Auslieferungsrecht und Grundgesetz [1 ed.] 9783428422333, 9783428022335


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Auslieferungsrecht und Grundgesetz [1 ed.]
 9783428422333, 9783428022335

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THEO VOGLER

Auslieferungsrecht und Grundgesetz

Schriften zum Strafrecht Band II

Auslieferungsrecht und Grundgesetz

Von

Dr. Theo Vogler

DUNCKER & HUMBLOT /

BERLIN

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universitiit Freiburg i. Br. gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Alle Rechte vorbehalten & Humblot, BerUn 41 Gedruckt 1970 bei Buchdruckerei Bruno Luck, BerUn 65 Printed in Germany

© 1970 Duncker

Vorwort Die Abhandlung hat in einer im wesentlichen unveränderten Fassung der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Albert-LudwigsUniversität Freiburg/Br. im Sommersemester 1968 als Habilitationsschrift vorgelegen. Der Fortgang der Reformarbeiten an einem neuen Deutschen Auslieferungsgesetz (DAG) ist auch nach diesem Zeitpunkt berücksichtigt worden. Das Thema geht auf eine Anregung von Herrn Professor Dr. Jescheck zurück, dem ich mich auch für seine Anteilnahme während der Anfertigung der Arbeit zu aufrichtigem Dank verpflichtet fühle. Eine Reihe wertvoller Hinweise habe ich durch die Mitarbeit in der Kommission zur Reform des DAG erhalten. Dem Vorsitzenden der Kommission, Herrn Ministerialrat Dr. Grützner vom Bundesjustizministerium, danke ich für die Hilfsbereitschaft, die eine enge Verbindung mit der Auslieferungspraxis als Voraussetzung für eine fruchtbare wissenschaftliche Auseinandersetzung ermöglicht hat. Das Entgegenkommen, mit dem das Bundesjustizministerium mir die Sichtung und Auswertung der amtlichen Vorgänge auch nach meinem Ausscheiden aus dem Justizdienst gestattet hat, verdient dankbar erwähnt zu werden. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft schulde ich Dank für ihre großzügige Hilfe, die die Anfertigung der Arbeit und ihren Druck ermöglicht hat. Freiburg, März 1969

Theodor Vogler

Inhaltsverzeichnis Einleitung. Gegenstand und Gang der Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . ..

17

Erster Teil Die rechtliche Natur der Auslieferung I. Abgrenzung der Fragestellung ....................................

26

II. Die Auslieferungsentschließung als juristischer Kern der Auslieferung ............................................................

28

1. Die Unterscheidung zwischen einer innerstaatlichen und einer

zwischenstaatlichen Seite der Auslieferung ......................

30

2. Die Auslieferung als einheitlicher Gesamtvorgang aus Auslieferungsersuchen und Auslieferungsbewilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 3. Die Auslieferung als Vertrag (Vertragstheorie) ..................

33

4. Die Vernachlässigung der Vertragstheorie und ihre Ursachen ....

37

III. Dogmatische Begründung der Vertragstheorie. .. .. .... . . ... . .... ...

43

Zweiter Teil Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise im formellen und materiellen Auslieferungsrecht A. Die Zuständigkeitsordnung des geltenden Rechts ..................

I. Die Verteilung der Zuständigkeit im Auslieferungsverkehr zwischen

Bund und Ländern (§ 44 DAG) ....................................

1. Die Zuständigkeit zur Entscheidung über Auslieferungsersuchen

51 51

(§ 44 Abs. 1 DAG) ..............................................

51

a) Die Tragweite des Zuständigkeitsproblems ............. . . . . . ..

51

b) Der Zusammenhang zwischen der auslieferungsrechtlichen Zuständigkeitsfrage und der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung ..................................................

54

c) Der Einfluß des Gegensatzes zwischen Rechtspflege- und Rechtshilfetheorie auf den Zuständigkeitsstreit ...................... 57 d) Die Abkehr von dem Theorienstreit über das Wesen der Auslieferung ....................................................

59

Inhaltsverzeichnis

8

e) Die ersten Ansätze für die Berufung auf die Vertragstheorie. . f) Die Vertragstheorie als Grundlage für die Lösung des Zustän-

digkeitsproblems ............................................

61 62

aal Die Zuständigkeit zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge nach dem Grundgesetz (Art. 32 GG)...................... 63 bb) Schlußfolgerungen für die Entscheidungsbefugnis im Auslieferungsrecht ..................... .. ................... 68 g) Die völkerrechtliche Vertretung des Bundes bei Auslieferungsentschließungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 69 2. Die Beteiligung der Länder an den Entscheidungskompetenzen des Bundes (§ 44 Abs. 2 DAG).... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 72 a) Die gesetzliche Regelung und ihre Ausgestaltung durch die Verordnung von 1930 und die Zuständigkeitsvereinbarung aus dem Jahre 1952 .................................................. 72 b) Die Zuständigkeitsvereinbarung als Regelung von Verwaltungszuständigkeiten und das geltende Verfassungsrecht. .. .... . .... 76 c) Die Bedeutung der Vertragstheorie für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Zuständigkeitsvereinbarung ..... . ...... 82 3. Ergebnis

..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

II. Die Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive beim Abschluß von Auslieferungsvereinbarungen (Art. 59 Abs. 2 GG, § 46 DAG) ........................................................ 88 1. Gegenstand und Bedeutung des Problems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

2. Stellungnahmen vor dem Inkrafttreten des Auslieferungsgesetzes 91 a) Die Ansichten in der Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

92

b) Die Beratungen des 34. Deutschen Juristentags (1926)....... . . .

93

3. Der Einfluß ausländischer Vorbilder auf die Regelung im DAG. ...

95

4. Die parlamentarische Behandlung des Gesetzentwurfs und die Stellungnahmen zur Rechtslage unter dem Grundgesetz .......... 102 5. Zur Vereinbarkeit von § 46 DAG mit Art. 59 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . .. 104 a)

D~~ Zustimmungsbedürftigkeit "genereller" Auslieferungsvertrage ........................................................ 104

aal Der Einfluß des Wandels vom politischen zum Rechtsprinzip 106 bb) Konsequenzen für die staatsrechtliche Behandlung der Auslieferungsverträge ...................................... 111 b) Die staatsrechtlichen Erfordernisse für die Abgabe von Gegenrechtserklärungen ................................. , ........ 116

Inhaltsverzeichnis

9

aal Die Bedeutung der Stellungnahme zur staatsrechtlichen Behandlung von Auslieferungsverträgen für Gegenseitigkeitsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 117 bb) Die staatsrechtliche Behandlung von Gegenrechtserklärungen unter dem Gesichtspunkt sog. Parallelabkommen . . . . .. 121 cc) Schlußfolgerungen für das geltende und das künftige Recht 127 c) Die staatsrechtlichen Erfordernisse beim Abschluß von Vereinb~.rungen über die Wiederinkraftsetzung von Vorkriegsvertragen ...................................................... 128 aal Der Einfluß des Kriegsausbruchs auf Auslieferungsverträge 130 bb) Die unterschiedlichen Auswirkungen für einfache und ,ergänzende Wiederanwendungsverträge .................... 133 d) Die Zustimmungsbedürftigkeit von zweiseitigen Ergänzungsverträgen zu multilateralen Abkommen ...................... 135 6. Ergebnis

136

B. Umfang und Grenzen der staatlichen Auslieferungsbefugnis ........ 137 I. Das Verbot der Auslieferung Deutscher (Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG) und die Rücklieferung im Zuge einer vorübergehenden Auslieferung 137 1. Die Zweckmäßigkeit des Verbots und der Anwendungsbereich des

Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG ........................................ 137

2. Die Rücklieferung eigener Staatsangehöriger vor dem Erlaß des DAG .......................................................... 144 3. Die Behandlung der Rücklieferungsproblematik im Gesetzgebungsverfahren des DAG ........................................ 146 4. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und die Stellungnahmen in der Literatur .................................................. 147 5. Die vertraglichen Regeln über die Rücklieferung Nationaler. . . . .. 149 6. Die Rechtsprechung des BGH zur Rücklieferung eigener Staatsangehöriger .................................................... 151 7. Auseinandersetzung mit den Stellungnahmen in der Literatur zur Rechtsprechung des BGH ...................................... 152 a) Die Schlußfolgerungen Hamanns aus der Rechtsprechung des BVerfG zur Durchlieferung .................................. 153 b) Die Einwände Meyers gegen den BGH aus Art. 11 GG ........ 155 8. Kritik an dem begrifflichen Lösungsversuch des BGH ............ 162 9. Die Lösung der Rücklieferungsfrage auf der Grundlage der Vertragstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 170

10

Inhaltsverzeichnis a) Die vorübergehende Auslieferung als Modalität des Auslieferungsvollzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 b) Die Rechtsgrundlage der Rücklieferungshaft . .. .. . .. .. . . ... .. . 176 10. Ergebnis

H.

179

Die Bedeutung des Art. 102 GG für das Auslieferungsrecht . . . . . . . . .. 180 1. Die Rechtslage bis zum Erlaß des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . .. 181

2. Der Vergleich mit der Rechtslage in den Nachbarländern Schweiz und Österreich ........ . . . .............. . ......... . .... ... .. ... 184 3. Die Regelung in den Auslieferungsverträgen der Bundesrepublik .. 188 4. Die Meinungen in der Literatur und die Rechtsprechung des BVerfG ........................................................ 190 5. Auseinandersetzung mit den Stellungnahmen zur Rechtsprechung des BVerfG . . .. .. ... . . . .............. .. ............ .. .... ... ... 194 IH. Der Rückgriff auf andere Grundrechte als Auslieferungsverbote . . .. 199 1. Die Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 199

2. Die prozessualen Grundrechte (Art. 101, 103 GG) . . .... . ........... 201 IV.

Die Berufung auf den landes rechtlichen "ordre public" als Auslieferungshindernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 202

V. Die Bedeutung völkerrechtlicher Deklarationen und Konventionen für das Auslieferungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 209 1. Die UNO-Deklaration vom 10. Dezember 1948 ...... . .. . ....... . .. 209

2. Die Europäische Menschenrechtskonvention vom 4. November 1952 210 VI. Die Grenzen der staatlichen Auslieferungsbefugnis und der staatlichen Auslieferungspfiicht nach der Vertragstheorie .... , ........... 214 1. Die Grenzen der Vertragsfreiheit im Völkerrecht ... . .... . ....... 215

2. Schlußfolgerungen aus der Anerkennung eines völkerrechtlichen . jus cogens für das Auslieferungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 219 3. Einzelbeispiele (Todesstrafe, psychotechnische Untersuchungsmethoden, rechtliches Gehör, Ausnahmegerichte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 223 4. Die Folgen eines Verstoßes gegen zwingende Auslieferungsverbote für den Einzelvollzug und die Vertragsgestaltung .............. . . 229 5. Art. 25 GG als innerstaatliche Grundlage für die Grenzen des staatlichen Auslieferungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 231 6. Ergebnis

233

Inhaltsverzeichnis

11

Dritter Teil

Die rechtsstaatliche Ausgestaltung des innerstaatlichen Auslieferungsverfahrens I. Die Zuständigkeit zum Erlaß des Vollzugshaftbefehls (§ 30 DAG).. 236 1. Stellungnahmen in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . .. 236

2. Kritische Würdigung 3. Ergebnis

.......................................... 238

.................. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 245

II. Der Umfang der richterlichen Prüfungskompetenz im Haftverfahren des DAG ........................................................ 246 1. Die gesetzliche Regelung (§§ 14, 15, 21 DAG). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 247

2. Stellungnahmen in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . .. 248 a) Art. 104 GG als Grundlage der Prüfungspflicht ................ 249 b) Das "formelle" Prüfungsprinzip und die Haftvoraussetzungen .. 252 3. Ergebnis

IIr.

259

Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs im Auslieferungsverfahren .. 260 1. Die Anhörung des Verfolgten im Haftrecht. ..................... 261

a) Der Erlaß des Einlieferungs- bzw. Auslieferungshaftbefehls . . .. 262 b) Die Haftprüfung ............................................ 267 2. Das rechtliche Gehör im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung. . . . .. 271 a) Das Verfahren nach den §§ 25, 26 DAG ........................ 271 b) Das Nachtragsverfahren des § 31 DAG ........................ 273 3. Ergebnis

286

IV. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Haftrecht des DAG . . . . .. 286 1. Die Verhältnismäßigkeit als Haftvoraussetzung ..... , ............ 286

2. Die Haftverschonung

.......................................... 289

3. Der Zeitablauf als Haftbeendigungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 290 a) Die Auslieferungshaft nach § 10 DAG........................ 290 b) Die Einlieferungshaft im Ausland ............................ 298 4. Ergebnis

300

12

Inhaltsverzeichnis

Vierter Teil Der Rechtsschutz im Auslieferungsverfahren I. Die bisherigen Lösungsversuche . . ........ . ..... ... ..... . ........ . 302 1. Die Ansichten in der Literatur und ihre praktischen Konsequenzen 304

2. Die Stellungnahmen in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 308 II. Der Rechtsschutz im Auslieferungsverfahren auf der Grundlage der Vertragstheorie ... . ...... .. ...................................... 313 1. Der Rechtsschutz im Verfahren der aktiven Auslieferung ........ 313

a) Die verwaltungsgerichtliche Anfechtung der Auslieferungsbewilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 313 b) Die Anfechtung der Auslieferungsbewilligung mit der Verfassungsbeschwerde .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . . . . .. 319 2. Der Rechtsschutz im Einlieferungsverfahren . .. . .. . .. . ... . ...... 320 a) Die verwaltungsgerichtliche Anfechtung von Einlieferungsersuchen ................. . ...... .. ................... ; ....... .... 320 b) Die Anfechtung von Einlieferungsersuchen mit der Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 328 III.

Die prozessuale Durchsetzung der Schranken der staatlichen· Auslieferungsbefugnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 329

IV. Ergebnis

331

Zusaounenfassung

332

Literaturverzeichnis

343

Abkürzungsverzeichnis a.A.

anderer Ansicht . am angegebenen ort Abs. Absatz Abt. Abteilung a.E. am Ende AHK Alliierte Hohe Kommission AJIL The American Journal of International Law allg. allgemein ALU Auslieferungsübereinkommen Anm. Anmerkung AöR Archiv des öffentlichen Rechts ArchVR Archiv des Völkerrechts Art. Artikel Auf!. Auflage BA Bundesanzeiger Bay.VerfG Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs BBl. Bundesblatt der Schweizerischen Eidgenossenschaft Bern; die Zahlen bedeuten: Jahrgang, Band des betreffenden Jahrgangs, Seite Bd. Band BG Bundesgericht BGBl. Bundesgesetzblatt BGE Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts BGH Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen BGHSt BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BJM Bundesjustizministerium BK Bonner Kommentar Bundestag (Deutscher) BT (österreichisches) Bundes-Verfassungsgesetz i. d. F. von 1929 B-VG BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerfGG Gesetz über das Bundesverfassungsgericht vom 12. 3. 1951 BVerwGE Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts beziehungsweise l:>zw. CC Code civil DAG Deutsches Auslieferungsgesetz derselbe ders. d.h. das heißt Diss. Dissertation Deutsche Justiz DJ DJZ Deutsche Juristenzeitung Die Öffentliche Verwaltung DÖV

a.a;O; ·

14

DRiZ DRZ DVBl. ed. nouv. EMRK FamRZ GA gern. GG GGO GS GVG H. Hdw. hrsg. h.M. IJK ILC IRD i.S. i.V.m. Jg. JIR JR JuS JW JZ Lfg.

LG LK LM LZ MDR MRVO n.F. NJW ÖJZ o.Jg. OLG OVG RdNr. RG RGBl. RGSt RiVASt RV

S.

SchlHA SchJIR SJZ sog.

Abkürzungsverzeichnis Deutsche Richterzeitung Deutsche Rechts-Zeitschrift Deutsches Verwaltungsblatt edition nouvelle Europäische Menschenrechtskonvention Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Goltdammer's Archiv für Strafrecht gemäß Bonner Grundgesetz Gemeinsame Geschäftsordnung der Reichs(Bundes)-ministerien Gesetzsammlung Gerichtsverfassungsgesetz Heft Handwörterbuch herausgegeben herrschende Meinung Internationale Juristenkommission International Law Commission Internationales Recht und Diplomatie im Sinne in Verbindung mit Jahrgang Jahrbuch für internationales Recht Juristische Rundschau Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Lieferung Landgericht Leipziger Kommentar Lindenmaier-Möhring Leipziger Zeitschrift Monatsschrift für Deutsches Recht Militärregierungsverordnung neue Folge Neue Juristische Wochenschrift österreichische Juristen-Zeitung ohne Jahrgang Oberlandesgericht . Oberverwaltungsgericht Randnummer Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten vom 15. Januar 1959 Reichsverfassung 1871 Seite Schleswig-Holsteinische Anzeigen Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht Süddeutsche Juristenzeitung sogenannte

Abkürzungsverzeichnis s.o.s. s.u.s. SSt (R)StGB StPO stPÄG u.a. usw. VerwRspr. vgl. VGH Vorbem. VVDStRL VwGO WRV YILC ZaöRV z.B. ZStW

15

siehe oben Seite siehe unten Seite Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in Strafsachen und Disziplinarangelegenheiten, veröffentlicht von seinen Mitgliedern unter Mitwirkung der Generalprokuratur (Reichs)-Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung Gesetz zur Änderung der StPO und des GVG vom 19. 12. 1964 unter anderem und so weiter Verwaltungsrechtsprechung in Deutschland vergleiche Verwaltungsgerichtshof Vorbemerkung Veröffentlichung der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. 1. 1960 Weimarer Reichsverfassung Yearbook of the International Law Commission, New York Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Einleitung

Gegenstand und Gang der Untersuchung Die Auslieferungspraxis der Bundesrepublik verläuft im wesentlichen reibungslos und nimmt, wie die Statistik ausweistt, mehr oder weniger stetig an Umfang zu. Die rechtliche Grundlage des Auslieferungsverkehrs bildet das Deutsche Auslieferungsgesetz (DAG). Daneben unterhält die Bundesrepublik mit zahlreichen Staaten vertragliche Auslieferungsbeziehungenz• Zum Teil sind die aus der Vorkriegszeit stammenden Auslieferungsverträge wieder in Kraft gesetzt worden, zu einem nicht geringen Teil hat die Bundesrepublik nach dem Kriege neue Auslieferungsverträge abgeschlossen. Zu den bilateralen Auslieferungsvereinbarungen tritt mit dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen' in absehbarer Zeit für die Bundesrepublik die erste Regelung auf multilateraler Ebene hinzu. Das äußere Bild, das der Auslieferungsverkehr bietet, kann nicht über die auffällige Unsicherheit in der theoretischen Bewältigung grundlegender Probleme hinwegtäuschen. Pragmatische Lösungen, wie sie allenthalben im Vordergrund stehen, haben ernstliche Schwierigkeiten zwar bisher nicht aufkommen lassen, eine Garantie für die Zukunft geben sie aber nicht. Diese Einsicht hat in den Arbeiten einer vom Bundesjustizministerium eingesetzten Kommission zur Reform des DAG ihren Niederschlag gefunden4 • Die Reformvorschläge werden - soweit sie zu greifbaren Ergebnissen geführt haben - in die Erörterung einbezogen. Sie vermitteln nicht nur Aufschlüsse über die künftige Ausgestaltung des Auslieferungsrechts, sondern vertiefen auch den Einblick in die Probleme des geltenden Rechts. Mehr noch als die Auslieferungspraxis zeigen die Reformarbeiten die Schwierigkeiten auf, die die komplexe Natur des Gegenstands einer wissenschaftlichen Durchdringung bereitet 1 Vgl. die jährlichen Auslieferungsstatistiken, veröffentlicht im BA, zuletzt im BA Nr. 206 vom 5. November 1969. Z Einen Überblick gibt die laufend ergänzte Loseblattsammlung "Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen" von Grützner, die alle Verträge der Bundesrepublik auf dem Gebiet der Rechtshilfe in Strafsachen in deutscher Sprache enthält. , BGBl. 1964 II S. 1369 ff. 4 Die Kommission hat seit 1963 auf 16 Tagungen den Entwurf eines neuen DAG (Kommissionsentwurf) auf der Grundlage eines Referentenentwurfs des BJM ausgearbeitet.

2 Vogler

18

Einleitung

und die in einer unzulänglichen Dogmatik des Auslieferungsrechts sichtbaren Ausdruck finden. Als Grenzgebiet zwischen dem Straf-, Strafprozeß-, Völker- und Staatsrecht entzieht sich das Auslieferungsrecht einer schematischen Einordnung in eine der verschiedenen Disziplinen. Die Lehrbücher des Strafund Strafprozeßrechts gehen auf die Auslieferung ebenso wie die Kommentare und die Völkerrechtslehrbücher nur am Rande ein. Für das Staats- und Verfassungsrecht scheint sie nur im Hinblick auf Art. 16 Abs. 2 GG von Interesse zu sein. Allenfalls aufsehenerregende "Fälle", die zudem noch keine Auslieferungen sind (Fälle "AhZers" und "Argoud"), lenken die Aufmerksamkeit auf Fragen des Auslieferungsrechts. Es kann daher nicht überraschen, daß die zentrale Frage des Auslieferungsrechts nach der Rechtsnatur ihres eigentlichen Gegenstands, der Auslieferung, in Vergessenheit geraten konnte oder doch nur einseitig unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzes im Auslieferungsverfahren der Erörterung wert schien. Dabei läßt sich unschwer nachweisen, daß in ihrer Beantwortung der Schlüssel für die Lösung einer Reihe der schwierigsten und umstrittensten Probleme des Auslieferungsrechts liegt. Es könnte deshalb naheliegend erscheinen, sich mit der Untersuchung der Rechtsnatur der Auslieferung und ihren Konsequenzen für das Auslieferungsrecht zu begnügen. Aber auch in dieser Beschränkung führt das Thema zwangsläufig über das eigentliche Auslieferungsrecht hinaus und macht deutlich, daß das Grundgesetz als Fundament der geltenden Staats- und Verfassungsordnung nicht ausgespart bleiben kann. Das gilt nicht nur für die Frage nach den rechtsstaatlichen Grenzen obrigkeitlichen Handeins, sondern ebenso für die Abgrenzung der Kompetenzen von Bund und Ländern und zwischen Legislative und Exekutive innerhalb des Bundes. Ein kurzer Überblick über die aktuellen Probleme des Auslieferungsrechts kann das verdeutlichen: Im Zuständigkeitsstreit geht es um die Verteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern; die gesetzgeberische Behandlung von Auslieferungsvereinbarungen betrifft die funktionelle Organzuständigkeit innerhalb des Bundes; der Grundrechtsschutz bestimmt die Verfahrensgestaltung und wirft die Frage nach den Grenzen der staatlichen Auslieferungsbefugnis und der staatlichen Auslieferungspfiicht auf. Im Art. 19 Abs. 4 GG schließlich spiegelt sich das Verhältnis zwischen Staat und Verfolgtem im Ausliefe., rungsrecht verfahrens rechtlich wider. Der verfassungsrechtliche Bezug des auslieferungsrechtlichen Fragenkomplexes kommt in der Themenstellung zum Ausdruck, ohne daß damit Anspruch auf Originalität im verfassungsrechtlichen Bereich erhoben wird. Für eine vorwiegend strafrechtliche Untersuchung muß es insoweit sein Bewenden dabei haben, vorgefundene Ergebnisse kritisch

Gegenstand und Gang der Untersuchung

19

zu sichten und für das Auslieferungsrecht fruchtbar zu machen. Dasselbe gilt für die völkerrechtliche Seite des Problems. Die Vielzahl und Vielfältigkeit der Fragen legt den Verzicht auf eine erschöpfende Darstellung aller in der Literatur und Rechtsprechung vertretenen Ansichten zugunsten der Beschränkung auf gefestigte Erkenntnisse nahe und rechtfertigt eine begrenzte Auswahl von Schrifttum und Rechtsprechung. So bleiben zwangsläufig Fragen unbeantwortet, die einer vertieften Erörterung harren. In dem hier gesteckten Rahmen mußte es häufig genügen, sie aufzuwerfen und ihre Bedeutung für das Auslieferungsrecht aufzuzeigen. Daß die umstrittenen Fragen des Auslieferungsrechts fast ausnahmslos enge Beziehungen zum Verfassungsrecht aufweisen, erklärt sich zwanglos aus dem verfassungsrechtlichen Wandel nicht erst seit dem Erlaß des DAG, sondern seit der Entwicklung des Auslieferungsrechts zu einem "nicht zu entbehrenden Stück bestehender völkerrechtlicher Ordnung" (von Martitz). Der Umstand, daß das DAG seit 1930 im wesentlichen unverändert in Kraft ist5, deutet auf das Spannungsfeld hin, das sich zuletzt mit der Änderung der politischen und rechtlichen Verhältnisse nach 1945 aufgetan hat. Während der Gesetzgeber auf dem Gebiet des Strafrechts und des Strafprozeßrechts im Wege der Novellengesetzgebung einige offensichtlich verfassungswidrige Vorschriften aufgehoben oder geändert und zugleich versucht hat, durch Einfügen neuer Vorschriften der veränderten verfassungsrechtlichen Rechtslage gerecht zu werden, ist die rechtsstaatliche Anwendung und Weiterbildung des Auslieferungsrechts fast ausschließlich der Praxis überlassen geblieben. Zwar sind die verfassungsrechtlichen Gegebenheiten bei den seit 1950 abgeschlossenen Auslieferungsverträgen nicht übersehen worden, aber gerade die Vertragspraxis läßt in verschiedener Hinsicht die Zweifel bei der Beurteilung der verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Auslieferungsrecht erkennen. Die viel früher in anderem Zusammenhang getroffene Feststellung, die Verfassung sei allgemein nur zögernd herangezogen worden, um die Gültigkeit gesetzlicher Bestimmungen und die Stichhaltigkeit überkommener Grundsätze zu überprüfen8, trifft für das Auslieferungsrecht noch immer zu. Der Wandel vom Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verfassung - um den von Leisner7 geprägten Ausdruck zu benutzen - zur Verfassungsmäßigkeit der Gesetze eröffnet der wissenschaftlichen Durchdringung des Auslieferungsrechts neue Perspektiven und wirft eine Reihe ungelöster Fragen auf. Die folgenden Untersuchungen wollen einen Teil zu ihrer Beantwortung beitragen. G Das Anderungsgesetz vom 12. September 1933, RGBl. 1933 I S. 618, hat das Gesetz in seinem Kern unverändert gelassen. 8 Stree, S. 1, für das Strafrecht. 7 Leisner, S. 5.

20

Einleitung

Es kann freilich nicht ihre Aufgabe sein, den weitgesteckten Rahmen auszufüllen. Bei dem Umfang des Problemkreises ist eine Auswahl einiger Fragen und die Bildung weniger Schwerpunkte unerläßlich. So ist z. B. von vornherein darauf verzichtet worden, den Fragen des Asylrechts und des Staatsangehörigkeitsrechts im einzelnen nachzugehen. Soweit das Asylrecht berührt wird oder auf das Verbot der Auslieferung Deutscher einzugehen ist, bleiben die Vorfragen, unter welchen Voraussetzungen ein Asylanspruch besteht und wer Deutscher im Sinne des Grundgesetzes ist, offen. Bei der gebotenen Beschränkung auf einige wesentliche Punkte lassen sich folgende Fragenkomplexe unterscheiden: Umstritten ist immer noch die Kompetenzverteilung im Auslieferungswesen zwischen Bund und Ländern und innerhalb des Bundes zwischen Legislative und Exekutive. Ein anderer Fragenkreis betrifft die Grenzen der staatlichen Auslieferungsbefugnis und der staatlichen Auslieferungspflicht. In engem Zusammenhang mit der verfassungsrechtlichen Gewährleistung von Grund- und Freiheitsrechten steht die Frage nach den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des innerstaatlichen Auslieferungsverfahrens. Hinzu kommt schließlich noch die Frage des Rechtsschutzes im Auslieferungsverfahren im Hinblick auf die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG und die Einführung der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel sowie der Verfassungsbeschwerde. Auf die Einleitung folgt im ersten Teil als Ausgangspunkt und Grundlage der nachfolgenden Erörterungen eine Besinnung auf die rechtliche Natur der Auslieferung. Der zweite Teil behandelt die Konsequenzen, die sich aus der rechtlichen Natur und der systematischen Stellung der Auslieferungergeben. Er gliedert sich der Unterscheidung von formellem und materiellem Auslieferungsrecht entsprechend in zwei Abschnitte. Die Auswirkungen auf das formelle Auslieferungsrecht betreffen die Zuständigkeitsordnung des geltenden Rechts. Im ersten Abschnitt (A) wird die immer noch umstrittene Frage untersucht, ob der Bund zur Entscheidung über ausländische Auslieferungsersuchen zuständig ist oder ob die Entscheidungsbefugnis in Einzelsachen den Ländern zusteht. Von ihrer Beantwortung hängt die weitere Frage ab, ob und in welcher Form die Länder an einer etwaigen Entscheidungsbefugnis des Bundes beteiligt werden können. Angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 44 DAG mag es verwundern, gerade die Zuständigkeitsregelung in den Vordergrund der Erörterungen gerückt zu sehen. Die Vorbehalte der Bayerischen Regierung gegenüber der Zuständigkeitsvereinbarung von 19528 machen jedoch 8 Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Landesregierungen über die Zuständigkeit im Rechtshilfeverkehr mit dem Auslande in Strafsachen (Zuständigkeitsvereinbarung) vom 20. Februar 1952, BA Nr. 78 vom 23. April 1952 S. 1.

Gegenstand und Gang der Untersuchung

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offenbar, daß der schon bei den Vorarbeiten am Gesetz und in der parlamentarischen Behandlung aufgetretene Zuständigkeitsstreit zwischen dem Reich und den Ländern keineswegs endgültig beigelegt ist. Der Streitstand wird seit langem durch die gegensätzlichen Auffassungen über das Wesen der Auslieferung als Akt der Rechtspflege einerseits oder der Rechtshilfe andererseits bestimmt. Zwar hat die völkerrechtliche Rechtshilfetheorie zumindest im deutschsprachigen Raum eindeu:" tig die Oberhand gewonnen, aber eine überzeugende Lösung des Kompetenzkonflikts ist damit nicht erreicht worden. Als ein komplexer, aus vielen Einzelakten zusammengesetzter Gesamtvorgang entzieht sich die Auslieferung naturgemäß dem Versuch, ihr Wesen mit dem Gegensatz von Rechtspflege und Rechtshilfe zu erfassen. Die Einsicht in die Rechtsnatur des juristischen Kerns der Auslieferung führt zu einer schon . im Ansatz neuen Betrachtungsweise, die es ermöglicht, die verfassungsrechtliche Entscheidung über die Abgrenzung der Zuständigkeit zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge zwischen Bund und Ländern im Auslieferungsrecht unmittelbar anzuwenden. Für die Beteiligung der Länder am Auslieferungsverkehr schwebte dem Gesetzgeber - angelehnt an zahlreiche andere reichsgesetzliche Vorbilder - ein Verhältnis zwischen den Reichs- und Landesbehörden vor, das als "Auftragsverwaltung" bezeichnet zu werden pflegte. Die im Art. 85 GG geregelte Form des Zusammenwirkens zwischen Bund und Ländern, die zudem auf einen kleinen, im Grundgesetz ausdrücklich genannten Kreis von Angelegenheiten beschränkt ist, hat dieser Betrachtungsweise den Boden entzogen. Der Versuch, die Entscheidung des Grundgesetzes für das Gebiet des Auslieferungswesens durch eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern in der Form eines Verwaltungsabkommens zu unterlaufen, begegnet erheblichen Bedenken. Auch insoweit ist die Einsicht in die Rechtsnatur der Auslieferung geeignet, den verfehlten Ansatzpunkt in der bisherigen, vom Begriff der Auftragsverwaltung ausgehenden Beurteilung des Verhältnisses, in dem Bund und Länder im Auslieferungswesen zusammenwirken, aufzudecken und der Praxis ein tragfähiges Fundament zu geben. Ebenfalls im Zusammenhang mit der Zuständigkeitsordnung des geltenden Auslieferungsrechts steht die Frage nach der staatsrechtlichen Behandlung der Auslieferungsverträge. Die Vorgeschichte des Gesetzes verrät mehr über die staatsrechtliche Problematik der gesetzlichen Regelung, als der verhältnismäßig klare Wortlaut des Gesetzes erkennen läßt. Der schon bei den Vorarbeiten am DAG und in der parlamentarischen Behandlung des Gesetzentwurfs erhobene Einwand, § 46 Abs. 1 DAG stehe nicht mit Art. 45 WRV im Einklang, da er im Gegensatz zur Verfassung zu einer Ausschaltung des Reichstags beim Abschluß von Auslieferungsverträgen mit ausländischen Regierungen führe, ist im Hin-

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Einleitung

blick auf die nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG im wesentlichen unveränderte staatsrechtliche Rechtslage auch heute noch bedeutsam. Das Problem wird immer noch einseitig unter dem Gesichtspunkt der Vollzugssicherung völkerrechtlicher Verträge gesehen, ohne den Funktionswandel der Auslieferungsverträge in einem vom Rechtsprinzip und vom Grundsatz des Vorrangs der Verträge beherrschten Verfahrensrecht zu berücksichtigen. Eine Sonderstellung innerhalb dieses Fragenkreises nehmen die sogenannten Gegenrechtserklärungen und die Vereinbarungen über die Wiederanwendung suspendierter Vorkriegsverträge ein. Die staatsrechtliche Praxis geht nahezu selbstverständlich davon aus, daß sie der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften nicht unterliegen. Diese Praxis erscheint in ihrer Allgemeinheit unter dem Gesichtspunkt der Zustimmungsbedürftigkeit von Änderungsabkommen problematisch. Bei aller Unsicherheit, die in der Beurteilung der damit zusammenhängenden Fragen noch besteht, sprechen gewichtige Gründe für die Notwendigkeit qualifizierter Lösungen im Auslieferungsrecht. Den Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise auf das materielle Auslieferungsrecht ist der zweite Abschnitt (B) gewidmet. Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG legt es nahe, im Rahmen der Frage nach der Bedeutung der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Grund:" rechte für das Auslieferungsrecht das Verbot der Auslieferung Deutscher an den Anfang zu stellen. Der Streit über den Anwendungsbereich der Vorschrift beschränkt sich im wesentlichen -auf die Rücklieferung im Zuge einer vorübergehenden Auslieferung. In dem Bemühen, den Bedürfnissen der Praxis entgegenzukommen, haben sowohl das RG wie der BGH versucht, die Unanwendbarkeit des Verbots auf die Rücklieferung mit begrifflichen Mitteln nachzuweisen. Während das RG den Auslieferungsbegriff durch den Zweck der ÜbersteIlung einengen wollte, stellt der BGH dem strafrechtlichen einen verfassungsrechtlichen Auslieferungsbegriff gegenüber, aus dem er über das Merkmal' des vollständigen Wechsels der Strafgewalt die Rücklieferung ausklammert. Daß es dieser künstlichen Konstruktionen nicht bedarf, zeigt eine Besinnung auf die Rechtsnatur der Auslieferung. Mit der Aufgabe einer die Rücklieferung isoliert ins Auge fassenden Betrachtung zugunsten einer Gesamtschau, die die vorübergehende Auslieferung· als einheitlichen Vorgang erfaßt, erschließt sich über deren Wesen zugleich die Lösung der Rücklieferungsproblematik. Obwohl das Grundgesetz außer im Art. 16 Abs. 2 GG keine ausdrücklichen Auslieferungsverbote enthält, hat es nicht an Versuchen gefehlt, aus dem Grundrechtskatalog Beschränkungen des staatlichen Auslieferungsrechts abzuleiten. Anlaß dazu gab die Abschaffung der Todesstrafe, die zu der Frage führte, ob ein Verfolgter, dem im Ausland die

Gegenstand und Gang der Untersuchung

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Todesstrafe droht, ausgeliefert werden dürfe. Das Problem der Auslieferung bei unzulässigen Strafen, das schon bei der parlamentarischen Beratung des DAG - wenn auch ohne Einfluß 'a uf die gesetzliche Regelung - zur Sprache kam, ist aber nicht auf die Todesstrafe beschränkt. Über Art. 1 Abs. 1 GG und die völkervertraglicheAnerkennung der Menschenwürde' gewinnt es auch für andere Strafsanktionen Bedeutung.· Die Gewährleistung prozessualer Grundrechte erweitert zwangsläufig die Fragestellung auf die Fälle, in denen das ausländische Strafverfahren den rechtsstaatlichen Grundsätzen der eigenen Verfassung oder den Bestimmungen in völkerrechtlichen Verträgen widerspricht. Auf dieser Grundlage konnten die Versuche gedeihen, für die eigenen Vorstellungen vom Rechtsstaat uneingeschränkt oder doch in einem "Kernbestand" Allgemeingültigkeit in Anspruch zu nehmen oder den völkervertraglichen Regeln über ihre Bedeutung für das jeweilige inner,staatliche Recht der Vertragspartner hinaus auch Verbindlichkeit für den zwischenstaatlichen Verkehr beizulegen. Die Notwendigkeit einer ~eschränkung der staatlichen Auslieferungsbefugnis und der staatlichen Auslieferungspflicht bei schwerwiegenden Verstößen gegen die Menschenrechte oder allgemein anerkannte rechtsstaatliche Prinzipien kann ,nicht über die dogmatischen Mängel dieser Versuche hinwegtäuschen. Wie über die Vertragsnatur der Einzelauslieferung die im Völkerrecht ,sich allmählich anbahnende Anerkennung eines Bestands zwingender Normen und die Ausbildung eines internationalen "ordre public" als Grenze der völkerrechtlichen Vertragsfreiheit für die Frage nach den staatlichen Schranken des Auslieferungsrechts fruchtbar werden kann, bildet den wesentlichen Inhalt dieses Abschnitts der Untersuchung. Im dritten Teil wendet sich die Erörterung den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des innerstaatlichen Auslieferungs,verfahrens zu. Im Gegensatz zum zweiten Teil, dessen Betrachtungsweise .von der völkerrechtlichen Natur der Auslieferung bestimmt ist, fallen die Fragestellungen des dritten Teils in den uneingeschränkten Anwendungsbereich der Grundrechte. Hier kommt der rechtsstaatliche Gehalt der Grundrechtsgewährleistungen voll zur Entfaltung. Was bei ober,'flächHcher Betrachtung als Widerspruch erscheinen könnte, liegt somit letztlich in der Komplexität des Gegenstandes und den unterschiedlichen ]fragestellungen begründet. Gegen die im § 30 DAG vorgesehene Zuständigkeit des Staats;anwalts zum Erlaß eines Haftbefehls zur Durchführung der Auslieferungund gegen den Umfang der richterlichen Prüfungskompetenz im Haftverfahren nach §§ 14, 15 und 21 DAG müssen im Hinblick auf die • Europäische Menschenrechtskonvention, UNO-Menschenrechtsdeklaration.

Einleitung

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justizförmige Ausgestaltung des Freiheitsentzugs durch das Grundgesetz (Art. 104 Abs. 2) Vorbehalte angemeldet werden. Darüber kann der Umstand nicht hinwegtäuschen, daß dem DAG gerade in diesem Zusammenhang höchstrichterlich bescheinigt worden ist, den "Gedanken der Rechtsstaatlichkeit unter Anpassung an die besonderen Bedürfnisse des Auslieferungsverkehrs verwirklicht" zu haben10 • Unter dem Gesichtspunkt des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG) wird anschließend das Haftverfahren, das Zulässigkeitsverfahren und das Nachtragsverfahren einer Prüfung unterzogen. Bedenken erweckt insoweit vor allem die gerichtliche Praxis, die keinen Anstoß daran nimmt, daß der Verfolgte nach seiner Auslieferung im Nachtragsverfahren (§ 31 DAG) nicht gehört wird, obwohl auch Entscheidungen über nachträgliche Ersuchen um Strafverfolgung, Strafvollstreckung oder Weiterlieferung nach der gesetzlichen Regelung uneingeschränkt dem Rechtsprinzip und damit einem gerichtlichen Verfahren unterliegen. Der folgende Unterabschnitt geht den Auswirkungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf das auslieferungsrechtliche Haftverfahren nach. Welche Bedeutung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für das strafprozessuale Haftverfahren beigemessen wird, zeigt die Änderung der StPO durch das StPÄG. Der Umstand, daß das StPÄG die verfassungskonforme Ausgestaltung des strafprozessualen Haftrechts bezweckte, legt es nahe, die Haftregelung des DAG mit den Vorschriften der StPO zu vergleichen. Da das Schwergewicht des innerstaatlichen Auslieferungsrechts in der Verfahrensregelung liegt, drängt sich in diesem Teil der Untersuchung mehr als an anderen Stellen ein Vergleich mit den Ergebnissen der Reformarbeiten auf. Der vierte und letzte Teil der Untersuchung behandelt Fragen des Rechtsschutzes im Auslieferungsverfahren. Während in der Praxis der Rechtsschutz gegen den Richter durch die Anfechtung der gerichtlichen Zulässigkeitsentscheidung mit der Verfassungsbeschwerde im Vordergrund steht, sind in der Theorie, gefolgt von einigen Verwaltungsgerichten, Strömungen bemerkbar, den Rechtsschutz durch den Richter zu betonen. Aus diesem Bestreben erklärt sich die zwiespältige Sicht, in der die Auslieferungsbewilligung gleichzeitig als innerstaatlicher (Verwaltungs-)Akt und als Akt des zwischenstaatlichen Rechtshilfeverkehrs erscheint. Ihren Niederschlag findet diese Entwicklung in Anfechtungsklagen und Verfassungsbeschwerden gegen Auslieferungsbewilligungen und Einlieferungsersuchen. Obwohl die Rechtsschutzfragen für den Auslieferungsverkehr wegen der Dauer der gerichtlichen Verfahren von existentieller Bedeutung sind, haben sie das wissenschaftliche Interesse bis10

BGHSt. Bd. 2 S. 44, 47.

Gegenstand und Gang der Untersuchung

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her nicht zu wecken vermocht. Die Einsicht in die Rechtsnatur der Auslieferung bietet auch insoweit die Grundlage für dogmatisch fundierte Lösungen, die den praktischen Bedürfnissen gerecht werden, ohne die berechtigten Belange des Verfolgten zu vernachlässigen. Das Ziel des gerichtlichen Rechtsschutzes muß in der Kongruenz der Ansprüche aus dem materiellen Recht mit ihrer prozessualen Durchsetzbarkeit bestehen. Der Rechtsschutz im Auslieferungsverfahren ist gesichert, solange jede denkbare Rechtsverletzung staatlicher Organe durch die Rechtshilfeleistung vor deren Vollzug der gerichtlichen Kontrolle unterworfen werden kann. Die Feststellung, daß es dazu nicht der verwaltungsgerichtlichen Anfechtung und der Zulassung der Verfassungsbeschwerde gegen Auslieferungsbewilligungen und Einlieferungsersuchen bedarf, deutet das E~ebnis des letzten Teils der Arbeit an. Der kurze Abriß des Gegenstands der Untersuchung hat wiederholt die grundlegende Bedeutung erkennen lassen, die die Frage nach der Rechtsnatur der Auslieferung für eine Reihe der umstrittensten Probleme des Auslieferungsrechts einnimmt. Sie steht deshalb als erster Teil am Anfang der Untersuchung.

Erster Teil

Die rechtliche Natur der Auslieferung Eine Stellungnahme zu Problemen des Auslieferungsrechts setzt eine Verständigung über die Rechtsnatur des zentralen Gegenstands dieser Materie,. der Auslieferung, voraus. Erst die Einsicht in die Rechtsnatur des als Auslieferung bezeichneten Aktes ermöglicht es, seine Stellung im Rechtssystem und sein Verhältnis zu den Normen der verschiedenen Teilrechtsordnungen zu bestimmen.

I. Abgrenzung der Fragestellung Die Frage nach der Rechtsnatur der Auslieferung ist mit einer begrifflichen Klärung des als Auslieferung bezeichneten Rechtsinstituts allein nicht beantwortet. Sicherlich kann auch eine exakte Begriffsbildung manches zum Verständnis des Auslieferungsrechts beitragen. Die Bemühungen der Wissenschaft um eine genaue Abgrenzung des Auslieferungsbegriffs1 entspringen nicht nur einem theoretischen Bedürfnis, sie dienen vornehmlich dazu, den Anwendungsbereich der formellen und materiellen Regeln über diesen Gegenstand, mögen sie in Gesetzen oder zwischenstaatlichen Vereinbarungen enthalten sein, eindeutig festzulegen!. Gleichwohl kann es an dieser Stelle sein Bewenden bei der Feststellung haben, daß ein Vergleich der verschiedenen Definitionen grundlegende Abweichungen - jedenfalls im auslieferungsrechtlichen Schrifttum - nicht erkennen läßt3 • Im wesentlichen erschöpfen sie sich in der Beschreibung des tatsächlichen Auslieferungsvorgangs und des verfolgten Zwecks. Unter Auslieferung wird demnach die überantwortung einer Person durch eine hoheitliche Maßnahme aus der Gerichtsgewalt des einen Staates an die Behörden eines anderen Staates zur Strafverfolgung oder zur Strafvollstreckung verstanden. Die im einzelnen auftretenden Unterschiede erklären sich häufig aus dem zweifelhaften Bestreben, durch eine verfeinerte Begriffsbestimmung praktischen 1 Vgl. die Zusammenstellung bei Travers, Bd. IV S. 302; Schultz, S.15, 16; Mettgenberg-Doerner, 8.129; Meyer, 8.17, 18; Grützner, Auslieferungsverbote, s. 584/586; derselbe, Die vorübergehende Auslieferung, 8.1024. ! Vgl. Dieter Weber, S. 37. a Zu den Versuchen, einen abweichenden verfassungsrechtlichen Auslieferungsbegriff zu entwickeln, s. u. S. 162 fI.

I. Abgrenzung der Fragestellung

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Bedürfnissen bei der Anwendung des Auslieferungsrechts zu entsprechen, wenn sich sachliche Begründungen dafür nicht sogleich einstellen'. Näheren Aufschluß über die Rechtsnatur der Auslieferung kann eine Begriffsbestimmung allerdings kaum vermitteln; die begriffliche Umschreibung kann zwangsläufig nicht mehr aussagen, als zuvor in sie hineingelegt worden ist. Wenn hier von der Rechtsnatur der Auslieferung die Rede ist, dann ist auch nicht die Auseinandersetzung um die Frage gemeint, ob die Auslieferung einen Akt der Rechtshilfe oder ob sie nur oder auch einen Akt der Rechtspflege darstellt. Der immer noch schwelende Streit um ·dasWesen der Auslieferung reicht bekanntlich bis in das vorige Jahrhundert zurück. Seinen deutlichsten Ausdruck hat er in den Werken von Lammasch einerseits5 und von von Martitz andererseits' gefunden. Nach Lammasch7 "übt auch der Staat, welcher einen Beschuldigten ausliefert, ein Strafrecht gegen denselben aus und nicht bloß jener, welcher den Ausgelieferten hinrichten oder einsperren läßt... (Die Auslieferung ist) nicht etwa bloß ein Akt der Rechtshilfe, d. h. der Beihilfe zur Verwirklichung des Rechts durch einen anderen Staat, sondern gleichzeitig auch ein wahrer Akt der Rechtspflege des ausliefernden Staates selbst". Den gegensätzlichen Standpunkt faßt von Martitz 8 in den Worten zusammen: "Kraft völkerrechtlicher Notwendigkeit (sind) Strafen und Ausliefern zwei verschiedene Dinge. Die Begriffe stellen zwei getrennte Tätigkeitsgebiete vollziehender Staatsfunktion dar ... Das. Verfahren ist nicht Strafrechtspflege . .. Seine Bestimmung ist nicht, vergeltende Sühne für das gebrochene Recht aufzuerlegen, und durch Auslieferung wird man nicht bestraft; vielmehr ist es ein Mittel, um rechtliche Interessen des Auslandes zu realisieren ... Das Strafverfahren führt durch den Prozeß zum Urteil, das Auslieferungsverfahren durch diplomatische Verhandlungen zu einer Verfügung." An dieser Stelle mag es unter Verzicht auf jedes Eingehen auf das Für und Wider der beiden Theorien und ihrer Begründungen8 bei der Feststellung sein ·Bewenden haben, daß zumindest in der deutschsprachigen Literatur die Auffassung überwiegt, der ersuchte Staat übe mit der Auslieferung kein jus puniendi aus. Die französische Lehre pflegt die Auslieferung dagegen immer noch vielfach als eine Ausübung des « droit de punir », sein , Vgl. etwa den Versuch, das Merkmal des "vollständigen Wechsels der Strafgewalt" in den Auslieferungsbegriff aufzunehmen, um dadurch die Rücklieferung Deutscher im Zuge der vorübergehenden Auslieferung zu rechtfertigen. I Lammasch, Auslieferungspfticht und Asylrecht, 1887. , von Martitz, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Bd. 1, 1888. 7

8

S. 42, 45 f. Bd. 1. S. 447, 450/451.

• Vgl. dazu Schultz, S. 12 ff., Dieter Weber, S. 41 ff., Meyer, S. 14.

