Ausgewählte Schriften: Band 1 Grundprobleme der Philosophie 9783110323726, 9783110323115

Der vorliegende Band ist die schriftliche Fassung einer Vorlesung, die Moore im Wintersemester 1910/11 an der Cambridge

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German Pages 419 [425] Year 2007

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Kapitel 1Was ist Philosophie?
Kapitel 2Sinnesdaten
Kapitel 3Propositionen
Kapitel 4Formen des Wissens
Kapitel 5Humes Theorie
Kapitel 6Betrachtung der Theorie Humes
Kapitel 7Materielle Dinge
Kapitel 8Existenz im Raum
Kapitel 9Existenz in der Zeit
Kapitel 10Der Unendlichkeitsbegriff19
Kapitel 11Ist die Zeit real?
Kapitel 12Die Bedeutung von „real“
Kapitel 13Vorstellung und Erinnerung
Kapitel 14Annahmen und Propositionen
Kapitel 15Wahre und falsche Annahmen
Kapitel 17Wahrheiten und Universalien
Kapitel 18Beziehungen, Eigenschaften und Ähnlichkeiten
Kapitel 19Disjunktive und andere Eigenschaften
Kapitel 20Abstraktionen und Sein
Anhang
Stichwortverzeichnis
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Ausgewählte Schriften: Band 1 Grundprobleme der Philosophie
 9783110323726, 9783110323115

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George Edward Moore Grundprobleme der Philosophie

George Edward Moore Ausgewählte Schriften Band 1

George Edward Moore

Grundprobleme der Philosophie Deutsche Übersetzung von

Björn Bordon

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Inhaltsverzeichnis Vorwort der englischen Originalausgabe Kapitel 1 Was ist Philosophie? Kapitel 2 Sinnesdaten Kapitel 3 Propositionen Kapitel 4 Formen des Wissens Kapitel 5 Humes Theorie Kapitel 6 Betrachtung der Theorie Humes Kapitel 7 Materielle Dinge Kapitel 8 Existenz im Raum Kapitel 9 Existenz in der Zeit Kapitel 10 Der Unendlichkeitsbegriff Kapitel 11 Ist die Zeit real? Kapitel 12 Die Bedeutung von „real“ Kapitel 13 Vorstellung und Erinnerung Kapitel 14 Annahmen und Propositionen Kapitel 15 Wahre und falsche Annahmen Kapitel 16 Sein, Tatsache und Existenz Kapitel 17 Wahrheiten und Universalien Kapitel 18 Beziehungen, Eigenschaften und Ähnlichkeiten Kapitel 19 Disjunktive und andere Eigenschaften Kapitel 20 Abstraktionen und Sein Anhang Stichwortverzeichnis

1 5 35 61 83 101 121 141 159 179 199 219 235 255 275 297 317 337 355 371 389 411 417

Vorwort der englischen Originalausgabe

I

ch hoffe, Professor Wisdom hatte Recht, als er dieses Buch für veröffentlichungswürdig erachtete. Es besteht aus zwanzig Vorlesungen, die ich im Winter 1910/11 im Londoner Morley College gehalten habe, die ersten zehn vor, die zweiten zehn nach Weihnachten. Und ich glaube, ich hätte noch weniger Hoffnung gehabt, dass sie veröffentlichungswürdig sind, wenn ich nicht der Überzeugung gewesen wäre (vielleicht irrtümlicherweise), dass, obwohl viele von ihnen zweifelsohne nicht mehr aktuell sind, sie doch viel enthalten, das bis jetzt immer noch aktuell ist. Meine Zuhörer waren nach jeder Vorlesung eingeladen, Fragen über das zu stellen, was ich behandelt hatte, und auf eine der daraus hervorgehenden Diskussionen bezieht sich der erste Satz des Kapitels 15. Die Vorträge sind im Wesentlichen in der Form wiedergegeben, wie sie gehalten worden sind. Ich habe viele Wortänderungen vorgenommen; Ausdrücke, die ich in den Vorträgen verwendet habe, durch andere ersetzt, die, so denke ich, das, was ich ausdrücken möchte, besser erfassen. Aber ich konnte nicht überall Änderungen vornehmen; meine alte Terminologie erscheint immer noch an vielen Stellen. Daher habe ich dort erklärende Fußnoten benutzt, wo ich jetzt der Überzeugung bin, dass die Ausdrücke nicht richtig sind. In den Kapiteln 19 und 20 aber habe ich weitergehende Änderungen durch Auslassungen vorgenommen – Auslassungen von mehreren Seiten, die mir nun verwirrt und verwirrend erscheinen und keinen wesentlichen Beitrag zu dem, was ich sagen möchte, leisten. Ich denke aber, dass ich das Wesentliche dieser beiden Kapitel beibehalten habe. Um zu erklären, was mir darin als die Hauptfehler erscheinen, habe ich einen Anhang erstellt. Ich bin mir durchaus bewusst, dass sicherlich viele Fehler in dem, was hier gedruckt ist, vorhanden sind; und viele Wiederholungen kommen hinzu, da ich oft zu Beginn eines Vortrags einen Teil dessen wiederholt habe, was ich in dem vorhergehenden gesagt hatte, in der Hoffnung, in einigen Fällen meine Aussagen zu verdeutlichen. Es gibt zwei Punkte, zu denen ich Anmerkungen geschrieben hätte, wenn ich sie früher bemerkt hätte; und ich möchte sie kurz hier erwähnen. Der erste Punkt bezieht sich auf meine Betrachtungsweise, die ich auf Seite 142 zum Ausdruck bringe, dass es möglich ist, dass einige materielle Objekte lediglich Punkte, Linien oder Flächen einnehmen. Dies scheint mir nun ein absoluter Fehler zu sein: Nichts – so sollte ich sagen – kann wirklich ein materielles

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George Edward Moore • Grundprobleme der Philosophie

Objekt oder Teil eines materiellen Gegenstands sein, sofern es nicht einen Rauminhalt besitzt – obwohl natürlich dieser Rauminhalt äußerst klein sein kann. Dieser Punkt ist natürlich mit dem Fehler verbunden (erläutert auf Seite 42, Fußnote 6), dass ich annehme, eine Oberfläche könne wirklich „Teil“ eines materiellen Objekts genannt werden. Der zweite Punkt, zu dem ich eine Fußnote hätte anfügen sollen, betrifft die Beziehung zwischen dem, was ich über Propositionen in Kapitel 3 sage, und dem, was ich über sie in Kapitel 14 (Seite 290) und in Kapitel 17 (Seite 340) sage. In Kapitel 3, Seite 65, erkläre ich: „Im Universum gibt es bestimmt solche Dinge wie Propositionen.“ Während ich in Kapitel 14 (Seite 279€f ) sage, dass ich eine Betrachtungsweise über die Analyse der Überzeugung empfehle, die durch Folgendes ausgedrückt werden könnte: „Es gibt einfach keine Dinge wie Propositionen.“ Und in Kapitel 17 (Seite 340) sage ich: „... ich [glaube] nicht, dass es so etwas wie Propositionen überhaupt gibt“ Nun sieht es so aus, als ob ich, während ich Kapitel 14 und 17 geschrieben habe, den Gedanken, den ich in Kapitel 3 als definitiv wahr dargestellt habe, aufgebe. Und sicherlich wäre dies richtig, wenn ich die Aussage „Es gibt bestimmt solche Dinge wie Propositionen“ in Kapitel 3 in der gleichen Weise verwandt hätte, wie ich ihn in Kapitel 14 und 17 verwandt habe. Aber nun zweifle ich, ob ich in Kapitel 3 diesen Ausdruck lediglich in dieser Weise verwandt habe. Ich denke, es ist möglich – zumindest zum Teil – dass ich ihn in Kapitel 3 in folgender Weise gebraucht habe, wonach seine Wahrheit aus der bloßen Tatsache folgt, dass Aussagen wie „Ich glaube der Proposition, dass die Sonne größer als der Mond ist“ völlig richtige Weisen sind, etwas Wahres auszusagen – was es sicherlich auch ist. Wobei ich in Kapitel 14 und 17 die Aussage „Es gibt solche Dinge wie Propositionen“ in einer Weise verwandt habe, die vielleicht zweifelhafter ist, nämlich in dem Sinne, dass sie keine Wahrheit ausdrückt, bis nicht solche Aussagen wie „Ich glaube der Proposition, dass die Sonne größer als der Mond ist“ auf eine bestimmte Art und Weise analysiert werden können – und dies ist eine sehr unterschiedliche Verwendung. Es ist vielleicht erwähnenswert, dass die Kapitel 1 bis 10 meine „unveröffentlichten Schriften“ sind, auf die sich Lord Russell in dem Vorwort zu The Problems of Philosophy bezieht. Abschließend möchte ich meine Dankbarkeit gegenüber dem Herausgeber der Muirhead Library, Professor H.€D. Lewis, ausdrücken. Er nahm nicht nur die Mühe auf sich, Titelvorschläge für die Kapitel zu machen – Titel, die ich sehr gerne übernahm, mit nur ein oder zwei kleinen Ände-

Vorwort zur englischen Originalausgabe

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rungen; sondern er nahm auch Änderungen an den Anfängen der Vorträge vor, die nötig waren, um sie in Buchform zu bringen; und schließlich war er bereit, die Korrekturfahnen zu lesen, und entdeckte Fehler, die meiner Aufmerksamkeit entgangen waren und das Buch verunstaltet hätten. Februar 1953 G. E. Moore

Kapitel 1 Was ist Philosophie?

Z

u Beginn möchte ich versuchen, eine Vorstellung zu vermitteln, was Philosophie ist, oder anders gesagt, welche Art von Fragen es sind, die Philosophen stets diskutieren und zu beantworten versuchen. Aus zwei Gründen möchte ich so beginnen. Zum einen werde ich dadurch einen Eindruck geben, welches die Probleme sind, die ich in diesen Vorträgen zu behandeln gedenke. Und zum anderen denke ich, dass dies der beste Weg ist, eine Diskussion der Hauptprobleme der Philosophie zu eröffnen. Indem man zuerst versucht, einen allgemeinen Entwurf oder Überblick des gesamten Gegenstands zu erstellen, zeigt man auf, wie die verschiedenen, eigenständigen Probleme untereinander verbunden sind, und kann eine bessere Vorstellung ihrer jeweiligen Bedeutung vermitteln. Ich werde nun zuerst versuchen, eine Beschreibung des gesamten Spektrums der Philosophie zu geben. Aber dies ist wirklich kein einfaches Unterfangen. Es ist nicht einfach, da man bei näherer Betrachtung der Sache zu dem Ergebnis kommt, dass Philosophen eine Vielzahl von verschiedenen Fragen diskutiert haben; und es ist sehr schwierig, eine allgemeine Beschreibung abzugeben, die all diese Fragen einschließt; ebenso schwierig ist es, diese in gegenseitiger Beziehung einzuordnen. Ich kann wirklich nicht hoffen, mehr als einen groben Überblick über die Hauptfragen, mit denen sich Philosophen beschäftigen, zu geben und einige der wichtigsten Verbindungen zwischen den Fragen aufzuzeigen. Ich werde versuchen, mit der Beschreibung solcher Fragen zu beginnen, die mir als die wichtigsten und allgemein interessantesten erscheinen, danach werde ich mit den untergeordneten fortfahren. Es erscheint mir nun, dass die wichtigste und interessanteste Sache, die Philosophen versucht haben zu ergründen, nichts Geringeres als Folgendes ist: eine allgemeine Beschreibung der Gesamtheit des Universums zu geben, indem man die wichtigsten Dinge erwähnt, von denen wir wissen, dass sie in ihm sind, und indem man überlegt, wie wahrscheinlich es ist, dass es wichtige Dinge in ihm gibt, von denen wir nicht wissen, dass sie in ihm sind, und wie diese verschiedenartigen Dinge miteinander in Beziehung stehen. Ich werde dies kurz „Darstellung einer allgemeinen Beschreibung des gesam-

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George Edward Moore • Grundprobleme der Philosophie

ten Universums“ nennen und werde daher sagen, dass das erste und wichtigste Problem der Philosophie ist, eine allgemeine Beschreibung des gesamten Universums zu erstellen. Viele Philosophen, aber selbstverständlich nicht alle, haben versucht, eine solche Beschreibung zu formulieren; die sehr verschiedenen Beschreibungen, die die jeweiligen Philosophen gegeben haben, zeigen auch, so denke ich, ihre wichtigsten Unterschiede auf. Das Problem ist offensichtlich, so erscheint es mir, ein der Philosophie eigentümliches. Es gibt keine andere Wissenschaft, die zu sagen versucht, dass diese und jene Arten von Dingen die einzigen Arten von Dingen sind, die es im Universum gibt oder von denen wir wissen, dass sie in ihm sind. Ich werde nun anhand von Beispielen näher erläutern, was ich genau unter diesem ersten Problem verstehe – was ich unter einer Beschreibung des gesamten Universums verstehe. Das heißt, ich werde versuchen, die wichtigsten Unterschiede in den Beschreibungen verschiedener Philosophen zu betrachten. Ich möchte – aus einem bestimmten Grund – in einer besonderen Weise beginnen. Es scheint mir, dass es heutzutage gewisse Ansichten über das Universum gibt, die von jedermann geteilt werden. Sie sind so allgemeingültig, dass sie, so denke ich, als Ansichten des gesunden Menschenverstandes bezeichnet werden können. Ich weiß nicht, ob man annehmen kann, dass der gesunde Menschenverstand Ansichten über das gesamte Universum haben kann; vielleicht läuft keine seiner Ansichten darauf hinaus. Aber er hat, so denke ich, sehr bestimmte Ansichten mit der Folge dass es mit Sicherheit gewisse Arten von Dingen im Universum gibt, ebenso wie über einige Weisen, wie diese Dinge miteinander in Beziehung stehen. Und ich möchte beginnen, indem ich diese Ansichten beschreibe, da es mir besonders erstaunlich und interessant erscheint, wie die Ansichten vieler Philosophen über die Ansichten des gesunden Menschenverstands hinausgehen oder ihnen eindeutig widersprechen: Sie versichern zu wissen, dass es im Universum oberste Arten von Dingen gibt, die der gesunde Menschenverstand nicht kennt, und sie versichern ebenso zu wissen, dass es gewisse Dinge im Universum nicht gibt (oder zumindest, falls es sie doch gibt, wir es nicht wissen), von denen der gesunde Menschenverstand überzeugt ist. Daher denke ich, dass man am besten versteht, was diese philosophischen Beschreibungen des Universums wirklich aussagen, wenn man versteht, wie weit sie von den Ansichten des gesunden Menschenverstands entfernt sind – wie weit sie in einigen Punkten über den gesunden Menschenverstand hinausgehen oder wie sie ihm in anderen Punkten widersprechen. Ich möchte daher mit der Beschreibung beginnen, was ich für die wichtigsten Ansichten des gesunden Menschenver-

Was ist Philosophie?

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standes halte: Dinge, von denen wir im Allgemeinen annehmen, dass sie im Universum wahr sind, und wir sicher sind zu wissen, dass sie im Universum wahr sind. Um nun zu beginnen, erscheint es mir sinnvoll festzustellen, dass wir selbstverständlich glauben, es gebe im Universum eine außergewöhnliche große Anzahl von Objekten. Wir wissen zum Beispiel, dass es auf der Erdoberfläche neben unseren eigenen Körpern die Körper von Millionen anderer Menschen gibt; wir wissen, dass es die Körper von Millionen anderer Tiere gibt, auch von Millionen Pflanzen; und neben all diesen auch eine ungleich größere Anzahl von unbelebten Objekten – Berge und die Steine auf ihnen, Sandkörner, verschiedene Mineralien und Erdarten, alle Wassertropfen und Flüsse und Meere; darüber hinaus unglaublich viele verschiedene Objekte, die der Mensch geschaffen hat, Häuser, Stühle, Tische, Lokomotiven usw. Aber neben all diesen Dingen auf der Erdoberfläche gibt es die Erde selbst – eine unglaublich große Menge an Materie. Und heutzutage glauben wir auch, dass die Erde selbst und alles, was auf oder in ihr ist – so riesig sie uns erscheinen mag – unglaublich klein im Vergleich zu der gesamten Materie im Universum ist. Wir sind an die Vorstellung gewöhnt, dass die Sonne, der Mond und die gewaltige Anzahl sichtbarer Sterne selbst große Mengen Materie sind und die meisten sehr viel größer als die Erde. Wir sind ebenfalls an die Vorstellung gewöhnt, dass ihre Entfernung von uns so groß ist, dass jede Entfernung zwischen verschiedenen Punkten auf der Erdoberfläche im Verhältnis dazu lächerlich klein ist. All dies glauben wir über das materielle Universum, und es entspricht sicherlich auch dem gesunden Menschenverstand, dies zu glauben. Aber, wie jeder weiß, gab es eine Zeit, in der es nicht dem gesunden Menschenverstand entsprach, diese Dinge zu glauben; es gab eine Zeit, in der niemand an sie glaubte. Es gab eine Zeit, als es nicht annähernd so viele Menschen auf der Erde gab, wie es sie jetzt gibt; und jene, die auf ihr lebten, wussten nicht, wie viele sie waren. Sie glaubten nur an die Existenz einer vergleichsweise kleinen Anzahl menschlicher Lebewesen neben ihnen selbst, an eine vergleichsweise kleine Anzahl von Tieren und Pflanzen; und sie hatten keine Ahnung, wie groß die Erdoberfläche war. Sie glaubten ebenfalls, dass die Himmelskörper im Vergleich zur Erde klein seien und sich in einer geringen Distanz zur Erde befänden. Aber ich denke, ich habe Recht, wenn ich sage, dass wir jetzt glauben, diese primitiven Ansichten über das materielle Universum waren bestimmt falsch. Wir sollten sagen, dass wir wissen, dass sie falsch waren; wir haben entdeckt, dass sie falsch waren; und diese Entdeckung ist Teil unseres Wissensfortschritts. Aber obwohl es einige

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George Edward Moore • Grundprobleme der Philosophie

Dinge gibt, über die sich die Ansichten des gesunden Menschenverstands geändert haben, so ist er doch, soweit es den Punkt betrifft, dass es im Universum eine große Anzahl materieller Objekte gibt, und soweit wir das wissen, gleich geblieben. Soweit wir wissen, haben Menschen dies schon fast so lange geglaubt, wie sie überhaupt irgendetwas geglaubt haben: Sie haben immer an die Existenz sehr vieler materieller Objekte geglaubt. Aber jetzt glauben wir auch, dass es im Universum bestimmte Phänomene gibt, die sich von materiellen Objekten sehr unterscheiden. Kurz gesagt, wir glauben, dass wir Menschen, abgesehen vom Körper, auch Geist haben; und einer der Hauptpunkte, die wir damit meinen, wenn wir sagen, wir haben Geist, ist, so denke ich, dieses: Wir vollziehen bestimmte mentale Akte oder Bewusstseinsakte. Das heißt, wir sehen und hören und fühlen und erinnern uns und stellen uns vor und denken und glauben und wünschen und mögen und hassen und wollen und lieben und sind böse und ängstlich usw. Diese Dinge, die wir tun, sind alle mentale Akte – Akte des Verstands oder Bewusstseinsakte: Immer wenn wir einen von ihnen ausführen, sind wir uns etwas bewusst; jeder von ihnen besteht in gewisser Weise zum Teil daraus, dass wir uns etwas bewusst sind. Und es erscheint mir, dass die Sache, der wir am sichersten sind, wenn wir sagen, dass wir sicher sind, Verstand zu haben, ist, dass wir diese Dinge tun – dass wir diese Bewusstseinsakte ausführen. Bei allen Ereignissen sind wir sicher, dass wir sie ausführen und dass diese Akte sich von materiellen Objekten sehr stark unterscheiden. Hören ist selbst kein materielles Objekt, auch wenn es sehr eng mit bestimmten materiellen Objekten verbunden ist; so verhält es sich auch mit den übrigen – Sehen, Erinnern, Fühlen, Denken usw. Diese Dinge, diese Bewusstseinsakte sind sicherlich nicht selbst materielle Objekte. Und doch sind wir ziemlich sicher, dass es gewaltige Mengen davon im Universum gibt. Jeder von uns führt gewaltige Mengen davon jeden Tag und den ganzen Tag lang aus: Wir sehen fortwährend unterschiedliche Dinge, erinnern uns unterschiedlicher Dinge. Wir hören nur auf sie auszuführen, wenn wir schlafen – ohne zu träumen. Denn wenn wir träumen, führen wir selbst im Schlaf Bewusstseinsakte aus. Daher werden im Universum jeden Moment Millionen verschiedener Bewusstseinsakte von Millionen verschiedener Menschen ausgeführt und vielleicht ebenfalls von vielen Tierarten. Ich denke, dass dies zu glauben, gewiss gesunder Menschenverstand ist. Wir haben also bisher gesehen, dass der gesunde Menschenverstand an die Existenz mindestens zweier verschiedener Arten von Dingen glaubt. Zum

Was ist Philosophie?

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einen gibt es eine beträchtliche Anzahl materieller Objekte; zum anderen eine sehr große Anzahl mentaler Akte oder Bewusstseinsakte. Aber der gesunde Menschenverstand hat, so denke ich, auch gewisse, sehr klare Ansichten, wie diese beiden Arten miteinander in Beziehung stehen. Doch bevor ich ausführe, welche Ansichten das sind, muss ich zuerst etwas ansprechen, was wir von allen materiellen Dingen, die ich erwähnt habe, als wahr erachten – und nicht nur von ihnen, sondern von allen Objekten, die wir im Allgemeinen als materielle Objekte bezeichnen. Tatsächlich glauben wir, dass jedes einzelne materielle Objekt an irgendeinem Ort und zu jedem Zeitpunkt sich in etwas befindet, das wir Raum nennen. Und indem wir sagen, dass sie sich im Raum befinden, meinen wir, so denke ich, mindestens zwei Sachverhalte: Zum einen ist jedes von ihnen zu jedem Zeitpunkt von allen anderen in einer bestimmten Distanz entfernt. Es mag in der Praxis unmöglich sein, all diese Distanzen zu messen oder irgendeine von ihnen absolut exakt zu messen; aber wir glauben, dass theoretisch alle gemessen werden können und in soundso vielen Meilen, Fuß oder Zoll oder soundso vielen Bruchteilen eines Zolls ausgedrückt werden können, bis hin zu solchen Objekten, die sich tatsächlich berühren und deren Distanz somit null beträgt. Zum Beispiel glauben wir, dass die Erde in einer Richtung (grob gesagt) viele Millionen Meilen von der Sonne entfernt ist und in einer anderen Richtung noch mehr Millionen Meilen vom Polarstern. Und da zu jedem Zeitpunkt eine bestimmte Distanz zwischen der Sonne und der Erde sowie zwischen dem Polarstern und der Erde besteht, so gibt es auch eine bestimmte Distanz zwischen der Sonne und dem Polarstern, ebenso wie zwischen jedem einzelnen Himmelskörper und dem Rest. Gleiches gilt für die Körper auf der Erdoberfläche oder jeden Teil dieser Körper: Zu jedem Zeitpunkt berühren sich entweder zwei beliebige Körper oder befinden in einer bestimmten Entfernung voneinander – eine Distanz, die durch Meilen, Fuß, Zoll oder Bruchteilen eines Zolls grob ausgedrückt werden kann. Wir glauben folglich, dass es für jedes materielle Objekt zutrifft, zu jedem Zeitpunkt zu den anderen in einer bestimmten Distanz zu stehen. Dies ist einer der Sachverhalte, den wir ausdrücken, wenn wir sagen, dass sie sich im Raum befinden. Aber ich denke, wir meinen ebenso, dass jedes von dem Rest in dieser oder jener Richtung entfernt ist: in einem mehr oder weniger ganz bestimmten Richtungssystem. Und was dieses bestimmte Richtungssystem ist, kann, so denke ich, einfach erklärt werden. Wir kennen 

Im Engl. set of directions [Anm. d. Übers.].

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alle die Form der geometrischen Figur, die Kugel genannt wird – die Form eines vollkommen runden Balls. Vom Mittelpunkt dieser Kugel kann eine Gerade zu jedem Punkt auf ihrer Oberfläche gezogen werden. Jede dieser Geraden führt vom Mittelpunkt aus in eine andere Richtung: Dies ist, was wir mit einer Richtung meinen. Daneben gibt es keine Richtung, mit der es möglich ist, sich in einer Geraden vom Mittelpunkt aus zu bewegen – außer entlang einer dieser Geraden; wenn man sich auf einer Geraden vom Mittelpunkt einer Kugel aus bewegt, muss man sich zu einem der Punkte auf ihrer Oberfläche hin bewegen. Dies ist das, was ich mit dem Begriff des ganz bestimmten Richtungssystems ausdrücken möchte: Alle möglichen Richtungen, in denen man sich auf einer Geraden zu jedem gegebenen Punkt bewegen kann, bilden ein ganz bestimmtes System. Das heißt, man muss eine dieser Geraden nehmen, die von diesem Punkt zu einem Punkt auf der Oberfläche einer Kugel führen, von welcher er der Mittelpunkt ist. Folglich ist der zweite Sachverhalt, den wir für alle materiellen Objekte annehmen, wenn man von irgendeinem Punkt aus zu einem anderen geht, dass sich alle anderen auf einer Geraden dieses bestimmten Systems befinden. Wenn man alle Geraden in Betracht zieht, die von einem Punkt zu allen anderen Punkten auf der Oberfläche einer Kugel führen, die sie umgeben, dann wird jedes materielle Objekt zu jedem Zeitpunkt auf einer dieser Geraden liegen; es wird in gewisser Entfernung auf einer von ihnen liegen. Es gibt keine andere Position im Raum, die ein materielles Objekt einnehmen kann; diese Geraden führen durch jede Position im Raum; sodass, falls ein Objekt überhaupt im Raum ist, es auf einer dieser Geraden liegen muss. Daher ist dies einer der Sachverhalte, die wir meinen, wenn wir sagen, dass alle materiellen Objekte sich im Raum befinden. Das heißt, wenn wir von dem Raum sprechen, in dem sich materielle Objekte befinden und bewegen, ein Raum, in dem es keine anderen Richtungen, von denen aus man sich bewegen kann, gibt als die, die ich dargelegt habe. Wir nehmen selbstverständlich an, dass alle materiellen Objekte, die ich erwähnt habe, sich in einem solchen Raum befinden: dass von jedem von ihnen aus alle anderen zu jedem Zeitpunkt in dieser oder jener Richtung liegen. Und wenn wir von „materiellen Objekten“ sprechen, so schließen wir grundsätzlich nur Objekte ein, für die diese Beschreibung gilt. Ich habe aber diesen Abschnitt über das, was wir über materielle Objekte glauben, eingefügt, um zu erklären, was wir über die Beziehung materieller Objekte zu jener völlig anderen Art glauben, die ich Bewusstseinsakte oder mentale Akte genannt habe. Der gesunde Menschenverstand, so sagte ich,

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hat einige ganz bestimmte Ansichten, wie etwa dass Bewusstseinsakte im Allgemeinen an materielle Objekte gebunden sind. Ich möchte nun erläutern, welche Ansichten dies sind. Wir alle glauben normalerweise, dies denke ich zumindest, dass Bewusstseinsakte ganz bestimmt – in einer gewissen Weise – an einige materielle Objekte gebunden sind, und ganz bestimmt nicht gebunden an andere. Der Grund, warum ich den Abschnitt über den Raum eingefügt habe, war, um zu verdeutlichen, in welchem Sinne wir glauben, dass Bewusstseinsakte an bestimmte materielle Objekte gebunden sind. Wir glauben, so denke ich, dass unsere Bewusstseinsakte – alle, die wir, solange wir leben, ausführen – an unseren Körper gebunden sind, in dem Sinne, dass sie an den gleichen Orten auftreten, wo unser Körper sich befindet. Wir alle, denke ich, nehmen dies im normalen Leben fortwährend an, und wir nehmen es mit größter Überzeugung an. Obwohl ich glaube, dass die meisten Philosophen – ganz im Gegenteil – behauptet haben, dass Bewusstseinsakte an überhaupt keinem Ort auftreten – dass sie einfach nirgendwo sind, nicht im Raum. Aber dass wir alle es im Allgemeinen annehmen und dass es eine Überzeugung des gesunden Menschenverstands ist, scheint ziemlich offensichtlich. Ich glaube zum Beispiel, dass meine Bewusstseinsakte jetzt hier in diesem Raum stattfinden, wo mein Körper ist. In diesem Moment höre und sehe und denke ich hier, in diesem Raum. Und wenn ich, jetzt gerade, im Zug nach Waterloo führe, glaube ich, dass mein Verstand und meine Bewusstseinsakte mit mir fahren würden. Wenn der Zug und mein Körper in Putney wären, würde ich in Putney denken und sehen. Wenn der Zug und mein Körper Clapham Junction erreichten, würde ich in Clapham Junction denken und sehen. Das Gleiche gilt für alle anderen Orte, die ich passieren würde. Ich denke, wir alle nehmen dies im Allgemeinen so an, dass nämlich unsere Bewusstseinsakte an dem Ort stattfinden, an dem unser Körper sich zu diesem Zeitpunkt befindet. Ich will nicht sagen, dass wir irgendeine bestimmte Vorstellung haben, wo genau in unserem Körper unsere Bewusstseinsakte stattfinden. Ich denke nicht, dass wir eine solche haben. Wir sollten uns nicht darauf einstellen zu sagen, ob sie alle an der gleichen Stelle in unserem Körper oder ob verschiedene Bewusstseinsakte an verschieden Stellen stattfinden, noch sollten wir darauf eingestellt sein, eine bestimmte Stelle als die Stelle auszumachen, an der ein bestimmter Bewusstseinsakt stattfindet. Alles, was wir wirklich glauben, denke ich, ist, dass sie irgendwo in unserem Körper stattfinden. Bei allen Ereignissen sprechen wir alle so, als ob wir dies glauben. Und ich möchte die Stärke dieser Überzeugung verdeutlichen, indem ich

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sie einer anderen Überzeugung gegenüberstelle, die früher vertreten wurde. Einige Ureinwohner, so denke ich, waren überzeugt, dass manchmal, wenn ein Mensch träumte, sein Geist oder seine Seele den Körper verließen und an einen anderen Ort gingen und beobachteten, was an diesem Ort geschah – also dass, während er schlief, seine Bewusstseinsakte an einem anderen Ort als dem, wo sein Körper war, stattfinden konnten. Ich denke, ich liege richtig, wenn ich sage, dass dies zu glauben nicht länger dem gesunden Menschenverstand entspricht. Im Allgemeinen glauben wir heutzutage, dass, solange wir leben, wir zumindest normalerweise nur denken, sehen, hören und fühlen können, wo unser Körper ist. Wir glauben zumindest, dass eine gewaltige Anzahl Bewusstseinsakte, jeder einzelne, mit einem bestimmten Körper verbunden ist, in dem Sinne, dass er irgendwo in diesem Körper stattfindet. Meine Bewusstseinsakte finden in meinem Körper statt; Ihre in Ihren – und unser Verstand (zumindest im Allgemeinen) geht mit uns, wo immer unser Körper hingeht. Folglich glauben wir, denke ich, dass viele Bewusstseinsakte an bestimmte materielle Objekte gebunden sind, in dem Sinne, dass sie dort stattfinden, wo diese Objekte sind. Aber ich will nicht sagen, dies sei der einzige Sinn, in dem wir glauben, dass sie mit bestimmten materiellen Objekten verbunden sind. Zweifelsohne glauben wir auch, dass viele von ihnen von den Veränderungen, die in unserem Körper stattfinden, abhängig sind. Zum Beispiel sehe ich nur, wenn bestimmte Veränderungen in meinen Augen stattfinden; ich höre nur, wenn bestimmte Veränderungen in meinen Ohren stattfinden; ich denke nur – vielleicht –, wenn bestimmte Veränderungen in meinem Gehirn stattfinden. Wir glauben selbstverständlich, dass viele Bewusstseinsakte auf diese Weise mit bestimmten Körpern verbunden sind. Aber die einfachste und allgemeinste Beziehung, von der wir überzeugt sind, dass sie zwischen Bewusstseinsakten und bestimmten Körpern besteht, ist, so denke ich, diejenige, die ich erwähnt habe – dass sie nämlich auftreten, wo diese Körper sind. So glauben wir, dass Bewusstseinsakte an einige materielle Objekte gebunden sind. Nicht weniger aber glauben wir, dass die überwiegende Mehrzahl materieller Objekte nicht mit Bewusstseinsakten verbunden ist. Wir glauben, dass Bewusstseinsakte mit den lebenden Körpern der Menschen – Millionen verschiedener Menschen – und vielleicht der meisten Tiere verbunden sind; sodass es keinen Mangel an Bewusstseinsakten im Universum gibt. Aber trotzdem ist die überwiegende Mehrzahl materieller Objekte, so glauben wir, denke ich, mit keinen verbunden. Wir sind sicher, dass Stühle,

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Tische, Häuser, Berge, Steine nicht wirklich sehen, hören, fühlen, denken oder einen anderen mentalen Akt ausführen können: Wir sind sicher, dass sie kein Bewusstsein haben. Wir sind sicher, dass die Sonne, der Mond, die Sterne und die Erde kein Bewusstsein haben – dass keine Akte des Bewusstseins mit ihnen verbunden sind, in dem Sinne, wie unsere Bewusstseinsakte an unseren Körper gebunden sind. Sie fühlen, hören oder sehen nicht, wie wir es tun. Dies ist folglich ein sehr wichtiger Sachverhalt, von dem wir bezüglich des Verhältnisses zwischen Bewusstseinsakten und materiellen Objekten überzeugt sind: Dass es nämlich im Universum unter der großen Anzahl materieller Objekte nur eine vergleichsweise geringe Anzahl gibt, die mit Bewusstseinsakten verbunden sind; anders gesagt, die weitaus größte Zahl materieller Objekte im Universum ist ohne Bewusstsein. Dies, so denke ich, kann heutzutage annähernd als Ansicht des gesunden Menschenverstands beschrieben werden. Doch ist dies ein weiterer Punkt, in dem die heutigen Ansicht des gesunden Menschenverstands von dem abweicht, wie er einmal war. Es scheint ziemlich sicher, dass es eine Zeit gab, als die meisten Menschen glaubten, dass Bewusstseinsakte mit Holzstämmen, Steinen, Bäumen, der Sonne, dem Mond und vielen anderen Objekten verbunden sind. Sie glaubten, dass Geister zu verschiedenen Zeiten in diesen Objekten sind und dass, während die Geister in ihnen waren, oftmals Bewusstseinsakte in ihnen stattfanden: Der Geist hörte, sah und dachte im Holzstamm, genau wie unser Verstand in unserem Körper hört, sieht und denkt. Es gab also eine Zeit, als der Mensch im Allgemeinen glaubte, dass (zumindest eine Zeit lang) Bewusstsein mit vielen Körpern verbunden ist, denen wir jetzt kein Bewusstsein zuschreiben. Aber selbst zu jener Zeit wurde schon angenommen, so weit ich weiß, dass es immer auch Orte gibt, an denen keine Bewusstseinakte stattfinden. Ich denke, wir gehen nur weiter als das: Wir glauben, dass zu allen Zeiten die Anzahl der Stellen, an denen kein Bewusstseinsakt stattfindet, viel größer ist als die Anzahl der Stellen, an denen ein Bewusstseinsakt stattfindet. Daher ist dies ein Sachverhalt, den wir in Bezug auf das Verhältnis zwischen Bewusstsein und materiellen Objekten annehmen. Aber es gibt zwei weitere, so denke ich, die einer Erwähnung wert sind. Der erste ist folgender. Wir glauben, dass wir zu bestimmten Zeiten bestimmter materieller Objekte bewusst sind: Wir sehen, fühlen und denken an sie. Aber wir glauben mit größter Überzeugung, dass diese materiellen Objekte existieren können und auch fortfahren es zu tun, selbst wenn wir ihrer nicht bewusst sind. Wir sehen zum Beispiel in diesem Moment bestimmte materielle Objekte in die-

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sem Raum. Aber wir glauben, dass sie fortfahren werden zu existieren, selbst wenn wir alle weggegangen sind und der Raum über Nacht verschlossen wird und niemand sie sieht. Wenn ich einen Raum, in dem ein Feuer brennt, für fünf Minuten verlasse und ich kehre zurück und finde das Feuer immer noch brennend vor, dann nehme ich an, dass es die ganze Zeit, während ich weg war und niemand es gesehen oder seine Hitze gespürt hat, weiter gebrannt hat, genauso als wäre ich da gewesen, um es zu sehen. Wir alle, so denke ich, nehmen in Bezug auf materielle Objekte fortwährend an, dass sie in diesem Sinne völlig unabhängig von unserem Bewusstsein von ihnen sind: Sie sind alle Objekte einer Art, die genauso existieren, ob wir ihrer bewusst sind oder nicht. Wir können daher sagen, dass alle materiellen Objekte drei Merkmale haben: (1) Sie sind eine völlig andere Art von Dingen als Bewusstseinsakte. (2) Sie befinden sich alle zu jedem Zeitpunkt irgendwo im Raum. (3) Sie haben die Eigenschaft, die ich eben erwähnt habe: Sie sind derart, dass sie existieren, wenn wir ihrer nicht bewusst sind, genauso als wenn wir ihrer bewusst sind. Diese drei Merkmale, denke ich, reichen nicht aus, um ein materielles Objekt zu definieren: Es mag andere Objekte geben, die alle drei Merkmale besitzen und doch keine materiellen Objekte sind. Aber ich denke, es sind drei der wichtigsten Merkmale, die materielle Objekte haben; und wir sollten nichts als materielles Objekt bezeichnen, wenn wir ihm nicht alle drei zuschreiben. Ein zweiter Sachverhalt, den wir über das Verhältnis von Bewusstsein und Materie annehmen, besteht darin, dass Materie von unserem Bewusstsein von ihr unabhängig ist – sie existiert, selbst wenn wir ihrer nicht bewusst sind. Und wir glauben auch, dass zu jedem Zeitpunkt viel mehr materielle Objekte existieren, deren sich weder Mensch noch Tier bewusst sind, als materielle Objekte, deren wir bewusst sind. Und der dritte Sachverhalt, den wir über das Verhältnis von Bewusstsein und Materie annehmen, ist folgender. Wir glauben nämlich, dass es eine Zeit gab, als auf der Erde keine Bewusstseinsakte vorkamen, die an materielle Objekte gebunden waren: eine Zeit, als die Erde so heiß war, dass keine Lebewesen auf ihr existieren konnten, und daher konnten auch keine Wesen mit Bewusstsein auf ihr sein. Hinsichtlich menschlicher Körper und menschlichen Bewusstseins glauben wir, denke ich, dass dies nicht nur wahrscheinlich, sondern sicher ist. Wir glauben, dass erst seit einer vergleichsweise kurzen Zeit – vergleichsweise kurz, obwohl sie vielleicht bis zu mehreren Millionen Jahren beträgt – Menschen auf der Erde existieren. Vor dieser Zeit gab es keine Wesen auf der Erde, die

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menschlich genannt werden könnten, und ebenso keinen Verstand, der als menschlicher Verstand bezeichnet werden könnte. Obwohl es den Verstand und Bewusstseinakte von anderen Tierarten gab. Und so wie wir glauben, dass es zu einer Zeit in der Vergangenheit wahrscheinlich überhaupt kein Wesen mit Bewusstsein auf der Erde gab, und sicherlich keine Wesen mit einem menschlichen Bewusstsein, so glauben wir, dass es eine Zeit in der Zukunft geben kann, wenn es wieder so sein wird. Wir sollten auch nicht ausschließen, selbst wenn es kein Bewusstsein auf der Erde gab, dass es Wesen mit einem Bewusstsein im Universum, auf anderen Planeten, gegeben haben könnte; wir sollten auch nicht ausschließen, dass es sie jetzt geben könnte; noch sollten wir ausschließen, dass dies auch so sein könnte, wenn (falls überhaupt) die Zeit kommt, da alles Bewusstsein auf der Erde wieder erloschen ist. Aber wir sollten, so denke ich, berücksichtigen, dass es Zeiträume in der Geschichte des materiellen Universums gegeben haben könnte und wieder geben könnte, in denen kein Bewusstsein mit den darin befindlichen Körpern verbunden war – und keine Bewusstseinsakte irgendwo im Universum stattfanden. Das heißt, wir glauben, genauso wie jetzt Bewusstsein an vergleichsweise wenige der materiellen Objekte im Universum gebunden ist, könnte es lange Zeiträume in der Vergangenheit gegeben haben und in der Zukunft wieder geben, in denen es an überhaupt keine gebunden war oder sein wird. Dies ist, so denke ich, eine Überzeugung des gesunden Menschenverstands im Hinblick auf das Verhältnis von Bewusstsein und materiellen Objekten; und wenn es das ist, ist es sicherlich ein wichtiges Element unserer allgemeinen Betrachtung des Universums. Die einzelnen Elemente, die ich versucht habe hervorzuheben im Sinne der Ansichten des gesunden Menschenverstands über das Universum, sind folgende. Zum einen ist es sicher, dass es im Universum zwei verschiedene Arten von Dingen gibt, materielle Objekte und Bewusstseinsakte. Und zum anderen sind drei Punkte zu nennen, die das Verhältnis dieser beiden beschreiben: (1) Bewusstseinsakte sind an vergleichsweise wenige der materiellen Objekte im Universum gebunden. Die große Mehrzahl materieller Objekte ist ohne Bewusstsein. Die einzigen Körper, von denen wir behaupten sollten, mit Sicherheit zu wissen, dass sie mit ihnen verbunden sind, sind lebende menschliche Körper – und vielleicht auch die von Tieren – auf der Erde. Wir sollten nicht ausschließen, dass sie an andere Körper auf anderen Planeten gebunden sein könnten; dass es auf anderen Planeten Lebewesen geben könnte, die ein Bewusstsein haben. Aber wir sollten feststellen, so denke ich, dass Bewusstseinsakte sicherlich nicht an die große Mehrzahl

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materieller Objekte im Universum gebunden sind. Dies ist eine unserer Überzeugungen bezüglich des Verhältnisses von Bewusstseinakten zu materiellen Objekten. (2) Materielle Objekte sind derart, dass sie existieren können, selbst wenn wir ihrer nicht bewusst sind, und dies trifft auch in vielen Fällen zu. (3) Es könnte eine Zeit gegeben haben, als Bewusstseinsakte an keinen materiellen Körper irgendwo im Universum gebunden waren, und es könnte auch wieder eine solche Zeit kommen. Es gab fast mit größter Sicherheit eine Zeit, als es keine menschlichen Körper, die menschliches Bewusstsein hatten, auf der Erde gab. Jetzt gibt es nur noch zwei Punkte im Bezug auf die Ansichten des gesunden Menschenverstands über das Universum, denen ich Beachtung schenken möchte. Der erste bezieht sich auf etwas, das ich in meinen Ausführungen fortwährend angenommen habe, aber ich möchte es nun ausdrücklich erwähnen. Es ist so, dass alle materiellen Objekte und alle unsere Bewusstseinsakte und die der Tiere in der Zeit vorkommen sind. Ich sage „in der Zeit vorhanden sind“, aber um es genauer auszudrücken, sollte ich sagen, entweder sie waren in der Zeit vorhanden oder sind im Moment in der Zeit vorhanden oder werden in der Zukunft in der Zeit vorhanden sein; entweder so oder in allen drei ZeitÂ�ebenen – sie sind zugleich in der Zeit in der Vergangenheit vorhanden und sind jetzt vorhanden und werden in der Zukunft vorhanden sein. Denn nur einer der Sachverhalte, die wir meinen, wenn wir von „Zeit“ sprechen, besagt, dass es solche Dinge wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gibt und dass es einen großen Unterschied zwischen ihnen gibt. Kein materielles Objekt im Raum und keine unserer Bewusstseinsakte können, so glauben wir, wirklich als existierend bezeichnet werden, wenn sie nicht zu der Zeit, in der wir es sagen, existieren. Zum Beispiel können nur jene, die zu der Zeit, in der ich jetzt spreche, existieren, als wirklich existierend bezeichnet werden; für andere mag gelten, dass sie in der Vergangenheit existierten oder dass sie in der Zukunft existieren werden, aber es kann nicht sein, dass sie existieren. Was ich folglich ausdrücken möchte, wenn ich sage, dass alle materiellen Objekte und alle unsere Bewusstseinsakte in der Zeit vorhanden sind, ist, dass jedes und jeder von ihnen entweder in der Vergangenheit existierten oder jetzt existieren und in der Zukunft existieren werden; entweder so oder in allen drei Zeitebenen zugleich – sie existierten irgendwann in der Vergangenheit, existieren jetzt und werden in der Zukunft existieren. Ich möchte ebenso ausdrücken, dass es etwas anderes ist, wenn man sagt, ein Ding „existierte“, als wenn man sagt, es „existiert“; und beide sind wiederum verschieden von

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der Aussage, dass es „existieren wird“. Jede dieser unterschiedlichen Aussagen trifft tatsächlich auf einige Dinge zu. Zum Beispiel bin ich sehr sicher, dass es in der Vergangenheit viele Bewusstseinsakte gegeben hat – von mir und auch von anderen Menschen; ich bin auch sehr sicher, dass viele gerade jetzt existieren; und ich bin auch ziemlich sicher, aber nicht ganz so sicher, dass viele in der Zukunft existieren werden. Das Gleiche gilt auch für materielle Objekte: Viele haben in der Vergangenheit existiert, viele existieren jetzt und viele werden (nach aller Wahrscheinlichkeit) in der Zukunft existieren. Ich behaupte, dass wir im Allgemeinen glauben, diese Dinge verhalten sich so. Wir glauben, dass jede der Aussagen „Es existierte“, „Es existiert“, „Es wird existieren“ für viele materielle Objekte und viele Bewusstseinsakte wahr ist. Die erste Aussage trifft auf einige zu, die zweite auf andere und die dritte wieder auf andere; und alle drei treffen wiederum auf viele andere zu. Und wir glauben auch, dass eine dieser Aussagen für alle zutrifft. Entweder dieses oder bei einigen Fällen sind alle drei Aussagen für ein und dasselbe Ding wahr: Die Sonne oder die Erde zum Beispiel existierten beide, existieren und werden (wahrscheinlich) auch existieren. Dies, so behaupte ich, ist eine Überzeugung des gesunden Menschenverstands. Es gibt nur noch eine andere Überzeugung des gesunden Menschenverstands, die ich erwähnen möchte; und zwar folgende: Wir glauben, dass wir wirklich all diese Dinge, die ich erwähnt habe, wissen. Wir wissen, dass es im Universum zwei Arten von Dingen gibt und gegeben hat – materielle Objekte und Bewusstseinsakte. Wir wissen, dass es im Universum eine große Anzahl von beiden gibt und gegeben hat. Wir wissen, dass viele materielle Gegenstände existieren, selbst wenn wir ihrer nicht bewusst sind. Wir wissen, dass Dinge von beiden Arten in der Vergangenheit existiert haben, die jetzt nicht existieren, und dass Dinge von beiden Arten jetzt existieren, die nicht in der Vergangenheit existiert haben. Von all diesen Dingen sollten wir sicherlich sagen, dass wir sie wissen. Darüber hinaus glauben wir, dass wir eine sehr große Anzahl an Details über bestimmte materielle Objekte und Bewusstseinakte der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kennen. Wir wissen am meisten über die Vergangenheit, aber auch sehr viel über die Gegenwart und viel (obwohl dies vielleicht nur Annahmen sind) über die Zukunft. So kann in der Tat der Bereich der speziellen Wissenschaften definiert werden als etwas, das uns ausführliches Wissen über bestimmte Objekte von derlei Beschaffenheit gibt, die ich versucht habe zu definieren: das heißt, über materielle Objekte, die irgendwo im Raum vorhanden sind oder waren, und über Bewusstseinsakte der Menschen auf der Erde. Die meisten der spe-

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ziellen Wissenschaften beschränken sich auf eine bestimmte Gruppe unter diesen beiden Objektarten; und wir glauben, dass sie sehr erfolgreich waren in der Bemühung, uns sehr viel wirkliches Wissen über diese Objektarten zu geben. Die Astronomie zum Beispiel berichtet uns über die Himmelskörper – ihre Größe, Bewegung, Zusammensetzung und wie sie aufeinander reagieren. Physik und Chemie geben uns detailliertes Wissen über die Zusammensetzung verschiedener Arten materieller Objekte und wie sie und ihre kleinsten Teile untereinander reagieren. Die Biologie gibt uns Wissen über die Unterschiede von verschiedenen Tierarten auf der Erde, die Botanik über die Unterschiede verschiedener Pflanzenarten, die Physiologie über die Prozesse, die sich in lebenden Körpern abspielen, die Geologie über den gegenwärtigen und vergangenen Zustand verschiedener Gesteins- und Erdschichten, aus denen die Erdkruste besteht, die Geographie über die gegenwärtige Aufteilung von Land und Wasser auf der Erdoberfläche, über die Positionen von Bergen und Flüssen sowie über die verschiedenen Erdarten und klimatischen Verhältnisse in verschiedenen Teilen der Erde. Die historischen und biografischen Wissenschaften geben uns Wissen über Handlungen verschiedener Menschen und Menschengruppen, die auf der Erde existiert haben, und ebenso über ihre Bewusstseinsakte, welche Arten von Dingen sie sahen, hörten, dachten und glaubten. Die Psychologie schließlich behandelt im Besonderen die Bewusstseinsakte der Menschen und zu einem Teil auch die der Tiere; sie versucht die verschiedenen Arten mentaler Akte, die wir vollziehen, einzuordnen und zu unterscheiden sowie zu erklären, wie diese verschiedenen Akte untereinander in Beziehung stehen. All diese erwähnten Wissenschaften sind ausschließlich damit beschäftigt, uns Informationen über die beiden Arten von Objekten zu geben, die ich versucht habe zu beschreiben – materielle Objekte im Raum und Bewusstseinakte der Menschen und Tiere auf der Erdoberfläche. Und wir glauben selbstverständlich, dass sie alle erfolgreich waren, sich sehr viel wirkliches Wissen über diese Objektarten anzueignen. Wir unterscheiden in jedem Fall streng zwischen Dingen, die jetzt mit Sicherheit bekannt sind, Dingen, die früher, aber fälschlicherweise, geglaubt worden sind, und Dingen, die wir noch nicht wissen. In all diesen Wissenschaften gibt es, so glauben wir, eine sehr große Anzahl von Dingen, die heute eindeutig als Fakten anerkannt werden; sehr viele Dinge, die früher geglaubt worden sind, aber heute eindeutig als Fehler erkannt werden; und eine große Anzahl an Dingen, die wir nicht wissen und vielleicht niemals wissen werden. In unseren üblichen Gesprächen, in allen Zeitungen und allen gewöhnlichen Büchern (damit meine ich andere

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Bücher als philosophische Bücher) nehmen wir fortwährend an, dass es diesen Unterschied zwischen dem, was wir wissen, dem, was wir fälschlicherweise glauben, und dem, was wir noch nicht wissen, gibt. Weiterhin nehmen wir an, dass eine ungemein große Anzahl an Wahrheiten über materielle Objekte und Bewusstseinsakte von Menschen der ersten Kategorie angehören – der Kategorie von Dingen, die eindeutig gewusst werden – das heißt, gewusst von einigen Menschen auf der Erdoberfläche. All dies ist heutzutage Teil der Überzeugungen des gesunden Menschenverstandes über das Universum. Ich habe nun versucht, bestimmte allgemeine Überzeugungen über das Universum aufzuzählen, die man als Überzeugungen des gesunden Menschenverstands ansehen kann: Überzeugungen, die wir fast alle heutzutage teilen; und ich sage nicht, dass sie die einzigen Ansichten des gesunden Menschenverstands über das Universum sind, nur dass sie Ansichten sind, die er vertritt – einige seiner Hauptüberzeugungen. Aber all diese Überzeugungen zusammengenommen ergeben keine allgemeine Beschreibung des gesamten Universums. Sie sind keine allgemeine Beschreibung des gesamten Universums in dem Sinne, in dem, wie ich bemerkte, das erste Problem der Philosophie besteht, nämlich uns eine solche Beschreibung zu geben. Sie bestehen darin zu sagen, dass im Universum selbstverständlich bestimmte große Klassen von Dingen vorhanden sind und dass diese auf bestimmte Weisen untereinander verbunden sind. Aber sie nicht sagen, dass diese großen Klassen von Dingen die einzigen Klassen von Dingen sind, die es im Universum gibt bzw. über die wir wissen, dass sie in ihm sind: Sie sagen nicht, alles, über das wir wissen, dass es im Universum vorhanden ist, gehöre zu einer dieser Klassen von Dingen; sie streiten nicht ab, dass es im Universum wichtige Klassen von Dingen geben kann – oder über die bekannt sein kann, dass sie in ihm sind – die zu keiner der Klassen gehören, die ich erwähnt habe. Zum Beispiel sagt der gesunde Menschenverstand: Es gibt zwei Klassen von Dingen im Universum; es gibt materielle Objekte im Raum und es gibt Bewusstseinsakte der lebenden Menschen und Tiere auf der Erdoberfläche. Aber um diese Aussagen in eine allgemeine Beschreibung des gesamten Universums umzuwandeln, sollten wir ein oder zwei Dinge hinzufügen. Wir sollten entweder sagen: Alles im Universum gehört zu einer dieser beiden Klassen; alles ist entweder ein materielles Objekt im Raum oder ein Bewusstseinsakt eines Menschen oder Tieres auf der Erde. Dies wäre offensichtlich, wenn es jemand sagen würde, eine allgemeine Beschreibung des gesamten Universums. Oder wir könnten sagen: Alles, von dem wir wissen, dass es im

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Universum vorhanden ist, gehört einer dieser beiden Klassen an; dennoch könnte es andere Dinge im Universum geben, von denen wir nicht wissen, dass sie in ihm sind. Und dies könnte auch als ein Versuch angesehen werden, eine allgemeine Beschreibung des gesamten Universums zu geben. So würde er daraus bestehen, dass man in einem gewissen Sinne sagt, dass keine solche Beschreibung gegeben werden kann; da er sagen würde, dass es im Universum Dinge gibt, von denen wir nichts wissen und die wir daher auch nicht beschreiben können. Aber es würde eine allgemeine Beschreibung all dessen geben, von dem wir wissen, dass es im Universum vorhanden ist; so handelte es sich um eine Aussage, die niemand tätigen würde, wenn er nicht als Ziel hätte, unser erstes philosophisches Problem zu lösen – nämlich die bestmögliche allgemeine Beschreibung des gesamten Universums zu geben. Ausgehend von der Ansicht des gesunden Menschenverstands, dass es im Universum (1) materielle Objekte im Raum und (2) Bewusstseinsakte der Menschen und Tiere auf der Erde gibt, können wir daher sehr einfach eine allgemeine Beschreibung des Universums auf zwei verschiedene Weisen geben: Entweder sagt man, dass diese beiden Arten von Dingen die einzigen Arten im Universum sind; oder man sagt, dass sie die einzigen Arten sind, von denen wir wissen, dass sie in ihm sind, aber es könnte auch noch andere geben. Was die erste dieser beiden Aussagen betrifft, bezweifle ich, dass irgendjemand, nachdem er genau darüber nachgedacht hat, ihr zustimmen würde, so wie sie ist. Der offensichtlichste Einwand bezieht sich darauf, dass es keine Bewusstseinsakte im Universum gibt, außer denen der Menschen und Tiere; man streitet somit ab, dass es auf anderen Planeten Lebewesen mit Bewusstsein geben oder gegeben haben könnte. Und dies ist eine Möglichkeit, die fast niemand von uns vorschnell abstreiten möchte. Aber dennoch, indem man sie leicht abändert und diese Möglichkeit zulässt, erhalten wir eine Ansicht, die für viele Menschen sehr glaubhaft erscheinen könnte. Wir könnten zum Beispiel sagen: Es gibt und gab wirklich im Universum nichts außer einerseits materiellen Objekten im Raum und andererseits Bewusstseinsakten, die denen der Menschen und Tiere mehr oder weniger ähnlich sind und mit lebenden Körpern verbunden sind, die denen der Menschen oder Tiere mehr oder weniger ähnlich sind. Dies ist, so denke ich, wirklich eine glaubhafte Ansicht über das Universum; zumindest genauso glaubhaft wie viele, die von Philosophen hervorgebracht worden sind. Zweifelsohne aber ist die zweite Aussage glaubhafter; es erscheint glaubhafter, folgende Bedingung hinzuzufügen: Dies sind die einzigen Dinge, von denen wir wissen, dass sie in ihm vorhanden sind, aber es könnte andere Dinge geben, die

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uns unbekannt sind. Und dies ist eine Ansicht, die wirklich von vielen Menschen, Philosophen und anderen, vertreten worden ist. Sie vertreten, dass die einzigen Arten von Dingen, von denen wir wissen, dass sie im Universum vorhanden sind, materielle Gegenstände im Raum und Bewusstseinakte der Menschen und Tiere auf der Erde sind; sie fügen aber hinzu, dass es andere Arten von Dingen geben kann, die uns unbekannt sind. Zweifellos haben Philosophen, die dies oder etwas Ähnliches gesagt haben, nicht ganz das gemeint, was sie gesagt haben. Jene, die angenommen haben, dass es im Universum materielle Objekte im Raum gibt und gegeben hat und dass es Bewusstseinsakte gibt und gegeben hat, können kaum abstreiten, dass es im Universum auch mindestens zwei andere Dingen neben diesen gibt – Dinge, die weder materielle Objekte noch Bewusstseinsakte sind – nämlich Raum und Zeit selbst. So muss gesagt werden, dass Raum und Zeit selbst wirklich sind – dass sie etwas sind, und es ist offensichtlich, dass sie weder materielle Objekte noch Bewusstseinsakte sind. Und ebenso kann es im Universum andere uns bekannte Arten von Dingen, neben Raum und Zeit, geben, die weder materielle Objekte noch Bewusstseinsakte sind. Ich meinerseits denke, dass es bestimmt mehrere andere Arten von Dingen gibt und dass es eine Aufgabe der Philosophie ist, dieses aufzuzeigen. Aber jene Philosophen, die sich so ausgedrückt haben, als ob materielle Objekte und Bewusstseinsakte die einzigen uns bekannten Dinge im Universum seien, haben, denke ich, dies nicht wirklich abstreiten wollen. Sie meinten eher, dass materielle Objekte und Bewusstseinsakte die einzigen uns bekannten Arten von Dingen sind, die in einem bestimmten Sinn substantiell sind: substantiell in dem Sinne, in dem Raum und Zeit selbst nicht als substantiell erscheinen. Und ich möchte sofort hinzufügen, dass, wenn wir entsprechende Änderungen dieser Art durchführen, diese Sichtweise mir als zutreffend erscheint. Demnach bin ich der Überzeugung, dass materielle Objekte im Raum und Bewusstseinsakte der Menschen und Tiere auf der Erde die einzigen uns bekannten substantiellen Arten von Dingen sind; dennoch sollte ich hinzufügen, dass es möglicherweise andere, uns unbekannte, geben kann; und außerdem denke ich, dass es bestimmt mehrere nicht-substantielle Arten von Dingen gibt – Raum und Zeit zum Beispiel – und es ist wichtig, diese zu erwähnen, wenn wir eine wirklich vollständige allgemeine Beschreibung des gesamten Universums geben wollen. Daher ist ein Weg, um eine allgemeine Beschreibung des gesamten Universums zu erhalten, Ergänzungen vergleichsweise einfacher Art, wie ich es eben angedeutet habe, an den Ansichten des gesunden Menschenverstands vorzu-

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nehmen. Aber viele Philosophen haben behauptet, dass alle diese Ansichten falsch seien. Und verschiedene Philosophen waren der Auffassung, dass es auf drei verschiedene Weisen falsch sei. Sie haben entweder angenommen, dass es im Universum einige sehr wichtige Arten von Dingen – substantielle Arten von Dingen – zusätzlich zu jenen gibt, die der gesunde Menschenverstand ihm zuschreibt. Oder sie haben dem gesunden Menschenverstand völlig widersprochen; sie haben behauptet, dass einige der Dinge, von denen der gesunde Menschenverstand annimmt, dass sie in ihm sind, nicht in ihm sind, oder dass, wenn sie es sind, wir es nicht wissen. Oder sie haben beides getan, hinzugefügt und widersprochen. Ich möchte nun einige Beispiele für alle drei Arten von Ansichten geben; von solchen, die den Ansichten des gesunden Menschenverstands etwas sehr Wichtiges hinzufügen, und von solchen, die einigen Ansichten des gesunden Menschenverstands widersprechen, und von solchen, die beides tun. Beginnen werde ich mit jenen, die den Ansichten des gesunden Menschenverstands etwas hinzufügen. Zuallererst gibt es eine Ansicht dieser Art, von der jeder gehört hat. Jeder weiß, dass eine ungemein große Anzahl Menschen, und nicht nur Philosophen, glauben, dass es gewiss einen Gott im Universum gibt; dass es, neben materiellen Objekten und unseren Bewusstseinsakten, einen göttlichen Geist und die Bewusstseinsakte dieses Verstandes gibt; und dass, wenn man eine vollständige Beschreibung der Summe der Dinge geben will, von all dem, was ist, man gewiss Gott erwähnen muss. Es mag sogar behauptet werden, dass diese Ansicht – die Ansicht, dass es einen Gott gibt – selbst eine Ansicht des gesunden Menschenverstands ist. So viele Menschen haben geglaubt und glauben, dass es gewiss einen Gott gibt, sodass behauptet werden kann, es sei eine Überzeugung des gesunden Menschenverstands. Aber andererseits glauben so viele Menschen, selbst wenn es einen Gott gibt, dass wir gewiss nicht wissen, ob es einen gibt; dies kann auch als eine Ansicht des gesunden Menschenverstands angesehen werden. Insgesamt denke ich, es ist am besten zu sagen, dass der gesunde Menschenverstand keine Ansicht hinsichtlich der Frage hat, ob wir wissen, ob es einen Gott gibt oder nicht; er nimmt weder an, dass wir es wissen, noch dass wir es nicht wissen; und daher hat der gesunde Menschenverstand keine Ansicht in Bezug auf das Universum als Ganzes. Wir können daher sagen, dass jene Philosophen, die behaupten, es gebe gewiss einen Gott im Universum, über die Ansichten des gesunden Menschenverstands hinausgehen. Sie nehmen eine sehr wichtige Ergänzung an dem vor, was der gesunde Menschenverstand über das

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Universum glaubt. Denn mit einem Gott ist etwas gemeint, das sich so von materiellen Objekten und unserem Verstand unterscheidet, dass es gewiss eine wichtige Ergänzung zu unserer Sicht des Universums ist, wenn man hinzufügt, es gebe neben jenen auch einen Gott gibt. Und es gibt eine weitere Ansicht dieser Art, von der auch jeder gehört hat. Jeder weiß, dass eine ungemein große Anzahl Menschen geglaubt haben und weiterhin glauben, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Das heißt, dass neben den Bewusstseinsakten, die mit unseren Körpern verbunden sind, während sie auf der Erde leben, unser Verstand weiterhin Bewusstseinsakte nach dem Tod unseres Körpers vollzieht – Bewusstseinsakte, die nicht mit einem lebenden Körper auf der Erde verbunden sind. Viele Menschen glauben, dass wir dies wissen; so viele Menschen glauben es, dass wie im Fall Gottes angenommen werden kann, es sei eine Überzeugung des gesunden Menschenverstands. Aber andererseits glauben so viele Menschen, selbst wenn es ein Leben nach dem Tod gibt, dass wir nicht wissen, ob es eines gibt. So ist es hier wieder am besten zu sagen, dass der gesunde Menschenverstand bei diesem Punkt keine Ansicht hat, dass er weder behauptet, wir wissen, dass es ein Leben nach dem Tod gibt, noch dass wir es nicht wissen. Dies kann man daher als Ergänzung der Ansichten des gesunden Menschenverstands betrachten; und gewiss ist es eine wichtige Ergänzung. Wenn tatsächlich im Universum in diesem Moment nicht nur Bewusstseinsakte, die mit lebenden Körpern von Menschen und Tieren auf der Erdoberfläche verbunden sind, sondern auch Bewusstseinsakte des Geistes von Millionen Menschen vollzogen werden, deren Körper schon lange tot sind, dann ist das Universum gewiss ein anderer Ort als der, der es wäre, wenn dies nicht der Fall ist. Dies sind nun zwei unterschiedliche Ansichten der Art, die ich dadurch beschrieben habe, dass sie wichtige Ergänzungen der Ansichten des gesunden Menschenverstands vornimmt, während sie ihm nicht widerspricht. Und es gibt nur eine weitere Ansicht dieser Art, die ich erwähnen möchte. Einige Philosophen haben behauptet, dass es neben materiellen Objekten und Bewusstseinsakten im Universum gewiss etwas anderes gibt, etwas Substantielles – aber dass wir nicht wissen, was die Natur dieses Etwas ist – dass es etwas Unbekanntes ist oder etwas, das man nicht wissen kann. Diese Ansicht muss sorgfältig von dem unterschieden werden, was ich oben als Ansicht erwähnt habe, die nicht weit über den gesunden Menschverstand hinausgeht: dass es nämlich im Universum andere Arten von Dingen geben kann, Dinge, die weder materielle Objekte noch Bewusstseinsakte von Menschen oder Tieren sind, aber wir wissen nicht, ob es sie gibt oder nicht. Es gibt einen

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großen Unterschied zwischen der Aussage „Es kann im Universum andere Arten von Dingen geben, aber wir wissen nicht, ob es sie gibt oder nicht“ und der Aussage „Es gibt gewiss im Universum andere bedeutende Arten von Dingen, obwohl wir nicht wissen, was sie sind“. Die letztere Ansicht, denke ich, geht weit über die Ansichten des gesunden Menschenverstands hinaus. Sie behauptet, dass es zusätzlich zu den Dingen, von denen der gesunde Menschenverstand behauptet, dass sie gewiss im Universum sind – nämlich materielle Objekte im Raum und Bewusstseinsakte verbunden mit lebenden Körpern – gewiss etwas anderes daneben gibt, obwohl wir nicht wissen, was dieses andere ist. Diese Ansicht ist eine Ansicht, die von Menschen vertreten worden ist, die sich selbst Agnostiker nannten, aber ich denke, dies ist kaum erwähnenswert. Zu wissen, dass es nicht nur sein kann, sondern dass es im Universum gewiss etwas Substantielles neben den materiellen Objekten und unseren Bewusstseinsakten gibt, bedeutet sicherlich viel zu wissen. Aber ich denke, dies ist eine Ansicht, die nicht selten vertreten wird. Nun habe ich drei Beispiele von Ansichten gegeben, die dem gesunden Menschenverstand etwas hinzufügen, ohne ihm zu widersprechen, und werde jetzt zur zweiten Art von Ansichten kommen: jene, die dem gesunden Menschenverstand widersprechen, ohne etwas hinzuzufügen; jene, die etwas abstreiten, das der gesunde Menschenverstand behauptet zu wissen, ohne etwas zu wissen zu behaupten, das der gesunde Menschenverstand nicht behauptet zu wissen. Ich werde sie um des Namens willen skeptische Ansichten nennen. Von dieser zweiten Art gibt es zwei Hauptvarianten, beide beruhen auf der Annahme, dass wir gewisse Dinge nicht wissen, von denen der gesunde Menschenverstand sagt, dass wir sie wissen. Keine Ansicht dieser Art, denke ich, bestreitet völlig, dass es im Universum jene Dinge gibt, von denen der gesunde Menschenverstand sagt, dass sie in ihm sind; sie sagen nur aus, dass wir einfach überhaupt nicht wissen, ob diese Dinge in ihm sind oder nicht; wohingegen der gesunde Menschenverstand eindeutig behauptet, wir wissen, dass sie es sind. Die erste Variation dieser Art ist jene, die behauptet, dass wir einfach nicht wissen, ob es überhaupt materielle Objekte im Universum gibt. Sie gibt zu, dass es solche Objekte geben kann, aber sagt auch, dass niemand von uns weiß, ob es welche gibt. Das heißt, sie bestreitet, dass wir von der Existenz von irgendeinem Objekt wissen können, das fortfährt zu existieren, wenn wir seiner nicht bewusst sind, mit Ausnahme des Verstandes anderer und ihrer Bewusstseinsakte.

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Die zweite Ansicht geht sogar weiter. Sie bestreitet auch, dass wir von der Existenz des Bewusstseins anderer und ihrer Bewusstseinsakte wissen können, mit Ausnahme unseres eigenen. So behauptet sie, dass die einzige substantielle Art von Ding, von der ein Mensch wissen kann, dass es sie im Universum gibt, die eigenen Bewusstseinsakte sind. Sie bestreitet nicht, dass es im Universum den Verstand anderer oder selbst materielle Objekte geben kann, aber sie besagt, dass, wenn es sie gibt, wir es nicht wissen können. Dies ist natürlich eine unlogische Position, da der Philosoph, der sie vertritt, während er behauptet, dass kein Mensch von der Existenz eines anderen Bewusstseins wissen kann, auch behauptet, dass es neben ihm selbst andere Menschen gibt, die wie er unfähig sind, von der Existenz anderer zu wissen. Aber obwohl diese Ansicht unlogisch ist, wurde sie vertreten. Und sie würde aufhören unlogisch zu sein, wenn der Philosoph, anstatt zu behaupten, dass kein Mensch von der Existenz eines anderen Bewusstseins weiß, sich auf die Behauptung beschränken würde, dass er selbst es nicht tut. Aber nun komme ich zu der dritten Art von Ansichten – Ansichten, die sehr viel entfernter vom gesunden Menschenverstand sind als jene, die ich bis jetzt erwähnt habe, da sie zugleich bestreiten, dass es im Universum bestimmte Dinge gibt, von denen der gesunde Menschenverstand behauptet, dass sie gewiss in ihm sind, und auch behaupten, dass es in ihm bestimmte Arten von Dingen gibt, von denen der gesunde Menschenverstand erklärt, nichts zu wissen. Ansichten dieser Art, so darf ich sagen, stehen bei Philosophen hoch im Kurs. Die Hauptansichten dieser Art können in zwei Klassen unterteilt werden: zum einen jene, deren Widerspruch zum gesunden Menschenverstand nur darin besteht, dass sie die Existenz von Raum und materiellen Objekten bestreiten; zum anderen solche, die auch viele andere Dinge abstreiten. Beide Klassen, so muss ich feststellen, streiten vehement die Existenz materieller Objekte ab; sie sagen, dass es gewiss keine solchen Dinge im Universum gibt, nicht nur wie die skeptischen Ansichten, die besagen, dass wir nicht wissen, ob es sie gibt oder nicht. Zuerst befasse ich mich nun mit jenen Ansichten, die nur dem gesunden Menschenverstand widersprechen, indem sie die Existenz von Raum und materiellen Objekten bestreiten. Alle diese Ansichten beginnen, indem sie bestimmte Dinge überdenken, die ich Erscheinungen materieller Objekte nennen werde. Und ich denke, ich kann leicht erklären, was ich damit meine. Wir alle wissen, dass ein Kirchturm aus einer Meile Entfernung anders erscheint, als wenn man ihn

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aus hundert Yards ansieht; er sieht kleiner aus und man sieht nicht so viele Details, wie man sieht, wenn man näher ist. Diese verschiedenen Erscheinungen, die die gleichen materiellen Objekte aus verschiedenen Entfernungen und unterschiedlichen Blickwinkeln wiedergeben, sind uns allen sehr vertraut: Folglich gibt es gewiss solche Dinge im Universum, die ich Erscheinungen materieller Objekte nenne. Und es gibt zwei Ansichten über sie, die beide durch den gesunden Menschenverstand vertreten werden können, und zwischen denen der gesunde Menschenverstand nicht unterscheidet. Es kann behauptet werden, dass zumindest einige unter ihnen Teil der Objekte sind, von denen sie Erscheinungen sind: Sie sind wirklich im Raum befindlich und fahren fort zu existieren, selbst wenn wir ihrer nicht bewusst sind. Aber es kann auch, ebenso im Einklang mit dem gesunden Menschenverstand, angenommen werden, dass keine dieser Erscheinungen im Raum ist und dass sie nur existieren, solange sie jemandem erscheinen; dass zum Beispiel die Erscheinung, die der Kirchturm mir bei einer bestimmten Gelegenheit präsentiert, nur existiert, solange ich sie sehe, und es kann nicht behauptet werden, dass sie in dem gleichen Raum wie jedes materielle Objekt ist oder in einer Entfernung zu jedem materiellen Objekt steht. Ich denke, der gesunde Menschenverstand widerspricht keiner dieser beiden Ansichten. Er besteht nur darauf, dass diese Erscheinungen Erscheinungen materieller Objekte sind – materieller Objekte, die existieren, auch wenn wir ihrer nicht bewusst sind, und die sich im Raum befinden. Die Philosophen, die ich nun betrachten werde, haben alle die zweite Sichtweise über Erscheinungen angenommen. Diese steht, wie ich gesagt habe, im Einklang mit dem gesunden Menschenverstand – nämlich die Sichtweise, dass diese Erscheinungen nur existieren, solange die Person, der sie erscheinen, sie sieht, und dass sie sich nicht im Raum befinden. Sie sind nun weitergegangen, um dem gesunden Menschenverstand zu widersprechen, indem sie hinzufügten, dass diese Erscheinungen keine Erscheinungen materieller Objekte sind – dass es keine materiellen Objekte gibt, von denen sie Erscheinungen sein können. Und es gibt zwei verschiedene Sichtweisen dieser Art, die vertreten werden. Die erste ist die eines der berühmtesten englischen Philosophen, Bishop Berkeley. Berkeleys Ansicht kann so beschrieben werden, dass diese Erscheinungen tatsächlich keine Erscheinungen von irgendetwas sind. Er selbst sagt, dass diese Erscheinungen selbst die materiellen Objekte sind – dass sie das 

Ich sollte jetzt „Teil der Oberfläche der Objekte“ sagen. (1952).

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sind, was wir als materielle Objekte bezeichnen. Er behauptet zwar, dass er die Existenz von Materie nicht abstreitet, sondern nur nicht erklärt, was Materie ist. Aber es wird allgemein angenommen, dass er die Existenz von Materie bestreitet, und das, so denke ich, zu Recht. Denn er vertrat die Ansicht, dass diese Erscheinungen nicht existieren außer in dem Moment, in dem man sie wahrnimmt; und alles, auf das dies zutrifft, kann gewiss nicht wirklich als ein materielles Objekt angesehen werden. Denn was wir sicherlich behaupten wollen, wenn wir die Existenz von materiellen Objekten feststellen, ist die Existenz von etwas, das fortfährt zu existieren, selbst wenn wir dessen nicht bewusst sind. Weiterhin vertrat er, dass diese Erscheinungen nicht alle im gleichen Raum waren: Zum Beispiel nahm er an, dass eine Erscheinung, die mir erscheint, sich nicht in irgendeiner Entfernung oder Richtung befindet zu der Erscheinung, die Ihnen erscheint. Wobei, wie ich gesagt habe, wir es ablehnen sollten, etwas als materielles Objekt zu bezeichnen, das sich nicht in einer Entfernung, einer Richtung zu allen anderen materiellen Objekten befindet. Ich denke, man kann durchaus sagen, dass Berkeley die Existenz von materiellen Objekten bestreitet in dem Sinne, in dem der gesunde Menschenverstand sie annimmt. So widerspricht er dem gesunden Menschenverstand. Aber er fügt ihm etwas hinzu, indem er die Existenz eines Gottes annimmt, dem, so denkt er, ein Erscheinungssystem genauso erscheint wie jene Systeme, die uns erscheinen. Aber Berkeleys Ansicht ist nicht von vielen Philosophen geteilt worden. Eine weitaus verbreitetere Sichtweise ist, dass diese Dinge, die ich Erscheinungen materieller Objekte genannt habe, tatsächlich Erscheinungen von etwas sind, aber nicht wie der gesunde Menschenverstand behauptet von materiellen Objekten, sondern des Geistes bzw. von bewussten Wesen. Daher widerspricht diese Ansicht dem gesunden Menschenverstand, indem sie die Existenz materieller Objekte abstreitet, und geht über ihn hinaus, indem sie die Existenz einer ungemein großen Anzahl von Geistern zusätzlich zu denen der Menschen und Tiere annimmt. Und es wird weiter ausgeführt, dass diese Geisteskräfte sich nicht im Raum befinden: Es trifft nicht zu, dass sie sich in einer Entfernung und in einer Richtung zueinander befinden; sie sind einfach nirgendwo, an überhaupt keinem Ort. Diese Ansichten sind verblüffend genug, denke ich. Aber es gibt andere Philosophen, die noch verblüffendere Ansichten vertreten haben – die angenommen haben, dass nicht nur Raum und materielle Objekte wirklich nicht existieren, sondern auch dass Zeit und unsere Bewusstseinsakte nicht existieren: dass es tatsächlich im Universum keine solchen Dinge gibt. Zumin-

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dest ist es das, was viele Philosophen meinten. Was sie sagen ist, dass diese vier Arten von Dingen, materielle Objekte, Raum, unsere Bewusstseinsakte und Zeit, Erscheinungen sind; dass sie alle Erscheinungen von etwas anderem sind – entweder von einem Ding oder einer Ansammlung von Dingen – das selbst kein materielles Objekt und keiner unserer Bewusstseinsakte ist und sich auch nicht im Raum und in der Zeit befindet. Wie man feststellt, ist diese Annahme zweideutig: Ob sie dem gesunden Menschenverstand widerspricht, hängt von der Frage ab, was die Philosophen meinen, wenn sie diese Dinge Erscheinungen nennen. Sie können möglicherweise meinen, dass diese Erscheinungen so real sind wie die Dinge, von denen sie Erscheinungen sind. Indem sie annehmen, dass diese Erscheinungen von etwas anderem stammen, könnten sie nur feststellen wollen, dass es im Universum etwas Zusätzliches gibt – etwas, mit dem diese Dinge in der gleichen Weise in Verbindung stehen wie die Erscheinung des Kirchturms, die ich wahrnehme, wenn ich ihn aus einer Entfernung ansehe, zu dem realen Kirchturm. Wenn sie nur dies feststellen wollten, würden ihre Ansichten bloß jenen gleichen, die dem gesunden Menschenverstand etwas hinzufügen: Sie würden nur annehmen, dass es auch zusätzlich zu den Dingen, von denen der gesunde Menschenverstand annimmt, dass sie im Universum sind, etwas anderes neben oder hinter diesen Dingen gibt. Doch es erscheint mir ganz offensichtlich, dass sie dies nicht meinen. Sie wollen behaupten, dass Materie, Raum, unsere Bewusstseinsakte und Zeit nicht in dem Sinne real sind, in dem der gesunde Menschenverstand diese als real annimmt, und in dem sie selbst glauben, dass etwas anderes hinter den Erscheinungen real ist. Dies betrachtend, scheint mir, das, was sie wirklich meinen, ist, dass diese Dinge überhaupt nicht real sind: dass es im Universum solche Dinge nicht gibt. Ich denke, was sie wirklich meinen (obwohl sie es nicht alle zugeben würden), ist in etwa Folgendes. Wenn wir den Polarstern ansehen, erscheint er uns viel kleiner als der Mond. Wir können nun sagen, das, was erscheint – die Erscheinung in diesem Fall – ist einfach: dass der Polarstern kleiner als der Mond ist. Aber solch ein Ding, wie es erscheint, gibt es einfach nicht im Universum: Der Polarstern ist nicht kleiner als der Mond. Und daher ist, was im Universum zu sein scheint – dass er nämlich kleiner als der Mond ist – ein Nichtseiendes – so ein Ding gibt es nicht. Ich denke, in diesem Sinne haben viele Philosophen geglaubt und glauben noch, dass nicht nur Materie und Raum, sondern auch unsere Bewusstseinsakte und Zeit einfach nicht existieren: Solche Dinge gibt es nicht. Sie haben geglaubt, dass sie etwas sind, das erscheint, aber dass das, was erscheint, einfach nicht ist – dass es solche

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Dinge im Universum nicht gibt. Dies ist, was sie wirklich meinen, obwohl nicht alle es zugeben würden, dass sie es so meinen. Bezüglich dessen, was sie anstatt der Dinge annehmen, die für den gesunden Menschenverstand im Universum sind, gibt es verschiedene Ansichten. Einige behaupteten , dass es eine Ansammlung von verschiedenen Geisteskräften ist; andere, dass es eine Geisteskraft ist; wieder andere, dass es etwas ist, das in einem gewissen Sinn mental oder geistig ist, aber nicht genau gesagt werden kann, ob es ein Verstand oder mehrere Geisteskräfte sind. Dies sind nun einige Ansichten, die vertreten worden sind in Bezug auf das Wesen des Universums als ein Ganzes. Und ich hoffe, diese Beispiele haben die Art der Sache verdeutlicht, die ich mit dem ersten Problem der Philosophie ausdrücken wollte – eine allgemeine Beschreibung des ganzen Universums. Jede Antwort zu diesem Problem muss eines der folgenden drei Dinge enthalten: Es muss entweder gesagt werden, dass bestimmte große Klassen von Dingen die einzigen Arten von Dingen im Universum sind, das heißt, dass alle in ihm einer davon angehören; oder es muss gesagt werden, dass alles im Universum von einer Art ist; oder es muss gesagt werden, dass alles, von dem wir wissen, dass es im Universum ist, zu einer von mehreren Klassen oder zu einer Klasse gehört. Und es muss auch etwas über die Beziehung dieser Klassen untereinander gesagt werden, wenn man annimmt, dass es mehrere verschiedene Klassen von Dingen gibt. Das ist das erste und interessanteste Problem der Philosophie. Und es scheint mir, dass viele andere als Probleme definiert werden können, die auf dieses verweisen. Denn Philosophen sind nicht einfach damit zufrieden gewesen, ihre Meinung hinsichtlich dessen auszudrücken, was im Universum ist oder nicht ist, oder hinsichtlich dessen, von dem wir wissen oder nicht wissen, was in ihm ist. Sie haben auch versucht, die Richtigkeit ihrer Meinungen zu beweisen. Und dadurch eröffnen sich sehr viele untergeordnete Probleme. Um zu beweisen, dass eine der Ansichten, die ich erwähnt habe, richtig ist, muss man zugleich sie beweisen und auch alle anderen widerlegen. Man muss entweder beweisen, dass es einen Gott gibt oder dass es keinen gibt, oder dass wir nicht wissen, ob es einen gibt oder nicht. Und so verhält es sich mit allen anderen Arten von Dingen, die ich erwähnt habe: Materie, Raum und Zeit; das Bewusstsein anderer Menschen; andere Geisteskräfte, nicht die der Menschen oder Tiere. Um zu beweisen, dass eine bestimmte Sicht des Universums richtig ist, muss man jedes dieser Dinge beweisen, entweder dass sie existieren oder dass sie nicht existieren oder dass wir nicht wis-

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sen, ob sie existieren oder nicht. Man sieht, dass jede dieser Fragen getrennt betrachtet werden kann. So haben viele Philosophen gar nicht versucht, eine allgemeine Beschreibung des gesamten Universums zu geben. Sie haben nur versucht, eine oder mehrere dieser untergeordneten Fragen zu beantworten. Es gibt außerdem noch eine andere Art von untergeordneten Fragen, die extra erwähnt werden müssen. Viele Philosophen haben einen Großteil ihrer Zeit damit verbracht, deutlicher zu definieren, was der Unterschied zwischen diesen verschiedenen Arten von Dingen ist: zum Beispiel worin der Unterschied zwischen einem materiellen Objekt und einem Bewusstseinsakt, Materie und Geist, Gott und Mensch usw. liegt. Und diese Definitionsfragen sind keineswegs so einfach zu beantworten, wie man denken könnte. Noch darf man annehmen, dass es bloße Wortdefinitionen sind. Eine gute Definition der Arten von Dingen, von denen man annimmt, dass sie im Universum sind, trägt eindeutig zur Klarheit der Sichtweise bei. Und es ist ebenso nicht nur eine Frage der Klarheit. Wenn man zum Beispiel versucht zu definieren, was man mit einem materiellen Objekt meint, erkennt man, dass es mehrere unterschiedliche Eigenschaften gibt, die ein materielles Objekt haben kann, aber an die man vorher niemals gedacht hätte; und die Anstrengung, dies zu definieren, könnte dazu führen, dass die gesamten Klassen von Dingen gewisse Eigenschaften haben oder gewisse andere nicht haben, an die man niemals gedacht hätte, wenn man mit der Feststellung zufrieden gewesen wäre, dass es im Universum materielle Objekte gibt, ohne nachzufragen, was man mit dieser Feststellung meint. Nun kann man sagen, ein Großteil der untergeordneten philosophischen Probleme besteht darin , dass man erörtert, ob die großen Klassen von Dingen, die ich erwähnt habe, existieren oder nicht, oder ob wir einfach unwissend sind, ob sie existieren oder nicht; und auch darin, dass man versucht, diese Klassen zu definieren, und betrachtet, wie sie untereinander in Beziehung stehen. Ein Großteil der Philosophie hat darin bestanden, die Fragen in Bezug auf Gott, ein Leben nach dem Tod, Materie, Verstand, Raum und Zeit zu erörtern. Alle diese Probleme können zur Abteilung der Philosophie gerechnet werden, die Metaphysik genannt wird. Doch nun kommen wir zu einer Klasse von Problemen, die zu anderen Abteilungen der Philosophie gerechnet werden können, aber die auch deutlich auf das erste Hauptproblem, die allgemeine Beschreibung des Universums, verweisen. Eine der natürlichsten Fragen, die man stellen kann, wenn jemand eine Tatsache behauptet, die man geneigt ist in Frage zu stellen, ist: Wie wissen Sie das? Und wenn die Person die Frage beantwortet, indem sie

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zeigt, dass sie diese Tatsache nicht auf eine Art und Weise erfahren hat, in der es möglich ist, sich wirkliches Wissen anzueignen, im Gegensatz zu bloßer Meinung über derartige Tatsachen, dann wird man schlussfolgern, dass sie es nicht wirklich weiß. Anders gesagt, nehmen wir im normalen Leben fortwährend an, dass es nur eine begrenzte Anzahl von Weisen gibt, mit denen es möglich ist, wirkliches Wissen über bestimmte Arten von Tatsachen zu erfahren; und dass, wenn eine Person eine Tatsache behauptet, die sie nicht durch eine dieser Arten erfahren hat, sie es dann tatsächlich nicht weiß. Nun haben auch Philosophen diese Art von Argumenten sehr oft gebraucht. Sie haben versucht, alle verschiedenen Arten eingehend einzuordnen, durch die man Dinge wissen kann, und sind dann zu dem Schluss gekommen, da man über bestimmte Dinge, die andere Philosophen behauptet haben oder die sie selber vorher geglaubt haben, durch keine dieser Arten etwas weiß, und daher über keines dieser Dinge überhaupt etwas weiß. So bestand ein großer Teil der Philosophie darin zu versuchen, alle möglichen Arten vollständig einzuteilen, durch die man Dinge wissen kann, bzw. ganz bestimmte Arten, durch die man etwas über sie wissen kann, zu beschreiben. Und diese Frage „Wie wissen wir überhaupt etwas?“ beinhaltet drei verschiedene Arten von Fragen. Die erste ist folgender Art. Wenn man gefragt wird: Wie wissen Sie das? So kann die Bedeutung auch sein: Welcher Art ist Ihr Wissen über es? Welche Art von Prozess geht in Ihrem Verstand vor, wenn Sie es wissen? Woraus besteht dieses Ereignis, das man Wissen nennt? Diese erste Frage, welche Art von Ding Wissen ist – was geschieht, wenn wir etwas wissen – ist eine Frage, die die Philosophie mit der Psychologie teilt, aber die viele Philosophen versucht haben zu beantworten. Sie haben versucht, die verschiedenen Arten von Dingen zu unterscheiden, die in unserem Verstand vorgehen, wenn wir verschiedene Dinge wissen, und das hervorzuheben, was, wenn es überhaupt etwas gibt, ihnen allen gemein ist. Zweitens gibt es aber auch etwas anderes, das gemeint werden kann, wenn gefragt wird, was Wissen ist. Denn wir sagen nicht, dass wir eine Proposition kennen, zum Beispiel die Proposition, dass Materie existiert, bis wir nicht behaupten wollen, dass diese Proposition wahr ist: dass es wahr ist, dass Materie existiert. Und daher ist in der Frage, was Wissen ist, die Frage mit eingeschlossen, was gemeint ist, wenn man sagt, dass eine Proposition wahr ist. Diese Frage unterscheidet sich von der psychologischen Frage, was im Verstand passiert, wenn man etwas weiß. Die Frage, was Wahrheit ist, wird

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im Allgemeinen als Frage der Logik, im weitesten Sinne, angesehen. Und die Logik oder zumindest Teile von ihr werden als Abteilung der Philosophie geführt. Schließlich gibt es noch eine andere Sache, die gemeint werden kann, wenn gefragt wird: Wie wissen Sie das? So kann auch gemeint sein: Welchen Grund haben Sie, es zu glauben? Oder anders gesagt: Welches andere Ding kennen Sie, durch das dieses Ding als wahr bewiesen wird? Und Philosophen waren tatsächlich sehr mit dieser Frage beschäftigt: die Frage, auf welche verschiedenen Arten eine Proposition als wahr bewiesen werden kann; was die verschiedenen Arten von Gründen sind, die gute Gründe sind, um etwas zu glauben. Dies ist auch eine Frage, die der Abteilung der Logik zugerechnet wird. Daher gibt es einen großen Zweig der Philosophie, der mit den verschiedenen Arten beschäftigt ist, durch die wir Dinge wissen; und viele Philosophen haben sich selbst fast ausschließlich den Fragen verschrieben, die hierzu gehören. Wenn wir einen vollständigen Abriss der Philosophie darstellen wollen, müssen wir schließlich noch eine andere Klasse von Fragen erwähnen. Es gibt eine Abteilung der Philosophie, die Ethik oder Moralphilosophie genannt wird. Diese Abteilung behandelt eine Reihe von Fragen, die sich völlig von jenen unterscheiden, die ich bisher erwähnt habe. Im normalen Leben fragen wir uns stets: Würde dieses oder jenes Ergebnis eine gute Sache hervorrufen? Oder wäre es eine schlechte Sache? Würde diese oder jene Handlung richtig sein oder wäre sie falsch? Die Moralphilosophie versucht alle verschiedenen Arten von Dingen einzuteilen, die gut oder schlecht, richtig oder falsch sein würden, und zwar so, dass es möglich ist zu sagen: Nichts würde gut sein, wenn es nicht bestimmte Eigenschaften oder eine von bestimmten Eigenschaften hätte. Und genauso würde nichts schlecht sein, wenn es nicht bestimmte Eigenschaften oder eine von bestimmten Eigenschaften hätte. Genauso verhält es sich mit der Frage, welche Arten von Handlungen richtig oder falsch sein würden. Auf zwei Arten haben diese ethischen Fragen einen sehr wichtigen Einfluss auf die allgemeine Beschreibung des Universums. Zuerst ist es gewiss eine der wichtigsten Tatsachen über das Universum, dass es in ihm Unterscheidungen zwischen gut und böse, richtig und falsch gibt. Und viele Menschen sind der Ansicht gewesen, dass aus dieser Tatsache, dass es diese Unterscheidungen gibt, andere Schlüsse, was im Universum ist, hervorgehen können.

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Zweitens erhalten wir, indem man die Ergebnisse der Ethik, was gut oder schlecht sein würde, mit den Schlussfolgerungen der Metaphysik, welche Arten von Dingen es im Universum gibt, verbindet, ein Mittel, um die Frage zu beantworten, ob das Universum insgesamt gut oder schlecht und wie gut oder schlecht ist, verglichen mit dem, was sein könnte: eine Art von Frage, die tatsächlich von vielen Philosophen ausgiebig diskutiert worden ist. Um es nun zusammenzufassen, denke ich, dass das oben Gesagte eine gute Beschreibung der Arten von Fragen ist, mit denen Philosophen sich beschäftigen. Und ich werde im Folgenden so viel über die Punkte sagen, die ich erwähnt habe, wie ich Platz dafür habe. Ich schlage vor zu beginnen, indem ich einige der Arten betrachte, wie wir Dinge wissen. Und zuerst werde ich folgende Frage betrachten: Wie wissen wir von der Existenz materieller Objekte, vorausgesetzt, dass wir, wie der gesunde Menschenverstand annimmt, wirklich von ihrer Existenz wissen? Und nachdem ich betrachtet habe, wie wir dies wissen, falls wir es wissen, werde ich zur Frage weitergehen, ob wir wirklich von ihrer Existenz wissen? Und ich werde versuchen, die Haupteinwände derjenigen Philosophen zu beantworten, die behauptet haben, dass wir es gewiss nicht tun. Im Laufe dieser Diskussion werden wir auf viele Argumente treffen, auf welche Arten wir Dinge wissen, und wir werden in einer besseren Position sein zu beurteilen, von welchem anderen neben materiellen Objekten wir wissen können, dass es existiert. Daher werde ich jetzt fortfahren, die einfachste Art zu betrachten, durch die es scheint, dass wir Wissen über materielle Objekte haben – und zwar mittels der Sinne – indem wir sie sehen, hören und fühlen.

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ch habe gesagt, dass ich jetzt beginnen werde, die verschiedenen Arten, wie wir von der Existenz materieller Objekte wissen, zu erläutern – wenn wir voraussetzen, dass wir von ihrer Existenz wissen. Ich möchte nicht zu Beginn annehmen, dass wir selbstverständlich wissen, ob sie existieren. Ich möchte nur darlegen, welche Art unser Wissen von ihnen ist, wenn wir voraussetzen, dass es wirklich Wissen ist. Und ich habe gesagt, dass ich mit der einfachsten Art, durch die wir, so nehmen wir gewöhnlich an, Wissen von ihnen haben – die Art von Wissen meine, die wir Wissen mittels der Sinne nennen sollten – Wissen, das wir z.€B. durch Sehen und Fühlen haben, wenn wir einen Gegenstand mit unseren Händen betasten. Diese Art von Wissen von materiellen Objekten, das Wissen mittels der Sinne, stellt natürlich keinesfalls die einzige Art dar, die wir gewöhnlich als das erachten, durch das wir Wissen von ihnen haben. So weiß jeder von uns von der vergangenen Existenz vieler materieller Objekte mittels der Erinnerung; wir erinnern uns der Existenz von Objekten, die wir nicht länger mit unseren Sinnen wahrnehmen. Wir wissen auch von anderen, die wir selbst nie mit unseren Sinnen wahrgenommen haben und uns daher auch nicht an sie erinnern können, durch die Aussage von anderen Personen, die sie mit ihren Sinnen wahrgenommen haben. Durch Schlussfolgerung, so nehmen wir an, wissen wir auch von anderen, die niemand jemals mit seinen Sinnen wahrgenommen hat: Wir wissen z.€B. so, dass es eine andere Oberfläche des Mondes gibt, die sich von der unterscheidet, die der Erde stets zugewandt ist. All diese anderen Arten, durch die wir von der Existenz materieller Objekte wissen, werde ich in Kürze vorstellen und sie mit der Sinneswahrnehmung vergleichen. Aber alle anderen Arten scheinen auf der Sinneswahrnehmung zu beruhen, sodass sie die einfachste Art ist, materielle Objekte zu erkennen: Dies scheint tatsächlich wahr zu sein, denn es wäre mir nicht möglich gewesen, jemals andere durch eine dieser anderen Arten zu erkennen, wenn ich nicht einige materielle Objekte mittels der Sinneswahrnehmung erkannt hätte,. Dies scheint allgemein gültig zu sein: Kein Mensch könnte jemals von der Existenz irgendeines materiellen Objekts wissen, wenn er nicht zuerst einige mittels seiner Sinne erkannt hätte. Der

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Beweis durch die Sinne ist daher der Beweis, auf dem alle anderen Arten, materielle Objekte zu erkennen, zu beruhen scheinen. Was ich zunächst betrachten möchte, ist die Art dieses Beweises durch die Sinne; oder anders gesagt, was passiert, wenn wir (so sollten wir sagen) ein materielles Objekt sehen, fühlen oder mit einem anderen Sinn wahrnehmen. Und ich schlage aus Gründen der Einfachheit vor, einen einzigen Sinn beispielhaft zu betrachten – nämlich den Gesichtssinn: Ich werde das, was passiert, wenn wir sehen, als Illustration für das nehmen, was bei der Sinneswahrnehmung im Allgemeinen passiert. Alle allgemeinen Prinzipien, die ich in Bezug auf den Gesichtssinn hervorheben werde, lassen sich leicht auf alle anderen Sinne, mittels derer wir materielle Objekte wahrnehmen können, übertragen, mutatis mutandis. Meine erste Frage lautet also: Was passiert genau, wenn wir (so sollten wir sagen) einen materiellen Gegenstand sehen? Und ich sollte vielleicht erklären, um Missverständnisse zu vermeiden, dass das Ereignis, das ich analysieren möchte, nur das mentale Ereignis ist – der Bewusstseinsakt – das wir Sehen nennen. Ich möchte gar nichts über die körperlichen Prozesse sagen, die im Auge, den Sehnerven und dem Gehirn vorkommen. Ich habe selbst keinen Zweifel daran, dass diese körperlichen Prozesse tatsächlich vorkommen, wenn wir sehen, und dass Physiologen sehr viel über sie wissen. Aber das, was ich mit „Sehen“ meine und über das ich zu sprechen wünsche, ist ein mentales Ereignis – der Bewusstseinsakt – das, wie angenommen, als Folge dieser körperlichen Prozesse auftritt. Dieses mentale Ereignis, das ich „Sehen“ nenne, ist uns in einem sehr viel einfacheren und direkten Weg vertraut als die komplizierten, physiologischen Prozesse, die in unseren Augen, Sehnerven und Gehirn stattfinden. Ein Mensch kann nicht direkt die einzelnen Prozesse bemerken, die in seinen Augen, Sehnerven und Gehirn vorgehen, wenn er sieht. Aber wir alle, die nicht blind sind, können direkt das mentale Ereignis bemerken, das wir mit Sehen meinen. Und es ist nur das Sehen in diesem Sinne – Sehen als ein Bewusstseinsakt, den jeder von uns direkt bemerken kann, wenn er in unserem Bewusstsein geschieht – dem ich mich nun widme. Und ich möchte an einem direkten, praktischen Beispiel illustrieren, was ich über das Sehen zu sagen habe; da es bei diesen Themengebieten für jeden sehr wichtig ist, einzelne, konkrete Beispiele sorgfältig zu betrachten, sodass es keine Irrtümer hinsichtlich dessen geben kann, über das gesprochen wird, obwohl ich vermute, dass jeder von Ihnen mit den Punkten vertraut ist, die ich ansprechen möchte. Ich denke, solche Fehler geschehen leicht, wenn man

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nur verallgemeinert; zudem neigt man dann auch dazu, wichtige Punkte zu übersehen. Daher schlage ich vor, einen Umschlag in meiner Hand hochzuhalten und Sie sodann zu bitten, ihn einen Moment lang anzuschauen und dann mit mir zu überlegen, was genau passiert, wenn man ihn sieht: was dieses Ereignis, das wir Sehen des Umschlags nennen, ist. Ich halte nun diesen Umschlag hoch. Ich schaue ihn an. Und ich hoffe, Sie alle schauen ihn an. Jetzt lege ich ihn wieder hin. Was ist nun geschehen? Gewiss sollten wir sagen (falls Sie ihn angeschaut haben), dass wir jenen Umschlag gesehen haben, dass wir ihn, denselben Umschlag, gesehen haben: Ich habe ihn gesehen, und Sie alle haben ihn gesehen. Wir alle haben dasselbe Objekt gesehen. Und mit ihm, dem Umschlag, den wir alle gesehen haben, meinen wir ein Objekt, das für den Moment, in dem wir es angeschaut haben, gerade einen der vielen Orte, aus denen der gesamte Raum besteht, eingenommen hat. Selbst in der kurzen Zeit, in der wir ihn angeschaut haben, kann er sich bewegt haben – und nacheinander verschiedene Orte eingenommen haben; denn wir glauben, dass die Erde sich ständig um ihre Achse bewegt und alle Objekte auf ihrer Oberfläche mit sich trägt, sodass, selbst während wir den Umschlag angeschaut haben, er sich wahrscheinlich bewegt und seine Position im Raum verändert hat, obwohl wir nicht gesehen haben, dass er sich bewegt hat. Aber in jedem einzelnen Moment war er, der Umschlag, von dem wir sagen, dass wir ihn gesehen haben, an einem bestimmten Ort im Raum. Aber was ist nun mit jedem von uns geschehen, als wir den Umschlag gesehen haben? Ich beginne, indem ich teilweise beschreibe, was mit mir geschehen ist. Ich habe eine Stelle mit einer bestimmten weißen Farbe gesehen, die eine bestimmte Größe und Form hat, eine Form aus eher spitzen Ecken und recht geraden Linien. Diese Dinge, diese Stelle mit weißlicher Farbe, ihre Größe und ihre Form habe ich tatsächlich gesehen. Und ich schlage vor, diese Dinge, Farbe, Größe und Form, Sinnesdaten zu nennen 



Ich erweitere den Gebrauch des Wortes „Stelle“ [im Engl. patch, Anm. d. Übers.] so, dass z.€B. ein sehr kleiner, schwarzer Punkt, den ich direkt wahrnehme, wenn ich einen Punkt am Satzende sehe, oder eine dünne, schwarze Linie, die ich direkt wahrnehme, wenn ich einen Bindestrich sehe, in dem Sinne, in dem ich das Wort gebrauche, eine „Stelle mit Farbe“ [im Engl. patch of colour, Anm. d. Übers.] sind. (1952). Ich sollte nun eine strikte Trennung machen – und habe es auch seit vielen Jahren gemacht – zwischen dem, was ich „Stelle“ genannt habe, und ihrer Farbe, Größe und Form; und ich sollte, was ich auch getan habe, nur die Stelle, nicht ihre Farbe,

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– Dinge, die durch meine Sinne gegeben oder präsentiert werden, in diesem Fall durch meinen Gesichtssinn. Viele Philosophen haben diese Dinge, die ich Sinnesdaten nenne, Empfindungen genannt. Sie würden z.€B. sagen, dass jede farbliche Stelle eine Empfindung ist. Aber es erscheint mir, dass der Ausdruck „Empfindung“ Gefahr läuft, missverstanden zu werden. Wir sollten gewiss sagen, dass ich eine Empfindung hatte, als ich die Farbe sah. Aber wenn wir sagen, dass ich eine Empfindung hatte, meinen wir, so denke ich, dass ich die Erfahrung hatte, die aus meinem Sehen der Farbe bestand, d.€h., was wir mit „Empfindung“ in dieser Aussage meinen, ist mein Sehen einer Farbe, nicht die Farbe, die ich sah. Diese Farbe scheint nicht das zu sein, was ich ausdrücken will, wenn ich sage: Ich hatte; ich hatte eine Empfindung von Farbe. Es ist sehr unnatürlich zu sagen, dass ich die Farbe hatte, dass ich jenes bestimmte weißliche Grau hatte oder die Stelle mit jener Farbe hatte. Was ich gewiss hatte, ist die Erfahrung, die aus meinem Sehen der Farbe oder der Stelle bestand. Und wenn wir daher von „Empfindungen haben“ sprechen, denke ich, dass wir mit „Empfindungen“ die Erfahrungen meinen, die aus dem Erfassen bestimmter Sinnesdaten bestehen, nicht aus den Sinnesdaten selbst. So denke ich, dass der Ausdruck „Empfindung“ Gefahr läuft, missverstanden zu werden, denn er kann in zwei verschiedenen Bedeutungen gebraucht werden, und es ist sehr wichtig, diese voneinander zu unterscheiden. Er kann entweder für die Farbe, die ich gesehen habe, oder die Erfahrung, die aus meinem Sehen der Farbe bestanden hat, gebraucht werden. Und es ist aus verschiedenen Gründen sehr wichtig, diese beiden Dinge zu unterscheiden. Ich werde nur zwei dieser Gründe anführen. Zunächst ist es durchaus denkbar (ich sage nicht tatsächlich wahr, aber denkbar), dass die Stelle mit Farbe, die ich gesehen habe, weiterhin existiert hat, nachdem ich sie gesehen habe; wobei natürlich, als ich aufhörte, sie zu sehen, mein Sehen der Stelle aufgehört hat zu existieren. Ich werde verdeutlichen, was ich meine, indem ich den Umschlag noch einmal hochhalten werde und ihn ansehe. Ich schaue ihn an und sehe wieder ein Sinnesdatum, eine Stelle mit weißlicher Farbe. Aber jetzt wende ich meine Augen ab und sehe nicht länger ein Sinnesdatum: mein Sehen dieses Elements hat aufgehört zu existieren. Aber ich bin keineswegs sicher, ob dieses Sinnesdatum – diese Stelle mit weißlicher Farbe, die ich gesehen habe – nicht länger existiert und noch da ist. Ich sage ganz sicher nicht, dass sie es ist: Ich denke, es ist sehr wahrGröße und Form, ein „Sinnesdatum“ [im Engl. sense-datum, Anm. d. Übers.] nennen. (1952).

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scheinlich, dass sie es nicht ist. Aber ich neige sehr dazu zu glauben, dass sie es ist. Und es erscheint mir zumindest denkbar, dass sie noch existieren sollte, während mein Sehen der Stelle gewiss aufgehört hat zu existieren. Dies ist ein Grund, zwischen den Sinnesdaten, die ich sehe, und dem Sehen von ihnen zu unterscheiden. Der andere Grund ist folgender: Es erscheint mir denkbar – hier sage ich wieder nicht wahr, sondern denkbar – dass einige Sinnesdaten, z.€B. diese weiße Farbe, am selben Ort wie das materielle Objekt, der Umschlag, sind. Es scheint mir denkbar, dass diese weißliche Farbe wirklich auf der Oberfläche des materiellen Umschlags ist. Während es mir nicht scheint, dass mein Sehen von ihr am selben Ort ist. Mein Sehen von ihr ist an einem anderen Ort – irgendwo in meinem Körper. Dies sind also die zwei Gründe, zwischen Sinnesdaten, die ich sehe, und meinem Sehen von ihnen zu unterscheiden. Und es scheint mir, dass beide dieser zwei verschiedenen Dinge häufig gemeint werden, wenn Menschen über „Empfindungen“ sprechen. Wenn man Texte eines Philosophen liest, der über Empfindungen (oder über Sinneseindrücke oder Ideen) spricht, muss man sehr aufmerksam sein, über welche der beiden er in einem bestimmten Absatz spricht – von den Sinnesdaten selbst oder unserem Erfassen von ihnen. Man wird, so denke ich, fast ausnahmslos erkennen, dass er mal von dem einen, mal von dem anderen spricht und er sehr häufig annimmt, dass das, was auf das eine zutrifft, auch auf das andere zutreffen muss – eine Annahme, welche keinesfalls gerechtfertigt scheint. Ich denke daher, dass der Ausdruck „Empfindung“ Gefahr läuft, missverstanden zu werden. Und daher werde ich ihn nie benutzen. Ich werde immer von Sinnesdaten sprechen, wenn das, was ich meine, solche Dinge sind wie die Farbe, Größe und Form oder die Stelle, die diese Farbe, Größe und Form hat, die ich sehe. Und wenn ich über mein Sehen von ihnen sprechen möchte, werde ich dies ausdrücklich Sehen von Sinnesdaten nennen; oder ich werde vom direkten Erfassen von Sinnesdaten sprechen, wenn ich einen Ausdruck verwenden möchte, der auf alle Sinne zugleich zutrifft. Wenn ich diese weißliche Farbe sehe, erfasse ich diese weißliche Farbe direkt: Mein Sehen von ihr als ein mentaler Akt, ein Bewusstseinsakt, besteht gerade aus meinem direkten Erfassen von ihr; ebenso ist es, wenn ich ein Geräusch höre, ich nehme das Geräusch direkt auf; wenn ich Zahnschmerzen fühle, nehme ich den Schmerz direkt auf. Und alle diese Dinge, die weißliche Farbe, das Geräusch und der Schmerz sind Sinnesdaten. Kehren wir nun zurück zu dem, was mit uns geschehen ist, als wir alle denselben Umschlag gesehen haben. Zumindest einen Teil dessen, was mit mir geschehen ist, kann ich jetzt ausdrücken, indem ich sage, dass ich

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bestimmte Sinnesdaten gesehen habe: Ich habe eine weißliche Stelle mit Farbe und mit einer bestimmten Größe und Form gesehen. Und ich habe keinen Zweifel daran, dass dies zumindest ein Teil dessen ist, was mit Ihnen allen geschehen ist. Auch Sie haben gewisse Sinnesdaten gesehen; und ich nehme auch an, dass die Sinnesdaten mehr oder weniger denen ähnlich waren, die ich gesehen habe. Sie haben auch eine Stelle mit Farbe gesehen, die als weißlich beschrieben werden könnte, mit einer Größe, die sich nicht sehr von der unterscheidet, die ich gesehen habe, und mit einer Form, die zumindest in dem Punkt ähnlich war, dass sie eher spitze Ecken und recht gerade Linien hatte. Aber was ich hervorheben möchte, ist Folgendes: Obwohl wir alle (wie wir sagen sollten) denselben Umschlag gesehen haben, haben aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zwei von uns genau dieselben Sinnesdaten gesehen. Zunächst einmal hat jeder von uns mit hoher Wahrscheinlichkeit eine leicht unterschiedliche Farbschattierung gesehen. Alle diese Farben mögen weißlich gewesen sein, aber jede hat sich wahrscheinlich leicht von den anderen unterschieden, abhängig davon, wie das Licht auf das Papier gefallen ist, und in Bezug auf die Positionen, in denen Sie sich befinden, und auch abhängig von den Unterschieden Ihrer Sehstärken oder Ihrer Entfernung vom Papier. Das Gleiche gilt hinsichtlich der Größe der Stelle mit Farbe, die Sie gesehen haben: Unterschiede in Ihrer Sehstärke und der Entfernung zum Umschlag haben wahrscheinlich leichte Unterschiede in der Größe der Stelle, die Sie gesehen haben, hervorgerufen. Und das Gleiche gilt auch hinsichtlich der Form. Jene von Ihnen auf dieser Seite des Raumes werden eine rhombusartige Figur gesehen haben, während jene vor mir eine fast rechteckige Figur gesehen haben werden. Jene zu meiner Linken werden eher eine Figur gesehen haben, die Sie jetzt vor mir sehen, und die sich von der unterscheidet, die Sie zuvor gesehen haben. Und jene vor mir werden eine Figur gesehen haben wie die, welche Sie jetzt auf der linken Seite sehen und sich von der unterscheidet, die Sie zuvor gesehen haben. Jene direkt vor mir können in der Tat fast dieselbe Figur gesehen haben – vielleicht auch genau dieselbe. Doch sollten wir nicht sagen, wir haben gewusst, dass zwei dies taten; während wir sagen sollten, wir wissen, dass wir alle denselben Umschlag gesehen haben. Dass Sie alle denselben Umschlag gesehen haben, würde in der Tat im normalen Leben als äußerste Gewissheit akzeptiert werden. Hätten Sie alle gesehen, wie ich einen Mord begehe, so deutlich wie Sie den Umschlag gesehen haben, würde Ihre Aussage von jeder Jury als ausreichend akzeptiert werden, um mich zu verurteilen. Solch ein Beweis würde von jedem Gericht als stichhaltig akzeptiert werden; wir sollten solch eine Verantwortung, einen

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Mann zu hängen, darauf stützen können. Es würde akzeptiert werden, wenn alle gesehen hätten, wie derselbe Mann einen Mord begeht; und nicht bloß, dass jeder von Ihnen irgendeinen Mann gesehen hat, womöglich jeder von Ihnen einen anderen Mann, wie er einen Mord begeht. Und doch wären in diesem Fall, wie im Fall des Umschlags, die Sinnesdaten, die Sie alle gesehen hätten, verschiedene Sinnesdaten: Sie könnten vor Gericht nicht beschwören, dass Sie alle genau dieselben Sinnesdaten gesehen hätten. Nun scheint mir dies alles sehr deutlich zu zeigen, falls wir tatsächlich alle denselben Umschlag gesehen haben, dass der Umschlag, den wir gesehen haben, nicht identisch mit den Sinnesdaten war, die wir gesehen haben: Der Umschlag kann nicht genau dasselbe Ding gewesen sein wie die Menge der Sinnesdaten, die jeder von uns gesehen hat; denn aller Wahrscheinlichkeit nach hat sich jeder von ihnen leicht von den anderen unterschieden, und sie können daher nicht alle genau dasselbe Ding sein wie der Umschlag. Aber es könnte Folgendes gesagt werden: Wenn wir natürlich sagen, dass wir alle den Umschlag gesehen haben, meinen wir damit nicht, dass wir alle das Ganze von ihm gesehen haben. Ich z.€B. habe nur diese Seite von ihm gesehen, während Sie alle nur jene Seite gesehen haben. Wenn wir im Allgemeinen vom Sehen eines Objekts sprechen, meinen wir nur, dass wir einen Teil von ihm gesehen haben. Es gibt immer mehr an einem Objekt, das wir sehen, als den Teil von ihm, den wir sehen. Dies ist völlig zutreffend. Immer wenn wir allgemein vom Sehen eines Objekts sprechen, ist es wahr, dass – in einem anderen und engeren Sinne des Worts sehen – wir nur einen Teil von ihm sehen. Und daher könnte man fragen, warum wir sagen, dass wir alle diesen Umschlag gesehen haben, wenn tatsächlich jeder eine andere Gruppierung von Sinnesdaten gesehen hat, da jede dieser Gruppierungen von Sinnesdaten tatsächlich ein Teil des Umschlags ist. Aber es scheint mir, selbst die Behauptung, dass die verschiedenen Sinnesdaten, die wir gesehen haben, seien Teile des Umschlags, bringt eine große Schwierigkeit mit sich. Was meinem wir mit einem Teil eines materiellen Objekts? Wir meinen zumindest Folgendes: Das, was wir einen Teil eines materiellen Objekts nennen, muss etwas sein, dass einen Teil des Raumvolumens einnimmt, das das gesamte Objekt einnimmt. Zum Beispiel nimmt dieser Umschlag ein bestimmtes Raumvolumen ein; d.€h. er nimmt einen Raum ein, der Breite, Höhe und auch Länge hat. Und alles, was in einem Moment Teil des Umschlags ist, muss Teil des Raumvolumens sein, das der gesamte Umschlag in diesem Moment einnimmt; es muss irgendwo in diesem Volumen sein oder an einem Punkt der Oberflächen, die das Volumen begrenzen.

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Sind dann in diesem Sinn die Sinnesdaten, die wir gesehen haben, Teile des Umschlags? Die Sinnesdaten, die ich erwähnt habe, waren diese drei – Farbe, die weißliche Farbe, die Größe dieser Farbe und ihre Form. Und von diesen dreien ist es nur die Farbe, die, in diesem Sinne definiert, möglicherweise als ein Teil des Umschlags verstanden werden könnte. Es könnte angenommen werden, dass die Farbe einen Teil des Volumens einnimmt, das der Umschlag einnimmt – z.€B. eine seiner begrenzenden Oberflächen. Aber es kann kaum behauptet werden, dass die Größe und die Form einen Teil dieses Volumens einnehmen. Was für sie zutreffen könnte, ist, dass die Größe, die ich gesehen habe, die Größe einer der Oberflächen des Umschlags ist und dass die Form die dieser Oberfläche des Umschlags ist. Die Seite des Umschlags, von der ich sage, dass ich sie gesehen habe, hat gewiss eine Größe und eine Form; und die Sinnesdaten – die Größe und die Form, die ich als Größe und Form dieser Stelle mit Farbe gesehen habe – können möglicherweise die Größe und die Form dieser Seite des Umschlags sein. Überlegen wir jetzt, ob sich diese Dinge auch so verhalten. Zuerst wenden wir uns den Farben zu. Können sie wirklich Teile des Umschlags sein? Wir nehmen an, dass jeder von Ihnen wahrscheinlich eine leicht unterschiedliche Farbe gesehen hat. Und wenn wir annehmen sollen, dass alle diese Farben Teile des Umschlags sind, dann müssen wir annehmen, dass alle am selben Ort sind. Wir müssen annehmen, dass alle dieser noch so unterschiedlichen Farben dieselbe Oberfläche einnehmen – diese Oberfläche, die Sie jetzt sehen. Und ich denke, dass es sicherlich schwierig ist, wenn auch nicht völlig unmöglich, dies anzunehmen. Es ist nicht völlig unmöglich, dass alle verschiedenen Farben, die Sie sehen, wirklich an demselben Ort sind. Ich selbst aber finde es schwierig zu glauben, dass dies so ist; und ich denke, man kann verstehen, warum die meisten Philosophen, dies für unmöglich erklärt haben. Sie haben hauptsächlich angesichts von Gründen wie diesem erklärt, dass keine Farbe, die einer von uns jemals sieht, Teil von materiellen Objekten ist: Sie haben erklärt, dass keine Farbe jemals an Orten ist, wo materielle Objekte sind (falls es materielle Objekte gibt). Diese 



Hier hatte ich vergessen, dass eines der erwähnten Sinnesdaten die Stelle, die Farbe, Größe und Form hat, war – die Stelle, die, so sollte ich jetzt sagen, das einzige „Sinnesdatum“ ist, das mit dem Umschlag in Verbindung steht, den ich damals gesehen habe. (1952). Ich sollte jetzt sagen, dass jeder Teil der Oberfläche eines Volumens kein Teil des Volumens ist, da er selbst kein Volumen ist. (1952).

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Schlussfolgerung geht in der Tat darüber hinaus, was die Voraussetzungen rechtfertigen, selbst wenn wir die Voraussetzung akzeptieren, dass mehrere unterschiedliche Farben nicht genau an demselben Ort sein können. Da es möglich bleibt, dass die Farbe, die irgendjemand von Ihnen sieht, wirklich auf der Oberfläche des Umschlags ist; während die Farben, die der Rest von Ihnen sieht, nicht dort sind. Aber wenn es so ist, dann müssen wir sagen, obwohl Sie alle dieselbe Seite des Umschlags sehen, dass nur einer von Ihnen ein Sinnesdatum sieht, das ein Teil dieser Seite ist: Die Sinnesdaten, die vom Rest gesehen werden, sind keine Teile des Umschlags. Und auch dies ist, so denke ich, schwer zu glauben. Es könnte sein, dass jene von Ihnen, die eine Farbe sehen, die kein Teil des Umschlags ist, eine Größe und eine Form sehen, die wirklich die Größe und die Form einer der Seiten des Umschlags sind. Und wir werden nun überlegen, ob dies so ist. Zunächst betrachten wir die Größe. Ich nehme an, dass die durch den Sinn gegebenen Größen, die Sie sehen, sich wahrscheinlich alle leicht voneinander unterscheiden. Wenn dies so ist, scheint es mir völlig unmöglich, dass sie alle die Größe dieser Seite des Umschlags sein sollen. Diese Seite des Umschlags kann tatsächlich nur eine Größe haben, sie kann nicht mehrere unterschiedliche Größen haben. Aber es mag nicht ganz klar sein, ob Sie alle unterschiedliche Größen sehen; die Unterschiede zwischen den verschiedenen Distanzen, die Sie von dem Umschlag entfernt sind, sind nicht so groß, aber die Stellen mit Farbe, die Sie alle sehen, können zumindest von fast derselben Größe sein. Daher möchte ich Ihnen ein Beispiel geben, um diesen Punkt zu verdeutlichen. Angenommen dieser Raum wäre so groß, dass ich diesen Umschlag zwei- oder dreihundert Yards von Ihnen weg halten könnte. Die durch den Sinn gegebene Größe, die Sie sehen würden, wenn ich dreihundert Yards entfernt wäre, würde gewiss deutlich kleiner sein als die, die Sie jetzt sehen. Und doch würden Sie denselben Umschlag sehen. Es scheint ganz unmöglich, dass beide dieser zwei sehr verschiedenen Größen die Größe des Umschlags sind. So besteht die einzige Möglichkeit darin, dass die Größe, die man in einer bestimmten Entfernung oder einer Menge von Entfernungen sieht, die wirkliche Größe des Umschlags sein sollte, falls man überhaupt jemals seine wirkliche Größe sieht. Es mag sein, dass eine der durch den Sinn gegebenen Größen, die wir sehen, die wirkliche Größe des Umschlags ist. Aber es erscheint auch möglich, dass keine von ihnen es ist; und in jedem Fall sehen wir den Umschlag genauso, ob wir seine wirkliche Größe sehen oder nicht.

