungen zur Bezeichnung von stark vereinfachten, schematisierten, feststehenden und weit verbreiteten Vorstellungen einer Gruppe verwendet. Stereotype bilden sich aufgrund weniger, meist oberflächlicher Merkmale aus. In der einschlägigen Forschung geht man davon aus, dass sich Stereotype durch Konstanz und Universalität auszeichnen. Das Konzept des Stereotyps wurde durch das einflussreiche Buch Public Opinion (1922) des amerikanischen Journalisten Lippmann, welches die Rolle von in den Massenmedien konstruierten Bildern für die öffentliche Meinung behandelt, in den Diskurs der Medien-, Kultur- und Sozialwissenschaften eingeführt. Seit Lippmann gilt die Bildung von Stereotypen als eine, zumeist unbewusste, kognitive Strategie der selektiven Wahrnehmung und Komplexitätsreduktion (vgl. den Lexikoneintrag zum Begriff Stereotyp in: Metzler Lexikon. Literatur- und Kulturtheorie 2001, S. 602). 34 Vgl. Leschke 2009: »Mittelmaß und andere Größen. Überlegungen zur Struktur medialer Formen«; darüber hinaus: Leschke 2010: Medien und Formen. Eine Morphologie der Medien. 35 Vgl. Leschke 2009: »Mittelmaß und andere Größen. Überlegungen zur Struktur medialer Formen«, S. 4.

CANDIDA HÖFER: DIE BÜRGER VON CALAIS

sie sich vergleichsweise langsam bewegen, dass sie also über ziemlich lange Zeiträume konstant bleiben [...]. Diese Stabilität sichert ihre spontane Identifizierbarkeit und damit die Möglichkeit sie als Strategien der Komplexitätsreduktion einzusetzen.« 

9RU GHP +LQWHUJUXQG GLHVHU hEHUOHJXQJHQ NDQQ +|IHUV IRWRJUD¿VFKH $UEHLW DOV HLQHQDFKGHQNOLFKH$XVHLQDQGHUVHW]XQJPLWGHQ9LVXDOLVLHUXQJVIRUPHQGHUPDVVHQ PHGLDOHQ%LOGNXOWXUQLFKW]XOHW]WLP%HUHLFKGHU.XQVWUHSURGX]LHUHQGHQ)RWRJUD¿H JHOHVHQZHUGHQ,KUH)RWRLQVWDOODWLRQVWHOOWHLQHNULWLVFKH5HÀH[LRQGHVNXQVWKLVWRULVFKHQ 'LVNXUVHV LP +LQEOLFN DXI GLH 6NXOSWXUHQIRWRJUD¿H GDU 'DVV GLH ª%LOG JHVFKLFKWHGHU6NXOSWXUHQIRWRJUD¿H©DXFKLQ%H]XJDXIGLHBürger von Calais nicht VFKOLFKWREMHNWLYH'DUVWHOOXQJHQGHU3ODVWLNYHUVDPPHOWVRQGHUQGDVVHVVLFKKLHU XPHLQKRFKVWDELOHVYLVXHOOHV'LVSRVLWLYGHUPDVVHQPHGLDOHQ%LOGNXOWXUKDQGHOW ZLUGGLHIROJHQGH$QDO\VHGHUEHUHLWVLPhEHUEOLFNJH]HLJWHQIRWRJUD¿VFKHQ5HSURGXNWLRQHQ>$EE@YHUGHXWOLFKHQ :HQQ/HVFKNHNRQVWDWLHUWPHGLDOH)RUPHQVHLHQJHUDGHQLFKWRULJLQHOOVRN|QQHQ GLHVHhEHUOHJXQJHQSDVVJHQDXDQ5RVDOLQGV.UDXVV¶hEHUOHJXQJHQ]X5RGLQDQNQSIHQ'HQQVLHEHVFKUHLEWGDVVGHVVHQ5HSURGXNWLRQVYHUIDKUHQLQSODVWLVFKHQDEHUDXFK IRWRJUD¿VFKHQ%HODQJHQPD‰JHEOLFK]XUZHLWHQ9HUEUHLWXQJGHV*ODXEHQVDQHLQH± QXUYHUPHLQWOLFKH±2ULJLQDOLWlWGHU:HUNH5RGLQVEHLJHWUDJHQKDEHQ'LHVHLQVEHVRQGHUHLP'LVNXUVGHU.XQVWJHVFKLFKWHPHGLDONRQVWUXLHUWH2ULJLQDOLWlWVWHOOWVLHJHUDGH DXIJUXQGGHUYLHOIlOWLJHQ5HSURGXNWLRQVYHUIDKUHQLQIUDJHXQGNHQQ]HLFKQHWVLHDOVHLQH GHUPD‰JHEOLFKHQ0\WKHQGHU0RGHUQH37 Candida Höfer schreibt sich mit ihrer Arbeit LQ GLHVHQ SDUDGR[HQ 'LVNXUV HLQ XQG QLPPW GLH GLVSRVLWLYH 6WUXNWXU IRWRJUD¿VFKHU %LOGPHGLHQDP%HLVSLHOGHU6NXOSWXUHQIRWRJUD¿HLQGHQ%OLFN 'LH IROJHQGH GHWDLOOLHUWH $QDO\VH ZLGPHW VLFK GHP 9HUKlOWQLV YRQ +|IHUV )RWRJUD¿HQ]XGHPUHFKWYDULDQWHQDUPHQ6SHNWUXPDQ9LVXDOLVLHUXQJVIRUPHQGHU Bürger von CalaisGDVVLFKH[HPSODULVFKLQGHQREHQLPhEHUEOLFNGDUJHVWHOOWHQ 3XEOLNDWLRQHQ >$EE @ ¿QGHQ OlVVW 'LH 8QWHUVXFKXQJ LVW ± GHP DEJHELOGHWHQ hEHUEOLFNHQWVSUHFKHQG±ZHLWJHKHQGFKURQRORJLVFKDQJHOHJWEHJLQQHQGPLWHLQHU GHUHUVWHQ'DUVWHOOXQJHQGHUBürger von CalaisLQ5LONHVEHUKPWHU0RQRJUD¿H]X 5RGLQHQGHWGLH$QDO\VHPLWHLQLJHQhEHUOHJXQJHQ]X6NXOSWXUHQIRWRJUD¿HQGLHLQ GHPPRQRJUD¿VFKHQ6DPPHOEDQGYRQ0DVVRQXQG0DWWLXVVLDXVGHP-DKU]X VHKHQVLQG'DUEHUKLQDXVZHUGHQDXFK$EELOGXQJHQGHUEHUKPWHQ6NXOSWXUGHV

36 Leschke 2009: »Mittelmaß und andere Größen. Überlegungen zur Struktur medialer Formen«, S. 7. Es bleibt zu diskutieren, ob mit diesen medienmorphologischen Überlegungen nicht eine Stilgeschichte der Massenmedien zur Debatte steht. Historische Vorläufer wären ggf. in stilgeschichtlichen bzw. stilkritischen Ansätzen der Kunstgeschichte zu finden, insofern ein nicht zuletzt kunsthistorisches Methodenrepertoire (Formanalyse) auf das System der Massenmedienkultur ausgeweitet wird. Allerdings müsste es dann auch darum gehen, medientechnologische Entwicklungen zu berücksichtigen und eine kritische Perspektive auf Ursprungslogiken und teleologische Historiografien zu werfen (vgl. hierzu Leschke 2009: »Mittelmaß und andere Größen«, insbesondere S. 13). 37 Vgl. Krauss 1985: Die Originalität der Avantgarde.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

IUDQ]|VLVFKHQ %LOGKDXHUV EHVSURFKHQ GLH YRQ GHU W\SLVFKHQ 9LVXDOLVLHUXQJVIRUP DEZHLFKHQ XQG HEHQIDOOV LQ %H]XJ ]X +|IHUV IRWRJUD¿VFKHU$UEHLW JHVHW]W ZHUGHQ können. 1911, 1913 – Ausgangspunkte: Gsell und Rilke

:lUHHVQLFKWHLQHUHWURVSHNWLYH.RQVWUXNWLRQGLHDOOHLQGXUFKGHQKLVWRULVFKHQ$EVWDQGP|JOLFKLVWVRN|QQWHPDQLQGHPEHUKPWHQ*HVSUlFK]ZLVFKHQ3DXO*VHOO XQG$XJXVWH5RGLQP|JOLFKHUZHLVHGLH8UVSUXQJVV]HQHHUNHQQHQLQGHUGLHREHQ EHVFKULHEHQH W\SLVFKH 9LVXDOLVLHUXQJVIRUP GHU SURPLQHQWHQ 3ODVWLN NRQVWLWXLHUW ZXUGH'HU%LRJUDSK5RGLQV3DXO*VHOOEHVFKUHLEWQlPOLFKLQVHLQHPHUVWPDOVYHU|IIHQWOLFKWHQ%XFKHLQHEHPHUNHQVZHUWH6]HQHDOVHULQHLQHU0DSSHGHV %LOGKDXHUV]XIlOOLJHLQHIRWRJUD¿VFKH5HSURGXNWLRQGHUBürger von Calais entdeckt. $QKDQGGLHVHU$EELOGXQJ±XQGZRKOJHPHUNWQLFKWYRUGHP2ULJLQDO±HQWZLFNHOWH *VHOO ZRKO HLQHU GHU SURPLQHQWHVWHQ 9HUHKUHU GHV IUDQ]|VLVFKHQ .QVWOHUV QDFKIROJHQGVHLQH*HGDQNHQ]XGHUEHUKPWHQ3ODVWLN0LWGLHVHU%HVFKUHLEXQJJHKW HU]XJOHLFKLQGLHVSlWHUHNXQVWKLVWRULVFKH)RUVFKXQJHLQ'LHLP-DKUKXQGHUW YLHOIDFKQHXDXIJHOHJWH3XEOLNDWLRQHQWIDOWHWPLWGHP3DWKRVGHU-DKUKXQGHUWZHQGH und unter dem Zeitgeist des Fin de Siècle LQ)RUPGLDORJLVFKHU*HVSUlFKH]ZLVFKHQ $XWRU XQG .QVWOHU GLH .XQVWDXIIDVVXQJ GHV IUDQ]|VLVFKHQ %LOGKDXHUV XQG GHVVHQ LQ YLHOHQ =JHQ DQWLPRGHUQH +DOWXQJ JHJHQEHU GHU GDPDOLJHQ ]HLWJHQ|VVLVFKHQ .XOWXU 8QG REZRKO 5RGLQ NRQVWDWLHUW GHU .QVWOHU VHL ZDKU XQG GLH )RWRJUD¿H lügeHU|UWHUQGLHEHLGHQ3URWDJRQLVWHQDQKDQGHLQHUIRWRJUD¿VFKHQ5HSURGXNWLRQ GLH*HVWDOWXQG GHQ(QWVWHKXQJVSUR]HVVGHU3ODVWLNVRGDVVEHUHLWVKLHUGLHDPELYDOHQWH +DOWXQJ GHV %LOGKDXHUV JHJHQEHU GHP QHXHQ 0HGLXP GHXWOLFK ZLUG 'LH 6]HQHHUVFKHLQWV\PSWRPDWLVFKIUGLH5H]HSWLRQYRQ5RGLQVSODVWLVFKHP:HUNGD JHUDGHGDVQHXH0HGLXP)RWRJUD¿HHUKHEOLFK]XU9HUEUHLWXQJXQG%HNDQQWKHLWGHU 6NXOSWXUHQGHVIUDQ]|VLVFKHQ%LOGKDXHUVEHLJHWUDJHQKDW*HQDXKLHUVHW]WDXFKGLH $UEHLWYRQ&DQGLGD+|IHUDQGLHGXUFKGLH=XVDPPHQIKUXQJGHUEHLGHQ0HGLHQ± )RWRJUD¿HXQG6NXOSWXU±DXIGLHVHQFKDUDNWHULVWLVFKHQ:HUNDVSHNW5RGLQVYHUZHLVW +DWWHGRFKGHU%LOGKDXHUVHOEVWGLH)RWRJUD¿HKlX¿J]XU,QV]HQLHUXQJVHLQHV:HUNHV XQGLQQHUKDOEVHLQHU3URGXNWLRQVSUR]HVVHJHQXW]W 7URW]GHP GLH EHL *VHOO SXEOL]LHUWH$EELOGXQJ >$EE @ GHU REHQ EHVFKULHEHQHQFKDUDNWHULVWLVFKHQ)RUPGHU'DUVWHOOXQJHQWVSULFKWHUVFKHLQWHV]XIUK IU GDV -DKU  EHUHLWV YRQ HLQHU ªW\SLVFKHQ 9LVXDOLVLHUXQJVIRUP© ]X VSUHFKHQ GD VLFK GLHVH HUVW GXUFK GLH UHWURVSHNWLYH VLFK LP /DXIH GHU *HVFKLFKWH ZLHGHUKROHQGH 6LFKWEDUNHLW XQG HLQH GLD ZLH V\QFKURQH (UVFKHLQXQJVGLFKWH KHUDXVELOGHW (UVW GXUFK GHQ NXOWXUHOOHQ 3UR]HVV GHU:LHGHUKROXQJ$NWXDOLVLHUXQJXQG.RQWH[WXDOLVLHUXQJZLUGGLHVH'DUVWHOOXQJPLW%HGHXWXQJDQJHUHLFKHUW XQG HUODQJW HLQHQ ZLUNXQJVPlFKWLJHQ 6WDWXV LP YLVXHOOHQ 'LVNXUV GHU 0DVVHQPHGLHQ%H]HLFKQHQGLVWGHQQRFKGDVV*VHOOVLFKLQVHLQHU$XVHLQDQGHUVHW]XQJ 38 Vgl. Rodin 1911: Auguste Rodin, S. 55–58. 39 Vgl. Rodin 1911: Auguste Rodin, S. 49.

CANDIDA HÖFER: DIE BÜRGER VON CALAIS

Abb. 37

Abb. 38

Abb. 37: Doppelseite aus: Rodin, Auguste: Die Kunst von Auguste Rodin. Gespräche des Meisters gesammelt von Paul Gsell, Erstausgabe: Paris 1911, Abbildung aus: München 1947, S. 57 Abb. 38: Doppelseite aus: Rilke, Rainer Maria: Auguste Rodin, Erstausgabe: Frankfurt a.M. 1913, Abbildung aus: Frankfurt a.M. 1984, Bild Nr. 8 und 9, ohne Seitenangabe

mit Rodins Bürgern von Calais lediglich auf eine )RWRJUD¿H EH]LHKW DXI GHU HU DQJHEOLFK VHLQH %HREDFKWXQJHQ GHU 6NXOSWXU JUQGHW %HL JHQDXHU $QDO\VH GHV7H[WHVLQ.RUUHVSRQGHQ]PLWGHULQGHU3XEOLNDWLRQDEJHELOGHWHQ)RWRJUD¿H >$EE@VWHOOWVLFKMHGRFKKHUDXVGDVVIU*VHOOSODVWLVFKH$VSHNWHGHV:HUNV VLFKWEDU ZHUGHQ GLH JDQ] XQG JDU QLFKW XQPLWWHOEDU DXV GHU$EELOGXQJ KHU]XOHLWHQVLQG6RHWZDEHVFKUHLEWHUGLHSK\VLRJQRPLVFKHQ=JHGHUKLQWHU3LHUUH GHV:LVVDQW DQJHRUGQHWHQ )LJXU GLH MHGRFK DXI GHU SXEOL]LHUWHQ IRWRJUD¿VFKHQ 5HSURGXNWLRQEHLQDKHYROOVWlQGLJYHUGHFNWLVW=XIUDJHQEOHLEWIROJOLFKREGLH LQQHUKDOE GHV %XFKHV SXEOL]LHUWH $EELOGXQJ WDWVlFKOLFK MHQHU $XIQDKPH HQWVSULFKWGLH*VHOOHQWVSUHFKHQGVHLQHP%HULFKW]XIlOOLJLQHLQHU0DSSH5RGLQV HQWGHFNWH%HPHUNHQVZHUWLVWDEHUGDVVGLHDEJHELOGHWH)RWRJUD¿HLQQHUKDOEGHV %XFKHVH[DNWGHP$EELOGXQJVW\SXVHQWVSULFKWGHUVLFKLP/DXIHGHVNXOWXUHOOHQ 3UR]HVVHV DOV W\SLVFKH 9LVXDOLVLHUXQJVIRUP GHU 6NXOSWXU KHUDXVELOGHW ,QWHUHVsanterweise kann auch genau diese Abbildung an die vielfach in der Forschung YHUWUHWHQH7KHVHDQNQSIHQGDVV5RGLQGHUª%HJUQGHUGHUPRGHUQHQ3ODVWLN© JHZHVHQ VHL GLH PDQ YRU DOOHP DXI GLH (QWOHGLJXQJ GHU 6NXOSWXU YRQ LKUHP 6RFNHO]XUFNIKUWH'DVV5RGLQHLQHHEHQHUGLJH3ODW]LHUXQJYRUGHP5DWKDXV für die Bürger von CalaisYRUJHVHKHQKDWWHUHVPLHUWDXFK*VHOOXQGLQ)RUWfolge wird sich die Forschung vielfach auf diesen nur vermeintlich eindeutigen 6DFKYHUKDOW EH]LHKHQ ± KLHUDXI NRPPH LFK LQ HLQHP GHU IROJHQGHQ$EVFKQLWWH ]XUFN=ZLVFKHQGLHVHPª*UQGXQJVP\WKRV©GHUPRGHUQHQ%RGHQSODVWLNXQG GHU LQ GHU 3XEOLNDWLRQ *VHOOV DEJHELOGHWHQ )RWRJUD¿H ODVVHQ VLFK IROJOLFK DXIIDOOHQGH 3DUDOOHOHQ KHUDXVDUEHLWHQ GHQQ GHU 0\WKRV VWHKW LQ YROOHP (LQNODQJ PLWGHULP%XFKJH]HLJWHQ$EELOGXQJ+LHULVWNHLQ6RFNHO]XVHKHQVRGDVVGLH )LJXUHQWDWVlFKOLFKEHLQDKHHEHQHUGLJHUVFKHLQHQ'DVVGDV9RUKDEHQHLQHUHEHQHUGLJHQ3ODW]LHUXQJXQGGDPLWGHU:HJIDOOGHV6RFNHOVZHLWDXVZHQLJHUVWDUNYRQ

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

5RGLQLQWHQGLHUWZDUDOVEHL*VHOOEHVFKULHEHQ]HLJWVLFKMHGRFKDQXQWHUVFKLHGOLFKHQ4XHOOHQVFKULIWHQXQGGHQ'DUOHJXQJHQQHXHUHU)RUVFKXQJVHUJHEQLVVH'LH %RGHQSODVWLNDOVª6LJQXPGHUPRGHUQHQ6NXOSWXU©¿QGHWKLHUDEHUEHUHLWVHLQH YLVXHOOH3UlJXQJGLHLP)RUWODXIGLH7KHVHHLQHUHQWZLFNOXQJVORJLVFKHQDXWRQRPHQ*HVFKLFKWHGHU.XQVWYLVXHOOVWW]HQNRQQWH 1LFKW DOOHLQ *VHOO YHU|IIHQWOLFKWH GLHVH SUlJQDQWH IRWRJUD¿VFKH $QVLFKW GHU Bürger von Calais LQ VHLQHP %XFK$XFK GHU HKHPDOLJH 6HNUHWlU 5RGLQV 5DLQHU 0DULD5LONHSXEOL]LHUWH]ZHL-DKUHVSlWHUHUVWPDOVVHLQH5RGLQ%LRJUD¿H, LQGHUGLHEHVFKULHEHQHIRWRJUD¿VFKH5HSURGXNWLRQGHU3ODVWLNLQOHGLJOLFKJHULQJHU 9DULDQ] ]ZHLPDO ]X VHKHQ LVW >$EE @ 0LW GLHVHQ EHLGHQ SURPLQHQWHQ 3XEOLND WLRQHQ]XP:HUNXQG6FKDIIHQ5RGLQVGLHLP/DXIHGHV-DKUKXQGHUWVYLHOIDFK neu aufgelegt wurden und bis heute für die Rodin-Forschung eine tragende Rolle VSLHOHQ PDQLIHVWLHUHQ VLFK P|JOLFKH $XVJDQJVSXQNWH IUKH KLVWRULVFKH 2UWH DQ GHQHQGLHLP6SlWHUHQDOVªW\SLVFK©]XEH]HLFKQHQGHIRWRJUD¿VFKH'DUVWHOOXQJGHV SURPLQHQWHQ)LJXUHQHQVHPEOHVSUlJQDQWLQ(UVFKHLQXQJWULWW1LFKW]XOHW]WYRUGLHVHPKLVWRULVFKJHZDFKVHQHQ%LOGUHSHUWRLUHGHU6NXOSWXUHQIRWRJUD¿HHUKlOWGLH)RWR LQVWDOODWLRQYRQ&DQGLGD+|IHULKUH%HGHXWXQJ,KUH$UEHLWNDQQDOV5HÀH[LRQGLHVHV Bereichs der massenmedialen Bildkultur gelesen werden. 1939, 1949, 1966 – zwischen Kunstbild und Abbild

$XFKLQHLQHUHUVWPDOVLQ/RQGRQHUVFKLHQHQHQHQJOLVFKHQ3XEOLNDWLRQGLH VLFK GXUFK XQJHZ|KQOLFK JUR‰IRUPDWLJH $EELOGXQJHQ DXV]HLFKQHW VLQG 5RGLQV Bürger von Calais DXI HLQHU 'RSSHOVHLWH LQ MHQHP REHQ EHVFKULHEHQHQ 'DUVWHOOXQJVPRGXVDEJHELOGHW>$EE@3UlJQDQ]ZLUGGHP:HUNLQVEHVRQGHUHGXUFK GDV H[WUHP JUR‰H )RUPDW GHU $EELOGXQJ YHUOLHKHQ GDV VRQVW NHLQHU ZHLWHUHQ 6NXOSWXULQGLHVHP.DWDORJYRUEHKDOWHQLVW3URPLQHQWLQV]HQLHUWPDQGDV)LJXUHQHQVHPEOH ]ZLVFKHQ ZHLWHUHQ:HUNHQ 5RGLQV GLH ]ZDU DOOH LP JOHLFKHQ 'DUVWHOOXQJVPRGXV±)LJXUYRUªQHXWUDOHP©*UXQG±DEJHELOGHWVLQGMHGRFKYRUZLHJHQGNOHLQHUH)RUPDWHDXIZHLVHQ'LHVHPDUNDQWHIRWRJUD¿VFKH'DUVWHOOXQJGHU 6NXOSWXUZLUGGXUFKGLHHUQHXWH$XÀDJHGHU0RQRJUD¿HLP-DKUZLHGHUXP LQGLH'LVWULEXWLRQVNDQlOHGHUYLVXHOOHQ.XOWXUHLQJHVSHLVWXQGGHP]XIROJHDXFK DOV W\SLVFKH 9LVXDOLVLHUXQJVIRUP GHV )LJXUHQHQVHPEOHV PDVVHQPHGLDOLVLHUW XQG GDGXUFKVWDELOLVLHUW'LH+HUDXVELOGXQJGLHVHUW\SLVFKHQYLVXHOOHQ)RUPZLUG]XGHPGDGXUFKXQWHUVWW]WGDVVGLHDEJHELOGHWHIRWRJUD¿VFKH5HSURGXNWLRQ>$EE @ GLH HLQ]LJH *HVDPWDQVLFKW GHU 3ODVWLN LQQHUKDOEGLHVHV%LOGEDQGHVGDUVWHOOW *HKWPDQGDYRQDXVGDVV9DULDQWHQHLQHUPHGLDOHQ)RUPLKUHIRUPDOlVWKHWLVFKH 3UlJQDQ]UHODWLYLHUHQVRI|UGHUWGLHsinguläre$EELOGXQJJDQ]RIIHQVLFKWOLFKGLH PDUNDQWH+HUDXVELOGXQJGHUEHVFKULHEHQHQIRWRJUD¿VFKHQ9LVXDOLVLHUXQJ 40 Rilke 1913: Auguste Rodin, insbesondere zu den Bürgern von Calais: S. 54–60. 41 Vgl. hierzu auch den Online-Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: www.dnb.de. 42 Eine weitere vielfach rezipierte, frühe Publikation zu Rodin brachte Judith Cladel 1908 heraus (vgl. Cladel 1908: Auguste Rodin).

CANDIDA HÖFER: DIE BÜRGER VON CALAIS

Abb. 39

Abb. 40

Abb. 39: Doppelseite aus einem großformatigen Bildband: Rodin, Auguste: Auguste Rodin, ohne Herausgeber/Autor, Erstausgabe: 1939, Abbildung aus: London 1949, Abb. 52, ohne Seitenangabe Abb. 40: Einzelseite aus einem kunsthistorischen Nachschlagewerk: Zeitler, Rudolf (Hrsg.): Propyläen Kunstgeschichte. Bd. 11: Die Kunst des 19. Jahrhunderts, Berlin 1966, Abb. 357b, ohne Seitenangabe

$XFKHLQHLQVFKOlJLJHVNXQVWKLVWRULVFKHV1DFKVFKODJHZHUNGLHPropyläen KunstgeschichteWUlJW]XU.DQRQLVLHUXQJGHU$EELOGXQJEHL>$EE@5XGROI=HLWOHUKDWWH GHQHOIWHQ%DQGGLHVHV6WDQGDUGZHUNV]XU.XQVWGHV-DKUKXQGHUWVKHUDXVgegeben.43 *HKW PDQ GDYRQ DXV GDVV /H[LND XQG 1DFKVFKODJHZHUNH 0HGLHQ ]XU 6WDQGDUGLVLHUXQJ XQG 6WDELOLVLHUXQJ HLQHV EHVWLPPWHQ :LVVHQV VLQG GDQQ OLHJW HV DXIGHU+DQGGDVVGLHVHV.RPSHQGLXPGLH+HUDXVELOGXQJGHUW\SLVFKHQ9LVXDOLVLHUXQJVIRUPYRQ5RGLQVEHUKPWHU6NXOSWXUJHI|UGHUWKDW$XFKGLHVHU%DQGSXEOL]LHUW ]XU *DWWXQJ GHU 6NXOSWXU ± HEHQVR ZLH GLH ]XYRU JHQDQQWH HQJOLVFKH 9HU|IIHQWOLFKXQJ±OHGLJOLFKGLHEHNDQQWH$QVLFKWGHV:HUNVXQGWUlJWGDPLW]XUGHUSUlJQDQWHQ )LJXUDWLRQGHVEHVFKULHEHQHQYLVXHOOHQ7\SXVEHL 'DUEHUKLQDXVLVWEHPHUNHQVZHUWGDVVGDVLP1HW]]XJlQJOLFKHGLJLWDOH%LOGarchiv Prometheus die aus der Propyläen Kunstgeschichte entnommene Ansicht VRJDU LQ GUHLIDFKHU$XVIKUXQJ EHUHLWKlOW ZRKLQJHJHQ DOOH DQGHUHQ  %LOGHU GLH sich ebenfalls mit den Bürgern von Calais beschäftigen, lediglich in einfacher Ausführung archiviert sind.44 9RQ GHQ  XQWHU GHQ 7LWHOVWLFKZRUWHQ ª%UJHU &DODLV© DQJHIKUWHQ$EELOGXQJHQWDXFKHQHOIZHLWHUH)RWRJUD¿HQDXIGLHQXUJHULQJH$EZHLFKXQJHQGHVEHVFKULHEHQHQ'DUVWHOOXQJVPRGXVDXIZHLVHQ'LHUHVWOLFKHQ$XIQDKPHQVLQGEHPHUNHQVZHUWHUZHLVHGHPEHUHLWVJHQDQQWHQ:HUNNDWDORJZwölf-Twelve YRQ+|IHUHQWQRPPHQ(LQHV\VWHPDWLVFKH$EZLFNOXQJYRQ$QVLFKWHQGHU6NXOSWXU DXVHLQHUNXQVWKLVWRULVFKHQ0RQRJUD¿HLVWLQGHPGLJLWDOHQ%LOGDUFKLYLP0DL QLFKW]X¿QGHQJHQDXVRZLHGHU.RQWH[WGHV)LJXUHQHQVHPEOHVLQGHQ%LOGHUQ GLHQLFKWYRQ+|IHUVWDPPHQYRUZLHJHQGQLFKWJH]HLJWZLUG$OWHUQDWLYH$QVLFKWHQ 43 Zeitler 1966: Propyläen Kunstgeschichte. 44 Vgl. www.prometheus-bildarchiv.de (zuletzt abgerufen am 22.05.2009).

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

XQGGLVSDUDWH$XIVWHOOXQJVRUWHGHU3ODVWLNVLQGGHP]XIROJHKDXSWVlFKOLFKLQGHQ $XIQDKPHQGHU.|OQHU.QVWOHULQVLFKWEDU (UVWDXQOLFK HUVFKHLQW KLHU GLH GRSSHOWH .RGLHUXQJ GHV 2EMHNWV 6R IXQJLHUHQ +|IHUV)RWRJUD¿HQLQQHUKDOEGHVGLJLWDOHQ%LOGDUFKLYVDOVSDUDVLWlUH(UVFKHLQXQJHQ GLH GHQ KLVWRULVFK HWDEOLHUWHQ$XWRQRPLH XQG 2ULJLQDOLWlWVGLVNXUV GHU .XQVW JDQ] RIIHQVLFKWOLFK XQWHUODXIHQ :XUGH LKQHQ LP$XVVWHOOXQJVNRQWH[W GHU 'RFXPHQWD ]XQlFKVWYRUDOOHPGHU6WDWXVYRQ.XQVWREMHNWHQ]XJHVFKULHEHQGDQQVWHOOHQVLHKLHU± LQHLQHPGLJLWDOHQ%LOGDUFKLYGHU.XQVWJHVFKLFKWH±]XJOHLFKDXFKGRNXPHQWDULVFKHV Belegmaterial dar, weil sie recht systematisch verschiedene Aufstellungsorte und disSDUDWH$QVLFKWHQGHU6NXOSWXU]HLJHQ'LHVRZRKOLP$XVVWHOOXQJVNRQWH[WDOVDXFKLP .RQWH[WHLQHVGLJLWDOHQ%LOGDUFKLYVDXIWDXFKHQGHQ%LOGHUQHKPHQLQVRIHUQGLH5ROOH YRQ3DUDVLWHQHLQDOVGDVVVLHGLHKLVWRULVFKHWDEOLHUWHQ5HLQKHLWVSRVWXODWHXQGNODUHQ'LIIHUHQ]HQYRQPDVVHQPHGLDOHU%LOGNXOWXUXQG.XQVWXQWHUODXIHQª[:@ohin mit GHP6FKPXW]LJHQ8QUHLQHQ"©IUDJW0LFKHO6HUUHVJHIROJWYRQGHQQDFKGHQNOLFKHQ :RUWHQª6FKZDQNXQJ8QRUGQXQJ8QVFKlUIHXQG5DXVFKHQVLQGNHLQH1LHGHUODJHQ GHU9HUQXQIWVLQGHVQLFKWPHKUZLUVSUHFKHQQLFKWPHKUYRQGLHVHU9HUQXQIWWHLOHQ QLFKWOlQJHUQDFK±ismenHLQGLHVHQVLPSOHQXQGVWDUUHQ3X]]OHVGLHVHQVWUDWHJLVFKHQ 3OlQHQ IU GHQ OHW]WHQ .ULHJ 6R XQWHUKlOW HLQ 6\VWHP LQWHUHVVDQWH %H]LHKXQJHQ ]X GHPZDVPDQIUKHUDOV9HUOXVWHXQG$EJlQJHHLQVWXIWH© ,Q+|IHUVIRWRJUD¿VFKHU$UEHLWWULWWGLH7UDQVIRUPDWLRQGHV.XQVWEHJULIIVUHÀH[LY LQV%LOG'HQQGLH)RWRLQVWDOODWLRQPDFKWGLHYRQ6HUUHVEHVFKULHEHQHQ0LVFKIRUPHQ ]XP7KHPD'LHHLQGHXWLJH)HVWOHJXQJGHU'LIIHUHQ]]ZLVFKHQ.XQVWXQGPDVVHQPHGLDOHU%LOGNXOWXU]ZLVFKHQ2ULJLQDOXQG5HSURGXNWLRQHEHQVRZLH]ZLVFKHQ%LOG XQG$EELOGVWHKWLQGHUIRWRJUD¿VFKHQ$UEHLWGHU.|OQHU.QVWOHULQ]XU'LVNXVVLRQ (KHPDOV YHUELQGOLFKH IDFKGLV]LSOLQlUH .DWHJRULHQ XQG 8QWHUVFKHLGXQJVSRVWXODWH GLHQRFKLQGHQHUVWHQ'RFXPHQWD$XVVWHOOXQJHQHLQHWUDJHQGH5ROOHVSLHOWHQZHUGHQKLHUDOVGXUFKOlVVLJH±RGHUDEHUDXFKEUFKLJH±5DKPHQUHÀHNWLHUW5RVDOLQG .UDXVVKDWWH±ZLHVFKRQHUZlKQW±LQLKUHU$XVHLQDQGHUVHW]XQJPLW5RGLQEHUHLWV DXIGLHVH3DUDGR[LHQKLQJHZLHVHQ 1967, 1976, 1977 – Dekontextualisierungen

$XFKLQGHPHLQ-DKUVSlWHUQDFKGHUPropyläen KunstgeschichteHUVFKLHQHQHQhEHUEOLFNVNDWDORJ]XP:HUN5RGLQVYRQ-LDQRXXQG*ROGVFKQHLGHUEHVWHKWGHU YRUZLHJHQGH'DUVWHOOXQJVPRGXVGHU3ODVWLNHQDXV$EELOGXQJHQGLHHLQH)LJXUYRU VFKZDU]HPRGHUZHL‰HQ*UXQG]HLJW47+LHUVLQGDXFKWHLOXQGJDQ]IRUPDWLJH$Qsichten der Bürger von Calais ]XVHKHQ/HGLJOLFKHLQH$XIQDKPH]HLJWGLHEHUKPWH 3ODVWLNGHV%LOGKDXHUVLQLKUHP$XIVWHOOXQJVNRQWH[WRKQHQHXWUDOLVLHUWHQ8PUDXP 45 Mittlerweile hat sich das Bildarchiv erweitert und auch das Darstellungsspektrum der Skulptur ist variantenreicher geworden – nicht zuletzt durch meine Recherchen und die Einspeisung diverser Abbildungen zu den Bürgern von Calais in Prometheus (zuletzt abgerufen am 08.05.2012). 46 Serres 1980: Der Parasit, S. 27. 47 Vgl. Jianou/Goldschneider 1967: Rodin.

CANDIDA HÖFER: DIE BÜRGER VON CALAIS

Abb. 41

Abb. 42

Abb. 41: Einzelseite aus einem Überblicksband zum Werk Rodins: Jianou, Ionel/Goldschneider, Cécile: Rodin, Paris 1967, Abbildung 39, ohne Seitenangabe Abb. 42: Einzelseite aus dem Bestandskatalog des Rodin-Museums in Philadelphia: Tancock, John L.: The Sculpture of Auguste Rodin. The Collection of the Rodin Museum Philadelphia, Philadelphia 1976, S. 377

in halbschräger Ansicht, wobei der durch seine markante Handhaltung charakteriVLHUWH3LHUUHGH:LVVDQWLQGHQ9RUGHUJUXQGGHV%LOGUDXPHVUFNW'LH6NXOSWXULVW ZLHGHUXPEHLQDKH)RUPDWIOOHQGDEJHELOGHW$XFKGLHVHHKHUNRQWH[WXDOLVLHUHQGH $XIQDKPHZHLVWIROJOLFKQRFKVWDUNHbKQOLFKNHLWHQPLWGHPW\SLVFKHQ'DUVWHOOXQJVPRGXVDXIGHUDXFKLQGLHVHU3XEOLNDWLRQSURPLQHQWDXIWDXFKWZLHGLHKLHUDEJHGUXFNWH$EELOGXQJ]HLJW>$EE@ 'HUYRQ-RKQ7DQFRFNKHUDXVJHJHEHQH%HVWDQGVNDWDORJ]XU6DPPOXQJGHV 5RGLQ0XVHXPVLQ3KLODGHOSKLDEHVWlWLJWHEHQIDOOVGLHEHVFKULHEHQHW\SLVFKH9LVXDOLVLHUXQJ$XFKGLHVH3XEOLNDWLRQ]HLJWGLHBürger von Calais>$EE@VRZLHGLH (LQ]HOVWXGLHQ]XGLHVHU6NXOSWXUYRUQHXWUDOHP+LQWHUJUXQG'LHEULJHQ:HUNHGHU 6DPPOXQJZHUGHQ]XGHPLQJOHLFKHU:HLVHSUlVHQWLHUW'LHVHUJOHLFKI|UPLJH$EELOGXQJVPRGXV KDW ]XU )ROJH GDVV GLH 'LIIHUHQ] YRQ7RUVL .RSI RGHU +DQGVWXGLHQ XQGEHUHLWVNRPSOHWWIHUWLJJHVWHOOWHQ:HUNHQZHLWJHKHQG]XP9HUVFKZLQGHQJHEUDFKW ZLUGXQGGDPLWGLHXQWHUVFKLHGOLFKHQ6WDGLHQGHV(QWVWHKXQJVSUR]HVVHKHULQGHQ+LQWHUJUXQGWUHWHQ'HU5HSUlVHQWDWLRQVJHVWXV±)LJXUYRUªQHXWUDOHP©*UXQG±EOHQGHW GHQ:HUNSUR]HVVDXVXQGSUlVHQWLHUWSODVWLVFKH6WXGLHQDOVª:HUNH©LP6LQQHHLQHU NRKlUHQWHQ DEJHVFKORVVHQHQ (LQKHLW 'LH 3XEOLNDWLRQ HUOlXWHUW ]ZDU LP 5FNJULII DXI KLVWRULVFKH 4XHOOHQ GHQ (QWVWHKXQJVSUR]HVV XQG GLH 5H]HSWLRQ GHU Bürger von CalaisGDUEHUKLQDXVIKUWVLHGLHHLQ]HOQHQ$EJVVHXQGYHUVFKLHGHQHQ0RGHOOH XQWHUVFKLHGOLFKHU:HUNHVRZLHLKUHDNWXHOOHQ6WDQGRUWHDXI±GHU%HVWDQGVNDWDORJJLEW 48 Vgl. Jianou/Goldschneider 1967: Rodin, Abb. 41. 49 Tancock 1976: The Sculpture of Auguste Rodin. 50 Vgl. Tancock 1976: The Sculpture of Auguste Rodin, S. 376–402: Katalogeintrag: The Burghers of Calais, 1884–1885.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

IROJOLFKDXFK+LQZHLVHDXIGDVª.XQVWZHUNLP=HLWDOWHUVHLQHUWHFKQLVFKHQ5HSURGX]LHUEDUNHLW©$EHU GHU 'DUVWHOOXQJVPRGXV YHUXQNOlUW GHQQRFK GLH 'LIIHUHQ]HQ ]ZLVFKHQ GHQ :HUNTXDOLWlWHQ XQG VFKUHLEW MHGHP 2EMHNW GXUFK GLH$EELOGXQJVDUW XQG GXUFKHLQH5DKPXQJGLHLKPHLQHVLQJXOlUH6WHOOXQJ]XZHLVWGHQ6WDWXVGHU:HUNRULJLQDOLWlWXQGGDPLWGHQ6WDWXVHLQHVDXWRQRPHQ.XQVWREMHNWHV]X (LQJDQ]lKQOLFKHV3KlQRPHQWULWWEHLGHU$QDO\VHGHULQYLHOHQ.DWDORJHQSXEOL]LHUWHQ$EELOGXQJGHU]ZHLWHQVRJHQDQQWHQMaquetteLQ(UVFKHLQXQJ±GHPNOHLQIRUPDWLJHQ*LSVPRGHOOGDV5RGLQDOV]ZHLWHQ(QWZXUIVHLQHU6NXOSWXUIUGDV 'HQNPDONRPLWHHLQ&DODLVDQJHIHUWLJWKDWWH'XUFKGLH$UWGHUIRWRJUD¿VFKHQ,QV]HQLHUXQJKLHUEHLVSLHOKDIWDQGHPYRQ-XGULQ/DXUHQWXQG9LpYLOOHKHUDXVJHJHEHQHQ .DWDORJYRQJH]HLJWLVWGLH*U|‰HQUHODWLRQ]ZLVFKHQGHUHQGJOWLJHQ)DVVXQJ >$EE@XQGGHPPLQLDWXUDUWLJHQ0RGHOO>$EE@NDXPHUNHQQEDU'LH$XIQDKPH LQ$EELOGXQJVHW]WGLHHQGJOWLJH)DVVXQJXQG5HDOLVDWLRQGHU6NXOSWXULQ6]HQH ZRKLQJHJHQ$EELOGXQJ  HLQH IRWRJUD¿VFKH 5HSURGXNWLRQ GHU 0DTXHWWH YRQ  ]HLJW'HU*U|‰HQXQWHUVFKLHGZLUGGXUFKGDV6HLWHQIOOHQGH)RUPDWGHUEHLGHQDEJHbildeten Figurenensemble vollständig ausgeblendet, aber auch die Herauslösung der 2EMHNWH DXV LKUHQ MHZHLOLJHQ UlXPOLFKHQ .RQWH[WHQ YHUKLQGHUW GLH :DKUQHKPXQJ GHUXQWHUVFKLHGOLFKHQ:HUNVWDGLHQ%HPHUNHQVZHUWLVWGDVVVLFKDXFKIUGLH]ZHLWH 0DTXHWWH HLQH W\SLVFKH9LVXDOLVLHUXQJVIRUP KHUDXVELOGHW GHQQ GLH LQ GHU JHQDQQWHQ 0RQRJUD¿H SUlVHQWLHUWH $QVLFKW >$EE @ ZLUG LQ ]DKOUHLFKHQ DQGHUHQ .DWDORJHQ HEHQIDOOVLQLGHQWLVFKHP$EELOGXQJVPRGXVJH]HLJWRKQHGDVVDOWHUQDWLYH'DUVWHOOXQJHQSXEOL]LHUWZHUGHQ'LHPDUNDQWHJHNUPPWH)LJXUGLHUHFKWVDX‰HQVWHKHQGDQJHRUGQHWLVWXQGEHLQDKHDXVGHP)LJXUHQHQVHPEOH]XNLSSHQVFKHLQWNHQQ]HLFKQHWGLH $XIQDKPHLQFKDUDNWHULVWLVFKHU:HLVH'LH:DKUQHKPXQJGLVSDUDWHU:HUNVWDGLHQXQG 0DWHULDOTXDOLWlWHQVRZLHGLH0|JOLFKNHLWGHU(LQRUGQXQJGHV2EMHNWHV±]ZLVFKHQ6WXGLHXQG:HUN*LSVPRGHOOXQG$EJXVV±ZLUGGXUFKGDV%LOGIRUPDWGLH5DKPXQJGHU %LOGÀlFKHHEHQVRZLHGXUFKGLH.RQWH[WXDOLVLHUXQJ±RGHUDXFK'HNRQWH[WXDOLVLHUXQJ LQ)RUPGHU)UHLVWHOOXQJGHU)LJXU±PD‰JHEOLFKPLWEHVWLPPW 'LHVHQXQWHUVFKLHGOLFKHQ0|JOLFKNHLWHQGHU9LVXDOLVLHUXQJHLQHV2EMHNWVZLGPHW VLFKDXFK5RVDOLQG.UDXVVLQLKUHUNULWLVFKHQ$XVHLQDQGHUVHW]XQJPLWGHU0RGHUQH .UDXVVQlPOLFKNRQVWDWLHUWGDVVGLH7UDQVIRUPDWLRQGUHLGLPHQVLRQDOHU2EMHNWHLQHLQH JHUDKPWHYHUJU|‰HUWH]ZHLGLPHQVLRQDOH'DUVWHOOXQJGHQ*HJHQVWDQGGXUFKGLHIRWRJUD¿VFKH5HSURGXNWLRQ]XHLQHP%LOGPDFKHXQGLKQ]XJOHLFKPLWGHU(UIDKUXQJGHU 6LQJXODULWlWDXVVWDWWH8QWHUGHQ%HGLQJXQJHQGHV5DKPHQVVRKlOWVLHIHVWYHUPLWWOH VLFKHUVWGHUHQ6HOWHQKHLWVZHUW'LHVH%HREDFKWXQJHQODVVHQVLFKVHKUWUHIIHQGPLW GHUJOHLFKI|UPLJHQ'DUVWHOOXQJGHUGRFKVHKUXQWHUVFKLHGOLFKHQ)DVVXQJHQ:HUNVWDGLHQXQG$EJVVHGHU2EMHNWHLP*HVDPWZHUN5RGLQVLQ%H]LHKXQJVHW]HQ'HQQGLH KlX¿JVLQJXOlUH$EELOGXQJGHUBürger von CalaisWlXVFKWEHUGLH([LVWHQ]GHU]Z|OI $EJVVHKLQZHJXQGYHUPLWWHOWGDPLWHLQHQ6WDWXVYRQ2ULJLQDOLWlWGHUVLFKDQHLQH 51 Judrin/Laurent/Viéville 1977: Auguste Rodin. 52 Vgl. Krauss 1982: »Mit freundlichen Grüßen«, S. 243. 53 Vgl. Krauss 1982: »Mit freundlichen Grüßen«, S. 243.

CANDIDA HÖFER: DIE BÜRGER VON CALAIS

Abb. 43

Abb. 44

Abb. 43: Einzelseite aus einer Monografie zu den Bürgern von Calais: Judrin, Claudie/Laurent, Monique/ Viéville, Dominique (Hrsg.): Auguste Rodin. Le Monument des Bourgeois de Calais (1884–1895) dans les Collections du Musée Rodin et du Musée des Beaux-Arts de Calais, Paris/Calais 1977, S. 219 Abb. 44: Einzelseite aus einer Monografie zu den Bürgern von Calais mit Abbildung der zweiten Maquette: Bildquelle wie Abb. 43, hier aber S. 172

VLQJXOlUH 0DWHULDOTXDOLWlW GXUFK GLH +DQG GHV .QVWOHUV ELQGHW =XJOHLFK DEHU I|UGHUW GLH JOHLFKI|UPLJH XQG KlX¿J DXFK JOHLFKIRUPDWLJH$EELOGXQJ YRQ 6WXGLHQ XQG (QGSURGXNWGHQ(LQGUXFNGHUHLQPDOLJHQ4XDOLWlWHLQHVMHGHQHLQ]HOQHQ2EMHNWV'LH GHQ.RQWH[WVXVSHQGLHUHQGH5DKPXQJXQG)UHLVWHOOXQJGHV2EMHNWVDOV$XVGUXFNYRQ ([NOXVLYLWlWXQG2ULJLQDOLWlWI|UGHUW]XGHPHLQHQJDQ]VSH]L¿VFKHQNXQVWKLVWRULVFKHQ 'LVNXUVEHUGLH0RGHUQHGHQ.UDXVVVFKRQLQGHQHU-DKUHQ±DXFKLQVWDUNHU $EJUHQ]XQJ]XLKUHP/HKUHU*UHHQEHUJ±NULWLVLHUWKDWWHLQGHPVLHNRQVWDWLHUWH »Dieser Einsatz des Rahmens ist eine Funktion dessen, was man die ›Institution des Rahmens‹ nennen könnte. Es ist ein Akt der Herauslösung, der bestimmte konzeptuelle Einheiten zugleich etabliert und bekräftigt – die Einheit der formalen Kohärenz, die Einheit des umrahmten ›Einfachen‹ [das bei genauer Untersuchung das Produkt vieler Arbeitsprozesse, Reproduktions- und Abgussverfahren sowie MitarbeiterInnen ist, Anmerkung, K.H.], die Einheit des Personalstils, des Œuvres, der Intentionen des Künstlers –, und diese Einheiten erweisen sich als dieselben, auf die sich auch die Institution der Kunst (und ihrer Geschichte) gegenwärtig stützt. Wo die Forschung immer mehr Informationen über bestimmte Praktiken zu Tage fördert, wird dieses neue Wissen durch die vorgestanzten Löcher alter Kategorien gegossen, um die einheitlichen Räume zu füllen.« 54 Krauss 1982: »Mit freundlichen Grüßen«, S. 243. Wie auch das Zitat verdeutlicht, kritisiert sie, wie bereits erwähnt, dass der mit der Ausstellung verbundene kunsthistorische Diskurs (vgl. Ausst. Kat. (1981) Rodin Rediscovered), trotz des vielfältigen Materials zu den Arbeits- und Produktionsbedingungen des französischen Künstlers, nicht zu einer kritischen Revision seines Werks kommt: Die Mythen von Originalität, Meisterschaft und Werkeinheit/Werkkohärenz bleiben unhinterfragt (vgl. Krauss 1982: »Mit freundlichen Grüßen«; dies. 1981: »Die Originalität der Avantgarde«).

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

*HJHQGLHVH+HUDXVO|VXQJGHV2EMHNWVDXVVHLQHP.RQWH[W±XQGGDPLWJHJHQGLH PRGHUQLVWLVFKH .RQVWUXNWLRQ HLQHV DXWRQRPHQ NRKlUHQWHQ .XQVWZHUNV ± DUEHLWHW DXFK &DQGLGD +|IHU LQGHP VLH GHQ 8PUDXP GHU XQWHUVFKLHGOLFKVWHQ$EJVVH GHU 6NXOSWXU IRWRJUD¿VFK LQV]HQLHUW 'XUFK GLH$EELOGXQJ GHU 3ODVWLNHQ DQ GHQ XQWHUVFKLHGOLFKHQ6WDQGRUWHQKHEWGLH.|OQHU.QVWOHULQGHQ6WDWXVGHU6LQJXODULWlWDXI XQGXQWHUOlXIWGLHEHVFKULHEHQHW\SLVFKH9LVXDOLVLHUXQJVIRUPGHUBürger von Calais, GLHVLFKEUXFKORVLQGHQ'LVNXUVEHUGLH$XWRQRPLHGHU.XQVWGHU0RGHUQHHLQIJW =XJOHLFKIKUHQGLH%LOGHUYRU$XJHQGDVVGLHVHU'LVNXUV±PLWHLQHP3URWDJRQLV WHQZLH$XJXVWH5RGLQ±HLQHZHVWOLFKHXUR]HQWULVWLVFKH3UlJXQJDXIZHLVWLQ=HLWHQ GHU *OREDOLVLHUXQJ LQWHUQDWLRQDOH 5HOHYDQ] HUIDKUHQ KDW XQG GHQ .XQVWEHWULHE PD‰JHEOLFKSUlJW±HLQ$VSHNWDOVRGHUNULWLVFKDQGLH3RVWNRORQLDOLVPXV'HEDWWH GHU'RFXPHQWDDQVFKOLH‰HQNDQQ'HU6NXOSWXULVWNHLQ¿[LHUEDUHU2UWPHKU]X]XVFKUHLEHQ6LHLVWGHWHUULWRULDOLVLHUWGDVLHLKUHV'HQNPDOVWDWXV¶HQWKREHQLVWGHUMD YRUDOOHPDXIGHUKLVWRULVFKEHGHXWVDPHQSK\VLVFKHQ9HURUWXQJHLQHV2EMHNWVJUQGHW'LH3ODVWLNEHVLW]W]XGHPLQWHUQDWLRQDOHQJOREDOHQ5HSUlVHQWDWLRQVFKDUDNWHULP 6LQQHHLQHVª0HLOHQVWHLQV©GHU.XQVWJHVFKLFKWHGHU0RGHUQHGLHMHGRFKH[NOXVLY DXIGHQHXURSlLVFKHQZHVWOLFKHQ.XQVWNRQWH[WEH]RJHQLVW +|IHULQWHJULHUW±ZLHEHUHLWVREHQHUZlKQW±GLHEHVFKULHEHQHW\SLVFKH9LVXDOLVLHUXQJPLWGHQ)RWRJUD¿HQDXV.RSHQKDJHQ6HRXOXQGZHLWJHKHQGDXFK&DODLV LQ LKU %LOGNRPSHQGLXP >$EE   @ DEHU VLH NRQWHUNDULHUW GLHVH PLW YLHOIlOWLJHQDOWHUQDWLYHQ$QVLFKWHQXQGVXVSHQGLHUWGHQUlXPOLFKHQ.RQWH[WQLHPDOV ELV]XU9ROOVWlQGLJNHLW=ZDUXQWHUVWUHLFKWGLH$XIQDKPHDXVGHU*O\SWRWKHNGHU GlQLVFKHQ +DXSWVWDGW >$EE @ GLH ÀlFKHQELOGOLFKH 2UJDQLVDWLRQ GHU W\SLVFKHQ 'DUVWHOOXQJ >$EE @ .HLQH ÀXFKWSXQNWSHUVSHNWLYLVFK DQJHOHJWHQ .RRUGLQDWHQ YHUPLWWHOQ HLQH GUHLGLPHQVLRQDOH5lXPOLFKNHLW]XJOHLFK DEHU JLEW GLH7DSLVVHULH XQG GLH RUQDPHQWDOH 6WUXNWXU GHV 0XVHXPVUDXPHV $XVNXQIW EHU HLQH VSH]L¿VFKH gUWOLFKNHLW GLH LQ GHU W\SLVFKHQ 'DUVWHOOXQJ GHU 6NXOSWXU YROOVWlQGLJ ]XP 9HUVFKZLQGHQJHEUDFKWZXUGH'XUFKGLHVH5HÀH[LRQGHV.RQWH[WVNQSIW+|IHU DXFK DQ GLH 'LVNXVVLRQ XP GLH :HUNRULJLQDOLWlW DQ ZDV ]XJOHLFK GLH HSLVWHPRORJLVFKHQ 5DKPHQEHGLQJXQJHQ HLQHU WUDGLWLRQHOOHQ .XQVWJHVFKLFKWH LQV :DQNHQ EULQJW GHQQ ZLH .UDXVV HUQHXW KDUVFK NULWLVLHUW ª'LH9RUVWHOOXQJ GLH 8UKHEHUschaft könnte sich nach außen auf den Rahmen verschieben, ist mit fürchterlichen )ROJHQIUGDV6\VWHPSRVLWLYLVWLVFKHU%H]LHKXQJHQYHUEXQGHQYRQGHPDXVGHU .XQVWKLVWRULNHUDUEHLWHW© Die Bürger von Calais: Denkmal oder Kunstobjekt?

(LQH GHU HUVWHQ 0RQRJUD¿HQ GLH VLFK GHP .RQWH[W XQG GDPLW DXFK GHQ PK VDPHQ LQVWLWXWLRQHOOHQ 5DKPHQEHGLQJXQJHQ GHV (QWVWHKXQJVSUR]HVVHV GHU 6NXOSWXUZLGPHWLVW]ZHLIHOVRKQHGLHEHUHLWVHUZlKQWHYRQ-XGULQ/DXUHQWXQG9LpYLOOH KHUDXVJHJHEHQH3XEOLNDWLRQGLHLP5DKPHQHLQHU$XVVWHOOXQJGLHVRZRKOLQ

55 Krauss 1982: »Mit freundlichen Grüßen«, S. 241.

CANDIDA HÖFER: DIE BÜRGER VON CALAIS

&DODLVDOVDXFKLQ3DULVJH]HLJWZXUGHHUVFKHLQW,QGLHVHP.DWDORJSUlVHQWLHUWH PDQ]DKOUHLFKHVKLVWRULVFKHV4XHOOHQPDWHULDODXVGHPVWlGWLVFKHQ$UFKLYLQ&DODLV ebenso wie aus den Archiven des Musée Rodin±LQVEHVRQGHUHDXFKGLHZLFKWLJH .RUUHVSRQGHQ]]ZLVFKHQGHPHKHPDOLJHQ%UJHUPHLVWHUXQGVSlWHUHQ9RUVLW]HQGHQ GHV'HQNPDONRPLWHHVGHU6WDGW&DODLV2PHU'HZDYULQXQG$XJXVWH5RGLQ'HU .DWDORJJLEW$XVNXQIWEHUDOOMHQH3UlPLVVHQGLHLQGHQEHVSURFKHQHQIRWRJUD¿VFKHQ$EELOGXQJHQQLFKW]XP7UDJHQNRPPHQXQGGXUFKGHQGHNRQWH[WXDOLVLHUHQGHQ3UlVHQWDWLRQVPRGXVQRFKYHUVWlUNWLQGHQ+LQWHUJUXQGWUHWHQNRPPXQDOSROLWLVFKH (QWVFKHLGXQJHQ 3UREOHPH LP NQVWOHULVFKHQ 6FKDIIHQVSUR]HVV ¿QDQ]LHOOH 3UlPLVVHQXQGQLFKW]XOHW]WDXFKEHU,QWHUHVVHQVNRQÀLNWHLQQHUKDOEGHV.RPLWHHV GDVVLFKPLWGHP$XIWUDJYRQ5RGLQEHIDVVWH'DUEHUKLQDXVVLQGLQGHU3XEOLNDWLRQ ]DKOUHLFKH0RGHOOVWXGLHQ]XHLQ]HOQHQ)LJXUHQXQG.|USHUIUDJPHQWHQVRZLH=HLFKQXQJHQ DEJHELOGHW GLH GHP HUIDKUHQHQ$XJH GHV .XQVWKLVWRULNHUV$XVNXQIW EHU GHQ3URGXNWLRQVSUR]HVVGHU6NXOSWXUJHEHQN|QQHQ'RFK±ZLHEHUHLWVDQGHQEHLGHQEHVSURFKHQHQ$EELOGXQJHQGHXWOLFKZXUGH>$EEXQG$EE@±DXFKKLHU VLQGGLH3ODVWLNHQXQG0RGHOOHYRUZLHJHQGHLQ]HOQXQGYRUVFKZDU]HPRGHUZHL‰HP+LQWHUJUXQGDEJHELOGHWREZRKOGHU.DWDORJDQKDQGYRQ6WDGWSOlQHQDXFKGHQ $XIVWHOOXQJVRUWXQGGDPLWGHQXUEDQHQ.RQWH[WGHV6WDQGRUWVWKHPDWLVLHUW(LQHP 3URORJ JOHLFK NRPPHQG ELOGHQ GLH HUVWHQ ]HKQ 6HLWHQ GHV .DWDORJV LP *UR‰IRUPDWHLQ]HOQH$XVVFKQLWWHGHU3ODVWLNYRUVFKZDU]HP+LQWHUJUXQGDE$XFKKLHUVLQG die charakteristischen Formgestalten durch die Fragmentierung betont, wie etwa MHQHLGLRV\QNUDWLVFKH+DQGKDOWXQJGHV3LHUUHGH:LVVDQWGLHPDQDOVHUJlQ]HQGH 9DULDQWHDXFKGHPW\SLVFKHQ'DUVWHOOXQJVPRGXV>$EE@]XRUGQHQN|QQWH'HQQ DXFKFKDUDNWHULVWLVFKH7HLODQVLFKWHQVWDELOLVLHUHQGDVYLVXHOOH6FKHPD$OOHLQeine )RWRJUD¿HLQQHUKDOEGHU3XEOLNDWLRQYRQWKHPDWLVLHUWHLQHQPLWWOHUZHLVHKLVWRULVFKHQ$XIVWHOOXQJVRUW6LH]HLJWGLH3ODVWLNYRQ5RGLQDQLKUHPXUVSUQJOLFKHQ HUVWHQ6WDQGRUWYRQDXIHLQHP6RFNHO>$EE@JHQDXPLWMHQHU$QVLFKWGLH ZLHGHUXPGDV%LOGVFKHPDLQ(UVFKHLQXQJWUHWHQOlVVW,QGHU*HJHQEHUVWHOOXQJPLW HLQHU$XIQDKPHDXV+|IHUVIRWRJUD¿VFKHU$UEHLWZLUGGLHP|JOLFKH%H]XJQDKPH GHU.|OQHU.QVWOHULQDXIGDV$UFKLYGHUPDVVHQPHGLDOHQ%LOGNXOWXUGHXWOLFK'HU %LOGYHUJOHLFK]ZLVFKHQGHU$XIQDKPHYRQ±GLHEULJHQVDNWXHOODXFKQRFKDOV 3RVWNDUWHGXUFKGLH.DQlOHGHUYLVXHOOHQ.XOWXU]LUNXOLHUW±XQGMHQHU)RWRJUD¿HGHU .|OQHU.QVWOHULQZHOFKHGLH3ODVWLNDQLKUHPDNWXHOOHQ6WDQGRUWYRUGHP5DWKDXV LQ&DODLVDXIHLQHPYHUlQGHUWHQ6RFNHODEELOGHW>$EE@RIIHQEDUWHLQHEHLQDKH LGHQWLVFKH$XIQDKPHSHUVSHNWLYH 'LH $EELOGXQJ YRQ +|IHU OlVVW GDV 6SDQQXQJVYHUKlOWQLV YRQ $UFKLWHNWXU XQG 6NXOSWXU XQG GHUHQ )XQNWLRQ DOV |IIHQWOLFKHV 'HQNPDO LQ (UVFKHLQXQJ WUHWHQ 9RU DOOHPGDVEHUHLWVHUZlKQWHIRWRJUD¿VFKH3HQGDQW>$EE@GDVGLH$XIVWHOOXQJGHU 3ODVWLNYRUGHP5DWKDXVYRQ&DODLV]HLJWUFNWGHQPLWGHU6NXOSWXUYHUEXQGHQHQ 56 Judrin/Laurent/Viéville 1977: Auguste Rodin. 57 Vgl. Judrin/Laurent/Viéville 1977: Auguste Rodin, S. 120. 58 Vgl. Judrin/Laurent/Viéville 1977: Auguste Rodin: Titelseite 4.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

Abb. 45

Abb. 46

Abb. 45: Einzelseite aus einer Monografie zu den Bürgern von Calais: Judrin/Laurent/ Viéville: Auguste Rodin. Le Monument des Bourgeois de Calais (1884–1895), Paris/Calais 1977, S. 122. Die Seite zeigt eine Aufnahme von 1895 in Form einer Postkarte: Die Bürger von Calais an ihrem ursprünglichen Aufstellungsort in Calais Abb. 46: Candida Höfer: Place de l’Hôtel de Ville Calais III 2000, C-Print, 152 x 152 cm

,GHQWLWlWVGLVNXUV GHU IUDQ]|VLVFKHQ 1DWLRQ LQV =HQWUXP GHU $XIPHUNVDPNHLW +LHU QlPOLFKIXQJLHUWGLH3ODVWLNYRQ5RGLQnicht DOVDXWRQRPHV.XQVWZHUNYLHOPHKUZLUG LKUGXUFKGLH$QRUGQXQJLPVWlGWLVFKHQ5DXPGLH)XQNWLRQHLQHV(ULQQHUXQJVV\PEROV]XJHVFKULHEHQGDVDQGLHQDWLRQDOHXQGORNDOH,GHQWLWlWDSSHOOLHUW 'LH ,QWHJUDWLRQ YRQ +|IHUV$UEHLW LQ GHQ 3DUFRXUV GHU 'RFXPHQWD OlVVW GLH NULWLVFKH 'LVWDQ] GHV$XVVWHOOXQJVNRQ]HSWV JHJHQEHU GHP$XWRQRPLH'LVNXUV GHU 0RGHUQH±QLFKW]XOHW]WDXFKGHPGHUHUVWHQ'RFXPHQWD$XVVWHOOXQJHQ±LQ(UVFKHLQXQJWUHWHQZDUGRFKJHUDGH(GXDUG7ULHUIHGHUIKUHQGDXIGHU]ZHLWHQXQGGULWWHQ 'RFXPHQWDIUGHQArbeitsausschuss SkulpturWlWLJJHZHVHQ*HQDXHUKDWWHGDV Buch mit dem Titel Moderne Plastik. Von Auguste Rodin bis Marino Marini verfasst XQGGDPLWGHPIUDQ]|VLVFKHQ.QVWOHUHLQHEHWUlFKWOLFKH%HGHXWXQJLQQHUKDOEHLQHU H[NOXVLYHXURSlLVFKRULHQWLHUWHQªDXWRQRPHQ*HVFKLFKWHGHU.XQVW©]XJHVSURFKHQ $XFK7ULHUI|UGHUWHPLWVHLQHUNXQVWKLVWRULVFKHQ3HUVSHNWLYHDXIGLH*DWWXQJGHU3ODVWLNHLQHQ'LVNXUVGHUGDV'HQNPDOWHQGHQ]LHOOVHLQHU)XQNWLRQHQWOHGLJWHGDHUYRUZLHJHQG]XJXQVWHQGHU$XWRQRPLHGHV2EMHNWVDUJXPHQWLHUWH+|IHUKLQJHJHQEULQJW PLWGHQEHLGHQ$XIQDKPHQYRQ&DODLV>$EE$EE@GHQDUFKLWHNWRQLVFKHQ.RQWH[WLQV6SLHOXQGWKHPDWLVLHUWGXUFKGLH.RQWUDVWLHUXQJPLWGHQ0XVHXPVDXIQDKPHQ EHLVSLHOVZHLVHDXV.RSHQKDJHQ6HRXOXQG1HZ$EE@ZDU strittig, ob die von Rodin modellierten Figuren nicht eher »einen Augenblick tiefster (UQLHGULJXQJ© GDUVWHOOWHQ DOV GHUHQ +HOGHQKDIWLJNHLW XQG EUJHUOLFKH7XJHQGHQ ]X betonen. 0DQ EH]ZHLIHOWH RE GLH )DVVXQJ GHU ]ZHLWHQ 0DTXHWWH WDWVlFKOLFK GD]X GLHQWH HLQH VWRO]H IUHLKHLWOLFK EUJHUOLFKH 2UGQXQJ ]X YHUPLWWHOQ XQG OHJWH 5RGLQ nahe, das Figurenensemble im Hinblick auf diese Ausdrucksgestaltung noch einmal ]XEHUDUEHLWHQ'LHKHURLVFKHQ$VSHNWHVROOWHQQDFKEHLQDKHHLQKHOOLJHU0HLQXQJ GHV.RPLWHHVGDV(ULQQHUXQJVELOGSUlJHQ$QGLHVHP%HLVSLHOZLUGGHXWOLFKZLHVWDUN VLFKGHUKLVWRULVFKH.RQWH[WLQGDV2EMHNWHLQVFKULHE =XJOHLFK]HLJWVLFKLP%LOGHQVHPEOHYRQ+|IHUZLHGLHQDWLRQDOH%HGHXWXQJGHU 6NXOSWXUIUGLHIUDQ]|VLVFKH'HQNPDONXOWXUGXUFKGLHLQWHUQDWLRQDOH'LVWULEXWLRQGHU %URQ]HDEJVVHEHUIRUPWMDVRJDUXPNRGLHUWZXUGH'HQQ5RGLQVBürger von Calais VWHKHQ QLFKW PHKU OHGLJOLFK IU HLQH QDWLRQDOH (ULQQHUXQJVNXOWXU, sondern vielPHKUDXFKIUHLQ2EMHNWLQQHUKDOEHLQHUDXWRQRPHQ*HVFKLFKWHGHU.XQVWIUHLQH EHVWLPPWH (SRFKHQPDUNH RGHU HLQHQ PHLVWHUKDIWHQ 3HUVRQDOVWLO LP 5DKPHQ HLQHV HXUR]HQWULVWLVFKHQ 'LVNXUVHV EHU GLH .XQVW GHU 0RGHUQH GLH LQVEHVRQGHUH GXUFK 2EMHNWH DXV GHP HXURSlLVFKHQ .XOWXUNUHLV LKUHQ$XWRQRPLHDQVSUXFK UHSUlVHQWLHUW 'LH'RFXPHQWDGLHDXFKHLQHSRVWNRORQLDOH3HUVSHNWLYHLQLKU.RQ]HSWLQWHJULHUWH UFNWHPLWGHU$UEHLWYRQ+|IHUGDV*HIlOOH]ZLVFKHQGHPZHVWOLFKHQª=HQWUXP©GHU .XQVWGHU0RGHUQHXQGVHLQHUª3HULSKHULH©LQGHQ%OLFN 9HUJOHLFKWPDQGDUEHUKLQDXV+|IHUV$XIQDKPHQ>$EE@PLWGHUKLVWRULVFK HWDEOLHUWHQ W\SLVFKHQ 9LVXDOLVLHUXQJ GHU Bürger von Calais >$EE @ GDQQ LVW IROJHQGHV DXIIDOOHQG,QNHLQHUGHUW\SLVFKHQ$EELOGXQJHQGLHYRP8PUDXPXQG 61 Vgl. Bothner 1993: Auguste Rodin, S. 12. 62 Vgl. Judrin/Laurent/Viéville 1977: Auguste Rodin, S. 114–117. 63 Bedenkt man, dass die Plastik nicht zuletzt auch ein Ereignis thematisiert, bei dem Frankreich den Engländern unterworfen wurde, dann wird die Aufstellung der Skulptur vor dem Parlamentsgebäude in London wiederum mit einem anderen Bedeutungsgehalt aufgeladen als etwa in Calais.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

 RQWH[WNRPSOHWWHQWOHGLJWVLQGWDXFKWGHU6RFNHODXI$OOHLQGLH3OLQWKHLVWDOV%DVLV . GHV6WDQGRUWHVDEJHELOGHW'LH)RWRLQVWDOODWLRQYRQ+|IHUYHUZHLVWKLQJHJHQPLWGHU EHLQDKH SHQHWUDQWHQ (LQIKUXQJ GHV 8PUDXPV XQG GHU 'DUVWHOOXQJ GHU JDQ] XQWHUVFKLHGOLFKHQ$XVIRUPXQJHQGHV6RFNHOVDXIHLQHEHUHLWVKLVWRULVFKNRQWURYHUVJHIKUWH $XVHLQDQGHUVHW]XQJ GLH LQ GHU W\SLVFKHQ (LQ]HODEELOGXQJ GHU Bürger von Calais >$EE @ NRPSOHWW XQWHU GHQ7LVFK IlOOW 5RGLQ KDWWH QlPOLFK GLH )UDJH HLQHV 3RVWDPHQWVXQGGLH$QRUGQXQJGHU6NXOSWXULP|IIHQWOLFKHQ5DXPLQWHQVLYEHVFKlIWLJW 'LHW\SLVFKHQIRWRJUD¿VFKHQ5HSURGXNWLRQHQGHU3ODVWLNWLOJHQMHGRFKGLHVHV%HGHXWXQJWUDJHQGHXQGMHQDFKKLVWRULVFKHP.RQWH[WGXUFKDXVYDULDEOH(OHPHQW]XJXQVWHQHLQHUIRUPDOHQ6WLOOOHJXQJGHV2EMHNWV±XQGGLHVREZRKOVRZRKOGHU%LRJUDSK *VHOO als auch RilkeYRQGHQQDFKKDOWLJHQhEHUOHJXQJHQXQG$XVHLQDQGHUVHW]XQJHQ GHV.QVWOHUVKLQVLFKWOLFKHLQHUDGlTXDWHQ$XIVWHOOXQJGHU6NXOSWXUEHULFKWHQ'DUEHU KLQDXV]HXJWGLH.RUUHVSRQGHQ]PLW'HZDYULQYRQGHUJDQ]XQGJDUQLFKWHLQGHXWLJHQ 3UlIHUHQ]5RGLQVKLQVLFKWOLFKGHU6RFNHOIUDJH%HLVSLHOVZHLVHHU|UWHUWHGHU%LOGKDXHU LQHLQHP%ULHIDQGHQ%UJHUPHLVWHUYRQ&DODLVVHLQHhEHUOHJXQJHQ]XHLQHUHEHQHUGLJHQ3ODW]LHUXQJRKQHMHGRFKGLHVH$XIVWHOOXQJVYDULDQWHH[NOXVLY]XIDYRULVLHUHQ 'LHVHZLGHUVSUXFKVYROOHQ$VSHNWHXQWHUVFKODJHQHLQLJH)RUVFKXQJVPHLQXQJHQLQGHP VLHNRQVWDWLHUHQGDVV5RGLQGHQ6RFNHOUDGLNDOLQIUDJHJHVWHOOWKDEH0DQJHKWVRJDU VRZHLWXQWHU%HUXIXQJDXI5RGLQV3ODQHLQHUHEHQHUGLJHQ3ODW]LHUXQJGHUBürger von Calais ±]ZDUPLWJHZLVVHQ(LQVFKUlQNXQJHQDEHULPPHUKLQ±GLHª*HEXUWVVWXQGHGHU QHXHQ%RGHQSODVWLN©]XNRQVWDWLHUHQ5WKEHWRQWª(VELOGHWHVLFKDOVRHLQGXUFKGLH /LWHUDWXUJHELOGHWHU0\WKRVGDVV5RGLQIUGLHVRFNHOORVHHUGYHUEXQGHQH$XIVWHOOXQJ ¾JHNlPSIW½KDEH'LHVH9HUVLRQEHHLQÀXVVWH.QVWOHUXQG.XQVWWKHRUHWLNHUQDFKKDOWLJ XQGLVWIUGLH(QWZLFNOXQJGHUPRGHUQHQ6NXOSWXULP$OOJHPHLQHQXQGLP%HVRQGHUHQ IUGLHLP|IIHQWOLFKHQ5DXPDXIJHVWHOOWH3ODVWLNQLFKWKRFKJHQXJHLQ]XVFKlW]HQ© 'DUEHUKLQDXVEHVFKUHLEWGHU.XQVWKLVWRULNHUGHQKRKHQ6WHOOHQZHUWGHQPDQ5RGLQV SODVWLVFKHP 6FKDIIHQ LQQHUKDOE GHV NXQVWZLVVHQVFKDIWOLFKHQ 'LVNXUVHV QLFKW ]XOHW]W DXIJUXQGYRQ*VHOOVXQG5LONHV'DUVWHOOXQJHQ]XVSUDFK »Die Diskussion um die Aufstellung der Bürger von Calais, die sicher für die damalige Kunstwelt und besonders auch für die Künstler von großem Interesse war, erfuhr erst durch die weite Verbreitung der beiden Publikationen [von Gsell und Rilke, Anmerkung K.H.] ihre intensive und einflussreiche 64 Beispielsweise verdeutlicht Appel, dass Rodin durchaus unterschiedliche Lösungen hinsichtlich der Aufstellung des Sockels in Betracht zog (vgl. Appel 1997: »Die Bürger von Calais«, S.72 ff). 65 Vgl. Rodin 1911: Die Kunst, S. 57–58. 66 Vgl. Rilke 1913: Auguste Rodin, S. 57–58. 67 Vgl. Judrin/Laurent/Viéville 1977: Auguste Rodin, S. 99–103 und den Brief Rodins an Dewavrin vom 8. Dezember 1893, ebd. S. 76. 68 Vgl. Judrin/Laurent/Viéville 1977: Auguste Rodin, S. 76. 69 Vgl. Rüth 1997: »Auguste Rodin«, S. 116. 70 Rüth bezieht sich hier u.a. auf einen Beitrag von Siegfried Salzmann im Katalog zur Ausstellung Rodin – Eros und Kreativität aus dem Jahr 1991 (vgl. Rüth 1997: »Auguste Rodin«, S. 118). 71 Rüth 1997: »Auguste Rodin«, S. 116.

CANDIDA HÖFER: DIE BÜRGER VON CALAIS

Wirkung. Wohl hauptsächlich durch diese Berichte erhielt Rodin den Ruf, daß er das Denkmal vom Sockel gestoßen habe. Die Vermischung und unkritische Übernahme der z.T. auch verfälschenden Schilderungen von Rilke und Gsell flossen ein in kunsthistorische Übersichts- und allgemeine Nachschlagewerke, die die Meinungen verfestigten, verbreiteten und allgemeingültig machten.«

5HNDSLWXOLHUW PDQ GDVV VLFK LQ GHQ EHLGHQ 3XEOLNDWLRQHQ YRQ 5LONH XQG *VHOO GLH W\SLVFKH9LVXDOLVLHUXQJVIRUPGHU6NXOSWXUEH¿QGHW>$EEVRZLH$EEXQG@ GDQQ NULVWDOOLVLHUW VLFK KLHU HLQPDO PHKU HLQ ZLUNPlFKWLJHU 'LVNXUV KHUDXV GHU LQ $EKlQJLJNHLW]XHLQHUJDQ]VSH]L¿VFKHQYLVXHOOHQ)RUPGHUPDVVHQPHGLDOHQ%LOGNXOWXUVWHKW$SSHOEHWRQW]XGHPGDVVGLH(U|UWHUXQJEHUGLHHEHQHUGLJH3ODW]LHUXQJEHL*VHOO73 als Tatsachenbericht nur von relativem Aussagewert sei74, und dass VLFKEHUHLWV]DKOUHLFKH.QVWOHUVSlWHVWHQVVHLWGHQHU-DKUHQPLWGHP6RFNHO XQG VHLQHU 5HODWLYLHUXQJ PLWWHOV VNXOSWXUDOHU XQG DUFKLWHNWRQLVFKHU (UZHLWHUXQJHQ beschäftigt hätten 'DUEHU KLQDXV ]HLFKQHW HU PLQXWL|V QDFK GDVV 5RGLQ VHOEVW VRJDUDXVJHIHLOWH6RFNHOO|VXQJHQIUVHLQH6NXOSWXULQ%HWUDFKWJH]RJHQKDWWH(LQH GDYRQUHDOLVLHUWHHUEHLVSLHOVZHLVHLQ/RQGRQ6LHZXUGHMHGRFKDXIJUXQGYRQ 3URWHVWHQDEJHWUDJHQXQG]XGHPLQGLH0LWWHGHVVictoria Tower Garden verlegt.77 'RUW EH¿QGHW VLH VLFK QRFK KHXWH$XFK +|IHU OLFKWHWH GLH 3ODVWLN DXI GHP EULJ JHEOLHEHQHQREHUHQ7HLOVWFNGHVHKHPDOLJHQ6RFNHOVDEXQGIJWHVLHLQLKU%LOGNRPSHQGLXPHLQ(LQH9HUVLRQGHU$XIQDKPHQDXV/RQGRQVWHOOWHVLHDXFKDXIGHU 'RFXPHQWDDXV>$EE@$QGLHVHP%HLVSLHO]HLJWVLFKGDVV+|IHUGXUFKLKUH IRWRJUD¿VFKH,QV]HQLHUXQJGHU6NXOSWXUGHUHQ6WDWXV]ZLVFKHQDXWRQRPHP.XQVWREMHNWXQG'HQNPDO]XU5HÀH[LRQEULQJW %HPHUNHQVZHUW LVW DXFK GDVV GLH DXI GLH JHQLDOH /HLVWXQJ 5RGLQV DE]LHOHQGH /HKUPHLQXQJLQDXIIlOOLJHU:HLVHPLWGHUW\SLVFKHQ9LVXDOLVLHUXQJVIRUPNRUUHVSRQGLHUW'HQQGLHVH'DUVWHOOXQJHQWOHGLJWVLFKGHUKLVWRULVFKHQ9HURUWXQJGHU3ODVWLNDOV 'HQNPDOXPVLHLQHLQHIRUPJHQHDORJLVFKHDXWRQRPH.XQVWJHVFKLFKWVVFKUHLEXQJ]X LQWHJULHUHQ(VOLHJWDXIGHU+DQGGDVVVLFKPLWGHUEntledigung des Sockels aus dem Bild das Argument reibungsloser vertreten lässt, Rodin habe als einer der ersten »das 'HQNPDOYRP6RFNHOJHVWR‰HQ©DOVPLWHLQHU$XIQDKPHDXV&DODLVRGHU/RQGRQGLH 72 73 74 75 76

Rüth 1997: »Auguste Rodin«, S. 115 f. Vgl. Rodin 1911: Auguste Rodin, S. 57. Vgl. Appel 1997: »Die Bürger von Calais«, S. 75. Vgl. Appel 1997: »Die Bürger von Calais«, S. 80. Vgl. Appel 1997: »Die Bürger von Calais«, insbesondere S. 77 f: Appel rekapituliert hier Rodins Überlegungen zur Aufstellung der Plastik in London. Die verschiedenen Sockelvarianten probierte er mittels eines Gestells im Garten seines Privatsitzes in Meudon aus. Fotografien, die die Plastik auf einem hölzernen Gestell zeigen, zeugen von der Auseinandersetzung Rodins mit möglichen Sockellösungen und Aufstellungshöhen der Bürger von Calais an der äußersten Nordspitze des Victoria Tower Garden vor dem Londoner Parlamentsgebäude >vgl. hierzu auch Abb. 50@. 77 Die ursprüngliche Aufstellung von 1915 wurde bereits von einigen Mitgliedern des für die Bürger von Calais zuständigen Londoner Komitees kritisiert. 1930 flammte die Kritik wieder auf, um dann erneut in den 1950er Jahren aufgefrischt zu werden, so dass diese letztlich zur Revision der Sokkelarchitektur führte (vgl. Appel 1997: »Die Bürger von Calais«, S. 78 f).

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

JHQDXGDV*HJHQWHLO]HLJWGLHEHZXVVWH3ODW]LHUXQJGHU6NXOSWXUDXIHLQHP6RFNHOLP |IIHQWOLFKHQ5DXP+LHUELOGHQGLH$XIQDKPHQYRQ+|IHUHLQ*HJHQJHZLFKWLPYLVXHOOHQ'LVNXUVGHU6NXOSWXUHQIRWRJUD¿HGHQQLKUH$EELOGXQJHQ]HLJHQGLHLQKRKHP 0D‰HGLVSDUDWHQ$XIVWHOOXQJVVLWXDWLRQHQ 9RU GLHVHP +LQWHUJUXQG N|QQHQ GLH )RWRJUD¿HQ GHU .|OQHU .QVWOHULQ DOV HLQ NRQWUDVWLYHV3HQGDQW]XP5HSHUWRLUHGHUPDVVHQPHGLDOHQ%LOGNXOWXUXQGGHQGDUDQ DQJHJOLHGHUWHQ'LVNXUVHQXPGLHDXWRQRPH.XQVWYHUVWDQGHQZHUGHQ,QGHP+|IHUV $XIQDKPHQGLH3ODVWLNHQDQLKUHQMHZHLOLJHQ$XIVWHOOXQJVRUWHQVDPWLKUHV6RFNHOV RGHUHEHQDXFKDOOHLQPLWGHU%URQ]HEDVLV]XU$QVFKDXXQJEULQJHQVHW]HQVLHGLH JDQ] XQWHUVFKLHGOLFKHQ KLVWRULVFKHQ .RQWH[WH LKUH GLYHUVHQ )XQNWLRQHQ XQG GLH GDPLWHLQKHUJHKHQGH%HGHXWXQJV]XVFKUHLEXQJHQLQ6]HQH6RIXQJLHUHQGLHBürger von CalaisHLQHUVHLWVDOV5HSUlVHQWDWLRQQDWLRQDOHU,GHQWLWlWLQ)RUPHLQHV'HQNPDOV EHLVSLHOVZHLVHLQ&DODLVRGHUDXFKLQ3DULVRGHUDEHUDXFKDOV(SRFKHQVLJQXPHLQHU VLFKDXWRQRPHQWZLFNHOQGHQ.XQVWLQGLYHUVHQPXVHDOHQ.RQWH[WHQ'DUEHUKLQDXV YHUPLWWHOQ VLH LP .RQWH[W HLQHU PRQRJUD¿VFK DQJHOHJWHQ 0XVHXPVVDPPOXQJ GLH /HLVWXQJHLQHV.QVWOHUJHQLXVZLHHWZDLQ3DULVRGHU3KLODGHOSKLD+|IHUXQWHUOlXIW IROJOLFKHLQPDVVHQPHGLDOLVLHUWHV%LOGUHSHUWRLUHXQGDXFKHLQHQGDUDQDQJHJOLHGHUWHQZLUNPlFKWLJHQNXQVWKLVWRULVFKHQ'LVNXUV'DVEHUGLH)RWRLQVWDOODWLRQUHÀHNtierte visuelle Dispositiv]HLFKQHWVLFKGXUFKGLH(QWOHGLJXQJGHV2EMHNWVYRQVHLQHP 8PUDXPDXV'LHVHH[NOXVLYH5HSUlVHQWDWLRQVIRUPNDQQVLFK]XGHPEUXFKORVLQGHQ ZHVWOLFKHXURSlLVFKHQ'LVNXUVXPHLQHDXWRQRPH*HVFKLFKWHGHU.XQVWHLQIJHQ 1983, 1993, 2004 – Die Aktualisierung von Rodins Bürgern von Calais in der zeitgenössischen Bildkultur

)UGLHHU-DKUHGLHQWGLH5RGLQ0RQRJUD¿HYRQ6FKPROO(LVHQZHUWK als einVFKOlJLJHV%HLVSLHOIUGLH3UlJXQJGHVKLHULP=HQWUXPGHU%HWUDFKWXQJVWHKHQGHQ YLVXHOOHQ'LVNXUVHV]X5RGLQVBürgern von CalaisPLWGHPDXFK+|IHUVIRWRJUD¿VFKH $UEHLWLQ9HUKDQGOXQJVWHKW'LHYHU|IIHQWOLFKWH3XEOLNDWLRQNDQQDOVHLQHGHUXPIDQJUHLFKVWHQ$UEHLWHQ]XP/HEHQXQG:HUNGHVIUDQ]|VLVFKHQ%LOGKDXHUVJHOWHQXQG OLHIHUWELVKHXWHZLFKWLJH,QIRUPDWLRQHQ]XUKLVWRULVFKHQ$XIDUEHLWXQJXQG4XHOOHQODJH VHLQHV¯XYUHV6LHLVWDOV6WDQGDUGZHUNIUGLH$XVHLQDQGHUVHW]XQJPLW5RGLQKlX¿J LQHLQVFKOlJLJHQNXQVWKLVWRULVFKHQ%LEOLRWKHNHQ]X¿QGHQ'HP]XIROJHNDQQPDQGDYRQDXVJHKHQGDVVGLHKLHUDXVJHZlKOWHIRWRJUD¿VFKH5HSURGXNWLRQGHU3ODVWLNHLQHQ SUlJHQGHQ(LQÀXVVDXIGLH5H]HSWLRQGHV:HUNHVKDWWHXQGLPPHUQRFKEHVLW]W(UQHXW LVWDXFKLQQHUKDOEGLHVHU3XEOLNDWLRQGLHFKDUDNWHULVWLVFKH9LVXDOLVLHUXQJGHU6NXOSWXUHQYRQ5RGLQ]X¿QGHQ'LH2EMHNWHVLQGYRUZLHJHQGYRUZHL‰HPRGHUVFKZDU]HP *UXQGSUlVHQWLHUW$XFKEHL6FKPROO(LVHQZHUWKWDXFKHQGLHBürger von Calais allein LPW\SLVFKHQ9LVXDOLVLHUXQJVVFKHPDXQGLQNHLQHUYDULLHUHQGHQ$QVLFKWDXI>$EE@ 'DUEHUKLQDXVDUEHLWHWVRZRKOGLH0RQRJUD¿H]XGHQBürgern von Calais von RoODQG%RWKQHUDXVGHP-DKUDOVDXFKGLH6DPPHOSXEOLNDWLRQ]X5RGLQDXVGHP 78 Schmoll-Eisenwerth 1983: Rodin-Studien. 79 Bothner 1993: Auguste Rodin.