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1. Teil: Die rechtliche Natur der Auslieferung

«corollaire indispensable» zu bezeichnen10 und von der Auslieferung als « acte de juridiction» zu sprechen, obwohl die Auslieferung auch in Frankreich bis zum Erlaß des französischen Auslieferungsgesetzes reine Verwaltungsangelegenheit war11 • Die vermeintliche Widersprüchlichkeit, die darin zu liegen scheint, dürfte mit der Vieldeutigkeit des Begriffs «juridiction» im französischen Recht zusammenhängen. Die Kennzeichnung der Auslieferung als « acte de juridiction» braucht durchaus nicht unbedingt als Ausübung von Strafgewalt verstanden zu werden, sondern kann ebenso gut im Sinne der Ausübung einer völkerrechtlich geregelten Zuständigkeit gemeint seint!. Wenn der Theorienstreit über das Wesen der Auslieferung hier auf sich beruhen kann, dann liegt der eigentliche Grund dafür nicht darin, daß der Auseinandersetzung etwa nur noch historisches Interesse zukäme13, maßgebend ist vielmehr die mangelnde Aussagekraft jeder der Theorien für die eingangs gestellte Frage. Die Versuche, das Wesen der Auslieferung in der einen oder anderen Weise zu deuten, haben gemeinsam die Auslieferung als ein komplexes, aus vielen Einzelakten und Maßnahmen bestehendes Rechtsinstitut zum Gegenstand. In diesem umfassenden Sinne läßt sich die Frage nach der Rechtsnatur der Auslieferung weder sinnvoll stellen, geschweige denn beantworten. Die Vielzahl der Teilakte des als Auslieferung bezeichneten historischen Vorgangs schließt eine einheitliche Antwort von vornherein aus. 11. Die Auslieferungsentschließung als juristischer Kern der Auslieferung Die Fragestellung kann nur jeweils einzelne TeiJakte des Gesamtvorgangs zum Gegenstand haben. In dem hier zu erörternden Zusammenhang besteht allerdings kein Anlaß, auf alle in Betracht kommenden Teilakte näher einzugehen. So erscheint es beispielsweise müßig, der Frage nach der rechtlichen Natur der gerichtlichen Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung nachzugehen. Die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte für die gerichtliche Zulässigkeitsentscheidung ist ebenso wie der Ausschluß ordentlicher Rechtsmittel gegen diese Entscheidung14 niemals ernstlich in Frage gestellt worden. Die UnterSchultz, S. 13 mit zahlreichen Nachweisen in Anm. 25. Vgl. Schultz, S. 14 Anm. 32. t! Vgl. dazu Schultz, S. 13 Anm. 25 unter Hinweis auf Donnedieu de Vabres,

10 11

« Les

principes modernes du droit penal international », Paris 1928, S. 251. Zu den Schlußfolgerungen, die sich daraus z. B. für die Ausgestaltung des Auslieferungsverfahrens ergeben können, s. u. S. 254 ff. 14 Die Zulässigkeitsentscheidung fällt als Akt der Rechtsprechung nicht unter den Begriff der öffentlichen Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG, kann aber in dem umfassenderen Sinne des § 90 BVerfGG Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein, s. u. S. 302 ff. 13

11. Die Auslieferungsentschließung

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suchung kann sich auf den Teil des Auslieferungsvorgangs beschränken, dessen Kernstück die Bewilligung bildet. So betrifft beispielsweise der Zuständigkeitsstreit von jeher aus der Vielzahl der Verwaltungstätigkeiten im Auslieferungsverfahren nur die Befugnis, Auslieferungsersuchen zu stellen oder über Auslieferungsersuchen ausländischer Regierungen zu entscheiden. Der Frage nach den Grenzen der staatlichen Auslieferungspflicht oder des staatlichen Auslieferungsrechts entspricht im Einzelfall die Entscheidung, ob die beantragte Auslieferung bewilligt werden muß oder darf. Auch die Zweifelsfragen auf dem Gebiet des Rechtsschutzes im Auslieferungsverfahren beziehen sich ganz überwiegend auf die Bewilligungsentscheidung. Wie bedeutsam die Antwort auf die Frage nach der Rechtsnatur dieses juristischen Kerns der Auslieferung in dem Zusammenhang ist, kann hier - um den späteren Ausführungen nicht vorzugreifen - nur angedeutet werden. Für die Zuständigkeit zur Entscheidung in Einzelsachen ergibt sich ihre Bedeutung aus der unterschiedlichen Kompetenzverteilung des Grundgesetzes. Innere Verwaltung und Rechtspflege sind grundsätzlich Angelegenheiten der Länder, während die Pflege der Beziehungen zu den auswärtigen Staaten, also die auswärtige Verwaltung, Sache des Reiches war bzw. des Bundes ist (Art. 78 WRV, Art. 32 GG). Im Hinblick auf die Frage nach den Grenzen der staatlichen Auslieferungsbefugnis mag hier der Hinweis genügen, daß die dem staatlichen Handeln gesetzten Schranken verschieden sind, je nachdem, ob es sich um innerstaatliche Akte mit individueller Betroffenheit oder um völkerrechtliche Akte des zwischenstaatlichen Verkehrs handelt, die Rechte und Pflichten nur zwischen den beteiligten Staaten auslösen. Auch für die Fragen des Rechtsschutzes ergeben sich aus der Natur des angefochtenen Aktes unterschiedliche Ausgangspunkte, die zu entgegengesetzten Antworten führen müssen. Die Frage nach der Rechtsnatur der Auslieferung als des zentralen Gegenstandes des Auslieferungsrechts konzentriert sich zwangsläufig auf die Entscheidung über ein ausländisches Auslieferungsersuchen als den juristischen Kern der Auslieferung. Der im Auslieferungsbegriff zusammengefaßte historische Vorgang und der eigentliche Akt der übergabe des Verfolgten an die Behörden eines anderen Staates können außer Betracht bleiben. über die Rechtsnatur der Auslieferung in diesem engeren, auf die Auslieferungsentscheidung beschränkten Sinne vermögen die zum Wesen der Auslieferung entwickelten Theorien ebensowenig Aufschluß zu geben wie die Bemühungen um eine exakte, auf die Auslieferung als Gesamtvorgang bezogene Begriffsbestimmung.

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1. Teil: Die rechtliche Natur der Auslieferung

1. Die Unterscheidung zwischen einer innerstaatlichen und einer zwischenstaatlichen Seite der Auslieferung

Daß die rechtliche Bedeutung der Auslieferungsentschließung als des juristischen Kerns der Auslieferung hinlänglich erkannt sei, läßt sich schwerlich behaupten. Bezeichnend ist allein die Tatsache, daß Literatur und Rechtsprechung der Rechtsnatur dieses Aktes gerade in neuerer Zeit nur wenig Aufmerksamkeit widmen. Wenn überhaupt ein Anlaß gesehen wird, auf die Rechtsnatur der Auslieferung einzugehen, stehen überwiegend und ganz einseitig prozessuale Gesichtspunkte im Vordergrund. Vornehmlich die Einführung der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG und die Ausdehnung des verwaltungsgerichtlichen Rechts"schutzes durch die Einführung der Generalklausel anstelle des bisher geltenden Enumerationsprinzips lenkten unausweichlich das Augenmerk auf die so lange vernachlässigte Frage nach der Rechtsnatur der Auslieferungsbewilligung. Galt es doch lange Zeit als ausgemacht, daß die Zulässigkeit der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage in erster Linie von der juristischen Qualifikation des verletzenden Hoheits"aktes abhängig sei. Unter prozessualen Gesichtspunkten mußte sich die Würdigung der Auslieferungsentscheidung daher zwangsläufig auf die Frage zuspitzen, ob die Bewilligung der Auslieferung einen Verwaltungsakt im technischen Sinne darstelle oder nicht. Wenn auch die wenigen Stellungnahmen in der Literatur und Rechtsprechung nicht erlauben, von einer herrschenden Meinung zu sprechen, so darf doch vorweg festgestellt werden, daß nahezu Einmütigkeit darüber besteht, die Auslieferungsbewilligung erfülle grundsätzlich die Merkmale eines Verwaltungsaktes. Die unterschiedlichen Auffassungen über die Anfechtbarkeit der Auslieferungsbewilligung vor den Verwaltungsgerichten berührt diese Feststellung nicht, sondern spiegelt nur den Streit um die Anerkennung sogenannter justizfreier Hoheitsakte wider". Bezeichnend für diese Einschätzung der Auslieferungsbewilligung sind die Ausführungen Meyerste• Ausgehend von dem in der verwaltungsrechtlichen Doktrin entwickelten Begriff des Verwaltungsakts kommt er zu dem Ergebnis, die Auslieferungsbewilligung sei ebenso wie das Einlieferungsersuchen innerstaatlich als Verwaltungsakt anzusehen. Daß gerade Meyer zu dieser Auffassung gelangt, muß um so mehr überraschen, als er an anderer Stelle17, wo es um den Nachweis des völkerrechtlichen Charakters der Auslieferung geht, die Auslieferungsbewilligung als Annahme eines Angebots zum Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrags über die überantwortung des Verfolgten zur 15 18

17

Vgl dazu im einzelnen unten S. 304. Meyer, S. 21. Meyer, S. 18.

1I.Die Auslieferungsentschließung

31

Strafverfolgung .oder Strafvollstreckung kennzeichnet. Den naheliegen~ den Einwand, daß die Würdigung als Verwaltungs akt mit dem Wesen der Auslieferungsbewilligung als völkerrechtliche Willenserklärung schon deshalb unvereinbar sei, weil die Bewilligung sich nicht an den Verfolgten, sondern an die Regierung eines anderen Staates richtet und dem Verfolgten nicht mitgeteilt zu werden pflegt, glaubt Meyer unter Berufung auf Forsthoff mit dem Hinweis abtun zu· können, daß die Frage der Adressierung nur für die Rechtsmitteleinlegung bedeutsam sei, ihr für den Begriff des Verwaltungsaktes aber kein bestiminender Einfluß eingeräumt werden könne 18• Die Ansicht Meyers zeichnet sich durch die zwiespältige Sicht aus, in der die Auslieferungsbewilligung einmal von der innerstaatlichen und zum anderen von ·der internationalen Seite her betrachtet wird. Eine ähnliche Unterscheidung klingt auch in der Rechtsprechung an. In dem einzigen bisher bekanntgewordenen Fall der verwaltungsgerichtlichen Anfechtung einer Auslieferungsbewilligung geht das OVG Münster in seinem Urteil vom 9. April 196319 zunächst auf die Rechtsnatur der Auslieferung im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu dem um die Auslieferung ersuchenden Staat ein, ohne sich jedoch insoweit festzulegen. So dann wendet es sich der rechtlichen Beurteilung der Auslieferungsbewilligung .in bezug auf den hiervon betroffenen Ausländer zu. Bei der Tätigkeit der Bundesrepublik im auswärtigen Bereich sei zu unterscheiden zwischen den Akten des zwischenstaatlichen Verkehrs einerseits und der innerstaatlichen Tätigkeit in auswärtigen Angelegenheiten andererseits. Behördliche Maßnahmen gegen die im Bundesgebiet sich ' aufhaltenden Ausländer seien dem Bereich der innerstaatlichen Verwaltung zuzUrechnen. Dem Verfolgten gegenüber stelle die Auslie'" ferungsbewilligung daher einen Verwaltungsakt im Sinne des § 42 VGO dar, da er auf Grund der Bewilligung das Bundesgebiet verlassen müsse und in die Strafgewalt eines ausländischen Staats überstellt werde. Trotz ihrer außerordentlichen Bedeutung für den Auslieferungsverkehr20 ist die Entscheidung so gut wie unbeachtet geblieben. Nur Kimminich erwähnt sie in der Zweitbearbeitung des Bonner Kommen:" tars2 t, ohne jedoch zu der Frage nach der Rechtsnatur der Auslieferungsbewilligung Stellung zu nehmen oder sich mit der Begründung auseinanderzusetzen. Dazu hätte um so mehr Anlaß bestanden, als gegen den Versuch, zwischen einer völkerrechtlichen und einer innerstaatlichen Seite der Auslieferungsbewilligung zu unterscheiden, schon sehr früh durchgrei": 18 19 %0

11

Meyer, S. 22. DVBl. 1963, S. 731.

Siehe dazu unten S. 306 f. Kimminich, BK Art. 16 RdNr. 80.

32

1. Teil: Die rechtliche

Natur der Auslieferung

fende Bedenken angemeldet worden sind. In seinem Bericht auf dem 34. Deutschen Juristentag (1926) bezeichnet Kraus es als "eine unzulässige Zerreißung eines innerlich einheitlichen Vorgangs", die Auslieferungsentschließung in ihrer rechtlichen Bedeutung für die Landesbehörden des ersuchten Staates und für den Auszuliefernden isoliert zu betrachten und von der ihr folgenden völkerrechtlichen Annahme der Auslieferungsbitte zu trennen22 • Der tiefere Grund für die Neigung zu einer zwiespältigen Betrachtungsweise bei der Erörterung der Rechtsnatur der Auslieferungsbewilligung ist sicher nicht in einem "übertriebenen Berufseifer nach Rechtsschutzgewährung"!3 allein zu suchen, wenn auch eine gewisse überdehnung des Prinzips des lückenlosen Rechtsschutzes in der ersten Zeit nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes unverkennbar zutage getreten ist. Die eigentliche Ursache dürfte vielmehr in der ausschließlich auf die Auslieferungsbewilligung beschränkten Blickrichtung liegen, die den notwendigen Zusammenhang zwischen dem Einlieferungsersuchen und der Auslieferungsbewilligung entweder überhaupt nicht erkennt oder doch nicht bereit ist, die notwendigen Folgerungen daraus zu ziehen. 2. Die Auslieferung als einheitlicher Gesamtvorgang aus Auslieferungsersuchen und Auslieferungsbewilligung

Eine Betrachtung, die sich der Auslieferungsbewilligung als isoliertem Akt zuwendet, muß beinahe zwangsläufig in die Irre führen. Jede Auslieferungsbewilligung setzt nach übereinstimmender internationaler Ansicht ein entsprechendes Auslieferungsersuchen voraus2f • Ob das Ersuchen des verfolgenden Staates deshalb ein besonderes Begriffsmerkmal der Auslieferung bildet25 oder nicht, mag hier auf sich beruhen. Soviel steht jedenfalls fest: wie jede andere Art der Rechtshilfe nur auf Ersuchen geleistet wird, so erfordert auch die Auslieferung ein entsprechendes Begehren eines ausländischen Staates. Ein Staat kann wohl ein solches Begehren anregen und auf diese Weise seine Bereitschaft, Rechtshilfe leisten zu wollen, erkennbar machen. Geht der verfolgende Staat auf ein solches Angebot jedoch nicht ein und stellt er kein entsprechendes Ersuchen, dann sind Maßnahmen, die der Aufenthaltsstaat von sich aus gegen den Verfolgten ergreift, keine Akte der Rechtshilfe. Der Aufenthaltsstaat kann zwar vorläufige (Rechtshilfe-) Kraus, Bericht S. 324. !3 Schneider, S. 466. Schultz, S. 16; für das deutsche Recht vgl. § 1 DAG: "Ein Ausländer ... kann ... auf Ersuchen ... ausgeliefert werden. ce 25 So Travers, Bd. IV S. 302; a. A. Schultz, S. 16 Anm. 52. 2!

t.

II. Die Auslieferungsentschließung

33

Maßnahmen gegen einen Verfolgten ergreifen26 , aber diese vorläufigen Maßnahmen stehen unter dem Vorbehalt eines erwarteten Rechtshilfebegehrens und werden gegenstandslos, sobald feststeht, daß mit einem entsprechenden Ersuchen nicht mehr zu rechnen ist. Der notwendige Zusammenhang zwischen Auslieferungsersuchen und Auslieferungsbewilligung läßt beide als unselbständige Teilakte eines einheitlichen Vorganges erscheinen. Die Auslieferungsbewilligung ist ihrem Wesen nach die Antwort auf das ausländische Auslieferungsersuchen. Als solche stellt sie einen staatlichen Willensakt dar, der sich an den ersuchenden Staat richtet. Dem Verfolgten gegenüber wird die Entschließung weder gefaßt noch erklärt. Die Auslieferungsentscheidung entfaltet die mit ihr bezweckte Rechtswirkung ausschließlich zwischen den beteiligten Staaten. Ihrer Zielrichtung nach ist die Entscheidung nicht ein nach innen, sondern ein nach außen gewandter Staatsakt. Das kommt auch in ihrer Form zum Ausdruck. Die Auslieferungsentscheidung ergeht in Form einer an den ersuchenden Staat gerichteten Verbalnote. Im AuslieferungSgesetz ist diese Form zwar nicht ausdrücklich vorgesehen. An dem Wesen der Entscheidung würde sich jedoch auch dann nichts ändern, wenn sie in Form eines innerstaatlichen Beschlusses, einer Verfügung oder eines anderen Aktes ergehen würdeZ7 • Auch eine in der Form eines innerstaatlichen Dekrets gefaßte Auslieferungsentscheidung bliebe ihrem Wesen nach eine Entscheidung über das Auslieferungsersuchen und könnte ihre Wirkungen erst durch die Mitteilung an den auswärtigen Staat entfalten. Nur die erklärte Willensübereinstimmung, wie sie im Auslieferungsersuchen und in der Auslieferungsbewilligung zum Ausdruck kommt, vermag die für die Auslieferung typischen Rechtswirkungen zu erzeugen und zugleich ihrem Umfang nach festzulegen. Gerade darin zeigt sich die rechtliche Bedeutung des aus Ersuchen und Bewilligung zusammengesetzten Gesamtvorgangs. Gelangt der Verfolgte in den ersuchenden Staat, ohne daß die Auslieferung bewilligt worden ist, so liegt eine wirksame Auslieferung nicht vor, mag das Auslieferungsersuchen auch auf einen Vertrag oder eine Gegenrechtserklärung gestützt sein und mag das Gericht auch die Zulässigkeit der Auslieferung bejaht haben. 3. Die Auslieferung als Vertrag (Vertragstheorie)

Als Gesamtvorgang aus Auslieferungsersuchen und Auslieferungsbewilligung, der darauf abzielt, durch Abgabe wechselseitiger übereinstimmender Erklärungen rechtliche Wirkungen im Verhältnis der Par!O z. B. die Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft nach § 10 Abs. 2 letzter Halbs. DAG. 27 Für einen förmlichen, mit Begründung versehenen und datierten Bescheid Schultz, S. 210.

3 Vogler

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1. Teil: Die rechtliche Natur der Auslieferung

teien untereinander zu begründen, erfüllt die Auslieferung alle Merkmale eines zweiseitigen völkerrechtlichen Rechtsgeschäfts, eines völkerrechtlichen Vertrags. Angesichts des Zusammenwirkens von Auslieferungsersuchen und Auslieferungsbewilligung drängt sich der dem Privatrecht entlehnte Vergleich des Zustandekommens eines Vertrags durch Angebot und Annahme auf: Wird das Auslieferungsersuchen abgelehnt, so kommt das völkerrechtliche Rechtsgeschäft nicht zustande; in der Bewilligung der Auslieferung liegt dagegen die Annahme eines völkerrechtlichen Angebots28 • Wie sehr das Auseinanderreißen des innerlich zusammengehörenden Tatbestands die rechtliche Beurteilung beeinflußt hat, zeigt ein Blick in die ältere Literatur. Soweit sie dem Thema überhaupt Aufmerksamkeit zuwendet29 , findet sich dort unbeeinflußt von prozessualen Gesichtspunkten - der Gedanke, daß Auslieferungsersuchen und Auslieferungsbewilligung als unselbständige Teilakte eines einheitlichen Vorgangs den Tatbestand eines völkerrechtlichen Vertrages bilden, mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit vertreten. So führtz. B. von Bar in seinem 1892 erschienenen Lehrbuch des Internationalen Privat- und Strafrechts30 wörtlich aus: "Jede Auslieferung beruht auf einem Vertrage der in Betracht kommenden beiden Staaten: Der eine verlangt die Auslieferung, der andere bewilligt sie. Selbst dann, wenn auf Grund eines allgemeinen Auslieferungsvertrages eine Auslieferung bewilligt wird, liegt ein Vertrag vor; es wird anerkannt, daß die Bestimmungen des allgemeinen Vertrages für diesen besonderen Fall zutreffen". An anderer Stelle31 heißt es, auch die einzelne Auslieferung auf Grund eines allgemeinen Auslieferungsvertrages enthalte wieder einen speziellen Vertrag, der als solcher perfekt und bindend werde mit der auf das Ersuchen des anderen Staates erfolgenden Erklärung der Regierung, daß man ausliefern wolle, nicht erst mit der faktischen Ausführung der Auslieferung (Ablieferung der Person an die Behörden oder Agenten des anderen Staates). Triepe1 32 benutzt die Auslieferung als Beispiel, um den Gegensatz von Vertrag und Rechtssatz im Völkerrecht zu verdeutlichen. "Wenn nämlich", so bemerkt er, "zwei Staaten, A und B, die bisher keinen Auslieferungsvertrag miteinander geschlossen haben, 28 Wenn auch dem Unterschied zwischen dem Angebot und dessen Annahme nicht dieselbe Bedeutung wie auf dem Gebiet des privaten Vertragsrechts zukommt, so ist zwischen beiden doch auch im Hinblick auf den internationalen Vertrag zu unterscheiden, vgl. Dahm, Bd. 111 S. 5 Anm. 7. 21 Lammasch z. B. läßt in dem eigens vom Auslieferungsdekret handelnden Abschnitt, a. a. 0., S. 700, jegliche auch nur andeutungsweise Stellungnahme zur rechtlichen Natur des Dekrets vermissen. 30 v. Bar, Lehrbuch, S. 255. 31 v. Bar, Lehrbuch, S. 288. 52 Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 71 f.

II. Die Auslieferungsentschließung

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in einem einzelnen Falle übereinkommen, daß A den Verbrecher, der nach einer im Staate B begangenen Tat auf das Gebiet von A geflohen ist, an B ausliefere, so schließen sie in der Tat einen echten Vertrag ab; der eine will ,haben', der andere ,geben' ... " Damit stimmt es überein, wenn von Martitz 33 die Befugnis der Staaten, "in Handhabung landesrechtlicher Strafjustiz einander Beistand und Hilfe zu gewähren, aus der den Staaten vermöge ihrer Eigenschaft als völkerrechtliche Subjekte eröffneten Möglichkeit (ableitet), gegenseitige Beziehungen vertragsmäßig zu ordnen". Denn die Leistung solcher Hilfe setze stets ein Einverständnis der hilfewerbenden und der hilfegewährenden Regierung voraus. "Stets trägt sie (d. h. die Rechtshilfe) daher die juristische Gestalt eines völkerrechtlichen Vertrages, sie wird nicht durch Requisition, sondern durch bloßes Ersuchen beansprucht, nicht durch bloßes Angebot, sondern erst durch Annahme der im Einverständnis befindlichen fremden Macht perfekt." Ullmann nennt die Auslieferung einen völkerrechtlichen Vorgang und fährt wörtlich fort: "Der juristische Charakter jedes Auslieferungsaktes ist der eines Vertrages34• " überwiegend unter Berufung auf von Bar haben in der Folgezeit auch andere Autoren den Vertragscharakter der Auslieferung betont. In dem Abschnitt über die Stellung des Auslieferungsrechts im Rechtssystem nimmt Reisner35 auf von Bar Bezug, um nachzuweisen, daß im Auslieferungsrecht, auch wenn man es als zum Strafrecht gehörig betrachte38 , völkerrechtliche Rechtsgrundsätze zu beachten seien. Die einzelne konkrete Auslieferung sei ein Souveränitätsakt von Staat zu Staat, ein spezieller völkerrechtlicher Auslieferungsvertrag, ein Umstand, der bisher mit Ausnahme von von Bar nicht beachtet worden sei37• Gegen die Bedenken, Auslieferungen auch außerhalb bestehender Verträge zu bewilligen, macht Reucher38 geltend, daß es eine Auslieferung "ohne Vertrag" in des Wortes eigentlicher Bedeutung gar nicht gebe. "Jede Auslieferung, auch die Auslieferung, der kein genereller Auslieferungsvertrag zugrunde liegt, setzt ein Auslieferungsersuchen und eine Bewilligung dieses Ersuchens voraus." Es werde daher auch bei einer Auslieferung "ohne Vertrag" "- so seltsam es klingen möge - ein "Auslieferungsvertrag" abgeschlossen, zwar nicht, wie üblich, ein genereller, sondern ein spezieller39 völkerrechtlicher Auslieferungsvertrag. 33 U

35

38 37 38

3D

v. Martitz, Bd. I S. 53. UZlmann, Völkerrecht, S. 276. Reisner, S. 5. Vgl. dazu v. Liszt-Fleischmann, S. 333; v. Liszt, Lehrbuch, §§ 20-23. Reisner, S. 5 und Anm. 19. Reueher, S. 45. Im Original gesperrt.

1. Teil: Die rechtliche Natur der Auslieferung

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In neuerer Zeit hat Meyer diesen Gedanken aufgegriffen. Der § 3 seiner Monographie, der die überschrift "Die Einlieferung als völkerrechtlicher Vertrag" trägt40 und in dem er sich zur völkerrechtlichen Rechtsnatur der Auslieferung bekennt, schließt mit den Worten: »Es handelt sich somit bei jeder einzelnen Auslieferung, und zwar soweit sie entsprechend einem generellen Auslieferungsvertrag erfolgt und soweit sie über einen solchen hinausgeht, um den Abschluß eines speziellen völkerrechtlichen Vertrages. Das Aus- bzw. Einlieferungsersuchen ist in erster Linie als Angebot zum Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrages über die überantwortung des Verfolgten zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung anzusehen, die Auslieferungsbewilligung als Annahme dieses Vertragsangebots41 • " Das ausländische Schrifttum, von dem hier - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - nur einige Beispiele erwähnt werden sollen, bietet ein ähnliches Bild. Beauchet42 unterscheidet den Auslieferungsverträgen und den Gegenrechtserklärungen entsprechend zwischen dem "traite general" und der "convention speciale". Ihnen stellt er den "contrat" als Einzelvereinbarung gegenüber: «Toute extradition, qu'elle procede d'un traite general ou d'une convention speciale, suppose un contrat entre les deux Etats interesses. Le contrat d'extradition se forme par le concours du consentement des partis, c'est-a-dire del'Etat qui reclame le fugitif, et de l'Etat qui le livre. » Aufschlußreich ist eine von Herbaux zitierte Äußerung aus den parlamentarischen Beratungen des französischen Auslieferungsgesetzes im Jahre 1879: «C'est (d. h. l'extradition speciale, determinee, concentree sur un seul individu im Gegensatz zum traite general d'extradition) un traite special puisque, pour extrader un inculpe, meme par une decision particuliere, il faut l'accord de la puissance de refuge de la puissance requise, et de la puissance requerante, celle qui reclame l'agent qui releve de ses lois et a qui elle veut appliquer la penalite »43. Erst unlängst hat Schultz sich in seiner umfassenden Monographie über das schweizerische Auslieferungsrecht zur Frage der Rechtsnatur der Einzelauslieferung geäußert. Im Zusammenhang mit der Frage, ob es im allgemeinen Völkerrecht eine Auslieferungspflicht gebe, führt er aus, die Pflicht zur Auslieferung müsse durch eine besondere völkerrechtliche Vereinbarung begründet werden44 • Dabei unterscheidet er als mögliche Vereinbarungen den ausdrücklichen Auslieferungsvertrag, die 40

41 42

43 U

Meyer, S. 14. Meyer, S. 18. Beauchet, S. 11 ff.. Vgl. Herbaux. S. 1034 ff.•• 1055. Schultz, S. 12.

H. Die Auslieferungsentschließung

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Gegenrechtserklärung und die nur den Einzelfall erfassende Erklärung. Daß er die Einzelvereinbarung als Vertrag auffaßt, läßt die abschließende Feststellung erkennen, die Auslieferung beruhe immer auf einem zweiseitigen Rechtsgeschäft des Völkerrechts. Er beruft sich dafür u. a. auf die These MooTes 45 , daß "the act of extradition assurnes the form of a contract". 4. Die Vernachlässigung der Vertragstheorie und ihre Ursachen

Trotz der zahlreichen und eindeutigen Stellungnahmen zur Rechtsnatur der Auslieferung fehlt es fast gänzlich an Versuchen, die gewonnene Einsicht für die zentralen Fragen des Auslieferungsrechts nutzbar zu machen. Zaghafte Ansätze, die Rechtsnatur der Auslieferung als Argument im Zuständigkeitsstreit zwischen Reich und Ländern ins Feld zu führen, finden sich erstmals im Zuge der Vorarbeiten zum DAG. Im Anschluß an das Gutachten, das MettgenbeTg dem 34. Deutschen Juristentag in Köln 1926 erstattet hat 4e, machte das Reichsjustizministerium in seiner dem Rechtsausschuß des Reichstags vorgelegten Aufzeichnung über die verfassungsmäßige Zuständigkeitsregelung auf dem Gebiet des Auslieferungswesens47 für seinen Standpunkt geltend, es fasse die Entscheidung über ein Auslieferungsersuchen fremder Regierungen nicht als eine Maßnahme der Polizeigewalt auf, sondern erblicke darin ein Teilgebiet der Pflege der Beziehungen zu den auswärtigen Staaten, für das seine Zuständigkeit aus Art. 78 Abs. 1 WRV folge. Die bayerische Regierung bemerkte dazu in ihrer Stellungnahme48 , es werde nicht behauptet, daß es sich bei der Bewilligung der Auslieferung um einen Akt der Polizeigewalt handele. Die materiellrechtliche Entscheidung über die Auslieferung sei vielmehr Ausfluß der Justizhoheit, die bei den Ländern liege. Ein Versuch, die gegensätzlichen Standpunkte näher zu begründen, der zwangsläufig die Frage nach der Rechtsnatur der Auslieferungsentscheidung in den Mittelpunkt des Interesses gerückt hätte, unterblieb. Die Auseinandersetzung spiegelt daher letztlich nicht mehr wider als die entgegengesetzten Auffassungen über das Wesen der Auslieferung im Sinne der Rechtshilfe- bzw. Rechtspflegetheorie. Insoweit deutet sich allenfalls eine gewisse Kompromißbereitschaft durch die Bezugnahme auf die schon im Jahre 1906 von R. FTank 49 entwickelte These vom dualistischen Charakter der Auslieferung an. Sie geht von der zutreffenden Einsicht aus, daß die Verwaltung des Auslieferungswesens, 45 48

n 48 49

MooTe, Treatise 1,4. Mettgenberg, Gutachten, S. 32 ff. Abgedruckt bei Mettgenberg-Doerner, S. 593 ff. Abgedruckt bei Mettgenberg-Doerner, S. 596 ff. Frank, Bericht, S. 355 f.

1. Teil: Die rechtliche Natur der Auslieferung

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das aus ganz verschiedenen Teilakten besteht, nicht einheitlich dem einen oder anderen Rechtsgebiet zugeordnet werden könne, sondern neben auswärtiger zugleich innere Verwaltung darstelle und daneben auch Beziehungen zur Strafrechtspflege aufweise. Der Theorienstreit über das Wesen der Auslieferung wird damit vornehmlich auf die Frage verlagert, wo die Grenze zwischen dem Bereich der inneren und der auswärtigen Angelegenheiten im Auslieferungswesen zu ziehen sei. Während die Reichsregierung den Entscheidungsakt dem Gebiet der in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden auswärtigen Angelegenheiten zugerechnet wissen wollte, bildet die Auslieferungsbewilligung nach der bayerischen Stellungnahme einen Bestandteil des innerstaatlichen Verfahrens, weil sie die Beziehungen des Staates zu dem seiner Gewalt unterworfenen Flüchtling angehe, mit der Folge, daß die Bewilligung einer Auslieferung ungeachtet der Anerkennung einer völkerrechtlichen Seite der Auslieferung Bestandteil des innerstaatlichen Verfahrens und rein innerstaatlicher Natur sei. Im Ergebnis war damit ein Fortschritt weder in praktischer noch in theoretischer Hinsicht erreicht. Der Zuständigkeitsstreit schwelte ungeachtet eines zweifelhaften Burgfriedens weiter, und die Ansätze einer Besinnung auf die Rechtsnatur der Auslieferung gerieten erneut in Vergessenheit. Auch nach 1949, als die Bundesrepublik daranging, die gerade wieder erlangten Auslieferungsbefugnisse rechtlich zu ordnen und die Bundes- und Länderkompetenzen gegeneinander abzugrenzen, wurde der Gedanke, die Rechtsnatur der Auslieferung für die Lösung des Kompetenzstreites fruchtbar zu machen, nicht aufgegriffen. Obwohl Meyer den Vertragscharakter der Auslieferung mehrfach herausstellt, mißt er ihm nur im Rahmen der alten Kontroverse zwischen Rechtspflege- und Rechtshilfetheorie Bedeutung bei50• Dabei hatte schon von Bar im Jahre 189251 und später Kraus in seinem Bericht für den 34. Deutschen Juristentag in Köln5! im Jahre 1926 auf den Zusammenhang zwischen der theoretischen Frage nach der Rechtsnatur der Auslieferung und den weitreichenden praktischen Konsequenzen, die sich aus ihrer Beantwortung ergeben, nachdrücklich hingewiesen. Anknüpfend an die Feststellung, "daß die einzelne Auslieferung auch auf Grund eines allgemeinen Auslieferungsvertrages wieder einen speziellen Vertrag enthält", bezeichnet von Bar es als inkonsequent, wenn "die Bewilligung von Auslieferungen nicht durch die Reichsregierung, sondern seitens der einzelnen Bundesregierungen erfolgt". Ebenso unmißverständlich folgert Kraus 53 aus der Einsicht, daß jede einso 51 52 53

Meyer, S. 18 ff. v. Bar, Lehrbuch, S. 286. Kraus, Bericht, S. 302 ff. Kraus, Bericht S. 324.

II. Die Auslieferungsentschließung

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zeIne Auslieferungsentscheidung den jurtstischen Kern der Annahme bzw. Ablehnung einer internationalen Offerte, also der Perfektuierung eines völkerrechtlichen Vertrages oder des Gegenteils darstellt, die ausschließliche Vertragszuständigkeit des Reiches nach der neuen Reichsverfassung beziehe sich deshalb nicht nur auf generelle Auslieferungsverträge, sondern auch zugleich auf jede Gewährung oder Versagung eines einzelnen Auslieferungsbegehrens. Wenn trotz der sich aufdrängenden und keineswegs nur für das Zuständigkeitsproblem bedeutsamen Schlußfolgerungen die Frage nach der Rechtsnatur der Auslieferung bis heute stets vernachlässigt worden ist, dann sicher nicht deshalb, weil stichhaltige Einwände gegen den Vertragscharakter der Auslieferung die weitere Diskussion abgeschnitten hätten. Zwar hat die Vertragsthese nicht überall Beifall gefunden, gegen sie hat sich jedoch - soweit ersichtlich - nur Behr 54 ausgesprochen, der allerdings auch nur beiläufig bemerkt, er glaube, dieser Konstruktion nicht folgen zu können, ohne jedoch seine Bedenken im einzelnen mitzuteilen. Ein Grund für die Zurückhaltung gegenüber einer der wesentlichsten Fragen des ganzen Auslieferungsrechts dürfte historisch bedingt sein. Die Unsicherheiten, die zwingenden Anlaß geben, sich mit der Frage nach der Rechtsnatur der Auslieferung auseinanderzusetzen, sind im wesentlichen jüngeren Datums. Weder bestand unter der Reichsverfassung von 1871 Streit über die Zuständigkeit zur Entscheidung über ausländische Auslieferungsersuchen, noch konnte mangels einer verwaltungsgerichtlichen Generalklausel die Frage der Anfechtbarkeit von Auslieferungsentscheidungen auftauchen. Auch die Frage nach den Grenzen der staatlichen Auslieferungsbefugnis, deren Beantwortung unter der Herrschaft des politischen Prinzips im Gegensatz zum Rechtsprinzip allein dem Ermessen der Verwaltungsbehörden anheimgestellt war, spielte zur damaligen Zeit so gut wie keine Rolle. Selbst die Einsicht in die völkerrechtlichen Zusammenhänge hätte mit Rücksicht auf den Stand des Völkerrechts, in dem sich die Idee des humanitären Schutzes der Einzelpersönlichkeit erst allmählich und in engen Grenzen durchgesetzt hat, keine brauchbaren Maßstäbe liefern können. Daß die Vertragstheorie auch in der Folgezeit, insbesondere nach dem Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung und im Zuge der Vorarbeiten am DAG nicht die ihr gebührende Rolle eingenommen hat, liegt nicht zuletzt in der vom Gegensatz der Rechtspflege- und Rechtshilfetheorie bestimmten Betrachtungsweise begründet. Sie konnte den Eindruck erwecken, die Frage nach der Rechtsnatur der Auslieferung sei überwiegend theoretischer Natur und für die Lösung praktischer Probleme wenig ergiebig. 54

Behr, S. 79 Anm. 10.

1. Teil: Die rechtliche Natur der Auslieferung

40

Der entscheidende Grund aber dürfte in dem Fehlen einer dogmatischen Begründung zu suchen sein, die es gestattet hätte, die Vertragstheo-:rie als gesicherte Erkenntnis für weitreichende praktische Konsequenzen zugrunde zu legen. Zwar finden sich Ansätze dazu in der französischen Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts, aber die Beweisführung beschränkt sich ausschließlich auf zivil rechtliche Analogien. Sowohl BeauchetSS wie auch Bernard 58 gehen von der Vorschrift des Art. 1108 ce aus, der für die Gültigkeit eines Vertrages vier Merkmale aufzählt: die Willensübereinstimmung der Parteien, die sich verpflichten, ihre Fähigkeit zum Vertragsschluß, eine erlaubte causa der Verpflichtung und ein bestimmtes Objekt. Alle diese Voraussetzungen sehen sie bei der Einzelauslieferung erfüllt: «Toute extradition », so schreibt Beauchet wörtlich, «qu'elle procede d'un traite general ou d'une convention speciale, suppose un contrat entre les deux Etats interesses ». Der Einzelauslieferungsvertrag komme durch die Willensübereinstimmung der Parteien, des ersuchenden und des ersuchten Staates, zustande 57 • Die Ausrichtung auf das Zivilrecht beeinträchtigt für sich allein nicht die Beweiskraft der Begründung; denn der Begriff des Vertrages gehört ebenso wie der des Rechtsgeschäfts der allgemeinen Rechtslehre anS8• Der eigentliche Mangel der bisherigen Begründungen liegt darin, daß sie über die mit der Willensübereinstimmung zusammenhängenden Fragen ein Eingehen auf ein wesentliches Merkmal des Vertragsbegriffes vermissen lassen: Damit der juristische Vertragsbegriff auf einen Vorgang Anwendung finden kann, bedarf es des Nachweises, daß die korrespondierenden Erklärungen der Parteien Rechtswirkungen hervorbringen. Alle Definitionen stimmen ausnahmslos darin überein, daß der Vertragsbegriff den auf eine rechtliche Bindung gerichteten Willen der Parteien voraussetzt. Es gehört zu einem Vertrag, daß Rechte oder Pflichten begründet, aufgehoben oder geändert werden sollen50. Um von einem völkerrechtlichen Vertrag sprechen zu können, muß hinzukommen, daß die Parteien völkerrechtlich vertragsfähig und gewillt sind, die so begründeten Rechtsverhältnisse dem Völkerrecht zu unterstellen 80 • Gemessen am Vertragsbegriff mußte sich die Kennzeichnung der Auslieferung als "spezieller" Vertrag im Gegensatz zu den generellen Auslieferungsverträgen verhängnisvoll auswirken. Die Gegenüberstellung von "speziell" und "generell" verleitet zu der Schlußfolgerung, die Einzelauslieferung unterscheide sich von den eine unbeschränkte Vielzahl Beauchet, S. 12. Bernard, S. 29. 67 Beauchet, S. 12. 58 Vgl. Drost, Grundlagen, S. 46. 50 Zur Vertragslehre allg. vgl. Enneccerus-Nipperdey, Bd. 1,2 S. 909 ff. ao Dahm, Bd. 3 S. 8. &5

58

H. Die Auslieferungsentschließung

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von Fällen umfassenden Auslieferungsvereinbarungen nur durch die auf den Einzelfall beschränkte Auslieferungsverpflichtung. Die Auslieferung würde sich danach als ein Verpflichtungsvertrag darstellen, der - mangels eines generellen Auslieferungsvertrages - eine Rechtspflicht zur Auslieferung anstelle der bestehenden völkerrechtlichen Ermessensfreiheit81 begründet82• Da es auf Grund des allgemein angewandten Gegenseitigkeitsprinzips kaum eine Auslieferung ohne vorausgehende vertragliche Bindung gibtU, würde sich die Einzelauslieferung regelmäßig in der Verständigung über die Erfüllung einer schon bestehenden Vertragspflicht erschöpfen. Eine solche "Verständigung" kann aber mangels des jedem Vertrag wesentlichen Begriffsmerkmals der Begründung, Aufhebung oder Änderung von Rechten nicht selbst als Vertrag angesehen werdenu. Die Kennzeichnung als spezieller Vertrag beraubt somit die soeben gewonnene Einsicht in den Vertragscharakter der Auslieferung selbst ihrer Grundlage. Diese Konsequenz mag - wenn auch unausgesprochen - zu dem Versuch geführt haben, der Einzelauslieferung über die bloße Gleichstellung mit den allgemeinen Verträgen selbständige rechtliche Wirkung in dem Sinne beizulegen, daß damit anerkannt werde, die Bestimmungen des allgemeinen Vertrages träfen für diesen besonderen Fall ZU I5 • Mit 11 Zur Frage, ob eine jeder vertraglichen Vereinbarung vorausgehende Pflicht zur Auslieferung anzuerkennen ist, vgl. Schultz, S. 8 ff. t! Diese Auffassung klingt bei Schultz, S. 12, an, wenn er die "nur den Einzelfall umfassende Erklärung" gleichwertig neben den "ausdrücklichen Auslieferungsvertrag" und die "Gegenrechtserklärung" als völkerrechtliche Vereinbarung stellt, durch die eine Pflicht zur Auslieferung begründet werde. n Besteht kein allgemeiner Auslieferungsvertrag, so machen die staaten die Auslieferung im Einzelfall regelmäßig von der Abgabe einer Gegenseitigkeitserklärung abhängig. Ihr Sinn und Zweck besteht darin, eine gegenseitige Auslieferungspflicht in den Fällen zu begriinden, in denen entweder zwischen beiden Staaten überhaupt kein Auslieferungsvertrag besteht oder in denen das betreffende Delikt in der vertraglichen Liste der Auslieferungsdelikte nicht enthalten ist. Die sog. Gegenrechtserklärungen sind ihrem Wesen nach nichts anderes aIs rudimentäre Auslieferungsverträge, deren Besonderheit darin besteht, daß sie nur einzelne Arten strafbarer Handlungen betreffen und gewöhnlich erst abgegeben werden, wenn ein Auslieferungsfall dazu Anlaß bietet. Vgl. Schultz, S.121 f.; zum Wesen der Gegenrechtserklärung ferner Herbaux, S. 1034 ff. 84 Vgl. dazu Burckhardt, Kommentar, Art. 85, S. 675, unter Berufung auf Huber, der im Zuge einer Erörterung der staatsrechtlichen Voraussetzungen des Kompromißabschlusses feststellt, die Einigung über die Tragweite eines Vertrages sei kein Vertrag, auch wenn eine solche Verständigung erst nach Verhandlungen zustande komme, vgl. Die Fortbildung des Völkerrechts auf dem Gebiet des Prozeß- und Landkriegsrechts durch die 2. Internationale Friedenskonferenz im Haag 1907, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts Bd. 2 (1908) S. 470 ff., 497. 85 Vgl. von Bar, Lehrbuch, S. 285: "Selbst dann, wenn auf Grund eines allgemeinen Auslieferungsvertrages eine Auslieferung bewilligt wird, liegt ein Vertrag vor; es wird anerkannt, daß die Bestimmungen des allgemeinen Vertrags für diesen besonderen Fall zutreffen".

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1. Teil:

Die rechtliche Natur der Auslieferung

dieser Behauptung erhält die Einzelauslieferung die Bedeutung eines Feststellungs- oder Anerkennungsvertrags. Zwar bestehen keine grundsätzlichen Bedenken dagegen, die Auslieferung zum Gegenstand einer verbindlichen Feststellung durch einen völkerrechtlichen Vertrag zu machen e8, aber die Konsequenzen, die sich aus der Natur der Einzelauslieferung als Feststellungs- oder Anerkennungsvertrag zwangsläufig ergeben, widersprechen der internationalen Praxis im Auslieferungsverkehr. Weder die objektive Unrichtigkeit des festgestellten Tatbestands noch ein nachgewiesener Irrtum der vertragschließenden Organe könnte den speziellen Auslieferungsvertrag nichtig oder anfechtbar machen. Das allgemeine Völkerrecht gibt keine Garantie dafür, daß Feststellungsverträge auch objektiv richtige Feststellungen enthalten87• Der ersuchte Staat bliebe an die Auslieferungsbewilligurig selbst dann gebunden, wenn sich noch vor dem Auslieferungsvollzug herausstellen würde, daß die angenommenen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Die Folgerungen, die sich daraus für die Auslieferungspraxis ergeben würden, sind weder jemals gezogen worden, noch läßt sich eine Bereitschaft dazu für die Zukunft erkennen. Stellt sich nach der Bewilligung der Auslieferung heraus, daß die Entscheidung auf fehlerhaften, die Auslieferung ausschließenden Voraussetzungen beruht, dann nehmen alle Staaten das Recht für sich in Anspruch, die Auslieferungsbewilligung zurückzunehmen. Der Einwand, dessen unbeschadet sei der ersuchte Staat an die einmal gegebene Zusage gebunden, dringt nicht durch. Die Zurücknahme der Auslieferungsbewilligung wird in derartigen Fällen nicht als Vertragsverletzung angesehen 68 • Unter diesen Umständen kann es nicht überraschen, daß zu keiner Zeit ernstlich versucht worden ist, die Vertragstheorie für das Auslieferungsrecht fruchtbar zu machen. Mit der Kennzeichnung der Einzelauslieferung als speziellem Auslieferungsvertrag, durch den eine Auslieferungspflicht begründet oder eine bestehende Auslieferungspflicht anerkannt wird, mußte die Vertragstheorie nicht nur theoretisch unhaltbar erscheinen, sondern auch in der Praxis auf Ablehnung stoßen. Diese Feststellung spricht aber keineswegs gegen die Richtigkeit der Vertragstheorie, sondern deckt zunächst nur das Fehlen einer dogmatisch fundierten Begründung auf. e8 Dafür eignet sich jeder mögliche Sachverhalt, der an Hand des Inhalts einer Rechtsnorm relevant sein kann. Jeder völkerrechtliche Sachverhalt, der möglicher Gegenstand einer verbindlichen Feststellung ist, kann auch durch völkerrechtlichen Vertrag verbindlich festgestellt werden. Vertragliche Feststellungen können sich insbesondere auf konkrete Rechtsverhältnisse beziehen. Vgl. Wengler, Völkerrecht, Bd. I S. 670, 687 f. 87 Wengler, Völkerrecht, Bd. I S. 69!. 88 Vgl. auch BVerfGE Bd.l0 S.136 ff.; in dem dort entschiedenen Fall stellte sich nach der Bewilligung der Durchlieferung, aber vor ihrem Vollzug heraus, daß der Verfolgte Deutscher war. Das BVerfG geht selbstverständlich

111. Dogmatische Begriindung der Vertragstheorie

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UI. Dogmatische Begründung der Vertragstheorie Die Stellungnahmen zur Vertragsnatur der Auslieferung spiegeln nur die Unklarheiten wider, die für die Lehre vom völkerrechtlichen Rechtsgeschäft im allgemeinen bezeichnend sind. Bei aller begrifflichen Übereinstimmung läßt sich nicht leugnen, daß sich eine dem Privatrecht entsprechende Dogmatik auf dem Gebiet der internationalen Verträge noch nicht herausgebildet hat6D • Die dem Privatrecht geläufige Unterscheidung zwischen kausalen und abstrakten Rechtsgeschäften, von Verpflichtungsverträgen und Verfügungen, von Verträgen mit nur obligatorischer und solchen mit dinglicher Wirkung tritt im internationalen Recht hinter der juristisch wertlosen Einteilung der Verträge nach Gegenstand und Inhalt zurück. Mit der Kennzeichnung der Einzelauslieferung als speziellem Auslieferungsvertrag im Gegensatz zu den generellen Auslieferungsverträgen ist für die dogmatische Rechtfertigung nichts gewonnen. Unter dogmatischen Gesichtspunkten kommt es entscheidend auf den Nachweis an, daß der sog. spezielle Auslieferungsvertrag Rechtswirkungen erzeugt und welcher Art diese Rechtswirkungen sind. Eine Antwort auf diese Fragen setzt voraus, daß man sich auf Sinn und Zweck der Auslieferung besinnt, so wie sie sich als Rechtsinstitut geschichtlich entwickelt hat. Die Auslieferung erschöpft sich nicht in der tatsächlichen überführung einer Person aus dem Gebiet des einen in das Gebiet eines anderen Staates. Ihre Entwicklung als Rechtsinstitut verdankt die Auslieferung dem Aufkommen der modernen Territorialstaaten. Sie ist eine zwangsläufige Folge der territorialen Begrenzung der Hoheitsrechte. Die Auslieferung bildet das Korrelat zur Beschränkung der staatlichen Strafbefugnis auf das eigene Hoheitsgebiet. Sie ist nicht ein einfaches Überlassen zur beliebigen Behandlung, sondern ein überlassen zur Ausübung des ius puniendFo. Die Überantwortung zum Zwecke fremder Strafverfolgung oder Strafvollstreckung ist der Auslieferung wesentlich. Das verkennen diejenigen, die glauben, zwischen einem strafrechtlichen und einem verfassungsrechtlichen Auslieferungsbegriff unterscheiden zu sollen71 • Soll die Auslieferung ihre wesensmäßige Funktion erfüllen, nämlich die Strafverfolgung gegen eine Person zu ermöglichen, die sich auf dem Gebiet eines anderen Staates aufhält, dann setzt sie eine Aufgabe der aus der Gebietshoheit des Aufenthaltsstaates entspringenden Rechte zugundavon aus, daß der Grundsatz der Nichtdurchlieferung eigener Staatsangehöriger auch der Durchlieferungsbewilligung gegenüber durchgreife; zu der Entscheidung im einzelnen s. u. S. 153 f'I. .. Vgl. dazu und zum folgenden Drost, Grundfragen, S. 219. 10 Kohler, Internationales Strafrecht, S. 161. 71 Vgl. dazu u. S. 163 f'I.