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Und nun wenden wir uns der Form zu. Auch hier scheint es ganz unmöglich, dass alle Formen, die wir sehen, die wirkliche Form des Umschlags sind. Diese Seite des Umschlags kann nur eine Form haben: Sie kann nicht zugleich rhombusartig sein, wie die Form ist, die Sie zu meiner Linken sehen, und auch rechteckig, wie die Form ist, die Sie vor mir sehen; die Winkel an den Ecken können nicht zugleich rechte Winkel und Winkel sein, die weit von rechten Winkeln abweichen. Deshalb ist die durch den Sinn gegebene Form, die einige von Ihnen sehen, nicht die Form dieser Seite des Umschlags. Aber hier mag gesagt werden, es sei sehr offensichtlich, dass eine der durch den Sinn gegebenen Formen die wirkliche Form ist. Sie können sagen: Die Form, die von jenen vor mir gesehen wird, ist seine wirkliche Form; der Umschlag ist rechteckig. Und ich gebe auch zu, dass dies so ist: Wir wissen in der Tat, dass der Umschlag wirklich ungefähr rechteckig ist. Doch möchte ich hier eine Unterscheidung einführen. Es gibt zwei verschiedene Bedeutungen, in denen wir über die Größe von etwas sprechen können. Ein Rechteck in der Größe dieses Umschlags und ein Rechteck in der Größe dieser Tafel mögen beide in einem Sinn die gleiche Form haben. Sie haben die gleiche Form in dem Sinne, dass alle Winkel rechte Winkel sind und dass die Proportionen zwischen den Seiten des einen und zwischen den Seiten des anderen gleich sind. Sie können in der Tat die gleiche Form haben in dem Sinne, in dem ein großes Quadrat immer die gleiche Form wie ein kleines Quadrat hat, wie groß das große und wie klein das kleine auch immer sein mögen. Doch es gibt eine andere Bedeutung, in der die Form eines großen Quadrats offensichtlich nicht die gleiche wie die eines kleinen Quadrats ist. Wir können mit der Form eines großen Quadrats die tatsächlichen Linien meinen, die es begrenzen. Und wenn wir es so verstehen, kann die Form eines großen Quadrats nicht die gleiche sein wie die Form eines kleineren. Die Linien, die beide begrenzen, können unmöglich dieselben Linien sein. Dies mag auch gelten, selbst wenn es keinen Größenunterschied zwischen zwei Formen gibt. Stellen Sie sich zwei Quadrate in der gleichen Größe, Seite an Seite vor. Die Linien, die das eine begrenzen, sind nicht dieselben Linien, die das andere begrenzen, obwohl jedes von ihnen die gleiche Größe und die gleiche Form des anderen hat. Der Unterschied zwischen diesen beiden Bedeutungen, in denen wir von der Form von etwas sprechen können, kann dadurch ausgedrückt werden, dass wir sagen, die Form des großen Quadrats sei in der Qualität die gleiche– qualitativ identisch – wie die des kleinen Quadrats, aber nicht numerisch die gleiche, nicht numerisch identisch; die Form des großen Quadrats ist numerisch verschieden von der des kleinen in dem Sinne, dass sie

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zwei Formen sind und nicht nur eine, von der wir sprechen, obwohl beide in der Qualität gleich sind: Beides sind Quadrate, aber das eine ist ein Quadrat und das andere ist ein anderes Quadrat. Es gibt folglich einen Unterschied zwischen zwei verschiedenen Arten der Identität: qualitative Identität und numerische Identität. Und wir alle sind wohl vertraut mit dem Unterschied zwischen den beiden, obwohl die Benennungen fremd klingen mögen. Ich werde zukünftig diese beiden Namen verwenden: qualitative Identität und numerische Identität. Nun kehren wir zum Fall des Umschlags zurück. Selbst wenn man annimmt, dass die durch den Sinn gegebene Form, die Sie vorne sehen, rechteckig ist und dass die wirkliche Form des Umschlags auch rechteckig ist und dass beide Rechtecke genau die gleiche Form haben, folgt es trotzdem nicht, dass die durch den Sinn gegebene Form, die Sie sehen, die Form des Umschlags ist. Die durch den Sinn gegebene Form und die Form des Umschlags, selbst wenn sie qualitativ gleich sind, müssen doch zwei verschiedene Formen sein, numerisch verschieden, es sei denn, sie haben die gleiche Größe; genauso wie die Form eines großen Quadrats numerisch verschieden zu der Form eines kleinen Quadrats ist. Und wir haben zuvor festgestellt, wie schwierig es ist, sicher zu sein, dass irgendeine der Größen, die Sie gesehen haben, die wirkliche Größe des Umschlags ist. Selbst wenn eine durch den Sinn gegebene Größe, die jemand von Ihnen sieht, die wirkliche Größe des Umschlags ist, folgt noch nicht, dass die durch den Sinn gegebene Form, die Sie sehen, numerisch die gleiche ist wie die Form des Umschlags. Beide können numerisch verschieden sein, genau wie im Fall der zwei verschiedenen Quadrate mit gleicher Form und Größe; die Form des einen ist nicht die Form des anderen. Es sind zwei numerisch verschiedene Formen. Wir können folglich sagen, dass jene von Ihnen, die rechteckige Formen sehen, rechteckige Formen verschiedener Größe sehen; nur eine von diesen kann die Form des Umschlags sein. Alle anderen mögen von gleicher Form sein – gleich in der Qualität – aber sie können nicht die Form des Umschlags sein. Und selbst wenn einer von Ihnen eine Form sieht, die die gleiche Größe wie die Form des Umschlags sowie die gleiche Form hat (und es ist sehr zweifelhaft, ob es jemand von Ihnen tut), ist es keineswegs sicher, ob diese durch den Sinn gegebene Form, die Sie gesehen haben, die Form des Umschlags gewesen ist. Es kann eine Form sein, die sich numerisch von der Form des Umschlags unterscheidet, obwohl sie in Form und Größe genau gleich ist. Schließlich gibt es einen Grund anzunehmen, dass keine der durch den Sinn gegebenen Formen, die jemand von Ihnen sieht, genau die gleichen sind wie die Form des Umschlags, selbst in der Qualität. Der Umschlag selbst hat

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vermutlich mehr oder weniger unregelmäßige Ränder; es gibt vermutlich Abweichungen in der Linie, die seine Seiten begrenzt, die Sie auf die Entfernung nicht sehen können. Auf diese drei Arten von Sinnesdaten, die Sie alle gesehen haben, als ich den Umschlag hochgehalten habe, nämlich die weißliche Farbe, seine Größe und seine Form, scheint Folgendes zuzutreffen. Zunächst kann niemand von Ihnen hinsichtlich der Farbe sicher sein, dass die Farbe, die Sie gesehen haben, wirklich Teil des Umschlags war – dass sie wirklich Teil des Raums war, den der wirkliche Umschlag (falls es einen wirklichen Umschlag gab) einnahm. Hinsichtlich der Größe kann niemand von Ihnen sicher sein, dass die Größe, die Sie gesehen haben, die wirkliche Größe des Umschlags war. Und schließlich hinsichtlich der Form kann niemand von Ihnen sicher sein, dass die Form, die Sie gesehen haben, wirklich genau der gleichen Form wie die des Umschlags entsprach; noch weniger können Sie sicher sein, dass es die Form des Umschlags war, dass die begrenzenden Linien, aus denen sie bestand, numerisch dieselben Linien waren wie jene begrenzenden Linien, die den Umschlag umschlossen. Und niemand von Ihnen kann nicht nur dieser Dinge nicht sicher sein. Hinsichtlich der Größen und Formen, die Sie gesehen haben, scheint es ziemlich sicher, dass einige von Ihnen Größen und Formen gesehen haben, die nicht die wirkliche Größe und Form des Umschlags waren; denn es erscheint fast sicher, dass einige von Ihnen Größen und Formen gesehen haben, die sich von denen, die andere von Ihnen gesehen haben, unterschieden haben, und es ist nicht möglich, dass alle diese unterschiedlichen Größen und Formen die Größe und Form des Umschlags sein können. Und hinsichtlich der Farbe scheint es gewiss, dass die Farben, die Sie gesehen haben, nicht alle in dem Umschlag gewesen sein können. Da es ziemlich sicher scheint, dass Sie alle leicht unterschiedliche Farben gesehen haben, und es schwierig ist zu glauben, obwohl nicht völlig unmöglich, dass alle diese verschiedenen Farben wirklich zur selben Zeit am selben Ort waren. Dies erscheint mir der Sachverhalt bezüglich der Sinnesdaten – Farbe, Größe und Form – zu sein. Sie scheinen in einem Sinne sehr wenig mit dem wirklichen Umschlag, falls es einen wirklichen Umschlag gab, zu tun gehabt zu haben. Es scheint sehr wahrscheinlich, dass keine der Farben, die gesehen wurden, wirklich Teil des Umschlags war und dass keine der Größen 

Die Stelle selbst, die Farbe, Größe und Form hat, habe ich wieder vergessen! (1952).

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und Formen, die gesehen wurden, die Größe und die Form des wirklichen Umschlags war. Aber nun möchte ich ein anderes Sinnesdatum erwähnen, eines jener Art, das wir alle gesehen haben, und von dem man annehmen kann, dass es mehr mit dem wirklichen Umschlag zu tun haben könnte. Neben der Stelle mit Farbe und seiner Form und Größe sahen wir alle den Raum, den diese Stelle mit Farbe einnahm. Die Stelle mit Farbe schien einen gewissen Bereich einzunehmen; und wir können mittels Abstraktion diesen Bereich von der Stelle mit Farbe, die ihn einnahm, unterscheiden. Dieser Bereich war auch ein Sinnesdatum. Und in diesem Bereich können wir Teile unterscheiden – dieser Teil und dieser Teil und dieser. Und man könnte hinsichtlich der Teile denken, dass zumindest zwei Dinge wahr sind. Erstens, dass ein Teil des durch den Sinn gegebenen Bereichs, den jeder von Ihnen gesehen hat, wirklich numerisch identisch mit einem Teil dessen ist, das alle anderen gesehen haben. Und zweitens, dass dieser Teil, den Sie alle gesehen haben, auch ein Teil des Bereichs ist, der durch den wirklichen Umschlag eingenommen wurde. Anders gesagt, wenn schon die Farbe, die die Sinne zeigen, kein Teil des wirklichen Umschlags ist und auch die Form und die Größe, die die Sinne zeigen, nicht die Form und die Größe des wirklichen Umschlags sind, könnte man sich selbst trösten, indem man annimmt, dass die Sinne zumindest einen Teil des Raumes zeigen, der durch den wirklichen Umschlag eingenommen wird. Und ich gebe zu, dass ich gegen diese Annahme kein Argument vorbringen kann, das sehr stichhaltig ist. Wir sind alle sehr versucht anzunehmen, dass dies so sei. Dass zum Beispiel dieser Raum, den ich berühre, von Ihnen allen wirklich gesehen wird und dass dieser Ort auch ein Teil des Raumes ist, den der wirkliche Umschlag einnimmt. Das beste Argument gegen diese Annahme ist folgendes; und ich denke, es ist ausreichend, um sie in Zweifel zu ziehen. Wenn wir sagen, dass der Teil des durch den Sinn gegebenen Bereichs, den ich sehe, wirklich numerisch der gleiche ist wie ein Teil jener, die Sie sehen, und dass er auch numerisch der gleiche ist wie ein Teil des Bereichs, der durch den wirklichen Umschlag eingenommen wird, dann müssen wir entweder wieder die Hypothese akzeptieren, dass alle verschiedenen Farben, die wir sehen, wie sie diesen Bereich einnehmen, wirklich am gleichen Ort sind und auch am gleichen Ort wie der wirkliche Umschlag, oder wir müssen annehmen, dass die Farben nur in dem durch den Sinn gegebenen Bereich zu sein scheinen und eigentlich nicht da sind. Aber es gibt den vorherigen Einwand hinsichtlich der Annahmen, dass mehrere verschiedene Farben wirklich alle an einem Ort sind. Und in Bezug auf

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die einzige verbleibende Möglichkeit, dass sie nämlich nur in dem durch den Sinn gegebenen Bereich zu sein scheinen, kann man einwenden, insofern es den durch den Sinn gegebenen Bereich angeht, dass die Farben, die wir sehen, ihn wirklich einnehmen – dass sie nicht nur da zu sein scheinen, sondern es auch wirklich sind – und dass es darüber keinen Zweifel geben kann. Wenn wir über den Bereich sprechen, der wirklich durch die Sinne so dargestellt wird, dass die Farben ihn einnehmen, kann gesagt werden, dass dieser Bereich zweifelsfrei von den Farben eingenommen wird: Es ist nichts als der Raum, über den die Farbe sich ausbreitet. Somit folgt, falls der Bereich, den ich sehe, wirklich numerisch der gleiche ist wie jener, den Sie sehen, dass alle verschiedenen Farben, die wir sehen, wirklich am gleichen Ort sind. Diese Darlegung scheint mir nicht völlig schlüssig zu sein. Es erscheint mir möglich, dass die Farbe, die ich sehe, nur in dem durch den Sinn gegebenen Bereich zu sein scheint. Aber es genügt, den Zweifel zu äußern, ob jeder Teil dieses durch den Sinn gegebenen Bereichs, den ich sehe, numerisch wirklich der gleiche ist wie jeder Teil der Bereiche, die Sie sehen. Eine überwältigende Mehrheit von Philosophen hat die folgenden Ansichten vertreten und zwar, so denke ich, in erster Linie aus Gründen der Art, die ich Ihnen genannt habe. Diese Gründe sind nicht die einzigen, die vorgebracht worden sind, um diese Ansichten zu stützen, aber es sind diejenigen, die den größten Einfluss gehabt haben, diese Ansichten anzunehmen, und es sind, so scheint es mir, die überzeugendsten Gründe. Wie auch immer es sein mag, eine überwältigende Mehrheit von Philosophen hat die folgenden Ansichten vertreten. Und ich möchte, dass Sie sich diese Ansichten so klar wie möglich machen. Sie haben wirklich von allen Sinnesdaten und von jedem Teil eines Sinnesdatums, das wir jemals durch einen unserer Sinne wahrnehmen, die folgenden Dinge angenommen. Sie haben angenommen, dass (1) absolut kein Teil eines Sinnesdatums, das ich jemals wahrnehme, überhaupt existiert – außer in dem Moment, in dem ich es wahrnehme. Sie haben folglich angenommen, dass es außer in dem Moment, in dem ich es wahrnehme, im Universum einfach kein bestimmtes Sinnesdatum gibt, das ich jemals wahrnehme. Wenn ich zum Beispiel diesen Umschlag wieder anschaue, und meinen Blick dann für einen 

Diese drei Propositionen bezüglich dessen, was Philosophen vertreten haben, sind nur wahr, wenn das Wort „Sinnesdatum“ so verstanden wird, wie es in Fußnote 5 erklärt ist, d.€h., dass die „Stellen“ [im Engl. patches, Anm. d. Übers.] Sinnesdaten sind, aber nicht ihre Farbe, Größe und Form. (1952).

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Moment abwende, dann gab es jene bestimmte Stelle mit weißlicher Farbe im Universum, während ich sie sah: Gewiss gab es sie, denn ich sah sie. Aber jetzt, da ich sie nicht mehr sehe, hat jene bestimmte Stelle mit Farbe aufgehört zu existieren. Sie ist nicht mehr im Universum, so wie mein Sehen von ihr nicht mehr ist. Sie sind beide, die Farbe und mein Sehen von ihr, Dinge, die waren, aber nicht mehr sind: Beide haben im gleichen Sinn vollständig aufgehört zu sein. Diese Philosophen würden dennoch nicht bestreiten, dass es weiterhin im Universum eine Stelle mit Farbe geben könnte, die genauso ist wie die, welche ich sah. Zum Beispiel könnte jemand anders in diesem Moment genauso eine Stelle mit Farbe sehen. Aber sie würden sagen, obwohl sie genauso ist, ist diese Stelle mit Farbe gewiss nicht die gleiche: Sie können in der Qualität genau die gleichen sein, aber numerisch sind sie nicht die gleichen. Die Stelle mit Farbe, die ich sah, kann jetzt nicht existieren, selbst wenn eine andere genauso sein mag. Und sie würden dies von allen Sinnesdaten sagen, die irgendjemand von uns jemals wahrnimmt. Jede von ihnen ist nur, solange die Person, die sie wahrnimmt, gerade dabei ist, sie wahrzunehmen. Und sie würden dies nicht nur von Sinnesdaten wie Farben, Geräusche, Härte, Weichheit, Hitze, Kälte oder Schmerzen sagen – Sinnesdaten, die uns als raumeinnehmend erscheinen, die lokalisiert werden können. Sie würden dies auch von den durch die Sinne gegebenen Räumen sagen, die diese Dinge einzunehmen scheinen. Zum Beispiel dieser durch den Sinn gegebene Bereich, der durch diese Stelle mit Farbe eingenommen wird: Ich sehe ihn jetzt, und während ich ihn sehe, ist er; dieser bestimmte Bereich ist Teil des Inhalts des Universums. Aber jetzt, da ich meinen Kopf wegdrehe, hat er, dieser Bereich, den ich sah, völlig aufgehört zu existieren. Mit meinem Sehen von ihm hat auch er aufgehört zu sein. Ich kann dennoch genauso einen Bereich sehen: Dieser Bereich zum Beispiel, den ich jetzt sehe, scheint genauso zu sein und nur dadurch unterscheidbar, dass er durch eine andere Farbe eingenommen wird. Aber diese beiden Bereiche, so würden sie sagen, sind nicht die gleichen, obwohl sie vielleicht genauso erscheinen. Sie sind genauso wenig die gleichen, wie dieser Teil des gesamten Bereichs, den ich jetzt sehe, der gleiche wie jener Teil ist. Der bestimmte durch den Sinn gegebene Bereich, den ich gerade jetzt gesehen habe, hat vollständig aufgehört zu sein. Dies also ist eine Ansicht, die eine überwältigende Mehrheit von Philosophen in Bezug auf Sinnesdaten vertreten hat. Sie haben angenommen, dass jedes Sinnesdatum jeder Art und jeder Teil jedes Sinnesdatums etwas ist,

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das nur ist oder existiert, solange die Person, die es wahrnimmt, dabei ist, es wahrzunehmen. (2) Und sie haben die Ansicht vertreten, dass nämlich keiner von uns jemals genau das gleiche Sinnesdatum wie ein anderer wahrnimmt. Sie könnten zustimmen, dass wir vielleicht Sinnesdaten wahrnehmen können, die sich genau gleichen, aber sie würden sagen, selbst wenn sie sich genau gleichen – sie in der Qualität die gleichen sind – dass sie niemals numerisch die gleichen sein können. Dass dies hinsichtlich der Sinnesdaten, die zu verschiedenen Zeiten existieren, so ist, folgt aus der ersten Ansicht. Wenn diese bestimmte Stelle mit Farbe, die ich jetzt sehe, jetzt, wenn ich meinen Kopf abwende, vollständig aufgehört hat zu sein, so folgt, dass niemand sie jetzt sehen kann. Aber es ist wichtig zu betonen, dass diese Ansicht von den meisten Philosophen vertreten wird. Es wird zum Beispiel angenommen, wenn jemand kommen sollte und diesen Umschlag anschauen würde, direkt nachdem ich ihn angeschaut habe, und er genau in der gleichen Entfernung zu ihm und in der gleichen Richtung stehen und genau die gleiche Sehkraft haben würde, auch das Licht hätte sich überhaupt nicht verändert, sodass er eine Stelle mit Farbe sähe, die genau jener gleichen würde, die ich gerade gesehen habe, die Stelle mit Farbe, die er sähe, trotzdem nicht die gleiche sein würde wie die, die ich gerade gesehen habe. Sie würde numerisch unterschiedlich sein in dem Sinn, wenn man annimmt, dass man zwei Farbstellen sieht, die genau die gleiche Größe und Form haben, die eine Stelle, obwohl sie genau wie die andere ist, doch nicht die gleiche ist und numerisch unterschiedlich von der anderen. Und es wird auch gesagt, dass keine zwei Personen das gleiche Sinnesdatum oder einen Teil des gleichen Sinnesdatums, selbst zur gleichen Zeit, sehen können: Dies ist ein Punkt, der nicht aus der vorhergehenden Ansicht folgt. Denn obwohl es wahr sein mag, dass alle Sinnesdaten, die irgendjemand von Ihnen jetzt sieht, indem er diesen Umschlag anschaut, in dem Moment aufhören zu existieren, in dem Sie aufhören, sie zu sehen, so mag es auch wahr sein, während Sie sehen und sie daher existieren, dass ein anderer von Ihnen zumindest einen Teil davon auch sehen könnte. Aber dies ist es, was die zweite Ansicht bestreitet. Es wird bestritten, dass zwei von Ihnen in diesem Moment das gleiche Sinnesdatum, selbst zum Teil, sehen. Es wird behauptet, dass jeder Teil jedes Sinnesdatums, den irgendjemand von Ihnen jetzt sieht, numerisch von jedem Teil jedes Sinnesdatums, das von jedem anderen von Ihnen gesehen wird, verschieden ist. Und die dritte Ansicht, die von einer überwältigenden Mehrheit von Philosophen vertreten wird, ist folgende.

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Sie behaupten, dass (3) keines der Sinnesdaten, das von einer Person wahrgenommen wird, sich am gleichen Ort mit oder in irgendeiner Entfernung und in irgendeiner Richtung von jenen befinden kann, die von einer anderen Person wahrgenommen werden. Anders gesagt, sie nehmen an, dass jedes Sinnesdatum, das ich wahrnehme, unmöglich am gleichen Ort sein kann wie ein Sinnesdatum, dass einer von Ihnen wahrnimmt; und dies trifft auf jedes Personenpaar zu. Das heißt also, dass diese Stelle mit Farbe, die von mir gesehen wird, weder am gleichen Ort mit, noch in irgendeiner Entfernung und in irgendeiner Richtung zu irgendeiner anderen Stelle ist, die von einem von Ihnen gesehen wird: Die beiden haben einfach keine räumliche Beziehung irgendeiner Art zueinander. Hinsichtlich der verschiedenen Sinnesdaten, die von mir in irgendeinem Moment gesehen werden, würden sie allerdings zugeben, dass diese eine räumliche Beziehung untereinander haben. Diese Ecke der Stelle mit Farbe, die ich sehe, befindet sich wirklich in einer bestimmten Entfernung, in einer bestimmten Richtung von jener Ecke; und in einer anderen Entfernung und einer anderen Richtung von jener Ecke. Aber sie würden sagen, dass diese verschiedenen Sinnesdaten in meinem Wahrnehmungsbereich nur in meinem eigenen privaten Raum Entfernung und Richtung haben. Das heißt, kein Punkt in meinem privaten Raum ist identisch mit, noch befindet er sich in einer Richtung von einem Punkt in dem Wahrnehmungsbereich jeder anderen Person. Der durch den Sinn gegebene Wahrnehmungsbereich von jedem von uns stellt zu jeder Zeit einen privaten Raum dieser Person dar; keine zwei Punkte in diesen beiden Räumen können so in Verbindung stehen, wie zwei Punkte in einem dieser Räume in Verbindung miteinander stehen. Diese drei Ansichten sind durch eine überwältigende Mehrheit von Philosophen vertreten worden. Sie haben behauptet, dass (1) wirklich jedes Sinnesdatum, das von einer Person direkt erfasst wird, nur so lange existiert, wie sie es wahrnimmt; dass (2) kein Sinnesdatum, das eine Person direkt erfasst, jemals direkt von einer anderen Person erfasst wird; und dass (3) kein Sinnesdatum, das von einer Person erfasst wird, sich an dem gleichen Ort befinden kann wie ein Sinnesdatum, das von einer anderen Person erfasst wird –es sei nicht möglich, dass ein Sinnesdatum, das von mir gesehen, gehört oder gefühlt wird, sich an dem gleichen Ort oder in einer Entfernung zu einem Sinnesdatum befindet, das von irgend jemand anderem erfasst wird. Diese drei Dinge, so denke ich, sind gemeint, wenn man davon spricht, dass alle Sinnesdaten nur in dem Bewusstsein der Person existieren, die sie erfasst; und es ist gewiss die allgemeine Auffassung in der Philosophie, dass

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alle Sinnesdaten nur in unserem Verstand existieren. Ich selbst denke aber nicht, dass dies eine geeignete Art ist auszudrücken, was gemeint ist. Selbst wenn alle drei Ansichten bezüglich aller Sinnesdaten, die ich jemals direkt erfasse, wahr sein sollten, so scheint mir doch nicht zu folgen, dass sie nur in meinem Verstand existieren oder in meinem Verstand in irgendeinem anderen Sinne sind – außer in dem Sinne, dass sie von mir erfasst werden. So weit ich es beurteilen kann, sind sie nicht in dem Sinne in meinem Verstand, in dem mein Erfassen von ihnen in meinem Verstand ist: Diese weißliche Farbe zum Beispiel, selbst wenn sie nur existiert, solange ich sie sehe, und von keinem anderen gesehen werden kann, scheint mir doch nicht in dem Sinne in meinem Verstand zu sein, in dem mein Sehen von ihr in meinem Verstand ist. Mein Sehen von ihr ist in einer Art mit meinem Verstand verbunden, in der das, was ich sehe, nicht mit ihm verbunden ist. Ich möchte es vorziehen, den Ausdruck „in meinem Verstand“ auf jene Dinge zu beschränken, die mit meinem Verstand in der Art verbunden sind, in der mein Sehen dieser Farbe und meine anderen Bewusstseinsakte mit ihm verbunden sind. Aber gleichgültig ob man nun wirklich von ihnen sagen kann, dass sie in meinem Verstand sind oder nicht, sind alle Sinnesdaten, die ich jemals direkt erfasse, falls diese drei Dinge auf sie zutreffen, in einer sehr engen Weise von meinem Verstand abhängig. Falls es wirklich auf sie alle zutrifft, dass sie nur existieren, wenn ich ihrer bewusst bin, und dass niemand anderes ihrer jemals direkt bewusst ist, dass sie sich nur in meinem eigenen privaten Raum befinden, der auch nur existiert, wenn ich seiner bewusst bin, und niemand anderes jemals seiner direkt bewusst ist – dann kann gewiss nichts umfassender von meinem Verstand abhängig sein, als sie es sind. Die meisten Philosophen haben angenommen, dass alle Sinnesdaten auf diese Weise von unserem Verstand abhängig sind. Diese Ansicht wurde gleichermaßen von Philosophen vertreten, die glauben, dass es materielle Objekte gibt und dass wir von ihrer Existenz wissen, wie von jenen, die glauben, dass es keine Dinge wie materielle Objekte gibt oder dass, falls es sie gibt, wir nichts von ihnen wissen. Tatsächlich spricht für diese Ansicht sehr viel. Und ich werde sie für den Moment als die anerkannte Ansicht bezeichnen. Hinsichtlich der Frage, ob diese anerkannte Ansicht wahr ist oder nicht, muss ich gestehen, dass ich mich nicht entscheiden kann. Ich denke, dass sie sehr wahrscheinlich wahr sein könnte. Aber ich habe niemals ArguÂ�mente zu ihren Gunsten gesehen, die mir völlig schlüssig erscheinen. Die stärksten Argumente scheinen mir jene zu sein, die ich Ihnen soeben erläutert habe; zum Beispiel, falls wir sagen, dass jeder Teil der durch den Sinn gegebenen

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Räume, die von jedem von uns zur gleichen Zeit erfasst werden, wirklich numerisch der gleiche Teil des Raumes ist, wir dann entweder annehmen müssen, dass der gleiche Teil des Raumes zur gleichen Zeit von mehreren unterschiedlichen Farben eingenommen werden kann, oder wir müssen annehmen, dass er wirklich nur durch eine Farbe, die einer von uns sieht, eingenommen wird und dass es nur so scheint, als ob er von jenen eingenommen wird, die der Rest von uns sieht, oder dass es nur so scheint und er nicht wirklich durch irgendeine Farbe, die jemand von uns sieht, eingenommen wird. Es scheint mir, dass es Einwände gegen die Annahme jeder dieser drei Sichtweisen gibt, aber andererseits die Einwände hinsichtlich jeder der Annahmen mir nicht vollkommen schlüssig zu sein scheinen: Es erscheint mir möglich, dass jede von ihnen die Wahrheit sein könnte. Ein Argument, das von einigen Philosophen als schlüssig vorgebracht worden ist, scheint mir überhaupt kein Gewicht zu haben. Es ist nämlich vorgebracht worden, wenn wir es nur bedenken, können wir direkt, ohne die Hilfe eines Arguments, sehen, dass alle SinnesÂ�daten eine Art von Ding sind, das nur existiert, solange die Person, die es wahrnimmt, es wahrnimmt; es ist vorgebracht worden, dass dies eine offensichtliche Wahrheit sei – wie folgende Wahrheit: 2 + 2 = 4. Doch dieses Argument schient mir überhaupt kein Gewicht zu haben. Es scheint mir einfach falsch zu sein, dass das, was es aussagt, offensichtlich ist. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die gleichen Sinnesdaten, die ich sehe, auch existieren können, selbst wenn ich sie nicht sehe; und ich kann nicht nur durch bloßes Überdenken der Möglichkeiten entscheiden, ob es wahr ist oder nicht. Darüber hinaus denke ich, dass die scheinbare Stärke dieses Arguments größtenteils der Verwirrung geschuldet ist, über die ich gesprochen habe – der Verwirrung zwischen den Sinnesdaten und meinem Sehen von ihnen. Viele Philosophen haben, wie ich erwähnt habe, beide dieser verschiedenen Dinge nicht nur „Empfindungen“ genannt, sondern sie auch behandelt, als wären sie dieselbe Sache. Wenn ich aufhöre, ein gegebenes Sinnesdatum zu sehen, höre ich natürlich auf, es zu sehen: Mein Sehen von ihm hört auf zu existieren. Sie haben dann behauptet, da sie das Sinnesdatum behandelten, als wäre es dieselbe Sache wie mein Sehen von ihm, dass das Sinnesdatum auch aufhört zu existieren. Aber dies ist sicherlich bloße Verwirrung. Falls wir schlüssige Argumente zugunsten dieser anerkannten Ansicht finden, werden wir auf solche Fragen zurückgeworfen wie, ob viele verschiedenen Farben den gleichen Raum einnehmen können, ob, falls der Raum, von dem wir sprechen, der durch den Sinn gegebene Raum ist, der durch die Farben präsentiert wird, es wahr sein kann, dass diese Far-

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ben den durch den Sinn gegebenen Raum nur einzunehmen scheinen und ihn nicht wirklich einnehmen. Und keine Argumente dieser Art scheinen mir wirklich schlüssig zu sein, obwohl sie eine gewisse Plausibilität haben. Andererseits erscheint mir zugunsten der gegensätzlichen Ansicht die Tatsache zu sprechen, dass wir alle stark geneigt sind, es zu glauben. Ich finde es sehr schwierig, nicht zu glauben, wenn ich dies anschaue und dann meinen Kopf wegdrehe, dass die Farbe, die ich gerade gesehen habe, nicht mehr existiert; dass der Raum, in dem ich sie gesehen habe, auch nicht mehr existiert; und dass die Farbe nicht mehr in diesem Raum ist. Und so finde ich es auch sehr schwierig zu glauben, dass dieser Raum, den ich sehe – dieser gleiche Teil des Raumes – nicht auch von uns allen gesehen wird. Ich zeige auf ihn; und das, auf das ich zeige, scheint ein Teil des durch den Sinn gegebenen Raumes zu sein, den ich sehe; und ich kann nicht glauben, dass ich, indem ich auf ihn zeige, Ihnen nicht deutlich machen kann, auf welchen Teil des Raumes ich zeige. Wir alle nehmen fortwährend an, dass es zu etwas nütze, wenn man auf ein Ding zeigt; dass, wenn ich auf ein Ding zeige, es dazu dient, Ihnen zu zeigen, über welches Ding ich rede; dass Sie das gleiche Ding wie ich sehen und dadurch wissen, was es ist, das ich sehe. Und es scheint gewiss so, als ob das Ding, auf das ich jetzt zeige, Teil des durch den Sinn gegebenen Raumes ist, den ich sehe; und dass daher, falls Sie sehen, auf was ich zeige, ein Teil des durch den Sinn gegebenen Raumes, den jeder von uns sieht, gleich sein muss. Aber andererseits kann ich mir vorstellen, dass ich mich in diesem Punkt irre. Ich kann mir vorstellen, dass das, was Sie sehen, nicht Teil meines durch den Sinn gegebenen Raumes ist; und dass das, was Sie sehen, wenn Sie den Ort sehen, auf den ich zeige, auch kein Teil Ihres durch den Sinn gegebenen Raumes ist; und dass die Vermutung, dass ein Teil unserer durch den Sinn gegebenen Räume identisch sein muss, von unserer Verwirrung zwischen dem durch den Sinn gegebenen Raum und dem realen herrührt, dem realen Raum, den wir alle wirklich sehen – aber in einem anderen Sinn sehen. Daher kann ich auch keine Argumente gegen die anerkannte Ansicht angeben, die mir schlüssig erscheinen: die Ansicht, dass alle Sinnesdaten, die ich sehe, einschließlich jedes Teils meines durch den Sinn gegebenen Raumes, meine eigenen, privaten Sinnesdaten sind, die nur existieren, solange ich sie direkt erfasse, und kein Teil von ihnen kann von irgendjemand von Ihnen direkt erfasst werden. Was ich den Rest des Vortrages machen möchte, ist Folgendes: Ich möchte im Moment annehmen, dass diese anerkannte Ansicht wahr ist; und annehmen, dass wirklich alle Sinnesdaten von jedem von uns zu der entsprechenden Person gehören

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in dem Sinne, wie ich es dargelegt habe; und dann möchte ich überlegen, immer angenommen diese Ansicht ist wahr, was die Natur unseres Wissens über materielle Objekte mittels der Sinne sein kann, falls wir ein solches Wissen überhaupt haben. Ich kehre nun zu meiner ursprünglichen Frage zurück: Was passiert, wenn wir alle diesen Umschlag sehen? Wie Sie sich vielleicht erinnern, habe ich damit begonnen, dass ein Teil dessen, was mir passierte, darin bestand, dass ich bestimmte Sinnesdaten sah – eine bestimmte weißliche Stelle mit Farbe, mit einer Form und Größe und auch den Bereich, den diese Stelle mit Farbe einnahm oder einzunehmen schien. Das Sehen bestimmter Sinnesdaten war zumindest auch ein Teil dessen, was Ihnen passiert ist. Aber jetzt, da wir im Moment die philosophische Sichtweise angenommen haben, dass alle Sinnesdaten, die von einem von uns gesehen werden, nur von dieser Person gesehen werden; können wir darüber hinaus Folgendes feststellen: dass nämlich, falls wir alle tatsächlich den gleichen Umschlag sehen, dieses Sehen des Umschlags unmöglich nur aus unserem Sehen jener Sinnesdaten bestehen kann; dieses Sehen der Sinnesdaten, von dem ich anfangs behauptet habe, dass es zumindest ein Teil dessen sein muss, was passiert, wenn wir den Umschlag sehen, ist, wie wir jetzt sehen, bloß ein Teil dessen, was passiert; es kann unmöglich das Ganze sein, falls wir alle wirklich den gleichen Umschlag sehen, da wir gemäß der anerkannten philosophischen Ansicht nicht die gleichen Sinnesdaten sehen; die Sinnesdaten, die wir sehen, sind selbst im kleinsten Teil nicht die gleichen. Nun muss gefragt werden, was anderes neben dem Sehen der Sinnesdaten passiert sein kann, als wir den Umschlag gesehen haben. Aber bevor wir dies genauer betrachten, möchte ich einen Punkt hinsichtlich dessen hervorheben, was ich „Sehen bestimmter Sinnesdaten“ genannt habe. Ich sagte zuvor, wenn ich einen Ausdruck benutzen wolle, der nicht nur auf den Sehsinn, sondern auch auf alle anderen Sinne anzuwenden sei, dass ich den Ausdruck „direktes Erfassen“ verwenden werde. Der Punkt, den ich nun hervorheben möchte, ist, was genau diese Art, Dinge wahrzunehmen, ist, die ich direktes Erfassen nenne. Es ist gewiss eine der wichtigsten Arten, die wir haben, Dinge wahrzunehmen. Und ich möchte ab jetzt die Möglichkeit 

Es gibt einen anderen, sehr abweichenden Gebrauch von „wahrnehmen“, indem wir sagen, dass wir wahrnehmen, dass etwas so oder so ist, d.€h., wir nehmen nicht ein „Ding“ wahr, sondern eine Tatsache oder eine Wahrheit (siehe Fußnote 13 auf S. 88). Ich kann zugleich sagen, dass ich einen Mann sehe und dass ich auch sehe, dass er z.€B. einen Bart hat.

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haben, mich auf sie zu beziehen, indem ich den Namen „direktes Erfassen“ verwende. Daher möchte ich, dass Sie so gut wie möglich verstehen, was diese Art des Wahrnehmens auszeichnet. Es ist, wie ich gesagt habe, das, was passiert, wenn man tatsächlich eine Farbe sieht, wenn man tatsächlich ein Geräusch hört, wenn man tatsächlich die so genannte „Empfindung“ von Hitze fühlt, indem man seine Hand nah an ein Feuer hält, wenn man tatsächlich einen Geruch riecht, wenn man die so genannte Empfindung von Härte spürt, indem man gegen einen Tisch drückt, oder wenn man Zahnschmerzen spürt usw. In all diesen Fällen erfasst man direkt das entsprechende Sinnesdatum – die bestimmte Farbe, das Geräusch, den Geruch oder jene bestimmten Sinnesdaten, die wir „Empfindungen“ nennen, wie das, was wir „Hitze“ nennen und das wir direkt erfassen, wenn wir unseren Hände nah an ein Feuer halten, oder das, was wir Härte oder Glätte oder Zahnschmerzen nennen. In all diesen Fällen hat, soweit ich es beurteilen kann, das, was ich mit „direktem Erfassen“ meine, nämlich der Bewusstseinsakt, genau die gleiche Qualität, d.€h. das tatsächliche Sehen einer Farbe, betrachtet als ein Bewusstseinsakt, unterscheidet sich in keiner Weise von dem tatsächlichen Hören eines Geräuschs oder von dem tatsächlichem Riechen eines Geruchs. Sie unterscheiden sich nur darin, dass das eine ein direktes Erfassen einer Art eines Sinnesdatums ist und das andere ein direktes Erfassen einer anderen Art: zum Beispiel das eine einer Farbe, das andere eines Geräuschs. Und was sie sind, versteht man vielleicht am besten, wenn man den Unterschied zwischen dem, was passiert, wenn man ein gegebenes Sinnesdatum direkt erfasst, und dem, was passiert, wenn man aufhört, es zu erfassen, betrachtet. Man schaut zum Beispiel diesen Umschlag an, und man sieht tatsächlich eine bestimmte Farbe: Man erfasst diese bestimmte Farbe direkt. Aber wenn man seine Augen abwendet, erfasst man es nicht länger direkt; man sieht die Farbe, die man gesehen hat, tatsächlich nicht mehr. Aber man kann immer noch an sie denken – genau an die Farbe denken, die man einen Moment vorher gesehen hat. Daher kann man ihrer noch in einem Sinn bewusst sein, obwohl man sie nicht länger direkt erfasst. Dies ist daher eine Art, etwas vor seinem geistigen Auge zu haben, die nicht direktes Erfassen ist: die Art, die wir „Denken an“ oder „Erinnern“ nennen. Das heißt, man kann noch an die Farbe denken, die man gesehen hat, und sie daher vor seinem geistigen Auge haben, obwohl man sie nicht länger direkt erfasst. Wenn man an sie denkt, erfasst man zweifelsohne noch etwas. Man kann zum Beispiel ein Abbild von ihr direkt erfassen – eine dieser matten Kopien der Sinnesdaten, die Abbilder genannt werden. Aber man erfasst die

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farbige Stelle nicht direkt, die man gesehen hat. Das Abbild, das man direkt erfasst, ist nicht das gleiche, obwohl es ähnlich sein kann; und die Beziehung, die man jetzt zu dem Abbild hat, ist offensichtlich eine andere als die, die man jetzt zu dem Sinnesdatum hat, das man gesehen hat und das man jetzt nicht mehr sieht; und die Beziehung, die man jetzt zu dem Abbild hat, ist die gleiche wie die, die man zu dem Sinnesdatum hatte, als man es soeben tatsächlich gesehen hat. Man erfasst das Abbild jetzt direkt in genau dem gleichen Sinn, wie man soeben das Sinnesdatum direkt erfasst hat, von dem es ein Abbild ist: Aber man erfasst jetzt nicht länger das Sinnesdatum, das man vor einem Moment direkt erfasst hat. Ich hoffe, dass Sie nun verstehen, was ich mit „direktem Erfassen“ meine. Ich habe u.€a. aus folgendem Grund diesen Punkt hervorgehoben. Viele Philosophen haben mehr oder weniger unbewusst angenommen, dass diese Art, Dinge im Geist zu haben, die ich „direktes Erfassen“ nenne, die einzige Art ist, in der wir jemals etwas in unserem Verstand haben. Das heißt, sie haben angenommen, dass das Einzige, was jemals in unserem Verstand passiert, wenn wir etwas vor unserem geistigen Auge sehen, nur darin besteht, dass wir gewisse Sinnesdaten oder gewisse Abbilder direkt erfassen – oder beides zugleich. Es gibt offensichtlich eine bestimmte Erklärung für diese Annahme. Denn es ist gewiss viel einfacher, diese Art, etwas in seinem Verstand zu haben – das direkte Erfassen von Sinnesdaten und Abbildern – zu beobachten und seine genaue Natur zu verstehen als jede andere. Wenn man versucht zu beobachten, was zu jeder Zeit im Verstand vorgeht, erkennt man sehr leicht, dass man bestimmte Sinnesdaten oder Abbilder oder beides direkt erfasst; aber es ist nicht einfach zu erkennen, dass überhaupt etwas anderes im Verstand vorgeht. So sehe ich es zumindest. Und selbst wenn man überzeugt ist – und man kann überzeugt sein – dass tatsächlich etwas anderes passiert, ist es sehr schwer, genau zu erkennen, welcher Natur dieses Etwas ist: viel schwerer als zu erkennen, was direktes Erfassen von Sinnesdaten oder Abbildern ist. Daher ist es normal anzunehmen, dass alles Wissen bloß aus dem direkten Erfassen von Sinnesdaten oder Abbildern besteht. Viele Philosophen haben dies fortwährend angenommen. Aber beachten Sie jetzt, welches Ergebnis wir erhalten, wenn wir diese Ansicht mit der Ansicht hinsichtlich der Sinnesdaten kombinieren, die ich die anerkannte Ansicht genannt habe – eine Ansicht, die sich natürlich auf alle Abbilder bezieht und die sich viel deutlicher auf Abbilder als auf Sinnesdaten anwenden lässt. Es folgt dann, dass niemand jemals etwas anderes als bestimmte Sinnesdaten und Abbilder in

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seinem Verstand hat, die der jeweiligen Person eigen sind und niemals im Verstand eines anderen sein können. Nun kommt die Frage auf, wie irgendjemand von uns überhaupt wissen kann, dass es etwas anderes im Universum gibt außer seinen eigenen, privaten Sinnesdaten; wie es zum Beispiel jemandem möglich sein kann zu wissen, dass es im Universum den Verstand anderer Menschen, materielle Objekte oder Sinnesdaten und Abbilder anderer Menschen gibt. Und offensichtlich gibt es bezüglich dieser Hypothesen Fragen, die im negativen Sinn beantwortet werden müssen. Niemandem ist es möglich zu wissen, dass etwas anderes außer seinen eigenen Sinnesdaten und Abbildern existiert. Aber basierend auf den gleichen Hypothesen, kann niemand auch nur daran denken, dass es etwas anderes geben könnte: Denn zu denken, es sei möglich, dass es etwas anderes als die eigenen Sinnesdaten und Abbilder geben könnte, besteht gewiss nicht nur aus dem direkten Erfassen einer bestimmten Anzahl von Sinnesdaten oder Abbildern oder beidem. Daher muss es einige andere Arten geben, durch die man weiß, dass Dinge existieren, neben dem bloßen direkten Erfassen von Sinnesdaten und Abbildern. Und es erscheint mir tatsächlich ziemlich sicher, dass Sinnesdaten und Abbilder nicht die einzigen Arten von Dingen sind, die wir direkt erfassen. Nehmen wir zum Beispiel an, dass ich wieder diesen Umschlag anschaue und die weißliche Farbe direkt erfasse; es scheint mir, wenn ich versuche zu beobachten, was in meinem Verstand passiert, dass ich nicht nur die weißliche Farbe direkt erfasse, sondern auch mein eigenes direktes Erfassen von ihr. Das heißt, dass genau wie das Sehen der Farbe in dem direkten Erfassen von ihr, der Farbe, besteht, so besteht die Beobachtung, wenn ich mein Sehen von ihr beobachte, aus dem direkten Erfassen von meinem Sehen von ihr – das heißt von etwas, das weder ein Sinnesdatum noch ein Abbild, sondern das direkte Erfassen eines Sinnesdatums ist. Daher denke ich, dass wir manchmal gewiss nicht nur Sinnesdaten und Abbilder, sondern auch unsere eigenen Bewusstseinsakte direkt erfassen; und wir können auch andere Dinge direkt erfassen. Aber es gibt bestimmt auch andere Arten des Wissens, die nicht nur aus dem direkten Erfassen von etwas bestehen. Und falls wir jemals von der Existenz materieller Objekte mittels unserer Sinne wissen, muss unser Wissen von ihrer Existenz, basierend auf der anerkannten Ansicht hinsichtlich der Sinnesdaten, teilweise aus einer dieser anderen Arten des Wissens bestehen. Aber es ist sehr schwierig, genau zu ergründen, was diese anderen Arten des Wissens sind; und dies ist einer der Hauptgründe, warum viele Philosophen angenommen haben, dass wir von ihrer Existenz nicht wissen.

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Um deutlich zu zeigen, dass es andere Arten des Wissens als direktes Erfassen gibt, und auch – zumindest an einem Beispiel – zu zeigen, welcher Art solch ein Wissen ist, werde ich jetzt zu einem Fall zurückkehren, den ich oben angeführt habe – die Erinnerung. Ich schaue den Umschlag wieder an und sehe die weißliche Farbe. Ich drehe meinen Kopf weg und sehe sie nicht mehr. Aber ich erinnere mich, dass ich sie kurz zuvor gesehen habe. Ich weiß, dass ich sie gesehen habe. Es gibt nichts, bei dem ich mir sicherer bin. Darüber hinaus weiß ich, dass die weißliche Farbe war, dass es ein solches Ding im Universum gab. Daher weiß ich jetzt von der vergangenen Existenz dieser weißlichen Farbe; und doch erfasse ich sie jetzt gewiss nicht direkt. Möglicherweise kann ich jetzt ein Abbild, das ihr mehr oder weniger gleicht, erfassen. Und in Bezug auf die Ansicht, dass alles Wissen bloß aus dem direkten Erfassen von Sinnesdaten und Abbildern besteht, ist es normal anzunehmen, dass mein Erinnern dessen, was ich gerade gesehen habe, jetzt nur aus meinem direkten Erfassen eines Abbilds von ihr besteht. Aber wenn Sie es einen Moment lang bedenken, können Sie leicht erkennen, dass dies unmöglich der Fall sein kann. Wenn es der Fall wäre, könnte ich unmöglich wissen, dass das Abbild, das ich jetzt sehe, sich von der Farbe, die ich kurz zuvor gesehen habe, unterscheidet. Und doch ist es gerade das, was wir fortwährend tun, wenn wir uns an etwas erinnern. Wir wissen, dass es etwas in der Vergangenheit gab, das sich in gewisser Hinsicht von dem unterscheidet, was wir jetzt direkt erfassen. So trägt Erinnern immer die Möglichkeit unseres Wissens von ihm in sich: dass es etwas gab, das wir jetzt nicht direkt erfassen und sich in gewisser Hinsicht von dem unterscheidet, was wir jetzt direkt erfassen. Und es erscheint mir, basierend auf der Ansicht, die wir hinsichtlich der Sinnesdaten anerkannt haben, dass unser Wissen von der Existenz materieller Objekte mittels unserer Sinne dem Erinnern zumindest in Folgendem entsprechen muss: Es muss aus unserem Wissen bestehen, dass etwas existiert, das sich von jedem Sinnesdatum und Abbild unterscheidet, das wir im Moment direkt erfassen. Dieses scheint mir das Geringste zu sein, das wir wissen müssen, wenn wir von der Existenz eines materiellen Objekts mittels der Sinne wissen sollen. Wenn wir bestimmte Sinnesdaten direkt erfassen, müssen wir wissen, dass auch etwas anderes als diese Sinnesdaten existiert – etwas, das wir nicht direkt erfassen. Und es scheint keinen Grund zu geben, warum wir zumindest dies nicht wissen sollten, sobald wir das Vorurteil abgelegt haben, dass wir von der Existenz von etwas nicht wissen können, außer wenn wir es direkt erfassen. Natürlich würde man sehr wenig

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wissen, wenn man nur dieses weiß. Falls das Etwas, von dessen Existenz wir wissen, tatsächlich ein materielles Objekt ist, könnten wir sagen, dass wir von der Existenz materieller Objekte wissen, selbst wenn wir nicht wüssten, dass es ein materielles Objekt wäre. Aber wir müssen viel mehr als dies wissen, wenn wir auch wissen sollen, dass dieses Etwas ein materielles Objekt ist. Und darüber hinaus müssen wir wissen, falls wir wissen sollen, dass wir alle den gleichen Umschlag gesehen haben, dass das Etwas, von dessen Existenz jeder von uns weiß, das gleiche Etwas ist. Es scheint keinen Grund zu geben, warum wir nicht viele Dinge dieser Art wissen sollten. Im Falle des Erinnerns wissen wir mit fast absoluter Gewissheit viele Dinge dieser Art – von dem Etwas, an das wir uns erinnern, und über die bloße Tatsache hinaus, das es war und sich von allem unterscheidet, das wir jetzt direkt erfassen. Das Sehen eines materiellen Objekts oder das Wahrnehmen eines durch einen anderen Sinn würde in dieser Hinsicht etwas ganz anderes sein als das Sehen von Sinnesdaten. Das Sehen von Sinnesdaten besteht aus dem direkten Erfassen von ihnen. Aber das Sehen eines materiellen Objekts besteht nicht aus dem direkten Erfassen von ihm. Es besteht teils aus dem direkten Erfassen bestimmter Sinnesdaten, aber auch teils aus dem Wissen – das daneben und gleichzeitig vorhanden ist – dass etwas anderes als diese Sinnesdaten existiert. Wenn wir jemals sehen, dass ein materielles Objekt rund oder viereckig ist oder sich an einer bestimmten Position im Raum befindet, würde dies nicht im direkten Erfassen dieser Dinge bestehen, sondern, wenn wir direkt bestimmte Sinnesdaten erfassen, aus dem Wissen von bestimmten Dingen über etwas, das ganz anders als diese Sinnesdaten ist. Zuerst möchte ich jetzt versuchen, deutlicher zu beschreiben, welche Art von Ding ich genau als diese Wahrnehmung materieller Objekte ansehe. Dann werde ich fortfahren zu überlegen, welche Gründe wir haben können, um anzunehmen, dass diese Art der Wahrnehmung wirklich Wissen ist; das heißt, um anzunehmen, dass wirklich etwas anderes als die Sinnesdaten existiert, die wir direkt erfassen, und dass dieses Etwas bestimmte Eigenschaften hat und ein materielles Objekt ist.

Kapitel 3 Propositionen

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ch habe versucht mit der Beschreibung zu beginnen, was Sinneswahrnehmung ist; oder anders gesagt, was in unserem Bewusstsein passiert, wenn (wie wir sagen sollten) wir Wissen von der Existenz eines materiellen Objekts mittels unserer Sinne erlangen. Zweifelsfrei kommen solche Ereignisse in unserem Verstand vor, die wir auf diese Weise beschreiben sollten, d.€h. wir erlangen Wissen von der Existenz eines materiellen Objekts mittels unserer Sinne. Wenn ich zum Beispiel diesen Umschlag hochhalte und Sie alle ihn ansehen, sollten wir sagen, dass wir alle ihn gesehen haben, das gleiche Objekt, den gleichen Umschlag; dass wir Wissen von seiner Existenz erlangt haben, indem wir ihn gesehen haben; und dass dieses Objekt, der Umschlag, den wir alle gesehen haben und von dem wir wissen, dass er existiert, ein materielles Objekt ist. Ich habe dann versucht mit der Beschreibung zu beginnen, welcher Art dieses Ereignis war, das in unserem Verstand geschehen ist; ohne entweder anzunehmen, dass wir tatsächlich alle von der Existenz des gleichen Objekts gewusst haben, oder dass, falls wir es getan haben, das Objekt ein materielles gewesen ist. Ich habe nur versucht zu beschreiben, welcher Art dieses Ereignis ist, das wir Wissen von der Existenz eines materiellen Objekts mittels der Sinne nennen, ohne zu entscheiden, ob es wirklich so genannt werden kann, wie wir es nennen – nämlich Wissen von der Existenz eines materiellen Objekts. Zuerst habe ich hervorgehoben, dass ein jedes solches Ereignis teilweise aus einer bestimmten Weise besteht, gewisse Arten von Dingen, die ich Sinnesdaten genannt habe, in seinem Verstand zu haben, – eine sichtbare Stelle mit Farbe zum Beispiel, ein sichtbarer Bereich, der von dieser Stelle mit Farbe eingenommen wird oder eingenommen zu werden scheint, und eine sichtbare Größe und Form, die die Größe und Form dieser sichtbaren Stelle mit Farbe und ihres Bereichs sind: Dies waren alles Sinnesdaten.10 Und die gewisse Weise, in der wir diese Sinnesdaten in unserem Verstand haben, habe ich „direktes Erfassen“ genannt. Folglich besteht jeder Akt der Sinneswahrnehmung zumindest zum Teil aus direktem Erfassen von bestimmten Sin10

Siehe Fußnote 8, S. 48.

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nesdaten. Und dieser Teil dessen, was bei der Sinneswahrnehmung passiert, ist am einfachsten zu bemerken, wenn man versucht herauszufinden, was passiert, wenn man sein eigenes Bewusstsein beobachtet. Es scheint keinen Zweifel über die Existenz dieser Sache, die ich direktes Erfassen von Sinnesdaten genannt habe, zu geben, und es scheint auch keinen Zweifel zu geben, welcher Art sie ist. Man kann es sehr leicht beobachten. Doch die Schwierigkeit besteht darin zu erkennen, ob etwas anderes passiert und, falls dies der Fall ist, was die Natur dieses anderen ist. In Bezug auf diesen Teil – das direkte Erfassen von Sinnesdaten – sagte ich, dass eine überwältigende Mehrheit von Philosophen bestimmte AnÂ�sichten vertreten hat. Sie haben gesagt, dass (1) kein Teil der Sinnesdaten, die ich jemals direkt erfasse, ist oder existiert, außer zu dem Zeitpunkt, in dem ich ihn direkt erfasse; dass (2) kein Teil der Sinnesdaten, die ich jemals direkt erfasse, jemals von irgendjemand anderem direkt erfasst wird; und dass (3) kein Teil der Sinnesdaten, die ich jemals direkt erfasse, sich im gleichen Raum wie ein Teil jener Sinnesdaten befindet, die von jemand anderem direkt erfasst werden. Indem ich sagte, dass sie sich nicht im gleichen Raum befinden, meinte ich wie immer, dass sie sich weder im gleichen Raum noch in einer Entfernung und einer Richtung zu irgendeiÂ�nem anderen befinden; oder wenn wir von den durch den Sinn gegebenen Räumen selbst sprechen, müssen wir sagen, dass kein Teil meines durch den Sinn gegebenen Raumes der gleiche Teil des Raumes ist wie irgendein Teil eines durch den Sinn gegebenen Raumes eines anderen bzw. sich in einer Entfernung und Richtung zu einem solchen Teil befindet. Diese drei Auffassungen sind zusammengenommen die anerkannte Ansicht hinsichtÂ�lich der Sinnesdaten, obwohl sie selbstverständlich nicht vollständig von allen geteilt wird. Es wird oftmals gesagt, dass alle Sinnesdaten nur im Geist der Person, die sie erfasst, existieren oder dass Sinnesdaten keine externen Objekte sind. Ich denke, dass man dies durchaus auf diese Art ausdrücken kann, obwohl, wenn man diese Ausdrücke benutzt, auch etwas anderes gemeint sein kann, das man eher in Zweifel ziehen kann als diese drei Auffassungen. Wir können nun sagen, dass es die anerkannte Ansicht ist und schon lange gewesen ist, dass alle Sinnesdaten nur im Bewusstsein der Person existieren, die sie direkt erfasst, oder dass sie keine externen Objekte sind. Mit diesen Formulierungen werden nur die drei Auffassungen gemeint, die ich oben genauer zu beschreiben versucht habe. Ich möchte aus zwei Gründen, dass Sie Ihr Augenmerk auf diese anerkannte Ansicht richten und dass Sie sich diese so klar wie möglich vor Augen führen. Erstens, weil es mir scheint, dass viele der bedeutendsten Theorien von Phi-

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losophen, die sich am weitesten vom gesunden Menschenverstand entfernt haben, auf dieser Ansicht aufbauen. Hätte man nicht diese Ansicht erdacht, würde kein Philosoph jemals daran gedacht haben, die Existenz der Materie zu verneinen und andere Dinge anstatt ihrer hervorzubringen. Und zweitens denke ich, dass philosophische Theorien, die auf dieser Ansicht aufbauen, nicht schlecht daran tun. Anders gesagt, ich denke, es gibt wirklich sehr überzeugende Argumente zugunsten dieser Ansicht – Argumente der Art, die ich Ihnen darzulegen versucht habe. Und obwohl mir diese Argumente nicht völlig schlüssig erscheinen, sind sie doch so substanziell, dass niemand von uns wirklich sicher sein kann, ob diese anerkannte Ansicht nicht zutrifft. Falls jemand von Ihnen schlüssigere Argumente findet, die entweder für und gegen sie sprechen, wäre ich nur zu froh, diese zu hören. Die Frage, ob diese anerkannte Ansicht hinsichtlich der Sinnesdaten zutrifft oder nicht, kann gewiss als eines der Hauptprobleme der Philosophie bezeichnet werden. Aber nun müsste ich vielleicht erklären, dass einige Philosophen, die ich zuvor zu den Vertretern dieser Ansicht gezählt habe, ihr vielleicht nicht ganz in der uneingeschränkten Form, in der ich sie dargelegt habe, zustimmen. Deshalb möchte ich jetzt diese möglichen Einschränkungen um der Genauigkeit willen erläutern. Sie können nur dazu dienen, das allgemeine Wesen dieser Ansicht und die unglaubliche Bandbreite an Tatsachen, auf die man sie anwenden sollte, genauer herauszuarbeiten. Die erste Einschränkung ist folgende: Es gibt einige Philosophen, die behauptet haben, dass Sinnesdaten nur im Geist existieren, nicht nur, wenn ich sie direkt erfasse, sondern auch oftmals, wenn ich sie nicht direkt erfasse; dies gilt natürlich für jeden von uns. Ich denke, dass diese Philosophen auch behaupten könnten (ich bin mir aber nicht sicher, ob sie es auch tun würden), dass das gleiche Sinnesdatum, das ich zu einem Zeitpunkt direkt erfasse, in meinem Verstand fortfährt zu existieren, selbst wenn ich aufgehört habe, es direkt zu erfassen, und dass dies sehr oft geschehen könnte. Daraus würde folgen, dass es Ausnahmen von der ersten der drei Regeln gäbe, möglicherweise viele Ausnahmen; einige Sinnesdaten, die ich direkt erfasse, könnten fortfahren zu existieren, auch wenn ich sie nicht direkt erfasse. Aber die Philosophen, an die ich denke, würden gewiss der Meinung sein, dass dies, falls es überhaupt geschieht, nur in meinem Verstand geschehen kann: kein Sinnesdatum, das ich jemals erfasse, kann existieren, nachdem ich aufgehört habe, es zu erfassen, außer in meinem Verstand. Sie würden weiterhin behaupten, dass die beiden anderen Regeln genauso auf diese Sinnesdaten – Sinnesdaten, die in meinem Verstand existieren, wenn ich sie nicht direkt erfasse – wie auf jene Sinnesdaten,

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die ich direkt erfasse, zutreffen: Niemand anderes kann sie direkt erfassen, und sie können nicht am gleichen Ort wie die Sinnesdaten sein, die im Verstand einer anderen Person sind. Sie sehen jetzt, dass diese Einschränkung, obwohl sie viele Ausnahmen zu meiner ersten Regel zulässt, wenn man es genau nimmt, für unsere gegenwärtige Absicht doch nicht sehr wichtig ist. Die zweite Einschränkung ist folgende: Einige Philosophen würden annehmen, dass in einigen anormalen Fällen der Verstand von zwei oder mehreren verschiedenen Personen mit oder in dem gleichen lebenden, menschlichen Körper verbunden ist und dass in solchen Fällen diesen verschiedenen Personen es möglich sein könnte, die gleichen Sinnesdaten zu erfassen; und sie würden vielleicht auch sagen, dass dies, welches nur in anormalen Fällen in lebenden, menschlichen Körpern auftritt, fortwährend im Fall eines anderen Verstands im Universum geschehen könnte. Dies würde selbstverständlich Ausnahmen, vielleicht auch viele Ausnahmen hinsichtlich meiner zweiten und dritten Regel hervorrufen. Aber auch bei dieser Einschränkung denke ich, dass sie für unsere gegenwärtige Absicht unwichtig ist. Denn diese Philosophen würden zustimmen, dass im Fall unseres Verstandes, der normale, menschliche Verstand eines jeden von uns, der nur mit einem lebenden, menschlichen Körper verbunden ist, keine Ausnahmen von diesen beiden Regeln auftreten. Mit diesen Einschränkungen ist es möglich zu sagen, dass meine drei Regeln hinsichtlich der Sinnesdaten vom Großteil der Philosophen anerkannt werden. Und diese Einschränkungen, so denke ich, dienen nur dazu, die außergewöhnliche Bandbreite an Tatsachen zu verdeutlichen, auf die diese drei Regeln angewendet werden sollen. Sie sollen auf alle Sinnesdaten angewendet werden, die vom menschlichen Verstand direkt erfasst werden, und der, wie unserer, mit einem bestimmten lebenden, menschlichen Körper verbunden ist, mit der möglichen Ausnahme, dass Sinnesdaten, die zu einem Zeitpunkt durch den Verstand einer Person direkt erfasst werden, in dem Verstand dieser Person existieren können, selbst wenn sie von ihm nicht direkt erfasst werden. Falls diese anerkannte Ansicht zutrifft, folgt nun, wie ich gesagt habe, falls wir jemals ein materielles Objekt oder einen Teil von ihm wahrnehmen und falls wir alle jetzt das gleiche materielle Objekt wahrnehmen – falls wir zum Beispiel alle den gleichen Umschlag hier sehen – dass dieses Ereignis nicht nur aus der Tatsache besteht, dass wir bestimmte Sinnesdaten direkt erfassen: Es muss zum Teil auch aus etwas anderem bestehen. Denn gemäß der anerkannten Ansicht kann kein Teil der Sinnesdaten, die jeder Einzelne

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von uns direkt erfasst, weder Teil eines materiellen Objekts sein noch Teil des Raumes, der durch ein materielles Objekt eingenommen wird. Ebenso kann kein Teil der Sinnesdaten, die jeder Einzelne von uns direkt erfasst, mit einem Teil jener Sinnesdaten übereinstimmen, die ein anderer von uns direkt erfasst. Falls ich also jemals ein materielles Objekt wahrnehme, muss etwas anderes neben der Tatsache geschehen, dass ich bestimmte Sinnesdaten direkt erfasse. Und ich habe am Schluss meines letzten Vortrags versucht, einen kurzen Abriss darüber zugeben, was dieses Etwas sein könnte. Aber ich sagte auch, dass ich versuchen wollte, zu Beginn dieses Vortrags ausführlicher zu erklären, was dieses Etwas sein könnte; dies ist, was ich nun tun werde. Leider benötigt diese Erklärung mehr Zeit, als ich dachte. Anstatt nur den Beginn dieses Vortrags in Anspruch zu nehmen, wird sie den ganzen Vortrag in Anspruch nehmen. Und es wird mir auch nicht möglich sein, das abzuschließen, was ich darüber in diesem Vortrag sagen wollte: Ich werde einen Teil des Themas für das nächste Mal aufheben müssen. Ich möchte so klar wie möglich herausarbeiten, welcher Art das Wissen von materiellen Objekten mittels der Sinne sein kann, falls es nicht nur aus dem direkten Erfassen von Sinnesdaten besteht. Ich denke, am Ende wird der kürzeste und eindeutigste Weg, dieses zu tun, jener sein, der versucht, alle verschiedenen Arten darzulegen, die wir haben, um Dinge zu wissen: verschiedene Arten von Dingen zu unterscheiden, von denen man sagen kann, dass es Weisen sind, etwas zu wissen, und sie unterschiedlich zu benennen. Und ich denke, es ist am besten, Sie zuerst auf eine vollkommen neue Klasse von Tatsachen aufmerksam zu machen – ein Klasse von Tatsachen, die ich bis jetzt noch nicht erwähnt habe. Tatsache ist, dass wirklich der gesamte Inhalt des Universums, wirklich alles, was überhaupt ist, in zwei Klassen eingeteilt werden kann – in Propositionen einerseits und in Dinge, die keine Propositionen sind, andererseits. Im Universum gibt es gewiss solche Dinge wie Propositionen. Die Art von Dingen, die ich mit Propositionen meine, ist gewiss eines der Dinge, die sind. Und ebenso gibt es im Universum gewiss einige Dinge, die keine Propositionen sind. Und ganz gewiss ist alles im Universum entweder eine Proposition oder keine, wenn wir den Begriff „Proposition“ auf folgende, sehr bestimmte Weise einschränken: Denn absolut nichts kann zugleich eine ganz bestimmte Eigenschaft haben und auch eben diese Eigenschaft nicht haben. Daher ist diese Klassifizierung aller Dinge im Universum in jene, die Propositionen sind, und jene, die es nicht sind, sicher richtig und vollständig. Aber auf den ersten Blick könnte es scheinen, als wäre es eine unglei-

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che Klassifizierung; als ob die Anzahl der Dinge im Universum, die keine Propositionen sind, sehr viel größer wäre als die jener, die es sind. Selbst dies kann, wie wir sofort sehen werden, in Frage gestellt werden. Ob es nun so ist oder nicht, die Klassifizierung ist keineswegs unausgeglichen, wenn wir, anstatt all das zu betrachten, was im Universum ist, alle jene Dinge im Universum betrachten, von denen wir wissen. Wie auch immer es mit dem Universum selbst sein mag, so ist es gewiss, dass ein sehr großer und wichtiger Teil unseres Wissens über das Universum aus dem Wissen besteht, dass Propositionen wahr sind. Die neue Klasse von Tatsachen, auf die ich Sie aufmerksam machen möchte, sind bestimmte Tatsachen über Propositionen und über unser Wissen von ihnen. Zunächst möchte ich so deutlich, wie ich kann, erklären, was ich genau mit „Proposition“ meine. Das, was ich mit „Proposition“ meine, ist etwas, wie ich bereits gesagt habe, das gewiss vorhanden ist. Es gibt bestimmte Dinge im Universum, die die Eigenschaften haben, die ich dem zuschreiben werde, was ich als Proposition bezeichne. Und wenn ich etwas als Proposition bezeichne, werde ich diesem wirklich keine Eigenschaft zuschreiben, außer ganz bestimmten, die einige Dinge mit Sicherheit haben. Es mag Zweifel und Streit darüber geben, ob diese Dinge bestimmte andere Eigenschaften als die, die ich ihnen zuschreibe, haben oder nicht haben; und ob das, was ich mit Proposition meine, genau dasselbe ist, wie es üblicherweise verstanden wird. Aber hinsichtlich der Tatsache, dass einige Dinge Propositionen in dem Sinne sind, in dem ich beabsichtige, das Wort zu verwenden, gibt es keinen Zweifel. Zunächst meine ich mit Proposition nicht jene Ansammlungen von Wörtern, die im Allgemeinen Proposition genannt werden. Was ich mit Proposition meine, ist vielmehr das, was diese Ansammlungen von Wörtern ausdrüÂ� cken. Keine Ansammlung von Wörtern kann in dem Sinne eine Proposition sein, in dem ich beabsichtige, diesen Begriff zu verwenden. Wann immer ich von einer Proposition spreche, werde ich nicht von dem bloßen Satz – einer bloßen Ansammlung von Wörtern – sprechen, sondern immer von dem, was diese Wörter meinen. Mit Proposition meine ich keine Ansammlung von Wörtern. Und das, was ich meine, kann am besten wie folgt beschrieben werden. Ich werde jetzt einige Wörter sagen, die einen Satz bilden; zum Beispiel: Zwei mal zwei ist vier. Wenn ich diese Wörter sage, hören Sie sie – die Wörter – nicht nur, sondern verstehen auch, was sie meinen. Das heißt, etwas geschieht in Ihrem

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Verstand – ein Bewusstseinsakt – über das Hören der Wörter hinaus, ein Bewusstseinsakt, der Verstehen der Bedeutung genannt werden kann. Aber jetzt werde ich eine andere Zusammenstellung von Wörtern sagen, die auch einen Satz bilden: Zwei mal vier ist acht. Auch hier hören Sie nicht nur diese Wörter, sondern führen auch einen Bewusstseinsakt durch, der als das Verstehen ihrer Bedeutung bezeichnet werden kann. Wir haben hier nun zwei Bewusstseinsakte, jeder von ihnen kann als ein Erfassen der Bedeutung von bestimmten Wörtern bezeichnet werden. Einer von ihnen war das Erfassen der Bedeutung der Wörter: Zwei mal zwei ist vier; der andere das Erfassen der Bedeutung der Wörter: Zwei mal vier ist acht. Beide Bewusstseinsakte sind in Bezug auf die Tatsache gleich, dass jeder von ihnen das Erfassen der Bedeutung einer bestimmten Zusammenstellung von Wörtern ist, die einen Satz bilden. Jeder von ihnen ist ein Erfassen der Bedeutung eines Satzes; und jeder von ihnen ist ein Erfassen genau in dem gleichen Sinne: Sie sind offensichtlich in diesem Sinne genau gleich. Aber sie unterscheiden sich auch in Bezug auf die Tatsache, dass das, was in dem einen Fall erfasst wird, sich von dem unterscheidet, was im anderen erfasst wird. In dem einen Fall ist das, was erfasst wird, die Bedeutung der Wörter: Zwei mal zwei ist vier; im anderen Fall ist das, was erfasst wird, die Bedeutung der Wörter: Zwei mal vier ist acht. Die Bedeutung der ersten Zusammenstellung von Wörtern unterscheidet sich offensichtlich von der zweiten. Nun haben wir zwei Akte des Erfassens, die hinsichtlich der Tatsache genau gleich sind, dass sie Akte des Erfassens sind und auch Akte des Erfassens von genau der gleichen Art; aber die sich hinsichtlich der Tatsache unterscheiden, dass das, was erfasst wird, unterschiedlich ist. Nun meine ich mit Proposition das, was in den beiden Fällen erfasst wird. Die beiden Bewusstseinsakte unterscheiden sich in Bezug auf die Tatsache, dass das, was in dem einen erfasst wird, sich von dem unterscheidet, was in dem anderen erfasst wird. Und was in jedem der Fälle erfasst wird, ist das, was ich mit Proposition meine. Wir können nun sagen, dass die beiden Akte des Erfassens sich in der Tatsache unterscheiden, dass der eine ein Erfassen einer Proposition ist und der andere ein Erfassen einer anderen Proposition. Und wir können auch sagen, dass die Proposition, die in dem einen Fall erfasst wird, die Proposition ist, dass zwei mal zwei vier ist – nicht die Wörter, zwei mal zwei ist vier, sondern die Bedeutung dieser Wörter; und die Proposition, die in dem anderen Fall erfasst wird, ist die Proposition, dass zwei mal vier acht ist – auch hier nicht die Wörter, zwei mal vier ist acht, sondern die Bedeutung dieser Wörter.

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Dies ist nun das, was ich mit Proposition meine. Und ob Sie nun zustimmen oder nicht, ob dies eine angemessene Verwendung des Wortes ist, so hoffe ich doch, es ist offensichtlich, dass es gewiss Dinge gibt, die Propositionen in diesem Sinne sind. Und daher ist es, so denke ich, eine der Bedeutungen, in denen das Wort im Allgemeinen verwendet wird. Ohne Zweifel können wir mit Proposition oft einen Satz meinen – eine Ansammlung von Wörtern; aber oftmals meinen wir auch nicht die Wörter, sondern ihre Bedeutung. Auf diese Art werde ich nun das Wort „Proposition“ verwenden. Und ich hoffe, es ist offensichtlich, dass es gewiss Dinge gibt, die Propositionen in diesem Sinne sind. Ich denke, es ist offensichtlich, wenn wir die Bedeutung eines Satzes verstehen, dass etwas anderes neben dem bloßen Hören der Wörter, aus denen der Satz zusammengesetzt ist, in unseren Verstand vorgeht. Sie können dies leicht überprüfen, indem Sie das vergleichen, was passiert, wenn Sie einen Satz hören, den Sie verstehen, mit dem, was passiert, wenn Sie einen Satz hören, den Sie nicht verstehen; wenn Sie zum Beispiel Wörter aus einer fremden Sprache hören, die Sie nicht verstehen. Im ersten Fall tritt selbstverständlich, neben dem bloßen Hören der Wörter, ein Bewusstseinsakt auf – ein Erfassen ihrer Bedeutung; dieses fehlt im zweiten Fall. Und es ist nicht weniger offensichtlich, dass das Erfassen einer Bedeutung eines Satzes mit einer Bedeutung sich von dem Erfassen eines anderen Satzes mit einer anderen Bedeutung unterscheidet. So unterscheidet sich natürlich das Erfassen der Bedeutung des Satzes „Zwei mal zwei ist vier“ von dem Erfassen der Bedeutung des Satzes „Zwei mal vier ist acht“. Sie unterscheiden sich gewiss hinsichtlich der Tatsache, dass das eine das Erfassen einer Bedeutung und das andere ein Erfassen einer anderen Bedeutung ist. Es gibt gewiss solche Dinge wie die beiden unterschiedlichen, erfassten Bedeutungen. Und jede dieser beiden Bedeutungen ist das, was ich eine Proposition nenne. Indem ich sie derart bezeichne, möchte ich nichts über die Art aussagen, in der sie mit dem Erfassen von ihnen verbunden sind. Alles was ich sagen möchte, ist einfach, dass jede von ihnen etwas ist, das vom Akt des Erfassens, in dem sie erfasst werden, unterschieden werden kann und muss. Jeder Akt des Erfassens ist hinsichtlich der Tatsache gleich, dass es ein Akt des Erfassens ist und ein Akt des Erfassens der gleichen Art. Aber sie unterscheiden sich darin, dass einer das Erfassen einer Proposition ist und der andere das Erfassen einer anderen Proposition. Daher kann und muss jede Proposition zugleich von der anderen Proposition und dem Akt, in dem sie erfasst wird, unterschieden werden.

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Aber nun, wenn wir das Wort „Proposition“ in diesem Sinne verwenden, ist es offensichtlich, dass wir mehrere, verschiedene Dinge über Propositionen und das Erfassen von ihnen sagen können. Zuerst ist es offensichtlich, dass wir eine Proposition in genau dem gleichen Sinn in drei unterschiedlichen Fällen erfassen können. Wenn wir bestimmte Wörter hören und ihre Bedeutung verstehen, können wir drei verschiede Dinge tun: Wir können der Proposition, die die Wörter vermitteln, glauben, wir können ihr nicht glauben, oder wir können einfach verstehen, was die Wörter meinen, ohne der Proposition zu glauben oder ihr nicht zu glauben. Bei all diesen drei Fällen erfassen wir die entsprechende Proposition in genau dem gleichen Sinn: Wir verstehen die Bedeutung der Wörter. Der Unterschied zwischen den drei Fällen besteht nur in der Tatsache, , dass wir auch etwas anderes neben dem Erfassen der Proposition tun, wenn wir glauben oder nicht glauben: Neben dem bloßen Erfassen von ihr haben wir auch eine Haltung ihr gegenüber, die Glauben genannt wird, oder eine andere Haltung, die Nichtglauben genannt wird. Einer Proposition zu glauben, ihr nicht zu glauben oder sie einfach nur zu verstehen in dem Sinn, in dem wir diese Dinge tun, wenn wir Wörter hören, die eine Proposition ausdrücken, besteht folglich, zumindest teilweise, aus dem Erfassen der Proposition in genau dem gleichen Sinn. In allen diesen drei Fällen erfassen wir eine Proposition in genau dem gleichen Sinn, obwohl wir auch etwas anderes tun, wenn wir glauben oder nicht glauben. Dieser Sinn, in dem wir eine Proposition erfassen, ist offensichtlich eine Bedeutung des Wortes „Erfassen“; und es ist diese Bedeutung, auf die ich Sie aufmerksam machen möchte, da ich nun mehr über sie sagen möchte. Ein Sachverhalt hinsichtlich der Propositionen und unseres Erfassens von ihnen ist, dass es eine bestimmte Art des Erfassens von ihnen gibt, welche gleichermaßen auftritt, wenn wir einer Proposition glauben, ihr nicht glauben oder sie bloß verstehen, wenn wir gesprochene Wörter hören, die sie ausdrücken. Ein zweiter Sachverhalt ist folgender. Es ist auch offensichtlich, dass wir oft Propositionen in genau dem gleichen Sinn erfassen, wenn wir – anstatt Wörter zu hören, die sie ausdrücken – geschriebene oder gedruckte Wörter sehen, die sie ausdrücken – natürlich vorausgesetzt, dass wir lesen können und die Sprache verstehen, zu der die Wörter gehören. Dieses Verstehen der Bedeutung von geschriebenen oder gedruckten Sätzen, das auftritt, wenn wir sie tatsächlich lesen, ist offensichtlich ein Erfassen von Propositionen in genau dem gleichen Sinn wie das Verstehen von Sätzen, die wir hören. Aber

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genauso wie wir Propositionen in diesen beiden Fällen in dem gleichen Sinn erfassen – ob wir gesprochene Sätze, die sie ausdrücken, hören oder diese Sätze geschrieben oder gedruckt sehen – so erfassen wir auch offensichtlich Propositionen in genau dem gleichen Sinn, wenn wir weder Wörter hören noch sehen, die sie ausdrücken. Wir denken fortwährend an Propositionen, glauben ihnen oder nicht oder denken über sie nach, wenn wir weder Wörter, die sie ausdrücken, hören noch sehen; und wenn wir dies tun, erfassen wir sie sehr oft in genau dem gleichen Sinn, in dem wir sie erfassen, wenn wir die Bedeutung von geschriebenen oder gesprochenen Sätzen verstehen. Wenn wir Propositionen so erfassen, ohne Wörter, die sie ausdrücken, zu hören oder zu sehen, haben wir zweifellos oft Abbilder von Wörtern, die sie ausdrücken würden, vor unserem geistigen Auge. Aber es ist ebenso möglich, dass wir Propositionen in dem gleichen Sinn erfassen können, ohne irgendein Abbild von Wörtern, die sie ausdrücken würden, vor unserem geistigen Auge zu haben. Wir können so eine Proposition erfassen, die wir auszudrücken wünschen, bevor es uns möglich ist, an einen Satz zu denken, der sie ausdrücken würde. Wir erfassen eine Proposition und möchten sie ausdrücken, aber keines der Worte, die wir uns vorstellen können, drückt genau die Proposition aus, die wir erfassen und vermitteln möchten. Unser zweiter Sachverhalt hinsichtlich Propositionen und unserem Erfassen von ihnen ist folgender: In genau dem gleichen Sinn, in dem wir sie erfassen, wenn wir bestimmte Wörter gesprochen hören und ihre Bedeutung verstehen, erfassen wir sie auch oft, wenn wir Wörter weder sehen noch hören, die sie ausdrücken, und wahrscheinlich auch oft, ohne Abbilder von Wörtern, die sie ausdrücken würden, vor unserem geistigen Auge zu haben. Ein dritter Sachverhalt ist folgender: Die Propositionen, die wir in diesem Sinn und in all diesen verschiedenen Fällen erfassen, sind offensichtlich eine ganz unterschiedliche Art von Ding als viele der Dinge, die wir erfassen. Wenn ich zum Beispiel ein Sinnesdatum –€z.€B. eine Stelle mit Farbe€– direkt erfasse, ist die Stelle mit Farbe offensichtlich nicht das Gleiche wie die Propositionen, von denen wir gesprochen haben: Sie, die Stelle mit Farbe, ist selbst keine Proposition. Die deutlichste Weise, den Unterschied zwischen einer Proposition und dem, was keine Proposition ist, aufzuzeigen, besteht darin, dass eine Proposition die Art von Ding ist, die gewöhnlich durch einen ganzen Satz ausgedrückt wird. Ich sage die Art von Ding, da wir viele Propositionen erfassen können, die tatsächlich nicht ausgedrückt werden. Und ich sage, die gewöhnlich durch einen ganzen Satz ausgedrückt werden; da ich nicht sicher bin, ob einige ganze Sätze überhaupt eine Proposition

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ausdrücken, z.€B. ein Imperativsatz wie „Geh weg“; und weil auch Propositionen manchmal durch ein einzelnes Wort ausgedrückt werden. Wenn ein Mann zum Beispiel „Feuer“ ruft, drückt er eine Proposition aus, die durch einen ganzen Satz ausgedrückt werden könnte: Hier brennt es. Aber wenn wir sagen, dass eine Proposition die Art von Ding ist, die gewöhnlich durch einen ganzen Satz ausgedrückt wird, verweisen wir sehr deutlich auf das, was eine Proposition ist. Dinge, die keine Propositionen sind, werden normalerweise, falls überhaupt, durch einzelne Wörter oder eine Ansammlung von Wörtern ausgedrückt, die keine kompletten Sätze bilden. Nehmen wir nun an, ich äußere den Satz: Diese Stelle mit Farbe, die ich jetzt sehe, existiert. Man kann vielleicht sagen, dass ein Teil dieses Satzes, nämlich die Wörter „diese Stelle mit Farbe, die ich jetzt sehe“, diese Stelle mit Farbe „ausdrückt“ oder erwähnt, die ich jetzt direkt erfasse und die keine Proposition ist. Und offensichtlich bildet diese bestimmte Wortgruppierung, die diese Farbe erwähnt, selbst keinen kompletten Satz: Die Wörter „diese Stelle mit Farbe, die ich jetzt sehe“ sind selbst kein kompletter Satz. Und genauso, während jeder komplette Satz, wann immer wir einen kompletten Satz äußern, als Regel eine Proposition ausdrückt, drücken einige Wortgruppierungen, aus denen er gebildet ist, etwas aus, das keine Proposition ist. Betrachten Sie zum Beispiel wieder den Satz: „Zwei mal zwei ist vier.“ Wie wir gesehen haben, drückt dieser gesamte Satz eine Proposition aus. Aber wenn wir ein Wort nehmen, aus dem er gebildet wird, z.€B. das Wort „zwei“, bildet dieses Wort selbst keinen kompletten Satz und drückt auch keine Proposition aus. Aber es drückt etwas aus. Was wir mit dem Wort „zwei“ meinen, ist sicherlich etwas. Daher ist es – es ist etwas, und es ist doch keine Proposition. Wann immer wir eine Proposition erfassen, erfassen wir in der Tat immer auch Dinge, die keine Propositionen sind; nämliche Dinge, die durch einige der Wörter ausgedrückt werden, aus denen der gesamte Satz gebildet ist, der die Proposition ausdrückt. Folglich besteht ein dritter Sachverhalt hinsichtlich Propositionen und unserem Erfassen von ihnen darin, dass Propositionen keineswegs die einzige Art von Dingen sind, die wir erfassen, sondern dass wir, wann immer wir eine Proposition erfassen, auch immer etwas erfassen, das keine Proposition ist. Ein vierter Sachverhalt hinsichtlich Propositionen ist folgender: Propositionen sind offensichtlich – in dem Sinne, in dem ich den Begriff verwendet habe – eine Art von Ding, von dem gesagt werden kann, dass es wahr oder falsch ist. Einige Propositionen sind wahre Propositionen, andere falsche. Ich

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erwähne dies, da einige Philosophen dazu neigen zu sagen, dass von nichts wirklich gesagt werden kann, es sei wahr oder falsch, außer einem Akt des Glaubens; dass daher von Propositionen, da sie keine Akte des Glaubens sind, dies nicht behauptet werden kann. Ich möchte hier nicht leugnen, dass von einem Akt des Glaubens nicht gesagt werden könne, dass er wahr oder falsch sei, obwohl man, wie ich denke, dies anzweifeln kann. Zweifelsohne sprechen wir von wahren oder falschen Ansichten11; sodass auf jeden Fall von Ansichten gesagt werden kann, dass sie wahr oder falsch seien. Aber Tatsache ist, dass wir das Wort „Glaube“, wie so viele andere Wörter auch, mit zwei verschiedenen Bedeutungen verwenden: Zweifellos meinen wir manchmal mit Glaube einen Akt des Glaubens, aber sehr oft meinen wir damit einfach eine Proposition, die geglaubt wird. Zum Beispiel sagen wir oft von zwei Personen, dass sie denselben Glauben teilen. Und hier, so denke ich, meinen wir gewiss nicht, dass ein Akt des Glaubens, der von der einen Person vollzogen wird, der gleiche Akt ist wie ein Akt des Glaubens, der von der anderen Person vollzogen wird. Die zwei Akte des Glaubens sind gewiss verschieden – numerisch verschieden: Der eine Akt ist der Akt einer Person, der andere ist der Akt einer anderen Person. Und wir möchten gewiss nicht behaupten, dass diese beiden Akte identisch sind – dass sie nicht zwei Akte sind, sondern ein und derselbe Akt. Was wir meinen, wenn wir sagen, dass zwei Personen den gleichen Glauben teilen, ist, dass das, was in beiden der zwei unterschiedlichen Akte geglaubt wird, gleich ist: Wir meinen mit Glauben tatsächlich nicht den Akt des Glaubens, sondern das, was geglaubt wird; und das, was geglaubt wird, ist schlicht nichts anderes als das, was ich als Proposition bezeichne. Aber lassen Sie uns annehmen, von Akten des Glaubens könne gesagt werden, dass sie wahr oder falsch sind. Selbst wenn dies der Fall wäre, scheinen wir doch zugeben zu müssen, dass Propositionen in dem Sinn, den ich dem Begriff zugeschrieben habe, auch als wahr oder falsch bezeichnet werden können – aber in einem anderen Sinn. Denn was ich mit einer Proposition meine, ist einfach das, hinsichtlich dessen sich ein Akt des Glaubens, der ein wahrer Akt ist, von einem anderen unterscheidet, der ein falscher Akt ist; oder das, hinsichtlich dessen sich zwei qualitativ unterschiedliche Akte des Glaubens, die beide wahr oder beide falsch sind, voneinander unterscheiden. Und offensichtlich kann die Qualität, aufgrund deren ein Akt des Glaubens wahr ist und ein anderer falsch, nicht die Qualität sein, die beide gemeinsam haben: Es kann nicht die Tatsache sein, dass sie beide 11

Im Engl. belief [Anm. d. Übers.].

Propositionen

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Akte des Glaubens sind; wir können nicht sagen, dass der eine wahr ist, nur weil er ein Akt des Glaubens ist, und der andere falsch, weil er ein Akt des Glaubens ist. Was den einen wahr und den anderen falsch macht, muss das sein, hinsichtlich dessen sie sich unterscheiden; und das, hinsichtlich dessen sie sich unterscheiden – was es auch sein mag – ist genau das, was ich mit der Proposition meine, die in jedem von ihnen erfasst wird. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass von nichts außer einem Akt des Glaubens gesagt werden kann, dass er wahr oder falsch sei in einem Sinn dieser Worte, müssen wir daher auch davon ausgehen, dass es einen entsprechenden Sinn gibt, in dem Propositionen wahr oder falsch sind. Jeder wahre Akt des Glaubens besteht teilweise aus dem Erfassen einer Proposition; und jeder falsche Akt des Glaubens besteht teilweise auch aus dem Erfassen einer Proposition. Und eine Proposition, die durch einen wahren Akt des Glaubens erfasst wird, muss sich von einer Proposition unterscheiden, die durch einen falschen Akt des Glaubens erfasst wird. Folglich müssen alle Propositionen, die durch wahre Akte des Glaubens erfasst werden, eine gemeinsame Eigenschaft haben, die jene nicht haben, die durch falsche Akte des Glaubens erfasst werden. Und es gibt keinen Grund, warum wir diese Eigenschaft nicht „Wahrheit“ nennen sollten; und entsprechend die Eigenschaft, die alle Propositionen, die durch falsche Akte des Glaubens erfasst werden, „Unwahrheit“. Propositionen sind folglich etwas, das als wahr oder falsch bezeichnet werden kann. Und dies zeigt uns einen Weg auf, das, was eine Proposition ist, von dem zu unterscheiden, was keine Proposition ist; da nichts, was keine Proposition ist, genau in dem gleichen Sinn wahr oder falsch sein kann, in dem eine Proposition wahr oder falsch ist. Es gibt tatsächlich zwei andere Bedeutungen der Wörter „wahr“ und „falsch“, die sich an jene anlehnen, in denen Propositionen wahr oder falsch sind. Falls man überhaupt von Akten des Glaubens sagen kann, dass sie wahr oder falsch sind, gibt es zunächst den Sinn, in dem ein Akt des Glaubens wahr oder falsch ist. Ein Akt des Glaubens ist wahr genau dann, wenn die Proposition, die in ihm geglaubt wird, wahr ist; und er ist falsch,genau dann, wenn die Proposition, die in ihm geglaubt wird, falsch ist. Oder anders gesagt: Eine Proposition ist wahr genau dann, wenn ein Akt des Glaubens, der ein Glaube in ihr war, ein wahrer Akt des Glaubens ist; und eine Proposition ist falsch genau dann, wenn ein Akt des Glaubens, der ein Glaube in ihr war, falsch ist. Ich sage hier nicht, welche dieser beiden Arten die bessere ist, um den Sachverhalt darzulegen; d.€h. ob der Sinn, in dem Akte des Glaubens wahr oder falsch sind, in Bezug auf den Sinn, in dem Propositionen wahr oder falsch sind, definiert werden sollte,

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oder ob der Sinn, in dem Propositionen wahr oder falsch sind, in Bezug auf den Sinn, in dem Akte des Glaubens wahr oder falsch sind, definiert werden sollte. Ich sage nicht, welche dieser beiden Bedeutungsarten grundlegender ist; und es scheint mir nicht, dass dieses viel zum Thema beiträgt. Was ganz gewiss ist, dass es zwei Bedeutungsarten gibt, aber auch dass jede mit Bezug auf die andere definiert werden kann. Eine Bedeutung der Wörter wahr und falsch neben der, in der Propositionen wahr oder falsch sind, ist die Bedeutung, in der Akte des Glaubens wahr oder falsch sind. Und es gibt offensichtlich auch einen anderen Sinn der Wörter, der, obwohl von diesen beiden verschieden, zu beiden gleichermaßen in engem Bezug steht. Nämlich der Sinn, in dem jede Wortgruppierung – z.€B. jeder Satz – der eine wahre Proposition ausdrückt, wahr ist; und jede Wortgruppierung, die eine falsche Proposition ausdrückt, falsch ist. Oder wieder anders gesagt: Jede Proposition, die solcherart ist, dass jede verbale Aussage, die sie ausdrückt, eine wahre Aussage sein würde, ist wahr; und jede Proposition, die solcherart ist, dass jede verbale Aussage, die sie ausdrückt, eine falsche Aussage sein würde, ist falsch. Daher können wir sagen, dass ein anderer Sinn der Wörter wahr und falsch jener ist, in dem alles, was eine wahre Proposition ausdrückt, wahr ist; und alles, was eine falsche Proposition ausdrückt, falsch ist. Und es ist offensichtlich, dass in diesem Sinn nicht nur Wörter wahr oder falsch sein können, sondern auch andere Dinge, z.€B. Gebärden. Wenn jemand Sie zum Beispiel fragt: „Wo ist meine Schere?“ Und Sie antworten, indem Sie auf eine bestimmte Stelle zeigen, dann drückt Ihre Gebärde – die Gebärde des Zeigens – eine Proposition aus. Indem Sie zeigen, drücken Sie offensichtlich die gleiche Proposition aus, als wenn Sie die Wörter „Ihre Schere ist dort“ gebraucht hätten oder die Stelle, wo sie ist, benannt hätten. Und genau wie die Wörter, die Sie hätten gebrauchen können, wahr oder falsch gewesen wären – je nachdem ob die Proposition, die sie ausgedrückt hätten, wahr oder falsch gewesen wäre – so kann Ihre Gebärde wahr oder falsch sein, je nachdem ob die Schere wirklich dort ist, wo Sie hinzeigen, oder nicht. Es gibt daher drei Bedeutungsarten der Wörter wahr und falsch: Der Sinn, in dem Propositionen wahr oder falsch sind; der Sinn, in dem Akte des Glaubens wahr oder falsch sind, je nachdem ob die Propositionen, die in ihnen geglaubt werden, wahr oder falsch sind; und der Sinn, in dem alles, was eine Proposition ausdrückt, wahr oder falsch ist, je nachdem ob die ausgedrückte Proposition wahr oder falsch ist. Und offenkundig sind diese drei Bedeutungsarten nicht gleich, obwohl jede mit Bezug auf die anderen definiert werden kann; d.€h. weder ein Akt des Glaubens noch ein Ausdruck einer Pro-

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position kann in genau dem gleichen Sinn wahr oder falsch sein, in dem eine Proposition wahr oder falsch ist. Und ich denke, das Gleiche gilt ausnahmslos: Nichts außer einer Proposition kann in genau dem gleichen Sinn wahr oder falsch sein, in dem Propositionen es sind. Aus folgendem Grund wollte ich Sie auf diesen Sachverhalt aufmerksam machen. Einige Menschen scheinen zu glauben, wenn man in seinem Verstand ein Abbild eines Objekts hat, das in bestimmter Hinsicht wie das Objekt ist – eine Kopie des Objekts – dass man, nur weil man dieses Abbild in seinem Verstand hat, sagen kann, eine wahre Vorstellung von dem Objekt zu haben – eine Vorstellung, die wahr ist, insofern das Abbild wirklich wie das Objekt ist. Und sie scheinen zu denken, wenn dies geschieht, dass man eine wahre Vorstellung von dem Objekt hat – in genau dem Sinn, als wenn man eine wahre Proposition von dem Objekt glaubt. Und dies ist, so denke ich, auf den ersten Blick eine sehr natürliche Ansicht. Es ist zum Beispiel natürlich zu denken, nachdem ich diesen Umschlag angesehen habe und wenn ich ein Abbild in meinem Verstand habe (wie ich es tatsächlich habe), das in bestimmter Hinsicht wie die Stelle mit Farbe ist, die ich gerade eben gesehen habe, dass ich eine wahre Vorstellung von der Stelle mit Farbe, die ich gerade gesehen habe, besitze, nur weil ich dieses Abbild direkt erfasse. Es ist nur natürlich, Folgendes anzunehmen: Dieses Abbild nur zu erfassen ist eine wahre Vorstellung (wahr in bestimmter Hinsicht) von der Stelle mit Farbe, die ich gesehen habe, zu haben; und indem ich dieses Abbild erfasse, habe ich eine wahre Vorstellung von der Stelle mit Farbe in genau dem gleichen Sinn, als wenn ich eine wahre Ansicht über die Stelle mit Farbe hätte. Aber es ist leicht zu erkennen, dass diese Sichtweise, so natürlich sie auch ist, völlig falsch ist. Tatsache ist, wenn alles, was mir geschieht, nur das wäre, dass ich ein Abbild direkt erfasst hätte, das tatsächlich wie ein anderes Objekt wäre, man nicht sagen könnte, dass ich irgendeine Vorstellung von diesem anderen Objekt überhaupt habe – irgendeine Vorstellung, ob wahr oder falsch. Nur etwas zu erfassen, das tatsächlich wie etwas anderes ist, ist offensichtlich nicht das Gleiche, wie eine Vorstellung von etwas anderem zu haben. Um eine Vorstellung von etwas anderem zu haben, muss ich nicht nur ein Abbild erfassen, das tatsächlich wie dieses andere ist, ich muss auch entweder wissen oder denken, dass das Abbild wie dieses andere ist. Anders gesagt, ich muss eine Proposition über die Beziehung von Abbild und Objekt erfassen; nur so kann man sagen, dass ich überhaupt eine Vorstellung von dem Objekt habe. Wenn ich eine Proposition über die Beziehung von Abbild und Objekt nun erfasse, kann man sagen, dass ich eine Vorstellung von dem Objekt habe; und wenn ich denke, dass

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das Abbild in der Hinsicht wie das Objekt ist, in der es nicht wie das Objekt ist, dann habe ich eine falsche Vorstellung von dem Objekt; wenn ich aber denke, dass das Abbild in der Hinsicht wie das Objekt ist, in der es tatsächlich wie das Objekt ist, dann habe ich bis zu einem gewissen Grad eine wahre Vorstellung von dem Objekt. Aber wenn ich überhaupt keine Proposition über die Beziehung von Abbild und Objekt erfasse, dann kann man offensichtlich nicht sagen, dass ich überhaupt eine Vorstellung von dem Objekt habe, wie auch immer das Abbild dem Objekt tatsächlich gleichen mag. Zum Beispiel könnte ich mein ganzes Leben lang Abbilder und Sinnesdaten direkt erfassen, die tatsächlich genaue Kopien anderer Dinge sind. Aber angenommen, ich hätte niemals auch nur vermutet, dass es diese anderen Dinge gäbe, von denen meine Abbilder und Sinnesdaten Kopien wären? Angenommen, ich hätte niemals auch nur vermutet, dass es überhaupt andere Dinge neben meinen Sinnesdaten und Abbildern gäbe? Dann könnte man offensichtlich nicht sagen, dass ich überhaupt eine Vorstellung von diesen anderen Dingen hätte – überhaupt eine Vorstellung, ob wahr oder falsch; und das trotz der Tatsache, dass meine Sinnesdaten und Abbilder tatsächlich Kopien dieser anderen Dinge wären. Daher müssen wir sagen, dass das bloße Erfassen von einem Abbild (oder von etwas anderem), das tatsächlich wie ein anderes Objekt ist, aber ohne selbst daran zu denken, dass die beiden sich gleichen, Folgendes nicht ist: eine wahre Vorstellung von einem Objekt in dem Sinn zu haben, als wenn man eine wahre Proposition über das Objekt erfasst. Kein bloßes Abbild oder Sinnesdatum kann entweder eine wahre oder falsche Vorstellung von etwas anderem sein, wie gleich oder ungleich es auch diesem anderen sein mag. Oder wenn man sagen möchte, dass es in dem Sinn eine wahre Vorstellung von einem Objekt ist, wenn es ihm gleicht, und eine unwahre, wenn es ihm nicht gleicht, dann muss man zumindest zugeben, dass es eine wahre Vorstellung in einem ganz unterschiedlichen Sinn ist wie der, in dem eine Proposition über ein Objekt, falls sie wahr ist, eine wahre Vorstellung von ihm ist. Kurz gesagt, nichts kann in dem gleichen Sinn wahr oder falsch sein, in dem Propositionen wahr oder falsch sind, sodass, falls wir niemals eine Proposition erfassen, es uns nicht möglich sein sollte, jemals Fehler zu machen – ein Fehler würde unmöglich sein. Ein Fehler besteht immer darin, eine Proposition zu glauben, die falsch ist. Wenn ein Mensch bloß etwas erfasst, das tatsächlich etwas anderem ungleich ist, aber ohne zu glauben, dass es entweder gleich oder ungleich ist, oder überhaupt etwas anderes darüber zu glauben, ist es nicht möglich, dass er überhaupt einen

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Fehler macht: Er würde niemals eine falsche Meinung vertreten, da er überhaupt niemals eine Meinung vertreten würde. Ich habe diese vier Sachverhalte hinsichtlich Propositionen so ausführlich dargelegt, hauptsächlich um so deutlich wie möglich zu zeigen, welche Art von Ding eine Proposition ist: Über welche Art von Ding ich spreche, wenn ich von einer Proposition spreche. Aber nun komme ich zu zwei Sachverhalten hinsichtlich Propositionen, auf die ich Sie besonders aufmerksam machen möchte. Der erste von ihnen ist folgender. Sie mögen sich erinnern, dass ich Sie auf eine bestimmte Art, Propositionen zu erfassen, aufmerksam gemacht habe: die Art, in der Sie eine erfassen, wenn Sie einen geäußerten Satz hören und seine Bedeutung verstehen; die Art zum Beispiel, in der Sie die Proposition, dass zwei mal zwei vier ist, erfassen, wenn Sie mich sagen hören „Zwei mal zwei ist vier“ und verstehen, was diese Wörter bedeuten. Nun möchte ich dieser Art, eine Proposition zu erfassen, einen speziellen Namen geben, weil, wie wir gleich sehen werden, es auch eine andere, ganz unterschiedliche Art gibt, von der man auch sagen kann, dass sie eine Art ist, Propositionen zu erfassen. Ich möchte daher einen speziellen Namen für diese Art, Propositionen zu erfassen – die Art, von welcher ich bislang gesprochen habe und die ich gerade versucht habe zu definieren – einführen, sodass Sie immer anhand des Namens erkennen, dass es diese Art ist, über die ich spreche, und keine andere. Zu diesem Zweck schlage ich vor diese Art, sie zu erfassen, direktes Erfassen12 von ihnen zu nennen. Aber nun tritt sofort eine Frage auf. Ich habe mit direktem Erfassen bereits etwas anderes benannt. Ich habe mit direktem Erfassen die Beziehung benannt, die man zu der Stelle mit Farbe hat, wenn man sie tatsächlich sieht, die man zu einem Geräusch hat, wenn man es tatsächlich hört, oder zu Zahnschmerzen, wenn man sie tatsächlich fühlt usw. Ich habe gesagt, dass das tatsächliche Sehen einer Farbe das direkte Erfassen dieser Farbe ist, dass das tatsächliche Hören eines Geräuschs das direkte Erfassen dieses Geräuschs ist usw. Daher tritt die Frage auf: Ist die Beziehung zu einer Proposition, für die ich soeben den Namen „direktes Erfassen einer Proposition“ vorgeschlagen habe, die Gleiche wie die Beziehung, die ich zuvor als direktes Erfassen bezeichnet habe – nämlich die Beziehung, die man zu einer Farbe hat, wenn man sie tatsächlich sieht? Oder anders gesagt: Ist die Beziehung, die man zu einer Proposition hat, wenn man Worte, die sie ausdrücken, hört und die Bedeutung dieser Worte versteht, die gleiche 12

Im Engl. direct apprehension [Anm. d. Übers.].

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Beziehung wie die, die man zu einer Farbe hat, wenn man sie tatsächlich sieht? Ich gebe zu, dass ich nicht sagen kann, ob dies so ist oder nicht. Es gibt Gründe anzunehmen, dass das, was ich direktes Erfassen einer Proposition nenne, etwas anderes als das direkte Erfassen eines Sinnesdatums ist; anders nicht nur hinsichtlich der Tatsache, dass das eine ein direktes Erfassen eines Sinnesdatums ist, während das andere ein direktes Erfassen einer Proposition ist, und dass eine Proposition und ein Sinnesdatum andere Arten von Dingen sind, sondern anders auch in dem Sinn, dass die Beziehung, die man zu einer Proposition hat, wenn man sie direkt erfasst, sich von der unterscheidet, die man zu einem Sinnesdatum hat, wenn man es direkt erfasst. Es gibt, so denke ich, Gründe anzunehmen, dass das, was ich direktes Erfassen einer Proposition nenne, sich in diesem Sinn wirklich sehr von dem unterscheidet, was ich direktes Erfassen eines Sinnesdatums nenne. Aber ich kann nicht sagen, welchen Unterschied es gibt, falls es einen gibt; und die Gründe anzunehmen, dass es einen Unterschied gibt, scheinen mir nicht völlig schlüssig zu sein. Daher muss ich die Frage, ob ich den Begriff direktes Erfassen mit zwei verschiedenen Bedeutungen verwende, offen lassen. Aber selbst wenn ich dies tue, hoffe ich, dass dies zu keiner Verwechslung führt. Mit diesem Begriff werde ich immer entweder die Art von Beziehung meinen, die man zu einer Farbe hat, wenn man sie tatsächlich sieht, oder die Art von Beziehung, die man zu einer Proposition hat, wenn man sie versteht – z.€B. wenn man Wörter hört, die sie ausdrücken, und versteht, was sie ausdrücken. Und falls diese beiden Beziehungen tatsächlich unterschiedlich sein sollten, dann bedeutet dies nur, dass es zwei verschiedene Arten von direktem Erfassen gibt. Und es ist viel weniger wichtig zu entscheiden, ob es zwei verschiedene Arten gibt – ob das, was ich direktes Erfassen einer Proposition nenne, sich tatsächlich von dem unterscheidet, was ich direktes Erfassen eines Sinnesdatums nenne – als beide ganz deutlich von anderen Arten von Dingen zu unterscheiden, die sich gewiss von ihnen unterscheiden, aber die auch als Arten des Erfassen bezeichnet werden können. Mein erster Punkt hinsichtlich Propositionen ist nun, dass Sie so klar wie möglich verstehen, was diese Art des Erfassens von ihnen ist, die ich direktes Erfassen von ihnen nennen werde. Und mein zweiter Punkt ist folgender. Jede Proposition ist, wie wir fortwährend sagen, eine Proposition über etwas. Einige Propositionen mögen Propositionen über mehrere verschiedene Dinge sein, aber alle sind zumindest Propositionen über eine Sache. Zum Beispiel kann von der Proposition „Zwei mal zwei ist vier“ gesagt werden, dass sie zugleich eine Proposition über

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die Zahl Zwei und die Zahl Vier ist; wenn man sie glaubt oder sie erfasst, dann erfasst man etwas über die Zahl Zwei und auch etwas über die Zahl Vier. Aber der Punkt, auf den ich Sie aufmerksam machen möchte, ist folgender: Im Fall einer sehr großen Anzahl an Propositionen, die wir erfassen, selbst im Moment, wenn wir die ganze Proposition direkt erfassen, erfassen wir keineswegs alle Dinge, über die die Proposition etwas aussagt. Propositionen haben diese seltsame Eigenschaft: Selbst im Moment wenn wir die ganze Proposition direkt erfassen, brauchen wir nicht das direkt zu erfassen, über das die Proposition ist. Und im Fall einer sehr großen Anzahl an Propositionen, die wir direkt erfassen, vielleicht sogar bei der Mehrheit von ihnen, kann man leicht sehen, dass dies tatsächlich geschieht. In einigen Fällen, wenn wir eine Proposition direkt erfassen, erfassen wir auch direkt das Ding, über das die Proposition ist. Zum Beispiel im Moment, wenn ich diese Stelle mit Farbe ansehe und sie direkt erfasse, kann ich auch direkt eine Proposition über sie erfassen – z.€B. die Proposition, dass sie ist oder existiert oder dass sie weißlich ist. Aber offensichtlich kann ich auch direkt Propositionen über sie erfassen an Zeitpunkten, wenn ich sie nicht direkt erfasse. Jetzt zum Beispiel, wenn ich sie nicht mehr direkt erfasse, kann ich noch direkt Propositionen über sie erfassen – z.€B. die Proposition, dass sie gewesen ist, dass ich sie gerade eben gesehen habe usw. Und es ist offensichtlich, dass wir so fortwährend Propositionen über Dinge direkt erfassen, wenn wir diese Dinge selbst nicht direkt erfassen. Wir sprechen über und denken fortwährend an Dinge, die wir zu dem Zeitpunkt, an dem wir über sie sprechen oder an sie denken, nicht direkt erfassen. So ist der weit größere Teil unserer Gespräche und unserer Lektüre offensichtlich über Dinge, die wir nicht direkt erfassen, wenn wir über sie sprechen oder lesen. Es kommt ausgesprochen selten vor, dass unser Gespräch nur auf Dinge begrenzt ist, die wir in diesem Moment direkt erfassen. Und doch, wann immer wir über solche Dinge sprechen oder lesen, erfassen wir direkt Propositionen über sie, obwohl wir diese Dinge selbst nicht direkt erfassen. Offensichtlich erfassen wir daher fortwährend Propositionen über Dinge direkt, wenn wir diese Dinge selbst nicht direkt erfassen. Und ich möchte dieser Art von Beziehung einen Namen geben, die wir zu einem Ding haben, wenn wir eine Proposition über es direkt erfassen, aber es selbst nicht direkt erfassen. Ich schlage vor, es indirektes Erfassen zu nennen. Das heißt, ich schlage vor zu sagen, dass ich diese Stelle mit Farbe, die ich gerade eben, als ich diesen Umschlag angeschaut habe, gesehen habe, jetzt indirekt erfasse: Dies bedeutet zweierlei, dass ich eine Proposition über sie direkt erfasse, aber dass ich das Ding selbst nicht direkt erfasse. Sie kön-

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nen einwenden, dass ich jetzt nicht wirklich die Stelle mit Farbe erfasse und es irreführend sei zu sagen, dass ich überhaupt eine Beziehung zu ihr habe, die Erfassen genannt werden kann. Und ich kann auch diesen Einwand nachvollziehen, da der Punkt, den ich hervorheben möchte, ist, was für ein enormer Unterschied zwischen der Beziehung besteht, die ich jetzt zu ihr habe, wenn ich sie nicht direkt erfasse, sondern bloß eine Proposition über sie direkt erfasse, und der Beziehung, die ich gerade eben zu ihr hatte, als ich sie direkt erfasst habe. Sie könnten sagen, dass der Unterschied so groß ist, dass sie keinen gemeinsamen Namen haben sollten, dass sie nicht beide Formen des Erfassens genannt werden sollten. Aber so groß wie der Unterschied zwischen diesen beiden Arten der Beziehung zu einem Ding ist, so groß ist auch der Unterschied zwischen dem, was passiert, wenn ich eine Proposition über ein Ding erfasse, und dem, was passiert, wenn ich noch nicht einmal so viel wie dieses tue – wenn ich noch nicht einmal in irgendeinem Sinn an das Ding denke. Solange ich eine Proposition über ein Ding direkt erfasse, bin ich in einem Sinn dieses Dinges bewusst – ich denke an es oder denke über es nach, selbst wenn ich es nicht direkt erfasse. Und es gibt einen genauso großen Unterschied zwischen dieser Art der Beziehung zu ihm, dem Erfassen einer Proposition über es, und dem, was passiert, wenn ich in keiner Weise an es denke – wenn es vollständig aus meinem Bewusstsein ist – wie zwischen dieser Art der Beziehung zu ihm und dem, was ich direktes Erfassen genannt habe. Daher ist es erforderlich, dieser Art eines Dinges bewusst zu sein einen Namen zu geben – der Art, die auftritt, wenn man eine Proposition über es direkt erfasst, obwohl man es nicht direkt erfasst; und mir fällt kein besserer Name als indirektes Erfassen ein. Sie könnten sagen, dass ich den ganzen, langen Satz benutzen sollte: Jene Beziehung, die man zu einem Ding hat, wenn man eine Proposition über es direkt erfasst und das Ding nicht direkt erfasst. Aber dieser Satz ist unpraktisch, da er so lang ist. Sie könnten sagen, dass die Wendung „an es denken“ genügen würde; dass es genau das ist, was wir damit meinen. Aber es gibt zwei Einwände dagegen. Erstens kann es sein, dass dies die einzige Beziehung zu einem Ding ist, die wir haben, selbst wenn wir sagen sollten, dass wir nur an es dachten, wenn wir sagen sollten, dass wir etwas mehr taten, als nur an es zu denken. Und zweitens, obwohl wir den Begriff „denken an“ für diese Beziehung verwenden, verwenden wir ihn ebenso für jene des direkten Erfassens. Zum Beispiel sagen wir oftmals, dass wir an eine Proposition denken, wenn wir die Proposition direkt erfassen; so auch wenn ich sage, dass ich an die Zahl Zwei denke, erfasse ich sehr oft die Zahl Zwei direkt. Daher ist der Begriff „denken an“ nicht als unzweideutige

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Bezeichnung geeignet, die Art der Beziehung, die ich „indirektes Erfassen“ nennen möchte, von der zu unterscheiden, die ich „direktes Erfassen“ nenne. Und ich kann für diesen Zweck an keinen besseren Namen als „indirektes Erfassen“ denken. In der Tat macht es auch nicht viel aus, welchen Begriff ich verwende, solange Sie verstehen, was ich damit meine. Mit „indirektem Erfassen“ meine ich die Art von Beziehung, die man zu einem Ding hat, wenn man eine Proposition über es direkt erfasst, aber das Ding selbst nicht direkt erfasst. Und der Punkt, den ich hervorheben möchte, ist, dass es eine ganz andere Art der Beziehung ist als jene, die man zu einem Ding hat, wenn man es direkt erfasst. Die einzige Verbindung zwischen den beiden ist folgende: Wann immer man ein Ding indirekt erfasst, muss man etwas anderes direkt erfassen – entweder eine Proposition über es oder manchmal vielleicht etwas anderes als eine Proposition. Aber nun mit Hilfe dessen, was ich über Propositionen und was geschieht, wenn wir sie direkt erfassen, gesagt habe, denke ich, dass ich alle verschiedenen Arten von Beziehungen zu Dingen einordnen und unterscheiden kann, von denen üblicherweise gesagt wird, dass es Arten sind, Dinge zu wissen. Und das ist es, was ich jetzt tun möchte.