CANDIDA HÖFER: DIE BÜRGER VON CALAIS

Abb. 47

Abb. 48

Abb. 49

Abb. 47: Einzelseite aus einer Monografie zum Werk Rodins: Schmoll-Eisenwerth, Josef A.: Rodin-Studien. Persönlichkeit – Werke – Wirkung, München 1983, S. 291 Abb. 48: Titelseite einer Monografie zu den Bürgern von Calais: Bothner, Roland: Auguste Rodin. Die Bürger von Calais, Frankfurt a.M. 1993 Abb. 49: Einzelseite aus einer Monografie zum Werk Rodins: Masson, Raphael/Mattiussi, Véronique: Rodin, Paris 2004, S. 94

-DKUHYRQ0DVVRQ0DWWLXVVLDXJHQIlOOLJPLWGHPREHQEHVFKULHEHQHQW\SLVFKHQ 'DUVWHOOXQJVPRGXV>$EE$EE@±REZRKOEHLGH9HU|IIHQWOLFKXQJHQPLWLKUHP SXEOL]LHUWHQ%LOGPDWHULDOGHQ8PUDXPXQG.RQWH[WGHU6NXOSWXUVWlUNHULP%OLFNKDEHQDOVGLHPHLVWHQGHU]XYRUHUZlKQWHQ%lQGH%RWKQHU]HLJWGLHW\SLVFKH9LVXDOLVLHUXQJVIRUPGLUHNWDXIGHU7LWHOVHLWHVHLQHU3XEOLNDWLRQ>$EE@XQGZHLVWGLHVHU$EELOGXQJVYDULDQWHLQVRIHUQGHQSURPLQHQWHVWHQ3ODW]]XGHQHLQH$EELOGXQJLP5DKPHQ HLQHU9HU|IIHQWOLFKXQJHLQQHKPHQNDQQ'LHVHELOGOLFKH,QV]HQLHUXQJXQWHUVWW]WHLQPDOPHKUGDVEHUHLWVEHNDQQWH%LOGVFKHPDGDVGXUFKGLH.DQlOHGHUPDVVHQPHGLDOHQ %LOGNXOWXU]LUNXOLHUW'LH)RWRJUD¿HDXIGHU7LWHOVHLWHGLHQWGHUVFKQHOOHQ(UNHQQEDUNHLW GHV7KHPDVXQGVWDELOLVLHUW]XJOHLFKGHQFKDUDNWHULVWLVFKHQ'DUVWHOOXQJVPRGXVGHUEHUKPWHQ3ODVWLN$XFK0DVVRQSUlVHQWLHUWLQVHLQHP$UWLNHO]X5RGLQV'HQNPDONXQVW DXI ]ZHL NRPSOHWWHQ 6HLWHQ GLH EHVFKULHEHQH GHNRQWH[WXDOLVLHUHQGH$EELOGXQJVYDULDQWH2EZRKOGLH0RQRJUD¿HLQQHUKDOEGHVJHQDQQWHQ%HLWUDJV]ZHLDNWXHOOHYDULLHUHQGHNOHLQIRUPDWLJH*HVDPWDQVLFKWHQGHU3ODVWLN]HLJWELOGHWGHU$UWLNHOGLHW\SLVFKH $QVLFKWDOVHLQ]LJHJUR‰IRUPDWLJH9HUVLRQDXIHLQHU6HLWHEHLQDKH)RUPDWIOOHQGDE >$EE@$XFKGLHVH3XEOLNDWLRQIROJWPLWZHQLJ$EZHLFKXQJGHUEHNDQQWHQW\SLVFKHQ'DUVWHOOXQJGHU3ODVWLNXQGZHLVWLKUGXUFKGLH*U|‰HGHV)RUPDWVXQGGHUGDPLW HLQKHUJHKHQGHQ+HUYRUKHEXQJHLQHSURPLQHQWH6WHOOXQJ]X'LHPRQRJUD¿VFKH6DPPHOSXEOLNDWLRQYRQ0DVVRQ0DWWLXVVLLVWYRUDOOHPGHVZHJHQLQWHUHVVDQWZHLOVLH±DOV HLQHGHUMQJHUHQ3XEOLNDWLRQHQDXVGHP-DKUHVWDPPHQG±LQ.RRSHUDWLRQPLW dem Museé RodinHQWVWDQGHQLVW6LHEHOHXFKWHWXQWHUVFKLHGOLFKH$VSHNWHYRQ5RGLQV 80 Masson/Mattiussi 2004: Rodin. 81 Masson 2004: »Rodin und die Denkmalkunst«.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

:HUN$QGHPSXEOL]LHUWHQ%LOGPDWHULDOZLUGGLHDXFKJHJHQZlUWLJQRFKEHVWlQGLJH :LUNPlFKWLJNHLWXQG$NWXDOLWlWGHUW\SLVFKHQ9LVXDOLVLHUXQJGHXWOLFK ,QGLHVHPLPPHUQRFKSUlVHQWHQELOGOLFKHQ'LVNXUVGHUPLWGLHVHU3XEOLNDWLRQYRQ HUQHXWDNWXDOLVLHUWZLUGEHJUQGHWVLFKDXFKGLH%ULVDQ]GHV)RWRHQVHPEOHVYRQ +|IHU$QGHQELVKHULJHQ$XVIKUXQJHQ]HLJWVLFKGDVVGDVXQWHUVXFKWH%LOGVFKHPD >$EE @ DXI HLQHP GLDFKURQHQ DEHU DXFK V\QFKURQHQ 'LVNXUVVWUDQJ YHUIROJW ZHUden kann: einerseits durch die aktuellen Zugriffsmöglichkeiten auf das historische %LOGPDWHULDODQGHUHUVHLWVDEHUDXFKZHLOGLHVH'DUVWHOOXQJVNRQYHQWLRQLQQHUKDOEGHU JHJHQZlUWLJHQ%LOGSUD[LVLPPHUQRFKDNWXDOLVLHUWZLUG$XVGHU$NWXDOLWlWXQGGHUKLVWRULVFKHQ%HVWlQGLJNHLWGLHVHUPHGLDOHQ)RUPGLH]XJOHLFKGHQ'LVNXUVXPGLH$XWRQRPLHGHU.XQVWIRUFLHUWOHLWHWVLFKGLHNXOWXUGLDJQRVWLVFKH4XDOLWlWYRQ+|IHUV)RWRLQVWDOODWLRQDE'HQQGLHIRWRJUD¿VFKH$UEHLWGHU.QVWOHULQUHÀHNWLHUWHLQHGLVSRVLWLYH :DKUQHKPXQJVDQRUGQXQJLQQHUKDOEGHUPDVVHQPHGLDOHQ%LOGNXOWXUGHUHQ%HGHXWXQJ VLFK DX‰HUGHP DXV XQWHUVFKLHGOLFKHQ KLVWRULVFKHQ 'LVNXUVIHOGHUQ HUVFKOLH‰W GLH LP IROJHQGHQ.DSLWHO]XU'LVNXVVLRQVWHKHQ=XYRUVROOHVMHGRFKLQHLQHPNXUVRULVFKHQ Überblick um die visuellen Abweichungen gehen, die innerhalb der massenmedialen %LOGNXOWXU LP 9LVXDOLVLHUXQJVVSHNWUXP GHU Bürger von Calais ]X EHREDFKWHQ VLQG +|IHUV)RWRLQVWDOODWLRQNDQQDXFK]XGLHVHQ%LOGHUQLQ%H]LHKXQJJHVHW]WZHUGHQ Abweichungen: Zur Heterogenisierung des Bildrepertoires der Bürger von Calais

(VLVWDXIIlOOLJGDVVQXUZHQLJHGHUJHVLFKWHWHQ3XEOLNDWLRQHQ)RWRJUD¿HQYHU|IIHQWOLFKHQGLHGHQ$XIVWHOOXQJVRUWXQGGDPLWDXFKGHQKLVWRULVFKHQ.RQWH[WDEOLFKWHQZLH HWZDMHQHEHUHLWVREHQHUZlKQWH3RVWNDUWHGLHGLHHUVWPDOLJH3ODW]LHUXQJGHU6NXOSWXU LQ&DODLV]HLJW>$EE@'LHVH)RWRJUD¿HQGLHDXFKGHQDUFKLWHNWRQLVFKHQ8Praum sichtbar machen, stammen interessanterweise überwiegend aus dem Archiv des Musée RodinLQ3DULVGDVHWZD)RWRJUD¿HQDXVGHP%HVWDQG5RGLQVEHZDKUW 'LHVHLQGHU=HLW]ZLVFKHQHWZDXQG±GDV7RGHVMDKU5RGLQV±HQWVWDQGHQHQ )RWRJUD¿HQ VLQG JDQ] RIIHQVLFKWOLFK QLFKW GXUFK HLQHQ YRQ GHU .XQVWJHVFKLFKWH JHSUlJWHQ'LVNXUVEHHLQÀXVVWGHUYRUDOOHPDXIGLH9HUJOHLFKEDUNHLWGHUIRUPDOHQ6WUXNWXUHQVHW]WLQGHPHUGDV2EMHNWIUHLVWHOOWXQGVHLQHV8PUDXPVHQWOHGLJW6LHZXUGHQ YRUDOOHPLP$WHOLHUNRQWH[WGHVIUDQ]|VLVFKHQ%LOGKDXHUVGXUFKLKQVHOEVWRGHUVHLQH 0LWDUEHLWHUDQJHIHUWLJW'LHVH$UFKLY)RWRJUD¿HQVWHOOHQVLFKGHU'LV]LSOLQLHUXQJGHV IDFKZLVVHQVFKDIWOLFKIRUPDODQDO\WLVFKHQ %OLFNV HQWJHJHQ GHQQ GLH IRWRJUD¿VFKHQ 'DUVWHOOXQJHQGHU6NXOSWXULP%LOGVLQGYHUJOHLFKVZHLVHGLYHUV$XFK]ZLVFKHQGLHVHP LQQXUZHQLJHQHLQVFKOlJLJHQ3XEOLNDWLRQHQYHU|IIHQWOLFKWHQ6SHNWUXPDQ)RWRJUD¿HQ DXVGHP$WHOLHUNRQWH[WXQGGHQ%LOGHUQYRQ+|IHUODVVHQVLFKHUVWDXQOLFKH3DUDOOHOHQ EHREDFKWHQZLHGLHIROJHQGHQ$XVIKUXQJHQEHLVSLHOKDIW]HLJHQN|QQHQ 82 Hier sind folgende Publikation zum Thema hervorzuheben: Pinet 1986: Rodin. Der Bildhauer im Licht seiner Photographen; Ausst.Kat. (1986) Les Photographes de Rodin; Elsen 1980: In Rodin´s Studio; Ausst.Kat. (1981) Rodin Rediscovered, sowie folgende Aufsätze: Becker 1999: »Auguste Rodin and Photography«; Pinet 1998: »Montrer est la Question Vitale«. Nach meinen Recherchen setzt die Forschung zum Gebrauch und Nutzen der Fotografie im künstlerischen Schaffen Rodins

CANDIDA HÖFER: DIE BÜRGER VON CALAIS

,QGHPEHUHLWVHUZlKQWHQ%HLWUDJYRQ0DVVRQDXVGHP-DKUWDXFKHQQHEHQ GHUEHNDQQWHQHKHUVFKHPDWLVFKHQ$EELOGXQJ>$EE@]ZHL)RWRJUD¿HQDXVGHP $UEHLWVNRQWH[WGHV.QVWOHUVDXIGLHGLH3ODVWLNDXIHLQHPDXV%UHWWHUQJHEDXWHQ VHKU SURYLVRULVFK HUVFKHLQHQGHQ *HVWHOO LP *DUWHQ YRQ 0HXGRQ GHP 6LW] YRQ 5RGLQV$WHOLHU ]HLJHQ >$EE @ :HLWHUH 9DULDQWHQ ]X GLHVHP %LOG WDXFKHQ EHL +pOqQH 3LQHW DXI 'LHVHU YRQ -DTXHV(UQVW %XOOR]  DQJHIHUWLJWH %URPVLOEHU *HODQWLQH$E]XJ YHUPLWWHOW HLQHQ (LQGUXFN YRP (QWVWHKXQJVNRQWH[W XQG YRQ GHQ (QWVFKHLGXQJVSUR]HVVHQGHV.QVWOHUVZlKUHQGVHLQHUELOGKDXHULVFKHQ$UEHLW'HQQ 5RGLQKDWWHVHLQH3ODVWLNKLHUSRVLWLRQLHUWXPGLH$XIVWHOOXQJVK|KHVHLQHU6NXOSWXU XQGGLH)UDJHGHV6RFNHOVIUGLHEHUHLWVREHQHUZlKQWH3ODW]LHUXQJHLQHV%URQ]HDEgusses der Bürger von CalaisLQ/RQGRQ]XNOlUHQ 'LH$XIQDKPHYRQ%XOOR]>$EE@LVWGXUFKHLQHH[WUHPH8QWHUVLFKWJHNHQQ]HLFKQHW XQG UFNW GDPLW HLQHUVHLWV HLQH SRWHQWLHOOH %HWUDFKWHUSHUVSHNWLYH GHU ]XNQIWLJHQ$XIVWHOOXQJVVLWXDWLRQ LQV %LOG GLH GLH W\SLVFKH9LVXDOLVLHUXQJ GXUFK GHQIURQWDOHQ%HWUDFKWHUVWDQGSXQNWJHPHLQKLQDXVEOHQGHW>$EE@$QGHUHUVHLWV DEHUYHUPLWWHOWGLH)RWRJUD¿HGXUFKGDV*HVWHOODXFKHLQ6WDGLXPGHUYRUOlX¿JHQ LPSURYLVLHUWHQ$QRUGQXQJ XQG NHQQ]HLFKQHW GDPLW ± JDQ] LP *HJHQVDW] ]X GHQ VWDWLVFKHQMHGHUKLVWRULVFKHQ9HURUWXQJHQWOHGLJWHQNXQVWKLVWRULVFKHQ.DWDORJIRWR JUD¿HQ±GLH9DULDELOLWlWGHU$XIVWHOOXQJVVLWXDWLRQ=XJOHLFKSUlVHQWLHUWGLH$EELOGXQJGHQ(QWVWHKXQJVSUR]HVVGHV2EMHNWHVDOVYHU]ZHLJWH]XP7HLOJDQ]XQYRUJHVHKHQH 6XFKEHZHJXQJ XQG ZHQLJHU DOV HLQ IROJHULFKWLJHV XQG NRQVHTXHQWHV 6WDGLXP LQ HLQHP VLFK OLQHDU ± XQG OHW]WOLFK WHOHRORJLVFK ± HQWZLFNHOQGHQ:HUNSUR]HVV'LHVH$XIQDKPH¿QGHWHLQ3HQGDQWLQHLQHU)RWRJUD¿HYRQ+|IHUGLHGLH 3ODVWLNZlKUHQGHLQHV5HVWDXULHUXQJVDXIHQWKDOWHVLQGHUVilla MediciLQ5RP]HLJW >$EE @$XFK KLHU EH¿QGHW VLFK GLH 6NXOSWXU LQ HLQHU WHPSRUlUHQ$XIVWHOOXQJ +|IHUV)RWRJUD¿HYHUPLWWHOW±JHQDXVRZLHGLH$XIQDKPHYRQ±GDVVKLVWRULVFKH2EMHNWHGDV3URGXNWHLQHUMHZHLOV]HLWJHQ|VVLVFKHQ$QDO\VHGDUVWHOOHQ$XFK GLH5HVWDXUDWLRQGHU6NXOSWXULQGHUVilla MediciIROJWYHUPXWOLFKHLQHUDNWXHOOHQ±LP KLVWRULVFKHQ3UR]HVVGXUFKDXVYDULDEOHQ±NXQVWKLVWRULVFKHQ)RUVFKXQJVH[SHUWLVH 'HULP%LOGVLFKWEDUH%HDUEHLWXQJVNRQWH[WOlXIWGHU)L[LHUXQJGHU2EMHNWHLQQHUKDOE HLQHU SRVLWLYLVWLVFK RULHQWLHUWHQ .XQVWJHVFKLFKWH GLH VLFK YRUZLHJHQG DP VWDWLVFK ¿[LHUEDUHQ (LQ]HOREMHNW RULHQWLHUW GLDPHWUDO HQWJHJHQ ,Q GHU W\SLVFKHQ KlX¿JDOVHLQ]LJHLQQHUKDOEHLQHU3XEOLNDWLRQSUlVHQWLHUWHQ$EELOGXQJGHUBürger von Calais>$EE@VLQGGLHVHWUDQVIRUPDWLYHQ$VSHNWH 5HVWDXUDWLRQ5HSURGXNWLRQ9HUOHJXQJGHU$XIVWHOOXQJVRUWHbQGHUXQJGHU6RFNHODUFKLWHNWXUHWF Y|OOLJ verstärkt gegen Mitte der 1980er Jahre ein. Eine ausgeprägtere Varianz an fotografischen Reproduktionen zu den Bürgern von Calais ist in unterschiedlichen Publikationen vor allem ab den 1990er Jahren zu beobachten. Zu einem früheren Zeitpunkt bilden lediglich selten in Katalogen veröffentlichte Fotografien aus dem Atelierkontext unterschiedliche Ansichten der Plastik ab. Auch diese stammen dann vorwiegend aus dem Rodin-Archiv des Musée Rodin in Paris. 83 Vgl. Masson 2004: »Rodin und die Denkmalkunst«, S. 92 und 93. Die Abb. 50 im vorliegenden Buch zeigt lediglich Seite 92. 84 Vgl. Pinet 1986: Rodin. Der Bildhauer im Licht seiner Photographen, S. 32.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

D XVJHEOHQGHW±LP*HJHQVDW]]XGHQ'DUVWHOOXQJVYDULDQWHQGLH+|IHUV%LOGHUXQG GLHKLHUQXUNXUVRULVFKVNL]]LHUWHQ$EZHLFKXQJHQGHUPDVVHQPHGLDOHQ%LOGNXOWXU ]HLJHQ'DV2EMHNWHUVFKHLQWLQVHLQHUKLVWRULVFKHWDEOLHUWHQW\SLVFKHQ'DUVWHOOXQJVIRUPDOVHLQWUDQVKLVWRULVFKNRQVLVWHQWHV.XQVWZHUN+|IHUV%LOGNRPSHQGLXPXQG DXFKGLHKLHUWKHPDWLVLHUWHQZHQLJHURIWSXEOL]LHUWHQ$EELOGXQJHQGLYHUVHU:HUN XQGhEHUDUEHLWXQJVSUR]HVVHVRZLHGLH3UlVHQWDWLRQGHUGLVSDUDWHQ$XIVWHOOXQJVRUWH VWHOOHQ$EZHLFKXQJHQGDUGLHGHQYLVXHOOHQ'LVNXUVEHUGLH$XWRQRPLHGHU.XQVW GHU0RGHUQHGXUFKNUHX]HQXQGXQWHUODXIHQ %HPHUNHQVZHUWLVWGDVVVLFKPLWGHQHU-DKUHQGDV6SHNWUXPDQDOWHUQDWLYHQ 'DUVWHOOXQJVYDULDQWHQXQG$QVLFKWHQGHU6NXOSWXULP5DKPHQYRQ$XVVWHOOXQJVNDWDORJHQXQGHLQVFKOlJLJHQNXQVWKLVWRULVFKHQ3XEOLNDWLRQHQ]XHUZHLWHUQVFKHLQWZHQQJOHLFKGLHW\SLVFKHDXWRQRPLVLHUHQGH9LVXDOLVLHUXQJVNXOSWXUDOHU2EMHNWHGLHDXFK bei den Bürgern von Calais ]X EHREDFKWHQ LVW >$EE @ LPPHU QRFK DXIWDXFKW (LQHQ 9RUOlXIHU ]X GLHVHQ 3XEOLNDWLRQHQ VWHOOW GHU EHUHLWV HUZlKQWH .DWDORJ YRQ -XGULQ/DXUHQWXQG9LpYLOOHDXVGHP-DKUGDUDEHUDXFKGHUHUVFKLHQHQH .DWDORJ ]XU$XVVWHOOXQJ Rodin Rediscovered GHU YRQ 5RVDOLQG .UDXVV HLQJHKHQG GLVNXWLHUW ZXUGH HEHQVR ZLH GLH9HU|IIHQWOLFKXQJ YRQ +pOqQ 3LQHW DXV GHP -DKUH  -HGRFK LVW DQ GHQ JHQDQQWHQ .DWDORJHQ DXIIDOOHQG GDVV GLH$UJXPHQWDWLRQ WURW] HLQHU YLVXHOO VWlUNHUHQ %HUFNVLFKWLJXQJ GHV (QWVWHKXQJVNRQWH[WHV KlX¿J LQ HLQH5KHWRULNGHUªJHQLDOHQ0HLVWHUVFKDIW©YHUIlOOWGLHLPPHUQRFKGLH2ULJLQDOLWlW GHU 2EMHNWH EHWRQW =ZDU UHODWLYLHUHQ HLQLJH 3XEOLNDWLRQHQ HLQ]HOQH GHP IUDQ]|VLVFKHQ.QVWOHU]XJHVFKULHEHQHJHQLDOLVWLVFKH=JHGXUFKGLH$QDO\VHHWZDGHU 3URGXNWLRQVEHGLQJXQJHQRGHUDEHUDXFKGXUFKGLH(U|UWHUXQJYRQ5RGLQVDPELYDOHQWHU+DOWXQJJHJHQEHUGHUWUDGLWLRQHOOHQ'HQNPDOVDUFKLWHNWXULP+LQEOLFNDXIGLH 6RFNHONRQVWUXNWLRQGHQQRFKDEHUUHDOLVLHUHQGLHVH3XEOLNDWLRQHQGXUFKGLHKLVWRULVFKHQ.RQWH[WXDOLVLHUXQJHQHKHUZHQLJHUHLQHNULWLVFKH5HÀH[LRQGHV2ULJLQDOLWlWV XQG*HQLHGLVNXUVHV'DVKDW]XU)ROJHZLHDXFK.UDXVVPRQLHUWGDVVGLH(LQKHLWHQ VRHWZDGLHª(LQKHLWHLQHV:HUNV©RGHUªHLQHVlVWKHWLVFKHQ2ULJLQDOV©, nach denen WUDGLWLRQHOOHUZHLVHKlX¿J)RUVFKXQJVHUJHEQLVVHJHJOLHGHUWZXUGHQQLFKWJUXQGVlW]OLFKNULWLVFKXQWHUGLH/XSHJHQRPPHQZHUGHQ0LWGHULPPHUQRFKDXIWDXFKHQGHQ W\SLVFKHQ 'DUVWHOOXQJ GHU Bürger von Calais und der damit verbundenen moderQLVWLVFKHQ5KHWRULNYHUPLWWHOQVLFKIROJOLFKªGLHYHU]ZHLIHOWHQ9HUVXFKH>@GLHVH

85 Vgl. die bereits erwähnten Publikationen: Bothner 1993: Auguste Rodin; Ausst.Kat. (1997) Auguste Rodin. Die Bürger von Calais – Werk und Wirkung; Masson/Mattiusi 2004: Rodin. Darüber hinaus ist zu erwähnen, dass etwa ein Jahr nach Höfers Projekt zu den Bürgern von Calais eine Publikation im Auftrag des Musée Rodin erschien, die erstmals die unterschiedlichen Standorte der Plastik versammelte. Sie löste ganz offensichtlich auf institutioneller Seite das ein, was Höfer mit ihrer künstlerischen Praxis angestoßen hatte: Die Reflexion des Werkes vor dem Hintergrund seiner plastischen Reproduktionen: vgl. Haudiquet 2001: Rodin. Les Bourgeois de Calais. 86 Vgl. Ausst.Kat. (1981) Rodin Rediscovered; Judrin/Laurent/Viéville 1977: Auguste Rodin. 87 Vgl. Ausst.Kat. (1997) Auguste Rodin. Die Bürger von Calais – Werk und Wirkung; Appel 1997: »Die Bürger von Calais«; Rüth 1997: »Auguste Rodin«. 88 Krauss 1982: »Mit freundlichen Grüßen«, S. 244.

CANDIDA HÖFER: DIE BÜRGER VON CALAIS

Abb. 50

Abb. 51

Abb. 50: Einzelseite aus einer Monografie zum Werk Rodins: Masson, Raphael/Mattiussi, Véronique: Rodin, Paris 2004, S. 92, Fotografie von Jacques-Ernst Bulloz von 1913 Abb. 51: Candida Höfer: Villa Medici Roma I 2001, C-Print, 152 x 152 cm

(LQKHLWHQ ZLHGHU KHU]XVWHOOHQ ZlKUHQG VlPWOLFKH $NWLYLWlWHQ GHU 6SlWPRGHUQH GUDPDWLVFKLKUH$XÀ|VXQJDOV(UIDKUXQJVPRGXVDXVWUDJHQ© 'LHDP2ULJLQDOE]ZDPRULJLQlUHQ6FK|SIXQJVDNWGHV0HLVWHUVDXVJHULFKWHWH *HVFKLFKWVVFKUHLEXQJYHUOLHUWGDVNRQVWDWLHUWDXFK.UDXVVPLWGHU0|JOLFKNHLWGHU 5HSURGXNWLRQXQGGHV0XOWLSOHVVRZLHPLWGHP9HUVFKZLQGHQHLQHVHLQGHXWLJDXV 0HLVWHUKDQGJHVFKDIIHQHQ2EMHNWVLKUHQ'UHKXQG$QJHOSXQNW.UDXVVEH]LHKWVLFK EHLGHU'DUOHJXQJGLHVHVSDUDGR[HQ6DFKYHUKDOWVDXIGLHEHUHLWVYRQ)RXFDXOWDXIJHZRUIHQHQ)UDJHQDQGLHDXFKPHLQHhEHUOHJXQJHQ]XU7UDQVIRUPDWLRQGHV.XQVWEHJULIIVDQVFKOLH‰HQN|QQHQ'LH$XWRULQ]LWLHUWQlPOLFKYRUGHP+LQWHUJUXQGLKUHU NULWLVFKHQ %HREDFKWXQJHQ ]X 5RGLQ XQG GHP 'LVNXUV XP GLH .XQVW GHU 0RGHUQH )RXFDXOWVhEHUOHJXQJHQ]XU7UDQVIRUPDWLRQHSLVWHPRORJLVFKHU2UGQXQJHQ »Man sieht dabei [hier folglich im Hinblick auf das Werk Rodins, Anmerkung, K.H.] ein ganzes Feld von Fragen sich entfalten, von denen einige bereits vertraut sind und durch die sich diese neue Form von Geschichte ihre eigene Theorie zu erarbeiten versucht: wie soll man die verschiedenen Begriffe spezifizieren, die das Denken der Diskontinuität gestatten (Schwelle, Bruch, Einschnitt, Wechsel, Transformation)? Nach welchen Kriterien soll man die Einheiten isolieren, mit denen man es zu tun hat: was ist eine Wissenschaft? Was ist ein Werk? Was ist eine Theorie? Was ist ein Begriff? Was ist ein Text? Wie soll man Abwechslung in die Niveaus bringen, auf die man sich stellen kann und von denen jedes seine Skansionen und seine Form der Analyse besitzt: welches ist das angemessene Niveau der Formalisierung? welches das der Interpretation? welches das der strukturalen Analyse? welches das der Kausalitätsbestimmungen? [sic!]«. 89 Krauss 1982: »Mit freundlichen Grüßen«, S. 244. 90 Krauss zitiert mit variierender Groß- und Kleinschreibung nach Foucault 1969: Archäologie des Wissens, S. 12 f: vgl. Krauss 1991: »Mit freundlichen Grüßen«, S. 244.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

7URW] GHU9DULDQ] GHU$QVLFKWHQ LQ GHQ QHXHUHQ 3XEOLNDWLRQHQ OLHJW GHU )RNXV GHU ELOGOLFKHQ 'DUVWHOOXQJ LPPHU QRFK SULPlU DXI GHQ IRUPDOHQ XQG NRPSRVLWRULVFKHQ$VSHNWHQGHV2EMHNWVGLHXQPLWWHOEDU]XHLQHUNRQWLQXLHUHQGHQ*HVFKLFKWV VFKUHLEXQJIKUHQGLHVLFKDXIHLQH(LQKHLWVWLIWHQGH:HUNNRKlUHQ]XQGHLQHQGDPLW YHUEXQGHQHQ.QVWOHUJHQLXVVWW]W 'LHVZLUGEHLVSLHOKDIWDQGHPHUVFKLHQHQHQ$XVVWHOOXQJVNDWDORJGHXWOLFK GHU VLFK YRUZLHJHQG PRQRJUD¿VFK GHQ Bürgern von Calais widmet. 'HQQ GLHVH 3XEOLNDWLRQPLVFKWLQQHUKDOEHLQHV%HLWUDJVGHVEHNDQQWHQ5RGLQ)RUVFKHUV6FKPROO (LVHQZHUWKDXIHLQHU'RSSHOVHLWHDFKW$EELOGXQJHQYRQXQWHUVFKLHGOLFKVWHQ6WDQGRUWHQGHU6NXOSWXUPLWHLQDQGHU>$EE$EE@(UVWEHLJHQDXHUHU%HWUDFKWXQJ der Bildunterschriften fällt die heterogene Zusammenstellung der aufgenommenen 6WDQGRUWH DXI 6LH VLQG DEHU RIIHQVLFKWOLFK XQEHGHXWHQG IU GLH IRUPDODQDO\WLVFKH $UJXPHQWDWLRQXQG¿QGHQYHUPXWOLFKGHVZHJHQDXFKNHLQH(UZlKQXQJLQQHUKDOEGHV GD]XJHK|ULJHQ%HLWUDJV'HQQGDVVGHUEHUZLHJHQGH7HLOGHU)RWRJUD¿HQLP3DULVHU Musée RodinDXIJHQRPPHQZXUGHREZRKOGLH$XVVWHOOXQJLQ0DULHPRQWVWDWWIDQG XQG]XJOHLFKHLQH$QVLFKWDXV%DVHOLQGDVDFKWWHLOLJH%LOGHQVHPEOHLQWHJULHUWLVWWKHPDWLVLHUWGHU$XWRUDQNHLQHU6WHOOHVHLQHV%HLWUDJV'LHLQ%DVHOHQWVWDQGHQHUHFKWV XQWHQDXIGHU.DWDORJVHLWHDQJHRUGQHWH)RWRJUD¿H>$EE@ELOGHW]XJOHLFKHLQEHLQDKHH[DNWJOHLFKI|UPLJHV3HQGDQW]XGHUEHULKUJUXSSLHUWHQ$XIQDKPHDXV3DULV 'LHVH%HREDFKWXQJHQ]HLJHQGDVVDXFKKLHUGHU)RNXVLPPHUQRFKYHUVWlUNWDXIGLH IRUPDOH*HVWDOWXQJJHOHQNWZLUGXQGZHQLJHUDXIGLHNRQWH[WXHOOHQ%HGLQJXQJHQGLH $VSHNWHGHU5HSURGXNWLRQXQGGLH5HODWLYLWlWGHV%HWUDFKWHUVWDQGSXQNWHVGLHHLQH auf die Autonomie der Form RULHQWLHUWH .XQVWJHVFKLFKWVVFKUHLEXQJ LQIUDJH VWHOOHQ N|QQWHQ 7URW]GHP GHU .DWDORJ YRQ  XQWHUVFKLHGOLFKH$QVLFKWHQ GHU 6NXOSWXU DEELOGHW KlOW 6FKPROO(LVHQZHUWK DQ HLQHU IRUPDODQDO\WLVFKHQ /HNWUH GHU 3ODVWLN IHVWGHQQHUVHW]WVLFKLQWHQVLYPLWGHU.RQVWUXNWLRQHLQHVª]ZHLUHLKLJHQ.RPSRVLWLRQVVFKHPDV©DXVHLQDQGHUGDVHUGHQBürgern von Calais]XJUXQGHOHJW(VLVWDXIIlOOLJGDVVGLHW\SLVFKH9LVXDOLVLHUXQJGHU3ODVWLN>$EE@JHQDXGLHVH$XVOHJXQJ fördert und eben diese, bereits bekannte Ansicht auch das achteilige Bildkonvolut seines Beitrags HU|IIQHW>$EE@'LHDXIGHUOLQNHQ'RSSHOVHLWHOLQNVREHQDQJHRUGQHWH$EELOGXQJVYDULDQWHOlVVWGDVSODVWLVFKH(QVHPEOHGXUFKGLHGUHLYRUGHUHQXQGGLH GUHLGDKLQWHUOLHJHQGHQYHUGHFNWHQ)LJXUHQDOVHLQH]ZHLUHLKLJH$QRUGQXQJHUVFKHLQHQ'DVVMHGRFKHLQHDOWHUQDWLYH/HVDUWLQHLQHUSRWHQWLHOONUHLVI|UPLJHQ.RPSRVLtion, wie sie etwa Bothner vorschlägt±EHLGHUGLH)LJXUGHV(XVWDFKHGH6DLQW3LHUUH GHQ0LWWHOSXQNWELOGHW±HLQHHEHQVRJOWLJH$QDO\VHSHUVSHNWLYHGDUVWHOOHQN|QQWH OlVVWVLFKHUVWEHUGLHYDULLHUHQGH$XIQDKPHQYRQDQGHUHQ%HWUDFKWHUVWDQGSXQNWHQ DXVEHJUQGHQ6FKPROO(LVHQZHUWKOlVVW±WURW]GHUGLYHUVHQ$EELOGXQJVYDULDQWHQ GLHHULQVHLQHP%HLWUDJSUlVHQWLHUW>$EE$EE@±DQGHUH%OLFNZLQNHODXIGDV 91 92 93 94

Vgl. Ausst.Kat. (1997) Auguste Rodin. Die Bürger von Calais – Werk und Wirkung. Vgl. Schmoll-Eisenwerth 1997: »Auguste Rodin: Die Bürger von Calais«. Vgl. Schmoll-Eisenwerth 1997: »Auguste Rodin: Die Bürger von Calais«, S. 39 ff. Vgl. Bothner 1993: Auguste Rodin, insbesondere S. 14.

CANDIDA HÖFER: DIE BÜRGER VON CALAIS

Abb. 52

Abb. 53

Abb. 52: linker Teil einer Doppelseite: Ausst.Kat. Auguste Rodin. Die Bürger von Calais – Werk und Wirkung, hrsg. v. Skulpturenmuseum Glaskasten Marl, Ausstellung Skulpturenmuseum Glaskasten Marl und Musée Royal de Mariemont, Ostfildern-Ruit 1997, S. 40 Abb. 53: rechter Teil einer Doppelseite: Bildquelle wie Abb. 52, hier aber S. 41

)LJXUHQHQVHPEOHLQQHUKDOEVHLQHU$QDO\VHMHGRFKZHLWJHKHQGDX‰HU$FKW(VVFKHLQW DOVHQWZLFNOHGHU.XQVWKLVWRULNHUVHLQ.RPSRVLWLRQVVFKHPDSULPlUDXVGHUW\SLVFKHQ IRWRJUD¿VFKHQ9LVXDOLVLHUXQJGHU3ODVWLNGLHHUEHUHLWVLQVHLQHU0RQRJUD¿H]X 5RGLQ SXEOL]LHUW KDWWH >$EE @ ,P *HJHQVDW] GD]X YHUPLWWHOQ EHLVSLHOVZHLVH GLH EHLGHQUHFKWHQ$XIQDKPHQDXIGHUOLQNHQ'RSSHOVHLWHGHV$XVVWHOOXQJVNDWDORJVYRQ  >$EE @ YHUVWlUNW HLQH NUHLVI|UPLJH$XVULFKWXQJ GHU .RPSRVLWLRQ %HPHUNHQVZHUWLVWMHGRFKGDVV6FKPROO(LVHQZHUWK]XJXQVWHQVHLQHU.RPSRVLWLRQVDQDO\VH NHLQHVZHJV DXI GLHVH GLVSDUDWHQ$QVLFKWHQ HLQJHKW GLH ]X P|JOLFKHQ DOWHUQDWLYHQ ,QWHUSUHWDWLRQHQIKUHQN|QQWHQ (V ]HLJW VLFK GDVV VRZRKO GLHVHU$XWRU DOV DXFK %RWKQHU WURW] XQWHUVFKLHGOLFKHU .RPSRVLWLRQVDQDO\VHQ LQ HLQHU WHQGHQ]LHOO H[NOXVLYHQ IRUPDQDO\WLVFKHQ $UJXPHQWDWLRQYHUKDIWHWEOHLEHQ6LHVWW]HQVLFKDXI)RWRJUD¿HQGLHGHUEHNDQQten, W\SLVFKHQ9LVXDOLVLHUXQJVIRUP>$EE@QRFKUHODWLYQDKHNRPPHQ(LQHGDV %LOGIRUPDWIOOHQGH$EELOGXQJGHV2EMHNWVEHLGHPGHU.RQWH[WZHLWJHKHQGLQGHQ +LQWHUJUXQGUFNW7URW]GHU9DULDELOLWlWGHU$QVLFKWEOHLEWEHL6FKPROO(LVHQZHUWK GHU$EVWDQGGHV)RWRJUD¿HUHQGHQ]XP2EMHNWJOHLFK'DVVGHUGXUFKGLH)RWRJUD¿HQ YHUPLWWHOWH %HWUDFKWHUVWDQGSXQNW YRU DOOHP GLH )RNXVVLHUXQJ DXI GLH IRUPDOHQ 6WUXNWXUHQ XQWHUPDXHUW ZLUG LQQHUKDOE GHU hEHUOHJXQJHQ GHU EHLGHQ$XWRUHQ QLFKW EHUFNVLFKWLJW 'DV YLVXHOOH 'LVSRVLWLY GDV +|IHU PLW LKUHU )RWRLQVWDOODWLRQ UHÀHNWLHUW LVW LQ EHLGHQ NXQVWKLVWRULVFKHQ 8QWHUVXFKXQJHQ ZHLWJHKHQG DXVJHEOHQGHW'LHIRWRJUD¿VFKH$UEHLWGHU.|OQHU.QVWOHULQXQWHUVWUHLFKWEHLVSLHOVZHLVHLP *HJHQVDW]]X6FKPROO(LVHQZHUWKV%LOGDXVZDKOHLQVHKUKHWHURJHQHV6SHNWUXPDQ %HWUDFKWHUVWDQGSXQNWHQ XP GDV IRWRJUD¿VFKH 0HGLXP UHÀH[LY LQV %LOG ]X KROHQ 'LH9DULDQ]UHLFKWGDEHLYRQ$XIQDKPHSRVLWLRQHQGLHHKHUHLQHIRUPDODQDO\WLVFKH

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

Abb. 54

Abb. 55

Abb. 54: Detail aus der Doppelseite des Ausstellungskatalogs von 1997: vgl. Abb. 52, Fotografie links unten Abb. 55: Candida Höfer: Musée Rodin Paris I 2000, C-Print, 152 x 152 cm

3HUVSHNWLYH XQG VRJDU HLQ ]ZHLUHLKLJHV .RPSRVLWLRQVVFKHPD XQWHUVWUHLFKHQ ZLH HWZDGLH)RWRJUD¿HQYRQ.RSHQKDJHQXQG6HRXO>$EE$EE@ELVKLQ]XVROFKHQGLHYRUZLHJHQGGHQ.RQWH[WLQGHQ%OLFNQHKPHQ±QlPOLFKGDQQZHQQGDV 2EMHNWEHLQDKHNRPSOHWWDXVGHP%OLFNIHOGJHUlWZLHEHLGHQ%LOGHUQYRQ/RQGRQ XQG&DODLV>$EE$EE@ +|IHUV)RWRLQVWDOODWLRQZLGPHWVLFKGHPYLVXHOOHQ'LVNXUVEHUGLH'DUVWHOOXQJVvarianten der Bürger von Calais LP %HUHLFK GHU 6NXOSWXUHQIRWRJUD¿H VR GDVV GLH %HGLQJXQJHQGHU0|JOLFKNHLWXQWHUVFKLHGOLFKHU$XVOHJXQJVYDULDQWHQGHU.RPSRVLWLRQLQ$EKlQJLJNHLW]XUMHZHLOLJHQ9LVXDOLVLHUXQJVIRUP]XP$XVGUXFNNRPPHQ,Q +|IHUV)RWRJUD¿HQ]HLJWVLFK]XQlFKVWOHGLJOLFKGDVVPLWHLQHUMHZHLOVVSH]L¿VFKHQ $QVLFKWLJNHLW GLVSDUDWH (LQGUFNH GHV )LJXUHQHQVHPEOHV YHUEXQGHQ VLQG 'LHVH GLVSDUDWHQ(LQGUFNHMHGRFKGDVZlUHHLQGDUDQDQVFKOLH‰HQGHU*HGDQNHN|QQHQ ]ZHLIHOORVDXFK]XXQWHUVFKLHGOLFKHQ,QWHUSUHWDWLRQVOHLVWXQJHQIKUHQ6RKlOWDXFK 0DUWLQD'REEHLQLKUHU$XVHLQDQGHUVHW]XQJPLWGHU.XQVWUHSURGX]LHUHQGHQ)RWRJUD¿HIHVWGDVVªQLFKW]XOHW]WJHUDGHGLHJHULQJIJLJHQ'LIIHUHQ]HQYHUVFKLHGHQHU Fotovorlagen den Blick dafür schärfen, in welchem Ausmaß kunsthistorische InterSUHWDWLRQHQ GXUFK NXQVWUHSURGX]LHUHQGH >VLF@ )RWRJUD¿HQ EHHLQÀXVVEDU VLQG© $XFKLQGLHVHQIDFKZLVVHQVFKDIWOLFKHQ'LVNXUVGHULQKRKHP0D‰HYRQGHQKLVWRULVFKHQ%HGLQJXQJHQGHUIRWRJUD¿VFKHQ5HSURGXNWLRQHQJHSUlJWLVW, schreibt sich Candida Höfer mit ihren Bildern über die Bürger von Calais ein. (LQ %LOGYHUJOHLFK ]ZLVFKHQ HLQHU$XIQDKPH DXV GHP EHUHLWV HUZlKQWHQ %HLWUDJ YRQ6FKPROO(LVHQZHUWKLQQHUKDOEGHU3XEOLNDWLRQYRQ>$EE@XQGHLQHU)RWRJUD¿HYRQ+|IHU>$EE@GLHDXFKDXIGHU'RFXPHQWDDXVJHVWHOOWZDUYHUGHXW95 Dobbe 2007: »Wie man Skulpturen aufnehmen soll«, S. 51. 96 Vgl. hierzu auch: Johnson 1998: Sculpture and Photography. Envisioning the Third Dimension, insbesondere das Kapitel Photography´s Impact on the History of Sculpture (S. 8 ff).

CANDIDA HÖFER: DIE BÜRGER VON CALAIS

Abb. 56

Abb. 57

Abb. 56: Detail aus der Doppelseite des Ausstellungskatalogs von 1997: vgl. Abb. 53, Fotografie rechts unten Abb. 57: Candida Höfer: Musée Royal Mariemont I 2000, C-Print, 152 x 152 cm

OLFKWGLHVHQ$VSHNW'LHIRWRJUD¿VFKH$UEHLWGHU.|OQHU.QVWOHULQWULWWLQHLQ.RQWUDVWYHUKlOWQLV ]X GHQ 5HSUlVHQWDWLRQVIRUPHQ GHU PDVVHQPHGLDOHQ %LOGNXOWXU %HLGH )RWRJUD¿HQ ]HLJHQ HLQH 6LFKW DXI GLH 6NXOSWXU GHV IUDQ]|VLVFKHQ Bildhauers, die in der Außenanlage des Musée Rodin aufgestellt ist. Allerdings eröffnet die Aufnahme DXVGHP$XVVWHOOXQJVNDWDORJYRQHLQH6LFKWGLHDXIHLQHP%HWUDFKWHUVWDQGSXQNW LQQHUKDOE GHV 0XVHXPVJHOlQGHV JUQGHW ZRKLQJHJHQ +|IHU GLH 6NXOSWXU MHQVHLWV GHUVLHDEVFKLUPHQGHQ0DXHUGLUHNWYRQGHUEHUHLWVHUZlKQWHQRue de Varenne aus, DEOLFKWHW'LHWHUULWRULDOHUlXPOLFKDUFKLWHNWRQLVFKHXQGGDPLWPXVHDOH9HURUWXQJGHV :HUNHV ZLUG KLHU DOV %HGHXWXQJ VWLIWHQGH 5DKPHQVHW]XQJ VLFKWEDU 'HU %HWUDFKWHUVWDQGSXQNWYHUGHXWOLFKWGXUFKGLH%DUULHUHGHU0DXHUGLHGHQ%OLFNDXIGLH6NXOSWXU QXU WHLOZHLVH IUHLJLEW GLH *UHQ]H MHQHV %HGHXWXQJ VWLIWHQGHQ 5DKPHQV 6SH]L¿VFKH 0HWKRGHQGHU:HUNLQWHUSUHWDWLRQVRHWZDGLH$QDO\VHGHU)RUPRGHUDEHUGLH.RQVWUXNWLRQHLQHUPHLVWHUVFKDIWOLFKHQ*HQLDOLWlWN|QQHQQXUXQWHUGHQ9RUUDXVVHW]XQJHQ HLQHUGHQ%OLFNQLFKWLUULWLHUHQGHQ±PLWKLQKHUPHQHXWLVFKHQ±,QQHQSHUVSHNWLYHXQG EHUGLHHLQGHXWLJH$EJUHQ]XQJGHV2EMHNWVYRQVHLQHP8PUDXP±RGHUDXFK.RQWH[W ±UHDOLVLHUWZHUGHQ+|IHUV$XIQDKPHPRGXVYHUKLQGHUWGDVVGLHIRUPDOH6WUXNWXUGHV :HUNVYHUVWlUNWLQGHQ)RNXVGHU%HWUDFKWXQJWULWWXQGNRQWHUNDULHUWGDPLWDXFKGHQ 'LVNXUVEHUGDVDXWRQRPH.XQVWREMHNWXQGVHLQHQJHQLDOLVFKHQ6FK|SIHUGHUQLFKW ]XOHW]WDXFKLP0XVHXPVNRQWH[WHLQHWUDJHQGH5ROOHVSLHOW 'DUEHUKLQDXVODVVHQVLFKHUVWDXQOLFKH3DUDOOHOHQ]ZLVFKHQGHUEHUHLWVHUZlKQWHQDFKWHQ$XIQDKPHDXV%DVHO>$EEUHFKWVXQWHQXQG$EE@GLHVLFKLQQHUKDOEGHV.DWDORJVYRQJOHLFKVDPSDUDVLWlUXQWHUGLHVLHEHQEULJHQ$QVLFKWHQ aus dem Musée Rodin mischt, und einer Aufnahme Höfers aus dem Innenraum des Musée RoyalLQ0DULHPRQW>$EE@IHVWVWHOOHQ%HLQDKHVRDOVRE+|IHUKLHUGHQ )LQJHUDXIGLHª3ROLWLNHQGHU5HSUlVHQWDWLRQ©LQQHUKDOEGHVNXQVWKLVWRULVFKHQ'LVkurses gelegt habe, rückt die Fotoinstallation genau die Ansicht ins Zentrum der AufPHUNVDPNHLWGLHLQQHUKDOEGHV.DWDORJVYRQDXIJUXQGLKUHUHLJHQWPOLFKHQ

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

XQGXQHUZlKQWHQ'RSSOXQJ,UULWDWLRQHQKHUYRUUXIW>$EE@2EZRKOGLH$XVVWHOOXQJLQ0DULHPRQWVWDWWIDQGLQWHJULHUWGLH3XEOLNDWLRQLQQHUKDOELKUHVDFKWWHLOLJHQ %LOGNRQYROXWV NHLQH HLQ]LJH $XIQDKPH GHU $XIVWHOOXQJ GHU 6NXOSWXU LP Musée RoyalLQ0DULHPRQW,PKLHUEHLVSLHOKDIWDQJHIKUWHQ%LOGYHUJOHLFK]HLJWVLFKHLQGUXFNVYROOZLHGLH)RWRLQVWDOODWLRQGHU.|OQHU.QVWOHULQGLHIRUPDOHQ6WUXNWXUHQ GHVYLVXHOOHQ'LVNXUVHVEHUGLHBürger von CalaisVH]LHUW(VVFKHLQWKLHUDOVNRPPHQWLHUHGLH$XIQDKPHDXV0DULHPRQWGDV%LOGUHSHUWRLUHGHU6NXOSWXUHQIRWRJUD¿H ]X5RGLQVEHUKPWHU3ODVWLN(VLVWDXJHQIlOOLJGDVVVRZRKOGLH.DWDORJDXIQDKPH DOV DXFK GLH $XIQDKPH YRQ +|IHU HLQH HLQHP 7ULSW\FKRQ lKQOLFKH GUHLJHWHLOWH *OLHGHUXQJGHUKLQWHUHQ5DXPVWUXNWXUDXIZHLVW:HQQVLFKPLWGHPW\SLVFKHQ%LOGVFKHPD>$EE@HLQH9RUGHUDQVLFKWYHUELQGHWGDQQVHW]HQGLHEHLGHQ)RWRJUD¿HQ GLH6NXOSWXULQHLQHUZHLWJHKHQGLGHQWLVFKHQXQGVHOWHQ]XVHKHQGHQ5FNHQDQVLFKW LQ6]HQH'LH3OLQWKHVLW]WIDVWXQXQWHUVFKHLGEDUDQGHUJOHLFKHQ6WHOOHGHVXQWHUHQ %LOGUDQGHV XQG VR YDULLHUW GHU %HWUDFKWHUVWDQGSXQNW OHGLJOLFK PLQLPDO 'LHV PDJ HLQZHLWHUHU+LQZHLVGDUDXIVHLQGDVV+|IHUH[DNWEHREDFKWHQGXQGK|FKVWUHÀHNWLHUWGLHGLVSRVLWLYHQ6WUXNWXUHQGHUWUDGLWLRQHOOHQ6NXOSWXUHQIRWRJUD¿HUHÀHNWLHUW 6WDWWGRPLQDQWHU9RUGHUDQVLFKWHQ]HLJWVLHDXFKZDVLP5FNHQGHVEHREDFKWHWHQ 2EMHNWV]XVHKHQLVW

DISKURSFELDER UM 1900: SKULPTURENFOTOGRAFIE, VERGLEICHENDES SEHEN UND OBJEKTIVITÄT

:LH GLH KLHU YRUDQJHJDQJHQHQ$XVIKUXQJHQ ]HLJHQ NRQQWHQ H[LVWLHUW HLQ UHODWLY YDULDQWHQDUPHV6SHNWUXPDQIRWRJUD¿VFKHQ3UlVHQWDWLRQVPRGLLP+LQEOLFNDXI5RGLQV6NXOSWXUGHUBürger von Calais innerhalb der massenmedialen Bildkultur: eine H[NOXVLYHVSH]L¿VFKH$QVLFKWGHU)LJXUYRUQHXWUDOHP+LQWHUJUXQG'LHVH)RUPGHU $EELOGXQJ GHV 2EMHNWV PDJ XQWHUVFKLHGOLFKHQ 6DFK]ZlQJHQ JHVFKXOGHW VHLQ VR P|JOLFKHUZHLVH GHQ DXIZlQGLJ HLQ]XKROHQGHQ %LOGUHFKWHQ GHP $UJXPHQWDWLRQVJDQJLQQHUKDOEHLQHU3XEOLNDWLRQGLHOHGLJOLFKHLQHEHVWLPPWH$Q]DKOIRWRJUD¿VFKHU 5HSURGXNWLRQHQYHUNUDIWHWHLQHPEHVFKUlQNWHQ¿QDQ]LHOOHQ5DKPHQRGHUDXFKGHQ 'LVWULEXWLRQVEHGLQJXQJHQGHU)RWRJUD¿HQGLHXQWHU8PVWlQGHQVFKZHU]XEHVFKDIfen sind,P)ROJHQGHQVROOHQMHGRFKYRUDOOHPGLHGLVNXUVLYHQXQG]XJOHLFKNXOWXUKLVWRULVFKHQ$VSHNWHLP0LWWHOSXQNWVWHKHQGLH]XGHUP|JOLFKHQ+HUDXVELOGXQJGHU EHVFKULHEHQHQW\SLVFKHQ9LVXDOLVLHUXQJVIRUPLQQHUKDOEGHU6NXOSWXUHQIRWRJUD¿HJHIKUWKDEHQXQGHLQHGLVSRVLWLYH:DKUQHKPXQJVDQRUGQXQJLP%HUHLFKGHUPDVVHQmedialen Bildkultur konstituierten. Hier interessieren insbesondere charakteristische 'LVNXUVHGLHLQGHU=HLWGHUVLFKHWDEOLHUHQGHQ.XQVWUHSURGX]LHUHQGHQ)RWRJUD¿H 97 Dilly erörtert aufschlussreich das Netz an Verlegern, die sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts auf die Distribution von fotografischen Reproduktionen spezialisiert hatten und damit den Markt an Abbildungen stark regulierten, so etwa Alinari in Florenz oder Braun, Clement et Comp. in Dornach/Elsaß (vgl. Dilly 1975: »Lichtbildprojektion – Prothese der Kunstbetrachtung«, insbesondere S. 155 und 162).

CANDIDA HÖFER: DIE BÜRGER VON CALAIS

JHIKUWZXUGHQXQGGLHGLHIRWRJUD¿VFKHQ5HSURGXNWLRQHQDXFKIRUPDOJHSUlJWKDEHQ'XUFKGLH8QWHUVXFKXQJKLVWRULVFKHU'LVNXUVIHOGHUNDQQGLHGLVSRVLWLYH:DKUQHKPXQJVDQRUGQXQJLQLKUHU+HWHURJHQLWlW]ZLVFKHQYLVXHOOHQXQGVSUDFKOLFKHQ'LVNXUVHQHEHQVRZLHLP6SDQQXQJVIHOGNXOWXUHOOHU3UD[HQGLIIHUHQ]LHUWEHVWLPPWZHUGHQ$QGHQKLVWRULVFKHQ'HEDWWHQYHUGHXWOLFKWVLFKZHOFKHV:LVVHQEHU.XQVWVLFK PLWGLHVHUVSH]L¿VFKHQ)RUPGHUIRWRJUD¿VFKHQ,QV]HQLHUXQJYHUELQGHW'LH.XQVW UHSURGX]LHUHQGH )RWRJUD¿H XQWHUPDXHUWH ± ZLH EHUHLWV DQJHGHXWHW ± QLFKW ]XOHW]W DXFKHLQHQ.XQVWEHJULIIGHUYRUDOOHPDXIIRUPDOH$VSHNWH]XJHVSLW]WZDUXQGGLH +LVWRULRJUD¿HHLQHUDXWRQRPHQ*HVFKLFKWHGHU.XQVWVWW]WH0LWGHU(U|UWHUXQJDXVJHVXFKWHUKLVWRULVFKHU'LVNXUVIHOGHU]HLJWVLFKDXFKGDVV+|IHUV)RWRLQVWDOODWLRQHLQHQ.XQVWEHJULIIKHUDXVIRUGHUWGHUWLHILQGHQ:LVVHQVIRUPDWLRQHQGHUHXURSlLVFKHQ .XQVWJHVFKLFKWVVFKUHLEXQJ YHUDQNHUW LVW XQG QLFKW ]XOHW]W GXUFK GHXWVFKVSUDFKLJH 3URWDJRQLVWHQGHU)DFKJHVFKLFKWHSRVWXOLHUWZXUGH »Wie man Skulpturen aufnehmen soll« – Heinrich Wölfflin

%HPHUNHQVZHUW LVW GDVV VLFK GLH EHVFKULHEHQH W\SLVFKH 9LVXDOLVLHUXQJVIRUP >$EE @ GLH VLFK GXUFKeine +DXSWDQVLFKW YRU HLQKHLWOLFKHP *UXQG DXV]HLFKQHW SDVVJHQDX PLW +HLQULFK :|OIÀLQV QRUPDWLYHP 'LNWXP HLQHU YRUZLHJHQG VSH]L¿VFKHQ +DXSWDQVLFKWLJNHLW YRQ 6NXOSWXUHQ LQ %H]LHKXQJ VHW]WHQ OlVVW 'LHVH 7KHVH KDWWHGHUSURPLQHQWH6FKZHL]HU.XQVWKLVWRULNHULQGHQ-DKUHQXQG in seinem dreiteiligen Artikel unter dem Titel Wie man Skulpturen aufnehmen soll in der Zeitschrift für bildende Kunst erörtert.'DVVGLHVHU'LVNXUVLQGHUPXVHDOHQXQG akademischen Öffentlichkeit relevant gewesen sein muss, dürfte naheliegen, wenn PDQGHQ6WDWXVXQG(LQ]XJVEHUHLFKGHUZeitschrift für bildende KunstUHNDSLWXOLHUW XQGDXFKGHQ5HGDNWLRQVVWDEPLWVHLQHU%HVHW]XQJDQSURPLQHQWHQ.XQVWKLVWRULNHUQ XQG 0XVHXPVOHXWHQ EHUFNVLFKWLJW$XFK GLH =HLWVSDQQH GHU 9HU|IIHQWOLFKXQJHQ GHUGUHL%HLWUlJHVSULFKWIUGLH3URPLQHQ]YRQ:|OI¿QV$QVDW]: immerhin liegen  -DKUH ]ZLVFKHQ GHU 3XEOLNDWLRQ GHV HUVWHQ XQG OHW]WHQ7HLOV GHV$UWLNHOV$XFK 98 Wölfflin 1896/1897/1915: »Wie man Skulpturen aufnehmen soll«, Teil I-III. 99 Wilhelm von Bode rekapituliert in der 50. Jahrgangsnummer, die 1915 erschien, in kurzen Worten die Geschichte der 1866 gegründeten Zeitschrift, die eine der ältesten Kunstzeitschriften Deutschlands ist. Ihr Vorbild war die französische Gazette des Beaux Arts. Die deutschsprachige Zeitschrift zählte auf der Seite der »Kunstforscher«, wie Bode sie tituliert, Karl Schnaase, G.F. Waagen, Carl Justi und Jacob Burckhardt sowie den Archäologen, Kunsthistoriker und Mitbegründer der Zeitschrift Carl von Lützow aus Wien zu ihren Mitarbeitern (vgl. Bode 1914/1915: »Zum fünfzigsten Jahrgang«). Auch der Einführungsartikel gibt Aufschluss über die thematische Verankerung der Zeitschrift im Bereich der Denkmalpflege, des Museums und der Hochschule (vgl. Strzygowski 1914/1915: »Wandel der Kunstforschung«). Wiebke Ratzeburg konstatiert in ihrem Artikel, dass die Zeitschrift für bildende Kunst als das wichtigste Organ der Kunstgeschichte dieser Epoche gelten könne (vgl. Ratzeburg 2002: »Mediendiskussion im 19. Jahrhundert«, S. 37, Fußnote 22). 100 Wölfflin gibt fälschlicherweise in seinem Artikel von 1915 an, die beiden ersten Beiträge zum Thema in den Jahrgängen 1894 und 1895 in der Zeitschrift für bildende Kunst veröffentlicht zu haben (vgl. Wölfflin 1915: »Wie man Skulpturen aufnehmen soll«, Teil III, S. 237). Eine Recherche nach den Artikeln ergab jedoch, dass diese in den Jahren 1896 und 1897 erschienen sind.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

GHU+LQZHLV:|OIÀLQVGDVVGLH5HGDNWLRQLKQHLJHQV]XHLQHP$UWLNHOIUGLH(U|IIQXQJGHVIQI]LJVWHQ-DKUJDQJVGHU=HLWVFKULIWDXIJHIRUGHUWKDEH]HXJWYRQ VHLQHUZLFKWLJHQ3RVLWLRQLPNXQVWKLVWRULVFKHQ'LVNXUVGHU=HLW ,QGHQGUHLJHQDQQWHQ%HLWUlJHQYHUWULWW:|OIÀLQGLH7KHVHGDVVGLHDXIHLQH +DXSWDQVLFKWQlPOLFKGLH9RUGHUDQVLFKWNRQ]LSLHUWH6NXOSWXUGHU5HQDLVVDQFHGLH .XQVWUHSURGX]LHUHQGH)RWRJUD¿HYRUGLH$XIJDEHVWHOOHHEHQMHQHLGHDOW\SLVFKH $QVLFKWH[DNWLQV%LOG]XVHW]HQ1XUªGDVYHUZLOGHUWH$XJHGHU0HQVFKHQ©VR :|OIÀLQVQRUPDWLYHV'LNWXPGDVJDQ]RIIHQNXQGLJQRFKVWDUNYRQHLQHPZHVWOLFKHXURSlLVFKHQ )RUWVFKULWWVJODXEHQ ± YRQ GHU 1DWXU ]XU .XOWXU E]Z YRQ GHU %DUEDUHL ]XU =LYLOLVDWLRQ ± XQG GDPLW YHUEXQGHQHQ NRORQLDOLVWLVFKHQ 9RUXUWHLOVVWUXNWXUHQ JHSUlJW LVW ODVVH VLFK GLH ZLGULJVWHQ hEHUVFKQHLGXQJHQ XQG 8QNODUheiten gefallen (LQHV LVW IU :|OIÀLQ XQ]ZHLIHOKDIW QlPOLFK GDVV YRUZLHgend lediglich eineªZHUNJHUHFKWH$EELOGXQJ©LP+LQEOLFNDXIGLH6NXOSWXUGHU 5HQDLVVDQFHH[LVWLHUW=ZDUKDWWHHULQGLHVHP$UWLNHOGLH$XIIDVVXQJGHULGHDOHQ ª(LQDQVLFKWLJNHLW©IUGLHEDURFNH6NXOSWXUDXIJHZHLFKWDEHUMHQHVEHVFKULHEHQH ,GHDOELOGVWHKWJUXQGVlW]OLFK3DWHIU:|OIÀLQVJHQHUHOOH$XIIDVVXQJGHU*DWWXQJ 6NXOSWXU GHUHQ 9RUELOG HU LQ GHU 5HQDLVVDQFH ¿QGHW 'DV OHJW DXFK IROJHQGH bX‰HUXQJQDKHGLH:|OIÀLQLQVHLQHP%HLWUDJYRQIRUPXOLHUWKDWWH±DOVR HWZD HLQ -DKU QDFK GHU (QWKOOXQJ YRQ 5RGLQV Bürgern von Calais in der fran]|VLVFKHQ +DIHQVWDGW ª+HXW]XWDJH JLHEW HV IUHLOLFK PDQFKH 6NXOSWXUHQ GLH HV schlechterdings>+HUYRUKHEXQJ.+@XQHQWVFKLHGHQODVVHQYRQZRVLHJHVHKHQ ZHUGHQ ZROOHQ LQGHP VLH YRQ NHLQHU 6HLWH VLFK HUVFK|SIHQG GDUVWHOOHQ VRQGHUQ GHQ%HVFKDXHUHUVWGXUFKGLH)ROJHDOOHUHLQ]HOQHQ$QVLFKWHQ]XUY|OOLJHQ.ODUKHLW JHODQJHQODVVHQ©8QGGDUDXIIROJHQGNRQVWDWLHUWHUDQVHLQHQ%HREDFKWXQJHQ GHU6NXOSWXUGHU5HQDLVVDQFHJHVFKXOWQDPHQWOLFKDQ'RQDWHOORVXQG9HUURFKLRV 'DUVWHOOXQJHQ GHV David ª'LH gute Tradition >+HUYRUKHEXQJ .+@ DEHU JLHEW HLQH+DXSWDQVLFKWXQGGDVJHELOGHWH$XJHHPS¿QGHWHVDOV:RKOWDWGDVVGLH)LJXU sich hier auf einmal erklärt und vollkommen deutlich gibt, dass man nicht um sie herum getrieben wird, wenn man ihres Inhalts habhaft werden will, sondern dass VLHGHP%HWUDFKWHUYRQYRUQKHUHLQVHLQHQ6WDQGSXQNWDQZHLVW©

101 Vgl. Wölfflin 1915: »Wie man Skulpturen aufnehmen soll«, Teil III, S. 237. 102 Vgl. Wölfflin 1896: »Wie man Skulpturen aufnehmen soll«, Teil I, S. 224. 103 Diese These verfolgt auch Jens Schröter in seinem Beitrag: Schröter 2006: »Wie man Skulpturen rendern soll«, insbesondere S. 239: »An der Schwelle zur Moderne gab es folglich die Tendenz, selbst die Skulptur noch dem Planozentrismus [gemeint ist damit das Paradigma, dass Bilder per se als flächig aufgefasst werden, Anmerkung, K.H.] unterzuordnen. Dies zeigte sich in der normativen Forderung, Skulpturen müssten auf eine ›flächenhafte‹ Hauptansicht gesammelt sein. So vertritt Wöllflin explizit das ›Gesetz der flächenhaften Plastik‹ [vgl. Wölfflin 1887: »Wie man Skulpturen aufnehmen soll, Teil II, S. 297, Anmerkung, K. H.] und kann sich dabei an seinen Freund Adolf von Hildebrand anlehnen.« Auf von Hildebrand komme ich im folgenden Unterkapitel zurück. 104 Wölfflin 1896: »Wie man Skulpturen aufnehmen soll«, Teil I, S. 225. 105 Wölfflin 1896: »Wie man Skulpturen aufnehmen soll«, Teil I, S. 225.

CANDIDA HÖFER: DIE BÜRGER VON CALAIS

*HQDXGLHVH$XIIDVVXQJKDWWH:|OIÀLQLQVHLQHP$UWLNHOYRQHUQHXWDNWXDOLVLHUW'HU.XQVWKLVWRULNHUSRVWXOLHUWQlPOLFK]X$QIDQJGLHVHV%HLWUDJVRKQHNRQNUHWHKLVWRULVFKH%H]XJQDKPH±XQGGDPLWXQLYHUVDOLVWLVFKJHIDVVW±ZLHGHUXPVHLQ 'LNWXPGHUeinen+DXSWDQVLFKW »Alle Freiplastik soll von verschiedenen Seiten her gesehen werden, sonst hat sie ihren Beruf verfehlt. Allein zwischen Ansicht und Ansicht gibt es Unterschiede: einige bieten wenig, andere mehr, gewöhnlich ist eine Ansicht da, die durch Schönheit und Klarheit als die führende sich geltend macht. Man kann die anderen Ansichten auch abwandeln, aber in allen wird die Hauptansicht als Grundton fortklingen. Immer wieder kommt man darauf zurück, und es ist gerade der besondere Genuß, wenn das Unzusammenhängende und Verschobene plötzlich wieder Zusammenhang und Harmonie bekommt.«

'HXWOLFKZLUGDQGHQ$XVIKUXQJHQGHV.XQVWKLVWRULNHUVGDVVLQGHU.XQVWUHSURGX]LHUHQGHQ)RWRJUD¿H±LPhEULJHQDXFKLQGHQYRQ:|OIÀLQYHU|IIHQWOLFKWHQ$EELOGXQJHQLQQHUKDOEGHUJHQDQQWHQ%HLWUlJH±)UDJHQGHV6RFNHOVGLH:LFKWLJNHLWXQWHU VFKLHGOLFKHU$QVLFKWVP|JOLFKNHLWHQXQGGLH9DULDELOLWlWGHV%HWUDFKWHUVWDQGSXQNWHV YLHOZHQLJHU%HUFNVLFKWLJXQJ¿QGHQ'DVVHLQHIRWRJUD¿VFKH.RPSLODWLRQXQWHU VFKLHGOLFKHU$QVLFKWLJNHLWHQHUVWGLH5lXPOLFKNHLWLQLKUHQYLHOIlOWLJHQ)DFHWWHQ]XU *HOWXQJ EULQJHQ NDQQ ]LHKW HU QXU DP 5DQGH LQ %HWUDFKW Beobachtet man nun QRFKHLQPDOGLHW\SLVFKH9LVXDOLVLHUXQJGHUBürger von Calais in der kunsthistoriVFKHQ6NXOSWXUHQIRWRJUD¿H>$EE@VR]HLJHQVLFKHUVWDXQOLFKHYLVXHOOH3DUDOOHOHQ 106 Wölfflin 1915: »Wie man Skulpturen aufnehmen soll«, Teil III, S. 237. 107 Wölfflin zeigt zwar drei Abbildungen von Michelangelos Giovannino, aber auch hier konstatiert er, dass die frontale Ansicht erst dem Betrachter die Weisung gebe, er möge auch die Seitenansichten aufsuchen (vgl. Wölfflin 1896: »Wie man Skulpturen aufnehmen soll«, Teil I, S. 228). 108 So erscheint auch die Argumentation Wölfflins, dass Verrochios David einer strengen Frontalansicht bedürfe, um die plastischen Werte tatsächlich in Erscheinung treten zu lassen, unplausibel (vgl. Wölfflin 1896: »Wie man Skulpturen aufnehmen soll«, Teil I, S. 226 und auch Dobbe 2007: »Wie man Skulpturen aufnehmen soll«, S. 49–50): Denn sowohl der dem Betrachter entgegentretende angewinkelte, in die Hüfte gestemmte Arm des David als auch die räumliche Ausrichtung der Schwertklinge zur Körperachse bleiben innerhalb der von Wölfflin präferierten Einzelabbildung in ihrer räumlichen Orientierung uneindeutig und treten erst im Vergleich mit der auch von ihm veröffentlichten, alternativen und als »unrichtige Aufnahme« titulierten Abbildungsvariante in Erscheinung (vgl. Wöllflin 1896: »Wie man Skulpturen aufnehmen soll«, Teil I, S. 226 oder auch die entsprechenden Abbildungen bei Dobbe 2007: »Wie man Skulpturen aufnehmen soll«, S. 48). Darüber hinaus vermittelt sich das »Vor« und »Zurück« der Beine von Verrocchios David in der von Wölfflin favorisierten Fotografie in seiner räumlichen Qualität weniger idealtypisch als von dem Kunsthistoriker postuliert. Denn gerade in der von ihm als »idealtypisch« hervorgehobenen Aufnahme erscheinen Stand- und Spielbein eher auf einer räumlich parallelen Achse positioniert als bei der als »unrichtig« titulierten Aufnahme: Bei dieser letztgenannten tritt nämlich durch den Kopf des Goliath, die nebenstehende Position des Standbeins und das hinter dem geköpften Haupt positionierte Spielbein in seiner räumlichen Anordnung verstärkt in Erscheinung. Eher scheint Wölfflins Einschätzung der konkreten Kenntnis des Objekts geschuldet zu sein, denn in dem von ihm präferierten Bild vermitteln sich die räumlichen Werte nicht in dem Maße, wie von ihm konstatiert.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

]XGHQIRUPDOHQ*UXQGVlW]HQGLH:|OIÀLQIUGLHDGlTXDWHLGHDOW\SLVFKH)RWRJUD¿H YRQSODVWLVFKHQ:HUNHQIRUPXOLHUWKDWWH(VLVWDXIIDOOHQGGDVVVLFKDXFKGHUEHNDQQWH 'DUVWHOOXQJVPRGXVGHUBürger von CalaisGXUFKHLQHVSH]L¿VFKH$QVLFKWDXV]HLFKQHW XQGGLHVH$QVLFKWGDGXUFKGDVVVLH]XPHLVWDOVHLQ]LJH$EELOGXQJGHU3ODVWLNLQQHUKDOEHLQHU3XEOLNDWLRQDXIWDXFKWDXFKDOV+DXSWDQVLFKWDXVJHZLHVHQZLUG 'DGHU'LVNXUVXPHLQHLGHDOW\SLVFKH+DXSWDQVLFKWLQHLQHPGHUZLFKWLJVWHQ]HLWJHQ|VVLVFKHQ)DFKEOlWWHUZLHGHUKROWWKHPDWLVLHUWXQGQLFKWQXUYRQ:|OIÀLQVRQGHUQ DXFKYRQNQVWOHULVFKWlWLJHQ3URWDJRQLVWHQGHU=HLWZLHHWZDYRQ$GROIYRQ+LOGHbrandYHUWUHWHQZXUGHOLHJWHVQDKHGDVVVLFKGLHVH3UlVHQWDWLRQVIRUPDXIJUXQG LKUHU3URPLQHQ]LQGLYHUVHQ.DQlOHQGHUVLFKGDPDOVHWDEOLHUHQGHQ0DVVHQPHGLHQNXOWXUIRUWJHVFKULHEHQKDW:|OIÀLQVHW]WHVLFKMDJHUDGHPLWVHLQHQGUHL$UWLNHOQIU NXQVWKLVWRULVFKDGlTXDWHIRWRJUD¿VFKH5HSURGXNWLRQHQYRQ6NXOSWXUHQHLQXPGLH PDVVHQPHGLDOH 'LVWULEXWLRQ ªIDOVFKHU$XIQDKPHQ© LQ EHLVSLHOVZHLVH NXQVWKLVWRULVFKHQ)DFKEOlWWHUQXQG3XEOLNDWLRQHQ]XYHUKLQGHUQ(VLVWDXIIlOOLJGDVVJHQDXGLH YRQ:|OIÀLQ EHVFKULHEHQH ELOGOLFKH 2UJDQLVDWLRQ GHU IRWRJUD¿VFKHQ 5HSURGXNWLRQ GDVGRPLQDQWH(UVFKHLQXQJVELOGSODVWLVFKHU.XQVWREMHNWHLQHLQHUVLFKHWDEOLHUHQGHQ 0DVVHQPHGLHQNXOWXUXPSUlJWHHLQH+DXSWDQVLFKWHLQHDXVJHZLHVHQH)URQWDOLWlWXQGGLH%HWRQXQJHLQHUNODUHQ8PULVVOLQLHEH]LHKXQJVZHLVHHLQHUGLH6NXOSWXU NRQWXULHUHQGHQ6LOKRXHWWH. 'LHVHU OHW]WJHQDQQWHQ ELOGOLFKIRWRJUD¿VFKHQ ,QV]HQLHUXQJ YRQ SODVWLVFKHQ 2EMHNWHQKDWWHVLFK:|OIÀLQLQVHLQHPGULWWHQ%HLWUDJ]XU.XQVWUHSURGX]LHUHQGHQ )RWRJUD¿HLP-DKUJHZLGPHW'HULQGLHVHP$UWLNHOWKHPDWLVLHUWH'DUVWHOlungsmodus der Silhouettierung ¿QGHW LP %HUHLFK GHU 6NXOSWXUHQIRWRJUD¿H PLW GHU EHUHLWV EHVFKULHEHQHQ W\SLVFKHQ )UHLVWHOOXQJ VNXOSWXUDOHU 2EMHNWH YRQ LKUHP 8PUDXP HLQ YLVXHOOHV 3HQGDQW:|OIÀLQ KDWWH LQ VHLQHP %HLWUDJ LP +LQEOLFN DXI GLH 6NXOSWXUHQ GHU 5HQDLVVDQFH EHWRQW ZLH ZLFKWLJ GLH %HUFNVLFKWLJXQJ GHU 8PULVVOLQLHEHLGHU$XIVWHOOXQJLP0XVHXPXQGDXFKEHLGHUIRWRJUD¿VFKHQ$XIQDKPHVHL'HUHQ&KDUDNWHULVWLNDZUGHQVLFKHUVWYRUHLQHPªNODUHQ+LQWHUJUXQG© 109 Vgl. Hildebrand 1905: Das Problem der Form. 110 Die bereits erwähnten Publikationen von Gsell und Rilke können dies beispielhaft belegen, aber auch die Ausgaben der Zeitschrift für bildende Kunst um die Jahrhundertwende. Darüber hinaus ist zu erwähnen, dass nicht allein in kunsthistorischen Publikationen Kunst reproduzierende Fotografien zu finden waren. Neben der Einführung fotografischer Reproduktionen in die akademische Forschung und Lehre, macht Dilly deutlich, dass fotografische Abbildungen von Kunstwerken auch in Form von Lichtbildern »für sogenannte Projektionsabende in Familien und kleineren fotografischen Vereinigungen« bestimmt waren (vgl. Dilly 1975: »Lichtbildprojektion – Prothese der Kunstbetrachtung«, S. 163). Zudem hält er fest: »Außerdem blieben Bild und Abbildung nicht länger als Privileg einer verhältnismäßig schmalen bürgerlichen Schicht. Für wenig Geld konnten nunmehr Reproduktionen in handlichem Format, in Sammelmappen und in nacheinander beziehbaren Lieferungen angeboten und erworben werden« (Dilly 1975: »Lichtbildprojektion – Prothese der Kunstbetrachtung«, S. 166). Die genannten Aspekte sprechen für eine allmähliche massenmediale Verbreitung Kunst reproduzierender Fotografien. Kunst war zumindest medial nicht mehr exklusiv einer akademischen Schicht vorbehalten, sondern auch dem Kleinbürgertum zugänglich. 111 Wölfflin 1915: »Wie man Skulpturen aufnehmen soll«, Teil III, S. 238.

CANDIDA HÖFER: DIE BÜRGER VON CALAIS

silhouettieren. 'LHVH GLH )RUP EHWRQHQGH ,QV]HQLHUXQJVPHWKRGH WULWW LQ DXIIlOOLJHU :HLVH DXFK EHL XQ]lKOLJHQ IRWRJUD¿VFKHQ 5HSURGXNWLRQHQ YRQ VNXOSWXUDOHQ :HUNHQLQ(UVFKHLQXQJGLHLQNXQVWKLVWRULVFKHQ3XEOLNDWLRQHQ]X¿QGHQVLQGZLH EHUHLWVEHLVSLHOKDIWDQ5RGLQVBürgern von Calais deutlich werden konnte. In diesem DOVLGHDOSRVWXOLHUWHQ'DUVWHOOXQJVPRGXVHLQHUFKDUDNWHULVWLVFKHQ8PULVVOLQLHPDJ DXFKGHU*UXQGOLHJHQZDUXPYRUDOOHPGLH+DQGKDOWXQJGHV3LHUUHGHV:LVVDQWLQ GHUW\SLVFKHQ9LVXDOLVLHUXQJGHUBürger von CalaisSUlJQDQWKHUYRUWULWW>$EE@ 'LH6LOKRXHWWLHUXQJEHWRQWHLQHFKDUDNWHULVWLVFKH*HVWHGHV)LJXUHQHQVHPEOHV±HLQ $XIQDKPHPRGXV DOVR GHQ :|OIÀLQ IU HLQH DGlTXDWH$XIQDKPH YRQ 6NXOSWXUHQ SRVWXOLHUWKDWWH 'LH LQ +|IHUV )RWRLQVWDOODWLRQ GDUJHVWHOOWH PXOWLSHUVSHNWLYLVFKH 6LFKW DXI GLH 6NXOSWXUVWHOOWKLQJHJHQGLHVHNODVVLVFKH9RUVWHOOXQJHLQHUªLGHDOW\SLVFKHQ©9LVXDOLVLHUXQJLQIUDJH'LHYRQ:|OIÀLQJHIRUGHUWH+RPRJHQLVLHUXQJGHUIRWRJUD¿VFKHQ $QVLFKW±JHJHQGLH9HUZLOGHUXQJGHV$XJHV±ZLUGLQQHUKDOEGHUDXIGHU'RFXPHQWD DXVJHVWHOOWHQ )RWRDUEHLW PLW HLQHU +HWHURJHQLVLHUXQJ GHV IRWRJUD¿VFKHQ Blicks konterkariert. Höfers Installation macht deutlich, dass erst im vergleichenGHQ%OLFNGLH5lXPOLFKNHLWGHU6NXOSWXULQLKUHUKHWHURJHQHQ=XVDPPHQVHW]XQJ]XU *HOWXQJNRPPW'DUEHUKLQDXVUFNWVLHGLHGLVSRVLWLYH6WUXNWXUGHUIRWRJUD¿VFKHQ $SSDUDWXULQV%OLFNIHOGGLHGLHVSH]L¿VFKH:DKUQHKPXQJGHV2EMHNWV]XDOOHUHUVW medial konstruiert. »Das Problem der Form in der bildenden Kunst« – Adolf von Hildebrand

,Q VHLQHP HUVWHQ$UWLNHO ]XU 6NXOSWXUHQIRWRJUD¿H JLEW:|OIÀLQ HLQHQ +LQZHLV DXI GHQEHUHLWVHUZlKQWHQ$GROIYRQ+LOGHEUDQGXQGGHVVHQ]HLWJHQ|VVLVFKH6FKULIWDas Problem der Form in der bildenden Kunst(UEHWRQWGDVVPDQVLFKLQGLHVHU3XEOLNDWLRQHQGpWDLOEHUGLHVH'LQJH±JHPHLQWLVWKLHUYRUDOOHPGLH+DXSWDQVLFKW ±XQWHUULFKWHQN|QQH2EZRKO:|OIÀLQVLFKDXINHLQHNRQNUHWH6WHOOHLQGHUSURPLQHQWHQ6FKULIWGHVGHXWVFKHQ%LOGKDXHUVEH]LHKWKDWHUK|FKVWZDKUVFKHLQOLFK+LOGHEUDQGV(LQKHLWVWLIWHQGHV,GHDOGHVª)HUQELOGHV© RGHUDXFK±ZLHGHU.QVWOHUGLHVHQ:DKUQHKPXQJVHLQGUXFNDOWHUQDWLYWLWXOLHUW±GHV ªHLQKHLWOLFKHQ)OlFKHQELOGHV© LP6LQQ(LQSODVWLVFKHV:HUNPXVVWHQDFK+LOGHEUDQGLP6WDQGHVHLQJHQDXMHQHQ

112 113 114 115

Vgl. Wölfflin 1915: »Wie man Skulpturen aufnehmen soll«, Teil III, S. 238. Hildebrand 1893: Das Problem der Form. Vgl. Wölfflin 1896: »Wie man Skulpturen aufnehmen soll«, Teil I, S. 225. Indikatoren für die Prominenz von Hildebrands Schrift und deren Relevanz für den damals aktuellen zeitgenössischen Diskurs sind folgende: Sein Buch wurde im Jahr 1893 zum ersten Mal publiziert und erschien bereits 1905 in sechster Auflage. Zudem wird die Publikation in der Zeitschrift für bildende Kunst mit einem langen Artikel überaus positiv rezensiert: »Alles in allem: ich halte die Untersuchungen in ›Das Problem der Form etc.‹ trotz einer manchmal zu Tage tretenden Einseitigkeit für das Bedeutendste, was seit langer Zeit betreffs der bildenden Kunst gedacht und geschrieben worden ist.« (vgl. Carstanjen 1895: »Das Problem der Form in der bildenden Kunst«). 116 Hildebrand 1893: Das Problem der Form, S. 54.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

 DKUQHKPXQJVHLQGUXFN ]X JHQHULHUHQ 'LHVHV )OlFKHQELOG NRPPW QDFK GHU %H: VFKUHLEXQJGHV$XWRUVDOOHUGLQJVHUVWLQHLQHUJHZLVVHQ'LVWDQ]]XP2EMHNW]XU*HOWXQJ.HQQ]HLFKQHQGIUGLHVHV%LOGVHLGDVVDOOHUlXPOLFKHQ:HUWHLQ)OlFKHQZHUWH EHUVHW]W VHLHQ VR JHEHQ DOOHLQ /LQLHQ +HOO'XQNHO.RQWUDVWH RGHU DXFK )DUEHQ HLQH ª$QZHLVXQJ DXI GLH 7LHIHQYRUVWHOOXQJ© RKQH GDVV MHGRFK GDV GUHLGLPHQVLR QDOH2EMHNWLQVHLQHUUlXPOLFKHQ%HVFKDIIHQKHLWUHDOLWHU]XHUIDVVHQVHL'HU:DKUQHKPXQJVHLQGUXFN GHV 5DXPHV XQG VHLQHU SODVWLVFKHQ :HUWH LVW QDFK +LOGHEUDQG folglich immer ein abstrahierter. Für dieses sogenannte Fernbild konstatiert der Bildhauer: ª(LQHLQKHLWOLFKHV%LOGIUGHQGUHLGLPHQVLRQDOHQ.RPSOH[EHVLW]HQZLU DOVRDOOHLQLP)HUQELOGGLHVHVVWHOOWGLHHLQ]LJH(LQKHLWVDXIIDVVXQJGHU)RUPGDULP 6LQQHGHV:DKUQHKPXQJVXQG9RUVWHOOXQJVDNWHV© 'LHSODVWLVFKHXQG]XJOHLFKQRUPDWLYJHVWHOOWH$XIJDEHGHV%LOGKDXHUVOLHJWQXQ GDULQHLQHGUHLGLPHQVLRQDOH)RUP]XPRGHOOLHUHQGLHHLQVROFKHVHLQKHLWOLFKHV%LOG LP:DKUQHKPXQJVHLQGUXFN des Betrachters entstehen lassen kann. Hildebrand forPXOLHUWGLHVHQVHLQHQ$QVSUXFKIROJHQGHUPD‰HQª6RODQJHGLHVHLQKHLWOLFKH%LOG QLFKW HQWVWHKW LVW GLH UHDOH )RUP QRFK QLFKW ]X LKUHU wahren Einigung [HervorheEXQJ.+@JHODQJWGHQQGLHOHW]WH:DKUKHLWLKUHU(LQLJXQJOLHJWHEHQGDULQGDVV GDV HQWVWHKHQGH %LOG GLH YROOH$XVGUXFNVVWlUNH IU GLH )RUP EHVLW]W +LHULQ OLHJW GDVSODVWLVFKH3UREOHPGHV%LOGKDXHUV©'DVVGLHVHVHLQKHLWOLFKH%LOGDOV+DXSW ansicht gedacht ist, wird insbesondere dann klar, wenn Hildebrand seine Abneigung JHJHQEHU5XQGSODVWLNHQIRUPXOLHUWGLHZLHEHVFKULHEHQDXFK:|OIÀLQWHLOWH'LH 5XQGSODVWLNLVWLQ+LOGHEUDQGV3HUVSHNWLYHLQªEDUEDULVFKHU:HLVH© Ausdruck des PRGHUQHQ0HQVFKHQXQGVWHOOWHLQHªNQVWOHULVFKXQP|JOLFKH)RUP©GDU'LHVHV 'LNWXPLVWJDQ]RIIHQVLFKWOLFKGHUREHQEHVFKULHEHQHQ$XIIDVVXQJJHVFKXOGHWGDVV +LOGHEUDQGDOOHLQ3ODVWLNHQJHOWHQOlVVWGLHVHLQHU0HLQXQJQDFKHLQ »einheitliches )OlFKHQELOG©NRQVWUXLHUHQN|QQHQ$OOHLQGDULQEHVWHKWIULKQGLH%HVWLPPXQJGHU VNXOSWXUDOHQ)RUP *HQDX GLHVHU $XIIDVVXQJ IROJW DXFK :|OIÀLQ LQ VHLQHP .RQ]HSW GHU +DXSW DQVLFKWLJNHLWLQGHUDOOHUlXPOLFKHQ:HUWHLQGHUIRWRJUD¿VFKHQhEHUVHW]XQJLGHDOLWHU ]XU$QVLFKWNRPPHQVROOHQ+LOGHEUDQGVÀlFKHQELOGOLFKJHGDFKWHU:DKUQHKPXQJVHLQGUXFNYRQVNXOSWXUDOHQ2EMHNWHQXQG:|OIÀLQV%HVFKUHLEXQJHLQHUIRWRJUD¿VFKHQ 5HSURGXNWLRQ GLH LGHDOLWHU HLQH +DXSWDQVLFKW ]HLJHQ VROO EHVFKUHLEHQ IROJOLFK HLQ NRQJUXHQWHV%LOGOLFKNHLWVNRQ]HSW'LHVHVEHVWLPPWVLFKEHUGDV)OlFKHQELOGLQGHP alle UlXPOLFKHQ :HUWH LQQHUKDOE GHU hEHUVHW]XQJ LQ GLH ]ZHLGLPHQVLRQDOH )OlFKH VLFKWEDUVHLQVROOHQ'DV einheitliche SehenHLQKRPRJHQHU:DKUQHKPXQJVHLQGUXFN 117 118 119 120 121 122 123

Vgl. Hildebrand 1893: Das Problem der Form, S. 22. Vgl. Hildebrand 1893: Das Problem der Form, S. 23. Hildebrand 1893: Das Problem der Form, S. 24. Hildebrand nutzt hier meistens den heute weniger umgänglichen Begriff des »Gesichtseindrucks«. Hildebrand 1893: Das Problem der Form, S. 27. Hildebrand 1893: Das Problem der Form, S. 108. Hildebrand 1893: Das Problem der Form, S. 109.

CANDIDA HÖFER: DIE BÜRGER VON CALAIS

DOVRZDUIROJOLFKGLH3UlPLVVHGHUEHLGHQ=HLWJHQRVVHQGLH:|OIÀLQDXFKLQVHLQHQ Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen  IRUPXOLHUWH'HQQGDVHUNOlUWH=LHOGDV HUIUVHLQ)DFKHQWZDUIVROOWHGDULQEHVWHKHQªGHQ%HJULIIHLQHVHLQKHLWOLFKHQ6HKHQV OHEHQGLJ]XHUKDOWHQGDVYHUZLUUHQGH'XUFKHLQDQGHU]XEHUZLQGHQXQGGDV$XJHLQ HLQNODUHV9HUKlOWQLV]XU6LFKWEDUNHLW]XEULQJHQ© 0LWGHP3RVWXODWGHU+DXSWDQVLFKWLJNHLWO|VWHHUJDQ]RIIHQVLFKWOLFKHLQNRPSOH[HV 3UREOHP 'HQQ GHP ªYHUZLUUHQGHQ 'XUFKHLQDQGHU© XQWHUVFKLHGOLFKVWHU %OLFNSXQNWH NRQQWH LQ )RUP HLQHU HLQ]LJHQ IRWRJUD¿VFK NRQVWUXLHUWHQ $QVLFKW (LQKDOW JHERWHQXQG]XJOHLFKGLH.RPSOH[LWlWGHU:DKUQHKPXQJGUHLGLPHQVLRQDOHU2EMHNWH UHGX]LHUW ZHUGHQ 9RU GLHVHP +LQWHUJUXQG LVW HV QLFKW YHUZXQGHUOLFK GDVV +LOGHEUDQGGHUPLW:|OIÀLQVHKUHLQLJZDULP+LQEOLFNDXI5RGLQVBürger von Calais NRQVWDWLHUWH GDVV GHU IUDQ]|VLVFKH %LOGKDXHU NDXP NRPSRVLWRULVFKH SODVWLVFKH Fähigkeiten besäße. Rodin nämlich konterkarierte die beschriebene Auffassung HLQHULGHDOHQ6NXOSWXUGLHGLHEHLGHQ+HUUHQYHUWUDWHQ*DQ]LP*HJHQVDW]]X+LOGHEUDQGVXQGDXFK:|OIÀLQVNODVVLVFKHP)RUPYHUVWlQGQLVKDWWH5RGLQVHLQHVHFKV¿JXULJH.RPSRVLWLRQZLHDXFK%RWKQHUNRQVWDWLHUWªQLFKWHLQHUJHRPHWULVFKHQYHUHLQKHLWOLFKHQGHQ2UGQXQJXQWHUZRUIHQ©'LH)LJXUZDUJHUDGHHUVWGXUFKGLH]HLWOLFKH XQG UlXPOLFK VXN]HVVLYH :DKUQHKPXQJ ]X HUIDVVHQ XQG HEHQ QLFKW LQ HLQHP DXV GHU)HUQHVLFKWEDUHQHLQ]LJHQHLQKHLWOLFKHQ)OlFKHQELOG*HQDXGLHVHVHLQKHLWOLFKH )OlFKHQELOGZLUGMHGRFKEHUGLHDOVW\SLVFKVLFKKHUDXVELOGHQGHIRWRJUD¿VFKH5HSURduktion der Bürger von CalaisNRQVWUXLHUW>$EE@XQGIJWVLFKEUXFKORVLQGHQ 'LVNXUVEHUHLQHQLGHDOHQHLQKHLWOLFKHQ:DKUQHKPXQJVHLQGUXFNGHU6NXOSWXULQGHU IRWRJUD¿VFKHQ5HSURGXNWLRQHLQ=ZDU]HLJWGLHW\SLVFKH*HVDPWDQVLFKWGHUBürger von CalaisNHLQNODVVLVFKJHRPHWULVFKHV2UGQXQJVSULQ]LSGHQQRFKDEHUYHUPLWWHOW die Abbildung ein relativ ausgewogenes Verhältnis der Figurenanordnung und bindet 124 Wölfflin 1915: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe, Vorwort: S. VIII. 125 Vgl. auch Hildebrands vernichtende Kritik an Rodin: »Hätte Rodin Frankreich nichts anderes hinterlassen als solche Fragmente [seine bildhauerischen Werks, Anmerkung, K.H.], so hätte er als einer der größten Bildhauer dagestanden. Man hätte stets bedauert, daß von seinen Werken nur solche Fragmente übrig geblieben sind und nicht geahnt, daß diese Kraft eine bedenkliche Rückseite hätte [...]. Dem war aber nicht so. Er hat auch ganze Kunstwerke hinterlassen, und da zeigt sich, daß er eben gar nicht wußte, was ein Ganzes ist. [...] Denn die Einzelfiguren in Calais [...], welche als solche Einzeln gedacht waren und erst dann die unglaubliche Zusammenstellung fanden [...] sind noch feine hochstehende Kunstwerke, wenn sie sich auch sehr an anderes anlehnen und kein selbstständiges Wollen zeigen. Sobald er [Rodin, Anmerkung, K.H.] aber seine eigenen Wege geht, wird er im bösen Sinn modern französisch. Sei es ein Denkmal wie von Victor Hugo, sei es ein Denkmal der Vier, oder sei es sonst eine seiner vielen Gesamtfiguren, sie fallen fast alle auseinander, man findet keine Seite, von der aus es zu fassen wäre als Einheitsbild [Hervorhebung, K.H.]. [...] Da versagte Rodins Kraft, da hatte er nichts zu sagen und wurde trivial. Seine Erfindungen sind innerlich banal, als Gesamtanordnungen gänzlich unreif, und das organische Können vermag selbstverständlich die Grundschäden der Konzeption nicht zu ersetzen. [...] Seine Kehrseite kam plötzlich zutage. Da verlor Rodin allen Boden und befand sich in einer ganz fremden Welt. Das waren für ihn böhmische Dörfer, und er behalf sich dabei wie ein gewöhnlicher Mann aus dem Volke, ahnungslos, barbarisch, und das künstlerische Können wurde dabei eine Grimasse.« (Hildebrand um 1900: »Auguste Rodin«, S. 427 ff). 126 Bothner 1993: Auguste Rodin, S. 26.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

GDV (QVHPEOH ]X HLQHU (LQKHLW 2EZRKO PDQ GLH +HWHURJHQLWlWGHU$QRUGQXQJ DOV PLQGHVWHQVHEHQVRFKDUDNWHULVWLVFKHV0HUNPDOGHUBürger von Calais hervorheben NDQQ±EHLVSLHOVZHLVHGLHNRQWUDVWLYHQ5LFKWXQJVZHUWHGHU)LJXUHQGLHLQVEHVRQGHUH GDQQ]XU*HOWXQJNRPPHQZHQQPDQGLH6NXOSWXULQLKUHU*HVDPWKHLWXPVFKUHLWHW ±ZXUGHGLH6NXOSWXUGXUFKGLHW\SLVFKHIRWRJUD¿VFKH5HSURGXNWLRQKlX¿JLQHLQH KRPRJHQLVLHUHQGHYLVXHOOHKHUHLQKHLWOLFKH)RUPJHJRVVHQ'LHW\SLVFKHIRWRJUD¿VFKH$QVLFKWGHU3ODVWLNNRQVWUXLHUW±LP*HJHQVDW]]XPKHWHURJHQHQ(LQGUXFNHLQHU VXN]HVVLYHQ 5XQGDQVLFKW RGHU HLQHU XQWHUVFKLHGOLFKHQ 'LVWDQ] ]XP 2EMHNW ± IROJOLFK JHQDX MHQH (LQKHLW GLH GHU 'LVNXUV XP HLQH LGHDOW\SLVFKH 6NXOSWXUHQDQVLFKW gefordert hatte. Höfers Fotoinstallation öffnet hingegen den Blick für die mediale .RQVWUXNWLRQGLHVHU(LQKHLW 6HW]WPDQGLH$XIIDVVXQJEHUGLH6NXOSWXUHQIRWRJUD¿HYRQ:|OOÀLQLQ%H]LHKXQJ ]X +|IHUV $QVDW] GHU IRWRJUD¿VFKHQ ,QV]HQLHUXQJ HLQHU 3ODVWLN GDQQ OlVVW VLFK IHVWKDOWHQ GDVV KLHU HLQ LGHQWLWlWVORJLVFKHV HLQHP GLIIHUHQ]ORJLVFKHQ 'HQNmodell JHJHQEHUVWHKW:LH DQ GLHVHP %HLVSLHO GHXWOLFK ZHUGHQ NDQQ PDQLIHV WLHUHQVLFKEHLGH'HQNPRGHOOHQLFKW]XOHW]WDXFKELOGOLFKXQGSUlJHQHLQHGLVSRVLWLYH :DKUQHKPXQJVDQRUGQXQJ Interessant ist darüber hinaus, dass nach Hildebrands Auffassung auch das 5HOLHI ± PLW VHLQHU SODVWLVFKHQ DEHU GHQQRFK DXFK SODQHQ 2EHUÀlFKH ± HLQ HLQKHLWOLFKHV )OlFKHQELOG YHUN|USHUWH ,Q VHLQHU 6FKULIW PDFKW HU HV DOV 9RUOlXIHU LGHDOW\SLVFKHU YROOSODVWLVFKHU$UEHLWHQ VWDUN 6LH VROOWHQ HEHQVR LP 6WDQGH VHLQ HLQHQHLQKHLWOLFKHQ:DKUQHKPXQJVHLQGUXFN]XNRQVWUXLHUHQ'DVVGLHVHQRUPDWLYH $XIIDVVXQJ HLQHV HLQKHLWOLFKHQ )OlFKHQELOGHV XQG HLQHU +DXSWDQVLFKW GHU 6NXOSWXUZLUNPlFKWLJLP+LQWHUJUXQGGHU5H]HSWLRQGHUBürger von Calais stand, kann GLH PHUNZUGLJH (LQRUGQXQJ GHU EHUKPWHQ 5RGLQ3ODVWLN LQ HLQ (QVHPEOH DXV 5HOLHIGDUVWHOOXQJHQLQGHPYRQ=HLWOHUKHUDXVJHJHEHQHQhEHUEOLFNVEDQGGHU Propyläen Kunstgeschichte XQWHUPDXHUQ >$EE @. An dieser ZusammenstelOXQJ ]HLJW VLFK QlPOLFK GDVV 5RGLQV 6NXOSWXU KLHU VWlUNHU DOV )OlFKHQELOG GHQQ DOV 5XQGSODVWLN PLW XQWHUVFKLHGOLFKVWHQ $QVLFKWHQ HLQJHRUGQHW ZXUGH 2E GLHVH (LQRUGQXQJDXIGHU*UXQGODJHGHUIRWRJUD¿VFKHQ5HSURGXNWLRQRGHUDEHUDXIGHU %DVLVHLQHUNXQVWKLVWRULVFKHQ(LQVFKlW]XQJHUIROJWHPXVVKLHUXQJHNOlUWEOHLEHQ 'DVV GDUEHU KLQDXV GHU =XJULII SULPlU EHU GLH IRUPDOHQ $VSHNWH GHU :HUNH PRWLYLHUWLVWYHUGHXWOLFKWVLFKDQGHUEHLQDKHNXULRVHQ+HWHURJHQLWlWGHU0RWLYH =HLJHQGRFKGLHUHSURGX]LHUWHQ5HOLHIV6]HQHQDXVGHP$OOWDJLQGXVWULHOOHU$UEHLW GLHLQLKUHPKLVWRULVFKHQ(QWVWHKXQJVNRQWH[WDXFKDOV$UEHLWHUGHQNPlOHULP=XJH GHU,QGXVWULDOLVLHUXQJLP-DKUKXQGHUWIXQJLHUWHQZRKLQJHJHQ5RGLQVBürger 127 Vgl. auch etwa Bothner 1993: Auguste Rodin, S. 24 ff. 128 Vgl. hierzu auch im zweiten Analyseteil dieses Buches II Bildanordnungen: im Epilog das Kapitel Identitätslogik-Differenzlogik. 129 Die hier abgebildete Seite zeigt lediglich ein den Bürgern von Calais zugeordnetes Relief, allerdings sind auf dem linken Teil der hier nicht abgebildeten Doppelseite zwei weitere Fotografien zweier Reliefs zu sehen, die ebenso als Arbeiterdenkmäler fungierten (vgl. Zeitler 1966: Propyläen Kunstgeschichte: Abb. 356a, 356b, 357a).