1. Teil:

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Die rechtliche Natur der Auslieferung

sten der Zulassung des ius puniendi des ersuchenden Staates voraus7!. Dadurch unterscheidet sich die Auslieferung von der Ausweisung. Die Ausweisung dient dem Schutz eigener Interessen des Aufenthaltsstaates. Ihr Zweck ist mit der Entfernung des Verfolgten aus dem eigenen Hoheitsgebiet erreicht. Sie zielt nicht auf die Aufgabe von Hoheitsrechten zugunsten eines anderen Staates, sondern der Verlust der Hoheitsgewalt über den Betroffenen ist eine Folge der Entfernung aus dem eigenen Hoheitsbereich. Umgekehrt erwirbt auch der Aufnahmestaat Hoheitsgewalt über den Verfolgten lediglich infolge des Eintritts in sein Hoheitsgebiet. Die Ausweisung ist eine einseitige staatliche Maßnahme. Im Gegensatz zur Ausweisung sollen mit der Auslieferung fremde Interessen gefördert werden. Die Auslieferung stellt eine Hilfeleistung zur Verwirklichung eines fremden Strafverfolgungsinteresses dar. Um der fremden Strafverfolgung zum Ziele zu verhelfen, gibt der Aufenthaltsstaat seine Rechte über den Betroffenen auf 73 . Dabei handelt es sich aber nicht um eine bloße Preisgabe von Rechten, vielmehr folgt aus der Zweckbestimmung der Auslieferung, daß die übergabe ausschließlich dazu dient, dem ersuchenden Staat Strafbefugnis über den Verfolgten einzuräumen. Der ersuchte Staat verfügt über seine Hoheitsrechte zugunsten fremder Strafverfolgungsinteressen. Er verliert seine Hoheitsgewalt über den Verfolgten nicht als Folge des übertritts in den fremden Hoheitsbereich, sondern er gibt sie mit der Annahme des Auslieferungsersuchens - wenn auch durch die amtliche übergabe des Verfolgten bedingt74 -auf. Auf der anderen Seite erwirbt der ersuchende Staat die Hoheitsgewalt über den Verfolgten nicht 'als bloße Folge des übertritts auf sein Hoheitsgebiet, sondern auf Grund der Annahme des Auslieferungsersuchens durch den ersuchten Staat. Die Unterscheidung zwischen originärem und abgeleitetem Rechtserwerb ist geeignet, den Unterschied zwischen der Ausweisung und der Auslieferung zu verdeutlichen. Die abgeleitete Rechtsstellung des ersuchenden Staates vermag auch die Beschränkungen zu erklären, denen der ersuchende Staat infolge der Auslieferung nach allgemeinem Völkerrecht unterliegt. Wenn auch die Einzelheiten zusätzlichen vertraglichen Abmachungen vorbehalten bleiben Vgl. Schultz, S. 7. Das brauchen nicht unbedingt "Strafansprüche" zu sein, insbesondere nicht Strafansprüche wegen der dem Ersuchen zugrunde liegenden Tat, deretwegen d,er ersuchte Staat regelmäßig keinen eigenen Strafanspruch hat. 74 Zur Bedeutung der "amtlichen" übergabe s. u. S. 242 f.; nur die amtliche übergabe vermag die Wirkungen der Auslieferung auszulösen; gelangt der Verfolgte auf andere Weise in den fremden Hoheitsbereich, dann liegt keine Auslieferung vor; der fremde Staat erlangt die Strafgewalt auf Grund seiner Gebietshoheit; er unterliegt daher auch nicht den Beschränkungen, die die Auslieferung zur Folge hat (Spezialität!). 72

7S

III. Dogmatische Begründung der Vertragstheorie

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müssen, die Spezialitätswirkung als solche ist der Auslieferung immanent75 • Nach den geläufigen zivil rechtlichen Kategorien erschließt sich die Einzelauslieferung dem dogmatischen Verständnis zutreffend mit dem Begriff des "Verfügungsvertrags" . Damit erweist sich die Kennzeichnung der Einzelauslieferungals "spezieller" Auslieferungsvertrag im Gegensatz zu den "generellen" Auslieferungsverträgen nicht nur als unhaltbar, sondern als irreführend. Nicht der Gegensatz speziell- generell, sondern die Unterscheidung zwischen Verfügung und Verpflichtung bildet das entscheidende Kriterium. Die generellen Auslieferungsverträge begründen Verpflichtungen zwischen den Vertragspartnern. Grundsätzlich steht es im freien Ermessen des ersuchten Staates, ob er einem Auslieferungsersuchen stattgibt oder nicht. Das völkerrechtliche Gewohnheitsrecht kennt keine jeder vertraglichen Vereinbarung vorausgehende Pflicht zur Auslieferung. Diese Ansicht war zwar nicht immer unbestritten, entspricht aber dem gegenwärtigen Stand des Völkerrechts78 • "Das dedere aut punire ist nicht eine Regel des positiven, auf Gewohnheit beruhenden Völkerrechts, sondern eine Formel für den Gedanken, daß territoriale Staaten es nicht sollen verhindern dürfen, dem Verbrechen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen77." Die Botschaft zum Schweizerischen Auslieferungsgesetz gibt die Rechtslage zutreffend wieder, wenn sie die Auslieferung als einen "aus dem Selbstbestimmungsrecht des Staates sich herleitenden Vorgang" bezeichnet78 • Auf Grund des staatlichen Selbstbestimmungsrechts bleibt es jedem Staat - solange er nicht durch Verträge gebunden istüberlassen, im Einzelfall die Auslieferung zu gewähren oder abzulehnen. Zwar ist es jedem Staat unbenommen, sich durch Auslieferungsgesetze selbst Schranken für die Ausübung seines völkerrechtlich freien Ermessens zu setzen. Die innerstaatlichen Auslieferungsgesetze regeln aber stets nur die Frage, ob der Staat ausliefern darf, sie besagen dagegen nichts darüber, ob er ausliefern muß. Auslieferungsgesetze be· ziehen sich nicht auf die Auslieferungspflicht gegenüber einem ausländischen Staat, sondern auf das staatliche Recht auszuliefern; ihre Bestimmungen normieren staatliche Rechte, nicht staatliche Pflichten79 • Abgesehen von der innerstaatlichen Beschränkung des Ermessens durch gesetzliche Normierung der Auslieferungsbefugnisse steht es jedem Staat frei, sein Ermessen auch völkerrechtlich zu binden. Darin 75

Zur Frage der Spezialität als allgemeiner Regel des Völkerrechts vgl.

Meyer, S. 134 ff., 146. 78

77 78

78

Zum Streitstand vgl. Schultz, S. 7 ff. BGE 22 955/956. Zitiert nach Schultz, S. 12. Frank, Wesen und Tragweite, S. 140, Reueher, S. 14 f.

1. Teil: Die rechtliche Natur der Auslieferung

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besteht die eigentliche Bedeutung der generellen Auslieferungsverträge, die an die Stelle der Ermessensfreiheit eine Verpflichtung zur Auslieferung unter den im einzelnen vereinbarten Voraussetzungen begründen. In den vertraglichen Grenzen ist der ersuchte Staat in der Entscheidung darüber, ob er die aus seiner Gebietshoheit entspringenden Rechte über den Verfolgten aufgeben und dem ersuchenden Staat zum Zwecke der Verwirklichung des ius puniendi Hilfe leisten soll, nicht mehr frei; er hat sich an die Richtlinien des generellen Auslieferungsvertrages zu halten. In ähnlicher, wenn auch mit einer durch das konkrete Anliegen einseitig überspitzten Ausdrucksweise hat schon TTiepel 80 das Verhältnis beider Verträge dargestellt. Anschließend an die Feststellung, daß die Übereinkunft zwischen dem Staat A und dem Staat B, einen Verbrecher auszuliefern, einen echten Vertrag darstelle, fährt er fort: "Wenn aber dieselben Staaten einen Auslieferungsvertrag im gewöhnlichen Sinne, d. h. ein Abkommen über Voraussetzungen, Form, Wirkung usw. aller sich möglicherweise in Zukunft ereignenden Auslieferungen eingehen, so sind nicht diese künftigen Auslieferungen das, was sie in erster Linie wollen, sondern die Feststellung der Norm, nach der ihre Beziehungen hinsichtlich aller zukünftigen Fälle einheitlich geregelt werden sollen." Die Aufschlüsse, die diese Gegenüberstellung für die Beurteilung der Eigenarten beider Verträge zu vermitteln geeignet ist, bleiben davon unberührt, daß die auf Bluntschli81 und BeTgbohm81 zurückgehende begriffliche Unterscheidung zwischen den echten Staatsverträgen und den rechtsnormativen Vereinbarungen heute überwiegend in Frage gestellt wird81• Die Parteien wollen, wenn sie durch einen allgemeinen Auslieferungsvertrag die Normen für ihr künftiges Verhalten festlegen, noch nicht zugleich über etwaige aus ihrer Gebietshoheit über einen Verfolgten entspringende Rechte verfügen. Die Entscheidung darüber, ob unter Aufgabe eigener Hoheitsrechte Hilfe zum Zwecke der Verwirklichung des fremden ius puniendi geleistet wird, behält sich jeder Staat vor. Auf Grund des generellen Auslieferungsvertrages verpflichten sich die Staaten nur, sich bei der Entscheidung an die Normen des generellen Vertrages zu halten. Soweit die Einzelvereinbarung nur ausführt, was im generellen Auslieferungsvertrag im Grundsatz festgelegt ist, enthält der generelle Vertrag ein pactum de contrahendo. Die Bedeutung des generellen Auslieferungsvertrages reicht aber darüber in dem Maße hinaus, in dem er die Rechtsbeziehungen der am Auslieferungsrechtsverhältnis 80

Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 72.

Bluntschli, S. 5. 8t BeTgbohm, S. 79 ff. 81 Vgl. Dahm, Bd. 1 S. 9 f., Guggenheim-MaTek, S. 45 H., Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, 81

weisen.

S. 529, DTost, Grundlagen, S. 72 f. mit weiteren Hin-

IH. Dogmatische Begründung der Vertragstheorie

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beteiligten Staaten umfassend regelt. Auch der Staat, an den ausgeliefert wird, hat den vertraglichen Bedingungen entsprechend zu handeln. Im ·Vordergrund stehen die Spezialitäts- und Gegenseitigskeitsklauseln der Verträge. Die rechtlichen Wirkungen der Einzelvereinbarung halten sich in den durch den allgemeinen Auslieferungsvertrag gegebenen Schrankensc. Gegen die Annahme, daß die Vertragspartner mit dem Abschluß eines generellen Auslieferungsvertrages nicht nur die Normen für ihr künftiges Verhalten festlegen, sondern darüber hinaus schon im Zeitpunkt des Abschlusses eines generellen Auslieferungsvertrages im voraus über ihre Hoheitsrechte für etwaige künftige Einzelfälle verfügen, spricht schon der Umstand, daß alle Verträge unter - teils ausdrücklichen, teils stillschweigenden - Vorbehalten stehen, über deren Vorliegen im Einzelfall jede Partei allein und unanfechtbar entscheidet. Zu denken ist in diesem Zusammenhang nicht nur an die verschiedenen Fakultativklauseln der Verträge, die für bestimmte Arten strafbarer Handlungen85 Sonderregelungen schaffen oder durch die die Vertragspartner die Grundsätze ihres internationalen Strafrechts zur Geltung bringenSI, sondern vor allem an die Behandlung der politischen Straftaten und der politisch Verfolgten. Während die meisten Verträge sich mit der Formel begnügen, daß die Auslieferung nicht bewilligt werde, wenn die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegende strafbare Handlung vom ersuchten Staat als eine politische oder als eine mit einer solchen in Zusammenhang stehende strafbare Handlung angesehen wird, gehen einige Verträge aus der jüngsten Zeit darüber hinaus, indem sie bestimmen, die Auslieferung werde ferner nicht bewilligt, wenn der ersuchte Staat ernstlichen Grund zu der Annahme habe, daß um die Auslieferung ersucht werde, um die auszuliefernde Person wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität oder ihrer politischen Anschauungen zu verfolgen, zu , verurteilen, zu strafen, in irgendeiner Weise in ihrer persönlichen Freiheit zu beschränken, oder daß diese Person im Falle der Auslieferung der Gefahr einer Verschlimmerung ihrer Lage aus einem dieser Gründe ausgesetzt wäres7. Diese Vorbehalte sind so weit gefaßt, daß sie nicht nur die politischen Delikte im engeren Sinne (§ 3 DAG) umfassen, sondern jede Auslieferung wegen irgendeiner nach gemeinem Strafrecht strafbaren Handlung betreffen können. Hinzu kommt, daß nach einhelliger Vgl. Kohler, Grundlagen, S. 152 f. B. fiskalische und militärische Straftaten. 81 Insoweit dürfte es an einer Auslieferungsverpflichtung überhaupt fehlen, allenfalls könnte von einer Verpflichtung zur wohlwollenden, vom Grundsatz von Treu und Glauben beherrschten Prüfung gesprochen werden. 87 Vgl. Art.3 des deutsch-österreichischen Auslieferungsvertrages, Art. 3 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens. 8C

85 Z.

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1. Teil: Die rechtliche Natur der Auslieferung

internationaler Ansicht der ersuchte Staat allein entscheidet, was er als politische oder als eine mit einer politischen Straftat zusammenhängende Tat ansieht und ob die Gefahr einer Verfolgung oder Verschlimmerung der Lage des Verfolgten aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität oder wegen der politischen Anschauungen des Betroffenen droht88• Der Grundsatz von Treu und Glauben gebietet es selbstverständlich, daß die Beurteilung nicht willkürlich sein darf und daß Vermutungen allein nicht zu einer Ablehnung der Auslieferung berechtigen. Davon abgesehen aber entspricht es der übereinstimmenden Staatenpraxis im Auslieferungsverkehr, daß die einmal getroffene Entscheidung für den ersuchenden Staat nicht nachprüfbar ist. Eine Auslegung nach Sinn und Zweck der generellen Verträge kann daher nur zu dem Ergebnis führen, daß die Staaten zwar ihr grundsätzlich freies Ermessen durch Richtlinien für ihr künftiges Verhalten binden wollen, daß sie sich die Entscheidung über die Hilfeleistung durch Aufgabe der aus ihrer Gebietshoheit dem Verfolgten gegenüber entspringenden Rechte für den Einzelfall jedoch vorbehalten. Erst die in der Form von Auslieferungsersuchen und Auslieferungsbewilligung erklärte Willensübereinstimmung bringt diese Rechtswirkung hervor. In ihrem notwendigen Zusammenhang erfüllen sie als zweiseitiger Akt alle dem Rechtsgeschäft wesentlichen Merkmale. Die Zuordnung dieses Rechtsgeschäfts zum Völkerrecht entspricht dem Willen der Parteien, das dadurch begründete Rechtsverhältnis dem Völkerrecht zu unterstellen. Dem Erfordernis, daß es sich um eine Willensübereinstimmung zwischen Völkerrechtssubjekten handelt, ist genügt, seitdem die Auffassung allgemeine Anerkennung gefunden hat, daß die Verbrecherauslieferung "stets ein zwischen zwei Regierungen sich vollziehender Vorgang (ist), auch wenn hierbei den beiderseitigen Landgerichten eine bestimmende Mitwirkung oder Kontrolle eröffnet wird"". Die Vorstellung von der Auslieferung als einer Einrichtung des Prozeßrechts, einer Frage des strafprozessualen Gerichtsstandes und damit eines Aktes zwischen den Gerichtsbehörden zweier Staaten gehört der Geschichte an90 • »Nicht die Gerichte, sondern die Regierungen entscheiden über die Einbringung und über die Gewährung von Auslieferungsersuchen. Eine richterliche Verfügung ist unvermögend, sie (d. h. die Auslieferung) zu veranlassen, sie herbeizuführen91 ." An die einmal getroffene positive Entscheidung ist der ersuchte Staat naturgemäß wie an jedes andere vertragliche Zugeständnis gebun88 Vgl. die Anmerkung bei Grützner, Bd. 2, 3, zu den betreffenden Bestimmungen der Verträge, z. B. Anm.9 zu Art. 3 des deutsch-österreichischen Vertrages. 89 von Martitz, Bd. 1 S. 34. 90 Vgl. Behr, S. 99. U von Martitz, Bd. 1 S. 55/56.

IH. Dogmatische Begründung der Vertragstheorie

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denu . Ob die Bindung im Einzelfall mit der Bewilligung oder erst mit deren Mitteilung an den ersuchten Staat entsteht, kann hier auf sich beruhen"; Wenn auch die unberechtigte Weigerung der Auslieferung heuteD4 nicht mehr als justa causa belli angesehen werden kann, so besteht doch kein Zweifel darüber, daß die- Weigerung, eine bewilligte Auslieferung zu vollziehen, eine Vertragsverletzung mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen darstellen kann. Allerdings ist der ersuchte Staat an die Rechtswirkungen der Bewilligung nicht ausnahmslos gebunden. Wie gegenüber jeder anderen vertraglichen Bindung bleibt es ihm auch bei der Einzelauslieferungsentscheidung unbenommen, sich auf Willensmängel zu berufen. Insbesondere steht ihm der Irrtumseinwand in dem Umfang offen, in dem er vom Völkerrecht allgemein als zulässig angesehen wird. Diese Feststellung ist gerade heute bedeutsam, nachdem der Verfolgte durch die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts die Möglichkeit hat, die Auslieferungsbewilligung bis zu ihrem Vollzug zu Fall zu bringenD5 • In all den Fällen, in denen verfassungsrechtliche Verbote der Ausliefung entgegenstehen, dürfte der Annahme des Auslieferungsersuchens ein so wesentlicher Irrtum zugrunde liegen, daß der Irrtumseinwand auch völkerrechtlich beachtlich ist. Die hier in erster Linie in Betracht kommenden Irrtümer über ein Asylrecht des Verfolgten oder seine Staatsangehörigkeit werden geradezu als Musterbeispiel für wesentliche, auch vom Völkerrecht zu beachtende Irrtumsfälle angeseheno,. Damit sind zugleich die Ungereimtheiten ausgeschaltet, die sich zwangsläufig aus der Einschätzung der Einzelauslieferung als "Anerkennungsvertrag" ergeben97 • Der Standpunkt des BVerfG, das in der Entscheidung über den Fall einer sogenannten "steckengebliebenen" Durchlieferung08 selbstverständlich davon ausgegangen ist, daß der Grundsatz der Nichtauslieferung eigener Staatsangehöriger auch der Durchlieferungsbewilligung gegenüber durchgreife, läßt sich auf diese Weise zwanglos begründen und bestätigt die hier in übereinstimmung mit der Staatenpraxis vertretene Auffassung.



Die Schlußfolgerungen, die sich aus der völkervertraglichen Rechtsnatur der Einzelauslieferung ergeben, können kaum überschätzt werDZ

"Pacta sunt servanda". Mit dem Hinweis auf diesen Satz widerlegt

Heilbom, S.43 Anm.l, die gegen das von Triepel gewählte Beispiel der Ein-

zelauslieferung als völkerrechtliches Rechtsgeschäft gerichteten Einwände, es fehle an einem Rechtssatz, dem dieses Geschäft unterstehe. " Vgl. dazu Beauchet, S. 12 f. D4 Im Gegensatz zur früheren Lehre des Völkerrechts, vgl. Schultz, S. 8/9. 85 S. dazu u. S. 303. oe Vgl. Dahm, Bd. 3, S. 34; Bernard, S. 29; Beauchet, S.14. D7 S. O. S. 41 f. 88 Vgl. BVerfGE Bd. 10, S. 136 ff., s. dazu u. S. 153 ff• • Vogler

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1. Teil:

Die rechtliche Natur der Auslieferung

den. Welche Rolle sie für eine Erörterung der aktuellen Probleme des Auslieferungsrechts unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten spielen und in welchem Maße sie dazu beitragen können, vorgefundene Standpunkte in neuem Licht erscheinen zu lassen, aber auch die Notwendigkeit aufzuzeigen, überkommene Ansichten zu revidieren, zeigen die folgenden Untersuchungen. Ob es um die seit langem umstrittenen Fragen der Zuständigkeit im Auslieferungsrecht, die Grenzen der staatlichen Auslieferungsbefugnis oder den Rechtsschutz im Auslieferungsverfahren geht, Lösungsversuche, die sich nicht dem Vorwurf politischen Nützlichkeitsstrebens aussetzen wollen, können auf einen rechtlich fundierten Ausgangspunkt nicht verzichten. Die These von dem Vertragscharakter der Einzelauslieferung ist geeignet, nicht nur der Theorie ein tragfähiges Fundament zu geben, sondern auch der Auslieferungspraxis zu sinnvollen Ergebnissen zu verhelfen.

Zweiter Teil

Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise im formellen und materiellen Auslieferungsrecht A. Die Zuständigkeitsordnung des geltenden Rechts I. Die Verteilung der Zuständigkeit im Auslieferungsverkehr zwischen Bund und Ländern (§ 44 DAG) 1. Die Zuständigkeit zur Entscheidung über Auslieferungsersuchen (§ 44 Abs. 1 DAG)

a) Die Tragweite des Zuständigkeitsproblems Nach § 44 Abs.1 DAG ist zur Entscheidung über Auslieferungsersuchen ausländischer Regierungen die Bundesregierung zuständig. Der Streit darüber, ob diese Bestimmung mit der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern im Einklang steht, ist unter der Weimarer Reichsverfassung nie beigelegt worden. Die süddeutschen Länder Bayern, Württemberg und Baden haben bis zuletzt das Recht für sich in Anspruch genommen, Einlieferungsersuchen in eigener Zuständigkeit zu stellen und über eingehende Auslieferungsersuchen zu entscheiden1• Es konnte daher nicht überraschen, daß der alte Zuständigkeitsstreit in dem Augenblick erneut aufflammte, als die in den ersten Nachkriegsjahren den Besatzungsmächten vorbehaltenen Kompetenzen auf dem Gebiet des Auslieferungswesens wieder deutschen Stellen übertragen wurden!. Zwar konnte der Zuständigkeitsstreit durch den Abschluß der Zuständigkeitsvereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Landesregierungen vom 20. 2. 1952 3 zunächst beigelegt werden, aber eine endgültige Klärung der Zuständigkeitsfrage 1 Vgl. die Stellungnahme der Bayerischen Regierung zur Aufzeichnung des Reichsjustizministeriums über die verfassungsmäßige Zuständigkeitsregelung auf dem Gebiete des Auslieferungswesens, abgedruckt bei Mettgenberg-Doerner, S. 596 fi. t Die übertragung ging schrittweise vor sich, zunächst beschränkt auf Einlieferungsersuchen, später durch die Entscheidung Nr. 9 der Alliierten Hohen Kommission, Amtsblatt der AHK 1951 S. 740, revidiert am 5.4. 1951, Amtsblatt der AHK 1951 S.861, und schließlich durch Artikel 27 des Stationierungsvertrages vom 26. 5. 52 auf alle Auslieferungsangelegenheiten erweitert, vgl. Meyer, S. 5 f. a BA Nr. 78 vom 23. 4. 1952.

,.

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

steht bis heute noch aus. Das zeigt sich deutlich daran, daß Bayern anläßlich der Unterzeichnung der Zuständigkeitsvereinbarung ausdrücklich den Vorbehalt gemacht hat, der Abschluß der Vereinbarung stelle keine Anerkennung der Zuständigkeit des Bundes in Auslieferungseinzelsachen dar4 • Wenn sich alle Beteiligten mit dieser Rechtslage bis heute abgefunden haben, dann wird der Grund dafür in erster Linie darin zu sehen sein, daß es zu nennenswerten Schwierigkeiten in der Auslieferungspraxis nicht gekommen ist. Die Gültigkeit der Zuständigkeitsvereinbarung ist von keiner Seite ernstlich in Zweifel gezogen worden. Das Land Bayern hat sich mit den ihm in der Zuständigkeitsvereinbarung eingeräumten Befugnissen begnügt. Die Lage kann sich jedoch jederzeit ändern. Schon einmal schien es, als müsse das Bundesverfassungsgericht sich mit der Zuständigkeitsfrage im Auslieferungswesen befassen. Die bayerische Landesregierung ersuchte im Jahre 1952 die österreichische Regierung um Auslieferung des Bundestagsabgeordneten Volkholz, der sich nach Österreich begeben hatte, nachdem im Zuge eines in der Bundesrepublik gegen ihn anhängigen Strafverfahrens ein Haftbefehl ausgestellt worden war. Wohl in der Annahme, die Bundesregierung würde ein derartiges Ersuchen nicht stellen, bestritt der Verfolgte die Zuständigkeit des Landes Bayern, ein Auslieferungsersuchen an die österreichische Regierung zu richten, und rief das Bundesverfassungsgericht an. Während noch das Auslieferungsverfahren anhängig war, trat die Zuständigkeitsvereinbarung in Kraft, was ihr in einer süddeutschen Zeitung - sicherlich zu Unrecht - die Bezeichnung "lex Volkholz" einbrachtes. Zu einer Entscheidung und damit einer Stellungnahme des höchsten Gerichts im Zuständigkeitsstreit ist es jedoch nicht gekommen, da der Verfolgte seine Verfassungsbeschwerde zurückzog, nachdem er in dem nach seiner Überstellung in die Bundesrepublik durchgeführten Strafverfahren freigesprochen worden war. Es erscheint aber keineswegs ausgeschlossen, daß die Zuständigkeitsfrage bei nächster Gelegenheit erneut aufgeworfen und zum Gegenstand eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens gemacht wird. Das liegt um so näher, als es zweifelhaft erscheint, ob man den unterschiedlichen Standpunkten der Weimarer Reichsverfassung einerseits und des Grundgesetzes andererseits zur Begründung von Auftragsangelegenheiten dadurch hinreichend Rechnung getragen hat, daß anstelle der auf § 44 Abs.2 gegründeten Verordnung der Reichsregierung vom 11. 3.1930 0 ein Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern7 getreten ist. Zumindest dann, wenn die Pläne , Vgl. Grützner, Vereinbarung, S. 8; Meyer, S. 11,155. 5 Vgl. Meyer, S. 187. o Reichsministerialblatt 1930, S. 61. 7 Zuständigkeitsvereinbarung vom 20. 2. 52, s. o. S. 51 Anm. 3.

A. I. Die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern

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der Bundesregierung zur Reform des DAG in absehbarer Zeit verwirklicht werden, läßt sich das Zuständigkeitsproblem nicht länger umgehen. Der Entwurf, den die Kommission zur Reform des DAG ausgearbeitet hat, will es insoweit im wesentlichen bei der Regelung des geltenden Rechts belassen8• Es ist nicht anzunehmen, daß ein späterer Gesetzesentwurf der Bund~regierung diesen Standpunkt aufgeben wird. Mit Sicherheit werden die süddeutschen Länder ihre abweichende Auffassung im Gesetzgebungsverfahren geltend machen. Welche Gefahren der Gesetzgebungsarbeit dadurch drohen können, zeigt eindrucksvoll die Vorgeschichte des DAG. Von dem ersten Anlauf zu einer gesetzlichen Regelung des Auslieferungswesens im Jahre 1892' bis zur Verabschiedung des Gesetzes mußten mehr als 37 Jahre vergehen lO• Mehr als einmal scheiterte die gesetzliche Regelung allein an der Zuständigkeitsfrage ll • Noch in dem dem Reichsrat 1925 vorgelegten Entwurf eines Auslieferungsgesetzes fehlte es an einer Bestimmung der für die Entscheidung im Einzelfall zuständigen Stelle. "Die Zuständigkeitsfrage wurde absichtlich unklar gelassen, weil man aus ihrer Erörterung das Entstehen von Schwierigkeiten befürchtete, die dem ganzen Gesetz verhängnisvoll werden möchten"I!. Dem Rechtsausschuß des Reichstags ist es zu verdanken, daß diese Lücke geschlossen wurde, die - wie Behr ll feststellt - zum Schaden für die Außenpolitik des Reiches in Zukunft zur Quelle ernster Unstimmigkeiten zwischen Reich und Ländern hätte werden können. Erst auf Beschluß des Rechtsausschusses wurde die dem heutigen § 44 DAG entsprechende Zuständigkeitsvorschrift als § 43a in den Entwurf aufgenommen l4 • Noch nach der Annahme des Gesetzes 8

§ 75 (Zuständigkeit der Bundesregierung) lautet:

Die Bundesregierung ist zuständig, über ausländische Rechtshilfeersuchen zu entscheiden und ausländische Staaten um Rechtshilfe zu ersuchen. (2) Die Bundesregierung kann die Ausübung ihrer Befugnisse auf nachgeordnete Bundesbehörden sowie im Wege einer Vereinbarung den Landesregierungen übertragen. Die Landesregierungen haben das Recht zur weiteren übertragung. " , Am 28. 1. 1892 brachten die Abgeordneten v. Bar und Genossen im Reichstag einen Antrag der Freisinnigen ein, "die verbündeten Regierungen zur Vorlegung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend die Auslieferung von verurteilten und angeschuldigten Personen an auswärtige Regierungen aufzufordern, in welchem die Auslieferung in Ansehung sowohl der Bewilligung der einzelnen Auslieferungen wie der Abschließung von Auslieferungsverträgen der ausschließlichen Zuständigkeit des Reichs überwiesen" wird. 10 Zur Vorgeschichte des Gesetzes vgl. Mettgenberg-Doerner, S. 15 ff.; Behr, S. 53 ff. 11 Vgl. Mettgenberg-Doerner, S. 493; Behr, S. 72. I! Behr, S. 80 unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien. 11 Behr, S. 82. U Behr, S. 82. ,,(1)

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

durch den Reichstag beantragte der bayerische Beauftragte im Reichsrat die Streichung der Vorschrift mit der Begründung, ,,§ 44 DAG bedeute einen Eingriff in die nach der Reichsverfassung den Ländern zustehenden Hoheitsrechte"15. Die Vorgänge beim Abschluß der Zuständigkeitsvereinbarung lassen einen Wandel des bayerischen Standpunkts für die Zukunft nicht erwarten. Die Verwirklichung des Reformvorhabens macht eine eingehende Behandlung der Zuständigkeitsfrage unvermeidbar. Einen Beitrag dazu sollen die folgenden überlegungen leisten.

b) Der Zusammenhang zwischen der ausHeferungsrechtlichen Zuständigkeitsfrage und der verfassungsrechtZichen Kompetenzverteilung Zwei Fragen sind bei der Erörterung des Zuständigkeitsproblems im Auslieferungsrecht auseinanderzuhalten: Ist der Bund oder sind die Länder zur Entscheidung über Auslieferungsersuchen und zur Stellung von Einlieferungsersuchen zuständig? Fällt die Antwort zugunsten der Zuständigkeit des Bundes aus, stellt sich die weitere Frage, ob und in welcher Form der Bund die Länder an seiner Kompetenz beteiligen kann. Der verfassungsrechtliche Bezug der Fragestellung ist offensichtlich. Die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen dem Zentralstaat und den Gliedstaaten ist ein wesentlicher Teil aller bundesstaatlichen Verfassungen. Mit dem Hinweis auf eine ständige übung oder den Wortlaut des Gesetzes ist für die Lösung daher wenig gewonnen, solange nicht der Nachweis erbracht ist, daß übung oder Gesetz der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung entsprechen. Es kann deshalb auch keine ein für allemal richtige Antwort geben, die Lösung hängt vielmehr von der jeweiligen verfassungsrechtlichen Lage ab und ist ihrem Wandel unterworfen. Die jüngste Entwicklung des Auslieferungswesens macht die Zusammenhänge deutlich. Unter der Reichsverfassung von 1871 galt es als ausgemacht, daß die Verwaltungsbefugnisse im Auslieferungsverkehr allein den Bundesstaaten zustanden. Das Recht der Länder zur selbständigen Prüfung und Entscheidung über Auslieferungsersuchen betraf nicht nur die außervertraglichen oder auf Landesvertrag gestützten Auslieferungsersuchen, sondern umfaßte auch Ersuchen auf Grund von Reichsauslieferungsverträgen. Soweit diese Verträge eine Auslieferung vorsahen, waren die Länder reichsrechtlich zur Bewilligung der Auslieferung verpflichtet. Dem Reich stand nur eine - allerdings umfassende - Aufsicht über den Auslieferungsverkehr der Länder zu, und zwar nicht nur, soweit es sich um 15 Mettgenberg-Doerner, S. 38; Behr, S. 84.

A.

I. Die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern

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die Ausführung seiner als Reichsgesetze verkündeten Auslieferungsverträge durch die Länder handelte, sondern auch auf dem Gebiet des reichsvertragsfreien Auslieferungsverkehrs18• Als Rechtsgrundlage für die Handhabung des Auslieferungswesens durch die Länder wurde der Grundsatz angesehen, daß alle Verwaltungskompetenzen - und zwar auch auf dem Gebiet der auswärtigen Angelegenheiten - den Ländern zustanden, soweit sie nicht durch die Verfassung selbst dem Reich zugewiesen waren 17• Die verfassungsrechtliche Beurteilung des damaligen Rechtszustandes läßt die Stellungnahme des Reichsjustizamtes zu der oben erwähnten Resolution von von Bar erkennen, die von der Mehrheit des Reichstags gebilligt wurde; der Vorschlag von Bars, dem Reich die Bewilligung von Auslieferungen im Einzelfall zu übertragen, wurde mit der Begründung abgelehnt, er sei mit der Kompetenzverteilung zwischen dem Bund und den Gliedstaaten, wie sie die Verfassung vorgenommen habe, nicht vereinbar18• An dem bis dahin geübten Verfahren hatte sich auch unter der Weimarer Reichsverfassung zunächst nichts geändert18• Die Weimarer Reichsverfassung enthielt - ebenso wie die Verfassung von 1871 - keine ausdrückliche Bestimmung über die Verwaltungskompetenzen im Auslieferungwesen, insbesondere keine ausdrückliche Regelung der Zuständigkeit für die Entscheidung über Auslieferungsersuchen. Auslieferungsersuchen ausländischer Regierungen wurden nach wie vor durch das Auswärtige Amt mit einer kurzen Stellungnahme den zuständigen Landesministerien übermittelt, die dann die Entscheidung trafen20 • Angesichts der veränderten verfassungsrechtlichen Lage der Weimarer Republik zeigt sich in der Fortsetzung der früheren Handhabung des Auslieferungswesens eine bemerkenswerte Beharrungstendenz der Praxis gegenüber neuen verfassungsrechtlichen Gegebenheiten, die sich ganz eindeutig durch eine stärkere Betonung der Rechte des Gesamtstaats unter Zurückdrängen der einzelstaatlichen Kompetenzen auszeichneten. Die Art. 6 Nr. 1 und 78 der WRV sind die "Eckpfeiler", in denen diese Entwicklung, die sich naturgemäß am ehesten für die auswärtigen Angele~enheiten auswirken mußte, zum Ausdruck kommt. "Der Grundgedanke einheitlicher Außenverwaltung, dem im Bismarckschen Reiche nur die Staatspraxis Geltung verschaffen konnte, ist zu einem Grundsatz des Staatsrechts erhoben. Sowohl die Gesetzgebung wie die Verwaltung, 18 TTiepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 359 ff.; derselbe, Reichsaufsicht, S. 443; Pohl, Zuständigkeitsverteilung, S. 3. 17 h. M.; vgl. Meyer-Anschiitz, S. 262. 18 Vgl. Behr, S. 74, Mettgenberg-Doerner, S. 16 f., Meyer, S. 152. 1. Vgl. Kern, Zuständigkeitsverteilung, S. 359; Meyer, S. 152. %0

Behr, S. 77.

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

die es mit den Beziehungen zum Ausland zu tun hat, ist ausschließlich zur Sache des Reiches erklärt"l1. Auf Grund der Sonderstellurig, die die Wahrnehmung der auswärtigen Angelegenheiten innerhalb der Staatsverwaltung nunmehr von Verfassungs wegen einnahm, ließ sich die Länderkompetenz auf dem Gebiet des Auslieferungswesens nicht mehr ohne weiteres mit dem Grundsatz von der Allzuständigkeit der Länder begründen. Die Differenzierung der Verwaltungszuständigkeiten nötigte dazu, der Rechtsnatur des Auslieferungswesens mehr als früher Aufmerksamkeit zu widmen. Während es im Kaiserreich nur darum ging, aus der völkerrechtlichen, die aus';' wärtigen Beziehungen berührenden Seite des Auslieferungswesens ein Reichsaufsichtsrecht abzuleiten, stellte sich nunmehr die Frage, ob das Reich über eine reine Oberaufsicht hinaus für die Entscheidung in Auslieferungseinzelsachen selbst zuständig sei und damit den Gliedstaaten die Entscheidung jederzeit und ganz aus der Hand nehmen könne. Schon im Hinblick auf die parlamentarische Verantwortung für die Bewilligung von Auslieferungen konnte die eindeutige Beantwortung der Zuständigkeitsfrage nicht in der Schwebe bleiben. Die Übernahme der parlamentarischen Verantwortung vor dem Reichstag für eine Maßnahme außerhalb der Reichszuständigkeit mußte widersinnig erscheinen. "Verantwortlichkeit und Zuständigkeit müssen sich decken, damit die Reichsminister auch tatsächlich in der Lage sind, dem Reichstag gegenüber in allen Fällen die volle Verantwortung für die Ausführung der Reichsgesetze zu tragen"!!. Die Auslieferung der Mörder des spanischim Ministerpräsidenten Dato durch die preußische Regierung im Jahre 192223 , die sowohl im preußischen Landtag wie auch im Reichstag zu heftigen Angriffen gegen die Regierungen wegen angeblicher Verletzung des politischen Asyls führte, rückte das Zuständigkeitsproblem erstmals in das Licht der breiten Öffentlichkeit. Die um die gleiche Zeit bereits angelaufenen Vorarbeiten zum DAG!4 weckten zunehmend auch das wissenschaftliche Interesse an · der Lösung des Zuständigkeitsproblems. Mit der Einsicht in den verfassungsrechtlichen Zusammerihang des Problems stellte sich unausweichlich die Aufgabe, das Auslieferungswesen in den Zuständigkeitskatalog der Verfassung einzuordnen. Der GeFleischmann, 8. 210. 80 Reichsminister Preuß im Verfassungsausschuß der Nationalversammlung, zitiert nach Behr, S. 78 Anm. 6. n Vgl. die eingehende Darstellung des Falles bei Mettgenberg, Die Auslieferung der Mörder, Zeitschrift für Völkerrecht,Bd. 12 S. 300 ff. !f Zum Werdegang des Gesetzes vgl. Mettgenberg-Doerner, 8.27 ff.,Meyer, 8.153 ff. 11

!!

A. I. Die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern

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gensatz zwischen der Rechtspflegetheorie einerseits und der Rechtshilfetheorie andererseits!5 bestimmte fortan die Auseinandersetzung. c) Der Einfluß des Gegensatzes zwischen Rechtspflege- und Rechtshilfe-

theorie auf den Zuständigkeitsstreit

Die Bedeutung des Theorienstreits für das Zuständigkeitsproblem ergibt sich aus der unterschiedlichen Kompetenzzuweisung durch die Verfassung auf den Gebieten der Rechtspflege und der auswärtigen Angelegenheiten. Die Rechtspflegetheorie kam zwangsläufig denjenigen entgegen, die für die Zuständigkeit der Länder plädierten. Die Weimarer Reichsverfassung hatte die Justizhoheit der Länder im wesentlichen gewahrt!'. Die Würdigung der Auslieferung als Akt der Rechtspflege eröffnete die Möglichkeit, den Ländern unter Hinweis auf ihre Justizhoheit die Befugnis zur Entscheidung über Auslieferungsersuchen im Einzelfall zuzusprechen. Bezeichnend für die auf die Rechtspflegetheorie gestützte Argumentation sind die Ausführungen von Sommer!7 und die Stellungnahme der bayrischen Regierung zur Aufzeichnung des Reichsjustizministeriums übe.r die verfassungsmäßige Zuständigkeitsregelung auf dem Gebiet des Auslieferungswesens!8. Vom Standpunkt der Rechtshilfetheorie bot sich Art. 78 WRV als Grundlage für das Entscheidungsrecht des Reiches an. Die weitaus überwiegende Meinung schloß sich der Auffassung an, daß die Entscheidung über Auslieferungsersuchen als ein Stück "Pflege der Beziehungen zu den auswärtigen Staaten" im Sinne des Art. 78 Abs.l WRV Sache des Reiches seiu. Ihre theoretische Rechtfertigung fand diese Ansicht in einem Aufsatz von Wolgast 30 , in dem er der gesamten nach innen gewandten Staatsgewalt diejenige gegenüberstellte, mit der sich die Staaten aufeinander beziehen. Letztere bezeichnet er als die auswärtige Gewalt. Das Gesamtgebiet der auswärtigen Gewalt zerfalle in ein primäres und ein sekundäres Gebiet. Zu dem primären Gebiet rechnet Wolgast die völkerrechtlichen Hoheitsakte und die 'ä ußeren Hoheitsrechte des Staates, also diejenigen Akte, die ihrer Natur nach notwendig auswärtige Objekte betreffen. Dem sekundären Gebiet sollen dagegen die Angelegenheiten angehören, die an sich in der eigenen Machtsphäre des Staates liegen und die autonom geregelt werden könnten, bei deren Ordnung aber auf die auswärtigen Beziehungen !5 Vgl. dazu oben S. 27 f. !8 Art. 103 WRV; Kern, Zuständigkeitsverteilung, S. 354. !7 Sommer, S. 622 ff. !8 Abgedruckt bei Mettgenberg-Doerner, S. 596 ff. Ie Vgl. die Nachweise bei Mettgenberg-Doerner, S.25 Anm. 29; Behr, S.79 Anm.10. 30 Wolgast, Die auswärtige Gewalt, S. 1 ff.

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

Rücksicht genommen werde. Für die Regelung dieser Angelegenheiten enthalte die Weimarer Reichsverfassung keine Zuständigkeitsbestimmung. Maßgebend seien vielmehr - auch wenn die Regelung im Benehmen mit auswärt1gen Staaten, also insbesondere durch Verträge erfolge - die für die Willensbildung im Staate allgemein maßgebenden Bestimmungen. Eine Zuständigkeit der Länder könne sich daher nur im Ausnahmefalle des völkerrechtlichen Vertragsschlusses über landesgesetzesinhaltliche Materien aus Art. 78 Abs. 2 WRV ergeben. Für das primäre Gebiet der auswärtigen Gewalt sei dagegen das Reich ausnahmslos zuständig, wie sich insbesondere aus den Art. 45, 78 Abs. 1, 112 Abs. 2 WRV ergebe. Da die Staatstätigkeit der "Auslieferung" sich begriffsnotwendig auf auswärtige Staaten beziehe, gehöre sie zum primären Gebiet der auswärtigen Gewalt und falle daher unter die Zuständigkeit des Reiches. Mit der Anerkennung der Rechtshilfetheorie durch die überwiegende Ansicht des Schrifttums war die Zuständigkeitsfrage jedoch keineswegs gelöst. Die These, aus dem Rechtshilfecharakter der Auslieferung sei auf Art. 78 WRV als maßgebende Kompetenznorm für die Verteilung der Entscheidungsbefugnisse im Auslieferungsverkehr zu schließen, wurde mit dem Hinweis angezweifelt, daß die Auslieferung in Art. 6 WRV gesondert von den Beziehungen zum Ausland aufgeführt sei. Daraus müsse gefolgert werden, daß die Verfassung die Auslieferung nicht als einen Teil der Beziehungen zum Ausland ansehe und die Zuständigkeit des Reiches für die Entscheidung über Auslieferungsersuchen daher nicht aus Art. 78 abgeleitet werden könne. Die in Art. 6 WRV getroffene Unterscheidung beanspruche auch für Art. 78 WRV Geltung31 • Diese Argumentation läßt zwar keine unmittelbaren Rückschlüsse auf die heutige Rechtslage zu, verdient aber wegen der vergleichbaren Regelung des GG doch Beachtung. Auch das Grundgesetz trennt entsprechend dem Art. 6 WRV in seinem Art. 73 zwischen auswärtigen Angelegenheiten einerseits und der Auslieferung andererseits, und dem als Kompetenznorm unter der Weimarer Reichsverfassung in Anspruch genommenen Art. 78 Abs. 1 entspricht fast wörtlich der Art. 32 Abs. 1 GG. Ob der Verfassungswortlaut zu diesem Einwand berechtigt, erscheint jedoch mehr als zweifelhaft. Die eingehenden Untersuchungen von Mettgenberg, Fohl, Lederle, Sommer und Behr auf Grund der Niederschriften über die Verhandlungen im Verfassungsausschuß zeigen, daß bei unvoreingenommerier Würdigung eindeutige Schlüsse aus den Verhandlungen des Verfassungsausschusses weder in der einen noch in der ande31 Vgl. Lederte, Die Zuständigkeiten, S. 395 f.; ferner die Stellungnahme der bayerischen Regierung, a. a. O.

A. I. Die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern

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ren Richtung gezogen werden können32 • Die Entstehungsgeschichte33 des Grundgesetzes gibt ebenfalls keinen Aufschluß darüber, ob der Bund nach Art. 32 Abs. 1 auch die Entscheidungskompetenz im Auslieferungswesen haben solpe. Als untauglich erwies sich schon unter der WRV der Versuch, die Reichszuständigkeit nach dem Erlaß des DAG nicht aus Art. 78 WRV, sondern statt dessen aus Art. 6 Nr. 3 in Verbindung mit Art. 14 WRV herzuleiten mit der Begründung, Reichsgesetze seien nur dann von den Landesbehörden auszuführen, wenn nicht ein Reichsgesetz etwas anderes bestimme. Ein solches anderes Reichsgesetz sei nunmehr § 44 DAG35• Zutreffend hat schon Behr36 darauf hingewiesen, daß nach Art. 14 WRV ein einfaches Reichsgesetz dem Reich keine Vollziehungsbefugnisse übertragen könne, die verfassungskräftig den Ländern zustünden. Gerade das aber machten die einzelnen Länder geltend, indem sie die Entscheidung über Auslieferungsersuchen als Akt der ihnen nach Art. 103 WRV erhaltenen Justizhoheit ansähen37 • Für das geltende Recht verfängt der Hinweis auf Art. 44 DAG ohnehin nicht mehr. Mit der Vorschrift des Art. 83 ist das Grundgesetz zu der mehr föderalistischen Regelung der Verfassung von 1871 zurückgekehrt, die in Art. 4 dem Reich nur die Gesetzgebung und die Beaufsichtigung bestimmter Angelegenheiten übertrug, die Ausführung aber grundsätzlich den Ländern überließ 38 • Art. 83 enthält eine allgemeine Kompetenzvermutung zugunsten der Länder, von der nur durch das Grundgesetz selbst abgewichen werden kann: "Die Länder führen die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, soweit dieses Grundgesetz nichts anderes zuläßt oder bestimmt". d) Die Abkehr von dem Theorienstreit über das Wesen der Auslieferung

Wenn auch die aus der Rechtshilfetheorie für die Zuständigkeitsfrage gezogenen Schlußfolgerungen mit dem Hinweis auf den Wortlaut der Verfassung nicht erschüttert werden konnten, so setzte sich doch schon bald die Erkenntnis durch, daß eine Lösung des Zuständigkeitsproblems mit Hilfe der verschiedenen Theorien über das Wesen der Auslieferung Vgl. Behr, S. 91; ebenso Meyer, S. 157. Vgl. dazu JöR Bd. 1 S. 1 ff. 34 Die Kommentierungen schweigen, auch soweit sie die Entstehungsgeschichte darstellen, ebenfalls; vgl. Menzel und Herrfahrdt, BK, Anm. zu Art. 32,73. 35 Mettgenberg, Kommentar, S. 422; Meyer, S.154. 38 Behr, S. 84 Anm. 31 a. 37 Vgl. Anschütz, Art. 14 Anm. 3 und Art. 103 Anm. 2. 38 Herrfahrdt, BK, Art. 83 Anm. 1. 32 33

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

an der komplexen Natur des Auslieferungsvorgangs scheitern mußte. Bezeichnenderweise deckten sich die Fronten im Zuständigkeitsstreit nie ganz mit den gegensätzlichen Auffassungen über die Rechtsnatur der Auslieferung. Lederle 39, der in der Auslieferung nicht die Ausübung staatlicher Strafgewalt, sondern eine völkerrechtliche Rechtshilfehandlung erblickt, steht gleichwohl nicht an, die Zuständigkeit der Länder zu bejahen. Auch als völkerrechtliche Rechtshilfehandlung bedinge die Auslieferung eine innerstaatliche rechtserhebliche Staatstätigkeit. Das Auslieferungsrecht falle somit in zwei ganz verschiedene Rechtskreise, ins Völkerrecht und ins staatliche Recht. Reichsangelegenheit sei die Auslieferung nur insoweit, als sie ihrem Wesen nach den völkerrechtlichen Beziehungen zum Ausland zuzurechnen sei. Die Beziehungen des Staates zu dem seiner Gewalt unterworfenen Justizflüchtling seien aber durchaus eine innere Angelegenheit der Länder; die entscheidende Mitwirkung bei der Auslieferung stelle daher ein Hoheitsrecht der Länder dar. Als Ganzes betrachtet enthält die Auslieferung in der Tat Elemente sowohl der auswärtigen wie der inneren Gewalt und weist daneben auch Zusammenhänge mit der Strafrechtspflege auf'o. Insofern bedeutet es schon einen nicht zu überschätzenden Fortschritt, wenn sich in der Auseinandersetzung in Abkehr von dem starren Theoriengegensatz zumindest teilweise eine Auffassung Bahn gebroChen hat, die der Auslieferung eine - wenn auch beschränkte - völkerrechtliche Beziehung zum Ausland einräumt. Ob bei dem Zugeständnis der völkerrechtlichen Seite der Auslieferung der Trennungsstrich zu dem binnenstaatlichen Teil richtig gezogen ist, muß allerdings bezweifelt werden. Dem Versuch, die völkerrechtliche Seite der Auslieferung auf die diplomatischen Verhandlungen41 oder allenfalls noch auf die Gegenseitigkeits- und Vertragsverhandlungen4! zu beschränken und ihr die Bewilligung der Auslieferung als einen Bestandteil des innerstaatlichen Verfahrens gegenüberzustellen, weil sie die Beziehungen des Staates zu dem seiner Gewalt unterworfenen Fremden angehe, ist sogleich43 entgegengehalten worden, die Verwaltung des Auslieferungswesens sei auswärtige Verwaltung, soweit der deutsche Staat aus Anlaß einer Auslieferungssache irgendwie mit dem Ausland, insbesondere mit dem nächstbeteiligten, die Auslieferung begehrenden Fremdstaat in Beziehung trete. Das aber sei der Fall auch bezüglich der Entscheidung über den Auslieferungsantrag, einschließlich aller zu ihr hinführenden oder durch sie bedingten Verhandlungen mit dem Ausland. . Lederte, Die Zuständigkeiten, S. 391 ff.; vgl. dazu Behr, S. 85, 87. z. B. die Ermittlung, Feststellung, Verhaftung des Auszuliefernden, die Prüfung der strafrechtlichen Voraussetzungen der Auslieferung sowie die übergabe des Verfolgten an die Behörden des ersuchenden Staates. U So Lederte, S. 396. U So die Denkschrift der bayerischen Regierung, a. a. O. 41 Anschütz, Art. 6, S. 74. 31

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. e) Die ersten Ansätze für die Berufung auf die Vertrags theorie Immerhin war mit dieser Trennung schon der Weg angedeutet, auf dem sich eine überzeugende, weil auch verfassungsrechtlich fundierte Lösung finden ließ. Dazu freilich hätte es einer eingehenden Untersuchung des Teilaktes aus dem Gesamtvorgang "Auslieferung" bedurft, der im Mittelpunkt der Zuständigkeitsfrage steht, des aus Auslieferungsersuchen und Auslieferungsbewilligung zusammengesetzten Kernstücks des Auslieferungsverfahrens. Ansätze dazu reichen bis in das Ende des vorigen Jahrhunderts zurück44 • Es hat auch nicht an Versuchen gefehlt, aus der Einsicht in die Rechtsnatur dieses Teilaktes unmittelbare Rückschlüsse für die Lösung der Zuständigkeitsfrage zu ziehen. In seinem Lehrbuch des Internationalen Privat- und Strafrechts zieht von Bar schon im Jahr 1892 aus der Feststellung, daß die Bewilligung jeder Auslieferung einen völkerrechtlichen Vertrag darstelle, Rückschlüsse für die Lösung des Zuständigkeitsproblems. Die Regelung der Befugnisse der Zentralgewalt und der Einzelstaaten im deutschen Reich kritisiert er als "merkwürdig und gewiß prinzipienwidrig und nach verschiedener Richtung inkonsequent"45. Damit meint er u. a., daß auch di~ Bewilligung von Auslieferungen auf Grund selbst der vom Reiche abgeschlossenen Auslieferungsverträge nicht durch die Reichsregierung, sondern seitens der einzelnen Bundesregierungen erfolge, in deren Gebiet die auszuliefernde Person zufällig ergriffen werde; "denn man scheint nicht zu beachten, daß die einzelne Auslieferung auch auf Grund eines allgemeinen Auslieferungsvertrages wieder einen speziellen Vertrag enthält"48. Gut 30 Jahre später greift Kraus in seinem Bericht für den 34. Deutschen Juristentag 1926 in Köln diesen Gedanken wieder auf. In seinen Ausführungen zu der das "wünschenswerte Verhältnis von Reich und Ländern in Auslieferungssachen" behandelnden These knüpft er an die Feststellung, daß jede einzelne Auslieferungsentschließung den juristischen Kern der Annahme bzw. Ablehnung einer internationalen Offerte, also der "Perfektuierung" eines völkerrechtlichen Vertrages oder das Gegenteil darstelle, die Schlußfolgerung: "Und deshalb bezieht sich die ausschließliche Vertragszuständigkeit des Reichs nach der neuen Reichsverfassung nicht nur auf generelle Auslieferungsverträge, sondern auch zugleich auf jede Gewährung oder Versagung eines einzelnen Auslieferungsverlangens"47. Diese Aussagen haben in der Folgezeit nicht den gebührenden Widerhall gefunden. Zum Teil wird der notwendige Zusammenhang zwischen 44

45 48

47

S. dazu oben S. 34 ff. v. Bar, Lehrbuch, S. 286. v. Bar, Lehrbuch, S. 288. Kraus, Bericht, S. 324.

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

dem Auslieferungsersuchen und der Auslieferungsbewilligung nicht erkannt, zum anderen bleiben die Erörterungen auf halbem Wege stehen, indem sie bei durchaus zutreffender Einschätzung des entscheidenden Teilakts der Auslieferung versäumen, die für die Zuständigkeitsfrage naheliegenden Konsequenzen zu ziehen. So gelangt auf der einen Seite Behr trotz der Erkenntnis, die Bewilligung der Auslieferung sei kein nach innen, sondern ein lediglich nach außen gewandter Staatsakt, sie sei die Beantwortung eines ausländischen Auslieferungsantrags, eine Entscheidung, die gegenüber dem Verfolgerstaat, nicht gegenüber dem Justizflüchtling ge faßt und erklärt werde, zu der dürftigen Feststellung, die Auslieferungsbewilligung sei "ebenso wie nach ihrer Form auch nach ihren Bedingungen völkerrechtlich gerichtet"48. Auslieferungsersuchen und Auslieferungsbewilligung als unselbständige Teilakte eines einheitlichen, die Rechtsnatur der Auslieferung ausmachenden Vorgangs zu sehen, lehnt er ausdrücklich ab 48 • Für die andere Seite bietet die Untersuchung von Meyer ein Beispiel, der seine Deutung des Rechtscharakters der Auslieferung des eigentlichen Wertes dadurch beraubt, daß er in dem Bestreben nach vollkommener Rechtsschutzgewährung in den entscheidenden Punkten zu einer rein innerstaatlichen Betrachtungsweise zurückkehrt50 und sich dadurch den Weg zu überzeugenden Schlußfolgerungen auch für die Lösung des Zuständigkeitsproblems weitgehend versperrt, so daß seine Beweisführung schließlich doch mehr oder weniger vom Gegensatz der Rechtspflege- und der Rechtshilfetheorie bestimmt wird51 • f) Die Vertragstheorie als Grundlage für die Lösung des Zuständig-

keitsproblems

Die Erkenntnis, daß Auslieferungsersuchen und Auslieferungsbewilligung als unselbständige Teilakte zusammen den Tatbestand eines zweiseitigen völkerrechtlichen Rechtsgeschäfts bilden, ermöglicht es, die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge für die Beantwortung der Zuständigkeitsfrage im Auslieferungsrecht unmittelbar nutzbar zu machen. Aus der völkerrechtlichen Vertragsnatur der Auslieferung folgt zunächst nur, daß Einlieferungsersuchen und Auslieferungsentscheidungen nur von Subjekten des Völkerrechts gestellt bzw. getroffen werden können. Die Antwort auf die Frage, wer verfassungsrechtlich die erforderliche Völ48 Behr, S. 92. 49 Behr, S. 79 Anm. 10 am Ende; Reisner, S.113, begnügt sich damit, die von Kraus vertretene Ansicht ohne eigene Stellungnahme zu zitieren. 50 Vgl. Meyer, S.18. 61

Meyer, S. 158.