Kapitel 4 Formen des Wissens

I

ch habe mich mit zwei Dingen beschäftigt: zum einen habe ich hervorgehoben, wie eine Art von Dingen, die ich „Propositionen“ genannt habe, sich von Dingen unterscheidet, die keine Propositionen sind; und zum anderen habe ich zwei verschiedene Arten des Erfassens oder des Bewusstseins von allen Arten verschiedenartiger Dinge unterschieden, die ich „direktes Erfassen“ und „indirektes Erfassen“ genannt habe. Der Punkt hinsichtlich der Propositionen, der am meisten Beachtung verdient, ist folgender: Eine Proposition ist eine ganz andere Art von Ding als ein Abbild oder eine Ansammlung von Abbildern. Dies mag auf den ersten Blick offensichtlich erscheinen. Wenn man zum Beispiel seine Augen schließt und ein Abbild einer bestimmten Farbe in seinem Geist aufruft oder eine Farbreihe, würde niemand denken, dass dieses Abbild oder diese Ansammlung von Abbildern eine Proposition ist; es erscheint offensichtlich, was auch immer wir mit einer Proposition meinen, dass wir etwas ganz anderes als solch eine Ansammlung von Abbildern meinen. Wenn wir aber die Sache aus einem anderen Blickwinkel betrachten, hört sie auf, ganz so offensichtlich zu sein. Denken Sie zum Beispiel daran, was in Ihrem Verstand passiert, wenn Sie eine Proposition glauben wie: dass Ihr Hut im Flur hängt. Wir alle glauben solche Dinge fortwährend; und was Sie in einem Fall wie diesem glauben, ist, dass Ihr Hut im Flur hängt. Und dies ist die Art von Ding, die ich mit Proposition meine: Sie glauben in diesem Fall die Proposition, dass Ihr Hut im Flur hängt. Aber was passiert nun in Ihrem Verstand, wenn Sie diese Proposition glauben? Wenn Sie jetzt in Ihren Verstand blicken und es herauszufinden versuchen, könnten Sie es, so denke ich, sehr schwierig finden, überhaupt etwas zu entdecken, außer zwei Arten von Dingen. Erstens können Sie Abbilder von Wörtern entdecken: Abbilder der Wörter „Mein Hut hängt im Flur“. Aber diese können, wie ich sagte, nicht die Proposition sein, die ich meinte: Mit einer Proposition meine ich etwas ganz anderes als irgendeine Ansammlung von Wörtern oder Abbildern von Wörtern – etwas, das eine Ansammlung von Wörtern meinen oder ausdrücken kann, aber das kein Wort oder eine Ansammlung von Wörtern sein kann. Wenn man daher die Proposition finden will, muss man nach etwas anderem als Abbildern

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von Wörtern suchen. Aber es kann Ihnen unmöglich sein, etwas anderes als Folgendes zu finden: ein mehr oder weniger lebendiges Abbild Ihres im Flur hängenden Hutes; zum Beispiel eine mehr oder weniger lebendige Kopie der Sinnesdaten, die Sie sehen würden, wenn Sie den Hut dort hängen sähen. Daher ist es nur natürlich, daraus zu schließen, dass dieses Abbild – diese mehr oder weniger blasse Kopie der Sinnesdaten – die Proposition ist und das ist es, was Sie glauben. Und dieses ist eine Sichtweise, die tatsächlich viele Philosophen vertreten haben. Hume behauptet zum Beispiel, dass es nur zwei Arten von Wahrnehmungen des menschlichen Geistes gibt – Eindrücke und Vorstellungen– und dass die Ideen nur mehr oder weniger blasse Kopien von vorherigen Eindrücken sind, entweder selbst Kopien von vorherigen Eindrücken oder Abbilder, die aus solchen Kopien bestehen und auf eine neue Weise angeordnet sind. Und er behauptete auch, dass Glaube nur aus einem bestimmten lebendigen Erfassen eines solchen Abbilds besteht. Daher erkannte er nicht, ob es jemals – im Verstand – so etwas gab, was ich als Proposition bezeichne. Viele Philosophen und Psychologen reden immer noch, als ob es so wäre. Es ist daher nicht ganz so offensichtlich, wie es scheinen mag, dass eine Proposition – das, was wir glauben, wann immer wir etwas glauben – etwas ganz anderes als ein Abbild oder eine Ansammlung von Abbildern ist. Und doch kann man durch Überlegung erkennen, dass eine Proposition gewiss etwas ganz anderes ist. Betrachten Sie zum Beispiel das Abbild Ihres im Flur hängenden Hutes und vergleichen es mit dem, was Sie glauben, wenn Sie glauben, dass Ihr Hut dort hängt. Das Abbild besteht nur aus einer mehr oder weniger genauen Kopie von etwas – es ist etwas, das mehr oder weniger wie bestimmte Sinnesdaten ist, die Sie gesehen haben oder sehen könnten. Und das bloße direkte Erfassen dieses Abbilds, falls es deutlich genug ist, sei, wie unterstellt wird, das Gleiche wie zu glauben, dass Ihr Hut im Flur hängt. Aber offensichtlich ist das bloße direkte Erfassen dieses Abbilds nicht das Gleiche wie zu glauben, dass es überhaupt etwas neben dem Abbild im Universum gab, gibt oder geben könnte. Nur etwas zu erfassen, das tatsächlich wie etwas anderes ist, ist eine Sache; aber selbst zu vermuten, dass es im Universum etwas anderes gibt, das dem Ding, das man direkt erfasst, entweder gleicht oder nicht, ist offensichtlich etwas ganz anderes. Wenn Sie aber glauben, dass Ihr Hut im Flur hängt, vermuten Sie zumindest, dass es im Universum etwas anderes neben dem Abbild, das man jetzt direkt erfasst, gibt oder geben könnte. Aber dann kann Ihr Glaube, dass Ihr Hut im Flur hängt, nicht das Gleiche sein wie Ihr direktes Erfassen dieses Abbilds, wie deutlich es auch sein mag. Noch kann das, was Sie glau-

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ben – nämlich die Proposition, dass Ihr Hut im Flur hängt – das Gleiche sein wie das Abbild. Dies war der wichtigste Punkt, der hinsichtlich des Unterschieds zwischen Propositionen und anderen Dingen hervorgehoben werden sollte. Und hinsichtlich der beiden Arten, einer Sache bewusst zu sein, die ich direktes und indirektes Erfassen genannte habe, wollte ich betonen, wie völlig verschieden sie voneinander sind. Mit direktem Erfassen, so sagte ich, kann ich zwei unterschiedliche Beziehungen meinen. Erstens wollte ich damit die Art von Beziehung ausdrücken, die man zu einem Sinnesdatum – z.€B. einer Stelle mit Farbe – hat, wenn man es tatsächlich sieht. Ebenso habe ich die Art von Beziehung zum Ausdruck gebracht, die man zu einer Proposition hat, wenn man sie tatsächlich glaubt; aber die man auch zu einer Proposition haben kann, die man weder glaubt noch nicht glaubt, sondern nur bedenkt, ohne zu glauben oder nicht zu glauben. Diese beiden Beziehungen könnten verschieden sein, obwohl ich vorgeschlagen habe, beide direktes Erfassen zu nennen; es mag sein, dass man niemals zu etwas außer einer Proposition diese Beziehung haben kann, die ich direktes Erfassen einer Proposition genannt habe; und dass man niemals zu einer Proposition jene Beziehung haben kann, die man zu einer Stelle mit Farbe hat, wenn man sie tatsächlich sieht. Aber ob sie sich nun voneinander unterscheiden oder nicht, ich wollte sie beide direktes Erfassen nennen, um zu zeigen, wie unterschiedlich sie zu jener anderen Art der Beziehung sind, die ich „indirektes Erfassen“ genannt habe und die man sowohl zu Propositionen und zu allem anderen haben kann. Diese Beziehung habe ich wie folgt definiert: Es ist die Beziehung, die man zu einem Ding hat, wenn man eine Proposition über es direkt erfasst, aber das Ding selbst nicht direkt erfasst. „Indirektes Erfassen“ mag ein schlecht gewählter Name sein; aber es ist eine Beziehung, die einen Namen benötigt, denn es ist eine eindeutige Art der Beziehung, die wir gewiss fortwährend zu Dingen haben und die sich stark von jeder der Beziehungen, die ich direktes Erfassen genannt habe, unterscheidet. Das offensichtlichste Beispiel ist das, was geschieht, wenn man, unmittelbar nachdem ein Sinnesdatum direkt erfasst ist, an dieses Sinnesdatum denkt oder daran denkt, dass man es gerade eben direkt erfasst hat. In solch einem Fall erfasst man – der Hypothese entsprechend – das entsprechende Sinnesdatum nicht länger direkt, und doch erfasst man direkt eine Proposition über es, falls man die Proposition, dass man es soeben gerade gesehen hat, direkt erfasst. Nun sollte ich in diesen Fall sagen, dass man jetzt das Sinnesdatum indirekt erfasst, das man vorher direkt erfasst hat, aber jetzt – der Hypothese entsprechend – nicht länger

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direkt erfasst. Und wenn ich sage, dass man ein Ding indirekt erfasst, wann immer man eine Proposition über es direkt erfasst; meine ich den Ausdruck „eine Proposition über€...“ im weitesten Sinn. Zum Beispiel glaube ich die folgende Proposition: Dass Propositionen, die sich von jenen unterscheiden, die ich jemals direkt erfasst habe und die ich jetzt direkt erfasse, in diesem Moment von Chinesen in China geglaubt werden. In diesem Fall sollte ich sagen, dass ich jetzt eine Proposition glaube über jene Propositionen, die in China geglaubt werden. Daher sollte ich sagen, dass ich in diesem Moment jene Propositionen, die in China geglaubt werden, indirekt erfasse, obwohl ich sie gewiss nicht direkt erfasse und nicht einmal weiß, was es für Propositionen sind. Sie mögen sagen, dass ich diese Propositionen überhaupt nicht wirklich erfasse; und dass ich in so einem Fall nicht sagen sollte, ich erfasse sie indirekt. Aber in einem gewissen Sinn denke ich an sie; und der Unterschied zwischen der Beziehung, die ich jetzt zu ihnen habe, wenn ich wirklich an sie denke, und jener, die ich vor fünf Minuten zu ihnen hatte, als ich noch nicht einmal an sie gedacht habe, ist genauso groß wie die Beziehung, die ich jetzt zu ihnen habe, und jener, die ich jetzt zu jedem Ding habe, das ich jetzt direkt erfasse. Ich benötige nun also einen Begriff, der diesen Unterschied kennzeichnet: einen Begriff, der die Beziehung kennzeichnet, die man zu einem Ding hat, wenn man tatsächlich an es denkt, in einem weit gefassten Sinn, und der zugleich diese Beziehung, die auftritt, wenn man an das betreffende Ding denkt, aber es nicht direkt erfasst, von jener Beziehung unterscheidet, die man zu einem Ding hat, wenn man es direkt erfasst. Es ist nun diese Beziehung, die ich mit „indirektem Erfassen“ meine. Und vorausgesetzt, Sie verstehen ganz genau, was ich meine, ändert es nicht viel, ob es ein guter Name ist oder nicht. Aber es gibt einen weiteren Punkt hinsichtlich des „indirekten Erfassens“, den ich das letzte Mal kaum erwähnt habe, aber der dargestellt werden sollte. Ich habe damit die Beziehung definiert, die man zu einem Ding hat, wenn man das Ding selbst nicht direkt erfasst, aber eine Proposition über es direkt erfasst. Doch sollte ich sagen, dass ich nicht sicher bin, ob man nicht auch genau die gleiche Beziehung zu einem Ding haben kann, selbst wenn man keine Proposition über es direkt erfasst. Ich habe für diesen Zweifel folgenden Grund. Angenommen, Sie erinnern sich jetzt an eine Stelle mit Farbe, die Sie tatsächlich kurz zuvor gesehen haben, aber jetzt nicht mehr sehen. In solch einem Fall erfassen Sie gewiss nicht die Stelle mit Farbe selbst direkt; sie erfassen sie indirekt, denn sie denken an sie. Aber erfassen Sie auch notwendigerweise direkt eine Proposition über sie, während Sie an sie

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denken? Es ist sehr schwierig, sicher zu sein, ob Sie es tun oder nicht. Wenn Sie tatsächlich glauben, dass Sie sie soeben gesehen haben, erfassen Sie natürlich direkt eine Proposition über sie. And wenn Sie nur an sie denken als die Stelle mit Farbe, die Sie gesehen haben, scheint dies der gleichen Proposition zu entsprechen, nämlich dass Sie sie soeben gesehen haben. Aber dies scheint nicht ganz sicher zu sein: Es scheint nicht ganz sicher zu sein, ob an ein Ding als etwas zu denken, das bestimmte Eigenschaften hat, das Gleiche ist, wie zu denken, dass es dieses Eigenschaften hat. Es gibt nun zwei Fragen. Erstens: Wenn man an ein Ding als ein Ding, das bestimmte Eigenschaften hat, denkt, kommt dies dem direkten Erfassen einer Proposition über es gleich? Ich bin geneigt, dies anzunehmen, aber ich bin mir nicht sicher. Und zweitens: Kann man überhaupt jemals etwas indirekt erfassen, ohne zumindest an es zu denken als etwas, das bestimmte Eigenschaften hat? Soweit ich sehen kann, ist dies die Frage, die negativ beantwortet werden muss. Zweifelsohne kann man ein Ding direkt erfassen, ohne an es als irgendetwas zu denken. Aber wenn man wie in diesem Fall das Ding selbst gewiss nicht direkt erfasst und doch in einem gewissen Sinn seiner bewusst ist – man denkt an es –, scheint es, als ob man an es denken muss als etwas, das gewisse Eigenschaften hat. Wenn beide Fragen in dieser Art beantwortet werden müssen, wäre es wahr, dass man niemals etwas indirekt erfasst, ohne eine Proposition über es direkt zu erfassen. Aber die Sachlage ist so vage, dass es schwierig ist, sicher zu sein, ob diese Fragen derart beantwortet werden müssen. Wenn ich wieder an jene Propositionen denke, die von Menschen in China geglaubt werden und die ich kurz zuvor erwähnt habe, so denke ich jetzt an sie, und ich erfasse sie gewiss nicht direkt. Aber erfasse ich direkt eine Proposition über sie, indem ich nur an sie denke? Ist das bloße Denken an sie das Gleiche, wie eine Proposition über sie direkt zu erfassen? Ich bin geneigt, dies zu denken, aber ich bin nicht ganz sicher. Wenn ich daher indirektes Erfassen als die Beziehung definiere, die man zu einem Ding hat, wenn man das Ding selbst nicht direkt erfasst, sondern nur eine Proposition über es, darf diese Definition nicht so verstanden werden, dass man niemals diese Beziehung zu einem Ding hat, außer wenn man eine Proposition über das Ding direkt erfasst. Ich möchte nur zu verstehen geben, dass es die Art der Beziehung ist, die man in diesem Fall hat, ohne ausdrücklich zu behaupten, dass man sie niemals in anderen Fällen hat. Der wichtige Punkt hinsichtlich des indirekten Erfassens ist, dass es nicht direktes Erfassen ist und doch ist es eine Art, sich eines Dinges bewusst zu sein oder an es zu denken, und dass es die Art ist, sich eines Dinges bewusst zu sein, die gewiss fortwährend

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vorkommt, wenn man eine Proposition über ein Ding direkt erfasst, obwohl sie vielleicht auch in anderen Fällen vorkommen könnte. Aber nun sagte ich, dass ich mit Hilfe der Unterscheidung zwischen Propositionen und Dingen, die keine Propositionen sind, und der Unterscheidung zwischen „direktem Erfassen“ und „indirektem Erfassen“ gedachte, alle verschiedenen Beziehungen zu Dingen, die üblicherweise als Arten, von ihnen zu wissen – als Formen des Wissens – bezeichnet werden, klassifizieren zu können. Und dies ist, was ich nun versuchen werde. Sie erinnern sich, dass wir von der Sinneswahrnehmung ausgegangen sind; und unsere ursprüngliche Frage war, welche Art von Wissen Sinneswahrnehmung ist. Wir sollten üblicherweise sagen, dass Sinneswahrnehmung und alle unterschiedlichen Formen der Sinneswahrnehmung – Sehen, Hören, Fühlen, Riechen usw. – Arten sind, von Dingen zu wissen13. Alle diese Wörter – ich nehme wahr, ich sehe, ich höre, ich rieche, ich fühle usw. – werden fortwährend von uns verwendet, um eine Art der Beziehung zwischen uns und etwas anderem zu bezeichnen, die das ist, was wir wahrnehmen, sehen, hören oder fühlen. Und wir sollten, so denke ich, sagen, wenn ich etwas sehe, dass ich in einem gewissen Sinn von dem Ding weiß, das ich sehe; dass ein Ding zu sehen, eine Art ist, von ihm zu wissen; und auch wann immer ich etwas höre, weiß ich in einem gewissen Sinn von dem Ding, das ich höre; und wann immer ich etwas fühle, weiß ich in einem gewissen Sinn von dem Ding, das ich fühle; kurz gesagt, wann immer ich etwas durch einen Sinn wahrnehme, weiß ich von dem Ding, das ich wahrnehme. Aber neben der 13

Jetzt denke ich nicht, dass dies wahr ist. Auf der Straße sehe ich oft Menschen, von denen ich nichts weiß; und ich glaube nicht, dass wir üblicherweise „wissen“ in dem Sinn gebrauchen, dass eine Person, ein materielles Objekt oder ein Sinnesdatum wahrzunehmen, eine Art ist, von jener Person, jenem materiellen Objekt oder jenem Sinnesdatum zu wissen. Es gibt keine allgemeine Verwendung von „wissen“, die besagt, aus der bloßen Tatsache, dass ich eine Person sehe, folgt, dass ich in diesem Moment von ihr weiß; obwohl viele Philosophen argumentieren, als ob es so wäre, und ich selbst habe manchmal in diesen Vorträgen „wissen“ in dieser unrichtigen Art verwendet. Was Russell in Problems of Philosophy (Kapitel V) „Wissen durch Bekanntschaft“ nennt, hat kein Recht, überhaupt „Wissen“ genannt zu werden (Gleiches gilt hier für Bekanntschaft): Es ist lediglich mit Wahrnehmung identisch, wenn „Wahrnehmung“ in dem Sinne gebraucht wird, den ich „direktes Erfassen“ genannt habe. Andererseits wenn „wahrnehmen“ in dem Sinn gebraucht wird, in dem wir von dem Wahrnehmen einer Tatsache oder einer Wahrheit sprechen (Siehe Fußnote 9, S. 55), beinhaltet „wahrnehmen“ nicht „wissen“, d.€h. wenn ich sehe, dass ein Mann einen Bart hat, weiß ich zwangsläufig (für dieses Moment), dass er einen hat. (1952).

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Sinneswahrnehmung selbst und den verschiedenen Namen für die verschiedenen Arten der Sinneswahrnehmung benutzen wir auch fortwährend viele andere Wörter, von jedem von ihnen sollten wir sagen, dass es im gleichen Sinn ein Name für eine Art ist, von Dingen zu wissen. Wann immer ich mich an etwas erinnere, weiß ich in einem gewissen Sinn von dem Ding, an das ich mich erinnere; wann immer ich von etwas träume, weiß ich in einem gewissen Sinn von dem Ding, von dem ich träume; wann immer ich mir etwas vorstelle, weiß ich in einem gewissen Sinn von dem Ding, das ich mir vorstelle; wann immer ich an etwas denke, weiß ich von dem Ding, an das ich denke; wann immer ich etwas bemerke, weiß ich von dem Ding, das ich bemerke. Alle diese Wörter und viele andere werden von uns fortwährend gebraucht, um eine Art von Beziehung zwischen uns und etwas anderem zu bezeichnen, und wir sollten, so denke ich, sagen, dass die Beziehungen, die sie bezeichnen, Beziehungen des Wissens sind, kognitive Beziehungen, Beziehungen zwischen einem Wissenden und etwas Gewusstem. Philosophen gebrauchen fortwährend das Wort „Wissen“ in diesem weit gefassten Sinn: Sie würden sagen, dass etwas, das wahrgenommen, erinnert, vorgestellt, an das gedacht wird usw., zu dem Zeitpunkt, an dem es wahrgenommen, erinnert, vorgestellt, an es gedacht wird, ein Objekt des Wissens ist. Aber nun erscheint es mir, dass im Falle einiger dieser Wörter viele verschiedene Begriffe gebraucht werden, um genau die gleiche Beziehung zu beschreiben; und im Falle einiger wird bei verschiedenen Gelegenheiten das gleiche Wort gebraucht, um völlig unterschiedliche Beziehungen zu bezeichnen. Und ich beabsichtige nun, die verschiedenen Beziehungen zu klassifizieren, die von ihnen bezeichnet werden. Wir können sagen, dass alle Wörter benutzt werden, um die Tatsache auszudrücken, dass zu einem gegebenen Zeitpunkt eine Beziehung besteht – eine kognitive Beziehung – zwischen einer gegebenen Person und einem gegebenen Objekt. Zunächst können wir zumindest einige dieser Beziehungen in die vier folgenden Klassen unterteilen. (1) Einige dieser Wörter werden manchmal verwendet, um eine Beziehung auszudrücken, die zwischen einer Person und einem Objekt selbst zu Zeitpunkten besteht, wenn die Person das Objekt nicht erfasst, weder direkt noch indirekt. (2) Einige von ihnen werden manchmal lediglich verwendet, um die Tatsache auszudrücken, dass zwischen der Person und dem Objekt zu dem gegebenen Zeitpunkt eine Beziehung des direkten Erfassens besteht. (3) Einige von ihnen werden manchmal lediglich verwendet, um die Tatsache auszudrücken, dass zwischen der Person und dem Objekt zu dem gegebenen Zeitpunkt eine

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Beziehung des indirekten Erfassens besteht. (4) Einige von ihnen zeigen zugleich an, während sie anzeigen, dass zwischen der Person und dem Objekt zu dem gegebenen Zeitpunkt eine Beziehung besteht, dass zwischen den beiden auch eine andere Beziehung besteht. Wir können nun sagen, dass diese Wörter, neben der Tatsache, dass sie manchmal lediglich gebraucht werden, um direktes oder indirektes Erfassen auszudrücken – zwei Beziehungen, über die ich bereits ausführlich gesprochen habe – auch manchmal verwendet werden, um mindestens zwei neue Beziehungen auszudrücken: (1) Eine Beziehung, die zwischen einer Person und einem Objekt zu Zeitpunkten besteht, wenn sie das Objekt überhaupt nicht erfasst, weder direkt noch indirekt. Und (2) eine Beziehung, die, während sie direktes Erfassen einschließt, auch etwas mehr einschließt. Und diese beiden neuen Beziehungen werde ich nun veranschaulichen. (1) Zuerst nun zu der Weise, in der von einer Person gesagt werden kann, dass sie von einem Ding weiß bzw. es kennt, selbst zu einem Zeitpunkt, wenn sie es weder direkt noch indirekt erfasst. Wir alle verwenden fortwährend das Wort „wissen“ bzw. „kennen“ selbst in diesem Sinn. Zum Beispiel kann jemand von mir sagen, dass ich die Multiplikationstabelle kenne, zu einem Zeitpunkt, wenn ich weder direkt noch indirekt an die Multiplikationstabelle selbst oder Teile von ihr denke. Und dieser Jemand kann dies mit voller Gewissheit sagen. Die Beziehung zwischen mir und der Multiplikationstabelle, die er ausdrücken möchte, wenn er sagt, dass ich sie kenne, und die er so auch ganz richtig ausdrückt, ist tatsächlich eine Beziehung zwischen mir und der Multiplikationstabelle, selbst wenn ich überhaupt keiner Sache bewusst bin – z.€B. wenn ich fest schlafe und nicht träume. Und es ist ebenso, wenn ich von den Menschen im Allgemeinen sage, dass sie tatsächlich von der Existenz anderer Menschen neben ihnen selbst wissen; ich will nicht sagen, dass sie alle zu diesem Zeitpunkt an die Existenz anderer Menschen denken. Was ich sage, mag völlig richtig sein, selbst wenn viele von ihnen zu diesem Zeitpunkt weder direkt noch indirekt die Existenz einer anderen Person erfassen. Wenn wir von einer Person sagen, dass sie ein bestimmtes Gedicht auswendig kennt, möchten wir auch nicht ausdrücken, dass sie in diesem Moment an das Gedicht oder einen Teil von ihm denkt. Wenn wir von unserem Freund A sagen, dass er unseren Freund B kennt oder mit ihm bekannt ist, möchten wir auch nicht behaupten, dass A zu diesem Zeitpunkt B direkt oder indirekt erfasst. Daher gebrauchen wir selbst fortwährend das Wort „wissen“ bzw. „kennen“ und andere Wörter, von denen man sagen würde, dass sie Formen des Wissens ausdrücken, um Beziehungen zwischen

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einer Person und einem Objekt zu bezeichnen, selbst wenn die Person zu dem Zeitpunkt das Objekt weder direkt noch indirekt erfasst. Aber zumindest eine Sache hinsichtlich all dieser Beziehungen ist klar: nämlich, was auch immer sie sind, dass niemand eine solche Beziehung zu einem Objekt haben kann, wenn man nicht das Objekt vorher direkt oder indirekt erfasst hat. Daher haben alle kognitiven Beziehungen dieser Art einen wesentlichen Bezug auf direktes Erfassen oder indirektes Erfassen: Keine von ihnen kann ohne Bezug auf das eine oder das andere definiert werden. Und obwohl sie zwischen uns und einem Objekt zu einem Zeitpunkt bestehen, wenn wir das Objekt weder direkt noch indirekt erfassen, implizieren sie alle, dass wir es zu einem anderen Zeitpunkt auf die eine oder andere Art erfasst haben. Folglich werden einige der Wörter, die kognitive Beziehungen ausdrücken, gebraucht, um Beziehungen auszudrücken, die zwischen einer Person und einem Objekt zu Zeitpunkten bestehen, wenn die Person das Objekt weder direkt noch indirekt erfasst; aber diese Beziehungen sind Beziehungen, die niemals zwischen der Person und dem Objekt bestehen können, wenn sie es nicht vorher direkt oder indirekt erfasst hat. Diese Art der Beziehung war die erste der beiden neuen Beziehungsarten, die ich aufzeigen wollte. (2) Und die zweite von ihnen ist folgende. Es ist eine Beziehungsart, die niemals zwischen einer Person und einem Objekt besteht, außer zu einem Zeitpunkt, wenn sie das Objekt direkt erfasst, aber die auch niemals besteht, wenn sie nicht – neben dem bloßen Erfassen des Objekts – zum gleichen Zeitpunkt auch auf eine andere Art mit ihm in Beziehung steht. Es gibt eine sehr wichtige Beziehung dieser Art – eine Beziehung, die wir fortwährend durch viele verschiedene Wörter ausdrücken, und die nur zwischen uns und einer Proposition bestehen kann, nicht zwischen uns und einer anderen Art von Objekt. Es ist die Beziehung, die wir im Allgemeinen ausdrücken möchten, wenn wir vorbehaltlos sagen, dass wir wissen, eine Proposition sei wahr – dass wir wissen, dieses und jenes ist der Fall. Und ich werde nun versuchen, diese Beziehung zu erklären. Jene Wissensart, die ich direktes Erfassen genannt habe, ist etwas, so müssen wir uns erinnern, das vorkommt, wenn man eine falsche Proposition glaubt, genauso wie wenn man eine wahre glaubt. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, dass Sie glauben, Ihr Hut hänge im Flur, wenn er es tatsächlich nicht tut. Wenn Sie diese Proposition glauben, erfassen Sie sie direkt – in dem Sinn, den ich diesem Wort zugeschrieben habe; und insofern Sie sie direkt erfassen, muss daraus geschlossen werden, dass Sie von ihr in einem gewissen Sinne wissen. Aber offensichtlich nur in einem Sinn. In diesem

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Sinn, in dem wir normalerweise das Wort wissen verwenden, wenn wir vom Wissen, dass Propositionen wahr sind, sprechen, weiß man es gewiss nicht, wenn sie falsch ist. Sie wissen wirklich nicht, dass Ihr Hut im Flur hängt, wenn Ihr Hut tatsächlich nicht dort hängt. Es gibt daher einen Sinn des Wortes wissen, in dem, falls Sie wissen sollen, ob eine Proposition wahr ist, Sie sie tatsächlich direkt erfassen müssen. Aber dies ist nicht genug, zahlreiche andere Bedingungen müssen auch erfüllt sein. Zuerst müssen Sie sie nicht nur direkt erfassen, sondern Sie müssen sie auch glauben. Zweitens darf die Proposition selbst nicht falsch sein; sie muss wahr sein. Aber die zwei Zusatzbedingungen genügen nicht, um Wissen in dem Sinn zu begründen, von dem ich jetzt spreche und in dem wir normalerweise das Wort verwenden, wenn wir vom Wissen, dass Propositionen wahr sind, sprechen. Denn man kann eine Proposition glauben, und sie kann tatsächlich wahr sein, und doch kann man es nicht wirklich wissen. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, ein Mann glaubt jetzt, dass es am 20. Juni nächsten Jahres nicht regnen wird; und stellen Sie sich vor, dass es dann tatsächlich nicht regnet. In diesem Fall ist das, was er jetzt glaubt, wenn er glaubt, dass es an diesem Tag nicht regnen wird, eine Proposition, die tatsächlich wahr ist. Und doch sollten wir gewiss nicht behaupten, dass er jetzt wirklich weiß, dass es nicht regnen wird. Selbst wenn wir nächstes Jahr herausfinden, dass seine Ansicht wahr ist, sollten wir nicht sagen, dies beweise, dass seine gegenwärtige Ansicht Wissen sei. Wir sollten nicht behaupten, dass er dies jetzt wirklich sicher wissen könnte; und wir sollten gewiss sagen, die Tatsache, dass er es glaubt und dass es wahr ist, beweist nicht, dass er es jetzt weiß; selbst wenn er es glaubte und es wahr wäre, könnte es doch der Fall sein, dass er es nicht wusste. Daher beinhaltet Wissen in dem Sinn, in dem wir von ihm sprechen, wenn wir von Wissen, dass dies oder jenes der Fall ist, sprechen, neben den drei Bedingungen, dass (1) wir eine Proposition direkt erfassen müssen, dass (2) wir sie nicht nur direkt erfassen müssen, sondern auch glauben, dass (3) die Proposition wahr sein muss, auch eine vierte Bedingung. Was genau diese vierte Bedingung sein soll, ist, so denke ich, sehr schwierig herauszufinden. Ich werde bald darüber sagen müssen, was ich kann. Zunächst aber können wir uns mit der Festsstellung begnügen, dass es gewiss eine vierte Bedingung gibt; und dass es daher einen Sinn des Wortes „wissen“ gibt, der neben dem direkten Erfassen auch die drei anderen Bedingungen beinhaltet. Und dieses ist bei weitem der wichtigste Sinn des Wortes „wissen“. Ich werde ihm keinen besonderen Namen geben: Ich werde ihn einfach „Wissen“ nennen bzw. falls es eine Verwechslungsgefahr zwischen dieser und anderen Beziehungen zu geben

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scheint, die als Formen des Wissens bezeichnet werden können, werde ich es Wissen an sich14 nennen. Aber wenn ich im Allgemeinen von „wissen“ oder „Wissen“ spreche, meine ich diese und nur diese Beziehung. Nun haben wir vier verschiedene Beziehungen unterschieden, jede von ihnen kann manchmal durch Wörter ausgedrückt werden, die, so sollten wir sagen, Arten ausdrücken, Dinge zu wissen. Es gibt zunächst die Art von Beziehung, die zwischen einer Person und einem Objekt bestehen kann, wenn sie das Objekt weder direkt noch indirekt erfasst, aber die nur besteht, wenn sie es vorher auf die eine oder andere Art erfasst hat. Zweitens gibt es das direkte Erfassen; drittens das indirekte Erfassen. Und viertens gibt es das Wissen an sich. Aber sind diese vier die einzigen Beziehungsarten, die jemals durch Wörter ausgedrückt werden, die, so sollten wir sagen, Arten ausdrücken, Dinge zu wissen oder ihrer bewusst zu sein? Ein Zweifel kommt hinsichtlich jener Wörter auf, die wir anfangs betrachteten – das Wort Sinneswahrnehmung selbst und die Wörter, die die verschiedenen Formen der Sinneswahrnehmung ausdrücken – die Wörter sehen, hören, fühlen, riechen, schmecken usw., wenn diese Wörter auf ein materielles Objekt angewendet werden. Welche Beziehung bestand tatsächlich zwischen uns und dem Umschlag, dem materiellen Umschlag, als wir ihn alle gesehen haben? War es eine der vier genannten? Oder war es eine andere, die sich von jenen unterscheidet? Anders gesagt, welche Art von Beziehung wird durch solche Wörter wie wahrnehmen, sehen oder fühlen ausgedrückt, wenn sie verwendet werden, um eine Beziehung zwischen uns und einem materiellen Objekt oder den von einem materiellen Objekt eingenommen Raum auszudrücken? Eine Sache scheint klar zu sein, nämlich dass – basierend auf der Ansicht hinsichtlich der Sinnesdaten, die ich die anerkannte Ansicht genannt habe€– die durch diese Wörter ausgedrückte Beziehung keine Beziehung direkten Erfassens ist, wenn die Wörter eine Beziehung zwischen uns und einem materiellen Objekt ausdrücken. Wir haben bereits erkannt, wenn man sagt, dass man ein materielles Objekt sieht, z.€B. einen Umschlag, man meinen kann, dass man nur einen Teil von ihm sieht. Aber von der anerkannten Ansicht hinsichtlich der Sinnesdaten ausgehend, ist kein Teil der Sinnesdaten oder Abbilder, die man jemals direkt erfasst, Teil eines materiellen Objekts; und kein Teil des Raumes, den man jemals direkt erfasst, ist Teil 14

Im Engl. knowledge proper [Anm. d. Übers.].

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des Raumes, der von einem materiellen Objekt eingenommen wird. Da man nun nur Sinnesdaten und Abbilder direkt erfasst, erfasst man insofern weder einen Teil eines materiellen Objekts direkt noch einen Teil des Raumes, den ein materielles Objekt einnimmt. Und selbst wenn man zu dem Zeitpunkt, wenn man den Umschlag sieht, etwas anderes neben den Sinnesdaten und Abbildern direkt erfasst, z.€B. eine Proposition über den Umschlag, ist es klar, dass nichts, das man direkt erfasst, Teil des Umschlags, seiner Oberfläche oder des Raumes, den er einnimmt, ist. Wenn man daher einen Teil des Umschlags oder des Raumes, den er einnimmt, überhaupt sieht, dann sieht man ihn in einem ganz anderen Sinn als in dem, in dem man Sinnesdaten und den Raum sieht, die man direkt erfasst. Sehen, wie es in Bezug auf Sinnesdaten verwendet wird, meint einfach direktes Erfassen. Aber wenn es in Bezug auf materielle Objekte und den Raum, den sie einnehmen, verwendet wird, muss es etwas ganz anderes meinen. Das Gleiche gilt für Wörter wie wahrnehmen, fühlen und alle anderen Wörter, die verwendet werden, um Sinneswahrnehmung auszudrücken. Von der anerkannten Ansicht hinsichtlich der Sinnesdaten ausgehend, müssen sie alle bei verschiedenen Gelegenheiten zwei ganz unterschiedliche Beziehungen ausdrücken. Wenn sie auf Sinnesdaten angewendet werden, drücken sie einfach direktes Erfassen aus, aber wenn sie auf materielle Objekte, ihre Oberflächen oder Teile des Raumes, den materielle Objekte einnehmen, angewendet werden, dann drücken sie etwas ganz anderes aus. Nun bezeichnen diese Wörter gewiss nicht direktes Erfassen, wenn sie auf materielle Objekte angewendet werden und ausgehend von der anerkannten Ansicht hinsichtlich der Sinnesdaten. Und es ist genauso offensichtlich, dass sie zwei andere der vier Beziehungen, die ich oben unterschieden habe, auch nicht bezeichnen. Sie benennen gewiss nicht eine Beziehung, die nur zwischen mir und einem materiellen Objekt bestehen kann, wenn ich das Objekt vorher direkt oder indirekt erfasst habe. Falls ich überhaupt jemals ein materielles Objekt sehe, kann ich dies gewiss tun, ohne es jemals zuvor direkt oder indirekt erfasst zu haben. Folglich bezeichnet das Wort sehen, auf materielle Objekte angewendet, gewiss nicht die erste der vier Beziehungen, die ich oben unterschieden habe. Und genauso offensichtlich bezeichnet es nicht die letzte – es bezeichnet nicht die Beziehung, die ich Wissen an sich genannt habe. Denn Wissen an sich ist eine Beziehung, die man nur zu einer Proposition haben kann; und ein materielles Objekt ist gewiss keine Proposition.

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Es scheint nun, dass aus den vier Beziehungen, die ich unterschieden habe, die einzige, die diese Wörter, angewendet auf materielle Objekte, bezeichnen können, die des indirekten Erfassens ist. Und dies ist eine der Alternativen, die wir bedenken müssen. Aber, so denke ich, es ist genauso möglich, dass wir – zumindest manchmal – keine dieser vier Beziehungen meinen, wenn wir diese Wörter auf materielle Objekte anwenden, sondern eine ganze andere. Und diese Alternative möchte ich nun darlegen. Es ist genauso möglich, wenn ich sage, dass Sie den Umschlag gesehen haben, ich nicht ausdrücken möchte, dass Sie ihn selbst indirekt erfasst haben. Ich könnte nur ausdrücken wollen, dass Sie bestimmte Sinnesdaten direkt erfasst haben, von denen ich weiß, dass sie mit dem Umschlag verbunden sind, aber nicht, dass Sie sich in irgendeiner Weise des Umschlags oder seiner Verbindung zu den Sinnesdaten, die Sie gesehen haben, bewusst gewesen sind. In diesem Fall, wenn ich sage, dass Sie den Umschlag gesehen haben, muss ich selbst den Umschlag – das materielle Objekt – indirekt erfassen; aber Sie müssen ihn überhaupt nicht erfasst haben, als Sie ihn gesehen haben. Ich denke, es ist eine mögliche Sichtweise, dass dies alles ist, was wir oftmals meinen, wenn wir sagen, dass Menschen materielle Objekte sehen; und es ist eine sehr natürliche Sichtweise und eine, die viele Philosophen vertreten haben. Nämlich wenn wir sagen, dass andere Menschen Bäume, Häuser, Stühle usw. sehen, wir nur zwei Dinge meinen: (1) sie, die anderen Menschen, erfassen bestimmte Sinnesdaten nur direkt; und (2) wir, wenn wir dies sagen, wissen, dass diese Sinnesdaten tatsächlich mit den materiellen Objekten, die wir Bäume, Häuser, Stühle usw. nennen, verbunden sind. Und auch wenn ich von mir selbst sage, dass ich einen Baum gesehen habe, könnte ich nur ausdrücken wollen, dass zu dem Zeitpunkt, als ich ihn gesehen habe, ich bestimmte Sinnesdaten nur direkt erfasst habe, aber jetzt, wenn ich weiß, dass ich ihn gesehen habe, ich den Baum, mit dem diese Sinnesdaten tatsächlich verbunden waren, indirekt erfasse. Es ist eine sehr natürliche Sichtweise, dass dies alles ist, was wir mit Wörtern wie sehen, fühlen, wahrnehmen oder beobachten meinen, wenn wir sie auf materielle Objekte anwenden; und ich denke, es ist sehr oft möglich, dass dies alles sein könnte, was wir meinen. Aber nun möchte ich hervorheben, wenn dies der einzige Sinn wäre, in dem wir jemals ein materielles Objekt überhaupt sehen oder wahrnehmen, dass wir niemals mittels unserer Sinne Wissen von der Existenz materieller Objekte erlangen könnten. Denn wenn wir über Wissen von der Existenz eines materiellen Objekts sprechen, meinen wir Wissen an sich; und man

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kann nur von der Existenz eines Dinges wissen, wissen, dass es existiert im eigentlichen Sinn des Wortes, wenn man das entsprechende Ding zumindest indirekt erfasst. Wenn alles, was jemals geschähe, wenn wir materielle Objekte sähen oder wahrnähmen, das wäre, dass wir bestimmte Sinnesdaten, die tatsächlich mit ihnen verbunden wären, direkt erfassten, würden wir niemals wissen, dass sie überhaupt existierten, wenn wir sie nur in diesem Sinn sähen und wahrnähmen: Wir könnten nur von der Existenz der Sinnesdaten wissen, die wir direkt erfassten; wir würden nicht einmal die Existenz anderer Objekte als dieser Sinnesdaten vermuten. Daher kann in diesen Fällen, wenn wir mit dem Sehen oder Wahrnehmen eines materiellen Objekts einen Prozess meinen, durch den wir Wissen von ihrer Existenz erlangen, dieser Prozess nicht nur aus dem direkten Erfassen bestimmter Sinnesdaten bestehen: Wir müssen daneben auch die materiellen Objekte, mit denen diese Sinnesdaten verbunden sind, indirekt erfassen. Sodass das Sehen eines Umschlags manchmal auf jeden Fall nicht nur das Sehen bestimmter Sinnesdaten, mit denen er verbunden ist, meinen kann; es muss auch das indirekte Erfassen dieses anderen meinen – den materiellen Umschlag selbst, mit dem diese Sinnesdaten verbunden sind. Und ich denke, es ist möglich zu erkennen, dass etwas dieser Art tatsächlich oftmals auftritt. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, dass ich jetzt meine Hand hochhebe und Sie sie ansehen. In diesem bestimmten Moment, wenn Sie die Sinnesdaten direkt erfassen, die Sie tatsächlich erfassen – jeder von ihnen wahrscheinlich eine leicht unterschiedliche Anordnung – glauben Sie zumindest vage an die Existenz von etwas anderem – neben diesen Sinnesdaten. Und insofern Sie auch nur an die Existenz dieses anderen glauben, wie vage es auch sein mag, erfassen sie natürlich dieses andere in dem Sinn, den ich dargelegt habe. Es – dieses andere – das Sie so indirekt erfasst haben, würde in diesem Falle meine Hand sein. Keine der Sinnesdaten, die Sie direkt erfassen, ist Teil meiner Hand oder ihrer Oberfläche. Sodass, falls Sie meine Hand überhaupt sehen, es nur bedeutet, dass Sie sie auf eine vage Art indirekt erfassen. Dass man, wenn man bestimmte Sinnesdaten direkt erfasst, oftmals an die Existenz von etwas anderem glaubt, ist gewiss. Und falls dieses andere ein materielles Objekt ist, erfasst man, wann immer man es tut, wirklich indirekt ein materielles Objekt. Zudem denke ich, dass es schwierig ist, sicher zu sein, ob man nicht immer diesen Gedanken von etwas anderem hat, wann immer man überhaupt Sinnesdaten erfasst. Sodass, wann immer man etwas tut, das wirklich Sehen, Hören oder Wahrnehmen genannt werden kann, ein indirektes Erfassen von etwas anderem, das anders ist als alles,

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was man direkt erfasst, immer in diesem Akt mit eingeschlossen ist – etwas anderem, das daher ein materielles Objekt sein kann. Und falls dies so ist, dann könnten wir sagen, dass das Sehen oder Wahrnehmen eines materiellen Objekts aus dem indirekten Erfassen von ihm besteht – jenes indirekte Erfassen von etwas anderem als Sinnesdaten, das auftritt, wann immer wir Sinnesdaten direkt erfassen. Daher würde Sehen, Fühlen und Wahrnehmen, auf materielle Objekte angewendet, niemals nur das direkte Erfassen von Sinnesdaten meinen, die tatsächlich mit jenen Objekten verbunden wären, es würde immer auch das indirekte Erfassen von jenen Objekten, mit denen die Sinnesdaten verbunden sind, mit einschließen. Aber selbst wenn wir auch etwas anderes indirekt erfassen, wenn wir ein Sinnesdatum direkt erfassen, folgt keineswegs, dass wir von der Existenz materieller Objekte mittels unserer Sinne wissen. Dies folgt aus drei Gründen nicht. Erstens, selbst wenn wir etwas anderes neben den Sinnesdaten indirekt erfassen, meint das nur, dass wir neben ihnen an etwas anderes denken. Und aus der Tatsache, dass man an ein Ding denkt, folgt keineswegs, dass es solch ein Ding gibt, an das man denkt. Es könnte der Fall sein, dass es wirklich nichts anderes neben den Sinnesdaten gibt, und dass unser Glaube, es gebe etwas anderes, völlig falsch ist. Zweitens, selbst wenn es wirklich etwas anderes gibt und unser Glaube daher richtig ist, folgt nicht, weil es etwas anderes gibt und man dieses glaubt, weiß man daher wirklich, dass es etwas anderes gibt. Der Glaube an etwas anderes, das das direkte Erfassen von Sinnesdaten begleitet, könnte eine richtige Annahme sein, aber es folgt nicht, dass es auf Wissen hinausläuft – auf das, was ich Wissen an sich genannt habe. Und drittens, selbst wenn es nicht nur etwas anderes gibt, sondern wir auch wirklich wissen, dass es etwas anderes gibt, so folgt nicht, dass dieses andere ein materielles Objekt ist. Selbst wenn ich weiß, dass es etwas anderes neben den Sinnesdaten gibt, die ich direkt erfasse, wenn ich diesen Umschlag ansehe, so folgt nicht, dass ich jetzt weiß oder jemals wissen kann, dass dieses Eigenschaften hat, die ich ihm zuschreibe, wenn ich es ein materielles Objekt nenne. Indem ich es ein materielles Objekt nenne, möchte ich wenigstens zwei Dinge darüber aussagen, nämlich dass es sich irgendwo im Raum befindet und auch dass es kein Geist oder Bewusstseinsakt ist. Aber selbst wenn ich von der Existenz von etwas anderem weiß neben den Sinnesdaten, die ich direkt erfasse, wenn ich diesen Umschlag ansehe, folgt nicht, dass ich weiß, dass dieses andere sich irgendwo im Raum befindet, noch dass es kein Verstand oder ein Bewusstseinsakt eines Verstands sein kann.

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Entsprechend folgt nicht, selbst wenn ich tatsächlich an die Existenz von etwas anderem glaube, wenn ich bestimmte Sinnesdaten direkt erfasse, dass ich wirklich weiß, ob dieses andere existiert; noch dass, falls ich dieses weiß, ich weiß oder jemals wissen kann, ob dieses andere ein materielles Objekt ist. Und viele Philosophen haben ihre Zweifel bezüglich dieser beiden Punkte zum Ausdruck gebracht. Einige haben angezweifelt, ob ich wirklich jemals zu dem Zeitpunkt, wenn die Sinnesdaten, die ich erfasse, existieren, wissen kann, dass überhaupt etwas anderes existiert. Und einige, die zugestanden haben, dass ich von der Existenz von etwas anderem neben den Sinnesdaten wissen kann, haben angezweifelt, ob ich wissen kann, dass dieses andere ein materielles Objekt ist. Und ein Hauptgrund, warum einige Philosophen diese Ansichten vertreten haben, ist, so denke ich, dass sie bestimmte Ansichten hinsichtlich der Bedingungen vertreten haben, die erfüllt sein müssen, wenn jemand jemals überhaupt etwas wissen soll. Man muss sich in Erinnerung rufen, dass wir jetzt von Wissen in dem Sinn sprechen, den ich Wissen an sich genannt habe: Wir sprechen jetzt von Wissen in dem Sinn, in dem bloßes direktes oder indirektes Erfassen kein Wissen ist. Wir sprechen von Wissen in dem Sinn, in dem man nichts außer einer Tatsache wissen kann; und in dem man eine Tatsache nicht wissen kann, wenn man neben dem bloßen direkten Erfassen einer Proposition, die durch die gleichen Wörter ausgedrückt werden würde, nicht auch diese Proposition glaubt und sie auch wahr ist; und in dem man, selbst wenn man sie glaubt und sie wahr ist, doch niemals weiß, dass sie wahr ist, wenn nicht eine andere Bedingung auch erfüllt ist. Einige Philosophen haben nun Ansichten über die Bedingungen vertreten, die erfüllt sein müssen, wenn man wissen soll, dass eine Proposition wahr ist. Sie haben angenommen, dass niemand jemals weiß, dass eine Proposition wahr ist, wenn nicht – neben der Bedingung, dass man sie glaubt – eine von bestimmten anderen aufgeführten Bedingungen auch erfüllt ist. Und es gibt gewisse Ansichten hinsichtlich dessen, was diese Sonderbedingungen sind, die erfüllt sein müssen, welche in der Tat von sehr vielen Philosophen vertreten worden sind und fortwährend von ihnen angewendet worden sind, um die Frage zu beantworten, ob eine Person wirklich weiß oder nicht, dass eine Proposition wahr ist, die sie glaubt oder von der sie denkt, dass sie weiß, dass sie wahr ist. Es sind diese bestimmten Ansichten hinsichtlich der Bedingungen, die erfüllt sein müssen, wenn man wirklich wissen soll, dass eine Proposition wahr ist, die weitgehend für beide dieser zwei Ansichten, die wir nun betrachten werden, verantwortlich gewesen sind: für die Ansicht, dass wir

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niemals wirklich wissen, dass in einem Moment etwas anderes neben den Sinnesdaten existiert, die wir in diesem Moment direkt erfassen, sowie für die Ansicht, selbst wenn wir wissen, dass etwas anderes existiert, wir niemals wissen, dass dieses andere ein materielles Objekt ist. Und was ich nun zu tun vorschlage ist, zuerst die Ansichten hinsichtlich dessen zu benennen, was für wirkliches Wissen notwendig ist, die viele Philosophen veranlasst haben, unser Wissen von materiellen Objekten anzuzweifeln; dann zu überlegen, ob es uns, angenommen diese Ansichten sind wahr, wirklich unmöglich ist, von der Existenz materieller Objekt zu wissen; und schließlich zu überlegen, ob diese Ansichten wahr sind und, falls nicht, welche Alternative sich bietet. Ich werde nun versuchen, bestimmte Ansichten hinsichtlich der Bedingungen zu benennen, die erfüllt sein müssen, wenn wir jemals wirklich wissen sollen, dass eine Proposition wahr ist oder wenigstens wahrscheinlich wahr ist. Anders gesagt, einige Philosophen haben behauptet: Niemand weiß jemals, dass eine Proposition wahr ist oder wahrscheinlich wahr ist, wenn die entsprechende Proposition nicht zu einer oder mehreren der bestimmten aufgeführten Klassen gehört. Und ich werde jetzt versuchen, diese Klassen zu benennen, zu denen, wie sie sagten, eine Proposition gehören muss, wenn jemand wissen soll, dass sie wahr ist. Die Ansichten, die ich darlegen werde, sind, so denke ich, grundsätzlich jene, die Hume vertreten hat; und ich denke, dass sie am deutlichsten von ihm dargelegt worden sind als von irgendeinem anderen. Daher werde ich sie Humes Ansichten nennen, obwohl ich sie nicht in genau derselben Sprache, die er verwendet hat, darlegen werde. Es sind äußerst einleuchtende Auffassungen, und viele Philosophen, die zögern würden, sie zu akzeptieren, wenn sie ausdrücklich benannt werden, argumentieren doch oftmals in bestimmten Fällen so, als ob sie wahr seien: Zum Beispiel behaupten sie, dass wir von der Existenz materieller Objekte nicht wissen, lediglich aufgrund dessen, dass wir auf keine der von Hume ausgeführten Arten von ihnen wissen. Zudem sind Humes Ansichten von großer historischer Bedeutung. Gewisse Bestandteile beeinflussten einige äußerst bemerkenswerte Theorien des deutschen Philosophen Kant; und Kants bemerkenswerte Theorien, die ihm von Hume nahegelegt worden sind, haben mehr Einfluß auf den späteren Verlauf der Philosophie gehabt als die Ansichten aller Philosophen, die Kant vorangegangen sind, zusammengenommen.

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olgende Frage möchte ich nun besprechen: Unter welchen Bedingungen (falls es welche gibt) glaubt ein Mensch eine Proposition nicht nur – wenn er eine Proposition glaubt –, sondern weiß auch sicher, dass sie wahr ist? Wir sind alle ganz sicher, dass Menschen manchmal an Propositionen glauben, von denen sie nicht wirklich wissen, ob sie wahr sind. Manchmal glauben sie diese nicht nur, sondern sind sogar sicher, dass sie wahr sind; und doch, trotz der Tatsache, dass sie sehr sicher sind, wissen sie nicht wirklich, ob sie es sind. Obwohl zum Beispiel ein Mensch sehr sicher ist, dass dieses oder jenes wahr ist, finden wir nachher heraus, dass er sich geirrt hat – dass es doch nicht so gewesen ist. Daher ist das bloße Gefühl der Gewissheit, selbst wenn es noch so stark ist, nicht dasselbe wie Wissen – Wissen in dem Sinn, das ich Wissen an sich genannt habe. Das Gefühl der Gewissheit ist manchmal in einem hohen Maße präsent, wo Wissen an sich fehlt. Die Frage ist nun: Welche andere Bedingungen neben der bloßen Tatsache, dass ein Mensch sehr sicher ist, dass eine Proposition wahr ist, muss gegeben sein, wenn er wissen soll, dass sie wahr ist? Viele Philosophen haben hierfür Regeln aufgestellt, indem sie versucht haben, diese Frage zu beantworten. Sie haben gesagt: Ein Mensch weiß niemals wirklich, ob eine Proposition wahr ist, wenn nicht eine der bestimmten Bedingungen auch gegeben ist, außer der bloßen Tatsache, dass er von ihrer Wahrheit überzeugt ist. Auch Hume versuchte diesbezüglich bestimmte Regeln aufzustellen. Ich habe nun vor, meinen Vortrag mit der Darstellung der Regeln zu beginnen, die er aufgestellt hat. Er unterteilt alle Propositionen, wahre und falsche, in zwei Klassen: jene, die behaupten, dass ein bestimmtes Ding existiert hat, existiert oder existieren wird, und jene, die nicht die Existenz von etwas behaupten. Mit Propositionen, die nicht die Existenz von etwas behaupten, meinte er Propositionen wie diese: Zwei mal zwei ist vier; die Winkel eines Dreieckes sind gleich zwei rechten Winkeln; Schwarz unterscheidet sich von Weiß. Und er dachte, dass die Bedingungen, die gegeben sein müssen, wenn wir wissen sollen, ob eine Proposition dieser Art wahr ist, sich sehr von jenen unterscheiden, die gegeben sein müssen, wenn wir wissen sollen, ob Propositionen, die eine Existenz behaupten, wahr sind. Propositionen, die keine Existenz behaupten, können,

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so sagt er, auf zwei Arten erkannt werden: Einige können durch Intuition erkannt werden, andere durch Demonstration. Mit Demonstration meint er den strikten deduktiven Beweis, der in der Mathematik angewandt wird; und wir alle nehmen üblicherweise an, dass Mathematiker eine enorme Anzahl von Propositionen, die sie auf diese Art erfahren haben, wirklich wissen. Hume sagt nun, dass keine Proposition, die keine Existenz behauptet, wirklich von jemandem gewusst werden kann, wenn sie nicht entweder bewiesen worden ist oder intuitiv gewusst wird. Und die Art von Wissen, die er mit intuitivem Wissen meint, ist die Art von Wissen, die man von einer Proposition haben kann, wenn man sehen kann, dass sie wahr ist, sobald man wirklich versteht, was die Proposition meint. Denken Sie zum Beispiel an die folgende Proposition, die eines der Axiome Euklids darstellt: Dinge, die gleich zu demselben Ding sind, sind gleich zueinander. Es scheint, als ob man sehen kann, dass die Proposition wahr ist, sobald man wirklich versteht, was diese Proposition meint. Und Hume würde sagen, dass diese Proposition intuitiv gewusst wird; eine andere Art, dies auszudrücken, ist zu sagen, dass es offenkundig ist. Was er nun im Fall aller Propositionen, die keine Existenz behaupten, sagen möchte, ist, dass keine von ihnen gewusst werden kann, wenn sie nicht entweder auf diese Art gewusst werden oder durch einen strikt deduktiven Beweis bewiesen worden sind, durch den mathematische Propositionen bewiesen werden. Aber nun geht er davon aus, dass keine Proposition, die die Existenz von etwas in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft behauptet, auf eine der beiden folgenden Arten gewusst werden kann: m Unterschied zu einer Aussage wie „Dinge, die gleich zu demselben Ding sind, sind gleich zueinander“ können sie weder deduktiv bewiesen noch intuitiv gewusst werden. Keine dieser beiden Bedingungen kann jemals bei Propositionen gegeben sein, die die Existenz von etwas behaupten. Daher schlägt er in ihrem Fall andere Bedingungen vor. Er sagt, dass niemand jemals eine Proposition, die die Existenz von etwas in der Vergangenheit, der Gegenwart oder der Zukunft behauptet, wirklich kennt, wenn nicht eine von drei Bedingungen gegeben ist. Die ersten beiden Bedingungen, die er erwähnt, sind folgende: (1) Ein Mensch kann wirklich wissen, ob ein Ding existiert, wenn er zu genau dem Zeitpunkt, wenn er glaubt, dass es existiert, das entsprechende Ding tatsächlich direkt erfasst – es in dem Sinn direkt erfasst, den ich erklärt habe. (2) Ein Mensch kann wirklich wissen, ob ein Ding in der Vergangen-

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heit existiert hat, wenn er es in der Vergangenheit direkt erfasst hat und sich jetzt an es erinnert. Diese beiden sind, so denke ich, vergleichsweise einfache Bedingungen, die keine weitere Erklärung benötigen. Aber mit der dritten Bedingung, die Hume aufstellt, verhält es sich anders. Sehr viel ist darin enthalten; und ich möchte es so klar und deutlich wie möglich erklären. Es ist offensichtlich die wichtigste der drei. Denn wenn wir niemals wirklich von der Existenz von etwas wüssten, außer in den Fällen, in denen eine der beiden ersten Bedingungen gegeben ist, würden wir nur einen sehr kleinen Teil der Dinge wissen, die wir selbst zu wissen glauben. Die Dinge, die ich jetzt direkt erfasse und die ich in der Vergangenheit erfasst habe, bilden nur einen kleinen Teil jener, von denen ich glaube, dass sie existieren. Die Frage ist nun: Unter welchen Bedingungen können wir von der Existenz eines Dinges (in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft) wissen, wenn keine der beiden ersten Bedingungen erfüllt ist – wenn wir das Ding zu dem Zeitpunkt, in dem wir glauben, dass es existiert, nicht direkt erfassen; und wenn wir es auch nicht in der Vergangenheit direkt erfasst haben? Um eine Wiederholung dieser umständlichen Formulierung zu vermeiden, werde ich von nun an von folgender Frage sprechen: Unter welcher Bedingung weiß ein Mensch von der Existenz von etwas, das er niemals direkt erfasst hat? Mit „niemals direkt erfasst hat“ meine ich, dass es weder im Moment direkt erfasst wird, noch dass es jemals in der Vergangenheit direkt erfasst worden ist. Sie müssen nun bitte verstehen, wenn ich von einem Ding spreche, das ein Mensch direkt erfasst hat, dass ich alles meine, was er entweder im Moment direkt erfasst oder in der Vergangenheit erfasst hat; und ebenso wenn ich von einem Ding spreche, das niemals von einem Mensch direkt erfasst worden ist, dass ich alles meine, was er weder im Moment direkt erfasst noch in der Vergangenheit direkt erfasst hat. Unsere Frage ist nun: Unter welchen Bedingungen weiß ein Mensch wirklich jemals von der Existenz von etwas, das er niemals direkt erfasst hat (der Ausdruck „direkt erfasst hat“ schließt das ein, was er im Moment direkt erfasst und was er in der Vergangenheit direkt erfasst hat)? Und ein Grundsatz, den Hume als Antwort auf diese Frage aufstellen möchte, ist der folgende. Nehmen wir an, ein Mann glaubt zu einem gegebenen Moment an die Existenz (in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft) eines bestimmten Dinges A, das er niemals direkt erfasst hat (d.€h. er erfasst es jetzt nicht direkt und hat es niemals direkt erfasst). Jetzt, sagt Hume, was auch immer A

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sein mag, dieser Mensch kann niemals wirklich von der Existenz von A wissen, wenn er nicht auch weiß, dass ein anderes Ding B, das er direkt erfasst hat, nicht existiert haben würde, wenn A nicht auch existiert hätte, jetzt oder in Zukunft existieren würde. In anderen Worten: Nehmen wir an, dass ich jetzt ein Ding B direkt erfasse oder direkt erfasst habe, hinsichtlich dessen ich weiß, dass es, B, nicht existiert hätte, wenn etwas anderes, A, nicht vor ihm existiert hätte: Dann, sagt Hume, kann ich wirklich wissen, dass A vor ihm existiert hat. Oder nehmen wir wieder an, dass ich bezüglich B, das ich direkt erfasst habe, weiß, dass es nicht existiert hätte, wenn A nicht gleichzeitig mit ihm existiert hätte: Dann kann ich wirklich wissen, dass A gleichzeitig mit ihm existiert oder existiert hat. Oder nehmen Sie wieder an, dass ich bezüglich B weiß, dass es nicht existiert hätte, wenn A nicht nach ihm, in der Zukunft, existieren würde: Dann weiß ich, dass A nach ihm existiert oder existieren wird. Aber wenn nicht eine der drei Bedingungen gegeben ist, dann, so sagt Hume, kann ich nicht wirklich wissen, ob A entweder jemals existiert hat, jetzt existiert oder jemals existieren wird. Dies ist eine korrekte Darstellung von Humes erstem Grundsatz. Aber der Grundsatz ist ein wenig kompliziert, und es kann ein wenig schwierig gewesen sein, meiner Darstellung zu folgen. Daher werde ich nun versuchen, es noch deutlicher auszudrücken, was dieser Grundsatz beinhaltet, indem ich einzelne Beispiele anführen werde. Lassen Sie mich zuerst etwas als Beispiel nehmen, von dem ich glaube, dass es in diesem Moment existiert, das ich aber nicht direkt erfasse; zum Beispiel mein eigenes Gehirn. Ich glaube tatsächlich jetzt, dass eine mehr oder weniger bestimmte Art von Ding, das ich mein Gehirn nenne und das ich nicht direkt erfasse, in diesem Moment wirklich existiert. Nun, sagt Hume, kann ich nicht wirklich wissen, ob mein eigenes Gehirn in diesem Moment existiert, wenn ich nicht auch ein oder zwei andere Dinge weiß. Ich muss entweder wissen, dass etwas, das ich jetzt direkt erfasse, nicht existieren würde, wenn mein Gehirn nicht auch existieren würde. Dies ist eine Alternative. Zum Beispiel erfasse ich jetzt direkt einen meiner Bewusstseinsakte, den ich Hören bestimmter Wörter nenne – ich höre jetzt die Wörter, die ich jetzt spreche, und erfasse mein Hören von ihnen direkt. Falls ich weiß, gleichgültig wie, dass dieser Bewusstseinsakt, dieses Hören, das ich direkt erfasse, nicht existieren würde, wenn mein Gehirn nicht zur selben Zeit existieren würde, dann, sagt Hume, kann ich wirklich wissen, dass mein Gehirn jetzt existiert. Und ebenso, wenn ich weiß, dass etwas anderes, das ich in diesem Moment direkt erfasse, jetzt nicht existieren würde, wenn mein Gehirn nicht auch existieren würde; dann kann ich wirk-

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lich wissen, dass mein Gehirn jetzt existiert. Dies ist eine Alternative. Aber es gibt eine andere, die Humes Theorie zulässt. Nehmen Sie an, dass ich wirklich wüsste, dass etwas, das ich vor einem Moment direkt erfasst habe, nicht existiert haben würde, wenn mein Gehirn nicht jetzt existiert hätte: Dann könnte ich auch laut Hume wirklich wissen, dass mein Gehirn in diesem Moment existiert. Gleichgültig ob ich wirklich wissen konnte oder wie ich es wirklich wissen konnte, dass die Existenz von etwas vor einem Moment die Existenz von meinem Gehirn in diesem Moment bedeutet: Alles, was Hume sagt, ist, falls ich dies wirklich weiß, dann könnte ich wissen, dass mein Gehirn jetzt existiert. Dies ist die zweite Alternative. Und wenn nicht die eine oder die andere dieser Alternativen gegeben ist, kann ich, so Hume, nicht wirklich wissen, ob mein Gehirn in diesem Moment existiert. Niemand, so sagt er, kann von der gegenwärtigen Existenz von etwas, das er nicht direkt erfasst, wissen, wenn er nicht weiß, dass die gegenwärtige Existenz notwendigerweise entweder von der Existenz von etwas abhängt, das er jetzt direkt erfasst, oder mit der Existenz von etwas, das er in der Vergangenheit direkt erfasst hat: notwendigerweise verbunden in dem Sinn, dass das direkt erfasste Ding nicht existiert haben würde, wenn das nicht direkt erfasste Ding nicht gleichzeitig mit ihm oder nach ihm existieren würde. Dies ist nun ein Beispiel, was Humes erster Grundsatz im Fall eines Glaubens besagt, der die gegenwärtige Existenz von etwas, das nicht direkt erfasst wird, betrifft. Aber ich möchte es so deutlich wie möglich machen, was dieser erste Grundsatz meint, und daher werde ich – auf die Gefahr hin, Sie zu ermüden – zwei weitere Beispiele anführen: ein Beispiel bezüglich dessen, was er im Fall eines Glaubens an die vergangene Existenz von etwas bedeutet und was im Fall eines Glaubens an die zukünftige Existenz von etwas. Lassen Sie uns zunächst eine Ansicht über die Vergangenheit betrachten. Ich glaube jetzt tatsächlich, dass Julius Cäsar im römischen Senat vor fast zweitausend Jahren ermordet worden ist. Und gewiss habe ich diesen Mord nicht direkt erfasst. Dies ist nun ein Glauben an die vergangene Existenz von etwas, das ich nicht direkt erfasst habe. Und was Hume sagt, ist Folgendes: Ich weiß nicht wirklich, ob Julius Cäsar ermordet worden ist, wenn nicht eine von vier Bedingungen gegeben ist. Entweder ich muss wissen, dass etwas, das ich jetzt direkt erfasse, nicht existiert haben würde, wenn Julius Cäsar nicht ermordet worden wäre. Oder ich muss wissen, dass etwas, das ich in der Vergangenheit direkt erfasst habe, nicht existiert haben würde, wenn Julius Cäsar nicht ermordet worden wäre, bevor es existierte. Dies sind zwei Bedingungen, unter denen ich wissen könnte, dass Julius Cäsar ermor-

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det wurde; und in diesem speziellen Fall sind es die einzigen, die erfüllt sein können. Die eine oder die andere von ihnen könnte offensichtlich gegeben sein. Ich habe zum Beispiel in der Vergangenheit Sinnesdaten von vielen geschriebenen und gesprochenen Wörtern direkt erfasst, deren Bedeutung darin bestand, dass Julius Cäsar ermordet wurde. Und es mag sein, dass ich wirklich weiß, gleichgültig wie, dass alle diese Sinnesdaten nicht existiert haben würden, wenn nicht Julius Cäsar wirklich ermordet worden wäre. Und ich denke, wir alle sollten geneigt sein, Hume zuzustimmen, wenn ich dies nicht weiß, ich nicht wirklich weiß, ob Julius Cäsar überhaupt ermordet wurde. Wenn ich es nicht auf diese Art weiß, scheint es, dass ich es auch nicht auf eine andere Art wissen kann. Aber es gibt zwei weitere Bedingungen, unter denen – Humes Theorie folgend – ich eine derartige vergangene Tatsache wie die Ermordung Julius Cäsars wissen könnte. Ich könnte es wissen, wenn ich in der Vergangenheit etwas direkt erfasst hätte, das nicht existiert haben würde, wenn der Mord an Julius Cäsar nicht gleichzeitig stattgefunden hätte. Oder ich könnte es wissen, wenn ich etwas direkt erfasst hätte, das nicht existiert haben würde, wenn der Mord an Julius Cäsar nicht danach stattgefunden hätte. Wir wissen, dass in diesem speziellen Fall keine dieser Bedingungen gegeben ist, da ich gewiss nichts während oder vor dem Moment, in dem der Mord an Julius Cäsar geschehen sein soll, direkt erfasst habe. Aber im Fall von vielen vergangenen Ereignissen können diese beiden Bedingungen möglicherweise erfüllt sein. Zum Beispiel glaube ich, dass der Mond morgens um zwei Uhr an diesem Tag in der vorigen Woche existierte. Zu dieser Zeit habe ich den Mond nicht direkt erfasst. Aber ich kann z.€B. das Mondlicht direkt erfasst haben, das durch mein Fenster schien. Wenn ich nun weiß (gleichgültig ob ich es wissen kann), dass das Mondlicht, das ich zu dieser Zeit direkt erfasst habe, nicht existiert haben würde, wenn der Mond nicht gleichzeitig existiert hätte, dann kann ich nun, so Hume, wirklich wissen, dass der Mond zu diesem Zeitpunkt existiert hat. Ein Beispiel für die vierte Bedingung ist folgendes. Neulich habe ich Sinnesdaten einer Art direkt erfasst, die wir als das Erscheinen eines in der Luft fliegenden Vogels bezeichnen. Aber ich beobachtete ihn nicht, bis er sich irgendwo niedersetzte; und selbst wenn ich es hätte, hätte ich laut Hume den sich niedersetzenden Vogel nicht direkt erfasst, sondern ich hätte nur bestimmte Sinnesdaten direkt erfasst, die mit dem Niedersetzen des Vogels verbunden hätten sein können. Folglich erfasste ich das Niedersetzen des Vogels nicht direkt. Aber ich kann trotzdem jetzt wissen – dies gestattet Humes Theorie – dass dieser bestimmte Vogel sich irgendwo niedersetzte, wenn ich weiß,

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dass die Sinnesdaten, die ich direkt erfasst habe, als ich ihn (wie wir sagen) fliegen sah, nicht existiert haben würden, wenn der Vogel sich nicht später irgendwo niedergesetzt hätte. Ich sage nicht, dass ich dies wirklich weiß, aber Humes Theorie besagt, wenn ich es weiß, kann ich jetzt wirklich wissen, dass dieser Vogel sich irgendwo niedergesetzt hat. Dies ist ein Beispiel für die vierte Bedingung, unter der ich jetzt von der vergangenen Existenz von etwas wissen kann, das ich niemals direkt erfasst habe. Und wenn nicht eine dieser vier Bedingungen erfüllt ist, kann niemand jemals, so Hume, wirklich von der vergangenen Existenz von irgendetwas wissen, das man nicht direkt erfasst hat. Das heißt, man muss entweder wissen, ob das entsprechende Ding zwangsläufig etwas anderem vorausging, das man jetzt erfasst; oder ob es zwangsläufig etwas anderem vorausging, das man in der Vergangenheit erfasst hat; oder ob es zwangsläufig etwas begleitete, das man in der Vergangenheit erfasst hat; oder ob es zwangsläufig etwas anderem folgt, das man in der Vergangenheit erfasst hat. Zwangsläufig bedeutet in diesem Fall nur Folgendes: dass das direkt erfasste Ding nicht existiert haben würde, wenn nicht das andere Ding, das nicht direkt erfasst worden ist, ihm vorausgegangen wäre, es begleitet hätte oder ihm gefolgt wäre, entsprechend dem einzelnen Fall. Nun gab es in dem Fall des Glaubens an eine gegenwärtige Existenz von etwas, das wir nicht direkt erfasst haben, zwei Bedingungen, von denen eine erfüllt sein muss, wenn wir jemals wissen sollen, ob solch ein Glauben wahr ist. Im Fall des Glaubens über die Vergangenheit gibt es vier Bedingungen, von denen eine erfüllt sein muss, wenn wir wirklich wissen sollen, dass diese Ansicht wahr ist. Und im Fall des Glaubens über die Zukunft gibt es wieder nur zwei Bedingungen, von denen eine erfüllt sein muss. Zum Beispiel glaube ich jetzt, dass in fünf Minuten etwas existieren wird. Und ich kann dies nicht wirklich wissen, so Hume; ich kann nicht wirklich wissen, ob in fünf Minuten das gesamte Universum aufgehört haben wird zu exisÂ�tieren, außer unter einer der beiden Bedingungen. Ich muss entweder wissen, dass etwas, das ich jetzt direkt erfasse, jetzt nicht existieren würde, wenn nicht etwas in fünf Minuten existieren würde. Oder ich muss wissen, dass etwas, das ich in der Vergangenheit direkt erfasst habe, nicht existiert haben würde, wenn nicht etwas in fünf Minuten existieren würde. Und dies gilt auch in Bezug auf alle Ansichten über bestimmte Ereignisse in der Zukunft. Ich glaube in diesem Moment, dass die Sonne morgen aufgehen wird und dass mein Körper, tot oder lebendig, nicht mehr in diesem Raum sein wird, bevor sie aufgeht. Vielleicht werden Sie sagen, dass ich offensicht-

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lich nicht wirklich wissen kann, dass eines dieser beiden Ereignisse eintreten wird; und ich stimme zu, dass ich es nicht wirklich wissen kann. Aber es genügt, um Humes Grundsatz zu verdeutlichen. Sein Grundsatz ist, dass ich gewiss nicht eines der beiden Dinge wissen kann, wenn ich nicht entweder weiß, dass etwas, das ich jetzt direkt erfasse, jetzt nicht existieren würde, wenn die Ereignisse nicht eintreten würden; oder wenn ich weiß, dass etwas, das ich in der Vergangenheit direkt erfasst habe, nicht damals existiert haben würde, wenn sie nicht eintreten würden. Dies ist nun Humes erster Grundsatz. Und ich denke, er ist sehr plausibel. Er scheint sehr glaubwürdig zu sagen: Ich kann niemals von der Existenz von etwas wissen, das ich nicht direkt erfasst habe, wenn ich nicht weiß, dass ein anderes Ding oder eine andere Anordnung von Dingen, die ich direkt erfasst habe, nicht existiert haben würde, wenn nicht das andere Ding, das ich nicht direkt erfasst habe, wirklich auch existierte – entweder vorher, nachher oder zur selben Zeit, je nachdem welcher Fall zutrifft. Hume selbst setzt diesen ersten Grundsatz durch die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung mit dem Prinzip gleich, dass ich nicht von der Existenz von B wissen kann, das ich nicht direkt erfasst habe, wenn ich nicht weiß, dass B mit etwas oder einer Anordnung von Dingen in Beziehung steht, die ich direkt erfasst habe. Und ich denke, die beiden Lehrsätze haben wirklich zumindest Folgendes gemeinsam: Wenn ich weiß, dass ein Ding A durch ein anderes Ding B verursacht worden sein muss, dann weiß ich, dass A nicht existiert hätte, wenn B nicht vorher existiert hätte. Und ebenso wenn ich weiß, dass ein Ding A ein anderes Ding B als Folge haben muss, dann weiß ich, dass A nicht existiert haben würde, wenn B nicht folgen würde. Aber es folgt nicht, dass die beiden Lehrsätze identisch sind, und es wird besser sein, diese Diskussion von der Frage, was genau die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung ist, zu trennen. Dies ist nun Humes erster Grundsatz. Und er fährt fort, indem er einen zweiten hinzufügt. Er fragt nun: Unter welchen Bedingungen kann ich wissen, ob ein Ding oder eine Anordnung von Dingen A nicht existiert haben würde, wenn nicht auch ein anderes B existiert hätte, existierte oder existieren würde? Und seine erste Antwort auf diese Frage ist auch äußerst plausibel. Seine Antwort ist, dass nichts außer Erfahrung mich dies lehren kann; ich kann es nicht ohne die Hilfe der Erfahrung wissen. Und dies ist eine Antwort, die fortwährend von allen möglichen Philosophen gegeben worden ist. Alle möglichen Philosophen haben z.€B. behauptet, dass ich unmöglich wissen kann, ob ein Ding A nicht existiert haben würde, wenn nicht

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ein anderes, B, ihm vorausgegangen ist – außer durch Erfahrung; und dass ich unmöglich wissen kann, ob ein Ding B einem anderen, A, folgen muss – außer durch Erfahrung. Wie kann ich z.€B. wissen, wenn ich dieses Blatt loslassen würde, dass es fallen würde? Es scheint offensichtlich zu sein, dass ich dies nicht wissen könnte außer durch Erfahrung. Oder kann ich wissen, wenn ich ein Kind sehe, dass es zwei Eltern gehabt haben muss? Es scheint offensichtlich zu sein, dass ich dies nicht wissen könnte außer mit Hilfe der Erfahrung. Aber nur zu sagen, dass wir solche Dinge nicht wissen können außer mit Hilfe der Erfahrung ist eine eher vage Angelegenheit. Und Hume versucht genauer zu definieren, was für eine Art von Erfahrung ich gehabt haben muss, um zu wissen, dass zwei Dinge zwangsläufig verbunden sind. Und auch hier tut er dies sehr auf sehr überzeugende Weise. Um nicht unnötig umständlich zu sein, werde ich hier nur von dem Fall sprechen, in dem wir wissen sollen, dass einem Ding B ein anderes, A, vorausgegangen sein muss. Was ich bezüglich dieses Falles sagen werde, gilt auch –€mutatis mutandis€– für die anderen beiden Fälle: für den Fall, in dem wir wissen sollen, dass ein Ding B von einem anderen, A, begleitet worden sein muss; und für den Fall, in dem wir wissen sollen, dass einem Ding B ein anderes, A, folgen muss oder gefolgt ist. Ich beschränke mich nun um der Beispielhaftigkeit willen auf die Fälle, in denen ich annehme, dass ich weiß, einem Ding B muss ein anderes, A, vorausgegangen sein. Hume sagt, wenn ich dies jemals wirklich wissen soll, muss ich in der Vergangenheit stets beobachtet haben, wann immer ein Ding wie B existierte, ihm ein Ding wie A vorausgegangen war. Indem er sagt, dass ich dies stets beobachtet haben muss, meint er nicht, wenn ich ein Ding wie B beobachtet habe, ich wirklich immer ein Ding wie A vor ihm beobachtet haben muss. Alles, was er sagen möchte, ist, dass ich niemals einen Fall beobachtet haben darf, in dem ein Ding wie B existierte und in dem ein Ding wie A gewiss nicht vor ihm existierte hatte. Wenn ich wirklich wissen soll, ob B dem A vorausgegangen sein muss, muss ich zumindest dies getan haben. Ich muss mehrere Fälle beobachtet haben, in denen, wenn ein Ding wie B existierte, ein Ding wie A vor ihm existiert hatte; und ich darf keinen Fall beobachtet haben, in dem, wenn ein Ding wie B existierte, ein Ding wie A gewiss nicht vor ihm existiert hatte. Aber er fügt einen ergänzenden Grundsatz hinzu, der sehr wichtig ist. Es ist tatsächlich so, dass wir oftmals nicht annehmen zu wissen, wenn ein Ding

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B existiert, dass ihm wirklich ein anderes Ding A vorausgegangen sein muss. Wir nehmen oftmals nur an zu wissen, dass es mehr oder weniger wahrscheinlich ist, dass ihm ein Ding A vorausgegangen ist: oftmals mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit, aber manchmal auch mit einer sehr geringen und andere Male mit verschiedenen Abstufungen zwischen diesen beiden Polen. Und Hume denkt, dass es eine angebrachte Modifizierung seines Grundsatzes ist; er kann auch für diese Fälle eine Regel aufstellen. Er sagt, wir können niemals wissen, dass einem Ding B ein A wahrscheinlich vorausgegangen ist, wenn wir nicht tatsächlich einige Fälle (zumindest einen Fall) beobachtet haben, in denen einem Ding wie B ein Ding wie A vorausgegangen ist. Um zu wissen, ob einem Ding wie B wahrscheinlich ein Ding wie A vorausgegangen ist, müssen wir aber nicht beobachtet haben, dass Dingen wie B in der Vergangenheit stets Dinge wie A vorausgegangen sind. Selbst wenn wir mehr als einen Fall beobachtet haben, in dem einem Ding wie B gewiss kein Ding wie A vorausgegangen ist, können wir dennoch wissen, dass B in unserem Fall A wahrscheinlich vorausgegangen ist. Der Grad der Wahrscheinlichkeit wird, so sagt er, vom Verhältnis der Fälle abhängig sein, in denen wir beobachtet haben, dass einem Ding wie B ein Ding wie A vorausgegangen ist, zu solchen, in denen wir beobachtet haben, dass einem Ding wie B gewiss kein Ding wie A vorausgegangen ist. Um zu wissen, dass einem Ding B überhaupt wahrscheinlich A vorausgegangen ist, müssen wir, wenn wir ein Ding wie B in der Vergangenheit beobachtet haben, im Allgemeinen beobachtet haben, dass ihm ein Ding wie A vorausgegangen ist: im Allgemeinen in dem Sinn, dass es mehr Fälle gegeben haben muss, in denen ein Ding wie A ihm tatsächlich vorausgegangen ist, als Fälle, in denen ein Ding wie A ihm gewiss nicht vorausgegangen ist. Und falls wir viele Fälle beobachtet haben, in denen ein Ding wie A ihm vorausgegangen ist, und nur wenige, in denen dies nicht der Fall war, dann können wir wissen, dass es höchst wahrscheinlich ist, dass A dem B in unserem Fall vorausgeht. Hume stellt nun zwei Regeln auf: (1) Um wirklich zu wissen, dass A dem B vorausgegangen sein muss, muss ich in der Vergangenheit beobachtet haben, dass Dingen wie B stets Dinge wie A vorausgegangen sind. (2) Um zu wissen, dass A wahrscheinlich B vorausgegangen ist, muss ich in der Vergangenheit beobachtet haben, dass Dingen wie B im Allgemeinen Dinge wie A vorausgegangen sind. Und diese beiden Regeln sind auf den ersten Blick sehr überzeugend. Aber lassen Sie sie uns genauer betrachten. Was sie behaupten ist Folgendes: Ich kann niemals wissen, dass einem Ding B ein anderes Ding A wahrscheinlich

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vorausgegangen ist, wenn ich nicht selbst Fälle beobachtet habe, in denen Dingen wie B Dinge wie A vorausgegangen sind. Kein Mensch kann jemals wissen, dass einem Ding B wahrscheinlich ein Ding A vorausgegangen ist, wenn dieser Mensch nicht selbst Fälle beobachtet hat, in denen Dingen wie B Dinge wie A vorausgegangen sind. Sie behaupten daher, dass jeder von uns Dinge dieser Art nur durch seine eigene Erfahrung lernt. Aber ist es wirklich glaubwürdig, dies zu behaupten? Kann ich tatsächlich niemals etwas durch die Erfahrung anderer Menschen lernen? Kann ich nicht lernen, dass einer Art von Ding ein anderes vorausgegangen ist, indem ich dies durch die Tatsache lerne, dass andere Menschen beobachtet haben, dass dies so ist? Es scheint absurd zu bestreiten, dass ich solche Dinge durch die Erfahrung anderer Menschen lernen kann. Und Hume selbst, insofern dieser Teil seiner Theorie betroffen ist, möchte es gewiss nicht leugnen, dass ich es kann. Was er nicht bemerkt ist, falls ich es kann, können seine zwei Grundsätze nicht wahr sein, so wie er sie aufstellt; sie müssen auf eine Art modifiziert werden. Und die Art, in der er sie modifizieren wollte, ist, so denke ich, die folgende. Wie, fragt er, kann ich selbst jemals wissen, ob eine andere Person jemals etwas erfahren hat? Dies ist selbst ein solcher Fall, für den er begonnen hat, diese Regeln aufzustellen. Die Tatsache, dass eine andere Person bestimmte Erfahrungen gemacht hat, ist selbst ein Ding, das ich selbst niemals direkt erfasst habe. Wenn ich daher wissen soll, ob eine andere Person bestimmte Erfahrungen gemacht hat, muss ich wissen, dass bestimmte Dinge, die ich direkt erfasst habe, nicht existiert haben würden, wenn nicht eine andere Person die entsprechenden Erfahrungen gemacht hätte. Und dies kann ich zunächst einmal nur durch meine eigene Erfahrung lernen. Ich kann es niemals lernen, wenn ich nicht selbst beobachtet habe, wenn ich bestimmte Wörter höre oder lese oder andere Zeichen direkt erfasse, dass die Aussagen, die durch diese Wörter oder Zeichen vermittelt werden, im Allgemeinen wahr sind. Und dies ist offensichtlich eine Art von Ding, das ich möglicherweise durch meine eigene Erfahrung lernen könnte in der Weise, die Hume behauptet. Wenn ich Aussagen höre mit dem Inhalt, dass ich selbst bestimmte Dinge beobachten werde oder beobachtet habe, und wenn ich fortwährend beobachte, wenn ich solche, in einer bestimmten Art und unter bestimmten Bedingungen gemachte Aussagen höre, dass ich wirklich Dinge sehe oder wirklich gesehen habe, die ich laut diesen Aussagen gesehen hätte oder sehen sollte, ich auf diese Weise, Humes eigenen Grundsätzen entsprechend, zu der Verallgemeinerung gelangen könnte, dass in einer bestimmten Art gemachte Aussagen im Allgemeinen wahr wären.

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Und ich könnte dann diese Verallgemeinerung auf alle Aussagen übertragen, die in dieser Art und unter Umständen gemacht werden, unter denen ich selbst beobachtet habe, dass die Aussagen im Allgemeinen wahr sind: Daher könnte ich es auf Aussagen anwenden, die die Existenz von Dingen behaupten, die ich selbst niemals gesehen habe, und könnte zu dem Wissen gelangen, dass andere Menschen diese Dinge wirklich erfahren haben, die ich nicht erfahre habe. Es ist eine solche Weise, in der Hume beabsichtigte, seine ursprünglichen Regeln zu modifizieren. Aber es muss bemerkt werden, dass dies wirklich eine Modifizierung der entsprechenden Regeln ist. Diese Modifizierung zuzulassen bedeutet die Regeln, so wie sie ursprünglich aufgestellt worden sind, aufzugeben. Die Regeln behaupteten, ich könne niemals wissen, ob einem Ding B wahrscheinlich ein Ding A vorausgegangen ist, wenn ich nicht selbst beobachtet habe, dass in der Vergangenheit Dingen wie B im Allgemeinen Dinge wie A vorausgegangen sind. Und diese Regel muss nun aufgegeben werden. Aber wir können vielleicht diese notwendige Modifizierung zum Ausdruck bringen, indem wir sagen: Ich kann niemals wissen, dass dem Ding B das Ding A selbst wahrscheinlich vorausgegangen ist, wenn ich nicht selbst entweder beobachtet habe, dass Dingen wie B im Allgemeinen Dinge wie A vorausgegangen sind; oder wenn ich selbst beobachtet habe, dass Aussagen wie etwa solche, die behaupten, dass jemand anderes eine generelle Verbindung zwischen Dingen wie B und A beobachtet hat, im Allgemeinen wahr sind – d.€h. die Existenz dessen, was sie behaupten, geht ihnen im Allgemeinen entweder voraus, begleitet sie oder folgt ihnen. Wenn diese Modifizierung nun durchgeführt worden ist, werden Humes Regeln wieder schlüssig. Betrachten wir sie so, dass sie diese Modifizierung beinhalten. Nun möchte ich Sie auf einen weiteren Punkt bezüglich dieser Regeln aufmerksam machen. Was sie behaupten ist, dass jedes Wissen, das ich von der Existenz oder der möglichen Existenz von etwas haben kann, das ich nicht direkt erfasst habe, auf Beobachtung basieren muss; entweder auf meiner eigenen Beobachtung oder die anderer Menschen; aber falls es sich um den letzteren Fall handelt, dann muss mein Wissen, dass eine andere Person das entsprechende Ding beobachtet hat, letztlich selbst auf meiner eigenen Beobachtung beruhen. Ich denke, dass diese Regeln viel von ihrer Glaubwürdigkeit dem Gebrauch des Begriffs „Beobachtung“ schulden. Wir sind es alle gewohnt zu denken, dass unser Wissen von dem, was passiert ist, was gerade passiert und was wahrscheinlich passieren wird, größtenteils auf Beobachtung beruht – auf Beobachtung und Experimenten, mit Experiment ist die Beobachtung unter bestimmten, künstlich angeordneten Bedin-

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gungen gemeint. Wie zum Beispiel hat man erfahren, dass es Blutkörperchen gibt? Mittels Beobachtung, sollten wir sagen. Menschen haben Blutstropfen unter dem Mikroskop untersucht, und unter diesen Bedingungen haben sie die Körper beobachtet, die wir jetzt Blutkörperchen nennen: Sie sahen diese Körper. Aber was meinen wir nun, wenn wir sagen, dass sie diese Dinge beobachtet haben? Was wir sagen ist, dass sie den Blutstropfen selbst tatsächlich beobachtet haben und die Blutkörperchen in ihm. Aber wie wir bei der anerkannten Theorie hinsichtlich der Sinnesdaten gesehen haben, haben sie weder den Bluttropfen selbst noch einen Teil von ihm direkt erfasst; sie haben weder die Blutkörperchen selbst noch einen Teil von ihnen direkt erfasst. Alles, was ein Mensch jemals direkt erfasst haben kann, sind bestimmte Sinnesdaten, keines von ihnen und kein Teil von ihnen ist Teil des materiellen Objekts, einem Tropfen Blut. Wenn wir daher von Beobachtung in dem Sinne sprechen, in dem es so offensichtlich erscheint, dass vieles von unserem Wissen auf Beobachtung beruht, meinen wir mit „Beobachtung“ nicht direktes Erfassen. Wir meinen mit Beobachtung die Beziehung, die wir zu materiellen Objekten selbst haben, wenn wir bestimmte Sinnesdaten direkt erfassen; wir meinen damit nicht die Beziehung des direkten Erfassens, die wir zu den Sinnesdaten haben. Was ich jetzt zum Beispiel beobachte, ist die Bewegung meiner Hand. Aber ich erfasse die Bewegung meiner Hand nicht direkt; ich erfasse nur bestimmte Sinnesdaten direkt, die – hinsichtlich der anerkannten Theorie€– noch nicht einmal teilweise mit der Hand oder ihren Bewegungen identisch sind. Wenn wir daher von Wissen sprechen, das auf Beobachtung beruht, meinen wir im Allgemeinen mit „Beobachtung“ nicht direktes Erfassen. Und wenn Hume selbst Beispiele anführt, um zu zeigen, wie viel unseres Wissen auf Beobachtung beruht, hängt die Überzeugungskraft seiner Beispiele von der Tatsache ab, dass er mit Beobachtung das meint, was wir alle damit gewöhnlich meinen – eine Beziehung zu den materiellen Objekten selbst, nicht nur die Beziehung zu bestimmten Sinnesdaten. Wenn er zum Beispiel anführt, dass wir mittels der Beobachtung lernen, dass ein Stein, wenn er losgelassen wird, zu Boden fallen wird oder dass ein Feuer brennen wird, so denkt er, dass wir in der Vergangenheit tatsächlich fallende Steine und brennendes Feuer beobachtet haben. Aber wenn wir den Begriff „Beobachtung“ so verstehen sollten, innerhalb seiner Regeln, dann würden sie offenkundig keinen Sinn ergeben. Beobachtung ist in diesem Sinn eine Beziehung, die wir zu einem Objekt haben, das wir nicht direkt erfassen. Aber der Zweck seiner Regeln ist darzustellen, unter welchen Bedingungen wir jemals von der Existenz eines Objekts wissen können, das

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wir nicht direkt erfassen. Und was sie aussagen ist, dass wir niemals von der Existenz eines solchen Objekts wissen können, wenn wir nicht zuvor ein ähnliches Objekt beobachtet haben. Aber selbst wenn wir ein ähnliches Objekt zuvor beobachtet hätten, würde uns dies offensichtlich nicht weiterhelfen, wenn „Beobachtung“ nicht direktes Erfassen bedeuten soll. Denn selbst wenn wir ein ähnliches Objekt zuvor beobachten würden, hätten wir es nicht direkt erfasst und würden daher nichts von seiner Existenz wissen, wenn wir nicht zuvor ein ihm ähnliches Objekt beobachtet hätten usw. ad infinitum. Sodass ich zuvor eine unendliche Reihe von ähnlichen Objekten beobachten haben muss, wenn ich jemals von der Existenz eines Objekts wissen soll, das ich beobachte. Solch eine Regel aufzustellen wäre schlichtweg absurd; und es ist gewiss nicht das, was Hume meint. In seinen Regeln meint er mit Beobachtung gewiss eine Beziehung, durch die wir von der Existenz eines beobachteten Objekts wissen können, wenn wir es beobachten, selbst wenn wir es zum ersten Mal beobachten. Und laut ihm ist die einzige Beziehung, auf die dies zutrifft, die des direkten Erfassens. Daher meint er in seinen Regel mit „Beobachtung“ direktes Erfassen. Und wenn wir dies so verstehen, hören sie auf, ganz so überzeugend zu sein. Sie laufen jetzt auf Folgendes hinaus: Ich kann niemals von der Existenz eines Objekts wissen, das ich nicht direkt erfasst habe, wenn ich nicht zuvor ein ähnliches Objekt direkt erfasst habe oder weiß, dass jemand anderes es direkt erfasst hat. Wenn sie so verstanden werden, verlieren sie die Glaubwürdigkeit, die von der Tatsache herrührt, dass so vieles von unserem Wissen auf vorheriger Beobachtung zu beruhen scheint – Beobachtung in dem Sinn, in dem wir materielle Objekte beobachten und in dem Beobachtung nicht direktes Erfassen bedeutet. Und ich denke, der Grund, warum sie so vielen Philosophen als glaubwürdig erschienen sind, beruht weitgehend auf der Verwechslung von Beobachtung in dem Sinn, in dem wir den Begriff üblicherweise verwenden, und direktem Erfassen. Aber dennoch erschienen sie glaubwürdig. Viele Philosophen haben sie, bewusst oder unbewusst, übernommen; sie haben so argumentiert, als ob Humes Grundsätze wahr seien. Und sie können glaubwürdig erscheinen, selbst wenn wir ganz klar verstehen, dass mit Beobachtung direktes Erfassen und nur direktes Erfassen gemeint ist. Diese Grundsätze sind, so habe ich gesagt, ein Hauptgrund gewesen, warum viele Philosophen bezweifelt haben, ob wir jemals von der Existenz eines materiellen Objekts wissen können. Und was ich nun tun möchte ist zu überlegen, ob wir jemals von der Existenz eines materiellen Objekts wissen können unter der Annahme, dass die Grundsätze wahr sind. Viele Philosophen haben die Meinung vertreten,

Humes Theorie

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unter der Annahme, dass sie wahr sind, können wir niemals von der Existenz eines materiellen Objekts wissen– noch nicht einmal, dass es wahrscheinlich existiert. Und dies ist ein Hauptgrund, warum sie die Meinung vertreten haben, dass wir nicht von der Existenz eines materiellen Objekts wissen, selbst unter dem Gesichtspunkt der Wahrscheinlichkeit. Aber zunächst möchte ich versuchen, so sorgfältig wie möglich wieder darzulegen, was genau diese Regeln sind. Sie versuchen zwei Fälle zu berücksichtigen: (1) den Fall, wenn wir glauben, dass etwas, das wir nicht direkt erfasst haben, gewiss existiert hat, existiert oder existieren wird; und (2) den Fall, wenn wir glauben, dass etwas, das wir nicht direkt erfasst haben, wahrscheinlich existiert hat, existiert oder existieren wird. Im ersten Fall besagen sie Folgendes. Kein Mensch kann jemals wissen, dass eine solche Annahme wahr ist, d.€h. wissen, ob A, das er nicht direkt erfasst hat, gewiss existiert hat, existiert oder existieren wird, wenn er nicht weiß, dass ein Ding oder eine Anordnung von Dingen B, die er direkt erfasst hat, gewiss nicht existiert haben würde, wenn A nicht auch existiert hätte, gleichzeitig oder zukünftig existieren würde. Und sie fügen hinzu: Kein Mensch kann Letzteres jemals wissen, wenn nicht entweder er selbst Dinge wie B zuvor direkt erfasst hat und, wenn er sie direkt erfasst hat, auch Dinge wie A, vorausgegangene, begleitende oder folgende, direkt erfasst hat und auch niemals auf einen Fall getroffen ist, in dem, wenn er Dinge wie B direkt erfasst hat, Dinge wie A gewiss nicht existierten; oder wenn er weiß, dass eine andere Person eine derartige Form des direkten Erfassens hatte. Und sie fügen hinzu, dass in diesem letzteren Fall sein Wissen, dass eine andere Person sie hatte, selbst auf seinem eigenen direkten Erfassen beruhen muss. Im zweiten Fall, wenn wir glauben, dass etwas, das wir nicht direkt erfasst haben, wahrscheinlich existiert hat, existiert oder existieren wird, besagen Humes Regeln Folgendes. Kein Mensch kann jemals wissen, ob solch eine Annahme wahr ist, wenn er nicht weiß, dass ein Ding B, das er direkt erfasst hat, nicht existiert hätte, wenn nicht auch das Ding A, von dem er annimmt, dass es wahrscheinlich existiert, wahrscheinlich existiert hat. Und, so fügen sie hinzu, er kann das Letztere nicht wissen, wenn nicht entweder er selbst oder eine andere Person zuvor Dinge wie B direkt erfasst hat und, wenn dies geschah, im Allgemeinen Dinge wie A davor, danach oder zur gleichen Zeit direkt erfasst hat; falls das, auf was er sich beruft, die Erfahrung einer anderen Person ist, so kann er dies auch hier nicht tun, wenn er nicht weiß, ob diese andere Person gewiss oder wahrscheinlich die entsprechende Erfahrung

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gemacht hat, und dies kann er nicht wissen, außer wenn eine dieser besagten Regeln erfüllt ist. Sie sehen, dass diese Regeln ziemlich kompliziert sind, aber ich hoffe, das Grundprinzip ist klar. Nun lassen Sie uns überlegen, was daraus folgen würde, angenommen, diese Regeln seien wahr. Ich werde dazu ein bestimmtes Beispiel anführen. Tatsächlich glaube ich, dass es in dieser meiner Hand gegenwärtig Knochen gibt – ein Skelett in der Form, die wahrscheinlich uns allen durch Bilder vom Skelett einer Hand vertraut ist. Tatsächlich glaube ich, dass es nicht nur wahrscheinlich, sondern dass es gewiss Knochen in dieser Form gegenwärtig in dieser Hand gibt. Aber ich erfasse gegenwärtig gewiss keinen einzigen dieser Knochen direkt. Wie kann ich nun wissen, nach Humes Grundsätzen, ob sie wahrscheinlich existieren? Eine mögliche Weise ist folgende. Ich erfasse in diesem Moment bestimmte Sinnesdaten direkt, die Form, die Farbe etc., die die sichtbare Erscheinung der Haut meiner Hand genannt werden könnten. Und ich könnte in der Vergangenheit durch direktes Erfassen erfahren haben, dass ähnliche sichtbare Erscheinungen im Allgemeinen mit anderen Sinnesdaten auf eine bestimmte Weise verbunden waren – z.€B. mit solchen Sinnesdaten, die ich sehen würde, wenn ich das Skelett meiner Hand sähe, oder mit solchen, die ich fühlen würde, wenn ich das Skelett fühlte. Tatsächlich finden Menschen, wenn sie eine Hand sezieren, heraus, dass Sinnesdaten, jenen ähnlich, die ich jetzt direkt erfasse, in einer bestimmten Weise mit solchen Sinnesdaten wie der Erscheinung eines Skeletts verbunden sind. Lassen Sie uns die Sinnesdaten, die ich jetzt sehe, die sichtbare Erscheinung der Haut meiner Hand nennen. Andere Menschen haben, so glaube ich, wenn sie eine Hand seziert haben, herausgefunden, dass der sichtbaren Erscheinung der Haut einer Hand, die sie zu einem Zeitpunkt direkt erfasst haben, die sichtbare Erscheinung eines Skeletts gefolgt ist, die in einer bestimmten räumlichen Beziehung – in dem gleichen, direkt erfassten Raum – zu der sichtbaren Erscheinung der Haut, die sie zuvor gesehen haben, standen. Ich sollte erklären, dass ich niemals selbst eine Hand seziert habe oder gesehen habe, wie eine seziert worden ist. Aber gemäß Humes Grundsätzen kann ich möglicherweise gelernt haben, dass andere Menschen eine Verbindung zwischen der sichtbaren Erscheinung der Haut einer Hand und der sichtbaren Erscheinung eines Skeletts erlebt haben, so wie ich es eben beschrieben habe. Daher könnte ich aufgrund ihrer Erfahrung möglicherweise wissen, wenn diese Hand seziert würde, dass der sichtbaren Erscheinung, jener ähnlich, die ich jetzt sehe, aller Wahrscheinlichkeit nach die sichtbare Erscheinung eines

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Skeletts folgen würde. Und ich könnte auch möglicherweise durch andere Erfahrungen wissen, wenn die sichtbare Erscheinung eines Skeletts zu einem Zeitpunkt existiert, dass sie im Allgemeinen für eine gewisse Zeit davor und danach existiert. Ich könnte die sichtbare Erscheinung eines Skeletts gesehen und herausgefunden haben, dass es eine Art von Ding ist, das nicht schnell verschwindet. Daher könnte es mir möglich sein zu folgern, dass die sichtbare Erscheinung eines Skeletts, da sie wahrscheinlich bald existieren würde, falls meine Hand jetzt seziert werden würde, wahrscheinlich auch schon in diesem Moment existieren muss. Daher könnte ich gemäß Humes Grundsätzen wissen, dass die sichtbare Erscheinung eines Skeletts einer Hand wahrscheinlich wirklich jetzt existiert und dass sie bestimmte räumliche Beziehungen zu dieser sichtbaren Erscheinung der Haut meiner Hand in dem Raum hat, den ich jetzt direkt erfasse. Ich könnte dies im Hinblick auf die sichtbare Erscheinung eines Skeletts wissen. Und ebenso könnte ich es im Hinblick auf andere Sinnesdaten wissen; z.€B. die Sinnesdaten, die ich fühlen würde, wenn ich das Skelett einer Hand berührte. Es scheint daher, dass ich gemäß Humes Grundsätzen wissen könnte, ob in diesem Moment, in Verbindung mit dieser sichtbaren Erscheinung, bestimmte andere Sinnesdaten existieren, und zwar solche, die ich sehen würde, wenn ich ein Skelett einer Hand sähe oder fühlen würde, wenn ich es berührte. Angenommen, ich könnte gemäß Humes Grundsätzen dies alles wissen, was folgte dann? Die Dinge, deren gegenwärtige Existenz ich laut dieser Hypothese folgern könnte, würden offensichtlich solche Dinge sein wie jene im Hinblick auf das, was ich anerkannte Theorie genannt habe – sie wären Sinnesdaten – es wären Sinnesdaten, die mehr oder weniger jenen ähneln würden, die ich sehen oder fühlen würde, wenn ich ein Skelett sähe oder fühlte. Alles, was Humes Grundsätze meiner Möglichkeit zu folgern zu gestatten scheinen, ist, dass in Verbindung mit jenen Sinnesdaten, die ich direkt erfasse, jetzt andere Sinnesdaten existieren, die mehr oder weniger jenen ähneln, die ich sehen oder fühlen würde, wenn ich ein Skelett sähe oder berührte. Wenn es mir möglich sein sollte, die Existenz von etwas zu schlussfolgern, selbst etwas, das dem Skelett ähnelt, an dessen Existenz ich glaube, muss es mir möglich sein, so scheint es, die Existenz seiner Farbe zu schlussfolgern – einer Farbe, die mehr oder weniger dem ähnelt, was ich sehen würde, wenn ich die sichtbare Erscheinung eines Skeletts direkt erfasse. Aber viele Philosophen haben angenommen, es gebe unüberwindbare Einwände anzunehmen, dass eine solche Farbe – die Farbe des Skeletts – wirklich in diesem Moment, verbunden mit den Sinnesdaten, die ich sehe, existiert. Sie

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George Edward Moore • Grundprobleme der Philosophie

haben tatsächlich eine Erweiterung der Theorie vorgenommen, die ich die anerkannte Theorie hinsichtlich der Sinnesdaten genannt habe – eine Erweiterung, die sorgfältig von der ursprünglichen Theorie unterschieden werden sollte. Sie erinnern sich, dass die ursprüngliche Theorie feststellte, dass keines der Sinnesdaten, die jemand von uns jemals direkt erfasst, überhaupt jemals existiert außer im Bewusstsein der entsprechenden Person. Die Erweiterung behauptet nicht nur, dass jene gleichen Sinnesdaten nicht existieren können außer im Verstand von jemandem, sondern auch dass überhaupt keine Sinnesdaten – nichts, das einem Sinnesdatum ähnelt – existieren können außer im Verstand von jemandem: dass, außer im Verstand von jemandem, überhaupt nichts wie ein Sinnesdatum, das ich direkt erfasse, existieren kann. Zum Beispiel behauptet sie, dass kein solches Ding wie eine Farbe oder ein Geräusch überhaupt existiert, außer wenn es von jemandem direkt erfasst wird oder zumindest im Verstand von jemandem ist. Und einige Philosophen, z.€B. Berkeley, haben erklärt, dass diese Erweiterung der Theorie, und nicht nur die Theorie selbst, offenkundig ist. Wenn es tatsächlich so wäre, würde jede Diskussion bezüglich dessen, wie man von der Existenz materieller Objekte wissen kann, sofort beendet werden. Dann würde nicht nur feststehen, dass wir niemals von der Existenz materieller Objekte wissen können, sondern auch dass kein materielles Objekt existieren kann. Was auch immer wir mit einem materiellen Objekt meinen, so meinen wir doch zumindest zwei Dinge, nämlich (1) etwas, das existieren kann, ohne im Verstand von jemandem zu sein, und (2) etwas, das zumindest in einer Hinsicht Sinnesdaten ähnelt – in Hinsicht auf die Tatsache, dass es eine Form hat und sich in einer Art Raum befindet. Wenn es daher, wie Berkeley sagt, offenkundig wäre, dass nichts, das einem Sinnesdatum ähnelt, jemals existieren kann außer im Verstand von jemandem, würde folgen, dass überhaupt kein materielles Objekt existiert. Aber wie ich bereits gesagt habe, scheint es mir, dass dies gewiss nicht offensichtlich ist. Und die meisten Philosophen, so denke ich, haben die Ansicht vertreten, als ob es nicht so wäre. Sie haben eingeräumt, dass ein materielles Objekt, das den Sinnesdaten dahingehend ähnelt, dass es eine Form hat, möglicherweise existieren könnte. Aber sie haben aus folgenden Gründen die Ansicht vertreten, dass wir nicht wissen können, ob es existiert. Die einzige Weise, auf die wir es wissen können, ist, so sagen sie, in Übereinstimmung mit Humes Grundsätzen. Aber diese Grundsätze würden uns nur gestatten, von der Existenz von Farben, Geräuschen und anderen Sinnesdaten neben den Formen, die nicht im Verstand von jemandem sind, zu wissen, falls sie uns überhaupt gestatten, davon zu wissen. Und

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bei der Annahme, dass eine Farbe, die ich nicht direkt erfasse, Teil eines materiellen Objekts sein kann, treten die gleichen Schwierigkeiten auf wie bei der Annahme, dass eine Farbe, die ich direkt erfasse, es sein kann. Nehmen Sie zum Beispiel die vermutete Farbe des Skeletts meiner Hand. Soll ich annehmen, dass die Farbe, die sie jetzt hat, die Farbe ist, die ich sehen würde, wenn meine Hand seziert würde, oder die Farbe, die jemand anderes mit unterschiedlicher Augenstärke sehen würde? Soll ich annehmen, dass es die Farbe ist, die ich bei zehn Candela sehen würde, oder die Farbe, die ich bei hundert Candela sehen würde? Soll ich annehmen, dass es die Farbe ist, die ich bei gelblichem Licht sehen würde, oder die Farbe, die ich bei bläulichem Licht sehen würde? Gemäß Humes Theorie scheint es, dass es gleich gute Gründe gibt anzunehmen, dass es jede dieser Farben ist; und doch ist es schwierig anzunehmen, dass all diese Farben jetzt am gleichen Ort in meiner Hand existieren. Aus Gründen wie diesen haben die meisten Philosophen angenommen, dass überhaupt keine Farbe in diesem Moment in meiner Hand existiert. Und da Humes Theorie Gründe dafür anzuführen scheint , dass in ihr ein farbiges Skelett ist, falls die Theorie Gründe anführt , dass jetzt in meiner Hand überhaupt ein Skelett ist, nehmen sie an, es könne keinen Grund geben zu glauben, dass es überhaupt ein Skelett gibt. Und da Humes Grundsätze die einzigen Bedingungen benennen, unter denen ich, und wenn auch nur möglicherweise, wissen kann, ob es jetzt in meiner Hand ein Skelett gibt, schließen sie, ich wisse nicht, dass es, und wenn auch nur möglicherweise, eines gibt. Und was auf die gegenwärtige Existenz des Skeletts meiner Hand zutrifft, trifft genauso auf die vergangene, gegenwärtige und zukünftige Existenz eines beliebigen materiellen Objekts zu. Ich kann niemals wissen, ob ein materielles Objekt, und wenn auch nur möglicherweise, existiert. Die einzigen Dinge, von deren Existenz ich wissen kann über das hinaus, was ich selbst direkt erfasst habe, sind: (1) die vergangenen und zukünftigen Inhalte meines Verstands, meine Bewusstseinsakte und alle Dinge eingeschlossen, die ich direkt erfasse, und (2) die Inhalte im Verstand anderer Menschen im gleichen Sinn. Dies ist eine begründete Zusammenfassung einer Argumentationskette, die viele Philosophen veranlasst hat anzunehmen, dass ich unmöglich von der Existenz eines materiellen Objekts wissen kann. Die Argumentation scheint mir nicht schlüssig zu sein, aber glaubwürdig genug, um eine Art von Antwort zu verlangen. Und ich werde nun versuchen, die beste Antwort zu geben, die ich kann.

Kapitel 6 Betrachtung der Theorie Humes

B

is eben war ich hauptsächlich damit beschäftigt, eine bestimmte Antwort, die ich Humes Antwort genannt habe, auf folgende Frage zu geben: Unter welchen Bedingungen (falls es welche gibt) weiß ein Mensch von der vergangenen, gegenwärtigen oder zukünftigen Existenz von etwas, das er selbst zu diesem Zeitpunkt nicht direkt erfasst und es auch in der Vergangenheit nicht direkt erfasst hat? Und die Antwort zu dieser Frage, die ich als diejenige Humes dargestellt habe, war zweiteilig. Der erste Teil besagte Folgendes. Sagen wir, dass die Existenz eines Dinges A ein sicheres Zeichen für die Existenz eines anderen Dinges B ist, wann immer man wirklich sagen kann: Da A existiert, ist es gewiss, dass B vor ihm existiert hat, zur gleichen Zeit existiert oder nach ihm existieren wird. Und lassen Sie uns sagen, dass die Existenz eines Dinges A ein wahrscheinliches Zeichen für die Existenz eines anderen Dinges B ist, wann immer man wirklich sagen kann: Da A existiert, ist es wahrscheinlich, dass B vor ihm existiert hat, zur gleichen Zeit existiert oder nach ihm existieren wird. Nun besteht der erste Teil der Antwort Humes aus zwei Punkten. Erstens weiß niemand jemals, ob B, das man nicht selbst direkt erfasst hat, gewiss existiert hat, existiert oder existieren wird, wenn man nicht weiß, ob die Existenz eines Dinges oder einer Anordnung von Dingen A, die man selbst direkt erfasst hat, ein sicheres Zeichen der Existenz von B ist. Und zweitens weiß niemand jemals, ob B, das man nicht selbst direkt erfasst hat, wahrscheinlich existiert hat, existiert oder existieren wird, wenn man nicht weiß, ob die Existenz eines Dinges oder einer Anordnung von Dingen A, die man selbst direkt erfasst hat, ein wahrscheinliches Zeichen der Existenz von B ist. Dies war der erste Teil der Antwort Humes auf unsere Frage; und der zweite Teil besagt Folgendes: Sagen wir, dass ein Mensch eine generelle Verbindung zwischen Dingen wie A und Dingen wie B erfahren hat, wenn er, als er ein Ding wie A in der Vergangenheit direkt erfasst hat, im Allgemeinen ein Ding wie B entweder vorher, nachher oder zur gleichen Zeit direkt erfasst hat. Verbindung15, ein 15

Im Engl. conjunction [Anm. d. Übers.].

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George Edward Moore • Grundprobleme der Philosophie

Wort, das Hume selbst verwendet, ist ein passender Begriff, da wir sagen, dass Dinge wie A im Allgemeinen mit Dingen wie B verbunden sind, und zwar wenn wir meinen, dass sie ihnen generell vorausgehen, und wenn wir meinen, dass sie ihnen generell folgen, und wenn wir meinen, dass sie jene generell begleiten. Lassen Sie uns nun sagen, dass ein Mensch eine generelle Verbindung zwischen Dingen wie A und Dingen wie B erfahren hat, falls er, als er Dinge wie A in der Vergangenheit direkt erfasst hat, auch ein Ding wie B im Allgemeinen entweder vorher, nachher oder zur gleichen Zeit erfasst hat. Wenn wir nun den Ausdruck „eine generelle Verbindung erfahren“ in diesem Sinn verstehen, besteht der zweite Teil der Antwort Humes aus Folgendem. Niemand, so sagt er, weiß jemals, dass die Existenz eines Dinges A entweder ein sicheres oder wahrscheinliches Zeichen für die Existenz eines anderen Dinges B ist, wenn nicht jemand in der Vergangenheit eine generelle Verbindung zwischen Dingen wie A und Dingen wie B erfahren hat. Aber offenkundig kann dieser Antwort noch etwas hinzugefügt werden. Denn selbst wenn jemand anderes eine generelle Verbindung zwischen Dingen wie A und Dingen wie B erfahren hat, ich sie jedoch nicht erfahren habe und auch nicht weiß, ob sie jemand erfahren hat, bin ich soweit wie möglich davon entfernt zu wissen, ob die Existenz von A ein Zeichen für die Existenz von B ist. Aber die Tatsache, dass jemand anderes jemals etwas erfahren hat, ist immer eine Tatsache, die ich selbst nicht direkt erfasst habe. Wenn ich daher wissen soll, ob jemand eine generelle Verbindung erfahren hat, muss ich wissen, ob ein Ding A, das ich direkt erfasst habe, ein Zeichen dafür ist, dass sie sie erfahren haben. Und ich kann dies nur wissen, wenn ich selbst eine Verbindung zwischen Dingen wie A und der Tatsache erfahren habe, dass jemand anderes die entsprechende Verbindung erfahren hat. Dies war der zweite Teil der Antwort Humes auf unsere Frage. Und diese zwei Regeln oder Grundsätze habe ich versucht beim letzten Mal ausführlich zu erläutern. Es ist sehr schwierig, sie ganz exakt darzustellen. Selbst jetzt habe ich noch nicht einmal versucht, sie ganz genau darzustellen; und doch ist es sehr einfach zu erkennen, was sie ausdrücken möchten, obwohl es so schwierig ist, sie darzulegen. Als erste Regel werde ich folgende bezeichnen: dass niemand jemals von der Existenz von etwas wissen kann, das er nicht selbst direkt erfasst hat, wenn er nicht weiß, ob etwas, das er direkt erfasst hat, ein Zeichen der Existenz dieses Etwas ist. Und als zweite Regel werde ich folgende bezeichnen: dass niemand jemals weiß, ob die Existenz eines Dinges A ein Zeichen der Existenz eines anderen Dinges B ist, wenn er nicht selbst (oder unter bestimmten Umständen jemand anders) eine generelle Ver-

Betrachtung der Theorie Humes

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bindung zwischen Dingen wie A und Dingen wie B erfahren hat. Der wichtige Punkt bezüglich dieser zweiten Regel ist, dass von niemandem behauptet werden kann, er habe eine Verbindung zwischen zwei Dingen erfahren, wenn er nicht beide Dinge direkt erfasst hat. Diese beiden Regeln werde ich nun als Humes erste und Humes zweite Regel bezeichnen. Aber wenn ich sie Hume zuschreibe, dann sollte ich Sie vielleicht vor zwei Dingen warnen. Wenn Sie in Humes Werken nach ihnen suchen, werden Sie keine von ihnen in genau der Art finden, in der ich sie dargelegt habe; und Sie würden Aussagen antreffen, die, vermischt mit anderen Aussagen, die Darlegungen dieser Regeln zu sein scheinen, tatsächlich etwas ganz anderes ausdrücken und die Hume selbst nicht, wie es scheint, von diesen beiden Regeln deutlich unterscheidet. Ich behaupte nicht, dass diese beiden Regeln überhaupt eine komplette Darlegung dessen sind, was Hume über unser Wissen von der Existenz von Dingen, die wir nicht direkt erfasst haben, zu sagen hat. Alles, was ich sagen möchte, ist, dass sie gewiss einen Teil – und einen sehr wichtigen Teil – dessen ausdrücken, was er über dieses Thema dachte; und soweit ich es weiß, war er der erste Philosoph, der eindeutig über diese beiden Regeln nachdachte. Aber ich sagte, mir scheint, viele Philosophen sahen sich durch die bewusste oder unbewusste Annahme der Wahrheit dieser, Humes, Regeln zu der Folgerung veranlasst, dass wir niemals von der Existenz eines materiellen Objekts wissen können. Sie haben zunächst mit einer gewissen Glaubwürdigkeit argumentiert, dass niemand von uns, falls diese Regeln wahr wären, jemals von der Existenz eines materiellen Objekts wissen kann; und dann haben sie gefolgert, dass niemand von uns, da diese Regeln wahr sind, jemals wissen kann, ob ein materielles Objekt existiert – noch nicht einmal, ob es eine geringe Wahrscheinlichkeit seiner Existenz gibt. Beide Schritte in dieser Argumentation erscheinen mir, so sagte ich, glaubwürdig genug, um eine Antwort zu verlangen; und ich sagte, dass ich in diesem Vortrag mein Bestes geben werde, um diese Aufgabe zu erfüllen. Man kann dies, falls überhaupt, auf zwei Arten tun: Man muss entweder zeigen, dass wir, selbst wenn Humes Regeln wahr sind, doch von der Existenz materieller Objekte wissen können; oder man muss versuchen zu zeigen, dass Humes Regeln nicht wahr sind. Ich werde bald beide Alternativen darlegen. Aber zuerst möchte ich versuchen deutlicher aufzuzeigen, um was es genau geht. Es gibt zwei Ansichten, beide sind sehr glaubwürdig und werden im Allgemeinen vertreten, die ihre Glaubwürdigkeit der Annahme schulden, dass Humes Regeln wahr sind.