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von Calais den Citoyen DOV LGHDOW\SLVFKHQ YHUDQWZRUWXQJVEHZXVVWHQ %UJHU GHU IUDQ]|VLVFKHQ1DWLRQYHUN|USHUQ'DVYHUELQGHQGH(OHPHQWLVWIROJOLFKZHQLJHU GDV LQKDOWOLFKH 0RWLY DOV YLHOPHKU GLH IRUPDOH *HVWDOW 'LH9HUJOHLFKEDUNHLW GHU )RUPZLUGMHGRFK]XDOOHUHUVWEHUGDV0HGLXPGHU)RWRJUD¿HJHVFKDIIHQXQGOLHJW QLFKWQRWZHQGLJHUZHLVHLP2EMHNWVHOEVWEHJUQGHW +|IHUV,QVWDOODWLRQIKUWGLHEHUGDV0HGLXPNRQVWUXLHUWH9HUJOHLFKEDUNHLWDQ LKUH*UHQ]HQ%HWUDFKWHUVWDQGSXQNWHXQG$QVLFKWHQYDULLHUHQGDV2EMHNWYHUVFKZLQGHWEHLQDKHELV]XU8QNHQQWOLFKNHLW1LFKWOHGLJOLFKGDV2EMHNWVRQGHUQGDV0HGLXP VHOEVWWULWWKLHULPYHUJOHLFKHQGHQ%OLFNLQGDV:DKUQHKPXQJVIHOGGHV%HWUDFKWHUV 'XUFKGLHLP:HUNDQJHOHJWHQ%LOGYHUJOHLFKHIRUGHUWGLH)RWRLQVWDOODWLRQGD]XKHUDXVGLHIRWRJUD¿VFKH$EELOGXQJDOVMedium der Flächenorganisation]XUHÀHNWLHUHQ'HQQLP9HUJOHLFKGHU)RWRJUD¿HQXQWHUHLQDQGHUZLUGGHXWOLFKGDVVGLH%LOGHU GHQGUHLGLPHQVLRQDOHQ5DXPLQK|FKVWXQWHUVFKLHGOLFKHU:HLVHLQGLH)OlFKHEHUVHW]HQ'DVYRQ:|OIÀLQPRQLHUWHªYHUZLUUHQGH'XUFKHLQDQGHU©GHUVLFKWEDUHQ:HOW ZLUGKLHUQLFKWVXVSHQGLHUWVRQGHUQJDQ]LP*HJHQWHLOLQV%LOGJHUFNW'LH)RWRLQVWDOODWLRQIKUWGLH0|JOLFKNHLWGHU9DULDELOLWlWGHUUlXPOLFKHQ$QVLFKWYRU$XJHQ HEHQVRZLHVLHGLH%HVFKUlQNXQJGHV0HGLXPVDXIJUXQGVHLQHU]ZHLGLPHQVLRQDOHQ $EELOGXQJVTXDOLWlW YHUGHXWOLFKW 'LH 3ODVWLN HUVFKHLQW KLHU IROJOLFK QLFKW PHKU DOV NRKlUHQWHV2EMHNWVRQGHUQLQ$EKlQJLJNHLW]XPVXEMHNWLYHQ%HWUDFKWHUVWDQGSXQNW XQGDXFKLQ$EKlQJLJNHLW]XGHQMHZHLOLJHQPHGLHQWHFKQLVFKHQ%HGLQJXQJHQVRZLH UlXPOLFKHQXQGNXOWXUHOOHQ.RQWH[WHQLQGHQHQVLHDEJHOLFKWHWLVW (VEOHLEWIHVW]XKDOWHQGDVVVLFKHLQ]HOQH%LOGHUDXV+|IHUVIRWRJUD¿VFKHP(QVHPEOHGXUFKHLQHHKHUHLQKHLWOLFKHÀlFKHQELOGOLFKH,QV]HQLHUXQJGHU3ODVWLNDXV]HLFKQHQ6LHYHUKDOWHQVLFKDQDORJ]X:|OIÀLQVDEHUDXFK+LOGHEUDQGV'LNWXPHEHQVR ZLH ]XU EHVFKULHEHQHQ W\SLVFKHQ9LVXDOLVLHUXQJ >$EE @ VR HWZD GLH$XIQDKPH DXV .RSHQKDJHQ =XJOHLFK DEHU VHW]HQ VLFK GLH )RWRJUD¿HQ GHU .|OQHU .QVWOHULQ LQ'LVWDQ]]XGHQW\SLVFKHQ9LVXDOLVLHUXQJVIRUPHQGHUPDVVHQPHGLDOHQ%LOGNXOWXU VR HWZD GXUFK GHQ IDVW YROOVWlQGLJHQ (QW]XJ GHV 2EMHNWV DXV GHP %OLFNIHOG RGHU DEHUGXUFKGLH9DULDELOLWlWGHV%OLFNSXQNWHVXQGGLHUlXPOLFKH.RQWH[WXDOLVLHUXQJ 'DUEHUKLQDXVLVW]XEHWRQHQGDVVGDVJHVDPWH%LOGNRQYROXWGHU.QVWOHULQ]XGHQ Bürgern von CalaisDXV)DUEIRWRJUD¿HQ &3ULQWV EHVWHKWGLHHLQHQGHXWOLFKHQ.RQWUDVW]XGHQKLVWRULVFKHQ6FKZDU]:HL‰)RWRJUD¿HQLQQHUKDOEGHUNXQVWKLVWRULVFKHQ 3XEOLNDWLRQHQ GDUVWHOOHQ 'LH )DUELJNHLW HUVFKZHUW KlX¿J GLH9HUJOHLFKEDUNHLWIRUPDOHU6WUXNWXUHQGDVLHHKHUGLH'LIIHUHQ]DOVGLH*OHLFKI|UPLJNHLWXQWHUVWUHLFKW Vergleichendes Sehen

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130 Eine mögliche inhaltliche Verbindung zwischen den Werken mag in ihrem revolutionären Anspruch liegen: der Arbeiter oder der Bürger als »revolutionäres Subjekt«?

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

erörtert habe.'HQQRFKDEHU]HXJHQKLVWRULVFKH4XHOOHQVFKULIWHQXPGDYRQ GDVVGHU8PJDQJPLWGHQIRWRJUD¿VFKHQ5HSURGXNWLRQHQDXFKYRQHLQHPHQRUPHQ*ODXEHQDQGDVXQPLWWHOEDUHQDWXUJHPl‰H$EELOGXQGYRQHLQHUHUKHEOLFKHQ 0HGLHQHXSKRULHEHJOHLWHWZDU1LFKW]XOHW]W+HUPDQ*ULPPVbX‰HUXQJHQXQG 'DUOHJXQJHQ ]XU (LQIKUXQJ GHV 6NLRSWLNRQV LQ GLH NXQVWKLVWRULVFKH )RUVFKXQJ XQG/HKUH  YHUGHXWOLFKHQGLHVKDWWHGRFKGLHVHUGLHIUGLH0HWKRGRORJLH GHU.XQVWJHVFKLFKWHPD‰JHEOLFKH0HWKRGHGHVYHUJOHLFKHQGHQ6HKHQVGXUFKGLH 1XW]XQJGHV6NLRSWLNRQVYRUDQJHWULHEHQ%HL*ULPPHUVFKHLQWEHGHXWVDPGDVV 131 Vgl. Beyer 2006: Lichtbild und Essay, S. 37; zur weiteren Reflexion der »Medien der Kunstgeschichte« vgl. Dilly 1975: »Lichtbildprojektion – Prothese der Kunstbetrachtung«; ders. 2002: »Kann es nicht etwas schärfer sein«; auch in seiner Publikation Kunstgeschichte als Institution (1979) spielt dieser Aspekt an unterschiedlichen Stellen eine tragende Rolle; Ratzeburg 2002: »Mediendiskussion im 19. Jahrhundert«, sowie weitere Beiträge der Zeitschrift kritische berichte (1/2002) mit dem Schwerpunktthema Mediale Brüche – Die Bildmedien der Kunstgeschichte, an dem auch Donald Preziosi mitgewirkt hat, der innerhalb des einführenden Kapitels zur Theorie und Methode (Ausstellungen – ein interdisziplinäres Forschungsfeld) als wichtiger Vertreter der New Art History thematisiert wurde. Außerdem: Ruchatz 2003: Licht und Wahrheit; Roberts 1995: Art History through the Camera´s Lens; Nelson 2000: »The Slide Lecture, or the Work of Art History in the Ages of Mechanical Reproduktion«; Neubauer 2002: »Sehen im Dunkeln – Diaprojektion und Kunstgeschichte«. 132 Es bleibt unbestritten, dass mit der Möglichkeit der fotografischen Reproduktion das Medium Fotografie innerhalb kunsthistorischer Kreise – gerade gegenüber dem Kupferstich – durchaus kontrovers diskutiert wurde (vgl. beispielsweise Thausing 1866: »Kupferstich und Fotografie«). Vgl. auch die Untersuchung von Wiebke Ratzeburg, die sich vor allem auch auf die Zeitschrift für bildende Kunst bezieht und zu dem Ergebnis kommt, dass die Debatte um fotografische Reproduktionen lange Zeit nur sehr marginal von der Gazette berücksichtigt und diese Möglichkeit fotografischer Vervielfältigungen vorwiegend negativ beurteilt wurde (vgl. Ratzeburg 2002: »Mediendiskussion im 19. Jahrhundert«, insbesondere S. 27 ff). Mit der tatsächlichen Einführung der Lichtbildprojektion in den 1890er Jahren in die kunsthistorische Forschung und Lehre verebbte die Kritik jedoch schnell, was auch Dilly bemerkt: »[I]n einer schnellen Aufnahme des neuen Lehrmittels verebbten aber alsbald die Einwände gegen die Anwendung der fotografischen Reproduktion.« (Dilly 1975: »Lichtbildprojektion – Prothese der Kunstbetrachtung«, S. 162). 133 Vgl. Grimm 1897: »Die Umgestaltung der Universitätsvorlesungen über Neuere Kunstgeschichte durch die Anwendung des Skioptikons«. Kemp gibt an, dass Grimms Erfahrungen mit dem Skioptikon unter gleichnamigen Titel erstmals 1892 in der National-Zeitung erschienen sind (vgl. Kemp 1999: Theorie der Fotografie, S. 200). 134 Es scheint zu den Charakteristika einer »Mediengeschichte der Kunstgeschichte« zu gehören, dass sie als Ahnengeschichte von Kunsthistorikern geschrieben wird: So wird Grimm meist als derjenige angeführt, der als erster diese Medientechnik genutzt und in dessen medienaffiner Nachfolge Wölfflin seine Formanalyse entwickelt habe. Dass dabei auch gesellschaftliche, technik- und kulturgeschichtliche Faktoren eine Rolle gespielt haben, bleibt meist unerwähnt. Dilly zeigt jedoch, dass es noch weitere »Männer vom Fach« gab, die ebenso mit dieser medientechnischen Methode umgegangen sind: zum Beispiel Bruno Meyer, der 1883 ein praxisorientiert angelegtes Buch zum Thema im Selbstverlag publizierte (vgl. Dilly 1975: »Lichtbildprojektion – Prothese der Kunstbetrachtung«, S. 157). In einem Artikel von 2002 fügt er dann hinzu, dass auch Schmarsow und Goldschmidt etwa zur selben Zeit mit der Projektionstechnik gearbeitet hätten (vgl. Dilly 2002: »Kann es nicht etwas schärfer sein?«, S. 13 ff). Darüber hinaus stellt sich die Einführung des Diaprojektors am Anfang nicht allein als Erfolgsgeschichte dar, zu der sie etwa Herman Grimm durch seine Schriften stilisierte, indem er dem Abbild beispielsweise mehr Erkenntniswert zurechnete als der Untersuchung des faktischen Objekts.

CANDIDA HÖFER: DIE BÜRGER VON CALAIS

HUGHU$EELOGXQJGXUFKGDV6NLRSWLNRQHLQHQZLFKWLJHUHQ6WHOOHQZHUW]XUHFKQHW DOVGHPIDNWLVFKHQ2EMHNWVHOEVW,P/LFKWELOGVRGHU.XQVWKLVWRULNHUWUHWHGHU LGHDOH ,QKDOW GHU :HUNH KHUYRU An seinen Äußerungen verdeutlicht sich eine ZHLWJHKHQGPHGLHQXQNULWLVFKH+DOWXQJJHJHQEHUGHUQHXHQ5HSURGXNWLRQVWHFKQLN=XJOHLFKYHUlQGHUWVLFKGDV9HUKlOWQLVYRQ2ULJLQDOXQG5HSURGXNWLRQGXUFK GLH8PNHKUXQJGHV6WDWXVYRQ:HUNXQG$EELOGXQJLQEHPHUNHQVZHUWHU:HLVH ª'HU$QEOLFN HLQHV 2ULJLQDOZHUNHV VHOEVW NDQQ GXUFK EHVWHFKHQGH (LJHQVFKDIWHQEHUVHLQHQLQQHUHQ:HUWKWlXVFKHQPDQNDQQHVXPlX‰HUHU6DFKHQZLOOHQ IU JHLVWLJ EHGHXWHQGHU KDOWHQ DOV HV LVW GDV 6NLRSWLNRQ GXOGHW NHLQHQ IDOVFKHQ 6FKHLQ©'DUEHUKLQDXVEHWRQW*ULPPGDVVGLH3URMHNWLRQVWHFKQLNGLH%HJHJQXQJPLWGHP2ULJLQDODXFKGHVKDOEEHUWUHIIHZHLOGLH%LOGHUQXQ]XUJOHLFKHQ Zeit sichtbar gemacht werden könnten, und die vergleichende Betrachtung sofort LQ :LUNVDPNHLW WUHWH %DU MHJOLFKHU 'LVWDQ] ]XU QHXHQ 0HGLHQWHFKQLN NRQVWDWLHUW*ULPPLP*ODXEHQDXIGHUHQ6HOEVWHYLGHQ]ª:DVGLH+DXSWVDFKHDQODQJW VR HUNOlUHQ VLFK GLH :HUNH QXQ >GXUFK GLH 0|JOLFKNHLW GHU 3URMHNWLRQ EHU GDV 6NLRSWLNRQ$QPHUNXQJ.+@YRQVHOEVW©'HPHQWVSUHFKHQGKlOW'LOO\±JDQ] LP *HJHQVDW] ]X %H\HUV RSWLPLVWLVFKHU (LQVFKlW]XQJ HLQHU ªPHGLHQNULWLVFKHQ© .XQVWJHVFKLFKWH±LP+LQEOLFNDXI*ULPPIHVWGDVVGLH9HUPLWWOXQJVIXQNWLRQGHV 0HGLXPVHEHQJHUDGHQLFKW7HLOVHLQHU5HÀH[LRQXQGVHLQHV8QWHUULFKWVJHZHVHQ sei$Q GHQ bX‰HUXQJHQ *ULPPV ZLUG GDUEHU KLQDXV LQ IUDSSLHUHQGHU:HLVH GHXWOLFKZHOFKHNXOWXUHOOHQ'HXWXQJVNlPSIHPLWMHQHU0HGLHQWHFKQLNYHUEXQGHQ ZDUHQ'HQQPLWGHUQHXHQ3URMHNWLRQVXQG9HUJU|‰HUXQJVP|JOLFKNHLWOlVVWVLFK ªJDQ] RIIHQVLFKWOLFK© ± ]XPLQGHVW LQ GHU :DKUQHKPXQJ GHV .XQVWKLVWRULNHUV ± VRZRKO GLH QDWLRQDOH 0HLVWHUVFKDIW DOV DXFK GLH hEHUOHJHQKHLW GHU QRUGDOSLQHQ JHJHQEHU GHU VGDOSLQHQ 5HQDLVVDQFH QDFKZHLVHQ9RQ HLQHU HLQ]HOQHQ 5HSURGXNWLRQHLQHV%ODWWHVYRQ$OEUHFKW'UHUDXVJHKHQGKLHOW*ULPPIHVWª$EHUHUVW ZHUHVLQGHUFRORVDOHQ*U|‰HGLHGDV6NLRSWLNRQLKPYHUOHLKWJHVHKHQKDWZLUG GHQ6WLFKYRQQXQDQIUGLHYHUNOHLQHUWH:LHGHUKROXQJHLQHVLQ'UHUV3KDQWDVLH XUVSUQJOLFKFRORVDOKDXVHQGHQ*HPlOGHVEHWUDFKWHQZHOFKHPGLHZDKUH*U|‰H ]XYHUOHLKHQ]XIlOOLJH9HUKlOWQLVVHGHQ0HLVWHUYHUKLQGHUWHQ©, um dann darauf IROJHQGHLQLJH6HLWHQZHLWHU]XNRQVWDWLHUHQ

135 Vgl. Grimm 1897: »Die Umgestaltung der Universitätsvorlesungen«, S. 282. In eben dieser Auffassung ist offensichtlich ein bis heute die kunsthistorische Praxis begleitender »Fetisch der guten Abbildung« angelegt. Dieser Anspruch ist unter spezifischen Forschungsfragen zweifellos gerechtfertigt, doch verdeckt er häufig die mediale Differenz zwischen Objekt und Abbildung ebenso wie er wissenschaftspragmatische Aspekte und ökonomische Sachzwänge unberücksichtigt lässt. 136 Grimm 1897: »Die Umgestaltung der Universitätsvorlesungen«, S. 282. 137 Vgl. Grimm 1897: »Die Umgestaltung der Universitätsvorlesungen«, S. 284. 138 Grimm 1897: »Die Umgestaltung der Universitätsvorlesungen«, S. 307. 139 Vgl. Dilly 1975: »Lichtbildprojektion – Prothese der Kunstbetrachtung«, S. 163. 140 Grimm 1897: »Die Umgestaltung der Universitätsvorlesungen«, S. 357.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

»Schon vor langen Jahren hatte ich dieses Gemälde [Die Anbetung der Dreifaltigkeit von Albrecht Dürer, Anmerkung, K.H.] das deutsche Pendant der zur gleichen Zeit entstandenen Disputa Raphael´s genannt; in der der Composition nun verliehenen Vergrößerung nimmt Dürer´s Anbetung der Dreifaltigkeit ohne Weiteres diesen Rang für sich in Anspruch. Deutsche und italienische Verkörperung desselben Gedankens lässt sich schöner als in diesen Hauptwerken der beiden Meister nicht zeigen. Wer hätte früher an eine ernsthafte Concurrenz zwischen ihnen gerade hier denken dürfen? – immer, bei aller Verwandtschaft, blieb das die volle Wand der Camera della Segnatura einnehmende Werk Raphael´s der so geringeren Umfang beanspruchenden Gestaltenzusammenstellung Dürer´s schon durch die äußere Wirkung überlegen. Diesen Unterschied nun sehen wir aufgehoben. Die Meister stehen nebeneinander bei gleicher Schulterhöhe. Es war eine neue Erfahrung für mich, so, indem Dürer´s Werke in reinster Art [Hervorhebung, K.H.] sich erhöhten und vereinfachten, den deutschen Meister höhere Gestalt annehmen zu sehen. Er stand wie jemand vor uns, der erlöst war.«

Für die hier anvisierten Überlegungen ist insbesondere wichtig, dass sich eben geQDXPLWMHQHU(LQIKUXQJGHV/LFKWELOGSURMHNWRUVJHJHQ(QGHGHV-DKUKXQGHUWV YHUGHXWOLFKWªZLH.XQVWZHUNHXQGDXFKGLH.XQVWJHVFKLFKWVVFKUHLEXQJ]XHLQHP 2EMHNWGHV0HGLXPVIRWRJUD¿VFKHU5HSURGXNWLRQHQZXUGHQ©'LOO\PDFKWGHXWOLFKGDVVVLFKGLH.XQVWJHVFKLFKWHDOVIDFKZLVVHQVFKDIWOLFKH'LV]LSOLQPLWGHU(WDEOLHUXQJGLHVHU0HGLHQWHFKQLNQLFKWPHKUDOOHLQDOVHLQKLVWRULVFKSKLORORJLVFKHV Fach verstand, sondern eben gerade über GLH%HWUDFKWXQJYRQ%LOGHUQLKU6HOEVWYHUVWlQGQLVEH]RJ(VLVWDXIVFKOXVVUHLFKGDVV$E\:DUEXUJVHLQHPHWKRGLVFKHQ hEHUOHJXQJHQ DXFK XP GLH -DKUKXQGHUWZHQGH HQWZLFNHOWH GHQQ HLQH 'HQN¿JXU ZLH MHQH GHU Pathosformel oder aber sein Mnemosyne-Atlas konnten wohl vor DOOHP DXI GHU YLVXHOOHQ *UXQGODJH HLQHU VLFK PDVVHQPHGLDOLVLHUHQGHQ %LOGNXOWXU HQWVWHKHQ*HQDXLQGLHVHKLVWRULVFKJHZDFKVHQHELOGOLFKH9HUIDVVWKHLWNXQVWKLVWRULVFKHU (UNHQQWQLVVWLIWXQJ VFKUHLEW VLFK &DQGLGD +|IHUV IRWRJUD¿VFKH$UEHLW HLQ ZHQQVLHGDVYHUJOHLFKHQGH6HKHQUHÀH[LYYRU$XJHQIKUW,KU%LOGHQVHPEOHUHÀHNWLHUWGLHVHNXQVWKLVWRULVFKH%LOGSUD[LVNULWLVFKGLHQRFK*ULPPPLW(XSKRULH YHUIROJWH'LOO\KlOWIHVWGDVVPLWGHU(LQIKUXQJGLHVHU%LOGWHFKQLNGLH:HUNHXQG .QVWOHUYRQLKUHUKLVWRULVFKHQ%HGLQJWKHLWHUO|VWVFKLHQHQª*HVFKLFKWHZXUGH]X 141 Grimm 1897: »Die Umgestaltung der Universitätsvorlesungen«, S. 363. 142 Dilly 1975: »Lichtbildprojektion – Prothese der Kunstbetrachtung«, S. 157. Dabei wird häufig übersehen, dass zuvor bereits fotografische Reproduktionen in Forschung und Lehre verwendet wurden, die die Werke ebenso in Format und Skalierung und durch die Form der medialen Übersetzung verändert hatten. Dennoch aber förderte die Lichtbildprojektion die öffentliche Ausstellung der Bilder und muss ungleich beeindruckender gewesen sein als die kleine Reproduktion auf dem Papier: Denn diese Form der Inszenierung des Lichtbildes kommt den Rezeptionsbedingungen im Dispositiv Kino nahe, so etwa im Hinblick auf die Verdunklung des Raumes und die Stilllegung der Betrachterposition und seines Blicks, so dass man von einer vergleichsweise stärkeren Konzentration der Sinne ausgehen kann. 143 Vgl. Dilly 1975: »Lichtbildprojektion – Prothese der Kunstbetrachtung«, S. 165. 144 Zum Begriff der Pathosformel vgl. Ginsberg 1980: »Kunst und soziales Gedächtnis. Die Warburg Tradition«, S. 154.

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HLQHP .RQJORPHUDW ZLGULJHU 8PVWlQGH GHQHQ NULWLVFK ]X EHJHJQHQ QLFKW PHKU ORKQWH>@8QWHUGHU:LUNXQJGHV0HGLXPVHQW]RJ9HUJHJHQZlUWLJXQJGDV.XQVWZHUNGHUKLVWRULVFKHQ'LPHQVLRQ*HIKOYHUGUlQJWHGLH6SUDFKH)DV]LQDWLRQHUVWLFNWHGDV8UWHLO© $XFK :|OIÀLQ *ULPPV 1DFKIROJHU DXI GHP %HUOLQHU /HKUVWXKO IU .XQVWJHVFKLFKWHXQGVSlWHU3URIHVVRULQ0QFKHQNQSIWHDQGDVYHUJOHLFKHQGH6HKHQTXD 'RSSHOSURMHNWLRQDQXQGHWDEOLHUWHGDPLWEHUMHQHNXQVWKLVWRULVFKH0HWKRGHVHLQ formanalytisches Verfahren, das er unter anderem in seinen Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen  H[HPSOL¿]LHUWH(UYHUVXFKWHDOOHUGLQJV±JDQ]LP*HJHQVDW] ]XHWZD:DUEXUJ±HLQHH[NOXVLYH )RUPNXQVWKLVWRULVFKHU%LOGSUD[LV]XHWDEOLHUHQ GLH QRFK LQ GHXWOLFKHU NDWHJRULDOHU $EJUHQ]XQJ ]X GHQ %LOGZHUNHQ GHU 0DVVHQ medienkultur stand0LWJHQDXMHQHU$EJUHQ]XQJVSUD[LVGLH:DUEXUJEHUHLWVXP  DXI]XZHLFKHQ EHJDQQ VWHKW DXFK +|IHUV %LOGNRPSHQGLXP LQ 9HUKDQGOXQJ (VOLHJWDXIGHU+DQGGDVVGHU9HUJOHLFK]ZLVFKHQSODVWLVFKHQ2EMHNWHQHUKHEOLFK NRPSOH[HUZLUGZHQQPDQ±LP*HJHQVDW]]X:|OOÀLQV'LNWXP±LKUHYHUVFKLHGHQHQ$QVLFKWHQXQG]XJOHLFKLKUHQ.RQWH[WEHUFNVLFKWLJHQP|FKWH.XQVWZLUGDOV DXWRQRPH )RUPHQWZLFNOXQJ KLQWHUIUDJEDU 'LH )RNXVVLHUXQJ DXI HLQH$QVLFKW XQG GLH,VROLHUXQJGHV2EMHNWVUHGX]LHUWGLH.RPSOH[LWlWGHV9HUJOHLFKVXQGPDFKWGHQ *HJHQVWDQG ]XPLQGHVW LQ VHLQHU PHGLDOHQ hEHUVHW]XQJ KDQGKDEEDUHU XQG IU GLH 7KHVHHLQHUDXWRQRPHQ.XQVW]XJlQJOLFKHU +|IHUV)RWRLQVWDOODWLRQNDQQDOV$UEHLWDQGHU.RPSOH[LWlWVVWHLJHUXQJIRWRJUD¿VFKHU5HSURGXNWLRQHQYHUVWDQGHQZHUGHQ6LHIKUWGLHXQWHUVFKLHGOLFKHQ$QVLFKWLJNHLWHQYRU$XJHQXQGEHWRQWGDPLWGLH$EKlQJLJNHLWHUNHQQWQLVVWLIWHQGHU3UR]HVVH YRQ LKUHQ MHZHLOLJHQ 9LVXDOLVLHUXQJVIRUPHQ 'DV %LOGHQVHPEOH EULQJW HWZDV ]XP $XVGUXFNZDV5RVDOLQG.UDXVVEHUHLWVLQLKUHQhEHUOHJXQJHQVSUDFKOLFKIRUPXOLHUW KDWWH(LQHLKUHU]HQWUDOHQ7KHVHQZDUQlPOLFKGDVVGLHAutonomie der Kunst auf GHP9HUOXVWGHVGHQNPDOEH]RJHQHQ2UWHVDXIEDXHXQGGDPLWDXIHLQHUQHXHUZRUEHQHQ2UWORVLJNHLWGHU6NXOSWXUJUQGH([DNWGLHVH2UWORVLJNHLW±DOV6LJQXPGHU PRGHUQHQ.XQVW±YHUPLWWHOWVLFKLQGHUW\SLVFKHQIRWRJUD¿VFKHQ5HSURGXNWLRQGHU Bürger von Calais >$EE@+|IHUKROWGLHVHQ]ZDUPXOWLSOHQDEHU]XJOHLFKDXFK IDNWLVFKHQ2UW]XUFNLQV%LOGXQGIKUWGLH9DULDELOLWlWGHV6WDQGSXQNWHVYRU$XJHQ 3DUDGR[HUZHLVH]HLJWVLFKKLHUDEHUGDV2EMHNWQLFKWLQVHLQHUXQPLWWHOEDUHQ%HVFKDIIHQKHLWVRQGHUQ]XDOOHUHUVWDOVPHGLDOH.RQVWUXNWLRQ

145 Dilly 1975: »Lichtbildprojektion – Prothese der Kunstbetrachtung«, S. 165. Unter diesen Umständen ist es ein Verdienst Wölfflins, die Reflexion der medialen Bedingungen der Kunstgeschichte – mit seinen bereits erwähnten Beiträgen zur Skulpturenfotografie – vorangetrieben zu haben. 146 Einen biografischen Überblick entwirft Meier 1990: »Heinrich Wölfflin«. 147 Warburg integrierte hingegen sowohl Bilder der Populärkultur (bspw. Zeitschriften, Postkarten etc.) als auch Bilder der Hochkultur (bspw. Malereien der Renaissance) in seine Forschung: vgl. etwa seinen Mnemosyne-Atlas. 148 Vgl. Krauss 1986: »Echelle/monumentalité – Modernisme/postmodernisme. La ruse de Brancusi«, S. 247.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

'DVV JHUDGH LQ GHU 0RELOLWlW GHU YLVXHOOHQ 2EMHNWH LQ )RUP YRQ 5HSURGXNWLRQHQDXFKHUNHQQWQLVVWLIWHQGHU&KDUDNWHUOLHJWKDWWH±QHEHQ*ULPP±DXFKEHUHLWV Latour theoretisch erörtert. Höfer verlagert diese theoretische Überlegung offenEDU LQV %LOG /DWRXU YHUGHXWOLFKWH GDVV GLH (LQIKUXQJ GHV 'UXFNV XQG GLH GDPLW ]XVDPPHQKlQJHQGHYHUVWlUNWH=LUNXODWLRQYRQ(UNHQQWQLVVHQHUVW GLH0|JOLFKNHLW GHV9HUJOHLFKVYRQXQWHUVFKLHGOLFKHQ)RUVFKXQJVHUJHEQLVVHQ]XOLH‰XQG.RUUHNWXUHQE]Z5HYLVLRQHQQDFKVLFK]RJGLHRKQHGLH0RELOLWlWGHU2EMHNWH±GXUFKEHLVSLHOVZHLVH]ZHLGLPHQVLRQDOEHGUXFNWHV3DSLHU±P|JOLFKHUZHLVHJDUQLFKWVLFKWEDU JHZRUGHQZlUHQ$XFKGLHYRQ+|IHUYLVXDOLVLHUWHQ5RGLQ3ODVWLNHQVWHOOHQLQ)RUP IRWRJUD¿VFKHU5HSURGXNWLRQHQPRELOH2EMHNWHGDU(UVWGLH=XVDPPHQVWHOOXQJDOV %LOGHQVHPEOHHUP|JOLFKWHLQHQ9HUJOHLFKGHUGLH+HWHURJHQLWlWGHU%HGHXWXQJV]XVFKUHLEXQJHQLQQHUKDOEGHUXQWHUVFKLHGOLFKHQ.RQWH[WXDOLVLHUXQJHQSUlJQDQWVLFKWEDUZHUGHQOlVVW7RWDOLVLHUHQGH'HXWXQJHQZHUGHQ]XJXQVWHQYRQP|JOLFKHQ$XV OHJXQJHQXQWHUODXIHQGLHLKUHMHZHLOLJHDXFKYDULDEOH5HODWLRQ]XXQWHUVFKLHGOLFKHQ .RQWH[WHQLQV%OLFNIHOGUFNHQ Objektivität

*HUDGH GDV YHUJOHLFKHQGH 6HKHQ ZXUGH DOV 2EMHNWLYLHUXQJVJHVWXV LQQHUKDOE GHV :LVVHQVV\VWHPVKunstgeschichteZHQLJUHÀHNWLHUW+|IHUVFKHLQWKLQJHJHQJHQDX GLHVHYHUPHLQWOLFKQHXWUDOH%LOGSUD[LVLQLKUHUXQWHUVWHOOWHQXQPLWWHOEDUGRNXPHQWDULVFKHQ4XDOLWlWNULWLVFKLQGHQ%OLFN]XQHKPHQ,QGLHVHP6LQQHNQSIWVLHDQ HLQIUGLH'RFXPHQWDKlX¿JNRQVWDWLHUWHVFKDUDNWHULVWLVFKHV0RPHQWDQKDWWH man doch vielfach betont, dass die Ausstellung vor allem auch »dokumentarische %LOGIRUPHQ©]XP7KHPDJHPDFKWKDEH0LWGLHVHU%HVFKUHLEXQJLVWMHGRFKQLFKW EHUFNVLFKWLJW GDVV GLH$XVVWHOOXQJ JHQDX GLHVHV DXI ± OHGLJOLFK XQWHUVWHOOWHU ± 7UDQVSDUHQ] EHUXKHQGH %LOGNRQ]HSW QLFKW DOV ªYRUDXVVHW]XQJVORV JHJHEHQ© IU IRWRJUD¿VFKH%LOGPHGLHQLQ$QVSUXFKQDKP,P*HJHQWHLO'LH.DVVHOHU$XVVWHOOXQJIKUWHPLWHLQHU9LHO]DKODQ$UEHLWHQGLHVHQYHUPHLQWOLFKREMHNWLYHQ'DUVWHOOXQJVPRGXVUHÀH[LYLQV)HOG*HQDXDQGLHVHNULWLVFKH$XVHLQDQGHUVHW]XQJNQSIW auch Höfers Fotoinstallation an. 5HNDSLWXOLHUW PDQ GLH W\SLVFKH 9LVXDOLVLHUXQJ GHU EHUKPWHQ 3ODVWLN HUQHXW >$EE@GDQQZDUHLQHVGHUDXIIlOOLJVWHQ0HUNPDOHLKUHVLOKRXHWWLHUHQGH)UHLVWHOOXQJ DXV GHP WDWVlFKOLFKHQ UlXPOLFKHQ .RQWH[W 0LW GLHVHU ,QV]HQLHUXQJVVWUDWHJLH ZXUGH MHJOLFKH ELOGOLFK UHNRQVWUXLHUEDUH$XVNXQIW EHU GHQ MHZHLOLJHQ KLVWRULVFKHQ 2UW VXVSHQGLHUW 'LHVHU $EELOGXQJVPRGXV OlVVW VLFK ± QHEHQ HLQHU UHLEXQJVORVHQ $QVFKOXVVIlKLJNHLWDQGHQREHQEHVFKULHEHQHQNXQVWKLVWRULVFKHQ'LVNXUVHLQHUDXWRQRPHQ.XQVWJHVFKLFKWH±PLWGHUKLVWRULVFKHQ(QWZLFNOXQJXQG$XVGLIIHUHQ]LHUXQJ 149 Vgl. Latour 2006: »Drawing Things Together«. Der Aufsatz erschien erstmals 1986. 150 Vgl. hierzu auch das Kapitel Totalität – Relationalität im Epilog im Buchteil II Bildanordnungen. 151 Vgl. zum Beispiel Hellingers Beschreibung der Werke der Documenta 11: »Angesichts des zumeist dokumentarischen Charakters der Arbeiten überwog bei zahlreichen Filmen, Videos und Fotografien die realistische Darstellungsweise.« (Hellinger 2007: Die ›Documenta 11‹ im Kreuzfeuer der Kritik, S. 45).

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GHU)DFKZLVVHQVFKDIWHQLP-DKUKXQGHUWXQGLKUHP$QVSUXFKDXI2EMHNWLYLWlWLQ 9HUELQGXQJ VHW]HQ $XIIDOOHQG LVW QlPOLFK GDVV GLH 9LVXDOLVLHUXQJVIRUPHQ QDWXU ZLVVHQVFKDIWOLFKHU 9HUIDKUHQ LQ IUDSSLHUHQGHU :HLVH GHP GHNRQWH[WXDOLVLHUHQGHQ 'DUVWHOOXQJVPRGXVGHUNXQVWKLVWRULVFKHQ)RUVFKXQJlKQHOQ%HVRQGHUVGHXWOLFKZLUG GLHVDQGHU$XIQDKPHYRQ6NXOSWXUHQ'HQQDQGHUVDOVSULPlUÀlFKLJH2EMHNWH±ZLH HWZD0DOHUHLHQ=HLFKQXQJHQ'UXFNH6WLFKH±NROOLGLHUHQVLHPLWGHQ]ZHLGLPHQVLRQDOHQ9RUJDEHQGHUPHGLHQWHFKQLVFKHQ$SSDUDWXU$XIJUXQGLKUHUGUHLGLPHQVLRQDOHQ Beschaffenheit fügen sie sich mit höheren Übertragungsverlusten in die rechteckig RUJDQLVLHUWH%LOGÀlFKHGHUIRWRJUD¿VFKHQ$EELOGXQJHLQ,VWGHU8PUDXPEHLÀDFKHQ 2EMHNWHQ±DOVREHL0DOHUHLHQ=HLFKQXQJHQ'UXFNHQHWF±WUDGLWLRQHOOPHLVWGXUFK GLH.RQJUXHQ]YRQ)RWRDXVVFKQLWWXQG%LOGUDKPHQVXVSHQGLHUW, so tritt er bei räumOLFKHQ2EMHNWHQ±DOVREHL6NXOSWXUHQ0RGHOOHQ9RUVWXGLHQHWF±]XPLQGHVWDOVPHLVW KRPRJHQLVLHUWHUHLQKHLWOLFKHU+LQWHUJUXQGLQQHUKDOEHLQHUNXQVWKLVWRULVFKIRWRJUD¿VFKHQ5HSURGXNWLRQLQV%LOG*HUDGHLQGLHVHUVLFKWEDUHQ,VROLHUXQJGHV2EMHNWVOLHJW GLHDXIIlOOLJH.RUUHVSRQGHQ]]ZLVFKHQGHQW\SLVFKHQIRWRJUD¿VFKHQ5HSURGXNWLRQHQ YRQ.XQVWREMHNWHQ±ZLHPDQVLHDQGHQ Bürgern von CalaisQDFKYROO]LHKHQNDQQ >$EE@±XQGGHQLVROLHUWHQ'DUVWHOOXQJVIRUPHQYRQ8QWHUVXFKXQJVJHJHQVWlQGHQ LQQHUKDOEGHU1DWXUZLVVHQVFKDIWHQ /RUUDLQH 'DVWRQ XQG 3HWHU *DOLVRQ KDEHQ LQ LKUHU ODQJMlKULJHQ )RUVFKXQJ DXI GLHGLVNXUVLYHQXQGYRUDOOHPDXFKELOGOLFKEDVLHUWHQ$QWHLOH]XU+HUVWHOOXQJYRQ ZLVVHQVFKDIWOLFKHU2EMHNWLYLWlWKLQJHZLHVHQ In ihrer umfangreichen, auf historiVFKHP 4XHOOHQPDWHULDO DXIEDXHQGHQ 3XEOLNDWLRQ NRQQWHQ VLH GDUOHJHQ ZLH LQ GHQ 1DWXUZLVVHQVFKDIWHQ XQWHUVFKLHGOLFKH$XIIDVVXQJHQ YRQ 2EMHNWLYLWlW EHU GLYHUVH 9LVXDOLVLHUXQJVSUD[HQ YHUPLWWHOW ZXUGHQ 6FKRQ IU GDV  -DKUKXQGHUW ]HLJHQ VLHZLHPDQGLH9DULDELOLWlWGHU1DWXU]lKPWHLQGHPPDQVLFKLQHWZDUHLFKEHELOGHUWHQ)ROLDQWHQGHQ,GLRV\QNUDVLHQGHU2EMHNWHHQWOHGLJWHXQGVLHOHGLJOLFKDXVDXVgewählten Blickwinkeln abbildete.+LHUZLUGHLQHVGHXWOLFK'LHDXIGLHHLQRGHU DQGHUH:HLVHELOGOLFKSUlSDULHUWHQ2EMHNWHHUVFKHLQHQVWHWVYRUHLQHPKRPRJHQHQ +LQWHUJUXQG EDU MHJOLFKHU 6W|UXQJ 'LH =HLFKQXQJHQ DXV$WODQWHQ RGHU +HUEDULHQ ]HLJHQLKUH2EMHNWHLQNODUXPULVVHQHU)RUPPHLVWDXVHLQHUIURQWDOHQ$QVLFKW,P  -DKUKXQGHUW XQG VSlWHU YHUZHLVW QLFKWV DXI GDV WHFKQLVFKH 0HGLXP QLFKWV DXI GHQ 3URGX]HQWHQ GHV %LOGHV 'LH IRWRJUD¿VFKHQ$EELOGXQJHQ ]HLJHQ NHLQH )XVVHO

152 vgl. hierzu auch: Latour 2006: »Drawing Things Together«. Eine kritische Reflexion der Praxen der Kunstgeschichte aus der Perspektive der Akteur-Netzwerk-Theorie, zu deren wichtigsten Vertretern auch Latour zählen kann, steht noch aus (vgl. zur Akteur-Netzwerk-Theorie: Belliger/ Krieger 2006: ANThology). 153 Vgl. Daston/Galison 2007: Objektivität (diese Monografie stellt eine Erweiterung des Artikels von 1992 dar: dies. 1992: »Das Bild der Objektivität«); Galison 2003: »Urteil gegen Objektivität«; Daston 2003: Wunder, Beweise und Tatsachen; zur Geschichte der Rationalität vgl. außerdem den erhellenden Aufsatz: Daston 2003: »Die Biographie der Athene oder Eine Geschichte der Rationalität«. 154 Vgl. Daston/Galison 2007: Objektivität. 155 Vgl. Daston/Galison 2007: Objektivität, S. 67 ff.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

6WDXEN|UQHUNHLQH8QWHURGHUhEHUEHOLFKWXQJ.XU]'LH'DUVWHOOXQJHQVLQGLKUHV 0HGLXPVHQWOHGLJWNHLQHDXIHLQHQ$XWRUYHUZHLVHQGH6SXUVW|UWGLH.RKlUHQ]GHU ªREMHNWLYHQ'DUVWHOOXQJ©$XFKKLHULVWGDV2EMHNWLVROLHUWYRUHLQHPKRPRJHQHQ+LQWHUJUXQGIUHLJHVWHOOW(LQHGHU]HQWUDOHQ7KHVHQYRQ'DVWRQXQG*DOLVRQLVW GDVVVLFKVRJHQDQQWHªHSLVWHPLVFKH7XJHQGHQLQ%LOGHUQDXVSUlJHQXQGLQGHU$UW ZLHGLH%LOGHUJHPDFKWYHUZHQGHWXQGJHJHQ.RQNXUUHQWHQYHUWHLGLJWZHUGHQ© 2EMHNWLYLWlWGDVNRPPWDOVWUDJHQGHV$UJXPHQW]XU*HOWXQJVWHOOWLQGHUKLVWRULVFKHQ(QWZLFNOXQJNHLQHVIDOOVHLQHVWDWLVFKH*U|‰HGDUXQGLVW]XJOHLFKQLFKWWUDQVKLVWRULVFKDQVSH]L¿VFKH9LVXDOLVLHUXQJVIRUPHQJHEXQGHQ9RUGLHVHP+LQWHUJUXQG VLQG DWWULEXLHUHQGH %HJULIIH ZLH HWZD ªREMHNWLY© ªGRNXPHQWDULVFK© ªVDFKOLFK© ªQHXWUDO©DOV%HVFKUHLEXQJVPRGLYRQ2EMHNWHQXQGDOVRDXFKYRQ%LOGHUQHEHQ QLFKW DOV HVVHQWLDOLVWLVFK JHJHEHQH YLVXHOOH 4XDOLWlWHQ ]X YHUVWHKHQ VRQGHUQ YLHOPHKUDOV5HVXOWDWHYRQMHZHLOVKLVWRULVFKEHGLQJWHQ=XVFKUHLEXQJVSUD[HQGLHDXIMH XQWHUVFKLHGOLFKHQªHSLVWHPLVFKHQ7XJHQGHQ©JUQGHQ*HQDXKLHUVHW]WHQGLHHODERULHUWHUHQ:HUNHGHU'RFXPHQWDDQZLHHWZDGLH)RWRLQVWDOODWLRQYRQ&DQGLGD +|IHUGHQQVLHUHÀHNWLHUWHQMHQHKLVWRULVFKHWDEOLHUWHQ9LVXDOLVLHUXQJVIRUPHQGLH 2EMHNWLYLWlWYHUPLWWHOQ'LH.DVVHOHU$XVVWHOOXQJSUlVHQWLHUWHIROJOLFKQLFKWªUHLQ© GRNXPHQWDULVFKH %LOGIRUPHQ 6LH EUDFKWH ]X DOOHUHUVW 9LVXDOLVLHUXQJVIRUPHQ ]XU 5HÀH[LRQGHQHQPDQJHPHLQKLQHLQHªREMHNWLYH©ªVDFKOLFKH©RGHUDXFKªGRNXPHQWDULVFKH© 4XDOLWlW ]XVFKUHLEW :HQQ IROJOLFK &DQGLGD +|IHU GLH Bürger von Calais DXV XQWHUVFKLHGOLFKVWHQ 3HUVSHNWLYHQ XQG LQ GLYHUVHQ .RQWH[WHQ DEOLFKWHW GDQQXQWHUOlXIWVLHGHQ1HXWUDOLVLHUXQJVPRGXVGHUWUDGLWLRQHOOHQ.XQVWUHSURGX]LHUHQGHQ)RWRJUD¿HGLHLKUHª2EMHNWLYLWlW©LQ$QOHKQXQJDQQDWXUZLVVHQVFKDIWOLFKH Visualisierungsformen vermittelt. 'LHYHUPLWWHOWHIsolierung des ObjektsLQQHUKDOEGHUIRWRJUD¿VFKHQ5HSURGXNWLRQHQYRQ6NXOSWXUHQVWHKWDXFKPLWHLQHPLQGHU0RGHUQHHWDEOLHUWHQ:LVVHQVFKDIWVYHUVWlQGQLVLQ=XVDPPHQKDQJGDVQLFKW]XOHW]W%UXQR/DWRXUEHVFKULHEHQKDW'LHVHV :LVVHQVFKDIWVYHUVWlQGQLVJUQGHWHDXIHLQHUVWULNWHQ7UHQQXQJGHU2EMHNWHYRP0HQVFKHQXQGVHLQHQ3UD[HQ0LWGHP9HUKlOWQLVGHUZLVVHQVFKDIWOLFKHQ$NWHXUHJHJHQEHU LKUHQ 2EMHNWHQ ± GHQ 0HQVFKHQ JHJHQEHU LKUHU 'LQJZHOW ± EHVFKlIWLJW VLFK 156 Daston/Galison sprechen hier von einer »mechanischen Objektivität« (vgl. Daston/Galison 2007: Objektivität, S. 121 ff). Sie definieren diese folgendermaßen: »Unter mechanischer Objektivität verstehen wir das entschlossene Bestreben, willentliche Einmischungen des Autors/ Künstlers zu unterdrücken und statt dessen eine Kombination von Verfahren einzusetzen, um die Natur, wenn nicht automatisch, dann mit Hilfe eines strengen Protokolls sozusagen aufs Papier zu bringen. Dies bedeutete manchmal die Nutzung einer wirklichen Maschine, manchmal das mechanisierte Handeln einer Person, zum Beispiel das Abpausen.« (Daston/Galison 2007: Objektivität, S. 127). An dieser Beschreibung wird deutlich, dass Objektivität nicht an eine voraussetzungslos, ontologisch gegebene Bildqualität gebunden ist, sondern auch von einem Willen, einer spezifischen Wissenschaftshaltung, von einer »epistemischen Tugend« abhängig ist (Vgl. Daston/Galison 2007: Objektivität, S. 394). 157 Daston/Galison 2007: Objektivität, S. 45. 158 Beschreibungen, die das Gegenteil begründen, arbeiten demzufolge mit Attributen wie »subjektiv«, »tendenziös«, »unsachlich«.

CANDIDA HÖFER: DIE BÜRGER VON CALAIS

DXFKGHUIUDQ]|VLVFKH3KLORVRSKXQG6R]LRORJH/DWRXU(UNRQVWDWLHUWGDVVVLFKHLQH VWULNWH7UHQQXQJ]ZLVFKHQ1DWXUXQG*HVHOOVFKDIW0HQVFK.XOWXULQGHU0RGHUQH YROO]RJHQ KDEH 'LHVH7UHQQXQJ KDW LQ VHLQHU$XIIDVVXQJ MHGRFK NHLQHVIDOOV GHU WDWVlFKOLFKHQ3UD[LVLQGHQ1DWXUZLVVHQVFKDIWHQHQWVSURFKHQ'LHVHPLWGHU0RGHUQH LQ =XVDPPHQKDQJ VWHKHQGH UDWLRQDOH 'LIIHUHQ]LHUXQJVOHLVWXQJ ]RJ QDFK /DWRXU HLQH 5HLQLJXQJ GHU 2EMHNWH QDFK VLFK GD PDQ GLHVH DOV HLQGHXWLJ ¿[LHUEDUH (QWLWlWHQDXIIDVVWH'HU2UWGLHVHU.RQVWUXNWLRQLVWLP6LQQH/DWRXUVGDV/DERU: Hier ZLUGGLH$EJUHQ]XQJGHU2EMHNWZHOWJHJHQEHUGHU*HVHOOVFKDIWGHP0HQVFKHQGHU .XOWXUSUDNWL]LHUWGHQQGHU5DXPGHV/DERUVLVWNQVWOLFKXQGDEJHVFKORVVHQ+LHU ¿QGHQ XQNODVVL¿]LHUEDUH 3KlQRPHQH NHLQHQ 3ODW] 0LW 0LVFKZHVHQ XQG +\EULG NRQVWHOODWLRQHQ LVW GDPDOV ZLH KHXWH JDQ] RIIHQVLFKWOLFK VFKZHUOLFK XP]XJHKHQ 1LFKW]XOHW]WGLH'RFXPHQWD]HLJWGLHV$XFKVLHVWHOOWDOV.XQVWDXVVWHOOXQJHLQ /DERU GDU *HUDGH GHVZHJHQ ZXUGH DQ LKU HLQ 'LOHPPD YLUXOHQW QlPOLFK GDV GHU 8QWHUVFKHLGXQJYRQBildern der Kunst und Abbildern der Massenmedienkultur'DV :LVVHQVFKDIWVREMHNWVRDXFKGDV.XQVWREMHNWGHU.XQVWZLVVHQVFKDIWLVWLP6LQQH HLQHUPRGHUQHQ$XIIDVVXQJHLQKHLWOLFKXQGNRKlUHQW(VLVWNODUDEJUHQ]EDUYRPVXEMHNWLYHQ=XJULIIHLQHVDQDO\WLVFKHQ$NWHXUV=XJOHLFKDEHU±GDVEHWRQW/DWRXU±LVW GDV2EMHNWGHU:LVVHQVFKDIWEHLJHQDXHU%HIUDJXQJGHU*UHQ]OLQLHQYRUDOOHPDXFK 159 Die Moderne setzt Latour mit dem Beginn des Humanismus an. Er verdeutlicht jedoch in kritischer Distanz zu diesem weitgehend etablierten Begriff von Moderne, dass mit dem anthropozentrischen Fokus des Humanismus die Konstruktion einer vom Menschen unabhängigen Objektwelt einhergegangen sei. Er entwirft einen Begriff von Moderne, der bei ihm als ein konstruierter, auf der »Reinigungsarbeit der Objekte« basierender Begriff verstanden wird (vgl. Latour 2002: Wir sind nie modern gewesen, S. 22 ff). Ein ungebrochenes Verständnis von Moderne existiert bei Latour folglich nicht, denn er selbst konstatiert, dass wir nie modern gewesen seien, da diese Reinheit der Objekte tatsächlich nie existiert habe. 160 Auch Donna Haraway setzt sich mit dieser Grenzziehung zwischen den Naturwissenschaften und der Wissenschaft kultureller Artefakte ebenso wie mit der Differenzbildung von Natur und Kultur auseinander (vgl. Haraway 1995: »Situiertes Wissen«; dies. 1995: Die Neuerfindung der Natur). 161 Das Labor nimmt bei Latour, wie ich meine, den Status einer Metapher ein. Denn es bezeichnet nicht allein den Raum der experimentellen, naturwissenschaftlichen Praxis, vielmehr bezeichnet es den Ort, an dem praktisch Wissenschaft betrieben wird: Heterogene Dinge werden hier bildlich und sprachlich auf einen vergleichbaren Maßstab gebracht (vgl. Latour 2006: »Drawing Things Together«). Ein Labor kann folglich auch aus einem Arbeitszimmer mit Schreibtisch bestehen, an dem ein Text bestehend aus Sprache und Bildern verfasst wird. Das Büro eines geografischen Instituts, in dem Landkarten erstellt werden, kann dazuzählen, aber auch eine Ausstellung kann als Labor aufgefasst werden. Das Labor ist in diesem Sinne der Ort, an dem Wissenschaft realisiert wird. So schreibt Latour: »Ein heutiges Labor kann immer noch als einzigartiger Ort definiert werden, an dem ein Text gemacht wird, um Dinge zu kommentieren, die alle präsent sind. Weil der Kommentar, frühere Texte (durch Zitate und Referenzen) und ›Dinge‹ dieselbe optische Konsistenz und dieselbe semiotische Homogenität haben, wird durch das Schreiben und Lesen dieser Artikel ein außerordentlicher Grad an Sicherheit erreicht [...]. Der Text ist nicht einfach ›illustriert‹, sondern trägt alles, was es zu sehen gibt, in sich. Durch das Labor haben der Text und das Spektakel der Welt am Ende denselben Charakter.« (Latour 2006: »Drawing Things Together«, S. 286 f). Auch Gottfried Korff und Martin Roth bemühen für das Museum die Metapher des Labors (vgl. Korff/Roth 1990: Das historische Museum).

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

EUFKLJ XQG LQVWDELO (LQKHLWOLFKNHLW LVW GLH %DVLV GHV 2EMHNWV GHQQ ªHV EUDXFKW QXU HLQHU NOHLQHQ$QVWUHQJXQJ >@ VR GDVV GLH 9HUPLWWOXQJ GHU :LVVHQVFKDIWOHU XQVLFKWEDU ZLUG© ,Q GLHVHP 6LQQH YHUVFKZLQGHW DXFK LQQHUKDOE GHU DP %HLVSLHOGHUBürger von CalaisEHVFKULHEHQHQWUDGLWLRQHOOHQ.XQVWUHSURGX]LHUHQGHQ )RWRJUD¿HGHU$NWHXUGHQQGLHDSSDUDWLYHXQGGLVNXUVLYH$QQRUGQXQJNRQVWUXLHUW HLQ NRKlUHQWHV .XQVWREMHNW 'DV GHP :LVVHQVFKDIWOHU ]XU 9HUPLWWOXQJ GLHQHQGH 0HGLXP±KLHUGLH)RWRJUD¿H±YHUVFKZLQGHW'LHVHPHGLDOH9HUPLWWOXQJVLQVWDQ] IKUW+|IHUMHGRFKGXUFKGHQYHUJOHLFKHQGHQ%OLFNZLHDXFKGXUFKGLH.RQWH[WXDOLVLHUXQJGHU6NXOSWXUYRU$XJHQ'LHYHUPHLQWOLFKH1DWUOLFKNHLWGHV.XQVWREMHNWV ZLUGKLHUGXUFKGHQRIIHQVLFKWOLFKHQ=XJULIIGHU.XOWXUXQWHUODXIHQEHLVSLHOVZHLVH GXUFKGDV0XVHXPGXUFKGLHEUJHUOLFKHgIIHQWOLFKNHLWGXUFKGLH5HVWDXUDWRUHQ der Villa Medici. %HWUDFKWHW PDQ GLH 9LVXDOLVLHUXQJVSUD[HQ GHU .XQVWJHVFKLFKWH GDQQ IJHQ sie sich bruchlos in diesen von Bruno Latour entfalteten Rationalitätsdiskurs der 0RGHUQHHLQ'HQQDXFKGLH.XQVWREMHNWHGHUIRWRJUD¿VFKHQ5HSURGXNWLRQHQ±KLHU LP EHVRQGHUHQ DQKDQG GHU 6NXOSWXUHQ YRQ 5RGLQ EHREDFKWHW ± VLQG LKUHV JHVHOOVFKDIWOLFKHQ .RQWH[WHV HQWKREHQ XQG VWHKHQ DOOHLQ GHU LVROLHUWHQ ¿[LHUWHQ %HREDFKWXQJXQGVRPLWDOVZLVVHQVFKDIWOLFKHU8QWHUVXFKXQJVJHJHQVWDQG]XU9HUIJXQJ (EHQGLHVH3DUDOOHOH]XGHQ1DWXUZLVVHQVFKDIWHQEHWRQWDXFK+HUPDQ*ULPPDOVHU GHQ (LQVDW] GHU /LFKWELOGSURMHNWLRQ LQ GHU NXQVWKLVWRULVFKHQ )RUVFKXQJ XQG /HKUH DP(QGHGHV-DKUKXQGHUWV]XOHJLWLPLHUHQYHUVXFKWH(LQHUGHU*UQGHGDIUPDJ JHZHVHQ VHLQ GDVV GLH %HUXIXQJ DXI QDWXUZLVVHQVFKDIWOLFKH 9HUIDKUHQ HLQ *DUDQW IU GLH K|KHUH $N]HSWDQ] GHU :LVVHQVFKDIWOLFKNHLW HLQ]HOQHU 'LV]LSOLQHQ ZDU VR DXFKGHU.XQVWJHVFKLFKWH'HQQJHLVWHVZLVVHQVFKDIWOLFKRULHQWLHUWH)lFKHUJHULHWHQ EHUHLWV(QGHGHV-DKUKXQGHUWV]XQHKPHQGXQWHU/HJLWLPDWLRQVGUXFN Vor dieVHPNXOWXUKLVWRULVFKHQXQGZLVVHQVFKDIWVSROLWLVFKHQ+LQWHUJUXQGDEHUDXIGHU)ROLH HLQHV QDWXUZLVVHQVFKDIWOLFKHQ 2EMHNWLYLWlWVYHUVWlQGQLVVHV LVW GLH $UJXPHQWDWLRQ ]X YHUVWHKHQ GLH +HUPDQ *ULPP QXW]WH XP GHQ (LQVDW] GHU /LFKWELOGSURMHNWLRQ ]XOHJLWLPLHUHQ(UZDUHVGHUVLFKDXIGLH0HGLHQQXW]XQJGHV6NLRSWLNRQVLQGHQ 1DWXUZLVVHQVFKDIWHQ EHULHI XP HV IU GLH .XQVWJHVFKLFKWH ]X OHJLWLPLHUHQ ª'DV 6NLRSWLNRQLVWEHLGHQ9RUOHVXQJHQEHU3K\VLNOlQJVWLQXQVHUHUHLJHQHQ8QLYHUVLWlW ZLGHUVSUXFKVORVLQ*HEUDXFKJHZHVHQ>@(VLVWHLQHEHQVRH[DFWHV0HGLXPZLH GDV 0LNURVNRS GDV JOHLFK LKP GLH 2EMHNWH LQ 9HUJU|‰HUXQJ ]HLJW© 8QG HLQLJH 6HLWHQZHLWHUKlOWHUIUGLH.XQVWJHVFKLFKWHIHVW »Leugnen zu wollen, welche Dienste das vergrößerte Lichtbild hier leistet, wäre ebensoviel, als die Vortheile der mikroskopischen Vergrößerung aus dem Bereiche des naturwissenschaftlichen

162 Latour 2002: Wir sind nie modern gewesen, S. 43. 163 Zur Entwicklung der Naturwissenschaften als »Leitwissenschaften« vgl. Düwell 1983: »Geistesleben und Kulturpolitik des Deutschen Kaiserreichs«. 164 Grimm 1897: »Die Umgestaltung der Universitätsvorlesungen«, S. 352.

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Studiums zu verbannen. Wie das Mikroskop dem Auge des Naturforschers die wahren Geheimnisse der Schöpfung erst aufzuschließen scheint, verräth das Skioptikon uns die Geheimnisse der schaffenden Phantasie, die in geringe Umrisse zuweilen zusammendrängen muß, das bei hoher Ausdehnung erst in seinen wahren Absichten sich offenbart.«

*ULPPEHUWUlJWKLHUGDVYRQ/DWRXUEHVFKULHEHQH3DUDGLJPDGHU:LVVHQVFKDIWDXI GDV )DFK GHU .XQVWJHVFKLFKWH GHP HLQH HLJHQWOLFK SDUDGR[H 7UHQQXQJ YRQ 1DWXU XQG .XOWXU 6XEMHNW XQG 2EMHNW ]XJUXQGH OLHJW 6R NRPPHQWLHUW GHU IUDQ]|VLVFKH 6R]LRORJHXQG3KLORVRSKGLHVH5HLQKHLWV¿NWLRQNULWLVFKª1LFKWGLH0HQVFKHQSURGX]LHUHQGLH1DWXUVLHH[LVWLHUWVHLWHKXQGMHXQGZDUVFKRQLPPHUGDZLUGHFNHQ QXUGLH*HKHLPQLVVHDXI©:LHDOVRGHU1DWXUZLVVHQVFKDIWOHUGLH1DWXULQLKUHP 2EMHNWVWDWXV HQW]LIIHUW VR HQW]LIIHUW QXQ DXFK GHU .XQVWKLVWRULNHU GLH 2EMHNWH GHU .XQVW 'LH $UJXPHQWH GHU )RUVFKXQJ NRQQWHQ IROJOLFK JOHLFK GHQ 1DWXUZLVVHQVFKDIWHQ DQ HLQHU PHGLDO YHUPLWWHOWHQ 'DUVWHOOXQJ EHUSUIEDU ZHUGHQ 1DFK GHQ %HVFKUHLEXQJHQ YRQ *ULPP QXW]WH GLH .XQVWJHVFKLFKWH GLH (YLGHQ] VWLIWHQGHQ Visualisierungsverfahren der sogenannten exakten Wissenschaften:DVMHGRFKGDEHL XQEHUFNVLFKWLJW EOLHE ZDU GLH PHGLDOH .RQVWUXNWLRQ XQG GLH9HUPLWWOXQJ GHV 2EMHNWVDXVHLQHPQXUVFKHLQEDUQHXWUDOHQ%HREDFKWHUVWDQGSXQNWPLWWHOVHLQHVQXU YHUPHLQWOLFKQHXWUDOHQ$XI]HLFKQXQJVXQG3URMHNWLRQVPHGLXPV,P*HJHQVDW]]X GLHVHUELOGOLFKHQ.RQVWUXNWLRQXQWHUODXIHQGLH$XIQDKPHQYRQ+|IHUGLHGXUFKGLH ,VROLHUXQJGHV2EMHNWVHUP|JOLFKWH)L[LHUXQJDXIGLHªUHLQH)RUP©6LHODVVHQJHQDX GLHVH'HNRQWH[WXDOLVLHUXQJQLFKW]X $QGHQ$XVIKUXQJHQZLUGGHXWOLFKGDVVVLFK2EMHNWLYLWlWQLFKW]XOHW]WEHUGLH )UHLVWHOOXQJGHV2EMHNWVXQGVHLQHVWDWLVFKH)URQWDOLWlWLP%LOGYHUPLWWHOW%HGHXWVDP LVW±ZLHPDQDXFKDXVGHQ'DUOHJXQJHQYRQ*ULPPVFKOLH‰HQNDQQ±GDVVHEHQMHQH ,VROLHUXQJGHV2EMHNWVGLHvisuelle Fokussierung auf die FormXQWHUVWW]WH0LWGLHVHU(QWELQGXQJDXVGHPKLVWRULVFKHQ.RQWH[WGLHZHQQLFKULFKWLJVHKHYRUDOOHP DXFK PLW GHU 0|JOLFKNHLW GHU IRWRJUD¿VFKHQ 5HSURGXNWLRQ YLVXHOO JHSUlJW ZXUGH konnte sich erst ein eigenständiges Fach Kunstgeschichte entwickeln, insofern die 'LV]LSOLQMHW]WQLFKWPHKUDOOHLQDOV+LOIVZLVVHQVFKDIWGHU*HVFKLFKWVZLVVHQVFKDIWHQ IXQJLHUWH'HQQVLHEH]RJLKU6HOEVWYHUVWlQGQLVPLWGHUDXVJHZHLWHWHQ0|JOLFKNHLW IRWRJUD¿VFKHU5HSURGXNWLRQHQDXVHLQHU]XEHREDFKWHQGHQ)RUPHQWZLFNOXQJGLHDOV HLJHQVWlQGLJXQGJHVHOOVFKDIWVXQDEKlQJLJSRVWXOLHUWZXUGH'LHIDFKOLFKH,GHQWLWlW EHUXKWHIROJOLFKDXIGHU0|JOLFKNHLWGHUIRWRJUD¿VFKHQ5HSURGXNWLRQPHKUQRFK 'LHVH 0HGLHQWHFKQLN VFKHLQW HLQH GHU ZLFKWLJHQ %HGLQJXQJ IU GLH 0|JOLFKNHLW HLQHU IDFKGLV]LSOLQlUHQ ,GHQWLWlW JHZHVHQ ]X VHLQ 'HQQ PLW GHP WDWVlFKOLFK ELOGOLFKIXQGLHUWHQ%H]XJDXIGLH*HJHQVWlQGHNRQQWHGLH.XQVWJHVFKLFKWHVLFKYRQGHU *HVFKLFKWVZLVVHQVFKDIWDEJUHQ]HQEHUXKWHGRFKGLHNXQVWKLVWRULVFKH0HWKRGLNELV (QGH GHV  -DKUKXQGHUWV PD‰JHEOLFK DXI GHU $QDO\VH KLVWRULVFKHU 7H[WTXHOOHQ

165 Grimm 1897: »Die Umgestaltung der Universitätsvorlesungen«, S. 359 f. 166 Latour 2002: Wir sind nie modern gewesen, S. 45.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

RKQHGDVVVLHVLFKYHUVWlUNWDXIELOGOLFKH(UVFKHLQXQJVIRUPHQEH]RJHQKDWWH'DVV MHGRFKGLHVHVYLVXHOOH3UlVHQWDWLRQVYHUIDKUHQNHLQHXQYHUPLWWHOWHVRQGHUQ±JDQ]LP *HJHQWHLO±HLQHPHGLHQWHFKQLVFKLQGHQ+|UVlOHQDXFKUKHWRULVFKXQGVSUDFKOLFK K|FKVWDPELWLRQLHUWH0HWKRGHGHU9HUPLWWOXQJGDUVWHOOWHJLQJLQGHUPHWKRGLVFKHQ 5HÀH[LRQ GHV )DFKHV YLHOIDFK YHUORUHQ 1LFKW ]XOHW]W LQ GLHVHU PHGLHQWHFKQLVFKHQ (QWZLFNOXQJEHJUQGHWVLFKGLH.RQVWUXNWLRQHLQHUDOVDXWRQRPYHUVWDQGHQHQ.XQVWJHVFKLFKWHGLHVLFKYRUDOOHPDXIGLH)RUPEH]LHKW5DW]HEXUJNRQVWDWLHUWLP+LQEOLFNDXIGLH)DFKHQWZLFNOXQJDP(QGHGHV-DKUKXQGHUWV »Der Einsatz von Abbildungen ermöglichte damit eine Abgrenzung von der Geschichtswissenschaft, die sich auch inhaltlich auswirkte. Die Kunstentwicklung wurde von den Kunsthistorikern als eigenständige [ergo autonome, Ergänzung und Hervorhebung, K.H.] Sphäre aufgefasst, die nur bedingt mit der historischen Entwicklung in Zusammenhang stand. Die Kunstepochen definierte man losgelöst von historischen Epochen als eigenständigen Entwicklungsprozess [Hervorhebung, K.H.]. Methoden wie Stilkunde und die Ikonografie wurden durch den systematischen Vergleich und die Reihungen von Abbildungen erst möglich.«

Vor diesem kulturhistorischen Hintergrund erscheint die Arbeit von Höfer als ReÀH[LRQGHU:DKUQHKPXQJVDQRUGQXQJHQGHVNXQVWKLVWRULVFKHQ'LVNXUVHV'DV%LOG HQVHPEOH ULFKWHW GLH $XIPHUNVDPNHLW YRU DOOHP DXI GLH YLVXHOOHQ (OHPHQWH GHV 'LVSRVLWLYVXQGEHWRQWVLHDOVZLUNPlFKWLJH,QVWDQ]HQIUHLQHVSH]L¿VFKH'HXWXQJ GHU2EMHNWH0LWGHU)UHLVWHOOXQJGHV2EMHNWVYHUELQGHWVLFKJDQ]RIIHQVLFKWOLFKGLH VFKZHUJHZLFKWLJH NXOWXUKLVWRULVFK JHZDFKVHQH7KHVH HLQHU DXWRQRPHQ .XQVW$Q GLHVH)RUPGHU.XQVWJHVFKLFKWVVFKUHLEXQJVLQG]XJOHLFKDXFK0DFKWYHUKlOWQLVVHGHU EUJHUOLFKHXURSlLVFKHQ .XOWXU JHEXQGHQ GLH VLFK QLFKW ]XOHW]W LP 0RGHUQLVPXV QLHGHUJHVFKODJHQKDWWHQ'LHHUVWHQ'RFXPHQWD$XVVWHOOXQJHQ]HXJHQGDYRQGDVV VLHHLQHQ.XQVWEHJULIIIRNXVVLHUWHQGHUYRUDOOHPQRFKGHQHLJHQVWlQGLJHQ(QWZLFNOXQJVSUR]HVVGHU.XQVWLP%OLFNKDWWHGHQDXFK5DW]HEXUJHUEHVFKUHLEW+|IHUVIRWR JUD¿VFKH$UEHLWNDQQDOV([HPSHOGDIUGLHQHQGDVVVLFKLP/DXIHGHU*HVFKLFKWH GHU'RFXPHQWDHLQH7UDQVIRUPDWLRQGLHVHV.XQVWEHJULIIVYROO]RJ$QGHQ:HUNHQ GHU HOIWHQ 'RFXPHQWD ZLUG ZHQLJHU HLQH DXWRQRPH (QWZLFNOXQJ GHU .XQVW DEOHVEDU9LHOPHKUWULWWGHU$XWRQRPLHJHGDQNHUHÀH[LYLQV%LOG'LH%HGLQJXQJHQVHLQHU 0|JOLFKNHLWNRPPHQLQGHQ%OLFN

167 Ratzeburg 2002: »Mediendiskussion im 19. Jahrhundert«, S. 35.

Fiona Tan: Countenance (2002)

ZUM WERK: AUFBAU DER FILMINSTALLATION UND INHALTLICHE STRUKTUR DER PROJEKTIONEN

6WLHJPDQGLH+DXSWWUHSSHGHV)ULGHULFLDQXPVDQ+DQQH'DUERYHQYRUEHLLQGDV ]ZHLWH *HVFKRVV KLQDXI GDQQ K|UWH PDQ EHUHLWV YRQ GHU 5RWXQGH DXV HLQH OHLVH 6WLPPHGLHHUVWEHL(LQWULWWLQGHQYRUGHUVWHQ5DXPGHVOLQNHQ*HElXGHWHLOVODXW XQGGHXWOLFK]XYHUVWHKHQZDU>$EE&@(LQH)UDXHQVWLPPHDXVGHP2IIODVKLHU LPHUVWHQ5DXPGHU]ZHLWHLOLJHQ)LOPLQVWDOODWLRQYRQ)LRQD7DQLQGHXWOLFKDUWLNXOLHUWHQ:RUWHQDXVHLQHP7DJHEXFKYRU'HUYRUJHWUDJHQH7H[WZDUQDFK'DWHQ JHJOLHGHUW XQG VFKLOGHUWH LQ SHUV|QOLFKHQ %HREDFKWXQJHQ HUVWH :DKUQHKPXQJVHLQGUFNH EHU GLH *UR‰VWDGW %HUOLQ DXV GHU 6LFKW HLQHU IUHPGHQ 3HUVRQ 'LHVHU YRUGHUHOlQJOLFKH5DXPLQGHPGHUEHVFKULHEHQHXQGLQGLHVHP.DSLWHODXFKDEJHGUXFNWH7H[W]XK|UHQZDUELOGHWHGHQHUVWHQ7HLOHLQHUDXV]ZHL5DXPHLQKHLWHQ EHVWHKHQGHQ )LOPLQVWDOODWLRQ (U LQWHJULHUWH HLQH NOHLQH 3URMHNWLRQVÀlFKH LQ GHQ 0D‰HQ[FPGLHHWZDDXI$XJHQK|KHGHU%HVXFKHULQHLQHP$EVWDQGYRQ 0HWHUQ]XGHUYRULKUSODW]LHUWHQ%DQNDQJHEUDFKWZDU>$EE@+LHUZDUHQ IUMH6HNXQGHQHWZD*HVLFKWVSRUWUlWV]XVHKHQGLHHUVWEHLJHQDXHUHP+LQVHKHQDOV%HZHJWELOGHULQ(UVFKHLQXQJWUDWHQGDGLH3HUVRQHQ]XP7HLOPLWGHQ $XJHQ]ZLQNHUWHQRGHUDQGHUHNOHLQHUH%HZHJXQJHQLQQHUKDOEGHV%LOGUDKPHQV ZDKUQHKPEDU ZXUGHQ 'DV *HVLFKWVSRUWUlW LQ GHU ,QVWDOODWLRQVDQVLFKW GHV HUVWHQ 5DXPHV]HLJWGLH.QVWOHULQVHOEVWXQGJLEWHLQHQHUVWHQ+LQZHLVGDUDXIGDVVHV VLFKEHLGHPHLQJHVSURFKHQHQ7H[WXPGLH*HGDQNHQYRQ)LRQD7DQKDQGHOWGLH LKUHQ:HUNSUR]HVVUHÀHNWLHUW ,Q GHP ]ZHLWHQ JU|‰HUHQ 5DXP KDWWH GLH .QVWOHULQ GUHL WUDQVSDUHQWH 3URMHN WLRQVÀlFKHQLQGHU*U|‰HYRQ[FPLQVWDOOLHUW>$EE@:LHDXIGHU$EELOGXQJ ]X VHKHQ KLQJHQ VLH LQ JOHLFKHP $EVWDQG SDUDOOHO QHEHQHLQDQGHU DQ ]ZHL 6HLOHQDQJHEUDFKWYRQGHU'HFNHXQGZDUHQDXIJOHLFKHU+|KHPLWZHQLJ$EVWDQG

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

April 5th 2001 The transport company has picked up my crates and boxes. I feel lighter, if also set adrift. April 8th Berlin. My first week here. I´m supposed to be working but spend most of the time staring out the window. My hungry eye. In the underground and at the market I observe people´s faces. Do I look better at people´s faces in a foreign city? May 11th A map of Berlin hangs on the kitchen wall. It´s an older map: the highway routes are coloured blue and I repeatedly mistake them for waterways. Some former inhabitant has drawn a dotted line where the wall diving east and west used to run. Several places have been circled: the Zoo, Grünewald, Potsdamer Platz, Alexander Platz, the Soviet War Memorial in Treptow. I used to think that I never forget a face. Almost automatically I try to guess someone´s background and origin. I don´t stop to wonder what determines which details I notice and which I let slip by. October 23rd Summer has passed too soon. I gather together impressions and snapshots like an amateur biologist in the nineteenth century would catch butterflies. Type, archetype, stereotype. An irrational desire for order; or at least for the illusion thereof. However I am constantly reminded that all my attempts at systematical order must be arbitrary, idiosyncratic and - quite simply - doomed to fail. It´s nonsense to think that I can see through and figure out how things work. A long walk in the park. Faces. Glances. East german accents. People I glance at in the street, return my gaze and look at me unabashed and selfassured. Berlin 2002, January 10th Hours spent sorting through my cluttered notes and papers: how to chose what to keep and what to discard. As if order outside would take care of the disorder inside. I am a great one for making long lists, even if they are meaningless in the end. March 4th The cold weather has turned, trees are budding. Looking again at the place and the people. Shedding my Berlin skin. Could I possibly collect, collate a time in history? Whose history? Tinker, tailor, soldier, sailor, Rich man, poor man, beggar man, thief. Fiona Tan: Countenance (2002) Text, der innerhalb des ersten Raumes der Filminstallation über Lautsprecher mittels einer Frauenstimme eingesprochen wird.

Fiona Tan stellte mir diesen Text freundlicherweise während meiner Recherchen zu ihrer Filminstallation Countenance (2002) im Jahr 2003 zur Verfügung. Er wurde später auch veröffentlicht in: Ausst.Kat. (2006) Fiona Tan. Mirror Maker.

FIONA TAN: COUNTENANCE

vom Boden in einer Linie entlang der länglichen Raumachse angeordnet. 'UHL VFKOLFKWH%lQNHZLHVHQGHQ%HVXFKHUQLKUH%HWUDFKWHUSRVLWLRQHQLQHLQHP$EVWDQG YRQHWZD0HWHUQYRUGHQ3URMHNWLRQHQ]XZlKUHQGGLH%HZHJWELOGHUYRQKLQWHQEHUGLH±HEHQIDOOVLQGHU$EELOGXQJ]XVHKHQGHQ±PP3URMHNWRUHQDXIGLH MHZHLOLJHQ%LOGÀlFKHQSURML]LHUWZXUGHQ'LHVH$XIQDKPHQZDUHQJDQ]lKQOLFKZLH MHQHGHVHUVWHQ5DXPHVVWUXNWXULHUW+LHUNRQQWHPDQIUMHZHLOV6HNXQGHQHLQH RGHU PHKUHUH 3HUVRQHQ PHLVW LQ VWDWLVFKHU +DOWXQJ IURQWDO DEJH¿OPW EHREDFKWHQ :DUHQDXIGHUNOHLQHQ3URMHNWLRQVÀlFKHOHGLJOLFKGLH*HVLFKWHUGHU3RUWUlWLHUWHQ]X VHKHQVRWDXFKWHQVLHLP]ZHLWHQ5DXPYHUHLQ]HOWXQWHUGHQKLHUJH]HLJWHQ*DQ]N|USHUDQVLFKWHQ ZLHGHU DXI 'LHVHQ %LOGHUDWODV DXV XQ]lKOLJHQ *DQ]N|USHUSRUWUlWV KDWWHGLH.QVWOHULQ]ZLVFKHQ$SULOXQG0lU]]XVDPPHQJHVWHOOW(LQH PP.DPHUDKDWWHLKUGDEHLDOV$XI]HLFKQXQJVJHUlWJHGLHQW0LWGLHVHUKDWWHVLH LQZHQLJHQ0RQDWHQXQWHUVFKLHGOLFKVWH%HZRKQHUYRQ%HUOLQXQGVHLQHU8PJHEXQJ DEJHOLFKWHWXQGVFKOLH‰OLFK]XHLQHPNLQHPDWRJUD¿VFKHQ$OEXPDXV3RUWUlWVWXGLHQ ]XVDPPHQJHVHW]W 'DV (UJHEQLV MHQHU XUEDQHQ SK\VLRJQRPLVFKVR]LDOHQ .DUWRJUD¿HDXV%HZHJWELOGHUQZDUGDQQLP6RPPHUGHVJOHLFKHQ-DKUHVDXIGHU'RFXPHQWD]XVHKHQXQGZXUGHNXU]QDFKGHU.DVVHOHU.XQVWVFKDXIUGLH6DPPOXQJ des Schaulagers in Basel angekauft. 'LH 3RUWUlWDXIQDKPHQ GHU )LOPLQVWDOODWLRQ VLQG QDFK XQWHUVFKLHGOLFKHQ .DWHgorien sortiert3 'LH HUVWH 3URMHNWLRQ $  LQQHUKDOE GHV ]ZHLWHQ JUR‰HQ 5DXPHV umfasst Bilder unter dem Titel I Soziale GruppierungenGLHVLFKLQ]Z|OI8QWHUJUXSSHQ JOLHGHUW GLH MHZHLOV GUHL ELV QHXQ$XIQDKPHQ ]HLJHQ 6LQJOHV 1HXYHUPlKOWH 3DDUHXQWHUVFKLHGOLFKHU3URYHQLHQ]0WWHUPLW.LQGHUQ9lWHUPLW.LQGHUQNRPSOHWWH)DPLOLHQDEHUDXFK.LQGHUDOOHLQXQGLQ*UXSSHQ-XJHQGOLFKH%HZRKQHUYRQ :RKQJHPHLQVFKDIWHQ1LFKWVHVVKDIWHHEHQVRZLH6HQLRUHQKHLPEHZRKQHUVLQGKLHU LQXQWHUVFKLHGOLFKVWHQ$QRUGQXQJHQXQG3RVHQ]XEHREDFKWHQ'LH]ZHLWH3URMHNWLRQ % SUlVHQWLHUWKLQJHJHQHLQ3HUVRQHQLQYHQWDUGDVVLFKQXUDXV%HUXIVWlWLJHQ]XVDPPHQVHW]WXQGZLHGHUXP]HKQ8QWHUJUXSSHQXPIDVVWZREHLVLHEHQGDYRQDXIGLHVH ]ZHLWHPLWWOHUH/HLQZDQGSURML]LHUWZHUGHQ+LHUEHJLQQWGDV%LOGNRPSHQGLXPPLW Aufnahmen von Bäuerinnen und Bauern, gefolgt von Arbeitern und Handwerkern. 'DUEHU KLQDXV XPIDVVW GLHVH 3RUWUlWUHLKH 7HFKQLNHU 6WDDWVEHDPWH $QJHVWHOOWH VRZLH )KUXQJVNUlIWH 'LH EULJHQ GUHL 8QWHUJUXSSHQ GHU Berufstätigen sind dann DXI GHU GULWWHQ XQG OHW]WHQ 3URMHNWLRQVÀlFKH &  ]X VHKHQ 6HOEVWVWlQGLJH )UDXHQ 1 Vgl. hierzu auch die Einzelausstellung zu dieser Arbeit in Oxford: Ausst.Kat. (2005) Fiona Tan – Countenance. 2 Im Jahr 2009 nimmt Fiona Tan dann für den niederländischen Pavillon an der Biennale in Venedig teil (vgl. Ausst. Kat. (2009) Fiona Tan – Disorient). Nicht zuletzt diese Etappen ihrer Werkbiografie lassen darauf schließen, dass die Documenta zu ihrer verstärkten internationalen Kanonisierung im westlichen Kunstbetrieb beigetragen hat. 3 Eine Übersicht über die Werkstruktur und die einzelnen Gruppen von Tans Bilderatlas befindet sich in Anhang dieses Buches. Die Angaben gründen auf der Installationsanordnung der Arbeit in der De Pont Foundation for Contemporary Art in Tilburg (NL) im Jahr 2002 (vgl. hierzu auch Ausst.Kat. (2002) Fiona Tan) sowie auf Recherchen im Schaulager in Basel im Jahr 2007.

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Abb. 58: Fiona Tan: Countenance, 2002, Ausstellungs ansicht im zweiten Geschoss des Fridericianums: erster Raum der Filminstallation

XQG0lQQHULQPHGL]LQLVFKHQ%HUXIHQXQG)UHLEHUXÀHU'DUEHUKLQDXV]HLJWGLHVH GULWWH/HLQZDQG3RUWUlWDXIQDKPHQXQWHUGHP7LWHOIII Sonstige. Fiona Tan hat hier HLQHQ %LOGHUDWODV DXV HOI 8QWHUJUXSSHQ ]XVDPPHQ PRQWLHUW LQ GHP 6WXGLHUHQGH 5HQWQHU .XUDWRUHQ $UEHLWVORVH 2EGDFKORVH %HWWOHU 'URJHQDEKlQJLJH )LOPH PDFKHU 6FKULIWVWHOOHU XQG DEVFKOLH‰HQG HLQH 5HLKH YRQ .QVWOHUQ ]X VHKHQ VLQG $XFKGLHVH3HUVRQHQJUXSSHQVLQGZLHDOOHDQGHUHQVRZRKOGXUFK0lQQHUDOVDXFK GXUFK)UDXHQUHSUlVHQWLHUW ,P]ZHLWHQ$XVVWHOOXQJVUDXPGHUDXIGHU'RFXPHQWDSUlVHQWLHUWHQ)LOPLQVWDOODWLRQNRQQWHPDQ±HEHQVRZLHDXFKLP0XVHXPDe Pont oder im Baseler Schaulager ±XQWHUVFKLHGOLFKH8PJHEXQJVJHUlXVFKHK|UHQ0DQYHUQDKPEHLVSLHOVZHLVHEHLP $QEOLFNHLQHVIURQWDODEJHOLFKWHWHQ%DXHUQGDV0XKHQVHLQHU.KHLP6WDOO$QDQGHUHU6WHOOHGU|KQWHGHU6WDXEVDXJHUHLQHV3XW]PDQQHVGHUVLFKHEHQVRIU6HNXQGHQGHP%OLFNGHU.DPHUDDXVJHVHW]WKDWWHJHQDXVRZLHPDQGLH7HLJUKUPDVFKLQH GHV.RQGLWRUVK|UWHGHUZlKUHQGVHLQHUPRUJHQGOLFKHQ$UEHLWLQVWDWLVFKHU3RVHPLW GHU)LOPNDPHUDDXIJHQRPPHQZRUGHQZDU$QYHUVFKLHGHQHQ6WHOOHQZDUHQGLH3RUWUlWVPLWHLQHU7RQVSXUXQWHUOHJWZRKLQJHJHQEHLDQGHUHQGLH8PJHEXQJVJHUlXVFKH vollständig ausgeblendet wurden.

FIONA TAN: COUNTENANCE

Abb. 59: Fiona Tan: Countenance, 2002, Ausstellungsansicht im zweiten Geschoss des Fridericianums: zweiter Raum der Filminstallation

'HU )LOPLQVWDOODWLRQ YRQ )LRQD7DQ ZXUGH LQQHUKDOE GHV ]ZHLWHQ *HVFKRVVHV LP )ULGHULFLDQXPLQ5HODWLRQ]XGHQDQGHUHQ:HUNHQGLHLPUHFKWHQ)OJHOGHV*HElXGHV]XVHKHQZDUHQHLQHH[SRQLHUWHU2UW]XJHZLHVHQ:ROOWHPDQGLHDQGHUHQ ([SRQDWHLQGLHVHP*HElXGHDEVFKQLWWDQVFKDXHQGDQQZDUPDQJH]ZXQJHQ]XHUVW)LRQD7DQV]ZHLWHLOLJH)LOPLQVWDOODWLRQ]XSDVVLHUHQ$XFKKLHUZLUGGLH%HGHXWXQJVWLIWHQGH$QRUGQXQJGHVQLFKW]XOHW]WUlXPOLFKVWUXNWXULHUWHQ'LVSRVLWLYV Ausstellung deutlich.4 'HUHUVWH5DXPGHUHWZDXQWHUVFKLHGOLFKH*HVLFKWVSRUWUlWV]HLJWHNDQQDOV HLQH$UWYLVXHOOHU3URORJJHOHVHQZHUGHQGHUGXUFKGLHEHUHLWVHUZlKQWH6WLPPH DXVGHP2IIXQWHUPDXHUWZXUGH'HU7H[WGHUDXFKLQGLHVHP.DSLWHODEJHGUXFNW LVWEHULFKWHWYRQHLQHP8P]XJQDFK%HUOLQ$QIDQJ$SULOXQGYRQGHQHUVWHQ :RFKHQLQHLQHUIUHPGHQ*UR‰VWDGW(LQH)UDXHU]lKOWLQNQDSSHQ:RUWHQPDQFKmal beinahe essayistisch, von ihren Beobachtungen und ihrer Annäherung an den 4 Vgl. hierzu auch Hillier/Tzortzi 2006: »Space Syntax: The Language of Museum Space« und Buchteil II Bildanordnungen, hier insbesondere: Exkurs: Architektonische Selbstreflexionen – die »Space Syntax« der Binding Brauerei.

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urbanen Raum. Innerhalb der Filminstallation wurde dem aufmerksamen Zuhörer MHGRFKDOOPlKOLFKGHXWOLFKGDVVHVVLFKKLHURIIHQVLFKWOLFKDXFKXPHLQHQ%HULFKW EHUGHQ(QWVWHKXQJVSUR]HVVGHUSUlVHQWLHUWHQ$UEHLWKDQGHOQPXVV'HQQHEHQVR ZLHGLH%LOGHUGHU,QVWDOODWLRQUHÀHNWLHUWDXFKGHU7H[WXQSUlWHQWL|VGDVDOOPlKOLFKH 2UGQHQXQG6RUWLHUHQGHUYLVXHOOHQ(LQGUFNHXQGGLHGDPLWYHUEXQGHQH9HUDUEHLWXQJGHUYLHOIlOWLJHQ:DKUQHKPXQJVSUR]HVVH 'HU LP HUVWHQ 5DXP HLQJHVSLHOWH 0RQRORJ SHUVSHNWLYLHUWH IROJOLFK GLH /HNWUHGHUVLFK]\NOLVFKZLHGHUKROHQGHQXQGKLQWHUHLQDQGHUJHVFKQLWWHQHQ%HZHJWELOGHU (V ZDU DXIIlOOLJ GDVV GLH 3RUWUlWDXIQDKPHQ GHV HUVWHQ 5DXPHV YHUVWlUNW DQGHQ:DKUQHKPXQJVHLQGUXFNGHV$XJHVJHEXQGHQZDUHQGDPDQOHGLJOLFKPLW GHQ *HVLFKWHUQ NRQIURQWLHUW ZDU >$EE @ ZRKLQJHJHQ GLH *DQ]N|USHUSRUWUlWV GLH LP ]ZHLWHQ 7HLO GHU ,QVWDOODWLRQ ]X VHKHQ ZDUHQ >$EE @ HKHU HLQ N|USHUOLFKHV 6HKHQ KHUDXVIRUGHUWHQ 'XUFK GLH JUR‰IRUPDWLJHQ 3URMHNWLRQVÀlFKHQ XQG GXUFKGLHIURQWDOH.RQIURQWDWLRQPLWGHQDEJH¿OPWHQJDQ]¿JXULJHQ3HUVRQHQ¿HO HLQH'LVWDQ]LHUXQJJHJHQEHUGHP%LOGHUKHEOLFKVFKZHUHU:HQLJHUGLH.DPHUD sondern vielmehr die Betrachter selbst waren hier die Adressaten des Blicks der 3RUWUlWLHUWHQ8PJHNHKUWSURYR]LHUWHGHU%OLFNGHQPDQEHUGLH.DPHUDHLQVWHOOXQJDOV=XVFKDXHU]XJHZLHVHQEHNDPHLQHEHLQDKHXQDQJHQHKPHYR\HXULVWLVFKH %HREDFKWXQJVSRVLWLRQ ,PHUVWHQZLHLP]ZHLWHQ5DXPKDWWH7DQLKUH3RUWUlWDXIQDKPHQMHZHLOVKLQWHUHLQDQGHU XQG LQ HLQHP ]\NOLVFKHQ9HUIDKUHQ DQJHRUGQHW ZREHL GHU 'XUFKODXI HLQHU JHVDPWHQ )LOPUROOHLP]ZHLWHQ5DXPHWZD  0LQXWHQ GDXHUWH 'XUFK GLH XQWHUVFKLHGOLFKH 'DXHU GHU GUHL 3URMHNWLRQHQ ZLHGHUKROWHQ VLFK MHGRFK GLH 9HUJOHLFKVPRPHQWH]ZLVFKHQGHQ%LOGHUQ]XPLQGHVWZlKUHQGHLQHV$XVVWHOOXQJVEHVXFKVQLFKW'HUVLFKVWlQGLJZLHGHUKROHQGH'XUFKODXIGHUMHZHLOVXQWHUVFKLHGOLFK ODQJHQ )LOPUROOHQ SURYR]LHUWH LPPHU QHXH 9HUJOHLFKVNRQVWHOODWLRQHQ ]ZLVFKHQ GHQ%LOGHUQ$XIJUXQGGLHVHUGXUFKGLH=HLWODXIHQGHQ$QRUGQXQJGHU)RWRJUD¿HQ HUJDEHQVLFKEHVWlQGLJQHXH0|JOLFKNHLWHQGHV%LOGYHUJOHLFKV *DQ] lKQOLFK ZLH LQ GHU IRWRJUD¿VFKHQ $UEHLW YRQ +|IHU ]HLJW VLFK DXFK innerhalb der beschriebenen Filminstallation, dass die Anordnung der Bilder eine %HGHXWXQJNRQVWLWXLHUHQGH)XQNWLRQKDW%HL)LRQD7DQLVWGLH0RQWDJHGHU%LOGHU MHGRFKQLFKWDOOHLQLQUlXPOLFKDUFKLWHNWRQLVFKHU+LQVLFKWV\QFKURQJHVWDOWHWDXIJUXQGGHU¿OPLVFKHQ3URMHNWLRQVSLHOWEHLGHUQLHGHUOlQGLVFKHQ.QVWOHULQDXFKHLQ GLDFKURQHV0RPHQWHLQH]HQWUDOH5ROOH(LQHUVHLWVZHLOVLHGLH3URMHNWLRQVÀlFKHQ SDUDOOHOVLFKWEDULP5DXPPRQWLHUWXQGDQGHUHUVHLWVZHLOVLHGXUFKGLHVSH]L¿VFK PHGLDOH,QV]HQLHUXQJGHU$XIQDKPHQHLQHVXN]HVVLYH(QWIDOWXQJGHU)RWRJUD¿HDOV %HZHJWELOGSURYR]LHUW=HLWVWHOOWVLFKKLHUDOV0RQWDJHYRQXQWHUVFKLHGOLFKHQV\QFKURQHQXQGGLDFKURQHQ0RPHQWHQGDUXQGQLFKWQRWZHQGLJHUZHLVHDOVQDWUOLFKH HLQKHLWOLFKNRQWLQXLHUOLFKH:DKUQHKPXQJVHUIDKUXQJ

FIONA TAN: COUNTENANCE

ZUR REFLEXION MASSENMEDIALER BILDKULTUREN: PORTRÄTFOTOGRAFIE UND TYPOLOGISIERUNG Darstellungskonventionen der Porträtfotografie: August Sanders fotografische Arbeit

$XFK 7DQ QLPPW PLW LKUHU )LOPLQVWDOODWLRQ %H]XJ DXI HLQ 5HSHUWRLUH GHU PDVVHQ PHGLDOHQ%LOGNXOWXU*DQ]lKQOLFKZLH+|IHUUHIHULHUWDXFKVLHDXIHLQHQNXOWXUKLVWRULVFKJHZDFKVHQHQ%LOGHUIXQGXV%HLGHU%HREDFKWXQJGHU3URMHNWLRQHQZLUGVFKQHOO GHXWOLFKGDVVGLHQLHGHUOlQGLVFKH.QVWOHULQGXUFKGLH,QV]HQLHUXQJXQG*OLHGHUXQJ LKUHU¿OPLVFKHQ3RUWUlWVDXIHLQHQ0HLOHQVWHLQGHU)RWRJUD¿HJHVFKLFKWHGHVIUKHQ -DKUKXQGHUWVYHUZHLVW$XFKGHU%HUXIVIRWRJUDI$XJXVW6DQGHUKDWWHPLWWHOVVHLQHUEHLQDKHXQ]lKOLJDEJHOLFKWHWHQ0RGHOOHDXVGLYHUVHQ%HUHLFKHQGHU*HVHOOVFKDIW LQGHQHU-DKUHQ±HLQHQLQGHU)RWRJUD¿HJHVFKLFKWHZHLWKLQEHNDQQWHQ±%LOGHUDWODVJHVFKDIIHQGHUYLHOIlOWLJH3DUDOOHOHQ]X7DQV)LOPLQVWDOODWLRQDXIZHLVW6HLQ KLVWRULVFKHV%LOGNRPSHQGLXPPLWGHP7LWHOMenschen des 20. Jahrhunderts sollte DQKDQG YRQ EHUZLHJHQG IRWRJUD¿VFKHQ (LQ]HOSRUWUlWV HLQHQ P|JOLFKVW XPIDVVHQGHQhEHUEOLFNEHU7\SHQGHU*HVHOOVFKDIWLPIUKHQ-DKUKXQGHUWJHEHQZREHL GDV .RPSHQGLXP ]DKOUHLFKH$XIQDKPHQ DXV GHU =HLW GHU Weimarer Republik umIDVVW6DQGHUKDWWHLQGHQ-DKUHQ]ZLVFKHQXQGHLQ.RQ]HSWHQWZRUIHQ GDVDXVVLHEHQJUR‰HQ0DSSHQEHVWHKHQXQGXQWHUVFKLHGOLFKH3RUWUlWVYHUVFKLHGHQHU JHVHOOVFKDIWOLFKHU*UXSSHQHQWKDOWHQVROOWH'LHVH0DSSHQEHWLWHOWHHUIROJHQGHUPD‰HQ,'HU%DXHU,,'HU+DQGZHUNHU,,,'LH)UDX,9'LH6WlQGH9'LH.QVWOHU 9,'LH*UR‰VWDGW9,,'LHOHW]WHQ0HQVFKHQ'LHVH0DSSHQXPIDVVHQKHXWH±lKQOLFK ZLH VSlWHU GLH )LOPELOGHU YRQ 7DQ ± XQWHUVFKLHGOLFKVWH$XIQDKPHQ YRQ =HLW JHQRVVHQGLH6DQGHULP/DXIHVHLQHU7lWLJNHLWDOV%HUXIVIRWRJUDIDQJHIHUWLJWKDWWH 6HLQ.RQ]HSWGXUFKOLHILP/DXIHGHV(QWVWHKXQJVSUR]HVVHVYHUVFKLHGHQVWH0RGL¿NDWLRQHQXQGZXUGHHUVWPDOVLPKölnischen KunstvereinPLWUXQG)RWRJUD ¿HQDXVJHVWHOOWGLHVHLWHWZDGHU-DKUKXQGHUWZHQGHHQWVWDQGHQZDUHQ7 Infolge dieser $XVVWHOOXQJZXUGH6DQGHULP.|OQHU.XOWXUOHEHQYHUVWlUNWZDKUJHQRPPHQ$XFK GHU9HUOHJHU.XUW:ROIIZDUIDP(QGHGHUHU-DKUHHLQLQWHUHVVLHUWHV$XJHDXI 6DQGHUVIRWRJUD¿VFKH$UEHLW(UKDWWHEHUHLWVGHQ%LOGEDQGDie Welt ist schön

5 Eine Auflistung von Sanders Mappenstruktur befindet sich im Anhang. Einen Überblick über das gesamte Bildkonvolut, mit allen Porträtaufnahmen im Kleinformat, gibt folgende Publikation: Sander 2001: Menschen des 20. Jahrhunderts. Studienband, S. 104–189. 6 Einen umfassenden Überblick über die historischen Kontexte und die Entwicklung dieses Projekts liefert die bereits erwähnte Publikation: Sander 2001: Menschen des 20. Jahrhunderts. Studienband. Zum Entstehungsprozess vgl. Lange/Conrath-Scholl 2001: »August Sander: Menschen des 20. Jahrhunderts – Ein Konzept in seiner Entwicklung«. 7 Vgl. Lange/Conrath-Scholl 2001: »August Sander: Menschen des 20. Jahrhunderts – Ein Konzept in seiner Entwicklung«, S. 14. Das gesamte Bildkonvolut umfasst vorwiegend Fotografien aus den Jahren zwischen 1910 und 1930. Wenige Aufnahmen entstanden vorher, und nicht früher als 1906, und wenige später zwischen 1931 und 1945 (vgl. die Bildangaben und Jahreszahlen in: Sander 2001: Menschen des 20. Jahrhunderts. Studienband, S. 176–189).