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kerrechtssubjektivität besitzt, kann nur die Verfassung selbst geben. In Bundesstaaten kann die Entscheidung über Auslieferungsersuchen Sache des Gesamtstaats oder der Einzelstaaten sein. Maßgebend ist die Verteilung der Vertragskompetenz in der jeweiligen VerfassungS!. aal Die Zuständigkeit zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge nach dem Grundgesetz (Art. 32 GG) Das Bonner Grundgesetz enthält ebensowenig wie die Weimarer Reichsverfassung besondere Vorschriften über die Zuständigkeit zum Abschluß von Verträgen auf dem Gebiete des Auslieferungsrechts. Die Grenze zwischen der Zuständigkeit von Bund und Ländern zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge mit auswärtigen Staaten allgemein zieht Art. 32 00. Abs. 1 dieser Vorschrift enthält den Grundsatz, daß dem Bund das Monopol zum Abschluß derartiger Verträge zukommtu. Dieser Grundsatz gilt daher auch für Auslieferungen, sofern nicht· eine der in den Absätzen 2 und 3 des Art. 32 aufgeführten Einschränkungen Platz greift. Während Abs. 2 das grundsätzliche Monopol des Bundes nur durch das Recht der Länder auf Gehör einschränkt, die Zuständigkeit des Bundes selbst dagegen unangetastet läßt, stellt Abs. 3 insofern eine Abweichung von dem Grundsatz des Abs. 1 auf, als er den Ländern ein gegenständlich begrenztes Vertragsschließungsrecht einräumt. Nach Art. 32 Abs. 3 können die Länder, soweit sie für die Gesetzgebung zuständig sind, Verträge mit auswärtigen Staaten schließen54 • Ob diese Einschränkung als Ausnahme von der Regel alleiniger Bundeszuständigkeit in auswärtigen Angelegenheiten angesprochen werden kann oder ob die Vorschrift als eine einheitliche Zuständigkeits-Verteilungsnorm zu begreifen ist, die es nicht erlaubt, zwischen Regel und Ausnahme zu unterscheiden, braucht hier nicht erörtert zu werden55 • Wie schon die Weimarer Reichsverfassung, so knüpft auch das Grundgesetz für die Zuständigkeit zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge an die Verteilung der innerstaatlichen Gesetzgebungszuständigkeit zwi61 Die nachfolgenden Ausführungen zur verfassungsrechtlichen Situation erheben keinen Anspruch auf Originalität, sondern beschränken sich darauf, in teilweise wörtlicher Anlehnung an das einschlägige Schrifttum die Rechtslage in gedrängter Form darzustellen. 53 Kraus, Zuständigkeit, S.415; Mosler, Kulturabkommen, S.12; derselbe, Die auswärtige Gewalt, S. 257; Menzel, BK, Art. 32 Anm. 11 1; v. MangoldtKlein, Art. 32 Anm.II, 111; Maunz-DUng, Art. 32 RdNr. 16; Bernhardt, S.131; Beer, S. 156 ff. 54 Zur Kompetenzabgrenzung jetzt ausführlich, Rudolf, Internationale Beziehungen, S. 56 ff.; außer den oben Genannten vgl. ferner Kaiser, Erfüllung, S.542. 65 Vgl. dazu Mosler, Die auswärtige Gewalt, S.262; v. Mangoldt-Klein, Art. 32 Anm. IV 1.

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Behandlungsweise

schen Bund und Ländern an. Die Länder dürfen Staatsverträge in dem Umfang abschließen, in dem sie zur Gesetzgebung ausschließlich odersolange und soweit der Bund von seiner Zuständigkeit noch keinen Gebrauch gemacht hat - konkurrierend zuständig sind. Die Streitfrage, ob der Bund daneben auch auf diesem Gebiet ein konkurrierendes Vertragsschließungsrecht besitzt58 , kann hier auf sich beruhen. Mit der Anknüpfung an die Gesetzgebungszuständigkeit verweist das Grundgesetz auf die Vorschriften der Art. 73 ff. Die Verweisung ist freilich nicht dahin zu verstehen, daß alle Verträge auf dem Gebiet des Auslieferungswesens zur Kompetenz des Bundes gehören, weil der Bund die ausschließliche Gesetzgebung über die Auslieferung hat. Wenn das Grundgesetz an die Zuständigkeit zur Gesetzgebung anknüpft, so folgt daraus zunächst nur so viel, daß die Befugnis zum Vertragsabschluß so weit reicht wie die Zuständigkeit, den Inhalt des völkerrechtlichen Vertrages - sofern er als innerstaatliche Regelung gedacht wird - im Gesetzgebungsverfahren zu regeln. Art. 32 Abs. 3 GG gilt somit unmittelbar nur für Verträge über Gegenstände der Gesetzgebung. Die EinteilungS7 der Verträge nach ihrer innerstaatlichen Bedeutung in solche über Gegenstände der Gesetzgebung und solche über Gegenstände der Verwaltung, die auf der Zuständigkeitsverteilung zwischen Exekutive und Legislative beruht, spielt somit zugleich für die Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Ländern eine erhebliche Rolle58• Während Auslieferungsverträge inhaltlich Materien der Gesetzgebung betreffen5', handelt es sich bei Einzelauslieferungen dem sachlichen Gegenstand nach um Verwaltungsabkommen8o • Im Gegensatz zu Art. 59 Abs.2 Satz 1 GG, wo es um die Abgrenzung von Legislative und Exekutive geht, ist die Bezugnahme auf die Gesetzgebungskompetenzen in Art. 32 GG jedoch "nicht dahin auszulegen, daß das Grundgesetz die Landesgesetzgebung in Gegensatz zur Landesverwaltung bringen Will"81. "Die Wendung (in Art. 32 Abs.3 GG), soweit die Länder für die Gesetzgebung zuständig sind, kann (daher) nicht bedeuten, daß sie nur dort Verträge schließen dürfen, wo die innerstaatliche Regelung der Materie durch formelles Landesgesetz erfolgen muß, weil ihre Verfas~ sung es vorschreibt oder weil es aus allgemeinen rechtsstaatlichen Vgl. dazu Maunz-Düng, Art. 32 RdNr. 29ff. Zur Begriffsbildung vgl. Mosler, Die auswärtige Gewalt, S. 243ff., 284. 58 Bernhardt, S. 134. 58 Zur Frage, ob sie als sog. Parallelabkommen der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften nicht bedürfen, vgl. unten S. 113, 121ff. 80 In Anbetracht der Beteiligung mehrerer Ressorts (Bundesministerium der Justiz, Auswärtiges Amt) um Regierungsabkommen i. S. des Verfassungsrechts. Als handelndes Organ tritt die Bundesregierung auf. 81 Mosler, Wirkungen, S. 151. 58

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Grundsätzen folgt"e2. Art. 32 Abs. 3 GG ist vielmehr mangels einer ausdrücklichen Regelung des Vertragsschließungsrechts über Gegenstände der Verwaltung durch eine sinngemäße Ergänzung dahin auszulegen, daß ein solches Recht der Länder auch in dem Umfange besteht, in dem sie "für die Verwaltung der ihnen zur Gesetzgebung zugewiesenen Materien zuständig sind" 83. Die Einschränkung von Art. 32 Abs.l GG durch Abs. 3 gilt somit für beide Bereiche, für die Gesetzgebung wie für die Verwaltung. "Die Befugnis zu Abmachungen mit fremden Staaten auf dem Gebiet der Exekutive ist den Ländern nicht genommen84." Ein lückenloses System des Vertragsschließungsrechts über Gegenstände der Verwaltung ist damit freilich noch nicht gewonnen. Einigkeit besteht vorerst nur darüber, daß die Länder im zwischenstaatlichen Verkehr dort zuständig sind, wo sie die Gesetzgebung und die Verwaltung ausüben 85• Umgekehrt ist die Zuständigkeit des Bundes zum Abschluß zwischenstaatlicher Verträge auf den seiner Gesetzgebung und Verwaltung unterliegenden Gebieten unbestritten. Die innerstaatliche Zuständigkeitsverteilung im Bereich der Gesetzgebung einerseits und der Verwaltung andererseits decken sich jedoch nicht. Das GG hat dem Bund auf dem Gebiet der Verwaltung erheblich größere Beschränkungen auferlegt als im Gesetzgebungsbereich. Damit taucht zwangsläufig die Frage auf, ob diese Beschränkungen auch dann gelten, wenn es darum geht, Gegenstände der Verwaltung im zwischenstaatlichen Verkehr zu regeln88 • In diesem Bereich, in dem der Bund zwar ein Gesetzgebungsrecht, aber keine Verwaltungszuständigkeit besitzt, besteht auch heute noch manche Unklarheit87• Es handelt sich um die Gebiete, in denen die Länder Bundesgesetze als eigene Angelegenheit oder als Auftragsangelegenheit ausführen. Können die Länder in dem Umfang, in dem ihnen innerstaatlich die Befugnis zur Ausführung von Bundesgesetzen oder Vereinbarungen zusteht, Verträge mit auswärtigen Staaten abschließen? Mit der Antwort fällt zugleich die Entscheidung im Zuständigkeitsstreit zwischen Bund und Ländern über die Auslieferungsbefugnisse nach § 44 DAG. Für das DAG gilt die Regelnorm des Art. 83 GG. Die innerstaatliche Ausführung des Gesetzes obliegt den Ländern als eigene Angelegenheit. Das GG enthält keine ausdrückliche Kompetenzzuweisung für dieses Gebiet. Die Frage ist zwar umstritten, dürfte aber - wie schon während U

83 84

85

Kraus, Zuständigkeit, S. 423. Bernhardt, S. 157 mit zahlreichen weiteren Nachweisen. Mosler, Wirkungen, S. 151. Bernhardt, S. 169 mit weiteren Nachweisen; ebenso Rudolf, Internatio-

na,le Beziehungen, S. 64. 88 87

Bernhardt, S. 134. Bernhardt, S. 158.

5 Vogler

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des Kaiserreichs und unter der Weimarer Verfassung88 - auch für das geltende Recht zu verneinen sein. Im wesentlichen stehen sich zwei Auffassungen gegenüber. Nach der einen Ansicht entspricht die Verteilung der Kompetenzen zum Abschluß von Verträgen mit auswärtigen Staaten über Gegenstände der Verwaltung der Verteilung der Verwaltungskompetenzen in den Art. 83 ff. GG. Für die Vertragsschließungskompetenz auf den Gebieten, in denen die Länder Bundesgesetze als eigene Angelegenheit oder im Auftrag des Bundes ausführen, folgt daraus, daß die Länder zum Abschluß von Verträgen über Gegenstände der Verwaltung so weit und so lange zuständig sind, wie der Bund nicht gemäß Art. 84 Abs. 2 und Art. 85 Abs. 2 GG allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen hat89 • Nach der anderen Ansicht entfällt die Zuständigkeit der Länder zum Abschluß von Verwaltungsvereinbarungen auf den Gebieten der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit, wenn und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht Gebrauch gemacht hat. Mit der Gesetzgebung ist dem Bund auch die Vertragskompetenz zugefallen70 • Für Materien der ausschließlichen Bundeszuständigkeit haben die Länder überhaupt keine Vertragsschließungskompetenz, gleichgültig, ob der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht Gebrauch gemacht hat oder nicht. Es kommt nicht mehr darauf an, ob der Bund die Möglichkeit genutzt hat, allgemeine Verwaltungsvorschriften zu erlassen. Der entscheidende Unterschied beider Auffassungen liegt in den Anknüpfungspunkten. Einmal wird die Zuständigkeit zum Abschluß von Verträgen ausschließlich an den Gesetzgebungszuständigkeiten ausgerichtet, zum anderen wird je nach dem Gegenstand der Verträge auch der internen Zuständigkeit zur Verwaltung Einfluß auf die äußere Zuständigkeit zum Abschluß von Verträgen eingeräumt71 • Die Vorstellung, daß die Länder bindende Erklärungen gegenüber auswärtigen Staaten über die Art und Weise der Ausführung übergeordneter und ihrem Einfluß entzogener Normen des Bundesrechts sollen abgeben können, ist nur schwer erträglich72 • Auch der Umstand, daß der Bund durch das Erfordernis der Zustimmung der Bundesregierung zu jedem Landesvertrag seine Belange wahren kann, ändert doch nichts dar an, daß die Initiative zum Abschluß derartiger Vereinbarungen und ihre Ausgestaltung im einzelnen dem Bund entzogen bliebe. Die gegenteilige Ansicht übersieht, daß die allein die innerstaatliche Abgrenzung der KompetenBernhardt, s. 110, 118. Beer, S. 233 ff.; Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 290 ff.; Maunz-Dilng, Art. 32 RdNr. 70 und Art. 59 RdNr. 38. 70 Kraus, Zuständigkeit, S. 423; Bernhardt, S. 170. 71 VgI. Maunz-Dilng, Art. 59 RdNr. 38: "Die Zuständigkeit für Verwaltungs8S U

abkommen bemißt sich nach der Verwaltungshoheit für den Gegenstand des Abkommens." 72

Bernhardt, S. 170 f.

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zen auf dem Gebiete der Verwaltung betreffenden Vorschriften der Art. 83 ff. GG hinter der speziellen Regelung der Vertragsschließungskompetenz zurückzutreten haben. Die Vertragsschließungskompetenz richtet sich nach der Zuständigkeit für die Gesetzgebung und nicht nach der inneren Autonomie schlechthin73 • Das ergibt sich nicht zuletzt auch aus der geschichtlichen Entwicklung. Der Grundsatz, daß die auswärtigen Befugnisse der Länder und des Bundes sich nach der Gesetzgebungszuständigkeit im Inneren richten, hat sich außerhalb der Verfassung entwickelt. Zwei Umstände waren dafür maßgebend: Auf der einen Seite die Theorie von der Entstehung des Reichs und auf der anderen Seite die in Deutschland herrschende Ansicht über das Verhältnis von Völkervertragsrecht und innerstaatlichem Recht74 • Rechtsdogmatisch wurde das Deutsche Reich lediglich als eine Schöpfung der Länder angesehen. Befugnisse, die ihm in der Verfassung nicht ausdrücklich übertragen worden waren, galten als bei den Ländern verblieben. Daß den Ländern durch Art. 11 RV der völkerrechtliche Verkehr mit fremden Staaten nicht entzogen, sondern nur beschränkt worden war, galt als offensichtlich und unbestritten und durch eine so konstante und unangefochtene Praxis bekräftigt, daß es keiner weiteren Begründung bedürfe75 • Ein besonderer Abgrenzungsmodus für die von den Ländern zurückbehaltenen Rechte und die auf das Reich übertragenen Befugnisse bestand nicht. Er ergab sich aber zwangsläufig aus der im deutschen Staatsrecht vorherrschenden Ansicht, die den völkerrechtlichen Vertrag - im Gegensatz etwa zur Praxis der Schweiz und den USA - als innerstaatliche Rechtsquelle nicht anerkannte, vielmehr zu seiner innerstaatlichen Durchführung - falls erforderlich - noch den Erlaß einer innerstaatlichen Rechtsnorm forderte. Nur wenn dem völkerrechtlichen Vertragsrecht ein innerstaatliches Gesetzgebungsrecht entsprach, waren Bund und Länder in der Lage, etwaigen völkerrechtlichen Vertragspflichten - soweit erforderlich auch innerstaatlich nachzukommen. So erklärt sich geschichtlich der von der Reichsverfassung von 1871 über die Weimarer Reichsverfassung bis in das Grundgesetz übernommene Satz, daß sich die Zuständigkeitsver73 Vgl. Rudol!, Internationale Beziehungen, S.65: "Da allein Art. 32 Abs. 3 GG den Ländern die Möglichkeit zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge verschafft, ist nicht ersichtlich, woraus für sie ein über Art. 32 Abs. 3 GG hinausgehendes Vertragsschließungsrecht über Gegenstände der Verwaltung hergeleitet werden soll. Aus Art. 59 Abs.2 Satz 2 GG, auf Grund dessen für Verwaltungsabkommen die Bestimmungen über die Bundesverwaltung gelten, ist eine Kompetenz der Länder nicht zu begründen, da diese Bestimmung allein das Verhältnis von Bundesorganen untereinander regelt." Ferner ReicheZ, S.164: "Es trifft jedoch zu, daß Art. 32 Abs.3 GG die alleinige Kompetenznorm für den Bereich der auswärtigen Befugnisse der Länder darstellt." 74 HaZZmayer, S.19; Bernhardt, S.106 ff.; zum Zusammenhang der inneren und der äußeren Befugnisse vgl. Mosler, Kulturabkommen, S. 14 tI. 75 Anschiitz, Art. 78 Anm. 3; Laband, Bd. II S. 167.

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teilung zwischen Bund und Ländern nach außen nach der Gesetzgebungszuständigkeit im Innern richtet78 • Durch die Aufnahme dieses ungeschriebenen Grundsatzes der Reichsverfassung von 1871 in die WRV waren die Länder endgültig von jeder Betätigung auf den Gebieten ausgeschlossen, auf denen ihnen zwar die Verwaltung, dem Reich aber die Gesetzgebung zustand". Für das Bonner Grundgesetz, das in Art. 32 die Regelung des Art. 78 WRV fast wörtlich übernommen hat, kann nichts anderes gelten. Mit der Gesetzgebung ist dem Bund auch die Vertragskompetenz über die Ausführung der Gesetze zugefallen. "Nur soweit dem Bunde keine Gesetzgebung und Eigenverwaltung zukommt, oder er von ersterer keinen Gebrauch gemacht hat, ist für Länderverträge Raum78 ." bb) Schlußfolgerungen für die Entscheidungsbefugnis im Auslieferungsrecht Aus der Vertragsnatur der Auslieferung folgt auf Grund der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung auf dem Gebiet des völkerrechtlichen Vertragsschließungsrechts zwischen Bund und Ländern, daß die Bewilligung der Auslieferung ausschließlich Sache des Bundes ist. Eine Zuständigkeit der Länder ist unter keinen Umständen gegeben, unabhängig davon, ob die Auslieferungsverwaltung von den Ländern als eigene Angelegenheit wahrgenommen wird oder ob die Länder insoweit nur Befugnisse des Bundes ausüben7u • Art. 32 Abs. 3 GG knüpft hinsichtlich der Vertragsgewalt der Länder allein an die Zuständigkeit zur Gesetzgebung an. Für die Ausführung von Bundesgesetzen nach Art. 83 ff. GG besitzen die Länder kein Vertragsschließungsrecht80 • Mit der Zuweisung der Gesetzgebung über die Auslieferung in die ausschließliche Kompetenz des Bundes ist für Verträge der Länder auf dem Gebiet des Auslieferungswesens, seien es "generelle" oder wie bei Auslieferungsbewilligungen "spezielle" Verträge, kein Raum mehr. Die Vertragstheorie bestätigt somit die schon im Gesetzgebungsverfahren des DAG 78 Laband, Bd. II S.167; Hallmayer, S.20, und die dort Zitierten; Mosler, Kulturabkommen, S.14, 15: "Auf diese Weise wird die Vertragskompetenz durch ein sachfremdes Gruppierungsprinzip bestimmt." "Die Verteilung der auswärtigen Zuständigkeiten entsprechend dem Umfang der inneren schleppt sich seit 1867 durch das deutsche Staatsrecht, obwohl sie längst der Berechtigung entbehrt"; vgl. auch Kaiser, Erfüllung, S. 541. 77 Anschütz, Art. 78 Anm. 4. 78 Kraus, Zuständigkeit, S. 423. 7U Vgl. die Auffassung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrats zum Entwurf eines Gesetzes zu dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. 12. 1957 und zu dem Europäischen übereinkommen vom 20.4.1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen, BT-Drucksache lVI 382 Anlage 3. 80 Rudolf, Internationale Beziehungen, S. 65; Reichet, S. 163 ff.

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von der Reichsregierung vertretene Auffassung, § 44 Abs. 1 DAG gebe nur die ohnehin nach der Verfassung bestehende Rechtslage wieder und habe daher lediglich deklaratorische Bedeutung. Im Hinblick auf die insoweit unveränderte Verfassungsrechtslage trifft diese Feststellung auch heute zu. g) Die völkerrechtliche Vertretung des Bundes bei Auslieferungsentschließungen Das Auslieferungsgesetz hat sich nicht mit der Feststellung begnügt, die Entscheidung über Auslieferungsersuchen sei Sache des Bundes und nicht der Länder. Es bestimmt darüber hinaus die Bundesregierung als die zur Entscheidung zuständige Stelle. In der Praxis werden Auslieferungsersuchen und die Entscheidung darüber in die Form von Verbalnoten gekleidet, die namens der Regierung dem ausländischen Staat auf diplomatischem Wege übermittelt werden. Die Zuständigkeitsverteilung des Auslieferungsgesetzes und die Auslieferungspraxis weichen damit von der Regelung über die Vertretung des Bundes im völkerrechtlichen Verkehr ab. Nach Art. 59 Abs. 1 GG vertritt der Bundespräsident den Bund völkerrechtlich und schließt im Namen des Bundes die Verträge mit auswärtigen Staaten81 • Dennoch besteht kein Anlaß, an der Vereinbarkeit von Gesetz und Praxis mit der verfassungsrechtlichen Kompetenzzuweisung zu zweifeln. Der Grundsatz, daß der Bundespräsident die Verträge mit auswärtigen Staaten schließt, erleidet heute ebenso wie schon zur Weimarer Zeit so zahlreiche Durchbrechungen, daß die Ausnahmen zur Regel zu werden drohen82• Schon die Staatspraxis des Kaiserreichs hatte es für zulässig erachtet, daß bei Vertragsverhandlungen über minder wichtige Gegenstände die Bevollmächtigten nicht nur zur Vereinbarung eines Vertragsentwurfs, sondern auch zum Abschluß eines endgültigen, das Reich bindenden Vertrags ermächtigt wurden83 • Gegen diese Praxis bestanden auch unter der Weimarer Reichsverfassung nach herrschender Meinung keine Bedenken84• In der Völkerrechtslehre hat sich für die so entstandene Vertragskategorie der Begriff Regierungs- oder Verwaltungsabkommen entwickelt85• Vgl. für die Weimarer Republik den entspr. Art. 45 Abs. 1 WRV. Vgl. Bittner, S. 58 ff., nach dem das Verhältnis zwischen Vertragsurkunden, in denen die Staatsoberhäupter als Auftraggeber bezeichnet waren, und denjenigen, die nur noch die Regierungen als Vertragspartner nannten, schon zur damaligen Zeit 1 : 9 betrug. 83 A nschütz, Art. 45 Anm. 2; Beer, S. 28. 8' Anschütz, Art. 45 Anm.2, mit weiteren Nachweisen; Pohl, Die Zuständigkeiten, S. 492; Schmitz, S. 370 ff.; BeeT, S. 29. 85 Vgl. Dahm, Bd. 3 S. 19 ff. 81

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Mit der Anerkennung dieser Vertragskategorie ist der klassische Staatsvertragsbegriff nicht unerheblich erweitert und abgewandelt worden. Nach der Völkerrechtslehre war den Staatsverträgen ursprünglich der Abschluß im Namen des Staatsoberhaupts in solenner Form und die Ratifikation durch das Staatsoberhaupt wesentlich88• Nicht von ungefähr sind daher zunächst Zweifel geäußert worden, ob derartige Verträge überhaupt als dem Völkerrecht unterstehende Staatsverträge anzusehen seien. Bittner87 sprach ihnen die Eigenschaft völkerrechtlicher Verträge ab. Nach ihm handelt es sich bei den von Ministern beurkundeten Verträgen nicht um Verträge des Staates, sondern nur um Verträge der von den Ministern geleiteten Staatsanstalten des einen Staates mit entsprechenden Staatsanstalten des anderen Staates. Subjekte der Verträge seien nicht die Staaten, sondern die betreffenden staatlichen Anstalten oder Unternehmungen. Diese Auffassung hat sich jedoch nicht durchgesetzt. Sowohl das Völkerrecht wie auch das Staatsrecht gehen heute von der Gleichstellung solcher formlosen, nicht solennen Verträge mit den klassischen Staatsverträgen aus. An ihrer Gültigkeit kann heute nicht mehr gezweifelt werden. Die deutsche Verfassungspraxis hat die Befugnis anderer Staatsorgane zum Abschluß völkerrechtlicher Staatsverträge seit langem anerkannt. § 106 Abs. 2 des Allgemeinen Teils der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Reichsministerien von 192488 räumte dem Reichspräsidenten bei Vertragsabschlüssen durch andere Organe nur das Recht der Information und Unterrichtung über alle schwebenden Vertragsverhandlungen ein8e und sanktionierte dadurch die bereits bestehende PraxisDo • Daß bei minderwichtigen Akten die Rechte und Pflichten des Bundespräsidenten hinsichtlich der völkerrechtlichen Vertretung der Bundesrepublik von der Bundesregierung, dem Bundeskanzler, dem Bundesminister des Äußeren oder einem anderen Fach-

Meissner, S. 17; Stiiben, S. 66. Bittner, S. 354, 355 und Anm. 189. 88 Abgedruckt bei Grewe, S. 370. 8. "Soweit bisher bei Verwaltungsabmachungen im. völkerrechtlichen Verkehr Vollmachten des Staatsoberhaupts nicht üblich waren, bleibt es dabei. Der Reichspräsident ist jedoch zu unterrichten, bevor Verhandlungen eingeleitet werden, die vertragliche Abmachungen bezwecken." 10 Vgl. Schmitz, S. 316 ff.; in der jetzigen Gemeinsamen Geschäftsordnung ist eine entsprechende Vorschrüt zwar nicht enthalten; dem Recht des Bundespräsidenten auf Information entspricht der allgemein gehaltene § 5 der Geschäftsordnung der Bundesregierung: "Der Bundeskanzler unterrichtet den Bundespräsidenten laufend über seine Politik und die Geschäftsführung der einzelnen Bundesminister durch übersendung der wesentlichen Unterlagen, durch schriftliche Berichte über Angelegenheiten von besonderer Bedeutung sowie nach Bedarf durch persönlichen Vortrag"; Bekanntmachung vom 11.5. 1951, Sammelblatt 1951, S. 669 ff. 88

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minister ausgeübt werden können, entspricht der herrschenden Meinung in der staats- und völkerrechtlichen Literatur91 • Keine Einigkeit besteht dagegen darüber, auf welcher Rechtsgrundlage die Befugnisse ausgeübt werden. Neben der ausdrücklichen Ermächtigung kommt die Annahme einer stillschweigenden Ermächtigung oder eines völker- und staatsrechtlichen Gewohnheitsrechts in BetrachtD2• Für den Abschluß von Regierungs- und Ressortabkommen wird darüber hinaus gelegentlich die Bundesregierung oder der zuständige Ressortminister als ursprünglicher völkerrechtlicher Vertreter der Bundesrepublik Deutschland angesehen93 • Nachdem das Grundgesetz selbst den Begriff "Verwaltungsabkommen" übernommen hat94, der die Zulässigkeit des Abschlusses völkerrechtlicher Staatsverträge durch die Regierung oder einzelne Ressortminister einschließt, hat die gewohnheitsrechtliche Praxis des internationalen Verkehrs, der sich die Verfassungspraxis - ohne ausdrückliche Änderung der Verfassungstexte angepaßt hat 9S , auch eine gewisse verfassungsrechtliche Legitimation erfahren DS • Für völkerrechtliche Erklärungen im Auslieferungsverkehr - mit Ausnahme des Abschlusses genereller Auslieferungsverträge - wird man die Zuständigkeit der Bundesregierung kraft Völker- und Staatsgewohnheitsrechts unbedenklich in Anspruch nehmen können. Wenn das Auslieferungsgesetz die Entscheidung über Ersuchen ausländischer Regierungen daher nicht dem Bundespräsidenten, sondern der Bundesregierung zuweist, trägt es damit lediglich dem staats- und völkerrechtlichen Brauch Rechnung. Die Kompetenznorm entspricht nicht nur insoweit dem geltenden Recht, als sie von der Zuständigkeit des Bundes ausgeht, auch die Kompetenzzuweisung an die Bundesregierung gibt die bestehende Rechtslage zutreffend wieder97 • Wenn der Entwurf eines neuen Auslieferungsgesetzes es dabei beläßt, die Bundesregierung für zuständig zu erklären, sind insoweit verfassungsrechtliche Bedenken nicht zu erheben. 91 Vgl. Menzel, BK Art. 59 Anm. II 1; Klein, Anerkennung, S.204; v. Mangoldt-Klein, Art.59 Anm.IlI 3 e; Mosler, Die auswärtige Gewalt, S.282; Härle, Die völkerrechtlichen Verwaltungsabkommen, S.123; Dahm, Bd.3 S. 19 fI.; zum Wandel der völkerrechtlichen Anschauungen vgl. Reichel, S. 54 f. tt Vgl. BeeT, S. 43. ea v. Mangoldt-Klein, Art. 59 Anm. 111 3 e. 94 Art. 59 Abs. 2 Satz 2, vgl. auch § 77 GGO II . • 5 Vgl. Mosler, Die auswärtige Gewalt, S. 282. .. BernhaTdt, S. 159: Der Verfassunggeber habe durch Art. 59 Abs.2 Satz 2

die schon lange geübte Praxis, bei Vereinbarungen sekundärer oder technischer Bedeutung das staatsoberhaupt nicht zu nennen und zu beteiligen, gutgeheißen; vgl. ferner Stüben, S. 86. 81 Was für die Entscheidung über Ersuchen ausländischer Regierungen gesagt worden ist, gilt gleichermaßen für die Zuständigkeit der Bundesregierung, Auslieferungsersuchen zu stellen.

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise 2. Die Beteiligung der Länder an den Entscheidungskompetenzen des Bundes (§ 44 Abs. 2 DAG)

a) Die gesetzliche Regelung und ihre Ausgestaltung durch die Verordnung von 1930 und die Zuständigkeitsvereinbarung aus dem Jahre 1952

Mit der Bejahung der Zuständigkeit des Bundes zur Entscheidung in Auslieferungseinzelsachen stellt sich zwangsläufig die zweite oben aufgeworfene Frage, ob, in welchem Umfang und in welcher Form die Länder an der Ausübung der Bundeskompetenz beteiligt werden können. An dem praktischen Bedürfnis für eine Mitwirkung der Länder im Auslieferungswesen, auch soweit es um die Entscheidungsbefugnisse nach § 44 Abs. 1 DAG geht, bestand von Anfang an kein Zweifel. Der Rechtsausschuß ist bei den Beratungen des Auslieferungsgesetzes davon ausgegangen, "es sei weder notwendig, noch auch nur angezeigt, noch überhaupt möglich, daß die Reichsregierung selbst die sämtlichen, ihr nach § 44 Abs. 1 DAG obliegenden Entscheidungen treffe"98. Der Gesetzgeber ermächtige daher die Reichsregierung in § 44 Abs. 2 DAG, die Ausübung ihrer Befugnisse den Landesregierungen zu übertragen; gleichzeitig räumte er den Landesregierungen das Recht der Weiterübertragung ein99 • Von der ihr eingeräumten Ermächtigung machte die Reichsregierung durch die Verordnung zur Durchführung des § 44 DAG vom 11. 3.1930100 Gebrauch. Hinsichtlich der Tragweite des § 44 Abs. 2 DAG bestand von jeher Einigkeit darüber, daß mit der Beteiligung der Länder an den Entscheidungsbefugnissen zwischen den Reichsbehörden und den Landesbehörden ein Verhältnis hergestellt werde, das als Auftragsverwaltung bezeichnet zu werden pflegte1D1 , bei der ein jederzeitiges Kontrollund Eintrittsrecht des Reichs bestand. Der Einwand, daß ein ausdrücklicher Vorbehalt der Leitungsbefugnis des Reichs, wie er in anderen Fällen einer Auftragsverwaltung üblich sei, sowohl im § 44 DAG wie in der Verordnung vom 11. März 1930 fehle, wurde als nicht durchschlagend angesehen. Die Leitungsbefugnis des Reichs ergebe sich zum einen aus dem letzten Absatz der Verordnung von 1930, der die Landesregierungen verpflichte, mit der Reichsregierung in allen Fällen ins Benehmen zu treten, denen besondere Bedeutung in tatsächlicher oder rechtlicher Beziehung zukomme l02, zum anderen habe es eines ausdrücklichen 98 99

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102

Vgl. Mettgenberg-Doemer, S. 500. § 44 Abs. 2 Satz 2 DAG. Reichsministerialbl. 1930, S. 6I. Vgl. Mettgenberg-Doemer, S. 500; Behr, S. 108; Reisner, S. 115. Reisner, S. 115.

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Vorbehalts schon deshalb nicht bedurft, weil nur die Ausübung des Entscheidungsrechts übertragen, das Entscheidungsrecht selbst dagegen nicht abgetreten worden sei. In dieser Beschränkung komme der Vorbehalt der Leitungsbefugnis für die Reichsbehörden hinreichend deutlich zum Ausdruckl03. Unter der Weimarer Reichsverfassung bestand kein Anlaß zu Bedenken, die gesetzesausführende Tätigkeit durch einfaches Reichsgesetz als "Auftragsangelegenheit" auf Landesbehörden zu übertragen. Die Landesbehörden wurden dadurch einer von der gemeingültigen Reichsaufsicht des Art.15 WRV verschiedenen Leitungsgewalt (Dienstaufsicht) der Reichsregierung unterstellt und infolgedessen unbeschadet ihrer Eigenschaft als Landesorgane dienstlich so behandelt, als wären sie reichseigene Behörden, nachgeordnete Stellen der Reichsregierung104 • Entgegen der Weimarer Reichsverfassung, die den Begriff der Auftragsverwaltung nicht kanntelOS, spricht das Bonner Grundgesetz zwar von der Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder im Auftrag des Bundes. Gleichzeitig bringt das Grundgesetz aber eine im Verhältnis zur Weimarer Reichsverfassung wesentliche Einschränkung der Auftragsverwaltung, und zwar sowohl hinsichtlich ihres Inhalts wie auch ihrer Begründung. Die im Art. 85 GG geregelte Form des Zusammenwirkens zwischen Bund und Ländern "erscheint nicht, wie die Auftragsverwaltung der Reichsreformbewegung, als Bundesverwaltung, bei der die Behörden der Länder als Organe benutzt werden, sondern als Landesverwaltung, die nur in stärkerem Maße der Kontrolle des Bundes unterworfen ist"108. Davon abgesehen gilt die in Art. 85 GG geregelte Form der Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder "im Auftrag des Bundes" nur noch für einen kleinen, im Grundgesetz ausdrücklich bestimmten Kreis von Angelegenheiten. Dieser Kreis kann im Gegensatz zur Rechtslage unter der Weimarer Reichsverfassung nicht durch einfaches Bundesgesetz erweitert werden. Die Begründung einer im Grundgesetz nicht vorgesehenen Auftragsverwaltung bedarf vielmehr eines verfassungsändernden Gesetzes107• Die Auslieferung gehört nicht zu den im Grundgesetz aufgeführten Aufgaben, die die Länder im Auftrag des Bundes erfüllen. § 44 Abs. 2 DAG kommt deshalb als Grundlage für eine Auftragsverwaltung nicht mehr in Betracht. 103 Vgl. Behr, S. 109: "Die Verordnung vom 11. März 1930 enthält keine Verfügung über dieses (Entscheidungs-)Recht; darum können die Länder auch in Zukunft aus der Verordnung keinen dauernden Rechtstitel herleiten." 10' Anschütz, § 14 Anm. 4; Poetzsch-Heffter, S. 13I. 105 Die Auftragsverwaltung bestand nur in Einzelfällen, sie ist institutionell im Landesrecht erwachsen; vgl. Lassar, S. 314. 108 Herrfahrdt, BK Art. 85, Anm. I; Maunz-Dürig, Art. 85 RdNr. 1, 5, 6. 107 Art. 83 GG, einhellige Ansicht, vgl. Herrfahrdt, BK Art.85 Anm.2; Maunz-Dürig, Art. 85 RdNr. 2 mit weiteren Nachweisen.

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

Schon bald nach dem Inkrafttreten des GG ist daher behauptet worden, § 44 Abs. 2 DAG sei verfassungswidrig und als nicht mehr gültig anzusehen l08 • Auch die Verordnung von 1930 sei ungültig geworden, weil ihr mit der Verfassungswidrigkeit des § 44 Abs.2 DAG die Grundlage entzogen worden sepoo. Die süddeutschen Länder, die auf die ihnen durch die Verordnung von 1930 übertragenen Befugnisse nicht verzichten wollten, haben dieser Ansicht widersprochenl1O • Da eine einheitliche Auffassung nicht zu erzielen war, die Bedürfnisse der Praxis jedoch eine Beteiligung der Länder am Auslieferungsverkehr in dem früheren Umfang unerläßlich machten, einigten sich Bund und Länder ~ die süddeutschen Länder allerdings nur unter ausdrücklichem Vorbehalt ihrer abweichenden Rechtsauffassungl11 - auf einen Komprorniß: sie schlossen die Zuständigkeitsvereinbarung vom 20. 2. 195211! als einfaches Verwaltungsabkommen. Die Zuständigkeitsvereinbarung lehnt sich eng an die Verordnung von 1930 an. Die im § 44 Abs. 1 DAG bezeichneten Angelegenheiten werden als Bundesgeschäfte behandelt, auch wenn sie von den Landesbehörden durchgeführt werden l13 • Zwar sind die Länder auch nach der Zuständigkeitsvereinbarung an Weisungen der Bundesregierung nicht ausdrücklich gebunden, sondern nur verpflichtet, den jeweils für die Behandlung von Rechtshilfeersuchen vom Bund geäußerten »Bedenken Rechnung zu Grützner, Vereinbarung, S. 8; ders., Bd. I A 3 Vorbem. 2; Meyer, S.159. Meyer, S. 160; Grützner, Bd. I Vorbem. 1; ders., Vereinbarung, S. 8, nach dessen Ansicht die Verordnung von 1930 durch § 1 des zweiten Gesetzes zur 108

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Überleitung der Rechtspflege auf das Reich vom 5. 12. 34 gegenstandslos geworden ist; zu den abweichenden Begründungen vgl. Meyer, S. 159 f.; der Streit um die richtige Begründung ist jedenfalls praktisch bedeutungslos, nachdem alle Beteiligten in Nr. 12 der Zuständigkeitsvereinbarung vom 20. 2. 1952 ausdrücklich festgestellt haben, sie seien darüber einig, daß die Verordnung vom 11. 3. 1930 unanwendbar sei. 110 Meyer, S. 160; Grützner, Vereinbarung, S. 8. 111 Die Bayerische Staatsregierung hat bei der Unterzeichnung der Zuständigkeitsvereinbarung folgende Erklärung abgegeben: "Die Unterzeichnung der Vereinbarung erfolgt seitens der Bayerischen Staatsregierung mit der ausdrücklichen Erklärung, daß Bayern an der von ihm bisher vertretenen Rechtsauffassung (vgl. hierzu bereits die Stellungnahme der Bayerischen Regierung zur Aufzeichnung des Reichsjustizministeriums über die verfassungsmäßige Zuständigkeitsregelung auf dem Gebiet des Auslieferungswesens - Drucksache des 13. Ausschusses des Reichstags 1928 Nr. 54, abgedruckt bei Mettgenberg, Kommentar, Anhang Abschnitt 11 B S. 511) auch für die Folge festhält. In der Unterzeichnung der Vereinbarung durch die Bayerische Staatsregierung liegt daher keine Anerkennung der Rechtsauffassung, daß es sich bei den auf Grund der Vereinbarung von den Landesregierungen im Bereich des Rechtshilfeverkehrs mit dem Ausland in Strafsachen wahrzunehmenden Befugnissen um solche des Bundes handelt." Abgedruckt bei Grützner, Vereinbarung, S.8. 11! BA Nr. 78 vom 23. 4. 1952, S. 1. 113 Mettgenberg-Doerner, S. 502, unter Berufung auf Grützner, Vereinbarung, S. 8.

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tragen". Aber wie seinerzeit für die Verordnung von 1930, so ergibt sich auch für die Zuständigkeitsvereinbarung aus der auf die Ausübung der Befugnisse beschränkten übertragung die rechtliche Möglichkeit der Bundesregierung, im Einzelfall auf eine bestimmte Entscheidung hinzuwirken oder die Entscheidung an sich zu ziehenll4• Die Zuständigkeitsvereinbarung regelt somit das Verhältnis zwischen Bund und Ländern in einer Art, die die Merkmale der Auftragsverwaltung in der Weimarer Zeit aufweist, nämlich als Bundesverwaltung durch die Länder. Die Ausführungen Grützners 115, der als Referent des Bundesjustizministeriums am Zustandekommen der Zuständigkeitsvereinbarung maßgeblich beteiligt war, lassen erkennen, daß die verfassungsrechtliche Problematik einer derartigen Regelung bei den Vorarbeiten durchaus gesehen worden ist. Darauf deutet etwa die Feststellung hin, daß im Hinblick auf die grundsätzlich ausschließliche Kompetenzzuweisung durch das Grundgesetz weder der Bund eine den Ländern überlassene Materie an sich ziehen, noch der Bund ein zu seiner Zuständigkeit gehörendes Recht aus Zweck:mäßigkeitsgründen auf die Länder delegieren könne. Es bestand daher auch Einigkeit darüber, daß es nicht möglich sei, außer bei den im Grundgesetz ausdrücklich genannten Fällen durch einfaches Gesetz oder Verordnung eine Auftragsverwaltung der Länder zu begründen. Die Rechtsgrundsätze, die zu dieser Frage unter der Weimarer Reichsverfassung entwickelt worden seien, könnten heute nicht mehr herangezogen werden, weil die einschlägigen Bestimmungen des Grundgesetzes wesentlich starrer seien. Wenn die Beteiligten gleichwohl geglaubt haben, sich über diese Bedenken hinwegsetzen zu sollen, dann waren dafür vor allem die folgenden beiden Erwägungen ausschlaggebend: Einerseits handele es sich bei der Zuständigkeitsvereinbarung weder um ein Gesetz noch um eine Verordnung, sondern um ein einfaches Verwaltungsabkommen zwischen dem Bund und den Ländern. Andererseits vermöge die Bundesregierung den gesamten Rechtshilfeverkehr nicht allein durchzuführen, sie bedürfe dazu nun einmal der Mithilfe der LänderlU. Gestützt auf diese Argumente gelangt auch Meyer 117zu dem Ergebnis, man werde es trotz gewisser Bedenken als zulässig ansehen müssen, daß sich der Bund der Ausübung ihm zustehender Befugnisse zugunsten der Länder in der vorgesehenen Weise begebe. Eine derartige freiwillige Übereinkunft zwischen Bund und Ländern, die nur die Übertragung der Ausübung 114 Vgl. Mettgenberg-Doerner, S. 501; Grützner, Härle, staatsverträge, S. 115 Anm. 2 a. E. 115 Grützner, Vereinbarung, S. 8. 118 Vgl. GTÜtzner, Vereinbarung, S. 8. 117 Meyer, S. 161.

Bd~

I A 3 Anm. 1; a. A.

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eines dem Bunde zustehenden Hoheitsrechts unter bestimmten Bedingungen und in einem bestimmten Ausmaß zum Gegenstand habe, berühre nicht "unmittelbar" die im Grundgesetz vorgesehene Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern und widerspreche daher nicht dem Grundgesetz. Der Versuch, daneben Art. 35 GG als Rechtsgrundlage für das einverständliche Zusammengehen von Bund und Ländern heranzuziehen l18 , scheitert schon daran, daß unter den Begriff Rechts- und Amtshilfe in der Regel nur ein spezielles Ersuchen fällt. Davon abgesehen enthält diese Vorschrift keine Ermächtigung, unter Veränderung der allgemeinen Zuständigkeitsordnung Hoheitsakte durch eine dafür an sich nicht zuständige Stelle vornehmen zu lassen11l• Die ganze Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtslage kommt in der Bemerkung zum Ausdruck, daß die letzte Entscheidung in dieser Frage das BVerfG zu treffen habe120 • b) Die Zuständigkeitsvereinbarung als Regelung von Verwaltungs-

zuständigkeiten und das geltende Verfassungsrecht

Vom Standpunkt der herrschenden Meinung aus, die das Problem ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des Zusammenwirkens von Bund und Ländern im Verwaltungsbereich sieht, lassen sich die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Zuständigkeitsvereinbarung schwerlich unterdrücken. Diese Zweifel richten sich allerdings nicht dagegen, daß Bund und Länder überhaupt in der Form von Verwaltungsvereinbarungen zusammenwirken. Entgegen der im älteren staatsrechtlichen Schrifttuml2l vertretenen Auffassung, die mit Rücksicht auf die Kompetenz-Kompetenz des Gesamtstaates und mangels Gleichordnung der Vertragschließenden die Zulässigkeit öffentlich-rechtlicher Verträge zwischen dem Gesamtstaat und den Gliedstaaten verneinte, läßt die heutige staatsrechtliche Praxis erkennen, daß öffentlich-rechtliche Verträge zwischen Gesamtstaat und Gliedstaaten ebenso wie solche der Gliedstaaten untereinander grundsätzlich als zulässig angesehen werden122• Die Abgrenzung von Zuständigkeiten oder die Ausübung von Vgl. Meyer, S. 160/161. Vgl. Maunz-Dürig, Art. 35 RdNr. 1; Forsthoff, S. 91 ff. 1%0 Meyer, S. 161/162. 121 Vgl. die übersicht bei Ficker, S. 4 ff. 122 Vgl. Maunz-Dürig, Art. 32 RdNr.75; Kälble, S. 650 ff.; im Gegensatz zu der eingehenden Behandlung verwaltungsrechtlicher Verträge zwischen Trägern hoheitlicher Gewalt und Gewaltunterworfenen, vgl. statt aller Bullinger, sowie zwischen gleichgeordneten Trägern hoheitlicher Gewalt, s. dazu die Berichte von Schneider und Schaumann, S. 1 ff. und 86 ff., hat die Lehre den öffentlichen Verträgen zwischen Gesamtstaat und Gliedstaaten seit der umfassenden Darstellung Fickers kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Diese Lücke schließt jetzt die Monographie von Grawert. . 118

110

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Zuständigkeiten der Verwaltungen des Bundes und der Länder, wie sie der Zuständigkeitsvereinbarung vorschweben, bilden typische Gegenstände solcher Verwaltungsabkommen123• Die enge Anlehnung an die Verordnung von 1930 und ihre Ersatzfunktion lassen es jedoch zweifelhaft erscheinen, ob die Grenzen, die für die Zulässigkeit von Verwaltungsabkommen bestehen, im Falle der Zuständigkeitsvereinbarung eingehalten worden sind. Die Zuständigkeitsvereinbarung fällt - wie ihr Name verrät - unter die Gruppe derjenigen Verwaltungsabkommen, die die verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten von Bund und Ländern zum Gegenstand haben. Die Problematik dieser Vereinbarungen kommt in der Frage zum Ausdruck, ob und inwieweit innerhalb eines Bundesstaates durch die Verfassung festgelegte Zuständigkeiten des Bundes und der Länder durch Verwaltungsabkommen manipulierbar sind124 • Ihre Beantwortung hängt in erster Linie von der Intensität der angestrebten Zuständigkeitsveränderung ab. Es kommt entscheidend darauf an, ob die Vereinbarung die Zuständigkeitsordnung wirklich ändert oder ob nur die übertragung der Ausübung einer Zuständigkeit ohne eigentliche Kompetenzänderung gewollt ist. Die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten entsprechen der Unterscheidung zwischen der Delegation und dem Mandat im öffentlichen Recht. Nach der immer noch gültigen Begriffsbestimmung Triepels 125 ist die Delegation ein Rechtsakt, durch den der Inhaber einer staatlichen Zuständigkeit seine Kompetenz ganz oder zum Teil auf ein anderes Subjekt überträgt. Delegation bedeutet Kompetenzverschiebung128• Im Gegensatz dazu läßt das Mandat, durch das der Inhaber einer Zuständigkeit einem anderen Subjekt die Vollmacht erteilt, des Mandanten Kompetenz in dessen Namen auszuüben, die bestehende Zuständigkeitsordnung unberührt. Der Mandatar erhält keine neue und der Mandant verliert kein Stück seiner Kompetenz. Der Mandatar übt eine fremde Kompetenz in fremdem Namen aus. Die vom Mandatar getroffenen Maßnahmen gelten daher als Maßnahmen des Mandanten als des eigentlichen Inhabers der Zuständigkeit127 • Bedingt durch die Wesensverschiedenheit beider Institute weichen die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Delegation einerseits und ein Vgl. die Zusammenstellung bei Grawert, S. 299 ff.; Kölble, S. 652. Vgl. Grawert, S. 178. 125 Triepel, Delegation, S. 23. 128 Vgl. dazu im einzelnen Obermayer, S.625; Klein, Anerkennung, S. 205 ff.; derselbe, Verordnungsermächtigungen, S. 8 f.; Wolff, Bd. II S.18; Peters, Die staatsrechtliche Ermächtigung, S.69; a.A. Barbey, s. dazu unten 123

124

S. 87 ff. 127 Wolff, Bd. II S. 19; Klein, Anerkennung, S. 209.

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Mandat andererseits grundlegend voneinander ab. Da ein Mandat keinerlei Veränderung der bestehenden Kompetenzverteilung bewirkt, kann seine Zulässigkeit an weniger strenge Voraussetzungen geknüpft werden128• Die Übertragung einer Kompetenz durch eine Delegation ist dagegen nur zulässig, wenn das delegierende Organ die Norm, die ihm die Kompetenz zuweist, ändern kann oder wenn die Norm die Übertragung gestattet. Beruht die Kompetenz auf Organisationsnormen, die Rechtssätze sind, so ändert die Delegation eine durch das objektive Recht festgesetzte Zuständigkeitsordnung und damit das objektive Recht selbst. Eine wirksame Delegation erfordert mithin nicht nur materiellrechtlich eine gesetzliche oder sogar verfassungsgesetzliche Ermächtigung, je nachdem, ob die Zuständigkeit durch Gesetz oder Verfassung begründet wurde, sondern in formell-rechtlicher Hinsicht ein Rechtsetzungsverfahren mit ordnungsmäßiger Verkündungl28 • Eine Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern scheidet somit als Rechtsform für die Übertragung von Zuständigkeiten von vornherein aus. Diese Feststellung ist im Zusammenhang mit der Zuständigkeitsvereinbarung von 1952 insofern bedeutsam, als die Beteiligung der Länder am Auslieferungsverkehr auf Grund des § 44 Abs. 2 DAG verschiedentlich als Beispiel für eine Delegation in Anspruch genommen worden ist. So führt etwa Triepel die "Delegation des Rechts zur Bewilligung von Auslieferungsersuchen des Auslands" ausdrücklich unter den von ihm genannten Beispielen ant30 • Von einem abweichenden Delegationsbegriff ausgehend erwähnt auch Barbeytal den § 44 Abs.2 DAG als Muster einer Delegationsnorm. Im Wortlaut und in der Entstehungsgeschichte des Gesetzes findet diese Ansicht jedoch keine Stütze. Aus der Tatsache, daß § 44 Abs.2 DAG den Begriff "übertragen" gebraucht, kann auf eine Delegation nicht geschlossen werden. Die Entstehungsgeschichte läßt keinen Zweifel daran, daß nicht die Entscheidungsbefugnis selbst, sondern nur die Ausübung dieser Befugnis Gegenstand der Übertragung ist. Zwar wurde es als unerläßlich angesehen, die Landesregierungen an den nach § 44 Abs. 1 DAG zu treffenden Entscheidungen im Interesse der Entlastung der Bundesregierung zu beteiligen. Eine Übertragung der Befugnisse selbst wurde aber stets als nicht angängig betrachtet, da die Reichsregierung auf die rechtliche 118 Vgl. dazu Obermayer, S.628, der zutreffend vor einer nahezu unbeschränkten Zulassung von Mandaten im öffentlichen Recht warnt. tU Klein, Verordnungsermächtigungen, S. 8, 9, 72; ders., Anerkennung, S. 206 ff.; Triepel, Delegation, S. 29,88, 110, 127; Obermayer, S. 626,629; Rasch, S.338; WoljJ, Verwaltungsrecht, S.18; Hess. VGH Urteil vom 24.11. 1950, VerwRspr. Bd. 4 (1952) S. 565 ff., Urteil vom 25.4. 1952, DÖV 1953 S. 88-90. t30 Triepel, Delegation, S. 97. 131 Barbey, S. 121 Anm. 5 b; seine Schrift nennt sich im Untertitel ausdrücklich "Eine Auseinandersetzung mit der Delegationslehre H. Triepels".