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Beide beginnen, wie Hume es tut, mit der Behauptung, dass jeder Mensch von der Existenz von Dingen wissen kann, die er selbst im Moment direkt erfasst oder die er in der Vergangenheit direkt erfasst hat und an die er sich jetzt erinnert. Aber sie besagen, dass die einzigen existierenden Dinge, die ein Mensch jemals direkt erfassen kann, (1) seine eigenen Bewusstseinsakte und (2) seine eigenen, persönlichen Sinnesdaten und Abbilder sind. Und außer der Möglichkeit, dass einige der Sinnesdaten, die wir direkt erfassen, nicht nur uns persönlich gehören können – d.€h. die Möglichkeit, dass zwei oder mehr von uns manchmal das gleiche Sinnesdatum direkt erfassen könnten€– denke ich, dass sie so weit Recht haben.Niemand erfährt jemals durch direktes Erfassen von der Existenz von irgend etwas außer seinen eigenen Bewusstseinsakten einerseits und Sinnesdaten und Abbildern andererseits; und alle diese Sinnesdaten und Abbilder können – so wie diese Ansichten es darstellen – der Person persönlich sein, die sie direkt erfasst; ich denke, dass dies durchaus so sein kann, nur bin ich nicht ganz sicher. Auf jeden Fall weiß niemand jemals durch direktes Erfassen von der Existenz von etwas außer der seiner eigenen Bewusstseinsakte und der Sinnesdaten und Abbilder, die er selbst direkt erfasst. Was dies anbelangt, so stimmen wir zu. Die einzige Frage ist, von welche Dingen neben seinen eigenen Bewusstseinsakten und Sinnesdaten sowie Abbildern, die er direkt erfasst, ein Mensch jemals wissen kann, ob sie existieren – und hier kommen Humes Regeln zum Tragen. Eine der beiden Ansichten, von denen ich spreche, besagt nämlich Folgendes: Dass das Wissen jedes Menschen in Bezug auf das, was existiert oder wahrscheinlich existiert, über das hinaus, was er direkt erfasst hat, sich gänzlich auf zwei Klassen von Dingen beschränkt. Ein Mensch kann bis zu einem gewissen Grad wissen, welche Arten von Bewusstseinsakten er wahrscheinlich in der Zukunft ausführen wird sowie welche Sinnesdaten und Abbilder er wahrscheinlich direkt erfassen wird; und er kann auch wissen, dass er in der Vergangenheit gewisse Bewusstseinsakte vollzogen oder wahrscheinlich vollzogen hat und gewisse Sinnesdaten direkt erfasst hat, selbst wenn er sie völlig vergessen hat. Gemäß Humes Regeln ist dies eine Klasse von Dingen, von denen er – durch Schlussfolgerung – wissen kann, ob sie wahrscheinlich oder gewiss existieren. Sagen wir, dass diese Klasse aus – vergangenen und zukünftigen – Inhalten seines eigenen Geistes besteht – d.€h. unter der Voraussetzung, dass die Sinnesdaten und Abbilder, die er direkt erfasst, in seinem Verstand sind, in ihm enthalten sind. Und die andere Klasse von Dingen, von denen ein Mensch wissen kann, ob sie (wahrscheinlich oder gewiss) existieren, besteht gemäß dieser Ansicht aus den Inhalten des Verstan-

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des anderer Menschen. Das heißt, ein Mensch kann wissen, ob andere Menschen neben ihm gewisse Bewusstseinsakte vollzogen haben, vollziehen oder wahrscheinlich vollziehen werden und ob sie gewisse Sinnesdaten direkt erfasst haben, direkt erfassen oder wahrscheinlich direkt erfassen werden. Von diesen zwei Klassen von Dingen – gewisse vergangene oder zukünftige Inhalte seines eigenen VerÂ�standes und gewisse vergangene, gegenwärtige oder zukünftige Inhalte des Verstandes anderer Menschen – kann ein Mensch wissen, dass sie zumindest wahrscheinlich existieren, selbst wenn er sie nicht direkt erfasst hat oder, falls er es hat, sie völlig vergessen hat. Aber niemand (so diese Ansicht) kann jemals wissen, ob etwas, das nicht zu diesen beiden Klassen gehört, überhaupt im Universum existiert oder existieren wird. Niemand kann wissen, ob irgend etwas im Universum, selbst nur eventuell, existiert hat, existiert oder existieren wird außer gewissen Dingen, die in seinem eigenen Verstand oder in dem eines anderen Menschen sind. Dies ist eine Ansicht, die im Allgemeinen vertreten worden ist, und dies lässt sich darauf zurückführen, so denke ich, dass man annimmt, Humes Regeln seien wahr. Humes zweite Regel besagt, dass niemand jemals von der Existenz von etwas wissen kann, was er nicht selbst direkt erfasst hat, wenn er nicht zuvor etwas, das ihm ähnelt, erfasst hat. Aber die einzigen existierenden Dinge, die ein Mensch jemals direkt erfasst hat, sind Dinge in seinem Verstand – entweder seine eigenen Bewusstseinsakte oder Sinnesdaten und Abbilder, die er direkt erfasst hat. Es wird nun mit einiger Glaubwürdigkeit ausgeführt, dass etwas, das diesen in ausreichendem Maße ähnelt, auch etwas im Verstand von jemandem sein muss. Und so wird gefolgert, dass niemand jemals von der Existenz von etwas wissen kann außer dem, was in einem Verstand ist, entweder in seinem eigenen Verstand oder in dem eines anderen Menschen. Dies ist nun eine der beiden Ansichten, die sich darauf zurückführen lassen, dass man annimmt, Humes Regeln seien wahr. Und mit der zweiten verhält es sich bis auf einen Aspekt genauso. Diese Ansicht besagt auch, dass die einzigen Arten von Dingen, die sich mir durch Humes Regeln erschließen lassen, bestimmte Inhalte – vergangene oder zukünftige – meines eigenen Verstandes oder vergangene, gegenwärtige oder zukünftige Inhalte im Verstand anderer Menschen sind. Aber sie besagt auch, dass keines der Ereignisse in meinem oder in dem Verstand anderer Menschen, von dem ich so wissen kann, ausreichend ist, um die Existenz der Sinnesdaten, die ich oder andere Menschen direkt erfassen, zu ergeben. Daher besagt diese Ansicht, ich kann wissen, ob etwas anderes im Universum existiert – weil etwas ande-

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res existiert haben muss, um die Existenz meiner oder Sinnesdaten anderer Menschen hervorzurufen. Aber ich kann unmöglich wissen, ob dieses Etwas, das die Ursache der Sinnesdaten ist, in irgendeiner Hinsicht wie das, was jemand jemals erfasst hat, ist oder nicht. Zum Beispiel kann ich unmöglich wissen, ob es eine Form hat oder sich im Raum befindet oder nicht. Ich kann unmöglich wissen, ob es im Verstand von jemandem ist oder nicht. Die einzige Möglichkeit, durch die ich wissen kann, welche Art von Ding wahrscheinlich eine andere bestimmte Art von Ding hervorgerufen hat, ist mittels der Regeln Humes. Aber Humes Regeln gestatten mir nur, die Existenz bestimmter Dinge in meinem und in dem Verstand anderer Menschen zu folgern. Ich weiß, dass diese Dinge, die ich schlussfolgern kann, nicht ausreichen, um meine Sinnesdaten und die anderer Menschen hervorzurufen. Daher weiß ich, dass etwas anderes im UniÂ�versum existieren muss. Aber in Hinblick auf dieses Etwas weiß ich überhaupt nichts, außer dass es existiert und meine Empfindungen und die anderer Menschen hervorruft. Ich kann unmöglich wissen, ob es auch nur annähernd dem ähnlich ist, was ich oder jemand anderes jemals direkt erfasst hat. Diese beiden Ansichten bestreiten nun, dass wir jemals von der Existenz eines materiellen Objekts wissen können – sie bestreiten beide, dass wir jemals wissen können, ob ein materielles Objekt möglicherweise existiert. Aber merkwürdigerweise haben viele, die sie vertreten haben, gedacht, dass sie unser Wissen von materiellen Objekten nicht bestritten. Sie haben gedacht zuzulassen, dass wir von diesen Dingen wissen, von denen sie sagen, dass wir von ihnen wissen, ist dasselbe wie zuzulassen, dass wir von der Existenz materieller Objekte wissen. Sie haben gedacht, dass sie nicht unsere Fähigkeit bestritten, etwas zu wissen, was der gesunde Menschenverstand annimmt zu wissen. Und was ich nun zunächst deutlich machen möchte ist, dass beide Ansichten tatsächlich unsere Fähigkeit bestreiten, von der Existenz materieller Objekte zu wissen; und indem sie dies tun, widersprechen sie dem gesunden Menschenverstand rundweg. Ich möchte verdeutlichen, wie vollkommen und äußerst verschieden diese Ansichten zu jenen sind, die wir haben, wenn wir an die Existenz materieller Objekte glauben. Und zugleich möchte ich verdeutlichen, worauf es hinausläuft, wenn gefragt wird, falls Humes Regeln wahr sind, ob wir jemals von der Existenz materieller Objekte wissen können. Nehmen wir ein bestimmtes Beispiel. Sehen Sie sich diesen Bleistift an. Es ist ein gewöhnlicher Bleistift aus Holz. Und wenn Sie ihn sehen, erfassen Sie direkt die Stelle mit bräunlicher Farbe, die auf beiden Seiten durch lange,

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nahezu parallele und gerade Linien begrenzt wird und an den Enden durch deutlich kürzere Linien, die, zumindest bei einem Teil von Ihnen, wahrscheinlich gebogen sind. Sie erfassen diese Sinnesdaten direkt; und beide Ansichten, die wir untersuchen, gestatten, dass Sie, wenn Sie diese Sinnesdaten direkt erfassen, von ihnen – jenen visuellen Sinnesdaten – wissen können. Aber Sie alle haben schon oftmals zuvor einen Bleistift gesehen; d.€h. Sie haben Sinnesdaten direkt erfasst, die jenen ähneln, die Sie jetzt sehen. Und als Sie dies taten, könnten Sie auch oftmals andere Sinnesdaten in Verbindung mit den visuellen Sinnesdaten direkt erfasst haben, die jenen ähneln, die Sie jetzt direkt erfassen. Zum Beispiel könnten Sie oftmals einen Bleistift in Ihren Händen gefühlt haben; und Sie alle kennen die Art der Sinnesdaten, die man direkt erfasst, wenn man dies tut – die Empfindung von Glätte und Härte einer zylindrischen Form. Wahrscheinlich haben Sie auch schon einen Bleistift entlang der Längsseite gespalten, und Sie wissen, welche Art von Sinnesdaten Sie sehen und fühlen würden, wenn Sie den Bleistift sähen oder fühlten. Wahrscheinlich haben Sie auch schon einen Bleistift durchgebrochen, und Sie wissen, welche Art von Sinnesdaten Sie sehen und fühlen würden, wenn sie die beiden neuen Enden sähen oder fühlten. Diese vergangenen Erfahrungen, die Sie gemacht haben können, hinsichtlich der Verbindung anderer Sinnesdaten, visuell oder taktil, mit visuellen Sinnesdaten, die jenen ähneln, die Sie jetzt direkt erfassen, werden von jenen, die diese Ansichten vertreten, die ich im Moment bespreche, „Gewohnheiten der Empfindungen“16 genannt. Und beide Ansichten gestatten, dass aufgrund dieser vergangenen „Gewohnheiten“ man gemäß Humes Regeln jetzt wissen kann, dass man es würde, wenn man gewisse Dinge täte – d.€h. wenn man die Sinnesdaten erfasste, die man direkt erfassen würde, wenn man diesen Bleistift in die Hand nähme und ihn spaltete oder durchbräche – dass man, d.€h. unter bestimmten Bedingungen, andere Sinnesdaten, visuell und taktil, jener Art direkt erfassen würde, auf welche ich mich bezogen habe. Sie gestatten, dass diese Sinnesdaten, die Sie jetzt direkt erfassen, wirklich Zeichen von etwas anderem sind: Zeichen, nicht etwa davon, dass etwas anderes existieren wird, selbst nur möglicherweise, sondern nur davon, dass bestimmte andere Sinnesdaten existieren würden, falls Sie, zusätzlich zu den Sinnesdaten, die Sie jetzt direkt erfassen, bestimmte andere auch direkt erfassen sollten. Aber keine dieser Ansichten gibt vor, dass diese anderen Sinnesdaten, von denen jene, die Sie jetzt sehen, für diese unterschiedliche Art Zeichen sind, wirk16

Im Engl. routines of sensations [Anm. d. Übers.].

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lich jetzt existieren. Keine dieser Ansichten gibt vor, dass diese zylindrische Form, die Sie fühlen würden, wenn Sie den Bleistift in der Hand hätten, jetzt existiert; oder dass die Sinnesdaten, die Sie fühlen oder sehen könnten, wenn Sie den Bleistift spalten oder zerbrechen, jetzt existieren. Und hinsichtlich der ersten Ansicht wird behauptet, dass die Sinnesdaten, die Sie jetzt sehen, Ihnen nicht als ein Zeichen einer gegenwärtigen Existenz von irgendetwas bekannt sein können. Der Bleistift – insofern Sie mit Bleistift etwas meinen, von dem Sie wissen, selbst nur möglicherweise, dass er jetzt existiert – besteht ausschließlich aus jenen visuellen Sinnesdaten, die Sie jetzt direkt erfassen; entweder nur aus ihnen oder, so könnte gesagt werden, auch aus Abbildern, die Sie jetzt direkt erfassen könnten – Abbilder von Sinnesdaten, die Sie unter anderen Bedingungen sehen oder fühlen würden. Aber es wird nicht behauptet, dass diese Abbilder, selbst wenn einige von ihnen Abbilder dessen sind, was Sie sehen oder fühlen würden, wenn Sie den Bleistift zerteilten, jetzt in dem Bleistift sind. Der Bleistift hat ganz einfach kein Inneres, soweit Sie es wissen. Sie können unmöglich wissen, dass er eins hat. All das, von dem die Sinnesdaten, die Sie jetzt sehen, ein Zeichen sind, ist nichts, das jetzt existiert, sondern es sind nur andere bestimmte Sinnesdaten, die Sie sehen oder fühlen würden, falls andere bestimmte Bedingungen erfüllt wären, welche auch niemals erfüllt werden könnten. Dies ist, was die erste Ansicht besagt. Und die zweite fügt nur Folgendes hinzu; nämlich dass die visuellen Sinnesdaten, die Sie jetzt sehen, wirklich als ein Zeichen der gegenwärtigen Existenz von etwas anderem erkannt werden können; streng genommen nicht von der gegenwärtigen Existenz von irgendetwas, da dieses Etwas nur als Ursache dessen, was Sie jetzt sehen, erkannt werden kann und die Ursache vor der Wirkung existiert haben muss. Aber sie gestattet, dass Sie wissen können, dass diese Sinnesdaten ein Zeichen sind, dass etwas einen Moment zuvor existierte – etwas, das sich von allem unterscheidet, was Sie oder jemand anderes, soweit es Ihnen bekannt ist, in diesem Moment direkt erfassen. Aber im Hinblick auf dieses Etwas besagt sie, dass Sie unmöglich wissen können, ob es eine Form hat oder sich irgendwo im Raum befindet oder ob es einem Ding ähnelt, das Sie jemals direkt erfasst haben. Sie können z.€B. nicht wissen, ob das, was die Sinnesdaten, die Sie sehen, hervorruft, ein Teil einer zylindrischen Oberfläche ist oder ob es im Innern dieser zylindrischen OberÂ�fläche etwas gibt. Sie könnten dies nicht wissen, selbst wenn Sie den Vorteil hätten, den ich genieße, und den Bleistift zugleich durch Berühren und Sehen untersuchen könnten. Soweit die Sinnesdaten, die ich direkt erfasse, als Zeichen von etwas erkannt

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werden können, das überhaupt Form hat und Raum einnimmt, können sie gemäß der ersten Ansicht nur Zeichen bestimmter anderer Sinnesdaten sein, die unter anderen Bedingungen, die vielleicht niemals eintreten, gesehen oder gefühlt würden: Sie sind keine Zeichen der gegenwärtigen oder vergangenen Existenz von etwas, das überÂ�haupt Form hat und Raum einnimmt. Nun erscheint es mir offensichtlich, dass diese Ansichten sich völlig von dem unterscheiden, was wir alle im Allgemeinen glauben, wenn wir an die Existenz materieller Objekte glauben. Was wir glauben ist, dass diese Sinnesdaten, die wir jetzt direkt erfassen, Zeichen der Existenz von etwas sind, das jetzt existiert oder zumindest vor einem Moment existierte – nicht nur von etwas, das unter Bedingungen existieren würde, die denen ähneln, die wir in der Vergangenheit erlebt haben. Und wir glauben – wir alle können dies nicht vermeiden, selbst wenn wir gegenteilige philosophische Ansichten vertreten – dass dieses Etwas, das jetzt existiert oder einen Moment zuvor existierte, nicht nur etwas ist, das eine Form haben mag oder nicht oder sich im Raum befindet oder nicht – etwas, von dem wir nicht sagen können, ob es eine Form hat oder nicht. Wir glauben fest, dass die Sinnesdaten, die wir jetzt sehen, Zeichen der gegenwärtigen oder unmittelbar vergangenen Existenz von etwas sind, das gewiss eine – grob – zylindrische Form hat und das gewiss ein Inneres hat. Ich z.€B. behaupte zu wissen, dass nicht nur diese Sinnesdaten, die ich direkt – durch Sehen oder Fühlen – erfasse, jetzt existieren oder vor einem Moment existiert haben, sondern auch etwas anderes, das ich nicht direkt erfasse. Und ich behaupte nicht nur zu wissen, dass dieses Etwas die Ursache der Sinnesdaten ist, die ich sehe oder fühle; ich behaupte zu wissen, dass die Ursache sich hier befindet; und obwohl ich mit hier nicht zwangsläufig in dem Raum meine, den ich direkt erfasse, so meine ich doch im Raum – irgendwo in einem Raum. Darüber hinaus behaupte ich nicht nur zu wissen, dass sich die Ursache meiner Empfindungen hier im Raum befindet und daher auch eine Form hat, sondern auch ungefähr was diese Form ist. Ich behaupte zu wissen, dass die Ursache der Sinnesdaten, die ich jetzt direkt erfasse, ein Teil der Oberfläche von etwas ist, das tatsächlich grob zylindrisch ist, und dass das, was durch die zylindrische Oberfläche umschlossen ist, sich von dem unterscheidet, was außerhalb von ihr ist. Ich denke, es sind Dinge wie diese, die wir alle glauben, wenn wir an die Existenz materieller Objekte glauben. Wir glauben nicht immer, dass wir genau wissen, welche Form die Objekte haben, aber wir glauben, dass sie eine Form haben. Wir halten die Sinnesdaten, die wir direkt erfassen, für Zeichen der gegenwärtigen oder unmittelbar vergangenen Existenz von etwas, das Form

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hat und sich im Raum befindet, nicht nur für Zeichen der möglichen zukünftigen Existenz von etwas, das Form hat und sich im Raum befindet, und auch nicht nur für Zeichen der gegenwärtigen oder unmittelbar vergangenen Existenz von einem bloßen Etwas – etwas, von dem wir nicht sagen können, ob es eine Form hat oder nicht. Die Frage ist nun, ob wir, in Übereinstimmung mit Humes zweiter Regel, jemals wissen können, ob die Sinnesdaten, die wir direkt erfassen, Zeichen der Existenz materieller Objekte in diesem Sinn sind. Um uns mit dieser Frage zu befassen, können wir wieder diesen Bleistift als Beispiel anführen. Falls ich jetzt nicht weiß, ob diese Sinnesdaten, die ich jetzt direkt erfasse, tatsächlich Zeichen der gegenwärtigen oder unmittelbar vergangenen Existenz eines Körpers sind, den ich nicht direkt erfasse, aber der tatsächlich grob zylindrisch ist, dann muss ich zugeben, dass ich niemals von der Existenz von irgendeinem materiellen Objekt weiß. Falls ich nicht von der Existenz dieses Bleistifts hier und jetzt weiß, kann ich kaum jemals von der Existenz von irgendeinem materiellen Objekt überhaupt wissen. Ich nehme nicht an, dass ich jemals einen besseren Beweis für die Existenz von etwas hatte wie diese Existenz hier. Kann ich nun, falls Humes zweite Regel wahr ist, tatsächlich jetzt wissen, ob dieser zylindrische Körper, an dessen Existenz ich glaube, aber den ich nicht direkt erfasse, selbst nur möglicherweise, jetzt existiert oder einen Moment zuvor existiert hat? Was es auf den ersten Blick möglich erscheinen lässt, selbst wenn Humes zweite Regel wahr wäre, ist, so denke ich, der folgende Umstand. Ich habe gewiss in der Vergangenheit in Verbindung mit Sinnesdaten, die jenen ähnelten, die ich jetzt direkt erfasse, andere Sinnesdaten direkt erfasst, die tatsächlich in mancher Hinsicht Teilen des materiellen Objekts, an dessen Existenz ich glaube, ähnelten. Ich glaube z.€B., dass dieses Objekt – dieser Bleistift – tatsächlich aus einer Reihe von Oberflächen besteht, die dem ähneln, was ich jetzt direkt erfasse, wenn ich dieses Ende ansehe oder mit meiner Hand anfasse, im Hinblick auf die Tatsache, dass sie kreisförmig oder fast kreisförmig sind. Und ich habe in der Vergangenheit, als ich einen Bleistift zerschnitten habe, kreisförmige Oberflächen dieser Art direkt erfasst, die in einer bestimmten Beziehung zu Sinnesdaten standen, die jenen ähnelten, die ich jetzt direkt erfasse, wenn ich die Länge des Bleistifts ansehe. Daher könnte ich, so scheint es, in Übereinstimmung mit Humes Regeln möglicherweise wissen, dass in diesem Moment tatsächlich kreisförmige Oberflächen existieren, die in einer ähnlichen Beziehung zu jedem Punkt in dieser Länge, die ich direkt erfasse, stehen wie jene ähnlichen Oberflächen, die ich in der Ver-

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gangenheit mit Punkten in einer ähnlichen Länge verbunden vorgefunden habe. Folglich könnte ich möglicherweise wissen, dass in diesem Moment tatsächlich entlang dieses Bleistifts eine Reihe von ähnlichen Stellen mit Farbe existiert, die jenen ähnlich ist, die ich sehen würde, falls ich ihn irgendwo aufschneide; das Gleiche gilt für eine Reihe von ähnlichen Stellen mit Glätte und Härte – oder was auch immer die Qualitäten sein mögen, die ich fühlen würde – wenn ich die Enden nach dem Aufschneiden berührte. Ebenso kann ich oder ein anderer eine kreisförmige Stelle, dieser ähnlich, unter dem Mikroskop untersucht und dann Farben und Formen direkt erfasst haben, die sich von jenen unterscheiden, die ich jetzt mit bloßem Auge erfasse, aber trotzdem in einem Kreis eingeschlossen sind. Daher könnte ich wissen, dass in diesem Moment der Länge dieses Bleistifts entlang nicht nur kreisförmige Stellen mit Farbe existieren, die jenen ähneln, die ich sehen würde, wenn ich den Bleistift durchschnitte und dann die Enden mit bloßem Auge anschaute, sondern auch Stellen am selben Ort, die jenen ähneln, die ich sehen würde, schaute ich die Enden durch ein Mikroskop an. Es scheint mir, dass ich gemäß Humes zweiter Regel möglicherweise wissen könnte, dass diese Sinnesdaten, die ich jetzt direkt erfasse, tatsächlich Zeichen der gegenwärtigen oder unmittelbar vergangenen Existenz von Sinnesdaten all dieser Arten sind; es Zeichen sind, dass alle diese Sinnesdaten tatsächlich jetzt existieren, obwohl ich sie nicht direkt erfasse und sie nicht nur in der Zukunft existieren würden, falls bestimmte andere Bedingungen auch gegeben wären. Folglich könnte ich möglicherweise wissen, dass nicht nur jene Sinnesdaten, die ich direkt erfasse, jetzt tatsächlich existieren, sondern auch eine außerordentliche Anzahl anderer in bestimmten Verbindungen mit ihnen, die ich nicht direkt erfasse, aber die jenen ähneln, welche ich in der Vergangenheit in Verbindung mit Sinnesdaten, die diesen ähneln, direkt erfasst habe. Und diese anderen Sinnesdaten würden tatsächlich Teilen des materiellen Objekts – des Bleistifts – ähneln, an dessen Existenz ich glaube. Denn ich glaube, dass es entlang dieses Bleistifts kreisförmige OberÂ�flächen gibt und dass es innerhalb dieses Kreises, der jede dieser Oberflächen begrenzt, Dinge gibt, die eine Form haben, die jenen ähnelt, die ich mit bloßem Auge sehen würde, wenn ich den Bleistift durchschnitte und die Enden anschaute; z.€B. einen kleineren Kreis mit einer anderen Farbe innerhalb eines größeren Kreises, der die Stelle darstellt, wo sich die Mine befindet; ich glaube, dass es tatsächlich innerhalb des Bleistifts und in seiner ganzen Länge etwas gibt, das in der Form dieser runden Oberfläche der Mine ähnelt, die ich jetzt innerhalb des größeren Kreises sehe. Und ich glaube auch, dass es tatsächlich innerhalb des

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Bleistifts Unterschiede in der Struktur gibt, die in der Form jenen ähneln, die ich sehen würde, wenn ich ihn durchschnitte und unter einem Mikroskop untersuchte. Daher ist das materielle Objekt, an dessen gegenwärtige Existenz ich glaube, tatsächlich in mancher Hinsicht den Sinnesdaten ähnlich, die ich unter bestimmten Umständen in Verbindung mit jenen sehen würde, die ich jetzt sehe; und daher auch jenen ähnlich, die ich in Verbindung mit Sinnesdaten wie diesen in der Vergangenheit direkt erfasst habe. Soweit ich es beurteilen kann, würde Humes zweite Regel uns gestatten zu folgern, dass all diese Sinnesdaten, die ich unter bestimmten Umständen sehen würde, tatsächlich jetzt exisÂ�tieren. Daher könnte ich, selbst wenn Humes zweite Regel wahr wäre, von der gegenwärtigen Existenz von etwas wissen, das in vieler Hinsicht wie das materielle Objekt ist, an das ich glaube; etwas, das aus Teilen besteht, die in der Form den Teilen des Objekts sehr ähneln, an dessen Existenz ich glaube. Ich könnte wissen, dass jetzt tatsächlich Sinnesdaten einer Art existieren, von deren Existenz ich gemäß den beiden Ansichten, die ich angreife, nur wissen kann, dass sie unter bestimmten Bedingungen, die jetzt nicht erfüllt sind, existieren würden. Daher würde Humes Regel mir gestatten, etwas zu wissen, das sehr viel mehr wie das ist, was ich glaube, als diese beiden Ansichten es tun. Aber trotzdem scheint es mir, dass sie nicht gestatten würde, von der Existenz genau dessen zu wissen, an das ich glaube – das materielle Objekt, der Bleistift. Denn all diese Dinge, die in der Form Teilen des Bleistifts ähneln, was mir gestatten würde, von ihnen zu wissen, sind, so muss man sich in Erinnerung rufen, Stellen mit Farbe mit einer bestimmten Form, Stellen einer Härte und einer Glätte oder Rauheit mit einer bestimmten Form. Und selbst wenn es wahr wäre, dass innerhalb des Bleistifts jetzt tatsächlich Farben existieren, die jenen ähneln, die ich sehen würde, wenn ich ihn aufschnitte; und selbst wenn es wahr wäre, dass verschiedene Farben in unterschiedlichem Ausmaß am gleichen Ort existieren können, so bilden diese Stellen mit Farbe, Härte und Glätte gewiss nicht das Ganze des materiellen Objekts, an das ich glaube. Selbst wenn es jetzt hier alle Arten von Farbe gibt, die ich nicht sehe, und alle Arten von taktilen Qualitäten, die ich nicht fühle, so besteht der Bleistift, an den ich glaube, nicht ausschließlich aus Farbe und taktilen Qualitäten; was ich glaube, wenn ich glaube, dass der Bleistift existiert, ist, dass etwas existiert, das tatsächlich in der Form zylindrisch ist, aber das nicht nur aus einer Anzahl von Stellen mit Farbe, Härte, Glätte oder einer anderen Art von Sinnesdaten existiert, die ich jemals direkt

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erfasst habe. Selbst wenn alle Sinnesdaten dieser Art jetzt tatsächlich am gleichen Ort sind, wo der Bleistift ist – und ich denke, es gibt genügend Gründe, dies zu bezweifeln – so glaube ich gewiss, dass es an diesem Ort noch etwas gibt. Dieses Etwas, selbst wenn es nicht das ganze materielle Objekt ist, ist gewiss ein Teil von ihm. Und es scheint mir, dass ich, wenn Humes zweite Regel wahr wäre, unmöglich von der Existenz dieses Etwas wissen könnte. Denn ich habe in der Vergangenheit niemals etwas direkt erfasst, das wie es war: Ich habe nur Sinnesdaten direkt erfasst, die eine ähnliche Form wie die hatten, die es hat. Daher denke ich, dass jene Philosophen, die aufgrund der Grundsätze Humes argumentieren, dass niemand jemals von der Existenz eines materiellen Objekts wissen kann, insofern der erste Schritt in ihrer Argumentation betroffen ist, Recht haben. Sie haben Recht, wenn sie sagen: Falls Humes Grundsätze wahr sind, kann niemand jemals von der Existenz eines materiellen Objekts wissen – niemand kann jemals wissen, ob ein solches Objekt, selbst nur möglicherweise, existiert; mit materiellem Objekt wird ein Objekt gemeint, das eine Form hat und sich im Raum befindet, aber das nicht, außer in diesen Aspekten, irgendwelchen Sinnesdaten ähnelt, die wir jemals direkt erfasst haben. Aber behalten sie auch beim zweiten Schritt ihrer Argumentation Recht? Haben sie auch Recht, wenn sie folgern: Da Humes Grundsätze wahr sind, weiß niemand jemals, selbst nur möglicherweise, von der Existenz eines materiellen Objekts? Anders gesagt: Sind Humes Grundsätze wahr? Die Position, die wir hierzu einnehmen, ist folgende. Falls die Grundsätze wahr sind, dann, so habe ich zugegeben, weiß ich jetzt nicht, ob dieser Bleistift – das materielle Objekt – existiert. Wenn ich daher beweisen soll, dass ich weiß, dieser Bleistift existiert, muss ich irgendwie beweisen, dass Humes Grundsätze, einer oder beide, nicht wahr sind. Auf welche Art, mit welchem Argument kann ich dies beweisen? Es scheint mir, dass es tatsächlich kein überzeugenderes und besseres Argument als das folgende gibt. Ich weiß tatsächlich, dass dieser Bleistift exisÂ�tiert, aber ich kann dies nicht wissen, wenn Humes Grundsätze wahr wären, daher sind Humes Grundsätze, einer oder beide, falsch. Ich denke, dieses Argument ist wirklich so überzeugend und gut, wie es nur sein kann, und ich denke, dass es wirklich schlüssig ist. Anders gesagt, ich denke, die Tatsache, dass ich nicht von der Existenz dieses Bleistifts wissen könnte, falls Humes Grundsätze wahr wären, ist eine reductio ad absurdum dieser Grundsätze. Aber selbstverständlich ist dies ein Argument, das für jene nicht überzeugend erscheinen wird, die glauben, dass die Grundsätze wahr sind, noch für

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jene, die glauben, dass ich nicht wirklich weiß, ob dieser Bleistift existiert. Es scheint, als ob man der Frage ausweicht. Und daher werde ich versuchen aufzuzeigen, dass es wirklich ein gutes und schlüssiges Argument ist. Überlegen wir, was nötig ist, damit ein Argument gut und schlüssig sein kann. Ein wirklich schlüssiges Argument ist eines, das es uns ermöglicht zu wissen, ob seine Schlussfolgerung wahr ist. Und eine Bedingung, die erfüllt sein muss, wenn ein Argument es uns ermöglichen soll, dies zu wissen, ist, dass die Schlussfolgerung wirklich aus den Prämissen hervorgehen muss. Lassen Sie uns zunächst sehen, wie es sich in diesem Punkt mit meinem Argument im Vergleich zu dem meines Gegners verhält. Mein Argument ist folgendes: Ich weiß, dass dieser Bleistift existiert; daher sind Humes Grundsätze falsch. Das Argument meines Gegners ist hingegen: Humes Grundsätze sind wahr; daher weiß man nicht, dass dieser Bleistift existiert. Und offensichtlich sind hinsichtlich der Gewissheit, aus der die Schlussfolgerung aus der Prämisse hervorgeht, beide Argumente gleich gut. Wenn die Schlussfolgerung meines Gegners aus seiner Prämisse hervorgeht, muss meine Schlussfolgerung gewiss auch aus meiner hervorgehen. Denn die Schlussfolgerung meines Gegners geht nicht aus seiner Prämisse hervor, außer in einer Beziehung, nämlich, wenn nicht folgende hypothetische Proposition wahr ist: Falls Humes Grundsätze wahr sind, dann weiß ich nicht, dass dieser Bleistift existiert. Aber wenn diese Proposition wahr ist, dann geht meine Schlussfolgerung auch aus meiner Prämisse hervor. Tatsächlich hängen beide Argumente in dieser Hinsicht von genau derselben hypothetischen Proposition ab – die Proposition, die von mir und meinem Gegner für wahr befunden wird; nämlich dass: Falls Humes Grundsätze wahr sind, dann weiß ich nicht, dass dieser Bleistift existiert. Keine Schlussfolgerung geht aus der jeweiligen Prämisse hervor, wenn diese Proposition nicht wahr ist; und jede Schlussfolgerung geht aus der jeweiligen Prämisse hervor, wenn die Proposition wahr ist. Und dieser Sachverhalt ist ein ausgezeichnetes Beispiel für ein Prinzip, das von vielen Philosophen oftmals außer Acht gelassen wird: nämlich dass die bloße Tatsache, dass eine Proposition mit einer anderen zusammenhängt oder aus ihr hervorgeht, uns nicht die geringste Annahme zugunsten ihrer Wahrheit aufzeigt. Meine Schlussfolgerung hängt mit meiner Prämisse zusammen, genauso stark wie die meines Gegners mit seiner Prämisse zusammenhängt. Und doch weist diese bloße Tatsache offensichtlich nicht die geringste Annahme zugunsten einer von ihnen auf. Daher erfüllen beide Argumente gleichermaßen die erste Bedingung, die nötig ist, um ein schlüssiges Argument zu erhalten. Beide erfüllen gleicher-

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maßen die Bedingung, dass die Schlussfolgerung aus der Prämisse hervorgehen muss. Welche andere Bedingung ist nun notwendig, wenn ein Argument es uns ermöglichen soll zu wissen, dass seine Schlussfolgerung wahr ist? Die zweite Bedingung, die nötig ist, ist folgende: Nämlich dass wir wissen sollten, ob die Prämisse wahr ist. Offensichtlich muss diese Bedingung erfüllt sein, wenn das Argument es uns ermöglichen soll zu wissen, ob seine Schlussfolgerung wahr ist. Es ist nicht ausreichend, dass die Prämisse wahr sein sollte, wenn wir nicht wissen, ob es so ist. Denn nehmen wir an, dass die Prämisse wahr ist und die Schlussfolgerung aus ihr hervorgeht, und doch weiß ich nicht, ob die Prämisse wahr ist. Wie kann dieser Sachverhalt es uns ermöglichen zu wissen, dass die Schlussfolgerung wahr ist? Offensichtlich werde ich, solange dieses der ganze Sachverhalt ist, so weit davon entfernt sein zu wissen, ob die Schlussfolgerung wahr ist, als wenn ich niemals an die Prämisse gedacht hätte. Das Argument mag ein gutes Argument sein, und ist es in dem Sinn, dass die Schlussfolgerung aus der Prämisse hervorgeht, die Prämisse tatsächlich wahr ist und daher die Schlussfolgerung auch wahr ist. Aber es ist kein gutes Argument in dem Sinn, dass es entweder mir oder einem anderen ermöglicht zu wissen, ob die Schlussfolgerung wahr ist. Die bloße Tatsache, dass die Prämisse wahr ist, wird es uns nicht allein ermöglichen zu wissen, ob die Schlussfolgerung es auch ist. Falls es jemandem aufgrund dieses Arguments möglich sein soll, die Schlussfolgerung wirklich zu kennen, dann muss diese Person zunächst selbst wirklich wissen, dass die Prämisse wahr ist. Und das Gleiche gilt nicht nur für völlige Gewissheit, sondern auch für jeden Grad der Wahrscheinlichkeit. Falls ein Argument es mir ermöglichen sollte zu wissen, dass seine Schlussfolgerung in einem gewissen Grad wahrscheinlich ist, muss ich zunächst wissen, ob diese Prämisse zumindest in demselben Grade wahrscheinlich ist. Anders gesagt, kein Argument ist ein gutes, selbst in dem Sinn, dass es uns ermöglicht zu wissen, ob seine Schlussfolgerung eine gewisse Wahrscheinlichkeit hat, wenn seine Prämisse nicht zumindest genauso gewiss ist wie seine Schlussfolgerung; „gewiss“ bedeutet hier, nicht nur wahr oder wahrscheinlich wahr zu sein, sondern zu wissen, dass es so ist. Der einzige Weg, zwischen dem Argument meines Gegners und meinem zu entscheiden, welches das bessere ist, ist nun zu entscheiden, von welcher Prämisse bekannt ist, dass sie wahr ist. Die Prämisse meines Gegners ist, dass Humes Grundsätze wahr sind; und wenn diese Prämisse nicht bloß wahr ist, sondern von ihr auch wirklich bekannt ist, dass sie es ist, kann sein Argument, zu beweisen, dass ich von der Existenz dieses Bleistifts nichts weiß,

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nicht schlüssig sein. Meines ist, dass ich von der Existenz dieses Bleistifts weiß; wenn diese Prämisse nicht nur wahr ist, sondern von ihr auch wirklich bekannt ist, dass sie es ist, kann mein Argument, zu beweisen, dass Humes Grundsätze falsch sind, nicht schlüssig sein. Darüber hinaus wird der Grad der Gewissheit der Schlussfolgerung in beiden Fällen, angenommen keiner ist ganz sicher, in Proportion zu dem Grad der Gewissheit der Prämisse stehen. Wie soll entschieden werden, welche Prämisse, falls überhaupt eine, bekannt ist? Oder welche gesicherter ist? Eine Bedingung, unter der gewusst werden kann, dass eine Prämisse wahr ist, ist eine Bedingung, die wir bereits angeführt haben. Jede Proposition kann als wahr bekannt sein, wenn wir ein schlüssiges Argument zu ihren Gunsten haben; d.€h. wenn es wirklich aus einer Prämisse bzw. einer Reihe von Prämissen folgt, von denen gewusst wird, dass sie wahr sind. Ich sage eine Prämisse oder eine Reihe von Prämissen; und diese neue Bedingung sollte beachtet werden, da sie eine Schwierigkeit beinhaltet. Wenn ein Argument mit einer einzelnen Prämisse schlüssig sein soll, muss die einzelne Prämisse, wie wir gesehen haben, zumindest so gewiss sein wie die Schlussfolgerung: Die Schlussfolgerung kann nicht mittels eines solchen Arguments mit größerer Sicherheit bekannt sein als die Prämisse. Aber offenbar kann im Falle einer Reihe von Prämissen, die Schlussfolgerung gewisser sein als eine einzelne der Prämissen. Aber auch hier muss jede Prämisse zumindest in einem gewissen Grad als wahrscheinlich bekannt sein: Keine Menge von Prämissen, die nicht als wahrscheinlich bekannt sind, kann es uns ermöglichen zu wissen, dass die Schlussfolgerung, die aus ihnen folgt, selbst nur in einem gewissen Grad wahrscheinlich ist. Daher ist ein Weg, mittels dessen eine Proposition als wahr bekannt sein kann, falls sie aus einer Prämisse oder einer Reihe von Prämissen folgt, dass jede von ihnen schon mit einem gewissen Grad der Sicherheit als wahr bekannt ist. Und einige Philosophen scheinen gedacht zu haben, dass dies der einzige Weg ist, mittels dessen jemals gewusst werden kann, ob eine Proposition wahr ist. Sie scheinen gedacht zu haben, dass von keiner Proposition jemals gewusst werden kann, ob sie wahr ist, wenn sie nicht aus einer Proposition oder einer Reihe von Propositionen folgt, von der nicht schon gewusst wird, dass sie es ist. Aber ich denke, dass es leicht zu sehen ist, dass niemand, falls diese Ansicht wahr wäre, jemals gewusst hätte, ob eine Proposition selbst nur im geringsten Maß wahrscheinlich ist. Denn wenn ich nicht wissen kann, ob eine Proposition entweder wahr oder wahrscheinlich wahr ist, wenn ich nicht zunächst weiß, dass eine andere, aus der sie hervorgeht, es ist, dann

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kann ich selbstverständlich nicht wissen, dass diese andere Proposition vor ihr es ist, falls ich es nicht zunächst von einer dritten Proposition weiß; noch kann ich es von dieser dritten Proposition nicht wissen, wenn ich es nicht zunächst von einer vierten vor ihr wüsste; usw. ad infinitum. Anders gesagt, es würde folgen, dass niemand jemals von einer Proposition gewusst hätte, dass sie selbst nur möglicherweise wahr ist, wenn man es nicht vorher von einer absolut unendlichen Reihe von Propositionen wüsste. Und es ist völlig sicher, dass niemand jemals eine wirklich unendliche Reihe von Propositionen gekannt hat. Wenn diese Ansicht wahr wäre, dann könnte weder mein Argument noch das meines Gegners ein gutes Argument sein: Keines von ihnen könnte es uns ermöglichen zu wissen, ob die Schlussfolgerung selbst nur im geringsten Maß wahrscheinlich ist. Und das Gleiche träfe auf jedes andere Argument zu. Sodass dann, falls diese Ansicht wahr wäre, dass wir niemals eine Proposition kennen können, wenn wir nicht ein gutes Argument für sie haben, folgen würde, dass wir niemals wissen können, ob eine Proposition wahr ist, da wir niemals ein gutes Argument für sie haben. Wenn daher entweder mein Argument, das meines Gegners oder eine anderes ein gutes sein soll, so muss gegeben sein, dass es uns möglich ist zu wissen, ob zumindest eine Proposition wahr ist, ohne eine andere Proposition zu kennen, aus der sie hervorgeht. Ich schlage vor, diese Art des Wissens, dass eine Proposition wahr ist, unmittelbares Wissen17 zu nennen. Und ich möchte für einen Moment ausführen, was unmittelbares Wissen ist. Es ist etwas, das sich völlig von dem unterscheidet, was ich direktes Erfassen genannt habe; und deshalb habe ich einen anderen Namen für es gewählt, obwohl beide tatsächlich sehr oft mit beiden Namen bezeichnet werden – sie werden beide oft als direktes Wissen oder unmittelbares Wissen bezeichnet. Ein Unterschied zwischen ihnen ist, dass direktes Erfassen, wie ich dargelegt habe, eine Beziehung ist, die man zu einer Proposition haben kann, gleich ob man sie glaubt oder nicht und gleich ob sie wahr ist oder falsch; während unmittelbares Wissen eine Form der Beziehung ist, die ich Wissen an sich genannt habe; und Wissen an sich, so mögen Sie sich erinnern, ist eine Beziehung, die man niemals zu einer Proposition hat, wenn man sie nicht, neben dem direkten Erfassen, auch glaubt; und wenn nicht, neben diesem, die Proposition selbst wahr ist; und auch eine vierte Bedingung gegeben ist. Ein anderer Unterschied zwischen direktem Erfassen und unmittelbarem Wissen ist, dass direktes Erfassen eine Beziehung ist, die man zu Dingen 17

Im Engl. immediate knowledge [Anm. d. Übers.].

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haben kann, die keine Propositionen sind, während unmittelbares Wissen, da es eine Form von Wissen an sich ist, eine Beziehung ist, die man nur zu Propositionen haben kann. Zum Beispiel erfasse ich in diesem Moment die weißliche Farbe dieses Papiers direkt, aber ich weiß nicht unmittelbar von dieser weißlichen Farbe. Wenn ich sie direkt erfasse, kann ich auch, falls ich gerade an sie denke, unmittelbar von der Proposition wissen, dass ich sie direkt erfasse und ebenso die Proposition, dass sie exisÂ�tiert. Aber diese beiden Propositionen unterscheiden sich völlig von dieser weißlichen Farbe selbst; und ich kann in einem bestimmten Moment eine Farbe direkt erfassen, ohne zugleich von einer dieser Propositionen zu wissen; obwohl ich, wann immer ich eine Farbe oder ein anderes Sinnesdatum direkt erfasse, falls ich gerade an sie denke, von beiden, der Proposition, dass ich sie direkt erfasse, und auch der Proposition, dass sie existiert, wissen kann. Daher ist unmittelbares Wissen etwas völlig anderes als direktes Erfassen. Und es gibt einen weiteren Punkt, den ich erwähnen sollte. Ich habe gesagt, es ist die Art, auf die man weiß, dass eine Proposition wahr ist – wirklich weiß, man erfasst die Proposition nicht nur direkt – wenn man von keiner anderen Proposition weiß, aus der sie hervorgeht. Und dann kann man selbstverständlich, wenn man keine Proposition kennt, aus der sie hervorgeht, und tatsächlich von ihr weiß, nur von ihr unmittelbar wissen. Aber es ist wichtig hervorzuheben, dass man, selbst wenn man von einer Proposition unmittelbar weiß, auch zur selben Zeit eine Proposition kennen kann, aus der sie hervorgeht: Man kann von ihr zugleich unmittelbar wissen und auch weil man eine andere Proposition kennt, aus der sie hervorgeht. Wenn man daher alle Fälle mittelbares Wissen18 nennt, in denen man von einer Proposition weiß, weil man eine andere kennt, aus der sie hervorgeht, ist das Ergebnis, dass man zur selben Zeit von der gleichen Proposition zugleich mittelbar und auch unmittelbar wissen kann. Daher unterscheidet sich die Beziehung zwischen mittelbarem und unmittelbarem Wissen sehr von der Beziehung zwischen direktem und indirektem Erfassen. Wenn man ein Ding direkt erfasst, erfasst man es niemals zur selben Zeit indirekt; und wenn man ein Ding indirekt erfasst, erfasst man es niemals zur selben Zeit direkt. Aber man kann zur selben Zeit von einer Proposition zugleich mittelbar und unmittelbar wissen. Selbstverständlich treten Fälle auf, in denen man von einer Proposition nur mittelbar weiß – nur weil man eine andere Proposition kennt, aus der sie hervorgeht; aber es ist wichtig, solche Fälle von jenen zu unterscheiden, in denen man, obwohl 18

Im Engl. mediate knowledge [Anm. d. Übers.].

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man von der Proposition weiß, weil man eine andere kennt, aus der sie hervorgeht, und daher von ihr mittelbar weiß, nicht nur aufgrund dessen von ihr weiß, sondern auch unmittelbar. Es ist nun gewiss, dass wir, wenn wir von einer Proposition jemals mittelbar wissen sollen oder weil wir von einer anderen Proposition wissen, aus der sie hervorgeht, von zumindest einer anderen Proposition unmittelbar wissen müssen oder nicht nur, weil eine andere Proposition bekannt ist, aus der sie hervorgeht. Und so folgt, dass die Bedingungen, die nötig sind, um ein gutes und schlüssiges Argument zu erhalten, auch erfüllt sein können, wenn die Prämisse nur unmittelbar bekannt ist, genauso wie wenn es andere Argumente zu seinen Gunsten gibt. Daher folgt, dass mein Argument „Ich weiß, dass dieser Bleistift existiert; daher sind Humes Grundsätze falsch“ ein genauso gutes Argument sein kann wie jedes andere auch, selbst wenn seine Prämisse – die Prämisse, dass ich weiß, dass dieser Bleistift existiert – nur unmittelbar bekannt ist. Aber weiß ich von dieser Prämisse tatsächlich unmittelbar? Ich bin geneigt, dies anzunehmen, obwohl darüber gestritten werden kann, aus folgenden Gründen. Es muss beachtet werden, dass die Prämisse lautet: Ich weiß, dass dieser Bleistift existiert. Was ich daher behaupte, unmittelbar zu wissen, ist nicht, dass dieser Bleistift existiert, sondern dass ich weiß, dass er existiert. Es mag gesagt werden: Kann ich von einem Ding wie diesem wirklich unmittelbar wissen? Offenbar kann ich nicht wissen, dass ich weiß, ob dieser Bleistift existiert, wenn ich nicht weiß, dass dieser Bleistift existiert; und daher könnte angenommen werden, dass die erste Proposition nur mittelbar bekannt sein kann – nur weil die zweite bekannt ist. Aber es ist notwendig, denke ich, eine Unterscheidung zu treffen. Aus der bloßen Tatsache, dass ich von der ersten nicht wissen würde, wenn ich nicht von der zweiten wüsste, folgt nicht, dass ich von der ersten nur weiß, weil ich von der zweiten weiß. Und tatsächlich, so denke ich, weiß ich von beiden unmittelbar. Darüber kann auch hier in diesem Fall gestritten werden. Es könnte gesagt werden: Ich weiß gewiss nicht unmittelbar, dass dieser Bleistift existiert; denn ich würde überhaupt nicht von ihm wissen, wenn ich nicht bestimmte Sinnesdaten direkt erfassen würde und wüsste, dass sie Zeichen seiner Existenz wären. Und ich gebe selbstverständlich zu, dass ich nicht von ihm wüsste, wenn ich gewisse Sinnesdaten nicht direkt erfassen würde. Aber auch dies unterscheidet sich von der Behauptung, dass ich von ihm nicht unmittelbar weiß. Denn die bloße Tatsache, dass ich von ihm nicht wüsste, wenn nicht andere bestimmte Dinge passieren würden, unterscheidet sich

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deutlich von Wissen von ihm nur aufgrund dessen, weil ich eine andere Proposition kenne. Das bloße direkte Erfassen bestimmter Sinnesdaten ist etwas ganz anderes als das Wissen von einer Proposition; und doch bin ich nicht sicher, ob es nicht selbst völlig genügt, dass es mir ermöglicht wird zu wissen, der Bleistift existiert. Aber ob ich von der genauen Proposition, die die Prämisse „Ich weiß, dass dieser Bleistift existiert“ bildete, oder nur von der Proposition „Dieser Bleistift existiert“ oder nur von der Proposition „Die Sinnesdaten, die ich direkt erfasse, sind Zeichen, dass er existiert“ unmittelbar weiß, es ist gewiss, dass es eine von ihnen ist. Und alle drei sind viel sicherer als eine Prämisse, die verwendet werden könnte, um zu beweisen, dass sie falsch sind; und auch sind sie viel sicherer als eine andere Prämisse, die verwendet werden könnte, um zu beweisen, dass sie wahr sind. Das ist der Grund, warum ich sage, dass das überzeugendste Argument, um zu beweisen, dass Humes Grundsätze falsch sind, ein Argument eines speziellen Falles wie diesem ist, in dem wir von der Existenz eines materiellen Objekts wissen. Und in ähnlicher Weise, falls das Ziel ist im Allgemeinen zu beweisen, ob wir von der Existenz materieller Objekte wissen, kann kein Argument, das wirklich überzeugender ist, hervorgebracht werden, um dies zu beweisen, als spezielle Beispiele, in denen wir tatsächlich von der Existenz eines solchen Objekts wissen. Dennoch gebe ich zu, dass andere Argumente überzeugender sein können; und vielleicht ist es einigen von Ihnen möglich, mir ein solches zu präsentieren. Aber wie viel überzeugender es auch sein mag, es ist sicher, dass es von einer Prämisse abhängt, die tatsächlich weniger gewiss ist als die Prämisse, dass ich von der Existenz dieses Bleistifts weiß; und so verhält es sich auch im Fall von Argumenten, die vorgebracht werden können, um zu beweisen, dass wir nicht von der Existenz materieller Objekte wissen.

Kapitel 7 Materielle Dinge

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un habe ich sehr viele verschiedene Sachverhalte behandelt, die sich alle auf eine einzige Frage beziehen – die Frage: Wissen wir, irgendjemand von uns, jemals von der Existenz materieller Objekte? Sehr viele Philosophen sind zu dem Schluss gekommen, dass wir es nicht tun. Aber sie haben zwei verschiedene Arten von Argumenten verwendet, um zu diesem Schluss zu gelangen. Einige von ihnen haben versucht, eindeutig zu beweisen, dass materielle Objekte nicht existieren; eine Schlussfolgerung, aus der natürlich folgt, dass wir nicht von ihrer Existenz wissen können. Aber bisher habe ich nicht, außer in einem einzigen Fall und dieses sehr kurz, versucht, mich mit einem dieser Argumente auseinanderzusetzen, die zugunsten dieser extremen Schlussfolgerung ins Feld geführt werden. Es scheint mit tatsächlich, dass diese Argumente nicht so schlüssig sind und nicht annähernd so vielen zusagen als jene, die zugunsten einer um einiges moderateren Schlussfolgerung verwendet werden: nämlich die Schlussfolgerung, dass wir, ob nun materielle Objekt existieren oder nicht, nicht wissen, ob sie existieren. Dies ist eine Schlussfolgerung, die sich selbst leicht sehr vielen Menschen empfiehlt. Bevor ich die Argumente zugunsten der extremeren Schlussfolgerung, dass kein materielles Objekt existiert, betrachten werde, möchte ich zunächst so einfach wie möglich die Argumente darlegen, die mir als die überzeugendsten gegen jene moderatere und schlüssigere Schlussfolgerung erscheinen. Kurz gesagt, ich möchte einen letzten Versuch unternehmen, Sie zu überzeugen, dass, selbst wenn Sie von der Existenz materieller Objekte wirklich nicht wissen, Sie zumindest nicht wissen, dass Sie es nicht wissen. Und das Erste, was getan werden muss, ist, so denke ich, Folgendes: so klar und deutlich wie möglich darzulegen, um was es geht. Die Frage, so wie ich sie gestellt habe, lautet: Wissen wir von der Existenz materieller Objekte oder tun wir es nicht? Um nun diese Frage klar und deutlich zu erörtern, ist es offensichtlich nötig, zwei Punkte zu betrachten. Zuerst was mit wissen und nicht wissen gemeint ist; oder anders gesagt, was der UnÂ�terschied zwischen dem Sinn der Behauptung „Ich weiß, ob dieses und jenes existiert“ und dem Sinn der Behauptung „Ich weiß nicht, ob dieses und jenes existiert“ ist. Und zweitens, was mit „materiellem ObÂ�jekt“ gemeint ist. Ich schlage vor, den

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zweiten Punkt zuerst in Augenschein zu nehmen, da der andere – die Frage, was Wissen ist – offensichtlich sehr viel weitergeht und uns zu Betrachtungen führt, die nicht nur auf unser Wissen von materiellen Objekten angewandt werden, sondern auch auf unser Wissen von vielen anderen Dingen. Was ist nun mit „materiellem Objekt“ gemeint? Ich schlage vor, ein materielles Objekt mittels dreier Eigenschaften zu definieren, eine positive und zwei negative. Die positive Eigenschaft ist folgende. Ich schlage vor zu sagen, dass nichts ein materielles Objekt ist außer dem, was sich irgendwo im Raum befindet. Nichts kann ein materielles Objekt sein außer dem, was eine Position im Raum hat. Ich habe meine Ausführungen zuvor so gehalten, als ob nichts ein materielles Objekt sein könnte außer dem, was eine Form besitzt. Aber diese Definition könnte möglicherweise zu Missverständnissen führen. Es ist wahr, dass alles, was eine Form hat, eine Position in einem Raum haben muss. Aber im allgemeinen Sinn des Wortes „Form“ kann ein Ding eine Position im Raum haben und doch keine Form. Normalerweise sagen wir nicht, dass ein bloßer Punkt – ein unteilbarer mathematischer Punkt – überhaupt eine Form hat. Indem ich nun sage, dass jedes materielle Objekt eine Form haben muss, könnte ich so verstanden werden, dass nichts, das nur einen einzigen, unteilbaren Punkt einnimmt, ein materielles Objekt sein kann. Aber dies möchte ich nicht behaupten. Es scheint mir, dass einige materielle Objekte durchaus bloße Punkte einnehmen können; aber andere nehmen zweifelsohne Linien ein; und wieder andere nehmen Flächen ein; und andere haben ein Volumen. Daher ist es vielleicht besser zu sagen, dass ein materielles Objekt eine Position im Raum haben muss – es sich irgendwo im Raum befindet – als zu sagen, dass es eine Form haben muss, obwohl man offensichtlich sagen kann, dass ein bloßer Punkt in einem gewissen Sinn eine Form hat: Es gibt eine bestimmte Form, die die Form eines Punkts ist; ein Punkt ist in einem gewissen Sinn eine unter vielen Formen, obwohl wir üblicherweise diesen Begriff nur für komplexere Formen gebrauchen. Die erste Eigenschaft, mit der ich ein materielles Objekt definieren möchte, ist, dass es eine Position im Raum haben muss. Und dies ist eine positive Eigenschaft. Die beiden anderen sind negativ. Die erste negative Eigenschaft ist folgende. Ich schlage vor zu sagen, dass kein Sinnesdatum, Teil eines Sinnesdatums oder Ansammlung von Sinnesdaten ein materielles Objekt oder ein Teil eines materiellen Objekts sein kann. Dies erfordert eine Erklärung. Ich habe zuvor erklärt, dass ich mit Sinnesdaten Folgendes meine: die farbigen Stellen, die wir tatsächlich sehen, die Geräusche, die wir tatsächlich hören, die Gerüche, die wir tat-

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sächlich riechen, alle verschiedenen Arten der sogenannten Empfindungen, die wir direkt erfassen, wenn wir Dinge berühren – z.€B. die Empfindung von Härte, Weichheit, Glätte, Rauheit usw.; auch die Empfindungen von Hitze und Kälte – die Empfindungen, die wir tatsächlich fühlen, wenn wir unsere Hände nah an ein Feuer halten oder wenn wir sie in kaltes Wasser tauchen; und schließlich auch viele verschiedene Arten von sogenannten Empfindungen, die körperliche Empfindungen genannt werden können – so wie jenes spezielle Sinnesdatum, das wir Zahnschmerzen nennen, oder die verschiedenen, die wir Schmerzen einer Verbrennung oder Schmerzen eines Schnittes nennen. Wir sehen, hören, riechen oder fühlen tatsächlich Dinge all dieser verschiedenen Arten. Und es könnte angenommen werden, dass nichts ein Sinnesdatum genannt werden dürfe außer etwas, das tatsächlich gesehen, gehört, gerochen oder gefühlt wird oder worden ist. Es könnte z.€B. angenommen werden, dass eine farbige Stelle nicht als Sinnesdatum bezeichnet werden dürfe, wenn sie nicht von jemanden tatsächlich gesehen wird oder worden ist; denn nur wenn es tatsächlich gesehen worden ist, ist es streng genommen den Sinnen gegeben. Aber nun, um ein materielles Objekt zu definieren, möchte ich den Begriff Sinnesdatum in einem viel weiteren Sinn benutzen als jenen – ein weiterer Sinn, in dem der Begriff tatsächlich oftmals, und so auch naturgemäß, gebraucht wird. Ich möchte z.€B. sagen, dass etwas, das eine farbige Stelle der Art ist, die wir direkt erfassen, ein Sinnesdatum wäre, selbst wenn es niemals gesehen würde; dass etwas, das ein Geräusch ist, ein Sinnesdatum wäre, selbst wenn es niemals tatsächlich gehört würde; und das Gleiche gilt für alle anderen Arten von Sinnesdaten. Diese Erweiterung des Begriffs ist sehr natürlich und wird tatsächlich fortwährend vorgenommen. Abbilder sind zugegebenermaßen nicht streng genommen den Sinnen gegeben und doch werden sie oftmals als Sinnesdaten bezeichnet, da sie hinsichtlich eines sehr wichtigen Aspekts von derselben Art wie tatsächliche Sinnesdaten sind. Wenn ich z.€B. in meiner Vorstellung oder in einem Traum das Abbild einer farbigen Stelle direkt erfasse, ist dieses Abbild nicht nur das Abbild von einer farbigen Stelle, es ist selbst eine farbige Stelle, genauso wie jede zuvor gesehene farbige Stelle, von der es ein Abbild ist. Es unterscheidet sich gewöhnlich selbst in der Qualität von jeder farbigen Stelle, von der es ein Abbild ist – es ist z.€B. normalerweise blasser; und selbst wenn es jemals genau wie eine zuvor gesehene farbige Stelle wäre, von der es eine Kopie ist, würde es doch nicht dasselbe Ding sein – numerisch dasselbe. Und es ist durchaus möglich, dass viele der farbigen Abbilder, die ich direkt erfasse, nicht genau wie irgendeine farbige Stelle, die ich oder ein

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anderer tatsächlich jemals gesehen hat. Daher sind Abbilder, wenn wir sie als Sinnesdaten bezeichnen, wie es oftmals getan wird, Fälle von Sinnesdaten, die trotzdem niemals tatsächlich durch Sinne wahrgenommen worden sind. Sie werden trotz der Tatsache, dass sie nicht durch Sinne wahrgenommen worden sind, Sinnesdaten genannt, da sie offensichtlich hinsichtlich eines anderen Aspekts der gleichen Klasse angehören wie Dinge, die durch Sinne wahrgenommen worden sind. Es ist schwierig, diesen anderen Aspekt zu definieren, aber es ist sehr leicht zu sehen, was es ist. Ein farbiges Abbild wird z.€B. als Sinnesdatum bezeichnet, einfach weil es eine farbige Stelle ist; das Abbild eines Geräuschs wird als Sinnesdatum bezeichnet, einfach weil es – das Abbild – selbst ein Geräusch ist; das Gleiche gilt für alle anderen Fälle. Daher können wir den Begriff Sinnesdatum so erweitern, dass er alle Dinge, tatsächliche und mögliche, abdeckt, die einem Sinnesdatum ähneln, das tatsächlich durch Sinne in der Art wahrgenommen worden ist, in der ein farbiges Abbild einer farbigen Stelle ähnelt, die tatsächlich durch Sinne wahrgenommen worden ist. Und genauso wie wir sagen können, dass jedes farbige Abbild tatsächlich ein Sinnesdatum ist, nur weil es eine farbige Stelle ist, auch wenn es niemals durch Sinne wahrgenommen worden ist, so können wir sagen, dass es ein Sinnesdatum sein würde, nur weil es eine farbige Stelle sein würde, falls eine farbige Stelle existierte, die niemals direkt erfasst worden wäre. In diesem erweiterten Sinn möchte ich den Begriff Sinnesdatum verwenden, um ein materielles Objekt zu definieren. Und indem ich diesen Begriff so verwende, sage ich: Kein Sinnesdatum, Teil eines Sinnesdatums oder eine Ansammlung von Sinnesdaten kann ein materielles Objekt sein. Dies ist nur eine Erklärung, wie ich selbst gedenke, den Begriff „materielles Objekt“ zu verwenden. Aber es ist wichtig, dies festzustellen, da viele Philosophen sich so ausgedrückt haben, als ob bestimmte Ansammlungen von Sinnesdaten oder „Empfindungen“ materielle Objekte seien. Und ich möchte hier nicht diskutieren, ob bestimmte Ansammlungen von Sinnesdaten in einem gewissen Sinne tatsächlich materielle Objekte genannt werden könnten. Ich möchte nur hervorheben, dass ich den Begriff „materielles Objekt“ nicht in diesem Sinne verwenden werde. Alle „materiellen Objekte“ müssen, so wie ich den Begriff verwende, eine Eigenschaft besitzen, die Sinnesdatum genannt werden muss in dem erweiterten Sinn, den ich dem Wort zugeschrieben habe: Sie müssen sich alle im Raum befinden und müssen daher die „Form“ vom Teil des Raumes haben, den sie einnehmen – ob diese Form nun eine der Formen ist, die wir gewöhnlich auch so bezeichnen, oder ob sie nur das ist, was wir als die Form eines Punkts bezeichnen kön-

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nen. Und es muss, entsprechend der erweiterten Definition, die ich dargelegt habe, zugestanden werden, dass jede Form ein „Sinnesdatum“ ist. Jede Form ist eine Form und muss daher der gleichen Klasse angehören wie jene Formen, die wir durch die Sinne direkt erfassen; sodass alles, was eine farbige Stelle ist, ob nun direkt erfasst oder nicht, ein Sinnesdatum wäre, nur weil farbige Stellen zu der Art von Dingen gehören, die manchmal durch die Sinne wahrgenommen werden. Jedes materielle Objekt muss nun mindestens eine Eigenschaft haben, die in diesem erweiterten Sinn ein Sinnesdatum ist: Es muss eine Form haben. Aber obwohl es eine Form hat, so ist es doch nicht selbst die Form, die es hat: So wie eine farbige Stelle eine Form haben muss, und doch die Stelle selbst etwas ganz anderes ist als die Form, die sie hat. Was ich über alle materiellen Objekt sagen möchte, ist, dass keines von ihnen ein Sinnesdatum irgendeiner Art ist, obwohl sie alle eine Form haben müssen, die ein Sinnesdatum ist. Etwas, das ein Sinnesdatum irgendeiner Art oder eine Ansammlung von Sinnesdaten ist, kann nicht das sein, was ich mit materiellem Objekt meine. Dies ist die erste negative Eigenschaft, durch die ich ein materielles Objekt definieren möchte. Und die zweite kann sehr kurz erläutert werden. Es ist folgende Eigenschaft: Kein Verstand und kein Bewusstseinsakt kann ein materielles Objekt sein. Ich schlage nun vor, ein materielles Objekt als etwas zu definieren, das (1) Raum einnimmt, (2) kein Sinnesdatum irgendeiner Art ist und (3) weder ein Verstand noch ein Bewusstseinsakt ist. Ich möchte nicht behaupten, dass dies die einzigen Eigenschaften sind, die alle materiellen Objekte haben oder von denen wir wissen können, dass sie sie haben. Ganz im Gegenteil, ich denke, aus den beiden letzten folgt, dass alle materiellen Objekte die wichtige Eigenschaft haben, dass keines von ihnen jemals von uns direkt erfasst wird; da nichts, das existiert, jemals von uns direkt erfasst wird außer Sinnesdaten, unser eigener Verstand und Bewusstseinsakte. Und dies ist eine Eigenschaft, die dadurch ausgedrückt werden kann (obwohl es leicht zu Missverständnissen führt), indem man sagt, dass wir nieÂ�mals wissen können, was ein materielles Objekt an sich ist, aber wir können wissen, welche Eigenschaften es hat oder in welcher Beziehung es zu anderen Dingen steht. Es gibt einen Sinn, in dem von uns niemals behauptet werden kann, dass wir wissen, was ein Ding an sich ist, wenn wir es nicht entweder direkt erfasst haben oder etwas direkt erfasst haben, das dem Ding in dem Sinne ähnelt, in dem meine Bewusstseinsakte wie Ihre Bewusstseinsakte sind, und die Sinnesdaten, die ich direkt erfasse, wie jene sind, die Sie direkt erfassen. Und in diesem Sinn

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können wir niemals wissen, was ein materielles Objekt ist. Aber in einem anderen Sinn können wir natürlich sehr wohl wissen, was materielle Objekte sind: Wir können z.€B. mit einer sehr hohen Genauigkeit wissen, welche Eigenschaften sie haben und wie sie sich zu anderen materiellen Objekten verhalten. Und neben der Eigenschaft, dass sie niemals direkt erfasst werden können, haben alle materiellen Objekte die folgende wichtige Eigenschaft: Sie sind eine Art von Ding, das selbst dann, wenn niemand sich seiner bewusst ist, existieren könnte. Ich denke, dass diese – und vielleicht andere – Eigenschaften allen materiellen Objekten zukommen. Aber die drei Eigenschaften, die ich erwähnt habe, genügen, um unsere Frage klar zu formulieren. Gewiss ist die folgende Frage präzise genug: Wissen wir oder wissen wir nicht, ob Objekte existieren, die drei Eigenschaften haben: (1) Sie nehmen einen Raum ein; (2) sie sind kein Sinnesdatum oder bestehen aus irgendeiner Art von Sinnesdaten; (3) sie sind kein Verstand oder Bewusstseinsakt? Viele Philosophen waren sicherlich geneigt, eine negative Antwort zu geben. Sie wollten behaupten, dass niemand von uns jemals von der Existenz eines Objekts wissen kann, das alle drei Eigenschaften zusammen besitzt. Dass diese negative Ansicht gemeinhin vertreten worden ist, wird nicht, so denke ich, angezweifelt. Was eher gesagt werden sollte, ist, dass die positive Ansicht –die Ansicht, dass wir tatsächlich von der Existenz von Objekten wissen, die alle drei Eigenschaften zusammen besitzen – eine durch und durch bizarre Ansicht ist – eine Ansicht, die ich persönlich vielleicht vertreten mag – aber die kaum Beachtung findet, da sie kaum jemand vertritt. Es kann gesagt werden, wenn Menschen gemeinhin an die Existenz materieller Objekte glauben, dass sie nicht an die Existenz von Objekten glauben, die diese drei Eigenschaften besitzen, sondern an etwas ganz anderes. Wenn ich somit die Ansicht zu verteidigen suche, dass wir von der Existenz von Objekten wissen, die diese drei Eigenschaften haben, verteidige ich nicht den Glauben an materielle Objekte in dem Sinn, in dem dieser Glaube gemeinhin vertreten wird – sondern verteidige eine Ansicht, die im Allgemeinen überhaupt nicht vertreten wird und an deren Verteidigung kaum jemand, außer mir, Interesse hat. Zunächst möchte ich zeigen, dass dies nicht der Fall ist; dass wir alle im Allgemeinen an die Existenz von Objekten, die gerade diese drei eben beschriebenen Eigenschaften zusammen haben, in einer Vielzahl von Fällen und mit großer Überzeugung glauben. Es gibt vier Hauptauffassungen, die vertreten werden können als Alternativen zu jener, die ich empfehlen möchte. Und ich werde bei jeder von ihnen versuchen zu zeigen, dass sie wirklich nicht das sind, was wir gemeinhin

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glauben; und dass sie tatsächlich, wenn man deutlich erkennt, was sie besagen, überhaupt sehr schwer zu halten sind. Sie sind wahrscheinlich schon oft in einem Zug gefahren. Und Sie stimmen sicherlich zu, dass ein Zug ein Exemplar der Art von Dingen ist, die wir als materielle Objekte bezeichnen. Und Sie stimmen sicherlich auch zu, dass man, wenn man in einem Zug fährt und man gerade daran denkt, an die Existenz des Zuges, in dem man fährt, glauben kann. Lassen Sie uns überlegen, was passiert, wenn man in einem Zug fährt. Man würde eine große Anzahl verschiedener Sinnesdaten direkt erfassen. Man würde z.€B. tatsächlich verschiedene Farben und Formen sehen, die wir als äußere Erscheinungen der Wände, Fenster, Sitze und Gepäckablagen des Zugwagens, in dem man ist, bezeichnen sollte. Man würde tatsächlich bestimmte Druckempfindungen von dem Sitz, auf dem man sitzt, von dem Rückenteil, an das man sich anlehnt, spüren und auch von dem Boden, den man mit seinen Füßen berührt; man würde ein Rütteln von der Bewegung des Zuges spüren; und man würde tatsächlich eine Reihe von Geräuschen hören, mit denen man insofern vertraut ist, da sie die Art Geräusche sind, die wir hören, wenn wir in einem Zug fahren. All diese Sinnesdaten würde man selbst direkt erfassen. Und zudem würde man wissen, dass andere Personen, die in diesem Zug fahren, im gleichen Zugwagen wie man selbst oder in einem anderen, wahrscheinlich mehr oder weniger die gleichen Sinnesdaten direkt erfassen wie jene, die man selbst direkt erfasst. All dies würde man wissen; und neben all diesem würde man auch wissen, dass unter gewissen Umständen man selbst oder andere Personen bestimmte andere Sinnesdaten erfassen würden, die niemand in diesem Moment direkt erfassen würde und die in einer bestimmten Beziehung zu jenen stehen, die man jetzt selbst direkt erfasst. Man würde z.€B. wissen, dass die Sinnesdaten, die man jetzt direkt erfasst – die äußeren Erscheinungen des Wagens, in dem man sich befindet, die Druckempfindungen, die man spürt, das Rütteln und die gewohnten Geräusche – Zeichen sind, nachdem man diese direkt erfasst hat, falls man die Sinnesdaten, die man direkt erfassen würde, auch direkt erfasste, wenn der Zug anhielte und man aus dem Wagen stiege und den Zug von außen begutachtete – ich sage, es sind Zeichen, falls man eine Folge von Sinnesdaten direkt erfassen würde nach jenen, die man jetzt direkt erfasst, dass man wahrscheinlich diese Art von Sinnesdaten sehen würde, die wir die äußere Erscheinung der Räder nennen, auf denen der Zugwagen fährt, und die Kopplungen, die den eigenen Zugwagen mit den anderen des Zuges verbinden. Man würde auch wissen, wenn man die sichtbaren Sinnesdaten

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sieht, die die äußeren Erscheinungen der Räder und Kopplungen sind, dass man auch – danach – eine andere Art von Sinnesdaten direkt erfassen würde – jene nämlich, die man direkt erfassen würde, wenn man zu den Rädern und Kopplungen ginge und sie mit der Hand berührte – falls man nach dem direkten Erfassen der sichtbaren äußerlichen Erscheinungen der Räder und Kopplungen auch eine Reihe von Sinnesdaten, jenen ähnlich, direkt erfassen sollte, nämlich die Empfindungen von Kälte, Härte und Glätte, die man erfahren würde, wenn man die eisernen Kopplungen spürte, oder die Empfindung von Gewicht, die man erfahren würde, wenn man versuchte, sie anzuheben. Ich wiederhole, man würde wissen, während man im Zug sitzt, dass die Sinnesdaten, die man in diesem Moment direkt erfasst, Zeichen sind, falls bestimmte andere Sinnesdaten nach ihnen auftreten sollten, dass man nach jenen wahrscheinlich noch andere erfassen würde. Die Hypothese, dass man, während man im Zug sitzt, all dieses wissen würde, ist allen fünf Ansichten gemeinsam, die ich betrachten möchte; allen vier, die ich als falsch erachte, wie auch jener einen, die ich empfehlen möchte. Aber was besagt nun die erste der vier Ansichten, die ich als falsch erachte? Sie besagt, dass die Art von Ding, die ich beschrieben habe, wirklich alles ist, was man über die Existenz des Zuges, in dem man fährt, wissen kann. Und sie besagt auch, wenn man glaubt, dass der Zug existiert, dass diese Art von Ding alles ist, was man glaubt. Das heißt, sie besagt, dass die Existenz des Zuges einfach aus der Existenz der Sinnesdaten besteht, die man selbst und andere Personen, die in dem Zug fahren, in diesem Moment direkt erfassen – zusammen mit der Tatsache, falls man nach jenen bestimmte andere direkt erfassen sollte, dass man noch andere (wahrscheinlich) direkt erfassen würde. Aber zu vermuten, dass der Wagen, in dem man sitzt, wirklich auf Rädern fährt oder dass er wirklich an andere Wagen oder die Lok gekoppelt hat, ist – so die Aussage – ein absoluter Fehler. Man kann unmöglich wissen, dass der eigene Wagen, auch nur möglicherweise, auf Rädern fährt: und darüber hinaus glaubt man noch nicht einmal, dass dies so ist. Wenn man annimmt, dass dies ein Teil dessen ist, was man glaubt, wenn man glaubt in einem Zug zu fahren, dann täuscht man sich. Alles, an das man wirklich glaubt, und natürlich alles, was man tatsächlich wissen kann, ist nicht, dass in diesem Moment Räder existieren, sondern nur, dass man zukünftig, falls man zuerst bestimmte andere Sinnesdaten erfassen sollte, auch jene Sinnesdaten direkt erfassen würde, die wir die sichtbaren äußeren Erscheinungen der Räder nennen, oder jene, die man fühlen würde, wenn man das täte, was wir „sie berühren“ nennen. Aber diese Sinnesdaten, die man unter anderen

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Umständen direkt erfassen würde, existieren in diesem Moment, während man im Zug sitzt, gewiss nicht. Alles, von dem man wissen kann, ob es jetzt existiert – falls überhaupt von einem solchen Ding gesagt werden kann, dass es existiert – ist die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit, dass man diese Sinnesdaten unter bestimmten Umständen zukünftig direkt erfassen würde. Wenn man somit weiß, dass der eigene Zugwagen auf Rädern fährt und von diesen getragen wird, ist das, was man weiß, dass er auf der Möglichkeit fährt bzw. von ihr getragen wird, dass bestimmte Sinnesdaten zukünftig existieren sollten. Diese Möglichkeit ist, was die Räder des eigenen Wagens sind, falls er überhaupt Räder hat. Und dies ist nicht nur das einzige, was man wissen kann; es ist auch – gemäß dieser Ansicht – das, was man tatsächlich glaubt. An die gegenwärtige Existenz der Räder zu glauben, auf denen der eigene Wagen fährt, ist, so wird behauptet, nur zu glauben, dass man unter bestimmten Umständen Sinnesdaten sehen würde, die die sichtbare äußere Erscheinung der Räder genannt werden können, oder jene fühlen würde, die taktile Erscheinung der Räder genannt werden können. Aber ist dies nun tatsächlich das, so frage ich, was man glaubt, wenn man glaubt, dass man in einem Zug fährt? Glaubt man nicht tatsächlich, dass es wirklich Räder gibt, auf denen der Zug in diesem Moment fährt, und ebenso Kopplungen zwischen den Wagen? Glaubt man nicht, dass diese Dinge wirklich in diesem Moment existieren, obwohl niemand sie selbst noch eine Erscheinung von ihnen sieht? Wenn man einen solchen Fall betrachtet, ist es nicht auch sehr schwierig zu glauben, dass man unter solchen Umständen wirklich nicht weiß, dass der Wagen von Rädern getragen wird und an die Lok gekoppelt ist? Diese erste Theorie gibt eine gänzliche falsche Sichtweise bezüglich unseres Wissens von materiellen Objekten und dessen wieder, was wir im Alltagsleben glauben; sobald wir klar erkennen, was sie bedeutet, ist es, denke ich, sehr schwierig zu glauben, dass wir nicht sehr viel mehr wissen als das, was sie uns zu wissen gestattet. Und doch wurde diese Theorie wirklich von vielen Philosophen ernsthaft vertreten und überzeugt sehr einfach viele Studenten der Philosophie. Solange sie sich nur in vagen Aussagen wie „alles, was wir von materiellen Objekten wissen, ist die geordnete Abfolge unserer eigenen Empfindungen“ darstellt, erscheint sie tatsächlich sehr glaubwürdig. Aber sobald man erkennt, was sie in bestimmten Beispielen wie dem des Zuges bedeutet – man könne demnach unmöglich wissen, dass der eigene Wagen, auch nur wahrscheinlich, auf Rädern fährt oder an andere Wagen gekoppelt ist – scheint sie für mich alle Glaubwürdigkeit zu verlieren.

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Dieses ist nun die erste Theorie, von der ich behaupte, dass sie falsch ist. Die zweite ist, denke ich, etwas überzeugender; aber sie unterscheidet sich auch stark von dem, was man im Alltagsleben glaubt, wenn man bestimmte konkrete Beispiele betrachtet; und es ist auch sehr schwierig, an sie zu glauben, selbst wenn man versucht, sie philosophisch zu betrachten. Diese zweite Theorie besagt: „Ja, die erste Theorie hat sich getäuscht. Wenn man in einem Zug ist, fährt der eigene Wagen wirklich auf Rädern und ist an andere Wagen gekoppelt, selbst wenn niemand die Räder und Kopplungen sieht oder fühlt; und man kann wirklich wissen, dass dies so ist: Die Räder und Kopplungen existieren wirklich in dem Moment, wenn man denkt, dass sie es tun; sie sind keine bloßen abstrakten Möglichkeiten zukünftiger Empfindungen. Aber man soll sich kein übereiltes und unphilosophisches Bild dessen machen, was diese Räder und Kopplungen sind. Alles, was man über sie wissen kann, ist einfach, dass sie irgendetwas sind und dass sie unter bestimmten Umständen veranlassen würden, dass man bestimmte Empfindungen hat. Man kann unmöglich wissen, dass die Räder rund sind oder dass die Kopplungen wirklich die Wagen verbinden. Anzunehmen, dass die Kopplungen die Wagen verbinden, wäre anzunehmen, dass sie sich im Raum befinden und dass es eine Entfernung zwischen den Wagen gibt. Aber dies ist eine ungenaue und unphilosophische Sichtweise. Von nichts außer den eigenen Empfindungen und denen anderer Personen kann man wissen, dass sie sich im Raum befinden und eine Form haben. Man weiß tatsächlich, dass es eine unbekannte Ursache für diese Empfindungen gibt, eine Ursache, die wirklich jetzt existiert; aber man kann unmöglich wissen, welche Art von Ding diese unbekannte Ursache ist; man kann unmöglich – unter welchen Bedingungen auch immer – wissen, welche Form sie hat oder ob sie überhaupt eine hat. Die Räder und Kopplungen, wenn man damit die jetzt existierenden Ursachen für mögliche zukünftige Empfindungen meint, sind Dinge, von denen man nicht wissen kann, ob sie überhaupt eine Form haben oder sich in einer Entfernung in irgendeiner Richtung voneinander oder von etwas anderem befinden.“ Diese zweite Theorie ist überzeugender als die andere, da sie gestattet, dass Räder und Kopplungen Namen für etwas sind, das in dem Moment, wenn man denkt, dass es existiert, wirklich existiert, und nicht bloß ein Name für die abstrakte Möglichkeit, dass bestimmte Empfindungen in der Zukunft existieren könnten. Aber diese Theorie, denke ich, hört auf, glaubwürdig zu sein, sobald man erkennt, dass demnach die Räder, von denen man weiß, dass sie existieren, nichts sind, auf denen der Wagen sich befindet; dass sie

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nicht rund sind; und dass die Kopplungen nicht zwischen den Wagen sind. Doch sicherlich ist das, was man glaubt, wenn man in einem Zugwagen sitzt, dass er sich auf Rädern befindet – über ihnen, mit ihnen räumlich verbunden; dass sie selbst etwas Rundes sind; und dass der eigenen Wagen an einen anderen vor ihm gekoppelt ist, mit ihm räumlich verbunden, und dass eine Entfernung zwischen den beiden besteht. Wenn man dies nun philosophisch betrachtet, kann man wirklich glauben, es sei unmöglich, wirklich zu wissen, wenn man in einem Zug sitzt, ob diese Dinge zumindest möglicherweise wahr sind? Es erscheint mir sehr schwierig zu glauben, dass man unter allen Bedingungen wirklich nicht wissen kann, ob der Wagen wirklich auf runden Rädern fährt. Und doch ist es dies, was diese zweite Theorie zu tun verlangt. Viele Philosophen haben diese Theorie wirklich vertreten, und sie scheint auch sehr glaubwürdig zu sein, solange sie nur in abstrakten Ausdrücken geäußert wird wie: Alles, was wir von materiellen Objekten wissen, ist, dass sie unbekannte Ursachen unserer Empfindungen sind; und das ist es, was wir mit „materiellen Objekten“ meinen. Aber es scheint mir, dass sie ihre Überzeugungskraft verliert, sobald man sich ansieht, was sie in bestimmten konkreten Fällen bedeutet. Die dritte falsche Theorie, die ich zu betrachten wünsche, ist eine, die nicht von vielen Philosophen vertreten worden ist, aber die zumindest von einigen auf die Art vertreten worden ist, dass sie das darstellt, was wir gewöhnlich im Alltagsleben glauben. Und sie ist in mancher Hinsicht glaubwürdiger als die Letztgenannten. Diese Theorie besagt, dass die Sinnesdaten oder einige von ihnen, die man sehen oder fühlen würde, wenn man ausstiege, die Räder ansähe und sie berührte, jetzt wirklich existieren, während man in dem Wagen sitzt, selbst wenn niemand sie direkt erfasst: dass diese Sinnesdaten das sind, was man mit Rädern meint; und dass der Wagen auf ihnen fährt. Die Glaubwürdigkeit dieser Ansicht scheint mir auf der Tatsache zu beruhen, dass es wirklich sehr schwierig ist zu glauben, dass die Sinnesdaten, die man in einem Moment direkt erfasst, in einigen Fällen nicht mehr fortfahren zu existieren, selbst wenn man z.€B. seinen Kopf wegdreht und sie nicht länger direkt erfasst. Wenn ich jetzt z.€B. diese Hand ansehe und meine Augen abwende, finde ich es sehr schwierig zu glauben, dass genau jene Sinnesdaten, die ich gerade eben gesehen habe, genau diese Farben – die visuelle Erscheinung der Hand – nicht länger existieren, selbst wenn weder ich noch jemand anderes sie nicht sieht. Zudem finde ich es in dem Moment, wenn ich meine Hand ansehe, sehr schwierig zu glauben, dass die Farben, die ich sehe, nicht wirklich auf der Oberfläche der Hand sind – am selben Ort, an

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dem die Oberfläche der Hand, das materielle Objekt – ist. Die Anschauung, dass sich diese Dinge so verhalten, erscheint mir so überwältigend, und dies je aufmerksamer man den Sachverhalt betrachtet, dass ich immer noch nicht sicher bin, ob sie sich wirklich so verhalten. Daher bin ich mir überhaupt nicht sicher, dass einige farbige Stellen und andere Sinnesdaten, die man sehen und fühlen würde, wenn man die Räder untersuchte, nicht wirklich in dem Moment existieren, in dem man im Wagen sitzt und niemand sie sieht, und dass sie nicht wirklich am selben Ort sein können, an dem die Räder sind. Aber die Auffassung, dass diese sich so verhalten, ist natürlich offen für die bekannten Einwände, dass, falls sie es sind, wir offenbar zugeben müssten, dass viele verschiedene Farben zur selben Zeit am selben Ort sind. Selbst wenn wir diese Schwierigkeit bewältigen könnten, wird diese Ansicht uns nicht bei unserem gegenwärtigen Problem helfen. Denn die Ansicht, die ich im Moment betrachte, besagt nicht bloß, dass diese Sinnesdaten am selben Ort sind wie die Räder, sondern auch dass sie Räder sind – dass die Räder ausschließlich aus bestimmten Sinnesdaten bestehen, die man unter anderen Umständen direkt erfassen würde. Und diese Ansicht – die Ansicht, dass die jetzt existierenden Räder und Kopplungen ausschließlich aus Sinnesdaten bestehen, die man unter anderen Umständen direkt erfassen könnte – kann bei genauer Betrachtung als genauso entfernt von dem angesehen werden, was man im Alltagsleben glaubt, und ist genauso schwierig als eine philosophische Wahrheit anzuerkennen wie die anderen beiden. Im Alltagsleben glaubt man sicherlich, dass der Zugwagen sich auf Rädern befindet, dass die Räder ihn tragen und dass die Kopplungen zwei Wagen zusammenhalten. Aber betrachten wir alle Sinnesdaten, die man unter jeder Bedingung direkt erfassen könnte, wenn man die Räder und Kopplungen untersucht. Sie alle bestehen aus Stellen mit Farbe and aus verschiedenen taktilen Sinnesdaten – solche sogenannten Empfindungen wie Härte, Glätte, Kälte, Druck des Gewichts, die man fühlen würde, wenn man die Räder oder Kopplungen berührte. Glaubt man tatsächlich, dass diese – allein diese – oder eine Anzahl von ihnen das sind, was den Wagen tatsächlich trägt oder einen Wagen mit einem anderen verbindet? Offensichtlich glaubt man, wenn man es genau bedenkt, nicht, dass nur die farbigen Stellen genügen würden, um den Wagen zu tragen, oder die dazu führen, dass ein Wagen einem anderen folgt. Und es besteht eine genauso große Schwierigkeit anzunehmen, dass jedes dieser taktilen Sinnesdaten – die Eigenschaften, die man direkt erfassen würde, wenn man die Räder und Kopplungen berührte – das sind, was den Wagen wirklich trägt oder den einen Wagen hinter dem anderen herzieht. Zweifellos

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tragen die Räder den Wagen nur und die Kopplungen verbinden ihn nur, weil sie fest sind. Aber es ist keine Festigkeit, die man unter irgendwelchen Umständen spürt – die man direkt erfasst – die diese Dinge tut. Die Festigkeit, von der wir glauben, dass sie einigen materiellen Objekten eigen ist, ist nicht identisch mit irgendeinem Sinnesdatum oder irgendeiner Art von Sinnesdaten, die wir jemals direkt erfassen. Daher müssen wir, so denke ich, die Ansicht aufgeben, dass die Räder – mit Räder meine ich das, was den Wagen tatsächlich trägt – aus was auch immer für Sinnesdaten bestehen; selbst wenn wir der Ansicht sind, dass einige Sinnesdaten am selben Ort wie sie sind. Die vierte Theorie, die als eine Alternative zu diesen drei und zu der, die ich empfehlen möchte, vertreten werden kann, ist eine Auffassung, die nicht leicht einleuchtet, aber sie wurde auch von vielen Philosophen vertreten. Es ist die Auffassung, dass die Räder und Kopplungen wirklich existieren, wenn man denkt, dass sie es tun, aber dass sie weder aus Sinnesdaten bestehen, noch aus etwas in seiner Natur Unbekanntem, sondern aus Bewusstsein. Jene, die diese Ansicht vertreten, nehmen im Allgemeinen an, dass Bewusstsein überhaupt keine räumliche Position haben kann; sie nehmen daher an, dass die Räder nicht wirklich rund sind, dass der Wagen nicht wirklich auf ihnen ist, und dass die Kopplungen sich nicht wirklich zwischen den Wagen befinden. Und insofern sie dies behaupten, ist ihre Ansicht natürlich offen für die gleichen Einwände wie die zweite Theorie; dass es nämlich sehr schwierig zu glauben ist, dass der Wagen nicht wirklich auf den Rädern ist – über ihnen – in einer räumlichen Beziehung zu ihnen steht, und dass die Räder nicht wirklich eine runde Form haben. Aber es ist nicht notwendig, diese Auffassung in dieser wenig plausiblen Form zu vertreten. Es kann gesagt werden, dass die Räder wirklich rund sind und der Wagen wirklich auf ihnen ist, obwohl Räder und Wagen eigentlich aus Bewusstsein bestehen; und einige Philosophen, so glaube ich, haben dies vertreten. Doch ich werde jetzt nicht versuchen, alle Argumente zugunsten dieser Theorie zu besprechen. Niemand, denke ich, wird behaupten, dass sie auf den ersten Blick sehr plausibel ist oder dass sie das ist, was wir für gewöhnlich glauben. Und die Argumente, die zu ihren Gunsten eingesetzt werden, sind teilweise von der Art, mit welcher ich mich später beschäftigen werde – nämlich jene, die zeigen sollen, dass wir nicht nur von der Existenz materieller Objekte nicht wissen können, sondern auch dass kein materielles Objekt existieren kann. Aber ich denke doch, dass diese Theorie ihre Glaubwürdigkeit hauptsächlich den gleichen Argumenten schuldet, wie es bei den anderen drei Theorien der Fall ist; und was ich daher sagen werde, trifft in dieser Hinsicht auch auf sie zu.

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Nun unterscheiden sich diese vier Theorien deutlich von dem, was wir für gewöhnlich glauben. Wenn man eine von ihnen vertritt, behauptet man, dass wir von der Existenz materieller Objekte in dem Sinn nicht wissen können, in dem wir alle im Allgemeinen glauben, dass wir von der Existenz materieller Objekte tatsächlich wissen. Und es folgt, dass das, was wir im Allgemeinen mit „materiellem Objekt“ bezeichnen, genau das ist, was ich gesagt habe – ein Objekt nämlich, das drei Eigenschaften hat: Es hat eine räumliche Position; es ist weder ein Sinnesdatum noch ein Bewusstsein. Indem ich also die Auffassung verteidige, dass wir tatsächlich von der Existenz von Objekten wissen, die diese drei Eigenschaften besitzen, verteidige ich die Auffassung, die wir alle für gewöhnlich vertreten – die Ansicht des gesunden Menschenverstandes. Aber was hat nun so viele Philosophen veranlasst, diese Ansicht des gesunden Menschenverstandes abzulehnen? Welche Gründe haben sie veranlasst, darauf zu schließen, dass wir niemals, auch nicht möglicherweise, von der Existenz eines materiellen Objekts wissen können? Welche Gründe haben sie veranlasst, eine der vier Theorien, die ich beschrieben habe, anzunehmen? Und warum erscheinen einige dieser Theorien so überzeugend? Sie sehen, alle vier Theorien haben offensichtlich etwas gemeinsam. Sie besagen alle, dass jeder von uns von der Existenz einiger Dinge wissen kann, die wir nicht direkt erfassen und niemals direkt erfasst haben. Und jede von ihnen legt bestimmte Regeln hinsichtlich der einzigen Dinge fest, von denen wir wissen können, dass sie existieren; Regeln, die auf die Gründe schließen lassen, auf denen sie basieren. Keine dieser vier Theorien erlaubt mehr als zwei Alternativen. Falls man von der Existenz von irgendetwas, das man nicht direkt erfasst hat, wissen soll, dann muss man entweder völlig außerstande sein zu wissen, was für eine Art Ding das fragliche Ding ist; man weiß nur, dass es existiert. Dies ist die eine Alternative. Oder aber es muss in all den Fällen, in denen man wissen kann, was für eine Art von Ding das fragliche Ding ist, ein Ding sein, welches in einem strengen und eigentümlichen Sinn etwas ähnlich ist, das man in der Vergangenheit direkt erfasst hat. Es muss etwas ähnlich sein, das man vorher direkt erfasst hat in dem strengem Sinn, in dem eine Farbe einer anderen Farbe ähnlich ist und in dem nichts außer einer Farbe einer Farbe ähnlich sein kann; in dem ein Geräusch einem anderen Geräusch ähnlich ist; in dem ein Verstand oder ein Bewusstseinsakt einem anderen Verstand oder Bewusstseinsakt ähnlich ist. Kurz gesagt, man kann nur von der Existenz von Dingen wissen, die zu einer der bestimmten Klassen, zu denen alle existierenden Dinge, die man direkt erfasst, gehören.

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Dies ist die zweite Alternative. Aber warum sollte jemand annehmen, dass unser Wissen in diesem Maße eingeschränkt ist? Es scheint mir, dass das, was Leute wirklich beeinflusst, dies zu vertreten, die Annahme ist, dass man von der Existenz eines bestimmtem Dinges nur auf zwei Arten wissen kann: entweder durch direktes Erfassen oder durch Erfahrung – „Erfahrung“ im Sinne Humes: nämlich dass man in der Vergangenheit Verbindungen zwischen Dingen direkt erfasst hat, die dem ähnlich sind, was man nun direkt erfasst, und dem ähnlich sind, das man nun erschließt. Und diese Annahme scheint sehr einleuchtend zu sein. Es erscheint sehr plausibel zu fragen: Wie kann ich zuerst von der Existenz irgendeines Dinges wissen, außer indem ich es direkt erfasse? Und wie kann ich auf die Existenz eines bestimmten Dinges schließen, das ich nicht direkt erfasst habe, außer indem ich es aus etwas ableite, das ich direkt erfasst habe? Und was kann mir eine Grundlage für solch eine Schlussfolgerung geben außer der Tatsache, dass ich in der Vergangenheit Verbindungen zwischen solchen Dingen, auf die ich jetzt schließe, und Dingen wie jene, von denen ich jetzt auf sie schließe, direkt erfasst habe? Diese Fragen erscheinen sehr einleuchtend. Aber ich denke, es gibt gewisse Argumente, die verwendet werden können, um ihre Glaubwürdigkeit zu verringern. Das erste stellt Hume selbst zur Verfügung. Nachdem er das Prinzip dargestellt hat, dass man die Existenz jedes bestimmten Dinges durch Schlussfolgerung nicht beweisen kann außer durch Erfahrung in dem dargelegten Sinn, fragt er: Aber rechtfertigt die Erfahrung die Schlussfolgerung? Und hier verweist er auf eine bemerkenswerte Tatsache. Angenommen, man hat in der Vergangenheit fortwährend zwei verschiedene Arten von Dingen direkt erfasst, die miteinander in Verbindung standen; wie, so fragt er, kann man überhaupt rechtfertigen daraus zu folgern, dass in einem neuen Fall, in dem man das erste direkt erfasst, aber nicht das zweite, nichtsdestotrotz das zweite existiert oder wahrscheinlich existiert? Er hebt hervor, dass diese Schlussfolgerung offensichtlich eine unpräzise Annahme beinhaltet: Weil zwei Dinge in der Vergangenheit verbunden waren, ist es darum wahrscheinlich, dass sie in allen anderen Fällen auch verbunden sind. Und wie, so fragt er, kann man überhaupt wissen, ob diese Annahme richtig ist? Die bloße Tatsache, dass zwei Dinge in der Vergangenheit verbunden waren, wie lange und häufig auch immer, beweist nicht mit absoluter Sicherheit, dass sie es, auch nur wahrscheinlich, in einem anderen Fall sein werden. Es ist z.€B. durchaus vorstellbar, selbst wenn man in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht hat, dass man Wärme spürt, wenn man seine Hand einem Feuer nähert, dass dies zukünftig niemals mehr geschehen wird. Was soll beweisen,

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dass es, auch nur wahrscheinlich, in jedem Fall geschieht? Offenbar kann man dies nur beweisen, wenn man bereits ein solches Prinzip kennt: Dass es nämlich, wenn ein Ding in der Vergangenheit fortwährend mit einem anderen verbunden gewesen ist, wahrscheinlicher ist, dass es in jedem neuen Fall ebenso verbunden sein wird, als wenn sie in der Vergangenheit nicht verbunden gewesen wären. Aber wie kann man ein solches Prinzip kennen? Es ist ein Prinzip, von dem man mittels keiner Art, die Hume als möglich zulässt, wissen kann. Es ist nicht selbstverständlich; es kann nicht von etwas hergeleitet werden, das selbstverständlich ist; und es kann nicht durch Erfahrung bekannt sein, da im Gegenteil die Erfahrung niemals irgendetwas beweisen kann, wenn dieses Prinzip nicht zunächst als wahr bekannt ist. Dieses Argument Humes ist, so denke ich, noch nie beantwortet worden; und ich sehe nicht, wie es beantwortet werden könnte. Man kann annehmen, man wisse tatsächlich, wenn zwei Dinge in der Vergangenheit verbunden gewesen sind, dass sie wahrscheinlich wieder verbunden sein werden; und man weiß daher, dass Erfahrung eine solide Basis für Schlussfolgerungen ist. Aber wenn man dies annimmt, warum sollte man dann auch davon ausgehen, dass man von der Existenz materieller Objekte weiß? Ist die eine Proposition tatsächlich gewisser als die andere? Wenn man andererseits annimmt, man wisse nicht, dass Erfahrung eine solide Basis für Schlussfolgerungen ist, dann verschwinden alle Grundlagen, um zwischen der Kenntnis von materiellen Objekten und der Kenntnis der Existenz anderer Personen oder der eigenen zukünftigen Empfindungen zu unterscheiden. Wenn man dies annimmt, dann muss man auch eingestehen, dass man auch nicht von der Existenz einer Person außer der eigenen weiß. Und folglich kann man auch nicht berechtigt sein, eine solche Regel aufzustellen, die ich im Moment anfechte. Man ist nicht berechtigt zu sagen: Kein Mensch weiß von der Existenz eines materiellen Objekts. Denn wenn man noch nicht einmal weiß, dass ein anderer Mensch existiert, wie kann man dann irgendetwas hinsichtlich dessen wissen, was andere Menschen wissen – oder nicht wissen? Denn alles, was man weiß, ist, dass andere Menschen, falls sie existieren, von der Existenz materieller Objekte und aller Arten von anderen Dingen wissen könnten. Anders gesagt, wenn man einmal dieses skeptische Argument Humes akzeptiert hat, dass es nämlich zeigt, Erfahrung ist keine ausreichende Basis für Schlussfolgerungen, während man zur selben Zeit behauptet, dass es die einzige Basis ist, die man hat, dann werden alle Versuche, allgemeine Propositionen über die Grenzen menschlichen Wissens aufzustellen, absurd. Man ist höchstens berechtigt, Regeln hinsichtlich dessen aufzustellen, was

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man selbst weiß oder nicht weiß; und selbst hinsichtlich der eigenen Person kann man unmöglich in der Lage sein zu behaupten, dass man nicht schon im nächsten Moment von der Existenz eines materiellen Objekts wissen könnte: Es gibt keine Grundlage für die Annahme, dass die allergeringste Wahrscheinlichkeit besteht, dies nicht zu wissen. Dies ist nun ein Argument, das die Glaubwürdigkeit der Behauptung, dass wir nicht von der Existenz eines materiellen Objekts wissen können, wirklich verringert. Da es zeigt, wenn wir wissen sollen, dass Erfahrung selbst eine solide Basis für irgendeine Schlussfolgerung ist, müssen wir zuerst ein Prinzip kennen, das genauso wenig Gewissheit zu haben scheint, wenn überhaupt so viel, wie die Proposition, dass materielle Objekte existieren. Ein anderes Argument mit der gleichen Wirkung ist folgendes. Wie gelangt jemand zu solch einem Prinzip wie jenem, das wir betrachten? Ein Prinzip, das behauptet: Niemand kann von der Existenz von etwas wissen, wenn nicht bestimmte Bedingungen gegeben sind? Es ist offensichtlich, dass kein solches Prinzip selbstverständlich ist. Man kann nicht sofort sehen, indem man bloß die Bedingungen solch einer Proposition betrachtet – indem man eine äußerst klare und deutliche Vorstellung dessen erlangt, was sie bedeutet – dass sie wahr sein muss; mittels der Art, mittels derer man sehen kann, indem man bloß betrachtet, was die Proposition besagt, dass Dinge, die zu demselben Ding gleich sind, auch gleich zueinander sind. Und wenn man bedenkt, wie man zu solchen Propositionen über die Grenzen unseres Wissens tatsächlich gelangt und wie sie gestützt werden, dann wird man erkennen, denke ich, dass sie alle von dem Umstand bestimmter Fälle abhängen, in denen es scheint, dass wir tatsächlich bestimmte Dinge wissen oder nicht wissen. Tatsächlich basieren sie – und das ist die beste Grundlage, die sie haben können – auf dem Versuch, alle verschiedenen Fälle, in denen wir offenbar etwas wissen, und alle jene, in denen wir offenbar etwas nicht wissen, zu sammeln und durch Vergleich festzustellen, welche Bedingungen allen Fällen, in denen wir wissen, eigen sind und die in jenen Fällen, in denen wir nicht wissen, fehlen. Jedes allgemeine Prinzip, welches besagt, dass wir niemals eine bestimmte Art von Proposition kennen können, außer unter gewissen Bedingungen, basiert und muss auf einer empirischen Induktion basieren: auf der Beobachtung der Fälle, in denen wir offenbar Propositionen der entsprechenden Art kennen, und derjenigen, in denen wir es nicht tun, sowie der Umstände, die die eine Klasse von der anderen unterscheidet. Aber da dies so ist, folgt, dass kein solches allgemeines Prinzip eine größere Gewissheit haben kann als die bestimmten Fälle, auf denen die Beobachtung

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George Edward Moore • Grundprobleme der Philosophie

beruht. Wenn es nicht offensichtlich ist, dass ich nicht von der Existenz eines materiellen Objekts in einem bestimmten Fall weiß, kann kein Prinzip als nachgewiesen gelten, das behauptet, dass ich nicht von der Existenz von etwas wissen kann außer unter Umständen, die im Falle der materiellen Objekte nicht gegeben sind. Die bloße Tatsache, dass ich in einem bestimmten Fall tatsächlich von der Existenz eines materiellen Objekts gewusst habe, trotz der Tatsache, dass die erwähnten Umstände nicht gegeben waren, würde genügen, das Prinzip umzustoßen und zu beweisen, dass es nicht wahr ist. Falls daher ein Prinzip, aus dem hervorgehen würde, dass ich nicht von der Existenz eines materiellen Objekts wissen kann, mit Sicherheit bekannt sein soll, muss zunächst mit einer größeren Sicherheit bekannt sein, dass ich tatsächlich in keinem Fall von einer Existenz weiß. Und ist es möglich, dies mit Sicherheit zu wissen? Es scheint mir, dass dem gewiss nicht so ist. Kurz gesagt, der Versuch, mittels eines solchen Prinzip wie demjenigen Humes zu beweisen, dass wir von der Existenz eines materiellen Objekts nicht wissen können, scheint mir ein typisches Beispiel für eine Art von Argument zu sein, das in der Philosophie sehr häufig vorkommt: nämlich ein Versuch zu beweisen, dass eine gegebene Proposition falsch ist, mittels eines Prinzips, das tatsächlich viel geringere Gewissheit besitzt als die Proposition, deren Unrichtigkeit mittels des Prinzips bewiesen werden soll. Daraus folgt aber nicht, dass alle Versuche, allgemeine Prinzipien hinsichtlich der Grenzen unseres Wissens aufzustellen, hoffnungs- und zwecklos sein müssen. Es folgt nur, dass wir in unserer Untersuchung der einzelnen Fälle, auf denen unser Prinzip basieren soll, sehr vorsichtig sein müssen, Fälle, in denen es keineswegs offensichtlich ist, dass wir nicht von dem entsprechenden Ding wissen, nicht als solche Fälle zu erachten, in denen wir offensichtlich nichts wissen. Dies, so scheint es mir, ist der Fehler, der in diesem Fall aufgetreten ist. Es ist trotz allem nicht so offensichtlich, dass wir nicht von der Existenz materieller Objekte wissen. Und falls dies so ist, dann kann kein allgemeines Prinzip hinsichtlich der Grenzen des Wissens, aus dem hervorgehen würde, dass wir von ihrer Existenz nichts wissen können, in einem höheren Maße offensichtlich wahr sein. Ich bin mir bewusst, dass all dies streng genommen nur ein Argument zugunsten der Position ist, dass wir nicht wissen, ob wir nicht von der Existenz materieller Objekte wissen. Aber es gibt einen wirklichen und wichtigen Unterschied zwischen dieser Position und der dogmatischen Position, dass wir mit Sicherheit nicht von ihrer Existenz wissen. Und für die Praxis, wenn nicht sogar für die Logik, ist es ein wichtiger Schritt hin zur Überzeugung, dass wir tatsächlich von ihrer Existenz wissen.

Kapitel 8 Existenz im Raum

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ch habe nun das betrachtet und darzulegen versucht, was mir das stärkste und überzeugendste Argument zugunsten der Position zu sein scheint, dass niemand von uns jemals von der Existenz eines materiellen Objekts weiß; dass wir einfach nicht sagen können, ob materielle Objekte existieren oder nicht. Aber viele Philosophen haben sich nicht mit dieser Position begnügt. Anstatt bloß anzunehmen, dass wir nicht wissen, ob materielle Objekte existieren oder nicht, haben viele von ihnen behauptet, dass materielle Objekte gewiss nicht existieren: Sie haben behauptet, dass wir wissen können, dass sie nicht existieren. Und ich möchte nun das betrachten und, so gut ich kann, darlegen, welche mir als die plausibelsten Argumente zugunsten dieser Position erscheinen. Das erste und allgemein gebräuchlichste ist eines, das ich bereits kurz erwähnt habe. Es ist folgendes. Viele Philosophen scheinen zu behaupten, dass es ganz sicher ist, kein Sinnesdatum – nichts, das wie ein Sinnesdatum ist in dem Sinn, in dem eine Farbe wie eine andere Farbe ist – könne existieren, außer wenn es von jemandem direkt erfasst wird. Und ich möchte zunächst genau erklären, welche Bedeutung dieses Argument, falls es wahr ist, auf die Existenz materieller Objekte haben würde. Zuletzt habe ich darauf bestanden, dass das, was ich als materielles Objekt bezeichne und was wir alle für gewöhnlich als solches bezeichnen, etwas ist, das weder ein Sinnesdatum irgendeiner Art ist, noch aus Sinnesdaten besteht. Daher könnte man annehmen, dass dieses Argument nicht dazu neigt zu beweisen, dass materielle Objekte nicht existieren, da es nur besagt, dass Sinnesdaten nicht existieren können, außer wenn sie direkt erfasst werden. Aber dies ist nicht der Fall. Denn obwohl ich darauf bestanden habe, dass kein materielles Objekt selbst ein Sinnesdatum ist oder wie ein Sinnesdatum ist, so habe ich auch darauf bestanden, dass jedes materielle Objekt sich im Raum befinden oder eine Form haben muss – entweder nur die Form eines Punktes oder eine der Strukturen, die man im Allgemeinen Form nennt. Ich habe hinzugefügt, dass jede Form wie ein Sinnesdatum im geforderten Sinn ist: Da jede Form eine Form ist, und einige Formen tatsächlich durch die Sinne gegeben sind. Daher trifft dieses Argument auch auf materielle Objekte zu,

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weil sie eine Form haben – aus keinem anderen Grund. Es würde daraus folgen, dass keine Form existieren kann, außer wenn sie von jemandem direkt erfasst wird. Und da kein materielles Objekt existieren kann, außer wenn seine Form existiert, so folgt, dass kein materielles Objekt existieren kann, außer wenn seine Form von jemandem direkt erfasst wird. Aber trotzdem folgt natürlich nicht direkt, dass kein materielles Objekt überhaupt jemals existieren kann, wenn wir mit materiellem Objekt ein Objekt bezeichnen, das die drei Eigenschaften besitzt, die ich letztes Mal definiert habe. Es folgt nur, dass kein solches Objekt existieren kann außer in dem Moment, wenn seine Form von jemandem direkt erfasst wird. Und es könnte angenommen werden, dass wir manchmal – sehr oft z.€B. wenn wir tatsächlich ein materielles Objekt sehen – seine Form oder die Form eines Teils von ihm direkt erfassen. Und jedes Teil eines materiellen Objekts ist selbst ein materielles Objekt; sodass wir gemäß dieser Ansicht sehr oft die Formen materieller Objekte direkt erfassen sollten; und dies würde uns gestatten anzunehmen, dass das entsprechende materielle Objekt zu jedem Zeitpunkt, wenn wir es tun, existieren kann. Wenn wir daher jemals die Form eines materiellen Objekts direkt erfassen, würde diese Ansicht gestatten, dass zu diesen Zeitpunkten ein materielles Objekt existieren kann. Daher könnte man annehmen, dass diese Sichtweise dem gesunden Menschenverstand widerspricht, nicht weil sie leugnet, dass materielle Objekte niemals existieren (denn gemäß dieser Ansicht tut sie es nicht), sondern weil sie leugnet, dass sie niemals existieren, außer wenn wir ihre Formen direkt erfassen – oder anders gesagt, dass sie niemals unabhängig von uns existieren. Ich habe diesen Punkt hervorgehoben, weil die Frage, ob materielle Objekte überhaupt jemals existieren, mit der Frage verwechselt wird, ob sie jemals unabhängig von uns existieren; wobei die beiden Fragen sich offensichtlich unterscheiden und verschiedener Erklärungen bedürfen, um sie zu beantworten. Selbst wenn dieses Argument nur die Schlussfolgerung beinhaltet, dass kein materielles Objekt jemals unabhängig von uns existiert, so würde es doch dem gesunden Menschenverstand sehr stark widersprechen; denn wir nehmen gewiss an, dass materielle Objekte fortwährend existieren, auch wenn niemand sie wahrnimmt. Aber ich denke, der Widerspruch ist noch größer. Denn es muss eingestanden werden, dass wir niemals die Form eines materiellen Objekts direkt erfassen. Was ich meine, ist, dass keine Form, die wir jemals direkt erfassen, numerisch die gleiche wie die eines materiellen Objekts ist, obwohl wir oftmals Formen direkt erfassen, die wie Formen materieller Objekte sind: Wir erfassen niemals direkt die identischen Linien,

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die ein materielles Objekt tatsächlich begrenzen. Wenn Sie z.€B. gerade auf diesen Penny schauen, erfassen Sie zweifelsohne direkt eine in etwa kreisrunde Form, welche die Form der braunen Stelle ist, die Sie direkt erfassen. Und zweifellos ist die Form einer Oberfläche des wirklichen Pennys – des materiellen Objekts – auch in etwa kreisförmig. Aber wenn man die Ränder des Pennys unter einem Mikroskop betrachtete, dann würde die Begrenzungslinie, die man unter dem Mikroskop direkt erfasst, Unebenheiten aufweisen, die nicht in der Begrenzungslinie vorhanden sind, die man mit bloßem Auge direkt erfasst. Und es ist anzunehmen, dass die Linie, die den wirklichen Penny begrenzt mehr wie die Linie ist, die man unter dem Mikroskop direkt erfasst, als jene, die man mit bloßem Auge direkt erfasst. Daher folgt, dass die Linie, die man mit bloßem Auge direkt erfasst, nicht mit jener identisch ist, die den wirklichen Penny begrenzt, da sie ihr nicht genau gleicht. Aber es ist ebenso anzunehmen, dass keine Linie, die man unter einem Mikroskop, welche Vergrößerung es auch haben mag, sehen würde, mit jener identisch ist, die den wirklichen Penny begrenzt; da anzunehmen ist, dass das, was den wirklichen Penny begrenzt, unebener ist als jede Linie, die man selbst unter dem stärksten Mikroskop direkt erfassen kann. Daher ist keine Form, die man unter welchen Umständen auch immer direkt erfassen kann, mit der Form des wirklichen Pennys identisch. Und wenn keine dieser Formen, keine dieser Begrenzungslinien, die Form des Pennys ist, gibt es dann einen Grund anzunehmen, dass sie die Form irgendeines materiellen Objekts sind? Zweifellos ist es möglich, dass es innerhalb der Linie, die den wirklichen Penny begrenzt, andere Linien geben könnte, die jenen in Form und Größe genau entsprechen, die man mit bloßem Auge oder unter verschiedenen Mikroskopen direkt erfasst, sodass Teile des Pennys wirklich durch Linien begrenzt sind, die genau wie jene sind, die man direkt erfasst. Aber gibt es einen Grund anzunehmen, dass eine Linie, die man tatsächlich direkt erfasst, die identische Linie ist, die einen Teil des Pennys begrenzt? Es scheint mir, dass es keinen gibt. Wenn man einmal klar erkannt hat, dass die Linie, die man direkt erfasst, jedes Mal wenn man den Penny ansieht, nicht die identische Linie ist, die die Oberfläche des wirklichen Pennys – des materiellen Objekts – begrenzt, welche man annimmt selbst zu sehen, ist es, denke ich, nicht vertretbar anzunehmen, dass die sie mit der Linie identisch ist, die eine andere materielle Oberfläche begrenzt – z.€B. ein Teil der Oberfläche des Pennys. Daher schließe ich, dass keine der Formen, die wir jemals direkt erfassen, die Formen sind – die identischen Begrenzungslinien – irgendeines materiellen Objekts. Das heißt, ich akzeptiere die Theorie,

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dass kein Teil der Räume, die wir jemals direkt erfassen, mit einem Teil des Raumes identisch ist, in dem materielle Objekte sind. Aber daraus folgt nun, soweit es unser direktes Erfassen betrifft, dass kein materielles Objekt jemals existieren kann, wenn wir es entweder wahrnehmen oder es nicht tun. Es folgt, falls ein materielles Objekt nur existieren kann, wenn jemand von uns – ein Mensch oder ein Tier – seine Form oder den Raum, den es einnimmt, direkt erfasst, dass dann niemals ein materielles Objekt existiert. Aber trotzdem folgt daraus natürlich nicht zwangsläufig, dass ein materielles Objekt niemals existiert. Selbst wenn wir einräumen, so wie ich einräume, dass die Form eines materiellen Objekts niemals von jemandem von uns – d.€h. einem Menschen oder einem Tier – direkt erfasst wird, so könnte nichtsdestotrotz angenommen werden, dass die Formen aller materiellen Objekte, an die wir jemals glauben, immer und andauernd von jemand anderem direkt erfasst werden – z.€B. von Gott. Und dies ist eine Argumentationskette, die viele Philosophen geneigt waren zu vertreten. Sie haben angenommen, es sei äußerst gewiss (wie wir alle im Allgemeinen annehmen), dass viele Dinge existieren, wenn wir sie nicht direkt erfassen; sie haben angenommen, dass diese Dinge von einer bestimmten Art sind, die nicht existieren kann, außer wenn jemand sie direkt erfasst; und sie haben daraus geschlossen, dass jemand existieren muss, der sie direkt erfasst. Daher beweist die Ansicht, dass kein Raum existiert, außer wenn er von jemandem direkt erfasst wird, streng genommen nicht, dass materielle Objekte nicht existieren können. Ganz im Gegenteil, sie ist durchaus mit der Auffassung vereinbar, dass alle materiellen Objekte, von denen der gesunde Menschenverstand annimmt, dass sie existieren, auch wirklich existieren – vorausgesetzt, dass alle ihre Formen, immer wenn sie existieren, von einem Bewusstsein direkt erfasst werden. Daher leugnet diese Ansicht nicht selbst die Existenz materieller Objekte, an die jeder von uns glaubt. Aber ich denke, dass sie in der Praxis eine der stärksten Argumente gegen die Existenz von jedem materiellem Objekt ist, da wir tatsächlich für gewöhnlich nicht glauben, dass ihre Formen zu jeder Zeit von jemandem direkt erfasst werden. Der gesunde Menschenverstand vertritt gewiss nicht, dass jeder Teil des Raumes, in dem sich ein materielles Objekt befindet, zu jedem Zeitpunkt von jemandem direkt erfasst wird. Er nimmt gewiss an, dass materielle Objekte existieren können, selbst wenn der Raum, in dem sie sich befinden, nicht direkt erfasst wird. Und diese Ansicht des gesunden Menschenverstandes steht zu dem betrachteten Argument in ausgesprochenem Widerspruch.