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YRQ5HQJHU3DW]VFKYHU|IIHQWOLFKWXQGYHUVDPPHOWHLQVHLQHP9HUODJVSURJUDPP]XGHPZLFKWLJH.|SIHGHV.XOWXUXQG/LWHUDWXUOHEHQVGHUWeimarer Republik. ResulWDWGHU%HJHJQXQJ]ZLVFKHQ6DQGHUXQG:ROIIZDUHLQH%XFKYHU|IIHQWOLFKXQJGLH 3RUWUlWIRWRJUD¿HQYRQ$XJXVW6DQGHUXQGHLQ9RUZRUWYRQ$OIUHG'|EOLQXPIDVVWH 'LHVHUXQWHUGHP7LWHOAntlitz der Zeit veröffentlichte Bildband gab in sehr UHGX]LHUWHU)RUPZHLWJHKHQGGLH0DSSHQVWUXNWXUVHLQHVJUR‰HQ%LOGNRPSHQGLXPV ZLHGHU GD EHLQDKH MHGH 0DSSH GXUFK HLQ RGHU PHKUHUH$EELOGXQJHQ UHSUlVHQWLHUW war.$XFKGHUOLQHDUH$XIEDXIROJWH]XPJU|‰WHQ7HLOGHU6WUXNWXUVHLQHVJUR‰HQ %LOGHUDWODV'HUNOHLQH%LOGEDQGEHJLQQWHEHQIDOOVPLWGHQ%DXHUQ]HLJWGDQDFKYRU DOOHP+DQGZHUNHUXQG$UEHLWHU)DPLOLHQDXVXQWHUVFKLHGOLFKHQ6FKLFKWHQXQGDQGHUHGLYHUVH%HUXIHXPVLFKGDQQYRUZLHJHQGGHPEUJHUOLFKHQ0LOLHXLQNOXVLYH GHQ.QVWOHUQ]XZLGPHQ'HU%LOGEDQGHQGHWlKQOLFKZLH6DQGHUVJUR‰HV0DSSHQZHUN PLW HLQ]HOQHQ *UR‰VWDGWEHZRKQHUQ XQG VFKOLH‰OLFKPLW JHVHOOVFKDIWOLFKHKHU PDUJLQDOLVLHUWHQ 3HUVRQHQ NRQNUHW PLW HLQHP QLFKW PHKU EHVFKlIWLJWHQ 6HHPDQQ GHQ 6FKOXVVSXQNW ELOGHWHLQ$UEHLWVORVHU 'DVV GLH LQ Antlitz der Zeit abgebildeten )RWRJUD¿HQ]XPIHVWHQ%HVWDQGWHLOGHV5HSHUWRLUHVGHUPDVVHQPHGLDOHQ%LOGNXOWXU der Weimarer Republik]lKOHQNRQQWHQEHOHJWQLFKW]XOHW]WGLHEUHLWHXQGSRVLWLYH 5H]HSWLRQ GHV %LOGEDQGHV LQ GHQ 3ULQWPHGLHQ Auch weitere AusstellungsbeteiliJXQJHQDE(QGHGHUHU-DKUHVSUHFKHQIUHLQHEUHLWH|IIHQWOLFKH:DKUQHKPXQJ YRQ6DQGHUVIRWRJUD¿VFKHU$UEHLW%HLVSLHOVZHLVHQDKPHUDQGHU$XVVWHOOXQJFoWRJUD¿HGHU*HJHQZDUW  LQ0DJGHEXUJLQ=XVDPPHQDUEHLWPLWGHPMuseum Folkwang DXV (VVHQ WHLO VRZLH DQ GHU LQWHUQDWLRQDOHQ )RWRVFKDX Das Lichtbild in 0QFKHQ   ZLH DXFK DQ GHU LQWHUQDWLRQDOHQ$XVVWHOOXQJ Sozialistische Kunst von heute  LPStedelijk MuseumLQ$PVWHUGDP(EHQVR]HLJWHHU%LOGHUDXI HLQHU6FKDXGHVDeutschen Werkbundes mit dem Titel 'LHQHXH)RWRJUD¿H   6HLQH)RWRJUD¿HQZXUGHQLP5DKPHQGLHVHU$XVVWHOOXQJVEHWHLOLJXQJHQPLW%LOGHUQ YRQ(XJqQH$WJHW.DUO%ORVVIHOGW+XJR(UIXUWK$QGUp.HUWpV]*HUPDLQH.UXOO 0DQ5D\/iV]Oy0RKRO\1DJ\$OEHUW5HQJHU3DW]VFK5REHUW3HWVFKRZXQG6DFKD SUlVHQWLHUW'DUEHUKLQDXVZDUVHLQIRWRJUD¿VFKHU6WLOGHUVLFKGXUFKHLQHDXVJHSUlJWH 3Ul]LVLRQ DXV]HLFKQHWH QLFKW OHGLJOLFK %HVWDQGWHLO HLQHU H[NOXVLYHQ EUJHUOLFKPXVHDOHQ$XVVWHOOXQJVNXOWXU6DQGHUVHOEVWZDU=HLWVHLQHV/HEHQVDOV%HUXIV8 9 10 11 12

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Renger-Patzsch 1928: Die Welt ist schön. Kurt Wolff veräußerte 1930 seinen Verlag und verließ Deutschland 1933. Im Jahr 1941 emigrierte er in die USA. Sander 1929: Antlitz der Zeit. Vgl. Lange/Conrath-Scholl 2001: »August Sander: Menschen des 20. Jahrhunderts – Ein Konzept in seiner Entwicklung«, S. 17. Vgl. hierzu Lange/Conrath-Scholl 2001: »August Sander: Menschen des 20. Jahrhunderts – Ein Konzept in seiner Entwicklung«, S. 18. Auch Benjamin bezog sich in seiner fototheoretischen Schrift auf Sander (vgl. Benjamin 1931: »Kleine Geschichte der Fotografie«). Ebenso schrieb Kurt Tucholsky eine Rezension zu Sanders Antlitz der Zeit (vgl. Tucholsky [alias Peter Panther] 1930: »August Sander, Antlitz der Zeit«). Vgl. zu den Ausstellungsbeteiligungen: Lange/Conrath-Scholl 2001: »August Sander: Menschen des 20. Jahrhunderts – Ein Konzept in seiner Entwicklung«, S. 18–19.

FIONA TAN: COUNTENANCE

IRWRJUDIWlWLJVRGDVVVHLQIRWRJUD¿VFKHU'XNWXVHEHQVREUHLWH9HUDQNHUXQJLQGHU massenmedialen Bildkultur der Weimarer Republik, vor allem im Bereich der alltägOLFKHQQLFKW]XOHW]WEUJHUOLFKHQ3RUWUlWIRWRJUD¿HIDQG$OV)RWRJUDILQ.|OQWlWLJ IRWRJUD¿HUWHHUHLQEUHLWHV6SHNWUXPDQXQWHUVFKLHGOLFKVWHQ5HSUlVHQWDQWHQGHU:HLPDUHU*HVHOOVFKDIWDEHUDXFK]DKOUHLFKH%DXHUQDXVGHP8PODQGXQWHUDQGHUHPDXV GHP:HVWHUZDOGGHP%HUJLVFKHQ/DQGHEHQVRZLHDXVGHU(LIHO(UOLFKWHWH.QVWler, verschiedene bürgerliche Berufsstände, Arbeiter, aber auch eher marginalisierte ([LVWHQ]HQZLH=LUNXVDUWLVWHQXQG2EGDFKORVHDE9LHOHGHU3RUWUlWLHUWHQVWDPPWHQ aus seinem unmittelbaren und alltäglichen Lebens- und Berufsumfeld.6DQGHUV(LQELQGXQJLQGLHDXIJHIKUWHQYLHOIlOWLJHQ|IIHQWOLFKHQ'LVNXUV]XVDPPHQKlQJHVSULFKW GDIUGDVVVHLQ)RWRJUD¿HQGLHKlX¿JGHUNeuen Sachlichkeit]XJHRUGQHWZHUGHQ HLQH 'DUVWHOOXQJVNRQYHQWLRQ LP %HUHLFK GHU 3RUWUlWIRWRJUD¿H DXVSUlJWHQ GLH YLHOIDFKUH]LSLHUWZXUGH Betrachtet man nun Fiona Tans Filminstallation, dann wird deutlich, dass sie sich LQ HLQ 'LIIHUHQ]YHUKlOWQLV ]X GLHVHP KLVWRULVFK HWDEOLHUWHQ 5HSHUWRLUH GHU PDVVHQPHGLDOHQIRWRJUD¿VFKHQ.XOWXUXQGLKUHU2UGQXQJVVWUXNWXUHQVHW]W,P)ROJHQGHQ VROOJHQDXHULQGHQ%OLFNJHQRPPHQZHUGHQZLHGLH.QVWOHULQPLWLKUHPDXIGHU 'RFXPHQWD DXVJHVWHOOWHQ :HUN 'DUVWHOOXQJVNRQYHQWLRQHQ GHU 3RUWUlWIRWRJUD¿H GDPLWYHUEXQGHQHYLVXHOOH'LVSRVLWLYHXQGDQGLHVHV%LOGYRNDEXODUDQNQSIHQGHKLVWRULVFKH'LVNXUVIHOGHUUHÀHNWLHUW Zwischen Stasis und Bewegung

6WXGLHUWPDQGLHKLVWRULVFKHQ4XHOOHQGLHQLFKW]XOHW]W6XVDQQH/DQJHXQG*DEULHOH &RQUDWK6FKROO]X$XJXVW6DQGHUVIRWRJUD¿VFKHU$UEHLW]XVDPPHQJHWUDJHQKDEHQ GDQQZLUGGHXWOLFKGDVVGHU.|OQHU)RWRJUDIYRQHLQHP2EMHNWLYLWlWVJODXEHQDQHLQH ªDEVROXWH )RWRJUD¿H© JHSUlJW ZDU 'LHVHV9HUWUDXHQ LQ GLH WHFKQLVFKH$SSDUDWXU war vor allem bei den Fotografen der sogenannten Neuen Sachlichkeit vertreten, GLH VLFK IRUPDOlVWKHWLVFK GXUFK HLQHQ 'DUVWHOOXQJVPRGXV DXV]HLFKQHWH GHU RKQH :HLFK]HLFKQHU XQG 8QVFKlUIHQ DXVNDP XQG YRUZLHJHQG PLW HLQGHXWLJHQ 8PULVV OLQLHQXQGVFKDUIHQ6FKZDU]:HL‰.RQWUDVWHQDUEHLWHWH0LWGLHVHQ*HVWDOWXQJVSUlPLVVHQJUHQ]WHPDQVLFKYRUDOOHPJHJHQEHUGHUVRJHQDQQWHQ.XQVWIRWRJUD¿H der -DKUKXQGHUWZHQGHDEEHLGHUªVXEMHNWLYH©'DUVWHOOXQJVPRGLLP=HQWUXPGHUIRWRJUD¿VFKHQ3UD[LVVWDQGHQGLHPDQYRUDOOHPPLWZHLFKHQ.RQWXUOLQLHQXQGHLQHUWHQGHQ]LHOOPDOHULVFKHQ%LOGDXÀ|VXQJLQ9HUELQGXQJEUDFKWH)LRQD7DQJUHLIWGXUFKGLH %LOGLQV]HQLHUXQJLKUHU)RWRJUD¿HQJHQDXGLHVHQKLVWRULVFKHWDEOLHUWHQ'DUVWHOOXQJVmodus der Neuen SachlichkeitDXI$XFKVLHOLFKWHWLKUH0RGHOOHPHLVWLQIURQWDOHU 14 Vgl. Lange/Conrath-Scholl 2001: »August Sander: Menschen des 20. Jahrhunderts – Ein Konzept in seiner Entwicklung«, insbesondere der Exkurs Westerwald, S. 30 ff. 15 Zu Sanders Fotografengewerbe, seiner Beteiligung an Messen und Wettbewerben ebenso wie zu seiner Tätigkeit im alltäglichen Atelierbetrieb und als Wanderfotograf vgl. Wiegand 2001: »August Sander und das Photographengewerbe«. 16 Lange/Conrath-Scholl 2001: »August Sander: Menschen des 20. Jahrhunderts – Ein Konzept in seiner Entwicklung«, S. 13.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

Abb. 60: Fiona Tan: Countenance, 2001: Filmstill, Aufnahme eines Konditors, Gruppe: Bäcker

Abb. 61: August Sander: Antlitz der Zeit, 1929: Konditor (1928)

oder dreiviertel Ansicht ab, ihr aus Bewegtbildern bestehender Bilderatlas enthält ]XGHPDXVVFKOLH‰OLFK6FKZDU]:HL‰$XIQDKPHQ±HEHQIDOOVHLQ0HUNPDOGHUQHXVDFKOLFKHQ 3RUWUlWIRWRJUD¿H 'DV$EOLFKWHQ HLQHU W\SLVFKHQ 3RVH GLH ,QV]HQLHUXQJ FKDUDNWHULVWLVFKHU.OHLGXQJRGHUDEHUGLHUHGX]LHUWHGHQQRFKSRLQWLHUWH3UlVHQWDWLRQ GHV XQPLWWHOEDUHQ VR]LDOHQ RGHU EHUXÀLFKHQ 8PIHOGV VSLHOHQ EHL7DQ HLQH lKQOLFK ZLFKWLJH5ROOHZLHEHL6DQGHU9HUJOHLFKWPDQGLH$XIQDKPHQGHUEHLGHQ.RQGLWRUHQ YRQ7DQXQG6DQGHU>$EE$EE@GDQQYHUPLWWHOQVLFKVRZRKOLP+LQEOLFNDXI GLH3RVLWLRQLHUXQJGHUEHLGHQ0lQQHULP%LOGUDXPDOVDXFKLQ%H]XJDXIGLH,QV]Hnierung des alltäglichen Arbeitsumfelds formale Ähnlichkeiten. %HLGH)LJXUHQWUHWHQLQLKUHQZHL‰HQ.LWWHOQYRUGLH.DPHUDXQGVLQGPLWLKUHQ EHUXIVW\SLVFKHQ$UEHLWVJHUlWHQ DEJHOLFKWHW 5KUW GHU HLQH QRFK PDQXHOO GHQ 7HLJ LQ GHU 6FKVVHO EHUQLPPW LQ 7DQV )LOPDXIQDKPH HLQH 0DVFKLQH GLHVH 7lWLJNHLW IUGHQ%lFNHU$QGHUH[HPSODULVFKHQ*HJHQEHUVWHOOXQJGHUEHLGHQ%lFNHUPHLVWHU ZLUGGHXWOLFKGDVV7DQPLWGHQ±DXFKLQ6DQGHUV%LOGHUQYHUPLWWHOWHQ±'DUVWHOOXQJVNRQYHQWLRQHQGHU 3RUWUlWIRWRJUD¿H YLVXHOOLQ9HUKDQGOXQJVWHKW 'LH LQ ,QGRQHVLHQ JHERUHQH XQG LQ $PVWHUGDP OHEHQGH .QVWOHULQ UHÀHNWLHUW GDV KLVWRULVFK HWDEOLHUWH %LOGYRNDEXODU XQG GHVVHQ YHUPHLQWOLFK REMHNWLYH 'DUVWHOOXQJVTXDOLWlW LQGHP VLH GXUFK LKUH ¿OPLVFKH ,QV]HQLHUXQJ YRU DOOHP HLQHQ$VSHNW GHU IRWRJUD¿-

FIONA TAN: COUNTENANCE

Abb. 62: Fiona Tan: Countenance, 2001: Filmstill, Aufnahme eines Jungen, Gruppe: Kind

VFKHQ'DUVWHOOXQJLQV%OLFNIHOGUFNW±GHUOHLGHUDXFKEHLGHPKLHUDEJHGUXFNWHQ statischen%LOGYHUJOHLFKNRPSOHWWVXVSHQGLHUWZLUG'LHSXQNWXHOOH=HLWOLFKNHLWGHU IRWRJUD¿VFKHQ$XIQDKPH GLH GXUFK GLH LQ %HZHJXQJ JHVHW]WH )RWRJUD¿H UHÀH[LY ]XU*HOWXQJNRPPW,QGLHVHP6LQQHNRQVWDWLHUW)LRQD7DQª0LFKLQWHUHVVLHUWGHU Zwischenbereich>+HUYRUKHEXQJ.+@YRQ)LOPXQG)RWRJUD¿H© $QGHUVDOV+|IHUVIRWRJUD¿VFKHV%LOGHQVHPEOHEULQJWGLH)LOPLQVWDOODWLRQGHU QLHGHUOlQGLVFKHQ .QVWOHULQ GLH =HLWOLFKNHLW GHU IRWRJUD¿VFKHQ$XIQDKPH LQQHUKDOEGHUHLQ]HOQHQ3URMHNWLRQVÀlFKH]XU$QVFKDXXQJ=XGHPWULWWKLHUGLH¿OPLVFKH Bildlichkeit als Bewegung in der Zeit, als kinetisches Binnenereignis innerhalb des %LOGUDKPHQVLQ(UVFKHLQXQJ0LWGLHVHU,QV]HQLHUXQJVVWUDWHJLHNRPPWDEHUDXFK die IRWRJUD¿VFKH%LOGOLFKNHLWDOVSXQNWXHOOHUVWDWLVFK¿[LHUWHU0RPHQWLQQHUKDOE HLQHU %LOGÀlFKH LQ GHQ %OLFN GD GLH hEHUJlQJH ]ZLVFKHQ 6WDVLV XQG %HZHJXQJ LPPHUZLHGHULQ6]HQHJHVHW]WZHUGHQ'LH0RGHOOHXQWHUOLHJHQ]ZDUGHU¿[LHUWHQ $QRUGQXQJHLQHUWUDGLWLRQHOOHQ$XIQDKPHVLWXDWLRQEHLP3RUWUlWIRWRJUDIHQEHLGHU .DPHUDXQG2EMHNWLQP|JOLFKVWVWDWLVFKHU3RVLWLRQLHUXQJ]XHLQDQGHUVWHKHQ'XUFK GLH %HZHJWELOG$XIQDKPH WULWW DEHU GDV YLVXHOOH 'LVSRVLWLY GHU 3RUWUlWIRWRJUD¿H 17 Tan 2002: »Countenance. Eine Filminstallation«, S. 586.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

PDUNDQWLQV%LOG'LHDEJHOLFKWHWHQ3HUVRQHQIDOOHQYRQ=HLW]X=HLWDXVLKUHQNRQYHQWLRQDOLVLHUWHQ 5ROOHQYRUJDEHQ GLH GLH 3RUWUlWVLWXDWLRQ HLJHQWOLFK IRUGHUW 6LH OlFKHOQ ]X VWDUN JULQVHQ RGHU ODFKHQ ZHFKVHOQ ZLHGHUKROW YRP 6WDQGEHLQ DXIV 6SLHOEHLQUDXFKHQQHUY|V=LJDUHWWHQNUDW]HQVLFKDQGHU1DVHNQDEEHUQDQGHQ )LQJHUQRGHUULFKWHQVLFKGLH+DDUH$QDQGHUHU6WHOOHXQWHUEUHFKHQ]XIlOOLJHXQG QLFKWJHSODQWH0RPHQWHGLHLQV]HQLHUWH6LWXDWLRQ(LQ.LQGYHUVWHFNWVLFKXQDQJHNQGLJWKLQWHUGHQ%HLQHQGHU0XWWHUXPGHP%OLFNGHU.DPHUDE]ZGHP%OLFN GHV%HWUDFKWHUV]XHQWÀLHKHQ(LQ0lGFKHQJUHLIWYHUXQVLFKHUWQDFKGHU+DQGGHV 9DWHUVZlKUHQGHLQ.OHLQNLQG±RKQHGHUVWDWLVFKHQ3RUWUlWVLWXDWLRQ5HFKQXQJ]X WUDJHQ±JHQXVVYROODQHLQHP/ROOLOXWVFKW(LQ+XQGVFKQIIHOWGHQ(UHLJQLVVHQ außerhalb des Bildausschnitts nach, wohingegen in einer weiteren Aufnahme die /lPPHUHLQHV%DXHUQGLH6WDWLNGHVIRWRJUD¿VFKHQ%LOGHVGXUFKLKUHXQUXKLJHQ wirbelnden Bewegungen aufbrechen. ,QDQGHUHQ3RUWUlWGDUVWHOOXQJHQNRPPWGLHIRWRJUD¿VFKH%LOGOLFKNHLWDOV%HGLQJXQJHLQHU]HLWOLFKHQ)L[LHUXQJGXUFKGLHEHWRQWH6WDWLNLP%HZHJWELOG]XU*HOWXQJ 'LH$EELOGXQJHLQHV-XQJHQNDQQGLHVH[HPSODULVFKYHUGHXWOLFKHQ>$EE@'DV KLHUDEJHGUXFNWH)LOPVWLOO]HLJWZLHH[DNWGHU.|USHUGHVIRWRJUD¿HUWHQ.LQGHVLQ GLH%LQQHQRUJDQLVDWLRQGHV%LOGUDXPHVHLQJHEXQGHQLVW6HLQHYHUWLNDOH.|USHUDXVULFKWXQJEHVFKUHLEWDNNXUDWGLH%LOGPLWWHXQGWHLOW]XJOHLFKGLHYRUGHUHKRUL]RQWDO JHNDFKHOWH%RGHQÀlFKHV\PPHWULVFKLQ]ZHLJOHLFKJUR‰H7HLOH'DUEHUKLQDXVQHKPHQVRJDUGLH4XHUVWUHLIHQVHLQHV3XOORYHUVGLH/LQLHQIKUXQJGHV%RGHQVDXI'HU .RSIGHV-XQJHQLVW]XGHPYRQGHPKLQWHULKPJHOHJHQHQ7UUDKPHQHLQJHIDVVWGHU EHLQDKHGLH)XQNWLRQHLQHV1LPEXVEHUQLPPWXQG]XJOHLFKHLQIRUPDOHV3HQGDQW ]XVHLQHP3XOORYHUDXVVFKQLWWELOGHW-HGHPLQLPDOH%HZHJXQJGLHVHVVFKPlFKWLJHQ .HUOFKHQV IlOOW IROJOLFK EHL HLQHU VROFK VWUHQJHQ ÀlFKHQELOGOLFKHQ 2UJDQLVDWLRQ ± DXV+RUL]RQWDOHQXQG9HUWLNDOHQHEHQVRZLHDXVJHRPHWULVFKHQ)RUPHQ±HUKHEOLFK LQV*HZLFKW-HGHDEZHLFKHQGH+DOWXQJDXVGHPÀlFKHQELOGOLFKDQJHOHJWHQ5DVWHU GHFKLIIULHUW LQ GLHVHU ¿OPLVFKHQ (LQVWHOOXQJ GLH PHGLDOH %HGLQJWKHLW GHU IRWRJUD¿VFKHQ$XIQDKPHXQGLKUHVSH]L¿VFKSXQNWXHOOH=HLWOLFKNHLWDOVHLQH6WLOOOHJXQJGHV %OLFNV *HQDX GLHVHQ YLVXHOOHQ (IIHNW EHVFKUHLEW DXFK 5HEHQWLVFK DOV W\SLVFK IU ªNLQHPDWRJUD¿VFKH ,QVWDOODWLRQHQ© ª*HUDGH DXIJUXQG LKUHU 5HGXNWLRQ XQGRGHU 9HUODQJVDPXQJZLUGMHGHNOHLQVWH9HUlQGHUXQJSRWHQWLHOOEHGHXWHQG>@:LUEOHLEHQJHEDQQWVWHKHQDEHUQLFKWZHLOZLUGHQ9HUODXIHLQHVGDUJHVWHOOWHQ*HVFKHKHQV PLWYHUIROJWHQ >@ VRQGHUQ ZHLO ZLU NOHLQVWH 9HUlQGHUXQJHQ GHU DQVRQVWHQ UHODWLY VWDWLVFKHQ'DUVWHOOXQJLQGHU=HLWEHREDFKWHQ© 8QWHU %H]XJQDKPH DXI EHLVSLHOVZHLVH$QG\ :DUKROV Empire   RGHU DXFK 'RXJODV*RUGRQV24-Hour Psycho  NRQVWDWLHUW5HEHQWLVFKGDVVGHUVHKUEDVDOH 8QWHUVFKLHG ]ZLVFKHQ EHZHJWHQ XQG XQEHZHJWHQ %LOGHUQ JHUDGH GXUFK GHUHQ ZHLW-

18 Vgl. für diesen, von der Autorin geprägten Begriff: Rebentisch 2003: Ästhetik der Installation, S. 179–207. 19 Rebentisch 2003: Ästhetik der Installation, S. 202.

FIONA TAN: COUNTENANCE

gehende Annäherung herausgestellt werde*HQDXPLWGLHVHU6WUDWHJLHDUEHLWHWDXFK 7DQV )LOPLQVWDOODWLRQ LQGHP GLH$XIQDKPHQ YHUGHXWOLFKHQ GDVV GLH 'LIIHUHQ] ]ZLVFKHQ6WDVLVXQG%HZHJXQJHLQH%HGLQJXQJGHV]HLWOLFKHQ$EVWDQGVzwischen den BilGHUQLVW:DU6DQGHUQRFKGHP*ODXEHQHLQHUVRJHQDQQWHQUHLQHQ)RWRJUD¿HYHUSÀLFKWHWGLHGLH0RGHOOHªZDKUKHLWVJHWUHXXQGLQLKUHUJDQ]HQ3V\FKRORJLHZLHGHUJHEHQ© N|QQHVR]HLJWVLFKEHL7DQHLQUHÀH[LYHU8PJDQJPLWGLHVHP2EMHNWLYLWlWVJODXEHQ 6LHEHIUDJWGLHPHGLDOHQ%HGLQJXQJHQGLHVHVQHXVDFKOLFKHQ%LOGNRQ]HSWV'HUKLVWRULVFK HWDEOLHUWH 'DUVWHOOXQJVPRGXV GHU Neuen Sachlichkeit, den man gemeinhin mit 2EMHNWLYLWlWDVVR]LLHUWZLUGLQGHU)LOPLQVWDOODWLRQGXUFKGLH$XIKHEXQJGHVSXQNWXHOOHQIRWRJUD¿VFKHQ0RPHQWVUHÀHNWLHUW6DFKOLFKHREMHNWLYHRGHUDXFKGRNXPHQWDULVFKH)RWRJUD¿HVWHOOWVLFKKLHUDOVGDV5HVXOWDWHLQHUEHZXVVWHQ(QWVFKHLGXQJIUHLQHQ VSH]L¿VFKHQ=HLWSXQNWGHU$EOLFKWXQJDEHUDXFKIUHLQHVSH]L¿VFKH%LOGLQV]HQLHUXQJ HEHQVRZLHDOV%HGLQJXQJGHUWHFKQLVFKHQ$SSDUDWXUGDU±XQGNHLQHVIDOOVDOV]ZDQJVOlX¿JHV(UJHEQLVGHUIRWRJUD¿VFKHQ$XIQDKPH 7DQV %LOGHU EHWRQHQ GDUEHU KLQDXV GLH 'LV]LSOLQLHUXQJ GHU 3RUWUlWLHUWHQ GXUFK GHQ .DPHUDEOLFN 'LH .QVWOHULQ PDFKW GLH 6WUXNWXUHQ GHU $XIQDKPHEHGLQJXQJHQ GXUFK GLH NRQIURQWDWLYH *HJHQEHUVWHOOXQJ YRQ %HWUDFKWHUVXEMHNW XQG 2EMHNW VLFKWEDU$XJHQ]ZLQNHUQXQGXQEHZXVVWHhEHUVSUXQJVKDQGOXQJHQGLHQXULP%HZHJWELOG VLFKWEDU ZHUGHQ YHUGHXWOLFKHQ GLH NHLQHVZHJV QDWUOLFKH REMHNWLYH %HREDFKWXQJVVLWXDWLRQ 'LH 3RUWUlWIRWRJUD¿H GLH KLVWRULVFK LQ HQJHP =XVDPPHQKDQJ PLW HLQHU JHVHOOVFKDIWOLFKDQ%HGHXWXQJJHZLQQHQGHQEUJHUOLFKHQ.XOWXUXQGLKUHQ5HSUlVHQtationsbestrebungen stehtNRPPWLQGHQ%HZHJWELOGHUQDOVPDFKWYROOHV'LVSRVLWLY ]XU *HOWXQJ 7DQ OlVVW GLH LQ GHU EUJHUOLFKHQ 3RUWUlWIRWRJUD¿H NRQYHQWLRQDOLVLHUWHQ Verhaltensweisen durch die manchmal unkontrollierten, minimalen Bewegungen der 0RGHOOHDOVVR]LDOJHSUlJWHQ+DELWXVLQ(UVFKHLQXQJWUHWHQ±LQVEHVRQGHUHGDQQZHQQ GLH3RUWUlWLHUWHQLPEXFKVWlEOLFKHQ6LQQHGHV:RUWHVDXVLKUHU5ROOHIDOOHQ =lKOWHEHL6DQGHUPHLVWHQVHLQHDGlTXDWH+DOWXQJ HQJOcountenance ±MHQDFK %HUXI 6FKLFKW XQG 5ROOH ± HEHQVR ZLH GLH VWDQGHVJHPl‰H .OHLGXQJ XQG KlX¿J DXFK HLQ $UEHLWVXWHQVLO ]X GHQ .RQYHQWLRQHQ GHU 3RUWUlWIRWRJUD¿H GDQQ ]HLJW VLFK EHL 7DQ GDVV GLHVH VR]LDOHQ hEHUHLQNQIWH ]X %HJLQQ GHV  -DKUKXQGHUWV YLHOZHQLJHUYHUELQGOLFKVLQGXQGDXIZHLFKHQ±ZHQQJOHLFKVLHLQHLQLJHQ%LOGHUQ LPPHUQRFKLQ(UVFKHLQXQJWUHWHQ$XFKGLHN|USHUOLFKH$UEHLWVSLHOWLQLKUHQ%LOGHUQHLQHZHQLJHUJUR‰H5ROOHDOVEHL6DQGHU7DQV3HUVRQHQLQYHQWDULVWLP=XJH GHU ]XQHKPHQGHQ$XWRPDWLVLHUXQJ GHU$UEHLWVZHOW ZHQLJHU YRQ HLQHP SK\VLVFK 20 Vgl. Rebentisch 2003: Ästhetik der Installation, S. 201. 21 Zitiert nach Lange/Conrath-Scholl 2001: »August Sander: Menschen des 20. Jahrhunderts – Ein Konzept in seiner Entwicklung«, S. 12. Das Zitat stammt aus einem Brief vom 21. Juli 1925 von August Sander an Erich Stenger. 22 Vgl. zu den Bezügen zwischen Sander und der bürgerlichen Porträtfotografie: Keller 1980: »August Sander. Menschen des 20. Jahrhunderts. Portraitphotographien 1892–1952«. 23 Zu den Anknüpfungspunkten der Sanderschen Porträtfotografie an Bildtraditionen der Malerei vgl. Keller 1980: »August Sander. Menschen des 20. Jahrhunderts. Portraitphotographien 1892–1952«.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

DQVWUHQJHQGHQ $UEHLWVDOOWDJ JH]HLFKQHW (LQ FKDUDNWHULVWLVFKHV $UEHLWVJHUlW ]XU 7\SLVLHUXQJGHU3RUWUlWLHUWHQIlOOWEHLGHUQLHGHUOlQGLVFKHQ.QVWOHULQKlX¿JZHJ XQGZLUGZLHEHUHLWVDXFKLQPDQFKHQ%LOGHUQEHL6DQGHUGXUFKHLQHVSH]L¿VFKH $XVGUXFNVKDOWXQJHUVHW]W'LH.QVWOHULQYHUGHXWOLFKWPLWLKUHP:HUNGDVVGLH %LOGSURGXNWLRQLQHLQHP3UR]HVV]ZLVFKHQ6XEMHNW2EMHNWXQG$SSDUDWXUUHDOLVLHUW ZLUG 6LH PDFKW VLFKWEDU GDVV VLFK LQ GLHVHV (QVHPEOH DXV 0HQVFKHQ XQG7HFKQLN JHVHOOVFKDIWOLFKH XQG NXOWXUHOOH .RQYHQWLRQHQ HLQVFKUHLEHQ GLH QLFKW ]XOHW]W DXFKKLVWRULVFKEHGLQJWVLQGXQGLKUHQ$XVGUXFNLQGLYHUVHQ.|USHUKDOWXQJHQ¿Qden können. 'LH .QVWOHULQ YHUDQVFKDXOLFKW PLW LKUHU ELOGOLFKHQ ,QV]HQLHUXQJ GDVVGLH)RWRJUD¿HGLH:LUNOLFKNHLWQLFKWREMHNWLYGDUVWHOOHQNDQQVRQGHUQMHZHLOV HLQHQDXFKKLVWRULVFKEHGLQJWHQ%OLFNDXIHLQHMHZHLOVKLVWRULVFKJHSUlJWH:HOW]X HLQHPVSH]L¿VFKHQ=HLWSXQNWIUHLJLEW'LHVHQ$VSHNWOLH‰6DQGHULQVHLQHP*ODXEHQDQGDVWHFKQLVFKH0HGLXPXQGGHVVHQ2EMHNWLYLWlWMHGRFKZHLWJHKHQGDX‰HU $FKWGLH6WDWLNGHU(LQ]HOELOGIRWRJUD¿HOlVVWGLHVXEMHNWLYH(QWVFKHLGXQJIUHLQHQ VSH]L¿VFKHQ$XJHQEOLFNGHU$XIQDKPHLQGHQ+LQWHUJUXQGWUHWHQ'DV$XVORWHQGHV =ZLVFKHQUDXPV YRQ 6WLOOVWDQG XQG %HZHJXQJ EULQJW GDV VXEMHNWLYH 0RPHQW GHV IRWRJUD¿VFKHQ%LOGPHGLXPVMHGRFK]XU*HOWXQJ7DQJLEWPLWLKUHQIRWRJUD¿VFKHQ %HZHJWELOGHUQHLQ%HLVSLHOGDIU Bildanordnungen bei Tan und Sander

,(VVHQWLDOLVWLVFKH*HVHOOVFKDIWVRUGQXQJHQ%DXHUQ0lQQHUXQG)UDXHQ 1HEHQGHU$QDO\VHGHUVSH]L¿VFKHQ0HGLDOLWlWGHUHLQ]HOQHQ%LOGHU]ZLVFKHQ6WDVLV XQG%HZHJXQJHUVFKHLQWDXFKHLQH5HÀH[LRQGHU2UGQXQJVVWUXNWXUHQGLH7DQLKUHP %LOGHUDWODV]XJUXQGHOHJWYRQ%HGHXWXQJXPGDV'LIIHUHQ]YHUKlOWQLV]ZLVFKHQGHP %LOGNRQYROXW GHU .QVWOHULQ XQG MHQHP GHV :HLPDUHU )RWRJUDIHQ EHVWLPPHQ ]X N|QQHQ+LHUVROOHVMHGRFKQLFKWSULPlUXPHLQHQHQ]\NORSlGLVFKHQ9HUJOHLFK]ZLVFKHQGHQEHLGHQ3RVLWLRQHQJHKHQVRQGHUQYLHOPHKUGDUXPKHUDXV]XDUEHLWHQZLH GLH )LOPLQVWDOODWLRQ GHU QLHGHUOlQGLVFKHQ .QVWOHULQ GLH 0|JOLFKNHLWHQ HLQHV XQLYHUVDOHQhEHUEOLFNVEHUGLHª7\SHQ©HLQHU*HVHOOVFKDIWLP5DKPHQIRWRJUD¿VFKHU 9LVXDOLVLHUXQJHQJUXQGVlW]OLFKLQIUDJHVWHOOW$XJXVW6DQGHUIXQJLHUWKLHUIROJOLFKDOV H[HPSODULVFKHU%H]XJVSXQNWXPGHQ$QVSUXFKHLQHUZHLWJHKHQGXPIDVVHQGHQXQG 24 Vgl. Sander 1929: Antlitz der Zeit: Als typisches Beispiel für einen spezifischen Habitus in der bürgerlichen Porträtfotografie vgl. in Antlitz der Zeit die Aufnahme des Gymnasiasten (Abb. 40) oder aber der Bohème (Abb. 56). 25 Diesem Aspekt – der Einschreibung gesellschaftlicher Strukturen in den Körper – widmet sich auch Foucault in seiner Auseinandersetzung mit den Dispositiven der bürgerlichen Gesellschaft u.a. am Beispiel von Strafanstalten (vgl. Foucault 1975: Überwachen und Strafen). Es verwundert daher nicht, dass Tan für eine ihrer nachfolgenden Videoinstallationen sowohl Insassen als auch Bedienstete eines US-amerikanischen Gefängnisses filmisch porträtierte und darüber das Dispositiv Gefängnis im Bild reflektierte (vgl. Ausst.Kat. (2006) Fiona Tan. Mirror Maker). Ihre Projektionsflächen ordnete sie dabei ähnlich wie Benthams Panopticon an (vgl. Foucault 1978: Überwachen und Strafen, insbesondere das Kapitel Der Panoptismus); vgl. ebenso meine Ausführungen zu Foucault im Kapitel Ausstellungen als Ordnungen des Wissens im einführenden Buchteil Ausstellungen – ein interdisziplinäres Forschungsfeld.

FIONA TAN: COUNTENANCE

REMHNWLYHQ5HSUlVHQWDWLRQYRQ:LUNOLFKNHLWGHUQLFKW]XOHW]WLP.RQWH[WHLQHUHXUR SlLVFKHQ:LVVHQVFKDIWVXQG0HGLHQJHVFKLFKWHHWDEOLHUWXQGLQGHQHU-DKUHQ GXUFKGLH]XQHKPHQGH0DVVHQPHGLDOLVLHUXQJGHU)RWRJUD¿HYHUVWlUNWSRVWXOLHUWZXUGHNULWLVFK]XEHOHXFKWHQ:LHDQGHUH3URWDJRQLVWHQGHUHU-DKUHGLHDQ±QLFKW ]XOHW]W SK\VLRJQRPLVFKHQ ± 4XHUVFKQLWWVGDUVWHOOXQJHQ GHU :HLPDUHU *HVHOOVFKDIW arbeitetenKDWWHVLFKDXFK6DQGHUPLWVHLQHP%LOGNRPSHQGLXP]XP=LHOJHVHW]W HLQDXIGHU)RWRJUD¿HEDVLHUHQGHVJHVHOOVFKDIWOLFKVR]LRORJLVFKHV=HLWELOG]XHUVWHOOHQ6RIRUPXOLHUWHHULQHLQHP%ULHIDQ(ULFK6WHQJHU »Um nun wirklich einen Querschnitt durch die heutige Zeit und unser deutsches Volk zu bringen, habe ich diese Aufnahmen in Mappen zusammengestellt und beginne hierbei mit dem Bauer und ende bei den Vertretern der Geistesaristokratie. Dieser Entwicklungsgang wird eingefasst durch ein dem genannten paralellaufendes [sic!] Mappenwerk, welches die Entwicklung vom Dorfe bis zur modernsten Großstadt darstellt. – Dadurch, daß ich sowohl die einzelnen Schichten wie auch deren Umgebung durch absolute Photographie festlege, hoffe ich eine wahre Psychologie unserer Zeit und unseres Volkes zu geben.« 

6DQGHUKDWWHPLWGLHVHQhEHUOHJXQJHQJDQ]RIIHQVLFKWOLFKHLQYRUZLHJHQGQDWLRQDO DXVJHULFKWHWHV7\SRORJLVLHUXQJVYHUIDKUHQLP6LQQ)LRQD7DQGXUFKNUHX]WGLHVHWHQGHQ]LHOO YDWHUOlQGLVFKH XQG HLQ]HOVWDDWOLFK DXVJHULFKWHWH 3HUVSHNWLYH PLW GLYHUVHQ 3RUWUlWDXIQDKPHQ6LHSUlVHQWLHUW]ZDU]XP7HLOlKQOLFKH%HUXIVJUXSSHQDEHUVHW]W LP*HJHQVDW]]X6DQGHUHLQNXOWXUHOOHKHUKHWHURJHQHUHV3HUVRQHQLQYHQWDULQ6]HQH 6R HWZD ]HLJW GDV )LOPVWLOO GHV .RQGLWRUV >$EE @ GDVV GLH ]HLWJHQ|VVLVFKH %HUOLQHU.XOWXUYHUVWlUNWYRQ0LJUDWLRQXQG=XZDQGHUXQJJHSUlJWLVWZRKLQJHJHQ 6DQGHUV%LOGHUDWODVQRFKHKHUDXIGHU)LNWLRQ±RGHUDXFKDXIGHP:XQVFK±HLQHU NXOWXUHOOHQ+RPRJHQLWlWGHVªGHXWVFKHQ9RONHV©JUQGHW'LHVHV9RONN|QQHQDFK GHU$XIIDVVXQJGHV.|OQHU)RWRJUDIHQPLWWHOVGHUªDEVROXWHQ)RWRJUD¿H©ZDKUKDIWLJ DEJHELOGHWZHUGHQ=ZDUVROOWHQLFKWYHUJHVVHQZHUGHQGDVV6DQGHULQVHLQHP%LOGHUDWODVLQQHUKDOEGHUVHFKVWHQ*UXSSHGHUGroßstadt auch eine, wenngleich margiQDOHXQGNOHLQH0DSSHGHUFremdarbeiter und auch der Zigeuner±ZLHGHU)RWRJUDI VHOEVW GLHVH 3HUVRQHQJUXSSHQ EHWLWHOW ± LQWHJULHUWH$EHU GLHVH$XIQDKPHQ ]lKOWHQ HKHU]XGHP]ZHLWHQYRQLKPJHJHQEHU6WHQJHUHUZlKQWHQSDUDOOHOYHUODXIHQGHQ 2UGQXQJVUDVWHUVHLQHV%LOGNRQYROXWVGDVVLFKPLWGHUNXOWXUKLVWRULVFKHQ(QWZLFNOXQJYRQ3URYLQ]XQG0HWURSROHYRQGHQG|UÀLFKHQ6WUXNWXUHQELVKLQ]XU*UR‰VWDGW EHVFKlIWLJWHQVROOWH'LH4XHUVFKQLWWVGDUVWHOOXQJGHVªGHXWVFKHQ9RONHV©EH]RJVLFK YRUZLHJHQGDXIGHQGHXWVFKHQ%DXHUQGDV%LOGXQJVXQG*UR‰EUJHUWXPZHOFKHV KDXSWVlFKOLFKDOVKRPRJHQH*HVHOOVFKDIWSUlVHQWLHUWZXUGH 26 Vgl. hierzu beispielsweise die von Wolfgang Brückle angeführten Fotobücher, die den Versuch von Querschnittsdarstellungen der Weimarer Gesellschaft anhand von Porträtdarstellungen unternehmen: Brückle 2000: »Kein Portrait mehr? Physiognomik in der deutschen Bildnisphotographie um 1930«. 27 Zitiert nach Lange/Conrath-Scholl 2001: »August Sander: Menschen des 20. Jahrhunderts – Ein Konzept in seiner Entwicklung«, S. 13.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

Abb. 63: August Sander: Antlitz der Zeit, 1929: Jungbauern (1914)

Abb. 64: Fiona Tan: Countenance, 2001: Filmstill, Aufnahme eines Bauern, Gruppe: Bauer/Bäuerin

:lKUHQGEHL6DQGHUGDV0DSSHQZHUNPLWGHUVRJHQDQQWHQStammappeGHU0DSSH GHU %DXHUQ EHJLQQW HU|IIQHW )LRQD7DQ LKUH ]ZHLWH*UXSSH GLHGHU %HUXIVWlWLJHQ mit genau diesem Berufsstand. Auch hier deuten sich kulturelle Verschiebungen an. +DWWH 6DQGHU PLW VHLQHP SURPLQHQWHQ 3RUWUlW GHU -XQJEDXHUQ >$EE @ QRFK GHQ hEHUJDQJ YRP SURYLQ]LHOOElXHUOLFKHQ /HEHQVXPIHOG LQ HLQ HKHU XUEDQHV EUJHUOLFKHV0LOLHXLQ6]HQHJHVHW]WGDQQPDJPDQLQ7DQV$XIQDKPHGHVMXQJHQ)HOGDUEHLWHUV>$EE@P|JOLFKHUZHLVHGHQ5FN]XJ]XHLQHUDOWHUQDWLYHQ/HEHQVIRUP MHQVHLWVGHUVWlGWLVFKHQ6SKlUHHUNHQQHQ -RKQ %HUJHU GHXWHWH GLH$Q]JH YRQ 6DQGHUV -XQJEDXHUQ DOV ,QVLJQLHQ HLQHV VLFKYHUlQGHUQGHQElXHUOLFKHQ0LOLHXVGDVYHUVWlUNWGLH1RUPHQGHUEUJHUOLFKHQ .XOWXU DGDSWLHUWH 'HU )HOGDUEHLWHU LQ 7DQV )LOPLQVWDOODWLRQ N|QQWH KLQJHJHQ HLQH JHJHQOlX¿JH %HZHJXQJ EH]HLFKQHQ GD HU P|JOLFKHUZHLVH DXIJUXQG VHLQHU 5DVWDIULVXU HKHU ]X HLQHU DOWHUQDWLYHQ 6XENXOWXU ]lKOW GLH HLQ |NRORJLVFK RULHQWLHUWHV /DQGOHEHQ GHP XUEDQHQ 6WDGWOHEHQ YRU]LHKW :LFKWLJ HUVFKHLQW KLHU GDVV )LRQD7DQGLH%DXHUQXQGGDVGDUXQWHUDEJHOLFKWHWHKHWHURJHQH3HUVRQHQLQYHQWDU HLQGHXWLJXQWHUGLYHUVHQDQGHUHQ%HUXIHQHLQVRUWLHUW%HL6DQGHUKLQJHJHQQHKPHQ 28 Vgl. zur Stammappe [sic!] auch Lange/Conrath-Scholl: »August Sander: Menschen des 20. Jahrhunderts – Ein Konzept in seiner Entwicklung«. 29 Vgl. Berger 1979: »Der Anzug und die Photographie«.

FIONA TAN: COUNTENANCE

GLH DEJHOLFKWHWHQ %DXHUQ DXV GHP :HVWHUZDOG HLQH ]HQWUDOH 3RVLWLRQ LP 3UR]HVV der Zivilisation ein. Ihnen wird mit der sogenannten Stammappe ein essentialistiVFKHUXQLYHUVHOOHU6WDWXV]XJHZLHVHQGDVLHGHQ8UVSUXQJXQG$XVJDQJVSXQNWGHU NXOWXUHOOHQXQGJHVHOOVFKDIWOLFKHQ(QWZLFNOXQJELVKLQ]XU*UR‰VWDGWELOGHQ(LQH 2UGQXQJVVWUXNWXUGLHVROFKH8UVSUXQJVORJLNHQSRVWXOLHUW, unterläuft Fiona Tan, LQGHPVLHGUHL*UXSSHQ VR]LDOHEHUXIVWlWLJHXQGVRQVWLJH JOHLFKEHUHFKWLJWQHEHQHLQDQGHUVWHOOWXQGGXUFKGLH)RUPGHU,QVWDOODWLRQ]XJOHLFKKHWHURJHQH0LVFKYHUKlOWQLVVHXQG9HUJOHLFKH]ZLVFKHQGHQ%LOGHUQSURYR]LHUW(LQGHXWLJH$EJUHQ]XQJHQGHUHLQ]HOQHQ*UXSSHQHUVFKHLQHQKLHUSUREOHPDWLVFKGDVLFKGXUFKGLHGUHL V\QFKURQHQ3URMHNWLRQHQLPPHUDXFK%H]XJVV\VWHPHzwischen den Bildern unterVFKLHGOLFKHU *UXSSHQ HUJHEHQ (LQH HVVHQWLDOLVWLVFKH *HVHOOVFKDIWVRUGQXQJ GLH auf einen8UVSUXQJ]XUFN]XIKUHQLVWXQGEHL6DQGHUGXUFKGLHStammappe der %DXHUQUHSUlVHQWLHUWZLUGLVWEHL7DQGXUFKGLH5HSUlVHQWDWLRQYHUVWlUNWKHWHURJHQLVLHUWHUJHVHOOVFKDIWOLFKHU6WUXNWXUHQDXIJHZHLFKW (LQHUGHUDXIIlOOLJVWHQ8QWHUVFKLHGH]X6DQGHUV%LOGNRPSHQGLXPEHVWHKWLQGHU EHUHLWVHUZlKQWHQYRQ7DQHQWZRUIHQHQGUHLJOLHGULJHQ6WUXNWXU6LHVRUWLHUWHLKUH $XIQDKPHQLQOHGLJOLFKGUHL+DXSWJUXSSHQZRKLQJHJHQ6DQGHUVHLQ0DSSHQZHUN DXIVLHEHQ*UXSSHQDXIEDXWH'HU.|OQHU)RWRJUDIZLGPHWHVLFKIDPLOLHQlKQOLFKHQ =XVDPPHQKlQJHQ ± LP *HJHQVDW] ]X7DQV HUVWHU 6HNWLRQ GHQ Sozialen Gruppierungen±IDVWDXVVFKOLH‰OLFKLQVHLQHUGULWWHQ*UXSSHDie Frau. Hier treten die weibOLFKHQ =HLWJHQRVVHQ YRUZLHJHQG LQ )DPLOLHQYHUEQGHQ XQG LQ LKUHU 0XWWHUUROOH LQ (UVFKHLQXQJ 9HUJOHLFKW PDQ 6DQGHUV 0DSSH Die Frau und der Mann mit der *UXSSHGHUNeuvermählten bei Fiona Tan, dann ist interessant, dass sich die niederOlQGLVFKH .QVWOHULQ YRQ HLQHU HVVHQWLDOLVWLVFKHQ $XVGHXWXQJ JHVHOOVFKDIWOLFKHU 6WUXNWXUHQ LP +LQEOLFN DXI GLH *HVFKOHFKWHUYHUKlOWQLVVH GLVWDQ]LHUW 3UlVHQWLHUW 6DQGHULQGHUJHQDQQWHQ0DSSH0lQQHUXQG)UDXHQDXVVFKOLH‰OLFKXQGHLQGHXWLJDOV KHWHURVH[XHOOHZHL‰HXQG±ELVDXIPDUJLQDOH$XVQDKPHQ±EUJHUOLFKH(KHSDDUH GDQQLVWEHL7DQHLQH+HWHURJHQLVLHUXQJLQGHQ%H]LHKXQJVNRQVWHOODWLRQHQIHVW]XVWHOOHQ'LH%H]HLFKQXQJGHV*HVFKOHFKWV )UDX0DQQ LQGHU0DSSHDie Frau und der Mann ZLUG EHL 6DQGHU XQKLQWHUIUDJW PLW HLQHU VR]LDOHQ 6WUXNWXU QlPOLFK PLW GHUKHWHURVH[XHOOHQ(KHJHNRSSHOW=XGHPZHUGHQ)UDXHQLQGHU*UXSSHDie Frau und das KindLQLKUHU0XWWHUUROOHELOGOLFK¿[LHUWZRKLQJHJHQNHLQH*UXSSHH[LVWLHUW GLH VLFK H[SOL]LW PLW 0lQQHUQ LQ LKUHU9DWHUUROOH EHVFKlIWLJW 'HU 0DQQ WULWW EHL 6DQGHU KLQJHJHQ DOV$U]W 5LFKWHU RGHU 6ROGDW LQ (UVFKHLQXQJ 'LHVH %HUXIH VLQGIDVWDXVVFKOLH‰OLFKGHQ0lQQHUQYRUEHKDOWHQ'HU7LWHONeuvermählte bei Tan YHUZHLVW±LP*HJHQVDW]]X6DQGHUVHKHUHVVHQWLDOLVWLVFKHU)DPLOLHQRUGQXQJ±DXI die Brüchigkeit der traditionellen, familiären Lebensverhältnisse. In der genannten *UXSSH DEHU DXFK LQQHUKDOE GHU *UXSSH GHU Paare NDQQ PDQ EHL7DQ %H]LHKXQJHQHQWGHFNHQGLHYRQ0LJUDWLRQVKLQWHUJUQGHQJHSUlJWVLQG$XFKKRPRVH[XHOOH 3DDUHKDWGLHQLHGHUOlQGLVFKH.QVWOHULQDEJHOLFKWHW1HEHQGHU*UXSSHMutter und KindHUVFKHLQWKLHUHEHQVRGLH*UXSSHVater und Kind'LHJHVHW]OLFKJHVFKW]WH 30 Vgl. auch im Buchteil I Bildgeschichten im Epilog das Kapitel Zum Konzept des Ursprungs.

325

326

III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

WUDGLWLRQHOOOHEHQVODQJDQJHOHJWH,QVWLWXWLRQGHUKHWHURVH[XHOOHQ(KHELOGHWLQ7DQV .RPSHQGLXP QLFKW PHKU GLH YRUZLHJHQG YHUELQGOLFKH %DVLV IU IDPLOLlUH %H]LHhungsstrukturen. In ihrem Bilderatlas verdeutlicht sich die Heterogenisierung XQG ]XP7HLO DXFK$EO|VXQJ GLHVHV 0RGHOOV GXUFK YLHOIlOWLJH DOWHUQDWLYH VR]LDOH /HEHQV]XVDPPHQKlQJH:LFKWLJHUVFKHLQWKLHUGDVVHLQHHLQGHXWLJHvisuelle)L[LHUXQJGHU*HVFKOHFKWHUDXIVSH]L¿VFKH5ROOHQLQGHU)LOPLQVWDOODWLRQHKHUXQWHUODXIHQ ZLUG6DQGHUVSLW]WKLQJHJHQGLH=XVFKUHLEXQJGHUJHVHOOVFKDIWOLFKHQXQGIDPLOLlUHQ 5ROOHYRQ0DQQXQG)UDXim BildZHLWJHKHQGDXIGDVKHWHURVH[XHOOHEUJHUOLFKH 0LOLHX XQG HLQH UHODWLY VWULNWH WUDGLWLRQHOOH 5ROOHQ]XZHLVXQJ LP *HVFKOHFKWHUYHUKlOWQLV]X%HPHUNHQVZHUWLVWGHQQRFKGDVVHUGHUEHUXIVWlWLJHQ)UDXHLQHHLQ]HOQH NOHLQH0DSSHLQVHLQHU*UXSSHDie FrauZLGPHW,QGLHVHUVLQGHLJHQVLQQLJH]XP 7HLOVHKUVFK|QHXQGH[WUDYDJDQWH3URWDJRQLVWLQQHQGHUHU-DKUHLQªJHLVWLJHQ XQGSUDNWLVFKHQ%HUXIHQ©]X¿QGHQ +DWWH .UDYDJQD EHWRQW GDVV GLH )RWRJUD¿H PD‰JHEOLFK ]XU :DKUQHKPXQJ QLFKWHXURSlLVFKHU .XOWXUHQ EHLJHWUDJHQ XQG VWHUHRW\SH %HGHXWXQJV]XVFKUHLEHQ XQG([RWLVPHQSURYR]LHUWKDEH, dann lässt sich im Hinblick auf die FilminstalODWLRQYRQ7DQXQGLKUHIRWRJUD¿VFKH5HSUlVHQWDWLRQYRQ)UDXHQ)ROJHQGHVIHVWKDOWHQ 2IIHQVLFKWOLFK VFKUHLEW VLFK GLH QLHGHUOlQGLVFKH .QVWOHULQ PLWWHOV LKUHU %LOG]XVDPPHQVWHOOXQJLQHLQHQNULWLVFKHQ*HVFKOHFKWHUGLVNXUVHLQ+DWWH6DQGHU GLH)UDXHQGHU:HLPDUHU*HVHOOVFKDIW±XQEHVWULWWHQPLWHLQLJHQEHPHUNHQVZHUWHQ $XVQDKPHQ±QRFKSULPlULQLKUHU5ROOHDOV(KHIUDXXQG0XWWHUIRWRJUD¿VFKLQV %LOGJHVHW]WGDQQDUEHLWHW7DQDQHLQHU3OXUDOLVLHUXQJGLHVHUJHVFKOHFKWVW\SLVFKHQ IRWRJUD¿VFKHQ5HSUlVHQWDWLRQ'LH)UDXHQHUKDOWHQ±DQGHUVDOVEHL6DQGHU±LQQHUKDOEGHU*OLHGHUXQJNHLQHQH[SRQLHUWHQ3ODW]VRQGHUQIJHQVLFKHEHQVRZLHGLH 0lQQHULQGLHXQWHUVFKLHGOLFKHQ.DWHJRULHQGHVJHVDPWHQ%LOGNRPSHQGLXPVHKHU JOHLFKEHUHFKWLJWHLQ'HQQRFK]HLJHQVLFKDXFKLQGHU%LOG]XVDPPHQVWHOOXQJGHU QLHGHUOlQGLVFKHQ .QVWOHULQ JHVFKOHFKWVVSH]L¿VFKH 5ROOHQ]XZHLVXQJHQ 6R HWZD WDXFKHQ LQQHUKDOE GHU HUVWHQ *UXSSH GHU Sozialen Gruppierungen PHKU 0WWHU DOV 9lWHU PLW .LQGHUQ DXI$XFK GLH 9HUWHLOXQJ GHU *HVFKOHFKWHU LQ GHQ HLQ]HOQHQ %HUXIVVSDUWHQ HUVFKHLQW UHODWLY W\SLVFK 6R HWZD VLQG XQWHU GHQ WHFKQLVFKHQ und handwerklichen Berufen ebenso wie unter den Führungskräften vorwiegend 0lQQHU ]X ¿QGHQ ZRKLQJHJHQ GLH %HUXIVJUXSSH GHU 6HNUHWlUH %OXPHQKlQGOHU 6XSHUPDUNWNDVVLHUHU XQG 3URVWLWXLHUWHQ DXVVFKOLH‰OLFK GXUFK )UDXHQ UHSUlVHQWLHUW ZLUG$QGHUVDOV6DQGHUJHKW7DQMHGRFKQLFKWYRQGHU0|JOLFKNHLWHLQHUREMHNWLYHQ IRWRJUD¿VFKHQ 'DUVWHOOEDUNHLW GHU JHVHOOVFKDIWOLFKHQ :LUNOLFKNHLW DXV 'LH )L[LHUXQJYRQ%HGHXWXQJGXUFKHLQVWDWLVFKHV(LQ]HOELOGXQWHUOlXIWVLHGXUFKGLH ,QV]HQLHUXQJHLQHUHSKHPHUHQ%LOGOLFKNHLWGXUFKHLQ%LOGDOVRGDVVLFK]ZLVFKHQ 6WDVLVXQG%HZHJXQJLPPHUZLHGHUYHUÀFKWLJW$QGHUVHLWVLVWLKUHUIRWRJUD¿VFKHQ .DUWRJUD¿HGHU*HVHOOVFKDIWYRQYRUQKHUHLQGXUFKGLH)UDXHQVWLPPHDXVGHP2II 31 Vgl. im Anhang die Werkstruktur zu Sanders Mappenwerk. 32 Vgl. in diesem Buchteil das Kapitel »Politiken der Repräsentation« – Enwezors kuratorischer Ansatz und die fotografischen Bildmedien.

FIONA TAN: COUNTENANCE

GHU=ZHLIHOHLQJHVFKULHEHQ'HULPHUVWHQ5DXPHLQJHVSURFKHQH7H[WHU|UWHUWNULWLVFKGLHYLVXHOOH)L[LHUXQJJHVHOOVFKDIWOLFKHU7\SHQLPIRWRJUD¿VFKHQ%LOG6DQGHU KDWWHVLFK]XP=LHOJHVHW]WPLWVHLQHP%LOGNRPSHQGLXPHLQHQª6SLHJHOGHU=HLW© ]XHQWZHUIHQ(LQHVROFKHPHGLDOYHUPLWWHOWH(Q]\NORSlGLHLQ)RUPIRWRJUD¿VFKHU $EELOGXQJHQ]XU5HSUlVHQWDWLRQGHU:LUNOLFKNHLWVFKHLQW7DQPLWLKUHU%LOGDQRUGQXQJJUXQGVlW]OLFKLQIUDJH]XVWHOOHQ II Zur Heterogenisierung der Berufsbilder und -ordnungen 6DQGHUV%LOG]XVDPPHQVWHOOXQJZLUGGXUFKHLQHEHUXIVVWlQGLVFKH2UGQXQJEHVWLPPW 6RZHLVWVHLQH0DSSHQJOLHGHUXQJH[SOL]LWHLQH*UXSSHGHUStändeDXV'HU.|OQHU )RWRJUDIKDWWHVHLQH6RUWLHUXQJGHU%HUXIHDXI%DXHUQ+DQGZHUNHUQXQGYRUDOOHP ±LQQHUKDOEVHLQHUYLHUWHQStände*UXSSH±DXIGHP%LOGXQJVXQG*UR‰EUJHUWXP DXIJHEDXWXQGGLHVHQ0DSSHQHLQHZHLWHUH*UXSSHGHUKünstler KLQ]XJHIJW:DKUVFKHLQOLFKDOV5HIHUHQ]DXI6DQGHUV0DSSHQZHUNEHJLQQWDXFK7DQV6\VWHPDWLNGHU BerufstätigenPLWGHQ%DXHUQDQGLHVHZHUGHQGLHEHUHLWVHUZlKQWHQVHSDUDWHQ*UXSSHQGHUHandwerker, Techniker, Staatsbeamten, Angestellten und die Führungskräfte DQJHIJW$XIGHUGULWWHQXQGOHW]WHQ3URMHNWLRQVZDQG & VLQGGLHSelbstständigen, die medizinischen Berufe und )UHLEHUXÀHU]XVHKHQ%HPHUNHQVZHUWLVWGDVV7DQV %LOGHURUGQXQJ PLW GHU *UXSSH GHU Handwerker und Arbeiter die industrialisierte *HVHOOVFKDIW LQV %LOG VHW]W ZRKLQJHJHQ GLH Staatsbeamten und Angestellten eher HLQ WHFKQRNUDWLVFK RUJDQLVLHUWHV *HVHOOVFKDIWVV\VWHP UHSUlVHQWLHUHQ ,P 9HUJOHLFK ]ZLVFKHQ7DQV%lFNHU>$EE@XQG6DQGHUV.RQGLWRU>$EE@]HLJWVLFKLQGHU ELOGOLFKHQ ,QV]HQLHUXQJ GLH ]XQHKPHQGH $XWRPDWLVLHUXQJ XQG 7HFKQLVLHUXQJ GHU $UEHLWVZHOW*HKWGHU.RQGLWRUEHL6DQGHUQRFKVHLQHUKDQGZHUNOLFKHQ7lWLJNHLWPLW 5KUVWDEXQG6FKVVHOQDFKVRZLUGGLHVH$UEHLWLQ7DQV%LOGGXUFKHLQHDXWRPDWLsche Teigmaschine erledigt. :HQQJOHLFKLQGHU)LOPLQVWDOODWLRQ±LP*HJHQVDW]]X6DQGHUV%LOGNRPSHQGLXP ±HLQHH[NOXVLYHKLHUDUFKLVFKH2UGQXQJDOOHLQGXUFKGLHEHVFKULHEHQHV\QFKURQHXQG VLFK ]\NOLVFK ZLHGHUKROHQGH %LOGDQRUGQXQJ LQQHUKDOE GHU ,QVWDOODWLRQ XQWHUODXIHQ ZLUGGDQQLVWGRFKDXIIlOOLJGDVVGLH%LOG]XVDPPHQVWHOOXQJDXIGHU]ZHLWHQ3URMHNWLRQVÀlFKH % PLWGHQ)KUXQJVNUlIWHQHQGHW33,P*HJHQVDW]]X6DQGHUVHKHU VWlQGLVFKHU %HUXIVRUGQXQJ HUJLEW VLFK LQ 7DQV %LOG]XVDPPHQVWHOOXQJ HLQH EHUXI OLFKH +LHUDUFKLH GLH HKHU DXI GHQ |NRQRPLVFKHQ 6WUXNWXUHQ GHV 6SlWNDSLWDOLVPXV XQGDXIHLQHUSRVWLQGXVWULHOOHQ*HVHOOVFKDIWDXIEDXWHUVWGLH$QJHVWHOOWHQOHW]WOLFK GLH)KUXQJVNUlIWH.|USHUOLFKLQGXVWULHOOH$UEHLWLVWZHQLJHU]XVHKHQZRKLQJHJHQ 'LHQVWOHLVWXQJV XQG ,7%HUXIH YHUVWlUNW SUlVHQWLHUW ZHUGHQ$EHU DXFK KLHU IKUW GLH.QVWOHULQNHLQHJHVFKORVVHQHKRPRJHQH*HVHOOVFKDIWYRU$XJHQGLHDXIHLQHU EHUXÀLFKKLHUDUFKLVFKHQ 2UGQXQJ DXIEDXW 9LHOPHKU SUlVHQWLHUW 7DQ ± YRU DOOHP GXUFK GLH  6HNXQGHQ ODXIHQGHQ )LOPHLQVWHOOXQJHQ ± IUDJPHQWDULVFKH %OLFNH DXI 0HQVFKHQLQGLYHUVHQ$UEHLWVIHOGHUQRKQHHLQHYHUJOHLFKVZHLVHVWULNWH%HUXIVXQG GDPLW*HVHOOVFKDIWVKLHUDUFKLH]XNRQVWUXLHUHQGLH6DQGHUPLWVHLQHUStände*UXSSH 33 Vgl. im Anhang die Werkstruktur zu Fiona Tans Filminstallation.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

XQG GHQ YRUJHODJHUWHQ 0DSSHQ GHU Bauern und Handwerker LQWHQGLHUW KDWWH 'LH QLHGHUOlQGLVFKH .QVWOHULQ DUEHLWHW IROJOLFK DQ HLQHU 'HKLHUDFKLVLHUXQJ GHU JHVHOOVFKDIWOLFKHQ2UGQXQJGLHDXI%HUXIVJUXSSHQDXIEDXW ,P 6WlQGHV\VWHP JUQGHWH GLH DQ %HUXIH JHNRSSHOWH *HVHOOVFKDIWVKLHUDUFKLH ± YRP%DXHUQELV]XP.|QLJ±DXIHLQHUJHJHEHQXQKLQWHUIUDJEDUHQ2UGQXQJ'LHVH ªQDWUOLFKH©2UGQXQJGLHDXFKLQ6DQGHUV%LOGHUDWODVDXIVFKHLQWKDWWHGHPHQWVSUHFKHQG HVVHQWLDOLVFKHQ &KDUDNWHU *HVHOOVFKDIWOLFKH 8QJHUHFKWLJNHLWHQ XQG VR]LDOH %HQDFKWHLOLJXQJHQZXUGHQQLFKWDOV(IIHNWHSROLWLVFKHU0DFKWNRQVWHOODWLRQHQGLVNXWLHUW7DQV)LOPLQVWDOODWLRQUHÀHNWLHUWGLHVHQQLFKW]XOHW]WEHU%LOGHUDXVJHWUDJHQHQ HVVHQWLDOLVWLVFKHQ'LVNXUVEHLGHP%HUXIXQGVR]LDOHU6WDQGDQHLQDQGHUJHNRSSHOW VLQG,KUH%LOGHUZHUGHQGXUFKGLH,QVWDOODWLRQVDQRUGQXQJGXUFKPLVFKW3URVWLWXLHUWH können synchron neben Führungskräften auftauchen und sind gleichberechtigt unter GLH*UXSSHGHUSelbständigenVRUWLHUWGLHVLFKVRZRKODXV1RWDUHQXQG*DOHULVWHQ DEHUDXFK'|QHUYHUNlXIHUQXQG7D[LIDKUHUQ]XVDPPHQVHW]W ,,,9RP8QWHUJDQJGHV$EHQGODQGHV 1DFKGHU/HVDUWYRQ8OULFK.HOOHUOHJWGLH0DSSHQVWUXNWXUYRQ6DQGHUV%LOGHUDWODV DXIJUXQGLKUHU*OLHGHUXQJGLHPLWGHUGroßstadt und den sogenannten letzten MenschenHQGHWHLQHGHNDGHQ]SKLORVRSKLVFKH'HXWXQJQDKH34'HU$XWRUKlOWIHVWGDVV GLHVH%LOGDQRUGQXQJYHUVFKLHGHQH(WDSSHQGHU=LYLOLVDWLRQQDFK]HLFKQHGLHPLWGHU ,QGXVWULDOLVLHUXQJ XQG 8UEDQLVLHUXQJ LKUHQ +|KHSXQNW HUUHLFKH XQG ]XJOHLFK DXFK LKUHQ =HUIDOO PDUNLHUH 6DQGHUV JUR‰VWlGWLVFKHV 3HUVRQHQLQYHQWDU XQG DXFK VHLQH ªOHW]WHQ0HQVFKHQ©VWHKHQLQGHU,QWHUSUHWDWLRQYRQ.HOOHUIUGDV=HUIDOOVVWDGLXP GHU=LYLOLVDWLRQXQGGDPLWIUGDV(QGHGHUPRGHUQHQ*HVHOOVFKDIW(USDUDOOHOLVLHUW 6DQGHUV 0DSSHQVWUXNWXU PLW 2VZDOG 6SHQJOHUV .XOWXUPRGHOO GDVV GLHVHU  LQ VHLQHP GDPDOV K|FKVW SURPLQHQWHQ :HUN Der Untergang des Abendlandes erstPDOVSXEOL]LHUWKDWWH$XFKGDVVGHUNOHLQH%LOGEDQGAntlitz der ZeitGHV:HLPDUHU )RWRJUDIHQPLWHLQHP$UEHLWVORVHQHQGHWPDJIUGLHVH,QWHUSUHWDWLRQVSUHFKHQ7DQ XQWHUOlXIWPLWLKUHU)LOPLQVWDOODWLRQGLHVHEHL6DQGHUDQJHOHJWHEHU%LOGHUUHSUl VHQWLHUWH OLQHDUKLVWRULVFKH 'HXWXQJ YRQ .XOWXU XQG *HVFKLFKWH $XFK LP :HUN GHV .|OQHU )RWRJUDIHQ VFKHLQW VLFK QRFK HLQH ª1DWXUDOLVLHUXQJ YRQ *HVFKLFKWH© ]X PDQLIHVWLHUHQ GLH HLQHU ]ZDQJVOlX¿JHQ &KURQRORJLH IROJW 'HU QDWUOLFKH 8UVSUXQJ OLHJW LQ GHQ:XU]HOQ GHV %DXHUQVWDQGHV GLH JHVHOOVFKDIWOLFKH (QWZLFNOXQJ HQGHWLP=HUIDOOHLQHUWHFKQLVFKHQXQGLQGXVWULDOLVLHUWHQ*HVHOOVFKDIWGHUHQ6LQQELOG GLH *UR‰VWDGW PLW LKUHQ 'HJHQHUDWLRQVHUVFKHLQXQJHQ GDUVWHOOW 'LH V\QFKURQH$Qordnung der Bilder innerhalb der Filminstallation konterkariert hingegen eine solche 34 Vgl. Keller 1980: »August Sander. Menschen des 20. Jahrhunderts. Portraitphotographien 1892– 1952«, S. 9 ff. Den Terminus des letzten Menschen verwendet auch Nietzsche in seinem Werk Also sprach Zarathustra (1883–1885): Der »letzte Mensch« stellt bei Nietzsche ein Gegenbild zum »Übermenschen« dar und ist, im Gegensatz zu diesem, zu keinen individuellen, schöpferisch herausragenden Leistungen mehr fähig. 35 Spengler 1923: Der Untergang des Abendlandes. 36 Vgl. auch im Buchteil I Bildgeschichten im Epilog das Kapitel Zur Naturalisierung von Geschichte.

FIONA TAN: COUNTENANCE

UHODWLYHLQGHXWLJHGLDFKURQH(QWZLFNOXQJHEHQVRZLHVLFKGDV:HUNGHUQLHGHUOlQGLVFKHQ .QVWOHULQ HLQHU HLQGHXWLJ NXOWXUSHVVLPLVWLVFKHQ /HVDUW YRQ *HVHOOVFKDIW YHUZHLJHUWGHUHQ6FKOXVVSXQNW Idioten, Kranke und Irre37ELOGHQ$P(QGHEOHLEW LQ6DQGHUV%LOGNRPSHQGLXPJDQ]LPHVVHQWLDOLVWLVFKHQ6LQQHOHGLJOLFKGLHMaterie0|JOLFKHUZHLVHPDUNLHUWGHU.|OQHU)RWRJUDIPLWGLHVHUOHW]WHQ0DSSHDXFK ZLHGHUXPGHQªQDWUOLFKHQ8UVSUXQJVRUW©±RGHUDEHUHLQHQ]\NOLVFKHQ)RUWODXIEHL GHPGHU(QGSXQNW]XJOHLFKGHQ$XVJDQJVSXQNWGDUVWHOOW"'LH1DWXUELOGHWPLWGHQ %DXHUQGHQ$XVJDQJVSXQNWXQGOHW]WOLFKPLWGHP7RGGDV(QGH XQGGHQQHXHQ%HJLQQ" HLQHU(QWZLFNOXQJ:HQQJOHLFK7DQHLQPRQROLQHDUHV0RGHOOYRQ=HLWLQLKUHU ,QVWDOODWLRQDXIEULFKWVRLVWGHQQRFKLQWHUHVVDQWGDVVLKUHOHW]WHGULWWH*UXSSHGLH DXIGHUGULWWHQ3URMHNWLRQVÀlFKH & SUlVHQWLHUWZLUGPLWGHQKünstlern endet. Ob GLHVHU6FKOXVVSXQNWGHU]XJOHLFKDOV6FKOXVVSXQNWGXUFKGLH]\NOLVFKH3UlVHQWDWLRQ GHU%LOGHUDXFKGHQ$QIDQJELOGHQNDQQHLQHNXOWXURSWLPLVWLVFKHRGHUHKHUSHVVLPLVWLVFKH'HXWXQJYRQ*HVHOOVFKDIWQDKHOHJWEOHLEWRIIHQ$XFKKLHUYHUZHLJHUWGLH ,QVWDOODWLRQHLQHKRPRJHQLVLHUHQGHJHVFKORVVHQH'HXWXQJ Zwischen Individuum und Typus

+DWWH$XJXVW 6DQGHU VLFK ]XP =LHO JHVHW]W ªDUFKHW\SLVFKH 5HSUlVHQWDQWHQ© des GHXWVFKHQ9RONHV]X¿QGHQVRGLVWDQ]LHUWVLFK)LRQD7DQLQVEHVRQGHUHEHUGLHREHQ EHVFKULHEHQH PHGLDOH ,QV]HQLHUXQJ YRQ GHU 0|JOLFKNHLW HLQHU JHVHOOVFKDIWOLFKHQ 4XHUVFKQLWWVGDUVWHOOXQJDXIGHU*UXQGODJHEHUXÀLFKVR]LRORJLVFKVRUWLHUWHU3RUWUlWIRWRJUD¿HQ 'DVV QLFKW GHU *ODXEH DQ GLH7\SRORJLVLHUXQJ GHU:HOW TXD IRWRJUD¿VFKHU ª$EELOGHU© VRQGHUQ YLHOPHKU GHU VXEMHNWLYH =ZHLIHO DQ GLHVHU YHUPHLQWOLFK REMHNWLYHQ 2UGQXQJVVWUXNWXU LKUH$UEHLW SUlJW DUWLNXOLHUWH VLFK QLFKW ]XOHW]W DXFK LQGHPLQQHUKDOEGHU)LOPLQVWDOODWLRQ]XK|UHQGHQ7H[W'HQQGLHVHUPDFKWXQPLVV verständlich deutlich, dass es hier um die kritische Befragung eines visuell basierWHQ HQ]\NORSlGLVFK DQJHOHJWHQ :LVVHQVV\VWHPV JHKW ª7\SH DUFKHW\S VWHUHRW\S $QLUUDWLRQDOGHVLUHIRURUGHU2UDWOHDVWWKHLOOXVLRQWKHUHRI©0LWGLHVHQ]ZHLIHOQGHQ6lW]HQEHIUDJWHGLH6WLPPHDXVGHP2IIGLHLP$XVVWHOOXQJVUDXPSURML]LHUWHQ )RWRJUD¿HQLQLKUHU)XQNWLRQDOV,QVWUXPHQWHHLQHVSK\VLRJQRPLVFKDXVJHULFKWHWHQ IRWRJUD¿VFKHQ(PSLULVPXV+|UWHPDQJHQDXKLQGDQQEH]ZHLIHOWHVLHNULWLVFKGLH PHWKRGLVFKHQ 3UlPLVVHQ HLQHV VROFKHQ 6\VWHPDWLVLHUXQJVZLOOHQV ª+RZHYHU , DP FRQVWDQWO\ UHPLQGHG WKDW DOO P\ DWWHPSWV DW V\VWHPDWLFDO RUGHU PXVW EH DUELWUDU\ LGLRV\QFUDWLFDQG±TXLWHVLPSO\±GRRPHGWRIDLO,WVQRQVHQVHWRWKLQNWKDW,FDQVHH WKURXJKDQG¿JXUHRXWKRZWKLQJVZRUN© 9HUJOHLFKWPDQGLHVH:RUWHPLWGHP2EMHNWLYLWlWVJODXEHQHLQHV$XJXVW6DQGHU GDQQOLHJWEHL7DQGLH%HWRQXQJJDQ]HLQGHXWLJDXIGHQVXEMHNWLYVHOHNWLYHQ0HFKDQLVPHQGHUW\SRORJLVLHUHQGHQ%LOGSUD[LV=ZDUUlXPWHDXFK6DQGHULQHLQHP 37 Vgl. im Anhang die Werkstruktur zu Sanders Mappenwerk und hier die letzte, siebte Gruppe: Die letzten Menschen. 38 Vgl. im Anhang die Werkstruktur zu Sanders Mappenwerk. 39 Berger 1979: »Der Anzug und die Photographie«, S. 36.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

5XQGIXQNYRUWUDJ]XUwissenschaftlichen Photographie HLQª$XFKGLH3KRWRJUDSKLH LVWQLFKWLPPHUREMHNWLYGDVKlQJWYRQGHUH[DNWHQ(LQVWHOOXQJGHV$SSDUDWHVXQG GHU(KUOLFKNHLWGHV$XVEHQGHQDEIUGHQGLH7lXVFKXQJGHV%HVFKDXHUVHEHQVR JXWP|JOLFKLVWZLHGLHH[DNWH:LHGHUJDEHGHU2EMHNWH© Aber diese Aussage verGHXWOLFKWDXFKGDVVGHU.|OQHU)RWRJUDIQRFKPLWGHU0|JOLFKNHLWHLQHUREMHNWLYHQ :LHGHUJDEHGHU:HOWPLWWHOVGHU)RWRJUD¿HUHFKQHWH6REHWRQW6DQGHULQHLQHPZHLWHUHQ9RUWUDJPLWGHPEH]HLFKQHQGHQ7LWHOPhotographie als Weltsprache, ebenfalls ª.HLQH6SUDFKHGHU(UGHYHUPDJHLQHVRDOOJHPHLQYHUVWlQGOLFKH6SUDFKH]X VSUHFKHQ ZLH GLH 3KRWRJUDSKLH YRUDXVJHVHW]W GDVV ZLU GHQ FKHPLVFKHQRSWLVFK SK\VLNDOLVFKHQ:HJ ]XP:DKUKHLWVEHZHLV JHQDX HLQKDOWHQ XQG GLH 3K\VLRJQRPLN EHKHUUVFKHQDOOHUGLQJVPXVVPDQVLFKNODUGDUEHUZHUGHQREPDQGHU.XOWXURGHU GHU.RQMXQNWXUGLHQHQZLOO© 6DQGHUJLQJHQWVSUHFKHQGVHLQHUREHQ]LWLHUWHQ$XVVDJHQGDYRQDXVGDVVVRZRKO GLHHWKLVFKDXIULFKWLJH+DOWXQJHEHQVRZLHHLQHDGlTXDWH1XW]XQJGHU7HFKQLNGLH ªULFKWLJH (LQVWHOOXQJ© YRQ )RWRJUDI XQG $SSDUDW DOVR GLH REMHNWLYH :LHGHUJDEH GHU YRUIRWRJUD¿VFKHQ :LUNOLFKNHLW JDUDQWLHUHQ N|QQH ,Q VHLQHQ $XJHQ ZDU DXFK GLH YLVXHOOH7\SHQELOGXQJ DXI GHU *UXQGODJH GHU 3K\VLRJQRPLN ± GHU /HKUH YRP $XVGUXFNHLQHV0HQVFKHQDXIVHLQHVHHOLVFKHQ(LJHQVFKDIWHQVFKOLH‰HQ]XN|QQHQ ±GDV5HVXOWDWHLQHUDGlTXDWHQ)RWRJUD¿H'DVªZDKUH©IRWRJUD¿VFKH%LOGJUQGHWH IROJOLFK DXI HLQHU VSH]L¿VFKHQ (UNHQQWQLVOHLVWXQJ GHV )RWRJUDIHQ LQ .RDOLWLRQ PLW HLQHUREMHNWLYIXQNWLRQLHUHQGHQ7HFKQLN6DQGHUV:RUWH]HXJHQGDYRQGDVVHUGHP 0HGLXPXQLYHUVHOOH)lKLJNHLWHQLP+LQEOLFNDXIGLH$EELOGXQJXQG9HUPLWWOXQJGHU :LUNOLFKNHLW]XVSUDFK »Durch die Photographie sind wir heute in der Lage unsere Gedanken, Vorstellungen und Tatsachen allen Völkern zu vermitteln, fügen wir die Jahreszahl hinzu, so sind wir imstande Weltgeschichte zu bannen. [...] Ein Photo aus dem Weltall sei es Sonne, Mond oder Sternbild würde auch dem weltentlegensten Buschmann verständlich sein. Auch im Reiche der Biologie, in der Tier- oder Pflanzenwelt, vermag das Photo als Bildsprache ohne Zuhilfenahme des Lautes als Verständigungsmittel zu dienen. Das Gebiet aber, auf dem die Photographie die stärkste Ausdruckskraft besitzt, die von der Sprache niemals erreicht werden kann, ist die Physiognomik [...].«

40 Zitat nach: Lange/Conrath-Scholl 2001: »August Sander: Menschen des 20. Jahrhunderts – Ein Konzept in seiner Entwicklung«, S. 21, aus: August Sander: »Wesen und Werden der Photographie. Die Wissenschaftliche Photographie«, 4. Vortrag, Blatt 2, 1931, Dokument REWE-Bibliothek in der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur-August Sander Archiv, Köln. 41 Zitat nach Sekula: »Der Handel mit Photographien«, S. 266, aus: August Sander: »Wesen und Werden der Photographie. Die Photographie als Weltsprache«, 5. Vortrag, Blatt 2, 1931, Dokument REWE-Bibliothek in der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur-August Sander Archiv, Köln. 42 Zitat nach Sekula 1981: »Der Handel mit Photographien«, S. 266, aus: August Sander: »Wesen und Werden der Photographie. Die Photographie als Weltsprache«, 5. Vortrag, Blatt 2, 1931, Dokument REWE-Bibliothek in der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur-August Sander Archiv, Köln.