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Möglichkeit, im Einzelfall auf eine bestimmte Entscheidung hinzuwirken oder die Entscheidung an sich zu ziehen, keinesfalls verzichten wollte. Die nur der Ausübung nach übertragenen Angelegenheiten sollten Reichsgeschäfte bleiben, welche die Landesbehörden nur als beauftragte Organe der Reichsregierung wahrnehmen. Zutreffend weist daher Mettgenberg darauf hin, daß die Entscheidungen über ausländische Ersuchen - auch wenn sie von den Landesregierungen getroffen werden - sachlich immer im Namen des Reiches zu erlassen seien132• Sowohl die Verordnung von 1930 wie auch die Zuständigkeitsvereinbarung von 1952 halten sich streng an das Gesetz. Beide regeln die Beteiligung der Länder am Auslieferungsverkehr in der Weise, daß sie den Ländern nur das Recht einräumen, die beim Reich bzw. Bund verbleibenden Befugnisse auszuüben. Bezeichnenderweise behandeln die Verträge und Vereinbarungen mit den Staaten, denen gegenüber die Bundesländer die dem Bund zustehenden Befugnisse ausüben, die Beteiligung der Länder als eine Regelung des Geschäftswegs133 • Damit ist auch nach außen klargestellt, daß die Kompetenzen unverändert beim Bund verbleiben und daß die Bundesregierung die Verantwortung für die Entscheidung im Einzelfall sowohl gegenüber dem ersuchenden Staat wie auch innerstaatlich gegenüber dem Parlament trägt134 • Für eine Delegation der Kompetenz des Bundes zur Entscheidung über ausländische Auslieferungsersuchen auf die Länder bietet das geltende Recht daher keine Anhaltspunkte. Die "Delegation zur Ausübung"135, die auch im DAG mit der gebräuchlichen Formel "zur Ausübung übertragen" umschrieben wird, stellt keine Delegation dar 138 • Ihr fehlt das wesentliche Merkmal jeder Delegation, die Kompetenzveränderung durch gleichzeitige Ab- und Zuschiebung einer Zuständigkeit. 131

Mettgenberg, Kommentar, S. 428 Anm. 126.

Vgl. z. B. Art. 13 des deutsch-österreichischen Auslieferungsvertrages vom 22.9.1958, BGBI. 1960 Teil II S. 1342,2319; Protokoll über den Austausch der Ratifikationsurkunden vom 6.7.1874 zum deutsch-schweizerischen Auslieferungsvertrag vom 24. Januar 1874, RGBl.1874 S.113; Bekanntmachung einer deutsch-dänischen Vereinbarung über die vorläufige Regelung des Rechtshilfeverkehrs in Strafsachen vom 8. 7. 1931, RGBI. 1931 Teil II S. 531. 1M Zur Wechselbeziehung zwischen den Vereinbarungen betreffend die abgekürzten Geschäftswege und der übertragung der Befugnis, das Entscheidungsrecht auszuüben, vgl. auch Reisner, S. 115. 115 Die Bezeichnung "Delegation zur Ausübung" wird als Widerspruch in sich mit Recht von Klein, Anerkennung, S. 209 Anm. 72, als unbrauchbar abgelehnt, weil sie die Unterschiede zwischen ganz verschiedenen Rechtsvorgängen verwische; sie wird auch hier nur mit entsprechendem Vorbehalt und in Anführungsstrichen verwendet. 138 Triepel, Delegation, S.26; Klein, Anerkennung, S.209 mit weiteren Nachweisen. 133

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Die abweichende Auffassung Barbeys beruht auf der Eigenart des von ihm entwickelten Delegationsbegriffs. Nach Barbey besteht die Delegation im öffentlichen Recht in der "Begründung einer außerordentlichen Zuständigkeit". Der Delegation sei allein wesentlich, daß eine Norm, die eine Kompetenz gewähre (Regelnorm), durch eine rangniedere Norm (delegierende Norm) verdrängt werde, wobei die regelwidrige Geltung der rangniederen delegierenden Norm auf einer der Regelnorm (Delegationsnorm) mindestens gleichrangigen Norm beruhe137 • Auf den Inhalt der Kompetenz soll es nicht entscheidend ankommen. Gegenstand einer Delegation könne auch die Begründung eines Mandats sein. Ausschlaggebend sei allein, ob eine außerordentliche Zuständigkeit des Mandatars begründet werde, und sei es auch nur die Zuständigkeit zur Ausübung der Kompetenz des Mandanten us . Auf der Grundlage eines solchen Delegationsbegriffs steht die Inanspruchnahme des § 44 DAG als Beispiel für eine Delegation im öffentlichen Recht nicht der Feststellung entgegen, der Gesamtstaat bleibe Träger der Zuständigkeit, die Regelung im DAG verändere die bestehende Kompetenzordnung nicht. Für einen Delegationsbegriff, der nur auf die Begründung einer außerordentlichen Kompetenz, unabhängig von ihrem Inhalt abstellt, besteht kein Widerspruch in der Annahme, § 44 Abs. 2 DAG begründe eine Auftragsverwaltung im Wege einer Delegation. Die Thesen Barbeys besagen daher für die Beurteilung der Zuständigkeitsvereinbarung unter bundesstaatlichen Gesichtspunkten nichts l30 • Allenfalls könnte noch an eine sog. konservierende Delegation gedacht werden, bei der der Delegant zwar eine Kompetenz überträgt, sich aber vorbehält, die gleiche Kompetenz nach Gefallen auch selber auszuüben140• In derartigen Fällen von einer Delegation zu sprechen, erscheint deshalb noch vertretbar, weil der Delegant die Kompetenz selbstwenn auch ohne Aufgabe seiner eigenen Zuständigkeit - überträgt und Barbey, S. 76 f. Vgl. Barbey, S. 56 Anm. 10; S. 110 Anm. 7. m Davon abgesehen bietet die Regelung im § 44 DAG selbst auf der Grundlage der Barbeyschen Begriffsbestimmung kein Beispiel für eine Delegation im öffentlichen Recht. Barbey geht ersichtlich davon aus, § 44 Abs. 1 DAG sei die Regelnorm, die mittels des § 44 Abs. 2 DAG als gleichrangiger Delegationsnorm von der rangniederen delegierenden Norm - der Zuständigkeitsvereinbarung - verdrängt werde. Die Untersuchungen über das Zuständigkeitsproblem im Auslieferungsrecht dürften aber hinlänglich gezeigt haben, daß § 44 Abs. 1 DAG nicht konstitutive, sondern nur deklaratorische Bedeutung hat. Die regelmäßige Kompetenznorm für die Zuständigkeit des Bundes zur Entscheidung über ausländische Ersuchen ist Art. 32 Abs. 1 GG. Damit scheidet § 44 Abs. 2 DAG als mindestens im Rang der Regelnorm stehende Delegationsnorm aus. Auf die Thesen Barbeys im einzelnen einzugehen, erübrigt sich damit in diesem Zusammenhang. 1(0 Triepel, Delegation, S. 53; Obermayer, S. 627. 137

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nicht nur die Ausübung der mit ihr verbundenen Befugnisse, so daß der Delegatar als Träger der Zuständigkeit im eigenen Namen auftreten kann. Gerade dadurch aber unterscheidet sich die konservierende Delegation von der übertragung zur Ausübung. Wem eine Zuständigkeit zur Ausübung übertragen worden ist, der übt nicht eine eigene, sondern eine fremde Kompetenz aus. Die Bevollmächtigung zur Ausübung fremder Kompetenzen schafft nur eine Art Stellvertretung, der Substitut handelt im Namen des Vollmachtgebers und mit Wirkung für und gegen ihn. Da die Zuständigkeitsvereinbarung die objektive Zuständigkeitsordnung des GG unangetastet läßt, kann der Vorwurf einer unzulässigen Verfassungsänderung gegen sie nicht erhoben werden. Aber auch der übertragung von Zuständigkeiten zur Ausübung, die als ein Minus gegenüber der übertragung der Substanz nach gedacht ist, sind Grenzen gesteckt, die sich insbesondere aus der Bundesstaatlichkeit der geltenden Verfassungsordnung ergeben. Die gelegentlich gegen die Zulässigkeit von Verwaltungsabkommen zur Ausübungsübertragung erhobenen rechtsstaatlichen Bedenkenl41 greifen jedoch gegenüber der Zuständigkeitsvereinbarung nicht durch. Zwar wird die übertragung von Bundeszuständigkeiten auf die Länder wegen überschreitung des eigenstaatlichen Bereichs nicht mehr von der Organisationsgewalt des Bundes gedeckt, aber im Falle der Zuständigkeitsvereinbarung kann sich die Exekutive auf die gesetzliche Gestattung des § 44 Abs.2 DAG stützen. Daß das Gesetz nicht eine Vereinbarung als übertragungsart vorsieht, dürfte nicht entscheidend ins Gewicht fallen. Ausschlaggebend ist der Umstand, daß das Gesetz eine übertragungsmöglichkeit vorsieht. Bis auf den Kern der Sache dringen auch die aus Anlaß des Abschlusses der Zuständigkeitsvereinbarung lautgewordenen Bedenken nicht vor l42 • Sie gründen sich auf Art. 83 GG und sehen die Zuständigkeitsvereinbarung dem Einwand ausgesetzt, die Bundesauftragsverwaltung sei nur in den im GG ausdrücklich genannten Fällen zulässig, ihr Anwendungsbereich könne nicht durch eine Verwaltungsvereinbarung, sondern nur im Wege einer Verfassungsänderung ausgedehnt werden. Dabei wird übersehen, daß die Auftragsverwaltung nach Art. 85 GG entgegen der irreführenden Bezeichnung nicht Bundesverwaltung durch die Länder, sondern Landesverwaltung mit stärkeren Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes ist. Art. 85 GG läßt die Zuständigkeitsregelung des Art. 83 GG unangetastet und weicht nur von der Regelung der Mitwirkungsrechte des Bundes, wie sie Art. 83 GG vorsieht, ab l43 • Im Gegensatz zur Konzeption des GG regelt die Zuständigkeitsverein141

142 143

Vgl. dazu und zum folgenden Grawert, S.183 fl'.; Obermayer, S. 625 fl'.

S. O. S. 75 f.

Vgl. Maunz-Düng, Art. 85 RdNr. 1, 5,6.

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barung die Beteiligung der Länder am Auslieferungsverkehr nach Art der früheren Auftragsverwaltung als Bundesverwaltung durch die Länder. Eine Auftragsverwaltung in diesem unter der Weimarer Reichs": verfassung entwickelten Sinn kennt das geltende Verfassungsrecht nicht. Die Regelung der Zuständigkeitsvereinbarung entspricht somit keiner der .vom Grundgesetz vorgeschriebenen und zugelassenen Verwaltungstypen. Darin liegt der entscheidende Grund für die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Zuständigkeitsvereinbarung. Das Grundgesetz geht von einem Typenzwang bei der Ausführung von Bundesgesetzen aus. "Andere als die von Art. 83 ff. GG selbst geschaffenen Typen dürfen grundsätzlich nicht ins Leben gerufen werden, es sei denn durch Verfassungsänderung144 ". In der Vorstellung, die Beteiligung der Län;. der an den Entscheidungsbefugnissen des § 44 Abs. 1 DAG in Anlehnung an die Verordnung von 1930 als eine Art Bundesverwaltung durch die Länder zu regeln, überschreitet die Zuständigkeitsvereinbarung die dem einverständlichen Zusammenwirken von Bund und Ländern durch die "scharfe und klare Trennung der Verwaltungsräume" und dem "Typenzwang" bei der Ausführung von Bundesgesetzen gezogenen Grenzen. Mit dem Hinweis, daß es sich bei der Zuständigkeitsvereinbarung weder um ein Gesetz noch um eine Verordnung, sondern um ein einfaches Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern handele145, lassen sich die Bedenken gegen die Zulässigkeit der Zuständigkeitsvereinbarung daher nicht ausräumen. Vom Standpunkt der herrschenden Meinung aus, die die Ausübung der Entscheidungsbefugnisse nach § 44 Abs. 1 DAG als Teil der gesetzes:" ausführenden Verwaltungstätigkeit auffaßt, ist die in der Zuständigkeitsvereinbarung getroffene Regelung über die Beteiligung der Länder am Auslieferungsverkehr nicht haltbar. Andererseits ist ein Bedürfnis für die Mithilfe der Länder bei der Durchführung des Rechtshilfeverkehrs, auch soweit es sich um die in § 44 Abs. 1 DAG geregelten Entscheidungsbefugnisse handelt, unleugbar vorhanden. c) Die Bedeutung der Vertragstheorie für die verfassungsrechtliche

Beurteilung der Zuständigkeitsvereinbarung

Die Erkenntnis, daß die Entscheidung über ein Auslieferungsersuchen die Annahme oder Ablehnung eines völkerrechtlichen Vertragsangebots darstellt, macht den verfehlten Ansatzpunkt in der bisherigen Erörterung der Frage deutlich, ob die Bundesregierung die Ausübung der ihr nach § 44 Abs. 1 DAG zustehenden Befugnisse auf die Länder übertragen könne. Gleichzeitig eröffnet sie einen Weg, den Bedürfnissen des 144 145

Maunz-Dilrig, Art. 83 RdNr. 48 mit weiteren Nachweisen. GTÜtzner, Vereinbarung, S. 8; s. oben S. 75.

A. 1. Die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern

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Auslieferungsverkehrs in dem Maße entgegenzukommen, in dem eine Mitwirkung der Länder durch die übertragung von Entscheidungsbefugnissen praktisch geboten und theoretisch möglich ist. Die entscheidende Frage lautet nicht, ob die Übertragung von Entscheidungsbefugnissen im Auslieferungsverkehr vom Bund auf die Länder mit der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes auf dem Gebiete der Verwaltung vereinbar ist, sondern ob der Bund die ihm verfassungsrechtlich obliegenden äußeren Staatsfunktionen durch die Länder wahrnehmen lassen kann, oder konkreter, ob und in welcher Form die Länder im Rahmen des dem Bunde verfassungsrechtlich zugewiesenen völkerrechtlichen Vertragsschließungsrechts tätig werden können . . Daß der Bund sich der Länder beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge bedienen kann, wird grundsätzlich anerkannt. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Vertretung des Bundes durch ein Land und der Ermächtigung eines Landes zum Vertragsschluß über Bundesmaterien14' . Die Befugnis, die Länder zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge über Bundesmaterien im eigenen Namen zu ermächtigen, ergibt sich aus Art. 71 GG. Nach dieser Vorschrift können die Länder durch Bundesgesetz zur Gesetzgebung auf dem Bund ausschließlich vorbehaltenen Gebieten ermächtigt werden. Mit der Gesetzgebung geht auch das Vertragsschließungsrecht auf die Länder über (Art. 32 Abs.3 GG).Aus der Möglichkeit, den Ländern über das Gesetzgebungsrecht auch die Vertragskompetenz einzuräumen, wird gefolgert, daß dann auch eine auf das Vertragsschließungsrecht beschränkte Ermächtigung der Länder durch Bundesgesetz möglich sei147• Obwohl für Verträge über Gegenstände der Verwaltung eine entsprechende Regelung fehlt, wird es als zulässig angesehen, daß die Länder über ihre schon vorhandene Zuständigkeit hinaus ermächtigt werden können, völkerrechtliche Verträge im eigenen Namen einzugehen. Auch insoweit wird zur Begründung auf die Zulässigkeit von Ermächtigungen nach Art.71 i. V. m. Art. 32 Abs.3 GG verwiesen l48. Gelegentlich begnügt man sich auch mit der Feststellung, es gebe im heutigen deutschen Staatsrecht keinen allgemeinen Grundsatz, der eine Kompetenzübertragung im auswärtigen Bereich schlechthin verböte, solange sie in absehbarer Zeit widerruflich und inhaltlich beschränkt seP49. Die Zulässigkeit, Länder mit dem Abschluß völkerrechtlicher Verträge im Namen des Bundes zu 146 Bernhardt, S.179; Kraus, Zuständigkeit, S.422; für den umgekehrten Fall des Tätigwerdens des Bundes für die Länder vgl. Maunz-Düng, Art. 32 RdNr. 42 ff.; Mosler, Kulturabkommen, S. 25. 141 Bernhardt, S. 179; v. Mangoldt-Klein, Art. 32 Anm. VI 3 a; Beer, S.207/ 208; Hallmayer, S. 27/28; Kraus, Zuständigkeit, S. 422. 148 Vgl. Bernhardt, S. 180. 148 Maunz-Düng, Art. 32 RdNr. 44.



2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

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beauftragen, wird aus der Befugnis der maßgeblichen Bundesorgane abgeleitet, Vertragsunterhändler nach Belieben bestimmen zu können. Eine Ausnahme gilt nur für Verträge, die nach Art. 59 Abs.2 GG der Zustimmung des Parlaments bedürfen. Für diese sog. solennen Verträge hat der Bundespräsident ein ausschließliches und nicht übertragbares jus repraesentationis, so daß sie nicht von einer anderen Stelle als dem Staatsoberhaupt endgültig geschlossen werden könnenl50 • Diese Auffassung deckt sich im wesentlichen mit der herrschenden Meinung unter der Weimarer Reichsverfassung. Obwohl die Weimarer Reichsverfassung keine dem Art. 71 GG entsprechende Vorschrift enthielt, wurde es allgemein als zulässig angesehen, einzelne Teile oder Seiten der dem Reich durch Art. 6 ausschließlich vorbehaltenen Sachgebiete der Landesgesetzgebung durch einfaches, nicht verfassungsänderndes Reichsgesetz zu übertragenlSl • Entsprechend wurde auch ein Vertragsschließungsrecht der Länder über den Bereich des Art. 78 Abs. 2 WRV auf Grund einer besonderen reichsgesetzlichen Ermächtigung anerkannt. Daneben war es dem Reich unbenommen, Länderorgane zu beauftragen, an seiner Stelle Verträge abzuschließen. Die von den Ländern im Namen des Reiches abgeschlossenen Vereinbarungen wurden als Verträge des Reichs angesehen152• Einigkeit besteht darüber, daß die beiden Arten der Beteiligung der Länder an der Vertragskompetenz des Bundes unterschiedliche Wirkungen zeitigen. Bei einem auf Grund einer Ermächtigung im eigenen Namen geschlossenen Vertrag, der stets der Zustimmung der Bundesregierung bedarf, ist nur das betreffende Land Vertragspartner; der Geltungsbereich des Vertrages bleibt auf den eigenen Wirkungsbereich des Landes beschränkt158• Handelt die beauftragte Stelle dagegen im Namen des Bundes, so treffen die Wirkungen des Vertrages, der zivilrechtlichen Stellvertretung vergleichbar, nur den Bund. Das betreffende Land gibt die vertraglichen Erklärungen als Stellvertreter des Bundes ab, nur der Bund ist Vertragspartnerl54 • Die Möglichkeit, die Länder an der Bundeskompetenz durch eine Ermächtigung zum Vertragsabschluß im eigenen Namen zu beteiligen, kann hier außer Betracht bleiben. Die Zuständigkeitsregelung läßt keinen Zweifel daran, daß die Entscheidungen über ausländische Ersuchen Bundesangelegenheiten bleiben und daher sachlich im Namen des Bundes ergehen155 • Bernhardt, 5. 179. Anschütz, Art. 6 Anm. 7. 152 Schmitz, 5. 321. 158 Bernhardt, 5. 179; v. Mangoldt-Klein, Art. 32 VI 3 a. 154 Bernhardt, 5.179; für den umgekehrten Fall der Bevollmächtigung der Länder vgI. Mosler, Kulturabkommen, 5. 25. 165 S. oben 5. 79. 150

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A. I. Die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern

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Den Bedürfnissen des Rechtshilfeverkehrs ist jedoch nicht damit genügt, daß den Ländern oder Länderorganen die Vollmacht zum Tätigwerden im Namen des Bundes erteilt wird. Zu der Vollmacht muß das befehlende Element hinzutreten, von ihr auch Gebrauch zu machen. Wenn Bund und Länder dafür den Weg einer Vereinbarung beschritten haben, sind Bedenken dagegen nicht zu erheben, nachdem die Zulässigkeit von Verwaltungsabkommen zwischen Gesamtstaat und Gliedstaaten heute allgemein anerkannt ist158• Für die in Angriff genommene Reform des DAG will auch der Kommissionsentwurf die Beteiligung der Länder an den Entscheidungsbefugnissen des Bundes in der Weise regeln, daß der Bund ermächtigt wird, mit den Landesregierungen eine entsprechende Vereinbarung abzuschließen1S7 • Im Hinblick auf die föderative Struktur der Verfassung könnten die zu keiner Zeit aufgegebenen Vorbehalte der bayerischen Staatsregierung zu überlegungen Anlaß geben, welche Konsequenzen sich aus einer Weigerung eines oder mehrerer Länder ergeben, eine Vereinbarung mit dem Bund abzuschließen oder die bisher vorgesehenen Informations- und Konsultationspflichten anzuerkennen. Das Grundgesetz bietet keine ausdrückliche Handhabe, Länder unter Zurückbehaltung der Kompetenz zu verpflichten, für den Bund im auswärtigen Bereich tätig zu werden und seine Befugnisse für ihn und in seinem Namen auszuüben. Für den Auslieferungsverkehr drängt sich zur Begründung einer über die in der Verfassung normierten Pflichten hinausgehenden Mitwirkungspflicht der Länder gegenüber dem Bund ein Rückgriff auf das Gebot bundesfreundlichen Verhaltens auf lS8 • Die Bundesregierung kann sich der ihr verfassungsrechtlich zugewiesenen Kompetenz im Auslieferungsverkehr mit Rücksicht auf die zwischenstaatlichen Beziehungen nicht einseitig begeben. Eine Delegation der Entscheidungsbefugnisse auf die Länder könnte die politische Verantwortung der Bundesregierung für den Auslieferungsverkehr ohnehin nicht beseitigen. Zuständigkeit und Verantwortung sollten aber nicht getrennt werden. Die Zersplitterung der Zuständigkeiten im Auslieferungsverkehr würde einen Rückschritt in dem Bestreben darstellen, die internationale Kriminalität wirksam zu bekämpfen. Die Bemühungen um ein deutsches Auslieferungsgesetz seit dem Ende des vorigen JahrS. oben S. 76 f. § 75 des Entwurfs lautet: ,,(1) Die Bundesregierung ist zuständig, über ausländische Rechtshilfeersuchen zu entscheiden und ausländische Staaten um Rechtshilfe zu ersuchen. (2) Die Bundesregierung kann die Ausübung ihrer Befugnisse auf nachgeordnete Bundesbehörden sowie im Wege einer Vereinbarung den Landesregierungen übertragen. Die Landesregierungen haben das Recht zur weiteren übertragung." 158 Zum Grundsatz der Bundestreue vgl. Bayer; Gebh. Müller, S. 123 ff. U8

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

hunderts haben das Streben nach einheitlicher Kompetenzzuweisung auf diesem Gebiet eindrucksvoll deutlich gemacht. Andererseits ist der Bund nicht in der Lage, die Entscheidungsbefugnisse im Auslieferungsverkehr allein auszuüben; er ist dabei auf die Mithilfe der Länder angewiesen. Die Interdependenz von Bund und Ländern im Auslieferungswesen macht eine gegenseitige Mitwirkung und Zusammenarbeit unerläßlich. Die Ableitung einer entsprechenden Mitwirkungspflicht der Länder aus dem Prinzip der Bundestreue steht nicht im Gegensatz zu den berechtigten Bedenken, die Hesse 158 angesichts der "gewandelten Voraussetzungen heutiger bundesstaatlicher Ordnung" gegen eine Ausweitung des Grundsatzes zu einem "fundamentalen Prinzip der verfassungsmäßigen Ordnung" angemeldet hat. Die Verpflichtung der Länder, an den Entscheidungsbefugnissen des Bundes nach § 44 Abs. 1 DAG mitzuwirken, steht im Einklang mit dem "auch der heutigen bundesstaatlichen Ordnung innewohnenden Gedanken aufgegebener Einigung und Kooperation "teo. In diesem Sinne gilt der Grundsatz der Bundestreue unbestritten als eine "immanente Verfassungsnorm", aus der sich Pflichten zu gegenseitiger Mitwirkung jenseits ausdrücklicher Normierungen ergeben können. Die Weigerung eines Landes zur Zusammenarbeit mit dem Bund im Auslieferungswesen in dem bisherigen Umfang verstieße gegen das Gebot bundesfreundlichen Verhaltens und damit gegen die Verfassungte1 • Daß die Länder bei der Ausübung der Bundeskompetenz durchaus eigenverantwortlich zu prüfen haben, ob einem ausländischen Auslieferungsersuchen stattgegeben oder ein Auslieferungsersuchen gestellt werden soll, schließt eine Verpflichtung zur Information und zur Konsultation der Bundesregierung im Einzelfall nicht aus. Nach Art. 6 der Zuständigkeitsvereinbarung ist die Bundesregierung durch Übersendung von Abschriften jedes bei der Landesregierung eingehenden Auslieferungsersuchens zu unterrichten. Darüber hinaus haben die Landesregierungen der Bundesregierung Gelegenheit zu geben, zu allen Auslieferungsbewilligungen vor deren Abgang Stellung zu nehmen. Ausgehende Auslieferungsersuchen müssen der Bundesregierung vor Abgang zur Stellungnahme vorgelegt werden, soweit ihnen politisch tatsächliche oder rechtliche Bedeutung zukommt. Etwaigen Bedenken der Bundesregierung müssen die Landesregierungen mit Rücksicht auf die primäre Verantwortlichkeit des Bundes Rechnung tragen162• Grundzüge, S.101 ff.; derselbe, Bundesstaat, S. 7 ff. Grundzüge, S. 102. 181 Gegen die Versuche, eine Abschlußpfiicht aus dem Grundsatz der Bundestreue abzuleiten, neuerdings Grawert, S. 138 ff. tS! Vgl. GriLtzner, Bd. I A 3 Anm. 16-19. 15.

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Hesse,

A. I. Die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern

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Die Regelung trägt dem Umstand Rechnung, daß die Eigenverantwortlichkeit der Länder ihrem Wesen nach eine Mitverantwortlichkeit neben der primären Verantwortung der Bundesregierung, die uneingeschränkt fortbesteht, darstellt. Es kann allerdings nicht übersehen werden, daß die den Ländern angesonnene Informations- und Konsultationspflicht mit dem bloßen Hinweis auf politische Notwendigkeiten und Zweckmäßigkeiten auf einer wenig tragfähigen Grundlage beruht. Die Einsicht, daß es sich bei eingehenden und ausgehenden Auslieferungsersuchen um Teilakte völkerrechtlicher Verträge handelt, ist geeignet, die Regelung des geltenden Rechts nicht zuletzt im Hinblick auf künftige Vereinbarungen mit den Ländern rechtlich zu untermauern und übertriebenen Vorbehalten entgegenzutreten. Nach Art. 32 Abs. 3 GG bedürfen die Länder zum Abschluß von Verträgen mit auswärtigen Staaten sogar dann der Zustimmung der Bundesregierung, wenn sie auf Grund eigener Abschlußkompetenz handeln. Per argumentum a maiore ad minus muß die Bundesregierung dann erst recht berechtigt sein zu verlangen, daß sie gehört und ihren Bedenken Rechnung getragen wird, wenn den Ländern nur Befugnisse, die sich aus Bundeskompetenzen ergeben, zur Ausübung übertragen worden sind. 3. Ergebnis

Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß eine Vereinbarung, die der Bundesregierung die notwendigen Informationsmöglichkeiten und Weisungsbefugnisse einräumt, das geeignete und verfassungsrechtlich zulässige Mittel ist, die Länder mit der Ausübung der dem Bund zustehenden Entscheidungsbefugnisse im Auslieferungsverkehr zu beauftragen. Das gilt freilich nur unter der Voraussetzung, daß die Befugnisse nach § 44 DAG als Betätigung der Kompetenz zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge mit auswärtigen Staaten anerkannt werden. Auf dieser Grundlage ist die Regelung der Zuständigkeit im Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland im § 44 DAG i. V. m . der Vereinbarung vom 20. Februar 1952 sachgemäß und verfassungsrechtlich unbedenklich. Daß ihr eine andere Konzeption zugrunde liegt, nötigt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Der Grundsatz der verfassungskonformen Auslegungt83 berechtigt dazu, die außerhalb des Wortlauts des Gesetzes und der Vereinbarung gebliebenen Vorstellungen unberücksichtigt zu lassen.

tn Vgl. dazu Hesse, Grundzüge, S. 31 ff. mit umfassenden Nachweisen aus Judikatur und Literatur.

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

n.

Die Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive beim Abschluß von Auslieferungsvereinbarungen (Art. 59 Abs. 2 GG, § 46 DAG) 1. Gegenstand und Bedeutung des Problems

Die These von der völkerrechtlichen Vertragsnatur der Einzelauslieferung hat gezeigt, daß die Zuständigkeitsregelung des Grundgesetzes zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiet des völkerrechtlichen Vertragsschließungsrechts von unmittelbarer Bedeutung für das Auslieferungsrecht ist und hat dadurch einen Weg gewiesen, den verhängnisvollen Zuständigkeitsstreit auf der Grundlage des positiven (Verfassungs-) Rechts zu beenden. Die staatsrechtliche Problematik des Auslieferungsrechts erschöpft sich jedoch nicht in der Abgrenzung der Zuständigkeit von Bund und Ländern. Auch die verfassungsrechtliche Regelung der funktionellen Organzuständigkeit innerhalb des Bundes wirft eine Reihe schwerwiegender, noch keineswegs befriedigend beantworteter Fragen im Auslieferungsrecht auf. Beide Bereiche, der Umfang der Bundeskompetenz im Verhältnis zu den Länderkompetenzen einerseits und die funktionelle Organzuständigkeit zwischen den Bundesorganen andererseits, ergänzen sich zwar gegenseitig, überschneiden sich aber nicht. Insoweit besteht nunmehr über das Verhältnis zwischen Art. 32 GG und Art. 59 GG weitgehend EinigkeW. Die Bedeutung des Art. 59 Abs. 1 GG, der die Berechtigung und Verpflichtung des Bundespräsidenten zur Vertretung der Bundesrepublik nach außen umschreibt, ist für die Einzelauslieferung schon berührt worden. Hier geht es ausschließlich um das in Abs. 2 festgelegte Verhältnis der vertragschließenden Bundesorgane zu den gesetzgebenden Körperschaften als den "diese Tätigkeit durch Zustimmungs- oder Mitwirkungserfordernisse kontrollierenden, gewaltenhemmenden Bundesorganen"!. Die unmittelbare Bedeutung der verfassungsrechtlichen Regelung für das Auslieferungsrecht ergibt sich aus § 46 DAG. Nach dieser Vorschrift bedürfen Vereinbarungen mit ausländischen Regierungen über die Rechtshilfe in Strafsachen nicht der Zustimmung des Bundestages, wenn sie den Vorschriften des DAG entsprechen. Als Rechtshilfevereinbarungen mit ausländischen Regierungen kommen in erster Linie die Auslieferungs- und Rechtshilfeverträge in Betracht. Daneben stehen die zahlreichen Gegenrechtserklärungen, die mit Rücksicht auf den Grundsatz der Gegenseitigkeit im vertraglichen Auslieferungsverkehr bei Auslieferungen wegen nicht vom Vertrag erfaß1 Vgl. Maunz-DiLrig, Art.59 RdNr. 1, 13; Art.32 RdNr.17, 18; Bernhardt, S. 151; v. Mangoldt-Klein, Art. 59 Anm. II 2 a, 5 a, b. 2 Vgl. v. Mangoldt-Klein, Art. 59 Anm. 112 b.

A. II. Die Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive

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ter Straftaten und allgemein im vertragslosen Auslieferungsverkehr abgegeben werden. Infolge des Zweiten Weltkrieges ist eine weitere Gruppe von Vereinbarungen hinzugetreten, die die Wiederanwendung der durch den Kriegszustand suspendierten Vorkriegsverträge zum Gegenstand hat. Häufig beschränken sie sich nicht auf die Wiederanwendung der früher abgeschlossenen Verträge, sondern dehnen gleichzeitig den Anwendungsbereich der Verträge durch eine Erweiterung des Katalogs der Auslieferungsstraftaten aus. Ein Sonderproblem bilden schließlich die Vereinbarungen, deren Abschluß in multilateralen übereinkommen einzelnen Vertragspartnern zur Ergänzung der mehrseitigen Regelung überlassen bleibt3 • Das Grundgesetz nimmt keine der unter § 46 DAG fallenden Vereinbarungen ausdrücklich von der Zustimmung oder Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften aus. Für ihre staatsrechtliche Behandlung kommt es daher entscheidend auf die Auslegung des Art. 59 Abs. 2 GG an. Nur wenn § 46 DAG die nach der Verfassung ohnehin bestehende Rechtslage wiedergibt, erscheint die Regelung unbedenklich. Allerdings erschöpft sich die Vorschrift dann in der bloßen Wiederholung oder allenfalls KlarsteIlung einer durch die Verfassung bereits getroffenen Entscheidung. Sollte sich dagegen ergeben, daß einzelne Arten von Rechtshilfevereinbarungen - auch soweit sie den Vorschriften des DAG entsprechen - der Zustimmung oder Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften bedürfen, dann wäre die Regelung des § 46 DAG insoweit mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Gegenüber der höherrangigen Verfassungsnorm könnte § 46 DAG keinen Bestand haben. Die Unsicherheit, die die staatsrechtliche Behandlung von Rechtshilfevereinbarungen mit dem Ausland immer noch beherrscht, machen einige Vorgänge aus der Vertragspraxis der jüngeren Zeit deutlich. Von dem Augenblick an, in dem die Bundesrepublik nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes und der Wiedererlangung ihrer Souveränität auf dem Gebiet des Auslieferungswesens daran ging, das Auslieferungsrecht durch vertragliche Beziehungen mit anderen Staaten zu ordnen, sind Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 46 DAG aufgetaucht und auch in der Zwischenzeit nicht ausgeräumt worden. Die damit zusammenhängenden Fragen haben bei den Vorarbeiten an den inzwischen abgeschlossenen Vereinbarung~n stets einen breiten Raum eingenommen. Der erste von der Bundesrepublik neu abgeschlossene Auslieferungsvertrag mit Frankreich' ist dem Bundestag zur Ratifikation nach Art. 59 a Vgl. z. B. Art. 5 Europ. ALü. , Auslieferungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich vom 29. November 1951 - BGBl. 53 II S. 152, 1959 II S. 1251.

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

Abs. 2 GG vorgelegt worden. In der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs heißt es wörtlich: »Die Ermächtigung des § 46 Abs. 1 DAG, auch ohne Zustimmung des Parlaments derartige Verträge abzuschließen, dürfte durch Art. 59 Abs. 2 GG ungültig geworden sein. Während nach Art. 45 WRV für derartige Verträge kein Gesetz erforderlich war, bedürfen sie nach dem Grundgesetz der Form eines Bundesgesetzes." Im Gegensatz zur Rechtslage unter der Weimarer Reichsverfassung könne das nach Art. 59 Abs. 2 GG erforderliche Zustimmungsgesetz nicht mehr durch das Auslieferungsgesetz ersetzt werden. Jeder Vertrag mit einem fremden Staat, der sich auf einen Gegenstand der Bundesgesetzgebung beziehe, bedürfe nun nach der zwingenden Vorschrift des Grundgesetzes zu seiner innerstaatlichen Verbindlichkeit der Form des Gesetzes. Auch die in der Folgezeit abgeschlossenen Verträge mit BelgienS, Österreich', Monaco 7 , PortugalS und Tunesiensa sind den gesetzgebenden Körperschaften zur Zustimmung nach Art. 59 Abs. 2 GG vOl'\gelegt worden. Aber das geschah nun nicht mehr wegen möglicher Zweifel an der VerJassungsmäßigkeit des § 46 DAG, sondern mit der Begründung, die Verträge hielten sich nicht im Rahmen der Vorschriften des DAG. Mit der gleichen Begründung ist nachträglich auch die Vorlage des deutsch-französischen Vertrages zu rechtfertigen versucht worden, indem darauf hingewiesen wurde, die Zustimmung der geset2lgebenden Körperschaften sei schon deshalb erforderlich gewesen, weil der Vertrag in Art. 7 Abs. 2 und 4 vom Grundsatz der Gegenseitigkeit nach § 4 Ziff. 1 DAG abweiche'. Inder Folgezeit ist den Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des § 46 DAG kein Raum mehr gegeben worden. Die Bundesregierung hat, gestützt auf die ErmächUgung des § 46 DAG, z. B. die Vereinbarungen mit Luxemburg10, den Niederlanden11 , Großbritannien!! und Schweden1! als nicht zustimmungsbedürftig angesehen, obwohl sie - teilweise in Abänderung von Vorkriegsverträgen, deren Wiederanwendung zugleich vereinbart wurde - neue Verpflichtungen der Bundesrepublik begründethaben. Wie nachteilig sich die Unsicherheit in diesem Bereich auf die zwischenstaatlichen Beziehungen auswirken kann, zeigt u. a. folgender VorS BGBl. 59 II S. 26. • BGBl. 60 II S. 1340. 7 BGBl. 64 II S. 1297,1298. 8 BGBl. 67 II S. 2345. 8& BGBl. 69 II S.1157. , Vgl. Meyer S. 57 Anm.126; Mettgenberg-Doerner, Anm. zu § 46. 10 BGBl. 55 II S. 596. 11 BGBl. 57 II S. 22 . . 11 BGBl. 60 II S. 2191. 13 BGBl. 59 II S. 401 und 60 II S. 2299.

A. H. Die Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive

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gangU • Eine Anregung der niederländischen Regierung, das Anwendungsgebiet des deutsch-niederländischen Auslieferungsvertrages auf die Niederländischen Antillen, Surinam sowie auf Niederländisch-Neuguinea auszudehnen, hat die Bundesregierung mit dem Hinweis beantwortet, an dem verfassungsmäßigen Zustandekommen der deutsch-niederländischen Vereinbarung über die Wiederanwendung des zwischen beiden Staaten bestehenden Auslieferungsvertrages seien Zweifel entstanden, die es tunlich erscheinen ließen, die Einbeziehung weiterer Gebiete in den Anwendungsbereich des Vertrages zunächst zurückzustellen. Die Antwort der Bundesregierung hatte zur Folge, daß die niederländische Regierung geglaubt hat, einem Vorschlag der Bundesregierung nicht entsprechen zu können, die im Katalog des Art. 1 des deutschniederländischen Auslieferungsvertrages aufgeführten strafbaren Handlungen durch Aufnahme der Begünstigung und der Hehlerei zu erweitern, bevor nicht die verfassungsrechtlichen Zweifel in der Bundesrepublik behoben seien. 2. Stellungnahmen vor dem Inkrafttreten des Auslieferungsgesetzes

Ein geschichtlicher Rückblick läßt keine verbindlichen Schlüsse für das geltende Recht zu. Bis zum Inkrafttreten des DAG galt unbestritten der Grundsatz, daß Auslieferungsverträge regelmäßig der Genehmigung des Reichstags unterliegen, "denn sie betreffen einen Rechtsinhalt, der unabhängig vom Vertrag nur durch Gesetz geregelt werden könnte"15. Die bis zum Erlass des DAG abgeschlossenen Auslieferungsverträge mit Belgien, Brasilien, Bulgarien, Griechenland, Großbritannien, Italien, Luxembur,g, den Niederlanden, Norwegen, Paraguay, Schweden, der Schweiz, Spanien, der Tschechoslowakei, der Türkei und mit Uruguay haben sämtlich das Verfahren des Art. 11 Abs. 3 der alten Reichsverfassung bzw. des Art. 45 Abs.3 der Weimarer Reichsverfassung durchlaufen. Die amtliche Begründung des Entwurfs eines DAG gibt den damals bestehenden Rechtszustand zutreffend wieder: Die Vorlage der zwischenstaatlichen Vereinbarungen auf dem Gebiet des Rechtshilfewesens an den Reichstag ist im allgemeinen unerläßlich, da sie unter Art. 45 Abs. 3 der Reichsverfassung fallen l8• 14 Der Sacllverhalt ist den Akten des Bundesministeriums der Justiz entnommen. 11 Hatschek, Bd. II S. 491; vgl. ferner Lammasch, S. 83; Cohn, S. 6. 1I VgI. Mettgenberg-Doerner, S. 506 f., die Auslieferungsverträge Preußens bedurften dagegen gern. Art. 48, 45, 106 der preußischen Verfassung vom 31. Januar 1850, GS S. 17, nicht der Zustimmung der Kammern; um Gesetzeskraft zu erlangen, mußten sie aber in der Gesetzsammlung verkündet werden, § 1 des Gesetzes vom 3.4. 1846, GS S. 151; vgI. Mettgenberg, Praxis, S. 406.

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise a) Die Ansichten in der Literatur

Die Frage, ob das Vorhandensein eines Auslieferungsgesetzes die Genehmigung der Reichsauslieferungsverträge durch den Reichstag entbehrlich mache, konnte in Ermangelung eines Auslieferungsgesetzes in der Praxis nicht auftauchen. Begreiflicherweise finden sich auch in der früheren Literatur kaum Äußerungen darüber, welchen Einfluß der Erlaß eines Auslieferungsgesetzes auf die staatsrechtliche Behandlung der Rechtshilfevereinbarungen haben würde. Soweit ersichtlich, haben nur Hatschek 17 und von Martitz 18 ausdrücklich zu dieser Frage Stellung genommen. Nach Hatscheks Auffassung enthebt ein generelles Ermächtigungsgesetz nicht der Notwendigkeit parlamentarischer Genehmigung jedes einzelnen auf Grund eines solchen Ermächtigungsgesetzes zustande gebrachten Vertrages. Zum Beispiel des Auslieferungsrechts führt er wörtlich aus: "So würde z. B., wenn wir ein Auslieferungsgesetz hätten, zweifellos jeder einzelne auf Grund desselben abgeschlossene Vertrag der parlamentarischen Genehmigung bedürfen". Hatschek bezieht sich dabei auf eine Äußerung des Abgeordneten von BaT in der Sitzung des Reichstags vom 5. 2. 1892, der gegenüber einem solchen Gesetz den Vorbehalt anmeldete: "Nach den besonderen konstitutionellen Verhältnissen des Reiches würde es auch nicht angemessen erscheinen, ohne weiteres eine Vollmacht zu geben, auf Grund eines Auslieferungsgesetzes allgemein bindende Auslieferungsverträge zu schließen ohne die gesetzlich erforderliche Genehmigung des Reichstags". Von MaTtitz meint, es sei schwerlich daran zu denken, daß eine Volksvertretung, zu deren Kompetenz die Zustimmungserklärung zu den von der Regierung abgeschlossenen Rechtshilfekonventionen gehöre, auf diese Machtstellung verzichten würde. "Für den Deutschen Reichstag würde ein genereller Verzicht eine Änderung der Reichsverfassung implizieren (Art. 11 Abs.3)". Wenn auch nicht ausdrücklich, so ergibt sich doch mittelbar auch aus den Ausführungen von Lammasch18 , daß er die parlamentarische Genehmigung eines Auslieferungsvertrages trotz eines bestehenden Auslieferungsgesetzes für erforderlich hält. Dem Vorwurf, ein Auslieferungsgesetz sei schädlich, weil es dazu verleite, daß an die Stelle sorgfältiger Prüfung der besonderen Verhältnisse des Vertragspartners eine gleichmachende Routine beim Abschluß von Auslieferungsverträgen trete, begegnet er mit dem Hinweis, die gleiche Gefahr bestehe, wenn man beim Nichtbestehen eines Gesetzes einen anderen Auslieferungsvertrag mehr oder weniger unbesehen als Muster für die Regelung des Auslieferungswesens mit einem anderen Staat zugrunde 17

18

l'

Hatschek, Bd. II S. 508. v. Martitz, Bd. LI S. 760. Lammasch, S. 110.

A.

II. Die Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive

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lege. Der Gefahr der Routine könne nur vorgebeugt werden durch Auswahl geeigneter Personen zur Negoziation und durch das Erfordernis parlamentarischer Genehmigung des abgeschlossenen Vertrages. Die letzte Bemerkung kann nur so verstanden werden, daß auch nach seiner Ansicht die Notwendigkeit parlamentarischer Genehmigung eines Auslieferungsvertrags vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines Auslieferungsgesetzes unabhängig ist. Man wird zusammenfassend feststellen dürfen, daß die herrschende Meinung die parlamentarische Genehmigung von Auslieferungsverträgen mit auswärtigen Staaten vor dem Erlaß des DAG für erforderlich hielt. Soweit die Bedeutung eines Auslieferungsgesetzes für die staatsrechtliche Behandlung der Auslieferungsverträge überhaupt in den Kreis der Betrachtungen einbezogen wurde, findet der Gedanke, die Notwendigkeit der parlamentarischen Genehmigung entfalle durch das Vorhandensein eines Auslieferungsgesetzes, wenig Anklang. Diese Feststellung ist insofern bemerkenswert, als das die parlamentarische Genehmigung begründende Merkmal, daß sich der Vertrag auf Gegenstände der Gesetzgebung bezieht, seit der alten Reichsverfassung stets im gleichen Sinne ausgelegt wurde. Es hat den Anschein, daß die innerstaatliche Vollziehbarkeit der Auslieferungsverträge auch bei Bestehen eines Auslieferungsgesetzes zunächst jedenfalls an die Voraussetzung eines innerstaatlichen Rechtsetzungsaktes geknüpft bleiben sollte. Die spärliche Behandlung ist nicht allein darauf zurückzuführen, daß das Problem mangels eines Auslieferungsgesetzes nicht ·a ktuell war, es wurde zumindest anfänglich auch für den Fall einer gesetzlichen Regelung des Auslieferungsrechts nicht als besonders schwerwiegend empfunden. So glaubte beispielsweise Frank 20 , es sei eine verhältnismäßig untergeordnete Frage, ob man das Auslieferungsgesetz so ausgestalte, daß nach dem Vorbild Belgiens ein Zentralorgan des Reiches ermächtigt werde, Reichsauslieferungsverträge nach gewissen Normativbestimmungen ohne Mitwirkung des Reichstags abzuschließen. Dieser Zustand sollte sich jedoch sehr bald ändern. Mit dem Voranschreiten der Vorarbeiten zu einem DAG rückte die Frage nach den staatsrechtlichen Erfordernissen beim Abschluß von Auslieferungsverträgen immer mehr in den Vordergrund. b) Die Beratungen des 34. Deutschen Juristentags (1926)

Für eine Lösung im Sinne des jetzigen § 46 Abs. 1 DAG setzte sich mit Nachdruck der damalige Referent im Reichsjustizministerium Mettgenberg ein, auf dessen Entwurf das Gesetz zurückgeht. Ihm schwebte von 10

Der Kampf, S. 51.