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Aber warum sollte dieses Argument nun jemandem zusagen? Warum sollte jemand denken, dass nichts, was einem Sinnesdatum in dem Sinn ähnelt, in dem eine kreisförmige Figur einer anderen kreisförmigen Figur ähneln muss, existieren kann, außer wenn es von jemandem direkt erfasst wird? Soweit mir bekannt ist, gibt es zwei Hauptargumente im Fall des Raums und räumlicher Figuren, die zugunsten dieser Position vorgebracht werden. Und dies ist der einzige Fall, der uns beschäftigt, da materielle Objekte in dem Sinn, in dem wir sie betrachten, keinem Sinnesdatum ähneln – außer hinsichtlich der Tatsache, dass sie Raum einnehmen und eine Form haben. Das erste Argument ist dasjenige, welches ich bereits erwähnt habe, nämlich jenes, das Berkeley verwendet hat. Es wird behauptet, dass diese Proposition selbstverständlich ist: Es ist unzweifelhaft, dass kein Raum oder keine Form existieren kann, außer wenn sie von jemandem direkt erfasst werden. Und wenn jemand glaubt, dass diese Proposition selbstverständlich ist, muss ich zugeben, dass ich nicht wirklich weiß, wie ich ihn überzeugen sollte, dass dem nicht so ist. Es gibt so viele verschiedene Argumente, die überzeugen könnten, aber natürlich ist es bei keinem ganz gewiss. Ich werde nur das Argument erwähnen, das mir das überzeugendste zu sein scheint und das den größten Anteil daran hatte, mich zu überzeugen. Es lautet wie folgt. Jeder, der annimmt, es sei selbstverständlich, dass kein Raum und keine Form existieren können, außer wenn sie von jemandem direkt erfasst werden, muss z.€B. auch behaupten, dass der Raum, in dem wir uns jetzt befinden, durch nichts getragen wird; dass er nicht durch Mauern getragen wird, die eine bestimmte Länge, Höhe und Tiefe haben; dass es tatsächlich einfach nichts unter ihm gibt. Er muss auch annehmen, um ein Beispiel zu benennen, das ich bereits angeführt habe, dass es in diesem Moment keine Knochen in meiner Hand gibt; dass es nichts darin gibt, das dem Bild eines Skeletts der Hand, mit dem wir alle vertraut sind, in irgendeiner Weise ähnelt. Er muss auch annehmen, wenn man in einem Zugabteil sitzt, dass der Wagen, in dem man sitzt, nicht von Rädern getragen wird; dass er von nichts getragen wird, weder rund noch andersförmig. Er muss annehmen, dass wir uns jetzt nicht näher bei St. Paul’s Cathedral als bei Paris befinden; und dass wir jetzt dem Mond nicht näher sind als der Sonne: dass wir uns tatsächlich in überhaupt keiner Entfernung zu diesen Objekten befinden. Er muss annehmen, dass wir uns jetzt in überhaupt keiner Entfernung zu Neuseeland oder zum Nordpol befinden; und dass es absurd ist zu glauben (so wie wir es gewöhnlich tun), dass London von diesen Orten weiter entfernt ist als von Schottland. Er muss tatsächlich an sehr viele Propositionen glau-

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ben, die dem widersprechen, was er selbst fortwährend glaubt; er kann nicht anders, als dies im alltäglichen Leben zu glauben. Entweder muss er dies tun oder er muss glauben, dass alle diese Teile des Raumes, die ich erwähnt habe, in diesem Moment von jemandem direkt erfasst werden. Dass jemand z.€B. in diesem Moment jeden Teil des Raumes, den von allen Teilen der Wände, die diesen Raum tragen, direkt erfasst; dass jemand in diesem Moment jeden Teil des Raumes, den in diesem Moment die Knochen meiner Hand einnehmen, direkt erfasst; dass jemand in diesem Moment die ganze Distanz zwischen hier und dem Nordpol direkt erfasst. Aber, so frage ich, sind nicht alle diese betrachteten Propositionen viel gewisser als die vermutete selbstverständliche Proposition, dass kein Teil des Raumes existieren kann, außer wenn er von jemandem direkt erfasst wird? Ist es nicht viel gewisser, dass dieser Raum von Mauern getragen wird, die eine bestimmte Länge, Höhe und Tiefe haben, als dass Länge, Höhe und Tiefe nicht existieren können, wenn nicht jemand sie direkt erfasst? Und ist nicht auch viel gewisser, dass es jetzt in meiner Hand Knochen gibt, als dass irgendjemand die Länge, Breite und Dicke dieser Knochen direkt erfasst? Hauptsächlich wegen dieser Gründe und einer Menge ähnlicher bin ich überzeugt, dass diese vermutete selbstverständliche Proposition falsch ist. Wenn mir nicht diese Auffassungen des gesunden Menschenverstands so sicher erschienen, wäre ich nicht überzeugt, dass sie falsch sei. Aber ganz abgesehen von Beweisen gegen sie, kann ich nicht den kleinsten Beweis zu ihren Gunsten finden: Sie scheint mir überhaupt keine Selbstverständlichkeit zu haben. Sodass ich, selbst wenn es keinen so überzeugenden Beweis gegen sie gäbe, annehmen würde, die richtige Schlussfolgerung wäre nicht, dass sie gewiss wahr sei, sondern nur, dass sie wahr sein könnte – dass wir nicht sagen könnten, ob sie wahr oder falsch sei. Dies ist alles, was ich hinsichtlich des ersten Arguments zugunsten der Proposition sagen möchte, dass kein Teil des Raums existieren kann, außer wenn er von jemandem direkt erfasst wird – nämlich das Argument, dass diese Proposition selbstverständlich ist. Das zweite Argument zu ihren Gunsten, das ich erwähnen möchte, ist eines, das Kant vorgebracht hat und das auch sehr viele Menschen angesprochen hat. Es ist ein Argument, das Kant im Laufe seiner Bemühungen, Humes skeptisches Argument zu widerlegen, das ich in der letzten Vorlesung dargelegt habe, in den Sinn gekommen ist. Wenn Sie sich erinnern, bestand Humes Argument in der Hervorhebung, selbst wenn man in der Vergangenheit fortwährend erfahren hat, dass die Existenz eines Dings mit

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der eines anderen verbunden war, trotzdem nicht folgt, dass diese beiden Arten von Dingen immer verbunden sind oder dass sie jemals wieder verbunden sein werden. Selbst wenn man z.€B. in der Vergangenheit stets bemerkt hat, dass ein Stück Papier verbrennt, wenn man es ins Feuer legt, so folgt laut Hume daraus nicht, dass ein Stück Papier immer verbrannt ist und verbrennen wird, wenn es ins Feuer gelegt wird: Es ist im Gegenteil durchaus denkbar, dass bei allen Gelegenheiten außer bei solchen, bei denen man es selbst tatsächlich brennen gesehen hat, Papier niemals durch Feuer verbrannt ist bzw. verbrennen wird. Kurz gesagt, Hume trägt einen Zweifel bezüglich dessen vor, wie man jemals wissen kann, ob universale Propositionen einer bestimmten Art wahr sind. Hier wird mit einer universalen Proposition eine Proposition bezeichnet, die feststellt, dass irgendetwas, das eine bestimmte Eigenschaft hat, bei allen Gelegenheiten auch eine andere bestimmte Eigenschaft hat. Und die Art universaler Propositionen, hinsichtlich derer Hume diesen Zweifel hervorbringt, sind jene, die feststellen, dass etwas, das eine bestimmte Eigenschaft besitzt, immer auch die weitere Eigenschaft besitzt, dass ihre Existenz mit der – vorausgegangenen, begleitenden oder zukünftigen – Existenz einer anderen Art von Ding verbunden ist. Zum Beispiel ist das Ins-Feuer-Legen eines Stück Papiers eine Handlung einer ganz bestimmten Art; und wie kann man jemals, so fragt Hume, die universale Proposition kennen, dass jede Handlung, die die bestimmte Eigenschaft, das Ins-FeuerLegen eines Stück Papiers, hat, auch immer die andere bestimmte Eigenschaft, dass das Verbrennen des Papiers folgt, besessen hat, besitzt und besitzen wird? Nun sind diese universalen Propositionen, hinsichtlich derer Hume den Zweifel, wie wir sie erkennen können, hervorbringt, offensichtlich nicht bloße Tautologien. Mit einer tautologischen Proposition meine ich eine Proposition wie die folgende: Alles, was rund und hart ist, ist rund. Dies ist ein Beispiel einer universalen tautologischen Proposition; und sie wird tautologische genannt, weil man offensichtlich, wenn man bereits gesagt hat, dass ein Ding zugleich rund und hart ist, und dann hinzufügt, dass es rund ist, nur dasselbe zweimal sagt. Aber offensichtlich sind die universalen Propositionen, hinsichtlich derer Hume die Frage vorbringt, wie wir sie wissen können, nicht bloße Tautologien wie die angeführte. Die Proposition, dass auf jede Handlung, die das Ins-Feuer-Legen eines Stück Papiers darstellt, das Verbrennen des Papiers folgt, ist nicht bloß eine Tautologie: Wenn man sagt, dass man ein Stück Papier ins Feuer gelegt hat, hat man nicht bereits gesagt, dass es verbrannt ist; zu sagen, dass es ins Feuer gelegt worden ist, ist nicht

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dasselbe wie zu sagen, dass es verbrannt ist. Die Propositionen, hinsichtlich derer Hume seine Frage gestellt hat, haben folglich die Eigenschaft, dass sie neben ihrem universalen Charakter auch nicht tautologisch sind. Und Kant gibt den Urteilen, die nicht tautologisch sind, einen speziellen Namen: Er nennt sie synthetisch. Wir können nun sagen, dass Hume gefragt hat: Wie können wir überhaupt eine bestimmte Art universaler synthetischer Urteilen erkennen? Nun dachte Kant, dass diese Frage, die Hume in Hinblick auf eine bestimmte Art universaler synthetischer Propositionen gestellt hat, auch in Bezug auf alle universalen synthetischen Propositionen, und das mit ebenso gutem Recht, gestellt werden kann. Hinsichtlich aller universalen synthetischen Propositionen ist es ebenso schwierig herauszufinden, wie wir wissen können, ob sie wahr sind. Und so wurde er durch Humes Frage hinsichtlich einer bestimmten Klasse von ihnen veranlasst, die allgemeine Frage zu stellen: Wie können wir wissen, ob eine universale synthetische Proposition wahr ist? Seine Antwort unterscheidet sich hinsichtlich der Details im Fall verschiedener Klassen universaler synthetischer Propositionen; aber ich werde nicht seine Antwort in Bezug auf alle Klassen darlegen. Wir beschäftigen uns mit der Antwort, die er im Fall einer bestimmten Klasse universaler synthetischer Propositionen gibt. Propositionen wie diese: Die drei Winkel eines Dreiecks entsprechen immer zwei rechten Winkeln. Diese Proposition und viele vergleichbare bezüglich der Eigenschaften verschiedener räumlicher Figuren sind universale Propositionen: Diese besagt z.€B:, dass die drei Winkel jedes Dreiecks immer zwei rechten Winkeln entsprechen. Und Kant sah auch (was Hume nicht deutlich gesehen hatte), dass diese Proposition und ähnliche nicht tautologisch sind – dass sie wirklich synthetisch sind. Er dachte daher, dass eine Schwierigkeit bestehe zu sehen, wie wir wissen können, dass universale Propositionen dieser Art, d.€h. der Eigenschaften räumlicher Figuren, wahr sind; und seine Antwort , wie wir dies können, lautet wie folgt. Er sagt, dass wir sie nicht erkennen könnten, wenn Raum nichts als eine bloße Form wäre, in der uns – abhängig von unserem Bewusstseinszustand – Dinge erscheinen. Wenn unser Bewusstsein so veranlagt ist, dass die Winkel jedes Dreiecks, das uns erscheint, immer zwei rechten Winkeln entsprechen, dann können wir ganz sicher sein, dass die Summe der Winkel jedes Dreiecks, das uns jemals erscheint, der zweier rechter Winkel entspricht. Wenn daher das, was wir als Dreieck bezeichnen, bloß eine Form ist, in der uns Dinge erscheinen, ist es einfach zu verstehen, wie wir wissen könnten, dass die Winkel jedes Dreiecks zwei rechten Winkeln entsprechen. Aber wenn

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andererseits ein Dreieck eine Form wäre, die ein Ding haben könnte, selbst wenn wir es nicht direkt erfassten, könnten wir unmöglich wissen, dass die Winkel jeder solchen Form zwei rechten Winkeln entsprechen müssen. Dies ist, denke ich, das, worauf Kants Argument hinausläuft. Und es hat eine gewisse Glaubwürdigkeit, wenn es vage und in allgemeinen Worten ausgedrückt wird. Es hört sich plausibel an zu sagen: Wir können wissen, wie Dinge uns erscheinen werden; obwohl wir niemals wissen können, wie sie an sich sind. Wie sie uns erscheinen werden, hängt nur vom Zustand unseres Bewusstseins ab; und in welchem Zustand unser Bewusstsein ist, ist eine Sache, von der wir hoffen, sie herausfinden zu können. Aber eine universale synthetische Proposition über das herauszufinden, wie Dinge an sich sind, geht weit über unsere Möglichkeiten hinaus. Die Auffassung lautet nun wie folgt. Wir können, sagt Kant, nur universale synthetische Propositionen über räumliche Figuren erkennen, wenn die räumlichen Figuren nur Phänomene sind – nur Dinge, die uns erscheinen; und damit meint er, zumindest manchmal, Dinge, die nur existieren, wenn sie direkt erfasst werden. Aber er denkt, wir kennen universale synthetische Propositionen über räumliche Figuren. Wir wissen z.€B., dass die drei Winkel jedes Dreiecks unter allen Umständen zwei rechten Winkeln entsprechen. Er folgert daher, dass alle räumlichen Figuren nur Dinge sind, die uns erscheinen – Dinge, die nur existieren, wenn wir sie direkt erfassen. Anders gesagt, sein Argument zu beweisen, dass räumliche Figuren oder Formen nur existieren können, wenn wir sie direkt erfassen, besteht nicht wie das vorhergehende aus der Annahme, dass dies selbstÂ�verständlich ist; sondern aus der Annahme, dass es wahr sein muss, da wir keine universale synthetische Proposition über sie erkennen könnten, wenn es nicht wahr wäre. Und dieses Argument erschien vielen Menschen plausibel. Es folgt natürlich: Falls Raum nur eine Form unseres unserer sinnlichen Anschauung ist, wie Kant sagt – d.€h. falls unser Bewusstsein so veranlagt ist, dass die Winkel jedes Dreiecks, das uns erscheint, zwei rechten Winkeln entsprechen müssen, dann haben die Winkel jedes Dreiecks, das uns erscheint, immer zwei rechten Winkeln zu entsprechen und sie werden ihnen auch immer entsprechen. Dies ist natürlich wahr. Aber erklärt dies tatsächlich, wie wir wissen können, dass dies immer so gewesen ist und immer so sein wird? Offensichtlich tut es dies nicht, wenn nicht zunächst erklärt wird oder einleuchtend ist, wie wir wissen können, ob unser Bewusstsein so veranlagt ist, dass es immer zu diesem Ergebnis gelangt. Aber die Proposition, unser Bewusstsein sei so veranlagt, dass es immer die gleichen Erscheinungen erzeugt, ist selbst eine

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universale synthetische Proposition und zwar genau der Art, hinsichtlich derer Hume die Schwierigkeit herauszufinden hervorhob, wie wir sie erkennen können. Wenn Kant annimmt, dass wir wissen, ob unser Bewusstsein so veranlagt ist, nimmt er an, dass jeder von uns nicht nur weiß, ob das eigene Bewusstsein sich in einer bestimmten Art verhält, sondern auch das es dies immer tun wird; und nicht nur das, sondern auch dass das Bewusstsein aller anderen Menschen sich immer in dieser Art verhält und es auch immer tun wird. Aber wie kann irgendjemand von uns dies wissen? Offensichtlich ist dies eine Frage, die genauso eine Antwort erfordert wie jene, die Kant beantworten wollte; und doch versucht er noch nicht einmal, sie zu beantworten: Es scheint ihm niemals in den Sinn gekommen zu sein zu fragen, wie wir wissen können, ob das Bewusstsein aller Menschen so veranlagt ist, dass es immer in einer gewissen Weise handelt. Und wenn diese Frage einmal gestellt worden ist, verschwindet die ganze Überzeugungskraft seines Arguments. Ist es wirklich einfacher zu sehen, wie man solch eine Proposition erkennen kann als zu sehen, wie man die Proposition erkennen könnte, dass die Winkel aller Dreiecke, ob direkt erfasst oder nicht, zwei rechten Winkeln entsprechen müssen? Offensichtlich trifft Humes Argument auf beide Propositionen gleich stark zu. So viel Erfahrung man auch hat, wie das eigene Bewusstsein sich in der Vergangenheit verhalten hat, es kann nicht mit absoluter Sicherheit gefolgert werden, dass es sich jemals wieder so verhalten wird oder dass es sich jemals so verhalten hat außer bei den Gelegenheiten, bei denen man es tatsächlich bemerkt hat; auch kann nicht gefolgert werden, dass das Bewusstsein eines anderen Menschen sich jemals auf die gleiche Art verhalten hat oder sich jemals so verhalten wird. Und falls man trotz der Tatsache, dass man es nicht folgern kann, wissen kann, ob das Bewusstsein aller Menschen sich immer auf diese Art verhalten hat und verhalten wird, warum sollte man wissen können, dass die Winkel aller Dreiecke immer zwei rechten Winkeln entsprechen müssen, selbst wenn Dreiecke nicht nur Erscheinungen sind, die durch die Tätigkeit des Bewusstseins erzeugt werden? Die Frage, wie man universale synthetische Propositionen über die Tätigkeit des menschlichen Bewusstseins erkennen kann, ist tatsächlich kein bisschen einfacher als die Frage, wie man sie über andere Dinge wissen könnte; und so verliert das Argument, dass alles, von dem man universale synthetische Propositionen wissen kann, der Tätigkeit des menschlichen Bewusstseins geschuldet sein muss, jede Glaubwürdigkeit. Daher denke ich, Kants Argument eines Nachweises, dass kein Teil des Raums existieren kann, außer wenn er von uns direkt erfasst wird, ist nicht

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schlüssiger ist das Argument, es sei selbstverständlich, dass keiner existieren kann, außer wenn er von jemandem direkt erfasst wird. Die Argumentation gegen die Existenz materieller Objekte, insofern sie auf der Behauptung beruht, dass keine räumliche Figur existieren kann, außer wenn sie direkt erfasst wird, erscheint mir in ihrer Gänze nicht schlüssig zu sein. Aber ich möchte nun ein völlig neues und anderes Argument betrachten, um zu beweisen, dass materielle Objekte nicht existieren können. Es ist ein Argument, das nicht zwangsläufig leugnet, dass räumliche Figuren existieren können, wenn niemand sie direkt erfasst. Im Gegenteil, selbst wenn wir es akzeptieren, könnten wir doch annehmen, dass dieser Raum durch Wände einer bestimmten Länge, Höhe und Tiefe getragen wird; und dass es wirklich Knochen in meiner Hand gibt, obwohl niemand den Raum, den sie einnehmen, direkt erfasst. Wenn wir das akzeptieren, können wir weiterhin annehmen, dass alle Objekte verschiedener Form und Größe, von denen wir für gewöhnlich annehmen, dass wir von ihrer Existenz wissen, wirklich existieren und wirklich eine Form und Größe haben, obwohl niemand diese Formen und Größen direkt erfasst. Was dieses Argument tatsächlich behauptet zu beweisen, ist, dass all diese Objekte, selbst wenn sie eine Form und Größe haben, wie wir annehmen, und sie auch niemand direkt erfasst, doch keine materiellen Objekte in dem Sinn sein können, in dem ich den Begriff verwende, einfach weil sie Bewusstsein oder eine Ansammlung von Bewusstsein sein müssen. Das heißt, jene, die es verwenden, können dem gesunden Menschenverstand zustimmen, dass, wenn wir über die Wände sprechen, die diesen Raum tragen, oder über die Knochen meiner Hand, über Stühle, Tische, Züge, Häuser, die Sonne, den Mond, Sterne und die Erde, alle diese Namen Bezeichnungen verschiedener Objekte sind, die wirklich unabhängig von uns existieren; dass diese Objekt existieren können, wenn niemand sie direkt erfasst; und dass sie die Formen und relativen räumlichen Positionen haben können, von denen wir annehmen, dass sie sie haben: Der einzige Punkt, in dem sie sich zwangsläufig vom gesunden Menschenverstand unterscheidet, ist, dass all diese Objekte Bewusstsein oder eine Ansammlung von Bewusstsein sind. Zweifellos würden viele, vielleicht sogar die Mehrheit jener, die diese Ansicht vertreten, ebenso annehmen, dass diese Objekte keine Form und räumliche Position haben können. Aber der Punkt, den ich verdeutlichen möchte, ist, dass die Ansicht selbst es nicht beweisen kann. Alles, was sie selbst beweisen kann, wenn sie solide dargelegt wird, ist nur, dass die Objekte, von denen der gesunde Menschenverstand annimmt, dass sie materielle Objekte sind, tatsächlich Bewusstsein oder eine Ansammlung

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von Bewusstsein sind: Sie kann nicht beweisen, dass sie sich in jeder anderen Hinsicht von dem unterscheiden, was der gesunde MenschenverÂ�stand von ihnen annimmt. Die Ansicht, die ich meine, geht aus der Betrachtung der Beziehung unseres Geistes zu unserem Körper hervor. Kurz gesagt, lautet sie wie folgt. Es wird zunächst gesagt, dass unser Bewusstsein offenbar auf unseren Körper einwirkt und unser Körper auf unser Bewusstsein. Es wird zweitens gesagt, dass unser Körper, was immer er auch sein mag, offenbar ein Ding einer Art ist, auf das alle anderen Arten von Objekten, von denen wir gewöhnlich annehmen, dass sie materielle Objekte sind, einwirken können und das auf diese einwirken kann. Aber, so wird gesagt, es ist nicht möglich, dass ein Bewusstsein auf etwas einwirken kann oder dass etwas auf es einwirkt, das nicht selbst ein Bewusstsein oder von der Art eines Bewusstseins ist. Und folglich wird argumentiert, da unser Körper und unser Bewusstsein offensichtlich aufeinander einwirken, dass unser Körper Bewusstsein oder eine Art Bewusstsein sein muss. Und zweitens, da unsere Körper mit allen anderen als materiell angenommenen Objekten interagieren können und da bereits bewiesen worden ist, dass unsere Körper in ihrer Natur geistig sind, dass alle anderen als materiell angenommenen Objekt in ihrer Natur geistig sein müssen. Und beide Schritte schienen vielen Personen schlüssig zu sein. Es sind zwei wesentliche Schritte. Der erste ist, dass unser Bewusstsein wirklich auf unseren Körper einwirkt und dass der Körper auf das Bewusstsein einwirkt. In Bezug auf diesen Schritt gibt es kaum etwas, das dem gesunden Menschenverstand offensichtlicher erscheint oder fortwährend von uns allen angenommen wird. Wir alle wissen oder nehmen z.€B. an, dass das Trinken großer Mengen Alkohol sehr oft eine deutliche Wirkung auf das Bewusstsein der trinkenden Person erzeugt. Weder denkt eine Person, die betrunken ist, noch fühlt sie, noch nimmt sie auf genau die Art wahr, wie wenn sie nüchtern ist. Der Alkohol, den sie getrunken hat, erzeugt eine Wirkung auf ihren Körper, und die Veränderungen in ihrem Körper verursachen Veränderungen in ihren Gedanken, ihren Gefühlen, ihrer Wahrnehmung und ihrem Willen. Ebenso wissen wir alle – oder glauben zu wissen – dass die Einnahme von Drogen eine zeitliche Unterbrechung des Bewusstseins erzeugt oder zumindest eine völlige Veränderung seiner Natur: Opiate versetzen den Menschen in einen Schlafzustand – veranlassen seinen Verstand für eine Zeit lang seine Tätigkeit einzustellen; und verschiedene Anästhetika haben dieselbe Wir-

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kung oder erzeugen Träume, die sich in ihrer Natur sehr von den Wahrnehmungen unterscheiden, die man haben würde, wenn man das Anästhetikum nicht genommen hätte. Dies alles sollten wir im Allgemeinen als Beispiele einer Einwirkung des Körpers auf das Bewusstsein bezeichnen. Und natürlich gibt es noch einfachere Beispiele. Wir nehmen für gewöhnlich an, dass unsere visuelle Wahrnehmung – jenes direkte Erfassen von Stellen mit Farbe z.€B., das wir das tatsächliche Sehen von ihnen nennen – durch Veränderungen hervorgerufen wird, die in unseren Augen stattfinden; und unser direktes Erfassen von Geräuschen wird durch Veränderungen hervorgerufen, die in unseren Ohren stattfinden. Wir wissen – oder glauben zu wissen – dass ein blinder Mensch, der sein Augenlicht verloren hat, tatsächlich Farben nicht mehr sehen kann, wie wir es tun; und wir sollten dies als einen Beweis ansehen, dass der Zustand unserer Augen Wirkungen auf unser Bewusstsein erzeugt. Tatsächlich scheint es fast so gewiss wie nur möglich, dass unser Körper fortwährend auf unser Bewusstsein einwirkt. Und so scheint es ebenso gewiss, dass unser Bewusstsein sehr oft auf unseren Körper einwirkt. Zum Beispiel führe ich jetzt eine Bewegung mit meinem Arm aus. Und diese Bewegung wurde durch die Tatsache hervorgerufen, dass ich es wollte. Ich hätte sie nicht gerade ausgeführt, wenn ich mich nicht so entschieden hätte. Wir alle unterscheiden fortwährend zwischen willkürlichen und unwillkürlichen Bewegungen unseres Körpers: Willkürliche Bewegungen sind jene, die durch unseren Willen, sie auszuführen, hervorgerufen werden, und unwillkürliche sind jene, die nicht nur durch unseren eigenen Willen hervorgerufen werden. Es gibt eine gewisse Anzahl an Veränderungen in unserem Körper, die wir, so scheint es, fast zu jedem Zeitpunkt hervorrufen können, indem wir sie wollen; während es auch andere gibt, die wir nicht erzeugen können. Ich kann nicht durch einen Willensakt hervorrufen, dass mein Haar nach oben absteht, während ich aber meinen Arm bewegen kann, wie ich es eben tat. Und der Einfluss des Willens auf unseren Körper ist keineswegs der einzige Fall, in dem die Tätigkeit unseres Bewusstseins auf ihn einwirkt. Bloße Wahrnehmung und Gedanken scheinen oft auch eine deutliche Wirkung auf ihn zu haben. Zum Beispiel kann die bloße Tatsache, dass ein Mensch etwas Bestimmtes sieht, den Körper dieses Menschen zittern lassen. Die Tatsache, dass er bestimmte Wörter hört und die Gedanken, die diese hervorrufen, kann jene Veränderungen in der Blutzirkulation erzeugen, die wir Erröten nennen, oder kann ihn veranlassen zu weinen – in beiden Fällen völlig unwillkürlich. In solchen Fällen scheint es offensichtlich, dass unsere Gedanken, Gefühle und Wahrnehmungen Ver-

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änderungen in unseren Körpern erzeugen. Daher scheint es dem gesunden Menschenverstand offensichtlich, dass unser Körper oft auf unser Bewusstsein einwirkt und dass unser Bewusstsein oft auf unseren Körper einwirkt. Ich für meinen Teil sehe nicht, wie ich dies anzweifeln könnte. Wenn diese Beispiele, die ich angeführt habe, keine Fälle einer Handlung eines Dings gegenüber einem anderen, keine Fälle einer Verursachung sind, so scheint mir, dass wir keine besseren Gründe haben zu behaupten, dass irgendein anderes Beispiel, das angeführt werden kann, ein Fall von Handlung und Verursachung ist. Ich habe keine besseren Gründe für die Behauptung, dass jenes Licht, wenn ich es ansehe, auf meine Augen einwirkt und Veränderungen in ihnen verurÂ�sacht, als zu behaupten, dass diese Veränderungen in meinen Augen auf mein Bewusstsein einwirken und mich veranlassen, das zu sehen, was ich sehe. Ich habe keine besseren Gründe für die Behauptung, dass meine Hand auf dieses Papier einwirkt, wenn ich es jetzt schiebe, und das Papier veranlasst, sich zu bewegen, als zu behaupten, dass mein Wunsch, es zu schieben (um Ihnen ein Beispiel für das Einwirken des Bewusstseins auf den Körper zu geben), das war, was auf meine Hand einwirkte und sie, meine Hand, veranlasste, sich zu bewegen. Wenn wir daher diese Argumentation zurückweisen sollen, müssen wir Einwände bezüglich ihres zweiten Schritts finden, nicht bezüglich dieses ersten Schritts. Dieser erste Schritt, der nur behauptet, dass unser Bewusstsein und Körper interagieren, scheint mir so gewiss zu sein wie jedes andere, das auf etwas einwirkt oder etwas veranlasst. Wenn wir die Begriffe „Handlung“ und „Ursache“ in allgemeinen Sinn verwenden, ist es genauso gewiss, dass unser Bewusstsein und Körper aufeinander einwirken und gegenseitig Veränderungen hervorrufen, wie alles andere, was auf etwas einwirkt oder Veränderungen verursacht. Aber auch der zweite Schritt in dieser Argumentation scheint sehr überzeugend zu sein. Dieser zweite Schritt besteht in der Annahme, dass nichts, das ein Bewusstsein ist oder zu einem Bewusstsein gehört – nichts, das mental ist – auf etwas einwirken kann, oder dass auf nichts, das ein Bewusstsein ist oder zu einem Bewusstsein gehört, von etwas eingewirkt werden kann, das nicht mental ist. Und der beste Beweis, wie einleuchtend diese Behauptung erscheint, ist, dass sehr viele Philosophen auf der Grundlage, dass diese Ansicht wahr ist, veranlasst worden sind zu bestreiten, dass unser Bewusstsein und Körper jemals aufeinander einwirken. Sie haben geglaubt, dass unsere Körper in dem Sinn materielle Objekte sind, den ich beschrieben habe – d.€h. dass sie in ihrer Natur nicht geistig sind. Und sie sind so sicher

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gewesen, dass materielle Objekte in diesem Sinn weder auf ein Bewusstsein oder auf etwas Mentales einwirken können, noch dass etwas Mentales auf sie einwirken kann, dass sie gefolgert haben, unser Bewusstsein und unser Körper wirken wirklich nicht aufeinander ein – trotz der Tatsache, dass sie es offensichtlich tun. Dieser zweite Schritt in der Argumentation wurde nun oftmals als wahr anerkannt, und zwar von jenen, die an die Existenz von ausschließlich materiellen Objekten glauben und daran, dass unsere Körper solche Objekte sind, und von jenen, die dies nicht tun. Jene, die die erste Ansicht vertreten, sind natürlich auch gezwungen, da sie es ebenso bestreiten, dass unser Körper und unser Bewusstsein jemals interagieren; während jene, die die zweite Ansicht vertreten, oftmals diesen zweiten Schritt – zusammen mit der klaren Tatsache, dass unser Körper und unser Bewusstsein interagieren – als einen Beweis dafür ansehen, dass ihre Ansicht wahr ist – nämlich dass unsere Körper keine materiellen Objekte sind. Daher ist die Ansicht, dass ein materielles Objekt – ein Objekt, das kein Bewusstsein ist – unmöglich auf ein Bewusstsein einwirken kann und umgekehrt, von vielen Philosophen vertreten worden, und zwar von jenen, die an die Existenz materieller Objekte glauben, und von jenen, die es nicht tun. Diese Ansicht wurde fast sofort nach dem Beginn der modernen Philosophie von den Schülern Descartes’ vertreten. Einige seiner Schüler, die niemals daran gedacht haben, die Existenz materieller Objekte in Frage zu stellen, hielten es doch für so unmöglich, dass diese auf unser Bewusstsein einwirken sollten, dass sie eine Theorie ersannen, die „Okkasionalismus“ genannt worden ist: dass nämlich, wann immer bestimmte Veränderungen in unseren Körpern auftreten, Gott veranlasst, dass bestimmte entsprechende Veränderungen in unserem Bewusstsein auftreten; d.€h. sie behaupteten, dass jene körperlichen Veränderungen nicht Ursachen der Veränderungen im Bewusstsein sind, aber dass sie nur Anlässe sind, bei deren Auftreten Gott es auf Dauer angelegt hat oder es in jedem Fall will, dass die mentalen Veränderungen auftreten sollen. Und natürlich ist dieselbe Ansicht, dass Bewusstsein und materielle Objekte nicht interagieren können, in der allgemeinen modernen Auffassung enthalten, dass mentale Phänomene Ereignisse sind, die nur auftreten, um bestimmte materielle Phänomene zu begleiten, ohne verursacht worden zu sein oder irgendetwas zu verursachen – die Auffassung z.€B., dass das Bewusstsein ein bloßes „Epiphänomen“ sei, das bestimmten materiellen Phänomenen beigeordnet ist, aber nicht fähig, ihren Verlauf zu beeinflussen; oder die Auffassung, dass ein Parallelismus existiert, aber keine Interaktion zwischen mentalen und materiellen Phänomenen – d.€h. die Auffassung, das

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mentale Phänomene regelmäßig Seite an Seite mit oder parallel zu materiellen auftreten (um es metaphorisch auszudrücken), aber ohne ursächlich mit ihnen verbunden zu sein. Betrachten wir die Ansicht, dass Bewusstsein und materielle Objekte nicht interagieren können, in Zusammenhang mit einer ganz bestimmten Theorie bezüglich ihrer Verbindung – eine Theorie, die jetzt im Allgemeinen vertreten wird und von der ich selbst annehme, dass sie wahr ist. Gemäß dieser modernen Theorie ist wirklich jede Veränderung, die jemals in unserem Bewusstsein stattfindet, von einer bestimmten – wirklich gleichzeitigen – Veränderung begleitet, die in der Materie des Gehirns stattfindet. Jeder unterschiedliche Bewusstseinsakt, den man jemals ausführt, ist von einer unterschiedlichen räumlichen Anordnung der materiellen Partikel in einem Teil des eigenen Gehirns begleitet; und wann immer man einen genau gleichen Bewusstseinsakt ausführt – wenn man z.€B. eine hellgelbe Farbe an einem Tag sieht und am nächsten Tag genau dieselbe hellgelbe Farbe, oder wenn man an einem Tag denkt, dass zwei mal zwei vier ist, und dasselbe an einem andern Tag – wann immer genau derselbe Bewusstseinsakt wieder auftritt, dann wird er von einer Anordnung von Molekülen im Gehirn begleitet, die genau derjenigen gleichen, die ihn bei dem vorhergehenden Auftreten begleitet hat. Daher gibt es bei dieser Auffassung für jeden unterschiedlichen Bewusstseinsakt eine Konfiguration der Materie in einem Teil des Gehirns, die genau zur gleichen Zeit auftritt. Und es wird auch angenommen, dass jeder dieser Zustände der Materie im Gehirn durch einen vorhergehenden Zustand der Materie im Gehirn oder in den damit verbundenen Nerven verursacht wird; und dass außerdem jeder von ihnen für seine Wirkung einen nachfolgenden Zustand der Materie im Hirn oder in den damit verbundenen Nerven hat. Nun stimmt man gemäß dieser Theorie überein, die, wie ich denke, im Allgemeinen vertreten wird, dass jeder Bewusstseinszustand von einem Gehirnzustand begleitet wird und dass jeder dieser begleitenden Gehirnzustände durch andere Gehirn- oder Nervenzustände verursacht wird und ebenÂ�so andere verursacht. Und man muss erwähnen, dass das Gehirn, die Nerven und alle ihre Teile in dieser Theorie materielle Objekte in genau dem Sinn sind, den ich dargelegt habe. Sie sind nicht nur eine Ansammlung von Sinnesdaten oder Möglichkeiten von Sinnesdaten; sie existieren tatsächlich, wenn niemand sie direkt erfasst – z.€B. jetzt in meinem Gehirn; sie werden als etwas begriffen, das eine räumliche Position hat; und gewiss werden sie im Allgemeinen nicht als etwas begriffen, das selbst Bewusstsein oder ein

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Bewusstseinsakt ist – obwohl die Frage, ob sie wirklich so sein müssen, jetzt von uns betrachtet wird. Was wir nun hinsichtlich dieser Theorie, dass Bewusstsein und materielle Objekte nicht interagieren können, feststellen müssen, ist Folgendes. Es wurde durch diese Theorie angenommen, dass jeder mentale Akt von einem bestimmten Gehirnzustand begleitet wird. Und es ist natürlich nicht die Frage, ob die mentalen Akte durch die Gehirnzustände, die sie begleiten, verursacht worden sind; da wir – in der gebräuchlichen Bedeutung von Ursache – mit Ursache etwas bezeichnen, das zeitlich vorhergeht und nicht gleichzeitig mit dem Ding, dessen Wirkung es ist, auftritt. Daher sind unsere mentalen Akte gewiss nicht durch die Gehirnzustände verursacht, die sie begleiten. Es kann nur die Frage sein, ob jener andere Nerven- oder Gehirnzustand, der gemäß dieser Theorie den Gehirnzustand verursacht, der den mentalen Akt begleitet, nicht ebenso den mentalen Akt selbst verursachen kann; und ob der Nerven- oder Gehirnzustand, der durch den Gehirnzustand, der den mentalen Akt begleitet, verursacht worden ist, nicht ebenso durch den mentalen Akt selbst verursacht worden sein kann. Die Auffassung, dass Bewusstsein und materielle Objekte nicht interagieren können, muss zumindest dies bestreiten, wenn sie überhaupt etwas bestreiten soll. Wenn nicht bewiesen werden kann, dass diese bestimmte Theorie nicht er Wahrheit entspricht, dann muss die ganze Argumentation zum Beweis, dass Bewusstsein und materielle Objekte nicht interagieren können, scheitern. Wenn sie in diesem Fall interagieren können, können sie es in jedem. Welches Argument kann nun gebraucht werden, um zu beweisen, dass ein Gehirnzustand, der einen Gehirnzustand verursacht, welcher einen mentalen Akt begleitet, nicht auch den mentalen Akt selbst verursachen kann? Und dass ein Gehirnzustand, der durch einen Gehirnzustand verursacht worden ist, welcher einen mentalen Akt begleitet, nicht durch den mentalen Akt selbst verursacht worden ist? Soweit mir bekannt ist, gibt es zwei, die für gewöhnlich gebraucht werden. Das erste lautet wie folgt. Es wird vorgebracht, dass ein Gehirnzustand, der bloß als eine räumliche Anordnung materieller Partikel angesehen wird, etwas ist, das sich in seiner Art so deutlich von einem mentalen Akt unterscheidet, dass wir es uns nicht vorstellen können, wie das eine das andere verursachen sollte und umgekehrt. Wenn dieses Argument verwendet werden soll, um zu beweisen, dass das, was den mentalen Akt wirklich verursacht, kein Gehirnzustand sein kann, sondern ein anderer mentaler Akt, so besagt dieses Argument, dass wir sehen können, wie ein mentaler Akt einen

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anderen verursacht, obwohl wir nicht sehen können, wie ein Gehirnzustand einen mentalen Akt verursachen sollte. Und deshalb ist es meiner Ansicht nach nicht überzeugend. Ich kann einen Unterschied zwischen diesen beiden Fällen nicht erkennen. Betrachten wir nun einen Fall, in dem ein mentaler Akt zweifelsohne einen anderen verursacht. Ich bin sehr sicher, dass in vielen Fällen das Sehen bestimmter in einem Buch gedruckter Buchstaben mich veranlasst hat, bestimmte Vorstellungen über Umstände zu haben, die mit diesem Buch in Verbindung stehen – Vorstellungen, die ich nicht gehabt hätte, wenn ich nicht jene Buchstaben gesehen hätte. Hier ist nun ein Beispiel einer Verursachung eines mentalen Akts durch einen anderen. Das Sehen der gedruckten Buchstaben in einer Ausgabe von Waverley hat mich veranlasst, Vorstellungen über Vorfälle zu haben, die Scott beschreiben wollte. Der eine mentale Akt, das Haben dieser Vorstellungen, ist gewiss eine Wirkung des anderen mentalen Akts – das Sehen der gedruckten Buchstaben: Ich hätte diese Vorstellungen nicht gehabt, wenn ich nicht die Sätze gesehen hätte. Aber ist es tatsächlich leichter festzustellen, wie dieser eine mentale Akt, das Sehen bestimmter gedruckter Buchstaben, den völlig unterschiedlichen mentalen Akt, die Vorstellung bestimmter Vorfälle im Leben Waverleys, verursacht haben sollte, als dass der eine oder der andere von ihnen durch einen Zustand des Gehirns verursacht worden sein sollte? Mir erscheint es genauso einfach, das eine wie das andere zu denken. Letzten Endes verstehe ich den Umstand nicht mehr, wie oder warum der eine mentale Akt, das Sehen bestimmter Buchstaben, die Vorstellung bestimmter Vorfälle verursachen sollte, als den Umstand, wie oder warum ein Gehirnzustand das Sehen der Buchstaben verursachen sollte. Alles, bei dem ich in jedem Fall von mentaler Verursachung – d.€h. die Verursachung eines mentalen Aktes durch einen anderen – sicher sein kann, scheint mir einfach das zu sein, dass der eine mentale Akt, die Wirkung, unter diesen Umständen gewiss nicht aufgetreten wäre, wenn nicht der andere ihm vorausgegangen wäre: Alles, bei dem ich sicher sein kann, ist die Tatsache, dass dies so ist. Bezüglich dessen, warum es so sein soll – falls damit gemeint ist, dass die Tatsache, dass es so sein muss, aus einem selbstverständlichen Prinzip abgeleitet werden kann – bin ich auf jeden Fall gänzlich unwissend. Und falls die Frage nun bloß eine Frage bezüglich dessen ist, was durch was verursacht wird, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass es auch wahr sein sollte, dass kein mentaler Akt jemals auftreten würde, wenn nicht bestimmte Gehirnzustände ihnen vorausgegangen sind. Ich kann nicht sehen, warum die Welt nicht so beschaffen sein sollte, dass dies so ist.

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Das zweite Argument, das verwendet werden könnte, um zu zeigen, dass Bewusstsein und Materie unmöglich interagieren können, ist eines, das von der unterschiedlichen Bedeutung des Wortes „Ursache“ abhängt – eine Bedeutung, in der wir mit „Ursache“ etwas bezeichnen, auf dessen Auftreten die Wirkung immer zwangsläufig folgt; sodass aus der Existenz der Ursache selbst es möglich sein würde, mit Sicherheit vorauszusagen, dass die Wirkung folgen muss. Bezeichnen wir eine Ursache, von der dies gelten soll, als eine „hinreichende“ Ursache – d.€h. dass die bloße Existenz der Ursache selbst ein hinreichendes Datum ist, uns es zu ermöglichen, auf die Wirkung zu schließen; dass wir daneben keine anderen Voraussetzungen benötigen. Nun ist es weit verbreitet anzunehmen, dass jedes Ereignis in der materiellen Welt in diesem Sinn eine hinreichende Ursache bei vorhergehenden materiellen Ereignissen hat: dass es eine Reihe von vorhergehenden materiellen Ereignissen gibt, aus denen jedes materielle Ereignis, das jemals auftritt, mit Sicherheit gefolgert werden könnte, falls wir über ein ausreichendes Wissen verfügten. Und wenn dies gegeben ist, so folgt natürlich, dass jedes Ereignis in dem Körper eines jeden – in den Nerven oder im Gehirn – aus vorhergehenden materiellen Ereignissen gefolgert werden könnte: Es folgt, dass kein Wissen eines mentalen Ereignisses nötig gewesen wäre, um einer allwissenden Person es zu ermöglichen, sie zu erschließen. Und daraus wurde oftmals gefolgert, dass kein mentales Ereignis nötig gewesen sein könnte, um sie zu erzeugen: selbst wenn man annimmt, dass mentale Ereignisse tatsächlich einige materielle Ereignisse begleiten, welche eine ausreichende Ursache bilden, dass sie doch etwas völlig Überflüssiges sind und ohne Einfluss auf das Ergebnis. Aber folgt dies tatsächlich? Es scheint mir sehr offenkundig zu sein, wenn wir den Fall ein wenig sorgfältiger betrachten, dass dies nicht so ist. Vorausgesetzt, wir haben eine Reihe von Ereignissen, aus deren Existenz selbst mit absoluter Sicherheit folgt, dass ein bestimmtes Ergebnis folgt, so folgt keineswegs, dass ein anderes Ereignis nicht auch nötig sein kann, das Ergebnis hervorzubringen. Die Welt mag tatsächlich so aufgebaut sein, dass eine Ursache, die genügt, um uns zu ermöglichen, ein Ergebnis vorherzusagen, trotzdem nicht genügen sollte, um dieses Ergebnis zu erzeugen; sie mag so aufgebaut sein, dass die Ursache, die für die Vorhersage genügt, trotzdem auch immer von einer anderen Ursache begleitet sein muss, die wirklich in dem Sinn eine Ursache ist, dass das Ergebnis nicht aufgetreten wäre, wenn sie nicht auch existiert hätte. Selbst wenn wir einräumen, dass jedes materielle Ereignis eine hinreichende Ursache in vorhergehenden materiellen Ereignissen hat, und zwar im Sinne, dass aus ihnen allein seine Existenz

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vorhergesagt werden könnte, folgt deshalb keineswegs, dass in einigen Fällen mentale Ereignisse nicht auch für die Erzeugung der Wirkung nötig sein könnten. Und ich sehe nicht, wie es möglich sein könnte zu beweisen, dass dies tatsächlich nicht der Fall ist. Es scheint mir daher, dass diese beiden Argumente, die beweisen sollen, dass Bewusstsein und materielle Objekte unmöglich interagieren können, nicht schlüssig sind. Ich schließe folglich, dass diese bestimmte Argumentation, nämlich zu beweisen, dass materielle Objekte nicht existieren können – die Argumentation, die von der Tatsache des gesunden Menschenverstands ausgeht, dass unser Bewusstsein und unser Körper interagieren, und dann folgert, dass unser Körper kein materielles Objekt sein kann, sondern selbst Bewusstsein ist oder aus Bewusstsein besteht – ebenso nicht schlüssig ist. Ich schlage nun vor, als Nächstes einige Argumente zu betrachten, die vertreten worden sind, um zu beweisen, dass materielle Objekte nicht existieren – und ebenso um zu beweisen, dass bestimmte andere Dinge auch nicht existieren.

Kapitel 9 Existenz in der Zeit

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un werde ich eine andere Reihe von Argumenten betrachten, die verwendet worden sind, um zu beweisen, dass materielle Objekte nicht existieren können. Aber das Interesse dieser Argumente richtet sich nicht hauptsächlich auf die Tatsache, dass sie verwendet worden sind, um dies zu beweisen. Tatsache ist, falls sie dies bewiesen haben, dass sie auch andere, sehr viel paradoxere Schlüsse beweisen müssen; und von vielen Philosophen wurde angenommen, dass sie tatsächlich diese paradoxeren Schlüsse beweisen. Aber auch abgesehen von der Frage, ob sie diese äußerst paradoxen Schlüsse beweisen, so beinhalten sie Fragen hinsichtlich der Natur des Universums, die auf jeden Fall von sehr großem Interesse und nicht einfach zu beantworten sind. Die Argumente, die ich meine, wurden wie eines derjenigen, die ich gerade dargelegt habe, zuerst von dem deutschen Philosophen Kant vorgebracht. Und seine Anregung hat einen großen Einfluss auf die Ansichten vieler nachfolgender Philosophen gehabt. Ich werde versuchen genau zu erklären, welcher Natur sie sind, indem ich ein bestimmtes Argument von ihnen betrachte, das tatsächlich von Kant selbst verwendet worden ist. Kant selbst legt dieses Argument in einer äußerst verwirrenden Weise dar. Was er sagen möchte, scheint Folgendes zu sein. Es kann exakt und eindeutig beweisen werden (so meint er), dass die Welt einen zeitlichen Anfang gehabt haben muss. Er zeigt einen Beweis auf und besteht darauf, dass dieser exakt und eindeutig ist. Aber (so scheint er zu sagen) es kann ebenso exakt und eindeutig bewiesen werden, dass die Welt keinen zeitlichen Anfang gehabt haben kann, sondern seit einer völlig unendlichen Zeitspanne existiert haben muss – unendlich in dem Sinn, dass die betroffene Zeitspanne wirklich keinen Beginn hatte. Für diese Aussage zeigt er ebenso den Beweis auf und besteht darauf, dass er auch exakt und eindeutig ist. Aber (so meint er) diese beiden Propositionen widersprechen einander; und daher können nicht beide wahr sein. Was sollen wir nun annehmen? Der selbstverständliche Weg wäre anzunehmen, dass es in einem der beiden Beweise einen Fehler gibt; und dass daher eine der beiden Propo-

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sitionen falsch sein muss und die andere wahr. Aber, so Kant, dies ist gewiss nicht der Fall. Es gibt gewiss keinen Fehler in beiden Beweisen. Was folgert er nun? Möchte er darauf bestehen, dass beide Propositionen wahr sind trotz der Tatsache, dass sie sich widersprechen? Falls seine Beweise wirklich exakt sind, so wie er sagt, müsste es dies sein, was er folgern sollte. Natürlich würde er dadurch den Satz vom Widerspruch über Bord werfen, da der Satz vom Widerspruch feststellt, dass zwei sich widersprechende Propositionen nicht beide wahr sein können. Und doch würde keine Alternative übrig bleiben, falls seine Beweise wirklich exakt sind. Aber dies ist nicht die Richtung, die er einschlägt. Er hält zugleich an dem Satz vom Widerspruch und an der Schlüssigkeit seiner Beweise fest; und er stellt fest, dass es eine andere Lösung für das Problem gibt. Und so gibt es tatsächlich eine. Denn wenn diese beiden Propositionen wirklich einander widersprechen und wenn Kant exakt bewiesen hat, dass eine von ihnen wahr sein muss, so hat er natürlich dadurch bewiesen, dass die andere, die gegensätzliche, falsch sein muss. Wenn er eindeutig bewiesen hat, dass die Welt einen zeitlichen Anfang hatte, hat er dadurch bewiesen, dass die Proposition, dass sie keinen zeitlichen Anfang hatte, falsch ist. Entsprechend hat er, indem er bewiesen hat, dass beide Propositionen wahr sind, auch genauso eindeutig bewiesen, dass sie beide falsch sind. Und dies ist die Folgerung, die er tatsächlich annimmt. Er zieht den Schluss, dass beide falsch sind. Und natürlich ist dies eine genauso legitime Folgerung wie die andere, die er ablehnt, dass nämlich beide wahr sind. Sie ist genauso legitim; aber sie ist auch genauso offen für schwerwiegende Einwände wie die andere. Denn neben dem Satz vom Widerspruch, der feststellt, dass zwei sich widersprechende Propositionen nicht beide wahr sein können, gibt es einen anderen logischen Satz, der genauso gewiss erscheint und der Satz vom ausgeschlossenen Dritten genannt wird; dieser besagt, wenn zwei Propositionen sich widersprechen, dass eine von ihnen wahr sein muss. Daher beinhaltet der Satz vom ausgeschlossenen Dritten die Folgerung, dass zwei sich widersprechende Propositionen nicht beide falsch sein können. Sodass Kant, indem er behauptet, beide Propositionen falsch sind, den Satz vom ausgeschlossenen Dritten über Bord wirft, was genauso eine ernste Sache ist wie das, was er zuvor verweigerte – nämlich den Satz vom Widerspruch über Bord zu werfen. Zudem muss man beachten, dass er die Tatsache des Beweises, dass beide Propositionen wahr sind, als einen Grund anführt, zu schließen, dass sie beide falsch sind. Und wir haben gesehen, dass es tatsächlich so ist. Aber wenn es ein Grund ist, um zu schließen, dass sie beide falsch sind, so ist es

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offensichtlich ein ebenso gewichtiger Grund für den Schluss, dass sie beide wahr sind. Und doch akzeptiert Kant die Folgerung, dass sie beide falsch sind, und weist die Folgerung zurück, dass sie beide wahr sind. Ich denke, man muss zugeben, dass dies ein sehr verwirrendes Argument ist. Und doch scheint Kant wirklich auf allen Punkten, die es verwirrend machen, zu bestehen. Er scheint darauf zu bestehen, dass er eindeutig bewiesen hat, dass die Welt einen zeitlichen Anfang hatte und dass sie keinen Anfang hatte. Er scheint darauf zu bestehen, dass beide Propositionen sich widersprechen und daher nicht wahr sein können. Er scheint darauf zu bestehen, dass sie beide falsch sind. Und er scheint schließlich darauf zu bestehen, dass die Tatsache, dass sie beide eindeutig als wahr bewiesen werden können, ein Grund für den Schluss ist, dass sie beide falsch sind. Dieses Argument ist sicherlich sehr verwirrend. Es scheint gänzlich chaotisch zu sein. Und doch denke ich, dass es einen gewissen Sinn in sich trägt, obwohl ich denke, dass Kant selbst nicht deutlich gesehen hat, worin dieser Sinn bestand. Ich werde versuchen, so deutlich wie möglich zu erklären, was genau ich als seine eigentliche Relevanz ansehe. Kant scheint, wie ich sagte, mit der Festsstellung zu beginnen, dass er beide Propositionen eindeutig bewiesen hat: Die Welt hatte einen zeitlichen Anfang. Und: Die Welt hatte keinen zeitlichen Anfang. Angenommen, wir sagen, dass das, was seine Beweise wirklich zeigen (wenn sie überhaupt etwas beweisen) – anstatt jene beiden Propositionen zu beweisen – die folgenden zwei hypothetischen Propositionen sind. (1) Falls die Welt überhaupt innerhalb der Zeit existiert, dann muss sie einen Anfang gehabt haben. Und (2) Falls die Welt überhaupt in der Zeit existiert, dann kann sie keinen Anfang gehabt haben. Ich werde nun versuchen zu zeigen, dass, falls seine Beweise überhaupt etwas zeigen, sie diese zwei hypothetischen Propositionen beweisen. Aber nehmen wir zunächst an, dass es dies ist, was sie beweisen. Wie verändert diese Annahme die Lage? Es ist, so denke ich, eine enorme Verbesserung. Denn wenn wir sagen, dass das, was Kant bewiesen hat, nur diese zwei hypothetischen Propositionen sind, dann hat er nicht bewiesen, dass von den zwei sich widersprechenden Propositionen beide wahr sind. Denn diese beiden hypothetischen Propositionen widersprechen sich nicht. Die Annahme „Falls die Welt überhaupt in der Zeit existiert, dann muss sie einen Anfang gehabt haben“, widerspricht nicht der Annahme „Falls die Welt überhaupt in der Zeit existiert, dann kann sie keinen Anfang gehabt haben“. Beide hypothetischen Propositionen können durchaus wahr sein. Wenn sie beide wahr sind, folgt nur, falls die in ihnen enthaltene Hypothese wahr wäre,

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dann würden beide der sich widersprechenden Propositionen wahr sein. Und diese Tatsache – die Tatsache, dass, falls die Hypothese wahr wäre, die Folgerung einbezogen sein würde, dass beide sich widersprechenden Propositionen ebenso wahr wären – ist ein vollkommen legitimer Grund, um eine eindeutige Schlussfolgerung zu ziehen – dass nämlich die Hypothese falsch ist. Es ist ein vollkommen legitimer Grund, um zu folgern, dass die Welt nicht innerhalb der Zeit existiert. Das heißt, wenn es Kant gelungen ist, die beiden erwähnten hypothetischen Propositionen zu beweisen, dann wird er bewiesen haben, dass die Welt nicht innerhalb der Zeit existiert. Er wird dies bewiesen haben, da er gezeigt haben wird, falls sie innerhalb der Zeit existierte, dass beide Propositionen, die sich widersprechen, dann wahr sein würden. Aber wir wissen, dass zwei sich widersprechende Propositionen nicht beide wahr sein können. Und daher folgt, dass jede Hypothese, aus der hervorgehen würde, dass beide wahr sein müssen, falsch sein muss. Nun sehen wir Folgendes. Falls wir annehmen, dass Kant bloß beide hypothetischen Propositionen bewiesen hat – „falls die Welt überhaupt innerhalb der Zeit existiert, dann muss sie einen Anfang gehabt haben“ und „falls die Welt überhaupt in der Zeit existiert, dann kann sie keinen Anfang gehabt haben“ – anstatt die beiden sich widersprechenden Propositionen – „die Welt hatte einen zeitlichen Anfang“ und „die Welt hatte keinen zeitlichen Anfang – dann erhalten wir ein vollkommen klares gradliniges Argument anstatt des verwirrenden, das er darzulegen scheint. Und durch dieses klare und gradlinige Argument ergibt sich mit absoluter Sicherheit die eindeutige Schlussfolgerung, dass die Welt nicht innerhalb der Zeit existiert. Es ergibt sich diese Schlussfolgerung, vorausgesetzt, Kant hat wirklich diese zwei hypothetischen Propositionen bewiesen. Und nun möchte ich zeigen, dass zwei Argumente Kants, falls sie überhaupt etwas beweisen, tatsächlich diese beiden hypothetischen Propositionen beweisen und folglich auch die Schlussfolgerung, dass die Welt nicht innerhalb der Zeit existiert. Welche Argumente sind dies? Das erste lautet wie folgt. Falls die Welt, so Kant, nicht begann ab einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit zu existieren, dann muss sie vor jedem gegebenen Moment (z.€B. dem gegenwärtigen Moment) in jedem Moment in einer absolut unendlichen Reihe von vorausgegangenen Momenten existiert haben; und dies ist (aus Gründen, die ich jetzt nicht zu erwähnen brauche) unmöglich. Daher, so schließt er, muss die Welt begonnen haben ab einem bestimmten Moment in der Vergangenheit zu existieren: Es muss einen Moment gegeben haben, der der erste war, als sie existierte. Aber offensicht-

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lich beinhaltet, so denke ich, dieses Argument die Proposition, dass, falls die Welt überhaupt zu einem Zeitpunkt existiert, eine der zwei Alternativen wahr sein muss: Entweder sie muss in jedem Moment in einer absolut unendlichen Reihe von vorausgegangenen Momenten existiert haben oder ein Moment muss der erste gewesen sein, als sie existierte. Aber das Argument, zu beweisen, dass es unmöglich ist, dass sie in jedem Moment in einer absolut unendlichen Reihe von jedem gegebenen Moment vorausgegangen Momenten existiert hat, beweist (falls es überhaupt etwas beweist), dass die erste Alternative nicht zutreffen kann. Daher beweist das ganze Argument (falls es überhaupt etwas beweist), dass die zweite Alternative wahr sein muss, wenn die Welt überhaupt in einem Moment existiert: Ein Moment muss der erste gewesen sein, als sie existierte. Das heißt, es beweist die erste meiner zwei hypothetischen Propositionen: Falls die Welt überhaupt innerhalb der Zeit existiert, dann muss sie einen Anfang gehabt haben. Und nun betrachten wir das zweite Argument. Es besagt Folgendes. Zu sagen, so Kant, dass die Welt einen Anfang hat, bedeutet zu sagen, dass es vor ihrem Anfang, als sie nicht existierte, Zeit gab; und dies bedeutet, dass es Zeit gab, bevor die Welt begann, als überhaupt nichts existierte – eine vollkommen leere Zeit. Aber, so Kant, nichts kann in einer vollkommen leeren Zeit anfangen zu existieren; da kein Teil einer solchen Zeit sich von einem andern in einer Art unterscheiden könnte, die erklären würde, warum nach einer Zeitspanne in ihr etwas anfangen sollte zu existieren, während die vorhergehende Zeitpanne vergangen ist, ohne zu der Existenz von etwas zu führen. Daher, so schließt er, kann die Welt keinen Anfang gehabt haben. Aber offensichtlich nimmt dieses Argument, so denke ich, auch an, dass es zwei mögliche Alternativen gibt, falls die Welt überhaupt zu einem Zeitpunkt existiert: Entweder ein Moment war der erste, als sie existierte, oder sie hatte keinen Anfang. Und hier beweist das Argument (falls es überhaupt etwas beweist), dass sie keinen ersten Moment gehabt haben kann, dass die erste Alternative nicht die wahre sein kann. Daher beweist das gesamte Argument (falls es überhaupt etwas beweist), dass die zweite Alternative die wahre sein muss, falls die Welt überhaupt innerhalb der Zeit existiert: dass sie nämlich keinen Anfang gehabt haben kann. Dass heißt, es beweist die zweite meiner hypothetischen Propositionen. Zusammen beweisen beide Argumente Kants gewiss, so denke ich, falls sie überhaupt etwas beweisen, dass, falls die Welt überhaupt zu einer Zeit existierte, beide der sich widersprechenden Propositionen wahr sein würden: Und daher beweisen sie, dass die Welt zu keiner Zeit existiert haben kann.

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Ihre Ergebnisse haben wir bis hierher vereinfacht, und ich denke, wir können sie weiter vereinfachen. Wir können den Verweis auf den Begriff „die Welt“, der in mancher Hinsicht zweideutig ist, fallen lassen und können sagen, dass sie einfach Folgendes beweisen. Dass nämlich, falls irgendetwas zu irgendeiner Zeit existierte, beide sich widersprechenden Propositionen wahr sein müssen. Denn angenommen, dass irgendetwas zu einem Zeitpunkt existiert, dann sind drei Alternativen möglich. Entweder der Zeitpunkt, zu dem es existiert, ist der erste Zeitpunkt, zu dem überhaupt etwas existiert hat; d.€h. nichts hat vor ihm existiert. Und Kants Argument, dass in solch einem Fall seiner Existenz leere Zeit vorausgegangen sein muss und dass nichts anfangen kann zu existieren, wenn seiner Existenz nur leere Zeit vorausgegangen ist, wird beweisen, falls es überhaupt etwas beweist, dass diese Alternative nicht wahr ist. Aber es bleiben zwei andere Alternativen übrig. Wenn der erste Moment, in dem das in Frage stehende Ding existiert, nicht der erste ist, in dem etwas existiert, dann müssen andere Dinge zuvor existiert haben. Und hinsichtlich dieser Dinge sind nur zwei Alternativen möglich. Entweder muss einer der Momente, in dem eines von ihnen existiert hat, der erste Moment sein, in dem überhaupt etwas existiert hat. Und das gleiche Argument Kants wird beweisen, falls es überhaupt etwas beweist, dass diese Alternative nicht wahr sein kann. Oder andererseits muss etwas vor dem gegebenen Moment in einer absolut unendlichen Reihe von vorausgegangenen Momenten existiert haben. Und Kants Argument, dass es unmöglich ist, dass die Welt vor einem gegebenen Moment in jedem Moment in einer absolut unendlichen Reihe von vorausgegangenen Momenten existiert haben soll, beweist (falls es überhaupt etwas beweist), dass auch diese Alternative nicht wahr sein kann. Denn Kants Argument, dass dies unmöglich ist, ist kein spezielles Argument, das sich auf eine bestimmte Art von Ding beschränkt, das „die Welt“ genannt wird. Es ist ein vollkommen allgemeines Argument, das folgendermaßen ausgedrückt werden kann. Nennen wir die Existenz der Welt in einem Moment eine andere Tatsache als ihre Existenz in einem anderen Moment, egal ob das, was in dem einen Moment existiert, sich von dem unterscheidet, was in dem anderen existiert, oder nicht. Wenn wir es auf diese Art ausdrücken, stimmt es mit dem alltäglichen Sprachgebrauch überein; denn selbst wenn das vollkommen gleiche Ding in beiden Momenten existiert, so sollten wir doch sagen, dass seine Existenz in dem einen Moment eine andere Tatsache ist als seine Existenz in dem anderen Moment; z.€B. ist meine Existenz jetzt an diesem Abend, um soundso viele Minuten vor neun, eine andere Tatsache als meine Existenz heute um zwölf

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Uhr mittags, selbst wenn das „Ich“, das in beiden Momenten existierte, das vollkommen gleiche Ding ist. Sagen wir nun, dass die Existenz der Welt in einem Moment eine andere Tatsache ist als ihre Existenz in einem anderen Moment. Dann können wir ebenso sagen, dass die Existenz von irgendetwas in einem Moment eine andere Tatsache ist als entweder die Existenz des gleichen Dings oder die Existenz von etwas anderem in jedem anderen Moment. Und Kants Argument ist ein vollkommen allgemeines Argument mit dem Ergebnis, dass es unmöglich ist, dass eine absolute unendliche Reihe von verschiedenen Tatsachen vor einem gegebenen Moment vergangen sein soll – d.€h. von Tatsachen, die jeweils aus der Existenz von etwas in einem anderen Moment bestehen. Wir können nun sagen, dass Kants zwei Argumente Folgendes beweisen, falls sie überhaupt etwas beweisen: dass nämlich, falls irgendetwas überhaupt jederzeit existiert, von den sich widersprechenden Propositionen beide wahr sein würden. Und da es unmöglich ist, dass beide Propositionen wahr sein können, beweisen sie völlig schlüssig (falls sie etwas beweisen), dass nichts wirklich zu irgendeinem Zeitpunkt überhaupt existiert. Und ich möchte kurz feststellen, dass dies das Ergebnis ist, das aus ihnen folgt, falls eins folgt; weil Kant selbst und andere, die ähnliche Argumente benutzt haben, nicht ganz deutlich gesehen haben, dass es genau dieses Ergebnis ist, das folgt. Kant schließt aus seiner Argumentation, dass Zeit eine bloße Form ist, in der Dinge uns erscheinen. Wenn er damit bloß meinte, dass Dinge uns innerhalb der Zeit zu sein scheinen, aber es in keinem einzigen Fall wirklich sind, dann würde es keinen Einwand hinsichtlich seiner Schlussfolgerung geben. Sein Argument (wie ich versucht habe zu zeigen) beweist wirklich (falls es etwas beweist), dass nichts wirklich innerhalb der Zeit existieren kann; aber es beweist nicht, dass nichts uns erscheinen kann innerhalb der Zeit zu sein: Es beweist nur, dass, falls uns etwas innerhalb der Zeit erscheint, diese Tatsache selbst – die Tatsache selbst, dass uns etwas tatsächlich innerhalb der Zeit erscheint – nicht wirklich innerhalb der Zeit sein kann – überhaupt zu keiner Zeit auftreten kann: Es lässt die abstrakte Möglichkeit offen, dass solch eine Tatsache wirklich existieren könnte, vorausgesetzt, dass sie zu keiner Zeit auftritt. Aber Kant selbst drückt sich manchmal so aus, als ob das nicht alles sei, was er meinte. Er spricht, als ob die Schlussfolgerung, die er zu ziehen meint, nur besagt, dass etwas, das innerhalb der Zeit existiert, eine bloße Erscheinung, ein bloßes Phänomen sein muss. Das heißt, als ob es eine spezielle Klasse von Dingen gäbe, die tatsächlich innerhalb der Zeit existieren; und als ob alles, was seine Argumente bewiesen, nur

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wäre, dass alle Dinge dieser Klasse in einem gewissen Sinn nur Erscheinungen oder Phänomene sein müssen. Ich denke, er selbst verwechselte diese beiden Auffassungen miteinander: die Auffassung, dass einige Dinge wirklich innerhalb der Zeit existieren, aber dass all diese Dinge nur Erscheinungen sind – Erscheinungen von etwas, das nicht innerhalb der Zeit existiert, mit der gänzlich widersprüchlichen Auffassung, dass nichts – noch nicht einmal eine bloße Erscheinung – innerhalb der Zeit existieren kann. Und hauptsächlich aufgrund dieser Verwirrung seiner eigenen und ähnlicher Ansichten erhalten sie ihre Glaubwürdigkeit. Menschen finden es aus verschiedenen Gründen vergleichsweise einfach zuzugeben, dass alles, was innerhalb der Zeit existiert, eine bloße Erscheinung ist. Und dies können sie in völliger Überseinstimmung tun, denn es gibt Bedeutungen des Begriffs „Erscheinung“, in der das, was eine bloße Erscheinung ist, genauso wahrhaft und wirklich existieren kann wie das, was nicht ist. Und Kant selbst spricht fortwährend, als ob dies alles wäre, was er von jemandem verlangt zuzugeben. Er spricht, als ob es wirklich wahr wäre, dass einige Dinge vor anderen existierten; als ob er z.€B. selbst früher Ansichten vertreten hätte, die er nach der Lektüre Humes aufgab; und als ob alles, was seine Argumente ihn veranlassten zu behaupten, wäre, dass all diese Dinge, die wirklich vor- oder nacheinander existiert haben, nur Phänomene oder Erscheinungen wären. Aber wenn man einmal ganz deutlich erkannt hat, dass es nicht nur das ist, was seine Argumente ihn veranlassen zuzugeben, sondern dass absolut nichts jemals innerhalb der Zeit existiert hat, dass daher niemand jemals etwas zu einer Zeit glaubte oder ein Ding vor einem anderen, und dass alle Aussagen hinsichtlich dessen, dass jemand es jemals tat, vollkommen falsch sind – dann, denke ich, wird man es sehr viel schwieriger finden, dies zuzugeben. Darum möchte ich darauf bestehen, dass das, was seine Argumente beweisen, falls sie etwas beweisen, ist, dass nichts von irgendeiner Art oder Sorte in irgendeinem Moment existieren kann; oder anders gesagt, dass eine Aussage, die mit Hinblick auf irgendetwas besagt, ob das in Frage stehende Ding es nun verdient, Erscheinung genannt zu werden, oder nicht, dass es existiert oder existiert hat oder zu einer Zeit existieren wird, einfach falsch sein muss. Daher beweisen Kants Argumente nicht nur, dass alles, was innerhalb der Zeit existiert, eine bloße Erscheinung ist; sie beweisen im Gegenteil, dass nichts innerhalb der Zeit überhaupt existiert und dass daher die Proposition, dass alles, was so existiert, eine bloße Erscheinung ist, falsch ist: Da diese Proposition impliziert, dass einige Dinge, nämlich Erscheinungen, so existieren; während das, was Kants Argument beweist (falls überhaupt etwas), bedeutet,

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dass nichts existiert. Und zudem beweisen sie nicht einmal, dass alles, was innerhalb der Zeit zu existieren scheint, eine bloße Erscheinung ist. Dies ist eine andere Ansicht, die oft mit den beiden erstgenannten verwechselt wird und die sich doch ganz deutlich von ihnen unterscheidet. Die Annahme, dass alles, was innerhalb der Zeit existiert, eine bloße Erscheinung ist, wird oft mit der Annahme verwechselt, dass alles, was innerhalb der Zeit zu existieren scheint, so ist; und beide werden wiederum mit der Annahme verwechselt, dass Dinge nur innerhalb der Zeit zu existieren scheinen und nichts dies wirklich tut. Die dritte dieser Annahmen ist die einzige, die Kants Argumente, falls sie einleuchtend sind, wirklich beweisen. Und die beiden anderen stehen in einer ganz anderen Beziehung zu ihr. Die erste, die Annahme, dass alles, was tatsächlich innerhalb der Zeit existiert, eine bloße Erscheinung ist, ist, wie ich soeben gesagt habe, mit ihr unvereinbar: Falls das, was Kant beweist, wahr ist, muss diese Proposition falsch sein. Aber die zweite, die Proposition, dass alles, was innerhalb der Zeit zu existieren scheint, eine bloße Erscheinung ist, wird nicht durch Kants Argumente bewiesen, weder dass sie wahr noch dass sie falsch ist. Denn es ist durchaus möglich, dass das, was innerhalb der Zeit zu existieren scheint, selbst wenn es dies nicht wirklich tut, trotzdem vollkommen real und keine bloße Erscheinung sein kann. Ein Stock mag mir gebogen erscheinen, obwohl er nicht wirklich gebogen ist; aber die Tatsache, dass er diese Eigenschaft zu haben scheint, die er nicht wirklich hat, beweist nicht – auch nur für einen Moment – dass der Stock selbst unwirklich oder eine bloße Erscheinung ist. Und dasselbe gilt weiterhin, selbst wenn Kant bewiesen hat (und dies ist alles, was er bewiesen hat, wenn er überhaupt etwas bewiesen hat), dass wirklich nichts die Eigenschaft besitzt, innerhalb der Zeit zu existieren; dies beweist keineswegs, dass die Dinge, die diese Eigenschaft zu haben scheinen, nicht selbst vollkommen real und keine bloßen Erscheinungen sein können. Alles, was er bewiesen haben kann, ist, dass wir uns irren, wenn wir denken, dass sie innerhalb der Zeit existieren. Die Möglichkeit bleibt weiterhin offen, dass wir uns nicht irren, wenn wir denken, dass sie keine bloßen Erscheinungen sind. Was dieses Argument Kants nun beweist, falls es überhaupt etwas beweist, ist, dass absolut nichts wirklich innerhalb der Zeit existiert, weil, wenn etwas so existierte, dann beide der zwei sich widersprechenden Propositionen wahr sein würden. Nur dieses wird bewiesen – nicht mehr und nicht weniger. Und ich sagte, dieses Argument sei eine Probe einer Art von Argumenten, von denen Kant selbst verschiedene andere verwendet und die seitdem von vielen anderen Philosophen verwendet worden sind. Diese Art von Argu-

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menten besagt Folgendes. Sie beweisen alle, falls sie etwas beweisen, dass wirklich nichts eine bestimmte Eigenschaft haben kann, weil, wenn etwas sie haben sollte, beide der zwei sich widersprechenden Propositionen wahr sein würden. Kant selbst verwendet z.€B. ein Argument, das hinsichtlich der Eigenschaft, im Raum zu existieren, genau das beweisen wird, was das Argument, das ich soeben dargelegt habe, hinsichtlich der Eigenschaft, innerhalb der Zeit zu existieren, beweist. Das heißt, es beweist, wenn es einleuchtend ist, dass wirklich nichts sich in irgendeinem Teil des Raums befinden kann, weil, falls etwas sich dort befände, beide der sich widersprechenden Propositionen wahr sein würden. Und neben diesen beiden Argumenten hinsichtlich der Eigenschaft, innerhalb der Zeit zu existieren, und der Eigenschaft, im Raum zu existieren, verwendet Kant verschiedene andere in Bezug auf andere Eigenschaften, die ich nicht erwähnen muss. Und seit der Zeit Kants ist die Verwendung dieser Art von Argumenten ungeheuer ausgeweitet worden. Verschiedene Philosophen haben gedacht, dass sie hinsichtlich aller Arten von unterschiedlichen Eigenschaften entdeckt haben, dass, falls irgendetwas die entsprechende Eigenschaft besäße, dann beide der sich widersprechenden Propositionen wahr sein würden. Hegel ist der Philosoph, dessen Name hauptsächlich mit dieser Art von Argumenten in Verbindung gebracht wird. Er dachte, er könnte hinsichtlich einer großen Anzahl unterschiedlicher Eigenschaften zeigen – Eigenschaften, von denen wir im Allgemeinen annehmen, dass sie viele Dinge tatsächlich haben – dass, falls etwas sie wirklich hätte, es auch eine andere widersprüchliche Eigenschaft haben müsste. Mit Bezug auf Hegel, so glaube ich, wurde bestritten, dass das Eigenschaftenpaar, von dem er uns sagt, dass die eine Eigenschaft in der anderen enthalten ist, wirklich vollkommen widersprüchlich ist oder dass er es von ihm annahm. Aber es ist gewiss, denke ich, dass, falls sie es nicht sind, die paradoxesten und bemerkenswertesten Schlussfolgerungen, die er aus der vermuteten Tatsache zieht, dass diese Eigenschaften sich gegenseitig enthalten, gewiss nicht aus dieser Tatsache zu ziehen sind. Er zieht gewiss die Schlussfolgerung, dass jede Proposition, die besagt, dass alles wirklich eine dieser beiden Eigenschaften besitzt, falsch ist – oder (wie einige seiner modernen Verteidiger es darzulegen pflegen) zumindest teilweise falsch ist. Aber wenn diese Eigenschaften nicht wirklich widersprüchlich sind – d.€h. wenn nicht jede Proposition, die besagt, dass ein gegebenes Ding die eine hat, der Annahme vollkommen widerspricht, dass es die andere hat – dann folgt gewiss nicht, dass selbst die Proposition, die besagt, dass ein Ding eine von ihnen hat, teilweise falsch ist. Denn nehmen wir an, dass alles, was

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Hegel bewiesen hat oder beweisen wollte, ist, dass, wenn etwas eine gewisse Eigenschaft hat, es auch die andere haben muss, die im Widerspruch zur ersten zu stehen scheint, aber es nicht wirklich ist. Was folgt nun? Offenbar gibt es nicht den geringsten Grund zu bestreiten, dass es wirklich wahr sein kann, dass viele Dinge beide Eigenschaften haben. Denn es gibt kein Gesetz, das besagt, dass ein Ding nicht beide Eigenschaften besitzen kann, die widersprüchlich zueinander sein zu scheinen, vorausgesetzt, dass sie es nicht wirklich sind. Daher wird der gesamte Teil der Philosophie Hegels, der darin besteht anzunehmen, dass gewisse gemeinsame Propositionen, in denen wir annehmen, dass Dinge gewisse Eigenschaften haben, zumindest teilweise falsch sind – und niemand wir bestreiten, dass er dies annimmt – seiner Grundlage entzogen, wenn wir nicht annehmen, dass seine Argumente bezüglich dieser Eigenschaften wirklich von der Art sind, die ich beschreibe; d.€h. mit der Wirkung, dass, falls etwas wirklich die entsprechende Eigenschaft besitzt, beide von zwei sich wirklich widersprechenden Propositionen wahr sein würden; und daher kann es nicht vollkommen wahr sein zu sagen, dass irgendetwas die entsprechende Eigenschaft besitzt. Zweifelsohne verwechseln Hegel und jene, die ähnliche Argumente verwenden, oft diese Schlussfolgerung mit den beiden anderen Schlussfolgerungen, die ich weiter oben unterschieden habe. Sie verwechseln die Schlussfolgerung: Die Proposition, dass ein gegebenes Ding eine der entsprechenden Eigenschaften hat, ist immer eine bloße Erscheinung – d.€h. es ist eine Proposition, die wahr zu sein scheint, aber es ist nicht wirklich ist; mit der Schlussfolgerung: Jedes Ding, das tatsächlich eine der entsprechenden Eigenschaften hat, ist eine bloße Erscheinung; und diese wiederum mit der Schlussfolgerung: Jedes Ding, das eine der entsprechenden Eigenschaften zu haben scheint, ist eine bloße Erscheinung. Aber was ich behaupte, ist, dass die erste dieser Schlussfolgerungen – nämlich dass Propositionen, in denen eine dieser Eigenschaften als ein Prädikat von etwas erscheint, nur scheinbar und nicht vollkommen wahr sind – gewiss ein Teil dessen ist, was sie zu beweisen suchen; und dass dieser Teil der Schlussfolgerungen nur wirklich gefolgert werden kann, wenn ihre Argumente von der Art sind, die ich beschrieben habe. Nun kann ich natürlich nicht versuchen, alle unterschiedlichen Argumente dieser Art zu untersuchen, die verschiedene Philosophen verwendet haben. Ich schlage daher vor, nur jene unter ihnen zu untersuchen, die dem Argument in einem bestimmten Punkt ähneln, welches ich in Bezug auf Kant zitierte habe. Sie mögen bemerkt haben, dass dieses Argument von der Annahme abhängt, es sei unmöglich, dass eine vollkommen unendliche

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Reihe von unterschiedlichen Tatsachen, von denen jede aus der Existenz von etwas zu einem unterschiedlichen Zeitpunkt besteht, vor einem gegebenen Moment vergangen sein sollte. Das heißt, es hängt von der Annahme ab, dass eine unendliche Reihe einer bestimmten Art unmöglich ist. Und ich möchte, so gut ich kann, alle Argumente dieser Art untersuchen, die in dieser Weise von der Behauptung abhängen, dass unendliche Reihen einer bestimmten Art unmöglich sind. Ich habe diese speziellen Argumente gewählt, weil ich denke, dass diese Argumente, die von vermuteten Schwierigkeiten in der Vorstellung von Unendlichkeit abhängen, zumindest genauso glaubwürdig sind wie jene, durch die Philosophen versucht haben zu beweisen, dass die meisten Propositionen, die sie für gewöhnlich als wahr erachten, es unmöglich sein können; und weil ich auch denke, dass sie tatsächlich von viel mehr Philosophen als schlüssig angesehen worden sind als ein einziges anderes Argument von der Art, zu der sie gehören. Und auch weil ich denke, dass die Unendlichkeitsvorstellung reale Paradoxien beinhaltet und wirkliche Schwierigkeiten bezüglich dessen, was die Natur der Welt wirklich ist, selbst wenn sie nicht jene äußerst paradoxen Schlussfolgerungen mit einbezieht, die, wie wir gesehen haben, nach Kant aus ihr hervorgehen. Nehmen wir zuerst jenes bestimmte Argument Kants, mit dem wir begonnen haben, und betrachten es in der vereinfachten Form, die ich ihm zuletzt zugewiesen habe. Wir sind nun alle im Allgemeinen überzeugt, dass Dinge tatsächlich innerhalb der Zeit existieren. Zum Beispiel sind wir überzeugt, dass einige Dinge jetzt existieren und dass andere Dinge vorher in der Vergangenheit existiert haben, die jetzt nicht mehr existieren. Es gibt kaum etwas, von dem wir mehr überzeugt sind. Und ich denke, es ist offensichtlich, dass, falls wir damit Recht haben, dann auch etwas anderes gewiss ist; dass nämlich entweder ein Zeitpunkt in der Vergangenheit der erste Moment gewesen sein muss, in dem etwas existiert hat, oder es muss vorher eine vollkommen unendliche Reihe von unterschiedlichen Tatsachen, jede zu einem unterschiedlichen Zeitpunkt in der Vergangenheit, existiert haben. Dass es die eine oder die andere dieser Alternativen gibt, denke ich, ist offensichtlich: Denn falls kein Zeitpunkt in der Vergangenheit der erste Moment war, in dem etwas existierte, bedeutet dies, dass etwas zu einem früheren Zeitpunkt existiert haben muss; und da auch dieser Zeitpunkt nicht der erste gewesen sein kann, in dem etwas existierte, muss etwas anderes vor diesem existiert haben; und so ad infinitum.

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Daher denke ich, dass Kant offensichtlich Recht hat, wenn er annimmt, dass, falls überhaupt etwas innerhalb der Zeit existiert, entweder ein Zeitpunkt der erste gewesen sein muss, in dem etwas existierte, oder es muss vorher eine vollkommen unendliche Reihe von unterschiedlichen Tatsachen existiert haben. Aber was er beweisen muss, ist, dass beide dieser Alternativen wahr sein müssen, falls überhaupt etwas innerhalb der Zeit existieren soll. Und wie kann dies gelöst werden? Sein Argument, die erste hypothetische Proposition zu beweisen, dass nämlich ein Moment der erste gewesen sein muss, in dem etwas existierte, falls überhaupt etwas innerhalb der Zeit existiert, besteht, wie ich gesagt habe, aus dem Versuch zu beweisen, dass die andere Alternative nicht wahr sein kann; dass nämlich eine unendliche Reihe von Tatsachen nicht vor einem gegebenen Zeitpunkt vergangen sein kann. Daher ist dies das Argument, das von den vermuteten Schwierigkeiten der Unendlichkeit abhängt. Und ich schlage vor, dies später zu betrachten. Ich möchte nur jetzt hervorheben, falls, wie er sagt, solch eine unendliche Reihe wirklich unmöglich ist, dann folgt tatsächlich, falls überhaupt etwas innerhalb der Zeit existiert, dass es einen Zeitpunkt gegeben haben muss, vor dem nichts existierte. Aber selbst angenommen, dass er dies beweisen kann, so muss er noch die andere hypothetische Proposition beweisen, dass nämlich, falls überhaupt etwas innerhalb der Zeit existiert, es keinen Zeitpunkt gegeben haben kann, der der erste war, in dem etwas existierte. Und hier scheint es mir, dass seinem Beweis die absolute Schlüssigkeit fehlt. Wie ist es mit Sicherheit zu beweisen, dass es keine Zeit in der Vergangenheit gegeben hat, vor der überhaupt nichts existiert hat? Es scheint mir unmöglich, dies mit Sicherheit zu beweisen. Aber nichtsdestotrotz erscheint es mir sehr schwierig, das Gegenteil zu glauben. Kann man wirklich glauben, wenn man darüber nachdenkt, dass es wirklich einen Zeitpunkt gab, der wirklich der erste war, in dem etwas existierte, und dass wirklich nichts vorher existiert hat? Es erscheint mir beinahe unmöglich, dies zu glauben; und doch weiß ich nicht, wie es bewiesen werden kann. Wenn man natürlich annimmt, dass nichts jemals existieren kann, wenn nicht etwas vorher existiert, das verursacht, dass es existiert, dann folgt das geforderte Ergebnis. Und dieses Prinzip scheint auch sehr überzeugend. Aber es scheint nicht vollkommen gewiss, und ich weiß nicht, wie es bewiesen werden kann. Obwohl ich daher denke, dass es sehr gewichtige Gründe gibt anzunehmen, dass es keinen Zeitpunkt gegeben haben kann, vor dem wirklich nichts existiert hat, und obwohl ich denke, dass der gesunde Menschenverstand geneigt sein würde, mit Kant übereinzustimmen, dass es kei-

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nen geben kann, so denke ich doch, dass dies nicht als vollkommen gewiss angesehen werden kann. Und dass aus diesem Grund allein Kants gesamtes Argument – das gesamte Argument, beide hypothetischen Propositionen zu beweisen – als nicht schlüssig angesehen werden muss, selbst wenn sein Argument hinsichtlich der Schwierigkeiten der Unendlichkeit schlüssig wäre, wenn wir es genau in der Form betrachten, in der er es darlegt. Aber mir scheint, dass sein Argument in dieser Hinsicht ausgebessert werden kann. Denn obwohl es mir nicht ganz sicher erscheint, sondern nur ausgesprochen wahrscheinlich, dass es keinen Moment gegeben haben kann, der der erste war, in dem etwas existierte, so scheint es mir doch ganz sicher, dass es keinen ersten Zeitpunkt der Zeit selbst gegeben haben kann. Es scheint ganz sicher zu sein, dass, so weit man auch zurückgeht, es immer eine Zeit vor der gegeben haben muss, an der man anhält; kurz gesagt, dass die vergangene Zeitdauer wirklich unendlich gewesen sein muss. Und soweit ich es beurteilen kann, würde die Tatsache, dass dies so ist, Kants Absicht genauso dienlich gewesen sein wie die zweifelhaftere Annahme, dass auch etwas anderes als Zeit eine unendliche Zeitdauer existiert haben muss. Denn sein Argument gegen die Möglichkeit einer Beendigung einer unendlichen Reihe wird genauso dazu verwendet, zu beweisen, dass es keine unendliche Zeitspanne von vergangener Zeit selbst gegeben haben kann, wie zu beweisen, dass es keine unendliche Reihe von zeitlichen Tatsachen gegeben haben kann. Falls daher Kants Argument gegen die Möglichkeit einer Beendigung einer unendlichen Reihe wirklich begründet wäre, könnten wir, denke ich, sein ursprüngliches Argument gegen ein anderes Argument austauschen, welches wirklich die gleiche Schlussfolgerung beweist – dass nämlich überhaupt nichts innerhalb der Zeit existieren kann. Das Argument würde wie folgt lauten. Falls etwas innerhalb der Zeit existiert, dann muss eine vollkommen unendliche Zeitdauer vor seiner Existenz vergangen sein. Dies erachte ich als eine selbstverständliche Proposition und als sicherlich wahr. Aber es ist, so das Argument, ganz unmöglich, dass eine vollkommen unendliche Zeitdauer vor einem gegebenen Moment vergangen sein soll. Und falls dieses Argument begründet ist, so folgt, dass zwei sich widersprechende Propositionen zugleich wahr wären, falls überhaupt etwas innerhalb der Zeit existiert. Daher würde folgen, dass überhaupt nichts innerhalb der Zeit existieren kann und dass es sogar kein solches Ding wie die Zeit selbst geben kann; dass Zeit genauso ein Nichtseiendes ist wie ein rundes Quadrat. Das heißt, diese Schlussfolgerung hängt, wie Kant sagt, dass sie es tut, wirklich von der Frage ab, ob eine unendliche Reihe einer

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bestimmten Art möglich ist; und falls gezeigt werden kann, dass eine solche Reihe unmöglich ist, dann folgt, dass überhaupt nichts innerhalb der Zeit existiert. Ein ähnliches Argument, obwohl nicht ganz so sicher, kann auch im Fall des Raumes verwendet werden. Im Fall des Raumes ist Kants tatsächliches Argument, denke ich, offensichtlich viel schwächer als im Fall der Zeit. Hier versucht er ebenso zu beweisen, dass, falls überhaupt etwas im Raum existiert, Dinge in einem unendlichen Ausmaß des Raumes existieren müssen und dass es unmöglich ist, dass sie es sollten. Die offensichtliche Schwäche dieses Arguments ist, so denke ich, die Unmöglichkeit, zu beweisen oder es als wahrscheinlich erscheinen zu lassen, dass Dinge in einem unendlichen Ausmaß des Raumes existieren müssen. Es scheint, denke ich, äußerst wahrscheinlich, wenn nicht ganz sicher, dass der Raum selbst, falls er überhaupt existiert, in seinem Ausmaß unendlich sein muss; dass wenn man z.€B. von hier aus in diese Richtung geht, es eine vollkommen unendliche Reihe von Meilen in dieser Richtung geben muss. Aber dass etwas in jeder dieser Meilen existieren muss, erscheint keineswegs so offensichtlich; und soweit mir bekannt ist, gibt es keinen Grund, dies auch nur für wahrscheinlich zu erachten. Dass das materielle Universum, falls es ein materielles Universum gibt, sich über eine sehr große Anzahl von Meilen in jede Richtung hin von hier aus ausdehnt, gibt natürlich Anlass für Überlegungen: Aber selbst wenn es sich über Millionen von Millionen Meilen ausdehnt, gibt es, soweit mir bekannt ist, keinen Grund, anzunehmen, dass es nicht irgendwo ein Ende gibt und dass es nicht einen Punkt bei einer endlichen Anzahl von Meilen von hier aus geben könnte, hinter dem es nichts außer leerem Raum gibt. Ich denke, es gibt hier offenbar in diesem Punkt einen wirklichen Unterschied zwischen den Fällen von Raum und Zeit. Im Fall der Zeit scheint es äußert wahrscheinlich, obwohl nicht absolut gewiss, wie ich sagte, dass etwas während der gesamten Dauer der vergangenen Zeit existiert haben muss; dass, wenn man z.€B. die unendliche Anzahl der Stunden betrachtet, die diesem Moment vorausgegangen sind, etwas in jeder dieser Stunden existiert haben muss. Es ist, denke ich, sehr schwierig zu glauben, dass dies nicht der Fall ist. Aber im Fall des Raumes scheint es mir sehr einfach zu glauben, dass das materielle Universum nur eine endliche Anzahl an Kubikmeilen einnimmt – endlich, aber doch sehr groß – und dass es dahinter ein unendliches Ausmaß an vollkommen leerem Raum gibt – Raum, in dem es überhaupt nichts gibt. Und ich kenne keinen Grund, warum dies nicht so sein sollte – falls Raum und materielles Universum überhaupt existieren. Falls Kants Argu-

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ment zeigen würde, dass es unmöglich ist, dass etwas in jeder einer vollkommen unendlichen Reihe von Meilen von hier aus existieren kann, scheint es mir doch, dass seinem gesamten Argument Überzeugungskraft fehlt, da es keine Schwierigkeit gibt anzunehmen, dass das materielle Universum tatsächlich im Raum begrenzt ist. Aber auch hier, denke ich, kann sein Argument ausgebessert werden, wenn wir anstatt zu betrachten, was im Raum existiert, den Raum selbst betrachten. Falls der Raum euklidisch ist, dann muss es eine vollkommen unendliche Reihe von Meilen in jeder Richtung von hier aus geben; und obwohl ich vermute, dass wir nicht als sicher annehmen dürfen, dass der Raum, der existiert und in dem sich materielle Objekte befinden (falls es ein solches Ding gibt), euklidisch ist, so ist es zumindest plausibel, es zu tun. Soweit ich sehen kann, würde Kants Argument, dass es keine unendliche Reihe von eingenommenen Meilen in jeder Richtung von hier aus geben kann, genauso gut beweisen, dass es keine unendliche Reihe von leeren Meilen geben kann. Sodass wir Kants Argument durch folgendes Argument ersetzen könnten. Falls etwas im euklidischen Raum existiert, muss es eine unendliche Reihe von Meilen in jeder Richtung von diesem Ding aus geben; aber es ist unmöglich, dass es eine unendliche Reihe von Meilen in jeder Richtung von einem gegebenen Punkt aus geben kann. Daher würden, falls etwas im euklidischen Raum existierte, beide der zwei sich widersprechenden Propositionen wahr sein. Aber dies ist unmöglich. Daher muss die Hypothese, aus der dieses hervorgehen würde, falsch sein. Das heißt, überhaupt nichts kann im eukliÂ� dischen Raum existieren und es kann sogar kein solches Ding wie einen euklidischen Raum geben. Es muss genauso ein Nichtseiendes sein wie ein rundes Quadrat. Es scheint mir nun, dass es im Fall der Zeit wie auch im Fall des Raumes (wenn wir mit Raum den euklidischen Raum meinen) ein gültiges Argument von der Art gibt, die von Kant eingebracht wurde, welches die Schlussfolgerung ergibt, dass nichts im Raum oder in der Zeit existieren kann, vorausgesetzt, es kann bewiesen werden, dass es unmöglich ist, dass eine unendliche Anzahl von Stunden vergangen sein kann und dass sich eine unendliche Anzahl von Meilen in jeder Richtung von hier aus erstreckt. Vorausgesetzt, dies kann bewiesen werden, ist diese Schlussfolgerung sicher, weil die folgenden zwei Hypothesen wirklich sicher sind: (1) Falls etwas innerhalb der Zeit existiert, muss vor ihm eine unendliche Anzahl von Stunden vergangen sein; und (2) falls etwas im euklidischen Raum existiert, muss sich eine unendliche Anzahl von Meilen in jeder Richtung von ihm aus erstrecken.

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Aber kann jetzt bewiesen werden, dass diese beiden Dinge unmöglich sind? Kann bewiesen werden, dass es unmöglich ist, dass eine vollkommen unendliche Anzahl von Stunden vor dem gegenwärtigen Zeitpunkt vergangen sein soll? Und dass es ebenso unmöglich ist, dass der Raum sich über eine vollkommen unendliche Anzahl von Meilen in jeder Richtung von hier aus erstreckt? Es gibt sicherlich Schwierigkeiten, denke ich, eines dieser beiden Dinge anzunehmen. Viele Menschen neigen dazu, mit Kant übereinzustimmen, dass diese zwei Dinge wirklich unmöglich sind. Sie sagen, es sei unmöglich, sich eine wirklich unendliche Reihe von irgendetwas vorzustellen, ob es nun Stunden, Minuten, Tage, Jahre, Feet, Yards, Inches oder Meilen sind; und dass, da es unmöglich ist, sich eine solche Reihe vorzustellen, keine solche Reihe wirklich existieren kann. Diese Auffassung kann sehr plausibel gemacht werden; und ich möchte es so plausibel wie möglich erscheinen lassen – um alle Schwierigkeiten hervorzuheben, die ich in der Annahme sehen kann, dass es eine unendliche Reihe gibt, um dieses Argument so gerecht wie möglich zu behandeln, welches die äußerst paradoxen Schlussfolgerungen beweisen würde und wovon viele Menschen dies auch glauben, dass wirklich überhaupt nichts im Raum und innerhalb der Zeit existiert. Nun scheint Kant selbst der Auffassung zu sein, dass die Fälle von Zeit und Raum verschieden sind. Er denkt, dass man dasselbe Argument verwenden kann, um die Unmöglichkeit der Existenz einer vollkommen unendlichen Reihe von Meilen von hier aus zu beweisen und die Unmöglichkeit der Existenz einer vollkommen unendlichen Reihe von Stunden, die vergangen sind. Er scheint tatsächlich zu denken, dass man dies im Fall des Raumes nicht beweisen kann, außer wenn man den Fall des Raumes in einer gewissen Weise auf den Fall der Zeit reduziert. Und es scheint mir, dass sein Versuch, dies zu tun, misslingt. Daher denke ich, dass sein Argument im Fall der Zeit das glaubwürdigere der beiden ist. Falls dieses Argument nicht schlüssig ist, ist das Argument im Fall des Raumes gewiss nicht schlüssig. Daher schlage ich vor, nur Kants eigenes Argument im Fall der Zeit zu betrachten und dann andere Argumente zu betrachten, die auf Raum und Zeit gleichermaßen zutreffen. Was ist nun Kants Argument im Fall der Zeit? Er bemüht sich nicht, es ausführlich zu erklären, noch macht er genau deutlich, was er damit meint: Er scheint zu denken, dass seine Wahrheit fast ohne Erklärung offensichtlich ist. Es ist einfach Folgendes: Dass die eigentliche Vorstellung einer unendlichen Reihe eine Vorstellung ist, die niemals zu Ende gebracht oder been-

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det werden kann. Aber was wir annehmen, wenn wir annehmen, dass eine unendliche Reihe von Stunden, Tagen oder Minuten vergangen sind, ist genau das, dass eine bestimmte Reihe in diesem Moment geendet hat. Und daher kann die entsprechende Reihe nicht wirklich unendlich sein, da sie geendet hat. Nun bin ich geneigt zu denken, dass dieses Argument seitens Kants teilweise schlichtweg ein Irrtum ist, der auf der Zweideutigkeit der Vorstellung von Ende basiert. Es ist durchaus wahr, dass, wenn wir annehmen, es habe bis zu diesem Moment eine unendliche Anzahl von Stunden gegeben, wir annehmen, dass diese Reihe in diesem Moment geendet hat. Daher nehmen wir an, dass sie wirklich ein Ende hat – nämlich dieses. Aber dies widerspricht überhaupt nicht unserer Vorstellung, dass sie unendlich ist, denn was wir damit meinen, ist bloß, dass sie in die andere Richtung kein Ende hat – oder, wenn man es so ausdrücken möchte, dass sie keinen Anfang hat. Eine Reihe kann zwei Enden haben oder, wenn man es anders formulieren möchte, ein Ende und einen Anfang; und eine Reihe ist wirklich unendlich, selbst wenn man annimmt, dass sie in einer Richtung ein Ende hat, vorausgesetzt, sie hat keines in die andere. Dies kann leicht anhand einer der einfachsten Fälle einer unendlichen Reihe veranschaulicht werden. Betrachten wir die Zahlenreihe 1, 2, 3, 4, 5, etc. Diese Reihe hat in eine Richtung ein Ende, da sie bei der Zahl 1 beginnt. Aber trotzdem ist sie eine vollkommen unendliche Reihe, da eine vollkommen unendliche Anzahl von Zahlen gebildet werden kann, indem man der vorausgehenden Zahl eins hinzufügt. Fügt man 1 zu 5, erhält man 6; fügt man 1 zu 6, erhält man 7; und dasselbe gilt für jede Zahl, die man nimmt; es gibt einfach immer eine andere Zahl, die um 1 größer als die Ausgangszahl ist. Daher gibt es eine absolut unendliche Reihe verschiedener Zahlen, die bei der Zahl 1 beginnt; und diese Reihe ist wirklich unendlich trotz der Tatsache, dass sie in einer Richtung ein Ende hat, einfach weil sie in die andere keines hat. Daher ist es schlichtweg ein Irrtum anzunehmen, dass es keine unendliche Reihe vergangener Stunden geben kann, einfach weil diese Reihe in einer Richtung ein Ende hat – sie jetzt geendet hat: Alles, was wir meinen, wenn wir sie als unendlich bezeichnen, ist, dass sie kein Ende in die andere Richtung hat, oder anders gesagt, dass sie keinen Anfang hat. Aber dieser Irrtum ist nicht alles, was in Kants Argument vorkommt. Ich denke, er meinte gewiss auch etwas anderes – etwas, das sich nur sehr schwierig exakt ausdrücken lässt, aber das auf diese Art betrachtet werden kann. Er dachte, denke ich, dass die Zeit sozusagen niemals den gegenwär-

Existenz in der Zeit

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tigen Moment hätte erreichen können, wenn sie nicht zuerst durch eine vollkommen unendliche Reihe von Stunden gegangen wäre. Und es gibt gewiss etwas Glaubwürdiges in dieser Vorstellung – etwas, das Menschen zusagt. Ich denke, es verhält sich analog zu den Schwierigkeiten, die das alte Rätsel von Achill und der Schildkröte glaubwürdig macht. Das Rätsel lautet wie folgt. Nehmen wir an, dass Achill und die Schildkröte ein Rennen laufen; dass Achill zehnmal schneller läuft als die Schildkröte; und dass er zehn Yards hinter ihr startet. Zu der Zeit, wenn Achill bei dem Punkt ist, wo die Schildkröte gestartet ist, wird die Schildkröte einen Yard vor ihm sein; da die Schildkröte einen Yard zurücklegt, während Achill zehn zurücklegt. Daher wird die Schildkröte zu der Zeit, wenn Achill am Ende des zehnten Yards ist, am Ende des elften Yards, ausgehend von Achills Startpunkt, sein. Aber wenn Achill zum Ende des elften Yards kommt, wird die Schildkröte immer noch ein Zehntel Yard vor ihm sein. Und wenn er diesen Zehntel Yard genommen hat, wird die Schildkröte immer noch ein Hundertstel Yard vor ihm sein. Und wenn er dieses Hundertstel Yard genommen hat, wird die Schildkröte immer noch einen Tausendstel Yard vor ihm sein. Und so weiter ad infinitum – wirklich ad infinitum. Kurz gesagt, es scheint, als ob Achill die Schildkröte niemals einholen könnte, weil er, bevor er es kann, eine vollkommen unendliche Reihe von Abständen überwinden muss. Es stimmt, dass diese Abstände fortlaufend an Größe verlieren; aber doch scheint es eine vollkommen unendliche Anzahl von ihnen zu geben; und zu dem Zeitpunkt, wenn Achill einen Punkt erreicht hat, der vorher von der Schildkröte eingenommen worden ist, scheint es, als ob die Schildkröte immer ein wenig vor ihm ist. Ich denke, es ist eine Schwierigkeit analog zu jener, der Kant im Fall der Zeit gewahr wurde. Genauso wie es unmöglich scheint, dass Achill jemals über diese vollkommen unendliche Reihe von Abständen kommen sollte, selbst wenn sie fortlaufend an Größe verlieren. So, denke ich, scheint es Kant unmöglich, dass die Zeit jemals über eine vollkommen unendliche Reihe von Stunden kommen sollte, so wie es geschehen müsste, um zu dem gegenwärtigen Zeitpunkt zu gelangen. Und hier scheint mir die wirkliche Schwierigkeit zu liegen. Ich möchte sie nicht herunterspielen. Aber sind wir berechtigt, aus dieser offensichtlichen Schwierigkeit zu folgern, dass das Ding wirklich unmöglich ist? Besonders wenn sich dann eine weitere Schlussfolgerung ergibt, die so offensichtlich als falsch erscheint, wie dass überhaupt nichts innerhalb der Zeit existieren kann? Dass es kein solches Ding wie Zeit gibt? Es scheint mir, dass wir es nicht sind – besonders da es so schwierig ist, die Schwierigkeit genau zu benennen; und Kant gelingt

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dies zumindest gewiss nicht. Ich denke wenigstens, dass wir Kants Anspruch nicht zustimmen können, dass er exakt bewiesen hat, dass eine unendliche Reihe an Stunden nicht vor diesem Moment vergangen sein kann. Als Nächstes werde ich versuchen andere Argumente gegen die Realität von Zeit und Raum zu betrachten, die aus der Unendlichkeitsvorstellung stammen – Argumente, die genauer dargestellt werden können; und ich werde versuchen, die gesamte Thematik zusammenzufassen.

Kapitel 10 Der Unendlichkeitsbegriff19

I

ch möchte die Unendlichkeitsvorstellung und ihre Beziehung zu Raum und Zeit so deutlich wie möglich beschreiben. Zunächst werde ich versuchen, einige vorbereitende Punkte zu erklären, die ich noch nicht genügend erläutert habe. Zuerst einmal denke ich, dass wir gewiss alle im Alltagsleben fortwährend glauben, dass es solche Dinge wie Inches, Feet, Yards und Meilen gibt. Wir reden fortwährend über sie, und wir nehmen an, dass wir eindeutig eine enorme Anzahl von Propositionen über sie wissen. Zum Beispiel wissen wir, dass mehr Yards zwischen diesem Raum und der Waterloo-Brücke liegen als zwischen diesem Raum und Waterloo Station. Wir wissen, dass mehr Meilen zwischen hier und Neuseeland liegen als zwischen hier und Paris. Wir sind sicher, dass diese Tafel länger als hoch ist; und dass mehr Inches an einer Seite sind, die wir Länge nennen, als an der anderen, die wir Höhe nennen. Wenn jemand im Alltagsleben sagen sollte, dass Berlin nicht weiter entfernt ist als Paris, oder dass beide Städte weniger als 100 Meilen entfernt sind, dann würden wir sagen, dass er einfach keine geografischen Kenntnisse besitzt: Dass er zweifellos einen Fehler bezüglich der Tatsachen gemacht hat, weil es schlichtweg eine Tatsache ist, dass Berlin weiter als Paris entfernt ist und dass beide gewiss mehr als 100 Meilen entfernt sind. Aber was sind nun diese Inches, Feet, Yards und Meilen, an deren Existenz wir so zuversichtlich glauben? Hat jemals jemand von uns eines von ihnen und einen Teil von ihnen direkt erfasst? Ich sollte mich vielleicht entschuldigen, diesen Punkt wieder aufgegriffen zu haben, nachdem ich schon so viel über den Unterschied zwischen dem Raum, den wir direkt erfassen, und dem Raum, von dem wir annehmen, dass sich dort materielle Objekte befinden, ausgesagt habe. Aber ich möchte es ganz deutlich machen, wo die Annahme, dass bestimmte Arten von unendlichen Reihen unmöglich sind, im Widerspruch zum gesunden Menschenverstand zu stehen scheint; und genau welche unter all den Dingen, die wir im Allgemeinen glauben, noch wahr sein könnten, selbst wenn diese Annahme berechtigt wäre. Sind nun Inches, Feet und Meilen, an deren Existenz wir im Allgemeinen glauben, 19

Im Engl. notion of infinity [Anm. d. Übers.].

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von uns jemals direkt erfasst worden? Die Aussage, dass sie nicht direkt erfasst worden sind, erscheint zunächst gewissermaßen paradox. Wenn man z.€B. ein Lineal ansieht, auf dem Inches eingezeichnet sind, scheint die Annahme natürlich, dass man in diesem besonderen Fall tatsächlich einen speziellen Inch sieht. Natürlich wissen wir, dass das Lineal nicht vollkommen exakt sein muss und dass das, was als ein Inch eingezeichnet ist, nicht genau ein Inch sein muss. Aber trotzdem scheint es, was auch immer die exakte Länge des Teils des Lineals sein mag, die als ein Inch eingezeichnet ist, als ob wir, wenn wir gerade auf es sehen, tatsächlich die Länge sehen, die es hat; und dass, da diese Länge sich nicht erheblich von einem Inch unterscheidet, und wir, wenn wir sie sehen, zugleich ein bisschen mehr und ein bisschen weniger sehen, tatsächlich ein Inch des Lineals sehen müssen, obwohl wir nicht genau wissen können, wie viel von dem, was wir sehen, ein Inch ist. Ich denke, wir tun dies wirklich in einer der Bedeutungen, in denen wir gewöhnlich das Wort „sehen“ verwenden. Aber es besteht eine große Gefahr, diese Bedeutung des Worts „sehen“ mit jener zu verwechseln, in der „sehen“ direktes Erfassen bedeutet. Wenn man durch Introspektion herauszufinden versucht, was genau es ist, das man sieht, ist all das, was man ganz genau herausfinden kann, das, was man direkt erfasst. Man erfasst einen Raum direkt, und es ist sehr natürlich anzunehmen, dass ein Teil dieses Raums ein Inch ist: Dass der Inch, den man sieht, wirklich ein Teil des Raums ist, den man direkt erfasst. Aber es ist, denke ich, zumindest sehr zweifelhaft, ob dies so ist. Es gibt zwei Hauptgründe für die Annahme, dass es zweifelhaft ist: (1) Jener Teil des Lineals, den Sie sehen und der ein Inch lang ist, würde von Ihnen in gleicher Weise gesehen und würde genau dieselbe Länge haben, ob Sie ihn mit bloßem Auge oder durch eine vergrößernde Brille sehen; aber die Räume, die Sie in diesen beiden Fällen direkt erfassen, würden von unterschiedlicher Länge sein: Daher können sie nicht beide mit dem Inch des Lineals, das Sie sehen, identisch sein; und es gibt auch keinen Grund anzunehmen, dass der eine oder der andere von ihnen mit dem Inch des Lineals identisch ist. Daher gibt es in keinem Fall einen Grund anzunehmen, dass ein Teil des Raums, den Sie direkt erfassen mit dem Inch identisch ist, der durch ein Teil des Lineals eingenommen wird. (2) Es scheint sicher zu sein, dass jeder Teil des Raums, den Sie direkt erfassen, wenn Sie das Lineal ansehen, nicht nur von einer Farbe eingenommen zu sein scheint, sondern es tatsächlich wird; wobei es aber Grund gibt anzunehmen, dass der Inch des Raums, der von dem Lineal eingenommen wird, nicht von einer Farbe eingenommen wird. Diese Gründe beweisen nicht schlüssig, dass kein Teil des Raums, den man

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jemals direkt erfasst, mit einem Inch des Lineals identisch ist, aber sie zeigen, dass viele Räume, die man direkt erfasst, indem man sie ansieht, nicht mit ihm identisch sind; und sie werfen Zweifel auf, ob irgendeiner von ihnen es ist. Und wenn es zweifelhaft ist, ob man einen Inch des Lineals jemals direkt erfasst, wenn man es ansieht, dann ist es auch zweifelhaft, ob man jemals entweder einen Inch oder irgendeine Länge von irgendetwas direkt erfasst, wenn man es ansieht oder berührt. Daher ist es zweifelhaft, ob Inches, Feet, Yards und Meilen, über die wir im Alltagsleben mit großer Gewissheit sprechen, jemals – entweder sie selbst oder ein Teil von ihnen – von irgendeinem von uns direkt erfasst werden. Der Grund, warum ich soeben diesen Punkt erwähnt habe, ist, weil ich mich das letzte Mal so ausgedrückt habe, als ob es überhaupt kein solches Ding wie einen euklidischen Raum geben könnte, vorausgesetzt, dass unendliche Reihen einer bestimmten Art unmöglich sind; und als ob einige Philosophen, unter ihnen Kant, tatsächlich angenommen hätten, dass es kein solches Ding gibt. Ich sprach vom Raum im Allgemeinen, ohne zwischen direkt erfassten Räumen und den Inches, Feet, Yards und Meilen, über die wir im Alltagsleben sprechen, zu unterscheiden. Aber wir sehen nun, dass es gewiss ist, dass das Meiste des Raums, den wir direkt erfassen, nicht mit irgendeinem Teil dieser Inches, Feet, Yards oder Meilen identisch ist; und es ist zweifelhaft, ob es überhaupt irgendeiner von ihnen ist. Und es ist aus verschiedenen Gründen sehr wichtig, so denke ich, die beiden auseinanderzuhalten. Erstens, wenn behauptet wird, dass aufgrund der Unmöglichkeit bestimmter Arten von unendlichen Reihen bestimmte Arten von Räumen nicht real sein können, gibt es zwei Hauptargumentationsansätze, die verwendet werden können. Es kann behauptet werden: Diese Räume können nicht real sein, denn wenn sie es wären, wären sie in ihrem Ausmaß unendlich, und dies ist unmöglich. Oder es kann behauptet werden: Sie können nicht real sein, denn wenn sie es wären, würden sie unendlich teilbar sein, und dies ist unmöglich. Das letzte Mal habe ich nur Argumente der ersten Art behandelt – Argumente, die besagen, dass bestimmte Arten von Räumen in ihrem Ausmaß unendlich sein müssen: Wenn es z.€B. eine euklidische Gerade von einem Yard Länge gibt, dass es in der gleichen Geraden eine unendliche Anzahl anderer Geraden geben muss, jede von ihnen einen Yard lang. Dieses Mal möchte ich auch Argumente einer unendlichen Teilbarkeit behandeln. Aber was ich hervorheben möchte, ist, dass in beiden Fällen das Argument gegen die Wirklichkeit eines bestimmten Stücks Raum völlig versagt, wenn

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nicht gezeigt werden kann, falls das bestimmte Stück Raum überhaupt real ist, dass es dann eine unendliche Anzahl anderer Stücke derselben Größe geben muss oder dass das Stück selbst unendlich teilbar sein muss. Wenn beispielsweise gezeigt werden soll, dass kein Teil der Seite dieser Tafel wirklich ein Inch lang ist, kann dies nur durch diese Argumente geschehen, falls gezeigt werden kann, dass, vorausgesetzt, es wäre so, es eine unendliche Anzahl genau gleicher Inches auf der Welt geben muss, oder wenn gezeigt werden kann, dass, falls es so wäre, der entsprechende Inch unendlich teilbar sein muss. Ich sage dies, weil es, soweit mir bekannt ist, keinen Grund gibt anzunehmen, dass ein Teil des Raums, den wir direkt erfassen, sich entweder unendlich ausbreitet oder unendlich teilbar ist. Nehmen wir z.€B. an, ich untersuche jetzt den Raum, den ich direkt erfasse, wenn ich dieses Papier ansehe – den Raum, der durch die weißliche Farbe mit Text auf ihr eingenommen wird. Ein Teil dieses Raums ist, so denke ich, zweifellos ein Quadrat, obwohl kein Quadrat auf ihm markiert ist; und nach allem was ich weiß, könnte es ein euklidisches Quadrat sein. Aber selbst wenn es so ist, kenne ich keinen Grund anzunehmen, dass es an jeder Seite dieses Quadrats, das ich direkt erfasse, eine unendliche Anzahl von genau gleichen Quadraten gibt, noch dass es selbst unendlich teilbar ist. Ebenso kenne ich keinen guten Grund anzunehmen, dass die Gesamtheit des Raums, den ich direkt erfasse, mit überhaupt jedem Raum, den ich nicht direkt erfasse, in jedem Augenblick zusammenhängt oder dass sie unendlich teilbar ist. Das heißt, beide Schwierigkeiten treten nur auf, falls sie überhaupt auftreten, hinsichtlich der Linien, die Teile dieses Papiers – des materiellen Objekts – begrenzen; sie treten nicht auf hinsichtlich irgendeines Quadrats, irgendeiner Linie, irgendeines Dreiecks oder irgendeiner anderen Figur, die ich direkt erfasse, wenn ich dieses Papier ansehe. Daher nützen Argumente der vermuteten Unmöglichkeit eines unendlichen Ausmaßes oder einer unendlichen Teilbarkeit nicht, um zu zeigen, dass ein Stück Raum, das wir direkt erfassen, nicht real ist. Sie tun dies nicht, da es keinen Grund gibt anzunehmen, dass ein Stück Raum, das wir direkt erfassen, entweder mit einer unendlichen Anzahl anderer ähnlicher Stücke zusammenhängt oder selbst unendlich teilbar ist. Nur in Bezug auf Inches, Feet, Yards und Meilen, über die wir im Alltagsleben sprechen, gibt es guten Grund, beide Sachverhalte anzunehmen; und diese Inches, Feet, Yards und Meilen sind sehr wahrscheinlich, wie wir gesehen haben, nicht identisch mit irgendeinem Stück Raum, das wir jemals direkt erfassen. Und (dies ist der zweite Punkt, auf den ich hinweisen möchte) viele Philosophen, die diese

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Argumente verwendet haben, haben sie nicht ausdrücklich auf jedes Stück Raum, das wir direkt erfassen, anwenden wollen. Sie waren tatsächlich oftmals nicht sorgfältig genug bei der Beschreibung, über welche Art von Raum sie sprechen. Aber ich denke, sie haben im Allgemeinen an die Inches, Yards und Meilen gedacht, über die wir im Alltagsleben sprechen, obwohl sie diese oft mit den Stücken Raum verwechselt haben, die wir direkt erfassen. Tatsächlich behaupten einige Philosophen eindeutig, dass selbst die Räume, die wir direkt erfassen, nicht real sind – dass es einfach solche Dinge im Universum nicht gibt. Aber da sie diese Räume von den Inches und Meilen, über die wir im Alltagsleben sprechen, unterschieden haben, haben sie, soweit mir bekannt ist, niemals eindeutig versucht zu zeigen, dass diese – die wir direkt erfassen – entweder ein unendliches Ausmaß oder eine unendliche Teilbarkeit einschließen. Das Argument gegen ihre Realität wurde immer aus anderen Gründen herangezogen. Daher möchte ich es klar verstanden wissen, dass all das, was ich über das unendliche Ausmaß und die unendliche Teilbarkeit des Raumes sagen werde, nur auf die Inches, Feet, Yards und Meilen zutreffen soll, über die wir im Alltagsleben sprechen; es soll nicht auf ein Stück Raum zutreffen, das wir jemals direkt erfassen; und so wie ich es sehe, trifft es auf keinen solchen Teil zu. Die Argumente bezüglich Unendlichkeit und unendlicher Teilbarkeit des Raums, die ich betrachten werde, können nur solche Dinge beweisen – wenn sie schlüssig sind –, wie dass es keinen Raum zwischen hier und Charing Cross gibt: Sie widersprechen nur auf diese Art dem gesunden Menschenverstand; sie können nicht beweisen, dass alles, was wir jemals direkt erfassen, nicht real ist, da es keinen Grund gibt anzunehmen, dass irgendjemand irgendeinen Teil des Raums zwischen hier und Charing Cross jemals direkt erfasst hat. So viel um zu verdeutlichen, worin die Frage hinsichtlich des Raums besteht. Und nun möchte ich versuchen deutlich zu machen, worin die Frage hinsichtlich der Zeit besteht. Auch hier denke ich, ist die grundlegende Tatsache, dass wir alle gewöhnlich glauben, dass es solche Dinge wie Sekunden, Minuten, Stunden, Tage, Jahre gibt. Wir sprechen fortwährend über diese Dinge; und wir nehmen an, dass wir wirklich sehr, sehr viele Propositionen über sie kennen. Ich weiß z.€B. – und Sie alle wissen es –, dass ich heute Abend mehr als fünf Minuten gesprochen habe. Wir wissen, dass die Schlacht von Waterloo vor mehr als fünfzig Jahren stattgefunden hat; und wenn jemand im Alltagsleben

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annehmen sollte, dass es nicht so ist, würden wir einfach sagen, dass er keine Ahnung von Geschichte hat. Wir wären auch nicht für einen Augenblick geneigt zu vermuten, dass er Recht haben könnte: Wir würden sagen, dass es eine Tatsache ist, die er eindeutig falsch wiedergibt. Dasselbe gilt für tausend andere Beispiele. Jeder von uns nimmt gewöhnlich an, dass er Tausende absolut wahrer Propositionen über die Zeitdauer kennt, die verschiedene Ereignisse trennt. Vielleicht wissen wir niemals absolut genau, wie viel Zeit zwischen ihnen vergangen ist, aber wir wissen, dass es vollkommen wahr ist, dass Königin Elizabeth mehr als zwanzig Jahre vor Königin Anne starb und vor weniger als zweihundert Jahren; obwohl wir es nicht bis auf die Sekunde oder den kleinsten Teil einer Sekunde genau wissen, wie viel Zeit zwischen diesen beiden Toden vergangen ist. Aber was sind nun diese Sekunden, Minuten, Tage und Jahre, über die wir so viel wissen? Wurde eine von ihnen oder ein Teil von ihnen jemals von einem von uns direkt erfasst? Offensichtlich kann diese Frage genauso gestellt werden wie jene hinsichtlich der Inches, Feet, Yards und Meilen, über die wir im Alltagsleben sprechen. Aber ich gebe zu, dass ich im Fall der Zeit diese Frage nicht beantworten kann: Es scheint mir sehr zweifelhaft zu sein, welche die richtige Antwort ist. Und ich erwähne diesen Punkt nur, weil die Tatsache, dass es zweifelhaft ist, etwas Licht auf den analogen Fall des Raumes wirft und auf die Art, in der wir die Existenz von Zeit und Raum erfahren (falls wir sie überhaupt erkennen), über die wir im Alltagsleben sprechen. Im Fall des Raums sagte ich, mir erscheine es ganz gewiss, dass wir bestimmte Raumstücke direkt erfassen: Ich erfasse zweifelsohne Stellen mit Farbe direkt, die Räume unterschiedlicher Größe und Form einnehmen; und ich kann die Räume, die sie einnehmen, von den Farben unterscheiden, die sie einnehmen. Aber ich sagte auch, es sei sehr wahrscheinlich, dass keiner dieser direkt erfassten Räume mit irgendeinem Teil des Raums identisch ist, über den wir im Alltagsleben sprechen. Im Fall des Raums bestand nun ein Grund zwischen zwei Arten von Raum zu unterscheiden – direkt erfasster Raum und der Raum des Alltagslebens. Aber im Fall der Zeit erscheint es mir zweifelhaft, ob wir überhaupt jemals Zeit direkt erfassen, entweder die Zeit des Alltagslebens oder eine andere. Betrachten wir die Fälle, in denen wir, falls überhaupt, eine Zeitspanne direkt erfassen. Zweifellos erfassen wir direkt Veränderungen verschiedener Art, Bewegungen – d.€h. Änderungen der Positionen im direkt erfassten Raum – und andere Veränderungen, die nicht aus Bewegung bestehen; wir können z.€B. direkt erfassen, wie ein Licht heller wird, wie sich eine Farbe ändert oder ein Geräusch lauter wird. Es wurde ange-

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nommen und wird, denke ich, auch noch von einigen Menschen angenommen, dass dies nicht der Fall ist. Sehen wir uns dazu ein bestimmtes Beispiel an. Ich kann jetzt tatsächlich beobachten, wie sich der Sekundenzeiger meiner Uhr bewegt; und Sie alle wissen, wie es ist, wenn man einen Sekundenzeiger sich bewegen sieht. Was ich direkt erfasse, ist natürlich nicht der Sekundenzeiger selbst noch das Ziffernblatt selbst, aber die schwarze Linie, die ich als Erscheinung des Sekundenzeigers betrachte, und die weiße Oberfläche, die ich als Ziffernblatt betrachte. Sie verstehen bitte, dass ich nur über diese Erscheinungen – die schwarze Linie und die weiße Oberfläche –sprechen werde und nicht über den Sekundenzeiger selbst oder das Ziffernblatt selbst. Denn diese Letzteren erfasse ich nicht direkt, obwohl ich sie sehe oder beobachte. In verschiedenen Momenten erfasse ich direkt die schwarze Linie und die weiße Oberfläche; ich denke, dies wird niemand bestreiten. Aber es wurde angenommen, dass ich niemals etwas direkt erfasse außer der schwarzen Linie, die auf der weißen Oberfläche in einer Position ruht, und dass, wenn ich sage, ich sehe die schwarze Linie sich über die weiße Oberfläche bewegen, dies nicht bedeutet, dass ich die Bewegung direkt erfasse, sondern dass ich mich nur erinnere, dass die schwarze Linie vor einem Augenblick sich auf einer anderen Position befunden hat, und ich folgere, dass sie sich bewegt haben muss. Doch wird nun allgemein angenommen, dass dies nicht der Fall ist: Es wird angenommen, dass ich die Bewegung direkt erfasse. Und ich denke, Sie können erkennen, dass das, was geschieht, tatsächlich etwas ganz anderes ist als das bloße direkte Erfassen einer Farbe in Ruhe, verbunden mit der Erinnerung, dass sie zuvor in verschiedenen anderen Positionen geruht hat. Vergleichen wir diesen Fall z.€B. mit dem, was geschieht, wenn ich den Stundenzeiger ansehe. Dort erfasse ich direkt eine Farblinie im Ruhezustand, und ich kann mich erinnern, dass sie vorher in anderen Positionen gewesen ist. Aber gewiss ist dies nicht alles, was im Fall des Sekundenzeigers geschieht. Ich sehe tatsächlich den Sekundenzeiger sich bewegen, während ich nicht sehe, wie der Stundenzeiger sich bewegt; und der Unterschied, den ich hierdurch ausdrücke, ist sicherlich ein Unterschied, der sich dadurch zeigt, was ich direkt erfasse. Der Fall des Sekundenzeigers ist daher ein Fall, in dem ich tatsächlich eine Veränderung direkt erfasse – in diesem Fall eine Bewegung –, und es scheint, als ob dies ein Fall sein müsste, in dem ich direkt eine Zeitspanne erfasse. Zweifellos ist es sehr schwierig genau zu entscheiden, wie viel der Bewegung ich direkt erfasse und wo direktes Erfassen zu Erinnerung wird: Aber es scheint keinen Zweifel zu geben, dass ich tatsächlich eine Bewegung direkt erfasse. Aber erfasse ich tatsächlich direkt

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eine Zeitdauer, die die Bewegung beansprucht? Ich bin gezwungen zu sagen, dass ich nicht sicher sein kann, ob ich es tue. Ich erfasse direkt eine Bewegung, und ich habe keine Zweifel, dass diese Bewegung tatsächlich Zeit beansprucht. Aber wenn ich das Ganze, was ich direkt erfasse, so sorgfältig untersuche, wie ich kann, kann ich in diesem Ganzen nicht ein direkt erfasstes Element eindeutig unterscheiden, das die Zeit genannt werden kann, die die Bewegung einnimmt. Ich kann tatsächlich nicht sicher sein, dass ich die Zeit, die die Bewegung einnimmt, in der Art direkt erfasse, in der ich, wenn ich das Ziffernblatt meiner Uhr ansehe, den runden Raum direkt erfasse, den diese weiße Oberfläche einnimmt. Ich bin nicht sicher, ob ich die Zeit nicht direkt erfasse; aber es scheint mir einen großen Unterschied zwischen Raum und Zeit hinsichtlich der Unbekümmertheit zu geben, mit der wir sicher sein können, ob wir sie direkt erfassen oder nicht. Ich denke, es ist sehr leicht sicher zu sein, dass ein Raum direkt erfasst wird, aber es ist überhaupt nicht leicht sicher zu sein, dass eine Zeit direkt erfasst wird. Ich bestreite selbstverständlich nicht, dass wir in Hinblick auf eine Bewegung oder eine andere Veränderung unmittelbar beurteilen können, ob sie länger als eine andere gedauert hat. Wenn ich z.€B. meinen Arm langsam bewege und dann schnell, können Sie unmittelbar, ohne Rückschlüsse ziehen zu müssen, wissen, dass die erste Bewegung länger dauerte als die zweite. Aber unmittelbares Wissen ist etwas ganz anderes als direktes Erfassen, wie ich bereits gesagt habe. Und können Sie tatsächlich sicher sein, dass Sie einen Teil der Zeit direkt erfasst haben, den diese beiden Bewegungen eingenommen haben? Ich denke, es ist schwierig sicher zu sein, ob Sie es nicht haben, aber es ist genauso schwierig sicher zu sein, ob sie es haben. Man kann gewiss sicher sein, dass beide Bewegungen Zeit eingenommen haben und dass die eine mehr als die andere eingenommen hat; aber ob Sie einen Teil der Zeit, die jede eingenommen hat, direkt erfasst haben, scheint weniger gewiss zu sein. Und die Tatsache, dass es unsicher scheint, ob Sie Zeit direkt erfasst haben oder nicht, scheint mir geeignet, um den Einwand zu schwächen, den einige Menschen bei der Annahme haben, ob Raum, der nicht direkt erfasst wird, existieren kann oder ob wir von seiner Existenz wissen können. Wir haben in den vergangenen Vorlesungen gesehen, dass viele Menschen die Meinung vertreten, dass kein Raum existieren kann, außer wenn er direkt erfasst wird oder dass wir zumindest, falls er es tut, nichts von seiner Existenz wissen können. Aber was ist nun mit der Zeit? Ist es nicht eher unsicher, ob Zeit jemals direkt erfasst wird? Und wird man auf dieser Basis bestreiten, dass sie überhaupt existiert oder dass wir von ihrer Existenz wissen können?