FIONA TAN: COUNTENANCE

'LHGLVSRVLWLYHQ6WUXNWXUHQGHV%LOGPHGLXPVOlVVW6DQGHUEHLGLHVHQGHP0HGLXP ]XJHVSURFKHQHQ XQLYHUVDOLVWLVFKHQ 'DUVWHOOXQJVOHLVWXQJHQ MHGRFK ZHLWJHKHQG XQEHUFNVLFKWLJW)LRQD7DQV)LOPLQVWDOODWLRQEH]LHKWLKU5HÀH[LRQVSRWHQWLDOKLQJHJHQYRUDOOHPGDUDXVGDVVVLHGLH$PELYDOHQ]HQ]ZLVFKHQGHUVXEMHNWLYHQ%HREDFKWXQJVSRVLWLRQ GHV )RWRJUDIHQ XQG GHU YHUPHLQWOLFK REMHNWLYHQ 'DUVWHOOXQJ GXUFK GLH$SSDUDWXU QLFKW DXÀ|VW VRQGHUQ ± JDQ] LP *HJHQWHLO ± ]XU$QVFKDXXQJEULQJW6LHEHIUDJWVRZRKOGLHXQLYHUVDOLVWLVFKHYHUDOOJHPHLQHUQGH*HVWHGLH MHJOLFKHU7\SHQELOGXQJ]XJUXQGHOLHJWDOVDXFKGDVIRWRJUD¿VFKH%LOGPHGLXPLQ seiner Bildlichkeit selbst, ebenso wie den selektiven Betrachterblick. Tan macht VLFKWEDUGDVVGLHVWDWLVFK¿[LHUWH(LQ]HOELOGIRWRJUD¿HGLH*UXQGODJHIUHLQHQLFKW ]XOHW]W SK\VLRJQRPLVFK EDVLHUWH 7\SRORJLVLHUXQJ GHV 0HQVFKHQ GDUVWHOOW 'HQQ GXUFKGLHEHUGLH¿OPLVFKH3URMHNWLRQSURYR]LHUWHYHUOlQJHUWH%HREDFKWXQJLP IRWRJUD¿VFKHQ%HZHJWELOGWUHWHQGLH,GLRV\QNUDVLHQGLHLQGLYLGXHOOHQ$QWHLOHGHU HLQ]HOQHQ3HUVRQHQYHUVWlUNWLQGHQ%OLFN'LH%LOGLQV]HQLHUXQJHQPlDQGHUQ]ZLVFKHQ,QGLYLGXXPXQG7\SXV*HKWPDQGDYRQDXVGDVVHLQH7\SRORJLVLHUXQJLQGLYLGXHOOH XQG EHVRQGHUH 0HUNPDOH GXUFK GLH 6HW]XQJ DOOJHPHLQHU bTXLYDOHQWH YHUVXFKW]XQLYHOOLHUHQGDQQHQW]LHKHQVLFKLQVEHVRQGHUHGLH¿OPLVFKHQ3RUWUlWV YRQ7DQLPPHUZLHGHUGLHVHU9HUDOOJHPHLQHUXQJ'HQQGDV%HZHJWELOGYHUZHLJHUW VLFKGHPVH]LHUHQGHQW\SRORJLVLHUHQGHQ%OLFNGHUDXIGHPVWDWLVFKHQ%LOGJUQGHWXQGVHW]WGLHLQGLYLGXHOOHQ$QWHLOHLP¿OPLVFKHQ%LOGLQ6]HQH+LHUVWHKW± DQGHUVDOVEHL6DQGHU±GLHYLVXHOOH:LHGHUJDEHGHU%HUOLQHUª4XHUVFKQLWWVJHVHOOVFKDIW©DOVHPSLULVFKGDUVWHOOEDUH:LUNOLFKNHLWLQIUDJH,QGLHVHP6LQQHEHVFKUHLEW Fiona Tan ihre Arbeit folgendermaßen: »Mir schwebt [...] keine wissenschaftliche Untersuchung vor, sondern ein vornehmlich visuell geprägtes Projekt. Mein Hauptmotiv ist die Neugier. Ich möchte gern wissen, inwiefern sich die Gesellschaft seit Sanders Zeiten verändert hat und welches Bild sich dadurch ergibt. Vielleicht kann ich meinem Bild von der heutigen Gesellschaft durch die Zusammenstellung einer eigenen Typologie Form verleihen. Gleichzeitig hinterfrage ich eine derartig verallgemeinernde Charakterisierung.«43

$EVFKOLH‰HQGEOHLEWIHVW]XKDOWHQGDVV)LRQD7DQYRUDOOHPGXUFKGLHUlXPOLFKH 6WUXNWXUGHU)LOPLQVWDOODWLRQXQGGLH¿OPLVFKH0RQWDJHJHJHQHLQHH[NOXVLYOLQH DUH XQG KLHUDUFKLVFKH 5H]HSWLRQ LKUHV %LOGNRPSHQGLXPV DUEHLWHW 'HQQ GLH LQVWDOODWLYHXQG]XJOHLFKNLQHPDWRJUD¿VFKH$QRUGQXQJGHU)RWRJUD¿HQOlVVWNHLQH HLQGHXWLJFKURQRORJLVFKH5H]HSWLRQGHU(LQ]HOSRUWUlWV]X*LQJ6DQGHUQRFKYRQ GHU0|JOLFKNHLWHLQHUREMHNWLYHQ'DUVWHOOEDUNHLWYRQ*HVHOOVFKDIWDXI*UXQGODJH HLQHV IRWRJUD¿VFKHQ %LOGNRPSHQGLXPV DXV GDV LQVEHVRQGHUH LQ VHLQHP %XFK Antlitz der Zeit OLQHDU RUJDQLVLHUW ZDU GDQQ UHÀHNWLHUW 7DQ JHQDX GLHVH DXI GHU (LQ]HOIRWRJUD¿HEDVLHUHQGHHKHUKLHUDUFKLVFKDQJHOHJWH2UGQXQJVVWUXNWXUGXUFK GLH UDXP]HLWOLFKH +HWHURJHQLVLHUXQJ LKUHU ¿OPLVFKHQ 3RUWUlWV 6DQGHUV EUHLW 43 Tan 2002: »Countenance. Eine Filminstallation«, S. 586.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

U H]LSLHUWHUXQGKHXWHQRFKZDKUJHQRPPHQHU%LOGHUDWODVNRQVWLWXLHUWHHLQYLVXHOOHV'LVSRVLWLY]XU7\SRORJLVLHUXQJYRQ*HVHOOVFKDIWLQQHUKDOEGHU0DVVHQPHGLHQNXOWXU GHU HU -DKUH XQG VHW]WH GDPLW GLH Weimarer Republik DXI *UXQGODJH HLQHU VSH]L¿VFKHQ MHGRFK QLFKW QRWZHQGLJHUZHLVH REMHNWLYHQ 2UGQXQJVVWUXNWXU LQV %LOG 7DQV UHÀH[LYH NQVWOHULVFKH 6WUDWHJLH VWHKW GHPHQWVSUHFKHQG LQ 9HUhandlung mit diesen Politiken der RepräsentationGLHVLFKQLFKW]XOHW]WDXFKLQ GHQ %LOGHUQ XQG %LOGDQRUGQXQJHQ GHU 0DVVHQPHGLHQNXOWXU PDQLIHVWLHUHQ 'LH )LOPLQVWDOODWLRQUHÀHNWLHUWVRZRKOGXUFKGLH,QV]HQLHUXQJGHUHLQ]HOQHQ)RWRJUD¿HQDOVNLQHPDWRJUD¿VFKH%HZHJWELOGHUDOVDXFKGXUFKGLHVSH]L¿VFKHV\QFKURQH XQG GLDFKURQH %LOGDQRUGQXQJ GLH 0|JOLFKNHLW JHVHOOVFKDIWOLFKHU5HSUlVHQWDWLRQ GXUFKIRWRJUD¿VFKH%LOGPHGLHQ'LHDXVYHUPHLQWOLFKREMHNWLYHQ%LOGHUQDEJHOHLWHWH'HXWXQJYRQ*HVHOOVFKDIWWULWWDOVEUFKLJH)RUPGHU(UNHQQWQLVVWLIWXQJXQG :LVVHQVELOGXQJLQ(UVFKHLQXQJ

DISKURSFELDER DER 1920ER JAHRE: PHYSIOGNOMIK UND »PHOTOGRAPHIE ALS WELTSPRACHE«

8PGLHGLVSRVLWLYHQ6WUXNWXUHQGHUPDVVHQPHGLDOHQ%LOGNXOWXULP%H]XJDXIGLH 3RUWUlWIRWRJUD¿HXQGGLH7\SRORJLVLHUXQJYRQ0HQVFKHQELOGHUQDXFKLP+LQEOLFN DXISUlJHQGHNXOWXUKLVWRULVFKH$XVHLQDQGHUVHW]XQJHQ]XHU|UWHUQZHUGHQLP)ROJHQGHQ ]HQWUDOH 'HEDWWHQ GHU HU -DKUH VNL]]LHUW GLH PLW GHU IRWRJUD¿VFKHQ .RQVWUXNWLRQ YRQ 0HQVFKHQELOGHUQ LQ =XVDPPHQKDQJ VWDQGHQ 'XUFK GLH %HVFKUHLEXQJGLHVHUKLVWRULVFKHQ'LVNXUVIHOGHUZLUGGHXWOLFKGDVV)LRQD7DQPLWLKUHU)LOPLQVWDOODWLRQDXIHLQYLVXHOOHV'LVSRVLWLYUHIHULHUWGDVWLHILQGHQSK\VLRJQRPLVFKHQ'HEDWWHQGHUHXURSlLVFKHQ.XOWXUJHVFKLFKWHYHUDQNHUWLVWXQG]XJOHLFKDQ PHGLHQNULWLVFKH'LVNXUVHGHU:HLPDUHU=HLWDQNQSIW±HLQHU=HLWDOVRLQGHUGDV IRWRJUD¿VFKH%LOGPHGLXPXQGVHLQH)lKLJNHLW]XUELOGOLFKHQ'RNXPHQWDWLRQGHU :LUNOLFKNHLWYHUVWlUNWGLVNXWLHUWZXUGH Physiognomik

(LQ SUlJHQGHU KLVWRULVFKHU 'LVNXUV DXI GHQ )LRQD 7DQ PLW LKUHU $UEHLW %H]XJ QLPPWLVWGHU2EMHNWLYLWlWVGLVNXUVEHUGDVQHXH0HGLXP)RWRJUD¿HLQGHQHU -DKUHQGHUDXFKLQQHUKDOEGHUEHUHLWVHUZlKQWHQNeuen Sachlichkeit ausgetragen ZXUGH'LHVHQLFKWDOOHLQOLWHUDULVFKH44VRQGHUQDXFKIRWRJUD¿VFKH%HZHJXQJGLH ]XJOHLFK$QNQSIXQJVSXQNWHLQGHU0DOHUHLIDQG]HLFKQHWHVLFKGXUFKHLQlVWKHWLVFKHV9HUVWlQGQLVDXVGDVVLFKDOV*HJHQEHZHJXQJ]XH[SUHVVLRQLVWLVFKHQNQVWOHULVFKHQ$XVGUXFNVIRUPHQYHUVWDQG0DQVXFKWHQDFKVDFKOLFKHQREMHNWLYHQ$XVGUXFNVTXDOLWlWHQQLFKWGLH,QWURVSHNWLRQVRQGHUQGLH%HREDFKWXQJGHUVLFKWEDUHQ

44 Vgl. für den Bereich der Literatur: Becker 2000: Neue Sachlichkeit, Band 1 und 2.

FIONA TAN: COUNTENANCE

(UVFKHLQXQJHQHLQH3Ul]LVLRQVlVWKHWLNGHU2EHUÀlFKHQVWUXNWXUHQ, stand im ZenWUXPGHV,QWHUHVVHVGLHVHUNQVWOHULVFKHQ%HZHJXQJ6DQGHUUHDOLVLHUWHGLHVHQ$QVSUXFKPLWVHLQHP7\SRORJLVLHUXQJVSURJUDPPLQQHUKDOEVHLQHV0DSSHQZHUNVGDV ]XJOHLFK$QNQSIXQJVSXQNWH DQ .|USHUGLVNXUVH GHU:HLPDUHU =HLW IDQG 'LHVH 'HEDWWHQGLHYRQHLQHUW\SRORJLVLHUHQGHQ6LFKWDXIGLH:HOWJHSUlJWZDUHQ]HLFKQHWHQVLFKGDGXUFKDXVGDVVPDQYHUVXFKWHDXVGHUPHQVFKOLFKHQ3K\VLRJQRPLH HWZDFKDUDNWHURORJLVFKHNUDQNKDIWHRGHUDXFKLGHDOW\SLVFKH(LJHQVFKDIWHQDE]Xleiten.47,KUH9RUOlXIHUIDQGHQGLHVHhEHUOHJXQJHQXQWHUDQGHUHPLQ-RKDQQ&DVSDU /DYDWHUVEHNDQQWHU3K\VLRJQRPLNGLHHU0LWWHGHUHU-DKUHHQWZDUI8QWHU 3K\VLRJQRPLNZXUGH±ZLHEHUHLWVHUZlKQW±HLQH/HKUHYHUVWDQGHQGLHGLHSK\VLRORJLVFKlX‰HUHQ0HUNPDOHGHV.|USHUVEHVRQGHUVGHV*HVLFKWVDXIGLHVHHOLVFKHQ(LJHQVFKDIWHQHLQHV0HQVFKHQ]XUFNIKUWH$OODQ6HNXODVWLIWHWHLQHQ=XVDPPHQKDQJ]ZLVFKHQGLHVHPKLVWRULVFKHQ'LVNXUVIHOGXPGLH3K\VLRJQRPLHXQG $XJXVW6DQGHUVIRWRJUD¿VFKHP3URMHNW(UEHWRQWGDVVGLHIRWRJUD¿VFKH3UD[LVGHV .|OQHU)RWRJUDIHQDQHLQHHXURSlLVFKH:LVVHQVFKDIWVWUDGLWLRQDQNQSIW »Die Physiognomie ist eine Vorläuferin des Positivismus und nimmt diesen teilweise vorweg. Eine ganze Reihe sozialwissenschaftlicher Disziplinen übernahm die physiognomische Methode während des 19. Jahrhunderts als ein Mittel zur Umsetzung der positivistischen Theorie. Diese Praxis wurde bis ins 20. Jahrhundert fortgeführt und nahm, trotz eines gewissen wissenschaftlichen Legitimationsverlusts, im sozialen Umfeld der Weimarer Republik eine besonders heikle Bedeutung an. Sander teilte den damals immer noch verbreiteten, mindestens bis auf Johann Caspar Lavaters Physiognomische Fragmente von 1775–1778 zurückgehenden Glauben, dass der Körper, vor allem Gesicht und Schädel, die äußeren Zeichen eines inneren Charakters trug.« 

6DQGHUVW\SRORJLVFKHV3URMHNWGDVHQWIDOWHWGHU$XWRUDXIXQWHUVFKLHGOLFKHQ(EHQHQ VHLPLWKLVWRULVFKHQ(QWZLFNOXQJVOLQLHQGHU3K\VLRJQRPLHXQGGHQGDPLWYHUEXQGHQHQ

45 Den Begriff der Präzisionsästhetik prägt auch Sabina Becker als ein wichtiges Leitparadigma der Neuen Sachlichkeit: vgl. Becker 2000: Neue Sachlichkeit, Band 1. 46 Vgl. Hau/Ash 2000: »Der normale Körper, seelisch erblickt«. 47 Dass ein Körperdiskurs, der sich vor allem mit der Physiognomie des Menschen beschäftigte, diverse kulturelle Felder der Weimarer Republik durchzog, zeigt nicht zuletzt die folgende Bibliografie: Blankenburg 2000: »Quellen zur Physiognomik 1918–1933«. Zum typologisch-physiognomischen Diskurs im Bereich der Fotografie zur Zeit der Weimarer Republik vgl. auch Brückle 2000: »Kein Portrait mehr? Physiognomik in der deutschen Bildnisphotographie um 1930«; zur Typenlehre innerhalb der Kriminalistik der 1920er Jahre: vgl. Herzog 2000: ›»Den Verbrecher erkennen.‹ Zur Geschichte der Kriminalistik«; außerdem Hau/Ash 2000: »Der normale Körper, seelisch erblickt«. 48 Lavater 1775: Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Zur Geschichte der Physiognomik vgl. auch Schmölders 2000: Das Vorurteil im Leibe; dies. 2002: »›Eines Menschen Geschichte steht in seinem Gesichte‹«. Sekula verweist im Rahmen seiner Untersuchung diverser Körperdiskurse des 19. Jahrhunderts auch auf Lavater: Sekula 1986: »Der Körper und das Archiv«, S. 279 ff. 49 Sekula 1981: »Der Handel mit Fotografien«, S. 268.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

3UDNWLNHQGHU3KUHQRORJLHXQG$QWKURSRPHWULH verbunden gewesen.6HNXODEHWRQWMHGRFKGDVV6DQGHUQLHPDOVHLQHGHUDUWULJRURVH,QWHUSUHWDWLRQVPHWKRGHPHQVFKOLFKHU.|USHUPHUNPDOHIUVHLQH)RWRJUD¿HQYRUJHVFKODJHQKDEHZLHHWZD/DYDWHU LQQHUKDOEVHLQHUSK\VLRJQRPLVFKHQ/HKUH(UPDFKWLQHLQHPVHLQHU$XIVlW]HGHXWOLFKGDVVYRUDOOHPDXFK%LOGDUFKLYHGHUHXURSlLVFKHQEUJHUOLFKHQ.XOWXU]ZLVFKHQ  XQG  ª]XU GRPLQDQWHQ LQVWLWXWLRQHOOHQ *UXQGODJH IRWRJUD¿VFKHQ %HGHXWHQV©ZXUGHQ8QWHU%H]XJQDKPHDXIGLYHUVHIRWRJUD¿VFKDUFKLYDULVFKH3UD[HQYRU DOOHPLP%HUHLFKGHU.ULPLQRORJLHUFNW6HNXODLQGHQ%OLFNZLHVHKUGLH)RWRJUD¿H PLWHLQHPLQVWUXPHQWHOOHQ5HDOLVPXVYHUEXQGHQZDU(UXQWHUVXFKWNULPLQRORJLVFKH 9HUIDKUHQ GHUHQ HUNOlUWHV =LHO KlX¿J ZDU9HUEUHFKHUW\SHQ DQKDQG DQWKURSRPHWULVFKHU'DWHQIHVW]XOHJHQ(U]HLJWZLHGLH)RWRJUD¿HDOVPD‰JHEOLFKHV:HUN]HXJGHU 9LVXDOLVLHUXQJLQQHUKDOEHPSLULVFKHU'LV]LSOLQHQJHQXW]WYRUDOOHPDEHUDXFKLQHLQHU WHFKQRNUDWLVFKHQ%URNUDWLHDQJHZDQGWZXUGHª'DV)RWRIXQJLHUWH©VRNRQVWDWLHUW 6HNXODªDOVBildGHUZLVVHQVFKDIWOLFKHQ:DKUKHLW©XQGHWDEOLHUWHVSH]L¿VFKH3ROLWLNHQGHU5HSUlVHQWDWLRQ%H]HLFKQHQGDQ6DQGHULVWLQGHQ$XJHQGHV$XWRUVGDVVHU VLFKQHEHQRIIHQVLFKWOLFKHQ5HIHUHQ]HQDXIGLHWUDGLWLRQHOOHEUJHUOLFKH3RUWUlWIRWRJUD¿HHEHQJHQDXDXFKMHQH%LOGUKHWRULNHQGHVSK\VLRJQRPLVFKHQ$UFKLYV]XHLJHQ gemacht habe, da sein Bilderatlas auf diesem instrumentell-realistischen und »arFKLYDOLVFKHQ3DUDGLJPD©DXIJHEDXWVHL'LHVHXPHWDEOLHUWHQGHQ0HQVFKHQ UDWLRQDOLVLHUHQGHQ %LOGSUD[HQ EHUXKWHQ DXI HLQHU HLQJHKHQGHQ IRWRJUD¿VFKHPSLULVFKHQ9HUPHVVXQJXQG7\SRORJLVLHUXQJGHV.|USHUV 6HNXOD YHURUWHW LQ HLQHP ZHLWHUHQ 7H[W 6DQGHUV 3URMHNW LQQHUKDOE GHU (SLVWHPRORJLHHLQHVªEUJHUOLFKHQ5HDOLVPXV©GHUGLH:LVVHQVFKDIWDOVGLHSULYLOHJLHUWH 5HSUlVHQWDWLRQGHV:LUNOLFKHQDOVGLHXOWLPDWLYH4XHOOHVR]LDOHU:DKUKHLWDQHUNDQQW habe.6DQGHUJODXEWHVR6HNXODDQHEHQMHQHSK\VLRJQRPLVFKH:LVVHQVFKDIWGLH ]XJOHLFK DXV LKUHQ SRVLWLYLVWLVFKHQ %HREDFKWXQJHQ VR]LDOH XQG JHVHOOVFKDIWOLFKH 6WUXNWXUHQ DEJHOHLWHW KDEH ,Q VHLQHQ$XJHQ XQWHUZDUI 6DQGHU GDV VR]LDOH /HEHQ GHU ZLVVHQVFKDIWOLFKHQ ([SHUWLVH HLQHV %LOGDUFKLYV GDV GLH *HVHOOVFKDIW LQ 7\SHQ 50 Lehre über geistige Eigenschaften und Zustände, in der man versuchte, Zusammenhänge zwischen Körper und Geist zu erforschen und bestimmte Hirnareale spezifischen geistigen Verfassungen zuzuordnen. 51 Lehre zur Vermessung des Körpers, die z. B. in den Arbeitswissenschaften eine wichtige Rolle spielte (Gestaltung von Arbeitsplätzen, Effektivität des menschlichen Arbeitseinsatzes etc.). Sie fand zur Rationalisierung menschlicher Arbeit verstärkt Berücksichtigung: vgl. z. B. Gilbreth/ Gilbreth 1920: Angewandte Bewegungsstudien. Auch in der Anthropometrie versuchte man Zusammenhänge zwischen Körper- und Charaktermerkmalen zu erforschen. 52 Vgl. Sekula 1981: »Der Handel mit Fotografien«, S. 269 ff. 53 Vgl. Sekula 1981: »Der Handel mit Fotografien«, S. 268. 54 Vgl. Sekula 1986: »Der Körper und das Archiv«, S. 325. 55 Sekula 1986: »Der Körper und das Archiv«, S. 309. 56 Vgl. Sekula 1986: »Der Körper und das Archiv«, S. 329. 57 Sekula 1986: »Der Körper und das Archiv«, S. 329. 58 Vgl. Sekula 1981: »Der Handel mit Fotografien«, S. 273. 59 Vgl. Sekula 1981: »Der Handel mit Fotografien«, S. 271.

FIONA TAN: COUNTENANCE

JOLHGHUWH 6HNXOD JHKW GDYRQ DXV GDVV 6DQGHU HLQHP SUlJHQGHQ 'LVNXUV XP GLH -DKUKXQGHUWZHQGHIROJWHGHUGLHIRUPDOH5HSUlVHQWDWLRQGHU*HVHOOVFKDIWLQ)RUP YRQREMHNWLYHQ)RWRJUD¿HQIUP|JOLFKKLHOW'DVVHLQDQGHU3K\VLRJQRPLHDXVJHULFKWHWHU.|USHUGLVNXUVLQGHQELOGHQGHQ.QVWHQGHUHU-DKUHHLQHSURPLQHQWH 5ROOHVSLHOWHEHWRQWDXFK%UFNOH(EHQVRZLH6HNXODYHURUWHWHU6DQGHUVIRWRJUD¿VFKH3UD[LVLQGLHVHPKLVWRULVFKHQ'LVNXUVIHOG »Fest zu halten ist aber vor allem, dass Sander [...] die Fähigkeit zum physiognomischen Urteil im Umgang mit der Photographie für generell unabdingbar hält. Nur dieses gewährleistet für ihn die universelle Ausdrucksfähigkeit des Mediums. Mit Hilfe der Physiognomie lasse sich, so Sander, das sprechende Bild einer Generation erzeugen – ein Bild das noch klarer werde, wenn zu ihrer Darstellung die Bilder von ausgewählten Vertretern einzelner Gruppen versammelt würden. Sander fasst sie als ›Typen‹ auf. Der Hang zur Typik ist tatsächlich ein fast ubiquitärer Zug der bildenden Künste seit dem Expressionismus, verstärkt jedoch in der späteren Weimarer Zeit.« 

6RZRKO GHU HLQJHVSURFKHQH7H[W DOV DXFK GLH %LOGLQV]HQLHUXQJ GHU )LOPLQVWDOOD WLRQOHJHQQDKHGDVV7DQV:HUNDOVHLQH$XVHLQDQGHUVHW]XQJPLWGHQGLVSRVLWLYHQ 6WUXNWXUHQGLHVHVSK\VLRJQRPLVFKHQ'LVNXUVHVYHUVWDQGHQZHUGHQNDQQ=ZDUDUWLkuliert sich sprachlichLQQHUKDOEGHV:HUNHVZHGHUHLQNRQNUHWHU%H]XJDXI6DQGHU QRFKDXIGLHEHVFKULHEHQHQSK\VLRJQRPLVFKHQ'HEDWWHQDEHUGDVEHUGLH%LOGHU YHUPLWWHOWH 'LVSRVLWLY HLQHU ELOGOLFK YHUPLWWHOWHQ 7\SRORJLVLHUXQJ GHV 0HQVFKHQ VSLHOWHLQH]HQWUDOH5ROOHLQLKUHUNQVWOHULVFKHQ$UEHLW'DVYRQ7DQLQ6]HQHJHVHW]WHYLVXHOOH'LVSRVLWLY¿QGHWVHLQHKLVWRULVFKHQ$QNQSIXQJVSXQNWHLQGHU%LOGSUD[LVGHV.|OQHU)RWRJUDIHQDEHUDXFKLQGHQPLWGLHVHPIRWRJUD¿VFKHQ3URMHNW LQ =XVDPPHQKDQJ VWHKHQGHQ KLVWRULVFKHQ 'LVNXUVIHOGHUQ$XFK 7DQV ]DKOUHLFKH $UEHLWHQGLHVLFKPLWGHPHWKQRJUD¿VFKHQ%LOGYRNDEXODUGHU.RORQLDOLVLHUXQJV]HLWEHVFKlIWLJHQYHUGHXWOLFKHQGDVVGLH$XVHLQDQGHUVHW]XQJPLWYLVXHOOHQ$UFKLYHQXQGGHQGDULQDXIEHZDKUWHQ5HSUlVHQWDWLRQHQGHVPHQVFKOLFKHQ.|USHUV± DOVNXOWXUHOOH3URMHNWLRQVÀlFKHQYRQVWHUHRW\SHQ0HQVFKHQELOGHUQ±HLQH]HQWUDOH 5ROOHLQLKUHP:HUNVSLHOW 'LH)LOPLQVWDOODWLRQGHUQLHGHUOlQGLVFKHQ.QVWOHULQUHÀHNWLHUWDX‰HUGHPQDWXUZLVVHQVFKDIWOLFKPRWLYLHUWH9LVXDOLVLHUXQJVIRUPHQGHV-DKUKXQGHUWVPLWGHQHQ VLFK LQVEHVRQGHUH /RUUDLQH 'DVWRQ XQG 3HWHU *DOLVRQ DXVHLQDQGHUJHVHW]W KDEHQ 1LFKW]XIlOOLJHQWZLUIWGHU7H[WDXVGHP2IILQQHUKDOEGHU)LOPLQVWDOODWLRQGDV%LOG 60 Vgl. Sekula 1981: »Der Handel mit Fotografien«. 61 Brückle 2000: »Kein Portrait mehr? Physiognomik in der deutschen Bildnisphotographie um 1930«, S. 138. 62 Fiona Tan verweist jedoch in ihrem Beitrag im Documenta-Katalog explizit auf August Sander (vgl. Tan 2002: »Countenance. Eine Filminstallation«). 63 Vgl. Ausst.Kat. (2002) Fiona Tan; Ausst.Kat. (2007) Fiona Tan. Disassembling the Archive. 64 Vgl. hierzu auch in diesem Buchteil innerhalb der Werkanalyse zu Candida Höfer das Kapitel Diskursfelder um 1900: Skulpturenfotografie, vergleichendes Sehen und Objektivität, insbesondere den Abschnitt zur Objektivität.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

HLQHVDPDWHXUKDIWHQ%LRORJHQGHV-DKUKXQGHUWVGHULP%HJHKUHQQDFKHLQHUGLV]LSOLQLHUHQGHQ2UGQXQJGHU1DWXUVHLQHQ6FKPHWWHUOLQJHQQDFKMDJWXPGLHVHJHÀJHOWHQLKUHU1DWXUQDFKHKHUXQUXKLJHQ2EMHNWHLQ6FKDXNlVWHQVWDWLVFK]X¿[LHUHQ GDQQ ]X W\SRORJLVLHUHQ XQG ]X DUFKLYLHUHQ 'LHVHQ *ODXEHQ DQ HLQH SRVLWLYLVWLVFK HUVFKOLH‰EDUH:HOWEULFKWGLH.QVWOHULQVWHWVGXUFKGLH%HIUDJXQJGHVZLVVHQVFKDIWOLFKUDWLRQDOLVLHUWHQ%OLFNVGHUVLFKQLFKW]XOHW]WLQGHQSK\VLRJQRPLVFKHQ$UFKLYHQ der massenmedialen Bildkultur manifestiert. Distanzierung und Exklusion

6HNXODEHVFKUHLEWLQHLQHPVHLQHU7H[WHGDVVGLH*HVFKLFKWHGHVIRWRJUD¿VFKHQ3RUWUlWVHQJPLWGHQEHVFKULHEHQHQ/HNWUHWHFKQLNHQGHU.|USHU]HLFKHQJHNRSSHOWZDU (UNRQVWDWLHUWGDVVGLHVHJOHLFKVDPVHPLRWLVFKH3UD[LVVRZRKOHJDOLWlUHQDOVDXFK DXWRULWlUHQ$PELWLRQHQIROJWHXQGGDVVGLHVHU'LVNXUVDXFKGD]XEHLWUXJHLQHHLQGHXWLJH *UHQ]OLQLH ]ZLVFKHQ GHQ SURIHVVLRQHOOHQ /HVHUQ GHU .|USHU]HLFKHQ ± GHQ 3V\FKLDWHUQ3K\VLRORJHQ.ULPLQRORJHQRGHU)DEULNSV\FKRORJHQ±XQGGHPNUDQNKDIWHQGHYLDQWHQRGHUELRORJLVFKPLQGHUZHUWLJHQ2EMHNWGHU7KHUDSLH]X]LHKHQ 'LH)LOPLQVWDOODWLRQXQWHUOlXIWGLHIUGLHVH'LIIHUHQ]ELOGXQJQRWZHQGLJH'LVWDQ]LHUXQJ ]ZLVFKHQ %HREDFKWHUVXEMHNW XQG 8QWHUVXFKXQJVREMHNW LQGHP VLH GXUFK GLH %LOGLQV]HQLHUXQJLP]ZHLWHQ5DXPGLHGLUHNWH.RQIURQWDWLRQGHUEHLGHQ3RVLWLRQHQ SURYR]LHUW/lVVWPDQVLFKDXIHLQHJHQDXH%LOGEHWUDFKWXQJHLQGDQQVFKHLQHQGLH *UHQ]HQ ]ZLVFKHQ HLQGHXWLJ ¿[LHUEDUHP 2EMHNW XQG 6XEMHNW DXI]XZHLFKHQ ± %HWUDFKWHUZHUGHQ]X%HWUDFKWHWHQ%HWUDFKWHWH]X%HWUDFKWHUQ'DV%LOGZDVZLUDQEOLFNHQ EOLFNW DXI XQV ]XUFN 'LH IRWRJUD¿VFKH (UIRUVFKXQJ GHU:LUNOLFKNHLW HUZHLVW VLFK LQQHUKDOE GHU )LOPLQVWDOODWLRQ DOV HLQ LQWHQVLYHU GLDOHNWLVFKHU 3UR]HVV ]ZLVFKHQ6XEMHNWXQG2EMHNW $XFKLP.RQWH[WGHUHU-DKUHZXUGHQ'LIIHUHQ]LHUXQJVPHUNPDOHGLHGHQ ªQRUPDOHQ© YRP ªXQQRUPDOHQ© .|USHU XQWHUVFKLHGHQ LQ GLYHUVHQ 7KHRULHQ YHUVWlUNWGLVNXWLHUW6LHIDQGHQLQGHUQDWLRQDOVR]LDOLVWLVFKHQ(QWDUWXQJVOHKUHVRZLHLQ GHUNXOWXUHOOHQ=LHOVHW]XQJHLQHVªUDVVHUHLQHQ0HQVFKHQJHVFKOHFKWV©LKUHELWWHUVWHQ Auswüchse.=ZDURUJDQLVLHUWH6DQGHUVHLQH3RUWUlWVYRUZLHJHQGQDFKHLQHUVR]LDOHQ7\SRORJLHXQGDXFK6HNXODEHWRQWGDVV6DQGHUV(QJDJHPHQWHLQHUVR]LRORJLVFK HUZHLWHUWHQ9DULDQWHIRUPDOHU3RUWUlWNXQVWJHJROWHQKDEHDEHUDXFKGDV0DSSHQZHUNGHV.|OQHU)RWRJUDIHQ]RJHLQHGHXWOLFKH*UHQ]H]ZLVFKHQJHVXQGHQXQGNUDQNHQ0HQVFKHQ,QVEHVRQGHUHGLHVLHEWH*UXSSHPLWGHP7LWHODie letzten Menschen 65 Vgl. Sekula 1981: »Der Handel mit Fotografien«, S. 269. 66 Vgl. zu diesen Körperdiskursen Hau/Ash 2000: »Der normale Körper, seelisch erblickt«, S. 21 ff. Zu einem der wohl bekanntesten Rassentheoretiker, Paul Schultze-Naumburg, dessen berüchtigtes Buch Kunst und Rasse 1928 erschien vgl. Sauerländer 2000: »Vom Heimatschutz zur Rassenhygiene«. 67 Dass Sander mit seiner liberalen Perspektive auf das weite gesellschaftliche Spektrum der Weimarer Republik innerhalb seines Mappenwerks nicht in die Rassenideologie der Nazis passte, zeigt nicht zuletzt, dass die Gestapo 1934 die Negative zu seinem Buch Antlitz der Zeit zerstörte. 68 Vgl. Sekula 1981: »Der Handel mit Fotografien«, S. 269.

FIONA TAN: COUNTENANCE

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69 Vgl. hierzu auch die Übersicht an Porträtfotografien innerhalb von Sanders Mappenwerk in der Gruppe VII: Idioten, Kranke, Irre und die Materie, in: Sander 2001: Menschen des 20. Jahrhunderts. Studienband, S. 174. 70 Vgl. bspw. zur Darstellung des kriegsversehrten Körpers: Tatar 2000: »Entstellung im Vollzug. Das Gesicht des Krieges in der Malerei.« Dix’ Malerei ist ein prominentes Beispiel für die Darstellung des verwundeten Soldatenkörpers in den 1920er Jahren. Diese gesellschaftliche Realität schließt Sander vollständig aus seinem Bilderatlas aus. 71 Sekula 1986: »Der Körper und das Archiv«, S. 287. 72 Vgl. hierzu auch den zu Anfang der Werkanalyse abgedruckten Text.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

»Photographie als Weltsprache«: Medieneuphorie und Medienkritik

7DQNQSIWPLWLKUHU)LOPLQVWDOODWLRQDX‰HUGHPDQHLQHQ0HGLHQGLVNXUVDQGHUVLFK PLWGHU)RWRJUD¿HDOVGRNXPHQWDULVFKHP0HGLXPEHVFKlIWLJWXQGLQGHQHU-DKUHQHLQHQ$XVJDQJVSXQNW¿QGHW=XGLHVHU=HLWVHW]WHGLH0DVVHQPHGLDOLVLHUXQJGHU )RWRJUD¿HYHUVWlUNWHLQ73'HU'LVNXUVXPGDVQHXH0HGLXPZDUHLQHUVHLWVJHSUlJW YRQHLQHUVWDUNHQ(XSKRULHEHUGLH'DUVWHOOXQJVOHLVWXQJHQGHU$SSDUDWXUZLHVLH HWZDDQ$XJXVW6DQGHUVbX‰HUXQJHQDEOHVEDUZLUG8QGDXFKZHLWHUH%HLVSLHOHDXV GHP%HUHLFKGHUSRSXOlUHQ0DVVHQPHGLHQNXOWXUN|QQHQGDVHUKHEOLFKH9HUWUDXHQLQ GLH$EELOGTXDOLWlWGHV0HGLXPVEHOHJHQ6RHWZDLVWDXIGHUHUVWHQ6HLWHHLQHVLQGHU Weimarer RepublikVHLWZHLWYHUEUHLWHWHQ)RWREXFKV]XPErsten Weltkrieg mit dem Titel Der Weltkrieg in seiner rauhen WirklichkeitYHUPHUNWGDVVGLHVHVª.ULHJVELOGHU$OEXPLQGUHL7HLOHQPLW%LOGHUQDXVDOOHQ)URQWHQ©PLWªDXWKHQWLVFKHQ ZDKUKHLWVJHWUHXHQSKRWRJUDSKLVFKHQ2ULJLQDO$XIQDKPHQ©GHV.ULHJVSKRWRJUDSKHQ +HUPDQQ5H[EHVWFNWLVW74 Bertolt Brechts .ULHJV¿EHO mag als kritische RevisiRQ GLHVHU IRWRJUD¿VFKHQ .ULHJVGRNXPHQWDWLRQHQ JHOHVHQ ZHUGHQ 'LHVH 3XEOLNDWLRQYRQGHP-DKUGHUHUVWHQ'RFXPHQWD$XVVWHOOXQJUFNWLP*HJHQVDW]]X HLQHU HKHU PHGLHQHXSKRULVFKHQ +DOWXQJ HLQHQ PHGLHQNULWLVFKHQ 'LVNXUV EHU GLH YHUPHLQWOLFK REMHNWLYH$SSDUDWXU LQV =HQWUXP GHU %HWUDFKWXQJ GHU EHUHLWV LQ GHQ HU-DKUHQYRQ%UHFKWDQJHVWR‰HQZXUGH9RUDOOHPGLHVRJHQDQQWHKulturkritik GHUHU-DKUHGLHDOV9RUOlXIHUGHUFrankfurter Schule angesehen werden kann, ZDUILP*HJHQVDW]]XGHQYRQ0HGLHQHXSKRULHJHSUlJWHQ6WLPPHQHLQHQNULWLVFKHQ %OLFNDXIGHQ5HDOLVPXVGLHXQPLWWHOEDUH$EELOGXQJVTXDOLWlWGLHPDQGHU)RWRJUD¿H]XVSUDFK*LQJ6DQGHUQRFKGDYRQDXVGDVVHUGXUFKHLQIRWRJUD¿VFKHV.RPSHQGLXPHLQKROLVWLVFKHV%LOGGHU*HVHOOVFKDIWHLQªSK\VLRJQRPLVFKHV=HLWELOG© als 6SLHJHOGHU*HVHOOVFKDIWHUVWHOOHQN|QQHVRKDWWHQ%HUWROW%UHFKW:DOWHU%HQMDPLQ77

73 Es ließen sich zahlreiche Beispiele anführen. Hier sei nur auf die unzähligen Fotobücher, die in den 1920er Jahren massenhaft vertrieben wurden, hingewiesen: beispielsweise Publikationen aus dem Kontext des Bauhauses von Laszlo Moholy-Nagy, Karl Bloßfeldt oder Albert RengerPatzsch, oder aber die physiognomisch oder typologisch orientierten Bildbände zur Darstellung von Menschentypen, bspw. von August Sander, Erna Lendvai-Dircksen, Helmar Lerski oder Erich Retzlaff, darüber hinaus die Fotoalben über den Ersten Weltkrieg von Ernst Jünger oder Hermann Rex. Zudem integrierten in den 1920er Jahren Illustrierte und Tageszeitungen zunehmend fotografische Abbildungen. 74 Vgl. Rutz/Rex 1926: Der Weltkrieg in seiner rauhen Wirklichkeit. Kriegsbilder-Album in drei Teilen. 75 Brecht 1955: Kriegsfibel. 76 Lange/Conrath-Scholl 2001: »August Sander: Menschen des 20. Jahrhunderts – Ein Konzept in seiner Entwicklung«, S. 21. 77 Benjamin 1931: »Kleine Geschichte der Fotografie«. Benjamin erwähnt hier auch eine vielfach publizierte Aussage von Brecht, die den realistischen Anspruch der Fotografie bereits infrage stellte, vgl. S. 62 f: »Denn die Lage, sagt Brecht, wird ›dadurch so kompliziert, dass weniger denn je eine einfache Wiedergabe der Realität etwas über die Realität aussagt. Eine Photographie der Kruppwerke oder der A.E.G. ergibt beinahe nichts über diese Institute. Die eigentliche Realität ist in die Funktionale gerutscht. Die Verdinglichung der menschlichen Beziehungen, also etwa

FIONA TAN: COUNTENANCE

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die Fabrik, gibt die letzteren nicht mehr heraus. Es ist also tatsächlich ›etwas aufzubauen‹, etwas ›Künstliches‹, ›Gestelltes‹.‹«. Vgl. Kracauer 1927: »Die Photographie«, insbesondere S. 25. Vgl. Sekula 1981: »Der Handel mit Fotografien«, S. 273. Sekula kontrastiert in seinem Artikel die fototheoretischen Positionen von Brecht und Heartfield mit Sanders Auffassung über die Fotografie. Vgl. Tucholskys Rezension in der Weltbühne: Tucholsky [alias Peter Panther] 1930: »August Sander, Antlitz der Zeit« und Benjamin 1931: »Kleine Geschichte der Fotografie«, S. 59. Zitat nach Sekula 1981: »Der Handel mit Photographien«, S. 266, aus: August Sander: »Wesen und Werden der Photographie. Die Photographie als Weltsprache«, 5. Vortrag, Blatt 2, 1931, Dokument REWE-Bibliothek in der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur-August Sander Archiv, Köln. Sekula entfaltet in seinem Kapitel über die Fotografie als universelle Sprache ein historisches Panorama dieses Diskurses. Er weitet diesen bis zu der berühmten, vom Museum of Modern Art in New York durch Edward Steichen organisierten, internationalen Wanderausstellung The Family of Man (1955) aus: vgl. Sekula 1981: »Der Handel mit Fotografien«, insbesondere S. 260–283.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

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9RUGHP+LQWHUJUXQGGHUYRQGHU.DVVHOHU$XVVWHOOXQJIRNXVVLHUWHQ$XVHLQDQGHU VHW]XQJ PLW IRWRJUD¿VFKHQ %LOGPHGLHQ JHZLQQW GDV :HUN GHU QLHGHUOlQGLVFKHQ .QVWOHULQ VHLQH %ULVDQ] GHQQ HV KLQWHUIUDJW NULWLVFK GLH hEHUVHW]XQJV XQG 'LIIHUHQ]LHUXQJVOHLVWXQJIRWRJUD¿VFKHU%LOGHULQHLQHUVLFKJOREDOLVLHUHQGHQPDVVHQ PHGLDOHQ %LOGNXOWXU 'LH 'RFXPHQWD YHUOlQJHUW PLW 7DQV )LOPLQVWDOODWLRQ GLH $XVHLQDQGHUVHW]XQJPLWGRNXPHQWDULVFKHQ%LOGPHGLHQLP+LQEOLFNDXIHLQYLVXHOOHV'LVSRVLWLYGDVEHUGLHIRWRJUD¿VFKH7\SRORJLVLHUXQJYRQ0HQVFKHQVWHUHRW\SH 0HQVFKHQELOGHUNRQVWUXLHUW'DV:HUNNDQQXQWHUGLHVHU3HUVSHNWLYHDXFKDQGHQ YRQGHUHOIWHQ'RFXPHQWDJHIKUWHQSRVWNRORQLDOHQ'LVNXUVDQNQSIHQGDHVQLFKW ]XOHW]WGRNXPHQWDULVFKH%LOGIRUPHQDOVHLQZHVWOLFKHXURSlLVFKHV%LOGNRQ]HSWEHIUDJWGDVLQHLQHPSRVLWLYLVWLVFKHQ:LVVHQVFKDIWVYHUVWlQGQLVYHUDQNHUWLVW

83 Sekula 1981: »Der Handel mit Fotografien«, S. 269.

Eija-Liisa Ahtila: The House (2002) »Stundenlang könnte ich von diesem Haus, dem Garten sprechen. Alles kenne ich, kenne den Platz, wo die Türen früher waren, alles, die Teichmauern, alle Pflanzen, den Platz aller Pflanzen. Sogar von den wildwachsenden kenne ich den Platz, alles.« 

Marguerite Duras

»Neue Arten von Kino entstehen, die ihrerseits zu neuartigen visuellen und akustischen Bedingungen für die Herstellung von Subjektivität führen.« 

Mark Nash

ZUM WERK: AUFBAU DER VIDEOINSTALLATION UND FILMISCHE NARRATION

(LMD/LLVD $KWLODV LP -DKU  IHUWLJJHVWHOOWH 9LGHRLQVWDOODWLRQ PLW GHP 7LWHO Talo/The House3 war im hinteren, eher labyrinthisch angelegten Teil der Binding %UDXHUHL ]X ¿QGHQ >$EE '@ 'LH %HVXFKHUZHJH LQQHUKDOE GLHVHV *HElXGHWHLOV YHU]ZHLJWHQVLFKLQHLQHUYLHOIlOWLJYHUQHW]WHQ$XVVWHOOXQJVDUFKLWHNWXU%HLVSLHOVZHLVHNRQQWHGHU)OXUDQGHPDXFKGHU(LQJDQJ]X$KWLODV9LGHRLQVWDOODWLRQODJ EHUIQI.RUULGRUHHUUHLFKWZHUGHQ$X‰HUGHP]ZHLJWHQYRQGHPHUZlKQWHQ)OXU ZLHGHUXP IQI ZHLWHUH$XVVWHOOXQJVUlXPH DE GLH VHOEVW ]XP7HLO EHU PHKUHUH (LQJlQJH]XHUUHLFKHQZDUHQ$KWLODV9LGHRLQVWDOODWLRQIDQGPDQIROJOLFKHQWZHGHUGXUFKHLQH]LHOJHULFKWHWH$XVZDKORGHUDEHUGXUFK=XIDOODXIGHP:HJGXUFK GDV$XVVWHOOXQJVODE\ULQWK:LHGLHPHLVWHQ:HUNHLQGLHVHP*HElXGHWHLO]HLJWH PDQDXFKGLH9LGHRLQVWDOODWLRQGHU¿QQLVFKHQ.QVWOHULQVHSDUDWLQHLQHP(LQ]HOUDXPVRGDVVVLHLQNHLQHQGLUHNWHQ'LDORJPLWDQGHUHQ([SRQDWHQWUDW$KWLODV 1 Duras/Porte 1982: Die Orte der Marguerite Duras, S. 9. 2 Nash 2002: »Bildende Kunst und Kino«, S. 129. 3 Im Folgenden werde ich zur Vereinfachung lediglich den Werktitel The House verwenden. Talo bezeichnet die finnische Übersetzung.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

$UEHLW NQSIWH LQ EHPHUNHQVZHUWHU :HLVH DQ GLH EHVFKULHEHQH DUFKLWHNWRQLVFKH 6WUXNWXUGHU%LQGLQJ%UDXHUHLDQ4, denn auch die Installation arbeitete mit einer GHKLHUDUFKLVLHUHQGHQ :DKUQHKPXQJVDQRUGQXQJ XQG HLQHU NRPSOH[HQ (U]lKOVWUXNWXU%HWUDWPDQGHQ$XVVWHOOXQJVUDXPGDQQZDUPDQPLWGUHL3URMHNWLRQVÀlFKHQLP)RUPDWYRQHWZD[0HWHUQNRQIURQWLHUWGLHlKQOLFKGHQ:lQGHQ HLQHU7KHDWHUEKQHDQJHRUGQHWZDUHQ>$EE@'XUFKGLHVH,QVWDOODWLRQVYRUJDEH wurde eine Zentralisierung des Zuschauerblicks vermieden. Alle drei LeinwänGHZDUHQJOHLFKHUPD‰HQZLFKWLJIUGLHKLHU]XPHLVWLQ%HZHJWELOGHUQHU]lKOWH  0LQXWHQ GDXHUQGH YRQ:LHGHUKROXQJVVWUXNWXUHQ XQG GLYHUVHQ (U]lKOHEHQHQ JHNHQQ]HLFKQHWH *HVFKLFKWH 'LH (U]lKOXQJ ZXUGH DOV /RRS EHU '9' LQ IDUELJHQ%LOGHUQSURML]LHUW-HGHU]HLWNRQQWHPDQLQGHQ5DXPHLQWUHWHQXQGLQGLH *HVFKLFKWHHLQVWHLJHQ 'HU3URMHNWLRQVUDXPZDUVRDQJHOHJWGDVVHUQXUZHQLJ'LVWDQ]]ZLVFKHQGHQ =XVFKDXHUQXQGGHQ/HLQZlQGHQ]XOLH‰GHQQZHGHU%lQNHQRFKDQGHUH%HJUHQ]XQJVOLQLHQZLHVHQGHQ%HVXFKHUQHLQHQNRQNUHWHQ%HWUDFKWHUVWDQGSXQNW]X+lX¿JOLH‰PDQVLFKLQGLHVHP$XVVWHOOXQJVUDXPGHU%LQGLQJ%UDXHUHLDXIGHP%RGHQ QLHGHUXPGHQ*HVFKHKQLVVHQDXIGHU/HLQZDQGLQ5XKH]XIROJHQ'HU:DKUQHKPXQJVHLQGUXFNGHU3URMHNWLRQLQWHQVLYLHUWHVLFKYRUDOOHPGXUFKHLQHQHLQSUlJVDP HLQJHVHW]WHQ6RXQGDEHUDXFKEHUGHQJHULQJHQ$EVWDQG]ZLVFKHQ3URMHNWLRQVÀlFKHQXQG=XVFKDXHUQ(WZDVDQGHUVDOVLQGHUDEJHELOGHWHQ6NL]]H]XP,QVWDOOD WLRQVDXIEDX>$EE@ZXUGHQLP$XVVWHOOXQJVUDXPDXIGHUHOIWHQ'RFXPHQWDGLH )LOPELOGHUHWZDFPYRP%RGHQHQWIHUQWDXInicht miteinander verbundene, aber GHQQRFK UHODWLY HQJ EHLHLQDQGHU DQJHRUGQHWH 6WHOOZlQGH SURML]LHUW 'LHVHU HWZDV veränderte Installationsaufbau ist in den folgenden, hier abgedruckten Abbildungen ]XVHKHQGLHYHUVFKLHGHQH$QVLFKWHQGHV:HUNVLP$XVVWHOOXQJVNRQWH[WGHUHOIWHQ 'RFXPHQWD]HLJHQ'XUFKGLHVHHKHUORVHDUFKLWHNWRQLVFKH,QV]HQLHUXQJEUDFKGLH .QVWOHULQGLH+HUPHWLNGHVWUDGLWLRQHOOHQ%KQHQUDXPVDXIGHUKHUN|PPOLFKDXV HLQHPJHVFKORVVHQHQ(QVHPEOHDXVGUHL:lQGHQEHVWHKW'DUEHUKLQDXVORFNHUWH VLHGXUFKGLH$QRUGQXQJGHU3URMHNWLRQVÀlFKHQGLHDUFKLWHNWRQLVFKHQ9RUJDEHQGHV

4 Vgl. hierzu auch im Buchteil II Bildanordnungen: Kapitel Exkurs: Architektonische Selbstreflexionen – die »Space Syntax« der Binding Brauerei. 5 Die Rekonstruktion der exakten Größe der Projektionsflächen erweist sich als schwierig. Beide Kataloge zur Documenta 11 führen die Größen nicht an: Ausst.Kat. (2002) Documenta 11_Plattform 5: Ausstellung, sowie: Ausst.Kat. (2002) Documenta 11_Platform 5: Ausstellungsorte. Auch der Katalog zur Ausstellung im Düsseldorfer K 21 gibt keine eindeutigen Informationen: Ausst.Kat. (2008) Eija-Liisa Ahtila. Ausführliche Angaben zur Präsentation und zur technischen Ausstattung finden sich lediglich in Ausst.Kat. (2002) Eija-Liisa Ahtila. Fantasized Persons, S. 157. Hier wird eine Mindestbreite der Projektionen von 3,5 Metern angegeben, die aber auf der Documenta 11 nicht realisiert wurde. 6 Die Angaben zu den Projektionsbedingungen innerhalb des Ausstellungskatalogs von 2002 (Ausst.Kat. (2002) Eija-Liisa Ahtila. Fantasized Persons, S. 157) verzeichnen, dass der Raum mit Stühlen bestückt sein sollte. Im K 21 (2008) befand sich jedoch lediglich eine Bank und auch auf der Documenta 11 konnte man sich im Raum beliebig niederlassen.

EIJA-LIISA AHTILA: THE HOUSE

Abb. 65: Eija-Liisa Ahtila: The House, 2002, Skizze zum Installationsaufbau mit drei Projektionsflächen, drei Videobeamern und sechs Boxen

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$XFKGLHQDUUDWLYH(EHQHGHU*HVFKLFKWHNQSIWHDQGLHEHVFKULHEHQHYLHOIlOWLJ YHUQHW]WH $XVVWHOOXQJVVWUXNWXU GHU %LQGLQJ %UDXHUHL DQ GHQQ DXFK (LMD/LLVD $KWLODKDWWHPLWLKUHUGUHLNDQDOLJHQ9LGHRLQVWDOODWLRQHLQHK|FKVWNRPSOH[H(U]lKOXQJJHVFKDIIHQ'LHWUDXULJHPDQFKPDONXULRVHLQMHGHP)DOODNXVWLVFKXQG YLVXHOO VHKU HLQGULQJOLFK LQV]HQLHUWH *HVFKLFKWH KDQGHOW YRQ HLQHU )UDX GHUHQ VLQQOLFKH:DKUQHKPXQJVIlKLJNHLW]XQHKPHQGLQVWDELOZLUG'LHVHYLHOVFKLFKWLJ LQV]HQLHUWH SV\FKLVFKH 'HVWDELOLVLHUXQJ GHU +DXSW¿JXU IKUW GD]X GDVV HV GHU 3URWDJRQLVWLQ LP /DXIH GHU (U]lKOXQJ LPPHU ZHQLJHU JHOLQJW lX‰HUH 6LQQHVHLQGUXFNHYRQLKUHULQQHUHQ,PDJLQDWLRQVIlKLJNHLW]XXQWHUVFKHLGHQ'LHVHU=XVWDQGJHKW]XJOHLFKPLWGHP9HUOXVWHLQHUNRKlUHQWHQ(U]lKOVWUXNWXUHLQKHU'LH IROJHQGH %HVFKUHLEXQJ YHUVXFKW GLH YHU]ZHLJWH XQG LQ XQWHUVFKLHGOLFKH (U]lKOHEHQHQ DXIJHVSOLWWHUWH *HVFKLFKWH LQ LKUHQ ZLFKWLJVWHQ (WDSSHQ XQG (LQKHLWHQ ZLHGHU]XJHEHQ 'D GLH9LGHRLQVWDOODWLRQ MHGRFK FKURQRORJLVFK RUJDQLVLHUWH (U]lKOVWUXNWXUHQ LPPHU ZLHGHU YHUOlVVW XQG DXFK GLH (U]lKOHEHQHQ KlX¿J ZHFKVHOQYHUVFKDFKWHOQVLFKGLH*HVFKHKQLVVHDXIGHQGUHL3URMHNWLRQVÀlFKHQK|FKVW YLHOIlOWLJ$XIJUXQGGHVVHQHUVFKLHQHVIUHLQHQYHUVWlQGOLFKHQ$XIEDXGHU8QWHUVXFKXQJVLQQYROOEHUHLWVZlKUHQGGHU%HVFKUHLEXQJGHUQDUUDWLYHQ(EHQHGLH

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

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EIJA-LIISA AHTILA: THE HOUSE

Abb. 66: Eija-Liisa Ahtila: The House, 2002, Videostill (I: Die Autofahrt)

DXVHLQHP+XEVFKUDXEHUJH¿OPWHU|IIQHWGLH.DPHUDGHQ%OLFNDXIHLQHVWDUNEHZDOGHWH /DQGVFKDIW 'LUHNW LP$QVFKOXVV DQ GLHVHQ (LQVWHOOXQJVZHFKVHO EHL GHP GDV $XWRDXIGHUUHFKWHQ3URMHNWLRQVÀlFKHDXVGHU9RJHOVFKDXVLFKWEDUZLUGJLEWGLHPLWWOHUH/HLQZDQGHLQHQ%OLFNGXUFKGLHYHUUHJQHWH)URQWVFKHLEHGHV)DKU]HXJVDXIGLH 6WUD‰HIUHL'LH6FKHLEHQZLVFKHUZLSSHQLPUK\WKPLVFKHQ7DNWGXUFKGDV%LOG:HQLJVSlWHU]HLJWGLHOLQNH3URMHNWLRQVÀlFKHGLHVHLWOLFKDP)DKU]HXJYRUEHL]LHKHQGHQ %lXPHHLQHV:DOGHV:RUDXIKLQNXU]GDQDFKDXIGHUUHFKWHQ6HLWHGDV$XWRIURQWDO DEJH¿OPWHUVFKHLQWXQGDXIGLH.DPHUD]XVWHXHUW>$EE@ $OOHGUHL3URMHNWLRQVÀlFKHQ]HLJHQLQGLHVHU6HTXHQ]YDULDQWHQUHLFKH$QVLFKWHQ HLQHU$XWRIDKUW,P*HJHQVDW]]XGHPHKHUÀlFKHQELOGOLFKRUJDQLVLHUWHQ5DXPEHL GHPGHU:DOGDP$XWRYRUEHL]LHKW>$EEOLQNHV%LOG@VHW]WGLHPLWWOHUH3URMHNWLRQHLQHQ]HQWUDOSHUVSHNWLYLVFKRUJDQLVLHUWHQ%HZHJXQJVDEODXILQ6]HQH>$EE PLWWOHUHV%LOG@GHQQKLHUYHUMQJWVLFKGLHYRUGHP$XWROLHJHQGH6WUD‰H]XP+RUL]RQW'DV%LOGDXIGHUUHFKWHQ6HLWH]HLJWKLQJHJHQHLQHGLDPHWUDOHQWJHJHQJHVHW]WH %OLFNDFKVH>$EEUHFKWHV%LOG@%HZHJWVLFKGHU%OLFNDXIGHPPLWWOHUHQ%LOGDXV HLQHUVXEMHNWLYHQ6LFKWLQGHQ]HQWUDOSHUVSHNWLYLVFKHQ7LHIHQUDXPNRPPWLQQHUKDOE GHUUHFKWHQ$XIQDKPHGDV2EMHNWDXVGHU7LHIHGHV5DXPHVLQGHQ%LOGYRUGHUJUXQG XQGIlKUWGDPLWGLUHNWDXIGLH.DPHUDE]ZGHQ%HWUDFKWHU]X 'LHVHEHVFKULHEHQHHUVWH6HTXHQ]IXQJLHUWJOHLFKVDPDOVHLQH$UW(LQIKUXQJLQ GDV LQQHUKDOE GHU ,QVWDOODWLRQ PRGHOOLHUWH VSDQQXQJVUHLFKH :HFKVHOYHUKlOWQLV YRQ .DPHUDE]Z%HWUDFKWHUXQG2EMHNW'LHVHHUVWH6HTXHQ]LQV]HQLHUWGHQLQQHUKDOE GLHVHV 9HUKlOWQLVVHV HQWVWHKHQGHQ ¿OPLVFKHQ 5DXP GXUFK XQWHUVFKLHGOLFKH VLPXOWDQ JHVFKDOWHWH %OLFNSRVLWLRQHQ 'DV KLHU SUlVHQWLHUWH YDULDQWHQUHLFKH 6SHNWUXP DQ .DPHUDHLQVWHOOXQJHQ XQG %OLFNDFKVHQ JLEW HLQHQ (LQGUXFN YRQ GHQ YLHOIlOWLJHQ .RPELQDWLRQVP|JOLFKNHLWHQ GHU9LGHRELOGHU GLH LP 5DKPHQ GHU LQVWDOODWLYHQ $QRUGQXQJ P|JOLFK ZHUGHQ:LH ]X VHKHQ VHLQ ZLUG VSLHOW GLH .QVWOHULQ VLH LP )RUWJDQJGHU+DQGOXQJGXUFKHLQHQK|FKVWUHÀHNWLHUWHQ(LQVDW]YRQ%LOGXQG7RQ HEHQVRZLHGXUFKHLQHNRPSOH[RUJDQLVLHUWH1DUUDWLRQVVWUXNWXUHLQGUXFNVYROODXV ,,'HUHLQIKUHQGH0RQRORJ±'LH)UDXDOV6XEMHNWXQG2EMHNWGHU(U]lKOXQJ 1DFK GLHVHU EHVFKULHEHQHQ (LQJDQJVHTXHQ] NRPPW GDV$XWR YRU HLQHP HLQVDPHQ :DOGKDXV]XP6WHKHQ%HLP$XVVWLHJDXVGHP)DKU]HXJZLUGGLH3URWDJRQLVWLQ]XP HUVWHQ0DOVLFKWEDU'LH)UDXPLWLKUHUPDUNDQWHQURWHQ%OXVHEHZHJWVLFKLQGLHVHU

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

6]HQHPLWHLQHUYROOJHSDFNWHQZHL‰HQ(LQNDXIVWWHDXIGDV+DXV]X:DUHQELV]X GLHVHP=HLWSXQNWOHGLJOLFK0RWRUHQJHUlXVFKHGDV5DXVFKHQGHV:DOGHVXQG]ZLWVFKHUQGH9|JHO]XK|UHQVRNRPPWGLH)LJXULQGLHVHU6]HQH]XPHUVWHQ0DOGXUFK HLQHQDXVGHU,FK3HUVSHNWLYHHU]lKOWHQ0RQRORJGHUDXVGHP2II]XK|UHQLVWDOV )LJXU GHU (U]lKOXQJ ]XU *HOWXQJ 'LH GDEHL YRQ GHU 6WLPPH JHVFKLOGHUWHQ :DKUQHKPXQJVHLQGUFNH VLQG DXI )LQQLVFK ]X K|UHQ ZlKUHQG HQJOLVFKH 8QWHUWLWHO GLH JHVSURFKHQHQ:RUWHEHUVHW]HQGLHDXIMHGHUGHUGUHL3URMHNWLRQVÀlFKHQVLPXOWDQ]X VHKHQVLQG7URW]GHVDXIGHU7RQHEHQHYHUHLQKHLWOLFKWHQ6LQQHVHLQGUXFNVGLIIHULHUHQ GLH$XIQDKPHQ]XP7HLOHUKHEOLFK]HLJHQHWZDXQWHUVFKLHGOLFKH$QVLFKWHQGHV+DXVHV>$EE@RGHUVHW]HQEHLVSLHOVZHLVH5lXPHXQG2EMHNWHDXVXQWHUVFKLHGOLFKHQ %OLFNDFKVHQLQ6]HQH (V LVW DXIIDOOHQG GDVV GHU LQQHUH 0RQRORJ GHU )UDX ± YRU DOOHP LQ GLHVHU HLQIKUHQGHQ(WDSSHGHU*HVFKLFKWH±GHUlX‰HUHQVLFKWEDUHQ:HOWXQGGHU%HVFKUHLEXQJGHVDOOWlJOLFKHQ/HEHQVJHZLGPHWLVW'LHVHV/HEHQLVWYRQ5RXWLQHQXQGHLQHU VFKHLQEDUUHLQIDNWLVFKHQ2UGQXQJGHU'LQJHEHVWLPPW6RHWZDEHVFKUHLEWGLH,FK (U]lKOHULQGHQLQGHQ9LGHRELOGHUQVLFKWEDUHQ2UWGHV*HVFKHKHQVXQGGLH]XJOHLFK auf der Leinwand dargestellten alltäglichen, gewohnheitsmäßigen Handlungsabläufe: »I have a house. There are rooms in the house. There is a terrace outside the frontdoor. After the terrace you walk three steps up to go inside. After that there is a hallway, where I take off the clothes I wear outdoors. Opposite there is another door that opens directly eastwards. After the hallway I usually go into the kitchen where I make food, eat, and sit and read the paper at the table. In the living room the TV is on. All that is routine.«

1DFKGHPGLH)UDXGLH7UJH|IIQHWVLFKQDFKGHU$QNXQIWLQLKUHP'RPL]LOHLQJHULFKWHWJHJHVVHQXQGGLH=HLWXQJJHOHVHQKDWEHVFKUHLEWVLHLQLKUHP:RKQ]LPPHU VWHKHQGGHQ%OLFNDXVLKUHP)HQVWHU6LHHU]lKOWYRQGHU8PJHEXQJGHU/DQGVFKDIW LQGLHLKU+DXVHLQJHEHWWHWLVWXQGYRP*DQJGHU6RQQHGLHVLFKWlJOLFKXPGDVNOHLQHHQWOHJHQH*HElXGHEHZHJW>$EE@ ,QGLHVHUUHODWLYNXU]HQ6]HQHLQGHUGLH3URWDJRQLVWLQGDQQIROJHQGDXFKHUVWPDOLJVSUHFKHQGDXIGHUPLWWOHUHQ/HLQZDQG]XVHKHQLVW, verwandelt sich der voranJHJDQJHQH LQQHUH 0RQRORJ ]X HLQHU lX‰HUOLFK VLFKWEDUHQ 5HGH GLH HLQHUVHLWV HLQ 6HOEVWJHVSUlFKXQG]XJOHLFKHLQHQDQGHQ=XVFKDXHUDGUHVVLHUWHQ%HULFKWGDUVWHOOW 'DV (U]lKOWH HUKlOW HLQH ZHLWHUH QDUUDWLYH 4XDOLWlW GHQQ KLHU IXQJLHUHQ GLH:RUWH QLFKWPHKUDOOHLQDOVLQWLPHXQGHLJHQWOLFKQLFKWZDKUQHKPEDUH(LQVLFKWLQGLHLQQHUH *HGDQNHQZHOWGHU3URWDJRQLVWLQ6LHPDQLIHVWLHUHQVLFKLQGLHVHU(LQVWHOOXQJDPXQG EHUGHQ.|USHUGHU)UDXbildlichQlPOLFKDOVHLQHSHUV|QOLFKJHVSURFKHQHPQGOLFKH5HGHGLHYRQ0LPLNXQG*HVWLNEHJOHLWHWLVW,P6LQQH6DXVVXUHV]HLJWVLFK GLH6SUDFKHKLHUDOVParoleDOVNRQNUHWXQGLQGLYLGXHOOUHDOLVLHUWHU6SUHFKDNW und ZLUG ]XJOHLFK LQWHJUDOHU %HVWDQGWHLO GHU LP )LOP HWDEOLHUWHQ YLVXHOOHQ :HOW 6SUDFKHIXQJLHUWKLHUIROJOLFKQLFKWPHKUZLHLQGHU6]HQH]XYRUDOOHLQDOV6\VWHPGHU 10 Vgl. hierzu auch Abbildung 74.

EIJA-LIISA AHTILA: THE HOUSE

Abb. 67: Eija-Liisa Ahtila: The House, 2002, Videostill (II: Der einführende Monolog)

%HGHXWXQJV]XZHLVXQJ QLFKW DOOHLQ DOV 6WUXNWXU YRQ 6LJQL¿NDQWHQ YLHOPHKU WULWW VLHKLHUDOVSHUIRUPDWLYHUN|USHUOLFKHU$NWHLQHV,QGLYLGXXPVLQ(UVFKHLQXQJ'HU 0RQRORJVWHKWKLHUDQGHU6FKZHOOH]XP'LDORJPLWGHP%HWUDFKWHUGHQQGLH)UDX ZLUGGXUFKGLHLQGLYLGXHOOLP%LOGUHDOLVLHUWH5HGH]XHLQHP6XEMHNWGDVVLFKDQGHQ =XVFKDXHUZHQGHWXQGYHUOLHUWGHQ6WDWXVHLQHVOHGLJOLFKLQV%LOGJHVHW]WHQ2EMHNWV GDVLQHLQH(U]lKOXQJHLQJHEXQGHQLVW0LWGLHVHU]XJHZDQGWHQ5HGHZLUGIROJOLFK HLQLQWHUVXEMHNWLYHV%H]XJVYHUKlOWQLV]ZLVFKHQ%HWUDFKWHUXQG3URWDJRQLVWLQNRQVWUXLHUWXQG]XJOHLFKEHWRQW'XUFKGLH.RQWUDVWLHUXQJYRQHLQXQGGHUVHOEHQ6WLPPH ± HLQHUVHLWV DOV 6WLPPH DXV GHP 2II XQG DQGHUHUVHLWV DOV VLFKWEDU SHUVRQDOLVLHUWH bX‰HUXQJ HLQHU 3HUVRQ ±UHÀHNWLHUWGDV:HUNGLH6SUHFKHUUROOHGLH(U]lKOHULQLP )LOPLQLKUHUGRSSHOWHQ9HUDQNHUXQJDOV6XEMHNWXQG2EMHNW'HULQGHU9LGHRLQVWDOODWLRQLQWHJULHUWHGRSSHOE|GLJH0RQRORJDXVGHU,FK3HUVSHNWLYHUHÀHNWLHUWVRZRKO GLH5ROOHGHU+DXSW¿JXUDOVDXFKGLHXQVLFKWEDUH$XWRULQ'LH)UDJHª:HUVSULFKW"© ZLUGLQGLHVHU6]HQHQLFKWHLQGHXWLJEHDQWZRUWHW(LQHUVHLWVVSULFKWGDV2EMHNWHLQHU $XWRULQ HLQHV )LOPV HLQHV %HWUDFKWHU XQG .DPHUDEOLFNV DQGHUHUVHLWV VSULFKW HLQ 6XEMHNW]XGHQ%HWUDFKWHUQ,QGHPGLH.QVWOHULQPLWGLHVHP6FKDFK]XJLKUHHLJHQH 5ROOHDOV$XWRULQGHFKLIIULHUWYHUEQGHWVLHVLFKPLWLKUHP2EMHNWGDVGDPLW]XP 6XEMHNWZLUG0LWGHUVXEMHNWLYHQ5HGHZLUGGDV]XJOHLFK'DUJHVWHOOWHDXWKHQWL¿]LHUW ,P&KDQJLHUHQ]ZLVFKHQ6XEMHNWXQG2EMHNWNRPPWGLHNRQVWUXNWLYH6HLWHGHU1DUUDWLRQDEHUDXFKGLH0HGLDOLWlWGHV*H]HLJWHQ]XU*HOWXQJ ,,,(LQHLJHQPlFKWLJHV9HKLNHO±%UFKHLP(U]lKOUDXP 'LH (U]lKOXQJ QLPPW QDFK GLHVHU 6]HQH HLQH :HQGXQJ 'HQQ GLH ELV ]X GLHVHP =HLWSXQNWVWDELOHXQGNRKlUHQWHU]lKOWH*HVFKLFKWHGLHHLQHQNRQWLQXLHUOLFKHQ)RUWJDQJXQVSHNWDNXOlUHU(UHLJQLVVHXQG%HREDFKWXQJHQLQGHQ%OLFNQLPPWZLUGEUFKLJ 5HGXQGDQ]HQ VFKOHLFKHQ VLFK HLQ 8QHUZDUWHW VHW]W VLFK GDV YRU GHP +DXV JHSDUNWH$XWRUXFNDUWLJLQ%HZHJXQJ(VIlKUWLQNXU]HQ$EVWlQGHQYRUXQG]XUFN YRUXQG]XUFN$XIGHUPLWWOHUHQ/HLQZDQG]XQlFKVWIURQWDODEJHOLFKWHWWDXFKWHV EHLPQlFKVWHQ6FKQLWWDXVVHLWOLFKHU$QVLFKWLQGHQ3URMHNWLRQHQOLQNVXQGPLWWLJ ZLHGHUDXI.HLQ)DKUHULVW]XVHKHQ:LHDXV*HLVWHUKDQGEHZHJWSDVVLHUWGDVXQheimliche Vehikel nun nicht mehr den Bildraum in seiner Tiefendimension, sondern DXIGHU(EHQHGHU)OlFKH)lKUWYRQOLQNVQDFKUHFKWVYRQUHFKWVQDFKOLQNVKLQXQG KHUKHUXQGKLQ'LHEHLGHQ$QVLFKWHQGLIIHULHUHQLQGHU.DPHUDSHUVSHNWLYH1LPPW

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

das linke Bild das Auto nur ausschnitthaft in den Blick, ist es auf der mittleren LeinZDQGDOVJHVDPWHV2EMHNWLQVHLQHU*DQ]KHLWXQGQLFKWQXUIUDJPHQWLHUWDEJH¿OPW 1HEHQGHP9HUOXVWGHU)DKUHULQYHUPLWWHOQDXFKGLHUXFNDUWLJHQ%HZHJXQJHQGLH als Stop-Motion,QV]HQLHUXQJJH]HLJWZHUGHQGHQ(LQGUXFNHLQHUYHUlQGHUWHQ5HDOLWlW:DUGLH*HVFKLFKWHELV]XGLHVHP=HLWSXQNWLQHLQHP(U]lKOUDXPYHURUWHWGHU eine NRKlUHQWH5HDOLWlWJHVFKDIIHQKDWWHVRIlOOWGLHVH6]HQHDXVGHPELVKLHUKLQ HWDEOLHUWHQ (U]lKOUDKPHQ KHUDXV 'LH stakkato-artigen, abgehakten, beinahe slapstickDUWLJHQ %HZHJXQJVDEOlXIH GHV$XWRV JHEHQ NHLQHQ JHZ|KQOLFKHQ :DKUQHKPXQJVHLQGUXFNZLHGHUVRQGHUQEHUIKUHQGDV*HVFKHKHQLQHLQHLUUHDOH:HOW'LH KLHU HLQJHVHW]WHQ ¿OPLVFKHQ 0LWWHO PDFKHQ GLHVH :HOW ]XJOHLFK DOV NLQHPDWRJUD¿VFKNRQVWUXLHUWVLFKWEDU'DVDXVIRWRJUD¿VFKHQ(LQ]HOELOGHUQ]XVDPPHQJHVHW]WH %HZHJWELOGNRPPWUHÀH[LY]XU*HOWXQJ ,9'LH:LHGHUKROXQJGHU$XWRIDKUW±5HNRQVWUXNWLRQ'HNRQVWUXNWLRQ.RQVWUXNWLRQ 1DFKGLHVHU6HTXHQ]GLHEHUHLWVHLQH9HUVFKLHEXQJGHU5HDOLWlWVHEHQHQDQGHXWHW ZLUGGLH)UDXQRFKHLQPDOLQLKUHUKlXVOLFKHQ8PJHEXQJLQ6]HQHJHVHW]W$OVVLH VLFKVFKOLH‰OLFKDXILKUHP6RIDQLHGHUOlVVW>$EEPLWWOHUHV%LOG@HQGHWDXFKGLH ELV ]X GLHVHP =HLWSXQNW ZHLWJHKHQG FKURQRORJLVFK DQJHOHJWH 1DUUDWLRQ XQG IKUW HLQHQ:LGHUKROXQJVPRGXVHLQGHUGHQZHLWHUHQ9HUODXIGHU(U]lKOXQJFKDUDNWHULV WLVFKNHQQ]HLFKQHQZLUG 0LWHLQHP6FKQLWWGHUGLHNRPSOHWWHGUHLNDQDOLJH,QVWDOODWLRQEHWULIIWVHW]WGLH *HVFKLFKWH SO|W]OLFK ZLHGHU DQ LKUHP$XVJDQJVSXQNW DQ 'LH GUHL 3URMHNWLRQVÀlFKHQ]HLJHQQXQHUQHXWGLH$XWRIDKUW:LHGHUVLHKWPDQGLH$QVLFKWGHV)DKU]HXJV DXVGHU9RJHOVFKDXSHUVSHNWLYHZLHGHUSDVVLHUWHVGDVHQWOHJHQH:DOGVWFNXQGZLHGHUVWHLJWHLQH)UDXDXVGHP$XWRDXVXPLQLKU+DXV]XJHKHQ±DOOHUGLQJVGLHVPDO ohne(LQNDXIVWWH.OHLQH'HWDLOVYHUVFKZLQGHQLQGHU5HNRQVWUXNWLRQ$XIGLHVH DEHUPDOLJH SURORJLVFKH (LQJDQJVVHTXHQ] GLH H[DNW GLH JOHLFKHQ $QVLFKWHQ GHU $XWRIDKUW]HLJWZLH]Xª%HJLQQ©>$EE@IROJHQYHUVFKLHGHQH,QWHULHXUDQVLFKWHQ GHV+DXVHVGLHDOVIRWRJUD¿VFKH6WDQGELOGHUVLPXOWDQDXIDOOHQGUHL/HLQZlQGHQ]X VHKHQVLQG+LHUDUEHLWHW$KWLODPLWHLQHPZHLWHUHQ5HSHUWRLUHGHVNLQHPDWRJUD¿VFKHQ%LOGHV]XU'DUVWHOOXQJYRQ=HLWOLFKNHLW+DWWHGLH(LQJDQJVVHTXHQ]PLWWHOVGHU $XWRIDKUW GHQ ]HLWOLFKHQ$EODXI GXUFK NRQWLQXLHUOLFK SURML]LHUWH )LOPELOGHU G\QDPLVLHUWGDQQVWHKWGLH=HLWLQGLHVHQVWDWLVFKHQ(LQVWHOOXQJHQGXUFKGLH%HWRQXQJ GHUIRWRJUD¿VFKHQ(LQ]HOELOGHUGLHDOV6WDQGELOGHUSUlVHQWLHUWZHUGHQVWLOO'LHVHU 0RPHQW GHU %HZHJXQJVORVLJNHLW ZLUG MHGRFK GXUFK HLQHQ 6FKQLWW GHU ZLHGHUXP DOOHGUHL3URMHNWLRQHQEHWULIIWDXIJHEURFKHQ$XIGHUPLWWOHUHQ/HLQZDQGWULWWQXQ GLH)UDXDEUXSWLQV%LOGZREHLGLHDQGHUHQEHLGHQ(LQVWHOOXQJHQVWDWLVFKH$QVLFKWHQLKUHV:RKQ]LPPHUV]HLJHQ1HUY|VXQGDXIJHUHJWOlXIWVLHLQLKUHP:RKQ]LPPHUDXIXQGDEZlKUHQGVLHGLH(UHLJQLVVHGLHVPDOLQ)RUPHLQHV6HOEVWJHVSUlFKV UHNDSLWXOLHUW ª7KH FDU GLGQW VWD\ FRPSOHWHO\ SDUNHG LQ WKH JDUGHQ WRGD\ %XW FDPHLQVLGHPH,GRQ¶WNQRZZKHUHLWVWRSVWKHQZKHQLWVWRSVDQGJRHVTXLHW, SDUNHGWKHFDUQRUPDOO\LQWKHJDUGHQEXWWKHVRXQGKDVVHSDUDWHGLWVHOIIURPLW ,GRQ¶WNQRZZKHUHWKHFDUDFWXDOO\LV,¶PFRQIXVHG©

EIJA-LIISA AHTILA: THE HOUSE

Abb. 68: Eija-Liisa Ahtila: The House, 2002, Ausstellungsansicht in der Binding-Brauerei (Einstellung vor Sequenz IV: Die Wiederholung der Autofahrt)

'LHVH 6HTXHQ] PDFKW EHLQDKH XQPLVVYHUVWlQGOLFK GHXWOLFK GDVV HV VLFK EHL GHU ]XYRUJH]HLJWHQ$XWRIDKUWXPHLQH5FNEOHQGHXPHLQH5HNDSLWXODWLRQGHU6LWXD WLRQ JHKDQGHOW KDEHQ PXVV 'LH YRUDQJHJDQJHQHQ %LOGHU VSLHJHOWHQ RIIHQEDU GHQ *HGDQNHQJDQJGHU3URWDJRQLVWLQZLGHUGLHYHUVXFKWKDWWHGLH(UHLJQLVVHGHV7DJHV YRU LKUHP LQQHUHQ$XJH ]X UHNRQVWUXLHUHQ 0LW GLHVHP UHGXQGDQWHQ 0RPHQW NRQWHUNDULHUWGLH9LGHRLQVWDOODWLRQHLQHQFKURQRORJLVFKHQ=HLWDEODXI'LH)LOPELOGHUO|VHQVLFKYRQLKUHU(LQELQGXQJLQHLQHNRQWLQXLHUOLFKIRUWVFKUHLWHQGH1DUUDWLRQXQGHUKDOWHQHLQHVHOEVWUHÀH[LYH4XDOLWlW'XUFKGLH:LHGHUKROXQJGHU6HTXHQ] PLWGHU$XWRIDKUWWULWWGLH6WUXNWXUGHU(U]lKOXQJVHOEVWLQ(UVFKHLQXQJXQGPDUNLHUWGLHEHUGDVNLQHPDWRJUD¿VFKH0HGLXPNRQVWUXLHUWH1DUUDWLRQ±GLH0LWWHGHU *HVFKLFKWH EH]HLFKQHW GHQ$QIDQJ ZRKLQJHJHQ LKU$QIDQJ ]XJOHLFK DXFK GHUHQ 0LWWHEHGHXWHW:LUGGLH&KURQRORJLHGHU¿OPLVFKHQ1DUUDWLRQGXUFKGLH:LHGHUKROXQJVVFKOHLIHGHNRQVWUXLHUWGDQQWULWWLQHLQHUGHUIROJHQGHQ(LQVWHOOXQJHQDXFK HLQVFK|SIHULVFKHUNRQVWUXNWLYHU$VSHNWLQ(UVFKHLQXQJ*DQ]XQHUZDUWHWO|VWVLFK HLQ9HUVDW]VWFNGHUYRQGHU3URWDJRQLVWLQUHNRQVWUXLHUWHQ*HVFKLFKWHDXVGHPQDUUDWLYHQ =XVDPPHQKDQJ 3O|W]OLFK WDXFKW DXI GHU PLWWOHUHQ /HLQZDQG HLQ$XWR LP ,QQHQUDXPGHV+DXVHVDXI(VIlKUWKRUL]RQWDOXQGNXU]XQWHUGHU'HFNHLQ0LQLDWXUIRUPDWGLH:DQGGHV:RKQ]LPPHUVHQWODQJ$OOHLQ0RWRUHQJHUlXVFKHDXVGHP Off haben seine Ankunft bereits angekündigt.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

9HUPLWWHOWGLHEHVFKULHEHQHDUFKLWHNWRQLVFKH6WUXNWXUGHU,QVWDOODWLRQGXUFKGLH ORVH QHEHQHLQDQGHU DXIJHVWHOOWHQ 3URMHNWLRQVÀlFKHQ GLH ]XJOHLFK GHQ *UXQGULVV HLQHV+DXVHVDQGHXWHQHLQHHKHUXQVFKDUIH*UHQ]H]ZLVFKHQLQQHQXQGDX‰HQVR VSLHJHOWVLFKGLHVHV0RWLYDXFKLQQHUKDOEGLHVHU6]HQHZLGHU'DV$XWREHUIlKUW GLHHLJHQWOLFKWUHQQVFKDUIH/LQLH]ZLVFKHQ$X‰HQXQG,QQHQUDXPRKQH5FNVLFKW DXI GLH IDNWLVFKH :HOW XQG O|VW GDPLW GLH .RRUGLQDWHQ GHV LQ GHU 1DUUDWLRQ HWDEOLHUWHQ 5HDOUDXPHV DXI 'LH $X‰HQZlQGH GHV +DXVHV ZHUGHQ ± HEHQVR ZLH LP $XVVWHOOXQJVUDXP ± GXUFKOlVVLJ =XJOHLFK NRPPW GHU 3URWDJRQLVWLQ GLH )lKLJNHLW DEKDQGHQ ]ZLVFKHQ 5HDOLWlW XQG ,PDJLQDWLRQ ]X XQWHUVFKHLGHQ 6R VFKLOGHUW VLH LKUHHLJHQH:DKUQHKPXQJIROJHQGHUPD‰HQª,WKLQNWKHOLYLQJURRPRUP\KRXVHLV EUHDNLQJGRZQ,FDQ‫ތ‬WNHHSWKLQJVRXWDQ\PRUHFDQ‫ތ‬WSUHVHUYHLWVRZQVSDFH0\ JDUGHQLVFRPLQJLQP\OLYLQJURRP© .XU] GDUDXI ZHQGHW VLFK GLH (U]lKOXQJ QRFK HLQPDO GUDVWLVFK 'HU =XVFKDXHU VFKHLQWVLFKHUQHXWLQGHUEHUHLWVEHVFKULHEHQHQ(U]lKOVFKOHLIH]XEH¿QGHQ=XPGULWWHQ0DOVLW]WGLH3URWDJRQLVWLQLP$XWRZLHGHUEHVFKUHLEHQGLHGUHL3URMHNWLRQVÀlFKHQGLH$QNXQIWDP+DXVHEHQVRZLHGDV(LQWUHWHQLQGLHªYHUWUDXWHQYLHU:lQGH© 'LHVPDOYDULLHUWMHGRFKGLH6]HQHULHDXIGHU6WUD‰H'LH)UDXZLUGDOV,QVDVVLQGHV Autos sichtbar. Bei Ankunft am Haus steigt sie ohneZHL‰H7WHDXV±GLHVPDOKDW VLHMHGRFKHWZDV6FKZDU]HVLQGHU+DQG(VEOHLEWDQGLHVHU6WHOOHRIIHQREHVVLFK HUQHXWXP%LOGHUKDQGHOWGLHDXVGHU(LQELOGXQJVNUDIWGHU3URWDJRQLVWLQUKUHQRGHU REKLHUGHUUHDOH+DQGOXQJVUDXPGHU(U]lKOXQJJH]HLJWZLUG*HQDXGLHVH9HUXQNOlrung über den Status der Bilder löst die eindeutige Zuweisung der Aufnahmen als UHDOHEH]LHKXQJVZHLVHLUUHDOH±LP6LQQH¿OPLVFKHU*HQUHNRQYHQWLRQHQJHVSURFKHQ DOV¿NWLRQDOHRGHUGRNXPHQWDULVFKH±%LOGHUDXI 9'LH.XK±0HGLDOLWlWXQG3OXUDOLWlWGHU%LOGHU :lKUHQG QXQ GLH 3URMHNWLRQHQ GLH ,QQHQUlXPH GHV +DXVHV DXV XQWHUVFKLHGOLFKHQ 3HUVSHNWLYHQ]XU$QVFKDXXQJEULQJHQWUDJHQVLFKNXULRVH'LQJHDP2UWGHU+DQGOXQJ ]X 'LHVPDO ULFKWHW VLFK GLH QDPHQORVH )UDX QLFKW ]XHUVW LQ LKUHU KlXVOLFKHQ 8PJHEXQJHLQGHQQVLHZLUGGLUHNWPLWHLQHPZXQGHUOLFKHQ(UHLJQLVNRQIURQWLHUW GDVV LKUH :DKUQHKPXQJ HUQHXW GXUFKHLQDQGHU UWWHOW 'LH GUHL 3URMHNWLRQVÀlFKHQ ]HLFKQHQ GLHVH %HJHEHQKHLW DQKDQG HLQHU UDI¿QLHUWHQ %LOGLQV]HQLHUXQJ QDFK ZuQlFKVWLVWDXIGHUPLWWOHUHQ3URMHNWLRQVÀlFKHHLQKlXVOLFKHV,QWHULHXUPLW)HUQVHKHU ]XVHKHQ>$EE@'DV79*HUlWVHOEVW]HLJWDXIJUXQGGHU+DQGNDPHUDIKUXQJXQG GHU ODQJHQ (LQVWHOOXQJ HLQH HKHU GRNXPHQWDULVFK DQPXWHQGH 6HTXHQ] LQ GHU VLFK HLQH.XKGXUFKGDV)LOPELOGEHZHJW.XU]GDUDXILVWGLHVH.DPHUDHLQVWHOOXQJH[DNW JOHLFKI|UPLJXQGYROOIRUPDWLJDXIGHUUHFKWHQ/HLQZDQG]XVHKHQ>$EEUHFKWHV %LOG@1XQEHZHJWVLFKGDVDXFKLP)HUQVHKHUVLFKWEDUH7LHUZHLWJHKHQGLGHQWLVFK

11 Derrida würde an dieser Stelle niemals die Bezeichnung »identisch” bemühen: Er betont in seinem Konzept der Iterabilität, dass eine Wiederholung niemals identisch sein kann. Gerade das hier beschriebene Beispiel kann seine These nur untermauern, deswegen spreche ich hier von »weitgehend identisch« (vgl. Derrida: Die Schrift und die Differenz).

EIJA-LIISA AHTILA: THE HOUSE

Abb. 69: Eija-Liisa Ahtila: The House, 2002, Videostill (V: Die Kuh)

DXIGHUUHFKWHQ3URMHNWLRQVÀlFKHGXUFKGDVNLQHPDWRJUD¿VFKH%LOG,VWGLH$XIQDKPHGHU.XKDXIGHUPLWWOHUHQ/HLQZDQGGXUFKGHQ)HUQVHKHUQRFKVHKUDXJHQIlOOLJ JHUDKPWGDQQHUVFKHLQWGDV%LOGDXIGHUUHFKWHQ3URMHNWLRQVÀlFKHGXUFKGHQ:HJIDOOHLQHUNRQNUHWHQ5DKPXQJHKHUHQWJUHQ]WGDV0HGLXPGHU%LOGSURGXNWLRQWULWW ZHQLJHULQ(UVFKHLQXQJ'LH$EELOGXQJGHU9LGHRVWLOOVYHUGHXWOLFKWGDVVHUVWLQGHU UlXPOLFKXQG]HLWOLFKVLPXOWDQHQ*HJHQEHUVWHOOXQJEHLGHU$XIQDKPHQGLH0HGLDOLWlWGHU%HZHJWELOGHULQLKUHQXQWHUVFKLHGOLFKHQPHGLDOHQ)RUPDWHQLQ(UVFKHLQXQJ WULWW'LHSRLQWLHUWHDEHUXQWHUVFKLHGOLFKH5DKPXQJGHU$XIQDKPHGHU.XKPDUNLHUW GLH'LIIHUHQ]YRQ)HUQVHKELOGXQGSURML]LHUWHP%LOG'LH6LPXOWDQPRQWDJHUXIWLQV %HZXVVWVHLQGDVVVLFKGDVIRWRJUD¿VFKH%LOGYRQVHLQHU0DWHULDOLWlWJHO|VWKDWXQG JHUDGHGHVZHJHQLQXQWHUVFKLHGOLFKHQ0HGLHQ±KLHU)HUQVHKHUXQG9LGHRSURMHNWLRQ ±VLFKWEDUZHUGHQNDQQ0LWGLHVHU,QV]HQLHUXQJVVWUDWHJLHO|VW$KWLODLKUHNLQHPDWRJUD¿VFKHQ%LOGHUHUQHXWYRQGHUQDUUDWLYHQ(EHQHXPLKUHPHGLDOH%HVFKDIIHQKHLW ihre Bildlichkeit]XUHÀHNWLHUHQ6RZRKOGLHªGRSSHOWPHGLDOLVLHUWHQ©%LOGHULP3URMHNWLRQVELOG )HUQVHKELOGHUDEHUDXFK0DOHUHLHQXQG'UXFNHHWF  als auch die »reDOHQ©%LOGHUGHUSURML]LHUWHQ(U]lKOXQJGLHVHOEVWZLHGHUXP]XP7HLOGLHLPDJLQLHUWH :HOWGHU+DXSW¿JXUGDUVWHOOHQZHUGHQLQQHUKDOEGHU9LGHRLQVWDOODWLRQYLHOVFKLFKWLJ PLWHLQDQGHUNRPSLOLHUW0LWGLHVHU,QV]HQLHUXQJVVWUDWHJLHZLUGLKUMHZHLOLJHU6WDWXV DOV5HSUlVHQWDWLRQVPHGLXPGHU:LUNOLFKNHLWEHIUDJW 0LW HLQHP GDUDXI IROJHQGHQ 6FKQLWW DXI GHU PLWWOHUHQ 3URMHNWLRQVÀlFKH OHLWHW GLH.QVWOHULQGHQ=XVFKDXHU]ZDUZLHGHU]XUFNLQGLH1DUUDWLRQYHUZHEWDEHU ]XJOHLFKGDVEHVFKULHEHQHPHGLDOLVLHUWH%LOGGHU.XKUDI¿QLHUWPLWGHPIDNWLVFKHQ +DQGOXQJVUDXPGHU1DUUDWLRQ5HODWLYXQYHUPLWWHOWLVWGDQQDXIGHUPLWWOHUHQ/HLQZDQG HLQH DOWHUQDWLYH ,QQHQUDXPDQVLFKW GHV +DXVHV ]X VHKHQ *HQDX KLHU WDXFKW das bereits bekannte Tier, das im Fernseher und auf der rechten Leinwand vollforPDWLJ ]X VHKHQ ZDU >$EE @ LQ EHLQDKH LGHQWLVFKHU *HVWDOW ZLHGHU DXI 8QEHGDUIWXQGZLHVHOEVWYHUVWlQGOLFKOlXIWGLHVHVXQJHWPH*HVFK|SIYRQUHFKWVQDFK OLQNVGXUFKGDVPLWWOHUH)LOPELOGGHUGUHLNDQDOLJHQ3URMHNWLRQ'DQQYHUVFKZLQGHW HVLQUXKLJHP*DQJPXKHQGXQGPLWGHP*HELPPHOHLQHU.XKJORFNHGXUFKGLH 12 Vgl. im Buchteil I Bildgeschichten im Epilog das Kapitel Flächenbild – Materialität – Medialität. 13 Hierauf komme ich im Kapitel Zur Reflexion massenmedialer Bildkulturen: »The Way Hollywood Tells It«, Abschnitt Die Medialität der Bilder zurück.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

D QJUHQ]HQGH7U DP OLQNHQ %LOGUDQG GHU 3URMHNWLRQ 'DV7LHU YHUOlVVW GHQ %LOGUDKPHQMHGRFKnichtRKQHLKQ]XPDUNLHUHQGHQQGDVYLHUEHLQLJH:HVHQWDXFKWLQ GHUlX‰HUHQOLQNHQ3URMHNWLRQQLFKWZLHGHUDXI1DFKGHUPHGLDOHQ$QZHVHQKHLW herrscht bildliche Abwesenheit. 9,1lKPDVFKLQHXQG+XQG±.RQWLQJHQ]DOV5HÀH[LRQQDUUDWLYHU6WUXNWXUHQ ,QGHUQXQIROJHQGHQ6HTXHQ]NRPPWHLQZHLWHUHV]HQWUDOHV0RWLY]XP7UDJHQGDV LP9HUODXI GHU (U]lKOXQJ ZLHGHUKROW DXIWDXFKW +LHU VLW]W GLH )UDX LP OLQNHQ %LOG DQ HLQHU NOHLQHQ ZHL‰HQ 1lKPDVFKLQH XQG LVW LQWHQVLY GDPLW EHVFKlIWLJW VFKZDU]H 6WRIIEDKQHQ PLWHLQDQGHU ]X YHUQlKHQ 'LHVH PHKUPDOV VLFKWEDUH 6]HQHULH ZLUG MHGRFKQLHLQLGHQWLVFKHU(LQVWHOOXQJJH]HLJWVRQGHUQVHW]WVLFKLQQHUKDOEGHULQVWDOODWLYHQ $QRUGQXQJ DXV MHZHLOV XQWHUVFKLHGOLFKHQ .DPHUDSHUVSHNWLYHQ ]XVDPPHQ GLHDXIGHQ/HLQZlQGHQVLPXOWDQ]XVHKHQVLQG'DVSHQHWUDQWH*HUlXVFKGHUPDVFKLQHOOEHZHJWHQ1lKQDGHOXQWHUVWUHLFKW]XVlW]OLFKGLHEHLQDKHPDQLVFKH,QWHQVLWlW GLHVHU+DQGOXQJGLHDXFKEHUGLHSURML]LHUWHQ6WDQGELOGHUEHWRQWZLUG6FKZDU]H 6WRIIKDXIHQZHUGHQVLFKWEDUGLHRIIHQVLFKWOLFKYRQHLQHUYLHOEHVFKlIWLJWHQ1lKHULQ EHDUEHLWHWZHUGHQ'LH%LOGHU]HLJHQMHGRFKOHGLJOLFKGDV$UEHLWVJHUlWXQGGDV0DWHrial, nicht die Frau selbst, und sind unterschiedlich abgelichtet. Ähnlich wie bei den $XIQDKPHQGHV$XWRVLVWDXIGHUPLWWOHUHQ3URMHNWLRQGDVYROOVWlQGLJH2EMHNW±GLH 1lKPDVFKLQH ± ]X VHKHQ ZRKLQJHJHQ GLH UHFKWH$XIQDKPH HLQHQ$XVVFKQLWW GHU JHVDPWHQ$UEHLWVV]HQHULHSUlVHQWLHUW 'LH$XIQDKPHGHU)UDXEHLGHU$UEHLWZLUGEHLLKUHPHUVWPDOLJHQ$XIWDXFKHQ DXIGHUOLQNHQ6HLWHGHUGUHLNDQDOLJHQ3URMHNWLRQGXUFKHLQHZHLWHUH(LQVWHOOXQJDXI GHUPLWWOHUHQ/HLQZDQGHUJlQ]W+LHULVWHLQ+XQGPLWVHLQHP+HUUFKHQEHLP:DOG VSD]LHUJDQJ]XVHKHQ$XFKGLHVHV7LHUZLUGlKQOLFKZLHGLH.XKNXU]GDUDXIDXIGHU UHFKWHQ3URMHNWLRQVÀlFKHEHLQDKH)RUPDWIOOHQGJH]HLJW'LH7RQHEHQHYHUELQGHW GLHEHLGHQ6]HQHULHQGHQ$X‰HQXQGGHQ,QQHQUDXPGDV$UEHLWV]LPPHUXQGGHQ :DOGGHQQDXVGHP2IIVLQGVRZRKOGLHSHQHWUDQWHQ*HUlXVFKHGHU1lKPDVFKLQHDOV DXFKGDV*HEHOOXQGGDV+HFKHOQGHV+XQGHV]XK|UHQ0LWHLQHPHUQHXWHQ6FKQLWW ZHFKVHOW GLH .DPHUDSHUVSHNWLYH 'LH PLWWOHUH /HLQZDQG ]HLJW QXQ GLH +DXSW¿JXU lediglich in Rückenansicht und gibt den Blick auf den Raumeingang frei, durch den LPQlFKVWHQ0RPHQWGDVEHUHLWVEHNDQQWH7LHUDXIGLH)UDX]XOlXIW:lKUHQGGLHVHU 6LWXDWLRQVFKLOGHUWGLH3URWDJRQLVWLQLKUH:DKUQHKPXQJDXVGHP2IIª,WFDPHFORVHU DQGVQLIIHGPH%\FKDQFH,WFDPHLQWRWKHURRPLQWRWKHVDPHVSDFHZKHUHWKHUH ZHUHQRORQJHUDQ\ZDOOV© (UQHXW PDFKW GLHVH 6]HQH GHXWOLFK GDVV GLH *UHQ]HQ YRQ LQQHQ XQG DX‰HQ VRZRKO DXI IDNWLVFKUlXPOLFKHU (EHQH DOV DXFK EH]JOLFK GHU SV\FKLVFKPHQWDOHQ 9HUIDVVXQJ GHU )UDX XQVFKDUI ZHUGHQ ,Q GHQ YRUDQJHJDQJHQHQ 6HTXHQ]HQ ZDU HV UHODWLYHLQGHXWLJGDVVGDVDXIGHU:DQGVLFKWEDUH$XWRHEHQVRZLHGLHGXUFKGDV +DXVZDQGHOQGH.XKGHU,PDJLQDWLRQVNUDIWGHU3URWDJRQLVWLQHQWVSUXQJHQZDU,Q GHU+XQGHV]HQHEOHLEWMHGRFKXQNODUREHVVLFKQXQDXFKXPHLQHUHDOHRGHUHLQH GXUFKGLH)UDXLPDJLQLHUWH6LWXDWLRQKDQGHOW,QGHPKLHUHWDEOLHUWHQ(U]lKOUDKPHQ ist es durchaus möglichGDVVHLQ+XQGGXUFK=XIDOO±ªE\FKDQFH©±LQGHQ,QQHQ-

EIJA-LIISA AHTILA: THE HOUSE

Abb. 70: Eija-Liisa Ahtila: The House, 2002, Ausstellungsansicht in der Binding-Brauerei (VII: Im Haus und am Meer)

UDXPGHV+DXVHVHLQJHGUXQJHQZDUMHGRFKZDUGLHVQLFKWXQEHGLQJWnotwendig für GHQ )RUWJDQJ GHU (U]lKOXQJ 'XUFK GLHVHV NRQWLQJHQWH 0RPHQW NRPPW GLH .RQ VWUXNWLRQGHUQDUUDWLYHQ6WUXNWXUHUQHXW]XU5HÀH[LRQ 9,,,P+DXVXQGDP0HHU±'LH6LPXOWDQHLWlWGHU5lXPH 1DFKGLHVHUUlWVHOKDIWHQHKHUXQZDKUVFKHLQOLFKHQ%HJHJQXQJPLWGHP+XQGWDXFKHQ ZHLWHUH %LOGHU DXI GHQ lX‰HUHQ /HLQZlQGHQ DXI GLH XQEHNDQQWH 2UWH ]HLJHQ HLQH XUEDQH6WUD‰HQV]HQHULHPLW0HQVFKHQXQG$XWRVHLQ+DIHQSDQRUDPDHLQHQ%OLFN LQ HLQHQ VWlGWLVFKHQ 3DUN GLH )DVVDGH HLQHV PHKUVW|FNLJHQ +DXVHV$XV GHP 2II VLQG]XVlW]OLFK*HUlXVFKH]XK|UHQGLHQLFKW]XGHUOlQGOLFKSURYLQ]LHOOHQ8PJHEXQJGHVHLQVDPJHOHJHQHQ:DOGKDXVHVSDVVHQ*ORFNHQOlXWHQ:HOOHQ0HQVFKHQJHPXUPHO 0|ZHQJHVFKUHL /HGLJOLFK GDV QHUY|VH7LFNHQ HLQHV:HFNHUV GDV VLFK LQGLHYLHOVFKLFKWLJH*HUlXVFKNXOLVVHIDVWXQPHUNOLFKHLQIJWN|QQWHGHUKlXVOLFKHQ 8PJHEXQJGHU3URWDJRQLVWLQHQWVSUXQJHQVHLQ'HU.DPHUD]XJHZDQGWVFKLOGHUWVLH YRU GHP +LQWHUJUXQG GLHVHV .ODQJWHSSLFKV DQ LKUHP$UEHLWVSODW] VLW]HQG DXI GHU PLWWOHUHQ/HLQZDQGLKUHYHU]ZHLIHOWH6LWXDWLRQ:lKUHQGGLHVHV0RQRORJVWULWWGLH JOHLFKH3HUVRQXQYHUPLWWHOWDXFKDXIGHUUHFKWHQ3URMHNWLRQLQV%LOG>$EE@'LH KLQ]XJHWUHWHQH)UDXYHUKlOWVLFKMHGRFKVWXPPXQGVWHKWPLWYHUVFKUlQNWHQ$UPHQ LQLKUHP:RKQ]LPPHU(EHQIDOOVLQ5LFKWXQJGHU.DPHUDEOLFNHQGVFKHLQWVLHGHQ