2 .. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

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Anfang an vor, den Abschluß von Auslieferungsverträgen möglichst zu vereinfachen und vom Zwang eines "Genehmigungsgesetzes" zu befreien. Mit Rücksicht darauf, daß die Auslieferungsgesetze auf der einen Seite das Höchstmaß dessen, was zugestanden werden darf, auf der anderen Seite das Mindestmaß dessen, was an Vorbehalten und Bedingungen vereinbart werden sollte, enthalten, schien es ihm nicht mehr gerechtfertigt, für Abmachungen, die sich in den gesetzlichen Grenzen bewegen, die Zustimmung der Volksvertretung für die innerstaatliche Wirksamkeit der Verträge zu verlangen21 • Einer der Leitsätze, in denen die wesentlichen Ergebnisse des Gutachtens zusammengefaßt sind, das Mettgenberg für den 34. Deutschen Juristentag in Köln im Jahre 1926 zu dem Thema "Gegenwärtiger Stand und künftige Ausgestaltung des Auslieferungsrechts" erstattet hatH , lautet wörtlich: "Der Erlaß eines solchen Gesetzes mit einheitlichen Richtlinien für die Auslieferungsverträge kann deren gesetzgeberische Behandlung vereinfachenu." Mettgenberg meinte, sobald ein Auslieferungsgesetz die Richtlinien für die deutschen Verträge festgelegt habe, werde die Einholung und Erteilung der Zustimmung zu einer überflüssigen Erschwerung für die Pflege der auswärtigen Beziehungen; Auslieferungsverträge, die den gesetzlichen Richtlien entsprächen, könnten unbedenklich der besonderen gesetzgeberischen Behandlung entzogen, d. h. ohne parlamentarische Genehmigung vom Reichspräsidenten bestätigt werden!4. Der Mitberichterstatter Walker, damals Präsident des österreichischen Abrechnungshofs in Wien, erklärte sich mit den Leitsätzen Mettgenbergs einverstanden, ohne auf die staatsrechtliche Frage einzugehen t5• Der andere Mitberichterstatter Kraus meldete dagegen Bedenken an!l. Die Verwirklichung der Idee führe zu einer gefährlichen Machtsteigerung der Exekutive im Verhältnis zur Legislative gegenüber dem früheren Zustand. Neben der Exekutive müsse noch die Legislative als ein zweites corps de magistrature eingeschaltet bleiben, um einem Auslieferungsvertragsentwurf jede nur mögliche Prüfung unter verschiedenen Gesichtspunkten zuteil werden zu lassen. Der Einwand, dadurch werde die Handlungsfreiheit der Exekutive ungebührlich beengt, treffe hier nicht zu. Einmal sei die Exekutive bisher ja schon in dieser Richtung beengt gewesen und habe das nicht als Ungebührlichkeit empfunden. Zum anderen habe der Reichstag bisher eine inzwischen traditionell gewordene, oft geradezu erstaunliche Zurückhaltung gegenüber Vertragsent!1 !! ra !4 25

te

Mettgenberg, Reform, S. 222 ff., insbes. S. 232 ff. Gutachten, S. 30 ff. Vgl. Gutachten, S. 57 Leitsatz 11. Gutachten, S. 55. Walker, S. 291. Zum folgenden vgl. Kraus, Bericht, S. 320 tf.

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würfen an den Tag gelegt, so daß seine Zügel für die Exekutive hier nur sehr sanfte seien und seine Tätigkeit sich nach wie vor als die eines Sicherheitsventils darstelle. Angesichts seiner Bedenken hat Kraus sich zu einer konkreten Stellungnahme zu den Leitsätzen Mettgenbergs nicht entschließen können. Immerhin läßt er deutlich Zweifel anklingen, "ob eine derartige Regelung - die in vorsichtiger Form entgegen Art. 45 Abs. 3 der Reichsverfassung den Abschluß derartiger Verträge in Zukunft ohne parlamentarische Mitwirkung der Regierung empfehle nicht eine natürlich recht unerwünschte und die Erledigung des Gesetzentwurfs erheblich erschwerende Verfassungsänderung notwendig machen würde". 3. Der Einfluß ausländischer Vorbilder auf die Regelung im DAG

Einen Rückhalt für seine Auffassung glaubte Mettgenberg in den Beispielen anderer Staaten finden zu können. Als Vorbild schwebte ihm der erleichterte Abschluß von Auslieferungsverträgen in Belgien, Großbritannienund den nordischen Staaten vor27 • Daß der Blick auf fremde Rechtsordnungen Erhebliches für die Ausgestaltung des eigenen Rechts beizutragen vermag, ist unbestritten. Hilfestellung bei der Auslegung der eigenen Rechtsordnung zu leisten und brauchbare Anhaltspunkte für die Neuschaffung nationalen Rechts zu liefern, sind zwei der anerkannten nationalen Ziele der Rechtsvergleichung!8. Die Vergleichung auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts weist jedoch bedingt durch ihren Gegenstand eine Reihe von Besonderheiten auf, die nicht außer Betracht gelassen werden dürfen, wenn sie zu sinnvollen Ergebnissen führen soll. Zutreffend weist Strebel 29 darauf hin, daß die isolierte Betrachtung eines Einzelphänomens im allgemeinen kein zum Vergleich geeignetes Bild ergebe; die zu untersuchende Institution müsse vielmehr im Rahmen der gesamten Staatsordnung gesehen werden30• Die Hinweise Mettgenbergs lassen keine Ansätze eines Versuchs erkennen, den Besonderheiten der Vergleichung im öffentlichen Recht gerecht zu werden. Seine Ausführungen beschränken sich auf die faktische Feststellung einer bestimmten Praxis in einzelnen Staaten, ohne den als Voraussetzung der Vergleichbarkeit unerläßlichen Nach:' weis31 zu erbringen, daß in den in Betracht gezogenen Staaten gleichVgl. Mettgenberg, S. 222; ders., Gutachten, S. 55. Zur Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht vgl. Kaiser, Vergleichung, S. 391 ff.; Bernhardt, Eigenheiten, S. 431 ff.; StrebeL, S. 405 ff. .. StrebeL, S. 429. 10 Vgl. auch Bernhardt, Eigenheiten, S. 438. 11 Bernhardt, Eigenheiten, S. 437. t7

t8

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artige Sachprobleme auf Grund einer wenigstens im Grundsätzlichen ähnlichen Rechtsstruktur bestehen. Für die Frage nach dem Einfluß einer gesetzlichen Regelung des Auslieferungsrechts auf die staatsrechtliche Behandlung von Auslieferungsverträgen können nur solche fremden Rechtsordnungen brauchbare Anhaltspunkte liefern, die die Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge unter ähnlichen Gesichtspunkten wie die eigene Verfassung regeln. Das deutsche Verfassungsrecht grenzt die zustimmungsbedürftigen von den nicht zustimmungsbedürftigen Verträgen nach ihrem Inhalt ab. Innerhalb der Gruppe der zustimmungsbedürftigen Verträge nehmen diejenigen eine Sonderstellung ein, die sich auf Gegenstände der Gesetzgebung beziehen; nur bei ihnen stellt sich das Problem, ob eine im innerstaatlichen Bereich vorhandene Parallelgesetzgebung die Zustimmungsbedürftigkeit berührt. Im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Ausgangslage können daher vergleichsweise nur solche Staaten herangezogen werden, die ebenfalls allgemein auf die Zuständigkeitsverteilung zwischen Legislative und Exekutive als maßgebliches Kriterium für die Zustimmungsbedürftigkeit abstellen. Aus der norwegischen Praxis konnten Rückschlüsse für die staatsrechtliche Behandlung der Auslieferungsverträge nach deutschem Recht keinesfalls gezogen werden. Nach dem damals geltenden Verfassungsrecht besaß der König das Recht des Vertragsschlusses grundsätzlich allein3l• Das Storting war nur berechtigt, sich abgeschlossene Verträge vorlegen zu lassen 33• "Nicht also wäre der Grund solcher Behandlung das Vorhandensein des Auslieferungsgesetzes vom Jahre 1908/1922, sondern die allgemeine Ordnung des Vertragsrechts durch die Verfassung ... Aus dem norwegischen Recht kann also insoweit schwerlich der Schluß abgeleitet werden, den Mettgenberg ziehen zu wollen scheint, sobald das deutsche Auslieferungsgesetz vorliegen wird34 ." Bezeichnend für die Skepsis gegenüber der damaligen Praxis der nordischen Staaten und ihrer übernahme für das deutsche Recht ist die Bemerkung von Wolgast 35, daß er es nicht unternehmen möchte zu entscheiden, ob die Erwägungen der nordischen Staaten je nach ihrem Verfassungssystem richtig seien; die Interpretation einer fremden Verfassung sei gerade in den fraglichen Hinsichten immer ein gefährliches Ding. Nach der historischen Entwicklung, die sich an den Änderungen der Vorschriften über das Vertragsschließungsrecht ablesen läßt, spricht 31 33 34

15

Art. 26 LV.m. Art. 75 der norwegischen Verfassung. Vgl. Wolgast, S. 42. So wörtlich Wolgast, S. 42. S. 39 Anm. 4 a.E.

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einiges dafür, daß die staatsrechtliche Behandlung der Auslieferungsverträge hinter den Anforderungen des sich damals erst allmählich ausbreitenden parlamentarischen Systems zurückgeblieben war. Mit der parlamentarischen Machtkonzentration, wie sie sich in den modernen demokratischen Staatsgebilden entwickelt hat, ist sie schwerlich vereinbar. Bestätigt wird dieser Eindruck durch die in Schweden jetzt gültige Vertragspraxis. Im Memorandum der schwedischen Regierung für die Vereinten Nationen vom 28. Mai 1951 werden Auslieferungsverträge ausdrücklich zu der Kategorie von Verträgen gerechnet, "which must be submitted to the Rigsdag for .approval"s8. Auch Belgien und Großbritannien fallen als Muster für die Ausgestaltung und Auslegung der Regeln über die staatsrechtliche Behandlung der Auslieferungsverträge im deutschen Recht aus dem Rahmen des Vergleichbaren. Eine lediglich die äußeren Gegebenheiten ins Auge fassende Betrachtung könnte zwar zu dem von Mettgenberg gezogenen Schluß verleiten, in der Praxis Belgiens und Großbritanniens Beispiele für die Ausschaltung der gesetzgebenden Körperschaften beim Abschluß von Auslieferungsverträgen zu erblicken. Während die meisten Staatsverfassungen im Laufe des 19. Jahrhunderts die Befugnis des Staatsoberhaupts zum Abschluß von Staatsverträgen bestimmter Art an die Zustimmung der Volksvertretung gebunden haben, hat Großbritannien an der Norm des Common Law festgehalten, wonach dem König allein die "treaty-making-power" zukommt. Eine ähnliche Rechtslage besteht auch in Belgien auf Grund der noch geltenden Verfassung vom 7. November 1831 37• Von dem verfassungsrechtlichen Erfordernis eines wirksamen Abschlusses völkerrechtlicher Verträge sind jedoch die Voraussetzungen für die innerstaatliche Vollziehbarkeit scharf zu trennen38• Mit der Feststellung, daß das Vertragsschließungsrecht in beiden Ländern unbestritten zu den Prärogativen der Krone gehört, ist daher noch nichts für die Beantwortung der Frage gewonnen, ob die von der Krone abgeschlossenen Verträge eines gesetzgeberischen Aktes bedürfen, um innerstaatliche Wirksamkeit zu erlangen. Die belgische Verfassung enthält keine Bestimmung, wonach Verträge, die sich auf Gegenstände der Gesetzgebung beziehen, der Zustimmung des Parlaments bedürfen3e • Der Hinweis auf die Rechtslage in Bel3S Laws and Practices concerning the conclusion of treaties, United Nations Legislative Series ST/LEG/SER. B/3 S. 97. 37 Vgl. Verdross, Völkerrecht, S. 160. 38 Vgl. De Visscher, S. 42 ff. Belgien, S. 29 ff. Großbritannien; Laws and Practices, S.14 ff. Belgien, S.120 ff. Großbritannien; McNair, S.59; WadeBradtey, S. 274. 38 Allerdings gibt es in der belgischen Literatur Stimmen, die die Zustimmungsbedürftigkeit dieser Verträge bejahen, Nachweise bei Geck, Wirkungen, S. 152 Anm. 589.

7 Vogler

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gien kann also nichts zur Lösung der Streitfrage beitragen, ob die Zustimmung des Parlaments deswegen entbehrlich ist, weil die innerstaatliche Durchführung eines Vertrages auf Grund eines bestehenden Gesetzes ohne weitere Mitwirkung des Parlaments möglich ist. Die bel:" gische Praxis beruht nicht etwa darauf, daß die Frage nach dem dortigen Rechtszustand zu bejahen ist; nach belgischem Verfassungsrecht stellt sich diese Frage überhaupt nicht'o. Der Grund für die vereinfachte gesetzgeberische Behandlung der Auslieferungsverträge wird in Belgien darin gesehen, daß man dem Auslieferungsgesetz den Charakter eines Ermächtigungsgesetzes beilegt, und zwar in dem Sinne, daß damit der Krone oder gewissen Staatsbehörden in Gesetzesform die Ermächtigung erteilt werde, in Zukunft durch Verträge mit dem Ausland und daraufhin zu erlassende Verordnungen rechtsändemde Verfügungen zu treffen41 • Die Verträge haben die staatsrechtliche Geltung von Verordnungen. Ihre Vollziehbarkeit ist an die formellen Voraussetzungen des königlichen Verordnungsrechts geknüpft. Darauf beruht die Notwendigkeit ihrer Publikation42 • Die rechtliche Bedeutung der Auslieferungsverträge erschöpfte sich nach belgischem Recht zu keiner Zeit darin, lediglich völkerrechtliche Pflichten zwischen den Vertragsparteien zu erzeugen. Sie begnügen sich auch keineswegs mit der Rolle von Generalverfügungen an Behörden. Ihr Inhalt ist bestimmt, als öffentliches Recht zu gelten43 • Der Ausgestaltung des belgischen Auslieferungsgesetzes als Vollmachtsgesetz44 liegt ein praktisches Bedürfnis zugrunde, das in einer staatsrechtlich bedingten Besonderheit des belgischen Auslieferungsrechts seine Erklärung findet. Auf Grund des Art. 128 der belgischen Konstitution'5 wurde der Regierung das Recht abgesprochen, aus eigener Machtvollkommenheit flüchtige Verbrecher ihrem ausländischen Richter zuzustellen". Erst ein 40 Die Notwendigkeit der Mitwirkung des Parlaments beim Abschluß von Auslieferungsverträgen kann nach belgischem Recht nur unter dem Gesichtspunkt der Bindungswirkung für die Staatsangehörigen problematisch werden; vgl. Art. 68 der belgischen Verfassung: «Les traites ... qui pourraient ... lier individuellement des Belges ». Im Gegensatz zur französischen Praxis (Art. 53 der französischen Verfassung spricht von «traites ou accords ... qui sont relatifs a l'etat des personnes ») werden gelegentlich gerade Verträge über die Auslieferung als Beispiel für zustimmungsbedürftige Verträge angeführt, vgI. Geck, Wirkungen, S. 161. Die Unklarheiten in der Auslegung dieser Vorschrift scheinen allerdings noch keineswegs beseitigt zu sein. 4! TTiepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 148. 41 v. MaTtitz, Bd. 11 S. 14, 649. 43 v. MaTtitz, Bd. 11 S. 14. 44 v. MaTtitz, Bd. 11 S. 660, 758. 45 «Tout etranger qui se trouve sur le territoire de la Belgique jouit de la protection accordee aux personnes et aux biens, sauf les exceptions etablies par la loh>. 48 Dazu und zum folgenden vgl. v . MaTtitz, Bd. 11 S. 3 ff., 660 f.; FTank, Der Kampf, S. 10 ff.

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den Art. 128 der Konstitution ausführendes Gesetz könne, so meinte man, der Regierung eine "unanfechtbare Grundlage schaffen, mit fremden Mächten regelmäßige und gesicherte Beziehungen auch für diesen Zweig des internationalen Verkehrs zu unterhalten"47. Der Regierung werde dadurch eine nach der Landesverfassung nicht zustehende Machtvollkommenheit erst übertragen. Allerdings dachte niemand daran, der Regierung eine Auslieferungsbefugnis in dem Sinne einzuräumen, daß sie nunmehr "bloß auf Grund des Gesetzes jedweder sich meldenden ausländischen Regierung eine als verbrecherisch signalisierte Person ohne weiteres ausliefern" könne. Es entsprach vielmehr der allgemeinen Meinung, daß Konventionen nach wie vor nicht zu entbehren seien, "um dem mögLichen Mißbrauch der gesetzlich ausgesprochenen Bereitwilligkeit zur Auslieferung zu begegnen". Das Gesetz bezweckte deshalb zugleich, jede von der Regierung künftig zu bewilligende Auslieferung eines Ausländers von dem vorgängigen Abschluß eines Staatsvertrages abhängig zu machen. Jede nichtkonventionelle Auslieferung sollte völlig ausgeschlossen, die Grenze der Pflicht sollte auch zugleich Grenze des Rechts zur Auslieferung sein. Mit diesem Standpunkt, der den Ländern des englischen Rechts eigentümlich ist, stand Belgien von Anfang an in einem charakteristischen Gegensatz zur Rechtsauffassung des kontinentalen Europas. Der Ausschluß jeder außervertraglichen Auslieferung ließ es zweckmäßig erscheinen, den Abschluß der Konventionen zu vereinfachen. Deshalb ist der Abschluß solcher Verträge, die sich innerhalb des gesetzlichen Rahmens hielten, der Exekutive anvertraut worden. Staatsrechtlich erschienen die Konventionen "als bloße Ausführungsakte im Sinne von Art. 67 der Konstitution". Auf diese Weise sollte den Kammern die Beschlußfassung über jeden einzelnen Vertrag erspart bleiben. Ohne daß ein direkter Einfluß nachzuweisen wäre, entspricht die staatsrechtliche Behandlung von Auslieferungsverträgen in England der belgischen Rechtslage48 • In Großbritannien war bis 1870 zur Durchführung eines jeden von der Königin abgeschlossenen Vertrages die Ermächtigung des Parlaments nötig. Erst durch den "Extradition Act" von 1870 wurde der Königin ein für allemal Vollmacht erteilt, die von ihr abgeschlossenen Auslieferungsverträge, wenn sie sich innerhalb der vom Gesetz aufgestellten Grenzen halten, durch "order in council" für ausführbar zu erklären4u . Wie in Belgien durch das Auslieferungsgesetz, so ist 47 v. Martitz, Bd. II S. 11, an den sich die folgenden Sätze zum Teil wörtlich anlehnen. 48 Zum Vertragsschließungsrecht allg. vgl. Laws and Practices concerning the conclusion of treaties, United Nations Legislative Series ST/LEG/SER.B/3

S. 120 ff., 125. cu Vgl. Lammasch, S. 88.

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also auch in Großbritannien durch den "Extradition Act" der Krone in Gesetzesform die Ermächtigung erteilt worden, in Zukunft Auslieferungsverträge mit dem Ausland zu schließen und durch daraufhin zu erlassende königliche Verordnungen innerstaatlich in Vollzug zu setzen50• Der übereinstimmung in den verfassungsrechtlichen Ausgangspunkten entspricht eine weitgehende Gemeinsamkeit der praktischen Bedürfnisse. Dem anglo-amerikanischen Rechtskreis war es von jeher eigentümlich, Rechtshilfebeziehungen von dem vor gängigen Abschluß genereller Auslieferungsverträge abhängig zu machen. Auf dieser Grundlage "erschien es als das zweckmäßigste, die materiellen und formalen Bedingungen des Jurisdiktionsverkehrs mit dem Ausland durch Gesetz festzulegen und dessen vertragsmäßige Adaptierung im Einzelfall der königlichen Order zu überlassen'C51. Auch in England wird die Volksvertretung zwar von der Prüfung und Genehmigung des einzelnen Vertragsschlusses entbunden; aber innerhalb der ihr durch das Gesetz gezogenen Schranken hat die Exekutive volle Handlungsfreiheit. Die Ausschaltung der gesetzgebenden Körperschaften wird jedoch nur deshalb für zulässig erachtet, weil anstelle ihrer Mitwirkung das der Krone verliehene Verordnungsrecht trat52• Daß alle Auslieferungsverträge Rechtsvorschriften darstellen sollten, die von Gerichten und Behörden zu beachten sind, stand außer jedem Zweifel. Ihre Vollziehbarkeit ist - im Gegensatz zum deutschen Landesstaatsrecht der damaligen Zeit - stets von einem gesetzgeberischen Willensakt abhängig gemacht worden53• Das deutsche Recht unterscheidet sich von diesem System grundlegend. Zwar verfolgt auch das DAG den Zweck, einheitliche Richtlinien für Abmachungen mit dem Ausland zu liefern und damit einen Rahmen für Rechtshilfeverträge mit anderen Staaten zu schaffen. Gleichzeitig steckt es die Grenzen ab, in denen im Einzelfall deutsche Rechtshilfe gewährt werden darf. Deshalb erscheinen die Bestimmungen vielfach im Gewand von Ermächtigungen54• Aber von keiner Seite und an keiner Stelle ist jemals der Gedanke laut geworden, das Gesetz habe mit dem 50 51

Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 148. v. Martitz, Bd. II S. 548. Vgl. McNair, a. a. O. S. 93, der eine der Kategorien

52 von Verträgen, die der parlamentarischen Genehmigung "for their municipal execution and application" bedürfen "admirably illustrated" findet durch die Auslieferungsverträge. "They can only be applied in the U.K. in so far as the Crown has been or may be empowered by legislation to apply them". Denn ebenso wie das belgische geht auch das englische Recht davon aus, daß durch Auslieferungsverträge "the Crown shall receive some new powers not already possessed by it". 63 Vgl. Wade-Bradley, S.275, die Auslieferungsverträge als Beispiel für Verträge anführen, die einen Gesetzgebungsakt erfordern. 54 Vgl. §§ 1, 10, 33, 34, Mettgenberg-Doerner, S. 41.

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§ 46 Abs.l der Exekutive ein Verordnungsrecht einräumen wollen. Für eine Ermächtigung der Exekutive, Auslieferungsverträge mit dem Ausland innerstaatlich im Wege des Verordnungsrechts wirksam werden zu lassen, war schlechterdings kein Raum. Neben der Behauptung, daß es des Gesetzgebers für die innerstaatliche Durchführung von Auslieferungsverträgen nicht bedürfe, weil ihre Vollziehbarkeit durch das Auslieferungsgesetz sichergestellt sei, konnte die Frage einer Verordnungsermächtigung, die nichts weiter als einen Ersatz für die an sich notwendige Mitwirkung des Gesetzgebers dargestellt hätte, naturgemäß nicht auftauchen. Nach geltendem Recht wäre eine Konstruktion, durch die der Gesetzgeber die Exekutive ermächtigen würde, völkerrechtliche Verträge durch Rechtsverordnungen in Kraft zu setzen, verfassungsrechtlich unzulässig54A • Die Zustimmung oder Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften nach Art. 59 Abs. 2 GG ist "nach Wesen und Inhalt ein Regierungsakt in der Form eines Bundesgesetzes, der nur unmittelbar durch förmliches Gesetz und nicht durch Rechtsverordnung vorgenommen werden kann"55. Die Zustimmung oder Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes ist daher, wie das BVerfG unmißverständlich ausgeführt hat, ein zwingender und nicht verzichtbarer Sondervorbehalt der Legislative. "Diese dem Bundestag vorbehaltene Kompetenz könnte nur im Wege der Verfassungsänderung auf die Bundesregierung übertr.agen werden. Nach Art. 80 GG kann die Bundesregierung nur ermächtigt werden, in der Form von Rechtsverordnungen Recht zu setzen, nicht aber Regierungsakte vorzunehmen, für die das Grundgesetz Gesetzesform vorschreibt58 ." Auch die praktischen Erwägungen, die in Belgien und Großbritannien die Ausschaltung des Gesetzgebers tunlich erscheinen lassen konnten, entbehren nach deutschem Recht jeder vergleichbaren Grundlage. Die Zulässigkeit von Auslieferungen ohne jeden Auslieferungsvertrag oder über einen bestehenden Auslieferungsvertrag hinaus war nach deutschem Recht in Übereinstimmung mit den meisten anderen kontinentaleuropäischen Rechten von jeher unbestritten57. Der Erlaß des Auslieferungsgesetzes hat diese Rechtslage nur insofern geändert, als AusIleferungen über die Auslieferungsverträge hinaus und außerhalb der Ver54- Bedenken müssen daher auch gegen den Versuch angemeldet werden, im § 78 des Kommissionsentwurfs eines neuen DAG die Bundesregierung zu ermächtigen, durch Rechtsverordnung völkerrechtliche Vereinbarungen auf dem Gebiet der Rechtshilfe in Kraft zu setzen und durchzuführen; s. dazu unten S. 114 f. 55 BVerfGE Bd. 1 S. 395 und Leitsatz 7; vgl. dazu Reichel, S. 126 ff. 58 BVerfGE a. a. 0.; Meller-Lindenberg, Begriff, S. 274; Reichel, S. 126 ff. 57 Vgl. Reisner, S.14.

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träge nicht mehr unbeschränkt zulässig, sondern an die Schranken des Gesetzes gebunden sind58• Anregungen, im Anschluß an das belgische System nach Erlaß eines Auslieferungsgesetzes keine Auslieferung ohne einen generellen Auslieferungsvertrag zu gestatten50, haben sich nicht durchgesetzt. Das Gesetz kommt damit nicht nur dem Interesse an einer gewissen Elastizität des Auslieferungsverkehrs entgegen, es enthebt zugleich der Notwendigkeit, den Auslieferungsverkehr umfassend vertraglich zu regeln. Vor allem aber kann die Bundesrepublik nicht in die Lage kommen, sich aus Anlaß eines Einzelfalls vor die Alternative gestellt zu sehen, entweder sofort und unter Zeitdruck einen generellen Auslieferungsvertrag abzuschließen oder darauf zu verzichten, ein Auslieferungsersuchen zu stellen. Ein praktisches Bedürfnis, den Gesetzgeber beim Abschluß von Auslieferungsverträgen auszuschalten, ist bei der der Exekutive traditionsgemäß eingeräumten und durch das Auslieferungsgesetz nur unwesentlich beschnittenen Handlungsfreiheit nach deutschem Recht im Gegensatz zur Rechtslage in Belgien und Großbritannien nicht anzueI1kennen. Dem Versuch Mettgenbergs, seine Vorstellungen von der staatsrechtlichen Behandlung der Auslieferungsverträge im deutschen Recht mit dem Hinweis auf ausländische Vorbilder durchzusetzen, kann der Vorwurf einer unkritischen Beurteilung ausländischer Rechtsordnungen und der verfassungsrechtlichen Anforderungen an das eigene Recht kaum erspart bleiben. Bedenklich stimmt nicht zuletzt der Umstand, daß Mettgenberg an keiner Stelle die Einwände erwähnt, geschweige denn sich mit ihnen auseinandersetzt, die schon vorher gerade im Hinblick auf die übernahme des belgischen oder englischen Systems für das deutsche Recht mit Nachdruck angemeldet worden waren. Auf Grund eingehender Untersuchungen des belgischen und englischen Rechts war von Martitz zu dem Ergebnis gekommen, "daß die leitenden Gedanken, die jener Legislation zugrunde liegen, eine unmittelbare übertragung auf die Verhältnisse der großen europäischen Zentralmächte nicht zulassen" und daß trotz der Vorteile, die das belgische und englische System biete, nicht abzuleugnen sei, "daß die Voraussetzungen, auf denen das System beruht, anderswo keineswegs zutreffen"eo. 4. Die parlamentarische Behandlung des Gesetzentwurfs und die Stellungnahmen zur Rechtslage unter dem Grundgesetz

Nachdem die Vorstellungen Mettgenbergs in Form des § 46 DAG im Gesetzentwurf Gestalt angenommen hatten, kam es bei den Beratungen 18 IV

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Mettgenberg-Doerner, S. 41. So Frank, Wesen und Tragweite, S.143; Kraus, Bericht, S. 336. v. Martitz, Bd. II S. 758 f.

A. II. Die Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive 103 im Rechtsausschuß des Reichstages zu heftigen verfassungsrechtlichen Auseinandersetzungen". Mehrere Ausschußmitglieder vertraten den Standpunkt, § 46 DAG stehe nicht mit Art. 45 WRV in Einklang, da durch ihn entgegen der Verfassung der Reichstag ausgeschaltet werde. Sprecher der Regierung hielten dem entgegen, § 46 DAG diene nur der Klarstellung und entspreche einer ohnehin eintretenden Rechtslage. Nach § 45 Abs. 3 WRV seien Verträge mit dem Ausland dem Reichstag zur Zustimmung nur vorzulegen, wenn sie sich auf Gegenstände der Gesetzgebung bezögen. Nach der ständigen Staatspraxis unter der alten und der neuen Reichsverfassung sei diese Voraussetzung nur gegeben, wenn zur Durchführung des Vertrages im Innern ein Reichsgesetz erforderlich sei. Für Auslieferungsverträge, die den Vorschriften des Gesetzes entsprächen, sei das aber gerade nach dem Inkrafttreten des DAG nicht der Fall. Die Auffassung der Reichsregierung setzte sich schließlich im Ausschuß durch. Die Stellungnahmen in der Literatur zur Vereinbarkeit des § 46 DAG mit dem GG sind spärlich. Meyer 62 vertritt den Standpunkt, § 46 DAG könne die Gültigkeit nach dem Grundgesetz nicht abgesprochen werden. Daß Art. 59 Abs. 2 GG die Zustimmung oder Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes verlange, stelle keine sachliche Änderung gegenüber dem Rechtszustand unter der Weimarer Reichsverfassung dar. Die Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften bedeute nach der Weimarer Reichsverfassung und nach dem Grundgesetz nicht nur die Erteilung der Ermächtigung an den Präsidenten zum Abschluß des Vertrages, sie sei auch ein echter gesetzgeberischer Akt. Denn sie erhebe den Inhalt eines Vertrages, soweit Gegenstände der Reichs-, jetzt Bundesgesetzgebung in Betracht kämen, zu innerstaatlichem Recht und statte ihn mit Gesetzeskraft aus. Insoweit aber sei der Zustimmungsbeschluß immer ein echter Gesetzesbeschluß gewesen. Die Regelung im Grundgesetz sei also nicht starrer geworden83 • Mit der gleichen Begründung, daß sich die Rechtslage gegenüber dem früheren Rechtszustand nicht geändert habe, spricht sich auch Doerner14 für die Fortgeltung des § 46 DAG unter der Herrschaft des Grundgesetzes aus. Immerhin räumt er ein, die Frage sei zweifelhaft und noch nicht ausgetragen. Grützner85 weicht der entscheidenden Frage aus. Im Anschluß an die Feststellung, es sei umstritten, ob Absatz 1 konstitutiven oder deklaratorischen Charakter habe, fährt er fort: "Er ist zumindest in dem Sinne gültig, daß " Vgl. Mettgenberg-Doerner, S. 507 f. ot S. 55 ff. 13 Meyer, S. 56 unter Berufung auf v. Mangoldt, Art. 59 Nr. 6 a. E.; Menzel, BK Art. 59 III Ad. 14 Mettgenberg-Doerner, S. 508. es Kurzkommentar, Anm. zu § 46.

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

Vereinbarungen nicht der Zustimmung des Bundestages bedürfen, wenn sie mit dem deutschen Auslieferungsgesetz und den sonstigen deutschen Gesetzen, insbesondere mit Art. 59 Abs. 2 GG in Einklang stehen". Dagegen vertritt Reichel den Standpunkt, § 46 Abs. 1 DAG widerspreche dem Grundgedanken des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG und sei daher als durch das Grundgesetz außer Kraft gesetzt anzusehen (Art. 123 Abs. 1 GG)65'. 5. Zur Vereinbarkeit von § 46 DAG mit Art. 59 Abs. 2 GG

a) Die Zustimmungsbedürftigkeit "genereller" Auslieferungsverträge Eine verbindliche Antwort auf die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Exekutive zum Abschluß von Auslieferungsverträgen ohne Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften befugt ist, kann nur das geltende Verfassungsrecht geben. Anleihen bei fremden Rechten sind auf diesem Gebiet wegen der Eigenheiten des Gegenstandes68 meistens nur bedingt verwertbar. Das GG hat die Verteilung der Kompetenzen zwischen Legislative und Exekutive für den Abschluß völkerrechtlicher Verträge in Art. 59 Abs. 2 geregel t. Zwei Arten von Verträgen mit auswärtigen Staaten bedürfen der Zustimmung oder Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes. Es sind dies Verträge, die die politischen Beziehungen des Bundes regeln, und Verträge, die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen (Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG). Rechtshilfevereinbarungen können schon ihrer Natur nach nicht politische Beziehungen regeln. Zwar können Entschließungen darüber, ob ein Auslieferungsvertrag mit einem auswärtigen Staat überhaupt und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen abgeschlossen werden soll, nicht unerhebliche politische Auswirkungen haben, ebenso wie die Entscheidung über ein ausländisches Auslieferungsersuchen geeignet ist, die politischen Beziehungen zu einem auswärtigen Staat zugunsten oder zuungunsten des Bundes zu beeinflussen. Gleichwohl kann nicht die Rede davon sein, die Vereinbarungen erfaßten "wesentlich und unmittelbar die Existenz des Staates, seine territoriale Integrität, seine Unabhängigkeit, seine Stellung oder sein Gewicht unter den Staaten oder die Ordnung der Staatengemeinschaft"67. Daß sie die politischen Beziehungen des Bundes berühren können, genügt nicht, um sie zu politischen Verträgen i. S. des § 59 GG zu stempeln88 • es. ReicheZ, S. 120. Vgl. die Zusammenstellung bei Bernhardt, Eigenheiten, S. 432 ff. 67 BVerfGE Bd. 1 S. 388. 68 So die h.M.; vgl. Maunz-Dürig, Art. 59 RdNr. 15.

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Die Formulierung "Verträge, die sich auf Gegenstände der Gesetzgebung beziehen", hat das Grundgesetz aus der Weimarer Reichsverfassung und diese wiederum aus der Reichsverfassung von 1871 übernommenu. Es wurden und werden darunter übereinstimmend die Verträge verstanden, deren Bestimmungen, wenn man sie sich nicht als Vertragsbestandteil, sondern als innerstaatliche Normen vorstellt, nur im Gesetzgebungswege erlassen werden könnten7o. Die Worte "Gegenstände der Bundesgesetzgebung" beziehen sich also nicht auf die Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern (Art. 73 ff. GG), vielmehr kommt es entscheidend darauf an, "ob der Bund durch den Vertrag Verpflichtungen übernimmt, deren Erfüllung allein durch den Erlaß eines Bundesgesetzes möglich, ob ein Vollziehungsakt unter Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften des Bundes erforderlich oder ob die Umwandlung des Vertrages in innerstaatliches (Bundes-)Recht notwendig ist und nur im Wege der Gesetzgebung erfolgen kann"71. Sinn und Zweck der Vorschrift wird darin gesehen, daß die Exekutive völkerrechtliche Verpflichtungen, die sie nicht in eigener Kompetenz erfüllen kann, nicht ohne vorherige Zustimmung der Legislative eingehen solF2. So erklärt sich der Umkehrschluß, daß die Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften dann nicht erforderlich sei, wenn bereits ein die Erfüllung der Vertragspflichten im Innern ermöglichendes Gesetz bestehe oder die Exekutive zum Erlaß etwa zur Durchführung des Vertrages notwendiger Rechtsverordnungen schon gesetzlich ermächtigt seF3. Auf diesem Umkehrschluß beruht auch die Regelung im § 46 DAG. In den Beratungen des Rechtsausschusses setzte sich die Auffassung durch, daß auf Verträge, deren Inhalt mit dem DAG übereinstimme, Art. 45 Abs. 3 WRV keine Anwendung finde, da sie ohne Zustimmungsgesetz innerstaatlich vollzogen werden könnten74 • Der § 46 DAG - so wurde U RV 1871 Art. 11 Abs. 3: Insoweit die Verträge mit fremden Staaten sich auf solche Gegenstände beziehen, welche nach Artikel 4 in den Bereich der Reichsgesetzgebung gehören, ist zu ihrem Abschluß die Zustimmung des Bundesrates und zu ihrer Gültigkeit die Genehmigung des Reichstages erforderlich; WRV Art. 45 Abs. 3: Bündnisse und Verträge mit fremden Staaten, die sich auf Gegenstände der Reichsgesetzgebung beziehen, bedürfen der Zustimmung des Reichstages. 70 Anschütz, § 45 Anm. 7 a; Maunz-Dürig, Art. 59 Anm.17; v. MangoldtKlein, Art. 59 IV 2 c. 71 BVerfGE Bd.1 S.388; v. Mangoldt-Klein, Art. 59 IV 2 c; Maunz-Dürig, Art. 59 RdNr. 17; Menzel, BK Art. 59 II 6. n BVerfGE Bd. 1 S. 390. 73 Vgl. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S.120: "Ein Staatsgesetz zur Ausführung eines Vertrages ist ja zweifellos überall da unnötig, wo die Handlungen der Staatsorgane, zu denen er Veranlassung gibt, auch abgesehen vom Vertrage nach dem Stande des Landesrechts ohne besondere gesetzliche Ermächtigung vorgenommen werden könnten." 74 Vgl. Mettgenberg-Doerner, S. 507.

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argumentiert - erschöpfe sich in der KlarsteIlung einer ohnedies eintretenden Rechtslage. Das traditionelle Verständnis des Ineinandergreifens von gesetzlicher und vertraglicher Regelung im Auslieferungsrecht schien diese Auffassung zu bestätigen. Nach herrschender Meinung hat das Auslieferungsgesetz im Gegensatz zu den Auslieferungsverträgen nur staats- und verw,altungsrechtlichen Charakter. Das Auslieferungsgesetz bezieht sich nicht auf die Auslieferungspflicht gegenüber einem ausländischen Staate, sondern auf das Recht auszuliefern. Es beantwortet die Frage, wann ausgeliefert werden darf, während die Auslieferungsverträge eine Antwort auf die Frage geben, wann ausgeliefert werden muß75. Die Bestimmungen des Auslieferungsgesetzes werden als Normierung staatlicher Rechte, die der Auslieferungsverträge als solche staatlicher Pflichten verstanden 7e • Daraus wird gefolgert, ein Auslieferungsabkommen mit einem auswärtigen Staat, das sich im Rahmen des DAG halte, habe nur völkerrechtliche Bedeutung. Es stelle fest, daß eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Erfüllung eines Auslieferungsersuchens bestehe, wenn die vertraglich festgesetzten Voraussetzungen erfüllt seien. Ob dem Ersuchen innerstaatlich entsprochen werden könne, beurteile sich nach dem Auslieferungsgesetz. Das DAG bilde die Grundlage, die dem Vertragspartner gegenüber übernommene Verpflichtung innerstaatlich zu erfüllen. Erst wenn eine Auslieferung in einem weiteren Umfange oder unter leichteren Voraussetzungen als im DAG vorgesehen vereinbart werde, greife der Vertrag in die Rechte der Betroffenen ein und mache einen Vollzugsakt in der Form eines Gesetzes erforderlich, bedürfe also der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften. Von diesem Ausgangspunkt her mußte das Problem der Zustimmungsbedürftigkeit von Auslieferungsvereinbarungen zwangsläufig mit der Frage der staatsrechtlichen Behandlung sog. Parallelabkommen identifiziert werden. Die Verwirrung, die in dieser Hinsicht immer noch besteht77 , scheint die Aufmerksamkeit von der These, die der Identifikation zugrunde liegt, abgelenkt zu haben. Anders ist es kaum zu erklären, daß noch nicht der Versuch gemacht worden ist, die Konsequenzen zu ziehen, die sich aus dem Wandel vom politischen zum Rechtsprinzip für das Verständnis des Verhältnisses zwischen Auslieferungsgesetz und Auslieferungsverträgen ergeben. aal Der Einfluß des Wandels vom politischen zum Rechtsprinzip Das Rechtsprinzip hat den Verträgen innerhalb des innerstaatlichen Auslieferungsverfahrens eine neue Funktion zugewiesen. Mit der Ein75 Frank, Wesen und Tragweite, S.140. 78

77

Reucher, S. 15.

Vgl. dazu unten S. 146 ff.

A. 11. Die Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive

107

führung des Rechtsprinzips hatte der Gesetzgeber keineswegs allein das rechtsstaatliche Ziel im Auge, den Verfolgten ein gewisses Maß an Rechtsgarantien im Auslieferungsverfahren einzuräumen. Aus staatlicher Sicht stand von Anfang an der Gesichtspunkt im Vordergrund, durch die Berufung auf die Entscheidung eines unabhängigen Gerichts den politischen Instanzen für ihre Entschließungen gegenüber dem Ausland einen unanfechtbaren Rückhalt zu bieten. Das Interesse an politischer Entlastung gegenüber dem Ausland spielte eine entscheidende Rolle für die Form, in der die Gerichte am Auslieferungsverfahren beteiligt wurden. Der Gesetzgeber sah sich vor die Wahl zwischen drei verschiedenen Möglichkeiten gestellt, die man nach den Ländern, in denen sie verwirklicht waren, als das belgische, das schweizerische und das luxemburgische System bezeichnen kann. Die Eigenart des belgischen Systems besteht darin, daß das Gericht über die in Aussicht genommene Auslieferung ein Gutachten erstattet, an das der Justizminister bei seiner Entscheidung über das Auslieferungsersuchen nicht gebunden ist78 • "Die Ansichtsäußerung der Anklagekammer über das Auslieferungsbegehren ist ein Gutachten, welches die Regierung nicht formell bindet7u." Im Gegensatz dazu legt das schweizerische System80 dem Gerichtsbeschluß selbst die entscheidende Bedeutung bei. "Der Entscheid selbst ist nicht, wie in den meisten anderen Staaten, ein bloßes Gutachten, sondern ein endgültiges Urteil ... 81." Einen Mittelweg zwischen diesen beiden Lösungen hat das luxemburgische Auslieferungsgesetz vom 13. März 1850 eingeschlagen8!. Es läßt sich im wesentlichen dahin zusammenfassen, daß die Gerichtsentscheidung endgültig und bindend ist, wenn sie die Auslieferung für rechtlich unzulässig erklärt, daß sie den Verwaltungsbehörden dagegen freie Hand läßt, die Auslieferung zu versagen, wenn sie deren rechtliche Zulässigkeit bejaht83• In die engere Wahl scheinen nur das belgische und das luxemburgische Vorbild gezogen worden zu sein. In das Gesetz fand schließlich das luxemburgische System Eingang, dessen Vorzüge zuvor schon Frank 84 mit den Worten beschrieben hatte: "Namentlich bei der Entscheidung über das Auslieferungsgesuch bedeutet ihre (seil. der Gerichte) Mitwirkung, wie unter anderm auch der Abgeordnete Gröber im Reichstag anerkannt hat, eine wesentliche politische Entlastung des Ministeriums. Denn zweifel78

7'

80

Mettgenberg, Gutachten, S. 40. Schultz, S.152. VgL dazu Schultz, S. 155,237 f.

81 So die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurf des Bundesgesetzes betreffend die Auslieferung gegenüber dem Ausland vom 9. Juni 1890, BBl. 1890111 S. 360, zitiert nach Schultz, S. 247 Anm. 142. 81 Vgl. Mettgenberg, Gutachten, S. 40. 83 Mettgenberg, Gutachten, S. 43, 84 Frank, Wesen und Tragweite, S. 147.

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

los ist seine Lage gegenüber dem ausländischen Staate eine erheblich günstigere, wenn es sich bei der Ablehnung der Auslieferung auf die Autorität einer dem politischen Getriebe entrückten Behörde stützen kann. Eben deshalb genügt es nicht, wenn die Gerichte nur ein unverbindliches Gutachten über die Auslieferung erstatten; vielmehr müssen sie in der Lage sein, das Ministerium durch eine die Auslieferung für unzulässig erklärende Entscheidung zu binden". Auch zahlreiche andere Auslieferungsgesetze haben das luxemburgische System übernommen8s• Daß dafür ähnliche Erwägungen den Ausschlag gegeben haben dürften, verrät die Begründung des Entwurfs eines französischen Auslieferungsgesetzes vom 11. August 1923: "Die Regierung ist in der gesicherten Lage, sich hinter den Gerichtsentscheidungen verschanzen zu können, und braucht nicht die Verantwortung auf sich zu nehmen, Gefälligkeiten zu erweisen oder zu versagen88 ." Die Konzeption des Gesetzes setzt voraus, daß das Gericht die Zulässigkeit der Auslieferung nach denselben Vorschriften beurteilt, aus denen sich der Umfang der völkerrechtlichen Auslieferungsverpßichtung ergibt. Nur die Kongruenz des innerstaatlichen Dürfens mit dem völkerrechtlichen Sollen sichert der Regierung den mit der gesetzlichen Regelung erstrebten Rückhalt bei der Ablehnung eines Auslieferungsersuchens. Während die Auslieferungsverträge bisher lediglich den Umfang der völkerrechtlichen Auslieferungspßicht absteckten, war ihnen mit dem Wandel vom politischen zum Rechtsprinzip gleichzeitig die Aufgabe zugewiesen, im Verfahren über die Zulässigkeit der Auslieferung als Maßstab und Grundlage der Entscheidung des Gerichts zu dienen. Damit stellt sich zwangsläufig das Problem der Konkurrenz von gesetzlicher und vertraglicher Regelung. Schon bei den Vorarbeiten zum DAG war die Frage aufgetaucht, ob das Verhältnis zwischen dem Gesetz und den bestehenden Auslieferungsverträgen ausdrücklich angesprochen werden sollte. Es überwog schließlich die Auffassung, daß auf eine Regelung, wie sie in einigen Partikularrechten bestand87 , verzichtet werden könne. Aus dem Wesen zwi85 Vgl. die Nachweise bei Schultz, S.153 Anm. 10; es entspricht der These 20 der Oxforder Resolution des Institut de droit international. 88 Zitiert nach Reisner, S. 16. 87 Vgl. Z. B. den Schlußsatz des § 18 Abs.3 des Grundgesetzes für die vereinigte landschaftliche Verfassung des Herzogtums Sachsen-Meiningen vom 23. August 1829, Sammlung der landesherrlichen Verordnungen im Herzogtum Sachsen-Meiningen I, S. 139, der die Voraussetzungen einer Auslieferung festlegt: "Die deshalb schon abgeschlossenen Verträge mit anderen Staaten sind jedoch noch ferner zu beachten"; vgl. dazu im einzelnen Mettgenberg, S.237; vgl. ferner Art. 7 und 10 Abs.2 des Frankfurter Gesetzes, das Verfahren bei Auslieferungsersuchen auswärtiger Regierungen oder Behörden betreffend, vom 6.125. Juni 1866, Gesetz- und Statutensammlung der freien Stadt Frankfurt, Bd. 16 S. 391, wo zum Ausdruck gebracht ist, daß vertragliche Verpflich-

A. H. Die Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive 109 schenstaatlicher Verträge ergebe sich, daß einseitige gesetzgeberische Maßnahmen, soweit nicht sichere Anhaltspunkte für eine gegenteilige Auslegung bestünden, vertragliche Verpflichtungen nicht beeinträchtigten88 • Das DAG hat sich damit einer Auslegungsregel angeschlossen, die in der deutschen Rechtsprechung und Gesetzgebung seit langem anerkannt war88• Die auslieferungsrechtliche Praxis hat es jedoch bei dieser völkerrechtsfreundlichen Auslegungsregel nicht bewenden lassen, sondern von jeher den Vorrang des Vertragsrechts auf die Regel »lex posterior generalis non derogat legi priori speciali" gestützt. Insbesondere das Reichsgericht hat in zahlreichen Entscheidungen die Verträge als Spezialregelungen anerkannt und ihnen mit dieser Begründung den Vorrang vor dem Gesetz eingeräumt90 • Die Anerkennung als Spezialregelung ist aber nicht nur für das Verhältnis des Gesetzes zum älteren Vertragsrecht bedeutsam, sie betrifft gleichermaßen das Verhältnis zwischen dem Gesetz und späteren Verträgen 91 • Abweichendes späteres Vertragsrecht läßt das frühere Gesetzesrecht grundsätzlich unberührt, das Gesetzesrecht tritt lediglich in der Anwendung hinter die vertragliche Regelung zurück92 • Im Verhältnis zu denjenigen Staaten, mit denen vertragliche Vereinbarungen bestehen, hat das Gesetz subsidiären Charakter. Nur soweit die Verträge keine Bestimmungen enthalten und die Annahme gerechtfertigt ist, daß die vertragschließenden Parteien die Regelung ihrem innerstaatlichen Recht überlassen wollen, greifen die Vorschriften des Gesetzes einu . Von der Subsidiarität des Gesetzes gegenüber vertraglichen Regelungen gehen auch die Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten94 aus, die in übereinstimmung mit den früheren Richtlinien vom 27. März 193495 alle mit Auslieferungsangelegenheiten befaßten Stellen ausdrücklich anweisen, bei der Bearbeitung eines ausländischen Rechtshilfeersuchens zunächst zu prüfen, ob eine tungen den gesetzlichen Vorschriften vorgehen; Näheres dazu bei Frank, Der Kampf. 88 So die amtliche Begründung des Entwurfs, abgedruckt im Auszug bei Mettgenberg-Doerner, S. 77.

88 Vgl. die Nachweise bei Mettgenberg-Doerner, S.78; Boehmer, S.70; Mosler, Praxis, S. 26. 90 Nachweise bei Boehmer, S. 70 Anm. 280; Bernhardt, Konflikte, S. 421.

91 Der Bundesjustizminister hat bei der Beratung des deutsch-französischen Auslieferungsvertrages vom 29.11.1951 in der 265. Sitzung des ersten Bundestags am 12. 5. 1953 den Vertrag ausdrücklich als Spezialregelung gegenüber dem (geltenden) innerstaatlichen Auslieferungsrecht bezeichnet, vgl. Stenographische Berichte 1325 C. 82 Mosler, Praxis, S.27; Bruns, S.730 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des RG. 93 Das gilt z. B. für das Verfahrensrecht der Auslieferungsgesetze. " RiVASt vom 15. Januar 1959, BA Nr. 9 vom 15. Januar 1959. U5 Reichsministerialblatt 1934, S. 141.