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Es ist wahr, dass es einen Unterschied zwischen Zeit und einem Raum gibt, der nicht direkt erfasst wird; dass wir nämlich im Fall der Zeit einige der Dinge direkt erfassen, die sie einnehmen, während es im Fall eines Raums, den wir nicht direkt erfassen, zweifelhaft ist, ob wir jemals eines der Dinge, die ihn einnehmen, direkt erfassen. Aber die bloße Tatsache, dass wir im Fall der Zeit von der Existenz von etwas sicher sein können, nämlich einer Zeitspanne, bezüglich der wir nicht sicher sein können, dass wir sie direkt erfassen, scheint mir die Vermutung zu schwächen, dass wir nicht von der Existenz eines Raums wissen können, außer wenn er direkt erfasst wird. Nun möchte ich im Fall der Zeit wie im Fall des Raums betonen, dass das, was ich mit Zeit meine und über das ich sprechen werde, die Sekunden, Minuten, Stunden und Tage sind, über die wir im Alltagsleben sprechen. Und ich bin nicht sicher, ob ein Teil dieser Zeit von uns jemals direkt erfasst wird. Drei verschiedene Alternativen scheinen mir möglich. Es kann sein, dass es eine direkt erfasste Zeit gibt, die nicht mit der Zeit des Alltagslebens identisch ist, genauso wie es einen direkt erfassten Raum gibt, der nicht mit dem Raum des Alltagslebens identisch ist. Und falls es eine solche Zeit geben sollte, wird das, was ich sagen werde, nicht auf sie zutreffen. Oder es könnte der Fall sein, dass wir die Zeit des Alltagslebens direkt erfassen. Oder es könnte der Fall sein, dass wir überhaupt keine Zeit direkt erfassen. Ich kann mich zwischen diesen drei Alternativen nicht entscheiden. Aber welche auch immer wahr ist, die Zeit, über die ich sprechen werde, ist die Zeit des Alltagslebens – die Sekunden, Minuten, Stunden, Tage und Jahre, über die wir fortlaufend sprechen und von denen wir gewöhnlich annehmen, dass wir so viele verschiedene Propositionen über sie kennen. Über was ich nun folglich sprechen werde, ist der Raum und die Zeit des Alltagslebens; z.€B. der Raum, den es in diesem Moment zwischen hier und Charing Cross gibt und von dem wir glauben, dass er tatsächlich in diesem Moment existiert, obwohl niemand einen Teil von ihm direkt erfasst; und z.€B. die Zeit, die zwischen jetzt und der Schlacht von Waterloo vergangen ist und von der wir glauben, dass sie gewiss vergangen ist, obwohl vielleicht niemand jemals einen Teil von ihr direkt erfasst hat. In Hinblick auf diese beiden Quantitäten – die Länge des Raums zwischen hier und Charing Cross und die Zeitdauer zwischen jetzt und der Schlacht von Waterloo – lassen sich vier verschiedene Dinge mit einiger Glaubwürdigkeit sagen. (1) Es kann hinsichtlich beider gesagt werden, falls sie überhaupt existieren oder existiert haben, dass auch eine unendliche Anzahl anderer Quantitäten existieren oder existiert haben muss, die genau die gleiche Länge bzw. Dauer auf-

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weisen; anders gesagt, dass Raum und Zeit in ihrem Ausmaß unendlich sein müssen. (2) Und es kann gesagt werden, dass beide unendlich teilbar sein müssen. Aber es kann auch mit einer gewissen Glaubwürdigkeit behauptet werden, dass es keine unendliche Anzahl von Quantitäten wie diese geben kann und dass sie nicht unendlich teilbar sein können. Und falls beide Argumente schlüssig sind, dann folgt, dass es keinen Raum zwischen hier und Charing Cross geben kann und dass keine Zeit seit der Schlacht von Waterloo vergangen ist. Dies sind die Argumente, die ich betrachten werde. Betrachten wir zunächst den Fall des unendlichen Ausmaßes. Das letzte Mal präsentierte ich ein Argument Kants, das folgende Proposition beinhaltete: Falls eine Stunde vor dem jetzigen Zeitpunkt vergangen ist, dann muss eine unendliche Anzahl von Stunden vor dem jetzigen Zeitpunkt vergangen sein. Und diese Proposition schließt das allgemeine Prinzip ein, dass vor jeder Zeitdauer, gleichgültig welcher Dauer oder wann sie aufgetreten ist, eine unendliche Anzahl gleicher Zeitdauern vergangen sein muss. Denn es gibt keinen Grund, dies im Hinblick auf Stunden zu behaupten, was nicht genauso auf alle anderen Zeitdauern zutrifft – Minuten, Sekunden oder Jahre. Und es gibt keinen Grund, dies im Hinblick auf die Stunde zu behaupten, die gerade eben vergangen ist, was nicht genauso für alle anderen Stunden gilt. Daher beinhaltet Kants Argument das allgemeine Prinzip, dass vor jeder Zeitdauer eine unendliche Anzahl an gleichen Zeitdauern vergangen sein muss. Und dieses Prinzip kann noch auf ein einfacheres reduziert werden: Vor jeder Zeitdauer muss eine andere, ihr gleiche Zeitdauer vergangen sein. Denn es folgt, falls vor jeder eine gewesen sein muss, dass vor jeder eine unendliche Anzahl gewesen sein muss. Denn wenn man sagt, dass vor jeder Zeitdauer eine andere, ihr gleiche Zeitdauer gewesen sein muss, beinhaltet dies die Proposition, dass z.€B: vor der heutigen Stunde zwischen 12 und 1 es eine andere Stunde gegeben haben muss. Aber natürlich schließt dasselbe Prinzip ein, dass vor dieser zweiten Stunde es eine andere – eine dritte – gegeben haben muss; und es schließt ein, dass es vor dieser dritten eine vierte gegeben haben muss usw. ad infinitum. Daher genügt es zu sagen, dass vor jeder Zeitdauer eine andere, ihr gleiche Zeitdauer vergangen sein muss. Und dies ist gleichbedeutend mit der Aussage, dass vor jeder Zeitdauer eine unendliche Anzahl von ihr gleichen Zeitdauern vergangen sein muss. Dies ist alles, was Kant annimmt. Und natürlich kann ebenso angenommen werden, dass es nach jeder Zeitdauer eine andere, ihr gleiche Zeitdauer geben muss; und es demnach eine unendliche Anzahl geben muss. Das heißt es mag gleichermaßen angenommen werden, dass die Zeit in ihrem Ausmaß in

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beiden Richtungen unendlich ist – in Richtung Vergangenheit und in Richtung Zukunft. Und diese Annahme beinhaltet nur die Prinzipien, dass vor jeder Zeitdauer eine andere, ihr gleiche vergangen sein muss and dass nach jeder Zeitdauer eine andere, ihr gleiche vergangen sein muss. Wie sollen wir über diese beiden Prinzipien urteilen? Sie scheinen mir selbstverständlich zu sein; aber ich gebe zu, dass ich nicht genau weiß, wie ich es erklären soll, dass sie selbstverständlich sind. Vor allem müssen sie so sorgfältig und deutlich wie möglich betrachtet werden, danach muss geprüft werden, ob es nicht scheint, als ob sie wahr sein müssen, und sie sollten mit anderen Propositionen verglichen werden, die gewiss wahr zu sein scheinen. Es muss weiterhin betrachtet werden, ob man bessere Gründe vorbringen kann, um zu behaupten, dass diese anderen Propositionen wahr sind, als zu behaupten, dass diese eine es ist. Betrachten wir z.€B. die Proposition, dass gewiss einige Zeit vergangen ist, seit ich meinen Vortrag heute Abend begonnen habe. Haben Sie einen besseren Grund, dies zu glauben, als zu glauben, dass, falls es so ist, eine ihr gleiche Zeitdauer vor ihr vergangen sein muss? Und dass dies auf jede Zeitdauer zutreffen muss, die jener gleicht, die vergangen ist, seit ich meinen Vortrag begonnen habe? Ich denke nicht, dass Sie einen besseren Grund haben, diese eine Proposition zu glauben, als die andere zu glauben. Neben der Bitte, Fragen wie diese zu berücksichtigen, schlage ich vor, ein Argument zu betrachten, das zugunsten der Proposition verwendet werden könnte, dass diese beiden Prinzipien nicht selbstverständlich sind. Aber bevor ich dies tue, möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf einen anderen Punkt bezüglich dieser Prinzipien lenken – dass nämlich zumindest äußerst einfach und klar zu verstehen ist, ob sie sicher wahr sind oder nicht. Wenn man versteht, was überhaupt mit einer Zeitdauer gemeint ist – eine Stunde, eine Minute oder ein Jahr – ist es sehr einfach, die Proposition zu erkennen und zu verstehen, dass vor und nach jeder Minute zugleich eine andere Minute gewesen ist oder sein wird. Und worauf ich besonders hinweisen möchte, ist, dass, wenn man dies versteht, man versteht, was mit einer unendlichen Zeitdauer gemeint ist. Es gibt keine Unverständlichkeit, Unklarheit oder Mangel an Klarheit bezüglich dieser Vorstellung. Nur die Annahmen zu verstehen, dass es vor jeder Minute eine andere Minute gab, bedeutet die Proposition zu verstehen, dass die Vergangenheit in ihrem Ausmaß unendlich war. Natürlich kann es andere Propositionen geben, die in dieser impliziert sind oder aus ihr hergeleitet werden können, die schwieriger zu verstehen sind. Aber nur diese zu verstehen, bedeutet den Unendlichkeitsbegriff zu verstehen, obwohl viel-

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leicht nicht alles, was in ihm impliziert ist; und sicherlich ist es sehr einfach, zumindest dies zu erkennen und zu verstehen. Das Argument gegen die Ansicht, es sei selbstverständlich, dass vor jeder Minute eine unendliche Reihe anderer Minuten gewesen sein muss, ist eines, das aus einer Analogie zum Raum stammt; und es sollte auch aus anderen Gründen erwähnt werden. Tatsache ist, dass es auch im Fall des Raums zunächst selbstverständlich erscheint, dass, wenn man eine Gerade einer bestimmten Länge – z.€B. von einem Yard – betrachtet, es in beide Richtungen von dem Enden dieser Geraden eine unendliche Anzahl anderer Geraden geben muss, von denen jede ein Yard lang ist und in genau derselben geraden Linie entlangläuft. Aber im Fall des Raums gibt es zwei verschiedene Gründe, dies anzuzweifeln. Zuerst kann aufgrund dessen, dass es vorstellbar ist, eingewandt werden, dass, wenn man vom Ende eines gegebenen Yards ausgeht und sich entlang derselben geraden Linie bewegt, man zu einem gelangen würde, nachdem man eine gewisse endliche Anzahl von Yards passiert hat, nach dem es keinen mehr gibt; dass man einfach das Ende des Raums erreicht. Dies ist die Alternative, die sich wirklich analog zum Fall der Zeit verhält; und es scheint mir, dass es selbstverständlich ist, dass diese Alternative nicht zutrifft. Aber im Fall des Raums gibt es eine andere Alternative. Im Laufe des letzten Jahrhunderts haben Mathematiker angenommen, dass es Linien geben könnte, die wirklich Geraden genannt werden können, die trotzdem die offensichtlich unmögliche Eigenschaft haben, dass, wenn man vom Ende einer von ihnen – ein Yard lang – ausgeht und sich entlang derselben Linie bewegt, man, nachdem man eine endliche Anzahl von Yards passiert hat, zu genau dem Yard zurückkommen würde, bei dem man begonnen hat. Dies erscheint unmöglich; es erscheint offensichtlich, wenn man zur selben Geraden zurückkommen soll, bei der man begonnen hat, dass die Gerade, auf der man sich bewegt, eine Kurve sein muss und keine Gerade. Und die Mathematiker geben zu, wenn der Yard, bei dem man beginnt, eine euklidische Gerade wäre und man sich entlang einer euklidischen Gerade bewegen würde, dass es unmöglich sein würde, jemals zu ihm zurückzukommen. Was sie sagen, ist, dass viele verschiedene Arten von Geraden möglich sind und dass, während einige von ihnen in einer endlichen Anzahl von Yards nicht zu dem Punkt zurückkehren können, an dem sie begonnen haben, es andere doch können. Euklidische Geraden – d.€h. Geraden, die alle Eigenschaften haben, von denen Euklid annahm, dass sie alle Geraden haben müssen, und von denen fast alle Mathematiker bis ins letzte Jahrhundert annahmen, dass alle Geraden sie haben müs-

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sen – können so nicht zurückkehren, noch können es bestimmte Arten von nicht-euklidischen Geraden; aber einige nicht-euklidische Geraden können es. Natürlich kann man sagen, dass keine Geraden außer euklidischen Geraden wirklich überhaupt Geraden genannt werden sollten: Dies ist nur eine Frage der Benennung, und keines der Argumente der Mathematiker kann diese Frage beantworten, noch ist sie sehr wichtig. Was moderne Mathematiker bewiesen haben und was wichtig ist, ist Folgendes. Euklid und fast alle Mathematiker bis ins letzte Jahrhundert nahmen an, dass jede Linie, die eine von bestimmten definierten Eigenschaften hatte, auch die anderen haben muss: Sie meinten mit Gerade eine Linie, die alle diese Eigenschaften hatte; und natürlich ist die Frage, ob man diesen Namen nur Linien gibt, die alle haben, oder auch Linien, die nur einige von ihnen haben, wie ich gesagt habe, eine bloße Frage der Benennung. Aber was moderne Mathematiker bewiesen haben, ist, dass Euklid Unrecht hatte, als er annahm, dass keine Linie eine dieser Eigenschaften haben kann, ohne auch die anderen zu haben. Sie haben bewiesen, dass es einer Linie möglich ist, einige von ihnen zu haben, ohne die anderen zu haben; und dass es daher einer Linie möglich ist, einige Eigenschaften zu haben, von denen Euklid annahm, dass sie für Geraden charakteristisch sind, ohne die Eigenschaft zu haben, aus der hervorgeht, dass eine euklidische Gerade nicht in einer endlichen Anzahl von Yards zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehren kann. Nehmen wir z.€B. die Eigenschaft der kürzesten Strecke zwischen zwei Punkten. Es ist natürlich anzunehmen, dass jede Linie, die die kürzeste Strecke zwischen zwei Punkten ist, eine Gerade sein muss. Aber wenn man den Begriff „Gerade“ auf euklidische Geraden beschränkt – d.€h. auf Geraden, die alle Eigenschaften haben, von denen Euklid annahm, dass sie Geraden haben müssen – dann kann bewiesen werden, so glaube ich, dass eine Linie, die die kürzeste Strecke zwischen zwei Punkten ist, keine Gerade sein muss. Es kann z.€B. bewiesen werden, dass eine Linie, die die kürzeste Strecke zwischen zwei Punkten ist, nach einer endlichen Anzahl von Yards zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrt. Und es gibt bis jetzt noch keinen Grund, warum z.€B. die Linie, die die kürzeste Strecke zwischen hier und Charing Cross darstellt, nicht dieser Art sein sollte. Man kann nicht beweisen, dass es eine euklidische Gerade ist noch eine der nicht-euklidischen Geraden, die auch die Eigenschaft haben, dass sie nicht nach einer endlichen Länge wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehren können. Es könnte möglicherweise eine jener nicht-euklidische Geraden sein, die nach einer endlichen Anzahl von Yards zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehren kann.

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Daher kann es nur sein, wenn die Inches, Feet und Meilen des Alltagslebens euklidische oder eine bestimmte Art nicht-euklidischer Geraden sind, dass es selbstverständlich ist, dass es, beginnend von einer von ihnen, eine unendliche Anzahl von anderen in beiden Richtungen in derselben geraden Linie gibt; und es scheint nicht selbstverständlich noch aus einem anderen Grund gewiss zu sein, dass es euklidische noch nicht-euklidische jener Art sind. Es könnte angenommen werden, dass eine ähnliche Möglichkeit in Bezug auf die Zeit besteht. Es könnte angenommen werden, dass, wenn man, von der soeben vergangenen Stunde ausgehend, die Stunde zwischen 9 und 10 heute Abend, die ihr vorausgegangenen Stunden betrachten sollte, zuerst jene zwischen 8 und 9, dann jene zwischen 7 und 8 usw., man nach einer endlichen Anzahl von Stunden –zweifellos eine sehr große Anzahl – wieder zu dieser Stunde zurückkommen würde, mit der man begonnnen hat. Dies würde der analoge Fall zu dem sein, was wirklich im Fall des Raums, soweit man dies sagen kann, möglich ist, dass nämlich, wenn man, von diesem Fuß ausgehend, alle Feet, die in dieser Richtung in derselben geraden Linie sind, betrachtet, man nach einer endlichen – aber sehr großen – Anzahl wieder zu genau diesem Fuß zurückkehren würde. Aber mir scheint, es gibt einen Unterschied zwischen Raum und Zeit, der es selbstverständlich macht, dass, obwohl es im Fall des Raums möglich ist, die analoge Annahme im Fall der Zeit unmöglich ist. Die Annahme beruht darauf, dass diese Stunde sich selbst – in einem gewissen Abstand – vorausgegangen ist. Aber ich denke, es ist selbstverständlich hinsichtlich einer sehr besonderen Eigenschaft der Zeit, dass diese Annahme die Annahme beinhaltet, dass genau diese Stunde, in der wir jetzt sind, zweimal zu zwei verschiedenen Zeiten existiert haben soll; und dass dies unmöglich ist. Es gibt nichts Analoges im Fall des Raums: Denn anzunehmen, dass es der Fuß selbst ist, obwohl schwierig, beinhaltet gewiss nicht anzunehmen, dass er zweimal existiert – dass er nicht nur hier existiert, sondern auch irgendwo dort drüben. Es ist nun selbstverständlich, denke ich, dass es vor der gegenwärtigen Stunde eine unendliche Anzahl anderer gegeben haben muss und dass es nach der gegenwärtigen Stunde eine unendliche Anzahl anderer geben wird. Und so ist es auch im Fall des Raums selbstverständlich, dass, falls dieser Fuß euklidisch ist, es eine unendliche Anzahl anderer Feet in derselben geraden Linie rechts von ihm geben muss und auch eine unendliche Anzahl anderer Feet in derselben geraden Linie links von ihm: Nur in diesem Fall ist es nicht selbstverständlich, sondern nur plausibel anzunehmen, dass dieser Fuß euklidisch ist.

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Aber ich sagte, glaubwürdige Argumente können gegen beide Annahmen angeführt werden. Es kann behauptet werden, dass alle diese unendlichen Reihen unmöglich sind. Was besagen diese Argumente? Das letzte Mal habe ich eines vorgestellt. Kant nämlich scheint es als selbstverständlich angesehen zu haben, dass eine unendliche Anzahl von Stunden nicht vor dem jetzigen Zeitpunkt vergangen sein kann. Aber es ist wichtig zu beachten, dass dieses Argument Kants nur auf diesen einen Fall eines unendlichen Ausmaßes zutrifft. Es trifft auf keinen der anderen drei zu. Er behauptete nicht, es sei selbstverständlich, dass es nicht wahr sein kann, dass eine unendliche Reihe von Stunden zukünftig vergehen wird, noch dass es selbstverständlich sei, dass es keine unendliche Anzahl an Feet an beiden Seiten dieses Fußes geben kann. Die einzige Schwierigkeit, die er tatsächlich zu sehen scheint, ist, wie eine vollkommen unendliche Reihe verschiedener Einheiten überschritten werden konnte oder vor einer gegebenen Zeit zu einem Ende gelangt sein konnte. Daher scheint dies nicht auf ein unendliches Ausmaß zukünftiger Zeit zuzutreffen, da es keinen Grund gibt anzunehmen, dass sie jemals überschritten oder jemals zu einem Ende gelangen wird; und es würde nur auf ein unendliches Ausmaß des Raums zutreffen, wenn es einen Grund gäbe anzunehmen, dass ein Körper zu einer gegebenen Zeit sich über ein unendliches Ausmaß von Raum bewegt hätte. Folglich sind die einzigen Fälle, auf die es gewiss zutrifft, neben dem der vergangenen Zeit, jene, in denen die Frage gestellt wird, was innerhalb einer Stunde geschieht, vorausgesetzt, dass sie unendlich teilbar ist, und was geschieht, wenn ein Körper sich einen Yard bewegt, vorausgesetzt, dass dieser unendlich teilbar ist. Soweit es nun das, was ich unendliches Ausmaß genannt habe, angeht, trifft Kants Argument nur auf die Annahme gegen ein unendliches Ausmaß vergangener Zeit zu. Und ich denke, dass es in diesem Fall etwas Außergewöhnliches gibt, was nicht auf die anderen drei Fälle zutrifft. Nur die Sache ist deutlich genug, so scheint mir, um uns in die Lage zu versetzen zu behaupten, wie Kant es tut, dass es wirklich unmöglich ist, dass eine unendliche Reihe von Stunden vor dem jetzigen Zeitpunkt vergangen sein soll. Aber ich komme nun zu einem Argument, das sich gegen die Möglichkeit eines unendlichen Ausmaßes richtet, das auf alle vier Fälle gleichermaßen zutrifft und auch auf jede andere unendliche Reihe. Es wird behauptet, dass es im Fall einer unendlichen Reihe genau dieselbe Anzahl von Termen – damit sind die Einheiten gemeint, aus denen die Reihe aufgebaut ist – in einem bloßen Teil der ganzen Reihe wie in der ganzen Reihe selbst geben muss; kurz gesagt, es ist charakteristisch für jede unendliche Reihe, dass,

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wenn man von ihr einige Terme, aus denen sie besteht, abzieht, es noch genauso viele Terme wie vorher geben wird. Nehmen wir z.€B. an, dass eine unendliche Reihe von Stunden vor 9 Uhr heute Abend vergangen ist. Es wird folglich angenommen, dass genauso viele Stunden vor 8 Uhr vergangen sein müssen, dass die Anzahl der Stunden, die vor 8 Uhr vergangen ist, genau dieselbe sein muss wie die, die vor 9 Uhr vergangen sein muss; obwohl um 9 Uhr eine Stunde hinzugekommen ist. Dies wird teilweise aufgrund dessen behauptet, dass, wenn man die Reihe der Stunden vor 8 Uhr mit der gesamten Reihe der Stunden vor 9 Uhr vergleicht, man erkennt, dass es zu jeder unterschiedlichen Stunde dieser Reihe eine entsprechende unterschiedliche Stunde jener Reihe geben muss; eine Entsprechung, die durch die Aussage ausgedrückt wird, dass es eine Eins-zu-eins-Korrelation zwischen den beiden Reihen gibt – dass es zu jedem Term in der einen Reihe einen und nur einen entsprechenden Term in der anderen gibt. Und warum dies vertreten wird, kann verdeutlicht werden, wenn man die Zahlenreihe 1, 2, 3, 4, 5 usw. betrachtet. Jede von ihnen wird durch die Zugabe von 1 zu der vorherigen Zahl gebildet. Dies Reihe ist offensichtlich eine unendliche Reihe: Welche Zahl man auch immer nimmt, eine neue und unterschiedliche Zahl kann durch die Zugabe von 1 zu ihr gebildet werden; oder anders gesagt, nach jeder Zahl in dieser Reihe gibt es eine andere Zahl. Aber nun vergleichen Sie die Zahlreihe, die bei 1 beginnt, mit der Reihe, die bei 2 beginnt. Die Reihe, die bei 2 beginnt, ist offensichtlich auch unendlich. Nehmen wir an, wir schreiben in eine Zeile 1, 2, 3, 4, 5 usw. und dann schreiben wir 2 unter 1, 3 unter 2 usw. Es wird behauptet, dass auf diese Art zu jeder Zahl, die in der oberen Reihe hinzugefügt werden kann, eine entsprechende, andere Zahl in der unteren Zeile hinzugefügt werden kann; dass es daher eine Entsprechung zwischen jeder Zahl der gesamten Reihe, die bei 1 beginnt, und einer unterschiedlichen Zahl in der Reihe, die bei 2 beginnt, gibt; oder anders ausgedrückt, eine Eins-zu-eins-Korrelation zwischen zwei Reihen. Und dies bedeutet, dass es genau dieselbe Anzahl von Termen in beiden Reihen gibt, obwohl es einen Term in der oberen Reihe gibt – die Zahl 1 – die in der unteren Reihe nicht auftritt. Dieses Ergebnis scheint paradox genug, doch daraus folgen sehr viele weitere, noch paradoxere Ergebnisse. Nehmen wir z.€B. an, wir vergleichen die gesamte Reihe 1, 2, 3, 4, 5 usw. mit der Reihe der geraden Zahlen 2, 4, 6, 8, 10 usw. Auch diese Reihe der geraden Zahlen ist offensichtlich unendlich und hat, so wird behauptet, genau dieselbe Anzahl von Termen wie die gesamte Reihe. Und es gibt offensichtlich genauso guten Grund anzunehmen, dass es zwischen diesen beiden Reihen eine Eins-zu-

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eins-Korrelation gibt wie zwischen den beiden anderen. Aber die Reihe der geraden Zahlen wird dadurch gebildet, indem man von der gesamten Reihe alle ungeraden Zahlen – 1, 3, 5, 7 usw. – eins abzieht. Und diese Reihe der ungeraden Zahlen ist selbst eine unendliche Reihe. Daher folgt, selbst wenn man von der gesamten Reihe eine unendliche Zahl von Termen – nämlich alle ungeraden Zahlen – abzieht, dass genauso viele übrigbleiben, wie zuvor dagewesen sind. Betrachten wir nun wieder den Fall der Zeit. Wenn eine unendliche Anzahl von Jahren vor dem jetzigen Zeitpunkt vergangen ist, so muss auch eine unendliche Anzahl von Zeitspannen von jeweils einer Million Jahren vergangen sein. Und es muss genau dieselbe Anzahl von Perioden von einer Million Jahren gegeben haben wie die Anzahl von einzelnen Jahren. Aber betrachten wir das erste Jahr in einer Zeitspanne von einer Million Jahren. Offensichtlich muss es genauso viele von ihnen gegeben haben, wie es Zeitspannen von einer Million Jahren gegeben hat. Aber offensichtlich muss es eine Million Mal mehr einzelne Jahre gegeben haben als jene Jahre, die das erste Jahr einer unterschiedlichen Zeitspanne von einer Million Jahren gewesen sind. Aber dennoch, so wird behauptet, muss es genau dieselbe Anzahl einzelner Jahre – wie diese ersten Jahre – gegeben haben, obwohl es auch eine Million Mal mehr gegeben haben muss. Anders gesagt, selbst wenn man eine unendliche Anzahl mit einer Million multipliziert, macht dies keinen Unterschied: Das Produkt ist genau dieselbe Anzahl, die man vorher hatte, bevor sie multipliziert worden ist. Diese Ergebnisse und viele ähnliche, die auch folgen, sind gewiss sehr paradox. Und doch scheinen sie alle zu folgen, wenn man einmal zugegeben hat, dass es eine Eins-zu-eins-Korrelation zwischen der unendlichen Reihe der ganzen Zahlen, die bei 1 beginnt, und jener, die bei 2 beginnt, gibt. Wenn es wirklich eine Eins-zu-eins-Korrelation zwischen diesen beiden Reihen gibt – d.€h. falls jedem Term in der einen Reihe ein unterschiedlicher Term in der zweiten entspricht – dann scheint gewiss zu folgen, dass es auch in allen anderen Fällen eine Eins-zu-eins-Korrelation gibt. Und es scheint selbstverständlich zu sein, dass eine Eins-zu-eins-Korrelation zwischen diesen beiden Reihen besteht. Aber zugleich erscheint es mir nicht vollkommen klar zu sein, dass dies selbstverständlich ist und dass folglich, falls eine unendliche Reihe überhaupt existiert, eine Eins-zu-eins-Korrelation zwischen der gesamten Reihe und einem bloßen Teil von ihr bestehen muss. Aber, vorausgesetzt, dass diese paradoxen Ergebnisse aus der Annahme hervorgehen, dass es eine unendliche Reihe von Stunden gegeben hat oder geben wird oder dass es eine unendliche Reihe von Meilen gibt, folgt nun,

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dass es unmöglich ist, dass es eine solche unendliche Reihe geben sollte? Russell ist ebenso sehr bedacht zu behaupten, während er darauf besteht, dass diese paradoxen Ergebnisse aus der Annahme einer unendlichen Reihe folgen, dass sie kein Argument gegen die Existenz unendlicher Reihen darstellen; dass nichtsdestotrotz unendliche Reihen durchaus möglich sind. Er sagt, dass der Grund, warum wir es als unmöglich erachten, dass eine unendliche Ansammlung dieselbe Anzahl von Termen haben sollte wie ein Teil von ihr selbst – folgender ist: Wir sind es nur gewohnt, endliche Anzahlen zu betrachten, sodass wir annehmen, dass das, was auf endliche Anzahlen zutrifft, auch auf unendliche Anzahlen zutreffen muss. Und es trifft selbstverständlich auf jede endliche Anzahl von Dingen zu, dass, wenn man eine oder irgendeine andere Zahl wegnimmt, die Anzahl der übrigbleibenden Dinge nicht dieselbe sein kann, wie sie vorher war. Und ich denke, ihm ist es geglückt zu zeigen, dass es keinen eindeutigen Widerspruch gibt anzunehmen, dass vor 8 Uhr heute Abend genau dieselbe Anzahl von Stunden vergangen sein kann wie die Anzahl von Stunden, die vor 9 Uhr vergangen sind, selbst wenn jene, die vor 8 Uhr vergangen sind, nur ein Teil jener sein können, die vor 9 Uhr vergangen sind. Aber mir scheint es eine Schwierigkeit bei der Annahme zu geben, dass es so ist. Und diese Schwierigkeit, die laut ihm gleichermaßen in allen Fällen von unendlichen Reihen auftritt, falls sie überhaupt auftritt, scheint mir doch zumindest so groß wie jene, die laut Kant nur im Fall einer bestimmten Art von unendlichen Reihen auftritt. Aber trotzdem sind wir in keinem dieser Fälle berechtigt zu schließen, dass eine unendliche Reihe der entsprechenden Art unmöglich ist. Ich möchte nun etwas über unendliche Teilbarkeit sagen; obwohl ich das, was ich darüber sagen wollte, sehr kurz fassen muss. Der Hauptgrund, sorgfältig zwischen der Frage der unendlichen Teilbarkeit von Raum und Zeit und jener ihres unendlichen Ausmaßes zu unterscheiden, ist, dass es einen sehr großen Unterschied zwischen den Gründen gibt, die wir für die Annahme haben, dass sie unendlich teilbar sind, und jenen, die wir für die Annahme haben, dass sie in ihrem Ausmaß unendlich sind. Soweit es unsere Gründe für die Annahme betrifft, dass sie in ihrem Ausmaß unendlich sind, scheint der Grund zu sein, dass es selbstverständlich ist, dass sie so sind; und soweit mir bekannt ist, gibt es keinen anderen Grund. Aber es scheint mir überhaupt nicht selbstverständlich zu sein, dass sie unendlich teilbar sein müssen; und ich denke, wir haben Gründe einer anderen Art für die Annahme, dass sie so sind.

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Es gibt zwei verschiedene Bedeutungen, in denen wir behaupten können, dass ein Yard oder eine Stunde unendlich teilbar sind – zwei verschiedene Bedeutungen, die, denke ich, leicht verwechselt werden können. Es kann gemeint sein, dass (1) jeder Yard und jede Stunde in eine unendliche Anzahl von Teilen geteilt werden kann, von diesen jeder ebenso teilbar ist, sodass es darin eine unendliche Anzahl von teilbaren Teilen gibt. Oder es kann gemeint sein, dass (2) jeder von ihnen in eine unendliche Anzahl von unteilbaren Elementen geteilt werden kann – unteilbare Punkte im Fall des Raums, unteilbare Augenblicke im Fall der Zeit. Ich denke, es wird im Allgemeinen angenommen, dass jeder Yard und jede Minute in beiden Bedeutungen unendlich teilbar ist; d.€h. sie beinhalten eine unendliche Anzahl teilbare Teile und auch eine unendliche Anzahl unteilbarer Teile zugleich. Und soweit ich sehen kann, gibt es keinen Grund, warum nicht beide Dinge wahr sein sollten, wenn jedes wahr sein kann. Ich erwähne diesen Punkt, weil Kant annimmt, dass es selbstverständlich ist, dass jeder endliche Raum in eine unendliche Anzahl von teilbaren Teilen geteilt werden kann, und dies als Grund angibt, um anzunehmen, dass er keine unteilbaren Teile haben kann. Er behandelt die Proposition, dass er eine unendliche Anzahl teilbarer Teile hat, als widersprüchlich zu der Proposition, dass er keine unteilbaren Teilen hat; wobei es weder einen Grund gibt anzunehmen, dass sie überhaupt widersprüchlich sind, noch einen Grund anzunehmen, dass die erste Proposition selbstverständlich ist. Aber was haben wir nun für Gründe anzunehmen, dass Yards und Minuten in beiden Bedeutungen unendlich teilbar sind? Es scheint mir, dass der stärkste Grund in beiden Fällen derselbe und gleichermaßen gewichtig ist. Dass nämlich in der angewandten Mathematik angenommen wird, dass Raum und Zeit in beiden Bedeutungen unendlich teilbar sind; Schlussfolgerungen werden aus der Annahme hergeleitet, dass sie es sind und die Erfahrung diese Annahme bestätigt, soweit man etwas bestätigen kann; da es sich tatsächlich ergibt, dass die Ereignisse, die geschehen würden, wenn die Annahme richtig wäre, tatsächlich geschehen. Anders gesagt, die Anwendung mathematischer Propositionen, in der Physik ermöglicht es uns, in unglaublich vielen Fällen zukünftige Ereignisse korrekt vorauszusagen; und das allgemeine Argument besagt, dass es sehr unwahrscheinlich wäre, dass diese Vorhersagen in so vielen Fällen tatsächlich zutreffen, wenn die Annahmen, aus denen sie hergeleitet sind, falsch wären. Aber was sind nun die Gründe für die Annahme, dass kein Yard und keine Minute unendlich teilbar sein kann?

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Es ist offensichtlich, dass all diese paradoxen Ergebnisse, von denen, wie wir gesehen haben, angenommen wird, dass sie aus der Annahme einer unendlichen Reihe folgen, aus dieser Annahme folgen werden, falls sie überhaupt folgen. Wir werden z.€B. annehmen müssen, dass jeder Yard aus einer unendlichen Anzahl teilbarer Teile besteht, die von der Art sind, dass, wenn man einen von ihnen abzieht, es genauso viele wie zuvor geben wird. Wir werden annehmen müssen, dass ein Inch aus genauso vielen teilbaren Teilen besteht wie eine Million Meilen – und auch aus genauso vielen unteilbaren Teilen. Und wir werden ebenso annehmen müssen, dass eine Sekunde genauso viele teilbare Teile wie tausend Jahre enthält – und auch genauso viele unteilbare Teile; und auch dass man von beiden Ansammlungen von Teilen eine unendliche Anzahl abziehen kann und doch genauso viele, wie es zuvor waren, übrigbleiben. Und es folgt auch, dass die spezielle Schwierigkeit, von der Kant annahm, dass sie im Fall eines unendlichen Ausmaßes vergangener Zeit existiert, auch auf die Annahme zutrifft, dass ein Körper sich über irgendeine Raumlänge hin bewegen kann – einen Inch, einen Yard oder eine Meile – und ebenso auf die Annahme, dass jede Zeitdauer unendlich teilbar ist. Denn vorausgesetzt, dass ein Körper sich von einem Ende eines Inchs zum andern bewegt, so wird er, falls der Inch in beiden Bedeutungen unendlich teilbar ist, eine unendliche Anzahl von teilbaren Teilen und auch eine unendliche Anzahl von unteilbaren Teilen passiert haben; und dieses, dass etwas jemals an das Ende einer unendlichen Reihe gelangen sollte, ist genau das, was Kant als unmöglich erklärt. Das Gleiche gilt, wenn zwischen 8 und 9 Uhr heute Abend eine unendliche Anzahl teilbarer Zeitdauern und auch eine unendliche Anzahl unteilbarer Augenblicke vergangen sein müssen; und dass die Zeit überhaupt jemals 9 Uhr erreichen kann, wenn sie zuvor eine unendliche Reihe passieren muss, ist genau das, was Kant als unmöglich erklärt. Ich selbst weiß nicht genau, welcher Schluss aus all diesen Argumenten gezogen werden sollte. Sie sind ein exzellentes Beispiel für die Art, in der philosophische Argumente Dinge ungewiss erscheinen lassen, die zuerst äußerst gewiss erschienen sind. Aber mir scheint, dass wir kein Recht haben, die eindeutige Schlussfolgerung zu ziehen, wie es einige Philosophen getan haben, dass es keine Dinge wie Inches, Feet, Yards und Meilen oder Sekunden, Minuten, Stunden und Jahre gibt.

Kapitel 11 Ist die Zeit real?

I

ch habe den Versuch unternommen, zwei verschiedene Auffassungen zu unterscheiden, die einige Philosophen über die Zeit vertreten haben. Die erste Auffassung möchte ich in etwa wie folgt wiedergeben. Sie besagt, dass es wirklich kein solches Ding wie Zeit gibt; dass überhaupt nichts wirklich innerhalb der Zeit existiert oder geschieht; und dass, falls daher jemand glaubt, dass alles, was jemals vor oder nach etwas anderem geschieht, oder dass zwei Ereignisse jemals gleichzeitig geschehen sind oder dass irgendein Ding jemals länger als ein anderes gedauert hat oder dass etwas in der Vergangenheit existiert hat oder jetzt existiert oder in der Zukunft existieren wird, diese Person einfach einen Fehler macht, weil tatsächlich alle solche Annahmen falsch sind. Diese äußerst paradoxe Auffassung war eine der beiden Ansichten, von denen ich sagte, dass ich dachte, dass sie bezüglich der Zeit vertreten worden sind. Und die andere unterschied sich davon sehr. Diese zweite Ansicht behauptet, dass es ein solches Ding wie Zeit gibt und dass sehr, sehr viele Dinge in ihr existieren, aber sie erklärt, dass alle Dinge, die jemals in der Zeit existieren und vielleicht sogar die Zeit selbst, in einem gewissen Sinn bloße Erscheinungen sind – Erscheinungen von etwas anderem, das nicht in der Zeit existiert – etwas, das daher nicht in der Vergangenheit existierte, jetzt nicht existiert und in der Zukunft nicht existieren wird, aber das doch existiert oder real ist – „zeitlos“ existiert oder real ist, um eine Redewendung zu gebrauchen, die Philosophen erfunden haben, um diese Idee auszudrücken. Diese beiden Ansichten zeigen eine sehr eigenartige Sichtweise des Universums, und von beiden könnte gesagt werden, denke ich, dass sie dem gesunden Menschenverstand widersprechen. Die erste tut dies ganz offensichtlich, und ich denke nicht, dass jemand dies anzweifelt. Und auch von der zweiten kann dies behauptet werden, da wir es sehr schwierig finden, uns vorzustellen, wie von etwas gesagt werden kann, dass es wirklich existiert oder real ist, wenn es weder jetzt existiert noch jemals in der Vergangenheit existiert hat noch in der Zukunft existieren wird: Der Begriff der zeitlosen Existenz ist gewiss sehr schwierig zu erfassen. Wir scheinen geneigt zu sagen, dass, was auch immer existiert, zu einer Zeit existieren muss. Und ich bin überhaupt nicht sicher, ob wir nicht Recht haben sollten,

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wenn wir dies behaupten. Aber nichtsdestotrotz gibt es einen sehr großen Unterschied zwischen den beiden Ansichten hinsichtlich des Grades, mit dem sie dem gesunden Menschenverstand widersprechen. Es ist nur die erste, die ganz offensichtlich und rundweg einer ungemein großen Menge unserer allgemeinen Auffassungen widerspricht. Wir glauben fortwährend (und selbst wenn wir dies sagen, dass wir fortwährend glauben, setze ich natürlich voraus, dass Dinge in der Zeit geschehen – aber ich denke doch, dass ich sagen kann, wir glauben fortwährend), dass bestimmte Dinge vor anderen geschehen und dass einige Dinge vergangen sind und andere gegenwärtig. Und alle diese Auffassungen müssen falsch sein, wenn die erste Ansicht wahr ist. Aber hier unterscheidet sich die zweite Ansicht. Unsere allgemeinen Auffassungen widersprechen ihr keineswegs. Denn sie implizieren offensichtlich nur, dass ungemein viele Dinge tatsächlich in der Zeit existieren. Und dies könnte natürlich durchaus der Fall sein, selbst wenn es auch einige andere sehr wichtige Realitäten gibt, die nicht in der Zeit existieren. Daher ist es nur die erste Ansicht, die ich als widersprüchlich zum gesunden Menschenverstand behandelt habe. Und die Frage, ob diese erste Ansicht wahr ist oder nicht, scheint mir sehr viel wichtiger zu sein als die bloße Frage, ob neben den Dingen, die tatsächlich in der Zeit existieren, es nicht auch andere gibt, die es nicht tun. Der Unterschied zwischen dem, wie das Universum sein muss, wenn überhaupt nichts zu keiner Zeit existiert, und dem, wie es sein muss, wenn, wie wir für gewöhnlich annehmen, ungemein viele Dinge temporale Beziehungen zueinander haben oder gehabt haben, ist sicherlich sehr viel größer als der bloße Unterschied zwischen der Annahme, dass alles, was überhaupt existiert, in der Zeit existiert, und der Annahme, dass, obwohl viele es tun, es einige gibt, die es nicht tun. Daher scheint mir die Frage, ob es wahr ist oder nicht, dass eine ungemein große Anzahl verschiedener Dinge im Universum temporale Beziehungen zueinander haben, die bei weitem wichtigste Frage zu sein, die bezüglich der Beziehung von Zeit und Universum gestellt werden kann. Und sie scheint mit tatsächlich auch eine der wichtigsten Fragen, die überhaupt über das Universum gestellt werden können. Natürlich ist sie nur in dem besonderen Sinn wichtig, den ich in meiner ersten Vorlesung erklärt habe: Sie ist nur wichtig, wenn wir wissen wollen, was die Eigenschaften sind, die das Universum, wie es ist, am stärksten von anderen vorstellbaren Universen unterscheidet. Falls wir dies wissen möchten, dann ist die Tatsache, falls es eine Tatsache ist, dass so viele Dinge in der Zeit existieren, eine der Tatsachen über das Universum, die am meisten Aufmerksamkeit verdienen. Aber soweit ich sehen kann, ist die

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Frage, ob dies so ist oder nicht, eine Frage fast ohne praktische Bedeutung. Falls es tatsächlich wahr wäre, dass nichts in der Zeit existiert, könnte eigentlich gar nichts irgendeine praktische Bedeutung haben. Denn das, was wir meinen, wenn wir sagen, dass ein Ding eine praktische Bedeutung hat, ist, dass es Ergebnisse in der Zukunft hat, die wichtig sind. Und falls es keine Zeit gibt, kann offensichtlich nichts Ergebnisse irgendeiner Art, gut oder schlecht, haben. Wenn daher jene Philosophen, die behaupten, dass es kein solches Ding wie Zeit gibt, Recht hätten, würde die Frage, ob sie Recht haben oder nicht, nicht weniger praktische Bedeutung haben als jede andere Frage. Sie würde nicht geringer sein, weil ausnahmslos alle Fragen gänzlich ohne praktische Bedeutung wären. Aber wenn wir die Ansicht des gesunden Menschenverstands nehmen und voraussetzen, dass es ein solches Ding wie Zeit gibt und dass folglich einige Fragen praktische Bedeutung haben, dann müssen wir zugeben, denke ich, dass diese spezielle Frage kaum eine hat. Es ist zweifellos ungemein wichtig, dass wir alle Annahmen hinsichtlich der temporalen Beziehungen spezieller Dinge haben sollten. Eine Vielzahl unserer Handlungen wird durch solche Annahmen geleitet. Sodass, falls die Aneignung des philosophischen Bekenntnisses, dass es kein solches Ding wie Zeit gibt, uns dazu veranlasst, alle derartigen Annahmen im Alltagsleben aufzugeben, es von ungemeiner praktischer Bedeutung sein würde, welches Bekenntnis wir bezüglich dieses Punktes uns aneignen würden. Aber ich denke, es besteht keine Gefahr, dass ein Philosoph, wie ernsthaft er sich auch die philosophische Meinung, dass es kein solches Ding wie Zeit gibt, aneignen könnte, jemals fähig sein wird, sich spezieller Annahmen zu entledigen, die dieser Meinung widersprechen. Er wird weiterhin hinsichtlich bestimmter Dinge genauso fest und oft wie wir glauben, dass einige von ihnen vor anderen existieren, dass einige aufgehört haben zu existieren und andere noch nicht existieren und dass die Zeitperioden zwischen bestimmten Ereignissen sich in der Dauer unterscheiden. Daher werden seine Handlung nur in einem sehr geringen Maße, falls überhaupt, durch seine Meinung zu dieser Frage beeinflusst werden. Daher behaupte ich nicht, dass die Frage irgendeine praktische Bedeutung hat. Und es gibt auch noch einen anderen Grund, der vorgebracht werden könnte, um ihre Bedeutung anzuzweifeln. Es kann gesagt werden, dass sie eine gänzlich unwichtige Frage ist und es reine Zeitverschwendung ist, sie zu diskutieren, weil es so gewiss ist, welche Antwort die richtige ist – so vollkommen gewiss, dass Dinge tatsächlich in der Zeit existieren. Und ich gebe zu, ich denke, dass dies sehr sicher ist; und ich gebe auch zu, wenn ich denken würde, dass jeder über ihre Gewissheit

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einig wäre, dass ich es wahrscheinlich nicht als lohnend erachten sollte, ihr viel Beachtung zu schenken. Aber wie gewiss es auch sein mag, allein die Tatsache, sollte es eine Tatsache sein, dass Leute sich in dieser Frage nicht einig sind, macht einen Unterschied aus. Ich gebe zu, ich denke, dass keine philosophische Meinung, die von irgendjemand vertreten wird, wie absurd sie auch erscheinen und wie falsch sie auch sein mag, einer Beachtung völlig unwürdig ist. Die bloße Tatsache, dass sie vertreten wird – dass jemand fest von ihrer Wahrheit überzeugt ist – scheint mir eine Berechtigung zu sein, sie zu betrachten. Es gibt wahrscheinlich in all solchen Fällen zumindest eine gewisse Schwierigkeit in der Sache, sonst würde niemand diese Meinung vertreten. Und wie ich sagte, kann ich nicht umhin zu vermuten, obwohl ich nicht ganz sicher bin, dass einige Philosophen – und zwar solche Philosophen, von denen es unmöglich ist, sie nicht zu respektieren – wirklich der Ansicht sind, dass nichts in der Zeit existiert. Die bloße Vermutung, dass dies so ist, verbunden mit der Tatsache, dass es ein so ungemein großer Unterschied hinsichtlich des Universums ist, ob Dinge in der Zeit existieren oder nicht, scheint mir ein ausreichender Grund zu sein, dieser Frage Beachtung zu schenken. Und so möchte ich sie noch ein wenig ausführlicher besprechen. Aber was ich tun möchte, ist nicht so sehr zugunsten meiner Ansicht bezüglich der Frage zu argumentieren, als zu versuchen, in einigen Punkten deutlicher zu definieren, worin genau die Frage besteht. Es gibt zweifelsohne tatsächlich Philosophen, die sehr entschieden sagen, dass Zeit irreal ist oder dass Zeit nicht real ist. Und man könnte denken, dass die Bedeutung solcher Wörter deutlich genug ist. Man könnte denken, dass jeder, der dies sagt, meinen muss, dass, wenn wir glauben, dass ein Ding aufgehört hat zu existieren, bevor ein anderes begonnen hat zu existieren, oder dass ein Ding länger andauert als ein anderes, wir Unrecht haben. Aber ich denke, es gibt einigen Grund, anzuzweifeln, ob sie dies tatsächlich immer meinen. Man könnte sagen, falls sie es nicht meinen, dass dann das, was sie meinen, wenn sie sagen, dass Zeit irreal ist, nicht etwas annähernd so Wichtiges sein kann, wie es wäre, falls sie es so meinten. Und ich denke, dies ist so. Aber die Tatsache bleibt bestehen, dass sie gewiss denken, dass das, was sie meinen, wenn sie sagen, dass die Zeit irreal ist, etwas ungemein Wichtiges ist. Das Hauptproblem der Philosophie scheint für sie die Klärung zu sein, welche Dinge in genau dem Sinn real sind, in dem sie sagen, dass die Zeit nicht real ist. Es scheint mir nun, dass es in jedem Fall sehr wichtig ist zu versuchen, genau herauszufinden, was sie meinen, ob sie die Behauptung „Zeit ist irreal“ in einem Sinn verstanden wissen wollen, der dem gesunden

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Menschenverstand widerspricht oder nicht. Falls sie dem gesunden Menschenverstand widersprechen wollen, dann ist ihre Auffassung in dem Sinn sehr wichtig, den ich dargelegt habe. Aber wenn sie dies nicht tun, dann implizieren sie, dass es eine andere Frage gibt, die hinsichtlich der Zeit gestellt werden kann – eine Frage von höchster Bedeutung, über die ich bisher noch nichts gesagt habe. Wenn es eine solche Frage gibt, lohnt es sich gewiss herauszufinden, worin sie besteht. Daher möchte ich die Frage betrachten, was diese Philosophen meinen, wenn sie sagen, dass Zeit irreal ist. Und dies ist eine Frage, die sich nicht nur auf die Zeit allein auswirkt. Wir können kaum eine Ansicht über das Universum äußern, ohne die Ausdrücke „Dieses und jenes ist real“ oder „nicht real“ oder andere Ausdrücke zu benutzen, die wir normalerweise verwenden würden, um genau dieselbe Idee auszudrücken; „dieses oder jenes ist eine Tatsache“ oder „keine Tatsache“, „dieses oder jenes existiert“ oder „existiert nicht“, „dieses oder jenes ist“ oder „ist nicht“, „dieses oder jenes ist wahr“ oder „nicht wahr“. Ich habe diese Ausdrücke während dieser Vorlesungen fortlaufend bei allem, was ich gesagt habe, verwendet und angenommen, dass Sie sie verstehen würden. Aber wenn wir die Frage bezüglich dessen stellen, was diese Ausdrücke meinen, werden wir sehen, dass es einige Zweifel gibt und dass es nicht ganz einfach darzustellen ist. Die Frage danach, was diese Ausdrücke bedeuten – was mit Wörtern wie „real“, „existiert“, „ist“, „ist eine Tatsache“, „ist wahr“ gemeint ist – ist eigentlich nicht relevant für die bei weitem wichtigeren Fragen danach, welche Dinge diese Eigenschaften haben – welche Dinge real sind, existieren, ein Sein haben, Tatsachen oder wahr sind. Wir können z.€B. alle verstehen, was mit folgender Behauptung gemeint ist: „Keine Person wie Waverley, Scotts Romanheld, hat jemals wirklich existiert – Waverley war keine reale Person.“ Und wir können auch sicher sein, dass eine solche Behauptung wahr ist, selbst wenn wir nicht genau sagen können, was wir mit diesen Ausdrücken – „wirklichen existiert“, „real“, „ist wahr“ – meinen, die wir benutzen, um die Behauptung zu formulieren. Zu sagen, dass es schwierig ist, sicher zu sein, was diese Ausdrücke bedeuten, was, so denke ich, wahr ist, impliziert daher nicht, dass wir die Bedeutung der Sätze, in denen sie auftreten, nicht ganz leicht verstehen können und ganz sicher sein können, dass einige dieser Sätze wahr sind und andere falsch. Wir können beide Dinge tun, ohne in einem gewissen Sinn genau zu wissen, was diese Wörter bedeuten. Denn zu wissen, was sie bedeuten, heißt oftmals nicht nur, die Sätze, in denen sie vorkommen, zu verstehen, sondern auch fähig sein, sie zu analysieren oder gewisse Wahrheiten über sie zu kennen – z.€B. zu wissen,

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wie die Vorstellungen, die sie wiedergeben, mit anderen Vorstellungen verbunden sind oder sich von ihnen unterscheiden. Und offenbar können wir mit der Vorstellung selbst sehr vertraut sein; sie kann uns ganz einfach durch ein Wort vermittelt werden, selbst wenn wir es nicht analysieren oder sagen können, wie sie mit anderen Vorstellungen verbunden ist oder sich von ihnen unterscheidet. Daher können wir in einem gewissen Sinn sehr wohl wissen, was ein Wort bedeutet, während wir zugleich in einem anderen Sinn nicht wissen können, was es bedeutet. Wir können mit der Vorstellung, die es vermittelt, sehr vertraut sein und Sätze, in den es auftritt, verstehen, obwohl wir zugleich nicht fähig sind, es zu definieren. Ein sehr gutes Beispiel hierfür wird durch die Wörter „Leben“, „lebendig“ veranschaulicht. Wen gibt es schon, der nicht weiß, was es zu sagen bedeutet, dass einige Menschen lebendig sind und andere tot, und somit klar befähigt ist, in ungemein vielen Fällen mit Sicherheit zu sagen, dass einige Menschen lebendig sind und andere Menschen tot sind? Aber wenn man versucht, die Bedeutung des Wortes „Leben“ ganz allgemein zu definieren – den Unterschied zwischen Leben und Tod aufzuzeigen, der in allen Fällen zutrifft, in denen wir sagen, dass ein Ding lebendig ist und eine anderes tot, wird man es gewiss als äußerst schwierig erachten. Dieselbe Person, die sehr wohl weiß, dass ein bestimmter Mensch lebendig ist und ein anderer tot, kann doch ganz unfähig sein, genau zu sagen, welche Eigenschaften es gibt, die einem lebenden Menschen zukommen und allen anderen lebenden Dingen – eine lebende Pflanze, eine lebende Zelle, ein lebender Bazillus – und die zugleich nicht zu einem toten Menschen oder etwas, das nicht lebt, gehören. Es scheint mir, dass wir auf dieselbe Weise normalerweise sehr gut die Bedeutungen dieser sehr viel grundlegenderen Begriffe verstehen wie „real“, „existiert“, „ist“, „ist eine Tatsache“, „ist wahr“ und wir durchaus in der Lage sind, in Tausenden von Fällen zu entscheiden, ob die Sätze, in denen diese Begriffe auftreten, wahr oder falsch sind, selbst wenn wir ihre Bedeutung in dem Sinn nicht kennen, dass wir nicht fähig sind, sie zu definieren. Und darum sage ich, dass die Frage bezüglich der Definition dieser Wörter für die viel wichtigere Frage, welche Sätze, in denen sie auftreten, wahr oder falsch sind, nicht im logischen Sinn relevant ist. Aber ein großer Teil philosophischer Diskussion beruht tatsächlich auf Wortbedeutungen; und diese Diskussionen sind in der Praxis sehr schwer von wichtigeren Fragen zu unterscheiden, selbst wenn sie im logischen Sinn für die wichtigeren Fragen nicht relevant sind. Es gibt keinen Zweifel, denke ich, dass die Ansicht der Philosophen bezüglich der Bedeutung solcher Wörter wie „real“ und „wahr“ tatsächlich ihre Ansicht bezüglich

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dessen, welche Dinge real und wahr sind, sehr stark beeinflusst hat. Die eigenen Ansichten über wichtigere Fragen können daher sehr stark von den eigenen Ansichten bezüglich der Bedeutung eines Worts beeinflusst sein. Und diese Tatsache rechtfertigt vielleicht hauptsächlich die Beschäftigung mit solchen Fragen. Aber ob es nun der Hauptgrund ist oder nicht, gibt es natürlich auch ein anderes Motiv dafür, das eine Rechtfertigung sein kann und das, ob es nun eine ist oder nicht, viel stärker auf einige Personen als die erstgenannte wirkt. Ob nun Diskussionen bezüglich solcher Wörter wie „real“ und „wahr“ unsere Ansichten darüber, welche Dinge real oder wahr sind, beeinflussen oder nicht, manche Personen haben für solche Diskussionen ein Interesse, und es kann darüber sicherlich etwas gesagt werden. Denn keine Diskussion über eine Wortbedeutung handelt nur von einer Wortbedeutung. Sie beinhaltet immer auch eine Diskussion bezüglich der Art, in der Dinge oder Vorstellungen, für die das Wort stehen könnte, sich voneinander unterscheiden oder miteinander verbunden sind. Und jede neue Entdeckung dieser Art, die wir z.€B. über die Vorstellung machen, die mit einem Wort wie „real“ oder „wahr“ vermittelt wird, ist eine neue Entdeckung, die auf den ganzen Bereich der Dinge zutrifft, die real oder wahr sind: In diesem Sinn ist es eine neue Entdeckung über die Eigenschaften, die zu dem Universum gehören würden, selbst wenn es überhaupt keine solchen Dinge wie Wörter gäbe, und über Eigenschaften, die ausgesprochen allgemein sind – die zu einer ungeheueren Menge, falls sie nicht sogar die Gesamtmenge bilden, der wichtigsten Bestandteile des Universums zählen. Und einige allgemeine Wahrheiten (ich möchte nicht alle sagen) sind natürlich für viele Personen von Interesse. Fragen bezüglich dessen, was „Wahrheit“ und „Falschheit“ sind, was „Realität“ und „Existenz“ sind, gehören zu den Fragen, die Philosophen um ihretwillen interessiert zu haben scheinen. Und selbst wenn solche Fragen keinen Bezug zu den weiteren Fragen haben, welche Dinge wahr und falsch, real oder irreal sind, ist es doch schwierig zu sagen, ob es sich nicht lohnt, sie um ihretwillen zu diskutieren. Daher schlage ich nun vor, einige Punkte bezüglich dessen zu diskutieren, was diese Wörter „real“, „existiert“, „ist“, „ist eine Tatsache“, „ist wahr“ bedeuten. Aber wie ich sagte, ist mein Hauptgrund, diese Diskussion an diesem Punkt einzuführen, dass es wirklich schwierig zu verstehen ist, was bestimmte Philosophen meinen, wenn sie sagen, „Zeit ist irreal“. Und es sind Philosophen, bei denen es sich lohnt, denke ich, zu versuchen sie zu verstehen. Sie scheinen anzunehmen, dass sie eine sehr wichtige Tatsache über das Universum ausdrücken, wenn sagen, „Zeit ist irreal“; und doch scheint

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es zweifelhaft, ob sie, wenn sie dies sagen, nur eine der beiden Ansichten ausdrücken wollen, die ich zu unterscheiden begonnen habe – entweder die Ansicht, dass nichts in der Zeit existiert, oder die Ansicht, dass nur einige Dinge in der Zeit existieren. Ich denke, sie würden wahrscheinlich sagen, dass sie eine andere Frage diskutieren, eine dritte Frage, die sich von diesen beiden unterscheidet; eine sehr wichtige Frage, die natürlich zumindest bei jedem Versuch, die Hauptprobleme der Philosophie darzustellen, genannt werden sollte. Und um Ihnen zu zeigen, warum ich es für zweifelhaft halte und warum ich denke, dass es eine Schwierigkeit gibt, ihre Ansichten zu verstehen, schlage ich vor, einen von ihnen tatsächlich zu zitieren. Ich schlage vor, einige Abschnitte von Bradleys Buch Appearance and Reality zu zitieren. Bradley ist sicherlich einer der bedeutendsten Philosophen unserer Zeit; und alles, was er sagt, selbst wenn niemand sonst es täte, würde wahrscheinlich der Aufmerksamkeit wert sein. Aber Bradley ist nicht allein bei dieser speziellen Frage: Es gibt, denke ich, viele andere Philosophen, die geneigt sind, Dinge zu sagen, die mehr oder weniger dem entsprechen, was er sagt. Folglich gibt es einen zusätzlichen Grund herauszufinden, was seine Theorie wirklich besagt. Und die Zitate, die ich anführen will, zeigen, dass es zumindest leichte Schwierigkeiten gibt, sie zu verstehen. Ich möchte sie auch wiedergeben, da ich denke, dass sie eine Art von Schwierigkeit gut veranschaulichen, die fortwährend auftritt, wenn wir die Werke von Philosophen lesen – eine Art von Schwierigkeit, die, wie mir scheint, eine der größten ist und über die ich bisher noch nicht genügend gesprochen habe. Das erste Zitat aus Appearance and Reality, auf das ich Ihre Aufmerksamkeit lenken möchte, stammt aus dem Kapitel IV mit dem Titel „Space and Time“. Es ist der vorletzte Satz dieses Kapitels. Er lautet20: „Die Zeit hat sich – wie der Raum – sehr offensichtlich als nicht real, sondern als eine widersprüchliche Erscheinung erwiesen.“21 Dies scheint mir so klar und deutlich, wie man es sich wünscht. Bradley erklärt, dass die Zeit nicht real ist und dass sie eine „Erscheinung“ ist. Er 20

21

S. 36 in der neunten Auflage (1930). Die Seitenzählung unterscheidet sich in dieser leider von der der ersten Auflage (1893), aber ich dachte, es sei das Beste, die Seiten der neunten Auflage wiederzugeben, da es die neueste ist, die ich besitze. Sie ist als „autorisiert und korrigiert“ gekennzeichnet, aber alle vier Zitate, die ich wiedergeben werde, erscheinen mit genau denselben in der ersten oder zweiten Auflage, nur mit einer anderen Seitenangabe. Das Originalzitat lautet: „Time, like space, has most evidently proved not to be real, but to be a contradictory appearance.“ [Anm. d. Übers.]

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denkt, dass er bewiesen hat, dass es so ist; und sein Grund, dies anzunehmen –€der Grund, den er ausdrückt, indem er Zeit als „widersprüchlich“ bezeichnet – würde völlig schlüssig sein, falls er wahr wäre. Wenn es wahr wäre, dass aus der Proposition „Zeit ist real“ zwei sich widersprechende Propositionen folgen würden, dann würde natürlich ebenso folgen, dass „Zeit ist real“ unmöglich wahr sein kann. Ich denke nicht, dass es ihm gelungen ist zu beweisen, dass „Zeit ist real“ einen Widerspruch enthält; aber für meine gegenwärtige Absicht ist die Diskussion irrelevant, ob es ihm gelungen ist oder nicht. Das nächste Zitat, das ich wiedergeben möchte, besteht aus den ersten drei Sätzen desselben Kapitels.22 Es lautet wie folgt: „Das Ziel dieses Kapitels ist weit entfernt davon, ein Versuch zu sein, die Natur von Raum und Zeit vollständig zu diskutieren. Es wird sich damit begnügen, unsere Hauptbegründung, sie als Erscheinung anzusehen, darzulegen. Es wird erklären, warum wir bestreiten, dass sie in dem Wesenszug, den sie zeigen, entweder Wirklichkeit haben oder zur Wirklichkeit gehören.“23 Ein Grund, warum ich auf diese Ausdrücke aufmerksam mache, ist, dass er hier, anstatt einfach zu sagen, dass er bestreitet, dass die Zeit real ist, zwei neue Ausdrücke einführt, indem er sagt, dass das, was er bestreitet, ist, dass die Zeit (in einem bestimmten Wesenszug) entweder „Wirklichkeit hat“ oder „zur Wirklichkeit gehört“. Hinsichtlich des ersten Ausdrucks können wir bedenkenlos annehmen, dass er mit dem Ausdruck „hat Wirklichkeit“ genau dasselbe meint wie mit dem Ausdruck „ist real“; zu sagen, er bestreitet, dass Zeit „Wirklichkeit hat“ ist nur eine andere Art zu sagen, dass er bestreitet, dass Zeit real ist. Aber er deutet an, dass sein anderer Ausdruck „gehört zur Wirklichkeit“ nicht dasselbe meint wie „hat Wirklichkeit“ noch wie „ist real“. Wie unterscheidet sich nun das Bestreiten, dass Zeit zur Wirklichkeit gehört, vom Bestreiten, dass Zeit real ist? Dies ist eine Frage, die ich aufschieben möchte, bis ich Ihnen einen anderen Abschnitt vorgetragen habe, in dem er denselben Ausdruck „gehört zur Wirklichkeit“ verwendet. Der andere Grund, warum ich auf diesen Abschnitt aufmerksam mache, ist, dass er die Leugnung, dass Zeit real ist, näher zu bestimmen scheint, indem er sagt, er bestreite nur, dass Zeit in dem Wesenszug, den sie zeigt, real ist. 22 23

S. 30. Meine Kursivsetzung in allen drei Fällen. Das Originalzitat lautet: „The object of this chapter is far from being an attempt to discuss fully the nature of space and time. It will content itself with stating our main justification for regarding them as appearance. It will explain why we deny that, in the character which they exhibit, they either have or belong to reality.“ [Anm. d. Übers.]

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Dies scheint offenbar anzudeuten, dass Zeit in einem anderen Wesenszug – einem Wesenszug, den sie tatsächlich hat, aber nicht zeigt – real sein könnte. Aber die Vorstellung, dass ein und dasselbe Ding in einem Wesenszug nicht real und in einem anderen real sein könnte, ist sicherlich nicht einfach zu verstehen. Besitzt Zeit tatsächlich den „Wesenszug, den sie zeigt“, oder nicht? Auf den ersten Blick scheint es natürlich anzunehmen, dass Bradley meine, sie tue es nicht – dass es nur scheint, dass die den widersprüchlichen „Wesenszug, den sie zeigt“, besitzt. Aber wenn es das wäre, was er meint, ist es nach sehr kurzer Überlegung offensichtlich, dass die bloße Tatsache, dass Zeit nur ein widersprüchliches Wesen zu besitzen scheint, kein Grund sein würde, sie als nicht wirklich zu bewerten. Wir müssen nun annehmen, so denke ich, dass er die Ansicht vertritt, dass Zeit tatsächlich den widersprüchlichen „Wesenszug, den sie zeigt“, besitzt. Aber wie ist es dann möglich, dass ein und dasselbe Ding zugleich in einem Wesenszug, den sie tatsächlich besitzt, nicht wirklich sein soll und ebenso – zumindest möglicherweise – in einem anderen wirklich? Ich denke, dies ist ganz unmöglich, und wenn Bradley annimmt, dass Zeit „in einem Wesenszug“ real sein könnte und in einen anderem nicht, meint er folglich mit „Zeit“ in beiden Fällen nicht dasselbe. Und die „Zeit“, von der er annimmt, dass sie möglicherweise real sein könnte, ist nicht das, was wir mit „Zeit“ meinen, sondern etwas anderes, das keinen widersprüchlichen Charakter besitzt und das nur in einem nicht näher erklärten Sinn dem „entspricht“, was wir alle mit „Zeit“ meinen. Es scheint völlig offensichtlich, dass er annimmt, das, was wir alle mit „Zeit“ meinen, sei etwas, das einen „widersprüchlichen“ Charakter besitzt und daher nicht real sein kann. Nun möchte ich zwei andere Stellen aus Appearance and Reality zitieren; die erste ist etwas länger, die zweite dagegen sehr kurz. Die erste Stelle findet sich gegen Ende des Kapitels XII24 und lautet wie folgt: „Vorläufig können wir festhalten, dass Erscheinungen existieren. Dies ist vollkommen gewiss und es zu leugnen, wäre Unfug. Und was immer auch existiert, muss zur Wirklichkeit gehören. Dies ist auch völlig gewiss und die Leugnung wäre ein Widerspruch in sich. Zweifellos könnten unsere Erscheinungen ein erbärmliches Bild sein, und ihre Natur könnte bis zu einem unbestimmten Ausmaß etwas sein, das, so wie es ist, nicht der Wirklichkeit entspricht. Dies ist die eine Seite, ganz anders verhält es sich, wenn man sich 24

S.€114.

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so ausdrückt, als ob diese Tatsachen keine wirkliche Existenz hätten oder als ob es nichts außer der Wirklichkeit geben könnte, zu der sie gehören könnten. Und ich muss es wagen zu wiederholen, dass eine solche Idee blanker Unfug wäre. Was aus diesem einzigen Grund erscheint, ist zweifellos; und es gibt keine Möglichkeit, dies voneinander zu trennen.“25 Das zweite Zitat besteht aus einem einzigen Satz, der zum ersten Mal im Anhang der zweiten Auflage erscheint, aber noch im Anhang der neunten Auflage vorhanden ist (S. 493). Er lautet wie folgt: „Alles, was in irgendeinem Sinn ist, bestimmt die absolute Wirklichkeit näher und ist somit real.“26 Nun haben wir gesehen, dass Bradley Zeit als „eine Erscheinung“ ansieht – Zeit „in dem Wesenszug, den sie zeigt“ und den er als „widersprüchlich“ beurteilt; folglich Zeit in dem Sinn, in dem wir alle gewöhnlich dieses Wort verstehen. Daher müssen wir annehmen, dass alles, was er in dem ersten der beiden Zitate über „Erscheinungen“ im Allgemeinen sagt, gedacht ist, für die Zeit zu gelten. Aber dann sehen wir zum einen, dass er dem widerspricht, was er zuvor gesagt hat; denn er sagte, dass die Zeit, die eine Erscheinung ist, „weder Wirklichkeit hat noch zur Wirklichkeit gehört“, während er in dem ersten der beiden letzten Zitate sagt, dass alle „Erscheinungen“ (und daher auch die Zeit) „zur Wirklichkeit gehören“. Was sollen wir von diesem offensichtlichen Widerspruch halten? Wir können ihn bloß als „nur scheinbar“ ansehen – nur wörtlich, indem wir annehmen, dass er den Ausdruck „gehört zur Wirklichkeit“ bei diesen beiden Gelegenheiten in einer anderen Bedeutung verwendet. Aber was sind dann diese zwei Bedeutungen, die er verwendet? Ich kann nur annehmen, dass er den Ausdruck beim ersten Mal, wenn er sagt, dass Zeit nicht „zur Wirklichkeit gehört“, nur als Äquivalent zu „hat Wirklichkeit“, d.€h. „ist real“, verwendet, anstatt das Gegenteil zu 25

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Das Originalzitat lautet: „For the present we may keep a fast hold upon this, that appearances exist. That is absolutely certain, and to deny it is nonsense. And whatever exists must belong to reality. This is also quite certain, and its denial once more is selfcontradictory. Our appearances, no doubt, may be a beggarly show, and their nature to an unknown extent may be something which, as it is, is not true of reality. That is one thing, and it is quite another thing to speak as if these facts had no actual existence, or as if there could be anything but reality to which they might belong. And I must venture to repeat that such an idea would be sheer nonsense. What appears, for that sole reason, most indubitably is; and there is no possibility of conjuring its being away from it.“ [Anm. d. Übers.] Das Originalzitat lautet: „Anything that in any sense is, qualifies the absolute reality and so is real.“ [Anm. d. Übers.]

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implizieren; dass dies nur eine andere Art war zu sagen, dass Zeit nicht real ist. Beim zweiten Mal, wenn er sagt, dass alle „Erscheinungen“ (und daher die Zeit) „zur Wirklichkeit gehören“, meint er vielleicht, was wir als seine Ansicht erkannt haben, dass es in der Wirklichkeit etwas gibt, das der Zeit „entspricht“, aber nicht mit ihr identisch ist. Aber es ist für meine Absicht nicht von Belang zu diskutieren, was er mit dem Ausdruck „gehört zur Wirklichkeit“ meint. Der einzige Bezug dieses offensichtlichen Widerspruchs ist, dass er zu zeigen scheint, dass Bradley sich hinsichtlich der Bedeutungen der Ausdrücke nicht deutlich äußert, die er verwendet, und dass es daher vermutlich eine wirkliche Schwierigkeit gibt, sich über ihre Bedeutung klar zu werden – über die Bedeutung von z.€B. „ist real“. Aber der zweite Punkt, auf den ich im ersten dieser beiden Zitate hinweisen möchte, ist, dass Bradley offensichtlich eine deutliche Unterscheidung zwischen der Bedeutung des Ausdrucks „ist real“ und der des Ausdrucks „existiert“ vornimmt. Zuvor sagte er überaus entschieden, dass Zeit nicht real sei, und nun sagt er, vielleicht sogar noch entschiedener, dass genau dieselbe „Zeit“ – die „Erscheinung“ – existiert: Er sagt, dass es vollkommen gewiss sei, dass sie existiert, und dass es Unfug wäre, es zu bestreiten. Ist dies nicht etwas überraschend? Es erscheint mir sehr gewiss zu sein, dass es unmöglich wahr sein kann, dass die Zeit existiert, falls (wie er annimmt, es bewiesen zu haben) die Zeit wirklich „widersprüchlich“ ist (was der einzige Grund für ihn ist, anzunehmen, dass sie nicht real ist). Wenn „Zeit ist real“ beide der sich gegenseitig widersprechenden Propositionen beinhaltet, weil die Zeit „widersprüchlich“ ist, dann muss „Zeit existiert“ auch beide sich widersprechenden Propositionen beinhalten und kann somit unmöglich wahr sein. Aber ich möchte nun nicht die Frage erörtern, ob das, was Bradley sagt, wahr ist, sondern nur, was er meint. Und die Tatsache, dass er behauptet, Dinge, die nicht real sind, können trotzdem existieren, zeigt, denke ich, dass er zumindest manchmal den Ausdruck „ist real“ in einer Bedeutung verwendet, die sich von zumindest einer jener unterscheidet, in der wir ihn im Allgemeinen verwenden. Denn ich denke, es gibt keinen Zweifel, dass eine allgemeine Verwendung des Ausdrucks „ist real“ folgende ist: Aus der bloßen Tatsache, dass ein Ding existiert, folgt, dass es real ist. Wenn daher seine Verwendung von „ist real“ in etwa bedeutet, dass entsprechend der allgemeinen Verwendung „x ist real“ nicht aus „x existiert“ folgt, so würde folgen, dass der Ausdruck „x existiert“ mehrdeutig ist. Und dass Bradley selbst annimmt, dass dies so ist, scheint die zuletzt zitierte Stelle zu beweisen; da er dort

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erklärt, dass das, was immer in einem Sinn „ist“, real ist, während er zuvor erklärt, dass Zeit zweifelsohne „ist“ und doch nicht real ist. Ich schlage daher vor, nun das zu betrachten, was wir tatsächlich mit dem Wort „real“ meinen; welche Gründe es für die Annahme gibt, dass es mehrdeutig ist; und wie man mit diesen Gründen, falls überhaupt, umgehen kann. Und ich werde sofort darlegen, was mir als die grundlegende und offensichtlichste Schwierigkeit hinsichtlich dieser Sache erscheint. Vielleicht ist im Alltagsleben der üblichste Gebrauch des Worts „real“ jener, der dem des Worts „imaginär“ gegenübersteht: Wenn man z.€B. sagt, dass Löwen und Bären reale Tiere sind, während Zentauren oder Greife imaginäre sind, oder wenn man sagt, dass Charles Edward eine reale Person war, während Waverley eine fiktive oder imaginäre ist. Ich denke, dies ist zumindest eine sehr grundlegende Bedeutung des Worts, ob es nun die einzige ist oder nicht; und ich denke nicht, dass jemand sagen würde, dass diese Bedeutung gänzlich unwichtig wäre. Es gibt gewiss einen großen und wichtigen Unterschied zwischen Löwen, Bären und Affen einerseits und Zentauren, Greifen und Chimären andererseits: Wir sind sicher, dass Erstere in einem gewissen Sinn alle real sind, während Letztere nicht real sind, sondern rein imaginär. Dieser wichtige Unterschied unterscheidet alle bloßen Objekte aus Träumen und der Vorstellung im Allgemeinen von der realen Welt. Und diese Unterscheidung kann genauso gut durch den Gebrauch der beiden anderen Ausdrücke, die ich erwähnt habe, dargestellt werden: Wir könnten sagen, dass Bären und Löwen existieren, während Zentauren und Greife nicht existieren und niemals existiert haben; und genau dies ist es, was wir meinen, wenn wir sagen, dass Erstere real sind und Letztere imaginär; und wir können die gleiche Unterscheidung auch dadurch ausdrücken, indem wir sagen, dass es solche Dinge wie Bären und Löwen gibt, aber dass es keine Dinge wie Greife und Chimären gibt und es sie niemals gegeben hat. Aber hinsichtlich einer der Ausdrücke, die ich erwähnt habe, ist es nicht natürlich, ihn auf diese Weise anzuwenden: Es ist nicht vollkommen natürlich zu sagen, dass ein Bär oder ein Löwe selbst eine Tatsache ist, während ein Greif es nicht ist; obwohl wir natürlich dies sagen könnten. Was wir eher sagen sollten, ist, dass die Existenz von Bären eine Tatsache ist; und um diese Unterscheidung, die wir zwischen einem Bären und der Existenz eines Bären machen, werden wir uns bald kümmern müssen. Aber zunächst beginnen wir mit der bekannten Unterscheidung zwischen dem Realen und dem Imaginären – zwischen realen Tieren und imaginären Tieren. Gibt es Schwierigkeiten hinsichtlich dieser Unterscheidung? Gibt es etwas, das uns

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an ihrer BedeuÂ�tung und Rechtmäßigkeit zweifeln ließe? Man könnte denken, dass die Unterscheidung so klar und deutlich wie möglich ist; und dies ist sie auch in einem gewissen Sinn, denke ich. Aber nichtsdestotrotz gibt es eine Schwierigkeit; und ich bin geneigt anzunehmen, dass diese Schwierigkeit eine sehr bedeutende Rolle in der Philosophie gespielt hat. Ich werde versuchen sie in einer Form darzustellen, die mir am meisten zusagt. Ich habe bereits hervorgehoben, dass zu sagen, ein Zentaur sei nicht real, das Äquivalent zu der Aussage zu sein scheint, dass es kein solches Ding wie einen Zentaur gibt. Wir sollten sehr nachdrücklich darauf bestehen, dass es wirklich kein solches Ding gibt, dass er reine Fiktion ist. Aber es gibt eine andere Tatsache, die zunächst genauso klar zu sein scheint. Ich kann mir natürlich einen Zentaur vorstellen; wir alle können uns einen vorstellen. Und sich einen Zentaur vorzustellen ist sicherlich nicht das Gleiche wie sich nichts vorzustellen. Ganz im Gegenteil, sich einen Zentaur vorzustellen unterscheidet sich offensichtlich deutlich von dem, sich einen Greif vorzustellen; während es keinen Unterschied zwischen dem Vorstellen des einen oder des anderen sein würde, wenn beide nichts wären – reine Nichtseiende. Ein Zentaur ist nun, so scheint es, nicht nichts: Er ist etwas, das ich mir vorstelle. Und wenn er etwas ist, ist das nicht das Gleiche wie die Aussage, dass es ein solches Ding gibt – dass es ist oder gewesen ist? Ich stelle mir natürlich etwas vor, wenn ich mir einen vorstelle; und was „etwas“ ist, so würde es scheinen, muss sein – es gibt ein solches Ding, wie ich es mir vorstelle. Aber es würde auch scheinen, dass „Zentaur“ nur ein Name für dieses Etwas ist, das ich mir vorstelle. Daher würde es scheinen, dass es sicherlich ein solches Ding wie einen Zentaur geben muss, sonst könnte ich ihn mir nicht vorstellen. Wie können wir daher unsere vorherige Proposition beibehalten, dass es kein solches Ding wie einen Zentaur gibt? Sie könnten vielleicht denken, dass all dieses bloße Spitzfindigkeiten sind und dass die Lösung des Rätsels ganz einfach ist. Aber ich denke nicht, dass dies so ist. Ich bin so sicher, wie man nur sein kann, dass es kein solches Ding wie einen Zentaur gibt: Das ist die Seite, die ich wählen möchte; ich möchte behaupten, dass es der eigentlichen Wortbedeutung nach kein solches Ding gibt und niemals gegeben hat. Aber ich bin überhaupt nicht sicher, wie ich das gegenteilige Argument überwinden soll. Muss man nicht zugeben, dass man sich etwas vorstellt, wenn man sich einen Zentaur vorstellt? Scheint es nicht so, dass der Begriff „ein Zentaur“ nur ein Name für dieses Etwas ist, das man sich gewiss vorstellt? Und kann man wirklich glücklich sein, wenn man behauptet, dass dieses, das etwas ist, trotzdem kein Sein hat, dass es kein

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solches Ding gibt, dass es ein reines Nichtseiendes ist? Diese drei Fragen bringen die Schwierigkeit zum Ausdruck. Aber diese Schwierigkeit, wenn man es als Schwierigkeit einstuft, scheint sofort eine Art Begründung für eine der Unterscheidungen, die Bradley vollzieht, und eine Erklärung dessen zu geben, was er möglicherweise damit meinen könnte. Angenommen, wir sind beeindruckt von den Argumenten, dass Zentauren, Greifen und Chimären sein müssen, weil sie etwas sind – etwas, das wir uns vorstellen. Ein sehr verständlicher Weg aus dieser Schwierigkeit – sogar der offensichtlichste, wie ich denke – ist die Annahme, dass es einen Unterschied zwischen der Bedeutung der Wörter „Sein“ und „Realität“ gibt: Das heißt die Behauptung, dass, obwohl ein Zentaur ist, er trotzdem nicht real ist. Sodass wir hinsichtlich eines Punkts von einem Zentaur genau das behaupten könnten, was Bradley von der Zeit zu behaupten scheint: Genau wie er zu sagen scheint, dass Zeit zweifelsohne ist und doch nicht real ist, scheinen wir geneigt zu sagen, dass Zentauren zweifelsohne sind, aber doch sind sie gewiss nicht real. Es stimmt, dass wir nicht zwangsweise geneigt sein müssen, auch mit Bradleys anderen Unterscheidungen übereinzustimmen. Wir sollten zögern zu sagen, dass ein Zentaur existiert und eine Tatsache ist, da er ist. Wir sollten eher geneigt sein, die Ausdrücke „existiert“ und „ist eine Tatsache“ als Äquivalente zu „real“ in dem Sinn anzusehen, in dem wir nun „Realität“ vom bloßen „Sein“ unterscheiden. Wir sollten geneigt sein zu sagen: Obwohl Zentauren sind, existieren sie trotzdem nicht, sind keine Tatsachen und sind nicht real, anstatt wie Bradley zu sagen: Obwohl Zeit ist, existiert und eine Tatsache ist, ist sie trotzdem nicht real. Aber wenn wir einmal dazu veranlasst werden, eine Unterscheidung zwischen „Sein“ und „Realität“ zu machen, können wir nichts anders, denke ich, als einige Zweifel auch über diese anderen Unterscheidungen zu hegen. Es kann behauptet werden, wenn wir zugeben, dass Zentauren sind, müssen wir auch zugeben, dass sie existieren und Tatsachen sind: Dass zu sagen, sie sind, das Gleiche ist wie zu sagen, dass sie existieren und Tatsachen sind. Und es gibt gewiss etwas zu dieser Ansicht zu sagen. Es ist gewiss nicht offensichtlich, wenn wir sagen, ein Ding existiert, dass wir tatsächlich mehr meinen, als dass es ist. Es mag sogar gesagt werden, dass wir dem gesunden Menschenverstand viel stärker widersprechen, wenn wir sagen, dass Zentauren und Greife existieren, als wenn wir nur sagen, dass sie sind. Aber wir widersprechen dem gesunden Menschenverstand bereits wörtlich, indem wir nur sagen, dass sie sind – indem wir sagen, dass es solche Dinge wie Zentauren gibt. Der gesunde Menschenverstand würde niemals zugeben, dass es solche Dinge gibt. Und wenn wir uns gezwungen sehen,

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diesen einen gewaltigen wörtlichen Widerspruch zu äußern, ist es schwierig, sicher zu sein, dass wir nicht auch andere machen sollten. Warum sollten wir nicht sagen „Es gibt einen Sinn, in dem Zentauren sind, existieren, Tatsachen sind und real sind; und es gibt einen anderen Sinn, in dem sie weder sind, existieren, Tatsachen sind noch real sind“, ohne zu versuchen, eines oder mehrere dieser Wörter für den einen Sinn zu bestimmen und den Rest dem anderen zuzuweisen? Es spricht ganz gewiss etwas für diese Vorgehensweise, wenn wir gezwungen werden, überhaupt eine Unterscheidung zu machen. Und was das Argument, das ich dargelegt habe, zu zeigen scheint, ist, dass wir eine Unterscheidung machen müssen: Wir müssen zugeben, dass es in einem Sinn solche Dinge wie Zentauren gibt, während wir auch feststellen müssen, dass es in einem anderen keine gibt. Und wichtig ist es natürlich zu sehen, wie diese beiden Sinne sich voneinander unterscheiden, falls es zwei gibt; die beiden unterschiedlichen, darin beinhalteten Vorstellungen deutlich voneinander zu unterscheiden. Es ist vergleichsweise unwichtig, welche Wörter wir verwenden, um sie darzustellen. Nun habe ich dargelegt, was mir als die Hauptschwierigkeit hinsichtlich dieser Unterscheidung zwischen dem Realen und dem Imaginären zu sein scheint. Die Schwierigkeit besteht darin, dass es scheint, als ob wir eingestehen müssen, dass alle imaginären Dinge – trotz ihres imaginären Seins – in einem gewissen Sinn sind oder Sein haben, einfach weil sie etwas sind – etwas, das wir uns vorstellen. Während es andererseits ganz offensichtlich ist, dass sie nichtsdestotrotz in einem gewissen Sinn nicht real sind. Dies scheint zu zeigen, dass es einen Unterschied gibt, der als ein Unterschied zwischen „sein“ einerseits und „real“ zu sein andererseits ausgedrückt werden kann, obwohl er auch auf viele andere Arten ausgedrückt werden kann. Und viele Philosophen haben angenommen, dass dies, was der richtige Weg aus dieser Schwierigkeit zu sein scheint, auch der richtige Weg ist. Sie haben die Ansicht vertreten, dass es wirklich eine solche Unterscheidung gibt; obwohl sie verschiedene Ansichten darüber vertreten haben, welche die genaue Art dieser Unterscheidung ist. Und ich möchte im Verkauf des nächsten Kapitels vier verschiedene Auffassungen unterscheiden, die, so denke ich, als die Arten dieser Unterscheidung aufgefasst worden sind. Alle diese Auffassungen sollten betrachtet werden, entweder weil sie im Allgemeinen vertreten worden sind oder weil sie möglicherweise wahr sind – oder aus beiden Gründen. Und sie sollten auch betrachtet werden, weil die bloße Tatsache, dass sie vertreten worden sind, zeigt, dass es wirklich eine Schwierigkeit gibt in Bezug auf die Unterscheidung zwischen dem Imaginären und dem Realen.

Kapitel 12 Die Bedeutung von „real“

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ie vorherige Diskussion betraf die Bedeutung bestimmter Wörter. Ich habe vorgeschlagen, folgende Frage zu stellen: Was ist die Bedeutung der Wörter „real“, „existiert“, „ist“, „ist eine Tatsache“, „ist wahr“? Aber ich denke, diese Beschreibung der Frage, die ich wirklich behandeln wollte, war vielleicht etwas unglücklich gewählt. Offensichtlich gibt es für mich keine Notwendigkeit, Ihnen die Bedeutung des Worts „real“ in dem Sinn zu erklären, in dem es für mich notwendig wäre, seine Bedeutung zu erklären, wenn ich versuchen würde, einen Ausländer in Englisch zu unterrichten, der kein Wort dieser Sprache kennt. Wenn es das wäre, was ich versucht habe zu tun, wären die Mittel, mit denen ich begonnen habe, dies zu versuchen, offensichtlich völlig absurd. Alle von mir gegebenen Erklärungen waren einfach Erklärungen in Englisch: Ich habe nur andere englische Wörter benutzt, um auszudrücken, was ich sagen wollte; wenn Sie Ausländer wären, die kein englisches Wort verstehen, würden Sie offensichtlich nach solchen Erklärungen nicht viel mehr über die Bedeutung von „real“ wissen als zuvor, einfach weil Sie die Wörter, die ich in meiner Erklärung verwendet habe, nicht viel besser verstehen würden als das Wort „real“ selbst. Natürlich setze ich voraus, dass Sie die englische Sprache beherrschen; und da sie dies tun, kennen Sie bereits die Bedeutung des Worts „real“ genauso gut wie Sie die Bedeutung eines jeden Worts kennen, mit welchem ich versucht haben könnte, es Ihnen zu erklären. Sodass das Problem, das ich ansprechen möchte, ein ganz anderes sein muss als das, das auftreten würde, wenn Sie kein Englisch verständen. Falls natürlich das Wort „real“ in der Philosophie in einem fachlichen Sinn verwendet würde, der sich von dem unterscheiden würde, der im Alltagsleben verwendet wird, würde der Fall anders gelagert sein. Ich könnte nun versuchen, die fachliche Verwendung des Worts zu erklären, als ob es ein Wort wäre, das Sie niemals zuvor gehört hätten. Und eine mögliche Erklärung einer der Schwierigkeiten, die ich das letzte Mal hervorzuheben versucht habe, ist, dass Bradley, wenn er sagt, „Zeit ist irreal“, möglicherweise das Wort „real“ in einem fachlichen Sinn verwendet, der sich von allen gewöhnlichen Verwendungen unterscheidet. Aber ich denke nicht, dass dies so ist; und selbst wenn es so wäre, ist mein Ziel gewiss nicht, mich

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auf die Erklärung fachlicher Verwendungen dieser Wörter zu beschränken. Hauptsächlich möchte ich einige Fragen in Bezug auf die allgemeine Bedeutung des Worts „real“ besprechen. Aber welche Fragen können dies sein? Wenn Sie Ausländer wären, die kein Englisch könnten, oder wenn ich eine spezielle fachliche Verwendung des Worts erklären wollte, wäre das, was ich tun würde, nur eine Vorstellung oder Idee vor Ihrem geistigen Auge entstehen zu lassen, die von jenen mit dem Wort verbunden wird, die es verstehen. Aber da Sie bereits Englisch verstehen, genügt meine bloße Äußerung des Worts „real“, um dies zu tun: Es genügt, um die entsprechende Vorstellung oder die Vorstellungen vor Ihrem geistigen Auge entstehen zu lassen. Daher ist dies gewiss nicht alles, was ich tun möchte; und daher war es vielleicht etwas unglücklich zu sagen, das ich herausfinden wollte, was die Bedeutung des Worts „real“ ist. Ich möchte dies nicht in dem Sinn herausfinden, in dem ein Polynesier, der kein Englisch spricht, dies herausfinden möchte. Ganz im Gegenteil, ich kenne bereits die Bedeutung in diesem Sinn; und Sie kennen sie auch alle. Was ist es nun, was ich herausfinden möchte? Welche Frage möchte ich beantworten? Aufgrund der oben erwähnten Gründe könnte gesagt werden, dass die Fragen, die ich besprechen möchte, einfach keine Fragen bezüglich der Bedeutungen der Wörter „real“, „existiert“ etc. sind. Sie sind nicht mehr Fragen bezüglich der Bedeutungen jener Wörter als die Frage zur Anatomie eines Pferdes bzw. inwiefern Pferde anderen Tieren ähneln oder sich von ihnen unterscheiden, Fragen bezüglich der Bedeutung des Worts „Pferd“ sind. Wenn ich versuchen würde, Ihnen einige Tatsachen über die anatomische Struktur eines Pferdes zu erzählen, würde ich annehmen, dass das Wort „Pferd“ bereits das Objekt, über das ich spreche, in Ihnen hervorgerufen hat; wenn dies nicht geschehen würde, verstünden Sie nicht ein Wort, das ich sagen würde. So nehme ich nun an, dass das Wort „real“ bereits ein Objekt oder Objekte, über die ich sprechen möchte, in Ihnen hervorgerufen hat – die Eigenschaft oder die Eigenschaften, die Sie behaupten möchten, dass ein Ding sie besitzt, wenn man sagt, dass es real ist – und wenn das Wort keine Eigenschaft oder Eigenschaften in Ihnen entstehen lässt, wird alles, was ich sage, unverständlich sein. Ich beschäftige mich ausschließlich mit dem Objekt oder der Eigenschaft oder der Idee, die durch das Wort „real“ vor Ihrem geistigen Auge entsteht, wenn Sie die englische Sprache verstehen: Es sind ausschließlich Fragen über dieses Objekt oder diese Eigenschaft oder diese Vorstellung, die ich betrachten möchte. Aber Sie sehen, dass es einige Schwierigkeiten hinsichtlich dessen gibt, wie wir dieses Etwas nennen

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sollen, das durch das Wort „real“ in Ihnen entsteht. Es ist nicht so selbstverständlich, es als ein „Objekt“ zu bezeichnen, wie ich es gerade getan habe, so wie es selbstverständlich ist, ein Pferd als ein Objekt zu bezeichnen: Es als ein „Objekt“ zu bezeichnen, könnte dazu führen, dass man annimmt, das, über was ich spreche, könnten die Objekte oder Dinge sein, die real sind; und ich möchte deutlich sagen, dass ich nicht über diese spreche – ich spreche nur über die Eigenschaft, die ihnen allen eigen ist, und von der wir behaupten, dass sie ihnen allen eigen ist, wenn wir sagen, dass sie real sind. Es ist viel einleuchtender, dieses Etwas, über das ich sprechen möchte, eine Vorstellung, eine Idee oder ein Konzept zu nennen als ein Objekt; und dies ist auch die Art, die ich verwendet habe, aber auch hier gibt es einen Einwand: Diese Namen können auch auf den Akt, den wir vollziehen, angewendet werden, wenn wir an das entsprechende Ding denken: Der Akt, der daraus besteht, es vor unserem geistigen Auge zu haben, anstatt dieses Etwas, das es ist, was wir vor unserem geistigen Auge haben – von dem wir eine Vorstellung, eine Idee oder ein Konzept haben. Wenn wir es als Idee oder Vorstellung bezeichnen, könnte dies folglich zur Annahme führen, dass es etwas ist, das überhaupt nicht in unserem Verstand sein kann – eine Ansicht, welche ich nur sehr ungern annehmen möchte. Vielleicht ist der einfachste Weg, dieses Etwas zu benennen, das andere Wort zu verwenden, das ich soeben gebraucht habe, und es als Eigenschaft zu bezeichnen. Aber auch hier gibt es Einwände; viele Menschen könnten sagen, dass „Realität“, das bloße reale Sein, nicht als Eigenschaft bezeichnet werden kann. Wie sollen wir es also nennen? Eine sehr selbstverständliche Art, es zu benennen, ist es als Bedeutung des Worts „real“ zu bezeichnen – „Bedeutung“ im Sinne von was es bedeutet. Denn tatsächlich ist das Ding, über das ich sprechen möchte, das Objekt, die Eigenschaft, die Vorstellung oder die Idee, die durch das Wort „real“ vermittelt wird und ist somit in diesem Sinn seine Bedeutung. Dies kann helfen zu erklären, warum ich sagte, dass ich die Bedeutung des Worts „real“ besprechen werde: Ich meinte, dass ich einige Fragen über diese Vorstellung oder Eigenschaft stellen würde, die das ist, was mit dem Wort „real“ gemeint ist, und auch einige Fragen, die auf folgende Art ausgedrückt werden könnten: Was ist diese Vorstellung oder Eigenschaft? Daher gibt es einen Sinn, in dem die Frage, die ich besprechen möchte, lautet: Was ist die Bedeutung des Worts „real“? Ich möchte die Frage besprechen: Welche Vorstellung oder Eigenschaft ist es, die wir mit dem Wort „real“ meinen? Aber Sie erkennen, dass diese entsprechende Frage eine völlig andere Frage ist als jene, die man mit denselben Wörtern ausdrücken würde, wenn ein Poly-

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nesier, der kein Englisch spricht, fragte: „Was ist die Bedeutung des Worts ‚real‘?“ Soweit ich sehen kann, würde die Frage des Polynesiers einfach mit dem gleichbedeutend sein, wenn man sagt: Bitte lassen Sie vor ihrem geistigen Auge die Vorstellung entstehen, die ein Engländer mit dem Wort „real“ ausdrückt. Sobald man das getan hat, ist seine Frage beantwortet. Während dies keineswegs alles ist, was ich tun möchte, wenn ich frage: Was ist die Bedeutung des Worts „real“? Was ich möchte, ist bestimmte Fragen über die Natur dieser Vorstellung zu stellen, die durch das Wort „real“ entsteht, nicht nur sie entstehen zu lassen. Daher denke ich, dass ich die Formulierung meiner Frage als eine Frage hinsichtlich der Bedeutung des Worts „real“ etwas unglücklich gewählt habe. Die Tatsache, dass genau dieselben Wörter „Was ist die Bedeutung des Worts ,real‘?“ gebraucht werden können, um zwei völlig unterschiedliche Fragen auszudrücken, kann zu Missverständnissen führen hinsichtlich der exakten Art und dem Sinngehalt jener, die ich stellen möchte. Und ich möchte nun mithilfe dieser Unterscheidung versuchen, deutlicher und genauer herauszufinden, welches die Hauptfrage ist, die ich stellen möchte, und welche Bedeutung sie hat. Selbst wenn wir die englische Sprache beherrschen, lautet eine Frage, die wir über die Bedeutung des Worts „real“ stellen können, wie folgt. Wir können fragen: Ist die Vorstellung, die bei Menschen, die Englisch sprechen, durch das Wort „real“ entsteht, immer dieselbe oder gibt es verschiedene, die in unterschiedlichen Kontexten entstehen können? Dies ist mit der Frage gemeint, ob das Wort „real“ mehrdeutig ist. Ich möchte diese Frage aber nicht in ihrem gesamten Umfang stellen. Ich denke, es besteht kein Zweifel, dass das Wort „real“ mehrdeutig ist, wenn man alle Fälle betrachtet, in denen es verwendet wird – dass es in einigen Kontexten eine ganz andere Vorstellung hervorruft und ausdrückt als in anderen. Aber ich möchte diese Frage nur hinsichtlich einiger spezieller Fälle stellen. Ich möchte nur spezielle Fälle auswählen, in denen es mir scheint, dass etwas besonders Wichtiges mit der Behauptung „dies oder jenes ist real“ oder „dies oder jenes ist nicht real“ vermittelt wird, und fragen: Ist das, was in all diesen Fällen vermittelt wird, dieselbe Vorstellung oder unterscheidet sie sich in diesen Fällen? Dies ist zum Teil eine Frage, die wir nicht beantworten können, wenn wir kein Englisch sprechen – die wir nicht beantworten können, wenn wir nicht die Bedeutung des Worts „real“ in dem Sinn kennen, in dem der oben erwähnte Polynesier sie nicht kennt. Soweit wir annehmen, dass die entsprechende Vorstellung oder die Vorstellungen durch das Wort „real“ vermittelt werden, nehmen wir etwas an, das eine Kenntnis der englischen Sprache voraussetzt.