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

:RUWHQLKUHVVLPXOWDQDEJHELOGHWHQ'RXEOHV]XODXVFKHQGLHDXIGHUDQGHUHQ3URMHNWLRQVÀlFKHVSULFKWª2XWVLGHDQHZRUGHUDURVHRQHWKDWLVSUHVHQWHYHU\ZKHUH (YHU\WKLQJLVQRZsimultaneous>+HUYRUKHEXQJ.+@KHUHEHLQJ1RWKLQJKDSSHQV EHIRUHDQGDIWHU7KLQJVGRQWKDYHFDXVHV7KLQJVWKDWRFFXUQRORQJHUVKHGOLJKWRQ WKHSDVW7LPHLVUDQGRPDQGVSDFHVKDYHEHHQRYHUODSSLQJ© 0LW HLQHP 6FKQLWW DXI GHU PLWWOHUHQ /HLQZDQG GHU GLH VSUHFKHQGH +DXSW¿JXU YHUVFKZLQGHQOlVVWVHW]WGLH)UDXDXIGHUUHFKWHQ/HLQZDQGGHQ0RQRORJIRUW6LH berichtet von einem Treffen mit einer Freundin, bei der sie bereits eine Veränderung LKUHUHLJHQHQ:DKUQHKPXQJUHDOLVLHUWKDWWH'LHVH:DKUQHKPXQJVYHUVFKLHEXQJKDEH VLFKYRUDOOHPGDULQDXVJHGUFNWGDVVVLHZlKUHQGGHV*HVSUlFKVPLWGHU9HUWUDXWHQ VLPXOWDQJDQ]XQWHUVFKLHGOLFKH6LQQHVHLQGUFNHZDKUJHQRPPHQKDEH2EZRKOVLH LQ HLQHP 5HVWDXUDQW VD‰ KlWWH VLH 6FKLIIVJHUlXVFKH GLUHNW QHEHQ VLFK HEHQVR ZLH UK\WKPLVFKHV*ORFNHQVFKODJHQXQGGDV*HPXUPHOYRQ0HQVFKHQLQHLQHP+DIHQ JHK|UW'LHVH*HUlXVFKHVREHULFKWHWVLHVHLHQVRJDUVRLQWHQVLYJHZRUGHQGDVVVLH ihre Freundin nicht immer hätte hören können. 'LHYRQGHU3URWDJRQLVWLQEHVFKULHEHQH6]HQHULHUHDOLVLHUWGLH,QVWDOODWLRQLQGHU JHVDPWHQ6HTXHQ]LQHLQSUlJVDPHU:HLVHDNXVWLVFKGHQQGLH*HUlXVFKHGHU$X‰HQZHOWZHUGHQ±PLW%HJLQQGHV0RQRORJVDXIGHUPLWWOHUHQ/HLQZDQG±VXN]HVVLYHODXter, intensivieren sich so stark, dass sie schließlich die unmittelbare und eindringliche 3UlVHQ]GHUYRQGHU)UDXJHVFKLOGHUWHQ:DKUQHKPXQJYHUPLWWHOQ6FKLIIVK|UQHUXQG 3DGGHOJHUlXVFKHIOOHQQXQGHQJHVDPWHQ5DXPGHU,QVWDOODWLRQXQGYHUJHJHQZlUWLJHQHLQHQOlQJVWYHUJDQJHQHQ6LQQHVHLQGUXFN(UZLUGGXUFKPDULWLPH/DQGVFKDIWVDQVLFKWHQJHVWHLJHUWLQGHQHQGDVJOLW]HUQGH0HHUXQG6HJHOERRWHDP+RUL]RQWDXI GHU PLWWOHUHQ /HLQZDQG HUVFKHLQHQ 'LH 7RQHEHQH NRUUHVSRQGLHUW HEHQVR ZLH GLH %LOGHEHQH PLW GHP YRQ GHU +DXSW¿JXU JHVFKLOGHUWHQ :DKUQHKPXQJVHLQGUXFN GHU 6LPXOWDQHLWlWGHUGLHFKURQRORJLVFKH=HLWOLFKNHLWGDPLW*HJHQZDUWXQG9HUJDQJHQKHLWHEHQVRZLHGLH'LIIHUHQ]LHUXQJYRQ5lXPOLFKNHLWHQDXIKHEW 9,,,6FKZHEH]XVWDQG±]ZLVFKHQ'RNXPHQWDWLRQXQG)LNWLRQ 0LWGHUEHUGLHDNXVWLVFKHXQGYLVXHOOH,QV]HQLHUXQJLQWHQVLYLHUWHQUlXPOLFKHQXQG ]HLWOLFKHQ:DKUQHKPXQJYHUELQGHWVLFKRIIHQVLFKWOLFKDXFKHLQJHVWHLJHUWHUHPRWLRQDOHU=XVWDQGGHU3URWDJRQLVWLQ,QHLQHUGHUGDUDXIIROJHQGHQ6]HQHQLVWVLHDXJHQ IlOOLJGDUXPEHPKWGLHhEHUÀXWXQJLKUHU6LQQHVHLQGUFNHHLQ]XGlPPHQbX‰HUOLFK VLFKWEDU EHJLQQW VLH VLFK YRQ GHU$X‰HQZHOW DE]XVFKRWWHQ XQG YHUKlQJW GDV ]HQWUDOH)HQVWHULKUHV:RKQ]LPPHUVPLWHLQHUVFKZDU]HQVFKZHUHQ6WRIIEDKQ±LP 5LQJHQ XP HLQH RIIHQVLFKWOLFK DEKDQGHQ JHNRPPHQH *UHQ]H (QGOLFK HUNOlUW VLFK DXFK GDV YRUKHULJH LQWHQVLYH9HUQlKHQ GHU 6WRIIH DQ GHU 0DVFKLQH 'HQQ PLW GHQ PKVDP ]XVDPPHQJHQlKWHQ %DKQHQ PDUNLHUW VLH IDNWLVFK XQG KDSWLVFK HUIDKUEDU HLQHWUHQQVFKDUIH*UHQ]H]ZLVFKHQGHPlX‰HUHQ5DXPXQGGHQLQQHUHQYLHU:lQGHQ LKUHV+DXVHV±HLQVLFKWEDUHV=HLFKHQYHUORUHQHU'LVWDQ] 1DFKGHP$EKlQJHQGHV)HQVWHUVIROJWHLQHUQHXWHU6FKQLWWGHUGLHNRPSOHWWH ,QVWDOODWLRQEHWULIIW,P*HJHQVDW]]XUYRUDQJHJDQJHQHQ6]HQHZLUGQXQGHU$X‰HQUDXPWKHPDWLVLHUW=XJOHLFKVWHKWGLHQXQIROJHQGH6HTXHQ]IUGHQ+|KHSXQNWGHU

EIJA-LIISA AHTILA: THE HOUSE

Abb. 71: Eija-Liisa Ahtila: The House, 2002, Videostill der mittleren Projektionsfläche (VIII: Schwebezustand)

VXEMHNWLYHQ,PDJLQDWLRQVIlKLJNHLWGHU3URWDJRQLVWLQ6FKODJDUWLJVLQGDXIDOOHQGUHL /HLQZlQGHQ JUQH %DXPZLSIHO ]X VHKHQ 'LH .DPHUD EHZHJW VLFK LQ HLJHQWP OLFKHQ OHLFKW VFKZLQJHQGHQ %HZHJXQJHQ GXUFK GLH 6]HQHULH GHV :DOGHV 'LHVHU %HZHJXQJVPRGXVHUNOlUWVLFKEHLPQlFKVWHQ6FKQLWWDXIGHUPLWWOHUHQ/HLQZDQG GHQQ SO|W]OLFK VFKZHEW KLHU GLH )UDX LQ URWHU %OXVH VHOEVW LQV %LOG KDQJHOW VLFK UDVFKHOQGXQGVDFKWHDQGHQJUQHQbVWHQGHU1DGHOElXPHHQWODQJHUWDVWHWÀLHJHQG LKUH:HOWZlKUHQGGLH9|JHOGHV:DOGHV]ZLWVFKHUQ>$EE@'LHDXIGHP9LGHRVWLOODEJHELOGHWH8QWHUVLFKWPDFKWGLHVFKZLQGHOQGH+|KHXQGGLHVFKZHUHORVH3RVLWLRQ GHU 3URWDJRQLVWLQ GHXWOLFK GLH HKHU XQVLFKHU XQG YRUVLFKWLJ DQ GHQ %lXPHQ +DOWVXFKHQGGXUFKGLH/XIWÀLHJW,P:XQVFKQDFK(UGXQJJDUDQWLHUHQGLHJUQHQ ]LWWULJGQQHQbVWH]XPLQGHVWGHQPLWWHOEDUHQ.RQWDNW]XP%RGHQ'LH¿OPLVFKH ,QV]HQLHUXQJPDFKWGHXWOLFKGDVVGLH(UGDQ]LHKXQJLQGLHVHU6HTXHQ]EHLQDKHYROOVWlQGLJDX‰HU.UDIWJHVHW]WLVW(LQHUVHLWVYHUPLWWHOWGLH.DPHUDIKUXQJ]X$QIDQJ GHU 6HTXHQ] GHQ VFKZHEHQGHQ =XVWDQG DXV HLQHU VXEMHNWLYHQ 3HUVSHNWLYH LQGHP VLH DXI PLWWOHUHU %DXPK|KH GHQ :DOG LQ OHLFKW SHQGHOQGHQ %HZHJXQJHQ DE¿OPW DQGHUHUVHLWVZLUGDEHUDXFKGLH+DXSW¿JXUVHOEVWDOV2EMHNWLKUHULPDJLQLHUWHQ:HOW LQV 6]HQH JHVHW]W 6LH ZLUG ]XP =HQWUXP GHV *HVFKHKHQV 'DV YHUGHXWOLFKW DXFK GLHODQJH(LQVWHOOXQJLQGHUVLHDXIGHUPLWWOHUHQ/HLQZDQG]HQWUDOLQV%LOGJHVHW]W LVW >$EE @ %UDFKHQ GLH LPDJLQLHUWHQ (UHLJQLVVH LQGHQYRUDQJHJDQJHQ(U]lKO HWDSSHQHKHUVFKRFNDUWLJDXIGLH+DXSW¿JXUHLQVREHVLW]WVLHLQGLHVHU6]HQHHLQH

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

DNWLYH5ROOHLQLKUHULUUHDOHQ:HOW0LWGHUDEJHELOGHWHQ6]HQHKDWGLH3URWDJRQLVWLQ YROOVWlQGLJGHQVLFKHUHQ%RGHQHLQHUNRKlUHQWHQ(U]lKOXQJYHUODVVHQXQGVFKZHEW QXQVFKZHUHORVGXUFKHLQHQ¿NWLRQDOLVLHUWHQ5DXP'LHVH6HTXHQ]VHW]WJDQ]GHXWOLFK LQV %LOG GDVV KLHU QLFKW PHKU HLQH HLQ]HOQH DXI HLQHQ ]XVDPPHQKlQJHQGHQ (U]lKOUDXPEHVFKUlQNWH*HVFKLFKWHVRQGHUQHLQHLPDJLQLHUWH*HVFKLFKWHLQQHUKDOE HLQHUDQGHUHQVHOEVWZLHGHUXPYHU]ZHLJWHQ*HVFKLFKWHHU]lKOWZLUGZREHLEHLGH miteinander verwoben sind. 'LH%LOGHUVLQGLQGLHVHPYLHOVFKLFKWLJHQQDUUDWLYHQ5DKPHQPLQGHVWHQVGRSSHOW NRGLHUW (LQHUVHLWV VLQG VLH 7HLO HLQHU 1DUUDWLRQ EHU HLQH )UDX GHUHQ KRFKJUDGLJ VXEMHNWLYLHUWH 6LQQHVHLQGUFNH VLH ]XQHKPHQG LQ LKUHU $OOWDJVZHOW XQG :DKUQHKmung einschränken. Andererseits erhalten diese Bilder aber aufgrund ihrer räumOLFKHQ3UlVHQ]LP5DKPHQGHU,QVWDOODWLRQHLQHLPDJLQlUH4XDOLWlWGLHHLQH¿NWLRQDOH :HOWHQWZLUIWLQGHUWUDXPKDIWH'LQJHP|JOLFKVLQG'HU6FKZHEH]XVWDQGGHU3URWDJRQLVWLQGRNXPHQWLHUWLKUHSV\FKLVFKH9HUIDVVXQJ]XJOHLFKHUVFKDIIWHUDEHUDXFK HLQH ¿NWLYHV %LOG IU LKUH ,PDJLQDWLRQVNUDIW (U ZLUG IROJOLFK ]XP 6LQQELOG HLQHU ¿OPLVFKHQ(U]lKOXQJ]ZLVFKHQ'RNXPHQWDWLRQXQG)LNWLRQ ,;0RQRFKURPH%LOGHU±%LOGHUORVLJNHLW 1DFKGHPGLH)UDXHQWODQJGHU%lXPHELV]XLKUHP+DXVJHÀRJHQLVWXQGVLFKDP 'DFKVLPVEHUGLH6WW]HQGHU9HUDQGD]XP(UGERGHQKLQXQWHUJHKDQJHOWKDWHUIROJW HLQHUQHXWHU6FKQLWW(UEHWULIIWGLH*HVDPWKHLWGHU3URMHNWLRQVÀlFKHQXQGOHLWHWHLQH EHUHLWVEHNDQQWH6]HQHHLQ:LHGHUVLW]WGLH)UDXLQGHUPLWWOHUHQ3URMHNWLRQDQGHU 1lKPDVFKLQH ZlKUHQG DXV GHP 2II ZLHGHUKROW 6FKLIIVJHUlXVFKH XQG VFKUHLHQGH 0|ZHQ ]X K|UHQ VLQG GLH ZLU EHUHLWV DXV HLQHU GHU YRUDQJHJDQJHQHQ 6HTXHQ]HQ NHQQHQ$XIGHUOLQNHQ6HLWHLVWHLQ%OLFNDXVLKUHP+DXV]XVHKHQGHUMHGRFKQLFKW GLH$XVVLFKWDXIHLQHQ:DOGIUHLJLEWVRQGHUQ±NXULRVHUZHLVH±DXIHLQHQ0HHUHVKRUL]RQW ZRKLQJHJHQ GDV UHFKWH %LOG HLQH$QVLFKW GHV YHUKlQJWHQ :RKQ]LPPHU IHQVWHUV]HLJW'DQQHUIROJWZLHGHUXPHLQDEUXSWHU6FKQLWWQDFKHLQDQGHUYLVXDOLVLHUW GLH,QVWDOODWLRQYROOVWlQGLJPRQRFKURPH3URMHNWLRQVÀlFKHQHUVWURWGDQQEODXGDQQ JUQ =XHUVW ZHUGHQ GLH /HLQZlQGH )RUPDW IOOHQG YRQ OLQNV QDFK UHFKWV MHZHLOV DEUXSWDEHUVXN]HVVLYHYROOVWlQGLJURWEHOLFKWHWZlKUHQGGLHEHLGHQDQGHUHQ)DUEHQ QDFKIROJHQGMHZHLOVDXIHLQHQ6FKODJDXIDOOHQGUHL%LOGÀlFKHQVLPXOWDQDXIWDXFKHQ XPGDQQZLHGHU]XYHUVFKZLQGHQ$XVGHP2IIHU]lKOWGLH)UDXZlKUHQGGHVVHQYRQ %HREDFKWXQJHQ DP +DIHQ YRP 0HHU YRQ )OFKWOLQJHQ VR DOV YHUVSUDFKOLFKH VLH nun ihre Imaginationen. :HQLJHU GLH %LOGHU VRQGHUQ LKUH :RUWH EHVWLPPHQ QXQ GHQ5DXP:lKUHQGGHV0RQRORJVYHUVFKZLQGHQGLHOHW]WHQGUHLVLPXOWDQSURML]LHUWHQ JUQHQ %LOGÀlFKHQ XQG PDFKHQ HUQHXW GHQ IRWRJUD¿VFKHQ %LOGHUQ 3ODW] 1XQ LVWGLH)UDXQRFKPDOVDXIGHUPLWWOHUHQ3URMHNWLRQVÀlFKH]XVHKHQHEHQVRZLHGDV YHUKlQJWH)HQVWHU±OLQNV±XQGGDV)HQVWHUGHV$UEHLWV]LPPHUVPLW%OLFNDXIGDV 14 Der Inhalt dieser kurzen Erzählsequenz soll hier weitgehend außer Acht bleiben, da sie für den hier anvisierten Analyserahmen weniger von Bedeutung ist. Vgl. zu dieser Sequenz auch Mieke Bals Auseinandersetzung mit Ahtilas Installation: Bal 2007: »What if? The Language of Affect«.

EIJA-LIISA AHTILA: THE HOUSE

0HHU ± UHFKWV 2IIHQVLFKWOLFK YRQ GHP :XQVFK DQJHWULHEHQ GLHVH %LOGHU GLHVHQ %OLFNGXUFKV)HQVWHU]XYHUEDQQHQYHUIROJWVLHVFKOLH‰OLFKLKUEHUHLWV]XYRUVFKRQLQ 6]HQHJHVHW]WHV9RUKDEHQ,QHLQHUIROJHQGHQ(LQVWHOOXQJNDQQPDQDXIGHUPLWWOHUHQ /HLQZDQG EHREDFKWHQ ZLH GLH YRQ YLHOIlOWLJHQ 6LQQHVHLQGUFNHQ EHUÀXWHWH )UDX LKU+DXVPLWVFKZDU]HQ6WRIIHQDEGXQNHOWXPGLHDXIVLHHLQGULQJHQGHQ%LOGHUXQG 7|QH ]X YHUEDQQHQ 0LW HLQHP HUQHXWHQ 6FKQLWW DXI GHU UHFKWHQ 6HLWH WDXFKW GDQQ GDVEHUHLWVEHNDQQWH'RXEOHDXI0LWYHUVFKUlQNWHQ$UPHQHUNOlUWVLHDXVGHU,FK 3HUVSHNWLYHZDVGLH)UDXDXIGHPPLWWOHUHQ%LOG]XLKUHQZXQGHUOLFKHQ+DQGOXQJHQ treibt: ª,PDNHWKHKRXVHGDUN%HFDXVH,FDQ¶WJHWDZD\IURPWKHVRXQGV,VKXWRXW WKHLPDJHV:KHQ,GRQ¶WVHHDQ\WKLQJ,¶PZKHUHWKHVRXQGVDUH,QWKHVWUHHWRQWKH VKRUHRQWKHVKLS© 1DFK GLHVHQ :RUWHQ YHU¿QVWHUQ VLFK GLH 3URMHNWLRQVÀlFKHQ VXN]HVVLYH 'LH 6WRIIHElQGLJHQGDV/LFKWbKQOLFKZLHEHLHLQHU$EEOHQGHLQQHUKDOEHLQHU¿OPLVFKHQ 1DUUDWLRQLVWEDOGGHUJHVDPWH,QVWDOODWLRQVUDXPLQ'XQNHOKHLWJHKOOW$OOHLQ*HUlXVFKHVLQGQXQQRFK]XK|UHQ6FKLIIVK|UQHU0|ZHQGDV*HPXUPHOYRQ0HQVFKHQ QHUY|VHXQGVSlWHUYHUKDOOHQGH6FKULWWHVRZLHHLQXQGH¿QLHUWHV.ODFNHUQ±P|JOLFKHUZHLVH)OFKWOLQJHEHLGHU/DQGXQJ1DFKHLQLJHQ6HNXQGHQZLUGGDQQZLHGHUXP DXIGHUOLQNHQ6HLWHHLQHIURQWDOH$XIQDKPHGHU3URWDJRQLVWLQHLQJHEOHQGHWZlKUHQG GLHEHLGHQDQGHUHQ3URMHNWLRQVÀlFKHQ]XQlFKVWGXQNHOEOHLEHQ 'DVODQJVDPH9HUVFKZLQGHQXQGHUQHXWH(UVFKHLQHQGHU3URMHNWLRQVELOGHUXQWHUVWUHLFKWLQGLHVHU6HTXHQ]GLH%LOGOLFKNHLWGHUYLGHRJUD¿VFKHQ5HSUlVHQWDWLRQ'HQQ GDVSURML]LHUWH%LOGWDXFKWKLHUQLFKWLQVHLQHUXQKLQWHUIUDJWHQ3UlVHQ]DXIYLHOPHKU ZLUGVHLQHGHLNWLVFKH4XDOLWlWVHLQH]HLJHQGH)XQNWLRQXQWHUVWULFKHQ:HQQ(YLGHQ] GDV LVW ZDV HLQOHXFKWHW ZHLO HV DXVVWUDKOW GDQQ UHÀHNWLHUW JHUDGH GLH %HWRQXQJ GHU 6LFKWEDUNHLW XQG 8QVLFKWEDUNHLW GHV SURML]LHUWHQ %LOGHV GDV$XIEOHQGHQ XQG$EEOHQGHQ/LFKWXQG'XQNHOKHLWHEHQJHQDXMHQHELOGOLFKHzeigende4XDOLWlW GHU YLGHRJUD¿VFKHQ 5HSUlVHQWDWLRQ 'LH DOOPlKOLFKH9HUIHUWLJXQJ GHV %LOGHV EHLP 6LFKWEDUZHUGHQEHWRQWGHPHQWVSUHFKHQGGHVVHQPHGLDOH4XDOLWlW(UVWGLH3URMHNWLRQ GHV/LFKWHVVFKDIIWGDV¿OPLVFKH%LOGGDVHLQOHXFKWHWZHLOHVDXVVWUDKOW'LHWHPSRUlUH%LOGHUORVLJNHLWGLHVHU6HTXHQ]EH]HLFKQHWGLHPHGLDOH%HGLQJXQJGHUNLQHPDWR JUD¿VFKHQ3URMHNWLRQ ;'HU9HUOXVWGHVHLJHQHQ2UWHVXQG1HXSRVLWLRQLHUXQJ±9LHOIDOWGHU3HUVSHNWLYHQ 'LH$EEOHQGHLQGHUYRUDQJHJDQJHQHQ6]HQHJUQGHWHLQGHUEHVFKULHEHQHQ+DQGOXQJGHU3URWDJRQLVWLQGLHLKUH)HQVWHUYHUGXQNHOWH,QGHUQXQIROJHQGHQ6]HQHGLH PLWHLQHPHUQHXWHQ6FKQLWWHU|IIQHWZLUGLVWGLH$XIEOHQGHKLQJHJHQOHGLJOLFKDOV 5HVXOWDWGHU¿OPLVFKHQ0RQWDJHDQ]XVHKHQXQGQLFKWEHUGLH+DQGOXQJPRWLYLHUW± DOVRQLFKWHWZDZHLOGLH3URWDJRQLVWLQGLHVFKZDU]HQ6WRIIHZLHGHUYRQGHQ)HQVWHUQ QLPPW 'DV *HVLFKW GHU +DXSW¿JXU WDXFKW QXQ DXI GHU UHFKWHQ 6HLWH GHU ,QVWDOOD WLRQYRUHLQHPVFKZDU]HQQHXWUDOHQ*UXQGDXI'LH)UDXHUVFKHLQWKLHUHLJHQWPOLFK 15 Zur deiktischen Qualität von Bildern vgl. auch Boehm 2007: Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

X QYHURUWHW'HUKlXVOLFKH8PUDXPLVWQLFKWPHKU]XVHKHQ'LHVH,QV]HQLHUXQJVVWUDWHJLHVFKHLQWGHQ¿OPLVFKHQ5DXPLQVHLQHUNRQVWUXNWLYHQLQV]HQLHUWHQ4XDOLWlW]X EHWRQHQ'LHVHU(LQGUXFNZLUGYRUDOOHPGDGXUFKYHUVWlUNWGDVVGLH6WLPPHHUQHXW DXVGHP2IIVSULFKWZlKUHQGGLH+DXSW¿JXUEHLQDKHXQEHZHJWLQV/HHUHVWDUUW1XU DEXQGDQ]ZLQNHUWGLH)UDXPLWGHQ$XJHQVFKDXWDEHUDQVRQVWHQVFKZHLJHQGLQGLH )HUQH+DWWHGLH+DXSW¿JXULQGHQYRUDQJHJDQJHQHQ6]HQHQLKUH(LQGUFNHVHOEVW DUWLNXOLHUWWUHWHQKLHUGLH7RQVSXUXQGGLHN|USHUOLFKH3HUIRUPDQ]HUQHXWDXVHLQDQGHU'D7RQXQG%LOGHEHQHQLFKWXQPLWWHOEDUPLWHLQDQGHUYHUEXQGHQVLQGNRPPW LQGLHVHU6]HQHQRFKHLQPDOGLHWHFKQLVFKH6HLWHGHV0HGLXPVVHLQHYLVXHOOHDEHU DXFKDNXVWLVFKH%DVLV]XU5HÀH[LRQ'DV0HGLXPZLUGGXUFKGDV$XIEUHFKHQGHU 7RQ%LOG.RKlUHQ]PDUNLHUW'LH6WLPPHDXVGHP2IIYHUOHLKWGHPLQQHUHQIUHPGEHVWLPPWHQ=XVWDQGGHUOHGLJOLFKlX‰HUOLFKVLFKWEDUHQ3HUVRQ$XVGUXFN6LHHU]lKOW DXVGHU,FK3HUVSHNWLYHZLH0HQVFKHQVFKPHU]OLFKYRQLKU%HVLW]HUJULIIHQKDEHQ XQGPLWVFKODIZDQGOHULVFKHU6LFKHUKHLWLKUHYHUZXQGEDUHQ6WHOOHQDXV¿QGLJPDFKHQ ª,PHHWSHRSOH2QHDWDWLPHWKH\VWHSLQVLGHPHDQGOLYHLQVLGHPH6RPHRIWKHP RQO\IRUDPRPHQWVRPHVWD\7KH\VHWXSZKHUHYHUWKH\ZDQWWRDQGWDNHP\IDFLDO H\SUHVVLRQVRUP\OHJ¶VUHVWLQJSRVLWLRQDQGSXWWKHLURZQLQWKHLUSODFH7KH\OLHRQ P\EDFNDQGSUHVVWKHLUWRHVLQWRP\$FKLOOHVWHQGRQV© 'LHVHU0RQRORJZLUGVXN]HVVLYHDXIGHQEHLGHQDQGHUHQ/HLQZlQGHQGXUFKGLH 6LFKWDXIHLQHQZHL‰HQOHHUHQ5DXPHUJlQ]WGHUDXVYHUVFKLHGHQHQ.DPHUDSHUVSHNWLYHQLQ6]HQHJHVHW]WLVW1DFKNXU]HU=HLW]HLJHQDOOHGUHL/HLQZlQGHGLHVHQNDUJHQPHQVFKHQOHHUHQ2UWGHUNHLQH2EMHNWHHQWKlOWXQGHLJHQWOLFKGDQDFKYHUODQJW JHIOOW]XZHUGHQ'LHVHZHL‰HQ5DXPDQVLFKWHQELOGHQHLQNRQWUDVWLYHV3HQGDQW]X GHUYRUDQJHJDQJHQHQ6HTXHQ]LQGHUGLH/HLQZlQGHOHGLJOLFKVFKZDU]ZDUHQ'XUFK GLHVHQ.RQWUDVWGHU/LFKWPLW'XQNHOKHLWNRQIURQWLHUWNRPPWHUQHXWGDV0HGLXP ]XU5HÀH[LRQ=XJOHLFKVFKHLQWGHUOHHUH5DXPDEHUDXFKGHQSV\FKLVFKHQ=XVWDQG GHU3URWDJRQLVWLQ]XYHUVLQQELOGOLFKHQ(ULVWQLFKWJHIOOWPLWHLJHQHQ'LQJHQYHUWUDXWHQ 2EMHNWHQ HLQHU PDWHULHOOHQ:HOW DQ GHU VLFK ,GHQWLWlWHQ DXVELOGHQ N|QQHQ /HHUH5lXPHN|QQHQOHLFKWHUEHVHW]WZHUGHQJHIOOWHKLQJHJHQELOGHQHLQHQ:LGHUVWDQGEHL9HUHLQQDKPXQJHQXQGhEHUJULIIHQYRQDX‰HQ6RVLQG+DXVEHVHW]XQJHQ erheblich schwieriger, wenn die Orte bereits bewohnt sind. 1DFK GLHVHP LPSRVDQWHQ %LOGHQVHPEOH DXV OHHUHQ 5DXPDQVLFKWHQ WDXFKW VFKOLH‰OLFKGLHEHUHLWVEHNDQQWH3RUWUlWDQVLFKWGHUVFKZHLJHQGHQ)UDXDXIGHUPLWWOHUHQ/HLQZDQGZLHGHUDXI6LHGLDJQRVWL]LHUWGDVVGLHREHQEHVFKULHEHQHQ(LQGULQJOLQJHLPPHUJHQDXGDQQNRPPHQZHQQVLHSDXVLHUWVLFKQLFKWXPLKUHLQQHUH 2UGQXQJVRUJWQlPOLFKGDQQZHQQGHU=ZHLIHODPJU|‰WHQLVWª7KH\DSSHDULQ HYHU\SDXVHDQGFRPHRXWZKHQ,DPLQGRXEWDQG¿OODOOWKHHPSW\VSDFH©'RFK VLH VFKOLH‰W PLW HLQHP KRIIQXQJVYROOHQ 6DW] GHP HEHQVR KRIIQXQJVYROOH %LOGHU IROJHQ ± YLHOOHLFKW ZHLO VLH GDV SURGXNWLYH 3RWHQWLDO GHU /HHUH XQG GHV9HUOXVWV erkennt und neuen Boden unter den Füßen gewinnt: »I shake and say to myself for DORQJWLPHJRRGUHDOO\JRRG©:lKUHQGGLHVHVOHW]WHQ6DW]HVIROJWHLQHUQHXWHU 6FKQLWW(U]LHKWVLFKEHUDOOHGUHL/HLQZlQGH1RFKHLQPDOVLQGGLHOHHUHQ5lXPH ]XVHKHQ'DQQZLUGHVVWLOO8QGPLWHLQHP0DO]HLJHQGLH3URMHNWLRQHQ%LOGHUYRQ

EIJA-LIISA AHTILA: THE HOUSE

Abb. 72: Eija-Liisa Ahtila: The House, 2002, Ausstellungsansicht in der Binding-Brauerei (X: Der Verlust des eigenen Ortes und Neupositionierung)

JUQHQVRQQLJHQ3URYLQ]HQPLW%DXHUQKlXVHUQ>$EE@6LHOLHJHQZLHEUDXQH JUDVHQGH .KH XQDXIJHUHJW LQ GHU ÀDFKHQ ¿QQLVFKHQ /DQGVFKDIW 'LH VWDWLVFKH .DPHUDKDW%RGHQKDIWXQJQLPPWHLQHQ6WDQGSXQNWDXIGHU(UGHHLQXQGEOLFNWDXI PHQVFKOLFKHU$XJHQK|KHLQGLHOlQGOLFKH6]HQHULH*HK|IWH:LHVHQDXFK)HOGHU :DUGLHYRUDQJHJDQJHQH6HTXHQ]GXUFKZHL‰HQLFKWIDUELJH$XIQDKPHQJHNHQQ]HLFKQHWGDQQ]HLJHQGLHVH3URMHNWLRQHQIDUELJHVDWWH%LOGHU+DWWHGLH+DXSW¿JXU GHQ%RGHQXQWHUGHQ)‰HQYHUORUHQ>$EE@ZDULKUH9HUIDVVXQJGXUFKGHQ9HUOXVWGHVHLJHQHQ6WDQGSXQNWVGXUFKGHQ9HUOXVWGHVHLJHQHQ2UWHVJHNHQQ]HLFKQHW GDQQVLQGQXQJDQ]RIIHQVLFKWOLFKQHXH3HUVSHNWLYHQHQWVWDQGHQQHXH%LOGHUQHXH 2UWH QHXH 3RVLWLRQHQ 'LH /DQGVFKDIWVDQVLFKWHQ YHUPLWWHOQ GHQ (LQGUXFN GDVV das Ringen um einen kohärenten Raum aufgegeben ist: Hier sind viele Häuser in HLQHP%LOGJOHLFK]HLWLJVLFKWEDU0DQFKHVLQGP|JOLFKHUZHLVHOHHUDQGHUHELVDQ GLH'HFNHJHIOOW1HEHQHLQDQGHUH[LVWLHUHQGVWHOOHQVLHVLFKMHGRFKQLFKWLQIUDJH $XFKGLH6WLOOHLVWDXIJHJHEHQ'HU:LQGUDXVFKWLQGHQ%OlWWHUQGHU%lXPHEULQJW IULVFKH/XIW6LHVWHKWQLFKWVWLOO±JHQDXVRZHQLJZLHGLH%LOGHU

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

ZUR REFLEXION MASSENMEDIALER BILDKULTUREN: »THE WAY HOLLYWOOD TELLS IT« Bordwell und das Mainstream-Kino

,P)ROJHQGHQZHUGHLFKGHU7KHVHQDFKJHKHQGDVV(LMD/LLVD$KWLODPLWLKUHPDXIGHU .DVVHOHU$XVVWHOOXQJ SUlVHQWLHUWHQ :HUN HLQ ZHLWHUHV )HOG GHU PDVVHQPHGLDOHQ %LOGNXOWXUHLQJHKHQGUHÀHNWLHUWXQGVLFKGDGXUFKLQHLQ'LIIHUHQ]YHUKlOWQLVJHJHQEHUGHU 0DVVHQPHGLHQNXOWXUVHW]WNRQNUHWJHJHQEHUGHP0DLQVWUHDP)LOPXQGVHLQHPWUDGLWLRQHOOHQ$XIIKUXQJVRUWGHP.LQR'HU86DPHULNDQLVFKH)LOPZLVVHQVFKDIWOHU'DYLG %RUGZHOOKDWVLFKLQWHQVLYPLWGHQ'DUVWHOOXQJVNRQYHQWLRQHQGHV0DLQVWUHDP.LQRVDP %HLVSLHOYRQ+ROO\ZRRGDXVHLQDQGHUJHVHW]W6HLQH%HREDFKWXQJHQ]XGLHVHP7HLOEHUHLFK GHU0DVVHQPHGLHQNXOWXUN|QQHQLQ%H]XJ]X$KWLODV9LGHRLQVWDOODWLRQJHVHW]WZHUGHQ %RUGZHOOXQWHUVXFKWLQVHLQHU)RUVFKXQJ3ORWVWUXNWXUHQXQGGDVYLVXHOOH5HSHUWRLUH86 DPHULNDQLVFKHU 6SLHO¿OPH 1DUUDWLRQVPXVWHU (LQVWHOOXQJHQ .DPHUDIKUXQJ 6FKQLWW /LFKW)DUEHHWF 6HLQH)RUVFKXQJVDUEHLWZLGPHWVLFKYRUDOOHP]ZHLKLVWRULVFKHQ$EVFKQLWWHQHLQHUVHLWV6SLHO¿OPSURGXNWLRQHQ]ZLVFKHQXQGGHPVRJHQDQQWHQ Classical Hollywood CinemaGDVVLFKYRUZLHJHQGGXUFK6WXGLRSURGXNWLRQHQXQGGLH (WDEOLHUXQJ YRQ UHODWLY YHUELQGOLFKHQ (U]lKOVWUXNWXUHQ XQG 'DUVWHOOXQJVNRQYHQWLRQHQ DXV]HLFKQHWH und andererseits dem sogenannten Postclassical Hollywood Cinema, das KlX¿JPLWGHQHU-DKUHQLQ$QVFKODJJHEUDFKWZLUG. Bordwell betont, dass sich QDFKHLQVFKOlJLJHU)RUVFKXQJVPHLQXQJGLHVHVHLWGHQHU-DKUHQSURGX]LHUWHQ)LOPH GXUFKHLQHYHUVWlUNWH)UDJPHQWLHUXQJGHU1DUUDWLRQXQGGXUFKGDV$XIEUHFKHQHKHPDOV NRQYHQWLRQDOLVLHUWHU'DUVWHOOXQJVIRUPHQDXV]HLFKQHWHQ(UVHOEVWMHGRFKVHW]WVLFKGH]LGLHUWLQNULWLVFKH'LVWDQ]]XGLHVHUKlX¿JLQGHU)RUVFKXQJNRQVWDWLHUWHQ¿OPKLVWRULVFKHQ Zäsur.6HLQH%HREDFKWXQJHQGHVSRSXOlUHQ0DVVHQNLQRVYHUGHXWOLFKHQGDVV¿OPLVFKH ,QQRYDWLRQHQLP+LQEOLFNDXIªSORWDQGYLVXDOVW\OH© immer nur auf der Basis konvenWLRQDOLVLHUWHU 5HSUlVHQWDWLRQVVWUXNWXUHQ VWDWW¿QGHQ 8QNRQYHQWLRQHOOH 1DUUDWLRQVVWUXNWXUHQLQQRYDWLYH.DPHUDHLQVlW]HXQGQRUPDEZHLFKHQGH%LOGDXÀ|VXQJHQN|QQHQQXU VRVHLQH7KHVHLQQHUKDOEHLQHVVSH]L¿VFKHQEHUHLWVHWDEOLHUWHQ5HJHOV\VWHPVUHDOLVLHUW ZHUGHQ=ZDUPDFKWHUGXUFK]DKOUHLFKH$QDO\VHQSRSXOlUHU0DLQVWUHDP.LQR¿OPH9HUVFKLHEXQJHQLQGHQQDUUDWLYHQHEHQVRZLHLQGHQYLVXHOOHQ5HSUlVHQWDWLRQVIRUPHQGHXWOLFKDEHUHUEHWRQWYRUDOOHPDXFKZLHVWDUNGLHVHYHUPHLQWOLFKHQ1HXHUXQJHQDXIEHUHLWV LQGHU)LOPJHVFKLFKWHHWDEOLHUWHQ'DUVWHOOXQJVNRGHVEDVLHUHQ 6HLQHHUVFKLHQHQH3XEOLNDWLRQThe Way Hollywood Tells It, die sich vorwieJHQG PLW GHP ]HLWJHQ|VVLVFKHQ SRSXOlUHQ 86DPHULNDQLVFKHQ )LOP DXVHLQDQGHUVHW]W ± XQG JDQ] DXVGUFNOLFK QLFKW LQ WUDGLWLRQHOOHU 'LIIHUHQ]LHUXQJ XQG )URQWVWHOOXQJ PLW Blockbuster6WUHLIHQXQGArthouse0RYLHV±HQWIDOWHWHLQGUFNOLFKGDVVGDV0DVVHQNLQR 16 17 18 19 20

Vgl. Bordwell/Staiger/Thompson 1985: The Classical Hollywood Cinema. Vgl. Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It. Vgl. Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 7 ff. Vgl. Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 7 ff. Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 17.

EIJA-LIISA AHTILA: THE HOUSE

LQHLQNXOWXUHOOKRFKYHUELQGOLFKHV6\VWHPDQNLQHPDWRJUD¿VFKHQ'DUVWHOOXQJVNRQYHQWLRQHQHLQJHEXQGHQLVW'LHVH'DUVWHOOXQJVNRQYHQWLRQHQZHUGHQVR%RUGZHOOV7KHVH sowohl von technischen und institutionellen Rahmenbedingungen bestimmt, ebenso wie VLHDXI|NRQRPLVFKRULHQWLHUWHQ3URGXNWLRQVSUD[HQEDVLHUHQ'LH)RUPHQGHU0DVVHQ PHGLHQNXOWXUVWHOOHQVLFKLQGHU6LFKWGHV)LOPZLVVHQVFKDIWOHUVIROJOLFKDOVHLQNRPSOH[HV (QVHPEOHDXVNXOWXUHOOHP:LVVHQ7HFKQLN,QVWLWXWLRQHQ3UD[HQXQGgNRQRPLHGDU:LH LP )ROJHQGHQ ]X VHKHQ VHLQ ZLUG UHÀHNWLHUW DXFK$WKLODV9LGHRLQVWDOODWLRQ GLHVH KLHU JUREVNL]]LHUWHQGLVSRVLWLYHQ6WUXNWXUHQGHUPDVVHQPHGLDOHQ%LOGNXOWXU 'HQ QDUUDWLYHQ DEHU DXFK YLVXHOOHQ 6WUXNWXUHQ GHV WUDGLWLRQHOOHQ 86DPHULNDQLVFKHQ0DVVHQNLQRVVFKUHLEW%RUGZHOO]XGHPHLQHlKQOLFKSDUDGLJPDWLVFKH6WHOOXQJ]X ZLHHWZDGHU'DUVWHOOXQJVNRQYHQWLRQGHU=HQWUDOSHUVSHNWLYH(UEHWRQWLQVHLQHQ$XVführungen die Herausbildung eines hoch konventionalisierten und internationalisierten 5HSUlVHQWDWLRQVV\VWHPV Film GDV VHOEVW KLVWRULVFK DXI YLHOIlOWLJH 0HGLHQ ]XUFNJHJULIIHQXQGGHUHQ'DUVWHOOXQJVP|JOLFKNHLWHQDGDSWLHUWKDEH »The classical tradition has become a default framework for international cinematic expression, a point of departure for nearly every filmmaker. The premises of classical storytelling have played a role similar to that played by the principles of perspective in visual art. Many different schools of painting, from Renaissance classicism to surrealism and modern figural art, work with the assumptions of perspective projection. Likewise, most traditions of commercial moviemaking adopt or recast classical premises of narrative and style. Historically, these premises sprang mostly out of other media. From popular literature and drama came principles of plotting: psychological causality, planting and payoff, rising action, and recurrent motifs. From theater, painting, photography, and the graphic arts came ideas about spatial vantage points and pictorial composition. Other premises derived from cinema’s particular resources, such as the possibility of breaking a scene into closer views of characters, or joining disparate spaces through altering editing. Soon after movies became a public entertainment, filmmakers tested all these principles in haphazard fashion. By 1917 American filmmakers had synthesized them into a unified style, and it was this style, within the next decade, that was taken up and developed around the world.« 

'LH YRQ %RUGZHOO SRLQWLHUWEHVFKULHEHQHQ KLVWRULVFK JHZDFKVHQHQ XQG LQWHUQDWLRQDOKRFKJUDGLJYHUELQGOLFKHQ'DUVWHOOXQJVNRQYHQWLRQHQGHV+ROO\ZRRGNLQRVODVVHQ VLFK SURGXNWLY PLW$KWLODV 9LGHRLQVWDOODWLRQ LQ 9HUELQGXQJ VHW]HQ$XFK LKU :HUN VFKHLQWVLFKPLWGHQKLHUJUREVNL]]LHUWHQ'DUVWHOOXQJVPLWWHOQGHV0DLQVWUHDP.LQRV DXVHLQDQGHU]XVHW]HQ 2KQH=ZHLIHOVFKUHLEW%RUGZHOOHLQHDP0DVVHQPHGLXPDXVJHULFKWHWH)RUPHQ JHVFKLFKWH1LFKW]XOHW]WGHVZHJHQEH]LHKWHUVLFKDXFKDQHLQLJHQ6WHOOHQDXI:|OIÀLQ 21 Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 12 f; vgl. hierzu auch: Bordwell/Staiger/ Thompson 1985: The Classical Hollywood Cinema, darin das Kapitel von Kristin Thompson: The Formulation of the Classical Style (S. 155–240). 22 Vgl. Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 188 ff; auch: Bordwell/Thompson 2008: Film Art, S. 440.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

XQGIUDJWNULWLVFKQDFKGHQKLVWRULRJUD¿VFKHQ2UGQXQJVNDWHJRULHQGHU86DPHULNDQLVFKHQ )LOPJHVFKLFKWH ªFODVVLFDO© ªSRVWFODVVLFDO© ªFODVVLFDOSOXV FLQHPD©  0DQ N|QQWHVHLQHQ)RUVFKXQJVDQVDW]DOVªHLQH0RUSKRORJLHGHUPDVVHQPHGLDOHQ%LOGNXOWXU DP %HLVSLHO GHV .LQRV© EHVFKUHLEHQ GLH MHGRFK QLFKW YRQ HLQHP DXWRQRPHQ )RUPUHSHUWRLUH VRQGHUQ K|FKVW VWDQGDULVLHUWHQ 'DUVWHOOXQJVNRQYHQWLRQHQ DXVJHKW 6HLQ )RUVFKXQJVDQVDW]YHUVXFKWYRUGLHVHP+LQWHUJUXQGGDV6SDQQXQJVIHOGYRQ1RUPXQG $EZHLFKXQJLQGHQ%OLFN]XQHKPHQZREHLHUVLFKYHUVWlUNWPLWGHP5HJHOV\VWHPXQG ZHQLJHUPLWGHQ$XVQDKPHQEHVFKlIWLJW,P+LQEOLFNDXIVHLQH$QDO\VHGHV]HLWJHQ|Vsischen Hollywoodkinos formuliert er sein Vorgehen folgendermaßen: »A complete account of Hollywood’s creative options, then should recognize both novel storytelling devices and the well-proven narrative purposes they serve. To those who think that the blockbuster era introduced a mindless uniformity, I want to suggest that American cinema continues to host innovative narrative strategies. To those who think that the tradition has collapsed, I’ll try to show that the principles of that system remain firmly in force – sometimes refined and reweighted, but not rejected.« 

%RUGZHOOV]HQWUDOHV$QOLHJHQLVWHVªFHQWUDOFRQVWUXFWXDOSULQFLSOHVRIFRQWHPSRUDU\ PRYLHPDNLQJ©]XHU|UWHUQXQGªFRPPRQVWUDWHJLHVRISORWWLQJQDUUDWLRQDQGYLVXDO VW\OH© IUHL]XOHJHQ 6HLQH SURIXQGH DXI YLHOIlOWLJHQ 4XHOOHQ XQG )LOPHQ JUQGHQGH$QDO\VH ]HLJW VHKU SODXVLEHO PLW ZHOFKHQ 'DUVWHOOXQJVIRUPHQ GDV JHZ|KQOLFKH DOOWlJOLFKH0DVVHQNLQR±ordinary Hollywood±DUEHLWHW%RUGZHOOV%HVFKUHLEXQJHQ NRQYHQWLRQDOLVLHUWHU5HSUlVHQWDWLRQVVWUXNWXUHQGHV]HLWJHQ|VVLVFKHQ+ROO\ZRRGNLQRV ODVVHQVLFKHUVWDXQOLFKSURGXNWLYPLWGHQLPYRUDQJHJDQJHQHQ.DSLWHOEHUHLWVVNL]]LHUWHQnarrativen und visuellen 'DUVWHOOXQJVPLWWHOQYRQ$KWLODV9LGHRLQVWDOODWLRQLQ HLQ'LIIHUHQ]YHUKlOWQLVVHW]HQ(VZLUGLP)ROJHQGHQGDUXPJHKHQGLH9LGHRLQVWDOODWLRQ YRQ$KWLOD LQ LKUHQ$EJUHQ]XQJHQ DEHU DXFK %H]XJQDKPHQ JHJHQEHU GHP 0DVVHQNLQR+ROO\ZRRGV]XHU|UWHUQ Sequenz, Einstellung und Szene

=XQlFKVW OlVVW VLFK JDQ] EDVDO IHVWKDOWHQ GDVV$KWLOD DOOHLQ EHU GLH GUHLNDQDOLJH 3URMHNWLRQ GLH WUDGLWLRQHOOHQ 'DUVWHOOXQJVHLQKHLWHQ GHV NRQYHQWLRQDOLVLHUWHQ +ROO\ZRRG¿OPVDXIEULFKW'LHVHELOGHQ]XJOHLFKGLH)XQGDPHQWHIDVWMHGHUDP0HGLum orientierten Filmanalyse XQG OLHIHUQ DXFK EHL %RUGZHOO GDV *UXQGJHUVW GHU $UJXPHQWDWLRQ'LHSequenz, die Szene und die Einstellung. In der Filmtheorie werGHQGLHVH(LQKHLWHQIUJHZ|KQOLFKDXIGHU(EHQHGHV)LOPPDWHULDOVDOVOLQHDUXQG 23 Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, insbesondere das Kapitel Introduction. Beyond the Blockbuster (S. 1–18). 24 Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 16. 25 Bordwell: The Way Hollywood Tells It, S. 17. 26 Bordwell: The Way Hollywood Tells It, S. 18. 27 Vgl. beispielsweise Steinmetz/Steinmann/Uhlig/Blümel 2005: Filme sehen lernen.

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FKURQRORJLVFKYRUDXVJHVHW]W6HTXHQ]HQIROJHQDXI6HTXHQ]HQ6]HQHQDXI6]HQHQ XQG(LQVWHOOXQJHQDXI(LQVWHOOXQJHQLQHLQHUVXN]HVVLYHQ5HLKHQIROJH (LQH Sequenz EH]HLFKQHW IU JHZ|KQOLFK HLQHQ NRKlUHQWHQ (U]lKO]XVDPPHQKDQJGHU¿OPLVFKHQ1DUUDWLRQGHUJHVFKQLWWHQDEHUDXFKXQJHVFKQLWWHQVHLQNDQQ 6HTXHQ]HQELOGHQGLH*UXQGHOHPHQWHGHV)LOPVVLHEHVWHKHQPLQGHVWHQVDXV]ZHL RGHUDXFKPHKUHUHQ(LQVWHOOXQJHQXQGN|QQHQGHPHQWVSUHFKHQGDXFKPHKUHUH6]HQHQEHLQKDOWHQ6HTXHQ]HQELOGHQHLQHQQDUUDWLYHQRGHUDEHUDXFKIRUPDOHQ=XVDPPHQKDQJLQQHUKDOEGHU1DUUDWLRQ%H]HLFKQHQGLVWGDVVVLHLPWUDGLWLRQHOOHQ(U]lKONLQRGLH%DVLVGHU1DUUDWLRQXQGLKUHUGUDPDWXUJLVFKHQ.RQVWUXNWLRQELOGHQ Ahtilas Videoinstallation konterkariert diesen medialen Aufbau durch die dreikanalige LichtELOGSURMHNWLRQ'HQQVLHKHWHURJHQLVLHUWGLH1DUUDWLRQGXUFKGLHGUHL/HLQZlQGHXQG VHTXHQWLDOLVLHUWLKUH1DUUDWLRQGDGXUFKDXIGHUYLVXHOOHQ (EHQHpolylinear:HQQLFK IROJOLFKLQGHUYRUDQJHJDQJHQHQ%HVFKUHLEXQJGHV:HUNVYRQHLQHU6HTXHQ]JHVSURFKHQKDEHGDQQEH]RJVLHVLFKDXIHLQHQPHLVWEHUGUHL/HLQZlQGHsimultan visualisierten PlotGHULPWUDGLWLRQHOOHQ.LQRZHQQEHUKDXSWQXUFKURQRORJLVFKXQG GDPLWVXN]HVVLYHXQGmonolinear sichtbar werden kann. ,QQHUKDOEHLQHVDXV6HTXHQ]HQ]XVDPPHQJHVHW]WHQ)LOPVELOGHWKLQJHJHQHLQH Einstellung GLH NOHLQVWH %HGHXWXQJ WUDJHQGH ¿OPLVFKH (LQKHLW 6LH EHJLQQW XQG HQGHWPLWHLQHP6FKQLWWRGHUHLQHU$EE]Z$XIEOHQGH$XIGHUPDWHULHOOHQ(EHQH KDQGHOWHVVLFKKLHUXPHLQNRQWLQXLHUOLFKEHOLFKWHWHV6WFN)LOPLQGHPHVNHLQHQ 6FKQLWWJLEW$KWLODXQWHUOlXIWGLHVHNRQYHQWLRQDOLVLHUWH'DUVWHOOXQJVIRUPGLHGLH =XVFKDXHULQHLQHPNRKlUHQWHQ¿OPLVFKHQ5DXPRULHQWLHUW'HQQHLQH(LQVWHOOXQJ EDVLHUWLPWUDGLWLRQHOOHQ.LQRIUJHZ|KQOLFKDXIHLQHPUDXP]HLWOLFKHQ.RQWLQXXP GDV MHGRFK LQQHUKDOE GHU ,QVWDOODWLRQ SUHLVJHJHEHQ ZLUG$WKLOD HUJlQ]W GXUFK GHQ YLVXHOOHQ $XIEDX GHU (U]lKOXQJ DXI GUHL 3URMHNWLRQVÀlFKHQ GLH (LQ]HODXIQDKPH GXUFKMHZHLOV]ZHLZHLWHUH%LOGHUXQGEULFKWGDPLWGLH+RPRJHQLWlWGHVUDXP]HLWOLFKHQ=XVDPPHQKDQJVDXI0LWGLHVHU6WUDWHJLHIKUWVLHGLHH[NOXGLHUHQGH(LJHQVFKDIWGHV¿OPLVFKHQ%LOGHVYRU$XJHQGHQQHVZHUGHQDOWHUQDWLYH$QVLFKWHQHLQHU DQVRQVWHQ OHGLJOLFK HLQ]HOQ SURML]LHUWHQ (LQVWHOOXQJ VLFKWEDU >YJO EVSZ $EE  $EE@0LWGLHVHU,QV]HQLHUXQJVVWUDWHJLHVXVSHQGLHUWGLH.QVWOHULQHLQHQNRKlUHQWHQ(U]lKOUDXPZLHLKQGDVWUDGLWLRQHOOH.LQRLQQHUKDOEHLQHU(LQVWHOOXQJYRUVLHKW NRPSOHWW /HGLJOLFK HLQH GHU OHW]WHQ EHVFKULHEHQHQ 6HTXHQ]HQ LQ GHU HV XP GHQ9HUOXVWGHVHLJHQHQ2UWHVJHKWHULQQHUWDQGLHYHUORUHQJHJDQJHQH.RKlUHQ],Q GLHVHULVWHLQH3RUWUlWDQVLFKWGHU3URWDJRQLVWLQDXIGHUUHFKWHQ/HLQZDQG]XVHKHQ ZlKUHQGGLHDQGHUHQEHLGHQ3URMHNWLRQVÀlFKHQGXQNHOEOHLEHQ (LQHSzeneEHVFKUHLEWIUJHZ|KQOLFKQDFKGHU(LQVWHOOXQJGLHQlFKVWJU|‰HUH %HGHXWXQJWUDJHQGH(LQKHLWLP)LOP6LHZLUGDOVEinheit von Ort und ZeitGH¿QLHUW'LH'H¿QLWLRQVWDPPWXUVSUQJOLFKDXVGHU'UDPHQWKHRULH(LQH6]HQHNDQQ DXVPHKUHUHQ(LQVWHOOXQJHQEHVWHKHQXQGZHFKVHOWHQWVSUHFKHQGGHUWUDGLWLRQHOOHQ ¿OPLVFKHQ .RQYHQWLRQHQ PHLVWHQV DXFK QLFKW GHQ +DQGOXQJVUDKPHQ $KWLODV 28 Vgl. Steinmetz/Steinmann/Uhlig/Blümel 2005: Filme sehen lernen, S. 41. 29 Vgl. Steinmetz/Steinmann/Uhlig/Blümel 2005: Filme sehen lernen, S. 20.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

9LGHRLQVWDOODWLRQ KLQJHJHQ VSUHQJW DXFK GLHVHQ 5DKPHQ KlX¿J DXI HWZD GDQQ ZHQQ LKUH 3URWDJRQLVWLQ DXI PLQGHVWHQV HLQHU /HLQZDQG LP:RKQRGHU$UEHLWV]LPPHULKUHV+DXVHV]XVHKHQLVWZlKUHQGHLQHDQGHUHVLPXOWDQH3URMHNWLRQGLH :HOWDX‰HUKDOELKUHUYLHU:lQGHXQGGDPLWKlX¿JGLHLPDJLQlUH:HOWGHU+DXSW¿JXU YLVXDOLVLHUW >$EE @ 3DUDOOHOPRQWDJHQ VLQG LQ$KWLODV polylinear organiVLHUWHQ6]HQHQKlX¿JQLFKWVXN]HVVLYHLQGHU=HLWVRQGHUQUlXPOLFKUHDOLVLHUWXQG ZHUGHQVLPXOWDQVLFKWEDU=XGHPEULFKWVLHGLH(LQKHLWYRQ2UWXQG=HLWZLHLQ GHUHUZlKQWHQ6]HQHGLHJOHLFK]HLWLJGDV+DXVDOVDXFKHLQH6WDGWDP0HHU]XP Thema macht, auf der Bildebene auf. Kontinuität – Diskontinuität

%RUGZHOOPDFKWLQVHLQHU$XVHLQDQGHUVHW]XQJPLWGHQ(U]lKONRQYHQWLRQHQGHV+ROO\ ZRRGNLQRVGHXWOLFKGDVVVLHDXIHLQHPUHJHOKDIWHQ6\VWHPYRQNRQWLQXLHUOLFKHQQDUUDWLYHQ6HTXHQ]HQEDVLHUHQ'LHVH)RUPGHV*HVFKLFKWHQHU]lKOHQVEH]HLFKQHWHUDOV ª6WRU\WHOOLQJE\ 'HVLJQ©'HU0HGLHQZLVVHQVFKDIWOHU6WHLQPHW]EHVFKUHLEWGLHVH QDUUDWLYH¿OPLVFKH.RQYHQWLRQDOVHLQH*UXQGODJHGHU)LOPlVWKHWLN »Das Kontinuitätssystem, an dessen Perfektionierung seit den 20er Jahren vor allem Hollywood unermüdlich gearbeitet hat, spiegelt vor, die Narration geschehe aus sich selbst heraus. Zu den Regeln des Kontinuitätssystems gehören unter anderem die Einführung in den Film (und in einzelne Szenen) mit einem Establishing Shot, die Respektierung der 180°-Regel, die Vermeidung eines Achsensprungs, der Eyeline-Match und die Variation aufeinanderfolgender Einstellungen um mindestens 30 Grad.« 

$Q%RUGZHOOVDEHUDXFK6WHLQPHW]¶$XVIKUXQJHQ]HLJWVLFKGDVV1DUUDWLRQXQG9LVXD OLWlWHQJPLWHLQDQGHUYHU]DKQWVLQG,QQHUKDOEGHV.RQWLQXLWlWVV\VWHPVJHKWPDQªYRP ORJLVFKHQ=XVDPPHQKDQJGHU%OLFNH>@YRQLKUHP2UGQXQJVXQG6LQQ]XVDPPHQ KDQJ©DXV$XIYLVXHOOHU(EHQHVSLHOWGDVSDVVHQGH=XVDPPHQIJHQGHU%OLFNDFKVHQ das sogenannte Eyeline-Match33 HLQH ]HQWUDOH 5ROOH 'LH 180-Grad-Regel34, der

30 31 32 33 34

Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 35 ff. Steinmetz/Steinmann/Uhlig/Blümel 2005: Filme sehen lernen, S. 30. Steinmetz/Steinmann/Uhlig/Blümel 2005: Filme sehen lernen, S. 24. Vgl. hierzu Steinmetz/Steinmann/Uhlig/Blümel 2005: Filme sehen lernen, S. 24. Die von Steinmetz u.a. herausgegebenen Grundlagen der Filmästhetik beschreiben diese Konvention folgendermaßen: »Das 180-Grad-Prinzip oder die 180-Grad-Regel besagt Folgendes: Zwischen zwei Handelnden wird eine imaginäre Handlungsachse angenommen. Die Kamera beziehungsweise alle zum Einsatz kommenden Kameras dürfen nur auf einer Seite dieser Achse stehen und sich nur in einem imaginären Halbkreis dieses 180-Grad-Bereichs bewegen. Wird dagegen verstoßen, droht der Zuschauer im filmischen Raum seine Orientierung zu verlieren. Im Kontinuitätssystem muss die Anordnung im imaginären Raum erhalten bleiben, egal welche Blicke die Kamera auf die Szene wirft. Ein Sprung über die Handlungsachse wirft die optische Ordnung über den Haufen.« (Steinmetz/Steinmann/Uhlig/Blümel 2005: Filme sehen lernen, S. 37 f).

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9HU]LFKWDXI $FKVHQVSUQJHXQGGHU$QVFKOXVVGHU%OLFNDFKVHQLQQHUKDOEGHU0RQtage garantieren in der Tradition des klassischen Hollywoodkinos einen kontinuierOLFKHQRSWLVFKNRKlUHQWHQ)RUWJDQJGHU*HVFKLFKWH'HU=XVFKDXHUNDQQPLWGLHVHQ 9LVXDOLVLHUXQJVPRGLLQHLQHZHLWJHKHQGEUXFKORVH1DUUDWLRQHLQWDXFKHQGLHLKQGLH WHFKQLVFKHXQGGDPLWGLHNRQVWUXLHUWH6HLWHGHV'LVSRVLWLYV.LQRYHUJHVVHQOlVVW $KWLODXQWHUOlXIWGLHVHV.RQWLQXLWlWVV\VWHPVRZRKODXIGHUnarrativen als auch auf der visuellen(EHQHGHQQRFKEDXWVLHDXFKLPPHUZLHGHU%H]JH]XGHQWUDGLWLRQHOOHQ (U]lKOPXVWHUQGHV+ROO\ZRRGNLQRVDXI6REHJLQQWLKUH(U]lKOXQJ±ZLOOPDQWURW] GHU 3UlVHQWDWLRQ GHU *HVFKLFKWH DOV Loop YRQ HLQHP ª%HJLQQ© VSUHFKHQ ± JDQ] LP 6LQQHGHUQDUUDWLYHQ.RQYHQWLRQHQPLWSDUDOOHOVLFKWEDUHQEstablishing Shots, die eine /DQGVFKDIWDXVGHU9RJHOSHUVSHNWLYH]HLJHQ=ZDUVLQGKLHUJOHLFKGUHL(U|IIQXQJVHLQVWHOOXQJHQ]XVHKHQDEHUDXFKGLHVHJHEHQGHP=XVFKDXHUZLHJHZ|KQOLFKGXUFKHLQH TotaleHLQH2ULHQWLHUXQJLQQHUKDOEGHV5DXPVXQGLQGHU*HVFKLFKWH'LH.DPHUDHLQstellung der TotaleHWDEOLHUWHLQHUlXPOLFKHXQGQDUUDWLYH$XVJDQJVVLWXDWLRQ0HLVWLVW KLHUHLQJU|‰HUHU$XVVFKQLWWHLQHU8PJHEXQJHEHQVRZLHZLFKWLJHKDQGOXQJVWUDJHQGH 3HUVRQHQRGHU2EMHNWH]XVHKHQ$KWLODV.DPHUDQLPPWGLH/DQGVFKDIWDXVGHU9RJHOVFKDXXQGNXU]GDUDXIGDV$XWRLQGHQ%OLFN=ZDU]HLJWVLHXQWHUVFKLHGOLFKH5DXPDQVLFKWHQDEHUGLH(LQKHLWYRQ=HLWXQG2UW EOHLEWLQGLHVHQ$QIDQJVV]HQHQLQQHUKDOEGHU 6LPXOWDQPRQWDJHXQGGDPLWzwischen den drei Leinwänden erhalten, da sich alle drei 3URMHNWLRQHQDXIGHQJOHLFKHQ2UW]XUVHOEHQ=HLWEH]LHKHQ 'LHVH(U]lKOVHTXHQ]GLHGLH:DOGODQGVFKDIWXQGGDQQGDV$XWRLQ6]HQHVHW]W KDWH[SRVLWRULVFKHQ&KDUDNWHUGHQQVLHIKUWYRUQHKPOLFKEHUHLQ2EMHNWGDV$XWR PRWLYLHUW ]XP ]HQWUDOHQ +DQGOXQJVRUW GHU (U]lKOXQJ %RUGZHOO EHVFKUHLEW GDVV NRQYHQWLRQHOOH ¿OPLVFKH 1DUUDWLRQHQ DXI HLQHP zielorientierten Handlungsaufbau gründen6RVWHLJWEHLP$QKDOWHQGHV$XWRVHLQHELVGDKLQQLFKWVLFKWEDUH)DKUHULQ DXVGHPPRELOHQ*HIlKUWDXVXQGIKUWGHQ=XVFKDXHUJOHLFKVDPLQGHQ,QQHQUDXP LKUHV'RPL]LOVXQGGDPLW]XP=HQWUXPGHU+DQGOXQJ'LH)LOPLQVWDOODWLRQZHLVWHLQ QDUUDWLYHV6FKHPDDXIGDVWHLOZHLVHGHQYRQ%RUGZHOOEHVFKULHEHQHQ.RQYHQWLRQHQ GHV +ROO\ZRRGNLQRV HQWVSULFKW (V VHW]W DXI GLH ,GHQWL¿]LHUXQJ GHU =XVFKDXHU PLW GHP*HVHKHQHQ'LH%DVLVIUGDV(U]lKOVFKHPDELOGHQGLHNODVVLVFKHQ(U]lKOHLQKHLWHQ GHV 'UDPDV GLH %RUGZHOO DOV ª6HWXS© ª&RPSOLFDWLQJ$FWLRQ© ª'HYHORSPHQW©ª&OLPD[©XQGª(SLORJXH©EH]HLFKQHW37'HU)LOPZLVVHQVFKDIWOHUEHVFKUHLEW GLHVH(U]lKOHWDSSHQIROJHQGHUPD‰HQ

35 Hier hält das bereits erwähnte Kompendium zur Filmästhetik fest: »Der Sprung über die Achse, der Achsensprung, zerbricht die Illusion der heilen Scheinwelt des Kontinuitätssystems und verletzt die eherne 180-Grad-Regel.« (Steinmetz/Steinmann/Uhlig/Blümel 2005: Filme sehen lernen, S. 37). 36 Vgl. Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, Kapitel Continuing Tradition, by Any Means Necessary (S. 27–50). Bordwell spricht hier häufig von einer über die Montage konstruierten »goal-oriented structure«. 37 Vgl. Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, insbesondere das Kapitel Storytelling by Design (S. 35–42).

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

»The Setup acts as exposition, laying out, what we need in order to follow the story and to invest some feelings into the characters’ problems. The Complicating Action sharpens interest by changing terms of the Setup in ways that raise the emotional stakes and refine the assumptions about goals and character psychology we´re building up. The Development, if handled adroitly, focuses our attention on the steps the characters must take to resolve their problems or broadens the film’s range to include parallel story lines that shade the main one. The Climax seeks to present the resolution in a satisfying but not wholly predictable fashion, while the epilogue [sic!] asks us to recall the paths the protagonists have taken and measure their success or failure.« 

'LHVHV(U]lKOVFKHPDLVWDXFKEHL$KWLODZLHGHU]X¿QGHQ±ZHQQJOHLFKVLHGLHVHV UHÀH[LYDXIEULFKW'LH*HVFKLFKWHVHW]WPLWGHUREHQEHVFKULHEHQHQ([SRVLWLRQHLQ XQGVWHOOWXQVGLH3URWDJRQLVWLQYRU ,'LH$XWRIDKUW,,'HUHLQIKUHQGH0RQRORJ  'DUDXIIROJHQGYHUNRPSOL]LHUWVLFKGLH+DQGOXQJLQYHUVFKLHGHQHU+LQVLFKW ,,,(LQ HLJHQPlFKWLJHV9HKLNHO,9'LH:LHGHUKROXQJGHU$XWRIDKUW XQGVWHLJHUWVLFKGXUFK GLH]XQHKPHQGHQ:DKUQHKPXQJVYHUVFKLHEXQJHQGHU3URWDJRQLVWLQ 9'LH.XK9, 1lKPDVFKLQHXQG+XQG9,,,P+DXVXQGDP0HHU 'HUYLVXHOOHDEHUDXFKQDUUDWLYH+|KHSXQNWZLUGGXUFKGHQ:DOGÀXJGHU+DXSW¿JXUUHSUlVHQWLHUW 9,,,6FKZHEH]XVWDQG +LHUNRPPWJDQ]XQHUZDUWHWHLQVHOEVWUHÀH[LYHV0RPHQW]XP7UDJHQ GLH$EZHVHQKHLWGHVSURML]LHUWHQIRWRJUD¿VFKHQ%LOGHV ,;0RQRFKURPH%LOGHU  =XJXWHU/HW]WUHÀHNWLHUWGHU(SLORJHLQ6FKHLWHUQDEHU]XJOHLFKDXFKHLQ*HOLQJHQ ;'HU9HUOXVWGHVHLJHQHQ2UWHVXQG1HXSRVLWLRQLHUXQJ  $KWLODYHUIROJWGLHVHQGUDPDWXUJLVFKDXIJHEDXWHQ(U]lKOVWUDQJMHGRFKQLFKWRKQH %UFKH XQG VHW]W VLFK GDGXUFK LQ 'LVWDQ] ]XP NRQYHQWLRQDOLVLHUWHQ (U]lKOVFKHPD GHV+ROO\ZRRGNLQRV%HLVSLHOVZHLVHEULFKWVLHGLH&KURQRORJLHXQGDXFKGHQ6SDQQXQJVERJHQGHU1DUUDWLRQGXUFKEHLQDKHLGHQWLVFKH:LHGHUKROXQJHQYRQ6]HQHQDXI ZLHDQGHU]ZHLPDOLJHQ5HNDSLWXODWLRQGHU$XWRIDKUWGHXWOLFKZLUG'DUEHUKLQDXV YHUXQNOlUWVLHGLH(U]lKOHEHQHQLQGHPVLHGLH3URWDJRQLVWLQDOV6XEMHNWXQG2EMHNW GHU(U]lKOXQJLQ(UVFKHLQXQJWUHWHQOlVVW=XGHPXQWHUOlXIWGLH1DUUDWLRQNDXVDOH GUDPDWLVLHUHQGH+DQGOXQJVIROJHQGLHHLJHQWOLFKGDV%DVLVHOHPHQWGHV.RQWLQXLWlWVV\VWHPVGDUVWHOOHQ'LH+DXSW¿JXUVHOEVWEHVFKUHLEWLKU7DJHZHUNDOVURXWLQHPl‰LJH +DQGOXQJHQ±ªDOOWKLVLVURXWLQH©±,KUH7lWLJNHLWHQVLQGGHPHQWVSUHFKHQGLQNHLQHQ VWULNWGUDPDWXUJLVFKHQ(U]lKODXIEDXHLQJHEXQGHQGHUGLH6SDQQXQJVWHLJHUQN|QQWH Immer wieder wird ein kohärenter, dramatischer Handlungsablauf durch kontingente 0RPHQWHGXUFKEURFKHQ(LQ$XWRWDXFKWLP,QQHUHQGHV+DXVHVDXIGDQQHLQH.XK VSlWHUHLQ+XQG±ªE\FKDQFH©±$XFKGLH.RKlUHQ]GHV(U]lKOUDXPVJHKWÀ|WHQ *HUlXVFKHXQG%LOGHUDXVHLQHULPDJLQLHUWHQ:HOWGULQJHQLQGDV,QQHUHGHV+DQGOXQJVRUWV HLQ GLH *HUlXVFKNXOLVVH HLQHU ODXWHQ +DIHQVWDGW EHUODJHUW GLH (LQVDPNHLW HLQHV LQ GHU 6WLOOH JHOHJHQHQ :DOGKDXVHV =XGHP EOHLEW ODQJH XQNODU ZDUXP GLH +DXSW¿JXU LPPHU ZLHGHU DQ GHU 1lKPDVFKLQH DNULELVFK HLQHU 7lWLJNHLW QDFKJHKW9RQHLQHP]LHORULHQWLHUWHQNRKlUHQWHQ+DQGOXQJVDXIEDXNDQQKLHUNHLQH5HGH VHLQ'HP=XVFKDXHUVWHOOWVLFKGLHKDQGZHUNOLFKH7lWLJNHLWDQGHU1lKPDVFKLQHLP 38 Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 41 f.

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 DKPHQ GHU ¿OPLVFKHQ (U]lKOXQJ ]X$QIDQJ IROJOLFK DOV ZHLWJHKHQG XQPRWLYLHUW 5 GDU±DOV5RXWLQHHEHQ(UVWGXUFKGDV9HUKlQJHQGHU)HQVWHUPLWGXQNOHQ6WRIIHQ RIIHQEDUW VLFK GLH +DQGOXQJVPRWLYDWLRQ UHWURVSHNWLY (V OlVVW VLFK IHVWKDOWHQ 'LH EHVFKULHEHQHQ]HKQ6HTXHQ]HQHWDEOLHUHQ]ZDUHLQHQ6SDQQXQJVERJHQNHLQHVIDOOV aber einen durchweg konventionalisierten und durchgängig kohärenten. Bordwell betont, dass PlotlinesGDGXUFKJHNHQQ]HLFKQHWVLQGGDVVVLHGHQ+DQGOXQJVIRUWJDQJXQGGDPLWGLH(U]lKOXQJGXUFKXQWHUVFKLHGOLFKH6WUDWHJLHQIRUFLHUHQ ªIURP JRDORULHQWHG SURWDJRQLVW VXPPDU\ PRQWDJHV WR GLDORJXH KRRNV DSSRLQWPHQWVDQGHYRFDWLYHPRWLIV©'LHVHQDUUDWLYHQ6FKDFK]JHGHUNLQHPDWRJUD¿VFKHQ (U]lKOXQJ QLPPW$KWLOD HKHU VHOWHQ LQ$QVSUXFK 'LH EHVFKULHEHQHQ XQNDONXOLHUEDUHQ (UHLJQLVVH HEHQVR ZLH GLH QLFKW EHU GLH )LOPELOGHU PRWLYLHUWHQ *HUlXVFKH ZLHEHLVSLHOVZHLVHGDVKlX¿JDXVGHP2IIQXUVHKUOHLVH]XK|UHQGH:HFNHUWLFNHQ VWR‰HQ GHQ =XVFKDXHU XQG DXIPHUNVDPHQ =XK|UHU YRU DOOHP DXI GLH .RQVWUXNWLRQ ¿OPLVFK HWDEOLHUWHU NRQWLQXLHUOLFKHU +DQGOXQJVDEOlXIH .RQWLQXLWlW ZLUG PLW 'LVkontinuität konterkariert. Offbeat Storytelling

$KWLODVQDUUDWLYH6WUDWHJLHQODVVHQVLFKLQHUVWDXQOLFKHU:HLVHPLWHLQHU(U]lKOIRUPLQ 9HUELQGXQJVHW]HQGHVVHQLQWHQVLYLHUWHV$XIWUHWHQLP+ROO\ZRRGNLQR%RUGZHOOPLW GHQHU-DKUHQNRQVWDWLHUWGDVOffbeat Storytelling(UEHVFKUHLEWHVZLHIROJW »Another era of experimental storytelling was launched in the 1990s, when a fresh batch of films seemed to shatter the classical norms. Movies boasted paradoxical time schemes, hypothetical futures, digressive and dawdling action lines, stories told backward and in loops, plots stuffed with protagonists. It seemed filmmakers were competing to outdo one another in flashy nonconformity. Offbeat storytelling became part of business as usual, and screenplay manuals offered tips on writing unconventional scripts.« 

'LHVH ªJHJHQ GHQ 6WULFK JHEUVWHWHQ© 1DUUDWLRQVVWUDWHJLHQ ¿QGHQ VLFK EHL $KWLOD EHLVSLHOVZHLVH LQ GHQ EHVFKULHEHQHQ :LHGHUKROXQJVVHTXHQ]HQ ZLHGHU $EHU DXFK GLHVWDWLVFKHQ,QWHULHXUDQVLFKWHQHEHQVRZLHGLHUHODWLYDXWRQRPHQ(U]lKOHLQKHLWHQ XQWHUZDQGHUQGLHGUDPDWXUJLVFKH7DNWXQJGHU(U]lKOXQJXQGEHUIKUHQVLHLQHLQH Form des Offbeat Storytelling6REHNRPPWEHLVSLHOVZHLVHGHU%HULFKWEHUGDV7UHIIHQ PLW GHU )UHXQGLQ 9,, ,P +DXV XQG DP 0HHU  HEHQVR ZLH GHU 0RQRORJ EHU GLHYHUVFKLHGHQDUWLJHQ6FKLIIHXQG)OFKWOLQJHDP+DIHQ ,;0RQRFKURPH%LOGHU  DEHUDXFKGLHGXUFKGHQ:DOGVFKZHEHQGH+DXSW¿JXU 9,,,6FKZHEH]XVWDQG HLQH HLJHQVWlQGLJHQDUUDWLYH4XDOLWlWGLHQLFKWXQEHGLQJWIUGHQORJLVFKGUDPDWXUJLVFKHQ )RUWJDQJ GHU +DQGOXQJ QRWZHQGLJ LVW 'HU +|KHSXQNW GHU ,PDJLQDWLRQ KlWWH DXFK JDQ]DQGHUVDXVVHKHQN|QQHQ'LHDOV(U]lKOVFKOHLIHRUJDQLVLHUWH1DUUDWLRQPDUNLHUW 39 Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 71, und insbesondere das Kapitel Pushing the Premises (S. 52–71). 40 Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 73.

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PLWGHPª(QGH©GHVLoops]XJOHLFKHLQHQHUQHXWHQ$QIDQJ0LWGHQ/DQGVFKDIWVDQVLFKWHQªDXI$XJHQK|KH©>$EE@NDQQLP6LQQHGHU.RQWLQXLWlWGLH(U]lKOXQJ ZLHGHUYRQYRUQEHJLQQHQ8QGGDVWXWVLHDXFK0LWHLQHP6FKQLWWDXIDOOHQGUHL /HLQZlQGHQEHZHJWVLFKGLH.DPHUDLQGLH/IWH6LHYHUOLHUWHUQHXWGHQ%RGHQXQWHU GHQ)‰HQXQG]HLJWHLQ6]HQDULRDXV9RJHOVFKDXSHUVSHNWLYHGHQ:DOG1DFKGHP HUVWPDOLJHQ$QVFKDXHQGHU*HVFKLFKWHN|QQWHPDQVLFKIUDJHQREHVVLFKQXQEHLGHU 9RJHOVFKDXWDWVlFKOLFKXPHLQHREMHNWLYLHUHQGH$XIQDKPHKDQGHOWGLH]XQlFKVWGHQ +DQGOXQJVRUWJDQ]VDFKOLFKXQGLP6LQQHHLQHUWUDGLWLRQHOOHQ([SRVLWLRQEHVFKUHLEW 0|JOLFKHUZHLVHKDQGHOWHVVLFKKLHUDEHUDXFKXPGLH,PDJLQDWLRQHQHLQHUEHUGHQ :DOGÀLHJHQGHQ3URWDJRQLVWLQXQGXPLKUHJDQ]VXEMHNWLYH6LFKWDXIGLH:HOW Bordwell betont im Hinblick auf die sogenannten Offbeat-Filme, dass auch diese (U]lKOIRUPHQ EHUHLWV LQ IUKHUHQ +ROO\ZRRGSURGXNWLRQHQ EHREDFKWEDU ZDUHQ XQG GHVZHJHQ LQ HLQHP EHUHLWV HWDEOLHUWHQ )RUPYRNDEXODU IUKHUHU +ROO\ZRRG¿OPH ]XYHURUWHQVLQGª$VZLWKH[SHULPHQWVRIWKHVDQGV PRVWVWRU\WHOOLQJ LQQRYDWLRQV VLQFH WKH V KDYH NHSW RQH IRRW LQ FODVVLFDO WUDGLWLRQ %HFDXVH RI the redundancy built into the Hollywood narrative system, unusual devices could SLJJ\EDFNRQDODUJHQXPEHURIIDPLOLDUFXHV© 'LH$XVHLQDQGHUVHW]XQJPLWQDUUDWLYHQ.RQYHQWLRQHQGLHLQGHU9LGHRLQVWDOODWLRQ]XEHREDFKWHQLVWNDQQIROJOLFKDXFKLQHLQHQJU|‰HUHQKLVWRULVFKHQ=XVDPPHQKDQJ GHU PDVVHQPHGLDOHQ %LOGNXOWXU JHVWHOOW ZHUGHQ 'HU KLHU UHDOLVLHUWH 8PJDQJ PLW¿OPLVFKHQ%LOGHUQNDQQ$QNQSIXQJVSXQNWHLQHLQHUKLVWRULVFKDXVGLIIHUHQ]LHUWHQNLQHPDWRJUD¿VFKHQ0DVVHQPHGLHQNXOWXU¿QGHQGLHVLFKPLWEHUHLWVHWDEOLHUWHQ (U]lKOVWUXNWXUHQ H[SHULPHQWHOO DXVHLQDQGHUVHW]WH 'DUEHU KLQDXV EHVFKUHLEW GHU 86DPHULNDQLVFKH)LOPZLVVHQVFKDIWOHUGLH]XQHKPHQGHQ(LQÀVVHPDVVHQPHGLDOHU Bildkulturen auf den Film: »The New Hollywood had been raised on Old Hollywood and 1960s art movies, but the Newest Hollywood brought TV, comic-book, videogame, and pulp fiction tastes to the movies, and a free approach to narrative came along. The twists in The Six Sense (1999), The Game (1997), and Fight Club (1999) would not have been out of place in Rod Serling's Twilight Zone TV series. The young audience was drenched in modern media, from cable TV to computers, and viewers knew the standard moves of mainstream storytelling. They were ready to embrace innovations, especially if they built on the conventions of fantasy and science fiction (such as time travel, plays of objective and subjective perspectives, and ›what-if‹ premises [...]). In harmony with their audience, the rising generation of directors grasped the narrative possibilities afforded by the home-video revolution.« 43

41 Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 73. 42 Bordwells zahlreiche Filmbeispiele und seine Ausführungen an dieser Stelle wiederzugeben, würde den Rahmen sprengen, vgl. deswegen: Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, Kapitelabschnitt Complexity and Redundancy (S. 73–82). 43 Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 74.

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'LHVH $XVGLIIHUHQ]LHUXQJ DQ 9LVXDOLVLHUXQJV XQG 1DUUDWLRQVIRUPHQ GHU PDVVHQ PHGLDOHQ%LOGNXOWXUWKHPDWLVLHUW$KWLODV:HUNGXUFKGLHUHÀH[LYH,QV]HQLHUXQJXQWHUVFKLHGOLFKHU0HGLHQIRUPDWHXQGHLQHNRPSOH[H0RQWDJHVWUDWHJLH'LH6]HQHLQ GHUGLH.XKLQXQWHUVFKLHGOLFKHQ0HGLHQIRUPDWHQDXIWDXFKW 9'LH.XK ±HLQHUVHLWV DOV LQWHJUDOHU %HVWDQGWHLO GHV +DQGOXQJVRUWHV XQG GHU YLGHRJUD¿VFKHQ 3URMHNWLRQ DQGHUHUVHLWV DEHU DXFK DOV 7HLO HLQHU )HUQVHKGRNXPHQWDWLRQ ± PDUNLHUW GLH XQWHUVFKLHGOLFKHQ0HGLHQZHFKVHOXQG5HSURGXNWLRQV]\NOHQPDVVHQPHGLDOHU%LOGHU'LH ¿QQLVFKH.QVWOHULQNDONXOLHUWRIIHQEDUPLWHLQHPGXUFKGLH0DVVHQPHGLHQEHHLQÀXVVWHQ5H]HSWLRQVYHUKDOWHQLKUHU%HWUDFKWHU%RUGZHOOIKUWGLHHUZHLWHUWH.HQQWQLV vonXQGGHQURXWLQLHUWHQ8PJDQJmitNRPSOH[HQ3ORWVWUXNWXUHQDXIHLQHQHUK|KWHQ 0HGLHQNRQVXPGHU5H]LSLHQWHQ]XUFN44'LH(WDEOLHUXQJGHV3ULYDWIHUQVHKHQVXQG DXFKHLQ|NRQRPLVFKKRFKSRWHQWHU'9'0DUNWHU|IIQHWHQ0|JOLFKNHLWHQGHUZLHGHUKROWHQ5H]HSWLRQYRQ6SLHO¿OPHQVRGDVV¿OPLVFKQDUUDWLYH6WUXNWXUHQLQHLQHU DXVGLIIHUHQ]LHUWHQ0DVVHQPHGLHQNXOWXUYHUVWlUNWNRQYHQWLRQDOLVLHUWZXUGHQ.RQVXmenten konnten sich intensiv mit etwa den Plotlines des Hollywoodkinos und seinen GLYHUVHQ 6SLHODUWHQ YHUWUDXW PDFKHQ$XFK$KWLODV :HUN JHKW RIIHQEDU YRQ HLQHP UHODWLYURXWLQLHUWHQ8PJDQJGHU%HWUDFKWHUPLWNRPSOH[HQ1DUUDWLRQVVWUXNWXUHQDXV 6LHQXW]WVLHMHGRFKQLFKWXPOHW]WOLFKHLQHZHLWJHKHQGJHVFKORVVHQH1DUUDWLRQ]X HWDEOLHUHQVRQGHUQIKUWGLHNRQVWUXNWLYHPHGLDOH6HLWHGHU(U]lKOXQJYRU$XJHQ 'LHGUHLNDQDOLJH9LGHRLQVWDOODWLRQVFKHLQWDXIGLIIHUHQ]LHUWHQ.HQQWQLVVHQEHUGLH 0DVVHQPHGLHQNXOWXUDXI]XEDXHQGLHPLW9HUVFKDFKWHOXQJHQ5FNEOLFNHQ:LHGHUKROXQJHQGLYHUVHQ%LOGNRPSLODWLRQHQXQG9HU]ZHLJXQJHQGHU5HDOLWlWVXQG=HLW ebenen arbeitet. Puzzle-Films – zwischen Genie und Wahnsinn

%RUGZHOO PDFKW DX‰HUGHP GHXWOLFK GDVV JHUDGH H[SHULPHQWHOOHUH 1DUUDWLRQHQ GLH VLFK PLW XQNRQYHQWLRQHOOHUHQ 5DXP=HLW6WUXNWXUHQ VXEMHNWLYHQ XQG REMHNWLYHQ (U]lKOVFKHPDWDDXVHLQDQGHUVHW]HQKlX¿JPLWGHQNRPSOH[HQ:DKUQHKPXQJVVWUXNWXUHQ LKUHU 3URWDJRQLVWHQ JHNRSSHOW VLQG 'HU )LOPZLVVHQVFKDIWOHU EH]LHKW VLFK LQ seinen Ausführungen unter anderem auf Filme wie The Game   Fight Club  The Sixth Sense  Memento  RGHUDXFKA Beautiful Mind   'LH 3ORWVWUXNWXUHQ GLHVHU )LOPH VR NRQVWDWLHUW HU VSLHOWHQ GDV 6SDQQXQJVIHOG YRQ LPDJLQlUHQYHUPHLQWOLFKDOVUHDOJHKDOWHQHQ:HOWHQXQGGHUHQ'HFKLIIULHUXQJDXV (LQYRQ%RUGZHOOKHUYRUJHKREHQHV%HLVSLHOZHLVWHUVWDXQOLFKH3DUDOOHOHQ]XU¿OPLVFKHQ ,QV]HQLHUXQJ GHV SV\FKLVFKHQ =XVWDQGV GHU 3URWDJRQLVWLQ YRQ$KWLOD DXI bKQOLFKZLHLQGHU9LGHRLQVWDOODWLRQYHUVXFKWDXFK&KULVWRSKHU1RODQV)LOPMemento   PLWWHOV VHLQHV 3ORWVFKHPDV GLH SV\FKLVFKH 6WUXNWXU GHV 3  URWDJRQLVWHQ ]X 44 Vgl. Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 103. 45 Vgl. zu diesem Themenkomplex Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, Kapitel Subjective Stories and Network Narratives (S. 72–103). Auch in diesem Kapitel verdeutlicht Bordwell, dass diese narrative Strategie bereits im frühen Hollywoodkino auftaucht: »Ever since The Cabinet of Dr. Caligari (1920), films have tricked viewers into believing in the reality of sences that turn out to be mere delusions.« (ebd. S. 86).

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UHSURGX]LHUHQ,QGLHVHPNRPSOH[PRQWLHUWHQ)LOPOHLGHWGLH+DXSW¿JXUGHV)LOPV /HRQDUG6KHOE\DQDQWHURJUDGHU$PQHVLHGHU8QIlKLJNHLWVLFK]XHULQQHUQ*HQDX GLHVHQ=XVWDQGGHV*HGlFKWQLVYHUOXVWVXQGGLH)UDJHª:DVZDUZLUNOLFK"©LQV]HQLHUW GDV EHHLQGUXFNHQGH :HUN LQGHP HV HLQ (UHLJQLV TXDVL UFNZlUWV HU]lKOW REZRKO ZLUXQVPLW%HJLQQGHV)LOPVDP$QIDQJHLQHU1DUUDWLRQEH¿QGHQ%RUGZHOONRQVWDWLHUWª7KH¿OPOLQNVWKLVFRQGLWLRQ>RIDQWHURJUDGHDPQHVLD$QPHUNXQJ.+@WRD IRUPDOVWUDWHJ\RIWHOOLQJLWVPDLQVWRU\EDFNZDUG©'HU)LOPZLVVHQVFKDIWOHUEHWRQW DEHU DXFK GDVV GLH 3ORWVWUXNWXU YRQ Memento EHU GLYHUVH .RQWLQXLWlWVVWUDWHJLHQ DXIUHFKWHUKDOWHQ RGHU ]XPLQGHVW QLFKW YROOVWlQGLJ DXIJHJHEHQ ZHUGH47 Aufgrund GHVVHQEHVFKUHLEWHU&KULVWRSKHU1RODQV)LOPDOVªRQHRIWKHPRVWQRYHODQGPRVW FRQIRUPLVW¿OPVRIUHFHQW\HDUV©. (UVWDXQOLFKLVWQXQLP+LQEOLFNDXIGLH,QVWDOODWLRQYRQ$KWLODGDVVVLHPLWHLQHP lKQOLFKHQ9HUIDKUHQDUEHLWHW$XFKVLHYHUVXFKWGLH]XQHKPHQGHSV\FKLVFKH,QVWDELOLWlWLKUHU3URWDJRQLVWLQPLWGHUVLQQOLFKHQ(UIDKUXQJGLHEHUGLH9LGHRLQVWDOODWLRQYHUPLWWHOWZLUG]XªYHUQlKHQ©'LH8QIlKLJNHLW5HDOLWlWXQG,PDJLQDWLRQ]X GLIIHUHQ]LHUHQZLGHUIlKUWQLFKWDOOHLQGHU+DXSW¿JXU$XFKGLH=XVFKDXHULQLVWPLW HLQHU JDQ] lKQOLFKHQ (UIDKUXQJ NRQIURQWLHUW GD HV LKU ZlKUHQG GHU 5H]HSWLRQ DQ HLQLJHQ6WHOOHQQLFKWJHOLQJWGHQ+DQGOXQJVUDXPHLQGHXWLJGHUUHDOHQRGHUDEHULPDJLQlUHQ6SKlUHGHU1DUUDWLRQ]X]XRUGQHQ+DWWH1RODQGHQSDWKRORJLVFKHQ=XVWDQG VHLQHV3URWDJRQLVWHQDOOHLQLQGLH¿OPLVFKH6WUXNWXUEHUVHW]WVRQXW]W$WKLODMHGRFK GHQJHVDPWHQ5DXPGHU,QVWDOODWLRQ6LHDUEHLWHWDQGHU,QWHQVLYLHUXQJGHUYHUVFKREHQHQ :DKUQHKPXQJVHUIDKUXQJ EHU GLH 'UHLIDFK3URMHNWLRQ HEHQVR ZLH EHU GLH YLHOVFKLFKWLJH,QV]HQLHUXQJGHV7RQV'LH6LPXOWDQHLWlWGHU%LOGHUHEHQVRZLHGDV =XVDPPHQIKUHQGLH6\QWKHVHXQWHUVFKLHGOLFKHU*HUlXVFKNXOLVVHQ±VRHWZDGDV 5DWWHUQGHU1lKPDVFKLQHPLWGHQ6FKLIIVK|UQHUQXQGGHP6FKUHLHQGHU0|ZHQ± YHUPLWWHOQ PLW KRKHU ,QWHQVLWlW GDV hEHUODSSHQ GHU EHLGHQ :DKUQHKPXQJVHEHQHQ von Realität und Imagination. 'LH9LGHRLQVWDOODWLRQGHU¿QQLVFKHQ.QVWOHULQNDQQPDQLQ%H]XJ]XGHQYRQ Bordwell beschriebenen Puzzle Films VHW]HQ ,Q GHU 3ORWVWUXNWXU GLHVHU )LOPH VHW]HQ VLFK ZLFKWLJH KDQGOXQJVWUDJHQGH ,QIRUPDWLRQHQ HUVW VSlWHU DOV JHZ|KQOLFK]XVDPPHQ±lKQOLFKZLHLQHLQHP3X]]OH'DV*HVDPWELOGGHVWDWVlFKOLFKHQ *HVFKHKHQVHQWVWHKWRIWHUVWQDFKGHU6LFKWXQJGHV)LOPVXQGGXUFKGLHUHWURVSHNWLYH5HNRQVWUXNWLRQGHU(UHLJQLVVH%RUGZHOO]lKOWDXFKMemento  ]XGLHsen sogenannten Puzzle Films(UEHVFKUHLEWLKUH*UXQGVWUXNWXUIROJHQGHUPD‰HQ ª,Q WKH PLOGHVW LQVWDQFHV WKH VWRU\ ZRUOG LV SUHVHQWHG DV FRQVLVWHQW DQG REMHFWLYHO\H[LVWLQJEXWWKHUHDUHJDSVLQRXUNQRZOHGJHDERXWLW©'LHEHVFKULHEHQH 46 Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 78. 47 Vgl. zu Bordwells Analyse von Memento im Detail: Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 78 ff. 48 Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 78. 49 Vgl. Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 80. 50 Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 80.