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

Pflicht zur Leistung der erbetenen Rechtshilfe besteht, um dann fortzufahren: "Besteht eine vertragliche Verpflichtung, so ist die Rechtshilfe auch dann zu leisten, wenn sie nach den Vorschriften des deutschen Auslieferungsgesetzes nicht zulässig wäre98 ." Die Literatur zum Auslieferungsrecht vertritt ebenfalls einhellig die Meinung, daß die im Gesetz für die Zulässigkeit einer Auslieferung aufgestellten Voraussetzungen nur maßgebend sind, wenn ein Auslieferungsvertrag nicht besteht87• Gegenüber den vertraglichen Verpflichtungen gelte das DAG nur subsidiär'8. In der Einleitung seines Kurzkommentars zum DAG" weist Grützner ausdrücklich darauf hin, daß die nachstehenden Erläuterungen zum DAG sich nur auf Fälle bezögen, die nicht vertraglich geregelt seien; nur dann, wenn zwischen dem Staat, der um Rechtshilfe ersuche, und der Bundesrepublik Deutschland keine Verträge bestünden, seien die Vorschriften des DAG anwendbar. Zwar finden sich gelegentlich immer wieder Beschlüsse, in denen Oberlandesgerichte auf die Vorschriften des DAG Bezug nehmen, selbst wenn die Auslieferung auf vertraglicher Grundlage beruht. Diese Praxis ist jedoch von jeher nachdrücklich gerügt worden. So macht etwa Mettgenberg einem Beschluß des OLG München zum Vorwurf, er übersehe, daß bei der Entscheidung über die Zulässigkeit zunächst zu prüfen sei, ob nach den bestehenden vertraglichen Beziehungen die Auslieferung gewährt werden müsse. "Ist eine solche Pflicht zur Auslieferung festzustellen, so bedarf es regelmäßig keiner weiteren Prüfung. Eine Auslieferung, zu der der deutsche Staat verpflichtet ist, ist grundsätzlich stets zulässigloo." Erst kürzlich wieder hat GTÜtznerlOI unter Bezugnahme auf die amtliche Begründung der Reichstagsvorlage des DAGlol betont: "Zur Entscheidung über die Zulässigkeit einer Auslieferung aufgrund eines Vertrages ist nicht das DAG, sondern der Vertrag maßgebend, gleichgültig, ob der Vertrag vor oder nach dem Inkrafttreten des DAG abgeschlossen worden ist. Unter keinen Umständen kann im vertraglichen Auslieferungsverkehr die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Auslieferung nach den §§ 1-6 DAG beurteilt werden. " Nur insoweit, wie der Auslieferungsvertrag eine Frage nicht regele, könnten die Bestimmungen des DAG angewendet werden. Das sei in erster Linie der Fall hinsichtlich der prozessualen Ausgestaltung des innerdeutschen Auslieferungsverfahrens. Im übrigen enthalte jeder Vertrag Bestim'8 87 D8 t9 100 101 102

Vgl. Nr. 14 Abs. 1 und 2 Satz 1 RiVASt vom 15. 1. 59. Vgl. Reisner, S. 17 mit weiteren Nachweisen. Kimminich, BK Art. 16 RdNr. 64. GTÜtzner, Kurzkommentar II B 76 S. 14. Mettgenberg, Anmerkung, S. 1546; ferner Mettgenberg-Doerner, S. 82. Jahresbericht 1963. Abgedruckt bei Mettgenberg-Doerner, S. 77.

A. II. Die Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive

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mungen, für welche strafbaren Handlungen eine Auslieferungsverpflichtung begründet werde, welche Ausnahmen von der Auslieferungsverpflichtung bestünden, welche Urkunden einem Auslieferungsersuchen beigefügt werden müßten und in welchem Umfang der Grundsatz der Spezialität zu berücksichtigen sei. In den gerügten Fällen hätten die Oberlandesgerichte, anstatt auf die §§ 1-6 DAG hinzuweisen, sagen müssen: "Gründe, die nach den jeweiligen Artikeln des dafür in Betracht kommenden Auslieferungsvertrages einer Auslieferung entgegenstehen könnten, sind nicht gegeben." bb) Konsequenzen für die staatsrechtliche Behandlung der Auslieferungsverträge Angesichts der einhelligen Anerkennung des Grundsatzes vom Vortang der Verträge bildet § 46 DAG in einem Auslieferungsrechtssystem, das vom Rechtsprinzip beherrscht wird, einen Fremdkörper. Verträge, zu denen ein Zustimmungsgesetz nicht ergangen ist, können in einem solchen System die ihnen zugewiesene Funktion als Rechtsgrundlage der gerichtlichen Entscheidung im Zulässigkeitsverfahren nicht erfüllen. Völkerrechtliche Vereinbarungen hat der deutsche Richter nur zu beachten, wenn ein Vertragsgesetz sie innerstaatlich ausführbar gemacht hatl03 ; "in konstitutionellen Staaten schulden die Gerichte nur den Gesetzen Gehorsam"lo4. Der Grundsatz vom Vorrang der Verträge, der der vertraglichen Regelung Maßgeblichkeit auch im Zulässigkeitsverfahren sichern soll, muß nichttransformiertem Vertragsrecht gegenüber zwangsläufig versagen. Konflikte des Vertragsrechts mit anderen staatlichen Rechtssätzen, die dieselbe Materie auf andere Weise regeln, kön· nen nur dort auftreten, wo die Vertragsnormen infolge einer Transformation in Landesrechtl05 im nationalen Bereich anwendbar sind, Für Verträge, die in der erleichterten Form des § 46 DAG abgeschlossen werden, erschöpft sich der Grundsatz in der selbstverständlichen Aus"" sage, daß völkerrechtliche Verträge durch innerstaatliche Gesetze nicht aufgehoben oder abgeändert werden können. Diese Selbstverständlichkeit ist jedoch nicht gemeint, wenn im Auslieferungsrecht vom Vorrang der Verträge die Rede ist. Die Anwendung des § 46 DAG auf Auslieferungsverträge führt zwangsläufig dazu, daß der Richter, der über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden hat, eritgegen dem sonst ausnahmslos anerkannten Prinzip vom Vorrang der Verträge seiner Entscheidung die 103 104

Kraus, Der deutsche Richter, S. 227; Mosler, Praxis, S. 16 ff. So schon v. Bar, Lehrbuch, S. 289.

105 Oder nach der Vollzugslehre durch unmittelbare Geltung kraft eines Anwendungsbefehls des Gesetzgebers.

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

Vorschriften des DAG zugrunde zu legen hat. Die Bedenken dagegen lassen sich nicht mit dem Hinweis ausräumen, bei der Wahl der Entscheidungsgrundlage handele es sich vorwiegend um eine Formfrage, da der vereinfachte Vertragsschluß nur für Verträge in Betracht komme, deren innerstaatlicher Vollzug durch das Gesetz gedeckt sei, so daß Konflikte zwischen innerstaatlichem Recht und völkerrechtlichen Vertragspflichten in der Praxis überhaupt nicht auftreten könnten. Im Sinne des § 46 entsprechen dem DAG nicht nur die Verträge, die sich mit der gesetzlichen Regelung inhaltlich decken; der Vorschrift ist schon dann genügt, wenn die vertragliche Vereinbarung sich im Rahmen des Gesetzes hält. Unter § 46 DAG fallen daher auch Vereinbarungen, die für die Auslieferung strengere Voraussetzungen aufstellen und den Kreis der auslieferungsfähigen Straftaten enger ziehen als das Gesetz. Als Beispiel sei hier nur das Erfordernis der Mindeststrafen oder Mindeststrafdrohungen erwähnt, das die Auslieferungsverträge zur Umschreibung der auslieferungsfähigen Straftaten regelmäßig enthalten, während das Auslieferungsgesetz die Auslieferung wegen jeder Straftat, unabhängig von der im Einzelfall verwirkten oder angedrohten Strafe für zulässig erklärt, sofern es sich nach deutschem Recht um ein Verbrechen oder Vergehen handelt (§ 2 DAG). Obwohl z. B. eine Auslieferung nach Frankreich zur Vollstreckung einer Gefängnisstrafe von zwei Monaten wegen Diebstahls mangels Erreichen der Mindeststrafhöhe l08 auf Grund des Vertrages nicht bewilligt werden könnte, wäre eine Auslieferung nach § 2 DAG durchaus zulässig. Das geltende Recht läßt diese Folgen allerdings nicht sichtbar werden. Die Anwendung des Gegenseitigkeitsprinzips führt dazu, daß das vertragliche Auslieferungsrecht auch dann bei der Prüfung der Zulässigkeit heranzuziehen ist, wenn das Gesetz an die Zulässigkeit der Auslieferung geringere Anforderungen als der Auslieferungsvertrag stellt. Auf dem Umweg über die Gegenseitigkeit kann das weiterreichende innerstaatliche Recht zur Auslieferung immer noch auf die weniger große völkerrechtliche Auslieferungsverpflichtung zurückgeführt werden, so daß letztlich doch immer das vertragliche Auslieferungsrecht zur Geltung kommt107• Solange der Grundsatz der Gegenseitigkeit als Rechtsprinzip gilt, bereitet die im Hinblick auf § 46 DAG drohende Gefahr divergierender Entscheidungen der Gerichte einerseits und der Bewilligungsbehörden andererseits in der Praxis keine Schwierigkeiten. Die Reform des DAG wird insoweit jedoch mit Sicherheit einen grundsätzlichen Wandel schaffen. Der Kommissionsentwurf eines neuen DAG sieht davon ab, die Auslieferung von der Verbürgung der Gegenseitig108 107

Drei Monate Gefängnis nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a des Vertrages. Vgl. Reisner, S. 58; Reueher, S. 56.

A. H. Die Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive

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keit abhängig zu machen lo8 • Mit einer dem § 46 DAG entsprechenden Vorschrift würde der Regierung der Rückhalt genommen, den ihr die Einschaltung der Gerichte in das Auslieferungsverfahren sichern sollte. Solange Theorie und Praxis des Auslieferungsrechts daran festhalten, daß in dem Umf,a nge, in dem die Voraussetzungen und Bedingungen der Auslieferung durch völkerrechtliche Verträge geregelt sind, das DAG bei der gerichtlichen Zulässigkeitsprüfung hinter den zwischenstaatlichen Vereinbarungen zurückzutreten hat, ist für den Abschluß von Auslieferungsverträgen in der vereinfachten Form des § 46 DAG kein Raum. Diese Feststellung ist unabhängig von der Stellungnahme zum Problem der Zustimmungsbedürftigkeit sog. Parallelabkommen. Von dem Grundsatz des Vorrangs der Verträge ausgehend, wie er im Auslieferungsrecht allgemein verstanden wird, stellt sich das Problem der staatsrechtlichen Behandlung von Auslieferungsverträgen in ganz anderer Form, als bisher angenommen wurde. Die entscheidende Frage lautet für das Auslieferungsrecht nicht, ob die in den Verträgen übernommenen völkerrechtlichen Auslieferungsverpflichtungen ohne Tätigwerden des Gesetzgebers auf Grund der schon bestehenden innerstaatlichen Rechtslage erfüllt werden können. Diese Frage wäre, solange die Verträge sich im Rahmen des Auslieferungsgesetzes halten, unbedenklich zu bejahen. Die Besonderheit des Auslieferungsrechts besteht darin, daß die Auslieferungsverträge neben ihrer völkerrechtlichen Bedeutung zugleich für die gerichtliche Prüfung der Zulässigkeit die Anwendung des Gesetzes ausschließen und an seine Stelle treten. Mit der Bestimmung zur unmittelbaren Anwendung durch die Gerichte im Zulässigkeitsverfahren haben die Auslieferungsverträge gesetzesvertretende Funktion erhalten. Daß gesetzesvertretende Verträge unter die in Art. 59 Abs.2 Satz 1 GG aufgeführten Verträge mit auswärtigen Staaten fallen, die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, erscheint so selbstverständlich, daß es sich nur selten ausdrücklich ausgesprochen findet l09 • Mit dem Abschluß solcher Verträge ohne Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften würde die Regierung über das Vertragsschließungsrecht Befugnisse erhalten, die ihrer Natur nach der Legislative zukommen, mit der Folge, daß für weite Gebiete die Legislative zugunsten der Exekutive ausgeschaltet und innerstaatlich das Gewaltentrennungssystem verzerrt würde. Die vereinfachte Form des Abschlusses von Auslieferungsverträgen ohne Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften, wie sie § 46 DAG vorsieht, genügt daher den Anforderungen der Verfassung nicht. 108 Eine dem § 4 Nr. 1 DAG entsprechende Vorschrift ist im Entwurf nicht enthalten. 109 z. B. bei Seidl-Hohenveldern, RdNr. 164.

8 Vogler

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

Damit soll keineswegs behauptet werden, daß § 46 DAG im ganzen verfassungswidrig sePlo. Nur auf Verträge, die auslieferungsrechtliche Beziehungen umfassend regeln und auf eine vertragliche Grundlage stellen, die im Zulässigkeitsverfahren vor dem Oberlandesgericht an die Stelle des DAG tritt, kann die Vorschrift nicht angewendet werden. Das schließt nicht aus, daß § 46 DAG im Wege verfassungskonformer Auslegung für andere Vereinbarungen mit ausländischen Regierungen über die Rechtshilfe in Strafsachen, die sich im Rahmen des Gesetzes halten, durchaus Bedeutung haben kann. Bei den Vorarbeiten zu einem neuen DAG konnte die staatsrechtliche Problematik des § 46 nicht ausgeklammert werden. In Verkennung der praktischen Tragweite des Problems hat die Kommission zur Reform des DAG geglaubt, trotz einer Sonderregelung für GegenrechtserklärungenllO ' an der Möglichkeit eines vereinfachten Verfahrens für den Abschluß von Auslieferungsverträgen festhalten zu müssen. In der Form einer sog. "auslandsbezogenen Rechtsverordnungsermächtigung" soll künftig die Bundesregierung die Befugnis erhalten, zur Förderung der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafrechtspflege völkerrechtliche Vereinbarungen durch Rechtsverordnung in Kraft zu setzen und durchzuführen, wenn die in diesen Vereinbarungen übernommenen Verpflichtungen sich im Rahmen des Gesetzes haltenllOb • Dem Vorwurf, damit gegen das Prinzip der Nichtverfügbarkeit verfassungsmäßig zugewiesener Kompetenzen zu verstoßenllO -, wird mit dem Hinweis begegnet, nicht das Zustimmungsrecht als solches werde delegiert, sondern nur eine Rechtsetzungsbefugnis nach dem Vorbild des Art. 80 GG. Der übergang des Rechts zum selbständigen Vertragsschluß sei nichts weiter als die Folge der übertragung der Rechtsetzungsbefugnis entsprechend dem Prinzip der übereinstimmung von Vertragsschließungs- und Gesetzgebungskompetenzllod • Ob die Prämisse dieser Argumentation zutrifft, im Falle einer Verordnungsermächtigung sei ein Zustimmungsrecht der gesetzgebenden Körperschaften von vornherein nicht gegeben, kann hier auf sich beruhen. 110 Deshalb kann der Feststellung von ReicheZ, S. 120, § 46 DAG sei als durch das Grundgesetz außer Kraft gesetzt anzusehen, in dieser Allgemeinheit nicht beigepflichtet werden. 110_ Vgl. dazu unten S. 128. 110b Vgl. § 78 (Ermächtigung) des Kommissionsentwurls: Die Bundesregierung wird ermächtigt, zur Förderung der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafrechtspflege völkerrechtliche Vereinbarungen durch Rechtsverordnung in Kraft zu setzen und durchzuführen, wenn die in diesen Vereinbarungen übernommenen Verpflichtungen sich im Rahmen dieses Gesetzes halten. 110_ Siehe oben S. 89, 10l. 110· Vgl. ReicheZ, S. 127 f.

A. II. Die Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive 115 Ein Blick auf die Staatspraxis rechtfertigt den Schluß, daß ohne das vereinfachte Verfahren, das die sog. "auslandsbezogene Rechtsverordnungsermächtigung" für den Abschluß völkerrechtlicher Verträge eröffnet, im Interesse einer schnellen und elastischen Ausübung des Vertragsschließungsrechts nicht mehr 'auszukommen ist. Es gibt zahlreiche Beispiele für Ermächtigungen der Bundesregierung oder einzelner Bundesminister zum Erlaß von Rechtsverordnungen zur Durchführung, inhaltlichen Änderung oder Änderung des Geltungsbereichs zwischenstaatlicher Vereinbarungen11oe• Aber abgesehen davon, daß für eine Ermächtigung der Bundesregierung, Auslieferungsverträge durch Rechtsverordnungen in Kraft zu setzen, ein praktisches Bedürfnis nicht anzuerkennen ist110f, überschreitet die Ermächtigungsklausel im § 78 des Kommissionsentwurfs die rechtsstaatlichen Grenzen, die Art. 80 Abs.l Satz 2 GG jeder Verordnungsermächtigung zieht. Schon ihrem Wortlaut nach enthält die Vorschrift nicht nur eine Ermächtigung zum Erlaß von Durchführungsverordnungen, sie gibt sich vielmehr ausdrücklich als "Inkraftsetzungsermächtigung" aus. Eine auf Grund des § 78 erlassene Rechtsverordnung läuft damit nicht nur im Ergebnis auf eine Übertragung des Zustimmungsrechts hinaus, sondern kennzeichnet sich selbst als ein auf die übertragung des Zustimmungsrechts gerichteter und damit unzulässiger Verordnungstyp. Hinzu kommt, daß die Klausel auch den inhaltlichen Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht genügt. Im Gegensatz zu Ermächtigungen zum Erlaß von Durchführungs- und Änderungsverordnungen in den Vertragsgesetzen überläßt sie die Auswahl des Vertragspartners der Exekutive und entzieht damit die fürauslandsbezogene Akte wesentliche Entscheidung, wem gegenüber vertragliche Verpflichtungen eingegangen werden sollen, der Kontrolle der gesetzgebenden Körperschaften. Allein mit der Beschränkung auf Vereinbarungen, die sich im Rahmen des Gesetzes halten, ist dem Bestimmtheitserfordernis des Art. 80 GG nicht genügt, solange die Ermächtigung nicht an einen bestimmten Vertrag gebunden ist. Der richtige Standort für eine Verordnungsermächtigung wäre daher nicht das DAG, sondern das jeweilige Vertragsgesetz. Als Ermächtigung zur inhaltlichen Änderung oder Änderung des Geltungsbereichs eines bestimmten Vertrages kann einer Rechtsverordnungsermächtigung im Vertragsgesetz auch ein praktisches Bedürfnis nicht abgesprochen werden110Ir• Siehe die Hinweise bei Reichel, S. 127 Anm. 279 ff. Siehe unten Anm. 111. 1101< Z. B. bei der Erweiterung des Katalogs der auslieferungsfähigen Straftaten im Wege einer Gegenrechtsvereinbarung, siehe unten S.120, oder bei der Ausdehnung des räumlichen Geltungsbereichs einer vertraglichen Regelung, wie sie z. B. in Nr. 14 des Notenwechsels über die Wiederanwendung 110·

110t

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise b) Die staatsrechtlichen Erfordernisse für die Abgabe

von Gegenrechtserklärungen

Angesichts der geringen praktischen Bedeutung, die § 46 DAG für den Abschluß "genereller" Auslieferungsverträge seit dem Inkrafttreten des Gesetzes erlangt hat111 , erscheint das beharrliche Festhalten an der These, Auslieferungsverträge bedürften zu ihrer innerstaatlichen Wirksamkeit nicht der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften nach Art. 59 Abs.2 GG, unverständlich, zumal die Erfahrung hinlänglich gezeigt hat, daß bei der Behandlung von Zustimmungsgesetzen zu völkerrechtlichen Verträgen im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren auch des Bundestages praktische Schwierigkeiten nicht zu erwarten sind. In Wahrheit geht es den Verfechtern dieser These gar nicht um die Zustimmungsfreiheit der Verträge, die die auslieferungsrechtlichen Beziehungen zu einem ausländischen Staat umfassend regeln und auf eine vertragliche Grundlage stellen. Die Besorgnis, die sie leitet, ergibt sich aus der Annahme, daß auch jede andere zwischenstaatliche Vereinba':' rung über die Rechtshilfe in Strafsachen den zeitraubenden Weg der Gesetzgebung durchlaufen müsse, wenn die Regelung in § 46 DAG in Zweifel gezogen werde1l2• Unbehagen bereitet vor allem der Gedanke, zwangsläufig unterliege dann auch jede aus Anlaß eines Einzelfalls abzugebende Gegenseitigkeitserklärung113 der Zustimmung oder Mitwir-:kung der jeweils für die Gesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes. Die praktischen Folgen, die sich daraus ergeben würden, wären allerdings geeignet, den Auslieferungsverkehr in kaum zu vertretendem Maße lahmzulegen. des deutsch-niederländischen Auslieferungsvertrages, bekanntgemacht im BGBI. 1957 II S. 22, vorgesehen ist. 111 Soweit ersichtlich ist unter Berufung auf Art. 46 DAG lediglich der deutsch-amerikanische Auslieferungsvertrag aus dem Jahre 1930, RGBI. 1931 II 403, in vereinfachter Form abgeschlossen worden, die nach dem Zweiten Weltkrieg abgeschlossenen neuen Auslieferungsverträge sind ausnahmslos den gesetzgebenden Körperschaften zur Zustimmung unterbreitet worden; s. o. S. 91.

111 Für die Notwendigkeit, eine dem § 46 DAG entsprechende Vorschrift in das neue Gesetz aufzunehmen, ist angeführt worden: "Trotz erheblicher Bedenken, die gegen den § 46 DAG vorgebracht worden sind, ist die Ermächti;.. gungsklausel auch in den Entwurf übernommen worden. Die praktischen Erfahrungen aus dem vergangenen Jahrzehnt haben gezeigt, daß die Bundes.,. regierung einer derartigen Ermächtigung bedarf, um auf dem Gebiete der internationalen Verbrechensbekämpfung beweglich zu bleiben." Begründung zu § 57 des Referentenentwurfs. 113 Die Begriffe Gegenseitigkeits-, Gegenrechtserklärungen und -vereinbarungen werden im folgenden synonym gebraucht. Obwohl sich Gegenrechtserklärungen strenggenommen einseitig an den ersuchten Staat richten, bestehen gegen die Bezeichnung "Vereinbarung" keine Bedenken, da die Erklärungen verpflichtende Wirkung nur durch die Annahme seitens des ersuchten Staates erhalten. Die Annahme wird allerdings in der Regel nicht ausdrücklich erklärt, sondern liegt in der Leistung der erbetenen Rechtshilfe.

A. 11. Die Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive

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aal Die Bedeutung der Stellungnahme zur staatsrechtlichen Behandlung von Auslieferungsverträgen für Gegenseitigkeitsvereinbarungen Mit der Einsicht, daß die Frage nach der Zustimmungsbedürftigkeit von Auslieferungsverträgen nicht mit der Problematik der staatsrechtlichen Behandlung sog. Parallelabkommen identisch ist, öffnet sich der Weg für eine differenzierende Betrachtungsweise und damit zugleich für eine Lösung der staatsrechtlichen Problematik des § 46 DAG, die den praktischen Bedürfnissen des Auslieferungsverkehrs entgegenkommt, ohne sich über die verfassungsrechtlichen Gegebenheiten des GG hinwegzusetzen. Die Rechtsnatur der Gegenseitigkeitserklärungen scheint allerdings auf den ersten Blick dafür zu sprechen, daß die für Auslieferungsverträge maßgebenden Gesichtspunkte eine Gleichbehandlung fordern. Unter Gegenrechtserklärungenll4 werden im Auslieferungsrecht allgemein Zusagen an eine auswärtige Regierung verstanden, durch die der ersuchende Staat sich verpflichtet, bei Gewährung der Auslieferung in zukünftigen Auslieferungsfällen bei umgekehrter, entsprechender Sachlage ebenfalls die Auslieferung zu bewilligen 115• Ihr Zweck besteht darin, "die gegenseitige Auslieferungspflicht für einzelne Arten strafbarer Handlungen zu begründen, sei es, daß zwischen den beiden Staaten überhaupt kein Auslieferungsvertrag besteht, sei es, daß das betreffende Delikt in der vertraglichen Liste der Auslieferungsdelikte nicht enthalten ist"118. Obwohl in der Praxis Gegenrechtserklärungen regelmäßig aus Anlaß eines einzelnen Auslieferungsfalles abgegeben werden, ist darin kein Wesensmerkmal dieser Erklärungen zu sehen. Es steht nichts im Wege, eine Frage durch Gegenrechtserklärungen auch ohne konkreten Anlaß zu regeln 1l7• Die begriffliche Umschreibung läßt erkennen, daß es sich bei Gegenrechtserklärungen um nichts anderes als um inhaltlich beschränkte Auslieferungsverträge handelt. Darüber besteht heute weitgehend Eintgkeit118. "Ihrer rechtlichen Natur nach sind die Gegenrechtserklärungen, wie die Auslieferungsverträge, zweiseitige völkerrechtliche Rechtsgeschäfte. Sie beruhen auf gegenseitigen und übereinstimmenden Willenserklärungen der zuständigen Behörden beider beteiligten StaatenU9." 114 Zum Begriff und zur Rechtsnatur der Gegenrechtserklärungen vgl. die umfassende Studie von Herbaux, S.1034 ff. insbes. 1036, 1039. 115 Reisner, S. 20, Meyer, S. 55, Schultz, S. 121. 118 Schultz, S. 121. 117 Schultz, S. 122. 118 Vgl. Reisner, S. 20, Cohn, S. 49; Mettgenberg, Reziprozität, S.l31; Meyer, S. 55; 1). Martitz, Bd. II S. 763. m Schultz, S. 122 mit weiteren Nachweisen, Schwarzenbach, S. 58.

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

« Ces declarations constituent, en rI~alite, des conventions, de veritables traites », stellt Herbaux 120 fest. Als echte völkerrechtliche Verträge, die sich von den Auslieferungsverträgen nur durch ihren beschränkten Inhalt unterscheiden, standen die Gegenrechtserklärungen schon lange bevor § 46 DAG den Streit um die staatsrechtliche Behandlung der Auslieferungsverträge auslöste, im Mittelpunkt verfassungsrechtlicher Auseinandersetzungen. Anlaß dazu bot die Staatenpraxis, die von jeher das Recht für sich in Anspruch nahm, den Auslieferungsverkehr auf der Basis der Reziprozität ohne Beteiligung der gesetzgebenden Körperschaften abzuwickeln. Im Gegensatz zu den Auslieferungsverträgen, die den Parlamenten zur Zustimmung vorgelegt wurden, entsprach es ständiger übung, Gegenseitigkeitserklärungen von Regierung zu Regierung formlos durch Notenwechsel auf diplomatischem Wege auszutauschenlU. Wenn auch nicht alle Autoren so weit gingen wie Delius, der ihnen die staatsrechtliche Gültigkeit strikte absprach122 , so sind die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Staatenpraxis doch nie ganz ausgeräumt worden123• Nicht zuletzt dem Zweck, diesen Zweifeln ein Ende zu setzen, verdankt § 46 DAG seine Aufnahme in das Gesetz.

Von der These ausgehend, daß die Anwendbarkeit des § 46 DAG auf Auslieferungsverträge an deren gesetzesvertretender Funktion im Auslieferungsverfahren scheitert, erscheint der Rückschluß von der Zustimmungsbedürftigkeit der Auslieferungsverträge auf die staatsrechtliche Behandlung der Gegenrechtsvereinbarungen, mögen beide in ihrer Rechtsnatur als Auslieferungsverpflichtungen begründende völkerrechtliche Verträge auch übereinstimmen, gleichwohl keineswegs zwingend. Für Reziprozitätserklärungen gegenüber den Staaten, mit denen keine vertraglichen Auslieferungsbeziehungen bestehen, trifft das für die Zustimmungsbedürftigkeit der Auslieferungsverträge ausschlaggebende Argument, ihre gesetzesvertretende Funktion im Auslieferungsverfahren, unbeschadet ihres Vertragscharakters nicht zu. Im außervertraglichen Auslieferungsverkehr bilden die Gegenrechtserklärungen keine Grundlage der gerichtlichen Zulässigkeitsentscheidung, sie schaffen vielmehr nur eine der Voraussetzungen, die das Gesetz als Bedin120 121

1!2

S.191.

Herbaux, S. 1039. Meyer,S.55. Delius, Eine Frage, S. 24 Anm. 7; ders. Beiträge, S. 530; ders. Reform,

123 Vgl. Reisner, S. 20; Bölch, S.25, verneint die innerstaatliche Gültigkeit der vor dem Inkrafttreten des DAG abgegebenen Erklärungen, da sie sowohl nach Art. 11 Abs. 3 der alten Reichsverfassung wie auch nach Art. 45 Abs. 3 WRV den gesetzgebenden Körperschaften hätten vorgelegt werden müssen; für die schweizerischen Verhältnisse vgl. SchuZtz, S. 122 f.; Schwarzenbach, S.58.

A. 11. Die Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive

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gung für die Zulässigkeit der Auslieferung aufstellt. Die Gegenrechtserklärungen treten nicht an die Stelle des Gesetzes, die Zulässigkeit der Auslieferung richtet sich vielmehr ausschließlich nach den gesetzlichen Regeln. Wenn das Gericht die Auslieferung für zulässig erklären will, müssen alle übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen, die das DAG auf.,.. stellt, erfüllt sein124 • Die Feststellung, daß Auslieferungsverträge unbeschadet des § 46 DAG in jedem Fall den gesetzgebenden Körperschaften zur Zustimmung vorgelegt werden müssen, läßt daher keine Rückschlüsse auf die staatsrechtliche Behandlung der Gegenrechtserklärungen zu. Bei den neben einem Auslieferungsvertrag abgegebenen Gegenrechtserklärungen ist zu unterscheiden, ob sie sich darauf beschränken, eine vom Vertrag unabhängige Auslieferungsverpflichtung wegen bisher vertraglich nicht erfaßter Delikte zu begründen, oder ob sie einen bestehenden Vertrag el1gänzen sollen. Als Vertragsergänzung stellen sie einen zusätzlichen Vertrag dar, durch den der bestehende Vertrag geändert wird. In der Literatur ist dieser Unterschied bisher vernachlässigt worden lZS • Bezweckt die Gegenrechtserklärung die Ergänzung eines bestehenden Vertrages, dann rückt die Fl1age in den Vordergrund, ob die Änderung von Abkommen, zu denen ein Zustimmungsgesetz ergangen ist, ebenfalls der Zustimmung bedarf. Umstritten ist die Antwort nur für Änderungen solcher Teile eines Abkommens, die an sich nicht zustimmungsbedürftig gewesen wären12e• Diese Auseinandersetzung kann hier auf sich beruhen. Auslieferungsrechtliche Gegenrechtserklärungen haben im Regelfall eine Erweiterung des Katalogs der nach dem Vertrag auslieferungsfähigen Straftaten zum Gegenstand. Da sie eine weitergehende Verpflichtung des Staates zur Auslieferung begründen, betreffen sie den normativen Teil des ursprünglichen Abkommens. Daß die Änderung eines zustimmungsbedürftigen Teils eines Abkommens selbst tu Eine Parallele bietet die Verbürgung der Gegenseitigkeit als Bedingung der Strafbarkeit im § 104 a StGB; zur Streitfrage, ob die Gegenseitigkeit als Bedingung der Strafbarkeit oder als Prozeßvoraussetzung anzusehen ist, siehe SchwaTz~DTeheT, StGB § 104 a Anm. 1. 125 Nur Schultz, S. 125 Anm.222, weist auf ihn mit Beispielen aus der schweizerischen Auslieferungspraxis hin: Der Erklärung zwischen der Schweiz und Italien betreffend die Vermehrung der in Art.2 des Auslieferungsvertrages vorgesehenen Verbrechen und Vergehen vom 30.3.1909, durch die die früher von Gegenrechtserklärungen erfaßten Taten zu vertraglichen Auslieferungsdelikten erhoben und die Vorschriften des Auslieferungsvertrages ausdrücklich für anwendbar erklärt wurden, stellt er die Erklärung zwischen der Schweiz und Rußland betreffend die gegenseitige Auslieferung wegen Mißbrauchs von Sprengstoffen vom 22. 2. 1908 gegenüber, für die sich die Schweiz in Ziffer 2 die Anwendung des Auslieferungsgesetzes in vollem Umfange vorbehalten hat. 118 Vgl. Maunz~DiLTig, Art. 59 RdNr. 46.

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

der Zustimmung bedarf, steht aber außer jedem Zweifel127• Gegenrechtserklärungen, durch die bestimmte strafbare Handlungen zusätzlich zu vertraglichen Auslieferungsdelikten erhoben und damit allgemein den Vorschriften des Vertrags unterstellt werden, können innerstaatliche Wirksamkeit nur erlangen, wenn der Gesetzgeber zugestimmt hat. Soll durch die Gegenrechtserklärung dagegen nur eine Auslieferungspflicht neben einem bestehenden Vertrag begründet werden, dann gelten für ihre staatsrechtliche Behandlung dieselben Grundsätze, die für Gegenrechtserklärungen im vertraglosen Auslieferungsverkehr maßgebend sind. Der entscheidende Unterschied für die praktische Handhabung des Auslieferungsverkehrs besteht darin, daß für die Auslieferung auf Grund einer vertragsergänzenden Gegenrechtserklärung die vertraglichen Regeln anwendbar sind, während im anderen Falle trotz der vertraglichen Beziehungen im übrigen für die auf eine Gegenrechtserklärung gestützte Auslieferung die Schranken des DAG (insbes. §§ 2, 4, 6 DAG) maßgebend bleiben. Die praktischen Konsequenzen, die sich daraus ergeben, können im Einzelfall sehr bedeutsam sein. Während beispielsweise das DAG die Auslieferung verbietet, wenn die Strafverfolgung oder Strafvollstrekkung wegen der Tat nach deutschem Recht infolge einer Amnestie unzulässig sein würde (§ 4 Nr. 2), berechtigen Amnestiegesetze in verschiede:nen Verträgen entweder überhaupt nicht128 oder nur dann zur Ablehnung eines Auslieferungsersuchens, wenn ohne das Straffreiheitsgesetz auch ·der ersuchte Staat wegen der Tat einen Strafanspruch hätte l!8. Im Falle eines Auslieferungsersuchens auf Grund einer zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Belgien durch einfachen Notenwechsel abgeschlossenen Gegenrechtsvereinbarung müßte die Zulässigkeit der Auslieferung in Anwendung des § 4 Nr.2 DAG bei Eingreifen eines Amnestiegesetzes immer verneint werden, unabhängig davon, ob ohne Amnestiegesetz ein deutscher Strafanspruch bestehen würde oder nicht, während gegenüber einem auf den Auslieferungsvertrag oder auf eine vertragsergänzende Vereinbarung gestützten Ersuchen die engere Vorschrift des DAG nicht zum Zuge kommen könnte, die Auslieferung also trotz des Amnestiegesetzes, sofern ein deutscher Strafanspruch nicht besteht, zulässig sein würde. 127 "Jede Änderung des innerstaatlich anwendungsfähigen Vertragsrechts ist innerhalb der Rechtsordnung der Bundesrepublik nur wirksam, wenn dasselbe Verfahren wie beim Inkrafttreten des ursprünglichen Vertragsinhalts eingehalten wird." Rudolt, Völkerrecht und deutsches Recht, S. 211 mit weiteren Nachweisen. 128 Umkehrschluß aus Art. 10 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens, der von den Verfolgungshindernissen nur die Verjährung erwähnt. tU Art. 7 Abs. 2 des deutsch-belgischen Auslieferungsvertrages.

A.II. Die Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive

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Ob dieser Unterschied in der Staatspraxis immer die gebührende Beachtung findet, darf wohl bezweifelt werden. Um Mißverständnissen über den Umfang der durch eine Gegenrechtserklärung übernommenen Verpflichtungen und gewährten Rechte vorzubeugen, sollte schon der Wortlaut keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, daß die im einfachen Notenaustausch zwischen den Regierungen abgeschlossenen Vereinbarungen unter dem Vorbehalt der innerstaatlichen Auslieferungsgesetze der beteiligten Staaten stehen. Als vorbildlich können insoweit die Gegenrechtserklärungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Schweden gelten, die übereinstimmend den doppelten Vorbehalt aufweisen, daß unter die Vereinbarungen nur Taten fallen, die nach deutschen und schwedischen Gesetzen auslieferungsfähig sind, und daß die übernommenen Auslieferungsverpflichtungen sich im Rahmen der Voraussetzungen und Bedingungen halten, "wie sie in den Auslieferungsgesetzen der beiden Staaten festgelegt sind"130. Die Notenwechsel stammen allerdings aus einer Zeit, als der deutsch-schwedische Auslieferungsvertrag infolge Kündigung seitens Schwedens bereits außer Kraft getreten war131 • Sie liefern also keinen Beweis dafür, daß in der Staatspraxis auch im vertraglichen Auslieferungsverkehr deutlich zwischen Ergänzungsvereinbarungen und Gegenrechtserklärungen getrennt wird. Die gesetzesvertretende Funktion im Auslieferungsverfahren teilen mit den Auslieferungsverträgen also nur diejenigen Gegenrechtserklärungen, die bestehende Verträge in der Weise ergänzen, daß für die Zulässigkeitsprüfung der geänderte Auslieferungsvertrag maßgebend ist. Ihre Zustimmungsbedürftigkeit ergibt sich schon aus ihrer Natur als Änderungsabkommen l31a • Für die staatsrechtliche Behandlung aller übrigen Gegenrechtserklärungen, also sowohl der im außervertraglichen wie der im vertraglichen Auslieferungsverkehr abgegebenen, soweit der Vertrag die Maßgeblichkeit der Vorschriften des DAG für die Beurteilung der Zulässigkeit im gerichtlichen Auslieferungsverfahren unberührt läßt, können aus der Zustimmungsbedürftigkeit der Auslieferungsverträge keine Rückschlüsse gezogen werden. bb) Die staatsrechtlichen Erfordernisse für Gegenrechtserklärungen unter dem Gesichtspunkt sog. Parallelabkommen Die Frage, ob § 46 DAG für Gegenseitigkeitsvereinbarungen die ihm angesonnene Bedeutung behält, ist damit allerdings noch nicht ab130 Vgl. den Wortlaut der jeweiligen Noten, abgedruckt bei Grützner, Bd. 11 S. 6, S. 7-11. 131 BGBl. 195411 S. 627, Grützner, Bd. 11 S. 6, S. 1. 131- Die Möglichkeit, die Exekutive im Vertragsgesetz zu ermächtigen, Änderungen des Vertrages durch Rechtsverordnung in Kraft zu setzen, bietet insoweit ein vereinfachtes Verfahren und entspricht einem praktischen Bedürfnis; s. oben S. 126.

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

schließend beantwortet. Als Vereinbarungen, die sich von den Auslieferungsverträgen nur durch ihren eng begrenzten Inhalt unterscheiden, fallen Gegenrechtserklärungen ihrer Natur nach grundsätzlich unter die Verträge, die sich auf Gegenstände der Gesetzgebung beziehen. Soweit sich ihre Zustimmungsbedürftigkeit nicht schon aus anderen Gründen ergibt, ist für ihre staatsrechtliche Behandlung Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG maßgebend. Nur für sie gewinnt daher die im Zusammenhang mit sog. Parallelabkommen entstandene Kontroverse über die Auslegung dieser Verfassungsnorm entscheidende Bedeutung. Die damit angeschnittene Problematik reicht weit über das Auslieferungsrecht hinaus. Sie betrifft ganz allgemein die Frage, ob Verträge, deren Inhalt mit dem in der Bundesrepublik bereits bestehenden innerstaatlichen Recht übereinstimmt, sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung im Sinne von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG beziehen. Für Verträge dieser Art hat sich der Begriff "Parallelabkommen" eingebürgert132• Eine eingehende Behandlung hat die Frage nach der Zustimmungsbedürftigkeit von Parallelabkommen noch nicht erfahren. Die dem Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG entsprechenden Vorschriften der Art. 45 Abs 3 WRV und Art. 11 Abs 3 der Reichsverfassung von 1871 scheint die damalige Staatsrechtslehre überwiegend dahin ausgelegt zu haben, daß eine Zustimmung bei Parallelabkommen nicht erforderlich sei133• Bezeichnend für die Selbstverständlichkeit, mit der die h. M. von dieser Auffassung ausging, ist die Bemerkung Triepels l34 , daß ein Staatsgesetz zur Ausführung eines Vertrages zweifellos überall da unnötig sei, wo die Handlungen der Staatsorgane, zu denen er Veranlassung gibt, auch abgesehen vom Vertrage nach dem Stande des Landesrechts ohne besondere Ermächtigung vorgenommen werden könnten. Dennoch bestand auch damals keineswegs Einigkeit. Schmitz 135 , einer der wenigen, die das Problem der staatsrechtlichen Behandlung von Parallelabkommen eingehender erörtert haben, kommt zu dem entgegengesetzten Ergebnis, obwohl er von der gleichen Auslegung des Art. 45 Abs. 3 WRV ausgeht wie die damals herrschende Meinung136 • Er schreibt: "Zustimmungspflichtig (sind) insbesondere alle 132 Der Begriff umfaßt neben den Verträgen, die inhaltlich mit bestehendem Gesetzesrecht übereinstimmen, auch die Fälle, in denen die Vollziehung des Vertrages der Exekutive auf Grund einer bestehenden gesetzlichen Ermächtigung möglich ist. 133 Laband, Bd. II S. 159 f.; Poetsch-Heffter, Art. 45 Anm. 5 bund 14 a; Anschütz, Art. 45 Anm. 9 a. 134 Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 120. 135 Schmitz, S. 313 ff.,340. 136 Vgl. zur Auslegung des Art. 45 Abs. 3 WRV die Formulierungen Triepels im Gutachten über den verfassungsändernden Charakter des deutsch-polnischen Liquidationsabkommens vom 31. Oktober 1929, zitiert bei Schmitz, S.340: "Wie die, soviel ich sehe, allgemeine und unbestrittene Ansicht lautet, bedeutet dies, daß die Zustimmung des Reichstages gebraucht wird, wenn ein staatsvertrag nach den Grundsätzen des Reichsverfassungsrechts entweder

A.II. Die Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive

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diejenigen Verträge, die nur aus dem Grunde zu ihrer Erfüllung keines Reichsgesetzes bedürfen, weil der in dem Vertrag versprochene oder ihm zufolge nötig werdende Zustand des innerstaatlichen Rechts bei ihrem Abschluß bereits besteht. Durch den Abschluß eines solchen Vertrages könnte die Exekutive das Parlament in die Zwangslage bringen, entweder den bestehenden Zustand des innerstaatlichen Rechts für die Dauer der Vertragsregelung aufrechtzuerhalten oder eine Verletzung einer völkerrechtlichen Verpflichtung durch eine Neuregelung herbeizuführen". Die Veränderung der staatsrechtlichen Verhältnisse schnitt die weitere Erörterung ab. Erst das Inkrafttreten des Grundgesetzes bot Anlaß, sich der Problematik erneut zuzuwenden. Die Ausbeute der nur zögernd in Gang gekommenen Diskussion ist immer noch gering. Einschlägige verfassungsrechtliche Entscheidungen liegen - soweit ersichtlich - nicht vor. Im Urteil vom 29. Juli 1952 über die deutsch-französischen Wirtschaftsabkommen hat sich das Bundesverfassungsgericht zwar dahin geäußert, daß Verträge, die die Bundesregierung auf Grund einer Ermächtigung durch Rechtsverordnung vollziehen könne, nicht zustimmungsbedürftig seien. Zu der Frage, ob Abkommen mit Rücksicht auf schon bestehendes paralleles Landesrecht keiner Zustimmung bedürfen, hat das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht Stellung genommen. Wenn ein einleuchtender Grund dafür auch sicherlich in dem Umstand zu sehen ist, daß der damalige Rechtsstreit keinen Anlaß dazu bot, so erweckt die Nichteinbeziehung dieser Fallgruppe in die Erörterung doch den Eindruck, daß man sich der Tragweite des Problems der Parallelabkommen offenbar noch nicht bewußt war, als die Entscheidung erging137• Auch die staatsrechtliche Literatur hat sich der Frage bisher wenig angenommen. In der - soweit ersichtlich - einzigen speziell der Problematik der staatsrechtlichen Behandlung von Parallelabkommen gewidmeten Abhandlung "Zum Begriff der Verträge, die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen (Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG)" kommt MeyerLindenberg 138 zu dem Ergebnis, Parallelabkommen bedürften nicht der nur in der Form des Reichsgesetzes oder nur nach vorgängigem Erlaß eines Reichsgesetzes erfüllt werden kann. Es kommt auf dasselbe heraus, wenn man den bedingenden Satz in die Worte kleidet: ,Wenn sich das Reich zur Vornahme von Willensakten verpflichtet, die nur in der Form des Reichsgesetzes vorgenommen werden können', oder so: ,wenn die Bestimmungen des Vertrages, sofern man sie sich nicht als Vertragsbestandteil, sondern als innerstaatliche Norm denkt, nur im Gesetzgebungs-, nicht im Verordnungswege erlassen werden können', oder so: ,wenn die Umwandlung des Vertragsinhalts in innerstaatliches Recht nicht der Exekutive, sondern der Legislative obliegt'." 137 Vgl. Maunz-Dilng, Art. 59 RdNr. 44. 138 Begriff, S. 269 ff.

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften. Er setzt sich eingehend mit dem Einwand auseinander, der Gesetzgeber werde in seinen Gesetzgebungsvorhaben durch Parallelabkommen, die von der Exekutive ohne seine Zustimmung abgeschlossen würden, in unzulässiger Weise beengt: Einerseits könne eine verfassungsrechtliche Bindung des Gesetzgebers an das Vertragsrecht auch durch die Verabschiedung des Zustimmungsgesetzes nicht herbeigeführt werden, andererseits würde die Einbeziehung der Parallelabkommen in den Kreis der nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG zustimmungsbedürftigen Abkommen dem Ausnahmecharakter dieser Vorschrift nicht gerecht. Da es keine Materie gebe, die der Gesetzgeber nicht an sich ziehen könne, lasse sich nie ausschließen, daß ein künftiger Gesetzgeber den vertraglich geregelten Bereich innerstaatlich durch Gesetz regeln wolle1S9• Auch das aus der Transformationsfunktion des Zustimmungsgesetzes abgeleitete Bedenken, der Abschluß von Parallelabkommen ohne Zustimmungsgesetz käme einem Verzicht auf die Transformation der transformationsfähigen Vertragsbestimmungen gleich, könne die These, daß Parallelabkommen sich nicht auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, nicht erschüttern140• Ausnahmen will Meyer-Lindenberg nur mit Rücksicht auf praktische Schwierigkeiten zulassen, die in Einzelfällen daraus entstehen könnten, daß für das transformierte Vertragsrecht im innerstaatlichen Bereich die Auslegungsgrundsätze des Völker-, nicht des innerstaatlichen Rechts anwendbar seien. Wenn die Regierung in besonders gelagerten Fällen zu der Einsicht gelange, daß die Anwendung der innerstaatlichen Auslegungsregeln auf bestimmte Vorschriften des deutschen Rechts die Erfüllung der völkerrechtlichen Verpflichtungen aus einem Parallelabkommen in Frage stellen könnte, so müßte sie ein solches Parallelabkommen, auch wenn es vollinhaltlich dem innerstaatlichen Recht entspreche, ausnahmsweise den gesetzgebenden Körperschaften zur Zustimmung unterbreiten141 • Den gegenteiligen Standpunkt vertritt Rudolf42 unter Hinweis auf die deutsche Staatspraxis. Von den eigentlichen Parallelabkommen, bei denen staatliches Recht schon bestehe, unterscheidet er ·die Fälle, in denen der innerstaatliche Vertragsvollzug wegen des Bestehens einer Verordnungsermächtigung gesichert ist. Nur in den zuletzt genannten Fällen bedürfe es keines Zustimmungsgesetzes nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG. Daraus auf die Zustimmungsfreiheit auch der eigentlichen Parallelabkommen zu schließen143, sei jedoch unzulässig, weil sich die 138 140 141 142

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Vgl. auch Maunz-Dürig, RdNr. 44 Anm. 2 d. Meyer-Lindenberg, Begriff, S. 278 ff. Meyer-Lindenberg, Begriff, S. 284. Völkerrecht und deutsches Recht, S. 215 ff., 218. So Meyer-Lindenberg, Begriff, S. 227.

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Rechtslage in beiden Fällen grundlegend unterscheide. Die für die Zustimmungsfreiheit ins Feld geführten Gründe vermöchten nicht die in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG enthaltene Bestimmung aus der Welt zu schaffen, "daß, wenn innerstaatlich anzuwendendes paralleles Vertragsvölker.;. recht gebildet wird, dafür ein Zustimmungsgesetz dann erforderlich sei, wenn auch bei einer nochmaligen innerstaatlichen Regelung der Materie ein Gesetz erforderlich wäre". Auch die Zustimmungsfunktion des Vertragsgesetzes und damit die Teilhabe der gesetzgebenden Körperschaften an der Vertragsgewalt der Bundesrepublik spreche dafür, daß der Gesetzgeber die Regelung einer Materie - solange er sie nicht durch Rechtsverordnungsermächtigung an die Exekutive delegiert habe auch dann in der Hand behalten wolle, wenn schon gleichlautendes Gesetzesrecht vorhanden sei. Der gleichen Ansicht scheint auch WengIer zuzuneigen, wie seine Bemerkung erkennen läßt: Wenn der Vertrag eine bereits bestehende Verpflichtung der Exekutive als völkerrechtliche Verpflichtung wiederhole, so bedeutet das noch nicht, daß die vertragliche Bindung keiner Zustimmung des Parlaments bedürfe, sofern nach der Verfasssung die Zustimmung für Verträge, die Gegenstände der Gesetzgebung berührten, erforderlich seP44. Die Zahl der Argumente für und gegen diese These ließe sich nicht unerheblich vermehren, wie die Zusammenstellung bei Maunz-Dürig 145 zeigt. Ob eine sachgerechte Abwägung erlaubt, als Ergebnis festzustellen, daß die überzeugenderen Argumente gegen die Zustimmungsbedürftigkeit sprechen146, mag hier auf sich beruhen. Soviel erscheint jedenfalls unbestreitbar, von einer gesicherten Erkenntnis kann im Augenblick: noch keine Rede sein. Daran haben auch andere Äußerungen in jüngerer Zeit nichts zu ändern vermocht, wie die Kritik BernhardtsU7 an der Stellungnahme Boehmers148 deutlich macht. Zwar räumt auch Boehmer ein, daß der Umfang der Zustimmungsbedürftigkeit bei Parallelabkommen besonders fraglich sei. Er will auch nicht leugnen, daß eine Beziehung auf Gegenstände der Gesetzgebung gegeben sei. Da aber der Staat in diesen Fällen in der Lage sei, seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen, ohne den Vertrag innerstaatlich anwendbar zu machen, gibt Boehmer schließlich doch unter Berufung auf die einschränkende Interpretation des BVerfG der Ansicht den Vorzug, daß ein Vollzugsgesetz unter Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften nicht 144 Vgl. Wengler, Völkerrecht, S.200 Anm.2, vgl. dazu Meyer-Lindenberg, Begriff, S. 286 Anm. 22. 145 Art. 59 RdNr. 44. 146 So Maunz-DiLrig, a. a. O. 147 Besprechung, S. 750 f. 148 Boehmer, S. 6.