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Aber ich möchte betonen, dass meine Frage hinsichtlich eines Teils und des wichtigsten Teils ihrer Bedeutung eine Frage ist, die ohne Kenntnis der englischen Sprache gestellt werden kann. Alles, was gefordert wird, ist, dass wir die Vorstellung oder die Vorstellungen, die tatsächlich von Engländern durch das Wort „real“ ausgedrückt werden, vor unserem geistigen Auge haben sollten; es ist nicht erforderlich, dass wir wissen sollten, dass diese Vorstellungen bei Engländern durch das Wort „real“ ausgedrückt werden. Eine Person kann sehr wohl die Unterschiede zwischen einem Pferd und einem Esel untersuchen, ohne überhaupt zu wissen, dass diese Objekte im Englischen „Pferd“ und „Esel“ genannt werden. Das Gleiche gilt für eine Person, die niemals das Wort „real“ gehört hat und doch vor ihrem geistigen Auge eine grobe Vorstellung oder Vorstellungen haben kann, die uns durch dieses Wort vermittelt werden. Und sie könnte fragen: Ist es dieselbe Vorstellung, die ich jetzt habe, oder ist es eine andere? Und ich möchte darauf bestehen, dass dieser Teil der Frage – dieser wichtige Teil – eine Frage ist, die oftmals sehr schwierig zu beantworten ist. Sie mögen denken, dass es ganz einfach zu sehen ist, ob die Vorstellung, die man vor dem geistigen Auge hat, in dem einem Fall eine ganz unterschiedliche ist oder nicht die, die man in einem anderen Fall hat. Wenn man die Vorstellung eines Pferdes und auch die Vorstellung eines Esels hat, ist es ganz einfach zu sehen, dass sie verschieden sind: Es gibt keine Möglichkeit, einen Fehler zu machen. Aber in anderen Fällen ist es offensichtlich, dass es eine Möglichkeit gibt, Fehler zu machen; dass es sehr leicht ist, einen Fehler zu machen. Wenn man sich selbst fragt „Ist die Vorstellung, die dem Verstand durch das Wort ,real‘ in jenem Satz vermittelt wird, die Gleiche wie jene, die durch das Wort ,real‘ in diesem Satz vermittelt wird?“, ist es nicht immer einfach, sicher zu sein, ob es die Gleiche ist oder nicht. Dies ist ein Thema, das so umstritten ist wie jedes andere philosophische Thema. Ein Mensch kann sich leicht hinsichtlich dessen irren, ob der Gedanke, den er in einem Satz ausdrückt, der Gleiche ist oder nicht wie jener, den er zu einer anderen Gelegenheit mit denselben oder anderen Worten ausdrückt. Und folglich ist es keineswegs anmaßend anzunehmen, dass Philosophen sich hier irren können; wie genauso wenig anmaßend ist anzunehmen, dass sie sich auch bei anderen Dingen irren können. Ein Philosoph könnte sagen: „Wenn ich das Wort ,real‘ verwende, ist es das, was ich damit meine.“ Und doch kann er sich irren; das, was er sagt, was er damit meint, könnte tatsächlich nicht das sein, was er damit meint. Es könnte der Fall vorliegen, dass der Gedanke, der in seinem Verstand ist, wenn er das Wort „real“ verwendet, und den er dadurch ausdrückt, sich von dem unter-

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scheidet, der durch die Wörter seiner Definition vermittelt wird, nur dass er den Fehler begangen hat zu denken, dass sie gleich sind. Daher ist die Tatsache, dass ein Philosoph eine Definition eines Wortes aufstellt und sagt, dass dies die Bedeutung ist, in der er das Wort verwendet, keineswegs ein Beweis, dass es wirklich die Bedeutung ist, in der er es verwendet. Es beweist nur, dass es das ist, was er denkt, dass er meint; und was er denkt, dass er meint, kann sich von dem, was er tatsächlich meint, sehr unterscheiden. Und genauso wie ein Philosoph denken kann, dass der Gedanke, den er durch zwei unterschiedliche Wörter ausdrückt oder durch das gleiche Wort bei zwei verschiedenen Gelegenheiten, derselbe ist, wenn sie sich tatsächlich unterscheiden; und umgekehrt mag er denken, dass es einen Unterschied zwischen dem, was er durch ein Wort bei einer Gelegenheit ausdrückt, und dem gibt, was er durch dasselbe oder ein anderes Wort bei einer anderen Gelegenheit, wenn es tatsächlich keinen Unterschied gibt – wenn die beiden Gedanken, von denen er denkt, dass sie unterschiedlich sind, tatsächlich dieselben sind. Diese beiden Arten, sich zu irren, können von mir begangen werden, selbst wenn ich eindeutig versucht habe, herauszuÂ�finden, ob mein Gedanke bei der einen Gelegenheit derselbe Gedanke wie bei einer anderen Gelegenheit ist oder nicht. Aber natürlich ist es wahrscheinlicher, dass ich einen meiner Gedanken behandeln werde, als ob es derselbe wie ein anderer wäre, wenn er tatsächlich sich unterscheidet, oder ihn als unterschiedlich zu behandeln, wenn er tatsächlich derselbe ist, falls ich nicht versucht haben sollte herauszufinden, ob die beiden dieselben sind oder nicht. Und in beiden Fällen kann ich zu gravierenden Fehlern verleitet werden. Ich werde versuchen zu erklären wie. Nennen wir die Eigenschaft, die ich durch das Wort ausdrücke, das ich in einem Satz als Prädikat verwende, „A“ und die Eigenschaft, die ich durch das Wort ausdrücke, das ich in einem anderen Satz als Prädikat verwende, „B“. Und nehmen wir an, dass es schwierig ist zu sehen, ob A sich von B unterscheidet oder nicht. In solch einem Fall gibt es zwei Möglichkeiten: A kann sich tatsächlich von B unterscheiden oder es kann dasselbe sein. Betrachten wir zuerst den Fall, in dem sie sich unterscheiden. Hier gibt es wieder zwei Möglichkeiten. Ich kann eindeutig versucht haben herauszufinden, ob A sich von B unterscheidet oder nicht; oder ich kann dies nicht versucht haben. Aber in jedem Fall, ob ich es jetzt versucht habe oder nicht, muss ich A und B so behandeln, obwohl in beiden Fällen unterschiedlich, als ob sie dieselben wären. Selbst wenn ich eindeutig über die Frage nachgedacht habe, ob sie unterschiedlich sind oder nicht, könnte ich mich geirrt haben und zu der Schlussfolgerung gelangt sein, dass

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sie dieselben sind, wenn sie sich tatsächlich unterscheiden, einfach weil es nicht leicht ist, sicher darüber zu sein. Daher muss ich sie in beiden Fällen behandeln, als ob sie dieselben sind, auch wenn sie sich tatsächlich unterscheiden. Mit „als dieselben behandeln“ meine ich Folgendes. Ich könnte vorher wissen, dass ein Ding Z die Eigenschaft A hat und dass ein anderes Ding Y die Eigenschaft B hat. Nehmen wir an, ich kenne wirklich diese beiden Tatsachen. Wenn ich nun diese Tatsachen kenne, aber nicht weiß, dass die Eigenschaften A und B unterschiedlich sind, werde ich folgern müssen, dass das Ding Z, welches die Eigenschaft A hat, auch die Eigenschaft B hat, und dass das Ding Y, welches die Eigenschaft B hat, auch die Eigenschaft A hat. Und diese beiden Schlussfolgerungen können zwei sehr gravierende Fehler sein, falls es tatsächlich einen wichtigen Unterschied zwischen A und B gibt. Dies ist die eine Art Fehler, die wir begehen können. Sie ist der Schwierigkeit geschuldet zu sehen, ob der Gedanke, den wir durch das Wort als Prädikat in einem Satz ausdrücken, dasselbe ist oder nicht wie jenes, das wir durch das Wort als Prädikat in einem anderen ausdrücken. Betrachten wir nun aber den anderen Fall. Nehmen wir an, dass A und B tatsächlich gleich sind und sich nicht unterscheiden. Auch hier gilt, ob wir nun ausdrücklich die Frage hinsichtlich ihrer Gleichheit betrachtet haben oder nicht, dass wir sie möglicherweise als verschieden behandeln, obwohl sie tatsächlich gleich sind. Die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, sind folgende. Wir könnten wissen, dass ein Ding Z die Eigenschaft A besitzt und ein anderes Ding Y die Eigenschaft B; und wir könnten darin Recht haben. Da wir uns aber nicht bewusst sind, dass A und B gleich sind, könnten wir veranlasst sein zu denken, dass das Ding, welches die Eigenschaft A hat, die Eigenschaft B nicht hat, und dass das Ding, welches die Eigenschaft B hat, die Eigenschaft A nicht hat, obwohl diese beiden Dinge ganz unmöglich sind, da es keinen Unterschied zwischen A und B gibt. Kurz gesagt, wir könnten veranlasst sein, uns selbst zu widersprechen, ohne es zu wissen. Wir könnten z.€B. behaupten, dass ein Ding existiert, aber nicht „real“ ist oder ein „Sein“ hat, aber nicht „existiert“, da wir denken, dass die Eigenschaft, die wir durch das Wort „existiert“ ausdrücken, sich von jener unterscheidet, die wir durch das Wort „real“ ausdrücken, oder dass die, die wir durch das Wort „ist“ ausdrücken, sich von jener unterscheidet, die wir durch das Wort „existiert“ ausrücken, während die Eigenschaft, die wir vor unserem geistigen Auge haben, in beiden Fällen genau dieselbe ist. Dies würde ein Beispiel sein, eine Unterscheidung ohne einen Unterschied zu treffen – nur eine sprachliche Unterscheidung zu treffen, ein Verstoß, dessen einige Philosophen oftmals

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andere beschuldigt haben und wahrscheinlich manchmal auch zu Recht, obwohl ich denke, dass Philosophen bestimmt häufiger des gegensätzlichen Verstoßes schuldig sind – jenes Verstoßes, anzunehmen, dass es keinen Unterschied gibt, obwohl ein Unterschied vorhanden ist. Nun denke ich, dass der Hauptnutzen, solche Fragen zu besprechen, darin liegt, dass es uns helfen kann, beiderlei Arten von Fehlern zu vermeiden. Aber ich sagte, dass nichtsdestotrotz die Diskussion dieser Fragen für die Behandlung wichtigerer Fragen hinsichtlich dessen, welche Dinge „real“ sind, „existieren“, „Tatsachen sind“ usw., im logischen Sinne nicht relevant ist. Und es könnte angenommen werden, dass das, was ich soeben gesagt habe, dieser Behauptung widerspräche. Ich habe zugegeben, dass eine solche Diskussion uns helfen könnte, Fehler bei diesen wichtigeren Fragen zu vermeiden; und es könnte angenommen werden, dies impliziert, dass es für diese Fragen im logischen Sinn relevant ist. Deshalb möchte ich die Unterscheidung, die mir vorschwebt, erklären. Nehmen wir an, dass die Frage, die wir klären möchten, wie folgt lautet: Sind Elefanten real oder nicht? Dies ist eine Frage, auf die Philosophen unterschiedlich antworten würden, da, wenn ich sie recht verstehe, Bradley und andere Philosophen gewiss sagen würden, dass Elefanten als solche nicht real sind. Nehmen wir nun an, wir stellen folgende Frage: Sind Elefanten real? Kann eine Diskussion über die Bedeutung des Worts „real“ in dem Sinn, den ich dargelegt habe, für die Klärung dieser Frage relevant sein? Alles, was uns solche Diskussionen direkt zeigen können, ist, dass die Eigenschaft, die in einem Satz durch das Wort „real“ in uns entsteht, sich von jener unterscheidet oder dieselbe ist, die dadurch in einem anderen Satz entsteht. Daher ist unsere Frage: Kann eine dieser Entdeckungen eine logische Bedeutung für die Frage haben, ob Elefanten die entsprechende Eigenschaft oder Eigenschaften haben? Nehmen wir zunächst an, dass das, was unsere Diskussion uns gezeigt hat, darin besteht, dass das Wort „real“ verwendet werden kann, um zwei völlig unterschiedliche Eigenschaften A und B auszudrücken. Und nehmen wir an, dass sie auch gezeigt hat (obwohl dies ein Punkt ist, der gesondert behandelt werden sollte), dass der Besitz von B nicht aus dem Besitz von A folgt. Nun würde dieses Ergebnis gewiss zeigen, dass es ein Fehler ist, daraus zu schließen, dass Elefanten die Eigenschaft B besitzen müssen, weil sie die Eigenschaft A besitzen. Wenn wir daher gefolgert hätten, dass sie die Eigenschaft B besäßen, weil sie A besäßen, würde dies zeigen, dass unsere Schlussfolgerung schlecht wäre. Aber es würde nicht möglich sein zu zeigen, dass sie die Eigenschaft B tatsächlich nicht besäßen: Es könnte nicht beweisen, dass wir uns bei der

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Annahme irrten, dass sie die Eigenschaft B sowie die Eigenschaft A besitzen. Unsere Entdeckung, dass A sich von B unterscheidet und es nicht impliziert, könnte uns daher nur davon abhalten, unsere Vorstellung auf einer falschen Basis zu entwickeln. Nur auf diese Art könnte es uns helfen, einen Fehler zu vermeiden. Es würde immer noch offen sein, ob die Meinung, die wir auf einer falschen Grundlage angenommen haben, selbst falsch wäre oder nicht. Und darum sage ich, dass die bloße Entdeckung, dass A und B sich voneinander unterscheiden, für die wichtigere Frage im logischen Sinn völlig irrelevant ist, ob ein bestimmtes Ding nun A oder B, beide oder keines besitzt. Und dieselbe Schlussfolgerung erhalten wir offensichtlich, wenn wir den gegenteiligen Fall betrachten. Nehmen wir an, unsere Betrachtung hat ergeben, dass das Wort „real“ nicht für zwei unterschiedliche Eigenschaften steht, sondern immer nur für eine. Dies wird dann beweisen, dass, wenn ein Elefant in einem Sinn „real“ ist, er unmöglich in einem anderen nicht real sein kann, weil es bewiesen worden ist, dass es keine zwei unterschiedlichen Bedeutungen des Worts „real“ gibt. Und falls es ein Teil unserer Grundlage zur Folgerung, ein Elefant sei nicht real, war, dass wir angenommen haben, er könne zugleich real und nicht real sein, wird gezeigt werden, dass unser Grund für die Folgerung insoweit falsch war; und dies kann uns daher indirekt zu einer richtigen Schlussfolgerung verhelfen, indem es zeigt, dass wir zwischen zwei Alternativen wählen müssen. Aber dies kann keineswegs klären, welche dieser beide Alternativen wahr ist. Die bloße Tatsache, dass ein Elefant nicht zugleich real und nicht real sein kann, kann unmöglich beweisen, welche dieser beiden zutrifft: Und diese Tatsache, dass es nicht beides sein kann, ist alles, was unsere Diskussion zur Bedeutung von „real“ gezeigt haben kann. Daher ist die Hauptfrage, die ich stellen möchte, einfach, ob die Eigenschaft, die in unserem Verstand durch Wörter wie „real“, „existiert“, „ist“, „ist eine Tatsache“, „ist wahr“ bei bestimmten Gelegenheiten erscheint, dieselbe Eigenschaft ist oder nicht, die in unserem Verstand durch jene Wörter bei anderen bestimmten Gelegenheiten erscheint. Und obwohl ich denke, dass die Betrachtung dieser Frage uns indirekt helfen könnte, Fehler hinsichtlich dessen zu vermeiden, welche Dinge die entsprechende Eigenschaft oder Eigenschaften haben, denke ich noch immer, dass es, logisch gesehen, für solche Fragen völlig irrelevant ist. Des Weiteren möchte ich auf dem Punkt beharren, dass, obwohl die entsprechende Eigenschaft oder Eigenschaften durch diese Wörter tatsächlich in unserem Verstand entstehen, diese Tatsache auch für die Frage selbst völlig irrelevant ist. Es ist eine Frage,

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die genauso gut von einer Person betrachtet werden könnte, die niemals von diesen englischen Wörtern gehört hat und dies sogar – zumindest theoretisch – ohne Wörter überhaupt tun könnte. Aber kehren wir nun zu der Frage selbst zurück. Ich nehme an, wenn wir sagen „Elefanten sind reale Tiere, aber Greife sind es nicht“, dass wir damit behaupten, Elefanten besitzen eine Eigenschaft, die Greife nicht besitzen; und niemand würde dies bezweifeln, denke ich, obwohl einige, wie ich sagte, Einwände gegen meinen Gebrauch des Worts „Eigenschaft“ erheben könnten. Daher ist diese Eigenschaft, die durch diesen Satz in unserem Verstand erscheint, zumindest eine der Eigenschaften, die durch das Wort „real“ ausgedrückt werden; und ich denke (obwohl dies natürlich angezweifelt werden kann), dass diese Eigenschaft zumindest eine der wichtigsten Eigenschaften ist, die durch das Wort „real“ ausgedrückt werden: Ich denke, dass eines der Dinge, das wir am meisten zu wissen wünschen und das zu wissen bei allen Arten von Gelegenheiten am wichtigsten ist, darin besteht, ob bestimmte Dinge diese Eigenschaft besitzen oder nicht, von der wir im Allgemeinen annehmen, dass Elefanten sie besitzen und Greife nicht. Aber wenn wir zugeben, dass dies eine der Eigenschaften ist, die durch das Wort „real“ ausgedrückt werden, und eine der wichtigsten, so bleibt immer noch die Frage: Gibt es andere, die sich von jener unterscheiden und auch wichtig sind, die durch dieses Wort oder andere, die ich erwähnt habe, bei anderen Gelegenheiten ausgedrückt werden? Bei der letzten Vorlesung hatte ich einen Grund für die Annahme, dass es zumindest eine andere Eigenschaft gibt. Ich argumentierte wie folgt. Auf den ersten Blick scheint es keinen Zweifel zu geben, dass, wenn ich mir einen Greif vorstelle, ich mir etwas vorstelle; und wenn dies so ist, dann gibt es ein solches Ding wie das, was ich mir vorstelle, wenn ich mir einen Greif vorstelle; d.€h. der gesamte Ausdruck „was ich mir vorstelle, wenn ich mir einen Greif vorstelle“ ist ein Name von etwas, das ist oder ein Sein hat. Aber es scheint auch, als ob „Greif“ nur ein anderer Name für dieses Etwas sei; und falls dies so ist, dann müssen wir eingestehen, dass es ein solches Ding wie einen Greif gibt. Aber es scheint auch ganz offensichtlich, selbst wenn wir dies zugeben, dass nicht folgt, dass Greife in demselben Sinn „real“ sind, wie Elefanten „real“ sind. Aber wenn es so ist, dann folgt, dass wir hier zwei verschiedene Eigenschaften haben, von denen eine durch das Wort „ist“ oder „hat Sein“ ausgedrückt wird und die andere durch das Wort „real“; eine von ihnen ist eine Eigenschaft, die von Greifen und allen imaginären Dingen besessen wird, die andere von ihnen ist eine Eigenschaft, die von ihnen nicht besessen wird. Das letzte Mal sagte

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ich, dass ich dachte, viele Philosophen nahmen wirklich an, dass dies der Fall ist – sie nahmen an, dass alle imaginären Dinge wirklich eine Eigenschaft besitzen, die ausgedrückt werden kann, indem man sagt, dass sie ein Sein haben, obwohl sie zugleich nicht die Eigenschaft besitzen, die wir im Allgemeinen durch das Wort „real“ ausdrücken. Aber wenn dies so ist, stellt sich die Frage: Was ist der Unterschied zwischen diesen beiden Eigenschaften? Und ich dachte, dass mindestens vier verschiedene Erklärungen hinsichtlich des Unterschieds gegeben werden können. Und ich möchte diese Erklärungen darlegen, nicht so sehr mit dem Zweck, ausführlich zu besprechen, ob sie richtig oder falsch sind, sondern hauptsächlich um hervorzuheben, dass es eine wirkliche Schwierigkeit gibt, herauszufinden, ob die Eigenschaft, die in unserem Verstand durch eine Art von Wörtern entsteht, dieselbe ist oder nicht, die in unserem Verstand durch eine andere entsteht. Zumindest drei dieser Erklärungen bestehen darin anzunehmen, dass die Eigenschaft, die durch das Wort „real“ hervorgerufen wird, wenn wir sagen „Elefanten sind real und Greife nicht“, identisch mit dem ist, was durch einen anderen Ausdruck in unserem Verstand entsteht. Aber die Eigenschaften, die durch diese drei anderen Ausdrücke in unserem Verstand entstehen, sind ganz offensichtlich alle unterschiedlich: Dies ist es, was ich meine, wenn ich sage, dass die drei Erklärungen unterschiedliche Erklärungen sind. Aber wenn jede dieser drei Eigenschaften sich von den anderen beiden unterscheidet, ist es offensichtlich, dass sie nicht alle mit der Eigenschaft identisch sein können, die wir durch das Wort „real“ ausdrücken. Sodass die bloße Tatsache, dass von ihnen allen angenommen worden ist, dass sie mit ihr identisch sind, und dass es plausibel erscheint anzunehmen, dass sie mit ihr identisch sind, zeigt, dass es schwierig ist, festzustellen, ob die Eigenschaft, die durch „real“ ausgedrückt wird, mit den Eigenschaften, die auf andere Arten ausgedrückt werden, identisch sind oder nicht. Die erste Erklärung würde jemandem als die offensichtlichste erscheinen, wenn er gefragt wird: Was ist der besondere Unterschied zwischen einem Elefanten und einem Greif, den wir dadurch ausdrücken, indem wir sagen, dass der eine „real“ ist und der andere nur „imaginär“? Es ist die erste Erklärung, die einer solchen Person begegnen würde, wenn sie einmal überzeugt ist, dass es nicht genügt, einfach zu sagen, dass der Unterschied darin besteht, dass es keine Dinge wie Greife gibt, während es solche Dinge wie Elefanten gibt. Sie würde, so denke ich, geneigt sein zu sagen: Der Unterschied besteht darin, dass Greife nur in der Vorstellung oder abhängig von ihr sind oder existieren, während Elefanten nicht nur in der Vorstellung sind oder exis-

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tieren, sondern auch unabhängig von ihr. Und dieser Unterschied zwischen dem, was nur in der Vorstellung oder abhängig von ihr ist, und dem, was nicht nur in der Vorstellung ist, sondern unabhängig von ihr, ist gewiss ein sehr wichtiger Unterschied und würde daher die Wichtigkeit vollständig erklären, die wir der Unterscheidung zwischen dem Realen und dem Imaginären beimessen. Des Weiteren würde diese Art, den Unterschied darzulegen, vollkommen mit jeder von zwei unterschiedlichen Theorien vereinbar sein, zwischen denen der Unterschied selbst wichtig ist. Die eine Theorie lautet wie folgt: Es kann vertreten werden, dass, wenn ich einen Elefanten sehe, der Elefant in meiner Vorstellung ist, genauso wie es der Greif ist, wenn ich ihn mir vorstelle; und dass der Unterschied zwischen den beiden Fällen darin besteht, dass, während der Elefant manchmal in meiner Vorstellung ist, er auch manchmal ist, wenn er nicht vorgestellt wird, während der Greif niemals ist, außer wenn er in einer Vorstellung ist. Auf dieser Basis kann behauptet werden: Wir bezeichnen alles als „real“, von dem wir glauben, dass es manchmal in einer Vorstellung ist und manchmal nicht, und alles als imaginär, von dem wir glauben, dass es nur in der Vorstellung ist. Aber andererseits kann vertreten werden, dass der Elefant niemals in meinem Bewusstsein ist, noch nicht einmal wenn ich ihn sehe – dass nur meine Idee von ihm jemals in meinem Verstand ist. Und dann würde die Theorie wie folgt lauten: Dass alle realen Dinge Dinge sind, die niemals in einem Verstand sind, während alles, was jemals in einem Verstand ist, imaginär ist. Hinsichtlich dieser Theorie, so wie ich dargelegt habe, gibt es den offensichtlichen Einwand, dass sie uns dazu verurteilt zu sagen, dass alle unsere mentalen Akte – unsere Gefühle, Gedanken, Wahrnehmungen und Wünsche – genauso imaginär wie ein Greif sind. Meine mentalen Akte sind gewiss zugleich in meinem Verstand und hängen von ihm in gewisser Weise ab; sie sind überhaupt nicht außer in meinem Verstand; und daher würde es scheinen, dass meine Gedanke an einen Greif genauso imaginär sind wie der Greif selbst, falls alles, das nur im Verstand oder von ihm abhängt, imaginär ist. Dies ist ein offensichtlicher Einwand, und es lohnt sich, dies hervorzuheben, da es den deutlichen Unterschied betont, den es zwischen diesen beiden Bedeutungen von „im Verstand“ gibt: Die Bedeutung, in der meine mentalen Akte selbst in meinem Verstand sind, und die Bedeutung, in der von allem, an das ich denke oder dessen ich bewusst bin, gesagt werden kann, dass es in meinem Verstand ist. Aber man kann natürlich diesen Einwand umgehen, indem man auf diese Unterscheidung achtet und sagt, dass das, was imaginär ist, das ist, was nur im Verstand ist, in dem Sinn, dass es nur

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ist, wenn es ein Objekt eines Bewusstseins ist – nur wenn jemand sich seiner bewusst ist. Wir sollten nun die Theorie haben, dass zu sagen, ein Greif sei imaginär, bedeutet, dass er nur existiert oder ist, solange er ein Objekt einer Vorstellung ist: Wir sollten tatsächlich eine Theorie haben, die mittels der Formulierung ausgedrückt werden kann, die ich zuvor besprochen habe: Laut unserer Theorie würde das Esse der imaginären Dinge – die einzige Art des Seins, die sie haben – percipi sein und dies ist es, was ihre Art des Seins von jener unterscheidet, die reale Dinge haben. Solch eine Theorie würde das Paradox vermeiden, welches besagt, dass alle unsere mentalen Akte imaginär sind; da natürlich behaupten werden kann, dass unsere mentalen Akte nicht nur Sein haben, wenn sie wahrgenommen werden. Aber sie ist dennoch, denke ich, einem anderen Einwand ausgesetzt. Wenn wir nämlich die Proposition bezüglich Sinnesdaten vertreten, die ich zuvor erklärt habe – die Proposition, dass alle Sinnesdaten nur existieren, wenn sie wahrgenommen werden –, verurteilt uns diese Theorie zu behaupten, dass alle unsere Sinnesdaten rein imaginär sind –dass sie genauso imaginär sind wie ein Greif. Sie impliziert z.€B., dass die farbigen Stellen, die ich jetzt tatsächlich sehe, im wahrsten Sinne des Wortes rein imaginär sind: Dass das Meiste, das ich meinen kann, wenn ich sage, dass etwas imaginär ist, das ist, dass es eine Eigenschaft hat, die diese farbigen Stellen haben – dass sie nur existieren, wenn sie wahrgenommen werden. Aber dass dies nicht der Fall ist, kann durch ein einfaches Beispiel leicht erfasst werden. Betrachten wir eine imaginäre Person – eine literarische Figur – Waverley kann hier genauso wie jede andere angeführt werden. Wie wir wissen, traf Waverley Miss Flora Mac Ivor, die ebenso eine imaginäre Person ist. Und nehmen wir an, dass Flora Mac Ivors äußere Erscheinung keiner Person gleicht, die jemals wirklich existiert hat. Wenn dem so ist, dann erfasste Waverley eine Reihe von Sinnesdaten direkt, als er Flora Mac Ivor anschaute, die sich von allen unterscheiden, die wirklich jemals direkt erfasst worden sind. Und diese Sinnesdaten, von denen wir uns vorstellen können, dass der imaginäre Waverley sie direkt erfasst hat, sind das, was wir unter „imaginären“ Sinnesdaten verstehen. Diese Sinnesdaten Waverleys scheinen in demselben Sinn imaginär zu sein, wie ein Greif imaginär ist; und offensichtlich sind meine Sinnesdaten – jene, die ich jetzt direkt erfasse –in diesem Sinn nicht imaginär. Aus diesem Grund können wir unmöglich die Ansicht akzeptieren, dass die Unterscheidung zwischen dem Realen und dem Imaginären identisch ist mit der Unterscheidung zwischen dem, was von der Vorstellung bzw. vom Verstand abhängt – in dem Sinn, dass es nur ist oder existiert, wenn es ein Objekt des Bewusstseins

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ist – und dem, was nicht in der dieser Art abhängig ist. Wir können diese Ansicht nicht akzeptieren, weil wir erkennen, dass von zwei Dingen, die in diesem Sinn von einer Vorstellung bzw. dem Verstand abhängen – nämlich Waverleys Sinnesdaten, als er Flora Mac Ivor sah, und meinen Sinnesdaten jetzt –, trotzdem eines real sein kann und das andere imaginär. Das heißt wir erkennen selbst in der Klasse von Dingen, die vollkommen vom Verstand abhängig sind, dass die Unterscheidung zwischen dem Realen und dem Imaginären weiterhin besteht. Natürlich könnte gesagt werden, dass diese Unterscheidung zwischen dem, was vom Verstand abhängig ist, und dem, was es nicht ist, eine der Unterscheidungen ist, auf die wir uns manchmal durch die Unterscheidung zwischen real und nicht real beziehen. Und ich denke, dies könnte so sein. Philosophen drücken sich auf jeden Fall oft so aus, als ob die Frage, ob bestimmte Arten von Dingen real sind oder nicht, mit der Frage identisch sei, ob sie unabhängig von Verstand existieren oder nicht. Und vielleicht könnten sie darin auch Recht haben. Aber auch wenn sie darin Recht haben, zeigt dies, dass wir drei verschiedene Eigenschaften anerkennen müssen, nicht nur zwei. Es gibt (1) die Art des Seins, die Objekte besitzen, die vollkommen vom Verstand abhängig sind und in dem Sinn imaginär sind, in dem Waverleys Sinnesdaten imaginär sind; (2) die Art des Seins, die Dinge besitzen, die vollkommen vom Verstand abhängig sind und nicht in diesem Sinn imaginär sind, z.€B. die Art des Seins, die die Sinnesdaten besitzen, die ich jetzt direkt erfasse; und (3) die Art der Realität, die darin besteht, dass sie unabhängig vom Verstand ist. Und diese Theorie bietet überhaupt keine Erklärung für den Unterschied zwischen den ersten beiden Arten des Seins. So viel zu dieser ersten Theorie hinsichtlich der Natur der Unterscheidung zwischen dem Realen und dem Imaginären. Die zweite Theorie kann auf folgende Weise beschrieben werden. Wie unterscheiden wir, so kann gefragt werden, tatsächlich zwischen unseren Träumen und unseren Wahrnehmungen im Wachzustand? Nehmen wir an, ich träume, dass ein Löwe in meinem Schlafzimmer ist. Wie finde ich tatsächlich heraus, dass es nur ein Traum war und dass nicht wirklich ein realer Löwe dort war? Oder wie findet eine Person im Delirium tremens heraus, dass die Schlangen, die sie sieht, keine realen Schlangen sind, sondern nur imaginäre? Es kann gesagt werden, dass die Art, in der ich mich selbst versichern kann, dass wirklich kein Löwe in meinem Schlafzimmer war, sich dadurch vollzieht, dass ich am Morgen keine Spuren finde, die ein realer Löwe hinterlassen hätte. Anders gesagt, ich schließe durch die Abwesenheit bestimmter Folgen, die ein realer

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Löwe hervorgerufen hätte, dass der Löwe nicht real war. Das Gleiche gilt für die Person im Delirium tremens; sie kann herausfinden, dass die Schlangen nicht real sind, weil sie erkennt, dass andere Personen sie nicht sehen: Reale Schlangen würden zur Folge haben, dass andere Personen sie sehen; und sie schließt durch die Abwesenheit dieser Folge, dass die Schlangen nicht real sind. Aber natürlich muss es nicht nur durch die Abwesenheit bestimmter Folgen sein, dass wir zu einer solchen Schlussfolgerung gelangen, obwohl dies vielleicht die übliche Art ist; wir können auch aus der Abwesenheit von bestimmten Ursachen schließen, dass ein Ding imaginär ist – solche, die nötig gewesen wären, wenn es real gewesen sein sollte. Nehmen wir z.€B. an, ich träume, dass ich einen Freund treffe, von dem ich weiß, dass er tot oder in Neuseeland ist. Ich könnte schließen, dass es nur ein Traum war, weil ich weiß, dass er lebendig oder in England sein müsste, um wirklich hier gewesen zu sein: Daher weiß ich, dass bestimmte Ursachen seiner Erscheinung nicht vorausgegangen sind, die notwendigerweise vorausgegangen sein müssten, falls es real gewesen wäre. Daher können wir generell sagen, dass eine Art, in der wir tatsächlich entscheiden, dass ein gegebenes Ding imaginär und nicht real ist, durch die Abwesenheit anderer Dinge bedingt ist, die mit ihm verbunden gewesen sein müssten (entweder vorausgehend, nachfolgend oder begleitend), wenn es real gewesen wäre. Und ich denke, es gibt keinen Zweifel, dass wir manchmal auf diese Art entscheiden. Der beschriebene Prozess ist ein Prozess, den wir tatsächlich anwenden und der gewiss von großer Wichtigkeit ist; und es könnte sogar auf den ersten Blick angenommen werden, dass es nur durch einen Prozess dieses Typus ist, durch den wir stets entscheiden, ob ein Ding real ist oder nicht. Aber ob wir nun immer auf diese Weise entscheiden oder nicht, so kann doch gesagt werden, dass wir gewiss immer so entscheiden könnten: Wir könnten dies theoretisch so tun, da es wahr ist, dass ein Ding, das real ist, immer mit einem anderen Ding verbunden ist, mit dem es nicht verbunden gewesen wäre, wenn es nicht real gewesen wäre; es hat immer irgendeine Folge, Ursache oder Begleiterscheinung, die es nicht hätte, wenn es imaginär gewesen wäre. Und soweit ich dies sehen kann, trifft dies zu. Aber es kann auch gesagt werden: Wir haben hier eine Eigenschaft entdeckt, die zu allen realen Dingen gehört und nicht zu imaginären; und diese Eigenschaft hat zwei weitere Empfehlungen, die wir beachten sollten. Zunächst ist es eine Eigenschaft, die wir tatsächlich in einigen Fällen als einen Test verwenden, um zu entscheiden, ob ein gegebenes Ding real ist oder nicht; und zweitens wäre es uns auf jeden Fall nicht möglich, dies in einigen Fällen ohne

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ihre Hilfe zu entscheiden. Wenn es nicht der Fall wäre, dass ein Ding, das real ist, immer einige Verbindungen hat, die es nicht gehabt haben würde, wenn es nicht real wäre, würde es uns in einigen Fällen völlig unmöglich sein zu entscheiden, ob ein gegebenes Ding real ist oder nicht; in einigen Fällen ist es gewiss nur durch die Abwesenheit von Ursachen, Folgen oder Begleiterscheinungen, die es gehabt haben würde, wenn es real wäre, dass es uns möglich ist zu entscheiden, ob ein Ding imaginär ist, und nur durch die Anwesenheit von Ursachen, Folgen oder Begleiterscheinungen, die es nicht gehabt haben könnte, wenn es imaginär wäre, dass es uns möglich ist, zu entscheiden, dass es real ist. All dies kann mit Gewissheit gesagt werden. Aber wenn dem so ist, kann es natürlich sein zu fragen: Warum sollte nicht diese Eigenschaft, die wir tatsächlich verwenden, um zu entscheiden, ob ein Ding real oder imaginär ist, und die zumindest manchmal für unsere Entscheidung unabdingbar ist, diejenige sein, die in unserem Verstand entsteht, wenn wir sagen, dass ein Ding „real“ ist? Warum sollte es nicht diese Eigenschaft sein, von der wir tatsächlich meinen, dass sie ein Ding besitzt, wenn wir sagen, dass es real ist? Es ist nur natürlich, denke ich, anzunehmen, dass wir hier schließlich die Unterscheidung zwischen dem Realen und dem Imaginären haben. Und viele Philosophen waren geneigt anzunehmen, dass es daher die Verbindung zu anderen Dingen ist, die ein reales Ding von einem imaginären unterscheidet. Aber wenn wir diese Annahme betrachten, müssen wir sehr genau darauf achten, was die angenommene Eigenschaft ist. Sie muss, wenn sie unseren Zweck erfüllen soll, eine Eigenschaft sein, die zu allen realen Dingen gehört und nicht zu imaginären. Und die einzige Eigenschaft, die in den angeführten Beispielen zu allen realen Dingen und nicht zu imaginären gehört, lautet genau wie folgt: Es ist jene, eine Folge, Ursache oder Begleiterscheinung zu haben, die das entsprechende Ding nicht gehabt hätte, wenn es nicht real gewesen wäre. Nichts zeigt, dass die entsprechende Folge, Ursache oder Begleiterscheinung immer dieselbe ist; dass es eine Folge, Ursache oder Begleiterscheinung ist, die immer zu allen realen Dingen und nicht zu imaginären gehört. Im Gegenteil, es scheint vollkommen offensichtlich, dass bestimmte Folgen und Ursachen, durch die wir entscheiden, im Fall verschiedener Dinge verschieden sind. Daher ist alles, was unsere Beispiele uns gestatten, von allen realen Dingen vorauszusagen, dass jedes von ihnen diese oder jene Verbindung hat, die es nicht gehabt hätte, wenn es nicht real gewesen wäre. Dies ist eine Eigenschaft, die, so glaube ich, alle realen Dinge besitzen, und wenn sie sie nicht besitzen, wäre es uns oft unmöglich zu ent-

Die Bedeutung von „real“

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scheiden, ob ein Ding real oder imaginär ist. Aber es gibt einen schwerwiegenden Einwand gegen die Annahme, dass dies die Eigenschaft ist, die wir durch das Wort „real“ ausdrücken. Es muss berücksichtigt werden, dass das Wort „real“ selbst in der Definition dieser Eigenschaft auftritt. In diesem Sinn ist es ein Zirkelschluss. Und obwohl dies kein Einwand ist, anzunehmen, dass alle realen Dingen wirklich diese Eigenschaft haben zusätzlich zu jener, die durch das Wort „real“ ausgedrückt wird, ist es ein schwerwiegender Einwand, anzunehmen, dass dies selbst die Eigenschaft ist, die durch das Wort „real“ gemeint ist. Denn bei weiterer Betrachtung erkennen wir, dass es überhaupt keine solche Eigenschaft geben würde, wenn nicht die Eigenschaft, die durch das Wort „real“ vermittelt wird, etwas anderes als jene wäre: Die Wörter, mit denen sie ausgedrückt wird, sind blanker Unsinn und bedeuten überhaupt nichts, wenn das Wort „real“ nicht eine andere Bedeutung hat. Zuerst stellen wir fest: „Alles, was real ist, hat eine Verbindung, die es nicht gehabt hätte, wenn es nicht real gewesen wäre.“ Dies ist eine Proposition, die, so gebe ich zu, wahr ist und die keineswegs Unsinn ist. Aber was nun angenommen wird, ist Folgendes. Wir sollen behaupten: „Zu sagen, dass ein Ding ,real‘ ist, bedeutet zu sagen, dass es eine Verbindung hat, die es nicht gehabt hätte, wenn es nicht real gewesen wäre.“ Und dies ist es, was sich als Unsinn herausstellt. Denn wenn wir diese Definition akzeptieren, sind wir berechtigt, das Wort „real“, wann immer es auftritt, durch den angenommenen äquivalenten Ausdruck zu ersetzen. Daher können wir sagen: „Zu sagen, dass ein Ding ,real‘ ist, bedeutet, dass es eine Verbindung hat, die es nicht gehabt hätte, wenn es nicht was? gewesen wäre.“ Hier haben wir das Wort „real“ selbst und versuchen wir nun, es durch den äquivalenten Ausdruck zu ersetzen. Fangen wir nochmals an: „Zu sagen, dass ein Ding ,real‘ ist, bedeutet, dass es eine Verbindung hat, die es nicht gehabt hätte, wenn es nicht eine Verbindung gehabt hätte, die es nicht gehabt hätte, wenn es nicht eine Verbindung gehabt hätte€...“ So erhalten wir einen Satz, der unmöglich jemals vervollständigt werden kann und der reiner Unsinn ist. Und dies zeigt, dass die Eigenschaft, von der angenommen worden ist, dass sie die Eigenschaft ist, die durch das Wort „real“ ausgedrückt wird und die wirklich zu allen realen Dingen gehört, eine Eigenschaft ist, die für ihr Sein davon abhängt, dass sie nicht die Eigenschaft ist, die mit dem Wort „real“ gemeint ist. Die Eigenschaft, die mit dem Wort „real“ gemeint ist, ist ein Bestandteil von ihr, trägt zu ihrem Aufbau bei und kann deshalb nicht mit dem Gesamten identisch sein, von dem es ein bloßer Teil ist; und wenn es nicht einen solchen Bestandteil gäbe, würde das Gesamte, von dem es ein

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Teil ist, einfach nicht existieren. Aus diesem Grund können wir durch die Betrachtung des oben erläuterten Prozesses, durch den wir oft entscheiden, ob ein gegebenes Ding real oder imaginär ist, keine Erklärung der Unterscheidung zwischen dem Realen und dem Imaginären erhalten. Die einzige Eigenschaft, die wir mittels dieses Prozesses von allen realen Dingen voraussagen können, ist eine Eigenschaft, die unmöglich mehr als eine Eigenschaft sein kann, die sie alle zusätzlich zu ihrer Wirklichkeit besitzen: Es kann unmöglich die Eigenschaft, real zu sein, selbst sein. Diese zweite vorgebrachte Erklärung der Unterscheidung zwischen dem Realen und dem Imaginären scheitert daher ebenso. Und die dritte mögliche Erklärung, die ich erwähnen möchte, ist von Bradley vorgebracht worden. Bradley vertritt, dass eine der Eigenschaften, die er durch das Wort „real” ausdrückt, eine Eigenschaft mit Gradation ist: Er spricht fortwährend von einem Ding, das realer oder weniger real als ein anderes ist; und dieses Konzept von Realitätsgraden ist eines jener, die er am meisten benutzt. Aber er behauptet auch, wenn eine Eigenschaft in Grade eingeteilt ist, dass die Konzeption des höchstmöglichen Grades dieser Eigenschaft auf jeden Fall eine äußerst klare Konzeption ist und dass, falls es solch ein Ding wie den höchstmöglichen Grad von ihr gibt und falls wir annehmen, dass ein Ding oder Dinge diesen Grad besitzen, während andere ihn nicht haben, wir Dinge in zwei Klassen einteilen können, und zwar ob sie den höchsten Grad der Eigenschaft besitzen oder nicht. Nun vertritt Bradley selbst die Meinung, dass das, was er „das Absolute“ nennt, den höchsten Grad dieser angenommenen Eigenschaft besitzt; während er behauptet, dass keines der Dinge, die er Erscheinungen nennt, diesen höchsten Grad besitzt; sie besitzen alle die Eigenschaft, so denkt er, in einem gewissen Grad, und obwohl einige mehr von ihr besitzen als andere, sind alle „real“ in diesem ersten Sinn und einige sind „realer“ als andere, aber keine Erscheinung hat den höchstmöglichen Grad dieser Art von Realität. Daher erkennen wir gemäß Bradley, dass eine Eigenschaft, die das Absolute von allen Erscheinungen unterscheidet, besagt, dass es den höchsten Grad dieser Art von Realität besitzt, während keine von ihnen jenen hat. Und folglich scheint es möglich, dass der höchste Grad dieser ersten Art von Realität Bradleys zweite Art von Realität konstituiert, die Art von Realität, die allein das Absolute besitzt und die keine Erscheinung besitzt. Wenn er sagt, dass alle Erscheinungen nicht real sind, meint er vielleicht nur, dass keine von ihnen den höchsten Grad dieser ersten Art von Realität besitzt. Daher zeigt dies eine mögliche Erklärung der zwei verschiedenen Bedeutungen, in denen Bradley das Wort „real“

Die Bedeutung von „real“

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verwendet. In einem Sinn des Worts steht „real“ gewiss für eine Eigenschaft, die laut ihm in Grade eingeteilt ist, und dies ist die Bedeutung, in der Zeit und alle anderen Erscheinungen sowie das Absolute „real“ sind. Und in der anderen Bedeutung könnte „real“ ausschließlich für den höchstmöglichen Grad dieser ersten Eigenschaft stehen; und dies mag vielleicht der Sinn sein, in dem laut Bradley allein das Absolute real ist. Ich weiß nicht, ob Bradley es akzeptieren würde, dies als das anzusehen, was er mit seiner zweiten Bedeutung von „real“ meint, als die Eigenschaft, die in seinem Verstand entsteht, aber wenn er bezüglich dieses Punkts Recht hat, dass seine erste Bedeutung in Grade eingeteilt ist, ist dies auf jeden Fall eine mögliche Erklärung seiner zweiten Bedeutung; und wie wir gesehen haben, vertritt er gewiss, dass das Absolute sich von Erscheinungen dadurch unterscheidet, dass es den höchstmöglichen Grad besitzt, ob es nun diese Unterscheidung ist, die er ausdrückt, wenn er sagt, dass es real ist, und sie ihn nicht. Aber wenn dies eine mögliche Erklärung der Bedeutung von Bradley ist, ist es ebenso eine mögliche Erklärung unserer Bedeutung. Es ist möglich, wenn wir sagen, wie wir es im Alltagsleben tun, dass „ein Elefant real ist und ein Greif nicht“, dass die Eigenschaft, die wirklich in unserem Verstand hervorgerufen und dem Elefant zugeschrieben und dem Greif abgesprochen wird, der höchstmögliche Grad von Bradleys erster Art der Realität ist. Bradley würde selbstverständlich sagen, dass wir uns irren, wenn wir den höchstmöglichen Grad dieser ersten Art der Realität Elefanten zuschreiben: Er vertritt gewiss, dass sie ihn nicht haben; Elefanten sind laut ihm bloße Erscheinungen. Er würde vielleicht auch sagen, dass es nicht das ist, was wir im Alltagsleben meinen, wenn wir sagen, dass ein Elefant real ist. Aber wenn Greife eine Art von Realität, die in Grade eingeteilt ist, haben, wie Bradley anzunehmen scheint, kann die Ansicht, dass Elefanten den höchstmöglichen Grad dieser Art von Realität haben, während Greife ihn nicht haben, möglicherweise das sein, was tatsächlich in unserem Verstand hervorgerufen wird, wenn wir eine deutliche Unterscheidung zwischen Elefanten und Greifen treffen, die wir ausdrücken, indem wir sagen, dass Elefanten real sind und Greife nicht. Hier ist nun eine mögliche Erklärung für die wahre Unterscheidung zwischen dem „Realen“ und dem „Imaginären“, nämlich dass beide in Bradleys erstem Sinn „real“ sind, aber dass diese erste Art der „Realität“ Grade hat und dass die Art der Realität, die nicht zu imaginären Dingen, sondern zu realen gehört, daher möglicherweise der höchstmögliche Grad dieser ersten Art ist, die zu beiden gehört. Welchen Einwand gibt es bezüglich dieser Erklärung? Die einzigen Einwände, die ich kenne, wenn man seinen Verstand betrachtet

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George Edward Moore • Grundprobleme der Philosophie

und versucht herauszufinden, welche Eigenschaft man Greifen zuschreibt, wenn man sagt, wie man gezwungen zu sein scheint, dass es keine solchen Dinge wie Greife gibt, dass man erkennt, dass die entsprechende Eigenschaft nicht in Grade eingeteilt ist; dass es Unsinn ist, von einem Ding zu sprechen, das mehr Sein als ein anderes hat. Das Gleiche gilt, wenn man seinen Verstand betrachtet und versucht herauszufinden, welche Eigenschaft man Elefanten zuschreibt, wenn man sagt, dass sie real sind, erkennt man, dass diese Eigenschaft nicht der höchstmögliche Grad irgendeiner Eigenschaft ist, sondern etwas, das nur eindeutig ist. Dieses sind, denke ich, die offensichtlichen Einwände. Aber auf diese Frage, ob in einer wichtigen Bedeutung des Worts „real“ „real“ entweder für eine Eigenschaft steht, die in Grade eingeteilt ist, oder für eine, die ein Grad einer anderen Eigenschaft ist, werde ich bald zurückkommen müssen.

Kapitel 13 Vorstellung und Erinnerung

I

ch habe begonnen, die Frage zu diskutieren, ob es der Fall ist oder nicht, dass rein imaginäre Dinge trotz ihres rein imaginären Seins eine Art von Sein haben; ob es z.€B. trotz der Annahme, dass Greife, Zentauren und Chimären rein imaginäre Kreaturen sind, nicht in einem Sinn wahr ist, dass es solche Dinge wie Greife, Zentauren und Chimären gibt. Ich werde nun versuchen, diese Diskussion abzuschließen, obwohl ich nicht sicher bin, ob diese spezielle Frage genauso wichtig hinsichtlich der Bedeutung des Worts „real“ ist, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Ich denke, einige Philosophen haben gewiss angenommen, dass alle imaginären Dinge eine Art von Sein haben, trotz ihres imaginären Seins. Und ich habe bereits ein Argument zugunsten dieser Ansicht dargelegt – ein Argument, das gewiss (soweit ich es beurteilen kann) nicht einfach zu klären ist, obwohl es spitzfindig zu sein scheint. Aber es gibt auch ein anderes Argument zu ihren Gunsten, das ich bis jetzt noch nicht erwähnt habe und das ich nun erwähnen möchte, weil die Klärung eine Unterscheidung beinhaltet, die ich ursprünglich als selbstverständlich annehmen wollte, aber die schließlich keineswegs offensichtlich ist und die in Verbindung mit diesem Thema von größter Wichtigkeit ist – und ich denke, auch in Verbindung mit der Theorie des Wissens im Allgemeinen. Das Argument, das ich meine, lautet wie folgt. Wenn wir uns etwas vorstellen, geschieht es sehr oft, dass wir etwas vor unserem geistigen Auge haben, was manchmal als Abbild bezeichnet wird. Zum Beispiel in diesem Augenblick, wenn ich von Greifen spreche, habe ich ein visuelles Abbild in meinem Bewusstsein, das mehr oder weniger den Bildern und Statuen von Greifen ähnelt, die ich gesehen habe, obwohl es sehr viel schwächer ist. Und dieses visuelle Abbild ist natürlich selbst ein Sinnesdatum in dem Sinn, den ich dargelegt habe. Es ist natürlich nicht tatsächlich durch die Sinne gegeben, wie die Stellen mit Farbe durch die Sinne gegeben sind, die ich jetzt sehe, aber es besteht aus Stellen mit Farbe in verschiedenen Formen, in genau dem gleichen Sinn. Abbilder sind nun eine Art von Sinnesdaten; und ich nehme an, dass Sie wissen, was ich mit einem Abbild meine. Viele Philosophen haben ange-

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nommen (und es ist gewiss sehr natürlich, dies anzunehmen), dass diese Abbilder, die wir in unserem Bewusstsein haben, wenn wir uns Dinge vorstellen, das sind, was wir uns vorstellen; dass unsere Vorstellung einfach darin besteht, Abbilder vor unserem geistigen Auge zu haben. Aber es gibt keinen Zweifel, dass das, was ich mir jetzt vorstelle, ein Greif ist. Wenn daher das, was ich mir vorstelle, das Abbild ist, das in meinem Verstand ist, so folgt, dass dieses Abbild ein Greif ist. Und da es keinen Zweifel gibt, dass es ein solches Ding wie dieses Abbild gibt, so würde folgen, dass es gewiss ein solches Ding wie einen Greif gibt. Anders gesagt, es kann angebracht sein, imaginäre Dinge mit Abbildern gleichzusetzen; zu sagen, dass jeder Name, der ein Name eines imaginären Dinges ist, tatsächlich nicht mehr und nicht weniger als der Name eines Abbilds ist. Und falls diese Ansicht wahr wäre, dann scheint es mir nicht nur wahr zu sein, dass alle imaginären Dinge eine Art von Sein haben, sondern auch dass sie alle existieren oder real sind; da ich denke (obwohl dies selbstverständlich angezweifelt werden kann), dass, wenn es eine Unterscheidung zwischen bloßem Sein einerseits und Existenz oder Realität andererseits gibt, Abbilder nicht nur ein Sein, sondern auch eine Existenz oder Realität haben. Diese Ansicht, dass imaginäre Dinge nicht mehr oder weniger als Abbilder sind, ist gemeinhin vertreten oder impliziert worden. Berkeley und Hume z.€B. haben niemals auch nur vermutet, dass es einen Unterschied zwischen den beiden geben könnte. Genauso wie Berkeley angenommen hat, wenn ich sage „Ich aß ein Stück Brot mit Butter zum Tee“, dass diese Wörter „ein Stück Brot mit Butter“ bloß ein Name für eine meiner Vorstellungen sind, sodass ich eine meiner Ideen gegessen habe, wenn ich das Brot mit Butter gegessen habe; ich denke, er hat ebenso angenommen, dass, wenn ich sage „Ich stelle mir einen Greif vor“, dieser Name „ein Greif“ auch nur ein Name für eine meiner Ideen ist, und mit der Bezeichnung „Vorstellung“ meint er in beiden Fällen nur das, was ich als ein Sinnesdatum oder eine Ansammlung von Sinnesdaten bezeichnet habe. Hume hat diesen beiden unterschiedlichen Arten von Sinnesdaten, die Berkeley beide „Ideen“ genannt hat, zwei verschiedene Bezeichnungen gegeben. Er hat vorgeschlagen, die Bezeichnung „Eindrücke“ den Sinnesdaten zu geben, die ich direkt erfasse, wenn ich ein Stück Brot mit Butter tatsächlich sehe, berühre oder schmecke, und die Bezeichnung „Idee“ auf die Art von Sinnesdaten zu beschränken, die ich soeben „Abbilder“ genannt habe – jene Sinnesdaten, die ich direkt erfasse, wenn ich mir „einen Greif“ nur vorstelle, oder jene, die ich direkt erfasse, wenn ich mich bloß an ein Stück Brot mit Butter erinnere und es

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nicht tatsächlich sehe, berühre oder schmecke; und er nimmt an, dass diese beiden Klassen von Sinnesdaten, „Eindrücke“ einerseits und „Ideen“ oder „Abbilder“ andererseits, durch die Tatsache unterschieden werden, dass die Ideen schwächer oder weniger lebhaft sind als die Eindrücke. Und hinsichtlich der „Eindrücke“ vermutet er, dass, wenn ich sage „Ich aß ein Stück Brot mit Butter“, der Ausdruck „ein Stück Brot mit Butter“ nicht nur eine Bezeichnung für meine Eindrücke ist, sondern auch für etwas ganz anderes – etwas, das kein Sinnesdatum ist. Und vielleicht könnten wir sagen, dass selbst Berkeley dies vermutet, da das, was er selbst eindeutig beweisen will, besagt, dass die Bezeichnung nur eine Bezeichnung für meine Eindrücke ist; so zeigt er, dass er die Annahme für möglich hielt, dass es eine Bezeichnung für etwas anderes ist. Aber weder Hume noch Berkeley hegen auch nur den geringsten Verdacht, dass es einen entsprechenden Unterschied zwischen dem „Abbild“, das ich in meinem Bewusstsein habe, wenn ich mir ein imaginäres Ding vorstelle, und dem imaginären Ding selbst geben kann. Selbst wenn es eine Unterscheidung zwischen einem Stück Brot mit Butter und meinem Eindruck von einem Stück Brot mit Butter gibt, haben beide stets angenommen, dass es keine Unterscheidung zwischen einem Greif und meiner Idee eines Greifen gibt. Heutzutage würden die führenden Kapazitäten zustimmen, dass diese Auffassung, die ich Berkeley und Hume zugeschrieben habe, falsch ist. Aber es ist solch eine natürliche Auffassung, dass möglicherweise viele Leute sie trotzdem ausdrücklich verteidigen würden. Daher denke ich, es ist besser, die schlüssigsten Argumente dagegen darzulegen; besonders da es äußerst schwierig ist, wirklich klare und schlüssige Argumente dagegen zu finden, und es ist ebenso äußerst schwierig, genau zu erkennen, welche Alternative existiert, aus welcher Vorstellung sie bestehen kann, wenn sie nicht nur aus der Wahrnehmung von Abbildern besteht. Daher möchte ich die besten Gründe für die Annahme darlegen, dass das, was ich mir vorstelle, wenn ich mir einen Greif vorstelle, nicht nur das Abbild ist, das ich in meinem Verstand habe, nicht nur das Sinnesdatum –€eine mehr oder weniger schwache, ungenaue, veränderte Kopie von Bildern oder Statuen von Greifen, die ich gesehen habe. Welche Argumente können wir finden, um dies zu beweisen? Zunächst gibt es das Argument, dass wir gewöhnlich sagen, das Abbild, das jetzt in meinem Verstand ist, sei nur ein Abbild eines Greifen und nicht selbst ein Greif , und das, was nur ein Abbild eines Dings ist, könne nicht identisch mit dem Ding sein, von dem es ein Abbild ist. Dies ist gewiss

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das, was wir gewöhnlich annehmen sollten, sodass die Ansicht, dass dieses Abbild ein Greif ist, paradox klingt. Und wir könnten dies auch ergänzen, indem wir den Ausgangspunkt der Betrachtung annehmen und sagen: Es ist vollkommen offensichtlich, dass es kein solches Ding wie einen Greif gibt; während es genauso offensichtlich ist, dass es ein solches Ding wie mein Abbild von ihm gibt; und daher folgt, dass der Greif und mein Abbild von ihm nicht identisch sind. Und ich denke, dass beide Argumente einiges Gewicht haben, aber sie würden, so wie sie sind, kaum für jemanden überzeugend sein, der die gegensätzliche Meinung vertritt. Deswegen möchte ich versuchen, andere zu finden. Und das nächste Argument, das ich vorbringen möchte, versucht nicht den Punkt hinsichtlich der reinen Vorstellung direkt zu beweisen, sondern verweist auf eine vermutete Analogie zur Erinnerung. Wir sprechen selbstverständlich von Vorstellung nicht nur, wenn das, was wir uns vorstellen, rein imaginär ist, sondern auch, wenn wir uns an ein vergangenes Ereignis erinnern, das tatsächlich in der Vergangenheit existiert hat und dem wir selbst tatsächlich beigewohnt haben. Ich kann jetzt z.€B. ein Ereignis durch Erinnerung wachrufen, dem ich tatsächlich an diesem Nachmittag beigewohnt habe; und es ist völlig natürlich zu sagen, dass, wenn ich dies tue, ich es „in der Vorstellung“ wachrufe. Das heißt, ich kann „in meiner Vorstellung“ bei meinen eigenen vergangenen Erfahrungen verweilen, genauso wie bei dem, was rein imaginär ist. Und dieser Prozess, bei dem wir „in der Vorstellung“ das wiederaufleben lassen, was wir zuvor gesehen haben, ist analog zu dem der reinen Vorstellung – der Vorstellung dessen, was rein imaginär ist – in jeder Hinsicht, außer dass in einem Fall das, was ich mir jetzt vorstelle, etwas ist, das real gewesen ist, obwohl es jetzt nicht real ist, während in dem anderen Fall das, was ich mir jetzt vorstelle, rein imaginär ist und niemals real war. Daher können wir hoffen, die Frage etwas zu erhellen, ob in dem Fall der reinen Vorstellung die Abbilder, die wir direkt erfassen, mit dem vorgestellten Objekt identisch sind oder nicht, wenn wir die entsprechende Frage für den Fall der Erinnerung betrachten. Wenn ich mich an ein Ding erinnere, ist es oder ist es nicht der Fall, dass die Abbilder, die ich zu dem Zeitpunkt der Erinnerung direkt erfasse, mit dem Objekt der Erinnerung identisch sind – mit dem, an das ich mich erinnere? Dies ist eine sehr verwirrende Frage und bedarf einiger Unterscheidungen, die man nicht so einfach in Worten ausdrücken kann, selbst wenn es einfach ist, sie zu erfassen.

Vorstellung und Erinnerung

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Lassen Sie mich ein so deutliches und einfaches Beispiel von Erinnerung anführen, wie es mir nur möglich ist – ein Beispiel, das ich zuvor verwendet habe, um die Unterscheidung zwischen dem, was ich das direkte Erfassen eines Dings genannt habe, und anderen Arten, um sich eines Dings bewusst zu sein, zu verdeutlichen. Betrachten Sie für einen Moment dieses Stück weißes Papier – und bitte beachten Sie die tatsächliche Stelle mit weißlicher Farbe – das tatsächliche Sinnesdatum, das Sie gewiss direkt erfassen, wenn Sie es ansehen. Und nun, wenn ich es aus Ihrem Blickfeld entferne, versuchen Sie sich an genau diese weiße Stelle – das Sinnesdatum, das Sie vor einem Moment direkt erfasst haben – zu erinnern, sie in ihrem Geist hervorzurufen. Nun könnten sie ein visuelles Abbild von ihm haben – ein visuelles Abbild, das eine Stelle mit weißlicher Farbe ist, die mehr oder weniger jener gleicht, die sie gerade eben gesehen haben; und wenn Sie dies tun, erfassen Sie jetzt direkt dieses Abbild und können auf es achten, genauso wie Sie die weiße Stelle beachtet haben, die Sie tatsächlich gesehen haben. Es wird behauptet, dass einige Menschen überhaupt nicht in der Lage sind, solche Abbilder hervorzurufen – dass sie sie nicht „visualisieren“ können, wie es genannt wird, und wenn einige von Ihnen dies nicht können, wird einer der Punkte, die ich verdeutlichen will, Ihnen sogar klarer sein, als wenn Sie es könnten. Denn es ist vollkommen gewiss, dass Sie sich in einem Sinn an ein Sinnesdatum erinnern können, das Sie soeben gesehen haben; Sie wissen, dass Sie es gesehen haben, und Sie können Aussagen darüber treffen, z.€B. welche Form es hatte, und Sie können dies tun, ob Sie jetzt direkt ein Abbild von ihm erfassen oder nicht. Und wenn Sie überhaupt kein Abbild von ihm direkt erfassen – irgendein Abbild, wie schwach auch immer, das eine Stelle mit weißlicher Farbe ist, mehr oder weniger wie jene, so folgt, dass diese weiße Stelle, an die Sie sich erinnern und sich daher in einem Sinn ihrer jetzt bewusst sind, unmöglich mit einem Abbild identisch sein kann, das Sie jetzt direkt erfassen; da Sie in diesem Fall der Hypothese entsprechend überhaupt kein Abbild direkt erfassen. Aber nehmen wir an, dass Sie es visualisieren können: Dass Sie jetzt ein farbiges Abbild direkt erfassen. Wir fragen nun zuerst: Ist dieses Abbild, das Sie jetzt direkt erfassen, mit der weißlichen Stelle identisch oder nicht, die Sie vor einem Moment direkt erfasst haben, als Sie das Papier tatsächlich angesehen haben? Nun ist es wahrscheinlich, dass das Abbild, das Sie jetzt direkt erfassen, ganz offensichtlich nicht genau wie das ursprüngliche Sinnesdatum ist; dass es sich offensichtlich in einigen Punkten von ihm unterscheidet, obwohl es schwierig sein könnte, genau zu sagen, welche diese Punkte sind. Die offen-

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sichtlichste Art, zumindest einen dieser Punkte zu beschreiben, in denen es sich unterscheidet, bedeutet, dass es, wie Hume es ausdrückte, schwächer oder weniger lebhaft ist. Und ich denke, alle Philosophen stimmen überein, dass dies normalerweise der Fall ist: Dass Abbilder der Erinnerung sich in der Regel von den ursprünglichen Sinnesdaten unterscheiden, von denen sie Abbilder sind, und daher unmöglich mit diesen ursprünglichen Sinnesdaten völlig identisch sein können. Es könnte auf den ersten Blick angenommen werden, dass dieses Eingeständnis unsere ursprüngliche Frage klärt. Denn es scheint offensichtlich, dass das, an was ich mich erinnere, wenn ich mich an ein Sinnesdatum erinnere, das ich früher gesehen habe, das Sinnesdatum ist, das ich früher gesehen habe – nicht das Abbild, das ich jetzt direkt erfasse; und das Abbild, das ich jetzt direkt erfasse, unterscheidet sich – zumindest in der Regel – von dem Sinnesdatum, das ich zuvor gesehen habe. Es scheint zu folgen, dass das, an was ich mich erinnere, in der Regel nicht mit dem Abbild identisch ist, das ich direkt erfasse, wenn ich mich erinnere. Aber wenn ich mich nicht irre, würden viele Leute geneigt sein, Einwände gegen dieser Schlussfolgerung zu erheben. Eine solche Person würde in der folgenden Weise argumentieren. „Ich gebe natürlich zu“, könnte sie sagen, „dass das farbige Abbild, das sich jetzt in meinem Bewusstsein befindet, sich von der weißlichen Stelle unterscheidet, die ich soeben gesehen habe, und dass das, was in diesem Beispiel der Fall ist, auch normalerweise der Fall ist. Das heißt, ich gebe ausdrücklich zu, dass es normalerweise einen Unterschied zwischen einem Erinnerungsabbild und dem ursprünglichen Sinnesdatum gibt, von dem es ein Abbild ist. Aber ich bezweifle die Aussage, dass die weißliche Stelle, die ich soeben gesehen habe, das ist, an was ich mich jetzt erinnere, oder dass das ursprüngliche Sinnesdatum in der Regel das ist, an was wir uns wirklich erinnern, wenn gesagt wird, dass wir uns an es erinnern. Wir sprechen natürlich so im Alltagsleben; aber wenn wir uns so äußern, benutzen wir meiner Meinung nach die Sprache verallgemeinernd; und man kann nicht bestreiten, dass wir dies oftmals tun. Wir sprechen z.€B. fortwährend vom ,Sehen‘ eines Stuhls, eines Hauses oder eines Baums, wenn wir tatsächlich nicht das Gesamte dieser Objekte sehen, sondern höchstens einen Teil von ihnen. Und auf genau dieselbe Art könnte verallgemeinernd gesagt werden, dass ich mich an die weiße Stelle erinnere, die ich soeben gesehen habe, wenn all das, an was ich mich wirklich erinnere, nur ein bloßer Teil von ihr ist. Es scheint mir, dass dies der Fall ist. Soweit ich es beurteilen kann, erinnere ich mich jetzt wirklich nur an einen Teil dessen, was ich soeben gesehen habe, und dieser Teil, an den ich mich erinnere, ist, soweit

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ich es beurteilen kann, vollkommen mit dem Abbild identisch, das ich jetzt direkt erfasse. Kurz gesagt, ich behaupte, dass ich mich von dem Sinnesdatum, das ich soeben gesehen habe, nur an so viel erinnere, wie es mit dem Abbild identisch ist, das ich jetzt direkt erfasse. Daher werde ich trotz allem, was Sie soeben gesagt haben, es wagen, folgende Proposition aufzustellen: Wenn wir uns an ein Sinnesdatum erinnern, das wir zuvor gesehen haben, ist das, an was wir uns wirklich erinnern, immer absolut ununterscheidbar von dem Erinnerungsabbild – von dem Abbild, das wir tatsächlich zu dem Zeitpunkt, an dem wir uns erinnern, direkt erfassen.“ Ich denke, viele Menschen könnten geneigt sein, so zu argumentieren. Und obwohl bewiesen werden kann, dass das, an was wir uns wirklich erinnern, nicht immer mit unserem Erinnerungsabbild identisch ist, wie ich gleich zeigen werde, ist es doch keineswegs einfach zu zeigen, dass dies normalerweise nicht der Fall ist. Der augenscheinlichste Einwand hinsichtlich der Annahme, dass dies normalerweise der Fall ist, besteht darin, dass das Erinnerungsabbild sich nicht vom ursprünglichen Sinnesdatum nur dadurch zu unterscheiden scheint, wie diese Theorie annimmt, dass es nur ein Teil von ihm ist; es scheint sich nicht nur dadurch zu unterscheiden, dass Details, die im ursprünglichen Sinnesdatum vorhanden waren, im Abbild fehlen. Es scheint eher, als ob das Abbild sich in der Qualität gänzlich vom ursprünglichen Sinnesdatum unterscheidet: Zum Beispiel als ob die Farbe (falls es eine Farbe hat) im Ganzen schwächer ist und daher eine etwas andere Schattierung hat. Bedenken Sie nur, ob die weißliche Stelle, die Sie jetzt in ihrem Verstand abrufen können, sich nicht auf diese Art von jener unterscheidet, die Sie soeben gesehen haben. Es scheint tatsächlich der Fall zu sein, dass es sich zumindest normalerweise im Ganzen von ihm unterscheidet, soweit das Abbild entfernt ist, ein bloßer Teil des ursprünglichen Sinnesdatums zu sein; dass kein Teil des einen mit irgendeinem Teil des anderen identisch ist und dass alles, das für ihre Beziehung gilt, ist, dass das Abbild mehr oder weniger dem ursprünglichen Sinnesdatum ähnelt. Dies ist, so glaube ich, wirklich der Fall, und folglich muss die vorliegende Theorie zurückgewiesen werden. Aber möglich ist auch eine völlig unterschiedliche Theorie, die viele Menschen vertreten würden. Diese Menschen würden sagen: „Wir nehmen an, dass das Erinnerungsabbild nicht (zumindest in der Regel) mit irgendeinem Teil des ursprünglichen Sinnesdatums identisch ist. Und wir nehmen an, dass es, wenn wir uns an ein vergangenes Sinnesdatum erinnern, dieses Sinnesdatum selbst oder Teile von ihm sind und nicht unser Erinnerungsabbild, an was wir uns erinnern. Wenn z.€B. eine Person (die wir Mr. Smith nennen)

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George Edward Moore • Grundprobleme der Philosophie

sich jetzt an die Farbe eines Kleides auf einem Bild erinnert, das er an diesem Nachmittag gesehen hat, nehmen wir an, dass das, an was sich Mr. Smith wirklich erinnert, zumindest ein Teil dessen ist, was er tatsächlich an diesem Nachmittag gesehen hat. Wenn wir sagen, dass sich Mr. Smith an die Farbe in diesem Bild erinnert, nehmen wir an, dass wir eine Beziehung zwischen Mr. Smith und etwas herstellen, das er an diesem Nachmittag gesehen hat, und wir nehmen an, dass dieses Etwas, das er an diesem Nachmittag gesehen hat, nur jenem Abbild, das er jetzt direkt erfasst, ähnelt und nicht identisch mit ihm ist. Aber was wir behaupten, ist Folgendes. Wir behaupten, dass die einzige Beziehung, die jetzt zwischen Mr. Smith und dem existiert, was er an diesem Nachmittag gesehen hat, einzig darin besteht, dass er ein Abbild direkt erfasst und dass dieses Abbild tatsächlich eine Kopie dessen ist, was er an diesem Nachmittag gesehen hat – ihm mehr oder weniger ähnelt. Seine Erinnerung besteht einzig daraus. Es genügt tatsächlich nicht zu sagen, dass seine Erinnerung einzig in seinem direkten Erfassen des Abbilds besteht, denn um zu sagen, dass er sich an das erinnert, was er an diesem Nachmittag gesehen hat, ist es absolut notwendig, dass das Abbild, das er jetzt direkt erfasst, eine Kopie dessen sein soll, was er an diesem Nachmittag gesehen hat. Aber dies ist, so behaupten wir, alles, was notwendig ist. Und folglich wagen wir im Allgemeinen zu behaupten, dass sich zu erinnern immer nur das direkte Erfassen eines Abbilds ist, das eine Kopie des Dinges ist, an das man sich erinnert. So ist die Erinnerung wirklich immer eine Bezeichnung für eine Beziehung zwischen der sich erinnernden Person und dem erinnerten Ding – es ist nicht bloß eine Bezeichnung für die Beziehung zwischen ihr und ihrem Erinnerungsabbild, denn das Erinnerungsabbild ist, wie wir angenommen haben, zumindest in der Regel noch nicht einmal teilweise mit dem erinnerten Ding identisch, sondern ihm nur ähnlich. Aber wir behaupten, dass ihre Beziehung zu dem erinnerten Ding einzig darin besteht, dass das Erinnerungsabbild, das sie direkt erfasst, eine Kopie des erinnerten Dinges ist.“ Dies ist nun ebenso eine Theorie, die überaus weit verbreitet vertreten oder impliziert wird, und ich denke, sie scheint sehr einleuchtend zu sein. Aber es kann auch bewiesen werden, dass sie nicht immer zutrifft; dass die Erinnerung nicht immer nur aus dieser Beziehung besteht. Doch es ist tatsächlich sehr schwierig zu beweisen, ob die Erinnerung in der Regel aus noch mehr besteht. Besonders sollten Sie beachten, dass sie die Aussage beinhaltet, wir könnten uns an ein Ding erinnern, selbst wenn wir uns in einem bestimmten Sinne nicht einmal des erinnerten Dings bewusst sind. Es könnte gedacht werden,

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dass dies ein Einwand gegen diese Theorie ist. Es könnte angenommen werden: Erinnerung ist nur eine Bezeichnung für eine Form des Bewusstseins, und folglich kann von uns nicht gesagt werden, dass wir uns an ein Ding erinnern, wenn wir uns des erinnerten Dings nicht bewusst sind. Während diese Ansicht behauptet, dass die Erinnerung an ein Ding immer aus dem Bewusstsein von etwas anderem besteht – eines anderen Dings, das nur ein Abbild des erinnerten Dings ist. Aber es kann natürlich als Antwort auf diesen Einwand gesagt werden, dass dies nur eine Frage des Wortgebrauchs ist. Es kann gesagt werden: Vorausgesetzt, dass Erinnerung eine Form des Bewusstseins ist, warum sollte es nicht der Fall sein, dass eine Sache, die wir mit eines Dinges bewusst sein meinen, nur das direkte Erfassen eines anderen Dinges ist, das ein Abbild des Dinges ist oder auf eine anderen Art mit ihm in Beziehung steht, dessen wir uns bewusst sind? Ich möchte im Besonderen auf dieser Theorie bestehen, da ich denke, dass eine Theorie der gleichen Art sehr glaubwürdig nicht nur im Fall der Erinnerung, sondern auch bei vielen anderen Ausdrücken, die als Bezeichnung für Formen des Bewusstseins gelten, vertreten werden kann und auch sehr oft wird. Nehmen wir z.€B. die Ausdrücke „erfassen“, „bemerken“, „sehen“, „hören“. Wir haben zu Beginn dieser Vorlesungen gesehen, dass, wenn ich dieses Papier sehe, von dem ich ablese, es einen Grund gibt, anzunehmen, dass die Sinnesdaten, die ich direkt erfasse – die schwarzen Zeichen auf einem weißlichen Untergrund –, nicht mit irgendeinem Teil des Papiers selbst identisch sind. Und doch wird in der Alltagssprache gesagt, dass das, was ich sehe, das Papier selbst ist. Und Gleiches gilt, wenn wir sagen, dass wir Bäume, Häuser, die Sonne und den Mond sehen, wenn all das, was wir tatsächlich direkt erfassen, Sinnesdaten sind, die nicht mit irgendeinem Teil dieser Objekte identisch sind. Viele Menschen würden sagen, denke ich, dass das, was wir mit dieser Alltagssprache meinen – was wir mit „einen Baum sehen“ meinen –, einzig und allein in dem direkten Erfassen von Sinnesdaten besteht, die durch den Baum oder zumindest Zeichen von ihm hervorgerufen worden sind. So bedeutet es auf Grundlage dieser Ansicht nicht, wenn ich sage, ich sehe einen Baum, dass ich mir auf irgendeine Art dieses Baums bewusst bin, sondern nur dass ich mir einiger Sinnesdaten bewusst bin, die eine Folge oder ein Zeichen des Baums sind. Und es ist tatsächlich sehr schwierig zu beweisen, dass dies nicht eine zutreffende Beschreibung dessen ist, was normalerweise geschieht. Wenn ich herumlaufe und alle möglichen Sorten von Objekten sehe, geschieht in der Regel überhaupt etwas, außer dass ich mir Sinnesdaten bewusst bin, die tatsächlich Zeichen dieser Objekte sind, während ich mir überhaupt keines die-

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ser Objekte selbst bewusst bin? Dies kann als eine sehr glaubwürdige Ansicht erscheinen. Natürlich kann gesagt werden, dass hier dieselbe Zweideutigkeit des Worts „Bewusstsein“ auftritt. Es kann gesagt werden, dass sich eines Sinnesdatums bewusst zu sein, das ein Zeichen eines Objekts ist, in einem Sinn dasselbe ist wie sich des entsprechenden Objekts bewusst zu sein, dass dies eine mögliche Verwendung des Wortes „Bewusstsein“ ist. Und tatsächlich gibt es eine Ansicht, die einige Philosophen anderen Philosophen vorwerfen (und ich denke zu Recht), dass das, was wir Bewusstsein nennen, immer nur darin besteht, sich eines Abbilds oder eines Zeichens eines Objekts bewusst zu sein, von dem gesagt wird, dass wir uns seiner bewusst sind: Ein Objekt vor unserem geistigen Auge zu haben, ist immer nur unsere Idee von ihm vor unserem geistigen Auge zu haben – ein Abbild oder ein Zeichen von ihm. Sie erkennen, dass diese spezielle Auffassung nicht zutreffen kann, da es offensichtlich ist, dass der Sinn, in dem ich meine Idee – das Abbild oder das Zeichen – vor meinem geistigen Auge habe oder mir ihrer bewusst bin, nicht derselbe sein kann wie der, in dem ich das Objekt, von dem es ein Zeichen ist, vor meinem geistigen Auge habe oder mir seiner bewusst bin. Mein Bewusstsein meiner Idee kann unmöglich nur in meinem Bewusstsein einer Idee von dieser Idee usw. ad infinitum bestehen. Aber nichtsdestotrotz kann es zutreffen, dass wir oftmals mit dem Sehen eines Objekts nur das direkte Erfassen eines Sinnesdatums meinen, das ein Zeichen oder eine Folge dieses Objekts ist, und mit dem Erinnern an ein Objekt nur das direkte Erfassen eines Abbilds, das ein Abbild des Objekts ist. Und wenn dem so ist, wenn wir feststellen, dass „sehen“ und „erinnern“ Bezeichnungen für Formen des Bewusstseins sind, müssen wir zugeben, dass das Wort „Bewusstsein“ zweideutig ist. Wir müssen zugeben, dass die Aussage, wir seien uns eines Objekts bewusst, oftmals bedeutet, dass wir uns in einem anderen Sinn seiner überhaupt nicht bewusst sind. Und falls diese Zweideutigkeit tatsächlich existiert, ist es äußerst wichtig, deutlich zwischen den beiden unterschiedlichen Bedeutungen zu unterscheiden. Und ich kenne keine deutlichere Art, diese Unterscheidung hervorzuheben, als durch das Beispiel, das wir jetzt betrachten. Es ist offensichtlich, dass, falls die Erinnerung einer Person, die sich an ein Ding erinnert, nur in dem direkten Erfassen von etwas anderem besteht – eines Abbilds, das dem Ding ähnelt, von dem behauptet wird, dass sie sich daran erinnert, aber noch nicht einmal teilweise mit ihm identisch ist, sie sich dann in einem Sinn des erinnerten Dings überhaupt nicht bewusst ist, wenn sie sich daran erinnert. Und zukünftig werde ich sagen, dass Erinnerung überhaupt keine Form des Bewusstseins ist, falls diese Beschreibung

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der Erinnerung zutrifft. Zukünftig werde ich die Bezeichnung Bewusstsein auf andere Beziehungen beschränken. Obwohl ich natürlich unumwunden zugebe, dass diese Beschränkung völlig willkürlich sein könnte; dass es der Fall sein könnte, dass wir manchmal wirklich den Begriff Bewusstsein für diese Beziehung wie auch für andere verwenden. Nun gut: Ich habe versucht, zwei verschiedene Theorien zu unterscheiden, die hinsichtlich dessen vertreten werden können, was passiert, wenn wir uns an ein Sinnesdatum erinnern, das wir zuvor gesehen haben. Beide Theorien stellen fest – ich glaube, jeder tut dies – dass das Erinnerungsabbild, das wir direkt erfassen, wenn wir uns erinnern, sich in der Regel offensichtlich in einigen Aspekten von dem ursprünglichen Sinnesdatum unterscheidet. Aber die erste Theorie behauptet, dass es sich nur von ihm als Teil des Ganzen unterscheidet; und sie behauptet des Weiteren, obwohl wir verallgemeinernd so reden, als ob wir uns an das gesamte ursprüngliche Sinnesdatum erinnern, dass alles, an was wir uns von ihm wirklich erinnern, nur so viel von ihm beinhaltet, wie mit dem Erinnerungsabbild identisch ist, das jetzt vor unserem geistigen Auge ist. Daher vertritt diese Theorie, dass das, an was wir uns wirklich erinnern – das wahre Objekt der Erinnerung –, wenn wir uns erinnern, absolut ununterscheidbar von dem Erinnerungsabbild ist, das wir zu dem Zeitpunkt direkt erfassen, wenn wir uns erinnern; dass das, an was wir uns erinnern, wenn wir uns erinnern, einfach dieses Abbild ist. Daher würde diese Theorie die ursprüngliche Theorie der reinen Vorstellung, von der wir ausgegangen sind, gänzlich unterstützen – soweit die Analogie der Erinnerung eine Theorie über reine Vorstellung überhaupt unterstützen kann: Sie würde die Theorie stützen, dass, wenn ich mir einen Greif vorstelle, das, was ich mir vorstelle, nämlich der Greif, einfach mit dem Abbild identisch ist, das ich direkt erfasse. Aber die zweite Theorie verhält sich ganz unterschiedlich. Sie stellt fest, dass das, an was ich mich erinnere – selbst das, an was ich mich wirklich erinnere –, nicht mit meinem Erinnerungsabbild identisch ist. Aber sie stellt fest, dass nichtsdestotrotz dieses Erinnerungsabbild das Einzige ist, dessen ich mir auf irgendeine Art bewusst bin, wenn ich mich erinnere. Erinnerung ist nicht, wie die erste Theorie behauptet, nur eine Bezeichnung für eine Beziehung zwischen mir und meinem ErinneÂ�rungsabbild: Es ist eine Bezeichnung für die Beziehung zwischen mir und einem Teil des ursprünglichen Sinnesdatums, das nicht mit dem Abbild identisch ist; aber diese Beziehung besteht nur darin, dass (1) ich mir des Abbilds bewusst bin und dass (2) dieses Abbild tatsächlich eine Kopie des ursprünglichen Sinnesdatums ist. Keine andere Beziehung zwi-

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schen mir und dem ursprünglichen Sinnesdatum ist beteiligt: Ich brauche nicht in irgendeinem anderen Sinn mir des ursprünglichen Sinnesdatums bewusst zu sein, wenn ich mich daran erinnere. Daher stellt diese zweite Theorie fest, während sie gestattet, dass das Objekt der Erinnerung – das, an was man sich erinnert – nicht identisch ist mit dem Erinnerungsabbild, dass das Objekt der Erinnerung etwas ist, dessen wir uns nicht bewusst sind, wenn wir uns daran erinnern. Während sie folglich die Ansicht nicht unterstützt, dass das Objekt der reinen Vorstellung mit dem Abbild vor unserem geistigen Auge identisch ist, wenn wir uns etwas vorstellen; sie würde uns geÂ�statten zu sagen (soweit die Analogie zwischen Erinnerung und Vorstellung vertreten werden kann), dass das Einzige, dessen wir uns jemals bewusst sind, wenn wir uns etwas vorstellen, ein Abbild ist: Selbst wenn „ein Greif“ nicht bloß eine Bezeichnung für eines meiner Abbilder ist, ich mir gewiss eines Greifs nicht bewusst bin, wenn ich mir einen vorstelle, sondern nur meines Abbilds von ihm. Und zur Untermauerung dieser beiden Theorien gibt es die Tatsache – die dazu geführt hat, dass sie angenommen worden sind, und die fortwährend zu Schwierigkeiten in der Philosophie führt –, dass, wenn wir versuchen, durch Introspektion herausÂ�zufinden, was in unserem Verstand ist, wenn wir uns erinnern oder uns etwas vorstellen, es außerordentlich schwierig ist herauszufinden, dass dort etwas außer einem Abbild ist; und wenn wir auch überzeugt sind, dass dort etwas anderes ist, ist es dennoch außerordentlich schwierig herauszufinden, in genau welcher Weise dieses Etwas dort ist. Die Schwierigkeit ist die gleiche wie bei der Sinneswahrnehmung. Wenn ich dieses Papier ansehe, ist da irgendetwas in meinem Verstand außer den Sinnesdaten, die ich direkt erfasse? Und wenn dort etwas anderes ist, auf welche Weise ist es da? Ich denke, es ist im Allgemeinen außerordentlich schwierig, durch IntroÂ�spektion herauszufinden, ob bewusste Prozesse oder mentale Akte überhaupt jemals aus etwas anderem bestehen als aus dem direkten Erfassen der Sinnesdaten, entweder Eindrücke oder Abbilder. Wir sind versucht zu sagen, wie Hume es getan hat, dass alle Wahrnehmungen des menschlichen Verstands entweder Eindrücke oder Ideen sind; d.€h. einfach Sinnesdaten – ursprüngliche Sinnesdaten und Kopien von ihnen. Falls dies der Fall wäre, dann müsste natürlich eine der beiden angeführten Theorien der Erinnerung wahr sein. Selbstverständlich kann zweifelsfrei bewiesen werden, dass dem nicht so ist. Es kann bewiesen werden, dass uns in dem einen oder anderen Sinn Dinge bewusst sind, die keine Sinnesdaten sind, und dass wir uns Sinnesdaten bewusst sein können, ohne sie direkt zu erfassen. Und selbst jene, die wie Hume das Gegenteil annehmen, können nicht

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fortwährend sich selbst widersprechen. Aber andererseits scheinen mir selbst jene, die überzeugt sind, dass direktes Erfassen nicht die einzige Form des Bewusstseins ist und dass Sinnesdaten nicht unsere einzigen Objekte sind, nicht in der Lage zu sein, wirklich eine deutliche Beschreibung hinsichtlich dessen zu geben, was diese andere Form des Bewusstseins ist; und viele von ihnen scheinen auch fortwährend wieder der Annahme zu verfallen, dass trotz allem direktes Erfassen die einzige Form des Bewusstseins ist und dass Sinnesdaten die einzigen Objekte sind. Dies genügt, um diese beiden Theorien darzulegen. Aber ich sagte, dass selbst wenn es zutrifft, dass eines dieser beiden Dinge alles ist, was in der Regel geschieht, wenn wir uns erinnern, so kann bewiesen werden, dass dies nicht immer alles ist, was geschieht. Und dies möchte ich nun beweisen. Kehren wir zu unserem ursprünglichen Fall zurück. Sie betrachten dieses Stück Papier und beachten die Sinnesdaten, die sie direkt erfassen – die weißliche Stelle –, und wenn Sie es nicht länger sehen, versuchen Sie sich daran zu erinnern. Und nehmen wir an, dass Sie sie visualisieren können – dass Sie ein Abbild, wie schwach auch immer, abrufen können. Selbst wenn Ihre Erinnerung dieser Stelle, wie die erste Theorie sagte, manchmal bloß aus dem direkten Erfassen des Abbilds besteht, und selbst wenn, wie die zweite Theorie sagte, sie manchmal bloß aus diesem und der Tatsache besteht, dass das Abbild tatsächlich eine Kopie der ursprünglichen Stelle ist, ist es ganz offensichtlich, dass etwas ganz anderes jetzt geschehen kann. Jetzt erinnern Sie sich nicht nur daran, sondern Sie wissen, dass Sie sich daran erinnern. Um dies zu tun, müssen Sie bei beiden Theorien in dem einen Fall wissen, dass Ihr gegenwärtiges Abbild nur ein Teil und nicht das Ganze von dem ist, was Sie zuvor gesehen haben, und in dem anderen Fall, dass es eine Kopie ist – ähnlich, aber unterschiedlich von dem, was Sie zuvor gesehen haben. Aber dieses Wissen, das Sie jetzt haben – das Wissen, dass Ihr Abbild sich von dem ursprünglichen Sinnesdatum unterscheidet –, woraus kann dieses bestehen? Offensichtlich können Sie es nicht wissen, ohne sich in einem gewissen Sinn des ursprünglichen Sinnesdatums selbst bewusst zu sein. Was Sie wissen ist, dass sich das ursprüngliche Sinnesdatum selbst von dem Abbild unterscheidet: Dies ist offensichtlich so, weil das Abbild sich nicht von dem Abbild unterscheidet. Daher wissen Sie etwas über das ursprüngliche Sinnesdatum selbst; und wenn Sie sich nur des Abbilds bewusst wären, wenn das Abbild alles wäre, dessen Sie sich bewusst sind, würde dies ganz unmöglich sein: Sie könnten unmöglich wissen, dass das Abbild ein bloßer Teil des ursprünglichen Sinnesdatums wäre oder dass es nur eine Kopie von ihm wäre, wenn

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alles, dessen Sie sich bewusst wären, das Abbild selbst wäre. Wann immer wir daher wissen, dass wir uns erinnern, müssen wir uns des ursprünglichen Sinnesdatums in einer ganz anderen Weise bewusst sein als der des bloßen direkten Erfassens eines Teils von ihm, oder des bloßen direkten Erfassens eines Abbilds, das tatsächlich eine Kopie von ihm ist. Und diese Art, in der wir uns seiner bewusst sind, wenn wir wissen, dass wir uns daran erinnern, ist offensichtlich selbst eine Art des Erinnerns. Daher gibt es gewiss eine Art des Erinnerns, die ganz anders ist als das, was diese beiden Theorien gestatten. Diese Art des Erinnerns ist etwas, das immer auftritt, wenn wir wissen, dass wir uns erinnern. Und wenn es dort auftritt, warum sollte es nicht auch in anderen Fällen auftreten? Warum sollte es nicht das sein, was normalerweise geschieht, wann immer wir uns erinnern, selbst wenn wir nicht wissen, dass wir uns erinnern? Zu beweisen, dass dies es ist, was normalerweise geschieht, scheint mir außerordentlich schwierig zu sein; ich kenne keinen Weg, dies zu beweisen. Aber die bloße Tatsache, dass es manchmal auftritt, zerstört den einzigen gewichtigen Grund, anzunehmen, dass es nicht dies ist, was normalerweise auftritt. Selbst jetzt, wenn es auftritt, ist es fast unmöglich, durch Introspektion herauszufinden, dass es auftritt und was es genau ist, das auftritt. Sie wissen jetzt, dass Ihr Abbild sich von dem ursprünglichen Sinnesdatum unterscheidet. Daher denken Sie jetzt an das ursprüngliche Sinnesdatum selbst: Sie denken nicht einfach bloß an das Abbild. Daher ist das ursprüngliche Sinnesdatum jetzt in einem Sinn vor Ihrem geistigen Auge, sonst könnten Sie es nicht mit dem Abbild vergleichen und wissen, dass die beiden unterschiedlich sind. Aber in welchem Sinn ist es dort? Sie erfassen es jetzt gewiss nicht direkt; alles, was Sie jetzt direkt erfassen, ist das Abbild: Es muss in Erinnerung gerufen werden, dass ich direktes Erfassen als die Weise definiert habe, in der man sich des ursprünglichen Sinnesdatums bewusst ist, wenn man es tatsächlich sieht, und in der man sich jetzt seiner nicht bewusst ist. Daher erfassen Sie jetzt das ursprüngliche Sinnesdatum gewiss nicht direkt. Aber auf welche Art sind Sie sich jetzt seiner bewusst? Alles, was mit Sicherheit gesagt werden kann, ist, dass Sie sich jetzt seiner bewusst sind in dem vagen Sinn, in dem es notwendig ist, sich seiner bewusst zu sein, um zu wissen, dass es sich vom Abbild unterscheidet – sich daher von allem unterscheidet, was Sie direkt erfassen. Diese vage Art des Bewusstseins ist das, von dem ich sagte, dass es selbst jenen, die seine Existenz annehmen, nicht möglich ist, eine deutliche Beschreibung von ihm zu geben. Und ich gestehe, dass auch ich selbst keine deutliche Beschreibung von ihm geben kann. Ich kann nur versuchen hervorzuheben, was es ist, indem ich hervor-

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hebe, dass es das ist, was in diesem Fall auftritt; wenn wir gewiss etwas über dieses vergangene Sinnesdatum selbst wissen, obwohl wir es nicht länger direkt erfassen. Es ist gewiss etwas, das fortwährend auftritt – dieses bloße Denken an ein Ding, das wir nicht direkt erfassen. Es ist ein mentaler Vorgang von äußerster Wichtigkeit. Und da es so schwierig ist, ihn in diesem Fall, in dem er gewiss vorhanden ist und wir tatsächlich nach ihm suchen, zu entdecken und zu erkennen, was er ist, ist es natürlich sehr wahrscheinlich, dass er in noch mehr Fällen vorhanden ist, in denen es schwierig ist, zweifelsfrei zu beweisen, dass er vorhanden ist, und in denen wir im Moment, wenn er auftritt, nicht nach ihm suchen. Das, was ich nun vorschlagen möchte, ist, dass diese Art des Bewusstseins normalerweise auftritt, wenn wir uns an etwas erinnern; dass wir uns wirklich normalerweise in dieser vagen Art des vergangenen Dinges selbst bewusst sind, wenn wir uns daran erinnern; dass Erinnerung in der Regel weder nur aus dem direkten Erfassen eines Abbilds noch aus diesem und der Tatsache besteht, dass das Abbild eine Kopie des vergangenen Dinges ist. Dies ist, denke ich, die Auffassung, die heute für gewöhnlich von den führenden Kapazitäten akzeptiert werden würde. Und obwohl ich nicht erkennen kann, wie bewiesen werden kann, dass diese Art des Bewusstseins normalerweise auftritt, wenn wir uns erinnern, so ist es doch auf jeden Fall deutlich, dass die Auffassung, dass sie es tut, möglich ist; und soweit mir bekannt ist, gibt es ebenÂ�so nichts, das gegen diese Auffassung spricht, sobald wir erkennen, dass diese Art des Bewusstseins manchmal gewiss auftritt: Dass sie es tut und auftreten muss, wann immer wir wissen, dass entweder wir selbst uns erinnern oder dass jemand anderes es tut. Falls eine der beiden Theorien der Erinnerung wahr wäre, dann würde folgen, dass, obwohl Akte der Erinnerung fortwährend aufträten, es niemanden möglich wäre zu wissen, dass ein solcher Akt jemals aufträte: Niemand könnte jemals wissen, ob ein Abbild im Verstand ein Teil oder eine Kopie eines vorausgegangenen Sinnesdatums wäre, obwohl es natürlich sehr oft der Fall sein könnte. Um zu wissen, dass Erinnerung in einem der beiden vorgebrachten Sinne auftritt, muss es uns möglich sein, uns an vorausgegangene Sinnesdaten in einem anderen Sinn zu erinnern. Die Tatsache, dass wir wissen, dass Erinnerungsabbilder oft nicht identisch mit einem vergangenen Sinnesdatum sind, beweist, dass wir uns an vergangene Sinnesdaten in diesem Sinn erinnern können – in dem die Art des Bewusstseins, von der ich gesprochen habe, tatsächlich manchmal auftritt. Aber wenn diese vage Art des Bewusstseins eines vorausgegangenen Sinnesdatums normalerweise in der Erinnerung auftritt, so folgt nicht nur, dass

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das Objekt der Erinnerung – das, an was man sich erinnert – nicht mit einem Abbild identisch ist, das wir direkt erfassen können, wenn wir uns daran erinnern, sondern auch dass wir uns tatsächlich des Objekts der Erinnerung und nicht nur des Abbilds bewusst sind. Und wenn dies bei der Erinnerung so ist, könnte man genauso analog annehmen, dass es auch bei der reinen Vorstellung so sein könnte: Dass auch hier, wenn ich mir einen Greif vorstelle, das, was ich mir vorstelle, nicht mit einem Abbild identisch ist, das ich vor meinem geistigen Auge habe; dass die Vorstellung nicht nur aus dem direkten Erfassen von Abbildern besteht, sondern dass wir uns auch auf eine andere Art – eine andere Art als direktes Erfassen – etwas anderes als Abbildern bewusst sind, die wir direkt erfassen; dass dieses andere Etwas das ist, was wir uns vorstellen – nämlich einen Greif. Wie man absolut beweisen kann, dass dieses immer, oder im Allgemeinen, bei der Vorstellung geschieht, so muss ich gestehen, weiß ich nicht. Aber, wie ich gesagt habe, würden die führenden Kapazitäten zustimmen, dass dies der Fall ist; und ich werde von nun an annehmen, dass es so ist: Ich werde annehmen, dass, wenn ich mir einen Greif vorstelle, jedes Abbild, das ich direkt erfassen könnte, nicht selbst ein Greif ist, sondern nur ein Abbild von einem, und dass ich mir tatsächlich etwas anderes als dieses Abbilds bewusst bin. Und ich denke, das Wichtige daran ist die Erkenntnis, dass dies zumindest eine mögliche Sichtweise ist; dass es eine Art des Bewusstseins gibt, das anderes als direktes Erfassen ist, das in der Vorstellung vorhanden sein kann und das ein anderes Objekt als das Objekt des direkten Erfassens haben kann; ebenso ist es wichtig, mit Hilfe von Beispielen so deutlich wie möglich zu sehen, von welcher Art dieses Bewusstsein ist und wie es sich von direktem Erfassen unterscheidet. Ich werde nur ein Argument vorbringen, das zu zeigen scheint, dass diese andere Art des Bewusstseins existiert und auch vermuten lässt, obwohl es nicht vollkommen bewiesen wird, dass es in der Vorstellung vorhanden ist. Nehmen wir an, dass man einem Kind das Bild eines Greifs zeigt und dass das Kind fragt: Sind Greife real? Es ist hier ganz offensichtlich, dass das Kind nicht fragt, ob das Bild, das es sieht, real ist; über die Realität des Bildes hegt es keinen Zweifel. Es ist daher klar ersichtlich, dass es eine Frage über etwas anderes als das Bild stellt. Es ist sich auf eine gewisse Weise etwas anderes als des Bildes bewusst, und dieses Etwas ist das, was es mit einem Greif meint. Aber es gibt keinen Grund anzunehmen, dass dieses Etwas ein Abbild ist. Das Bild selbst kann hier für denselben Zweck wie Abbilder bei anderen Gelegenheiten dienen. Und was ich behaupten möchte, ist, dass die einzige Rolle, die Abbilder in der Vorstellung spielen, die Rolle ist, welche

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das Bild in unserem Beispiel spielt. Ein Bild eines Greifs zu sehen ist offensichtlich nicht dasselbe, wie sich einen Greif vorzustellen. Wenn es so wäre, sollten wir, wenn wir fragen „Sind Greife real?“, fragen: „Ist das Bild real?“ Was wir offensichtlich nicht tun. Das Gleiche gilt, wenn wir ein Abbild eines Greifs direkt erfassen und fragen: „Sind Greife real?“ Wir fragen dabei nicht, ob unser Abbild real ist, genauso wenig wie wir fragten, ob das Bild real war. In beiden Fällen dienen die Sinnesdaten, die wir direkt erfassen, nur um auf etwas anderes zu schließen – etwas, das wir nicht direkt erfassen; und über dieses Etwas stellen wir unsere Frage. Daher werde ich annehmen, dass das Objekt der Vorstellung – was wir uns vorstellen – nicht mit einem Abbild identisch ist, das wir direkt erfassen könnten, wenn wir uns etwas vorstellen; und dass daher die ursprüngliche Frage hinsichtlich dessen, ob imaginäre Objekte, obwohl sie imaginär sind, irgendeine Art von Sein haben, nicht einfach durch die Gleichsetzung imaginärer Objekte mit Abbildern gelöst werden kann. Ich werde annehmen, dass das Argument „ein Greif ist einfach ein Name für ein Abbild, das man direkt erfasst, wenn man sich einen Greif vorstellt; aber es besteht kein Zweifel, dass es ein solches Ding wie dieses Abbild gibt; und daher folgt, dass es ein solches Ding wie einen Greif gibt“ keinen schlüssigen Beweis enthält, da seine erste Prämisse „ein Greif ist einfach ein Name für das Abbild, das man direkt erfasst, wenn man sich einen Greif vorstellt“ falsch ist. Aber auch wenn wir dieses Argument zurückweisen, behält mein ursprüngliches Argument seine Aussagekraft. Es kann weiterhin argumentiert werden: Selbst wenn ein Greif nicht mit einem Abbild eines Greifs identisch ist, bleibt es doch wahr, dass ein Greif das ist, was man sich vorstellt, und es muss gewiss ein solches Ding geben, was man sich vorstellt, sonst könnte man sich es nicht vorstellen; und da es ein solches Ding gibt, was man sich vorstellt, und da das, was man sich vorstellt, ein Greif ist, so folgt, dass es ein solches Ding wie einen Greif gibt. Dies ist nun das Argument, das ich versuchen möchte auszuführen. Und um dies zu tun, möchte ich eine ganz neue Klasse von Tatsachen berücksichtigen. Die Wahrheit ist, dass ein ähnliches Rätsel in einem anderen Fall auftritt – einem Fall, der eines der grundlegendsten Probleme der Philosophie darstellt. Ich meine den Falle der falschen Annahmen27, der Fehler und Irrtümer. Jeder wird zugeben, dass es so etwas gibt wie an etwas zu glauben, was nicht wahr ist, oder wie sich zu irren. Und eine Frage, die 27

Im Engl. false beliefs [Anm. d. Übers.].

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Philosophen, besonders in letzter Zeit, zur Diskussion gestellt haben, lautet wie folgt: Was ist der Unterschied zwischen einer wahren und einer falschen Annahme, zwischen Wahrheit und Unwahrheit, zwischen wahren Annahmen und Irrtümern? Und wenn wir diese Frage stellen, stoßen wir auf eine Schwierigkeit von genau der Art, auf die wir stoßen, wenn wir fragen, was der Unterschied zwischen dem Realen und dem Imaginären ist. Und so gibt jeder zu, dass die beiden Fragen eng miteinander verbunden sind, obwohl äußerst verschiedene Sichtweisen hinsichtlich der genauen Weise eingenommen werden können, in der sie verbunden sind. Die beste Art, mit der ich die Schwierigkeit im Fall der wahren und falschen Annahmen darstellen kann, lautet wie folgt. Nehmen wir an, ein Mensch glaubt, dass Gott existiert; und nehmen wir an, dass seine Annahme wahr ist: Zu sagen, dass seine Annahme wahr ist, scheint dann genau äquivalent mit der Aussage zu sein, dass es eine Tatsache ist, dass Gott exisÂ�tiert, oder dass die Existenz Gottes eine Tatsache ist. Wenn seine Annahme wahr ist, dann ist es eine Tatsache, dass Gott existiert; und wenn es keine Tatsache ist, dass Gott existiert, so ist seine Annahme falsch. Und genau das Gleiche scheint für jede andere Annahme zu gelten, die man anstatt dieser betrachtet. Im Falle irgendeiner Annahme scheint die Aussage, dass diese Annahme wahr ist, äquivalent mit der Aussage zu sein, dass ihr Objekt – das, was in ihr angenommen wird – eine Tatsache ist; falls ihr Objekt keine Tatsache ist, dann ist die Annahme immer falsch. Für eine bloße Frage des Ausdrucks halte ich, ob diese Äquivalenz gewiss universal gültig ist. Immer wenn wir sagen „dieses oder jenes ist wahr“, können wir natürlich stattdessen immer sagen: „Dieses oder jenes ist eine Tatsache.“ Daher scheint es auf den ersten Blick äußerst natürlich und ausreichend zu sagen: Der Unterschied zwischen wahren und falschen Annahmen besteht darin, dass, wenn eine Annahme wahr ist, das, was angenommen wird, eine Tatsache ist; während, wenn eine Annahme falsch ist, das, was angenommen wird, keine Tatsache ist. Aber nun betrachten wir die andere Seite. Angenommen, ein Mann glaubt, dass Gott existiert, und angenommen, diese Annahme ist falsch. Wie wir gesehen haben, scheint es ganz natürlich zu sagen, dass das, was er annimmt, ist, dass Gott existiert. Und es ist ganz sicher, dass, wenn er dieses annimmt, er etwas annimmt. Daher scheint es ganz gewiss zu sein, dass es ein solches Ding gibt, das er annimmt, wenn er dieses annimmt. Aber was ist dieses Etwas, welches das ist, was er annimmt? Es ist, dass Gott existiert, oder, anders gesagt, wir können sagen, es ist die „Existenz Gottes“; da die Aussage, dass ein Mensch an die Existenz Gottes glaubt, einfach eine andere

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Art der Aussage ist, dass er annimmt, dass Gott existiert. Tatsächlich steht uns diese Ausdrucksart nicht bei allen Annahmen zur Verfügung: In vielen Fällen können wir nur das angenommene Objekt oder das, was angenommen wird, durch einen Satz ausdrücken, der mit „dass“ beginnt, da das, was angenommen wird, so komplex ist, dass wir nicht ohne Weiteres ein Verbalsubstantiv bilden können. Aber dies ist offensichtlich nur eine Frage der Ausdrucksweise: In jedem Fall ist das, was angenommen wird, mit dem äquivalent, was durch ein Verbalsubstantiv ausgedrückt werden könnte, wenn es nicht zu komplex wäre, es auf diese Weise auszudrücken. Daher können wir dieses Beispiel der Existenz Gottes als typisch für alle Annahmen bezeichnen. So wie hier tritt genau dieselbe Schwierigkeit bei allen Annahmen auf, obwohl wir sie in vielen Fällen nicht ganz so einfach ausdrücken können. Und diese Schwierigkeit lautet wie folgt. Ein Mensch glaubt an die Existenz Gottes, und es scheint ganz offensichtlich, dass er an etwas glaubt – dass es etwas gibt wie das, an was er glaubt, und dieses Etwas ist die Existenz Gottes. Es scheint daher ganz offensichtlich, dass es so etwas wie die Existenz Gottes gibt, ob seine Annahme nun wahr oder falsch ist. Aber wir haben gerade gesehen, wenn seine Annahme falsch ist, dann ist die Existenz Gottes keine Tatsache. Was ist der Unterschied zwischen den Aussagen, dass es so etwas wie die Existenz Gottes gibt und dass die Existenz Gottes eine Tatsache ist? Beide Ausdrucksweisen scheinen vollkommen äquivalent zu sein. Wenn es so etwas wie die Existenz Gottes gibt, dann scheint es ganz offensichtlich, dass die Existenz Gottes eine Tatsache ist. Und falls die Existenz Gottes keine Tatsache ist, dann scheint es ganz offensichtlich, dass es nicht so etwas wie die Existenz Gottes gibt. Daher sehen wir, dass die Weise, die vorgeschlagen worden ist, um wahre von falschen Annahmen zu unterscheiden, nicht ganz so einfach ist, wie es den Anschein hatte. Wir haben vorgeschlagen zu sagen, wenn eine Annahme falsch ist, dass dann das, was nicht geglaubt wird, keine Tatsache ist. Aber es scheint sich nun herauszustellen, dass selbst dann, wenn eine Annahme falsch ist – das, was angenommen wird, ist es ohne jeden Zweifel –, es so etwas gewiss gibt. Und es ist nicht einfach zu erkennen, was der Unterschied zwischen der Aussage ist, dass es so etwas gibt, das angenommen wird, und der Aussage, dass das, was angenommen wird, eine Tatsache ist. Nun behauptet natürlich niemand, selbst wenn es in allen Fällen gleichermaßen so etwas gibt, das angenommen wird, ob die Annahme nun wahr oder falsch ist, dass dieses die Unterscheidung zwischen wahren und falschen Annahmen abschafft. Niemand behauptet dies, genauso wenig wie

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man behauptet, dass, selbst wenn wir zugeben müssen, dass es so etwas wie Greife, Zentauren und Chimären gibt, diese Tatsache die Unterscheidung zwischen dem Realen und dem Imaginären abschafft. Selbst wenn es so etwas gibt, was angenommen wird, wenn eine Annahme falsch ist, ist es gewiss, dass das, was angenommen wird, in diesem Fall keine Tatsache in demselben Sinn ist, wie wenn es der Fall wäre, falls die Annahme wahr wäre. Aber Sie sehen, dass es genau denselben Grund gibt, anzunehmen, dass es so etwas wie die Existenz Gottes gibt, selbst wenn jene, die daran glauben, es fälschlicherweise tun, wie es einen Grund gibt, anzunehmen, dass es so etwas wie einen Greif gibt, selbst wenn ein Greif rein imaginär ist. Und ich denke, der Fall der falschen Annahme ist der deutlichste, in dem die Frage gestellt werden sollte, ob die Begründung gut ist oder nicht. Daher schlage ich vor zu fragen: Beweist die bloße Tatsache, dass Menschen an die Existenz Gottes glauben, dass es so etwas wie die Existenz Gottes gibt oder nicht? Und wenn dem so ist, was ist der Unterschied zwischen der Feststellung, dass es so etwas wie die Existenz Gottes gibt, und der Feststellung, dass die Existenz Gottes eine Tatsache ist? Und wenn nicht, wie antwortet man auf das Argument, das zu beweisen scheint, dass das, was angenommen wird, ob es nun wahr ist oder falsch, auf jeden Fall gewiss sein muss?

Kapitel 14 Annahmen und Propositionen

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ie Frage, mit der ich versprochen habe zu beginnen, ist nun, was Wahrheit ist oder was der Unterschied zwischen wahren und falschen Annahmen ist. Und dies ist eine Frage, so scheint mir, bei der es äußerst schwierig ist, klar über sie nachzudenken oder sie auszudrücken – viel schwieriger als in irgendeinem anderen Fall der Fragen, die ich bisher behandelt habe. Erstens ist es äußerst schwierig, die verschiedenen Ansichten, die hinsichtlich dieser Frage vertreten werden, klar zu unterscheiden und zu vermeiden, dass man sie durcheinanderbringt; und zweitens ist es äußerst schwierig, selbst wenn es gelingt, dies zu tun, die Unterscheidungen klar auszudrücken. Leider wird mir dies nicht gelungen sein – eine Verwechslung zu vermeiden bzw. mich klar auszudrücken. Aber ich muss es, so gut ich kann, versuchen. Eine Tatsache, die Probleme bei der Betrachtung hervorruft, obwohl sie meiner Ansicht nach völlig irrelevant ist, ist die Tatsache, dass im Fall der allgemeinsten Beispiele irrtümlicher Annahmen – jene, die im Allgemeinen im Alltagsleben auftreten und über die keine Zweifel bestehen, dass sie falsche Annahmen sind – oftmals ein Zweifel besteht, was genau es ist, das angenommen wird. Man könnte denken, dass wir keine besseren Beispiele wählen könnten, in denen man den Kern einer falschen Annahme untersuchen kann, als jene folgenden allgemeinen Beispiele. Ich nehme oft Dinge an wie z.€B., dass meine Schere auf dem Tisch liegt, wenn sie tatsächlich nicht dort liegt, oder dass mein Hut im Flur hängt, wenn er es tatsächlich nicht tut. Falsche Annahmen dieser Art kommen fortwährend im Alltagsleben vor und niemand bezweifelt, dass es falsche Annahmen sind. Aber, wie wir schon in Teilen dieser Vorlesungen gesehen haben, vertreten verschiedene Philosophen äußerst unterschiedliche Ansichten bezüglich dessen, was wir tatsächlich annehmen, wenn wir solche Dinge wie jene annehmen. Es gibt keine Art von Übereinstimmung bezüglich dessen, was eine Schere oder was ein Tisch ist oder was mit „auf dem Tisch liegen“ gemeint ist. Und obwohl die Frage hinsichtlich dessen, was mit der offensichtlich einfachen Proposition „Meine Schere liegt auf meinem Tisch“ gemeint ist, für die Frage streng genommen nicht relevant erscheint, was der Unterschied zwischen der Aussage, dass es wahr ist, und der Aussage ist, dass es falsch ist (es scheint tat-

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sächlich offensichtlich, dass, was auch immer es bedeutet, der Unterschied zwischen dem Wahrsein und dem Falschsein derselbe sein muss), so könnte doch angenommen werden, dass diese Bedeutung die Frage beeinflusst hinsichtlich dessen, was mit dem Wahrsein gemeint ist, oder uns auf jeden Fall daran hindern könnte, den Unterschied so klar zu sehen, wie es wünschenswert ist. Daher möchte ich ein Beispiel einer falschen Annahme wählen, in dem es so wenig Zweifel wie möglich hinsichtlich dessen gibt, was genau es ist, das angenommen wird. Und bei der Suche nach einem Beispiel, das diese Voraussetzung erfüllt, war es mir nur möglich, eines zu finden, das den Fehler hat, eine falsche Annahme zu sein, von der man sagen könnte, dass sie nach aller Wahrscheinlichkeit nicht vorkommt. Doch ist es eine falsche Annahme einer Art, die gemeinhin vorkommt. Und ich muss mein Möglichstes mit ihr tun, da ich nicht in der Lage war, ein Beispiel zu finden, das in jeder Hinsicht wirklich ideal ist. Mein Beispiel lautet nun wie folgt. Sie kennen bestimmt alle die Art der Geräusche – die tatsächlichen Sinnesdaten –, die Sie hören würden, wenn eine Blaskapelle laut in diesem Raum spielte. Diese Art von Tatsache, die in der tatsächlichen Erfahrung von solch auffallenden Sinnesdaten besteht wie des Geräuschpegels einer Blaskapelle, die in Ihrer Nähe spielt, scheint mir die Art von Tatsache zu sein, hinsichtlich der es die geringste Möglichkeit eines Irrtums bezüglich ihrer Natur gibt. Und es gibt auch keine Art von Tatsache, über die jeder von uns sicherer sein kann, dass wir zu einem gegebenen Moment bestimmte Sinnesdaten dieser heftigen Natur erfahren oder nicht. Es gibt nichts, von dem ich überzeugter bin als das, dass ich in diesem Moment jene äußerst auffallenden und unmissverständlichen Sinnesdaten nicht erfahre, die ich nur als jene beschreiben kann, die ich erfahren würde, wenn eine Blaskapelle laut in diesem Raum spielte. Und jeder von Ihnen weiß genau, welche Art von Sinnesdaten ich meine – wie der Geräuschpegel einer Blaskapelle ist – und dass Sie diese Sinnesdaten jetzt nicht hören. Nehmen wir nun an, dass jemand irgendwo jetzt annimmt, dass jemand von uns jetzt tatsächlich das Geräusch einer Blaskapelle hört. Wie ich bereits sagte, nehme ich nicht an, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass jemand diesen Fehler irgendwo zum gegenwärtigen Zeitpunkt begeht. Aber es ist die Art von Fehler, die wir gewiss oft begehen. Wir irren uns oftmals, wenn wir annehmen, dass eine andere Person in einem gegebenen Moment Sinnesdaten erfährt, die sie tatsächlich in jenem Moment nicht erfährt. Zum Beispiel kann Smith an einem bestimmten Abend annehmen, dass sein Freund Jones ausgegangen ist, um einer Kapelle zuzuhören; und wenn Smith Fanta-

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sie hat, könnte er sich vorstellen, was Jones auf Grundlage dieser Hypothese erfahren würde: Er könnte es sich tatsächlich vorstellen und annehmen, dass Jones das Geräusch einer Blaskapelle hört. Smith könnte dies gewiss von Jones annehmen und er könnte sich dabei sehr leicht irren. Zum Beispiel könnte es sein, dass, obwohl Jones ihm gesagt hatte, dass er ausgehen werde, um der Kapelle zuzuhören, er tatsächlich daran gehindert worden ist, das Haus überhaupt zu verlassen. Smith würde in diesem Fall annehmen, dass Jones Sinnesdaten erführe, die Jones tatsächlich nicht erführe; und sicherlich tritt diese Art Irrtum im Allgemeinen öfter auf. Nun, ebenso ist es möglich, dass einer unserer Freunde jetzt glauben könnte, einer von uns höre das Geräusch einer Blaskapelle, während wir es tatsächlich nicht tun. Und selbst wenn es sehr unwahrscheinlich ist, dass jemand dies jetzt von einem von uns annehmen sollte, so wissen wir doch alle, wie solch eine Annahme sein würde. Unser Beispiel einer falschen Annahme soll nun also die Annahme sein, die jemand jetzt haben würde, wenn er annähme, dass wir jetzt das Geräusch einer Blaskapelle hören. Falls nun jemand dies annähme, würde er sich gewiss irren. Es gibt keinen Zweifel, dass seine Annahme falsch wäre. Und es scheint mir, dass es in diesem Fall so wenig Zweifel wie möglich gibt über das, worin der Kern seines Irrtums besteht. Sicherlich würde der Kern seines Irrtums einfach darin liegen, dass er einerseits annehmen würde, dass wir das Geräusch einer Blaskapelle hören, andererseits ist es Tatsache, dass wir es nicht hören. Und genauso ist es offensichtlich, was nötig wäre, um aus seiner Annahme eine wahre zu machen. Alles, was nötig wäre, würde einfach darin bestehen, dass wir das entsprechende Geräusch hören sollten. Falls wir es hören würden und er annähme, dass wir es tun, dann würde seine Annahme wahr sein. Dieses stellt gewiss den Unterschied zwischen Wahrheit und Unwahrheit in dem Fall dieser bestimmten Annahme richtig dar; und was ich fragen möchte, ist Folgendes: Angenommen, dass es eine richtige Beschreibung des Unterschieds ist, was genau ist der Unterschied, der beschrieben worden ist? Was bedeutet diese Aussage, wenn wir versuchen, sie genauer zu fassen? Ein Punkt scheint mir nun offensichtlich und dies ist ein Punkt, den ich besonders hervorheben möchte. Der Unterschied zwischen Wahrheit und Unwahrheit hängt in dem Fall dieser bestimmten Annahme davon ab, wie wir gesagt haben, ob wir tatsächlich das Geräusch einer Blaskapelle hören oder nicht. Wenn wir nicht den Unterschied zwischen diesen beiden Alternativen verstehen können – zwischen unserem jetzigen Hören des Geräuschs

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und unserem jetzigen Nicht-Hören des Geräuschs –, können wir den Unterschied zwischen der Wahrheit und der Unwahrheit dieser Annahme gewiss nicht verstehen. Dies ist ein wesentlicher Punkt, obwohl es nur einer ist. Und es scheint mir, dass es hinsichtlich dieses Punkts überhaupt keine Zweifel gibt. Wir hören jetzt nicht das Geräusch einer Blaskapelle; und wir alle können in einer Hinsicht ganz klar das Wesen dieser Tatsache verstehen, die ich durch die Aussage ausdrücke, dass wir es nicht tun. Was diese Wörter implizieren ist, dass es im Universum einfach nicht so etwas wie unser jetziges Hören dieser bestimmten Art von Geräusch gibt. Die Kombination zwischen uns in diesem Moment und dem Hören dieser bestimmten Art von Geräusch ist eine Kombination, die einfach kein Sein hat. Eine solche Kombination gibt es nicht. Und wir alle verstehen ganz klar, denke ich, was mit der Aussage gemeint ist, dass es so etwas nicht gibt. Falls Sie dies nicht verstehen, so tut es mir leid, dass ich es nicht deutlicher machen kann. Diese Unterscheidung zwischen dem Sein eines solchen Dinges wie unser jetziges Hören dieser bestimmten Art von Geräusch und dem Sein keines solchen Dinges scheint mir absolut fundamental. Und ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Bedeutung des Wortes „Sein“ lenken – die Bedeutung, in der es gewiss kein solches Ding gibt wie das Sein unseres jetzigen Hörens des Geräuschs einer Blaskapelle. In einem Sinn gibt es dieses auf jeden Fall nicht; und wir alle wissen, dass es dieses nicht gibt. Und wir können den Sinn erkennen, in dem es dieses nicht gibt. Und es ist diese spezielle Bedeutung des Wortes „Sein“, den ich bestimmen möchte. Wenn wir diese Bedeutung des Worts „Sein“ benutzen, können wir sofort zwei Dinge über den Unterschied zwischen der Wahrheit und der Unwahrheit dieser speziellen Annahme aussagen – der Annahme, dass wir jetzt tatsächlich das Geräusch einer Blaskapelle hören. Wir können erstens sagen, dass, da diese Annahme falsch ist, es im Universum nicht einfach ein Ding gibt, das in ihm sein würde, wenn die Annahme wahr wäre. Und wir können zweitens sagen, dass dieses Ding, das einfach im Universum nicht vorhanden ist, da die Annahme falsch ist, und das vorhanden sein würde, wenn sie wahr wäre, jene Tatsache ist, deren Natur so unmissverständlich ist – die Tatsache, die sein würde, wenn wir jetzt das Geräusch einer Blaskapelle hörten – die Tatsache, die darin bestehen würde, dass wir es jetzt tatsächlich hören würden. Aber diese beiden Punkte genügen nicht allein, um uns eine wirklich befriedigende Definition der Wahrheit und Unwahrheit zu geben. Sie genügen nicht, um uns absolut eindeutig zu erklären, welche Eigenschaft es ist, die wir dieser Annahme zuschreiben sollten, wenn wir sagen wollten, dass

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sie wahr sei, noch welche Eigenschaft es ist, die wir ihr jetzt zuschreiben, wenn wir sagen, dass sie falsch ist. Sie können dies aus einem Grund nicht leisten, von dem ich finde, dass er sehr schwierig deutlich zu erklären ist, aber den ich so gut wie möglich darlegen werde. Sie lassen auf eine Definition schließen und diese Definition lautet wie folgt: Von dieser Annahme zu sagen, dass sie wahr ist, würde bedeuten, dass die Tatsache, auf die sie sich bezieht, vorhanden ist – dass es eine solche Tatsache im Universum gibt wie die Tatsache, auf die sie sich bezieht; während von ihr zu sagen, dass sie falsch ist, zu sagen bedeutet, dass die Tatsache, auf die sie sich bezieht, einfach nicht ist – dass es keine solche Tatsache im Universum gibt. Hier haben wir eine Definition von dem, was mit der Wahrheit und Unwahrheit dieser Annahme gemeint ist, und eine Definition, von der ich glaube, dass sie die richtige ist; und es ist eine Definition, die nicht nur auf diese Annahme zutreffen könnte, sondern auf alle Annahmen, von denen wir jemals sagen, dass sie wahr oder falsch sind. Wir könnten ganz allgemein sagen: Zu sagen, dass eine Annahme wahr ist, bedeutet immer zu sagen, dass die Tatsache, auf die sie sich bezieht, ist oder ein Sein hat, während von einer Annahme zu sagen, dass sie falsch, immer bedeutet zu sagen, dass die Tatsache, auf die sie sich bezieht, nicht ist oder kein Sein hat. Aber diese Definition ist nicht ganz befriedigend und eindeutig, da sie etwas im Unklaren lässt: Sie lässt dasjenige im Unklaren, was mit der Tatsache gemeint ist, auf die sich eine Annahme bezieht. In unserem speziellen Fall wissen wir zufällig, was die Tatsache ist, auf die sich die Annahme bezieht: Es ist unser jetziges Hören des Geräuschs einer Blaskapelle, aber wenn wir von dieser Annahme sagen, dass sie falsch ist, wollen wir nicht nur sagen, dass wir das Geräusch einer Blaskapelle tatsächlich nicht hören. Wenn wir nur dieses sagen, schreiben wir der Annahme überhaupt keine Eigenschaft zu; wenn wir hingegen sagen, dass sie falsch ist, wollen wir gewiss der Annahme selbst eine eindeutige Eigenschaft zuschreiben, und das ist eine Eigenschaft, die sie mit anderen falschen Annahmen teilt. Und es genügt auch nicht zu sagen, wenn wir sagen, sie sei falsch, dass alles, was wir meinen, einfach darin besteht, dass die eine oder die andere Tatsache im Universum nicht vorhanden ist. Für jede andere falsche Annahme ist eine andere Tatsache im Universum nicht vorhanden. Und was wir von jeder sagen wollen, wenn wir sagen, dass sie falsch ist, bedeutet nicht nur, dass die eine oder andere Tatsache im Universum nicht vorhanden ist, sondern dass die Tatsache, auf die sie sich bezieht, so nicht vorhanden ist. Aber dann lautet die Frage, was ist mit der Tatsache, auf die sie sich bezieht, gemeint? Was bedeutet die Beziehung, die wir „sich auf eine

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Tatsache beziehen“ nennen? Wenn wir sagen, dass es solch eine Beziehung gibt, implizieren wir, dass jede wahre Annahme eine besondere Beziehung zu einer Tatsache hat und nur zu einer Tatsache – jede andere wahre Annahme hat die entsprechende Beziehung zu einer anderen Tatsache. Und wir müssen sagen, was diese Beziehung ist, um wirklich befriedigend zu definieren, was wir mit der Tatsache meinen, auf die sich eine Annahme bezieht. Können wir sagen, was diese Beziehung ist? Mir scheint nun, die einzige Beziehung, die auf den ersten Blick ganz offensichtlich den Voraussetzungen genügt, ist folgende: Jede wahre Annahme hat eine Tatsache und nur eine Tatsache, diese besondere Beziehung nämlich, die wir verwenden und bei der wir den Namen der Tatsache verwenden müssen, um die Annahme zu benennen. Sodass wir sagen können: Die Tatsache, auf die sich eine Annahme bezieht, ist immer die Tatsache, die denselben Namen hat wie die, die wir verwenden müssen, um die Annahme zu benennen. Dies ist wahr, so denke ich; und ich möchte darauf bestehen, weil diese partielle Übereinstimmung zwischen dem Namen der Annahme und dem Namen der Tatsache, auf die sie sich bezieht, oft zu einer Verwirrung führt und oftmals dazu dient, die wahre Natur des Problems zu verbergen, das sich uns stellt. Wenn wir jeder Annahme einen Namen geben wollen – um hervorzuheben, was die Annahme ist, über die wir sprechen, und sie von anderen, unterschiedlichen Annahmen zu unterscheiden –, müssen wir dies immer auf folgende Weise tun. Wir können uns nur auf sie beziehen als die Annahme, die dieses oder jenes ... Eine Annahme z.€B. ist die Annahme, dass „Löwen existieren“, eine andere ist die Annahme, dass „Bären existieren“, eine andere ist die Annahme, dass „meine Schere auf meinem Tisch liegt“ usw. Die einzige Weise, mit der wir uns auf diese Annahmen beziehen können, um hervorzuheben, welche Annahme es ist, über die wir sprechen, ist mittels einer der Ausdrücke, die mit „dass“ beginnen, oder ein äquivalentes Verbalsubstantiv. Nehmen wir z.€B. an, wir möchten über die Annahme, dass Löwen existieren, sprechen. Wie sollen wir uns darauf beziehen? Mit welchem Namen sollen wir sie bezeichnen, der zeigt, über welche Annahme wir sprechen? Offensichtlich besteht der Name aus den Worten, die ich Â�soeben geäußert habe: Ihr Name besteht aus den Worten „die Annahme, dass Löwen existieren“ oder des äquivalenten Ausdrucks „die Annahme der Existenz von Löwen“; sie hat keinen anderen Namen außer einen dieser beiden Ausdrücke; wir können uns auf keine andere Weise auf sie beziehen oder hervorheben, welche Annahme wir meinen. Daher können wir Annahmen nur mittels dieser Ausdrücke benennen, die mit „dass“ beginnen – „dass Löwen existieren“,

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„dass Bären existieren“ usw. –, oder mittels der äquivalenten Verbalsubstantive. Wenn wir aber die Tatsache, auf die sich die Annahme bezieht – die Tatsache, die ist, wenn die Annahme wahr ist, und die nicht ist, wenn sie falsch ist – benennen wollen, können wir dies merkwürdigerweise nur mittels genau derselben Ausdrücke tun. Wenn die Annahme, dass Löwen existieren, wahr ist, dann gibt es im Universum eine Tatsache, die nicht sein würde, wenn die Annahme falsch wäre. Aber was ist diese Tatsache? Wie ist ihr Name? Sicherlich ist diese Tatsache die Tatsache, dass Löwen existieren. Diese Worte „dass Löwen existieren“ bilden ihren Namen, und es gibt keine andere Weise, um sich auf sie zu beziehen, als durch diese oder äquivalente Worte. Und diese Worte sind, wie Sie sehen, genau dieselben, die wir benutzen müssen, um die Annahme zu benennen. Die Annahme ist die Annahme, dass Löwen existieren, und die Tatsache, auf die sich die Annahme bezieht, ist die Tatsache, dass Löwen existieren. Daher trifft es zu, denke ich, dass die Tatsache, auf die sich die Annahme bezieht, immer die Tatsache ist, die genau denselben Namen hat, den wir verwenden, um die Annahme zu benennen. Aber offensichtlich genügt die Tatsache, dass dies der Fall ist, nicht als eine Definition dessen, was wir mit der Tatsache meinen, auf die sich eine Annahme bezieht. Es kann unmöglich der Fall sein, dass das, was wir meinen, wenn wir sagen, dass eine Annahme wahr ist, nur ist, dass es im Universum eine Tatsache gibt, die denselben Namen hat. Wenn dem so wäre, könnte keine Annahme wahr sein, solange sie keinen Namen hat. Daher muss es der Fall sein, dass es immer eine andere Beziehung zwischen einer wahren Annahme und der Tatsache, auf die sie sich bezieht, gibt – eine andere Beziehung, die durch die Übereinstimmung des Namens ausgedrückt wird. Daher lautet die Frage, die wir uns stellen müssen: Was ist die Beziehung, die immer zwischen einer wahren Annahme und der Tatsache, auf die sie sich bezieht, besteht? Die Beziehung, die wir meinen, wenn wir die Tatsache die Tatsache nennen, auf die sich die Annahme bezieht? Die Beziehung, die wir ausdrücken, indem wir sagen, dass die Annahme sich auf die Tatsache bezieht? Lassen Sie uns versuchen, diese Frage zu beantworten, indem wir wieder unser spezielles Beispiel einer Annahme betrachten. Bei diesem Beispiel haben wir den Vorteil, dass wir sehr genau wissen, wie die Tatsache sein würde, die sein würde, falls die Annahme wahr wäre. Wir wissen alle, wie es sein würde, wenn wir jetzt das Geräusch einer Blaskapelle hörten. Und diese Tatsache, die gewiss nicht ist, ist das, was sein würde, wenn diese spezielle

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Annahme wahr wäre. Um daher herauszufinden, wie diese Tatsache, wenn es eine solche Tatsache gäbe, mit der Annahme verbunden sein würde, müssen wir, so könnte es scheinen, nur herausfinden, was die Annahme selbst ist. Und dies ist, wo die Schwierigkeit zu liegen scheint. Falls eine Person jetzt annimmt, dass wir das Geräusch einer Blaskapelle hören, worin würde ihre Annahme bestehen? Wie lautet die genaue Analyse dieses Ereignisses, das in seinem Bewusstsein auftreten würde? Dies ist eine Frage, die gewiss nicht leicht zu beantworten ist. Aber es gibt eine sehr einfache und natürliche Antwort, die eine entsprechend einfache Theorie beinhaltet über das, was die Beziehung zwischen einer Annahme und der Tatsache, auf die sie sich bezieht, ist. Daher möchte ich zuerst diese einfache und natürliche Antwort auf die Frage bezüglich der Analyse von Annahmen zusammen mit der einfachen Theorie darlegen, die sie hinsichtlich der Unterscheidung zwischen Wahrheit und Unwahrheit beinhaltet. Diese Antwort lautet wie folgt. Sie sagt, dass wir ausnahmslos im Fall einer jeden Annahme, ob sie nun wahr oder falsch ist, immer zwei Bestandteile unterscheiden können – nämlich den Akt der Annahme einerseits und das Objekt der Annahme oder das, was angenommen wird, andererseits. Der Akt der Annahme ist etwas, das in wirklich allen Fällen von derselben Natur ist. Ob ich nun annehme, dass zwei mal zwei vier ist, oder etwas ganz anderes, wie dass Löwen existieren, der Akt der Annahme, den ich vollziehe, ist in beiden Fällen von genau derselben Art. Der Unterschied zwischen den beiden Fällen besteht darin, dass die Objekte der Annahme verschieden sind. Und wir können, falls wir es wünschen, das Objekt der Annahme in absolut allen Fällen als eine „Proposition“ bezeichnen. Falls wir dies tun, müssen wir nur sehr sorgfältig Propositionen in diesem Sinn von Propositionen unterscheiden, die nur aus einer Form von Wörtern bestehen. „Proposition“ in dem Sinn, in dem in dieser Theorie ein Objekt der Annahme immer eine Proposition ist, ist kein Name für eine bloße Form von Wörtern. Es ist ein Name für das, was durch bestimmte Formen von Wörtern ausgedrückt wird – nämlich jene, die in der Grammatik „Sätze“ genannt werden. Es ist ein Name für das, was im Verstand ist, wenn man einen Satz nicht nur hört oder liest, sondern auch versteht. Kurz gesagt, es ist die Bedeutung des Satzes – das, was durch einen Satz ausgedrückt oder vermittelt wird: Daher unterscheidet sie sich deutlich vom Satz selbst – von den bloßen Wörtern. Und es scheint gewiss auf den ersten Blick, als ob es so etwas wie Proposition in diesem Sinn gibt und als ob wir eine Proposition annehmen, wann immer wir irgendÂ�etwas annehmen. Die Gründe für eine Unterscheidung in jedem Fall zwischen

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dem Akt der Annahme einerseits und der Proposition andererseits, die angenommen wird, scheinen sehr überzeugend zu sein. Es ist ganz sicher, wenn z.€B. ein Mensch annimmt, dass Löwen existieren, und ein anderer Mensch annimmt, dass Bären existieren, dass diese beiden Annahmen sich hinsichtlich der Tatsache ähneln, dass sie beide Akte von Annahmen sind; und es ist auch ganz sicher, dass sie sich hinsichtlich der Tatsache unterscheiden, dass eine von ihnen die Annahme ist, dass Löwen existieren, und die andere die Annahme ist, dass Bären exisÂ�tieren. Aber worin besteht dieser Unterschied? Es scheint schwierig zu sehen, wie er in irgendetwas anderem bestehen könnte, als dass die eine Annahme eine spezielle Art der Beziehung zu einem Objekt hat, während die andere dieselbe Art der Beziehung zu einem anderen Objekt hat. Und die natürliche Sichtweise ist gewiss, dass die beiden betroffenen Objekte Folgendes sind: in dem einem Fall die Proposition, dass Löwen existieren, und in dem anderen die Proposition, dass Bären existieren. Und wenn diese Darstellung des Unterschieds zwischen zwei verschiedenen wahren Annahmen zutrifft, ist es ganz offensichtlich, dass diese Darstellung auch auf den Unterschied zwischen zwei verschiedenen falschen Annahmen zutrifft. Wenn ein Kind fälschlicherweise annimmt, dass Greife existieren, und ein anderes fälschlicherweise annimmt, dass Zentauren existieren, ist es genauso offensichtlich, dass die beiden Annahmen sich hinsichtlich der Tatsache ähneln, dass sie beide Akte von Annahmen sind, aber trotzdem unterscheiden sie sich hinsichtlich der Tatsache, dass die eine Annahme die Annahme ist, dass Greife existieren, während die andere die Annahme ist, dass Zentauren existieren. Auch hier, wie im Falle der wahren Annahmen, gibt es Grund zu sagen, dass der Unterschied in der Tatsache besteht, dass die eine Annahme eine spezielle Beziehung zu der Proposition hat, dass Greife existieren, und die andere dieselbe Beziehung zu der Proposition hat, dass Zentauren existieren. Dies ist nun eine Theorie, die bezüglich der Zusammensetzung von Annahmen vertreten werden kann – die Theorie, dass jede Annahme, ob wahr oder falsch, immer ein Objekt hat, das eine Proposition genannt werden kann, und dass die Annahme einfach darin besteht, dass diese Proposition auf eine spezielle Weise im Bewusstsein ist – man ist sich ihrer auf eine besondere Weise bewusst, die wir „annehmen“ nennen. Und was Sie bezüglich dieser Theorie beachten sollten ist, dass laut ihr das, was angenommen wird – das Objekt – die Proposition –, etwas ist, das vorhanden ist – es gibt wirklich so etwas im Universum, gleichgültig ob die Annahme wahr oder falsch ist. Wenn wir z.€B. annehmen, dass Löwen existieren, dann gibt es so

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etwas wie „dass Löwen existieren“, ob die Annahme wahr ist oder nicht, es gibt so etwas wie „die Existenz von Löwen“, weil die Ausdrücke „dass Löwen existieren“ oder „die Existenz von Löwen“ eine Bezeichnung für das sind, was angenommen wird – für die Proposition, die angenommen wird. Aber diese Tatsache erschafft eine Schwierigkeit – denn wie wir gesehen haben, ist es auch der Fall, dass es nur zutrifft , wenn die Annahme wahr ist, dass es so etwas wie die Existenz von Löwen gibt: Wenn die Annahme falsch ist, gibt es keine solche Tatsache wie die Existenz von Löwen. Daher muss diese Theorie zugeben, dass, wann immer eine Annahme wahr ist, es im Universum zwei ganz verschiedene Tatsachen gibt, die genau denselben Namen haben, nämlich (1) das Objekt der Annahme, die Proposition, dass Löwen existieren, die auch im Universum vorhanden wäre, selbst wenn die Annahme falsch wäre, und (2) die andere Tatsache, dass Löwen existieren, die Tatsache, die wir normalerweise als „die Tatsache, dass Löwen existieren“ bezeichnen sollten, die nur im Universum ist, wenn die Annahme wahr ist. Diese beiden Tatsachen sind oder haben Sein, wenn die Annahme wahr ist, in genau dem gleichen Sinn; aber da nur eine von ihnen ist, wenn die Annahme falsch ist, so folgt, dass sie voneinander verschieden sein müssen trotz der Tatsache, dass sie genau denselben Namen haben. Die Tatsache, dass diese Theorie uns zwingt zu sagen, dass, wann immer eine Annahme wahr ist, es im Universum zwei verschiedene Tatsachen gibt, die genau denselben Namen haben, beinhaltet den Verdacht, dass die Theorie falsch ist. Aber natürlich ist es nicht absolut vernichtend für sie. Es könnte der Fall sein, dass wir wirklich zwei unterschiedlichen Tatsachen denselben Namen geben. Aber ich möchte hervorheben, dass die Theorie zugeben muss, dass die beiden Tatsachen verschieden sind, obwohl sie denselben Namen haben; dass sie nur denselben Namen haben und dass wir uns dadurch nicht zu der Annahme verleiten lassen dürfen, dass sie identisch sind. So viel zu der Erklärung, was diese Theorie hinsichtlich der Analyse der Annahme bedeutet. Aber wie ich sagte, lässt diese Theorie auf eine sehr einfache Theorie hinsichtlich der Beziehung einer wahren Annahme zu der Tatsache, auf die sie sich bezieht, schließen. Und indem sie dies tut, lässt sie auch auf eine neue Theorie über das schließen, was Wahrheit ist – eine neue Theorie, die nicht mit der alten unvereinbar ist, da sie nur behauptet, dass es eine andere Eigenschaft gibt, die „Wahrheit“ genannt wird und die nicht zu Annahmen gehört, sondern nur zu den Objekten der Annahme oder Propositionen, während die erstere Theorie nur vorgibt, eine Eigenschaft zu definieren, die wir den Annahmen zuschreiben, wenn wir sie wahr nennen.