EIJA-LIISA AHTILA: THE HOUSE

,QV]HQLHUXQJVVWUDWHJLHNRPPWDXFKLQThe House]XP7UDJHQ (JDO RE PDQ GHQ *HVFKHKQLVVHQYRQª%HJLQQ©GHU1DUUDWLRQDQIROJWRGHUREPDQGHQ,QVWDOODWLRQVUDXP]XHLQHPDQGHUHQ=HLWSXQNWEHWULWW'LH*HVFKLFKWHVSLHOWPLWGHPStatus der Bilder als entweder objektive oder subjektive5HSUlVHQWDWLRQHQYRQ:LUNOLFKNHLW +DWPDQGLH*HOHJHQKHLW$KWLODV(U]lKOXQJªYRQ$QIDQJDQ©]XIROJHQGDQQHQWSXSSHQVLFKGLH)LOPELOGHUDQHLQLJHQ6WHOOHQHUVWUHWURVSHNWLYDOV,PDJLQDWLRQHQ ±ZLHHWZDGLH%HVFKUHLEXQJGHUVLFKZLHGHUKROHQGHQ$XWRIDKUWYHUGHXWOLFKW ,9 'LH:LHGHUKROXQJGHU$XWRIDKUW $XFKLVWQLFKWXQEHGLQJWGLUHNWHUVLFKWOLFKGDVV HV VLFK EHL GHP HLJHQPlFKWLJ LQ %HZHJXQJ VHW]HQGHQ$XWR XP HLQ )DQWDVLHSURGXNWGHU+DXSW¿JXUKDQGHOW%HWULWWPDQGHQ5DXPHUVWNXU]YRUGHP+|KHSXQNW GHU(U]lKOXQJEHLGHPGLH)UDXGXUFKGHQ:DOGVFKZHEWPXVVPDQGLHÀLHJHQGH 3URWDJRQLVWLQ DXFK QLFKW QRWZHQGLJHUZHLVH DOV HLQH ,PDJLQDWLRQ GHU +DXSW¿JXU ZDKUQHKPHQ (LQH lKQOLFKH:DKUQHKPXQJVDQRUGQXQJ GLH ]XQlFKVW GHQ ªUHDOHQ +LQWHUJUXQG©GHU(U]lKOXQJYRUHQWKlOWEHVFKUHLEW%RUGZHOOIUGHQPuzzle Film. 'LHVHU ZHUGH VR GHU )LOPZLVVHQVFKDIWOHU KlX¿J ± JDQ] lKQOLFK ZLH EHL$KWLOD ± DXI GHU %DVLV HLQHV HLQ]HOQHQ 3URWDJRQLVWHQ DXIJHEDXW XQG IROJH ± DQGHUV DOV LQ GHU 9LGHRLQVWDOODWLRQ ± PHLVW HLQHP NRQYHQWLRQDOLVLHUWHQ (U]lKOVFKHPD ª7KH QDUUDWLRQ ZLWKKROGV LQIRUPDWLRQ RIWHQ QRW VLJQDOLQJ WKDW LW‫ތ‬V GRLQJ VR >@ +HUH RXUUDQJHRINQRZOHGJHLVFRQ¿QHGSULQFLSDOO\WRDVLQJOHFKDUDFWHUDQGWKHODWH DUULYLQJLQIRUPDWLRQFRPHVDVWKHVRUWRIVXUSULVHFRQYHQWLRQDOLQWKHP\VWHU\RU GHWHFWLYHJHQUH© %RUGZHOO EHVFKUHLEW EHLVSLHOKDIW IU GHQ Puzzle Film DXFK GLH 3ORWVWUXNWXU YRQ A Beautiful Mind   In diesem Film füllt sich die dem Zuschauer vorenthaltene ,QIRUPDWLRQVOFNH HUVW HWZD LQ GHU 0LWWH GHV )LOPV 'DQQ QlPOLFK HQWSXSSHQ VLFK YLHOH=HLWJHQRVVHQGHV0DWKHPDWLN6WXGHQWHQ-RKQ1DVKXQGVRJDUGHVVHQHQJVWHU &ROOHJHIUHXQG&KDUOHVDOV:DKQYRUVWHOOXQJHQGHU+DXSW¿JXU'HU)LOPHQWKOOWHUVW MHW]WGDVVGLH+DXSW¿JXUVHLW%HJLQQGHV6WXGLXPVDQGHUUHQRPPLHUWHQPrinceton University DQ HLQHU IRUWJHVFKULWWHQHQ 6FKL]RSKUHQLH OHLGHW 'HU )LOP XQWHUPDXHUW diese nun als objektiv HWDEOLHUWH 7DWVDFKH GHU .UDQNKHLW PLW DOOHQ .OLVFKHHYRUVWHOOXQJHQ(UVHW]WGLHZHQLJPHQVFKHQZUGLJH.OLQLNVDPWLKUHQXQKHLPOLFKHQbU]WHQ LQZHL‰HQ.LWWHOQLQGUDPDWLVFKHU:HLVHLQ6]HQH'LH+DXSW¿JXUJHKWVFKPHU]OLFK GXUFKGLH0KOHQGHU,QVWLWXWLRQXQGOHLGHWEHLQDKHPHKUDQGHU3V\FKLDWULHDOVDQVLFK VHOEVW6FKZHUJHZLFKWLJH%HKDQGOXQJVPHWKRGHQ(OHNWURVFKRFNVXQG0HGLNDPHQWH VROOHQGHQ:DKQVLQQNXULHUHQ=ZDUZLUGGHU(UNUDQNWHVHLQHSDWKRORJLVFKHQ6WUXNWXUHQQLFKWYROOVWlQGLJORVDEHUGLHVFKOLPPVWHQ%HGUlQJQLVVHVLQGJHJHQ(QGHGHV )LOPVEHUZXQGHQ,PPHUQRFKWDXFKHQYRQ=HLW]X=HLWVHLQHLPDJLQlUHQ)UHXQGH DP5DQGHGHU6]HQHULHDXIXQGYHUVXFKHQ.RQWDNWPLWGHPDOWHQ.XPSDQHQDXI]XQHKPHQ$EHUPLWWOHUZHLOHZHL‰GHU%HWUDFKWHUXPGLH(LQRUGQXQJGLHVHUSidekicks, GLHQLFKWLQGHQ.RVPRVGHVDOVUHDOHWDEOLHUWHQ+DQGOXQJVUDXPHVJHK|UHQVRQGHUQ

51 Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 80. 52 Zur Analyse von A Beautiful Mind vgl. Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 86.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

dem Mental SpaceGHV3URWDJRQLVWHQHQWVSULQJHQ'LHVHVNRQWLQXLHUOLFKDQZHVHQGH DEHULPDJLQLHUWH3HUVRQHQLQYHQWDUVSLW]WLP)RUWODXIGHU+DQGOXQJHLQZHLWKLQNRQYHQWLRQDOLVLHUWHV (U]lKOVFKHPD ]X GHQ 7RSRV YRQ ª*HQLH XQG :DKQVLQQ© 'HQQ -RKQ1DVKHUKlOWHQWVSUHFKHQGGHU(FNGDWHQVHLQHUWDWVlFKOLFKHQ%LRJUD¿HIUVHLQH mathematischen Leistungen den NobelpreisIU:LUWVFKDIWVZLVVHQVFKDIWHQ'HU3URWDJRQLVWLVWDOVRLP6LQQHGHVNODVVLVFKHQ7RSRVQLFKWJUXQGVlW]OLFKDQVHLQHU.UDQNKHLWVHLQHQ:DKQYRUVWHOOXQJHQJHVFKHLWHUWLP*HJHQWHLO'HUWUDJLVFKH/HEHQVZHJ LVWYRQUXKPUHLFKHP(UIROJJHNU|QW±WURW]GHPLKQGLH6FKDWWHQVHLQHU9HUJDQJHQKHLW YRQ=HLW]X=HLWHLQKROHQXQGGDV*HQLHPLWVHLQHP:DKQVLQQNRQIURQWLHUWZLUG'DV )LOPHQGHQRELOLWLHUWIROJOLFKGHQª:DKQVLQQLJHQ©]XPª*HQLH©:LHEHUHLWVHUZlKQW ª7KH&OLPD[VHHNVWRSUHVHQWWKHUHVROXWLRQLQDVDWLVI\LQJEXWQRWZKROO\SUHGLFWDEOH IDVKLRQZKLOHWKHHSLORJXH>VLF@DVNVXVWRUHFDOOWKHSDWKVWKHSURWDJRQLVWVKDYHWDNHQ DQGPHDVXUHWKHLUVXFFHVVRUIDLOXUH© $KWLODV ,QVWDOODWLRQ VHW]W VLFK VHKU GHXWOLFK LQ 'LIIHUHQ] ]X GLHVHP 1DUUDWLRQVPXVWHUXQGGHQYLVXHOOHQ,QV]HQLHUXQJVVWUDWHJLHQGLHVHVPuzzle Films(QWJHJHQ GHU +ROO\ZRRGSURGXNWLRQ GLH PLW HLQHU GUDPDWLVFKHQ (QWKOOXQJVV]HQH GLH .UDQNKHLWXQGLP)RUWODXIGHU+DQGOXQJGHQZDKQVLQQLJHQ$QWLKHOGHQDOV*HQLH NRQVWUXLHUWYHUPHLGHWGLH.QVWOHULQVROFKHVWHUHRW\SHQ=XVFKUHLEXQJHQ:lKUHQG A Beautiful MindGLH8QWHUVFKHLGXQJ]ZLVFKHQ5HDOLWlWXQG)LNWLRQPLWGHU0LWWH GHV)LOPVHLQGHXWLJIHVWOHJW±XQGDXFKYRUKHUQLFKWLQIUDJHVWHOOW±EOHLEHQEHLThe House GLH :DKUQHKPXQJVHEHQHQ GHU 3URWDJRQLVWLQ KlX¿J XQHLQGHXWLJ bKQOLFK ZLHEHL'DYLG/\QFKVMulholland Drive  LVWDXFKKLHUDQHLQLJHQ6WHOOHQ]X GLVNXWLHUHQREGLH6]HQHQUHDORGHUOHGLJOLFKLPDJLQLHUWVLQG'LHQDPHQORVH3URWDJRQLVWLQZLUG±DQGHUVDOVEHLA Beautiful Mind±QLFKWHLQGHXWLJSDWKRORJLVLHUW 6SLHOWGHU+ROO\ZRRGVWUHLIHQGLH.OLVFKHHVEHUGLH.UDQNKHLWXQGGHQLQVWLWXWLRQHOOHQ8PJDQJPLWGLHVHP6FKLFNVDOLQH[]HVVLYHQSDWKRORJLVLHUHQGHQ%LOGHUQDXV ±GLHVSlWHUXPVRKHOGHQKDIWHUEHUIRUPWZHUGHQ±GDQQQlKHUWVLFKGLH9LGHRLQstallation verstärkt der sinnlichen Erfahrungswirklichkeit GHU SV\FKLVFKHQ ,QVWDELOLWlWGHU3URWDJRQLVWLQ'LHPHGLDOH,QV]HQLHUXQJWDVWHWGHQVFKPDOHQ*UDWLKUHU 5HDOLWlWVZDKUQHKPXQJ]ZLVFKHQ,PDJLQDWLRQXQG:LUNOLFKNHLWDE'LH+DXSW¿JXU ZLUGQLFKWLP6LQQHHLQHVNRQYHQWLRQHOORUJDQLVLHUWHQ3ORWVDOVªSV\FKLVFK.UDQNH© IXQNWLRQDOLVLHUW YLHOPHKU VWHKW LKU VXEMHNWLYHU:DKUQHKPXQJV]XVWDQG LP 0LWWHOSXQNW GHV ,QWHUHVVHV =ZDU NRQVWDWLHUHQ YLHOH$XVHLQDQGHUVHW]XQJHQ PLW$KWLODV 9LGHRLQVWDOODWLRQGDVVGLHª*HVFKLFKWHDXI,QWHUYLHZVXQG*HVSUlFKHQPLW)UDXHQ GLH 3V\FKRVHQ GXUFKJHPDFKW KDEHQ© EHUXKH DEHU GDV :HUN VHOEVW YHUPHLGHW 53 Vgl. Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 82 ff. 54 Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 41 f. 55 Vgl. Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 89. Mulholland Drive zählt nach Bordwell zu denjenigen Filmen, die die konventionellen Erzählstrukturen des Hollywoodkinos sehr stark aufbrechen. Diese Filme setzen sich offensichtlich verstärkt in ein Differenzverhältnis zu den Darstellungskonventionen der massenmedialen Bildkultur und haben damit das Potential »Kunst« zu sein. 56 Ausst.Kat. (2008) Eija-Liisa Ahtila, S. 159.

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GLHVHHLQGHXWLJSDWKRORJLVLHUHQGH6LFKWDXIGLH+DXSW¿JXU$QGHUVDOV-RKQ1DVK EOHLEW GLH )UDX HLQH JDQ] JHZ|KQOLFKH XQG QRFK GD]X QDPHQORVH 3URWDJRQLVWLQ ,QGLHVHP6LQQHVWHOOWVLHQRFKQLFKWHLQPDOHLQH$QWLKHOGLQGDU,KUSHUV|QOLFKHU .RVPRV KDW QLFKWV JODPRXU|VHV VLH EOHLEW DQRQ\P LKU $OOWDJ LVW JHZ|KQOLFK DOOHQIDOOV LKUH WUDXPKDIWH ,PDJLQDWLRQVIlKLJNHLW EHÀJHOW GHQ *HLVW ,KUH SV\FKLVFKH,QVWDELOLWlWZLUGQLFKWPLW5XKPJHNU|QW'LHVHJHVFKOHFKWVVSH]L¿VFKH6HLWH GHVKRFKNRQYHQWLRQDOLVLHUWHQ+HOGHQWXPVLP+ROO\ZRRGNLQRUHÀHNWLHUW%RUGZHOO LQ VHLQHU$XVHLQDQGHUVHW]XQJ PLW GHP Antihero, der unter anderem auch durch 1DVK UHSUlVHQWLHUW ZLUG QLFKW ,Q VHLQHU VFKDUI EHREDFKWHWHQ 8QWHUVXFKXQJ EHU GLHªFHQWUDOFRQVWUXFWXUDOSULQFLSOHVRIFRQWHPSRUDU\PRYLHPDNLQJ© fällt unter GHQ7LVFKGDVVGLH)LJXUGHV+HOGHQLP+ROO\ZRRG¿OPDOV]HQWUDOHU+DQGOXQJVW\SXVHLQHUNRQYHQWLRQHOOHQ1DUUDWLRQLPPHUQRFKDXIHLQHUKRFKJUDGLJWUDGLWLRQHOOHQ$XIWHLOXQJ GHU *HVFKOHFKWHUUROOHQ EDVLHUW XQG JHUDGH DXFK LQ GLHVHP 3XQNW ]XWLHIVWLPClassical Hollywood Cinema verankert ist.$KWLODV:HUNNRQWHUNDULHUW GLHVH PHLVW GHQ PlQQOLFKHQ 3URWDJRQLVWHQ YRUEHKDOWHQH .RSSOXQJ GHU ([WUHPH YRQª*HQLHXQG:DKQVLQQ©±GLHLPhEULJHQDXFKLQGHQ(U]lKONRQYHQWLRQHQGHU .XQVWJHVFKLFKWHZLHGHU]X¿QGHQLVW.HLQH$XV]HLFKQXQJNHLQSRVWKXPHU5XKP NHLQ1REHOSUHLVNU|QWªGDV(QGH©YRQThe House'DVV$KWLODV3URWDJRQLVWLQQLFKW HLQVHLWLJLQGHQSDWKRORJLVLHUWHQ:DKQVLQQJHWULHEHQXQGHEHQVRZHQLJDXIHLQHQ *HQLHGLVNXUV]XJHVFKULHEHQZLUGOlVVWVLFKHEHQIDOOVDOVHLQHNULWLVFKH5HÀH[LRQ NRQYHQWLRQHOOHU (U]lKOVWUXNWXUHQ GHV +ROO\ZRRGNLQRV XQG VHLQHQ WUDGLWLRQHOOHQ *HVFKOHFKWHUUROOHQOHVHQ Zum innerfilmischen Diskurs über das Krankheitsbild der Psychose

$KWLOD QlKHUWH VLFK GHP 7KHPD GHV SV\FKLVFKHQ *UHQ]JDQJV LQVEHVRQGHUH GHP .UDQNKHLWVELOGGHU3V\FKRVHEHUHLQHVHKUSHUV|QOLFKHXQGGDPLWVWDUNVXEMHNWLYLHUWH$XVHLQDQGHUVHW]XQJ 6LH IKUWH *HVSUlFKH PLW )UDXHQ GLH HLQH 3V\FKRVH HUOLWWHQ KDWWHQ$QGHUV DOV EHL GHU 9HU¿OPXQJ YRQ A Beautiful Mind, der die XQWHUJOHLFKQDPLJHP7LWHOSXEOL]LHUWH%LRJUD¿HYRQ6\OYLD1DVDU]XJUXQGH OLHJW WUDW$KWLOD LQ GLUHNWHQ .RQWDNW PLW GHQ HLQ]HOQHQ )UDXHQ ,P LQWHUVXEMHNWLYHQ $XVWDXVFK PLW GHU $XWRULQ YHUORUHQ GLH 3DWLHQWLQHQ GHQ 2EMHNWVWDWXV 'LH SHUV|QOLFKH$XVHLQDQGHUVHW]XQJGHU.QVWOHULQVFKUHLEWVLFKDXFKLQGDV:HUNHLQ 'HQQGLH,QVWDOODWLRQSURYR]LHUWLQGLYHUVHQ6]HQHQGLH)UDJHª:HUVSULFKW"©,VW HV GLH$XWRULQ RGHU GLH EHWURIIHQH 3HUVRQ VHOEVW" 'DV 5HSUlVHQWDWLRQVYHUKlOWQLV ]ZLVFKHQGHPªVXEMHNWLYHQ©=XVWDQGHLQHUSV\FKLVFKLQVWDELOHQ)UDXXQGGHU¿OPLVFKHQªREMHNWLYHQ©'DUVWHOOXQJGHU.UDQNKHLWZLUGGXUFKYLHOIlOWLJH'RSSOXQJHQ HEHQVR ZLH GXUFK GLH %HWRQXQJ GHU PHGLDOHQ hEHUVHW]XQJ GHV SV\FKLVFKHQ

57 Vgl. Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 82 ff. 58 Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 17. 59 Zum männlichen Blick im klassischen Hollywoodkino vgl. auch Mulvey 1973: »Visuelle Lust und narratives Kino«.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

([WUHP]XVWDQGV UHÀHNWLHUW EHLVSLHOVZHLVH GXUFK GDV VLPXOWDQH $XIWDXFKHQ GHU 3URWDJRQLVWLQDXI]ZHL/HLQZlQGHQGXUFKGLH8QWHUWLWHOGXUFKGLYHUVH$QVLFKWHQ DXIHLQXQGGDVVHOEH6]HQDULR $KWLOD YHUPHLGHW JDQ] EHZXVVW NRQYHQWLRQDOLVLHUWH GRNXPHQWDULVFKH 0LWWHO ]XU ªDXWKHQWLVFKHQ 'DUVWHOOXQJ© GLHVHV .UDQNKHLWVELOGHV 8P GHP SV\FKLVFKHQ %HZXVVWVHLQV]XVWDQG$XVGUXFN]XYHUOHLKHQQXW]WVLHNHLQH+DQGNDPHUD, verwenGHWNHLQHGLUHNWHQ,QWHUYLHZDXI]HLFKQXQJHQHEHQVRZHQLJZLHVLHDNXVWLVFKDXIJHQRPPHQH %HULFKWH YRQ %HWURIIHQHQ YHUDUEHLWHW $XI GHU DQGHUHQ 6HLWH YHUPHLGHW VLHDEHUDXFKGLHGXUFKJlQJLJH9HUZHQGXQJNRQYHQWLRQDOLVLHUWHU0LWWHOGHV¿NWLRQDOHQ 6SLHO¿OPV *DQ] LP *HJHQVDW] ]XU +ROO\ZRRG¿NWLRQ A Beautiful Mind, die GDVªWDWVlFKOLFKH©/HEHQGHVJHQLDOHQXQG]XJOHLFKZDKQVLQQLJHQ:LVVHQVFKDIWOHUV -RKQ1DVKHU]lKOWEULQJW$KWLOD GDV9HUKlOWQLVYRQ'RNXPHQWDWLRQXQG)LNWLRQ]XU 5HÀH[LRQ$QGHUV DOV 5RQ +RZDUG GHU 5HJLVVHXU GHV 86DPHULNDQLVFKHQ )LOPV XQWHUOlXIW$KWLODGHQNRQYHQWLRQHOOHQ¿OPLVFKHQ'LVNXUVEHUGLHVHQH[WUHPHQSV\FKLVFKHQ=XVWDQGGHUXQWHUHLQHPPHGL]LQLVFKHQ&OXVWHUDOVª3V\FKRVH©EH]HLFKQHW ZLUG'HULQGHU9LGHRLQVWDOODWLRQSUlVHQWLHUWHª:DKQVLQQ©ZLUGQLFKWHLQGHXWLJPLW GLHVHU .UDQNKHLW YHUEXQGHQ VRQGHUQ |IIQHW ]XDOOHUHUVW GHQ %OLFN DXI HLQH LQGLYLGXHOOH3HUV|QOLFKNHLWXQGLKUH:DKUQHKPXQJMHQVHLWVLKUHU3DWKRORJLVLHUXQJ'LHVH )UDXOHLGHW]ZHLIHOORVEHVLW]WDEHU]XJOHLFKDXFKHLQHSURGXNWLYHXQGHQRUPELOGHUreiche Imaginationsfähigkeit. $KWLODELQGHWLKUH3URWDJRQLVWLQZHQLJHULQHLQHNRKlUHQWHXQGVWULQJHQW¿NWLRQDOLVLHUWH*HVFKLFKWHHLQ9LHOPHKUZLGPHWVLHVLFKGHP$OOWDJGHQURXWLQHPl‰LJHQ +DQGOXQJVDEOlXIHQHLQHU)UDXGLHLKU3HQGDQWZHQLJHULQ-RKQ1DVKVRQGHUQHKHULQ &KDQWDO$NHUPDQVXQVSHNWDNXOlUHU)UDXHQ¿JXU-HDQQH'LHOPDQ¿QGHQNDQQ: Auch GDV+DQGOXQJV]HQWUXPGHULQ%UVVHOOHEHQGHQ+DXSW¿JXUEHVFKUlQNWVLFKDXILKUH KlXVOLFKHXQGGDPLWZHQLJKHOGHQKDIWH6SKlUH6H]LHUHQGXQGHLQGUXFNVYROOEHREDFKWHW GLH .DPHUD LQ ODQJHQ UXKLJHQ (LQVWHOOXQJHQ LKUHQ$OOWDJ:lKUHQG -HDQQH 'LHOPDQQDEZlVFKWQlKWGLH)UDXLQURWHU%OXVHLQHLQHPHLQVDPHQ:DOGKDXVLKUHQ VFKZDU]HQ 6WRII ]XVDPPHQ %HLGH WUDJHQ DXI LKUH:HLVH HLQHQ:DKQVLQQ DXV GHU

60 Bordwell konstatiert, dass die Handkamera, gerade aus der Tradition des Cinéma Vérité Ende der 1950er Jahre, mit einem dokumentarischen Gestus verbunden war und häufig noch ist. Zugleich betont er aber auch, dass dieser Repräsentationsmodus bereits in den Filmpraxen der 1920er Jahre verankert war (Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 144). In Frankreich wurde das Cinéma Vérité durch die Filmemacher Jean Rouch, Edgar Morin und auch Chris Marker bekannt. Das sogenannte Direct Cinema bildete mit Richard Leacock und Donn Alan Pennebaker ein Pendant auf US-amerikanischer Seite, wohingegen in Deutschland Klaus Wildenhahn (BRD) und Jürgen Böttcher (DDR) für diese dokumentarische Filmrichtung standen. Sie unterscheiden sich ihrerseits in ihren theoretischen und auch praktischen Ausrichtungen und wurden zum Teil hoch kontrovers diskutiert (vgl. etwa Kreimeier 1981: »Plädoyer für ein politisches Subjekt. Offener Brief an Klaus Wildenhahn und zweimal Widerrede in Sachen Romantik und Realismus«). 61 Vgl. hierzu den Film Jeanne Dielman, 23 Quai du Commerce, 1080 Bruxelles (Frankreich 1975) und Margulies’ Auseinandersetzung mit diesem Film: Margulies 1996: Nothing Happens, S. 65–99.

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seine Verankerung nicht nur, aber auch, in den historischen Rollenmodellen eines PDFKWDV\PPHWULVFKHQ*HVFKOHFKWHUYHUKlOWQLVVHV¿QGHQNDQQ Simultanmontagen

Bordwell widmet sich neben den narrativen auch den visuellen Anteilen des oben EHUHLWV HUZlKQWHQ .RQWLQXLWlWVV\VWHPV LP +ROO\ZRRG¿OP (U EHWRQW ± DQGHUV DOV 6WHLQPHW]±GDVVHVVLFKEHLGHQGDEHLDQJHZHQGHWHQ¿OPLVFKHQ0LWWHOQXP*UXQGEDXVWHLQHHLQHULQWHUQDWLRQDODQHUNDQQWHQ)LOPVSUDFKHKDQGHOW6HLQH$XVIKUXQJHQ VWHOOHQGLH'DUVWHOOXQJVNRQYHQWLRQHQGHV.RQWLQXLWlWVV\VWHPVDOVPLWWOHUZHLOHJOREDO etablierte Visualisierungsformen einer massenmedialen Bildkultur dar: »Establishing and reestablishing shots situate the actors in the locale. An axis of action (or ›180-degree line‹) governs the actors’ orientations and eyelines, and the shots, however different in angle, are taken from one side of that axis. The actors’ movements are matched across cuts, and typically the closest shots are reserved for the most significant facial reactions and lines of dialogue. Crosscutting may juxtapose various strands of action by altering among them, shaped by dramatic relevance and often the pressure of deadline. [...] U.S. directors settled on this synthesis of staging, shooting, and cutting techniques in the years after 1917, and its premises became the basis of an ›international film language‹ for entertainment cinema. From the 1950s onward, this system was codified in handbooks and film-school curricula.« 

'LH %HVFKUHLEXQJHQ GHU ¿OPLVFKHQ 1DUUDWLRQ GHU 9LGHRLQVWDOODWLRQ KDEHQ EHUHLWV YRUZHJJHQRPPHQ GDVV GLH .QVWOHULQ DXI GHU YLVXHOOHQ (EHQH GDV .RQWLQXLWlWVV\VWHP PLWWHOV LKUHU UlXPOLFKHQ 6LPXOWDQPRQWDJH XQWHUOlXIW %HLVSLHOVZHLVH VWHOOW VLH ZlKUHQG GHU 6HTXHQ] GLH ]X %HJLQQ HLQH$XWRIDKUW ]HLJW HLQH Shot/ReverseShot.RQVWHOODWLRQ VLPXOWDQ JHJHQEHU >$EE @ GLH IU JHZ|KQOLFK ± LQQHUKDOE HLQHU HLQNDQDOLJHQ .LQRSURMHNWLRQ ± QDFKHLQDQGHU IROJW 'LHVH NRQYHQWLRQHOO GLDFKURQRUJDQLVLHUWH0RQWDJHVHW]WQRUPDOHUZHLVHGLHEHLGHQ%OLFNDFKVHQYRQ]ZHL LP*HVSUlFKPLWHLQDQGHUYHUZLFNHOWHQ3HUVRQHQLQ%H]LHKXQJ$KWLODPRQWLHUWGLHVH (LQVWHOOXQJHQMHGRFKV\QFKURQXQGEHWRQWGDPLWGLHEHUGLH0RQWDJHGHU)LOPELOGHU UHDOLVLHUWH 5DXPRUJDQLVDWLRQ +LHU ZLUG ]ZDU NHLQ Achsensprung DEHU HLQ 6SUXQJ DXI GHU$FKVH DXI GHU ªD[LV RI DFWLRQ© LQV]HQLHUW 'DV .RQWLQXLWlWVV\VWHP ZLUG DXIJHEURFKHQXQGWULWWDOV¿OPLVFKHV0LWWHOLQ(UVFKHLQXQJ :HQQ%RUGZHOOIUGDVQHXHUH+ROO\ZRRGNLQRGHUHU-DKUHHLQLQWHQVLYLHUWHV.RQWLQXLWlWVV\VWHPNRQVWDWLHUW±ªLQWHQVL¿HGFRQWLQXLW\©±GDVVLFKYRUDOOHP GXUFK K|KHUH 6FKQLWWIUHTXHQ]HQ DXV]HLFKQH GDQQ ¿QGHW GLHVHU$VSHNW DXI GHU UlXPOLFKHQ(EHQHGHU9LGHRLQVWDOODWLRQHLQ3HQGDQW%RUGZHOOEHWRQWQlPOLFKHV 62 Fontanes Effi Briest erzählt davon, auch Virginia Woolf – und vielfältige, wenig heldenhafte, unaufgeschriebene Geschichten könnten davon erzählen. 63 Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 119. 64 Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 119. 65 Vgl. Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 121 ff.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

VHLVRJXWZLHJDUQLFKWPHKUEOLFK]ZHL6WXQGHQGDXHUQGH)LOPHPLWZHQLJHUDOV (LQVWHOOXQJHQ]XVFKQHLGHQ$QGLHVHVKRFKIUHTXHQWLHUWH0RQWDJHYHUIDKUHQ N|QQHQGLHDXIGUHL3URMHNWLRQVÀlFKHQV\QFKURQXQGGLDFKURQUHDOLVLHUWHQ6FKQLWtraten von The HouseDQNQSIHQ'LH.QVWOHULQIKUWGLHLQWHQVLYLHUWH0RQWDJH GXUFKLKUH,QVWDOODWLRQVDQRUGQXQJUHÀH[LYYRU$XJHQXQGWUHLEWGLH$XIQDKPHNDSD]LWlWGXUFKUDVFKHVLPXOWDQH%LOGZHFKVHOYRQ=HLW]X=HLWDQLKUH*UHQ]HQ'D GLH(LQVWHOOXQJHQUHODWLYVHOWHQJOHLFK]HLWLJZHFKVHOQVLQGGLH%HWUDFKWHU]XVHKU VFKQHOOHQ%OLFNZHFKVHOQ]ZLVFKHQGHQ/HLQZlQGHQKHUDXVJHIRUGHUW'LH.QVWOHULQNDONXOLHUWJDQ]RIIHQVLFKWOLFKPLWHLQHP5H]HSWLRQVYHUKDOWHQGDVEHUHLWVEHU GLH0DVVHQPHGLHQNXOWXUHLQJHEWLVW%RUGZHOOEHWRQWGDVVJHUDGHGLH)HUQVHKNXOWXU0XVLNYLGHRVXQG:HUEH¿OPHGDV.RQWLQXLWlWVV\VWHPLQWHQVLYLHUWKlWWHQ'LH KLHUHWDEOLHUWHQ6FKQLWWWHFKQLNHQVFKODJHQVLFKDXFKLQGHQ0RQWDJHVWUDWHJLHQGHV 0DVVHQNLQRVQLHGHUª7HOHYLVLRQLQÀXHQFHGWKHLQWHQVL¿HGVW\OHDWRWKHUOHYHOVWRR )LOPKDVORQJUHFUXLWHGGLUHFWRUVIURPWHOHYLVLRQVRZHRXJKWWRH[SHFWVW\OLVWLF FDUU\RYHUV>@79FRPPHUFLDOVDQGPXVLFYLGHRVKDYHEHFRPHWKHVRUWRIWUDLQLQJ JURXQG WKDW DQWKRORJ\ GUDPD DQG ¿OPHG GUDPDWLF VHULHV ZHUH LQ WKH V DQG V7RGD\ PDQ\ GLUHFWRUV FLQHPDWRJUDSKHUV DQG WHFKQLFLDQV VKRRW FRPPHUFLDOVEHWZHHQIHDWXUHV© 'LH9LGHRLQVWDOODWLRQVFKHLQWJHUDGHDXIGLHVHQ:DKUQHKPXQJVPRGLXQG6HK JHZRKQKHLWHQGHU0DVVHQPHGLHQNXOWXUDXI]XEDXHQXPVLHJOHLFK]HLWLJ]XUHÀHNWLHUHQ=XGHPZHFKVHOQGLH)LOPELOGHUDXIGHQ3URMHNWLRQVÀlFKHQ]ZLVFKHQVXEMHNWLYLHUHQGHQ XQG REMHNWLYLHUHQGHQ (LQVWHOOXQJHQ 0DO EHREDFKWHW GLH .DPHUD GLH+DXSWGDUVWHOOHULQDXVGHU$X‰HQSHUVSHNWLYHVRGDVVGLH)UDXDOV2EMHNWLQV %LOGWULWWPDO]HLJWVLHGLH6LFKWGHU3URWDJRQLVWLQVHOEVWXQGYHUPLWWHOWGDGXUFK HLQHQ HKHU LQGLYLGXDOLVLHUWHQ %OLFN GHU )LJXU DXI GLH :HOW$EELOGXQJ  >E]Z $EE@NDQQGLHVH6LWXDWLRQYHUDQVFKDXOLFKHQ(LQHUVHLWVLVWKLHUGLH)UDXªYRQ DX‰HQ© DXI GHU PLWWOHUHQ /HLQZDQG DXI LKUHP 6RID OLHJHQG ]X VHKHQ DQGHUHUVHLWVYLVXDOLVLHUWGDVUHFKWH%LOGLKUHQVXEMHNWLYHQ%OLFNGDGLH3URWDJRQLVWLQKLHU DXVLKUHUOLHJHQGHQ3RVLWLRQGHQ9RUKDQJDP)HQVWHUEHWUDFKWHW*DQ]LP*HJHQVDW] ]XU KHUN|PPOLFKHQ .LQRVLWXDWLRQ GLH GLHVH EHLGHQ .DPHUDHLQVWHOOXQJHQ ± Subjektive und Objektive±LQHLQHPNRPSOH[HQ.RQWLQXLWlWVV\VWHPPLWHLQDQGHU PRQWLHUW VLQG GLHVH EHLGHQ ¿OPLVFKHQ :DKUQHKPXQJVHEHQHQ VLPXOWDQ DXI GHQ 3URMHNWLRQVÀlFKHQ ]X VHKHQ 'HU =XVFKDXHU ZLUG DXV HLQHU NRKlUHQWHQ )LNWLRQ hinausgeworfen. 'DUEHUKLQDXVPRQWLHUWGLH.QVWOHULQYROOVWlQGLJVWLOOJHOHJWH2EMHNWHXQG,QWHULHXUVDXVXQWHUVFKLHGOLFKHQ$QVLFKWHQVLPXOWDQDXIGHQ/HLQZlQGHQ%HLVSLHOVZHLVH ]HLJWGLHGUHLNDQDOLJH,QVWDOODWLRQPLWVWDWLVFKHU.DPHUDGDV+DXVGHU3URWDJRQLVWLQ DXV GUHL XQWHUVFKLHGOLFKHQ 3HUVSHNWLYHQ >$EE @ 'LHVH )LOPDXIQDKPHQ ZHUGHQ PLWWHOVLKUHUVWDWLVFKHQ4XDOLWlWLQGLH1lKHYRQIRWRJUD¿VFKHQ6WDQGELOGHUQJHUFNW

66 Vgl. Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 184. 67 Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 150.

EIJA-LIISA AHTILA: THE HOUSE

:LH EHUHLWV LP +LQEOLFN DXI GLH )LOPLQVWDOODWLRQ YRQ 7DQ HLQJHKHQG EHVFKULHEHQ ZXUGH IKUW GLH .RQIURQWDWLRQ YRQ 6WDQG XQG %HZHJWELOGHUQ GLH 0HGLDOLWlW GHV NLQHPDWRJUD¿VFKHQ%LOGHVYRU$XJHQ 'LH,QVWDOODWLRQNRPELQLHUWIROJOLFKLPPHUZLHGHUJOHLFK]HLWLJXQWHUVFKLHGOLFKH .DPHUDSHUVSHNWLYHQ VRZLH %HZHJW XQG 6WDQGELOGHU 'XUFK GLHVH ,QV]HQLHUXQJVVWUDWHJLHUFNHQGLH¿OPLVFKHQ0LWWHOHEHQVRZLHGLHPHGLHQWHFKQLVFKHQ%HGLQJXQJHQLQGHQ%OLFN'DV+ROO\ZRRGNLQRDOOHUGLQJVEULQJWEHUNRPSOH[HVXN]HVVLYH 0RQWDJHQ XQG NRQWLQXLHUHQGH .DPHUDHLQVWHOOXQJHQ GDV 'LVSRVLWLY ± ]XJXQVWHQ HLQHVNRKlUHQWHQ%LOGUDXPHV±]XP9HUVFKZLQGHQ$KWLODKLQJHJHQUHÀHNWLHUWGLHVHV ZLUNPlFKWLJH 5HSUlVHQWDWLRQVV\VWHP GHU PDVVHQPHGLDOHQ %LOGNXOWXU PLWWHOV LKUHU 6LPXOWDQPRQWDJHQ Farben und Töne

(VLVWDXIIDOOHQGGDVVGLH9LGHRLQVWDOODWLRQEHUGHQSXQNWXHOOHQXQGGHXWOLFKPDUNLHUWHQ(LQVDW]YRQ)DUEHQDEHUDXFKYRQ.RPSOHPHQWlUNRQWUDVWHQHEHQVRZLHEHU GLH:LHGHUKROXQJYRQ)DUENRQVWHOODWLRQHQDXIGLH%LOGOLFKNHLWGHU¿OPLVFKHQ3URMHNWLRQYHUZHLVW+lX¿JEDXHQVLFKELOGOLFKDXWRQRPHXQGQLFKWEHUGLH1DUUDWLRQ PRWLYLHUWH %H]XJVV\VWHPH ]ZLVFKHQ GHQ LQ HLQHU 6HTXHQ] VLFKWEDUHQ )DUEHQ DXI %HLVSLHOVZHLVHNRUUHVSRQGLHUWLQQHUKDOEHLQHU6LPXOWDQPRQWDJHGLHPLWWLJJH]HLJWH URWH%OXVHGHU3URWDJRQLVWLQPLWGHQDXIGHUUHFKWHQ3URMHNWLRQ]XVHKHQGHQ9RUKlQJHQDEHUDXFKPLWGHP6WRIIGHUDXIGHUOLQNHQ3URMHNWLRQKLQWHUGHQEHLGHQ/DPSHQ VLFKWEDULVW>$EE@'DUEHUKLQDXVHUJHEHQVLFKLQQHUKDOEHLQHUDQGHUHQ6]HQH IDUEOLFKH%H]JH]ZLVFKHQHLQHU6SLHO]HXJVSLQGHOGLHDXIGHUOLQNHQ/HLQZDQGYRU GHU5HSURGXNWLRQHLQHUMona LisaGUDSLHUWLVWXQGGHU%OXVHGHU+DXSW¿JXUGLHVLFK GXUFKGDVEHUHLWVHUZlKQWHFKDUDNWHULVWLVFKH5RWDXV]HLFKQHWXQGDXIGHUPLWWOHUHQ 3URMHNWLRQ]XVHKHQLVW>$EE@$XFKLQGHU)OXJV]HQHLP:DOGWULWWHLQPDUNDQWHU 5RW*UQ.RQWUDVWDXJHQVFKHLQOLFKLQV%LOG>$EE@GHULQQHUKDOEGLYHUVHU(LQstellungen auftaucht. :HQQ%RUGZHOOGDUDXIYHUZHLVWGDVV.RQWLQXLWlWLQNRPSOH[HQ1DUUDWLRQHQDXI GHUYLVXHOOHQ(EHQHDXFKGXUFKGDVHUQHXWH$XIWDXFKHQYRQ2EMHNWHQ±DEHUDXFK DXIIlOOLJHQ )DUEPDUNLHUXQJHQ ± JDUDQWLHUW ZLUG, dann konterkariert Ahtila dieses DQGLH:LHGHUKROXQJYRQ2EMHNWHQ±XQG)DUEHQ±JHEXQGHQHEHUGLH1DUUDWLRQ PRWLYLHUWH .RQWLQXLWlWVV\VWHP GHV SRSXOlUHQ +ROO\ZRRG¿OPV 'LH 9LGHRLQVWDOODWLRQ ]HLFKQHW VLFK QlPOLFK ± LP *HJHQVDW] GD]X ± KlX¿J GXUFK GLH:LHGHUKROXQJ willkürlicher, kontingenter)DUEPXVWHUDXVGLHQLFKWXQEHGLQJWQDUUDWLYH.RKlUHQ] VWLIWHQ'LHIDUELJHQHooksPDUNLHUHQGHPHQWVSUHFKHQGQLFKWQRWZHQGLJHUZHLVHHLQH NDXVDOH 1DUUDWLRQVVWUXNWXU VRQGHUQ VLH NRQVWLWXLHUHQ HLQ IUHL DVVR]LLHUEDUHV 5DVWHU DXVYLVXHOOHQ0DUNHQGLHDXIGDV0HGLXPNRQNUHWDXIGLH)DUEIRWRJUD¿HP|JOLFKHUZHLVHDEHUDXFKDXIGLHGLJLWDOH3URMHNWLRQVHOEVWYHUZHLVHQ:RP|JOLFKNQSIW

68 Vgl. hierzu auch die Abbildungen in: Ausst. Kat. (2002) Eija-Liisa Ahtila, S. 80–82, 87. 69 Vgl. Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 78.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

Abb. 73: Eija-Liisa Ahtila: The House, 2002, Ausstellungsansicht in der Binding-Brauerei (vgl. auch Abb. 68)

GLHVH,QV]HQLHUXQJVVWUDWHJLHDXFKDQGLHSV\FKLVFKH9HUIDVVXQJGHU3URWDJRQLVWLQDQ 'HQQ GLH +DXSW¿JXU YHUELQGHW (OHPHQWH LKUHU 8PZHOW QDFK HLQHP HLJHQVLQQLJHQ NRQWLQJHQWHQXQGHEHQQLFKWQDFKHLQHPNRQYHQWLRQHOOHQXQGNRKlUHQWHQ:DKUQHKmungsmuster miteinander. %RUGZHOOEHWRQWDX‰HUGHPGDVVGHU)DUEHLQVDW]]ZLVFKHQ6FKZDU]:HL‰XQG IDUELJHQ 6]HQHQ KlX¿J =HLWVWUXNWXUHQ ± ZLH HWZD EHL JFK   ± DEHU DXFK )ODVKEDFNVRGHUKDOOX]LQLHUWH6]HQHQPDUNLHUW$KWLODV9LGHRLQVWDOODWLRQYHUPHLGHW KLQJHJHQ GLHVH HLQGHXWLJH IDUEOLFKH 'LIIHUHQ]LHUXQJ YRQ 5FNEOLFNHQ ,PDJLQD tionen und aktuellen Handlungsverläufen, da die Filmbilder durchgängig gleichförPLJIDUELJSURML]LHUWZHUGHQ'LH'HFKLIIULHUXQJGHU]HLWOLFKHQ6WUXNWXUHQEOHLEWGHP =XVFKDXHUIROJOLFKVHOEVWEHUODVVHQ(ULVWKHUDXVJHIRUGHUWVLFKPLWGHU=HLWOLFKNHLW GHU ¿OPLVFKHQ 3URMHNWLRQ DXVHLQDQGHU]XVHW]HQ GLH LP 'LVSRVLWLY GHV +ROO\ZRRG NLQRVPHLVWHQVXQKLQWHUIUDJWEOHLEWRGHU±ZHQQGDPLWJHVSLHOWZLUGZLHHWZDLQQHUhalb des erwähnten Offbeat-Storytelling±LUJHQGZDQQHLQGHXWLJGHFKLIIULHUWZLUG =XGHPN|QQHQGLHLQGHUYRUOHW]WHQ6HTXHQ]SURML]LHUWHQPRQRFKURPHQ%LOGHU LQ GHQ )DUEHQ 5RW *UQ XQG %ODX DOV HLQ9HUZHLV DXI GLH 3URMHNWLRQVWHFKQLN GHU 9LGHREHDPHUJHOHVHQZHUGHQGLHDXIHLQHU5*%/LFKWPLVFKXQJEDVLHUHQ9RUDOOHP 70 Vgl. Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 76 f.

EIJA-LIISA AHTILA: THE HOUSE

Abb. 74: Eija-Liisa Ahtila: The House, 2002, Ausstellungsansicht in der Binding-Brauerei

LQGHUYHUVWlUNWHQ$EO|VXQJGHVWUDGLWLRQHOOHQ=HOOXORLG0DWHULDOVGXUFKGLHGLJLWDOH 9LGHRWHFKQLNPDQLIHVWLHUWVLFKHLQWHFKQLVFKHU0HGLHQZDQGHOGHUÀH[LEOHUH3UlVHQWDWLRQVP|JOLFKNHLWHQ MHQVHLWV GHU WUDGLWLRQHOOHQ .LQRDQRUGQXQJ HUP|JOLFKW$KWLOD UHDJLHUW RIIHQVLFKWOLFK DXI GLHVH 1HXHUXQJHQ GHU %LOGWHFKQLNHQ 0LW GHU %HWRQXQJ GHUPHGLHQWHFKQLVFKHQ%HVFKDIIHQKHLWGHV/LFKWELOGHVEULQJWVLH]XU*HOWXQJGDVV GLHKHUN|PPOLFKHPDWHULHOOH%DVLVGHUNLQHPDWRJUD¿VFKHQ3URMHNWLRQGLHDXIHLQHP DQDORJHQ 5HSURGXNWLRQVYHUIDKUHQ EHUXKW GXUFK GLJLWDOH 9HUIDKUHQ HUVHW]W ZLUG 'LHVH9HUlQGHUXQJHQGHU3URGXNWLRQV'LVWULEXWLRQVDEHUDXFK5H]HSWLRQVEHGLQJXQJHQ GHV NLQHPDWRJUD¿VFKHQ %LOGHV UHÀHNWLHUW GLH .QVWOHULQ LQ LKUHP *HVDPWZHUNPDQQLJIDOWLJ1LFKW]XOHW]WDXIJUXQGGHU.RPSLODWLRQVP|JOLFKNHLWHQGHUGLJLWDOHQ%LOGWHFKQLNSXEOL]LHUWVLHGLHLQGHU9LGHRLQVWDOODWLRQHU]lKOWH*HVFKLFKWHDXFK LP5DKPHQHLQHU'9':HUNDXVJDEHDOVHLQ]HOQHQ)LOP. $KWLODNRQWHUNDULHUWDX‰HUGHPGLH7UDQVSDUHQ]GHV0HGLXPV)LOPEHLGHPGLH DNXVWLVFKHXQGYLVXHOOH(EHQHJHZ|KQOLFKDOVNRKlUHQWHV%H]XJVV\VWHPRUJDQLVLHUW VLQGGXUFKGHQDV\QFKURQHQ(LQVDW]YRQ%LOGHUQXQG7|QHQ,QQHUKDOEGHU9LGHR LQVWDOODWLRQ LVW DXIIlOOLJ GDVV GLH YLVXHOOH (EHQH PLW GHU 7RQHEHQH LQ HLQ UHÀH[LYHV:HFKVHOYHUKlOWQLVWULWWGHQQGHU7RQKDWLQQHUKDOEGHU,QVWDOODWLRQQLFKWDOOHLQ 71 Vgl. Ahtila 2003: The Cinematic Works of Eija-Liisa Ahtila.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

Q DUUDWLYH 4XDOLWlW GD HU QLFKW QRWZHQGLJHUZHLVH LPPHU GLH VLFKWEDUH +DQGOXQJ HUJlQ]W(UZLUGYRUDOOHPDXFKDOVVLQQOLFKH(UIDKUXQJVTXDOLWlWJHJHQEHUGHU9LVXDOLWlWUHÀHNWLHUWLQVEHVRQGHUHGDQQZHQQGLH9LGHRLQVWDOODWLRQPLWGHP(QW]XJGHV IRWRJUD¿VFKHQ%LOGHVDUEHLWHW±ZLHLQGHUYRUOHW]WHQ6HTXHQ]LQGHUGLH3URWDJRQLVWLQLKU+DXVNRPSOHWWYHUGXQNHOWXQGQXUQRFKLKUH6WLPPHXQGGLYHUVH8PZHOWJHUlXVFKH]XK|UHQVLQG+LHUWULWWGHU7RQLQGHQ9RUGHUJUXQGGHU:DKUQHKPXQJ 'LH9LGHRLQVWDOODWLRQPDUNLHUWGLH%LOGOLFKNHLWGHU3URMHNWLRQGXUFKGLHLQV]HQLHUWH %LOGHUORVLJNHLW'XUFKGLH)RNXVVLHUXQJDXIGHQ7RQEHWRQWVLHGDUEHUKLQDXVGLH MHZHLOVVSH]L¿VFKHVLQQOLFKH4XDOLWlWGHUEHLGHQ0HGLHQ±%LOGXQG7RQ±GLHLQQHUKDOEGHVWUDGLWLRQHOOHQ)LOPVEUXFKORVHLQH6\QWKHVHHLQJHKHQGDVLHGXUFKLKUH6\QFKURQL]LWlWPHLVWXQPHUNOLFKPLWHLQDQGHUJHNRSSHOWVLQG Medialität der Bilder

'LH ¿QQLVFKH .QVWOHULQ VHW]W VLFK LQ LKUHU 9LGHRLQVWDOODWLRQ DX‰HUGHP PLW PHGLDOHQ 7UDQVIRUPDWLRQVSUR]HVVHQ DXVHLQDQGHU GHQQ GLH 0HGLDOLWlW YRQ %LOGHUQ ZLUG GXUFK HLQ EUHLWHV 5HSHUWRLUH DQ 9LVXDOLVLHUXQJVIRUPHQ YRU$XJHQ JHIKUW $QGHUEHVFKULHEHQHQ6HTXHQ]PLWGHU.XK 9 NRQQWHGLHPHGLDOH=LUNXODWLRQ GHU )LOPDXIQDKPHQ ]ZLVFKHQ )HUQVHKELOG XQG 9LGHRSURMHNWLRQ EHUHLWV GHXWOLFK ZHUGHQGHQQKLHUZHFKVHOWHGDV7LHUPHKUIDFKVHLQ0HGLXP$EHUDXFKZHLWHU ]XUFNUHLFKHQGH'DUVWHOOXQJVXQG5HSURGXNWLRQVYHUIDKUHQGHU0HGLHQJHVFKLFKWHZLHHWZD0DOHUHL'UXFNJUD¿NXQG)RWRJUD¿HIKUHQGLHYLHOIlOWLJHQ0HGLHQZHFKVHOGHU%LOGHUYRU$XJHQXQGVHW]HQGLH%LOGPlFKWLJNHLWXQG+\EULGLVLHUXQJ GHU PDVVHQPHGLDOHQ %LOGNXOWXU LQ 6]HQH (V LVW DXIIDOOHQG GDVV GLYHUVH ELOGOLFKH 'DUVWHOOXQJHQ LQ GHQ 3URMHNWLRQVELOGHUQ GHU 9LGHRLQVWDOODWLRQ YHUVFKLHGHQDUWLJGXSOL]LHUWZHUGHQRGHUDXFKLQQHUKDOEGHU)LOPDXIQDKPHEHUHLWVPHKUIDFK UHSURGX]LHUWVLQG%HLVSLHOVZHLVH]HLJWHLQH)LOPHLQVWHOOXQJLP)OXUGHV+DXVHV GLYHUVH)RWRJUD¿HQYRQ6HJHOVFKLIIHQ'LHVHV%LOGPRWLYWDXFKWLQGHQSURML]LHUWHQ YROOIRUPDWLJHQ .VWHQDXIQDKPHQ HEHQIDOOV ZLHGHU DXI 'DUEHU KLQDXV LVW LQ HLQHP 3URMHNWLRQVELOG GLH DQ HLQHU :DQG DXIJHKlQJWH 0DOHUHL HLQHV HLQ]HOQ VWHKHQGHQ+DXVHV>$EEOLQNH3URMHNWLRQ@]XVHKHQ]XJOHLFKWDXFKWGDV+DXV DOV]HQWUDOHV0RWLYLPPHUZLHGHULQQHUKDOEGHU¿OPLVFKHQ(U]lKOXQJDOVIRWRJUD¿HUWHV 2EMHNW DXI >YJO$EE @ =XGHP NDQQ PDQ LQQHUKDOE HLQHU (LQVWHOOXQJ EHL DXIPHUNVDPHU %HWUDFKWXQJ HLQHQ 'UXFN YRQ /HRQDUGRV Mona Lisa auf dem .DPLQVLPVLP:RKQ]LPPHUHUNHQQHQ>$EEUHFKWH3URMHNWLRQ@'DVEHUKPWH *HPlOGHHUVFKHLQWKLHU]ZHLIDFKPHGLDOLVLHUWXQGKDWVHLQHQ6WDWXVDOVª2ULJLQDO© YHUORUHQ'HU'UXFNVWHOOWHLQH5HSURGXNWLRQGHU0DOHUHLGDUGDV9LGHRELOGVWHOOW HLQH5HSURGXNWLRQGHU5HSURGXNWLRQGDU =XGHP WDXFKW GLH +DXSW¿JXU ]XP 7HLO GRSSHOW DXI >$EE @ ± HEHQVR ZLH GLH.XK>$EE@%LOGHUNRPPHQKLHUHLQHUVHLWVDOV5HVXOWDWPHQWDOHU3UR]HVVH ]XU$QVFKDXXQJ GHQQ GLH 3URMHNWLRQHQ VWHOOHQ KlX¿J ,PDJLQDWLRQHQ GHU 3URWDJRQLVWLQGDU$QGHUHUVHLWVXQWHUVWUHLFKW$KWLODDEHUDXFKGLHPHGLDOH(LJHQVFKDIW 72 Vgl. hierzu auch die Abbildung im Ausst.Kat. (2002) Eija-Liisa Ahtila, S. 79.

EIJA-LIISA AHTILA: THE HOUSE

YRQ %LOGHUQ LQQHUKDOE HLQHU PDVVHQPHGLDOLVLHUWHQ .XOWXU 'LH ,QVWDOODWLRQ IKUW YRU$XJHQGDVVYLVXHOOH0RWLYHLKUH0HGLHQZHFKVHOQN|QQHQ,QGHUHUK|KWHQ 5HSURGXNWLRQVIUHTXHQ]YRQ%LOGHUQOLHJWHLQQLFKWOHGLJOLFKTXDQWLWDWLYHVVRQGHUQ DXFKHLQTXDOLWDWLYHV0RPHQWGHU]HLWJHQ|VVLVFKHQYLVXHOOHQ.XOWXUGDV$KWLODLQ GHQ%OLFNQLPPW0LWGHU0DVVHQPHGLDOLVLHUXQJGHU%LOGNXOWXUHQYHUlQGHUWVLFK QLFKWOHGLJOLFKGLH0DVVHGHU%LOGHUVRQGHUQVFKOLH‰OLFKDXFKGDV9HUKlOWQLVYRQ .XOWXUHQ]XLKUHQ%LOGHUQ 'DUEHUKLQDXVOlVVWGLH9LGHRLQVWDOODWLRQGLH%HWUDFKWHUDQHLQLJHQ6WHOOHQLP 8QJHZLVVHQREHVVLFKEHLP*H]HLJWHQXPGLH,PDJLQDWLRQHQGHU+DXSW¿JXUKDQGHOWRGHUREGLH%LOGHUHLQHQLQGHU(U]lKOXQJDOVUHDOHWDEOLHUWHQ+DQGOXQJVUDXP EH]HLFKQHQ 'HU HLQGHXWLJH UHSUlVHQWLHUHQGH 6WDWXV GHV ¿OPLVFKHQ %LOGHV JHUlW DXIJUXQGHLQHUXQHLQGHXWLJHQ1DUUDWLRQDXIJUXQGHLQHVZHQLJVWDELOHQ(U]lKONRQWH[WHVLQV:DQNHQ6LJQL¿NDQWXQG6LJQL¿NDWJHUDWHQGXUFKHLQDQGHU'DVIRWRJUD¿VFKH %LOG UHSUlVHQWLHUW GDQQ QLFKW PHKU ± ZLH NRQYHQWLRQHOO LP +ROO\ZRRGNLQR ±EUXFKORVGLH1DUUDWLRQ'HUXQVLFKHUH6WDWXVGHV%LOGHV±HQWZHGHUDOV5HSUlVHQWDWLRQHLQHVªUHDOHQ©(UHLJQLVVHVLQQHUKDOEHLQHUQDUUDWLYHQ)LNWLRQRGHUDOV5HSUlVHQWDWLRQHLQHU,PDJLQDWLRQGHU3URWDJRQLVWLQ±YHUZHLVWDXIGDVIRWRJUD¿VFKH%LOG VHOEVW6HLQH%LOGOLFKNHLWVHLQHUHSUlVHQWLHUHQGH(LJHQVFKDIWWULWWLQ(UVFKHLQXQJ 'LH2IIHQOHJXQJGHV%LOGFKDUDNWHUVVWHOOW]XJOHLFKGLH7UDQVSDUHQ]GHV0HGLXPV VHLQH5HIHUHQWLDOLWlW]XU'LVNXVVLRQ

DISKURSFELDER DER 1970ER JAHRE: »APPARATUSTHEORIE« UND »SUTURE«

:LHGLHYRUDQJHJDQJHQHQ$XVIKUXQJHQ]HLJHQNRQQWHQVWHKW$KWLODV9LGHRLQVWDOODWLRQPLWGHQ'DUVWHOOXQJVNRQYHQWLRQHQGHV+ROO\ZRRGNLQRVLQ9HUKDQGOXQJ'LIIHUHQ]HQDEHUDXFKbKQOLFKNHLWHQVLQGLP+LQEOLFNDXI1DUUDWLRQVVFKHPDWDXQG9LVXDOLVLHUXQJVIRUPHQ]XEHREDFKWHQ(LQPDUNDQWHU8QWHUVFKLHGPDQLIHVWLHUWVLFKDXIGHU (EHQHGHULQVWDOODWLYHQ$QRUGQXQJGHQQKLHUNRPPWGLH5HÀH[LRQGHV'LVSRVLWLYV .LQRLP%H]XJDXIVHLQHUlXPOLFKH6WUXNWXU]XP7UDJHQ Auch die sogenannte ApparatustheorieGLHXQWHUDQGHUHPLP8PIHOGGHUIUDQ]|VLVFKHQ)LOP]HLWVFKULIWHQCinétique und Cahiers du Cinéma formuliert wurde, hatte sich VHLW(QGHGHUHU-DKUHQQLFKWDOOHLQPLWGHULQQHU¿OPLVFKHQ(EHQHGHV.LQRVVRQGHUQYRUDOOHPDXFKPLWGHPNLQHPDWRJUD¿VFKHQ$SSDUDWVHLQHU7HFKQLNXQGPLWGHQ 3URMHNWLRQVEHGLQJXQJHQ LP .LQRUDXP EHVFKlIWLJW73$Q GLHVHQ KLVWRULVFKHQ 'LVNXUV NDQQDXFKGLH,QVWDOODWLRQYRQ$KWLODDQNQSIHQbKQOLFKZLHGLH9LGHRLQVWDOODWLRQ± MHGRFKKLHUDXINQVWOHULVFKSUDNWLVFKHU(EHQH±VHW]WHPDQVLFKLQXQWHUVFKLHGOLFKHQ $QVlW]HQGHUApparatustheorieDXIWKHRUHWLVFKHU(EHQHPLWGHU¿[LHUWHQ3RVLWLRQGHV 73 Vgl. hierzu den Sammelband von Riesinger, der die maßgeblichen Aufsätze der historischen Debatte versammelt: Riesinger 2003: Der kinematografische Apparat. Von einer Apparatustheorie zu sprechen verkürzt die Komplexität des Diskurses, da er unterschiedliche Überlegungen zum Dispositiv Kino umfasst. Im Rahmen meiner Ausführungen werde ich jedoch nur einzelne Aspekte fokussieren und nehme diese Reduktion in Kauf.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

=XVFKDXHUV VHLQHU ,PPRELOLWlW LP 3URMHNWLRQVUDXP XQG DXFK PLW GHU GDPLW HLQKHU JHKHQGHQ)L[LHUXQJGHU%OLFNDFKVH]ZLVFKHQ%HWUDFKWHUXQG/HLQZDQGDXVHLQDQGHU,Q GHU'HEDWWHVSLHOWHGLH'LV]LSOLQLHUXQJGHV=XVFKDXHUEOLFNVHLQH]HQWUDOH5ROOHHEHQVR ZLHGLH,PSOLNDWLRQHQGHUWHFKQLVFKHQ$SSDUDWXUIUGLH)LOPZDKUQHKPXQJGLVNXWLHUW ZXUGHQ GDUEHU KLQDXV UHÀHNWLHUWH PDQ GDV YRUZLHJHQG ]HQWUDOSHUVSHNWLYLVFK RUJDQLVLHUWH )LOPELOG NULWLVFK $XFK %RUGZHOO ZDU LP 5DKPHQ GHU 86DPHULNDQLVFKHQ )LOPZLVVHQVFKDIWHQLQGLHVHQQLFKW]XOHW]WHQJOLVFKVSUDFKLJHQ'LVNXUVHLQJHEXQGHQ74 (U ZXUGH YRU DOOHP LQ GHQ HU -DKUHQ XQWHU %H]XJQDKPH DXI GLH IUDQ]|VLVFKHQ $QVlW]HGHUHU-DKUHLQGHQ9HUHLQLJWHQ6WDDWHQJHIKUW%RUGZHOOVHOEVWOHKUWHXQG IRUVFKWHLQGHQYHUJDQJHQHQ-DKUHQYRUZLHJHQGDQGHUUniversity of Wisconsin in 0DGLVRQ'LH%HVFKlIWLJXQJPLW$QVlW]HQGHUApparatustheorie±YRQGHUHQSV\FKRDQDO\WLVFKHU3HUVSHNWLYHHUVLFKVWDUNDEJUHQ]WH±EHJUQGHWHVHLQHHKHUIRUPDOLVWLVFKH $XVHLQDQGHUVHW]XQJPLWGHP)LOPXQGVHLQHQ'DUVWHOOXQJVNRQYHQWLRQHQLQQHUKDOEGHU 0DVVHQPHGLHQNXOWXU $KWLODV$UEHLW NDQQ DQ GLHVH KLVWRULVFKH 'HEDWWH LP +LQEOLFN DXI GLH NULWLVFKH 5HÀH[LRQ GHU$XIIKUXQJVEHGLQJXQJHQ GHV .LQRV DQNQSIHQ 'HQQ VLH XQWHUOlXIW GLH WUDGLWLRQHOOH $XVULFKWXQJ DXI GDV HLQ]HOQH YRUQHKPOLFK ]HQWUDOSHUVSHNWLYLVFK VWUXNWXULHUWH3URMHNWLRQVELOGPLWHLQHU+HWHURJHQLVLHUXQJGHV%OLFNIHOGHV6LHEULFKW GLH7RWDOLWlWGHUGXUFKGDV/LFKWJHUDKPWHQ%LOGÀlFKHLQQHUKDOEGHUWUDGLWLRQHOOHQ .LQRVLWXDWLRQDXI0LWWHOVGHUGUHL/HLQZlQGHZLUGGLHIUJHZ|KQOLFKmonoplanimetrische 3URMHNWLRQ LQ HLQHQ polyplanimetrischen 'DUVWHOOXQJVPRGXV EHUIKUW 0LWGLHVHPLQVWDOODWLYHQ9HUIDKUHQXQWHUOlXIW$KWLODGHQDXFKLPApparatus'LVNXUV WKHPDWLVLHUWHQ 5DXP EHKHUUVFKHQGHQ %OLFN GHU .DPHUD GHU H[NOXVLY XQG WRWDO LP WUDGLWLRQHOOHQ.LQRGLH*HVFKHKQLVVHGHU¿OPLVFKHQ1DUUDWLRQLQHLQHU(LQ]HOSURMHNtion visualisiert,QQHUKDOEGHUGUHLNDQDOLJHQ3URMHNWLRQLVWGHU=XVFKDXHUPLWGHU VWlQGLJHQ3UlVHQ]DOWHUQDWLYHU.DPHUDHLQVWHOOXQJHQNRQIURQWLHUW'LH3OXUDOLVLHUXQJ GHU3URMHNWLRQVÀlFKHQLP$XVVWHOOXQJVUDXPXQWHUOlXIWGHQWRWDOLVLHUHQGHQ%OLFNGHV WUDGLWLRQHOOHQ .LQRV XQG DXFK GLH )L[LHUXQJ GHV %HWUDFKWHUV DXI HLQH =XVFKDXHU SRVLWLRQ77'LH.RQVWUXNWLRQGHV¿OPLVFKHQ5DXPVZLUGLQGHU9LGHRLQVWDOODWLRQ±PLW :LQNOHUIRUPXOLHUW±IROJOLFKªQLFKWDOVXQKLQWHUIUDJEDUH9RUUDXVVHW]XQJGHU¿OPLVFKHQ3URGXNWLRQGDUJHVWHOOW©VRQGHUQDOVªHLQH$UWQHXUDOJLVFKHU3XQNWXPGHQVLFK

74 Vgl. vor allem für den US-amerikanischen Diskurs: Lauretis/Heath 1980: The Cinematic Apparatus; Hak Kyung Cha 1981: Apparatus; Rosen 1986: Narrative, Apparatus, Ideology. Für eine kritische Revision des Diskurses im deutschsprachigen Raum: Winkler 1992: Der filmische Raum und der Zuschauer. Einer der prominentesten, historischen Aufsätze aus feministischer Perspektive dürfte Mulveys kritischer Beitrag über das Hollywoodkino sein: Mulvey 1973: »Visuelle Lust und narratives Kino«. 75 Zum zentralperspektivisch organisierten Projektionsbild im Kino vgl. auch Winkler 1992: Der filmische Raum und der Zuschauer. 76 Vgl. zur filmischen Raumkonstruktion vor allem: Winkler 1992: Der filmische Raum und der Zuschauer. 77 Vgl. zu einer detaillierteren Ausführung dieser Gedanken: Hoffmann: »Durch die Linse der Apparatustheorie«.

EIJA-LIISA AHTILA: THE HOUSE

HLQLJHGHU]HQWUDOHQ*HVHW]Pl‰LJNHLWHQXQG,OOXVLRQHQGHV0HGLXPVJUXSSLHUHQ©. $KWLOD HUJUHLIW LKUH ª0D‰QDKPHQ JHJHQ GHQ 5DXP© MHGRFK QLFKW ZLH HWZD GLH Nouvelle Vague oder der Neue Deutsche Film,DOOHLQDXIGHULQQHU¿OPLVFKHQ(EHQH $XIGHU(EHQHGHUNQVWOHULVFKHQ3UD[LVVFKOLH‰WVLHPLWLKUHU,QVWDOODWLRQVDQRUGQXQJ DQ HLQHQ 'LVNXUV DQ GHQ QLFKW ]XOHW]W DXFK +HLGH 6FKOSPDQQ LP %OLFN KDW 'LH ª.LQRZLVVHQVFKDIWOHULQ©SOlGLHUWHLQQHUKDOELKUHU)RUVFKXQJYRUDOOHPIUGLH5HÀH[LRQGHU.LQRZDKUQHKPXQJXQGHUIDKUXQJMHQVHLWVGHULQQHU¿OPLVFKHQ'LPHQVLRQHQGHV0HGLXPVXQGULFKWHWHGHQ%OLFNDXIGHQ.LQRXQG=XVFKDXHUUDXP Auch 5D\PRQG%HOORXUHEHQVRZLH-XOLDQH5HEHQWLVFKKDWDXIGLH$XVHLQDQGHUVHW]XQJ GHU]HLWJHQ|VVLVFKHQ9LGHRNXQVWPLWGHP.LQRKLQJHZLHVHQ=XGHPEHWRQW0DUF 1DVKLQVHLQHP$UWLNHO]XUHOIWHQ'RFXPHQWDGDVVGLH(LQIKUXQJYRQ9LGHRXQG )LOPLQVWDOODWLRQHQ LQ GHQ$XVVWHOOXQJVNRQWH[W HLQH %HIUHLXQJ GHV =XVFKDXHUV YRQ GHQ%HVFKUlQNXQJHQGHVWUDGLWLRQHOOHQ.LQRVEHGHXWHWKDEH %HPHUNHQVZHUW LVW GDVV DEHU DXFK GLH LQQHU¿OPLVFKH 6HLWH GHV:HUNHV DQ GDV EHUHLWV VNL]]LHUWH KLVWRULVFKH 'LVNXUVIHOG GHU Apparatustheorie DQNQSIHQ NDQQ 'HQQGLHLQKDOWOLFKHDEHUDXFK¿OPlVWKHWLVFKH(EHQHGHU9LGHRLQVWDOODWLRQVFKHLQW DXIGHQ,GHQWL¿NDWLRQVSUR]HVVGHV%HWUDFKWHUVPLWGHU¿OPLVFKHQ1DUUDWLRQ]XYHUZHLVHQGHULQDSSDUWXVWKHRUHWLVFKHQhEHUOHJXQJHQHLQH]HQWUDOH5ROOHVSLHOWH'HU IUDQ]|VLVFKH)LOPWKHRUHWLNHU%DXGU\EHWRQWHGDVVGHU%HWUDFKWHUEHLGHU)LOPZDKUQHKPXQJLP.LQRPLWHLQHU6LQQHVHUIDKUXQJNRQIURQWLHUWVHLGLHGHU:DKUQHKPXQJ EHLP7UlXPHQ VHKU QDKHNRPPH (U EHVFKlIWLJWH VLFK LQ VHLQHP SURPLQHQWHQ$XIVDW]PLWGHU%H]LHKXQJ]ZLVFKHQª.LQR©XQGª7UDXP©]ZLVFKHQªGXQNOHU+|KOH© XQG HLQHU ªKDOOX]LQDWRULVFKHQ (UIDKUXQJ© EHL GHU PDQ 8QZLUNOLFKHV IU ZLUNOLFK KlOW ± JDQ] lKQOLFK ZLH LP 7UDXP DOVR (U JLQJ VRJDU VRZHLW GLH 6HKHUIDKUXQJ LP.LQRUDXPLP6LQQHHLQHUSV\FKRDQDO\WLVFKHQ/HVDUWDOVHLQHªKDOOX]LQDWRULVFKH :XQVFKSV\FKRVH©]XEHVFKUHLEHQ,KU]ZDUVHOEVWJHZlKOWHUDEHUGHQQRFKKDOOX ]LQDWRULVFKHU &KDUDNWHU ]HLFKQH VLFK VR %DXGU\ LQVEHVRQGHUH GDGXUFK DXV GDVV GLH )lKLJNHLW ]XU 8QWHUVFKHLGXQJ YRQ :DKUQHKPXQJ XQG 9RUVWHOOXQJ DEKDQGHQ komme.(VLVWEHPHUNHQVZHUWGDVVGLH9LGHRLQVWDOODWLRQYRQ$KWLODHLQHJDQ]lKQOLFKH6LQQHVHUIDKUXQJUHÀHNWLHUW6LHVSLHJHOWHLQHUVHLWVQDUUDWLYDEHUDXFKYLVXHOOGLH 78 Winkler 1992: Der filmische Raum und der Zuschauer, S. 92. 79 Diese Wendung nutzt Winkler, um zu beschreiben, wie innerhalb der Filmgeschichte die Grenzen des Mediums auf vielfältige Weise ausgelotet wurden. Er beschreibt, dass die Arbeit »gegen eine von der Kamera diktierte Geometrie« (S. 95), gegen den zentralperspektivisch organisierten Raum also, einen zentralen Stellenwert einnahm (vgl. Winkler 1992: Der filmische Raum und der Zuschauer, S. 92–101). 80 Vgl. u.a. Schlüpmann 2006: »Celluloid und Co. Filmwissenschaft als Kinowissenschaft«. 81 Vgl. Bellour 2001: »Über ein anderes Kino«; Rebentisch 2003: Ästhetik der Installation, insbesondere S. 179–207. 82 Vgl. Nash 2002: »Bildende Kunst und Kino«, S. 129. 83 Vgl. Baudry 1975: »Das Dispositiv«. 84 Baudry 1975: »Das Dispositiv«, S. 53. 85 Vgl. Baudry 1975: »Das Dispositiv«, S. 56.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

*UDWZDQGHUXQJGHU3URWDJRQLVWLQ]ZLVFKHQUHDOHU:HOWZDKUQHKPXQJXQG,PDJLQDtion wider. Zugleich konfrontiert sie aber auch den Zuschauer mit eben genau dieser :DKUQHKPXQJVHUIDKUXQJ'HU%HWUDFKWHUVHOEVWYHUOLHUWLP+LQEOLFNDXIGLH5H]HSWLRQGHU%HZHJWELOGHUGLH8QWHUVFKHLGXQJVIlKLJNHLW]ZLVFKHQª5HDOLWlW©XQGª,PDJLQDWLRQ©(UZLUGGD]XKHUDXVJHIRUGHUWGLHVHYHUVFKLHGHQHQ(EHQHQGHU¿OPLVFKHQ 1DUUDWLRQLQHLQHPDNWLYHQ5H]HSWLRQVSUR]HVV]XGLIIHUHQ]LHUHQ'LHEUXFKORVH,GHQWL¿NDWLRQPLWGHU(U]lKOXQJZLUGGXUFKGLHVH,QV]HQLHUXQJVVWUDWHJLHXQWHUODXIHQ'LH innerhalb der Installation angelegten, changierenden Realitätsebenen können folglich UHÀH[LY DQ HLQH:DKUQHKPXQJVHUIDKUXQJ GHV .LQRV DQVFKOLH‰HQ GLH DXFK %DXGU\ EHVFKULHEHQ KDWWH ,Q DSSDUDWXVWKHRUHWLVFKHU /HVDUW N|QQWH PDQ GDV :HUN DOVR DOV HLQH$XVHLQDQGHUVHW]XQJPLWGHP,GHQWL¿NDWLRQVSUR]HVVGHV=XVFKDXHUVZlKUHQGGHU )LOPUH]HSWLRQYHUVWHKHQXQGGDPLWDOVHLQHHUZHLWHUWH5HÀH[LRQGHU:DKUQHKPXQJVDQRUGQXQJGHVWUDGLWLRQHOOHQ.LQRV 'LHRELJHQ$XVIKUXQJHQN|QQHQDX‰HUGHPYHUGHXWOLFKHQGDVVGHUYLHOGLVNXWLHUWH ª¿OPLVFKH 5DXP© ZHLW PHKU XPIDVVW DOV OHGLJOLFK GHQ LQQHU¿OPLVFK GDUJHVWHOOWHQ +DQGOXQJVRUW 0LW LKP YHUELQGHW VLFK MHQVHLWV HLQHU LQQHUELOGOLFK RUJDQLVLHUWHQ 5DXPVWUXNWXU ]XGHP HLQH $UW ª:DKUQHKPXQJVYHUWUDJ© GHU ]ZLVFKHQ GHU )LOPSURMHNWLRQXQGGHP%HWUDFKWHULP.LQRUDXPJHVFKORVVHQZLUG'DVNODVVLVFKH (U]lKONLQRIXQNWLRQLHUWJHUDGHEHUGLHVHV(LQODVVHQDXIHLQH±QXUYHUPHLQWOLFK± NRKlUHQWHNLQHPDWRJUD¿VFKH:HOWEHLGHUGHU=XVFKDXHUQLFKWDXIGLHNRQVWUXLHUWH 6HLWHGHV0HGLXPVJHVWR‰HQZLUG'HUGXQNOH3URMHNWLRQVUDXPXQGGLH)L[LHUXQJDXI HLQH%HWUDFKWHUSRVLWLRQZDUHQLQGHU/HVDUWGHUApparatustheorie]HQWUDOH%HGLQJXQJHQIUGLHVHEUXFKORVH5H]HSWLRQVHUIDKUXQJ$XFK1DVKYHUZHLVWLQVHLQHP$UWLNHO LQQHUKDOEGHV'RFXPHQWD.DWDORJVDXIGLHVHVKLVWRULVFKH'LVNXUVIHOG »Die psychoanalytische Filmtheorie nahm ihren Ausgang in einer Analyse des dominierenden Systems der Zuschauerführung – der klassische Hollywood-Film konzentrierte sich auf die Rolle des Blicks, gefasst in das Schema Einstellung-Gegeneinstellung und einer bestimmten historischen Form der Haltung des Zuschauers: die des gewöhnlichen Kinobesuchers, die durch [...] die Architektur des Filmpalasts gestützt wurde. Ihre zentrale These – der Begriff des Blicks und die Vorstellung einer spezifischen Form von Subjektivität, die sich durch das Kinoerlebnis herausbildet – wurden zu dem Zweck entwickelt, den ideologischen Masseneinfluss des Kinos zu erklären [...].« 

$KWLODNQSIWDQGLHDXFKYRQ1DVKJUREVNL]]LHUWHQhEHUOHJXQJHQGHUApparatustheorieDQGDVLHGLH'DUVWHOOXQJVNRQYHQWLRQHQXQG5HSUlVHQWDWLRQVEHGLQJXQJHQ GHVNODVVLVFKHQ+ROO\ZRRGNLQRVXQWHUOlXIWXQGGHQ=XVFKDXHULQNULWLVFKH'LVWDQ] ]X GHQ 9LVXDOLVLHUXQJVIRUPHQ GHU PDVVHQPHGLDOHQ %LOGNXOWXU VHW]W 'LH YRQ GHU Apparatustheorie IRUPXOLHUWH LGHRORJLVFKH %HHLQÀXVVXQJ GHV =XVFKDXHUV GXUFK 86 Nash 2002: »Bildende Kunst und Kino«, S. 130; vgl. im Hinblick auf den Aspekt der Ideologie im Diskurs der Apparatustheorie den zentralen Aufsatz von Baudry 1970: »Ideologische Effekte erzeugt vom Basisapparat«.

EIJA-LIISA AHTILA: THE HOUSE

GDV 0DVVHQNLQR NRQWHUNDULHUW VLH PLWWHOV HLQHU HLJHQVWlQGLJHQ LQVWDOODWLYHQ $QRUGQXQJGLHGDVHLQVWYRQGHUIUDQ]|VLVFKHQ)LOPWKHRULHEHVFKULHEHQH'LVSRVLWLY .LQRUHÀH[LYLQGHQ%OLFNQLPPW %DXGU\ KDWWH GLH DXFK YRQ 1DVK HUZlKQWH ªVSH]L¿VFKH )RUP YRQ 6XEMHNWLYLWlW©HLQJHKHQGEHVFKULHEHQ'HUIUDQ]|VLVFKH)LOPWKHRUHWLNHUNRQVWDWLHUWHQlPOLFK GDVVGXUFKGLHEUXFKORVH,GHQWL¿NDWLRQGHV%HWUDFKWHUVPLWGHP.LQRJHVFKHKHQGHU 9HUOXVWGHV6XEMHNWVWDWXVYHUEXQGHQVHL(UZDUGDYRQEHU]HXJWGDVVGHU%HWUDFKWHUGXUFKGLH:DKUQHKPXQJVHUIDKUXQJLP.LQRYROOVWlQGLJLQGHUEHUGLHNLQHPDWRJUD¿VFKH7HFKQLNLPSOHPHQWLHUWHQ,OOXVLRQDXIJHKH'HQQGDV.LQRVRKlOWHUIHVW ªUHSURGX]LHUWEOR‰HLQHQ5HDOLWlWVHLQGUXFNHVO|VWGHQ.LQR(IIHNWDXVGHUVLFKPLW GHP GXUFK GHQ 7UDXP YHUDQODVVWHQ 5HDOLWlWVHLQGUXFN YHUJOHLFKHQ OlVVW 8P GLHVH 6LPXODWLRQ KHUYRU]XUXIHQ WULWW GDV JDQ]H NLQHPDWRJUD¿VFKH 'LVSRVLWLY LQ$NWLRQ 'DEHLKDQGHOWHVVLFKMHGRFKXPGLH6LPXODWLRQGHV6XEMHNW]XVWDQGVHLQH6XEMHNWSRVLWLRQHLQH6XEMHNWZLUNXQJXQGQLFKWXPGLH5HDOLWlW© *HQDX GLHVHQ LOOXVLRQlUHQ 6XEMHNWVWDWXV UHÀHNWLHUW GLH ,QVWDOODWLRQ YRQ $KWLOD GXUFK GLH 9HUXQNOlUXQJ YRQ VXEMHNWLYHQ XQG REMHNWLYHQ :DKUQHKPXQJVHEHQHQ LQQHUKDOEGHU¿OPLVFKHQ1DUUDWLRQ(LQHEUXFKORVHWUDXPZDQGOHULVFKH,GHQWL¿NDWLRQ GHV=XVFKDXHUVPLWGHP*HVFKHKHQLVWQLFKWP|JOLFK'DV:HUNNRNHWWLHUWJOHLFKVDPPLWGHPYRQ%DXGU\EHVFKULHEHQHQª.LQR(IIHNW©LQVROFKHQ6]HQHQLQGHQHQ WUDXPlKQOLFKH,PDJLQDWLRQHQZLHGLH6FKZHUHORVLJNHLWGHV.|USHUVZlKUHQGHLQHV :DOGÀXJHVYLVXDOLVLHUWZHUGHQ$XIGHUDQGHUHQ6HLWHNLFNWGLH'UHLNDQDO3URMHNWLRQ GHQ =XVFKDXHU PLWWHOV VHOEVWUHÀH[LYHU ,QV]HQLHUXQJVVWUDWHJLHQ LPPHU ZLHGHU DXV dem Reich der Imagination. 'DVV GLH EHU GLH ,QVWDOODWLRQ HU]lKOWH *HVFKLFKWH LQ HLQHP ¿OPWKHRUHWLVFKHQ 'LVNXUVYHUDQNHUWLVWGHUQLFKW]XOHW]WHLQHQ$XVJDQJVSXQNWLQGHQHU-DKUHQ ¿QGHWNDQQDXFKGDVZLHGHUKROWH0RWLYGHV1lKHQVXQWHUPDXHUQ'HQQGLHª1DKWVWHOOH©]ZLVFKHQNLQHPDWRJUD¿VFKHU)LNWLRQXQG=XVFKDXHUZDKUQHKPXQJKDWWHGLH IUDQ]|VLVFKH )LOPWKHRULH PLW GHP %HJULII GHU Suture 1DKW  HLQJHKHQG HU|UWHUW 'LHVHV0RWLYGHV1lKHQVWDXFKWLQQHUKDOEGHU,QVWDOODWLRQHUVWDXQOLFKHUZHLVHLPPHU GDQQDXIZHQQGLH%UFKHLQGHU(U]lKOXQJGUDVWLVFKLQ(UVFKHLQXQJWUHWHQXQGGHU =XVFKDXHU]LHPOLFKUDGLNDODXVGHUQDUUDWLYHQ)LNWLRQKLQDXVJHZRUIHQZLUG:XUGH GLH*HVFKLFKWHPLWGHP:DOGÀXJDXILKUHQ¿NWLRQDOHQ+|KHSXQNWJHWULHEHQGDQQ EULFKWGHUGDUDXIIROJHQGH6FKQLWWGLH¿OPLVFKH)LNWLRQDEUXSWDXI1DFKHLQHPKDUWHQ 6FKQLWWDXIDOOHQGUHL3URMHNWLRQVÀlFKHQLVWGLH3URWDJRQLVWLQZLHGHUXPDQLKUHU1lKPDVFKLQH]XVHKHQZlKUHQGGLHEHLGHQDQGHUHQ/HLQZlQGHHLQHUVHLWVHLQYHUKlQJWHV )HQVWHU XQG DQGHUHUVHLWV HLQHQ %OLFN DXV HLQHP )HQVWHU DXI HLQHQ 0HHUHVKRUL]RQW

87 Vgl. Baudry 1975: »Das Dispositiv«. 88 Baudry 1975: »Das Dispositiv«, S. 61. 89 Die Debatte um die Suture wurde verstärkt ab Ende der 1960er Jahre im Kontext der französischen Filmtheorie geführt. Vgl. die beiden paradigmatischen Aufsätze von Jean Pierre Oudart unter gleichnamigem Titel in den Cahiers du Cinéma (Ausgabe 211 und 212): Oudart 1969: »La Suture«; aber auch: Winter 1977/78: »Cinema and Suture«; Silverman 1986: »Suture«.

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386

III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

]HLJHQ(LQHYROOVWlQGLJH,GHQWL¿NDWLRQGHV=XVFKDXHUVLVWKLHUNHLQHVIDOOVP|JOLFK'HU %UXFKZLUGMHGRFKQRFKUDGLNDOLVLHUW'LHGUHL3URMHNWLRQHQ]HLJHQPLWHLQHPGDUDXI IROJHQGHQ6FKQLWWGLHVFKRQEHVFKULHEHQHQPRQRFKURPHQ%LOGÀlFKHQ ,; $XFKGLH 'RSSOXQJ GHU 3URWDJRQLVWLQ >$EE @ YHUZHLVW DXI HLQH 5HÀH[LRQ GHU =XVFKDXHU LGHQWL¿NDWLRQLPWUDGLWLRQHOOHQ.LQRGHQQHLQHLQGHXWLJHULGHQWL¿NDWRULVFKHU%H]XJ DXIGLHKDQGHOQGH$NWHXULQZLUGPLWGHP+LQ]XWUHWHQLKUHV'RXEOHVLUULWLHUW In der 6SLHJHOXQJGHUEHLGHQ)UDXHQIKUW$KWLODHLQPDOPHKUGLHSutureDOVVFKPDOHQ*UDW HLQHV,GHQWL¿NDWLRQVSUR]HVVHVYRQ6XEMHNWXQG2EMHNWYRU$XJHQXQGYHUKLQGHUWGDPLW HLQYROOVWlQGLJHVHLQWDXFKHQLQGLH¿OPLVFKH:LUNOLFKNHLW 'LH,QVWDOODWLRQUHÀHNWLHUWIROJOLFKHLQHSV\FKLVFKH:DKUQHKPXQJVHUIDKUXQJGLH LQVEHVRQGHUHGLHIUDQ]|VLVFKH)LOPWKHRULHLP5DKPHQLKUHUDSSDUDWXVWKHRUHWLVFKHQ hEHUOHJXQJHQDEHUDXFKLP+LQEOLFNDXIGHQ7RSRVGHUSuture thematisiert hatte. ,QEHLGHQ'LVNXUVIHOGHUQVWDQGGHU6XEMHNWVWDWXVGHV=XVFKDXHUVZlKUHQGGHU)LOPUH]HSWLRQ]XU'LVSRVLWLRQ'LHVHQ'LVNXUVVSLHJHOW$KWLODV9LGHRLQVWDOODWLRQPLWGHU ,QV]HQLHUXQJLKUHU3URWDJRQLVWLQDOV6XEMHNWXQG2EMHNWGHU(U]lKOXQJXQGYHUZHLVW GDPLW]XJOHLFKDXIGLH=XVFKDXHUSRVLWLRQ'HQQXP.RKlUHQ]LQGHU:DKUQHKPXQJ KHU]XVWHOOHQHUVFKHLQWHVQRWZHQGLJHLQHHLQGHXWLJH6XEMHNWSRVLWLRQJHJHQEHUGHP ª2EMHNW©GHU%HWUDFKWXQJHLQ]XQHKPHQ$KWLODMHGRFKIRNXVVLHUWDXIGHQ6FKZHEH]XVWDQGXQGEULQJWGDV9HUKlOWQLV]ZLVFKHQ6XEMHNWXQG2EMHNW]XU5HÀH[LRQ

90 Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit weiblichen Doppelfiguren – im europäischen Aufbruchskino der 1960er Jahre –, die man im Hinblick auf die Installation fruchtbar machen könnte vgl. Schöbel 2009: Die Zwei.

Epilog: Höfer, Tan und Ahtila und die Reflexion visueller Dispositive

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91 Vgl. Paech 2003: »Überlegungen zum Dispositiv als Theorie medialer Topik«. 92 Vgl. Kapitel Zur Reflexion massenmedialer Bildkulturen in der Kunst. 93 Vgl. im ersten Buchteil Ausstellungen – ein interdisziplinäres Forschungsfeld folgende drei Kapitel: 1) Bildwissenschaftliche Ansätze: zur »ikonischen Differenz« und zum Status des »Abbilds«, 2) Im Zwischenraum: das Bild als Diskurs – das Bild als Objekt, 3) Fluchtlinien: zum Widerstand des Objekts.

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

ZUM STATUS DES »KUNSTWERKS« Zur Fotoinstallation von Höfer

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EPILOG: HÖFER, TAN UND AHTILA UND DIE REFLEXION VISUELLER DISPOSITIVE

DOV'RNXPHQWDWLRQVPHGLXPMHGRFKYHUGDPPWHHUDXFKGHUHQ$EELOGTXDOLWlW6R EHKDUUWHGHU%LOGKDXHUYHKHPHQWGDUDXIGDVVGLH)RWRJUD¿HQLFKWLP6WDQGHVHL GLHª:DKUKHLW©DE]XELOGHQ Zur Filminstallation von Tan

'LH$QDO\VHYRQ)LRQD7DQV)LOPLQVWDOODWLRQNRQQWHGDUOHJHQGDVVGLHVHV:HUNPLW HLQHP%LOGUHSHUWRLUHGHUPDVVHQPHGLDOHQ%LOGNXOWXULQ9HUKDQGOXQJVWHKWGDVVHLQHQ$XVJDQJSXQNWLQGHQHU-DKUH¿QGHW'LHYLVXHOOH6WUXNWXUDEHUDXFKGLH LQKDOWOLFKH*OLHGHUXQJGHUIRWRJUD¿VFKHQ%HZHJWELOGHU]HXJHQYRQHLQHULQWHQVLYHQ $XVHLQDQGHUVHW]XQJPLW$XJXVW6DQGHUVEHUKPWHP%LOGNRPSHQGLXPGDVGHU)RWR JUDI YRUZLHJHQG LQ GHQ HU -DKUHQ DQJHIHUWLJW KDWWH XP GLH:HLPDUHU *HVHOOVFKDIWDQKDQGYRQIRWRJUD¿VFKHQ3RUWUlWDXIQDKPHQLQHLQHUYRUDOOHPEHUXIVVWlQGLVFKHQ2UGQXQJZLGHU]XVSLHJHOQ)LRQD7DQGHFKLIIULHUWPLWLKUHP:HUNHLQHUVHLWVGLH 3RUWUlWIRWRJUD¿H DOV 'DUVWHOOXQJVNRQYHQWLRQ GHU EUJHUOLFKHQ .XOWXU$QGHUHUVHLWV DEHU UHÀHNWLHUW VLH DXFK GLH 6DQGHUVFKH 2UGQXQJVVWUXNWXU LP 6LQQH HLQHU$XVHLQDQGHUVHW]XQJ PLW GHQ GLYHUVHQ9DULDWLRQVP|JOLFKNHLWHQ YRQ %LOGDQRUGQXQJHQ XQG GHQGDUEHUHWDEOLHUWHQ%HGHXWXQJVVWUXNWXUHQ,P*HJHQVDW]]X6DQGHUVHKHUHVVHQWLDOLVWLVFKHU.XOWXUXQG*HVHOOVFKDIWVDXIIDVVXQJUFNWVLHGXUFKGLH+HWHURJHQLVLHUXQJLKUHU%LOGRUGQXQJGLH9DULDELOLWlWYRQ%HGHXWXQJVVWUXNWXUHQLQGHQ%OLFN'DVV 7\SHQELOGXQJHQ(IIHNWHHLQHUVWDWLVFKHQXQGHLQGHXWLJHQPDWHULDOHQ%LOG¿[LHUXQJ VLQG PDFKW GLH .QVWOHULQ LQVEHVRQGHUH GXUFK LKUH IRWRJUD¿VFKH 5HSUlVHQWDWLRQVVWUXNWXUGHXWOLFKGLH]ZLVFKHQ6WDVLVXQG%HZHJXQJSHQGHOW 'LH$QDO\VHNRQQWHGDUEHUKLQDXVYHUGHXWOLFKHQGDVVGLHYRQ7DQUHÀHNWLHUWHQ %LOGLQV]HQLHUXQJHQYRQKLVWRULVFKHQ'LVNXUVIHOGHUQGHUHU-DKUHJHSUlJWVLQG 1LFKW]XOHW]WLQGHQ'HEDWWHQGHUWeimarer RepublikVSLHOWHGLH$XVHLQDQGHUVHW]XQJ PLWSK\VLRJQRPLVFKHQ0HUNPDOHQXQGLKUH5FNIKUXQJDXI&KDUDNWHUHLJHQVFKDIWHQ HLQH ]HQWUDOH 5ROOH 'LH ELOGOLFKIRWRJUD¿VFKH 7\SRORJLVLHUXQJ GHV 0HQVFKHQ WULWWKLHUDOV([NOXVLRQVXQG'LVWDQ]LHUXQJVYHUIDKUHQJHJHQEHUGHQDEJHOLFKWHWHQ 2EMHNWHQ LQ (UVFKHLQXQJ 'LH 8QWHUVXFKXQJ YRQ 7DQV %LOGHUDWODV YHUGHXWOLFKW ± XQWHU5FNJULIIDXIhEHUOHJXQJHQYRQ$OODQ6HNXOD±GDVVGLHELOGOLFKH(WDEOLHUXQJ YRQ0HQVFKHQW\SHQLQHLQHQZHLWHUHQ.|USHUGLVNXUVGHUHXURSlLVFKHQ0RGHUQHHLQJHEXQGHQLVW'HQQGLHYLVXHOOH$UFKLYLHUXQJGHVPHQVFKOLFKHQ.|USHUVVWHOOWHLP =XJH NULPLQRORJLVFKHU DEHU DXFK PHGL]LQLVFKHU )RUVFKXQJ HLQH NXOWXUKLVWRULVFKH %LOGSUD[LV GDU GLH LP 5DKPHQ HLQHV SRVLWLYLVWLVFKHQ :LVVHQVFKDIWVYHUVWlQGQLVVHV GHVXQGIUKHQ-DKUKXQGHUWVYRUDOOHPGXUFKGLH)RWRJUD¿HZHLWHUDXVJHEDXW ZXUGH 'LH )LOPLQVWDOODWLRQ GHU QLHGHUOlQGLVFKHQ .QVWOHULQ UHÀHNWLHUW GLHVHV PLW GHP 0HGLXP YHUEXQGHQH 2EMHNWLYLWlWVSRVWXODW PLWWHOV LKUHU HSKHPHUHQ %LOGLQV]HQLHUXQJHQ]ZLVFKHQ6WDVLVXQG%HZHJXQJ 7DQV)LOPLQVWDOODWLRQUHÀHNWLHUW]XJOHLFKGLHDI¿UPDWLYH+DOWXQJJHJHQEHUGHP 0HGLXPGLHQLFKW]XOHW]WPLWGHPDXFKYRQ6DQGHUSUDNWL]LHUWHQQHXVDFKOLFKHQ'DUVWHOOXQJVPRGXV YHUEXQGHQ ZDU :LH GLH$XVIKUXQJHQ ]HLJHQ NRQQWHQ ZDU DXFK 6DQGHUVIRWRJUD¿VFKH3UD[LVPLWHLQHUPHGLHQHXSKRULVFKHQ$XVHLQDQGHUVHW]XQJGHU HU-DKUHYHUNQSIW0DQWUDXWHGHP0HGLXPGLHHLQGHXWLJHXQGUHLQVDFKOLFKH

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III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

$EELOGXQJGHUYRUIRWRJUD¿VFKHQ:LUNOLFKNHLW±RKQH9HUOXVWH±]X7DQNRQWHUNDULHUW GLHVH QHXVDFKOLFKH %LOGDXIIDVVXQJ GXUFK HLQHQ PHGLHQUHÀH[LYHQ (LQVDW] GHV IRWRJUD¿VFKHQ%LOGPHGLXPV,KUH$UEHLWVHW]WVLFKLQNULWLVFKH'LVWDQ]]XHLQHPKLVWRULVFKHQ 'LVNXUV EHU GDV GDPDOV ªQHXH 0HGLXP© )RWRJUD¿H XQG ¿QGHW PLW LKUHU ]ZHLIHOQGHQVNHSWLVFKHQ+DOWXQJ$QNQSIXQJVSXQNWHDXIGHU6HLWHGHU.XOWXUNULWLN GHUHU-DKUH 'DUEHUKLQDXVNRQQWHGLH8QWHUVXFKXQJYHUGHXWOLFKHQGDVV$XJXVW6DQGHUPLW GHU)RWRJUD¿HHLQXQLYHUVDOLVWLVFKHV%LOGNRQ]HSWYHUEDQG(USURSDJLHUWHHLQHXQLYHUVHOOHIUDOOH.XOWXUHQ]XJlQJOLFKH$XVGUXFNVTXDOLWlWGHV%LOGPHGLXPV%HLLKP ZXUGHMHGRFKQLFKW±LP6LQQHGHV'LVNXUVHVGHUHUVWHQ'RFXPHQWD$XVVWHOOXQJHQ ±GLH$EVWUDNWLRQVRQGHUQGLHª)RWRJUD¿HDOV:HOWVSUDFKH©SRVWXOLHUW0LWGLHVHP 8QLYHUVDOLVPXVJHGDQNHQGHUVLFKDXFKDQHLQHPDVVHQPHGLDOH%LOGNXOWXUNRSSHOW VHW]WVLFK)LRQD7DQDXVHLQDQGHUGHQQVLHVWHOOWLQQHUKDOELKUHU,QVWDOODWLRQGLH)UDJH QDFKGHUELOGOLFKHQ.RQVWLWXWLRQYRQ7\SHQ$UFKHW\SHQXQG6WHUHRW\SHQ'LHQLHGHUOlQGLVFKH.QVWOHULQUFNWGLH%LOGXQJDOOJHPHLQHUbTXLYDOHQWHDXIGHU*UXQGODJHYRQIRWRJUD¿VFKHQ9LVXDOLVLHUXQJVIRUPHQNULWLVFKLQGHQ%OLFN Zur Videoinstallation von Ahtila

'LHGULWWHXQGOHW]WH$QDO\VH]X$KWLODVGUHLNDQDOLJHU9LGHRLQVWDOODWLRQThe House JLQJ GHU NQVWOHULVFKHQ 5HÀH[LRQ PDVVHQPHGLDOHU 5HSUlVHQWDWLRQVVWUXNWXUHQ GHV +ROO\ZRRGNLQRVQDFK'DV:HUNJUHLIWVRZRKOGLH¿OPLVFKHQ1DUUDWLRQVVWUDWHJLHQ GHV WUDGLWLRQHOOHQ XQG ]HLWJHQ|VVLVFKHQ 86DPHULNDQLVFKHQ 0DLQVWUHDP.LQRV DOV DXFK GHVVHQ VSH]L¿VFKH 9LVXDOLVLHUXQJVIRUPHQ DXI XP GLHVH ]XJOHLFK GXUFK HLQHQ YLHOVFKLFKWLJHQ ,QVWDOODWLRQVDXIEDX ]X XQWHUZDQGHUQ 0LWWHOV GHU EHU GLH GUHL /HLQZlQGHUHDOLVLHUWHQ6LPXOWDQPRQWDJHNRQWHUNDULHUWGLH¿QQLVFKH.QVWOHULQGDV .RQWLQXLWlWVV\VWHPGHVWUDGLWLRQHOOHQ+ROO\ZRRGNLQRVGDV]XHLQHULQWHUQDWLRQDOHQ )LOPVSUDFKH DYDQFLHUW LVW 6LH UHÀHNWLHUW ]XJOHLFK GHVVHQ$XIIKUXQJVEHGLQJXQJHQ LP3URMHNWLRQVUDXP 'LH¿OPDQDO\WLVFKHQ$QVlW]HYRQ'DYLG%RUGZHOO]XPSRSXOlUHQ.LQROLHIHUWHQ DX‰HUGHP HLQH ZLFKWLJH %DVLV IU GLH 8QWHUVXFKXQJ GHV :HUNV 'HU 86DPHULNDQLVFKH )LOPZLVVHQVFKDIWOHU KDWWH LQ YHUVFKLHGHQHQ 6WXGLHQ WUDGLWLRQHOOH DEHU DXFK QHXHUHMHGRFKEHUHLWVNRQYHQWLRQDOLVLHUWH5HSUlVHQWDWLRQVVFKHPDWDGHV+ROO\ZRRGkinos erforscht. Bemerkenswert ist, dass Ahtilas Installation an die von Bordwell WKHPDWLVLHUWHQ3ORWVWUXNWXUHQGHV0DLQVWUHDP.LQRVZLHHWZDDQGDVOffbeat-Storytelling oder an den Puzzle Film DQNQSIHQNDQQ=XJOHLFKDEHUXQWHUOlXIWVLHDXFK GLHVH1DUUDWLRQVFKHPDWD'LH:HUNDQDO\VHNRQQWHGDUOHJHQGDVVVLFKGLH$UEHLWGHU ¿QQLVFKHQ.QVWOHULQQLFKWGXUFKHLQHEUXFKORVH$GDSWLRQGHU'DUVWHOOXQJVNRQYHQWLRQHQDXV]HLFKQHWVRQGHUQHLQ'LIIHUHQ]YHUKlOWQLVJHJHQEHUGHUPDVVHQPHGLDOHQ Bildkultur aufbaut. 'LH 5HÀH[LRQ KLVWRULVFKHU 'LVNXUVIHOGHU GHU HU -DKUH NRQQWH ]HLJHQ GDVV VLFK$KWLODV$UEHLWGXUFKHLQHSUl]LVH%HVFKlIWLJXQJPLWGHU:DKUQHKPXQJVDQRUGQXQJ GHV WUDGLWLRQHOOHQ NLQHPDWRJUD¿VFKHQ 'LVSRVLWLYV DXV]HLFKQHW 'LH %H]XJnahme auf Überlegungen der sogenannten Apparatustheorie, die ihren Ausgangs-

EPILOG: HÖFER, TAN UND AHTILA UND DIE REFLEXION VISUELLER DISPOSITIVE

SXQNWLQGHQVSlWHQHUXQGHU-DKUHQLQGHUIUDQ]|VLVFKHQ)LOPZLVVHQVFKDIW ¿QGHWXQWHUPDXHUWGDVV$KWLODV$UEHLWDXI'DUVWHOOXQJVPLWWHOXQG5HSUlVHQWDWLRQV SUD[HQGHU0DVVHQPHGLHQNXOWXUUHNXUULHUWGLHEHUHLWVLQIUKHUHQ'HEDWWHQXPGDV 'LVSRVLWLY .LQR HLQH WUDJHQGH 5ROOH VSLHOWHQ $XFK GHU %HJULII GHU VRJHQDQQWHQ Suture 1DKW GHUGLH,GHQWL¿NDWLRQGHV=XVFKDXHUVPLWGHP¿OPLVFKHQ*HVFKHKHQ EHOHXFKWHWVFKHLQWLQ$KWLODV9LGHRLQVWDOODWLRQLP0RWLYGHV1lKHQVHLQ3HQGDQW]X ¿QGHQ'LH(U|UWHUXQJGHUKLVWRULVFKHQ'LVNXUVIHOGHUOHJWQDKHGDVVGLH9LGHRLQVWDOODWLRQQLFKWDOOHLQGHQSV\FKLVFKLQVWDELOHQ:DKUQHKPXQJV]XVWDQGGHU3URWDJRQLVWLQ LQV]HQLHUWVRQGHUQGDVVHVVLFKEHL$WKLODV:HUN]XJOHLFKXPHLQHSRLQWLHUWH$XVHLQDQGHUVHW]XQJPLWGHQ±QLFKW]XOHW]W±LQGHUIUDQ]|VLVFKHQ)LOPWKHRULHIRUPXOLHUWHQ :DKUQHKPXQJVDQRUGQXQJHQGHV'LVSRVLWLYV.LQRKDQGHOW $XVGHQNXUVRULVFKHQ=XVDPPHQIDVVXQJHQGHU:HUNDQDO\VHQJHKWKHUYRUGDVV sowohl die Foto- als auch Film- ebenso wie die Videoinstallation visuelle DispositiveGHUPDVVHQPHGLDOHQ%LOGNXOWXUUHÀHNWLHUHQGLHZLUNPlFKWLJH:DKUQHKPXQJVDQRUGQXQJHQ DXVELOGHQ $OOH GUHL :HUNH EDXHQ HLQ 'LIIHUHQ]YHUKlOWQLV ± GXUFK $EJUHQ]XQJ DEHU DXFK %H]XJQDKPH ± ]X KLVWRULVFK HWDEOLHUWHQ 'DUVWHOOXQJVNRQYHQWLRQHQ DXI GLH LQQHUKDOE IRWRJUD¿VFKHU %LOGPHGLHQ LKUHQ 1LHGHUVFKODJ ¿QGHQ 0LWWHOVGLHVHV5HÀH[LRQVSRWHQWLDOVNRPPWLKQHQGHU6WDWXVYRQ.XQVWZHUNHQ]X

BILD UND BILDLICHKEIT

$QGHUV DOV YRU GHP +LQWHUJUXQG HLQHV PRGHUQLVWLVFKHQ .XQVWEHJULIIV KDEHQ GLH :HUNHLQGHU/HVDUWGLHGLH'RFXPHQWDHU|IIQHWHNHLQHQDXWRQRPHQ6WDWXVLP 6LQQHHLQHUNRQWH[WXQGEHWUDFKWHUXQDEKlQJLJHQ.XQVW'LHAutonomie der Kunst ZLUGLQQHUKDOEGHUGUHL,QVWDOODWLRQHQNULWLVFKKLQWHUIUDJW'XUFKGHQGH]LGLHUWHQ(LQVDW] IRWRJUD¿VFKHU %LOGPHGLHQ YHUZHLVHQ GLH :HUNH PLWWHOV LKUHU LQGH[LNDOLVFKHQ 4XDOLWlW DXI HLQH YRUIRWRJUD¿VFKH :LUNOLFKNHLW DX‰HUKDOE LKUHU VHOEVW (LQHV LKUHU PDUNDQWHVWHQ0HUNPDOHLVWGDVVVLHKlX¿JXQKLQWHUIUDJWHDXIGHPIRWRJUD¿VFKHQ Abbildverfahren basierende %LOGHU GHU YLVXHOOHQ 0DVVHQPHGLHQNXOWXU XQWHUODXIHQ LQGHP VLH LKUH 'DUVWHOOXQJVIRUPHQ GHQDWXUDOLVLHUHQ 6LH EULQJHQ GLH %HGLQJXQJHQ GHU0|JOLFKNHLWLKUHU%LOGOLFKNHLW]XU$QVFKDXXQJ±XQG]XP7HLODXFK]XU6SUDFKH EHLVSLHOVZHLVH GXUFK multiperspektivische Ansichten HLQHV UHSURGX]LHUWHQ 2EMHNWV GXUFK IRWRJUD¿VFKH %HZHJWELOG3RUWUlWV zwischen Stasis und Bewegung, oder aber durch NLQHPDWRJUD¿VFKH6LPXOWDQPRQWDJHQ'DUEHUKLQDXVVSLHOWVRZRKOEHL7DQ als auch bei Ahtila die Tonebene der Installation eine tragende Rolle für die mediale 5HÀH[LRQGHUSUlVHQWLHUWHQ%LOGHU

94 Vgl. in diesem Buchteil: Kapitel Zur Reflexion massenmedialer Bildkulturen in der Kunst, Abschnitt Visuelle Dispositive. 95 Vgl. in diesem Buchteil: Kapitel Zur Reflexion massenmedialer Bildkulturen in der Kunst, Abschnitt Kunst als Differenzverhältnis zur massenmedialen Bildkultur.