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

erforderlich und die Zustimmung daher entbehrlich sei. Dagegen meldet Bernhardt Zweifel an mit der Begründung, diese Auffassung sei seines Erachtens mit dem Wortlaut von Art. 59 Abs. 2 GG und seiner ratio nicht vereinbar149• In der Tat dürfte schon der Wortlaut des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG eher für als gegen die Zustimmungsbedürftigkeit sprechen, da der Inhalt eines völkerrechtlichen Vertrages sich auch dann auf einen Gegenstand der Bundesgesetzgebung bezieht, wenn eine entsprechende bundesgesetzliche Regelung schon besteht. Die historische Interpretation der Vorschrift, die an die "formal praktischen Notwendigkeiten" als Ausgangspunkt anknüpft, dürfte der Konzeption des Grundgesetzes kaum noch gerecht werden und sollte einer Betrachtungsweise weichen, die den materiellen Gehalt des Vertrages und die parlamentarische Kontrollfunktion des Zustimmungsgesetzes in den Vordergrund stelltl50 • Der Versuch, das Problem abschließend zu erörtern, würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen. Sein Kern liegt auf staatsrechtlichem Gebiet. Die Vielfalt möglicher Sachgestaltungen läßt eine einheitliche Lösung kaum zu. Mit dem "materiellen Gehalt" des jeweiligen Vertrages und dem "Zweck der parlamentarischen Kontrolle" sind Kriterien an die Hand gegeben, die es ermöglichen, den Besonderheiten einzelner Verträge oder bestimmter Arten von Verträgen in einer Weise Rechnung zu tragen, die sowohl den praktischen Bedürfnissen wie auch der Konzeption des Gundgesetzes entspricht. Von einer differenzierenden Betrachtungsweise ausgehend erscheint es vertretbar, unabhängig von der Lösung des Problems im übrigen auf der Zustimmungsbedürftigkeit von Gegenrechtserklärungen nicht zu insistieren, sofern durch den Vorbehalt, daß die Auslieferungsverpflichtungen, die sie begründen, sich im Rahmen der Voraussetzungen und Bedingungen des DAG halten, der innerstaatliche Vollzug jederzeit - auch im Falle einer Änderung der Rechtslage - gewährleistet ist. Auch wenn die innerstaatliche Vollzugssicherung nicht als ausschlaggebend angesehen wird, so läßt sich doch nicht leugnen, daß Gegenrechtserklärungen sich in der Wiederholung einer zwar nicht völkerrechtlich verbindlichen Pflicht, aber doch einer durch das gemeinsame Interesse aller Kulturstaaten an wirksamer Bekämpfung der Kriminalität verfestigten Anschauung erschöpfen. Im Gegensatz zu den Auslieferungsverträgen, die die Voraussetzungen und Modalitäten der Auslieferungspflicht umfassend und selbständig regeln, erleidet die Teilhabe der gesetzgebenden 148 Bernhardt, Besprechung, S. 751; auf den Grundgedanken des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG als Argument für die Zustimmungsbedürftigkeit auch der Parallelabkommen weist Reichel, S. 120, hin. 150 Vgl. Maunz-Düng, Art. 59 RdNr. 44.

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Körperschaften an der Vertragsgewalt durch die Zustimmungsfreiheit von Gegenrechtserklärungen materiell keine Einbuße. Auch die völkerrechtliche Bindung, die sie hervorrufen, ist wegen ihrer zeitlichen Geltung nur sehr lose. Während Auslieferungsverträge entweder auf eine bestimmte Dauer oder auf unbestimmte Zeit, aber mit bestimmter Kündigungsfrist, abgeschlossen werden, enthalten Gegenrechtserklärungen keine Angaben über ihre Geltungsdauer. Sie können jederzeit durch eine Erklärung an die Gegenpartei widerrrufen werden i51 • ce) Schlußfolgerungen für das geltende und das künfüge Recht Für einen Teil der Gegenrechtserklärungen behält § 46 DAG daher die ihm angesonnene, freilich auf die Klarstellung einer ohnehin bestehenden Rechtslage beschränkte Bedeutung. Um Mißdeutungen vorzubeugen, sollte im künftigen Recht allerdings der begrenzte Anwendungsbereich der Vorschrift auch im Wortlaut deutlich zum Ausdruck kommen. Als Vorbild könnte die Regelung des schweizerischen Auslieferungsgesetzes dienen15!. Art. 1 Abs. 2 ermächtigt den Bundesrat, im Zusammenhang mit einem Auslieferungsersuchen einem auswärtigen Staat "innerhalb der Grenzen" des Gesetzes das Gegenrecht zuzusichern153 • Auslieferungsverträge bedürfen demgegenüber auch nach schweizerischem Recht immer der Genehmigung der Bundesversammlung154• Das schweizerische Auslieferungsgesetz trennt deutlich zwischen der Ermächtigung zur Abgabe von Gegenrechtserklärungen und der Behandlung der Auslieferungsverträge, für deren Abschluß es im Abs. 3 des Art. 1 lediglich den Programmsatz aufstellt, die Grenzen des Gesetzes zu wahreni55 • Daß die Wahrung der gesetzlichen Schranken die verfassungsrechtlichen Erfordernisse für den Abschluß von Staatsverträgen unberührt läßt, ist unbestritten. Anhaltspunkte für Bestrebungen, diese Vorschrift im Sinne einer nach schweizerischem Recht denkbaren Ermächtigung zum Vgl. Schultz, S. 127 mit weiteren Nachweisen. Schweizerisches Bundesgesetz betr. die Auslieferung gegenüber dem Ausland vom 22. Januar 1892, BBl. 1892 I S. 402. 153 Der schweizerische Bundesrat hielt sich zunächst auf Grund des Art. 102 Ziff. 8 der Bundesverfassung auch ohne besondere Ermächtigung für befugt, Gegenrechtserklärungen abzugeben. Die verfassungsrechtIichen Zweifel, die an dieser Praxis auftauchten, waren einer der Gründe, die zum Auslieferungsgesetz führten, vgl. Schultz, S. 123. 154 Sind sie unbefristet oder für länger als 15 Jahre abgeschlossen, unterstehen sie darüber hinaus dem Referendum, vgl. Schultz, S. 92 f. 155 Zur Bedeutung dieses Satzes im einzelnen vgl. Schultz, S. 142 f . 158 Daß eine gesetzliche Ermächtigung des Bundesrats zum Abschluß von Verträgen in der Schweiz generell als zulässig angesehen wird, vgl. BUTckhaTd, Kommentar S. 676, stellt wohl einen Ausgleich für die weite Fassung des Art. 85 der Bundesverfassung dar, wonach alle Staatsverträge - nicht nur diejenigen, die sich auf Gegenstände der Gesetzgebung beziehen - der Ge151

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

genehmigungsfreien Vertragsabschluß anzudeuten, finden sich nicht15t • Es hat den Anschein, daß die Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften und sogar eine etwaige Referendumspflicht nicht als ungebührliche Behinderung der Exekutive beim Abschluß von Auslieferungsverträgen empfunden wird. Die Kommission zur Reform des DAG hat sich dem Hinweis auf die gesetzliche Regelung im schweizerischen Recht nicht verschlossen. Im § 77 Abs. 1 enthält der Kommissionsentwurf eine Sonderregelung für Gegenseitigkeitserklärungen, nach der die Bundesregierung einem ausländischen Staat die Gegenseitigkeit für Rechtshilfehandlungen zusichern kann, die im umgekehrten Fall nach diesem Gesetz zulässig sein würden157• Die Aufnahme dieser Vorschrift in den Entwurf darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Bestimmung keine weiterreichende Bedeutun.g haben kann, als sie bisher schon § 46 DAG für Gegenrechtserklärungen besitzt. Auch sie gibt nur die ohnehin bestehende Rechtslage wieder, ist also deklaratorischer Natur. Ihres eigentlichen Werts, den Gegensatz zu den "generellen" Auslieferungsverträgen und den an ihren Abschluß zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu verdeutlichen, wird sie durch die Ermächtigungsklausel im § 78 des Kommissionsentwurfs weitgehend entkleidet, die schon deshalb ersatzlos gestrichen werden sollte 157a • c) Die staatsrechtlichen Erfordernisse beim Abschluß von Vereinbarungen über die Wiederinkraftsetzung von Vorkriegsverträgen

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat § 46 DAG zusätzliche Bedeutung im Zusammenhang mit dem Schicksal der aus der Vorkriegszeit stammenden Auslieferungsverträge erlangt. In einer Anzahl von Fällen konnte zwischen den Vertragsparteien übereinstimmung erzielt werden, die früheren Verträge wieder in Kraft zu setzen158• Dabei bot sich teilweise willkommene Gelegenheit, der seit dem Abschluß dieser Verträge fortgeschrittenen Rechtsentwicklung und nicht zuletzt den durch das Bonner Grundgesetz geschaffenen verfassungsrechtlichen Gegebenheiten durch Änderungen oder Ergänzungen des früheren Vertragsinhalts nehmigung der Bundesversammlung unterliegen. Für eine Nachahmung des schweizerischen Vorbilds im Sinne einer konstitutiven Ermächtigung ist im deutschen Recht kein Raum: s. o. S. 118 f. 157 § 77 (Gegenseitigkeitserklärung): (1) Die Bundesregierung kann einem ausländischen Staat die Gegenseitigkeit für Rechtshilfehandlungen zusichern, die im umgekehrten Fall nach diesem Gesetz zulässig sein würden. (2) Gegenseitigkeitserklärungen sind im Bundesanzeiger bekanntzugeben. 157a Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 78 des Kommissionsentwurfs vgl. oben S. 115 f. 158 Vgl. die Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Großbritannien BGBl. 1960 II S.2192, Dänemark BGBl. 1953 II S. 186, Finnland BGBl. 1954 II S. 1050, Griechenland BGBl. 1952 II S. 634, Italien BGBl. 1953 II S. 149, Luxemburg BGBl. 1955 II S. 596, den Niederlanden BGBl. 1957

A.I1. Die Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive 129 Rechnung zu tragen. Der Abschluß derartiger Wiederanwendungsvereinbarungen war regelmäßig durch eine auffallende Unsicherheit in der ~eurteilung der staatsrechtlichen Erfordernisse gekennzeichnet. Bezeichnend dafür sind etwa die Vorgänge um die Wiederanwendung des deutsch-britischen Auslieferungsvertrages. Die deutsch-britische Vereinbarung ist geeignet, die Problematik in vollem Umfang aufzuzeigen, weil es sich bei ihr um eines der Abkommen handelt, die sich nicht mit der Wiederinkraftsetzung eines Vertrages begnügen, sondern die den früheren Vertrag zugleich durch eine Erweiterung des Katalogs der auslieferungsfähigen Straftaten ändern. Die Stellungnahmen zur Frage der Zustimmungsbedürftigkeit dieser Vereinbarungen gehen von den Grundsätzen aus, die für Parallelabkommen vertreten werden. Sie gipfeln in der Feststellung, daß eine Vereinbarung über die Wiederanwendung eines durch den Krieg unanwendbar gewordenen Auslieferungsvertrages trotz gleichzeitiger Abänderung dann nicht Gegenstände der Bundesgesetzgebung im Sinne des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG betreffe, wenn der wiederanzuwendende Vertrag und seine Ergänzung sich im Rahmen des DAG halten. Von der irrigen Auffassung ausgehend, daß die Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaftenallenfalls unter dem Gesichtspunkt einer "Bindung des Gesetzgebers" an die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehende Gesetzeslage erforderlich werden könne, wird die Zustimmungsfreiheit allein von der Einfügung einer Klausel abhängig gemacht, die dem Gesetzgeber für die Zukunft freie Hand bei der Ausgestaltung des "völkerrechtlich relevanten" innerstaatlichen Rechts läßt. Daraus erklärt sich die Einleitung des Art. III der deutsch-britischen Vereinbarung vom 23. Februar 1960 1Sg : "Auslieferung wird gegenseitig für die folgenden Straftaten gewährt, wenn sie nach den Gesetzen des ersuchenden und ersuchten Gebiets auslieferungs fähig sind". Gegenüber dem naheliegenden Einwand, die Zustimmungsbedürftigkeit ergebe sich schon aus der Tatsache, daß es sich um die Änderung eines Vertrages handelt, der innerstaatlich Gesetzeskraft erlangt hat, wird dem Umstand entscheidende Bedeutung beigemessen, "daß nicht ein geltender Vertrag geändert, sondern die Wiederanwendung eines durch den Krieg in seiner Anwendung suspendierten Vertrags unter bestimmten Modifikationen vereinbart wird"160. Während für die Änderung oder Ergänzung eines durch den Krieg in seiner Anwendbarkeit nicht berührten Vertrages die Zustimmungsbedürftigkeit anerkannt wird, werden Wiederinkraftsetzungsvereinbarungen - ungeachtet ihres abändernden oder ergänzenIl S.22, Norwegen BGBl. 1953 II S.257, der Türkei BGBl. 1952 II S.608, den USA BGBl. 1956 II S. 900. m BGBl. 1960 II S. 2192.

180 Zitiert aus einer internen verfassungsrechtlichen Stellungnahme des

BJM.

9 Vogler

130

2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

den Charakters - den Auslieferungsverträgen gleichgestellt, für die bekanntlich - sofern sie sich im Rahmen des DAG halten und eine künftige Gesetzgebung mittels einer Freistellungsklausel nicht einengen der Abschluß in vereinfachter Form durch einen Notenwechsel zwischen den Regierungen ohne Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften ausreichen soll. Da die deutsch-britische Vereinbarung diesen Voraussetzungen genügt, ist sie dem Bundestag nicht zur Zustimmung vorgelegt worden. Wie in Art. VII Abs. 1 vorgesehen, ist die Vereinbarung durch Notenwechsel mit Wirkung vom 1. September 1960 in Kraft gesetzt worden16l • Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Praxis und die ihr zugrunde liegenden Erwägungen lassen sich schwerlich unterdrücken. Die Beurteilung der staatsrechtlichen Erfordernisse für den Abschluß von Wiederanwendungsverträgen setzt voraus, sich zunächst Klarheit über die rechtliche Bedeutung dieser Verträge zu verschaffen. Dazu bedarf es einer Antwort. auf die Vorfrage, welchen Einfluß der Kriegsausbruch auf Auslieferungsverträge hat. Daran hat die weitere Untersuchung anzuknüpfen, welche staatsrechtlichen Auswirkungen auf die Vertragsgesetze sich aus der Beantwortung der völkerrechtlichen Vorfrage ergeben. Erst daran kann sich eine Stellungnahme zu der eigentlichen Problematik anschließen. aa) Der Einfluß des Kriegsausbruchs auf Auslieferungsverträge Daß der Krieg zu den Ereignissen zählt, die das Schicksal eines Vertrages nach seinem Abschluß beeinflussen können, steht außer Fragel 8!. Dagegen besteht weder in der Literatur183 noch in der Rechtsprechungi" Einigkeit über das mögliche Ausmaß der Einwirkungen lS5 • Mit Sicherheit166 wird man nur feststellen können, daß die radikale These von der Beendigung aller Verträge167 zwischen den Kriegführ,enden einer difVgl. die Bekanntmachung vom 20. August 1960 im BGBl. 1960 II S.2191. Zum Problem des Einflusses von Kriegen auf völkerrechtliche Verträge vgl. Klein, Kriegsausbruch, S. 26 f.; ders. Krieg und völkerrechtliche Verträge, S. 320 ff.; Dahm, Bd.3 S. 155 ff., dort auch weitere Nachweise; die folgenden Ausführungen lehnen sich eng an diese Darstellungen an; vgl. ferner WengleT, Völkerrecht, Bd. 1 S. 377; BeTbeT, Bd. II S. 93 f.; McNaiT, S. 702 f.; Kaufmann, S.225. 183 Vgl. außer den oben Genannten StTUPP, Grundzüge, S. 279; "Sieht man sich die Völkerrechtsliteratur daraufhin an, so findet man freilich, und dem entspricht die Staatenpraxis, eine außerordentliche Unklarheit ... Die Staatenpraxis ist unklar, widerspruchsvoll, unbefriedigend". 164 Vgl. die Nachweise bei BoehmeT, S. 99 ff. 185 Die Auswirkung der Direktive Nr.6 der AHK vom 19. März 1951, Journal Officiel 1951, S.846, die an die Stelle des § 6 der Kontrollratsproklamation Nr.2 getreten ist, auf die deutschen Vorkriegsverträge kann im folgenden außer Betracht bleiben; vgl. dazu Aubin, S. 10 f.; Kaufmann, S. 227 f. 168 Nachweise bei Klein, Kriegsausbruch, S. 26 f.; Kaufmann, S. 225. 187 Sog. Vertragsvernichtungstheorie im Gegensatz zur Vertragserhaltungstheorie. 161 182

A. H. Die Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive 131 ferenzierenden Betrachtungsweisete8 gewichen ist. Im Hinblick auf die Art der Verträge läßt sich der Einfluß des Krieges am ehesten für folgende zwei Kategorien beurteilen: einerseits für die Verträge, die ausdrücklich oder doch ihrem Sinn nach für den Kriegsfall geschlossen sind oder deren Fortgeltung oder Erfüllung sich doch mit dem Kriegszustand vereinbaren läßt, und andererseits für die politischen Verträge!", die normale Beziehungen zwischen den Parteien voraussetzen. Während die erste Gruppe vom Kriegsausbruch nicht berührt wird, erlöschen die Verträge der zweiten Gruppe mit Kriegsausbruch automatisch, ohne nach Kriegsende wieder in Kraft zu treten. In der Mitte zwischen beiden Gruppen stehen diejenigen Verträge, die zwar nicht erlöschen, deren Erfüllung aber während des Krieges doch unmöglich ist (aufrechterhaltene, aber in ihrer Wirksamkeit bzw. Anwendbarkeit zeitweilig ruhende, suspendierte Verträge). Nach herrschender Ansicht ruhen diese Verträge während des Krieges, leben aber nach Kriegsende wieder auf170, wobei dann allerdings zweifelhaft sein kann, ob sie automatisch oder nur durch einen darauf gerichteten Akt volle Wirksamkeit erlangenl7l • Die Zuordnung der einzelnen Verträge zu den verschiedenen Vertragsgruppen, die nicht selten erhebliche Schwierigkeiten bereitet, kann hier auf sich beruhen. An dieser Stelle mag die Feststellung genügen, daß hinsichtlich der Auslieferungsverträge, wenn auch nicht einstimmig, so doch überwiegend die Auffassung vertreten wird, ihre Erfüllung sei zwar während des Krieges nicht gut möglich, sie seien also infolge des Krieges in ihrer Wirksamkeit gehemmt (suspendiert), aber nach Beendigung des Konflikts träten sie wieder in Kraft 172• Bei Auslieferungsverträgen kommt es somit für die Beurteilung der staatsrechtlichen Wirkungen, die sich aus der völkerrechtlichen Rechtslage eI1geben, auf die Unterscheidung zwischen der Transformations118 Differenzierungstheorie, die wieder in drei Arten als objektive, subjektive und gemischt objektiv-subjektive Differenzierungstheorie auftritt, vgl. im einzelnen Klein, Kriegsausbruch, S.33; nach Aubin ist diese Lehre "einzig sachgemäß und neuzeitlichem Völkerrechtsdenken entsprechend", vgl. auch Kaufmann, S. 232, der zur Frage nach den maßgebenden Normen seit dem Wegfall der Direktive Nr. 6 meint: "Der heutigen Lage entspricht nur eine Lösung, die im Anschluß an die Differenzierungstheorie auf die besondere Eigenart der Verträge abstellt und die das Erhaltenswerte oder gar die Erhaltung Fordernde wieder aufleben läßt." Auf dem Boden der Differenzierungstheorie steht auch das vom Institut de Droit international im Jahre 1912 in Oslo angenommene «Reglement concemant les effets de la guerre sur les traites », Annuaire de l'Institut de Droit international, ed. nouv. abregee, vol. 6 (1929), S. 586 f. 188 Gegen die Einteilung in politische und nichtpolitische Verträge, Klein, Kriegsausbruch, S. 45 f. 170 Klein, Kriegsausbruch, S. 44. 171 Vgl. dazu Wengler, Völkerrecht, S. 381. 172 v . Bar, S. 289; Dahm Bd. IH S. 158; McNair, S. 716; Meyer, S. 27 f.

132

2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

und der Vollzugslehre nicht entscheidend an. Nur in den Fällen, in denen der Krieg zur Beendigung eines völkerrechtlichen Vertrages führt, können sich aus den verschiedenen Theorien unterschiedliche Rückschlüsse auf die innerstaatliche Geltung des Vertragsrechts ergeben173• Dagegen ist kein Grund ersichtlich, Vertragsrecht, dessen völkerrechtliche Grundlage nicht erlischt, sondern nur suspendiert wird, die innerstaatliche Geltung abzusprechen. Der suspendierte Vertrag bleibt rechtlich weiter in Kraft, nur seine Anwendbarkeit ruht. Der Unterschied wird deutlich, wenn man die Rechtslage nach Kriegsende ins Auge faßt 114• Während der erloschene Vertrag vernichtet bleibt, seine weitere Anwendung also eine neue, konstitutive Willenseinigung der früheren Vertragsparteien über die Wiederinkraftsetzung notwendig macht, gelten die nur in ihrer Anwendbarkeit suspendierten Verträge grundsätzlich ipso iure weiter. Eine Vereinbarung der Vertragsparteien darüber, daß der Vertrag wieder voll wirksam werden soll, hat nur deklaratorische Bedeutung. Der Umstand, daß die Staaten in der Regel das Aufleben der Auslieferungsverträge nach Kriegsende zur vollen Wirksamkeit von einer Willenseinigung abhängig machen, rechtfertigt nicht die Schlußfolgerung, die Verträge seien als erloschen anzusehen. Solche Willenseinigungen finden eine hinreichende Erklärung in dem angesichts des Fehlens fester Regeln begreiflichen Wunsch nach Rechtssicherheit l7S • Da häufig ausreichende objektive Anhaltspunkte dafür fehlen, ob übereinstimmung über das Erlöschen oder Fortgelten der Verträge besteht, erscheint eine Klärung der Rechtslage durch eine jeden Zweifel ausschließende Einigung der Parteien wünschenswert oder sogar geboten. Das innerstaatliche Vertragsrecht teilt das Schicksal des völkerrechtlichen Vertrages. Wie die Suspension nicht die Existenz des Vertrages berührt, sondern nur seine praktische Anwendbarkeit vorübergehend beeinträchtigt, so bleibt auch das innerstaatliche Recht in seinem Bestand - auch vom Standpunkt der Vollzugstheorie aus - unangetastet. Die Auswirkungen der Suspension des völkerrechtlichen Vertrages auf das innerstaatliche Recht liegen nicht auf rechtlichem, sondern auf tatsächlichem Gebiet. Das Vertragsrecht, das dem innerstaatlichen Vollzug der völkerrechtlichen Verpflichtung dient, läuft leer, solange die vertraglichen Verpflichtungen ruhen. Endet die Suspension, so rückt es automatisch wieder in die ihm zukommende Rolle ein.

Vgl. Boehmer, S. 99 f., Partseh, Bericht S. 138. Vgl. dazu Klein, Kriegsausbruch, S. 44; ders. Krieg und völkerrechtliche Verträge, S. 323. 115 Vgl. Klein, Kriegsausbruch, S. 44. 113

114

A. 11. Die Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive 133

bb) Die unterschiedlichen Auswirkungen für einfache und ergänzende Wiederanwendungsverträge Aus der Unterscheidung zwischen Vertragsbeendigung und Vertragssuspension ergeben sich die maßgebenden Gesichtspunkte für die staatsrechtliche Behandlung der Vereinbarungen, die die Wiederanwendung von Auslieferungsverträgen zum Gegenstand haben. Die Bedeutung dieser Vereinbarungen liegt ausschließlich auf völkerrechtlichem Gebiet. Mit ihrem Abschluß erklären die Vertragsparteien verbindlich, daß die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Auslieferungsverträge volle Wirsamkeit haben. Ein Abkommen, das sich darauf beschränkt, die Wiederanwendung eines suspendierten Vertrages zu vereinbaren, betrifft daher nicht Gegenstände der Gesetzgebung im Sinne von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG und bedarf somit nicht der Zustimmung der ,gesetzlichen Körperschaften. Für einen innerstaatlichen Rechtsetzungsakt ist kein Raum. Sobald eine Vereinbarung aber nicht nur die Wiederanwendung eines durch den Krieg suspendierten Vertrages zum Gegenstand hat, sondern gleichzeitig den ursprünglichen Vertrag ändert oder ergänzt, können die Grundsätze, die im alLgemeinen für die Änderung von Abkommen gelten, zu denen ein Zustimmungsgesetz ergangen ist, nicht außer Betracht bleiben. Die Beurteilung der Zustimmungsbedürftigkeit solcher Vereinbarungen ausschließlich unter dem Gesichtspunkt als Parallelabkommen übersieht, daß die Regelung trotz der äußerlichen Verbindung in einem Vertrag zwei wesentlich verschiedene Sachverhalte betrifft. Nachdem ein Vertrag durch die Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften innerstaatlich Gesetzeskraft erlangt hat, kommt es für die staatsrechtlichen Erfordernisse seiner Änderung oder Ergänzung nicht entscheidend darauf an, ob sich diese Modifikationen im Rahmen schon bestehenden innerstaatlichen Rechts halten 176 ; allenfalls könnte an eine Differenzierung unter dem Gesichtspunkt gedacht werden, ob die geänderten Teile des ursprünglichen Vertrages an sich der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften bedurften oder nicht. Gegen die Zustimmungsbedürftigkeit von Änderungen solcher Teile eines Abkommens, die für sich allein auch ohne Beteiligung der gesetzgebenden Körperschaften hätten vereinbart werden können, wird ins Feld geführt, daß eine Zustimmung doch zweifellos nicht erforderlich sei, wenn von vornherein zwei getrennte Abkommen geschlossen worden wären und nur das Teilabkommen mit nichtzustimmungsbedürftigem Inhalt geändert würde177 • Dem steht jedoch entgegen, daß die Legis178 Deshalb ist es keinesfalls damit getan, in das Abkommen eine dem Art.III der deutsch-britischen Vereinbarung entsprechende Klausel einzufügen. 177 Vgl. Maunz-Dürig, Art. 59 RdNr. 46.

2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

134

lative, wenn sie einmal für ein Abkommen die Mitverantwortung übernommen hat, aus dieser nicht einseitig verdrängt werden darf 178• Die Zustimmung des Gesetzgebers, wie sie in der Verabschiedung des Zustimmungsgesetzes zum Ausdruck kommt, ist ein einheitlicher und unteilbarer Akt, der auch nachträglich nicht aufgesplittert und für einzelne Bestimmungen des Vertrages als unerheblich behandelt werden kann. Das Parlament ist in seiner Entscheidung, ob es einem Vertrag zustimmen will oder nicht, frei. Die Grundlage seiner Willensentscheidung darf nicht nachträglich dadurch verkürzt werden, daß der Vertrag in verschiedene Teile au:f)gelöst wird. Die Aufspaltung eines einheitlichen Vertrages in normative und nichtnormative Teile und eine dementsprechende Unterscheidung zwischen zustimmungsbedürftigen und nichtzustimmungsbedürftigen Änderungen ein und desse1ben Vertrages geht an den tatsächlichen Gegebenheiten des Zustimmungsverfahrens vorbei. Für die Entschließung des Gesetzgebers können ,gerade die nichtnormativen Teile allein oder doch in Verbindung mit dem übrigen Vertragsinhalt den Ausschlag geben. Die Annahme einer einheitlichen Beurteilung der ZustimmungsbedürfUgkeit entspricht auch der Staatspraxis im ähnlich gelagerten Fall der Zustimmung des Bundesrates zu Gesetzesbeschlüssen des Bundestagesm. In der Tat ist kein Anlaß ersichtlich, die Frage im Falle des Art. 59 GG anders als für Art. 77 GG zu beantworten. Für das eingangs gewählte Beispiel der deutsch-britischen Vereinbarung über die Wiederanwendung des Auslieferungsvertrages aus dem Jahre 1872 kann die Streitfrage auf sich beruhen. Diese Vereinbarung betrifft auch normative Teile des früheren Vertrages (z. B. die Neufassung des Katalogs der auslieferungsfähigen Straftaten). Während also etwa gegen den Abschluß der auf die Wiederanwendung beschränkten Vereinbarungen mit Griechenland, Luxemburg, der Türkei, Finnland, Norwegen und den USA im einfachen Notenwechsel zwischen den Regierungen keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, genügt die deutsch-britische Vereinbarung den staatsrechtlichen Erfordernissen des Grundgesetzes nichtl80 • Anstelle des Notenaustausches hätte die Vereinbarung in der Form des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG abgeschlossen werden müssen. Mangels Zustimmung der für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften kann die deutsch-britische Vereinbarung in178

Maunz-Dürig a. a. O. Worauf Maunz-Dürig

a. a. O. ausdrücklich hinweisen. Aus den gleichen Gründen sind die ursprünglichen Bedenken der Bundesregierung gegen die Verfassungsmäßigkeit der deutsch-niederländischen Vereinbarung über die Wiederanwendung des Auslieferungsvertrages von 1897 (s. o. S. 90 f.) begründet. Die Vereinbarung erweitert die nach dem Vertrage bestehenden Rechtshilfeverpflichtungen (vgl. Grützner, Bd. III Nr. 6 Anm. 30). 178

180

A. H. Die Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive 135

nerstaatliche Wirkungen nicht entfalten und daher auch von den Gerichten im Zulässigkeitsverfahren nicht berücksichtigt werden. d) Die Zustimmungsbedürftigkeit von zweiseitigen Ergänzungs-

verträgen zu multilateralen Abkommen

Die Frage der staatsrechtlichen Behandlung von Zusatzvereinbarungen zu multilateralen Verträgen weist keine Besonderheiten auf. Das Problem hat mit der Verabschiedung des Zustimmungsgesetzes zum Eu,ropäischen AuslieferungsübereinJkommenl81 aktuelle Bedeutung auch für das Auslieferungsrecht erlangtl82 • Das Auslieferungsühereinkommen läßt ausdrücklich Raum für zwei- oder mehrseitige Vereinbarungen, soweit sie der Ergänzung des Übereinkommens oder der Erleichterung der Anwendung der darin enthaltenen Grundsätze dienen (Art. 28 Abs. 2). In Abgaben-, Steuer-, Zoll- und Devisenstrafsachen wird die Auslieferung unter den Bedingungen des Übereinkommens ganz allgemein davon abhängig gemacht, daß die Parteien "für einzelne oder Gruppen von strafbaren Handlungen dieser Art" zusätzliche Vereinbarungen treffen (Art. 5). In der Denkschrift zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen l88 hat die Bundesregierung zu erkennen gegeben, daß sie gewillt ist, sobald wie möglich mit denjenigen Staaten, die das Europäische Auslieferungsübereinkommen ratifiziert haben oder ratifizieren werden, Verhandlungen aufzunehmen, um festzustellen, ob und in welchem Umfang derartige zusätzliche Vereinbarungen notwendig oder wenigstens zweckmäßig sind. Bei der Gelegenheit soll unter anderem auch geklärt werden, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Auslieferungen wegen fiskalischer Straftaten in Betracht kommen184 • Die Unsicherheit, die die Frage der staatsrechtlichen Behandlung solcher Zusatzvereinbarungen beherrscht, zeigt sich darin, daß die Denkschrift es bewußt vermeidet, insoweit eindeutig Stellung zu nehmen. In der Begründung zu BGBl. 1964 H S. 1369. Eine andere staatsrechtliche Frage, die in diesem Zusammenhang in der Praxis gelegentlich Schwierigkeiten bereitet hat, betrifft die Zustimmungsbedürftigkeit von Vorbehalten. Der Entwurf des Vertragsgesetzes zu dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. 12. 1957 und zu dem EuropäiSchen übereinkommen vom 20. 4. 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen enthielt noch nicht die deutscherseits bei der Unterzeichnung gemachten Vorbehalte. Dagegen meldete der Bundesrat Bedenken an mit der Begründung, daß Vorbehalte, die für und gegen jedermann wirken sollen, als Änderungen des Vertragsinhalts in den Willen des Gesetzgebers aufgenommen werden müßten. Die Bundesregierung schloß sich dem an, vgl. Bundestagsdrucksache IV/382 S. 49. Durch die Aufnahme der Vorbehalte in den Gesetzestext hat der Bundestag den Bedenken Rechnung getragen; siehe dazu im einzelnen Platz und Lörcher, S. 641 f.; zur staatsrechtlichen Problematik der Vorbehalte im allg. vgl. auch Boehmer, S. 51 ff. 183 Bundestagsdrucksache IV/382 S. 19 ff. 184 Vgl. die Begründung zu Art. 28. . 181

18!

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

Art. 5 heißt es lediglich, es bleibe den jeweiligen Vertragsparteien überlassen, in welcher Form die Vereinbarungen geschlossen würden, ob durch Staatsvertrag oder durch NotenwechseP85. Es sollte eigentlich nicht zweifelhaft sein, daß eine Vereinbarung, die das Abkommen ergänzt, indem sie die Auslieferungspflicht auf fiskalische Straftaten ausdehnt, schon unter dem Gesichtspunkt der Zustimmungsbedürftigkeit von Änderungsabkommen zu transformiertem Völkervertragsrecht einen Gegenstand der Gesetzgebung betrifft. Dem kann jedenfalls nicht entgegengehalten werden, eine solche Vereinbarung bedürfe der Zustimmung nicht, weil sie sich im Rahmen des DAG halte, das Auslieferungen wegen fiskalischer Straftaten bekanntlich nicht verbietet. Dieser von Vorstellungen über die staatsrechtlichen Erfordernisse beim Abschluß sog. Parallelabkommen beherrschte Einwand wird schon dadurch entkräftet, daß für den innerstaatlichen Vollzug der Zusatzvereinbarungen nicht das DAG, sondern - wie die Denkschrift ausdrücklich feststellt _18e das Europäische Auslieferungsübereinkommen maßgebend sein soll. Der Abschluß einer solchen Zusatzvereinbarung nach Art. 5 stellt eine Vertragsergänzung dar, die staatsrechtlich einer Vertragsänderung gleichsteht187• Das läßt sich freilich nicht von jeder ergänzenden Vereinbarung behaupten, vielmehr kommt es im Einzelfall darauf an, ob die Ergänzung normativen Charakter hat. Vereinbarungen rein technischen Inhalts, die sich nicht an die Gerichte, sondern an die mit Auslieferungssachen befaßten Verwaltungsstellen richten, sind nicht hierher zu zählen l88 • 6. Ergebnis

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß § 46 DAG auf Grund einer durch das geltende Verfassungsrecht gebotenen Auslegung nur insoweit mit Art. 59 Abs. 2 GG vereinbar ist, als die Vorschrift Vereinbarungen betrifft, die bei Anwendung des DAG dem Erfordernis der Gegenseitig185 a. a. O. S. 21.

Vgl. die Begründung zu Art.5: "Wird eine solche Vereinbarung geschlossen, etwa des Inhalts, daß alle Schmuggeldelikte auslieferungsfähig sind, dann findet auch auf diese Taten das Europäische Übereinkommen Anwendung." 187 Die österreichische Verfassungsnovelle von 1964 hat den Wortlaut von Art. 50 Abs. 1 B-VG ausdrücklich geändert, um klarzustellen, daß nicht nur gesetzesändernde, wie es bis dahin hieß, sondern auch - was der früheren Praxis allerdings schon entsprach - gesetzesergänzende Staatsverträge der Genehmigung des Nationalrats bedürfen, vgl. v. Grilningen, S. 91. 188 Für Gegenrechtserklärungen neben dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen gilt dasselbe wie im bilateralen Auslieferungsverkehr. Auch insoweit ist zwischen Gegenrechtserklärungen, auf deren Ausführung die Vorschriften des DAG anzuwenden sind, und vertragsergänzenden Vereinbarungen zu unterscheiden, die in vollem Umfang den vertraglichen Regeln des Auslieferungsübereinkommens unterstehen; s. o. S. 119 ff. 18e

B. I. Das Verbot der Rücklieferung Deutscher

137

keit Rechnung tragen sollen oder die sich darauf beschränken, die völkerrechtliche Wirksamkeit suspendierter Verträge festzustellen. Die Einführung neuen Rechts über § 46 DAG, insbesondere durch den Abschluß von Auslieferungsverträgen oder Änderungsabkommen zu bestehenden Verträgen, ist dagegen ausgeschlossen, da jede darauf gerichtete Vereinbarung Gegenstände der Gesetzgebung betrifft und nicht ohne Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften innerstaatliche Wirksamkeit erlangen kann. Der weiterreichende Wortlaut des § 46 DAG nötigt nicht, die Vorschrift für nichtig zu erklären. Ihr Inhalt ist durch verfassungskonforme Auslegung der neuen Verfassungslage anzupassen l80 • In dem ihr verbleibenden Anwendungsbereich hat die Vorschrift rein deklaratorische Bedeutung.

B. Umfang und Grenzen des staatlichen Auslieferungsrechts I. Das Verbot der Auslieferung Deutscher (Art.l6 Abs. 2 Satz 1 GG) und die Rücldieferung im Zuge einer vorübergehenden Auslieferung Abgesehen von der Zuständigkeitsregelung (Art. 73 Nr. 3 GG) im Abschnitt "Die Gesetzgebung des Bundes" erwähnt das Grundgesetz die Auslieferung ausdrücklich nur im Art. 16 Abs. 2 Satz 1. Der Satz "Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden" erscheint auf den ersten Blick - wenn die vorwiegend dem Staatsangehörigkeitsrecht vorbehaltene und hier nicht zu erörternde Frage außer Betracht bleibt, wer als Deutscher im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist - so eindeutig, daß er für das Auslieferungsrecht wenig Anlaß zu Meinungsverschiedenheiten zu bieten scheint. Bei näherer Betrachtung zeigt sich indes bald, daß die Vorschrift auch unter auslieferungsrechtlichen Gesichtspunkten Probleme von großer praktischer und theoretischer Bedeutung in sich bil1gt. 1. Die Zweckmäßigkeit des Verbots und der Anwendungsbereich des Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG

Das Verbot der Auslieferung Nationaler hat eine lange Geschichte, auf die hier nicht näher einzugehen ist1 • Der Grundsatz, daß eigene Staatsangehörige der Auslieferung nicht unterliegen, bildet - von wenigen Vgl. Hesse, Grundzüge, S. 31 ff. Vgl. dazu Mettgenberg, Ein Deutscher, S. 1 ff. mit zahlreichen Nachweisen aus der rechtsgeschichtlichen Literatur. Gesetzliche Anerkennung hat das Verbot der Auslieferung Nationaler erstmals im Art. 2 Abs. 1 Ziff.l des' Beschlusses des Deutschen Bundes vom 26. 1. 1854 gefunden, Preußische Gesetzsammlung 1854, S. 359. Von dort ging es über § 9 des Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund vom 31. 5. 1870 in § 9 des Strafgesetzbuches vom 15. 5. 1871 ein, der durch das Kontrollratsgesetz Nr. 11 aufgehoben wurde. 180 1

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

Ausnahmen abgesehen - seit der Entwicklung des Auslieferungsverkehrs zu einer ständigen, rechtlich geordneten Angelegenheit zwischen den Staaten eine feste Regel des deutschen Auslieferungsrechts. Zugleich von einer unumstrittenen Regel 2 zu sprechen, erscheint jedoch - sofern mehr als ihre praktische Geltung gemeint sein sollte - selbst für das deutsche Recht, geschweige denn in internationaler Sicht, übertrieben. Es hat von jeher nicht an gewichtigen Stimmen gefehlt, die den Grundsatz in Frage gestellt oder abgelehnt haben3 • Der angloamerikanische Rechtskreis mit dem ihm eigenen Territorialitätsprinzip kennt den Grundsatz nicht. Die nordischen Staaten Dänemark, Finnland, !sland, Norwegen und Schweden haben ihn im Auslieferungsverkehr untereinander durch gleichlautende Gesetze (sog. nordisches Auslieferungsgesetz) aufgegeben 3a • In Italien ist die Auslieferung eigener Staatsangehöriger zulässig, wenn sie in internationalen übereinkommen vereinbart worden ist4 • Nach lateinamerikanischem Recht können Nationale ausgeliefert werden, es besteht jedoch kein Auslieferungszwang. In der Tat erscheint heute mehr als früher die Frage berechtigt, ob das kontinentaleuropäische Verbot der Auslieferung Nationaler noch zeitgemäß ist5 • Der Ansicht Meyers 8 kann zumindest dann nicht mehr gefolgt werden, wenn er glaubt, die zutreffende Erkenntnis, daß die Tendenz der neu esten internationalen Strafrechtsentwicklung für die Auslieferung eigener Staatsangehöriger spreche, als eine "utopische und phantastische Überbewertung" abtun zu können. Bemerkenswert erscheint, daß auch das Europäische Auslieferungsübereinkommen nicht bei dem Vorschlag im vorläufigen Memorandum des Generalsekretariats des Europarats vom 6.12.1951 stehengeblieben ist, dem Grundsatz durch eine StrafverfolguIlJgspflicht des Heimatstaates einen Teil seiner Schärfe zu nehmen, sondern daß das übereinkommen sich darüber hinaus im Grundsatz dem vermittelnden Standpunkt der südamerikanischen Staaten angeschlossen hat7 • Das erklärende Memorandum zum Entwurf des So Mettgenberg, Ein Deutscher, S. 7. Vgl. Lammasch, S. 417 ff., der sich dafür ausspricht, das Verbot fallenzulassen, ohne sich jedoch gleichzeitig zur sofortigen Auslieferung der Inländer zu verpflichten; neuerdings Lange, S. 22 f.; Oehler, S. 11 ff.; zur Literatur vgl. im übrigen M eyer, S. 71 Anm. 43 ff.; Schultz, S. 481 Anm. l. 3. Vgl. das schwedische Gesetz über Auslieferung wegen strafbarer Handlungen nach Dänemark, Finnland, Island und Norwegen vom 5. Juni 1959 Schwedische Gesetzessammlung 1959 Nr.254 S.639 - in deutscher übersetzung abgedruckt bei Grützner, Bd. V56, S. 26. , Art. 26 der Verfassung, Art. 13 Abs. 4 des Strafgesetzbuchs. 5 Vgl. dazu Oehler, a'. a. o. 8 Meyer, S. 72. 7 Vgl. Art. 6 Abs. 1 a: "Jede Vertragspartei ist berechtigt, die Auslieferung ihrer Staatsangehörigen abzulehnen." !

3

B. I. Das Verbot der Rücklieferung Deutscher

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Europäischen Auslieferungsübereinkommens empfiehlt zudem, das Verbot der Auslieferung eigener Staatsangehöriger sobald wie möglich fallenzulassen8 • Andererseits dürfen aber auch die Stimmen nicht überhört werden, die gerade mit Rücksicht auf die jüngste Entwicklung vor jedem übereifer warnen. So hat erst unlängst Schultz9 auf die Erfahrung der letzten Jahrzehnte hingewiesen, daß die politischen Verhältnisse in einem Staat plötzlich wechseln und nicht selten zu einer Änderung der Strafrechtspflege führen können, die über die Auslieferung eigener Staatsangehöriger hinaus sogar die Möglichkeit eines Auslieferungsverkehrs überhaupt in Frage stelle. Aber selbst die Beobachtung, daß mit derartigen staatspolitischen Umwälzungen chauvinistische Gefühle aufzuflammen pflegen1o, nötigt nicht dazu, das Verbot beizubehalten, sondern läßt es allenfalls ungeraten erscheinen, sich vorbehaltlos zur Auslieferung Nationaler zu verpflichten. Ob deshalb nicht eine Fakultativklausel den Vorzug gegenüber dem starren Vel'lbot verdienen würde, ist im gegenwärtigen Zeitpunkt allerdings noch eine theoretische Frage, die hier, wo es um die Erörterung verfassungsrechtlicher Auslieferungsprobleme auf der Grundlage des geltenden Rechts geht, außer Betracht bleiben kann. De lege lata gilt das Verbot der Auslieferung eigener Staatsangehöriger in der Bundesrepublik uneingeschränkt, und die Aufnahme in das Grundgesetz tut ein übriges, das an sich "wünschenswerte Postulat"l1, auch die eigenen Staatsangehörigen ausliefern zu können, auf längere Sicht von seiner Verwirklichung auszuschließen!!. Schon durch die Weimarer Reichsverfassung hatte das Verbot Verfassungsrang erhalten 13• Das DAG enthält es zwar nicht ausdIÜcklich, implizite ergibt es sich jedoch aus dem Wortlaut des § 1, der die Auslieferung auf Ausländer beschränkt. Wenn der Wortlaut auch insofern ungenau ist, als unbestritten nicht nur Ausländer, sondern auch Staatenlose ausgeliefert werden dürfen, so ist der Umkehrschluß vom Ausländer auf den Deutschen nie bezweifelt worden. Der Begriff Ausländer wird in diesem Zusammenhang von jeher negativ in dem Sinne verstanden: Ausländer ist, wer nicht Deutscher ist. Die amtliche BegründunglC zum ersten .A!bschnitt des Entwurfs des DAG nimmt ausdrücklich auf 8

Vgl. den Nachweis bei Oehler, S. 123.

• Schultz, S. 482. 10 So Schultz, S. 482 . .11 Schultz, S. 482.

!! Mit der Aufnahme in die Verfassung steht die Bundesrepublik allein da; in allen anderen westlichen kontinentalen Ländern beruht das Verbot auf einfachen gesetzlichen Bestimmungen oder gilt nur gewohnheitsrechtlich, so z. B. in Dänemark, Portugal, Spanien, vgl. Oehler, S. 114. 13 Art. 112 Abs. 3 WRV. U Auszugsweise abgedruckt bei Mettgenberg-Doerner, S. 185.

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

Artikel 112 Abs. 3 WRV Bezug und fährt dann fort: "Bei Verfolgten, welche die Reichsangehörigkeit (Art. 110 der Reichsverfassung) besitzen, scheidet demnach die Rechtshilfe des ersten Abschnitts des Entwurfs von vornherein aus". Das Grundgesetz hat die Vorschrift des Art. 112 Abs. 3 WRV in einer kürzeren Fassung als Art. 16 Abs. 2 Satz 1 übernommen. Anstelle des früheren Wortlauts: "Kein Deutscher darf einer ausländischen Regierung zur Verfolgung oder Bestrafung überliefert werden", heißt es jetzt: "Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden". Ob die Neufassung auch eine sachliche Änderung des Inhalts der Vorschrift ausdrücken soll, ist eine immer noch umstrittene Frage, auf die später einzugehen sein wird 15• Daß das Vel'bot der Auslieferung Nationaler die Durchlieferung und die vorläufige Auslieferung umfaßt, stand von jeher außer Frage. Für die Durchlieferung ergibt sich das Verbot unmittelbar aus dem Gesetz. § 33 DAG, der von der Durchlieferung handelt, spricht wie § 1 DAG vom Ausländer und verweist für die Voraussetzungen, unter denen eine Durchlieferung zulässig ist, zudem noch ausdrücklich auf diese Vorschrift. Da nur insoweit durchgeliefert werden kann, als die Auslieferung zulässig sein würde, scheidet die Durchlieferung eigener Staatsangehöriger aus. Ob die Gleichstellung der Durchlieferung mit der Auslieferung zwingend ist, läßt sich allerdings bezweifeln. Wesensnotwendig scheint sie jedenfalls nicht zu sein, wie die Beispiele der Länder zeigen, die das Verbot der Auslieferung Nationaler ebenfalls kennen, an der Durchlieferung eigener Staatsangehöriger jedoch dessen ungeachtet keinen Anstoß nehmen. So beschränkt etwa das französische Auslieferungsgesetz vom 11. 3.1927 die Durchlieferung nicht auf Ausländer, so daß auch Franzosen durch Frankreich durchgeliefert werden können l8 • Mancherlei Erwägungen sprechen dafür, die Durchlieferung überhaupt nicht als eine Art der Auslieferung, sondern lediglich als Unterstützung der Durchführung einer zwischen anderen Staaten vereinbarten Rechtshilfe zu betrachten. Dogmatische Gründe zwingen nicht zu einer Gleichstellung beider Institute. Die These "Durchlieferung = Auslieferung" dürfte Siehe unten S. 166 ff. Art. 28 Abs. 1 des Gesetzes über die Voraussetzungen, das Verfahren und die Wirkung der Auslieferung von Ausländern vom 10. März 1927, Journal Officiel vom 11. März 1927, übersetzt bei Griltzner. IV F 4, S. 1 ff.: "Die Durchlieferung - durch französisches Gebiet oder mit Schiffen der französischen Handelsflotte - einer von einer anderen Regierung ausgelieferten Person beliebiger Staatsangehörigkeit, wird auf einfaches, auf diplomatischem Weg gestelltes Ersuchen hin bewilligt, das sich auf Unterlagen gründet. die für den Nachweis erforderlich sind, daß es sich nicht um eine politische oder rein militärische strafbare Handlung handelt; vgl. ferner Topf. S.643; Schniederkötter, S. 30 mit weiteren Nachweisen. 15

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vielmehr ausschließlich historisch zu el"klären sein. Der oben17 erwähnte Beschluß des Norddeutschen Bundes aus dem Jahre 1854 enthält erstmals Bestimmungen über das materielle und formelle Durchlieferungsrecht. Gleichwohl sind Durchlieferungen auch vorher bewilligt worden, indem stillschweigend das jeweils bestehende Auslieferungsrecht zugrunde gelegt wurde. Auf dieser Entwicklung beruht der bis heute das Durchlieferungsrecht beherrschende Satz von der grundsätzlichen Gleichstellung mit der Auslieferung l8 • In neuerer Zeit scheint sich eine Abkehr von dem starren Gleichstellungsdogma anzubahnen. Die amerikanische Praxis mag dabei insofern eine Rolle spielen, als sie vernünftige Lösungen außer halb des positivistischen Systems offenbar macht. Im angloamerikanischen Recht ist die Durchlieferung nicht besonders gesetzlich geregelt. Die Durchlieferung eines Verfolgten durch amerikanisches Gebiet kann daher nicht förmlich beantragt werden. Gleichwohl pflegt die amerikanische Regierung dem Transport eines Verfolgten über amerikanisches Gebiet regelmäßig nicht nur zuzustimmen, sondern sie stellt darüber hinaus Polizeiorgane für die Sicherung des Transports zur Verfügung u . Der Gedanke, es könnte sich dabei um die Umgehung auslieferungsrechtlicher Grundsätze handeln, erscheint dem praktischen Sinn der Amerikaner offenbar fremd. Sie sehen in dem Vorgang, unbelastet von historischen Vorstellungen, das, was er in WiI1klichkeit ist: Eine polizeiliche Hilfsmaßnahme bei der Durchbeförderung eines Verfolgten. Das Europäische Auslieferungsübereinkommen stellt für die Durchlieferung - insbesondere für die Durchlieferung im Non-Stop-Flug schon geringere Voraussetzungen auf als für die Auslieferung20 • Einen - wenn auch nur zaghaften - gesetzlichen Niederschlag scheint die Entwicklung auch bei der Reform des DAG zu finden. In dem Kommissionsentwurf für ein neues DAG ist die Zulässigkeit der Durchlieferung an erheblich geringere Voraussetzungen geknüpft, als sie für die Auslieferung aufgestellt werden21 • Eine Lösung, die die Durchlieferung keinerlei Schranken unterwirft, es sei denn, "daß ihre Gestattung S. S. 137 Anm. 1. Vgl. Schniederkötter, S. 19 ff. 19 Vgl. GTÜtzner, Bd. III V 3, Vorbemerkung 5. zo Vgl. Art. 21. 21 Nach § 39 Abs. 1 des Kommissionsentwurfs kann ein Ausländer, der in einem ausländischen Staat strafrechtlich verfolgt wird oder verurtpilt worden ist, .. auf Ersuchen einer zuständigen Behörde dieses Staates durch das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland durchgeliefert werden, sofern mindestens eine dem Ersuchen zugrunde liegende strafbare Handlung nach deutschem Recht mit Gefängnisstrafe oder einer schweren Strafe bedroht sein würde, wenn sie im Geltungsbereich dieses Gesetzes unter gleichartigen Umständen begangen worden wäre". 17

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2. Teil: Auswirkungen der zwischenstaatlichen Betrachtungsweise

den Lebensbedingungen des sie bewilligenden Volkes zuwiderlaufen würde"!!, hat jedoch keine Chance, geltendes Recht zu werden. Das VeI1bot der Durchlieferung Nationaler gehört vorerst zu den Mindestvoraussetzungen, auf die zu verzichten nur wenige Staaten sich im gegenwärtigen Zeitpunkt bereit zu finden scheinen. F