391

392

III BILD- UND BILDLICHKEITSKONZEPTE

6RZRKO GLH )RWR DOV DXFK GLH )LOP XQG 9LGHRLQVWDOODWLRQ XQWHUODXIHQ HLQ LP 0RGHUQLVPXV JHSUlJWHV %LOGNRQ]HSW 'DV DEVWUDNWH PDOHULVFKH 7DIHOELOG DOV das SDUDGLJPDWLVFKHª.XQVWELOG©(VOlVVWVLFKIHVWKDOWHQGDVVGLH'RFXPHQWDVHOEVW GLH HLQGHXWLJH 8QWHUVFKHLGXQJ YRQ Kunstbild und Abbild DOV YLVXHOOHV 'LVSRVLWLY UHÀHNWLHUW 'LH )UDJH XP GLHVH 'LIIHUHQ] VSLHOWH LQQHUKDOE GHU *HVFKLFKWH GHU .DVVHOHU .XQVWDXVVWHOOXQJ LPPHU ZLHGHU HLQH WUDJHQGH 5ROOH ,Q GHQ HUVWHQ GUHL 'RFXPHQWD$XVVWHOOXQJHQ PDQLIHVWLHUWH VLFK HLQ 0RGHUQLVPXV'LVNXUV GHU GLHVH 'LIIHUHQ]ELOGXQJYHUVXFKWHHLQGHXWLJ]XEHVWLPPHQ0LWGHU,QWHJUDWLRQ YHUPHLQWOLFKHU  ª$EELOGHU© GHU PDVVHQPHGLDOHQ %LOGNXOWXU PLWWHOV GLYHUVHU IRWRJUD¿VFKHU %LOGPHGLHQLQGHQ$XVVWHOOXQJVSDUFRXUVVWHOOWHQLFKW]XOHW]WGLH'RFXPHQWDGDV KLVWRULVFKJHZDFKVHQH$XWRQRPLHSRVWXODWHLQHVPRGHUQLVWLVFKHQ.XQVWEHJULIIV]XU 'LVNXVVLRQ 1LFKWDOOHLQEHLGHQ$UEHLWHQYRQ+|IHU7DQXQG$KWLODZDUIHVW]XVWHOOHQGDVVVLH das Paradigma des Einzelbildes aufgegeben hatten, das eines der Basiselemente des 0RGHUQLVPXVGDUVWHOOWH'LH(LQELQGXQJGHU)RWRJUD¿HQLQ%LOGHQVHPEOH%LOGNRPSHQGLHQ0HKUIDFKSURMHNWLRQHQPRQWLHUWH%LOGVHTXHQ]HQEUDFKWHGLHZHFKVHOVHLWLJH $EKlQJLJNHLWGHU(LQ]HOELOGHU]XLKUHP.RQWH[W]XU$QVFKDXXQJ+|IHUSUlVHQWLHUWH nicht eine Ansicht der Bürger von Calais, sondern viele7DQXQG$KWLODSUlVHQWLHUWHQ nicht eine%LOGSURMHNWLRQVRQGHUQYLHOHGUHLXQGVLPXOWDQQHEHQHLQDQGHU$OOHGUHL :HUNHUHÀHNWLHUWHQGXUFKLKUHMHZHLOLJHQ%LOGDQRUGQXQJHQGLHrelationalen%H]XJVsysteme zwischen den Bildern.0LWGLHVHUNQVWOHULVFKHQ6WUDWHJLHZXUGHQWRWDOLVLHUHQGH9LVXDOLVLHUXQJVIRUPHQXQWHUODXIHQXQGELOGNRPSLODWRULVFKH3UlVHQWDWLRQV EHGLQJXQJHQ DOV NRQVWLWXWLYH %HVWDQGWHLOH YRQ :LVVHQVRUGQXQJHQ UHÀHNWLHUW (LQ %LOGZXUGHLQVHLQHUUHODWLRQDOHQ%HGLQJWKHLW]XDQGHUHQ%LOGHUQSUlVHQWLHUW (LQ ZHLWHUHU EHPHUNHQVZHUWHU$VSHNW GHQ DOOH GUHL DXI GHU HOIWHQ 'RFXPHQWD JH]HLJWHQ,QVWDOODWLRQHQ]XU$QVFKDXXQJEUDFKWHQLVWGDVUHODWLRQDOH9HUKlOWQLV]ZLschen Subjekt und Objekt%LOGEHWUDFKWHUXQG%LOGREMHNW$OOHGUHL:HUNHYHUVLQQELOGOLFKHQGDVVHLQ%LOGDOV:DKUQHKPXQJVSUR]HVVXQGHEHQQLFKWDOV¿[LHUEDUHXQG XQKLQWHUIUDJEDUHREMHNWLYH(QWLWlW]XYHUVWHKHQLVW'LH:DKUQHKPXQJYRQ%LOGHUQ stellt sich in den drei Installationen nicht als einmalig festgeschriebener oder auch HLQKHLWOLFKHU6HKHLQGUXFNGDUVRQGHUQYRUDOOHPDOVSUR]HVVXDOHV:HFKVHOYHUKlOWQLV ]ZLVFKHQ%HWUDFKWHUVXEMHNWXQG%LOGREMHNW

96 Vgl. zu diesem Themenfeld im ersten Buchteil Ausstellungen – ein interdisziplinäres Forschungsfeld: Kapitel Bildwissenschaftliche Ansätze: zur »ikonischen Differenz« und zum Status des »Abbilds«. 97 Vgl. im Buchteil I Bildgeschichten: Kapitel Zum Kunstbegriff der ersten Documenta-Ausstellungen (1955, 1959, 1964). 98 Vgl. hierzu auch im Buchteil II Bildanordnungen im Epilog das Kapitel Totalität – Relationalität.

EPILOG: HÖFER, TAN UND AHTILA UND DIE REFLEXION VISUELLER DISPOSITIVE

KONTEXT UND TEXT – DISKURS UND OBJEKT

0LWWHOVGHU:HUNDQDO\VHQNRQQWHDX‰HUGHPGHXWOLFKZHUGHQGDVVGLH%HGHXWXQJ GHU2EMHNWHQLFKWDOOHLQEHUGHQ.RQWH[WXQGDOVRQLFKWDOOHLQEHUGLHGLVSRVLWLYH$QRUGQXQJGHU$XVVWHOOXQJEHVWLPPWZLUG'LHLQGLHVHP%XFKWHLOHQWIDOWHWHQ :HUNDQDO\VHQ YHUGHXWOLFKHQ GDVV VLFK GLH:HUNH VHKU XQWHUVFKLHGOLFKHQ 'LVNXUVHQ |IIQHQ XQG QLFKW HLQVFKOlJLJ DXI HLQHQ SRVWNRORQLDOHQ $XVVWHOOXQJVGLVNXUV ]XJHVFKULHEHQ ZHUGHQ PVVHQ ,KUH (LJHQVLQQLJNHLW YHUKLQGHUW LKUH XPIDVVHQGH totale Vereinnahmung durch einen Exhibitionary ComplexGHQQLFKW]XOHW]W7RQ\ Bennett beschrieben hat'LH:HUNHHU|IIQHQMHQVHLWVGHU'HEDWWHXPSRVWNRORQLDOH6WUXNWXUHQ3HUVSHNWLYHQIUDOWHUQDWLYH6XEMHNWLYLWlWHQXQGVFK|SIHQGDUDXV GDV 3RWHQWLDO HEHQ QLFKW LGHRORJLVFK YHUHLQQDKPW ]X ZHUGHQ XQG HLQH 'LIIHUHQ] JHJHQEHUWRWDOLVLHUHQGHQ'LVNXUVHQ]XELOGHQ0DQN|QQWHDXFKIHVWKDOWHQGDVV GLH:HUNHVHOEVWGHQ.RQWH[WGHU$XVVWHOOXQJNRQVWLWXLHUHQ'LH([SRQDWHEDXHQ LP *HJHQ]XJ DEHU DXFK 9HUELQGXQJVOLQLHQ ]X GHQ PDFKWNULWLVFKHQ QLFKW ]XOHW]W DXFK3RVWNRORQLDOLVPXVNULWLVFKHQ$QVlW]HQGHUHOIWHQ'RFXPHQWDDXI'HQQDOOH GUHL,QVWDOODWLRQHQORWHQGLVSRVLWLYH6WUXNWXUHQGHUPDVVHQPHGLDOHQ%LOGNXOWXUDXV GLH LQ XQWHUVFKLHGOLFKHQ KLVWRULVFKHQ 'LVNXUVIHOGHUQ GHU ZHVWOLFKHXURSlLVFKHQ 0RGHUQHLKUH9HUDQNHUXQJ¿QGHQ(LQHVEOHLEWIROJOLFKIHVW]XKDOWHQKontext und Text, Diskurs und ObjektELOGHQHLQZHFKVHOVHLWLJHV$EKlQJLJNHLWVYHUKlOWQLV]XHLQDQGHU DXV 'HU MHZHLOV VXEMHNWLYH %OLFN DXI GLHVH .RQVWHOODWLRQ EHVWLPPW GLH 'RPLQDQ]GHUHLQHQRGHUDQGHUHQ3HUVSHNWLYH 'LH 3RO\YDOHQ] GLH 9LHOGHXWLJNHLW GHV 2EMHNWV GLH KLHU YRUJHVWHOOW ZXUGH VFKHLQWGHQ.XQVWVWDWXVGHVDXVJHVWHOOWHQ([SRQDWV]XEHVWLPPHQ'DV.XQVWZHUN VHOEVWELOGHWIROJOLFKHLQH)OXFKWOLQLHLP'LVSRVLWLY$XVVWHOOXQJHLQHQ:LGHUVWDQG LPGHWHUPLQLHUHQGHQ'LVNXUVGHQQHVOLHIHUWHLQHQ*UXQG]XU$XVELOGXQJDOWHUQDWLYHU 6XEMHNWLYLWlWHQ 0HWKRGLVFK WUlJW GLHVHV .DSLWHO GDV ]X$QIDQJ GLHVHV %XFKHV EHVFKULHEHQH 6SDQQXQJVIHOG ]ZLVFKHQ HLQHU HKHU SRVWVWUXNWXUDOLVWLVFKHQ XQG HLQHU HKHUKHUPHQHXWLVFKHQ$QDO\VHSHUVSHNWLYHDXV

99 Vgl. Bennett 1995: »The Exhibitionary Complex« und auch im Buchteil Ausstellungen – ein interdisziplinäres Forschungsfeld die beiden Kapitel: 1) Dispositiv Ausstellung und 2) Fluchtlinien: zum Widerstand des Objekts. 100 Vgl. im Buchteil Ausstellungen – ein interdisziplinäres Forschungsfeld: Kapitel Fluchtlinien: zum Widerstand des Objekts. 101 Vgl. im Buchteil Ausstellungen – ein interdisziplinäres Forschungsfeld die beiden Kapitel: 1) Im Zwischenraum: das Bild als Diskurs – das Bild als Objekt, 2) Fluchtlinien: zum Widerstand des Objekts.

393

LOSE ENDEN

Rückblick: Documenta 11 – drei Zugänge zum Dispositiv Ausstellung »Das Aktuelle ist nicht das, was wir sind, sondern eher das, was wir werden, das was wir im Begriff sind zu werden, das heißt das Andere, unser Anders-werden. In jedem Dispositiv muss man unterscheiden zwischen dem, was wir sind (was wir schon nicht mehr sind), und dem, was wir im Begriff sind zu werden: Der Anteil der Geschichte und der Anteil des Aktuellen.« 1

Gilles Deleuze

Was Deleuze in seiner Auseinandersetzung mit Foucaults Begriff des Dispositivs auf den Punkt bringt, trifft in den Kern der vorliegenden Untersuchung. Wie innerhalb der Exposition mit dem einleitenden Zitat bereits angedeutet, sollte es darum gehen, XQWHUVFKLHGOLFKH/LQLHQGHV'LVSRVLWLYV$XVVWHOOXQJ]XNDUWRJUD¿HUHQ'LHVHV9RUJHhen hatte den Sinn, einer Transformation des Kunstbegriffs innerhalb der Geschichte der Documenta nachzugehen. Meine Auseinandersetzung wirft Schlaglichter auf das komplexe Feld der Ausstellungsanalyse, indem sie drei unterschiedliche Zugänge zum Untersuchungsgegenstand eröffnet, die durchaus auch unabhängig voneinander gelesen und bedacht werden können. Der erste Zugang unter dem Titel I Bildgeschichten UHÀHNWLHUW ± PLW 'HOHX]H JHVSURFKHQ ± HLQHQ KLVWRULVFKHQ $QWHLO GHV Dispositivs, nämlich die institutionelle Geschichte der Documenta und die innerhalb der ersten drei Ausstellungskonzeptionen etablierten Wissensordnungen. Die beiden weiteren Zugänge, II Bildanordnungen und III Bild- und Bildlichkeitskonzepte, nehmen – ebenfalls mit Deleuze gesprochen – den Anteil des Aktuellen verstärkt in den Blick: Die Untersuchung beschäftigt sich einerseits mit der räumlichen Struktur des Dispositivs Documenta 11 anhand der Auswahl und Anordnung der Werke im Ausstellungsraum, andererseits nimmt sie durch die Analyse von Einzelobjekten die zeitgenössische, aktuelle Kunst en détail in den Blick. Hier wird auch ein methodischer 1 Deleuze: »Was ist ein Dispositiv?«, S. 160.

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LOSE ENDEN

Haken geschlagen: Denn die Auseinandersetzung im dritten Analyseteil fragt zugleich nach der Bestimmung der einzelnen Werke, nach deren Status, innerhalb der dispositiven Anordnung der Ausstellung. Das Spannungsverhältnis zwischen Diskurs und Objekt kommt hier zum Tragen. Das vorliegende Schlusskapitel hat nicht den Sinn, die geführte, im Folgenden noch einmal kursorisch skizzierte Debatte zusammenfassend abzuschließen. Es dient ebenso wenig dazu, ein Fazit zu ziehen, das alle drei Zugänge auf einen Punkt – möglicherweise einen Ursprung!? – zurückführt. Deshalb ist hier lediglich von »losen Enden« die Rede. Sie sind herausfordernder, als ein umfassendes Fazit, das Beruhigung verschafft, offene Fragen und Zweifel vermeintlich abschließen kann. Die drei Epiloge am Ende der drei Analyseteile hatten die Funktion, die fragmentarischen Gedankengänge zu bündeln, und vor allem auch: die heterogenen methodischen =XJlQJH ]XP )RUVFKXQJVJHJHQVWDQG QRFK HLQPDO UHÀHNWLHUHQG DXI]XJUHLIHQ XQG wichtige Gedankengänge für die Leser nachvollziehbar zu strukturieren. Das vorliegende Schlusskapitel möchte diese Heterogenität bewusst nicht vereinheitlichen. Ein Epilog dient dazu, den Lesern eine Struktur zu geben, den Gedanken eine Richtung zu weisen, sie zum erneuten kritischen Rekapitulieren herauszufordern. Der folgende Blick auf die losen Enden meiner Untersuchung greift lediglich einzelne zentrale Aspekte auf, um gewonnene Erkenntnisse fragmentarisch zu vermessen. In diesem Sinne stellt auch dieser letzte Teil des Buches eine Art Epilog dar: Wie bereits HUZlKQW KDWWH%RUGZHOO±DXI.HQQHWK%XUNH%H]XJQHKPHQG±IUGLH¿OPLVFKH Narration konstatiert: »the epilogue asks us to recall the paths the protagonists have taken and measure their success or failure«2. Dieser letzte Teil des Buches dient folglich dazu, einige zentrale Gedankengänge noch einmal in den Blick zu nehmen, um die Transformation des Kunstbegriffs, die Wandlung des Wissens über Kunst – aber auch über Bilder – zu skizzieren und ]XJOHLFKNULWLVFK]XUHÀHNWLHUHQ I Bildgeschichten: historische Linien des Dispositivs

Mit dem ersten Analyseteil konnte gezeigt werden, dass die Documenta 11 in einer institutionellen Geschichte verankert ist, die tief in die deutsche und nicht zuletzt auch europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts, seine gesellschafts- und kulturpolitischen Diskurse, hineinreicht. Deutlich wurde, wie vor allem die ersten drei Kasseler Ausstellungen von 1955, 1959 und 1964 einen relativ stabilen Kunstbegriff formiert hatten, der vornehmlich auf dem formalanalytischen Paradigma der Abstraktion aufbaute. Die Analyse von wichtigen Publikationen – von Documenta.DWDORJHQ YRQ :HUQHU +DIWPDQQV 0RQRJUD¿H Malerei im 20. Jahrhundert, die nicht zuletzt für die Konzeptionen der ersten drei Kasseler Ausstellungen von großer Bedeutung war – ebenso wie die Erörterung exemplarischer Ausstellungskonstellationen, aber auch die Hinzunahme empirischer Daten konnten belegen, dass im Rahmen dieses Kulturereignisses ein Kunstbegriff etabliert wurde, der vorwiegend 2 Bordwell 2006: The Way Hollywood Tells It, S. 41 f.

RÜCKBLICK

auf eine westlich-eurozentristische Kunstgeschichte und ihre Wissensordnungen referierte. Die Auswahl der Künstlerinnen und Künstler, die Publikationen ebenso wie die ersten drei faktischen Ausstellungsinszenierungen verdeutlichen, dass das Konzept der ersten Kasseler Kunstereignisse stark von den politischen Kräfteverhältnissen des Kalten Krieges und einer Rehabilitierung der abstrakten Kunst nach dem Faschismus geprägt war. Die Analyse konnte zeigen, dass die innerhalb der frühen Geschichte der Kasseler Institution etablierten Wissensordnungen auf kunsthistorischen Paradigmen aufbauten, die nicht zuletzt im 19. Jahrhundert verankert waren. Der auf den ersten Kasseler Ausstellungen vermittelte Kunstbegriff gründete durch die Fokussierung auf die Abstraktion auf einem formgeschichtlichen Modell YRQ .XQVWJHVFKLFKWH GDV XQWHU DQGHUHP LQ +HLQULFK :|OIÀLQV NXQVWKLVWRULVFKHU $XVHLQDQGHUVHW]XQJ $QNQSIXQJVSXQNWH ¿QGHQ NDQQ $Q H[HPSODULVFKHQ :HUNkonstellationen der Documenta von 1955 konnte beispielhaft belegt werden, wie sie mittels der Auswahl und Anordnung ihrer Exponate eine autonome, kontinuierliche Formentwicklung nachzeichnete, bei der kulturelle und gesellschaftspolitische Aspekte weitgehend ausgeblendet wurden. Innerhalb der Ausstellungsinszenierungen, aber auch in den Katalogen ebenso wie in Haftmanns Publikation selbst, lässt sich dieses in den ersten Kasseler Kunstereignissen etablierte, weitgehend kontextunabhängige, kunsthistorische Geschichtsmodell nachweisen. Aus der darin zugrunde gelegten autarken, eigenständigen Formentwicklung wurde die Autonomie der Kunst abgeleitet. Die Auswahl der Werke konzentrierte sich weitgehend exklusiv auf die traditionellen Gattungen Malerei und Skulptur, wobei jedoch der Malerei ein weitaus höherer Stellenwert zugerechnet wurde: so überwog ihre quantitative Präsenz in den ersten drei Ausstellungen diejenige der plastischen Werke erheblich. Das sich in den 1950er und 1960er Jahren als Standardwerk etablierende Kunstgeschichtswerk von Werner Haftmann, Malerei im 20. Jahrhundert, widmete sich – wie der Titel bereits sagt – exklusiv der Malerei, dennoch leitete der Kunsthistoriker aus der Beobachtung der Einzelgattung ebenso wie aus dem künstlerischen Schaffen vorwiegend europäischer Künstler einen allgemeingültigen, universalistischen Kunstbegriff für die Moderne seit Ende des 19. Jahrhunderts ab. Die ersten Documenta-Ausstellungen orientierten sich folglich verstärkt an einem Verständnis von Kunst, das auf dem Tafelbild der Malerei gründete. Charakteristisch für ihre Auseinandersetzung war, dass hier ein Bildbegriff geprägt wurde, bei dem Materialität und Medialität unabdingbar aneinander gekoppelt waren. Dieser Bildbegriff schränkte die mögliche Pluralität eines Kunstbegriffs, der vielschichtige künstlerische Praxen berücksichtigen konnte, stark ein. Die ersten drei Documenta-Ausstellungen etablierten darüber hinaus eine Geschichte der Kunst, die maßgeblich auf der Erzählung einer geradlinigen, chronologischen und kontinuierlichen Entwicklung der Kunst auf der Basis eines abstrakten Formvokabulars aufgebaut war. Sie prägten außerdem das Bild eines Künstlersubjekts, das beinahe exklusiv auf männliche, europäische, zudem weiße Künstler EH]RJHQXQGPLWGHU$XIIDVVXQJHLQHUPDWHULHOO¿[LHUEDUHQ:HUNRULJLQDOLWlWJHNRSpelt war. Mit dieser Auffassung verband sich zugleich ein Geniediskurs, dessen

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LOSE ENDEN

historische Linien in der traditionellen Kunstgeschichte verankert sind. Die Analyse konnte untermauern, dass die ersten drei Documenta-Ausstellungen eine hochgradig stabile Wissensordnung etabliert hatten, die mit nur wenig Varianz die ersten zehn Jahre der institutionellen Geschichte prägte. Die hier postulierte Autonomie der Kunst baute auf einer Naturalisierung von Geschichte auf und setzte zugleich einen einheitlichen Werkbegriff voraus, mit dem sich nicht zuletzt Rosalind Krauss kritisch auseinandergesetzt hatte. Dass die innerhalb der ersten drei Documenta-Ausstellungen etablierte Wissensordnung nicht allein auf einen Binnendiskurs der Kasseler Institution beschränkt war, sondern ihre Verankerung auch in den Debatten des US-amerikanischen Kunstbetriebs der 1950er und 1960er Jahre fand, rücken die innerhalb des Museum of Modern Art geführten Auseinandersetzungen in den Blick: Exemplarisch ausgewählte Ausstellungskonzepte und ausgewählte Kataloge der prominenten New Yorker Kunstinstitution sowie Publikationen von Clement Greenberg und Alfred Barr können die Diskursmächtigkeit des sogenannten modernistischen Kunstbegriffs belegen, der seine $QNQSIXQJVSXQNWHDXFKLQGHQHUVWHQGUHL.DVVHOHU$XVVWHOOXQJHQ¿QGHW Dieser Teil der Analyse, der sich der US-amerikanischen Debatte widmete, macht deutlich, dass der Kasseler Diskurs um eine autonome, abstrakte Kunst nicht lediglich als eine der Institution Documenta immanente Auseinandersetzung zu verstehen ist. Vielmehr zeigt sich, dass die hier vermittelte Wissensordnung über Kunst – und nicht zuletzt auch über Bilder – in eine internationale, westliche Kulturpolitik HLQJHEXQGHQ ZDU ,P 5DKPHQ GHV 2VW:HVW.RQÀLNWV XQG YRU GHP +LQWHUJUXQG der Rehabilitierung der abstrakten Kunst nach deren Diffamierung im Faschismus etablierte sich dieser formalistische, vermeintlich autonome Kunstbegriff als eine hochgradig stabile Wissensordnung nicht zuletzt auch gegen die kommunistischen Länder und gegen den sogenannten Sozialistischen Realismus. Wenngleich die historische Rekonstruktion des Diskurses auch Widersprüche und Paradoxien aufweist und bei genauer Betrachtung Kontroversen in Erscheinung treten, zeigt sich doch, dass der auf beiden Seiten des Atlantiks etablierte Kunstbegriff in vielerlei Hinsicht auf den gleichen Parametern aufbaute: Man konzentrierte sich weitgehend exklusiv auf die Abstraktion, postulierte auf deren formanalytischem Fundament eine autonome Entwicklung der Kunst und ein damit in Zusammenhang stehendes kontinuierlich fortschreitendes Geschichtsmodell. In den Auseinandersetzungen bezog man sich zudem verstärkt auf das Tafelbild der Malerei und ging von einem autonomen Künstlersubjekt aus, das vor allem von westeuropäischen, später auch verstärkt von US-amerikanischen, weißen Männern repräsentiert wurde. Dieses Künstlersubjekt konnte an einen historisch etablierten Geniediskurs anknüpfen, der sich innerhalb einer europäischen Kunstgeschichte entwickelt hatte. Nach der Erarbeitung der Wissensordnungen der ersten Documenta-Ausstellungen konnte ein Rückblick auf die weitere Geschichte der Kasseler Kunstschau zeigen, dass mit der Konzeption der elften Kasseler Ausstellung nicht schlicht ein absoluter Bruch mit diesen beschriebenen historisch etablierten Wissensordnungen vollzogen wurde. Ein kursorischer Durchgang durch die Ausstellungsgeschichte

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verdeutlichte, dass sich bereits in den Folgekonzeptionen der Kasseler Kunstschau zwischen 1968 und 2002 vielschichtige Transformationen vollzogen hatten, die sowohl Bezugnahmen als auch Abgrenzungen zum Kunstbegriff der ersten Documenta-Ausstellungen aufweisen können. Zugleich zeigte sich, dass einige Ausstellungen bereits Aspekte in ihrem Konzept integrierten, die später auch für die Konzeption der elften Documenta wichtig wurden. Als besonders bemerkenswert wurde LQ GLHVHP .DSLWHO KHUYRUJHKREHQ GDVV VLFK GLH ]Z|OIWH $XÀDJH GHU 'RFXPHQWD wiederum dem Paradigma der Form widmete. Mit einer vergleichsweise schlichten und recht eindimensionalen Bezugnahme auf die erste Kasseler Ausstellung von 1955 bemühte sie abermals eine auf einem formanalytischen Fundament gründende, historisch etablierte Wissensordnung, ohne deren totalisierenden und universalistischen Anspruch – der nicht zuletzt auf einer exklusiven eurozentristischen KunstJHVFKLFKWVVFKUHLEXQJEDVLHUW±NULWLVFK]XUHÀHNWLHUHQ Bildgeschichten: Im Hinblick auf die zu Anfang des Buches skizzierte bildwissenschaftliche Auseinandersetzung lässt sich festhalten, dass der historische Blick auf die ersten drei Kasseler Ausstellungen verdeutlicht, dass die hier etablierte Wissensordnung über Kunst – und Bilder – verstärkt auf das malerische Tafelbild rekurrierte. Das Flächenbild der Malerei stellt sich im Rahmen der ersten Documenta-Ausstellungen als die paradigmatische Bezugsgröße des Kunstbegriffs dar. Der Plural möglicher Kunst- und Bildgeschichten wird hier auf einen Singular reduziert: Die Geschichte der Kunst offenbart sich vornehmlich als eine Geschichte des Tafelbildes. Zudem verstellte diese Wissensordnung, die auf dem Fundament des malerischen Tafelbildes von einer für die Kunst maßgeblichen Kopplung von MediaOLWlW XQG 0DWHULDOLWlW DXVJLQJ GHQ %OLFN IU .XQVWIRUPHQ GLH VLFK PLW IRWRJUD¿schen Bildmedien beschäftigt hatten: Die künstlerische Auseinandersetzung mit den 0DVVHQPHGLHQ)RWRJUD¿HXQG)LOPGLHQLFKW]XOHW]WVFKRQGLHHU-DKUHSUlJWH wurde in den ersten drei Documenta-Ausstellungen weitgehend ausgeblendet. II Bildanordnungen: die räumliche Struktur des Dispositivs

Der zweite, große Analyseteil widmete sich der räumlichen Struktur des Dispositivs im Hinblick auf die Auswahl und die Anordnung der Werke im Ausstellungsraum: Hier trat die V]HQRJUD¿VFKH 2UGQXQJ der elften Documenta ins Blickfeld. Ausgehend von Überlegungen zum Begriff des Kanons – der selbst in einem antiken und damit europäischen Diskurs um die ideale Formbildung verankert ist – fragte dieser Teil der Untersuchung nach dem Umgang der elften Documenta mit bereits etablierten, kanonischen Kunstpositionen des westlichen Kunstbetriebs. Empirische $XVZHUWXQJHQ]XP/HEHQVDOWHU*HVFKOHFKW]XUJHRJUD¿VFKHQXQGOHW]WOLFKNDQRnischen Zuordnung der präsentierten Künstlerinnen und Künstler untermauerten die kritische Auseinandersetzung mit dem Dispositiv Ausstellung: Der Kanon wird hier – innerhalb des Ausstellungsparcours der elften Documenta – als machtvolle :LVVHQVRUGQXQJUHÀHNWLHUW'LH$XVZHUWXQJ]HLJWH:LHGLH.RQ]HSWLRQHQGHUHUVWHQ Documenta-Ausstellungen ist auch das Konzept der Kasseler Kunstschau von 2002 YRQHUKHEOLFKHQ8QJOHLFKJHZLFKWHQJHSUlJW'HUJHRJUD¿VFKH(LQ]XJVEHUHLFKGHU

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internationalen Großausstellung ist immer noch vorwiegend auf westliche Länder konzentriert, auch manifestiert sich ein ungleiches Geschlechterverhältnis im Ausstellungsparcours, die kanonischen Positionen stammen darüber hinaus vorwiegend aus westlichen Ländern. Trotz dieser ernüchternden, empirisch-quantitativen Befunde zeichnet sich die qualitative räumliche Struktur des Dispositivs durch eine KRFKJUDGLJ UHÀH[LYH $QRUGQXQJ LKUHU :HUNH DXV 0LW GLHVHP 6FKDFK]XJ UFNWH die Documenta 11 ehemals verbindliche Wissensordnungen und einen westlicheurozentristischen Kunstbegriff in den Blick und arbeitete an einer Transformation dieser dispositiven Struktur. Neben der empirischen-quantitativen Auswertung entfaltete dieser zweite große Analyseteil entlang ausgewählter Werkkonstellationen, die sich zunächst an den ältesten Kunstpositionen der Documenta 11 ausrichteten – namentlich Werke von 5RWK .RåDULü )H\]GMRX &RQVWDQW )ULHGPDQ %RXDEUp 3RUWDEHOOD 'DUERYHQ .DZDUD XQG GHQ %HFKHUV ± GDV V]HQRJUD¿VFKH .RQ]HSW GHU .DVVHOHU$XVVWHOOXQJ Die von den genannten Künstlerinnen und Künstlern ausgestellten Arbeiten bildeten die diachronen, historischen Achsen des Ausstellungsparcours. Die Auseinandersetzung mit Werkkonstellationen, die sowohl die ältesten Werke der Documenta 11, aber auch zum Kanon zu zählende Kunstpositionen integrieren, konnte zeigen, dass die Kasseler Kunstschau aus dem Jahr 2002 ganz bewusst Konfrontationen zwischen kanonischen und weniger kanonischen Künstlern und Künstlerinnen provozierte: Mit der Zusammenführung von Werken aus westlichen und weniger westlichen Ländern LP$XVVWHOOXQJVUDXPVWHOOWHGLH6]HQRJUD¿HGHQ.DQRQGHVZHVWOLFKHQ.XQVWEHWULHEV als eine dominante Wissensordnung zur Diskussion und fragte nach der Möglichkeit DOWHUQDWLYHU+LVWRULRJUD¿HQ$QKDQGGHU%HVFKUHLEXQJGHUXQWHUVFKLHGOLFKHQ:HUNkonstellationen arbeitete die Untersuchung zentrale Themenfelder des DocumentaKonzepts von 2002 heraus: die Frage um Wissensordnungen am Beispiel von Roth, .RåDULüXQG)H\]GMRXGLH%HVFKlIWLJXQJPLW6WUXNWXUHQGHU8UEDQLVLHUXQJLP=XJH der Moderne am Beispiel von Constant und Friedman. Darüber hinaus thematisierte die Untersuchung konzeptuelle Kunstpraxen und dokumentarische Bilder am Beispiel von Bouabré und Portabella. Die Werke dieser Künstler, die zu den ältesten der elften Documenta zählen können, wurden jeweils in weitere Bezugssysteme zu anderen Exponaten des Ausstellungsparcours gesetzt, um die Vielschichtigkeit der V]HQRJUD¿VFKHQ.RQ]HSWLRQ]XHQWIDOWHQ(VNRQQWHGHXWOLFKZHUGHQGDVVVLFKGLH Deutungsmöglichkeiten der Werke und die Möglichkeit zur Etablierung relationaler Bezüge zwischen den Werken im Vergleich zu den ersten Documenta-Ausstellungen erheblich pluralisiert hatten. =ZHL([NXUVHXQWHUPDXHUWHQGLH$XVHLQDQGHUVHW]XQJPLWGHUV]HQRJUD¿VFKHQ Ordnung der elften Documenta: Dem von Enwezor vielfach thematisierten Konzept der Transkulturalität, das für die Konzeption der Kasseler Kunstschau von 2002 eine tragende Rolle spielte, kam in diesem Kapitel ein wichtiger Stellenwert zu. Die Werkkonstellationen fordern auch aufgrund ihrer transkulturellen BezugsV\VWHPH HLQH NULWLVFKH 5HÀH[LRQ EHU GLH NDQRQLVFKHQ 2UGQXQJHQ GHU .XQVWJHschichte heraus. Der erste Exkurs beschäftigte sich deswegen mit dem Konzept der

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Trans- und Interkulturalität, um die Analysen der Werkkonstallationen im Ausstellungsraum theoretisch zu untermauern. Der zweite Exkurs widmete sich hingegen der räumlichen Struktur des Dispositivs durch eine exemplarische Untersuchung der architektonischen Syntax der Binding Brauerei: Am Beispiel dieses exklusiv für die Documenta umgebauten ehemaligen Industriebaus zeigte sich im Vergleich mit den räumlichen Anlagen historischer Museumsbauten, wie etwa dem Fridericianum, dass sich auch hier eine Transformation der Wissensordnungen – und damit eine Transformation des Kunstbegriffs – innerhalb der räumlichen Struktur des Dispositivs abzeichnet. Die auf der elften Documenta ausgestellten historischen Konzeptkunstpositionen – Werke von Darboven, Kawara und den Bechers – spielten in diesem Analyseteil ebenfalls eine zentrale Rolle: In der Gegenüberstellung mit weniger im westlichen Kunstkanon integrierten Positionen, die ebenfalls eher konzeptuell arbeiten, ZXUGHGHU.DQRQHLQHUZHVWOLFKHXURSlLVFKHQ.XQVWJHVFKLFKWHNULWLVFKUHÀHNWLHUW Darüber hinaus konnte die Auseinandersetzung mit diesen Positionen anhand eines historischen Rückblicks auf die Konzeptkunst der 1970er Jahre die These untermauern, dass die elfte Documenta die Wissensordnungen eines modernistischen .XQVWEHJULIIV NULWLVFK UHÀHNWLHUWH =XJOHLFK NQSIHQ GLH :HUNH YRQ 'DUERYHQ Kawara und den Bechers auch an die von der Documenta 11 geführte Debatte über die vielschichtigen Medialisierungsprozesse der Massenmedienkultur an. Sie stehen damit in einem Bezugssystem zu den vielfältigen, ausgestellten Werken der elften 'RFXPHQWDGLHPLWGLYHUVHQIRWRJUD¿VFKHQ%LOGPHGLHQNQVWOHULVFKDUEHLWHWHQ$Q der Auseinandersetzung mit der Rolle der historischen Konzeptkunstpositionen auf der elften Kasseler Kunstschau verdeutlicht sich, dass der Deutungskanon der historischen Konzeptkunst der 1970er Jahre im Hinblick auf Medialisierungsprozesse erweitert und zugespitzt wird. Darüber hinaus zeichnet sich mit der prominenten Inszenierung von Darboven, Kawara und den Bechers im Ausstellungsparcours eine Transformation des Kunstbegriffs im Hinblick auf den Status des Originals und die Verfassung des Künstlersubjekts ab. Nicht zuletzt die exponierte Positionierung von Hanne Darboven in der Rotunde des Fridericianums zeugt von einer kritischen Auseinandersetzung der elften Documenta mit dem Kanon der westlichen Kunstgeschichte im Hinblick auf das Künstlersubjekt und das damit in Zusammenhang stehende Verhältnis der Geschlechter. Die Untersuchung in diesem zweiten Analyseteil konnte auch zeigen, dass die Documenta 11 ohne retrospektive Bezugnahmen auf bereits kanonische Positionen nicht auskam. Das Dispositiv Ausstellung zeichnet sich am Beispiel der elften Documenta folglich auch durch eine 9HUSÀLFKWXQJ]XP.DQRQ aus – selbst wenn es diesen kritisch revisioniert. Historische Bezugnahmen dienen ganz offensichtlich der Standortbestimmung in der Gegenwart und stellen eine notwendige Vorraussetzung der eigenen Positionierung dar. Geschichten erzählen hat offensichtlich eine identitätsstiftende Funktion.3 3 Darauf verweist schon Jerome Bruner: Sinn, Kultur und Ich-Identität.

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Bildanordnungen: Mit dem titelgebenden Begriff dieses Analyseteils Bildanordnungen wird eine Verschiebung in der Wissensordnung über die Kunst und Bilder markiert: Innerhalb der Konzeption der elften Documenta zeigt sich, dass die spe]L¿VFKH Anordnung der Objekte eine Bedeutung stiftende Funktion hat. Zugleich stellt dieser Titel die Pluralisierung des Bildbegriffs zur Diskussion: Sind die hier besprochenen Exponate als Bilder – oder Bildwerke – zu bezeichnen, auch wenn sie nicht an das europäisch-abendländische Konzept des Tafelbildes anknüpfen? Mit der prominenten Präsentation von Konzeptkunstpositionen wird die ehemals für den Kunstbegriff der ersten Documenta-Ausstellungen erscheinende Kopplung von Medialität und Materialität innerhalb der kohärenten Werkeinheit des Tafelbildes unterlaufen: Der Kunstbegriff öffnet sich im Hinblick auf einen Bildbegriff der diverse Medialisierungsprozesse von Kunstwerken integrieren kann. Ein an den Werken ausgebildeter Bildbegriff, scheint im Gegenzug auch eine Veränderung des Kunstbegriffs zu bestätigen. III Bild- und Bildlichkeitskonzepte: Kunstwerke im Dispositiv

Der dritte Analyseteil stellte die dominant auf der Documenta 11 präsentierten fotoJUD¿VFKHQ %LOGPHGLHQ LQ GHQ 0LWWHOSXQNW GHU %HWUDFKWXQJ XQG IUDJWH QDFK GHUHQ Bedeutung stiftender Relevanz im Dispositiv. Meine Untersuchung macht deutlich, dass die Documenta 11 den im Modernismus vermittelten Kunstbegriff mit dem (LQVDW]GHUIRWRJUD¿VFKHQ%LOGPHGLHQNRQWHUNDULHUWH'XUFKGLH5HIHUHQWLDOLWlWGHV IRWRJUD¿VFKHQ%LOGHVVWDQGGLHJHVHOOVFKDIWOLFKHXQGNRQWH[WXHOOH8QJHEXQGHQKHLW das heißt die Autonomie der Kunst selbst, zur Disposition. Darüber hinaus konnte deutlich werden, dass die Kasseler Kunstschau von 2002 trotz ihrer Fokussierung DXIIRWRJUD¿VFKH%LOGPHGLHQQLFKWHLQHUNDQRQLVFKHQ/HVDUWGHU.XQVWJHVFKLFKWHLP %HUHLFKGHUNQVWOHULVFKHQ)RWRJUD¿HIROJWH'LHV]HLJWEHLVSLHOKDIWGHU8PJDQJGHU Documenta 11 mit dem bereits kanonisierten Werk der Bechers, das innerhalb des Ausstellungsparcours unkonventionell eingeordnet wurde. )RWRJUD¿VFKH%LOGPHGLHQNRPPHQLP.RQWH[WGHUHOIWHQ'RFXPHQWDYRUDOOHP im Hinblick auf ihre Repräsentationsqualität in den Blick: Die deiktische QualiWlWXQGGLHSROLWLVFKH'LPHQVLRQYRQIRWRJUD¿VFKHQ%LOGHUQLQLKUHQYLHOVFKLFKWLgen medialen Facetten bilden einen zentralen Ankerpunkt der Ausstellung. Okwui Enwezor hatte sich innerhalb zahlreicher Ausstellungen bereits mit den vielfältigen ª3ROLWLNHQ GHU 5HSUlVHQWDWLRQ© EHVFKlIWLJW GLH QLFKW ]XOHW]W EHU IRWRJUD¿VFKH Bildmedien ausgetragen werden. Auch südafrikanische Künstler, die der Kurator beispielsweise auf der von ihm konzipierten Johannesburger Biennale ausstellte, hatten sich mit diesem Aspekt in ihrem künstlerischen Schaffen auseinandergesetzt. Die Documenta 11 griff die Beschäftigung mit den Repräsentationsqualitäten fotoJUD¿VFKHU%LOGPHGLHQHUQHXWDXIXQGHUZHLWHUWHVLHLP+LQEOLFNDXILKUHGLYHUVHQ Präsentationsmöglichkeiten: Foto-, Film- und Videoinstallationen bildeten einen zentralen Bestandteil des Ausstellungsparcours. Dies können auch die empirischen $XVZHUWXQJHQ ]X GHQ DXI GHU HOIWHQ .DVVHOHU .XQVWVFKDX SUlVHQWLHUWHQ IRWRJUD¿schen Bildmedien im Anhang belegen.

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Der dritte Analyseteil unternahm mit einer bildwissenschaftlichen Perspektive – unter Bezug auf Boehms Bildkonzept, aber auch in Abgrenzung zu diesem – den 9HUVXFKGLHDXVJHVWHOOWHQ:HUNHGLHPLWIRWRJUD¿VFKHQ%LOGPHGLHQDUEHLWHWHQLP Hinblick auf ihre Differenz gegenüber den Repräsentationsstrukturen der massenmedialen Bildkultur in den Blick zu nehmen. Eine These der Auseinandersetzung war, dass viele der auf der elften Kasseler Ausstellung präsentierten Werke visuelle DispositiveUHÀHNWLHUHQ6LHVHW]HQVLFKLQHLQDifferenzverhältnis zu den WahrnehPXQJVDQRUGQXQJHQGHU0DVVHQPHGLHQNXOWXU'HU.XQVWVWDWXVGHUPLWIRWRJUD¿VFKHQ Bildmedien arbeitenden Werke, so die zentrale These, kann über die Relation zu den Repräsentationsstrukturen der massenmedialen Bildkultur bestimmt werden. Die Analysen zur Fotoinstallation von Candida Höfer, zur Filminstallation von Fiona Tan und zur Videoinstallation von Eija-Liisa Ahtila konnten verdeutlichen, dass die Werke jeweils ein hoch konventionalisiertes Repertoire an massenmedialisierten Darstellungsformen und die darin aufgehobenen WahrnehmungsanordnunJHQ UHÀHNWLHUHQ 'LH EHU GLH :HUNH YHUPLWWHOWH 5HÀH[LRQ YLVXHOOHU 'LVSRVLWLYH lässt Wahrnehmungsanordnungen in den Blick treten, die durch die Massenmedien GLULJLHUWZHUGHQEHLVSLHOVZHLVHHLQHW\SLVFKHIRWRJUD¿VFKH9LVXDOLVLHUXQJVIRUPGHU Gattung Skulptur innerhalb des kunsthistorischen Diskurses, DarstellungskonvenWLRQHQLQQHUKDOEGHUEUJHUOLFKHQ3RUWUlWIRWRJUD¿HHEHQVRZLHW\SLVLHUHQGH%LOGDQRUGQXQJHQLQIRWRJUD¿VFKHQ%LOGNRPSHQGLHQ]XU'DUVWHOOXQJYRQ0HQVFKHQW\SHQ aber auch konventionalisierte Plotstrukturen und visuelle Repräsentationsformen im Hollywoodkino.4 Kurz: Mit dieser Analyseperspektive kam ein nicht zuletzt visueller Apparat von Wahrnehmungsregeln in den Blick, der vielfältige Facetten der massenmedialen Bildkultur des 20. Jahrhunderts bestimmt. Die Einzelwerkanalysen verdeutlichen, dass sich mit den durch die massenmediale Bildkultur etablierten Wahrnehmungsanordnungen auch machtvolles Wissen vermittelt, das vor allem in der Kultur- und Mediengeschichte der westlich-europäischen Kultur verankert ist. Das belegt die Auseinandersetzung mit einzelnen historischen Diskursfeldern, die in Bezug zu den Werken gesetzt werden konnten. Dieser dritte Analyseteil brachte das zu Anfang des Buches bereits erwähnte, methodische Spannungsfeld zwischen Objekt und Diskurs, zwischen einer eher SRVWVWUXNWXUDOLVWLVFKHQ XQG HLQHU HKHU KHUPHQHXWLVFKHQ 3HUVSHNWLYH ]XU 5HÀH[LRQ das jeder Ausstellungsanalyse inhärent ist: Hatten die ersten beiden Analyseteile den Fokus vor allem auf das Dispositiv, seine historischen aber auch aktuellen Diskursformationen gerichtet, dann zeichnete sich die Auseinandersetzung in diesem Untersuchungspart durch eine dezidierte Beschäftigung mit dem Einzelobjekt aus. Die vor allem im Hinblick auf die elfte Documenta immer wieder betonte postkoloniale 3HUVSHNWLYHZXUGHKLHUXPGLH$XVHLQDQGHUVHW]XQJPLWGHU5ROOHGHUIRWRJUD¿VFKHQ Bildmedien mittels der Einzelwerkanalysen erweitert. 4 Für eine ausführlichere Zusammenfassung der Einzelwerkanalysen vgl. im vorangegangenen dritten und letzten Analyseteil III Bild- und Bildlichkeitskonzepte das Kapitel Epilog: Höfer, Tan und Ahtila und die Reflexion visueller Dispositive.

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Bild- und Bildlichkeitskonzepte: Darüber hinaus richtete dieser dritte Analyseteil noch einmal den Blick auf die Konstitution eines möglichen Kunstbegriffs der Documenta 11 unter Berücksichtigung von Bild- und Bildlichkeitskonzepten, die in der Kasseler Ausstellung zum Tragen kamen. Indem die Analyse Bezug auf bildwissenschaftliche Ansätze nahm, die zu Anfang des Buches entfaltet wurden, aber auch jeweils einzelne Untersuchungsobjekte en détail erörterte, stellte sich der Bildbegriff als ein dialektisches Wechselverhältnis zwischen theoretischer Bestimmung (Bild) und Objektbeschaffenheit (Bildlichkeit) dar: Das, was wir über Bilder wissen, bestimmt unsere Wahrnehmung von Bildern – ebenso wie unsere Wahrnehmung von Bildern das bestimmt, was wir über Bilder wissen. Die Untersuchung konnte zeigen, dass sich die Exponate der Kasseler Ausstellung für einen Kunstbegriff öffnen, der auf einer Pluralisierung des Bildbegriffs gründet, auf einer Ausdifferenzierung von Bild- und Bildlichkeitskonzepten. Der Bildbegriff stellte sich innerhalb der Einzelwerkanalysen in seiner vielfältigen Pluralität dar: Viele der auf der Documenta ausgestellten Exponate zeichnen sich dadurch aus, dass sie das Paradigma des Einzelbildes aufgegeben haben. Das einführende Kapitel zu den Foto-, Filmund Videoinstallationen der Documenta 11 im dritten Analyseteil konnte belegen, dass im Ausstellungsparcours diverse Formen von Bildanordnungen zu beobachten waren. Für die Documenta 11 lässt sich festhalten: Der Bildbegriff ist nicht mehr QRWZHQGLJHUZHLVHDQHLQH¿[LHUEDUH0DWHULDOLWlWJHEXQGHQ±ZLHHWZDDXIGHQHUVWHQ'RFXPHQWD$XVVWHOOXQJHQ'XUFKGLH(WDEOLHUXQJGHUIRWRJUD¿VFKHQ%LOGPHGLHQ zeichnet er sich vielmehr durch Reproduzierbarkeit und die Möglichkeit zur medialen Zirkulation aus. Es ist dennoch augenfällig, dass sich im Kontext der elften Documenta, trotz der Pluralisierung des Bildbegriffs, das Paradigma des Tafelbildes – als ein zentraler Ankerpunkt westlich-europäischer Kunstgeschichtsschreibung – fortschreibt. Hatten die ersten Documenta-Ausstellungen maßgeblich auf die Malerei fokussiert, so tritt das Flächenbild auch auf der Documenta 11 immer noch in Erscheinung: jedoch GLHVPDOYRUDOOHPLQ)RUPGHVIRWRJUD¿VFKHQXQGDXFKNLQHPDWRJUD¿VFKHQ3URMHNtionsbildes. Hier zeigt sich dass der Kunstbegriff in Abhängigkeit zu einer europäischen Kultur-, Bild- und Mediengeschichte steht, die schwer zu hintergehen ist. Die Trias von Kunst, Bild und Geschichte stellt sich als ein komplexes Wechselverhältnis dar, das jeweils nur perspektivisch ausgelotet werden kann.

Kontinuitäten und Diskontinuitäten: zur Transformation des Kunstbegriffs auf der Documenta 11

Die Transformation des Kunstbegriffs entfaltet sich innerhalb der Untersuchung als ein vielschichtiger historischer Prozess, der von Kontinuitäten und Diskontinuitäten geprägt ist. Die Analyse der elften Documenta kann einerseits zeigen: Die Autonomie der Kunst ist keineswegs obsolet geworden. Andererseits aber stellt sie sich im Gegensatz zum Diskurs der ersten Kasseler Ausstellungen nicht als essentialistisch, nicht als betrachterunabhängig und kontextungebunden dar. Die Autonomie der Kunst manifestiert sich nicht mehr in einer autarken, eigenständigen Formenentwicklung. Die Werkanalysen können perspektivisch verdeutlichen, dass der Kunststatus der präsentierten Foto-, Film-, Videoinstallationen aus ihrem Differenzverhältnis gegenüber den Bildern der Massenmedienkultur abzuleiten ist. Die Bilder gehen folglich nicht bruchlos in den Repräsentationen der massenmedialen Bildkultur auf und etablieren hierüber ihre Autonomie. Sie sind vielfältig ausdeutbar und lassen sich nicht – wie etwa im Rahmen massenmedialer Darstellungskonventionen – auf einen eindeutigen Diskurs festschreiben. Der Kunstbegriff begründet sich folglich auch im Rahmen der elften Documenta immer noch über einen autonomen Status der Werke. Autonomie stellt sich jedoch als historisch variabel dar, hat keinen essentialistischen Status und muss in Abhängigkeit zum jeweiligen Kunstobjekt beschrieben werden. Während die Abstraktion im Diskurs der ersten drei Documenta-Ausstellungen als konstitutiv für den Kunststatus der Werke angesehen wurde und noch essentialistischen Charakter hatte, erweist sich das Paradigma der Form innerhalb der elften Kasseler Kunstschau nicht mehr als eine zentrale Basis des Kunstbegriffs. Die Einzelwerkanalysen können dennoch zeigen, dass die Auseinandersetzung mit Formen einen zentralen Stellenwert in der künstlerischen Auseinandersetzung hat. Auf der Documenta 11 wurden Formen, visuelle Repräsentationen, in ihrer Funktion als erkenntnis- und identitätsstiftende Einheiten befragt und nicht als erkenntnis- und

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identitätsstiftend vorausgesetzt. Eine Verschiebung von einem eher identitätslogischen hin zu einem eher differenzlogischen Denkmodell zeichnet sich hier ab, das für die Wissensordnung des auf der elften Documenta in Erscheinung tretenden Kunstbegriffs von Bedeutung zu sein scheint. Gründete der Kunstbegriff der ersten Documenta-Ausstellungen noch vorwiegend auf einem einheitlichen Werkbegriff, verschiebt sich diese Wissensordnung im Diskurs der elften Documenta: Ein im Modernismus-Diskurs der ersten drei Kasseler Ausstellungen angelegter Werkbegriff, der das Kunstobjekt – unter vorwiegend exklusiver Bezugnahme auf die Gattungen Malerei und Skulptur – als geschlossene und kohärente Einheit versteht, die weitgehend auf sich selbst verweist, stellt sich als brüchig dar. Die Einzelwerkanalysen im dritten Untersuchungsteil des Buches verdeutlichen, dass die Arbeiten in ein hochgradig komplexes Netz von Verweisungszusammenhängen eingebunden sind, die vor allem auch durch das Medium FotoJUD¿HXQGVHLQH5HIHUHQWLDOLWlWIRUFLHUWZHUGHQ,P6LQQHYRQ5RVDOLQG.UDXVVVWHOlen sich die Werke in ihrer »irreduziblen Pluralität«5 dar. Der Kunstbegriff basiert folglich auf einem Zustand der Vielheit, der sich nicht auf das Einmalige, Singuläre reduzieren lässt. Konstruierte man im Kontext der ersten drei Documenta-Ausstellungen einen Kunstbegriff, der weitgehend an zwei Gattungen ausgerichtet war und insbesondere der Malerei einen zentralen Stellenwert beimaß, zeichnete sich die elfte Documenta vor allem durch installative Arbeiten aus. Juliane Rebentisch hat darauf hingewiesen, dass vor allem mit dem verstärkten aufkommen installativer Arbeiten im Feld der Kunst die Gattungsfrage weniger relevant erscheint und der Werkbegriff als materiell ¿[LHUEDUHU*HJHQVWDQGHEHQVRHLQH5HYLVLRQHUIlKUW8QWHU%H]XJQDKPHDXI$GRUQR konstatiert sie: »Was unter dem Begriff der Installation entsteht, sind weniger Werke denn Modelle ihrer Möglichkeit, weniger Beispiele einer neuen Gattung denn immer neue Gattungen.«6 Rebentisch betont außerdem die Entgrenzungstendenzen installativer Arbeiten in den sie umgebenden Raum. Darüber hinaus unterstreicht sie den verstärkten Umgang dieser Kunstform mit institutionellen, ökonomischen, kulturellen und sozialen Kontexten.7 Diese von Rebentisch betonten Entgrenzungstendenzen manifestieren sich auch in der Entkopplung von Medialität und Materialität – eine Werkqualität, die viele Arbeiten, die auf der elften Documenta präsentiert wurden, auszeichnete. An den Werkanalysen wird deutlich dass ein möglicher Kunstbegriff der elften DocuPHQWD DXI GHU 5HÀH[LRQ GHU 0HGLDOLVLHUXQJ GHU %LOGHU JUQGHW DXI GHU 5HÀH[LRQ über ihre Zirkulations- und Reproduktionsmöglichkeiten. Er basiert folglich nicht mehr vorwiegend auf der materiell nachvollziehbaren Spur des Künstlersubjekts in seinem Werk, die zugleich Garant für dessen Originalität war. Die Originalität, die ein Objekt als Kunstobjekt ausweist, zeichnet sich vor allem über ein individuelles, 5 Krauss 1982: »Mit freundlichen Grüßen«, S. 230. 6 Rebentisch: Ästhetik der Installation, S. 15. 7 Vgl. Rebentisch: Ästhetik der Installation, S. 16.

KONTINUITÄTEN UND DISKONTINUITÄTEN

intellektuelles Konzept aus, das innerhalb des Werkes, innerhalb seiner Materialität und Medialität nachvollziehbar wird. Genauso wie der Begriff der Autonomie, erscheint auch der Begriff der Originalität im Rahmen der elften Documenta als historisch variabel. Dennoch, hier zeichnen sich Kontinuitätslinien im Dispositiv ab: Sowohl die Autonomie, als auch die Originalität eines Werkes bilden immer noch die konstitutive Basis für einen Kunstbegriff, der nicht zuletzt in den Wissensordnungen GHUHOIWHQ'RFXPHQWDVHLQHQ1LHGHUVFKODJ¿QGHW

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Fluchtlinien: zur Pluralisierung von Kunstbegriff und Kunstgeschichte

Der Kunstbegriff der elften Documenta gründet auf einer sich vielschichtig pluralisierenden +LVWRULRJUD¿H Anders als innerhalb der ersten drei Documenta-Ausstellungen konstituiert er sich nicht über eine lineare und kontinuierliche Geschichte der DEVWUDNWHQ)RUPHQLQQHUKDOEHLQHUJHQXLQZHVWOLFKHXURSlLVFKHQ+LVWRULRJUD¿HGHU Kunst. Auf der elften Documenta wird eine monolineare Geschichte der Kunst, die sich an einem abstrakten Formenvokabular, einem formgenealogischen Geschichtsmodell orientiert, aufgebrochen: Die Werkkonstellationen der Kasseler Kunstschau YRQVWHOOHQDOWHUQDWLYHSRO\OLQHDUHKLVWRULRJUD¿VFKH2UGQXQJHQ]XU'LVNXV sion. Der Kunstbegriff stellt sich vor diesem Hintergrund als historisch variabel und vielschichtig dar: Nur ein perspektivischer Zugang über die Objekte lässt eine P|JOLFKHKLVWRULRJUD¿VFKH2UGQXQJ]XGLHDEHUVWHWVGXUFKYDULDEOH5HODWLRQHQ]X anderen Objekten veränderlich bleibt. Die Rückführung auf einen singulären KunstEHJULII HUVFKHLQW YRU GHP +LQWHUJUXQG HLQHU VLFK SOXUDOLVLHUHQGHQ +LVWRULRJUD¿H problematisch: Er selbst kann auf dem Fundament einer differenzierten historischen Analyse lediglich im Plural gedacht werden. Während die ersten drei DocumentaAusstellungen also noch eine kontinuierliche und monolineare Entwicklung der Kunst fokussierten, stellte sich dieses Modell auf der elften Kasseler Ausstellung als brüchig dar: Hier rückte man diverse und potentielle historische Ordnungen in den Blick, ohne dass man ein homogenes Deutungsmodell von einer Geschichte und einer Kunst etablierte. Dennoch war festzustellen: Auch die Ausstellung von 2002 kam nicht ohne historische Rückblicke aus. Die Auswahl historischer und kanonischer Positionen diente offensichtlich der geschichtlichen Selbstvergewisserung, schließlich auch der Legitimierung eines möglichen, zeitgenössischen Kunstbegriffs. So stellten beispielsweise die historischen Konzeptkunstpositionen (Darboven, Kawara und die Bechers) eine kunsthistorische Absicherung für die Gegenwart dar. Zugleich aber wurden mit den Arbeiten von etwa Feyzdjou und Bouabré historische Ankerpunkte

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LOSE ENDEN

gesetzt, die eine alternative historische Perspektivierung der zeitgenössischen Kunst zur Debatte stellten. Die Konstruktion einer singulären Kunstgeschichte wurde durch die Möglichkeit ihrer Pluralisierung infrage gestellt: Eine transkulturelle Kunstgeschichtsschreibung stand zur Diskussion. Das Konzept von 2002 versuchte vor allem auch ein fachdisziplinär geprägtes Geschichtsmodell von einer stark eurozentristischen Ausrichtung zu lösen. Inwiefern zwischen dem Postulat einer »Abstraktion als Weltsprache« (Haftmann) und dem Anspruch, eine »transkulturelle Perspektive im Feld der Kunst« (Enwezor) zu verfolgen, nicht auch Kontinuitäten festzustellen sind, bleibt zu diskutieren. Auch die Fokussierung auf Transkulturalität steht in Gefahr, lediglich Effekt eines gleichmachenden, totalisierenden, kurz: universalistischen Globalisierungsdiskurses zu sein. Die Konzeption der elften Kasseler Kunstschau war – verglichen mit den ersten drei Documenta-Ausstellungen – davon gekennzeichnet, universalistische Kategorien und eine homogene, essentialistische Auffassung von Kunst, Kultur und Geschichte zu unterlaufen. Wie die Untersuchung jedoch zeigt, knüpft die Ausstellung von 2002 immer noch an historisch gewachsene Konzepte eines innerhalb der westlich-europäischen Kunstgeschichtsschreibung verankerten Kunstbegriffs an: die Autonomie der Kunst, ein auf Kohärenz aufgebauter Werkbegriff, die Werkoriginalität, das Künstlersubjekt sowie das Tafelbild. Durch die Auswahl und Anordnung der Exponate innerhalb des Ausstellungsparcours lotete sie jedoch die Veränderbarkeit ehemals eher totalisierender und identitätslogischer Wissensordnungen aus, die nicht zuletzt die frühe Documenta-Geschichte prägten. Das Dispositiv Documenta 11 stellt sich folglich als ein Labor zur Erprobung sowohl alternativer KLVWRULRJUD¿VFKHU 2UGQXQJHQ als auch alternativer Objektordnungen und ihrer Deutungen dar. Sie stellt die Verschiebung diskursmächtiger Wissensordnungen zur Diskussion, indem sie selbst die Möglichkeit der Veränderung eines Material- aber auch Deutungskanons zur Anschauung bringt. – In diesem Sinne stellt auch meine Untersuchung, die selbst eine Wissensordnung exponiert, eine mögliche, aber nicht die notwendige Auslegung eines zeitgenössischen Kunstbegriffs dar, der letztlich nicht auf einen Singular zurückzuführen ist. Dass die Institution Documenta dennoch als machtvolles Dispositiv zu verstehen ist, zeigt nicht zuletzt ihre Verankerung in einem westlich-europäischen Konzept von »Kunst«, das als historisch gewachsene Wissensordnung – nicht allein im Rahmen der Documenta-Geschichte – unhintergehbar erscheint und nicht ad acta zu OHJHQLVW'LHORVHQ(QGHQGHU*HVFKLFKWH¿QGHQLQGHU*HJHQZDUWLKUH9HUDQNHUXQJ und stellen zugleich Möglichkeiten ihrer historischen Bedingungen dar: Möglichkeiten einer kontinuierenden Fortschreibung von Wissensordnungen, aber auch Möglichkeiten ihrer Transformation. In Ausstellungen treten folglich die Episteme einer Kultur in Erscheinung, die historisch gewachsenen Strukturen des Denkens und der Erkenntnisbildung also. Sie sind zwar in der jeweils aktuellen Gegenwart veränderbar, wirken aber zugleich als Bedingungen der Geschichte auch in dieser fort. Die Transformation des Kunstbegriffs erweist sich innerhalb der Geschichte der Documenta folglich als komplexe Umschichtung von Wissensordnungen,

FLUCHTLINIEN

die sowohl von Kontinuitäten als auch Diskontinuitäten, Bruchlinien, Fluchtlinien und nicht zuletzt auch von Punkten der Freiheit geprägt ist, in welchen sich neue Subjektivitäten ausbilden können. Ende8

8 ... und das ist der Anfang.

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ANHANG

Literatur

Anmerkung In den Fußnoten wurde bei zahlreichen älteren, und zum Teil erst später ins Deutsche übersetzten Texten – zur besseren historischen Einordnung der Quelle und zur Rekonstruktion der historischen Diskursfelder – die Jahreszahl der Erstveröffentlichung angegeben, wenn sie reFKHUFKLHUEDUZDUXQGGLH$XÀDJHDXIGLHLFKUHIHULHUHQLFKWJUXQGOHJHQGEHUDUEHLWHWZXUGH Die Literaturangabe im Literaturverzeichnis gibt deswegen, neben der Ausgabe, auf die ich mich im Text beziehe – folglich: meine Referenzquelle±DXFKKlX¿JGDV-DKUGHUErstausgabe an: [in eckigen Klammern]. Das Veröffentlichungsjahr meiner Referenzquelle ist jeweils am (QGHGHU/LWHUDWXUDQJDEHLP/LWHUDWXUYHU]HLFKQLV]X¿QGHQ Die hier vorgenommene Sortierung der Schriften eines Autors/einer Autorin folgt den Jahreszahlen der Ausgaben meiner Referenzquellen – also nicht dem Jahr der Erstveröffentlichung. Erst sind die Einzelschriften eines Autors/einer Autorin, dann dessen/deren Schriften, die mit mehreren Autorinnen und Autoren publiziert wurden, aufgeführt. Die innerhalb eines Jahres erschienene Literatur eines Autors/einer Autorin ist alphabetisch sortiert.

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441

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ANHANG

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443

Werkverzeichnis/Bildquellen/Bildrechte

WERKVERZEICHNIS (HÖFER, TAN, AHTILA) Fotoinstallation von Candida Höfer: Die Bürger von Calais (2000/2001): Place de l’Hôtel de Ville Calais II 2000, C-Print, 152 x 160 cm (gerahmt) Place de l’Hôtel de Ville Calais III 2000, C-Print, 152 x 152 cm (gerahmt) Ny Carlsberg Glyptotek Copenhagen I 2000, C-Print, 207 x 152 cm (gerahmt) Villa Medici Roma I 2001, C-Print, 152 x 152 cm (gerahmt) Kunstmuseum Basel I 2000, C-Print, 152 x 152 cm (gerahmt) Rodin Museum Philadelphia IV 2000, C-Print, 152 x 152 cm (gerahmt) Musée Royal Mariemont I 2000, C-Print, 152 x 152 cm (gerahmt) The National Museum of Western Art Tokyo II 2000*, C-Print, 152 x 152 cm (gerahmt) Musée Rodin Paris I 2000, C-Print, 152 x 152 cm (gerahmt) Gardens of the House of Parliament London II 2000, C-Print, 152 x 160 cm (gerahmt) The Metropolitan Museum of Art New York III 2000, C-Print, 152 x 152 cm (gerahmt) Hirshhorn Museum and Sculpture Garden Washington II 2000*, C-Print, 152 x 152 cm (gerahmt) Rodin Gallery Seoul I 2001, C-Print, 152 x 152 cm (gerahmt)

* Diese Werke sind im Documenta-Katalog verzeichnet, wurden jedoch nicht ausgestellt.

446

ANHANG

Filminstallation von Fiona Tan: Countenance (2002) 4 Filmprojektoren mit Endlos-Aufsatz und Spiegelkonstruktion 4 Screens 4 Lautsprecher 4 16mm-Schwarz-Weiß-Film-Endlosschleifen

Videoinstallation von Eija-Liisa Ahtila: Talo/The House (2002) DVD-Projektion auf 3 Screens in Farbe 3 Videobeamer 6 Lautsprecher Länge: 14 Minuten (als Loop montiert)

BILDQUELLEN/BILDRECHTE Abb. 1–3, 6: Bildquelle: Ausst.Kat. Documenta. Kunst des XX. Jahrhunderts, Ausstellung Museum Fridericianum Kassel, hrsg. v. der Gesellschaft für Abendländische Kunst des XX. Jahrhunderts, Kassel 1955: Abb. XII, Abb. 83, Abb. 84, Abb. 85, Abb. 4, Abb. I, Abb. 14, Abb. 15. Bildrechte: alle Bilder: © Documenta GmbH, außerdem: Abb. 2: Taeuber-Arp: © VG BildKunst, 2012, Abb. 6: Heckel: © Erich Heckel Stiftung, Abb. 6: Purrmann: © VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abb. 4–5: Bildquelle: Documenta-Archiv, Kassel. Bildrechte: © VG Bild-Kunst, Bonn 2012, © Succession Picasso (Abb. 4), © Günther Becker, © Documenta-Archiv. $EE%LOGTXHOOH'RFXPHQWD$UFKLY%LOGUHFKWH‹'RFXPHQWD$UFKLYJUD¿VFKH%HDUEHLtung: © Felix Hoffmann. Abb. 8: Bildquelle: Ausst.Kat. Cubism and Abstract Art [1936], hrsg. v. Alfred H. Barr Jr., Ausstellung Museum of Modern Art New York, New York 1966, Titelblatt. Abb. 9: Bildquelle: Tufte, Edward R.: Beautiful Evidence, Cheshire 2006, S. 69. Bildrechte: © VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abb. 10: Bildquelle: Kantor, Sybil Gordon: Alfred H. Barr, jr. and the Intellectual Origins of the Museum of Modern Art, Cambridge 2002, S. 27 und auch: Barr, Alfred H.: »Italian Sources RI7KUHH*UHDW7UDGLWLRQVRI (XURSHDQ 3DLQWLQJ©>@ LQ 'H¿QLQJ 0RGHUQ$UW 6HOHFWHG Writings of Alfred H. Barr, Jr., hrsg. v. Irving Sandler/Amy Newman, New York 1986, S. 176. © Archiv Museum of Modern Art Abb. 11: Bildquelle: Kantor, Sybil Gordon: Alfred H. Barr, jr. and the Intellectual Origins of the Museum of Modern Art, Cambridge 2002, S. 367. Bildrechte: © Archiv Museum of Modern Art Abb. 12: Bildquelle: Barr, Alfred H.: What is Modern Painting?, Boston 1966, Frontispiz und Titelseite. Bildrechte: Picasso: © VG Bild-Kunst, Bonn 2012, © Succession Picasso. Abb. 13–23: Bildquelle: Archiv Werner Maschmann. Bildrechte: alle Bilder: © Werner Maschmann, © Documenta GmbH, außerdem: Abb. 13-14: © Dieter Roth Estate, Courtesy Hauser

WERKVERZEICHNIS/BILDQUELLEN/BILDRECHTE

:LUWK$EE‹,YDQ.RåDULü$EE‹&$$&±7KH3LJR]]LFROOHFWLRQ$EE © VG Bild-Kunst, Bonn 2012, Abb. 23: © Hilla Becher, 2011. Abb. 24: Bildquelle: Ausst.Kat. Documenta 11_Plattform 5: Ausstellung, hrsg. v. Documenta/Museum Fridericianum, Ausstellung Kassel, Kassel 2002, S. 191. Bildrechte: © Hilla Becher, 2011. $EE%LOGTXHOOH)RWRJUD¿HQ$UFKLY&DQGLGD+|IHU%LOGUHFKWH‹9*%LOG.XQVW%RQQ ‹9HUODJ6FKLUPHUXQG0RVHOJUD¿VFKH%HDUEHLWXQJGHU%LOGWDIHO‹0DULD+LOOPDQQ Abb. 26-27: Bildquelle: Archiv Werner Maschmann. Bildrechte: © Werner Maschmann, © Documenta GmbH, © VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abb. 28–35: Bildquelle: Archiv Candida Höfer. Bildrechte: © VG Bild-Kunst, Bonn 2012, © Verlag Schirmer und Mosel. $EE%LOGTXHOOHQVLHKH%LOGXQWHUVFKULIWHQ$EEXQG$EE%LOGUHFKWHJUD¿sche Bearbeitung der Bildtafel: © Maria Hillmann. Abb. 37–45: Bildquellen: siehe Bildunterschriften unter den Abbildungen im Fließtext. Abb. 46: Bildquelle: Archiv Candida Höfer. Bildrechte: © VG Bild-Kunst, Bonn 2012, © Verlag Schirmer und Mosel. Abb. 47-50: Bildquellen: siehe Bildunterschriften unter den Abbildungen im Fließtext. Abb. 51: Bildquelle: Archiv Candida Höfer. Bildrechte: © VG Bild-Kunst, Bonn 2012, © Verlag Schirmer und Mosel. Abb. 52–54: Bildquellen: siehe Bildunterschriften unter den Abbildungen im Fließtext. Abb. 55: Bildquelle: Archiv Candida Höfer. Bildrechte: © VG Bild-Kunst, Bonn 2012, © Verlag Schirmer und Mosel. Abb. 56, 57: Bildquellen: siehe Bildunterschriften unter den Abbildungen im Fließtext. Abb. 58, 60, 64: Bildquelle: Archiv Fiona Tan. Bildrechte: © Fiona Tan und Frith Street Gallery, London. Abb. 59: Bildquelle: Archiv Werner Maschmann. Bildrechte: © Werner Maschmann, © Documenta GmbH, © Fiona Tan und Frith Street Gallery, London. Abb. 61, 63: Bildquelle: August Sander Archiv, Köln; Abbildung mit minimal anderem Ausschnitt auch in: Sander, August: Antlitz der Zeit [1929], München 2003. Bildrechte: © Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur – August Sander Archiv, Köln, © VG BildKunst, Bonn 2012. Abb. 62: Bildquelle: Postkarte mit Filmstill der Installation. Bildrechte: © Fiona Tan und Frith Street Gallery, London. Abb. 65: Bildquelle: Ausst.Kat. Eija-Liisa Ahtila, hrsg. v. Tuula Karjalainen, Kiasma Museum of Contemporary Art, Helsinki 2002, S. 157. Bildrechte: © VG Bild-Kunst, Bonn 2012.

447

448

ANHANG

Abb. 66, 67, 69: Demo-Video: Archiv Eija-Liisa Ahtila. Bildrechte: © VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abb. 68, 70, 72–74: Bildquelle: Archiv Werner Maschmann. Bildrechte: © Werner Maschmann, © Documenta GmbH, © VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abb. 71: Bildquelle: Ausst.Kat. Documenta 11_Plattform 5: Ausstellung, hrsg. v. Documenta/Museum Fridericianum, Ausstellung Kassel, Kassel 2002, S. 159. Bildrechte: © VG BildKunst, Bonn 2012. Abb. A–G, Grundrisse Documenta: Bildquelle: Ausst.Kat. Documenta 11_Plattform 5: Ausstellungsorte, hrsg. v. Documenta/Museum Fridericianum, Ausstellung Kassel, Kassel 2002. %LOGUHFKWH‹'RFXPHQWD*PE+‹$UFKLWHNWXUEUR.XHKQ0DOYH]]LJUD¿VFKH%HDUEHLWXQJ © Felix Hoffmann.

Trotz vielfältiger Recherchen konnten die Bildrechte nicht in allen Fällen ermittelt werden. In diesen Fällen wurde darauf geachtet, die Bilder im Sinne des geltenden Zitatrechts zu reproduzieren.

Grundrisse zur Documenta 11

Erläuterungen

Die mit einer Gitterstruktur unterlegten Räume verweisen darauf, dass die jeweils darin ausgestellten Künstler im Buch ausführlich behandelt werden. Das Inhaltsverzeichnis führt diese Künstler explizit auf, so dass die entsprechenden Analysekapitel GLUHNW]X¿QGHQVLQG

Abb. A: Fridericianum, Erdgeschoss

450

ANHANG

Abb. B: Fridericianum, erstes Geschoss

Abb. C: Fridericianum, zweites Geschoss

Abb. D: Binding Brauerei, gesamter Grundriss

GRUNDRISSE ZUR DOCUMENTA 11

451

Abb. F: Kulturbahnhof, erstes Geschoss

Abb. E: Kulturbahnhof, Erdgeschoss

452 ANHANG

GRUNDRISSE ZUR DOCUMENTA 11

Abb. G: Documenta Halle, Obergeschoss mit Eingangsbereich

453

Tabellen und empirische Auswertungen zur Documenta 11

Allgemeines

Alle Informationen zu den Künstlern und Künstlerkollektiven aus den folgenden Tabellen beziehen sich auf das Jahr 2002, dem Jahr in dem die Documenta 11 stattfand. Grundlage für die Informationen lieferte die aktualisierte Liste der ausgestellten Werke und Künstler aus folgendem Katalog: Ausst. Kat. Documenta 11_Platform 5: Ausstellungsorte (2002). Erläuterungen zu den Tabellen 1 bis 4

(LQHDXVIKUOLFKH(UNOlUXQJ]XU7DEHOOHXQGLKUHQ$XVZHUWXQJHQEH¿QGHWVLFK im Kapitel Wer zählt zum Kanon? – empirische Befunde zur Documenta 11 (siehe Inhaltsverzeichnis). Es sollte für ein differenziertes und kritisches Verständnis der empirischen Erhebungen berücksichtigt werden. Die vielfältigen Informationen in der KünstlerInnenliste (Tabelle 1) stellen die Grundlage für die empirischen Auswertungen in den Tabellen 2, 3 und 4 dar. Die Auswertungen der Tabellen 2, 3 und 4 können in Tabelle 1 im Detail nachvollzogen werden.

456

ANHANG

TABELLE 1: KÜNSTLERINNENLISTE Erläuterungen zu Tabelle 1

Spalte »Künstler und Künstlerkollektive« Alle teilnehmenden Künstler und Künstlerinnen sind in nach ihren Geburtsjahren, die Künstlerkollektive nach Gründungsjahren chronologisch in Jahrzehnten sortiert. 6SDOWHª*HRJUD¿VFKH=XRUGQXQJ© 'LHJHRJUD¿VFKH=XRUGQXQJGHU.QVWOHUHUVFKOLH‰WVLFKZHQQQLFKWLQGHQergänzenden Informationen anders erläutert, aus dem Geburtsort und dem aktuellen Aufenthaltsort im Jahr 2002. Bei den Künstlerkollektiven (ab den 1980er Jahren) geben die HUJlQ]HQGHQ,QIRUPDWLRQHQ$XIVFKOXVVEHUGLHJHRJUD¿VFKH=XRUGQXQJMHQDFKGHP wo die Mitglieder geboren sind und leben. Westeuropa: Osteuropa: Naher Osten:

Afrika: Nordamerika: Mittelamerika Lateinamerika: Australien:

alle europäischen NATO-Staaten vor 1989 und Finnland alle Warschauer-Pakt-Staaten, Albanien und Jugoslawien (bzw. Nachfolgesstaaten des ehem. Jugoslawien und Sowjetunion) bezieht sich hier allein auf die Türkei, den Iran, Israel, Palästina und den Libanon (weil nur aus diesen Staaten des Nahen Ostens Künstler auf der Documenta 11 vertreten waren). alle afrikanischen Staaten Kanada und USA alle mittelamerikanischen Staaten alle südamerikanischen Staaten Australien

Spalte »Kanon« Diese Spalte gibt durch das Buchstaben-Kürzel an, dass der jeweilige Künstler zum .DQRQ]X]lKOHQLVWXQGLQZHOFKHPVSH]L¿VFKHQ%HUHLFK.XQVW . $UFKLWHNWXU $  Film (F). Spalte »Auftragsarbeit« In dieser Spalte wird aufgeführt, welche Künstler eine Auftragsarbeit für die Documenta 11 angefertigt und damit eine Künstlerförderung erhalten haben. Farbzuordnungen Die farbigen Zeilenmarkierungen (dunkelgrün/hellgrün, dunkelblau/hellblau) verdeutlichen die Nähe der einzelnen KünstlerInnen zum westlichen Kunstbetrieb. Der Bezug des jeweiligen Künstlers zum westlichen Kunstbetrieb wurde DXVGHUJHRJUD¿VFKHQ=XRUGQXQJ 2. aus weiteren, ergänzenden Informationen zu den jeweiligen Künstler/innen ermittelt: beispielsweise Beteiligungen an bekannten, internationalen Ausstellungen (Biennalen, Documenta), Ausstellungen in prominenten Museen, wichtige Publikationen zu

TABELLEN/EMPIRISCHE AUSWERTUNGEN

den jeweiligen KünstlerInnen, Aufenthalte der KünstlerInnen in Kunstmetropolen, die HLQHQXQPLWWHOEDUHQ=XJDQJ]XZLFKWLJHQ.XQVWLQVWLWXWLRQHQHUP|JOLFKHQ *DOHULHQ Museen, temporäre Ausstellungen etc.). Vgl. hierzu auch das Kapitel Wer zählt zum Kanon – empirische Befunde zur Documenta 11 und die Spalte mit ergänzenden Informationen in Tabelle 1. Aus den ermittelten Informationen wurden dann die folgenden 4 Kategorien entwickelt (vgl. zur detaillierten Auswertung dieser 4 Kategorien auch Tabelle 3): Kategorie 1 – dunkelgrün 'HU.QVWOHUGLH.QVWOHULQLVWLQ1RUGDPHULND$XVWUDOLHQRGHU:HVWHXURSDJHERUHQ und lebt auch dort. Der Bezug zum westlichen Kunstbetrieb ist sehr stark bis stark ausgeprägt. .DWHJRULH±KHOOJUQ 'HU.QVWOHUGLH.QVWOHULQLVWQLFKWLQ1RUGDPHULND$XVWUDOLHQRGHU:HVWHXURSD geboren, lebt aber mittlerweile dort. Der Bezug zum westlichen Kunstbetrieb ist sehr stark bis stark ausgeprägt. Kategorie 3 – dunkelblau 'HU.QVWOHUGLH.QVWOHULQLVWQLFKWLQ1RUGDPHULND$XVWUDOLHQRGHU:HVWHXURSDJHboren und lebt auch im Jahr 2002 nicht dort. Der Bezug zum westlichen Kunstbetrieb ist durch längere Studienaufenthalte, Stipendien oder Beteiligungen an internationalen *UR‰DXVVWHOOXQJHQUHODWLYVWDUNDXVJHSUlJW .DWHJRULH±KHOOEODX 'HU.QVWOHUGLH.QVWOHULQLVWQLFKWLQ1RUGDPHULND$XVWUDOLHQRGHU:HVWHXURSDJHboren und lebt auch im Jahr 2002 nicht dort. Der Bezug zum westlichen Kunstbetrieb ist weniger stark bis gar nicht ausgeprägt: Vor der Documenta 11 bestanden kaum bis gar keine Kontakte zum westlichen Kunstbetrieb. =XP%HJULIIªZHVWOLFKHU.XQVWEHWULHE© =XPVRJHQDQQWHQª:HVWHQ©ZHUGHQKLHUJH]lKOW:HVWHXURSD1RUGDPHULNDXQG$XV tralien. Alle Kunstinstitutionen, die in diesen Ländern liegen (bspw. Museen, Galerien, *UR‰DXVVWHOOXQJHQ$XVELOGXQJVLQVWLWXWH ZHUGHQKLHU]XPªZHVWOLFKHQ.XQVWEHWULHE© JH]lKOW'DVVGLHVH(LQWHLOXQJVHKUJUREPDVFKLJLVWXQGEHLVSLHOVZHLVHGLHJUR‰HQ internationalen Biennalen und wichtige Ausbildungsinstitute sowie Museen in den ªQLFKWZHVWOLFKHQ©/lQGHUQQLFKWEHUFNVLFKWLJWNDQQKLHUDXI*UXQGGHUKRKHQ.RPplexität des Themas, nur am Rande in der Tabellenspalte ergänzende Informationen in Tabelle 1 mit einbezogen werden. Vgl. für eine differenzierte Auseinandersetzung mit diesem komplexen Thema auch das Kapitel Wer zählt zum Kanon? – empirische Befunde zur Documenta 11 und meine Ausführungen im Kapitel Exkurs: Trans- und Interkulturalität.

457

Auftragsarbeit

Kanon

*HRJUD¿VFKH Zuordnung

Aufenthaltsort/ Sitz d. Kollektivs

Geburtsort/ Gründungsort

Geburtsjahr/ Gründungsjahr

Geschlecht

ANHANG

KünstlerIn/ Künstlerkollektiv

458

1 Künstlerin, geboren zwischen 1910 und 1919 01

Bourgeois, Louise

w

1910 Paris, Frankreich

New York USA

Westeuropa USA

K

7 KünstlerInnen, geboren zwischen 1920 und 1929 02

Kožaric´, Ivan

m

1921 Petrinja, Königreich Jugoslawien

Zagreb, Kroatien

Osteuropa

K

03

Constant

m

1920 Amsterdam, Niederlande

Amsterdam, Niederlande

Westeuropa

K

04

Golub, Leon

m

1922 Chicago, USA

New York, USA

USA

K

05

Mekas, Jonas

m

1922 Semenskiai, Litauen

New York, USA

Osteuropa USA

F

06

Bouabré, Frédéric Bruly

m

1923 Bété-Land, Elfenbeinküste

Abidjan, Elfenbeinküste

Afrika

07

Friedman, Yona

m

1923 Budapest, Ungarn

Paris, Frankreich

Osteuropa Westeuropa

A

08

Portabella, Pere

m

1927 Figueras, Spanien

Barcelona, Spanien

Westeuropa

F

11 KünstlerInnen, geboren zwischen 1930 und 1939 09

Goldblatt, David

m

1930 Randfontein, Südafrika

Johannesburg, Südafrika

Afrika

10

Roth, Dieter

m

1930 Hannover, Deutschland

Basel, Schweiz

Westeuropa

K

11

Becher, Bernd

m

1931 Siegen, Deutschland

Düsseldorf, Deutschland

Westeuropa

K

12

Becher, Hilla

w

1934 Potsdam, Deutschland

13

Kawara, On

m

1932 Kariya, 1933 Japan

New York, USA

Asien USA

K

14

Geys, Jef

m

1934 Leopoldburg, Belgien

Balen, Belgien

Westeuropa

Tabelle 1: KünstlerInnenliste

ja

TABELLEN/EMPIRISCHE AUSWERTUNGEN

ergänzende Informationen

Das Museum of Modern Art in New York widmete Louise Bourgeois bereits 1982 eine Retrospektive, 1993 nahm die Künstlerin an der Biennale in Venedig teil. Ihre Werke wurden in den europäischen Ländern verstärkt erst gegen Ende der 1980er Jahre wahrgenommen. NQSIWH.RåDULüGXUFKHLQHQ6WLSHQGLHQDXIHQWKDOWLQ3DULV.RQWDNWH]XPZHVWOLFKHQ Kunstbetrieb. Er nahm 1976 an der Biennale in Venedig für den jugoslawischen Pavillion und 1979 an der Biennale in São Paulo teil. Constant war auf der Documenta 2 (1959) und 3 (1964) vertreten. Leon Golub nahm an der Documenta 3 (1964) und Documenta 8 (1987) im Bereich Malerei teil. Vgl. www.jonasmekas.com; vgl. auch Ausst.Kat. Jonas Mekas. Bouabré nahm 1989 an der Ausstellung Magiciens de la Terre in Paris teil (vgl. Ausst.Kat. Magiciens de la Terre) und war auch 1995 auf der Biennale in Venedig vertreten. Vgl. die Publikationen, die Friedman Ende der 1950er Jahre und in den 1970er Jahren herausbrachte: Friedman: Machbare Utopien; ders.: Meine Fiebel; ders.: L’Architecture Mobile. Vgl. www.pereportabella.com

David Goldblatt wurde in den 1990er Jahren zunehmend im internationalen Kunstbetrieb wahrgenommen: 1996 nahm er an der von Enwezor ko-kuratierten Ausstellung im Guggenheim Museum in New York teil (vgl. Ausst.Kat. In/Sight). Enwezor trug erheblich zu seiner internationalen Bekanntheit bei. Er kuratierte 2001 die Goldblatt-Retrospektive im Museum für zeitgenössische Kunst in Barcelona YJO$XVVW.DW'DYLG*ROGEODWW¿IW\RQH\HDUV GLHDXFKLQ1HZ