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Was ist nun die Theorie der Wahrheit, auf die diese Theorie hinsichtlich der Analyse der Annahme schließen lässt? Es ist eine Theorie, die ich selbst früher vertreten habe und die gewiss den Vorteil hat, dass sie sehr einfach ist. Sie lautet einfach wie folgt. Sie eignet sich die Vermutung an, dass im Falle jeder Annahme, wahr oder falsch, es eine Proposition gibt, die das ist, was angenommen wird, und die gewiss ist. Aber der Unterschied zwischen einer wahren und einer falschen Annahme, so sagt sie, besteht einfach darin, dass dort, wo die Annahme wahr ist, die Proposition, die angenommen wird, neben der Tatsache, dass sie ist oder „Sein hat“, auch eine andere einfache, nicht analysierbare Eigenschaft hat, die „Wahrheit“ genannt wird. Daher würde „Wahrheit“ bei dieser Sichtweise eine einfache, nicht analysierbare Eigenschaft sein, die von einigen Propositionen besessen wird und von anderen nicht. Die Propositionen, die sie nicht besitzen und die wir daher falsch nennen, sind oder „haben Sein“ genauso wie jene, die sie besitzen; sie haben nur diese zusätzliche Eigenschaft des „Wahr“-Seins nicht. Und die Erklärung dieser beiden unterschiedlichen Tatsachen mit demselben Namen, die im Universum sind, wenn eine Annahme wahr ist, und eine von ihnen nicht vorhanden ist, wenn die Annahme falsch ist, und ihre Beziehung zueinander, würden einfach folgende sein: Eine dieser beiden Tatsachen, die unabhängig davon ist, ob die Annahme wahr oder falsch ist, ist natürlich die Proposition. Und die andere, die nur ist, wenn die Annahme wahr ist, besteht einfach in dem Besitz der einfachen Eigenschaft „Wahrheit“ durch die Proposition. So sollten wir sagen, dass die reale Existenz von Löwen – die Tatsache, auf die sich die Annahme, „dass Löwen existieren“, bezieht – einfach in dem Besitz einer einfachen Eigenschaft durch die Proposition, „dass Löwen existieren“, besteht. Und dieses würde ganz einfach erklären, was wir meinen, wenn wir sagen, dass die Tatsache jene ist, auf die sich die Annahme bezieht. Die entsprechende Annahme ist die Annahme in der Proposition „dass Löwen existieren“, und folglich ist die Wahrheit dieser speziellen Proposition eine Tatsache, die zu der Annahme eine Beziehung hat, die keine andere Tatsache zu ihr hat. Die Beziehung besteht einfach in der Tatsache, dass diese Tatsache die Wahrheit dieser speziellen Proposition ist, die das Objekt der Annahme ist. Wir müssen natürlich zugeben, dass wir der bloßen Proposition und der Wahrheit dieser Proposition, d.€h. des Besitzes der einfachen Eigenschaft „Wahrheit“, denselben Namen geben – den Namen „dass Löwen existieren“ oder „die Existenz von Löwen“. Aber wir müssen auf jeden Fall zugeben, dass, wenn die Annahme wahr ist, es im Universum zwei unterschiedliche Tatsachen gibt, die denselben Namen haben, nämlich (1) die

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Proposition und (2) die Tatsache, auf die sich die Annahme bezieht; es gibt keinen besonderen Grund, warum diese Tatsache, die denselben Namen wie die Proposition hat, nicht einfach in der Wahrheit der Proposition bestehen sollte. Und diese Theorie, dass Wahrheit der Name einer einfachen Eigenschaft ist, die zu einigen gehört und zu anderen nicht, ist, wie ich gesagt habe, völlig mit unserer früheren Definition der Wahrheit vereinbar. Unsere frühere Definition bestand darin, zu sagen, dass eine Annahme wahr ist, bedeutet, dass es im Universum die Tatsache gibt, auf die sie sich bezieht. Und wir können diese Definition zusammen mit der der neuen vertreten. Wir müssen nur zugeben, dass es zwei unterschiedliche Bedeutungen des Wortes „Wahrheit“ gibt, eine von ihnen bezieht sich auf Propositionen und die andere auf Annahmen. Und es ist gewiss, dass es zumindest zwei unterschiedliche Bedeutungen des Wortes „Wahrheit“ gibt, da wir gewiss sagen, dass Sätze – bloße Formen von Wörtern – genauso wie die Annahmen, die sie ausdrücken, wahr sind28; und keine bloße Form von Worten kann in dem gleichen Sinn wahr sein, in dem es eine Annahme ist. Wenn wir daher zwei unterschiedliche Bedeutungen des Wortes „Wahrheit“ zulassen, und eine von ihnen durch die Beziehung auf die andere definiert werden kann, warum sollten wir nicht eine dritte Bedeutung zulassen mit einer Beziehung, durch die die beiden anderen definiert werden? Es würde nur bedeuten zuzugeben, dass (1) es einen ultimativen Sinn des Wortes gibt, jener nämlich, in dem einige Propositionen wahr sind und nichts außer einer Proposition es sein kann, und dass es dann zwei abgeleitete Bedeutungen gibt, nämlich (2) jener, in dem einige Annahmen wahr sind und nichts außer einer Annahme es sein kann, und (3) jener, in dem einige Formen von Wörtern wahr sind und nichts außer einer Form von Wörtern es sein kann. Nun haben wir hier eine Theorie der Wahrheit, die uns zwingen würde, zwei ultimative und unanalysierbare Vorstellungen oder Eigenschaften anzuerkennen, die eine ist die Eigenschaft des „Seins“, die von allen Propositionen, ob wahr oder falsch, gleichermaßen und auch von vielen anderen Dingen besessen wird; und die andere ist eine Eigenschaft, die „Wahrheit“ genannt werden kann, eine Eigenschaft, die nur von Propositionen besessen werden kann und nur von einigen besessen wird – jene, die sie nicht besitzen, werden als „falsch“ bezeichnet, obwohl sie „Sein“ haben. Diese Theorie ist eine sehr einfache und sehr natürliche; und ich muss gestehen, dass ich 28

Ich sehe jetzt keinen Grund, anzunehmen, dass wir Sätze oder Formen von Wörtern jemals als „wahr“ bezeichnen, außer in solch altmodisch klingenden AusÂ� drücken wie: „Ein wahres Wort wir oft im Scherz gesprochen.“ (1952).

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kein schlüssiges Argument gegen sie finden kann. Aber doch glaube ich jetzt nicht mehr, dass sie wahr ist, obwohl ich es früher tat. Es gibt, denke ich, zwei Haupteinwände – die Einwände, die am wichtigsten sind, obwohl ich gestehe, dass ich keinen von ihnen als vollkommen klar und überzeugend erscheinen lassen kann. Der erste Einwand betrifft nur die spezielle Theorie der Wahrheit: Er betrifft nicht die Theorie bezüglich der Analyse der Annahme, die diese Theorie der Wahrheit voraussetzt. Er lautet wie folgt: Die Tatsache, auf die sich eine wahre Annahme bezieht – die Tatsache, die nur ist, wenn die Annahme wahr ist, und überhaupt kein Sein hat, wenn sie falsch ist –, scheint nicht nur in dem Besitz einer einfachen Eigenschaft durch eine Proposition zu bestehen – d.€h. durch etwas, das Sein hat, ob die Annahme nun wahr oder falsch ist. Zum Beispiel scheint die Tatsache, dass Löwen wirklich existieren, nicht in dem Besitz einer einfachen Eigenschaft durch die Proposition zu bestehen, die wir annehmen, wenn wir annehmen, dass sie existieren, selbst wenn wir einräumen, dass es so etwas wie diese Proposition gibt. Die Beziehung der Proposition zu der Tatsache scheint nicht einfach in der Tatsache zu bestehen, dass die Proposition ein Bestandteil der Tatsache ist – eines der Elemente, aus denen sie besteht. Dies ist nur ein Einwand bezüglich dieser speziellen Theorie, die die Zusammensetzung der Tatsache betrifft, auf die sich eine wahre Annahme bezieht. Aber der zweite Einwand ist nicht nur ein Einwand gegen diese Theorie, sondern bezüglich der gesamten Analyse von Annahmen, auf der sie basiert; es ist ein Einwand hinsichtlich der Vermutung, dass es überhaupt solche Dinge wie Propositionen gibt und dass Annahmen nur in der Einstellung des Bewusstseins gegenüber diesen angenommenen Entitäten bestehen. Und auch hier gestehe ich, dass ich diesen Einwand nicht auf eine klare und überzeugende Weise darlegen kann. Aber es ist die Art von Einwand, die ich annehme. Er besagt, dass, wenn man bedenkt, was passiert, wenn ein Mensch eine falsche Annahme hat, es nicht scheint, als ob seine Annahme nur darin besteht, dass er eine Beziehung zu einem Objekt hat, welches gewiss ist. Es scheint eher, als ob das Ding, das er annimmt, das Objekt seiner Annahme, nur die Tatsache sei, die gewiss nicht ist – die gewiss nicht ist, weil seine Annahme falsch ist. Dies bringt natürlich eine Schwierigkeit mit sich, da, wenn das Objekt gewiss nicht ist – wenn es kein solches Ding gibt –, es für ihn oder irgendetwas anderes unmöglich ist, eine Art Beziehung zu ihm zu haben. Damit eine Beziehung zwischen zwei Dingen besteht, müssen beide Dinge gewiss sein; und wie ist es dann jemandem möglich, etwas anzunehmen, das einfach kein Sein hat? Diese Schwierigkeit scheint sich zu ergeben, wenn man sagt,

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dass falsche Annahmen nicht ausschließlich aus einer Beziehung zwischen demjenigen, der etwas annimmt, oder dem Akt der Annahme einerseits und etwas anderem, das gewiss ist, andererseits bestehen. Und ich gestehe, dass ich keine eindeutige Lösung für dieses Problem sehe. Aber trotzdem bin ich geneigt anzunehmen, dass es dies ist, was wir behaupten müssen. Und gewisse Dinge können angeführt werden, um diese Ansicht plausibler erscheinen zu lassen. Es ist ganz sicher, so denke ich, wenn wir einen Satz – eine Form von Wörtern – vor uns haben, der eine Beziehung zwischen zwei Objekten auszudrücken scheint, dass wir nicht immer annehmen müssen, die Namen, die als Bezeichnungen der Objekte erscheinen, zwischen denen eine Beziehung besteht, seien immer wirklich überhaupt Bezeichnungen für ein Objekt. Dies kann durch das veranschaulicht werden, was uns im vorliegenden Fall widerfährt. Zum Zweck unserer Darstellung haben wir uns die Hypothese vorgestellt, dass wir jetzt tatsächlich das Geräusch einer Blaskapelle hören. Wir haben uns dies vorgestellt, als wir sagten, dass es dies wäre, was geschehen würde, falls die Annahme, dass wir dies täten, wahr wäre. Wir können uns diese Hypothese gewiss vorstellen: Wir wissen, wie es sein würde, wenn wir tatsächlich das Geräusch hörten. Und bei dieser bloßen Vermutung –€indem wir uns eine Hypothese vorstellen, ohne sie überhaupt anzunehmen wie dem vorliegenden Fall – ergibt sich genau dieselbe Schwierigkeit wie im Fall der falschen Annahme. „Wir stellen uns jetzt die Hypothese vor, dass wir jetzt tatsächlich eine Blaskapelle hören.“ Dieser Satz – die Wörter, die ich soeben benutzt habe – scheinen die Tatsachen darzulegen. Und was sie darzulegen scheinen ist, dass es eine Beziehung gibt – die Beziehung, die wir durch „vorstellen“ ausdrücken – zwischen uns einerseits und einem Objekt andererseits, dessen Bezeichnung „dass wir jetzt eine Blaskapelle hören“ lautet. Aber, wie wir gesehen haben und es offensichtlich ist, gibt es überhaupt nichts, das mit diesem Namen bezeichnet wird: So etwas wie unser jetziges Hören dieses Geräuschs gibt es nicht. Man könnte antworten: „Ja, es gibt solch ein Ding; es gibt die Proposition, dass wir jetzt dieses Geräusch hören; dies ist das, was wir uns vorstellen; und dies ist sehr sicher: Das Einzige, was nicht ist, ist die Tatsache, die sein würde, wenn die Proposition wahr wäre.“ Obwohl man dies antworten könnte und so zur Theorie zurückkehren könnte, dass es zwei unterschiedliche Dinge mit demselben Namen geben könnte, und obwohl nur eines von ihnen im vorliegenden Fall vorhanden ist, doch dieses ist zweifelsohne vorhanden, so ist diese Antwort doch nicht wirklich befriedigend. Indem man sie nur tätigt durch die Unter-

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scheidung zwischen der Proposition, die ist, und der Tatsache mit demselben Namen, die, wie man zugibt, nicht ist, erfasst man doch sicherlich beide: Man könnte noch nicht einmal sagen, dass die Tatsache nicht ist, ohne sie zu erfassen. Und folglich bleibt unsere Schlussfolgerung, wenn wir sagen: „Ich stelle mir vor, jetzt das Geräusch einer Blaskapelle zu hören.“ Obwohl diese Aussage eine Beziehung zwischen uns einerseits und einem Objekt andererseits, das den Namen „unser jetziges Hören des Geräusches einer BlasÂ�kapelle“ trägt, auszudrücken scheint, so tut es dies doch manchmal nicht in allen Fällen – manchmal ist die letztere Form von Wörtern überhaupt kein Name für irgendetwas. Und wenn man einmal zugibt, dass dies manchmal vorkommt, so scheint mir, dass jeglicher Grund schwindet, anzunehmen, dass es jemals diese beiden unterschiedlichen Tatsachen gibt – die Proposition einerseits und die Tatsache andererseits. Falls es in einigen Fällen, wenn wir ein Ding erfassen oder annehmen, wirklich kein solches Ding gibt wie das, von dem gesagt wird, dass wir es annehmen oder erfassen – falls manchmal die Wörter, von denen es scheint, dass wir sie verwenden, um das angenommene oder vorgestellte Ding zu bezeichnen, wirklich ein Name für irgendetwas ist –, so gibt es keinen Grund, denke ich, warum wir nicht zugeben sollten, dass dies bei falschen Annahmen oder beim Vorstellen von rein imaginären Dingen immer der Fall ist. Wir müssten dann sagen, dass Ausdrücke in der Form „ich nehme dieses oder jenes an“, „ich stelle mir dieses oder jenes vor“, obwohl sie zweifellos eine Tatsache ausdrücken, keine Beziehung zwischen mir einerseits und einem Objekt andererseits ausdrücken, dessen Name die Wörter sind, die wir verwenden, um das zu sagen, was wir annehmen oder uns vorstellen. Und da bei bloßer Analyse es einfach keinen Unterschied zwischen falschen und wahren Annahmen zu geben scheint, müssten wir von allen Annahmen und Vermutungen im Allgemeinen sagen, dass sie niemals aus einer Beziehung zwischen demjenigen, der etwas annimmt, und etwas anderem, welches das ist, was angenommen wird, bestehen. Nehmen wir z.€B. an, dass ich annehme, dass Löwen existieren, und dass diese Annahme wahr ist. In diesem Fall gibt es eine Tatsache mit dem Namen „dass Löwen existieren“, da die Annahme wahr ist, aber meine Annahme selbst besteht nicht aus einer Beziehung zwischen mir und dieser Tatsache noch zwischen mir und einer anderen Tatsache mit denselben Namen. Die Tatsache, dass meine Annahme wahr ist, impliziert natürlich, dass es eine Beziehung zwischen mir und dieser Tatsache gibt. Aber es ist die Wahrheit meiner Annahme, die aus dieser Beziehung besteht: Die Annahme selbst besteht nicht daraus. Obwohl wir sagen, „ich nehme die Existenz von Löwen an“, stehen die Wörter „die Exis-

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tenz von Löwen“ in diesem Ausdruck weder für die Tatsache, die ist, noch für überhaupt eine Tatsache, zu der ich eine Beziehung habe. Sie sind keine Bezeichnung für überhaupt irgendetwas. Der gesamte Ausdruck „ich nehme die Existenz von Löwen an“ ist natürlich eine Bezeichnung für eine Tatsache. Aber wir können diese Tatsache nicht in einer Beziehung zwischen mir einerseits und einer Proposition mit dem Namen „die Existenz von Löwen“ andererseits auflösen. Dies ist die Theorie bezüglich der Analyse von Annahmen, die ich empfehlen möchte. Sie könnte ausgedrückt werden, indem man sagt, dass es einfach keine solchen Dinge wie Propositionen gibt; dass Annahmen nicht, wie die erste Theorie behauptet hat, aus einer Beziehung zwischen demjenigen, der etwas annimmt, einerseits und einem anderen Ding, das die angenommene Proposition genannt werden kann, bestehen. Es scheint mir, dass zumindest einer der offensichtlichsten Einwände gegen diese Theorie leicht widerlegt werden kann. Es könnte gedacht werden, dass, wenn es keine solchen Dinge wie Propositionen gibt, alle Aussagen, wann immer wir Aussagen über Propositionen tätigen (wie wir es fortwährend tun und tun müssen), Unsinn sein müssen. Aber dieses ergibt sich keineswegs zwangsläufig. Natürlich können – und müssen – wir weiterhin so reden, als ob es solche Dinge wie Propositionen gäbe. Wir können und müssen weiterhin AusÂ� drücke benutzen wie „die Proposition, dass Löwen existieren“, „die Proposition, dass zwei plus zwei gleich fünf ist“ – d.€h. wir können und müssen Sätze verwenden, in denen diese Ausdrücke vorkommen; und viele dieser Sätze drücken eine Tatsache aus. Zum Beispiel wird der Satz „die Proposition, dass zwei plus zwei gleich vier ist, ist wahr“ weiterhin verwendet werden und eine Tatsache ausdrücken. Alles, was unsere Theorie von uns zu sagen verlangt ist, dass ein Teil dieses Ausdrucks, nämlich die Wörter „die Proposition, dass zwei plus zwei gleich vier ist“, obwohl es ein Name für etwas zu sein scheint, wirklich kein Name für überhaupt irgendetwas ist, während hingegen der gesamte Ausdruck „die Proposition, dass zwei plus zwei gleich vier ist“ eine Bezeichnung für eine – sehr wichtige – Tatsache ist; und alles, was unsere Theorie besagt, ist, dass wir nicht annehmen dürfen, dass diese Tatsache in einer Tatsache mit dem Namen „die Proposition, dass zweimal zwei vier ist“ und einer Beziehung zwischen dieser Tatsache einerseits und der Wahrheit andererseits aufgelöst werden kann. Dies ist alles, was die Theorie benötigt. Sie setzt nicht voraus, dass wir mit dem Gebrauch dieser Ausdrücke, die keine Namen für irgendetwas sind, aufhören sollten oder dass wir annehmen sollten, dass Sätze, in denen sie auftreten, nicht wahr sein

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können.29 Ganz im Gegenteil, solche Sätze werden genauso oft wahr sein wie zuvor und werden oftmals die praktischste Art sein, wichtige Tatsachen auszudrücken. Sie werden in der Regel auch nicht irreführend sein. Sie werden nur irreführend sein, wenn sie uns veranlassen, einen Fehler bezüglich der Analyse der Tatsache, die sie ausdrücken, zu machen oder anzunehmen, dass jeder Ausdruck, der ein Name von etwas zu sein scheint, es auch tatsächlich sein muss. Aber diese Theorie bezüglich der Analyse von Annahmen ist natürlich nur eine negative Theorie. Sie besagt, dass Annahmen nicht auf eine bestimmte Weise analysiert werden können – dass sie nicht in den Akt der Annahme einerseits und das angenommene Ding andererseits aufgelöst werden können –, aber sie besagt nicht, wie sie analysiert werden können; und daher ist sie für uns überhaupt keine Hilfe hinsichtlich der Lösung unserer ursprünglichen Frage – der Frage, was genau die Beziehung zwischen einer wahren Annahme und der Tatsache, auf die sie sich bezieht, ist – die Beziehung, die wir ausdrücken, wenn wir sagen, dass die entsprechende Tatsache die Tatsache ist, auf die sich die Annahme bezieht. Möglicherweise kann eine positive Analyse einer Annahme gegeben werden, die es uns ermöglichen würde, diese Frage zu beantworten, aber ich kenne keine, die mir vollkommen klar und befriedigend erscheint. Daher schlage ich vor, den Versuch, Annahmen zu analysieren, aufzugeben. Ich denke, es muss eingestanden werden, dass es eine sehr große Schwierigkeit bei ihrer Analyse gibt; und ich weiß nicht, ob irgendjemand sagen würde, dass er eine Theorie über diese Angelegenheit hat, die ganz eindeutig zutrifft. Aber wenn wir so eingestehen, dass wir nicht genau wissen, was die Zusammensetzung einer Annahme ist, so folgt, dass wir ebenso eingestehen müssen, dass wir nicht wissen, was Wahrheit ist. Und was ist der Unterschied zwischen Wahrheit und Unwahrheit? Es mag erscheinen, als ob wir es wüssten, denn wir sind, aufgrund der Entdeckung einer Unklarheit in der von uns vorgeschlagenen Definition der Wahrheit, zu einer Betrachtung des Wesens der Annahmen geführt worden, die, so schien es, unmöglich von uns gänzlich geklärt werden konnte, außer indem wir herausfinden, was genau für eine Art Ding eine Annahme ist. Und ich denke, es ist wahr, dass 29

Natürlich sollte ich jetzt sagen, dass solche Sätze nicht wahr sein können, da unsere gegenwärtige Verwendung von „wahr“ darin besteht, dass es Unsinn ist, von einem Satz zu sagen, dass er wahr sein (siehe Fußnote 28, S.€286). Daher sollte ich in diesem und dem nächsten Satz den Ausdruck „wahr sein“ durch den Ausdruck „eine Wahrheit ausdrücken“ ersetzen. (1952).

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das Scheitern, die Annahme zu analysieren, ein entsprechendes Scheitern beinhaltet, eine komplette Analyse dessen zu geben, was wir als „Wahrheit“ bezeichnen. Aber ich möchte besonders hervorheben, dass wir nichtsdestotrotz in einer Hinsicht vollkommen klar und eindeutig wissen können, was Wahrheit ist, und dass das, was wir darüber wissen können, bei Weitem das Wichtigste und Wesentlichste ist. Kurz gesagt, es scheint mir, dass diese Fragen bezüglich der Analyse von Annahmen für die wichtigste Frage hinsichtlich des Wesens der Wahrheit vollkommen irrelevant sind. Und ich möchte darauf bestehen, da es sehr einfach ist, die verschiedenen Fragen nicht klar zu unterscheiden und dies anzunehmen, da wir in einer Hinsicht einen Zweifel hinsichtlich des Wesens der Wahrheit zugeben müssen, dieser Zweifel sollte auch Zweifel bei anderen, wichtigeren Angelegenheiten hervorrufen, die davon wirklich völlig unabhängig sind. Lassen Sie mich versuchen, die Angelegenheit ganz deutlich darzulegen und das zu erklären, von dem ich denke, dass es bezüglich der Wahrheit ganz gewiss ist, und wie gewiss dies sein kann trotz des Zweifels hinsichtlich des Wesens der Annahme. Was ich als Definition der Wahrheit vorgeschlagen habe war Folgendes. Zu sagen, dass eine Annahme wahr ist, bedeutet zu sagen, dass die Tatsache, auf die sie sich bezieht, ist oder Sein hat; während zu sagen, dass eine Annahme falsch ist, zu sagen bedeutet, dass die Tatsache, auf die sie sich bezieht, nicht ist – dass es keine solche Tatsache gibt. Oder wir können auch sagen: Jede Annahme hat die Eigenschaft, sich auf eine spezielle Tatsache zu beziehen, jede unterschiedliche Annahme auf eine unterschiedliche Tatsache; und die Eigenschaft, die eine Annahme hat, wenn sie wahr ist – die Eigenschaft, die wir benennen, wenn wir sie als wahr bezeichnen –, ist die Eigenschaft, die dadurch ausgedrückt werden kann, indem gesagt wird, dass die Tatsache, auf die sie sich bezieht, ist. Dies ist genau das, was ich vorschlage, als grundlegende Definition der Wahrheit vorzubringen. Und die Schwierigkeit, die wir dabei sahen, bestand im genauen Definieren, was mit „sich beziehen auf“ gemeint ist, wenn man von der Tatsache spricht, auf die sich eine Annahme bezieht. Offensichtlich steht dieser Ausdruck „sich beziehen auf“ für eine Verbindung, die jede wahre Annahme zu einer und nur einer Tatsache hat und die jede falsche Annahme zu überhaupt keiner Tatsache hat; und die Schwierigkeit bestand darin, diese Beziehung zu definieren. Nun ich gebe zu, dass ich sie nicht definieren kann im Sinne einer kompletten Analyse: Ich denke nicht, dass dies geleistet werden kann, ohne die Annahme zu analysieren. Aber offensichtlich folgt aus der Tatsache, dass wir sie nicht analysieren können, nicht, dass wir nicht sehr wohl wissen

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können, was die Beziehung ist; wir können sehr gut mit ihr vertraut sein; sie mag uns wohl bekannt sein; und wir können wissen, dass es eine Beziehung gibt und dass diese Beziehung für die Definition der Wahrheit wesentlich ist. Und ich möchte hier besonders darauf aufmerksam machen, dass wir in diesem Sinn diese Beziehung kennen, dass wir mit ihr wohl vertraut sind und dass wir daher diese Definition der Wahrheit sehr gut verstehen können, obwohl wir sie nicht bis zu ihren einfachsten Gliedern analysieren können. Nehmen Sie jede beliebige Annahme; es ist ganz offensichtlich, dass es nur eine Tatsache gibt, die Sein haben würde – im Universum sein würde –, wenn die Annahme wahr wäre, und die kein Sein haben würde – einfach nicht sein würde –, wenn das Sein falsch wäre. Und sobald wir wissen, was die Annahme ist, wissen wir ebenso und genauso sicher, was die Tatsache ist, die in diesem Sinn mit ihr korrespondiert. Jeder Zweifel hinsichtlich des Wesens der Tatsache ist zugleich ein Zweifel hinsichtlich des Wesens der Annahme. Wenn wir nicht genau wissen, was das Wesen der Annahme ist, so wissen wir in diesem Ausmaß auch nicht, was das Wesen der entsprechenden Tatsache ist; aber so wie wir das Wesen der Annahme kennen, so kennen wir in genau diesem Verhältnis das Wesen der entsprechenden Tatsache. Nehmen wir z.€B: die Annahme, dass Löwen existieren. Man könnte sagen, dass man nicht genau weiß, was mit der ExisÂ�tenz von Löwen gemeint ist – was die Tatsache ist, die sein würde, wenn die Annahme wahr wäre, und die nicht sein würde, wäre die Annahme falsch. Aber wenn wir dies nicht wissen, dann wissen wir in genau demselben Ausmaß auch nicht, was die Annahme ist – man weiß nicht, was es ist anzunehmen, dass Löwen existieren. Oder nehmen wir ein sehr viel schwierigeres Beispiel: Betrachten wir die Annahme in einer hypothetischen Proposition wie „wenn es morgen regnet, werden wir nicht picknicken können“. Ich gebe zu, es ist sehr schwierig, ganz sicher zu sein, welche Art von Tatsache durch diesen hypothetischen Satz ausgedrückt wird. Viele Menschen könnten sagen, dass es überhaupt nicht als Tatsache bezeichnet werden sollte. Aber trotzdem ist es ganz natürlich zu sagen: Es ist eine Tatsache, dass, wenn dieses oder jenes geschähe, dieses oder jenes sich ergeben würde. Wir verwenden diese Ausdrucksweise als Äquivalent zu „es ist wahr, dass, falls, dieses oder jenes geschähe, dieses oder jenes sich ergeben würde“ und wir können bei der Annahme, dass diese Konsequenz aus dieser Hypothese folgt, genauso wie bei allem anderen, Recht oder Unrecht haben. Und es ist ganz offensichtlich, dass jeder Zweifel hinsichtlich des Wesens der Tatsache, die durch einen hypothetischen Satz ausgedrückt wird, genauso ein Zweifel hinsichtlich des Wesens der entsprechenden Annahme ist. Wenn

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man nicht weiß, was die Tatsache ist, die ist, wenn man wirklich annimmt „wenn es morgen regnet, werden wir nicht picknicken können“, so weiß man auch in genau demselben Ausmaß nicht, was es ist, dies anzunehmen. Es ist nun sehr offensichtlich, denke ich, dass es für jede unterschiedliche Annahme nur eine Tatsache gibt, die sein würde, wenn die Annahme wahr wäre, und nicht sein würde, wenn sie falsch wäre, und dass wir in jedem Fall wissen, was die entsprechende Tatsache ist, genau wie gut oder schlecht wir wissen, was die Annahme ist. Wir wissen, dass dies so ist, und natürlich könnten wir es nicht wissen, wenn wir nicht mit der Beziehung zwischen der Tatsache und der Annahme vertraut wären, wodurch genau eine Tatsache und nur eine Tatsache mit jeder unterschiedlichen Annahme korrespondiert. Ich gebe zu, dass die Analyse dieser Beziehung schwierig ist. Aber jeder Versuch, sie zu analysieren, setzt natürlich voraus, dass es eine solche Beziehung gibt und dass wir mit ihr vertraut sind. Wenn wir mit ihr nicht vertraut wären, könnten wir noch nicht einmal versuchen, sie zu analysieren. Und wenn wir nicht bereits wüssten, dass diese Beziehung die Beziehung ist, die wesentlich ist, um Wahrheit zu definieren, würde unsere Analyse, wie erfolgreich sie auch sein mag, uns einer Definition von Wahrheit nicht näher bringen. Daher denke ich, dass das Wesentlichste, das man über die Wahrheit feststellen sollte, nur darin besteht, dass jede Annahme sich tatsächlich in einem Sinn, mit dem wir wohl vertraut sind, obwohl es uns nicht möglich ist, ihn zu definieren, auf eine Tatsache und nur eine Tatsache bezieht, und dass von einer Annahme zu sagen, dass sie wahr ist, nur zu sagen bedeutet, dass die Tatsache, auf die sie sich bezieht, ist; während von ihr zu sagen, dass sie falsch ist, nur zu sagen bedeutet, dass die Tatsache, auf die sie sich bezieht, nicht ist – dass es keine solche Tatsache gibt. Natürlich kann dies angezweifelt werden, aber was ich hervorheben möchte ist, dass wir nur dadurch, dass wir es sagen, eine klare Ansicht äußern; eine Ansicht, über die diskutiert und entschieden werden kann, ohne auf Fragen über die Analyse von Annahmen einzugehen. Und hinsichtlich der Gründe für die Annahme, dass dies die richtige Definition von Wahrheit ist, können sie so deutlich wie irgendwo anders erkannt werden, indem man unser ursprüngliches Beispiel betrachtet. Nehmen wir an, ein Mensch nähme jetzt an, dass wir tatsächlich das Geräusch einer Blaskapelle hörten. Wir wissen ganz genau, was die Tatsache ist, die sein würde, wenn die Annahme wahr wäre. Wir wissen auch ganz genau, was die Annahme ist und dass sie etwas ist, das sich völlig von der Tatsache unterscheidet, da die Annahme in diesem Moment gewiss sein könnte,

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obwohl die Tatsache sehr wahrscheinlich nicht ist. Und wir wissen ganz genau, dass diese Annahme, falls sie im Bewusstsein von irgendÂ�jemandem existierte, falsch sein würde. Was ist nun die Eigenschaft, die diese Annahme (falls sie existierte) mit anderen falschen Annahmen teilt und die wir ihr zuschreiben, wenn wir sagen, dass sie falsch ist? Sicherlich besteht diese Eigenschaft aus der Tatsache, dass die Tatsache, auf die sie sich bezieht – nämlich unser jetziges Hören des Geräuschs einer Blaskapelle –, kein Sein hat; und sicherlich kennen wir ganz genau die exakte Beziehung, obwohl wir sie nicht definieren können, zwischen der Annahme und der Tatsache, die wir dadurch ausdrücken, indem wir sagen, dass diese spezielle Tatsache die Tatsache ist, auf die sich diese spezielle Annahme bezieht.

Kapitel 15 Wahre und falsche Annahmen

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ie Besprechung von Kapitel 14 hat gezeigt, dass nicht jedem ganz klar war, in welchem Sinn ich das Wort „Annahme30“ genau verwendet habe. Deshalb möchte ich zuerst versuchen, dies deutlich zu machen. Eine Schwierigkeit schien sich ergeben zu haben, weil ich andeutete, dass wir Dinge annehmen können und es für gewöhnlich auch tun, selbst wenn wir nicht ganz sicher über sie sind; und es wurde gesagt, dass einige Leute niemals sagen würden, dass sie etwas annehmen, wenn sie nicht meinen, dass sie ganz sicher über es seien. Nun scheint es mir, dass wir im Alltagsleben fortwährend eine Unterscheidung zwischen dem bloßen Annehmen eines Dinges und dem Sichersein hinsichtlich eines Dinges machen; und ich werde ein Beispiel für die Art von Gelegenheit darlegen, bei der wir diese Unterscheidung machen. Nehmen wir an, zwei meiner Freunde unterhalten sich über mich zu einer Zeit des Jahres, während der man in den Urlaub fährt, und einer von ihnen fragt: „Ist Moore noch in London oder ist er in den Urlaub gefahren?“ Sicherlich könnte der andere ganz selbstverständlich antworten: „Ich nehme an, dass er noch in London ist, aber ich bin nicht ganz sicher.“ Solch eine Ausdrucksweise ist äußerst üblich, und jeder würde verstehen, was damit gemeint ist. Das heißt, es gibt fortwährend Fälle, in denen ein Mensch ganz eindeutig sagt: „Ich nehme tatsächlich etwas an, aber ich bin mir darüber nicht ganz sicher.“ Und wir alle verstehen sehr wohl die Unterscheidung zwischen diesen beiden Zuständen des Bewusstseins, auf die sich hier bezogen wird, einer wird bloß „Glaube“ genannt, der andere „Gewissheit“, und wir wissen, dass der erste fortwährend dort auftreten kann und auch auftritt, wo der zweite abwesend ist. Es ist einfach, ähnliche Beispiele unbegrenzt anzuführen. Zum Beispiel kann man ein Familienmitglied fragen: „Ist der Postbote heute Morgen schon da gewesen?“ Und man kann zur Antwort erhalten: „Ich nehme an, dass er da gewesen ist, aber ich bin nicht sicher.“ Und man würde niemals vermuten, dass die Person, die diese Antwort gegeben hat, Wörter nicht in ihrem eigentlichen Sinn verwendet

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Im Engl. belief; wenn im weiteren Verfall die Begriffe „Glaube/glauben“ verwendet werden, so geschieht dies stets in der Bedeutung „Annahme/annehmen“ [Anm. d. Übers.].

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hat oder dass sie nicht wirklich das äußern würde, was der Zustand ihres Bewusstseins ist. Sie „nimmt“ tatsächlich an – im ganz allgemeinen Sinn des Wortes –, dass der Postbote da gewesen ist; und doch trifft es ebenso zu, obwohl sie es annimmt, dass sie sich darüber nicht ganz sicher ist. Oder man kann in einen Laden gehen und fragen: „Ist das Paket, das ich heute Morgen bestellt habe, bereits versandt worden?“ Und der Verkäufer könnte entgegnen: „Ich es nehme an, aber ich bin nicht ganz sicher. Soll ich nachfragen?“ Haben Sie nicht auch Leute häufig solche Dinge sagen hören? Und sagen Sie nicht selbst ständig solche Dinge? Ich weiß nicht, wie ich Sie überzeugen kann, wie überaus geläufig die Unterscheidung zwischen „Annehmen“ und „Sichersein“ ist, wenn Ihnen diese Beispiele nicht genügen. Aber ich wäre äußerst überrascht, falls es einen einzigen von Ihnen gibt, der der Sprache nicht fortwährend auf diese Weise verwendet – der andauernd wirklich sagt, dass er etwas „annehme“, dessen er sich aber nicht ganz sicher sei. Daher denke ich, dass ich, insofern ich die Bezeichnung „Annahme“ einem Bewusstseinszustand zugeschrieben habe, der sich von absoluter Gewissheit unterscheidet, das Wort vollkommen richtig und in einer seiner allgemeinsten Bedeutungen verwendet habe. Aber dann ist gesagt worden, dass es, wenn „Annahme“ folglich als Bezeichnung für etwas verwendet wird, dem absolute Gewissheit fehlt, keinen Unterschied zwischen solcher Annahme und bloßer Vorstellung gibt. Aber auch hier ist es, denke ich, einfach zu zeigen, dass es eine Unterscheidung gibt, da es bloß eine Frage des Sprachgebrauchs ist, ob wir tatsächlich oft zwischen diesen beiden unterscheiden. Und dies kann auf folgende Weise gezeigt werden. Betrachten wir wieder das erste Beispiel, in dem einer meiner Freunde einen anderen fragt: „Ist Moore noch in London oder ist er in den Urlaub gefahren?“ In solch einem Fall wie diesem ist es ganz offensichtlich, denke ich, dass derjenige, der gefragt worden ist, sich in einem Sinn beide Alternativen vorstellt – meine Anwesenheit in London und meine Abwesenheit. Er erfasst beide, hat sie vor seinem geistigen Auge; und doch kann er trotzdem das eine „annehmen“ und das andere nicht. Anstatt wie beim ersten Mal zu sagen, „ich nehme an, dass er noch in London ist, aber ich bin nicht ganz sicher“, könnte er gleichermaßen antworten: „Ich nehme nicht an, dass er weggefahren ist, aber ich bin mir nicht ganz sicher.“ Das heißt, wir sagen gewiss und ganz zu Recht, dass wir Dinge nicht annehmen, die wir uns nichtsdestotrotz tatsächlich vorstellen oder erfassen, selbst wenn wir „Annahme“ als eine Bezeichnung für etwas verwenden, dem absolute Gewissheit fehlt. Dies zeigt ganz deutlich, dass wir im Alltagsleben sehr oft die Bezeichnung „Annahme“ als eine Bezeichnung

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für etwas Dazwischenliegendes verwenden – in einer Bedeutung zwischen der bloßen Vorstellung einerseits und der Gewissheit andererseits. Genauso wie wir oft etwas „annehmen“, wenn wir uns darüber nicht ganz sicher sind, so stellen wir uns oft etwas vor, wenn wir es in diesem Sinn weder annehmen noch uns darüber ganz sicher sind. Daher ist es vollkommen gewiss, dass es allgemein gebräuchliche Bedeutungen der Wörter „Annahme“ und „Vorstellung“ gibt, in denen man sich etwas vorstellen kann, das man nichtsdestotrotz nicht annimmt. Aber das klärt natürlich nicht, was der Unterschied ist; es klärt nicht, ob der Unterschied zwischen Annahme und Vorstellung ein Unterschied in der Art oder nur ein Unterschied im Grad ist. Und ich denke einige Personen würden geneigt sein zu sagen, dass der Unterschied nur im Grad besteht: Wenn mein Freund zum Beispiel sagt, er nehme an, ich sei noch in London, und nicht annehme, ich sei weggefahren, und er sich gewiss beide Alternativen vorstellt, so besteht der einzige wirkliche Unterschied zwischen seiner Einstellung zu der Alternative, von der er sagt, er nehme sie an, und seiner Einstellung zu jener, von der er sagt, er nehme sie nicht an, in der Tatsache, dass er sich erstere stärker oder lebhafter vorstellt. Das heißt, es kann behauptet werden, dass, wenn wir im allgemeinen Sprachgebrauch eine Unterscheidung zwischen der Annahme, der Gewissheit fehlt, und der Vorstellung vornehmen, dies nur aus dem Grund stattfindet, da wir das Wort „Annahme“ auf die Vorstellung beschränken, die ein gewisses Maß an Lebhaftigkeit erreicht. So behauptet Hume, dass die einzige Unterscheidung zwischen Annahme und Vorstellung nur in dem Maß oder Grad der Lebhaftigkeit besteht; und ich denke, sehr viele Leute sind noch geneigt, ihm zuzustimmen. Und es ist nicht ganz einfach, wirklich schlüssige Argumente gegen diese Ansicht zu finden. Das beste, das mir einfällt, lautet wie folgt. Nehmen wir wieder den Fall, in dem mein Freund annimmt, ich sei noch in London, und nicht annimmt, ich sei weggefahren. Soweit ich sehen kann, könnte er sich beide Alternativen gleichermaßen lebhaft vorstellen trotz der Tatsache, dass er eine annimmt und die andere nicht annimmt. Kann irgendjemand behaupten, wirklich sicher zu sein, dass dies nicht der Fall sein könnte? Tatsächlich könnte er sich die Alternative, die er nicht annimmt, lebhafter vorstellen als die, die er annimmt. Die Hypothese, dass ich weggefahren bin, könnte interessanter sein, daher könnte er sie sich lebhafter vorstellen trotz der Tatsache, dass er die andere annimmt. Und Ähnliches gilt, wenn wir uns zwei alternative Ereignisse vorstellen, die uns zukünftig passieren können; wir können uns sehr stark wünschen, dass eines eher geschehen soll als das andere, und uns dasjenige, das wir uns wünschen, lebhafter vorstellen, und

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doch können wir gleichzeitig annehmen, dass es nicht geschehen wird, und annehmen, dass das andere, welches wir uns nicht wünschen und uns auch nicht genauso lebhaft vorstellen, stattdessen geschehen wird. Es mag gesagt werden, dass wir, wenn wir uns etwas sehr stark wünschen, kaum etwas daran ändern können, einen gewissen Grad der Annahme, dass es geschehen wird, zu haben, und dass es daher in diesem Fall nicht zutrifft, wenn wir sagen, dass wir wirklich nicht annehmen, dass es geschehen wird. Aber auch wenn dem so ist, trifft es gewiss zu, denke ich, dass wir oft eine schwächere Annahme haben – dass wir etwas, das wir uns lebhafter vorstellen, weniger stark annehmen –, sodass der Grad der Annahme nicht mit dem Grad der Lebhaftigkeit übereinstimmt; daraus würde folgen, dass die Annahme sich von der Vorstellung nicht nur durch den Grad unterscheiden kann. Daraus folgere ich: Wenn irgendjemand dies bestreitet – wenn irgendÂ� jemand behauptet, dass in Fällen, in denen wir zwei Alternativen in unserem Verstand haben und eine davon annehmen und die andere nicht oder eine stärker als die andere annehmen, diejenige, die wir annehmen oder stärker annehmen, immer diejenige ist, die wir uns lebhafter vorstellen –, so liegt die Beweislast bei ihm. Es ist keineswegs offensichtlich, dass dies immer so ist. Es erscheint mir noch stärker, wenn wir anstatt zwei Alternativen zu vergleichen, die bei derselben Gelegenheit vor unserem geistigen Auge sind, einen Fall der Nicht-Annahme, der zu einer Zeit auftritt, mit dem Fall einer Annahme, der zu einer anderen Zeit auftritt, vergleichen. Wenn ich einen Roman lese, stelle ich mir oft die Ereignisse, die der Autor mir präsentiert, sehr viel lebhafter vor, als wenn ich mir die historische Proposition, dass Wilhelm der Eroberer 1066 nach England gekommen ist, jetzt vorstelle. Doch wenn ich einen Roman lese, so nehme ich oft die Ereignisse, die ich mir so lebhaft vorstelle, nicht an, während ich jetzt annehme, dass Wilhelm der Eroberer 1066 nach England gekommen ist. Aus diesen Gründen denke ich, ist es sehr gewiss, dass der Unterschied zwischen Annahme und bloßer Vorstellung nicht nur eine Frage des Grades ist. Natürlich kann es auch einen ähnlichen Zweifel hinsichtlich dessen geben, ob sich die Annahme nur im Maß oder auch in der Art vom Sichersein unterscheidet. Und hier müssen wir, so denke ich, eine Unterscheidung treffen. Es ist äußerst gewiss, dass wir, selbst wenn wir uns hinsichtlich einer Sache ganz sicher fühlen, uns manchmal irren; und folglich sollte ich sagen, dass bloßes Sicherfühlen sich von der bloßen Vorstellung nur im Grad unterscheidet – dass es nur eine Bezeichnung für einen hohen Grad von Glauben ist. Und falls daher „Sichersein“ oder „Gewisssein“ nur als Äquivalent zu Sicher-

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fühlen benutzt wird, was manchmal geschieht, dann würde sich in diesem Fall das Sichersein von der Annahme auch nur im Grad unterscheiden. Aber die Ausdrücke Sichersein oder Gewisssein werden manchmal als Äquivalent zu Wissen gebraucht; und hier scheint es mir, dass wir nicht nur einen Unterschied des Grades haben, sondern auch in der Art. Der offensichtliche Unterschied zwischen bloßem Vorstellen und Wissen ist, dass man nicht wirklich sagen kann, dass man weiß, ob etwas so ist, wenn es tatsächlich nicht so ist – wenn man sich diesbezüglich irrt. Solange man nur etwas annimmt, wie sicher man sich auch diesbezüglich fühlen mag, ist es immer möglich, sich zu irren, sobald man aber etwas weiß, falls man dies jemals tut, ist es niemals möglich, sich zu irren; und dies ist nicht nur ein Unterschied des Grades, sondern auch in der Art. Trotzdem scheint es mir, dass wir, selbst wenn wir wissen, dass etwas so ist, falls wir es jemals tun, immer dem Ding gegenüber einen hohen Grad genau derselben Bewusstseinshaltung haben, die die bloße Annahme bildet, sodass in den Fällen, in denen wir wissen, wir immer tatsächlich etwas annehmen – aber nicht nur; etwas anderes geschieht auch, das den Unterschied in der Art zwischen der Annahme und dem Wissen bildet. Daher könnten wir sagen, dass unser Wissen, wenn wir wissen, dass etwas so ist (falls wir es jemals tun), im Sicherfühlen besteht, dass es so ist, zusammen mit etwas anderem. Und folglich werde ich das Wort „Annahme“ als eine Bezeichnung für eine Bewusstseinshaltung verwenden, die selbst beim Wissen vorhanden ist, aber auch dort, wo wir nicht wissen, sondern uns irren könnten, bei allen Arten unterschiedlicher Gradeinteilungen, vom Sicherfühlen bis zum reinen Vorstellen. Vielleicht ist diese Haltung immer in einem gewissen Maß selbst bei der bloßen Vorstellung vorhanden; wenn es so ist, müssten wir nur sagen, dass wir etwas bis zu einem gewissen Grad annehmen, selbst wenn wir es äußerst stark nicht annehmen; da wir es uns gewiss vorstellen oder erfassen, wie stark wir es auch immer nicht annehmen. Daher bin ich geneigt zu denken, dass sie bei der bloßen Vorstellung nicht immer vorhanden ist. Aber es scheint mir, dass sie in einigen Fällen vorhanden ist, in denen ihr Grad so gering ist, dass wir kaum sagen könnten, ob wir etwas annehmen. Wenn ein Mensch sagt, „ich bin geneigt, etwas anzunehmen“, und daher impliziert, dass er tatsächlich etwas nicht annimmt, so denke ich, dass er gegenüber dem, von dem er sagt, er sei geneigt, es anzunehmen, wirklich genau dieselbe Bewusstseinshaltung in einem sehr geringen Maß hat, die er, wäre sie stärker, mit der Aussage ausdrücken würde, dass er etwas „annimmt“. Daher werde ich mich vom üblichen Sprachgebrauch insofern abwenden, um solche Fälle als Fälle eines sehr geringen Maßes von

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Annahme zu bezeichnen, und insofern auch, um zu sagen, dass wir tatsächlich etwas annehmen, selbst wenn wir etwas wissen, obwohl wir dann nicht nur etwas annehmen, sondern auch etwas anderes. Aber dieses sind bei meiner Verwendung der Ausdrücke die einzigen Abweichungen vom üblichen Sprachgebrauch. So viel nun zu dem, was ich mit „Annahme“ meine. Und jetzt möchte ich zu der Frage bezüglich des Unterschieds zwischen wahren und falschen Annahmen zurückkehren; es wird so verstanden, dass die falsche Annahme etwas ist, das nicht nur in Fällen von bloßer Annahme, im Unterschied zum Wissen, vorkommen kann. Und hinsichtlich des Unterschieds zwischen wahren und falschen Annahmen kann ich nun deutlicher die Hauptpunkte ausführen, die ich das letzte Mal darlegen wollte. Angenommen, dass mein Freund annimmt, dass ich in den Urlaub gefahren bin (um bei dem Beispiel zu bleiben, welches ich soeben benutzt habe). Es gibt, denke ich, keinen Zweifel, dass es zumindest eine allgemeine Bedeutung der Wörter „wahr“ und „falsch“ gibt, und zwar jene, die in den folgenden Aussagen verwendet wird. Wir sollten zu Beginn sagen, wenn seine Annahme wahr ist, dass ich dann in den Urlaub gefahren sein muss; seine Annahme, dass ich weggefahren bin, kann nicht wahr sein, wenn ich nicht tatsächlich weggefahren bin. Und umgekehrt sollten wir sagen, wenn ich weggefahren bin, dass seine Annahme dann gewiss wahr ist; wenn ich weggefahren bin und er annimmt, dass ich es bin, dann kann seine Annahme nicht anderes sein als wahr. Anders gesagt, die Tatsache, dass ich tatsächlich in den Urlaub gefahren bin, ist zugleich eine notwenige und hinreichende Bedingung für die Wahrheit dieser Annahme: Die Annahme kann nicht wahr sein, wenn nicht diese Bedingung erfüllt ist, und sie muss wahr sein, wenn diese Bedingung erfüllt ist. Sicherlich ist es ganz offensichtlich, dass zumindest eine Bedeutung, in der wir das Wort „Wahrheit“ üblicherweise verwenden, solcher Art ist, dass diese Aussagen richtig sind. Und ebenso können wir die folgenden Aussagen hinsichtlich der Bedingung machen, die notwendig und hinreichend sind, wenn diese Annahme falsch sein soll. Wir können sagen: Wenn diese Annahme falsch ist, dann kann ich nicht in den Urlaub gefahren sein; die Annahme, dass ich weggefahren bin, kann unmöglich falsch sein, wenn ich weggefahren bin. Und umgekehrt gilt, wenn ich nicht weggefahren bin, dann muss die Annahme, dass ich weggefahren bin, falsch sein; wenn ich nicht weggefahren bin und er annimmt, dass ich es bin, ist seine Annahme gewiss falsch. Anders gesagt, die Tatsache, dass ich tatsächlich nicht weg-

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gefahren bin, ist zugleich eine notwendige und hinreichende Bedingung für die Falschheit dieser Annahme. Diese Annahme kann nicht falsch sein, wenn diese Bedingung nicht erfüllt ist, und sie muss falsch sein, wenn diese Bedingung erfüllt ist. Es ist sicherlich ganz offensichtlich, dass zumindest eine Bedeutung, in der wir das Wort „falsch“ verwenden, solcher Art ist, dass diese Aussagen richtig sind. Ich weiß nicht, ob jemand dieses bestreiten würde, und ich weiß auch nicht, wie es bestritten werden könnte. Somit haben wir eine Bedingung gefunden, die zugleich notwendig und hinreichend für die Wahrheit dieser Annahme in zumindest einer Bedeutung des Wortes „Wahrheit“ ist, und ebenso eine Bedingung, die zugleich notwendig und hinreichend für die Falschheit in zumindest einer Bedeutung des Wortes „falsch“ ist. Wenn wir daher eine korrekte Definition dieser Bedeutungen der Wörter „wahr“ und „falsch“ finden sollen, muss es eine Definition sein, die nicht mit der Aussage in Widerspruch steht, dass diese Bedingungen notwendige und hinreichende Bedingungen sind. Aber die Aussage, dass diese Bedingungen notwendig und hinreichend sind, stellt selbst keine Definition dar. Und ich denke, dass ein Teil der Problematik bezüglich der Definition von Wahrheit und Unwahrheit von der Tatsache herrührt, dass Leute anzunehmen geneigt sind, dass sie es tut. Wir können leicht versucht sein Folgendes festzustellen: „Zu sagen, dass die Annahme, dass ich weggefahren bin, wahr ist, bedeutet dasselbe wie die Aussage, dass ich weggefahren bin; dies ist die eigentliche Definition dessen, was wir mit der Behauptung meinen, dass die Annahme wahr ist.“ Wir sollten tatsächlich im üblichen Sprachgebrauch sagen, dass die beiden Aussagen auf dasselbe hinauslaufen, dass die eine auf dieselbe Sache hinausläuft wie die andere. Und was wir damit meinen, ist natürlich wahr. Die beiden Aussagen laufen in dem Sinn, den wir meinen, wirklich auf dasselbe hinaus; d.€h. zu sagen, dass sie streng äquivalent sind, vorausgesetzt, die Annahme meines Freundes existiert überhaupt; keine kann wahr sein, wenn die andere nicht ebenso wahr ist; keine kann eine Tatsache sein, wenn die andere nicht ebenso eine Tatsache ist. Aber dennoch ist es ganz offensichtlich, denke ich, dass die beiden fraglichen Tatsachen streng genommen nicht dieselbe Tatsache ausdrücken, und dass die eine zu behaupten, streng genommen, nicht dasselbe ist wie die andere zu behaupten. Wenn wir feststellen, „die Annahme, dass ich weggefahren bin, ist wahr“, wollen wir feststellen, dass diese Annahme eine Eigenschaft hat, die sie mit anderen wahren Annahmen teilt: Ihr Besitz dieser Eigenschaft ist die festgestellte Tatsache. Aber wenn wir nur feststellen, „ich bin weggefahren“, fügen wir dieser Annahme überhaupt keine Eigen-

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schaft bei – geschweige denn eine Eigenschaft, die sie mit anderen wahren Annahmen teilt. Wir stellen bloß eine Tatsache fest, die sehr wohl eine Tatsache sein könnte, selbst wenn niemand sie annehmen würde. Ich könnte einfach weggefahren sein, ohne dass mein Freund annähme, dass ich es bin; und wenn dem so ist, würde seine Annahme nicht wahr sein, einfach weil sie nicht existieren würde. Mit der Feststellung, dass seine Annahme wahr ist, stelle ich nun eine andere Tatsache als diejenige fest, die ich behaupte, wenn ich nur sage, dass ich weggefahren bin. Daher bedeutet zu sagen, dass seine Annahme nicht wahr ist, streng genommen dasselbe wie zu sagen, dass ich weggefahren bin. Welche Eigenschaft gibt es nun, die diese Annahme, falls sie wahr ist, wirklich mit anderen wahren Annahmen teilt? Mir scheint, wir können ganz offensichtlich sehen, dass diese Annahme, falls sie wahr ist, zu der Tatsache, dass ich weggefahren bin, eine gewisse Beziehung hat, die diese spezielle Annahme zu keiner anderen Tatsache hat. Wie ich das letzte Mal zugegeben und dargelegt habe, ist diese Beziehung schwierig zu definieren im Sinne einer beabsichtigten Analyse: Ich habe nicht behauptet, dass ich sie analysieren kann. Aber wir erkennen diese Beziehung; wir alle sind mit ihr sehr vertraut; daher können wir sie in dem Sinn definieren, indem wir hervorheben, was für eine Beziehung es ist, indem wir einfach hervorheben, dass es die Beziehung ist, die zwischen dieser Annahme, falls sie wahr ist, und dieser Tatsache besteht und nicht zwischen dieser Annahme und einer anderen Tatsache. Sicherlich sind Sie sich einer Beziehung bewusst, die zwischen der Annahme, dass ich weggefahren bin, falls sie wahr ist, und der Tatsache, dass ich weggefahren bin, bestehen würde – eine Beziehung, die zwischen jener Annahme, falls sie wahr ist, und jener Tatsache bestehen würde und nicht zwischen jener Annahme und einer anderen Tatsache – eine Beziehung, die, wie ich das letzte Mal hervorgehoben habe, durch die teilweise Übereinstimmung des Namens zwischen der Annahme und der entsprechenden Tatsache ausgedrückt wird. Die Beziehung, die ich meine, ist die Beziehung, die die Annahme „dass ich weggefahren bin“, falls sie wahr ist, zu der Tatsache „dass ich weggefahren bin“ und zu keiner anderen Tatsache hat und die durch den Umstand ausgedrückt wird, dass der Name der Annahme „die Annahme, dass ich weggefahren bin“ lautet, während der Name der Tatsache „dass ich weggefahren bin“ lautet. Wir können verschiedene Ansichten über das haben, was das genaue Wesen dieser Beziehung ist – wie sie analysiert werden soll und wie sie anderen Beziehungen gleicht oder sich von ihnen unterscheidet –, aber nur bei dem Versuch, diese Fragen zu beantworten, setzten

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wir voraus, denke ich, dass wir bereits mit ihr vertraut sind – dass wir sie vor unserem geistigen Auge haben –, denn man kann nicht versuchen, das Wesen von etwas festzustellen oder es mit anderen Dingen zu vergleichen, wenn man es nicht vor seinem geistigen Auge hat. Es scheint mir, dass die Schwierigkeit, Wahrheit und Unwahrheit zu definieren, hauptsächlich auf der Tatsache beruht, dass diese Beziehung, obwohl wir alle vertraut mit ihr sind, keinen unzweideutigen Namen hat; sie hat keinen Namen, der nur ihr allein zugeschrieben wird und der nicht auch für andere Beziehungen verwendet werden kann, die sich vielleicht sehr von ihr unterscheiden. In dem Moment, in dem wir ihr einen Namen geben, wird es ganz einfach, Wahrheit und Unwahrheit zu definieren. Geben wir ihr einen Namen und sehen, wie sich die Definition entwickelt. Ich schlage vor, sie als Beziehung der „Korrespondenz“ zu bezeichnen. Wenn wir ihr diesen Namen geben, müssen wir uns nur erinnern, dass wir mit „Korrespondenz“ bloß diese spezielle Beziehung meinen, die zwischen dieser speziellen Annahme, falls sie wahr ist, und der Tatsache, dass ich weggefahren bin, besteht, und die nicht zwischen genau dieser Annahme und einer anderen Tatsache besteht. Die Bezeichnung „Korrespondenz“ wird vielleicht bei anderen Gelegenheiten für andere Beziehungen, die sich von dieser völlig unterscheiden, verwendet; und ich möchte nicht für einen Moment behaupten, dass diese Beziehung, für die ich sie jetzt gebrauche, diesen andern Beziehungen in irgendeiner Hinsicht ähnelt oder sich von ihnen unterscheidet. Es muss eindeutig verstanden werden, dass ich die Bezeichnung „Korrespondenz“ nur als eine Bezeichnung für diese spezielle Beziehung zu gebrauchen gedenke. Wenn wir nun die Bezeichnung „Korrespondenz“ nur als eine Bezeichnung für diese Beziehung gebrauchen, können wir sofort feststellen: „Zu sagen, dass diese Annahme wahr ist, bedeutet zu sagen, dass es im Universum eine Tatsache gibt, mit der sie korrespondiert; und zu sagen, dass sie falsch ist, bedeutet zu sagen, dass es im Universum keine Tatsache gibt, mit der sie korrespondiert.“ Und diese Aussage erfüllt die Bedingungen einer Definition – einer Definition dessen, was wir tatsächlich meinen, wenn wir sagen, dass die Annahme wahr oder falsch ist. Denn die Eigenschaften, die wir jetzt mit „Wahrheit“ bzw. „Unwahrheit“ gleichgesetzt haben, sind Eigenschaften, die diese Annahme mit anderen wahren oder falschen Annahmen teilen kann. Wir haben gesagt, dass die Aussage, sie sei wahr, nur zu sagen bedeutet, dass sie mit einer Tatsache korrespondiert; und offensichtlich ist dies eine Eigenschaft, die ihr und anderen Annahmen gemein sein kann. Die Annahme des Verkäufers beispielsweise, dass das Paket, das wir heute Morgen bestellt haben, bereits verschickt wor-

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den ist, kann die Eigenschaft der Korrespondenz zu einer Tatsache haben, genauso wie die Annahme, dass ich weggefahren bin, sie haben kann. Und dasselbe gilt für die Eigenschaft, die wir jetzt mit der Unwahrheit einer Annahme gleichgesetzt haben. Die Eigenschaft, die wir mit seiner Unwahrheit gleichgesetzt haben, ist nur jene der Nichtkorrespondenz zu einer Tatsache; und offensichtlich ist dies eine Eigenschaft, die genauso gut zu einer beliebigen Zahl von anderen Annahmen gehören kann wie zu dieser. Weiterhin geht aus diesen Definitionen hervor, dass die Bedingungen, die wir für die Wahrheit oder Unwahrheit dieser Annahme als notwendig und hinreichend gesehen haben, für sie notwendig und hinreichend sind: Es gibt nicht nur einen Konflikt zwischen diesen Definitionen und der Aussage, dass diese Bedingungen notwendig und hinreichend sind, sondern aus den Definitionen geht tatsächlich hervor, dass sie so sind. Denn wie wir gesehen haben, ist die Beziehung, die wir „Korrespondenz“ nennen, eine Beziehung, die zwischen der Annahme „dass ich weggefahren bin“, falls sie wahr ist, und der Tatsache, dass ich weggefahren bin, besteht, und nicht zwischen dieser Annahme und irgendeiner anderen Tatsache. Und so folgt, wenn die Annahme überhaupt mit einer Tatsache korrespondiert, dass es dann eine Tatsache sein muss, dass ich weggefahren sein muss; die Annahme kann nicht mit einer Tatsache korrespondieren, wenn ich nicht weggefahren bin. Und umgekehrt folgt auch, dass die Annahme, wenn ich weggefahren bin, dann mit einer Tatsache korrespondiert: Wenn ich weggefahren bin, dann muss die Annahme mit einer Tatsache korrespondieren; es kann nicht der Fall sein, dass ich weggefahren bin und dass die Annahme doch mit keiner Tatsache korrespondiert. Daher geht aus dieser Definition von Wahrheit tatsächlich hervor, dass die Bedingung, die wir für die Wahrheit dieser Annahme als notwendig und hinreichend erachten, notwendig und hinreichend für sie ist. Und genauso geht aus unserer Definition der Unwahrheit hervor, dass die Bedingung, die wir für ihre Unwahrheit als notwendig und hinreichend gesehen haben, notwendig und hinreichend für sie ist. Der einzige Punkt, bei dem ich die Möglichkeit eines Zweifels sehen kann, ob diese Definitionen alle Bedingungen einer Definition von „wahr“ und „falsch“ erfüllen, wenn wir sie bei dieser speziellen Annahme anwenden, ist, dass angezweifelt werden kann, ob, wenn wir sagen, dass eine Annahme „wahr“ oder „falsch“ ist, diese Eigenschaften des „Korrespondierens mit einer Tatsache“ und des „Nichtkorrespondierens mit einer Tatsache“ die Eigenschaften sind, die wir tatsächlich vor unserem geistigen Auge haben und durch diese Wörter ausÂ� drücken. Dies ist eine Frage, die nur durch tatsächliche Überprüfung geklärt

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werden kann; und ich gebe zu, dass es schwierig ist, ganz sicher zu sein, welches Ergebnis diese Überprüfung hat. Aber ich sehe keinen Grund, sie negativ zu beantworten. Ich sehe keinen Grund, wenn wir sagen, „die Annahme, dass ich weggefahren bin, ist wahr“, warum der Gedanke, den wir tatsächlich vor unserem geistigen Auge haben und durch diese Wörter ausdrücken, nicht der Gedanke sein sollte, dass „die entsprechende Annahme mit einer Tatsache korrespondiert“. Ebenso sehe ich keinen Grund, wenn wir sagen, „die Annahme, dass ich weggefahren bin, ist falsch“, warum der Gedanke, den wir tatsächlich vor unserem geistigen Auge haben und durch diese Wörter ausdrücken, nicht der Gedanke sein sollte, dass die entsprechende Annahme nicht mit einer Tatsache korrespondiert. Doch ob dies so ist oder nicht – ob zu sagen, dass diese Annahme wahr ist –, streng genommen dasselbe ist oder nicht, wie zu sagen, dass sie mit einer Tatsache korrespondiert, so ist doch ganz gewiss, dass diese beiden Ausdrucksweisen äquivalent sind. Wenn die Annahme wahr ist, so korrespondiert sie gewiss mit einer Tatsache, und wenn sie mit einer Tatsache korrespondiert, so ist sie gewiss wahr. Und wenn sie falsch ist, korrespondiert sie gewiss nicht mit einer Tatsache; und wenn sie nicht mit einer Tatsache korrespondiert, ist sie gewiss falsch. Ich möchte daher vorschlagen, dass diese Definitionen wirklich richtige Definitionen von zumindest einer allgemeinen Bedeutung der Wörter „wahr“ und „falsch“ sind, und zwar von der Bedeutung, in der wir die Wörter verwenden, wenn wir sie bei solchen Annahmen verwenden wie jene, die ich als Beispiel genommen habe. Und das Einzige, das bei diesen Definitionen neu ist, besteht darin, dass sie dem Wort „Korrespondenz“ eine äußerst strikte und eindeutige Bedeutung zuweisen; sie definieren das Wort, indem sie die Beziehung hervorheben, für die es steht, nämlich die Beziehung, die gewiss zwischen der Annahme, dass „ich weggefahren bin“, falls diese Annahme wahr ist, und der Tatsache besteht, dass ich weggefahren bin, und die nicht zwischen dieser eindeutigen Annahme und irgendeiner anderen Tatsache besteht. Es scheint deutlich zu sein, dass es eine solche Beziehung gibt; und alles, was bei meinen Definitionen neu ist, besteht darin, dass sie sich nur auf diese Beziehung konzentrieren und sie als wesentlichen Punkt in den Definitionen von Wahrheit und Unwahrheit darstellen. Die Verwendung des Wortes „Korrespondenz“ als Bezeichnung für diese Beziehung kann vielleicht irreführend sein und ebenso der Ausdruck, den ich das letzte Mal verwendet habe – der Ausdruck „sich beziehen auf“. Beide Ausdrücke können jemanden veranlassen zu denken, dass die entsprechende Beziehung anderen Beziehungen ähnlich oder mit ihnen identisch ist, die bei anderen Gelegen-

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heiten mit demselben Namen bezeichnet werden. Und ich bin sehr bemüht, nicht zu suggerieren, dass diese Beziehung mit irgendeiner anderen Beziehung identisch oder ihr ähnlich ist oder dass sie es nicht ist: Ich möchte zu diesem Punkt überhaupt keine Stellung beziehen. Daher möchte ich nicht auf dem Ausdruck „Korrespondenz“ bestehen. Der wesentliche Punkt ist sich auf die Beziehung selbst zu konzentrieren, sie im Bewusstsein zu haben in dem Sinn, in dem Sie, wenn ich die Farbe „Zinnoberrot“ benenne, die Farbe, die ich meine, in Ihrem Bewusstsein haben. Wenn Sie mit dieser Beziehung nicht in derselben Art vertraut sind, wie Sie mit der Farbe Zinnoberrot vertraut sind, wird keine Wortmenge genügen, um zu erklären, was sie ist, genauso wenig wie sie einem blind geborenen Menschen erklären könnten, wie Zinnoberrot ist. Aber wenn ich Recht habe, dann sind wir alle mit dieser Beziehung vertraut; und wenn dem so ist, dann ist es wichtig, dass es diese Beziehung selbst ist – und nicht irgendwelche Wörter, die wir verwenden können, um sie zu benennen oder hervorzuheben –, die für die Definition von Wahrheit und Unwahrheit wesentlich ist. Aber bis jetzt habe ich nur angegeben, dass die dargelegten Definitionen richtige Definitionen sind oder zumindest für eine der Bedeutungen äquivalent sind, in denen wir im Allgemeinen die Wörter „wahr“ und „falsch“ verwenden, wenn wir sie auf Annahmen anwenden. Und ich werde die Behauptung fallen lassen, dass sie tatsächlich Definitionen sind – dass sie sogar das sind, was wir tatsächlich meinen, wenn wir von einer Annahme sagen, dass sie wahr oder falsch ist. Ich behaupte nicht, sicher zu sein, dass sie Definitionen in diesem Sinne sind, obwohl ich denke, dass sie es sind; das Wichtige scheint mir nur zu sein, dass sie äquivalent sind. Alles, was ich bis hierher behaupte, ist, dass dies einfach eine notwendige und hinreichende Bedingung für das Sein einer Annahme ist, wenn wir sagen, dass eine Annahme wahr ist – dass sie mit einer Tatsache korrespondieren sollte in genau dem Sinn, den ich versucht habe darzulegen. Wenn sie mit einer Tatsache korrespondiert, dann ist sie in dem dargelegten Sinn wahr, und wenn sie nicht mit einer Tatsache korrespondiert, dann ist sie in dem dargelegten Sinn nicht wahr. Aber es kann natürlich gesagt werden, dass es nicht immer so ist, obwohl es sehr oft der Fall ist, und dies aus zwei verschiedenen Gründen. Zunächst kann gesagt werden, dass es im Fall wirklich jeder Annahme eine Bedeutung des Wortes „wahr“ gibt, in der sie wahr sein kann, obwohl sie mit keiner Tatsache korrespondiert; und es gibt ebenso eine andere Bedeutung des Wortes „wahr“, in der eine Annahme in dem entsprechenden Sinn nicht „wahr“ sein kann, obwohl sie mit einer Tatsache korrespondiert. Dies

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könnte gesagt werden; und ich bin bereit zuzugeben, dass dies der Fall sein kann. Tatsächlich denke ich, wie ich sogleich erklären werde, dass dies der Fall ist: Ich denke, dass einige Annahmen in einem Sinn wahr sein können, ohne mit einer Tatsache zu korrespondieren, obwohl ich geneigt bin zu denken, dass dies nur der Fall bei einigen Annahmen ist und nicht bei allen. Und obwohl ich keinen Grund sehe, zu denken, dass es überhaupt einen Sinn gibt, in dem eine Annahme, die mit einer Tatsache korrespondiert, nicht wahr sein kann, bin ich bereit zuzugeben, dass dies ebenso der Fall sein könnte. Dies ist nun eine Ansicht, die vertreten werden kann und über die ich nicht streiten möchte. Eine andere Ansicht, die vertreten werden kann, ist, dass es im Fall einiger Annahmen vollkommen unmöglich ist, dass sie mit einer Tatsache in dem dargelegten Sinn korrespondieren sollten, und dass sie doch wahr sein können. Und ich bin ebenso bereit zuzugeben, dass dies der Fall sein könnte, obwohl ich kein Beispiel kenne, in dem es vollkommen unmöglich scheint, dass eine wahre Annahme mit einer Tatsache korrespondieren sollte. Ich habe diese beiden Ansichten nur erwähnt, da ich ganz deutlich machen möchte, dass ich nicht besonders gewillt bin, über sie zu streiten. Alles, was ich bemüht bin zu behaupten, ist, dass eine Annahme sehr oft, wenn wir sagen, dass sie wahr ist, eine Eigenschaft hat, die wir ihr zuschreiben wollen und durch das Wort „wahr“ genau dann ausdrücken, wenn sie mit einer Tatsache korrespondiert. Das ist der gesamte Sinn meiner Theorie der Wahrheit. Und die Hauptempfehlung für diese Theorie scheint mir in der Tatsache zu liegen, dass sie viele Millionen offensichtlichster Tatsachen berücksichtigt und nicht im Widerspruch zu ihnen steht. Eine dieser offensichtlichen Tatsachen ist, dass die Annahme meines Freundes, dass ich weggefahren bin, gewiss in einem allgemeinen Sinn des Wortes genau dann wahr sein wird, wenn ich tatsächlich weggefahren bin. Eine andere offensichtliche Tatsache besteht darin, dass die Annahme des Verkäufers, dass das Paket, welches ich heute Morgen bestellt habe, bereits versandt worden ist, in einem allgemeinen Sinn des Wortes genau dann wahr sein wird, wenn das Paket tatsächlich versandt worden ist. Man kann an viele Millionen anderer Beispiele denken, die genauso offensichtlich sind wie diese. Bei Millionen von Beispielen scheint es nun offensichtlich, dass eine Annahme in einem allgemeinen Sinn des Wortes genau dann wahr ist, wenn es im Universum einen Tatsache gibt, die denselben Namen hat wie der, den wir verwenden, um die Annahme zu beschreiben – eine Tatsache, die in jener speziellen Beziehung zu der Annahme steht, in der die beiden erwähnten Tatsachen zu den entsprechenden Annahmen offensichtlich stehen würden, wären diese

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wahr – kurz gesagt, eine Beziehung, die ich „Korrespondenz“ genannt habe. Es scheint mir, dass der große Mangel einiger dieser Theorien der Wahrheit und Unwahrheit darin besteht, dass sie Millionen dieser offensichtlichen Tatsachen zu widersprechen scheinen; ich werde zwei Theorien erwähnen, die viele Leute geneigt sind zu vertreten, um genau hervorzuheben, wie und warum sie ihnen zu widersprechen scheinen. Die erste Theorie, die ich erwähnen möchte, ist eine Theorie – oder vielleicht eher eine ganze Reihe von verschiedenen Theorien –, die von einigen Philosophen befürwortet wird, die sich selbst „Pragmatisten“ nennen. Die Art von Ding, die Pragmatisten meinen, wenn sie über Wahrheit sprechen, besteht darin, dass das Wesentliche wahrer Annahmen, im Gegensatz zu falschen, ist, dass wahre Annahmen „funktionieren“. Ich sage, es ist die Art von Ding, das sie meinen, weil sie nicht immer genau dieses sagen, sondern manchmal Dinge, die sich davon unterscheiden und sogar damit unvereinbar sind. Dies ist ein Grund, warum ich denke, dass man kaum von einer Theorie der Wahrheit sprechen kann, die von den Pragmatisten vertreten wird, sondern eher von einer Reihe von unterschiedlichen Theorien. Ein anderer Grund besteht darin, dass sie es sehr vage lassen, was sie mit der Aussage meinen, dass eine Annahme „funktioniert“, und wenn sie es zu erklären versuchen, geben sie oftmals ganz unterschiedliche Erklärungen bei unterschiedlichen Gelegenheiten: Manchmal scheinen sie zu sagen, dass „funktionieren“ dasselbe ist wie „nützlich“ sein, manchmal, dass „funktionieren“ bedeutet, zu einer Art von Befriedigung zu führen, manchmal dass es bedeutet, auf lange Sicht zu einer Art von Befriedigung zu führen usw. Doch ich denke, wir können grob sagen, dass sie immer mit der Aussage, dass eine Annahme „funktioniert“, meinen, dass sie zu einer Art von befriedigendem Effekt führt, obwohl sie natürlich die Art des befriedigenden Effekts, der notwendig ist, bei unterschiedlichen Gelegenheiten unterschiedlich definieren könnten. Nun scheint es mir, dass Pragmatisten oft so sprechen, als ob Annahmen nur wahr wären, wenn sie zu der richtigen Art von befriedigendem Effekt (was er auch immer sein mag) führen, und als ob keine andere Bedingungen notwendig wären, damit eine Annahme wahr ist. Einige von ihnen würden vielleicht nicht sagen, dass sie das meinen: Sie könnten sagen, dass sie das nur bei bestimmten Arten von Annahmen anwenden wollten oder dass sie es nur bei einer Bedeutung des Wortes „Wahrheit“ anwenden wollten. Und es scheint mir Einwände gegen ihre Ansichten zu geben, selbst wenn dies alles wäre, was sie meinen. Aber ich möchte mich nicht mit dieser speziellen Form des Pragmatismus beschäftigen, falls sie von jemandem ver-

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treten wird. Es scheint mir, dass sie gewiss oft so sprechen, als ob ihre Theorie immer und in jeder Bedeutung des Worts „wahr“ sein würde, egal um welche Art von Annahme es sich handelt, wenn ihre Theorie auf Wahrheit im Allgemeinen angewandt wird und daher vorausgesetzt wäre, dass eine Annahme zur richtigen Art des befriedigenden Effekts führte. Aber Sie erkennen, was dies impliziert. Es impliziert, dass die Annahme meines Freundes, dass ich in den Urlaub gefahren bin, in jeder Bedeutung des Worts wahr sein könnte, sogar wenn ich nicht weggefahren wäre; sie würde somit wahr sein, vorausgesetzt, sie führt nur zu bestimmten Arten von befriedigenden Ergebnissen. Dasselbe gilt natürlich auch für Millionen anderer Beispiele. Kurz gesagt, es impliziert, dass es für eine Annahme völlig unnötig ist, mit einer Tatsache in dem definierten Sinn zu korrespondieren, damit die Annahme „wahr“ sein könnte, und dass jede Annahme in jeder Bedeutung des Worts wahr sein könnte, ohne dies zu tun. Und dass sie dies oftmals implizieren, erscheint mir als der grundlegendste Einwand gegen das, was Pragmatisten über Wahrheit sagen. Ob nun einer von ihnen sagen würde, dass sie dies tatsächlich meinen, weiß ich nicht: Ich bin geneigt zu denken, dass es einige tun würden. Aber ob sie es nun sagen würden oder nicht, so ist es gewiss eine Ansicht, die sie oftmals im Sinn haben und tatsächlich glauben, ob sie nun wissen oder nicht, dass sie dies tun. Das heißt, ihre Auffassung beinhaltet wirklich oft, dass eine Annahme wie die meines Freundes, dass ich in den Urlaub gefahren bin, in jeder wichtigen Bedeutung des Worts „wahr“ sein könnte, selbst wenn ich nicht weggefahren wäre. Aber vielleicht sollte fairerweise gesagt werden, dass sie manchmal etwas ganz anderes als dieses zu meinen scheinen – etwas, das sie nicht sehr deutlich davon zu unterscheiden scheinen, obwohl es völlig verschieden ist. Und ich möchte diese andere Ansicht erwähnen, da sie einen Punkt aufzeigt, der sehr leicht zu Verwechslungen führt. Ich habe bereits erklärt, dass alles, was ich bemüht bin zu behaupten, darin besteht, dass bei Millionen von Beispielen und in einem der allgemeinsten und wichtigsten Bedeutungen des Wortes „Wahrheit“ eine Annahme immer genau dann wahr ist, wenn sie mit einer Tatsache korrespondiert. Das heißt, ich behaupte nur, dass diese Eigenschaft der Korrespondenz mit einer Tatsache ein Kriterium oder ein Prüfstein der Wahrheit ist, nicht dass es die Bedeutung des Wortes „Wahrheit“ ist – ihre tatsächliche Definition –, obwohl ich geneigt bin, dies auch anzunehmen. Mit einem Kriterium oder Prüfstein der Wahrheit meinen wir nun eine Eigenschaft, die immer dort vorhanden ist, wo Wahrheit vorhanden ist, und die niemals vorhanden ist, wo keine Wahrheit vorhanden ist; sodass

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es uns möglich sein sollte, wenn wir bei einem speziellen Fall entdecken könnten, ob die entsprechende Eigenschaft zu einer Annahme gehört oder nicht, daraus zu beurteilen, ob die Annahme wahr ist oder nicht. Diese Frage hinsichtlich dessen, was die Kriterien oder Prüfsteine der Wahrheit sind, ist natürlich eine Frage, die von Philosophen sehr häufig diskutiert worden ist, und ebenso viele verschiedene Kriterien sind vorgeschlagen worden. Der Punkt, den ich betonen möchte, besteht darin, dass es natürlich im Abstrakten möglich ist, dass es recht viele verschiedene Kriterien gibt, die alle genauso gut sind; kurz gesagt, dass es so viele verschiedene Eigenschaften gibt und jede von ihnen gehört zu jeder wahren Annahme und nur zu wahren Annahmen. Nun, etwas, das Pragmatisten manchmal zu meinen scheinen, ist nur, dass die Eigenschaft, über die sie sprechen – die Eigenschaft, die zu einer Art von befriedigendem Effekt führt –, ein Kriterium der Wahrheit ist. Soweit dies alles wäre, was sie meinen, würde ihre Theorie offen gegenüber dem Einwand sein, den ich soeben vorgebracht habe. Nur dies zu sagen, würde nicht implizieren, dass eine Annahme wahr sein könnte, selbst wenn sie mit keiner Tatsache korrespondieren würde. Es würde nur implizieren, dass jede Annahme, die zu der richtigen Art von befriedigendem Ergebnis führte, auch mit einer Tatsache korrespondieren würde. Und dies ist eine Schlussfolgerung, denke ich, die sie tatsächlich oft aus ihrer Theorie gezogen haben. Sie möchten uns überzeugen, dass eine Annahme, wo immer sie zu bestimmten Arten von befriedigendem Ergebnis führt, dann tatsächlich mit einer Tatsache korrespondiert. Und natürlich sind gegenüber dieser Theorie – der Theorie, dass das Eintreten bestimmter Arten von befriedigenden Ergebnissen ein Prüfstein der Wahrheit ist – die Einwände ganz unterschiedlich: Ich werde sie bald in Zusammenhang mit einem anderen Thema betrachten müssen. Was ich nun betonen möchte, ist, wie sehr sich diese Theorie von der anderen unterscheidet, die ich ihnen auch zugeschrieben habe. Diese besagt nur: Die Eigenschaft des Eintretens befriedigender Ergebnisse ist immer gepaart mit der Eigenschaft der Korrespondenz zu einer Tatsache; wo immer die eine Eigenschaft vertreten ist, ist auch die andere vorhanden. Während die erste Theorie besagte: Wo immer diese Eigenschaft des Eintretens befriedigender Ergebnisse zu einer Annahme gehört, ist diese Annahme wahr, selbst wenn sie nicht mit einer Tatsache korrespondiert. So viel zu der pragmatistischen Wahrheitstheorie. Die zweite Theorie der Wahrheit, die ich erwähnen möchte, da sie mir in Widerspruch zu Millionen von offensichtlichen Tatsachen zu stehen scheint, ist eine Theorie, die u.€a. von Bradley vertreten wird. Die Theorie, die ich meine, ist bloß eine

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Theorie über Wahrheit und Unwahrheit. Sie behauptet nicht, eine Definition von ihnen aufzustellen noch ein Kriterium. Sie legt nur eine universale Proposition über wahre und falsche Annahmen dar; und diese Proposition lautet wie folgt: „Ausnahmslos jede Annahme ist zugleich teilweise wahr und auch teilweise falsch; keine Annahme ist gänzlich wahr und keine ist gänzlich falsch, sondern alle sind teilweise beides.“ Diese Aussage ist nun aus dem einen oder anderen Grund furchtbar schwierig zu diskutieren. Es scheint äußerst schwierig zu sein, die Einwände dagegen vollkommen klar und schlüssig darzulegen; und ich bin sicher, es muss einen besseren Weg geben, dies zu tun, als alle, die ich gefunden habe. Die Schwierigkeit ist zunächst, denke ich, dass es nicht völlig eindeutig offensichtlichen Tatsachen zu widersprechen scheint, und es ist auch sehr schwierig, ein Argument zu finden, das ganz deutlich zeigt, dass es doch so ist. Man könnte ein spezielles Beispiel einer Annahme nehmen, wie ich es getan habe: Angenommen, dass ich in den Urlaub gefahren bin und mein Freund annimmt, dass ich weggefahren bin. Es ist vollkommen offensichtlich, wie wir gesehen haben, dass diese Annahme in solch einem Fall in einer allgemeinen Bedeutung der Wörter wahr wäre: Und ich werde dies als die übliche Bedeutung bezeichnen. Wenn wir nun eine Annahme, die wahr ist, in der üblichen Bedeutung nehmen, könnten wir fragen: Ist diese Annahme wirklich nur teilweise wahr? Ist sie wirklich teilweise falsch? Und man könnte geneigt sein zu sagen, dass ganz offensichtlich diese Annahme nicht teilweise falsch ist, sondern gänzlich wahr ist. Und ich muss zugeben, dass mir dies ziemlich eindeutig erscheint. Wenn ich in den Urlaub gefahren bin und das, was mein Freund annimmt, genau dieses ist, dass ich in den Urlaub gefahren bin – das und nichts anderes –, dann erscheint es mir ziemlich offensichtlich, dass seine Annahme gänzlich wahr ist. Und es scheint ebenso offensichtlich, dass solch ein Fall auftreten könnte. Die Tatsache könnte sein, dass ich in den Urlaub gefahren bin; sicherlich ist dies etwas, das im Universum sein könnte; und es könnte auch eine Tatsache sein, dass mein Freund dies annimmt. Man könnte daher sagen: „Hier haben wir einen Fall einer Annahme von der Art, die gewiss fortwährend auftritt und die nicht teilweise falsch ist. Und dies allein genügt, um die Aussage, dass alle Annahmen teilweise falsch sind, zu widerlegen.“ Und selbstverständlich könnten Millionen von anderen Beispielen gefunden werden, die so deutlich wie dieses sind. Aber leider würde dieses Argument, so wie es ist, gewiss niemanden überzeugen, der geneigt ist, Bradleys Lehre zuzustimmen. Und ich denke, wir müssen zugeben, dass es nicht voll-

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kommen befriedigend ist: Es zeigt die Sache nicht völlig deutlich. Daher möchte ich versuchen, ein anderes Argument darzulegen. Und ich möchte Folgendes versuchen zu zeigen. Es ist offensichtlich, dass jeder, der diese Dinge sagt, der sagt, „jede Annahme ist teilweise falsch“, etwas mit dem Wort „falsch“ meinen muss. Ich möchte zeigen, dass, wenn er das Wort „falsch“ in der Bedeutung verwendet, die ich die übliche Bedeutung genannt habe, wenn seine Ansicht, dass jede Annahme teilweise falsch ist, wahr wäre, dann würde folgen, dass wirklich jede Annahme in derselben Bedeutung gänzlich falsch ist. Wenn alle Annahmen teilweise falsch wären, so folgt, dass alle gänzlich falsch sind. Und so folgt, dass es niemals eine solche Tatsache geben kann, wie dass ich in den Urlaub gefahren bin oder sogar wie meine Anwesenheit jetzt in London. Wenn jemand annimmt, dass ich jetzt nicht in London bin, muss seine Annahme gänzlich falsch sein, weil es keine Tatsache sein kann, dass ich nicht in London bin. Dies ist die Schlussfolgerung, denke ich, die wirklich aus Bradleys Lehre folgt. Und ich bin nicht sicher, ob er selbst diese Schlussfolgerung akzeptieren würde. Aber seine Ausdrucksweise, als ob diese Annahme teilweise wahr wäre, dient gewiss dazu, die Tatsache zu verbergen, dass diese Schlussfolgerung sich ergibt. Sie dient dazu, die Tatsache zu verbergen, dass seine Lehre in Wirklichkeit besagt, dass jede Annahme in der üblichen Bedeutung des Worts gänzlich falsch ist. Ich denke, die Lehre schuldet ihre Plausibilität zum Teil der Tatsache, dass dies verborgen ist. Daher möchte ich versuchen zu zeigen, dass sich diese Schlussfolgerung ergibt. Aber um dies zu tun, müssen wir betrachten, was er mit dem Ausdruck „teilweise falsch“ meinen kann, angenommen, dass er das Wort „falsch“ in seiner üblichen Bedeutung verwendet. Dieser Ausdruck hat zweifelsohne eine klare Bedeutung und ich denke, es ist eindeutig, dass einige Annahmen wirklich teilweise, aber nicht gänzlich falsch sind. Tatsache ist, dass die Annahme, wenn wir von ihr sprechen, selbst wenn wir sie in einem Satz ausdrücken, gewiss oft mehrere unterschiedliche Annahmen beinhaltet: Wenn wir diese Annahme haben, nehmen wir zugleich mehrere unterschiedliche Dinge an, und einige dieser Dinge können wahr sein. Zum Beispiel kann man annehmen, dass die Farbe eines Kleides, das man heute Nachmittag auf einem Bild gesehen hat, kastanienbraun war. Und wenn man dies annimmt, kann man zugleich zwei verschiedene Dinge annehmen. Man wird zuerst annehmen, dass die Farbe, die man gesehen hat, mit der identisch war, an die man jetzt denkt, was immer dies auch sein mag; und natürlich ist dies etwas, bei dem man Recht oder Unrecht haben

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kann. Ein späterer Besuch des Bildes könnte überzeugen, dass man sich dabei geirrt hat. Aber dann kann man auch annehmen, dass die Farbe, an die man denkt, das ist, was andere Menschen als „Kastanienbraun“ bezeichnen würden; anders gesagt, man kann die Annahme über eine Verbindung zwischen der Farbe, die man im Bewusstsein hat, mit einem speziellen Namen – dem Namen „Kastanienbraun“ – haben. Und hier kann man wieder Recht oder Unrecht haben: Obwohl man Recht haben kann, wenn man denkt, dass die Farbe, die man im Bewusstsein hat, die Farbe ist, die man auf dem Bild gesehen hat, kann man vollkommen Unrecht haben, wenn man denkt, dass der richtige Name für diese Farbe „Kastanienbraun“ ist. Ich denke, solche Fälle treten fortwährend auf, in denen ein Teil der Annahme zu einer gegebenen Zeit wahr ist und ein Teil falsch, obwohl wir das Ganze eine Annahme nennen sollten. Aber jetzt möchte ich Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, dass in einem solchen Fall die ganze Annahme in der üblichen Bedeutung des Worts einfach falsch ist. Wenn man die ganze Annahme als „dass die Farbe, die man heute Nachmittag gesehen hat, die ist, die man in seinem Bewusstsein hat und der Name dieser Farbe ,Kastanienbraun‘ ist“ ansieht, so ist es offensichtlich, dass diese ganze Verbindung mit keiner Tatsache korrespondiert: Es gibt keine Tatsache wie die, dass „die Farbe, die man im Bewusstsein hat, die ist, die man heute Nachmittag gesehen hat, und dass ihr Name ,Kastanienbraun‘ ist“. Wenn daher eine Annahme teilweise falsch ist, ist die ganze Annahme – als Ganzes – in der üblichen Bedeutung des Worts einfach falsch: das Einzige, was sie davon abhält, gänzlich falsch zu sein, besteht darin, dass ein Teil von ihr in diesem Sinn nicht falsch ist. Aber dieser Teil von ihr, der in der üblichen Bedeutung nicht falsch ist, ist auch eine Annahme. Und wenn daher jede Annahme teilweise falsch wäre, könnte es keinen Teil von ihr geben, der in der üblichen Bedeutung nicht einfach falsch ist. Wenn daher jede Annahme teilweise falsch wäre, so folgt tatsächlich, dass jede Annahme gänzlich falsch sein muss. Das Einzige, was es für eine Annahme ermöglicht, teilweise und nicht gänzlich falsch zu sein, besteht darin, dass sie einen Teil haben müsste, der noch nicht einmal teilweise falsch ist. Denn sie muss einen Teil haben, der nicht einfach falsch in der üblichen Wortbedeutung ist. Und wir haben gesehen, dass jede teilweise falsche Annahme in dieser üblichen Bedeutung einfach falsch ist. Sodass keine Annahme, falls jede Annahme teilweise falsch wäre, überhaupt einen Teil haben könnte, der in der üblichen Bedeutung nicht einfach falsch wäre. Dies ist der Punkt, von dem das ganze Argument abhängig ist, und leider ist

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er nicht einfach zu erkennen. Aber ich denke, er beweist, dass jede Annahme, falls jede Annahme teilweise falsch wäre, gänzlich falsch sein muss. Und es ergibt sich hieraus bzw. aus Bradleys Lehre, falls er das Wort „falsch“ in seiner üblichen Bedeutung verwendet, dass alle unsere Annahmen in dieser üblichen Bedeutung gänzlich falsch sind. Wenn er natürlich das Wort in einer ganz anderen Bedeutung verwendet, könnte es möglich sein, dass in dieser Bedeutung alle unsere Annahmen teilweise falsch wären und keine von ihnen gänzlich. Aber wenn er das Wort nur in einer anderen als der üblichen Bedeutung verwendet, dann kann seine Lehre keinen Einwand gegenüber unserer Aussage bilden, dass in der üblichen Wortbedeutung viele unserer Annahmen gänzlich wahr sind. Tatsächlich besteht das, was wir gesehen haben, darin, dass in der üblichen Wortbedeutung, falls einige unserer Annahmen teilweise falsch sind, einige von ihnen gänzlich wahr sein müssen: Es muss einige geben, die noch nicht einmal teilweise falsch sind. Und dies ist es – dass einige unserer Annahmen in der üblichen Bedeutung gänzlich wahr sein müssen –, worauf ich bestehen möchte. Diese übliche Bedeutung ist gewiss eine sehr wichtige Bedeutung des Wortes „wahr“, selbst wenn es nicht die einzige wichtige Bedeutung des Wortes ist. Und ich denke, Bradley möchte tatsächlich bestreiten, dass einige unserer Annahmen gänzlich wahr sind, selbst in der üblichen Bedeutung. Ich denke, er würde Einwände gegenüber unserer Aussage erheben, dass einige von ihnen in überhaupt einem Sinn gänzlich wahr sind. Daher denke ich, dass dieses Argument tatsächlich nicht nur eine Verteidigung meiner Lehre, sondern auch ein Angriff auf seine ist.

Kapitel 16 Sein, Tatsache und Existenz

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ch habe gewisse Fragen besprochen, die in Zusammenhang mit der Bedeutung der Wörter „real“ und „wahr“ stehen, in der Hoffnung, genau herauszufinden, was das Wesen der äußerst wichtigen Eigenschaften ist, die durch diese Wörter in unserem Bewusstsein hervorgerufen werden. Und ich möchte Sie jetzt daran erinnern, von welchem Punkt aus wir diese DiskusÂ� sionen begonnen haben. Ich habe mit zwei verschiedenen Gegenständen begonnen. Der erste lautete wie folgt. Wir haben gesehen, dass Bradley sehr nachdrücklich behauptete, dass Zeit nicht „real“ sei, dass Zeit tatsächlich „existiert“ und zweifellos „ist“. Und wenn er diese beiden Behauptungen verbindet, denkt er gewiss nicht, dass er sich selbst widerspricht und Unsinn redet. Aber er widerspricht sich gewiss selbst, wenn die Eigenschaft, die er mit dem Ausdruck „ist real“ benennt, sich nicht von der Eigenschaft unterscheidet, die er mit den Ausdrücken „existiert“ und „ist“ benennt. Eines meiner Ziele war zu versuchen herauszufinden, ob dies so ist oder nicht – ob er wirklich zwei verschiedene Eigenschaften in seinem Bewusstsein hat, wenn er das eine Wort verwendet und wenn er die anderen beiden verwendet, und falls er dies hat, was diese beiden unterschiedlichen Eigenschaften sind und wie sie sich voneinander unterscheiden. Diese Frage hinsichtlich dessen, was Bradley meint, war eine meiner beiden Fragen, die ich zu beantworten wünschte. Und die zweite lautete wie folgt. Ich wollte, teils um ihrer selbst willen, teils zur Erhellung dessen, was Bradley meint, versuchen, folgende Frage zu beantworten: Was meinen wir im Allgemeinen mit den fünf Ausdrücken „ist real“, „existiert“, „ist eine Tatsache“, „ist“ und „ist wahr“? Für welche Eigenschaft oder Eigenschaften stehen diese Ausdrücke im Allgemeinen? Diese beiden Fragen – die Frage bezüglich dessen, was Bradley meint, und die direkte Frage nach der üblichen Bedeutung dieser fünf Ausdrücke – waren die Fragen, die ich beantworten wollte. Und ich hoffe, meine bisherige Betrachtung kann zumindest gezeigt haben, dass es wirklich große Schwierigkeiten gibt, die beiden Fragen zu beantworten. Es gibt tatsächlich viele andere Schwierigkeiten neben jenen, die ich hervorgehoben und besprochen habe. Aber ich habe bereits viel mehr Zeit für diese Betrachtung aufgewendet, als ich ursprünglich beab-

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sichtigt habe; und deshalb möchte ich jetzt nur versuchen, so klar und einfach, wie es mir möglich ist, das darzulegen, von dem ich annehme, dass es die richtige Antwort auf diese beiden Fragen ist. Fangen wir mit der Frage nach der üblichen Bedeutung der fünf Ausdrücke an; zuerst werde ich versuchen, das hervorzuheben, welche mir als die wichtigsten Vorstellungen oder Eigenschaften erscheinen, für die sie stehen. Ich muss mich auf die wichtigsten beschränken, denn ich kann nicht hoffen, vollkommen umfassend zu sein. Und dann werde ich versuchen, so kurz und deutlich, wie es mir möglich ist, das darzulegen, was ich als den wirklichen Status von Bradleys Auffassung hinsichtlich der Zeit verstehe. Die größte Schwierigkeit bei der Bedeutung der fünf Ausdrücke und die überzeugendste Entschuldigung für eine deutliche Unterscheidung, wie sie Bradley vornimmt, scheint mir immer noch durch die Tatsache begründet zu sein, von der ich ausgegangen bin – die Tatsache, dass es scheint, als ob rein imaginäre Dinge, selbst wenn sie sich völlig selbst widersprechen, wie ein rundes Quadrat, eine Art von Sein haben müssen – in einem Sinn sein müssen –, einfach weil wir über sie nachdenken und sprechen können. Es scheint völlig klar, dass es in einem gewissen Sinn kein solches Ding wie ein rundes Quadrat gibt oder geben kann; aber, wenn es so etwas nicht gibt, wie ist es uns dann möglich, an es zu denken und darüber zu sprechen? Und ich kann gewiss an es denken und über es sprechen. Ich tue es in diesem Augenblick. Ich kann nicht nur Propositionen über es aussagen und auch glauben, sondern ich kann wahre Propositionen darüber aussagen. Ich weiß, dass ein rundes Quadrat, wenn es so etwas gäbe, zugleich rund und nicht rund sein würde: Es ist eine Tatsache, dass dies so ist. Und wenn ich jetzt sage, dass es kein solches Ding wie ein rundes Quadrat gibt, scheine ich zu implizieren, dass es so etwas gibt. Es scheint, als ob ein solches Ding sein muss, nur damit es die Eigenschaft des Nichtseins hat. Daher scheint es, als ob eine Aussage über irgendetwas, von dem wir annehmen, dass es nicht ist, uns selbst zu widersprechen bedeutet; als ob wirklich alles, was wir erwähnen können, sein muss, eine Art von Sein haben muss. Aber wenn wir den analogen Fall der falschen Annahmen betrachten, scheint mir ganz deutlich zu sein, dass wir an Dinge denken können, die nichtsdestotrotz nicht sind – überhaupt kein Sein haben. Zum Beispiel könnte einer meiner Freunde jetzt von mir annehmen, dass ich nicht in London bin. Dies ist eine Annahme, die gewiss jetzt sehr leicht vorkommen könnte. Und doch gibt es kein solches Ding, wie dass ich jetzt nicht in London bin. Ich bin in London; und das klärt die Sache. Wie wir gesehen

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haben, kann angenommen werden, dass es, falls einer meiner Freunde dies jetzt annimmt, dann in einem Sinn so etwas gibt, wie dass ich jetzt nicht in London bin; es kann angenommen werden, dass es so etwas wie das Objekt der Annahme meines Freundes – die Proposition, die er annimmt – geben muss und dass die Wörter „dass ich jetzt nicht in London bin“ eine Bezeichnung für diese Proposition sind, die zweifelsohne ist. Und ich möchte jetzt nicht diese Ansicht bestreiten, obwohl ich nicht denke, wie ich gesagt habe, dass sie wahr ist. Räumen wir ein, dass sie wahr ist. Selbst wenn sie wahr ist, so bleibt die Tatsache bestehen, dass ein Ding, für das diese Wörter stehen würden, falls seine Annahme wahr wäre, gewiss nicht ist. Es bleibt wahr, dass es in einer Bedeutung der Wörter so etwas nicht gibt, wie dass ich jetzt nicht in London bin. Anders gesagt, selbst wenn wir die Ansicht vertreten, dass es, wenn eine Annahme wahr ist, im Universum zwei unterschiedliche Dinge mit demselben Namen gibt und, wenn eine Annahme falsch ist, es nur eines dieser beiden Dinge gibt, so bleibt doch die Tatsache bestehen, dass es, falls die Annahme falsch ist, in einem Sinn gewiss kein solches Ding gibt, wie dass ich jetzt nicht in London bin, und dass dieses Ding, das gewiss nicht ist, genau das ist, was wir jetzt erfassen oder uns vorstellen, selbst wenn wir, um dies zu tun, zugleich an etwas anderes denken müssen, das denselben Namen trägt und gewiss ist. Daher müssen wir zugeben, denke ich, dass wir in einem Sinn an Dinge denken können, die wirklich kein Sein haben. Wir müssen so sprechen, als ob wir es täten. Und wenn wir so sprechen und sagen, dass wir es tun, meinen wir, indem wir so sprechen, gewiss etwas, das eine Tatsache ist. Wenn z.€B. mein Freund annimmt, dass ich nicht in London bin, während ich es tatsächlich bin, so nimmt er an, dass ich nicht in London bin. Darüber besteht kein Zweifel. Das heißt: Der gesamte Ausdruck „er nimmt an, dass ich nicht in London bin“ drückt eine Tatsache aus oder ist eine Bezeichnung für sie. Aber die Lösung dieser Schwierigkeit scheint mir darin zu liegen, dass der gesamte Ausdruck nicht nur, wie es den Anschein hat, eine Beziehung zwischen meinem Freund einerseits und der Tatsache mit dem Namen „dass ich nicht in London bin“ andererseits ausdrückt. Er scheint dies zu tun. Und hier tritt die Schwierigkeit auf. Es scheint, als ob die Wörter „dass ich nicht in London bin“ eine Bezeichnung für etwas sein müssen, zu dem mein Freund eine Beziehung hat, etwas, das gewiss Sein hat. Aber wir müssen zugeben, dass diese Wörter nicht wirklich eine Bezeichnung für irgendetwas sind. Allein genommen, sind sie keine Bezeichnung für überhaupt irgendetwas, obwohl der gesamte Ausdruck „er nimmt an, dass ich nicht in London bin“ eine Bezeichnung für etwas ist. Aus dieser

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Tatsache, dass einzelne Wörter und Ausdrücke, die wir verwenden, fortwährend Bezeichnungen für etwas zu sein scheinen, wenn sie tatsächlich keine Bezeichnungen für überhaupt irgendetwas sind, scheint die ganze Schwierigkeit zu entstehen. Ihretwegen müssen wir, wenn wir von diesem Thema sprechen, uns fortwährend selbst scheinbar widersprechen. Und ich denke nicht, dass es möglich ist, den scheinbaren Widerspruch gänzlich zu vermeiden. Wenn man nur sagt, „es gibt kein solches Ding wie eine Chimäre“, muss man sich selbst scheinbar widersprechen, da man zu implizieren scheint, dass „eine Chimäre“ eine Bezeichnung für etwas ist, während zugleich das, was man über dieses Etwas feststellt, darin besteht, dass es nicht ist – dass es kein solches Ding gibt. Im Gedächtnis behalten muss man, dass, obwohl wir solche Ausdrücke verwenden müssen und obwohl die gesamten Ausdrücke Bezeichnungen für Tatsachen sind, die gewiss sind, diese Tatsachen nicht in ein Subjekt „eine Chimäre“ einerseits und etwas, das von diesem Subjekt behauptet wird, andererseits aufgelöst werden können. Die Frage, wie solche Tatsachen analysiert werden sollen, ist natürlich eine andere Frage, die große Schwierigkeiten in sich birgt; und ich gebe nicht vor, dass es mir möglich ist, sie zu beantworten. Aber es ist klar, denke ich, dass sie nicht auf die vorgeschlagene Weise analysiert werden können. Kurz gesagt, wir dürfen nicht annehmen, dass es so etwas wie eine Chimäre gibt, bloß weil wir etwas tun können, das wir „an sie denken“ oder „Propositionen über sie aussagen“ nennen. Wir erwähnen tatsächlich eine Chimäre noch nicht einmal, wenn wir über sie sprechen, wir benutzten ein Wort, das für sich selbst kein Name für irgendetwas ist. Nun werde ich trotz des Widerspruchs, den solch eine Ausdrucksweise zu implizieren scheint, sagen, dass bestimmte Dinge, an die wir denken und über die wir sprechen können, wirklich kein Sein in irgendeinem Sinn haben. Ich denke, es ist vollkommen offensichtlich, dass es, immer wenn wir eine falsche Annahme haben – immer wenn wir uns irren – kein solches Ding in einem gewissen Sinn wie das gibt, was wir annehmen; und obwohl eine solche Ausdrucksweise sich selbst zu widersprechen scheint, denke ich nicht, dass wir die Tatsachen überhaupt ausdrücken können außer durch Verwendung einer Ausdrucksweise, die sich selbst zu widersprechen scheint. Und wenn man versteht, was diese Ausdrucksweise meint, ist der offensichtliche Widerspruch einerlei. Die erste und grundlegendste Eigenschaft, auf die ich Sie aufmerksam machen möchte und die manchmal von einigen unserer fünf Ausdrücke beschrieben wird, ist genau jene, die tatsächlich zu dem gehört, was wir glauben, wenn unsere Annahme wahr ist, und die

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nicht zu dem gehört, was wir glauben, wenn unsere Annahme falsch ist. Ich schlage vor, die Bezeichnung „Sein“ auf diese Eigenschaft zu beschränken, und ich denke, dass Sie alle erkennen, was diese Eigenschaft ist. Wenn Sie z.€B. jetzt annehmen, dass ich, während ich dieses Stück Papier ansehe, eine weißliche Stelle direkt erfasse, und wenn Ihre Annahme wahr ist, dann gibt es so etwas wie mein jetziges direktes Erfassen einer weißlichen Stelle. Und ich denke, Sie können alle verstehen, in welchem Sinn es ein solches Ding gibt. Es gibt tatsächlich so etwas. Ich erfasse jetzt tatsächlich eine weißliche Stelle direkt. Aber selbst wenn es dies nicht gäbe, könnten Sie alle verstehen, was es bedeuten würde, angenommen, es gäbe dies. Diese Eigenschaft, die so offensichtlich zu diesem Ereignis (oder wie auch immer Sie es nennen möchten) gehört, ist jene, die ich „Sein“ nennen werde; und sie scheint mir die grundlegendste Eigenschaft zu sein, die mit einem unserer fünf Ausdrücke beschrieben werden kann. Eine andere Weise, um hervorzuheben, was diese Eigenschaft ist, die ich mit „Sein“ meine, und eine Weise, die dazu dient, es in mancher Hinsicht deutlicher zu machen, besteht in der Aussage, dass „Sein zu haben“ gleichbedeutend mit „zum Universum gehörend“ ist, ein Bestandteil des Universums zu sein, im Universum zu sein. Wir können sagen, dass alles, was Sein hat, ein Bestandteil des Universums ist und dass nur das, was Sein hat, ein Bestandteil des Universums sein kann: Von etwas zu sagen, dass es kein solches Ding gibt, dass es einfach nicht ist, bedeutet zu sagen, dass es nicht zu den Bestandteilen des Universums gehört, dass es überhaupt keinen Platz im Universum hat. Diese Unterscheidung zwischen der Zugehörigkeit zum Universum und der Nichtzugehörigkeit zu ihm scheint klarer zu sein als die bloße Unterscheidung zwischen Sein und Nichtsein. Wenn wir diese Art der Erklärung verwenden, müssen wir nur erkennen, dass die Erklärung in gewisser Hinsicht ungenau und für Missverständnisse anfällig ist. Erstens, wenn wir sagen, dass „sein“ gleichbedeutend mit „ein Bestandteil des Universums sein“ ist, würde dies streng genommen implizieren, dass es nur Dinge sind, die Bestandteile des Universums sind und überhaupt Sein haben, und dass folglich das Universum als Ganzes kein Sein hat – dass es kein solches Ding gibt. Aber dies ist vielleicht absurd. Es ist natürlich zu denken, dass das Universum als Ganzes in genau demselben Sinn ein Sein hat, wie es seine Bestandteile haben. Sodass wir streng genommen vielleicht sagen müssten, dass die einzigen Dinge, die Sein haben, folgende Dinge sind: (1) das ganze Universum selbst und (2) alle seine Bestandteile. Aus diesem Grund allein ist es ein wenig ungenau, wenn man sagt, dass „sein“ gleichbedeutend mit

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„ein Bestandteil des Universums sein“ ist, da das Universum selbst eine Ausnahme der Regel bilden könnte: Das Universum als Ganzes ist gewiss kein bloßer Bestandteil von ihm selbst und doch scheint es, als ob es Sein hat. Zweitens, wenn wir dieses Konzept des „zum Universum gehörig“ verwenden, um zu erklären, was wir mit „Sein“ meinen, könnten wir anzunehmen versucht sein, dass die Aussage, ein Ding „ist“ oder „hat Sein“ nicht nur äquivalent, sondern genau dasselbe ist wie die Aussage, dass es zum Universum gehört. Und auch dieses würde, denke ich, ein Fehler sein. Wenn es so wäre, würde es uns nicht möglich sein, anzunehmen, dass ein Ding Sein hat, ohne zuerst an das Universum als ein Ganzes zu denken und anzunehmen, dass das entsprechende Ding ihm angehört. Aber dies ist gewiss nicht der Fall. Man kann denken, dass gewisse Dinge sind und andere nicht sind, bevor man ein Konzept des Universums als ein Ganzes gebildet hat; und selbst wenn wir es gebildet haben, haben wir es gewiss nicht immer in unserem Bewusstsein, wenn wir denken, dass ein Ding ist und ein anderes nicht ist. Das Konzept von „Sein“ ist daher gewiss nicht dasselbe wie jenes vom „zum Universum gehörig“, obwohl die beiden bis zu dem Ausmaß, das ich dargelegt habe, äquivalent sein könnten. Die Wahrheit ist, obwohl das Konzept vom „zum Universum gehörig“ in einiger Hinsicht klarer erscheint als jenes von Sein, so kann doch Ersteres wirklich nur durch den Verweis auf Letzteres definiert werden – und nicht umgekehrt. Wenn wir sagen möchten, was wir mit Universum meinen, können wir dies nur mit Verweis auf das Konzept von „Sein“ tun – indem wir z.€B. sagen, dass mit dem Universum die Summe aller Dinge, die sind, gemeint ist, oder auf eine ähnliche Weise. Anders gesagt, das Konzept des Universums setzt das Konzept von „Sein“ voraus und kann nur mit dem Verweis darauf definiert werden, sodass wir Letzteres nicht mit dem Verweis auf Ersteres definieren können. Und dies bringt mich zum letzten Punkt, in dem der Vorschlag, „Sein“ durch die Aussage zu erklären, dass es äquivalent zu „zum Universum gehörig“ ist, ungenau ist und zu Missverständnissen führen könnte. Angenommen, es ist wirklich so, wie wir gemeinhin annehmen, dass es neben den Dingen, die jetzt sind, einige Dinge gibt, die in der Vergangenheit gewesen sind und jetzt nicht mehr sind, und andere, die zukünftig sein werden, es aber noch nicht sind. Es erscheint völlig offensichtlich, dass es von diesen drei Klassen von Dingen nur jene, die jetzt sind, sind, die tatsächlich in einem Sinn des Worts die Eigenschaft von „Sein“ haben; von jenen, die gewesen sind, aber nicht mehr sind, ist nur wahr, dass sie die Eigenschaft gehabt haben, nicht dass sie sie jetzt haben; und Ähnliches gilt für jene, die sein

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werden, aber noch nicht sind, bei ihnen trifft es zu, dass sie die Eigenschaft besitzen werden, nicht dass sie sie jetzt besitzen. Natürlich gibt es einige Philosophen, wie wir gesehen haben, die anzunehmen scheinen, dass es nichts gibt, das entweder gewesen ist, jetzt ist oder sein wird – dass alles, was überhaupt Sein hat, es in einem zeitlosen Sinn hat, d.€h. es hat es nicht jetzt, aber hat es nichtsdestotrotz; und dass nichts es in der Vergangenheit gehabt hat oder es in der Zukunft haben wird; dass es, kurz gesagt, keine Vergangenheit gegeben hat, keine Gegenwart gibt und keine Zukunft geben wird. Eines der Dinge, die wir herausfinden möchten, ist, ob Bradley dies wirklich denkt oder nicht. Und ich möchte jetzt nicht davon ausgehen, dass diese Philosophen, falls jemand dies denkt, Unrecht haben. Ich möchte hervorheben, angenommen, sie haben Unrecht – angenommen, einige Dinge sind gewesen, die nicht mehr sind, und andere werden sein, die noch nicht sind –, dass die Schwierigkeit auftritt, was wir mit Universum meinen. Die Schwierigkeit lautet wie folgt: Werden wir sagen oder nicht, dass alle Dinge, die gewesen sind und sein werden, zum Universum gehören – Bestandteile von ihm sind genauso wie jene Dinge, die jetzt sind? Ich denke, viele Menschen würden mit Ja antworten: Die Vergangenheit und die Zukunft gehören zum Universum, so wie die Gegenwart es tut. Und ich denke, dies ist gewiss ein allgemeiner Sinn, in dem wir den Ausdruck „Universum“ verwenden: Wir verwenden ihn, um die Vergangenheit und Zukunft genauso wie die Gegenwart einzuschließen. Aber wenn wir dies sagen, dann müssen wir zugeben, dass noch aus einem anderen Grund „zum Universum gehörend“ nicht genau äquivalent zu „Sein“ ist. Denn wir müssen zugeben, dass viele Dinge, die zum Universum gehören, nichtsdestotrotz die Eigenschaft in einem gewissen Sinn nicht haben, die wir mit „Sein“ bezeichnen, sondern sie nur gehabt haben oder haben werden. Wir müssten sagen, dass „zum Universum gehören“ bedeutet, die Eigenschaft, die wir „Sein“ nennen“, nicht jetzt zu haben, sondern entweder sie gehabt zu haben oder sie jetzt zu haben oder sie haben zu werden; und wir könnten eine vierte Alternative hinzufügen, nämlich sie in einem zeitlosen Sinn zu haben – sie in einem Sinn zu haben, der nicht äquivalent ist mit dem, sie jetzt zu haben. Denn einige Philosophen glauben, wie wir gesehen haben, dass der einzige Sinn, in dem etwas überhaupt sein kann, ein zeitloser Sinn ist; und selbst viele jener Philosophen, die annehmen, dass es eine Vergangenheit gegeben hat, eine Gegenwart gibt und eine Zukunft geben wird, nehmen an, dass es daneben noch einen zeitlosen Sinn des Wortes „ist“ gibt und dass es neben den Dingen, die gewesen sind, jetzt sind und sein werden, viele andere Dinge gibt, die auch zum Universum

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gehören und die sind und doch jetzt nicht sind. Anders gesagt, sie nehmen an, dass „Sein“ eine Eigenschaft ist, die nicht nur zu vielen Dingen gehört hat, zu vielen jetzt gehört und zu vielen zukünftig gehören wird, sondern dass sie in einem zeitlosen Sinn zu vielen Dingen gehört, zu denen es jetzt nicht gehört. Ich bin mir überhaupt nicht sicher, ob diese Philosophen Recht haben oder nicht. Meinerseits kann ich allerdings kein Beispiel eines Dings finden, hinsichtlich dessen es völlig gewiss erscheint, dass es ist und doch auch jetzt nicht ist. Aber wir müssen zugeben, denke ich, dass dies eine mögliche Alternative ist, dass genau dieselbe Eigenschaft, „Sein“ genannt, die zu Dingen gehört hat und gehören wird, zu denen es jetzt nicht gehört, auch in einem zeitlosen Sinn zu Dingen gehören könnte, zu denen es jetzt nicht gehört. Und so müssen wir zugeben, dass der Ausdruck „dieses oder jenes gehört zum Universum“ eines der vier verschiedenen Dinge bedeuten kann: Es kann entweder bedeuten „dieses oder jenes ist gewesen“ oder „dieses oder jenes ist jetzt“ oder „dieses oder jenes wird sein“ oder „dieses oder jenes ist, aber nicht jetzt“. Aus diesem Grund denke ich, dass zu erklären, was „Sein“ meint, indem man sagt, dass es äquivalent zu „zum Universum gehörend“ ist oder ein Bestandteil von ihm ist, möglicherweise zu Missverständnissen führen kann. Wenn wir mit „Sein“ eine Eigenschaft meinen, die zu einigen Dingen gehört hat und gehören wird, zu denen sie jetzt nicht gehört, dann müssen wir sagen, dass diese Dinge in einem Sinn nicht zum Universum gehören, sondern nur zu ihm gehört haben oder gehören werden: während diese Dinge in einem anderen Sinn zu ihm gehören trotz der Tatsache, dass sie die Eigenschaft, die wir mit „Sein“ meinen, nicht haben, sondern sie nur gehabt haben oder haben werden. Und diese zwei Bedeutungen des Ausdrucks „zum Universum gehörig“ können leicht miteinander verwechselt werden. Jeder kann auch leicht mit der Eigenschaft, die wir mit „Sein“ meinen, identifiziert werden, sodass wir zwei verschiedene Bedeutungen des Wortes „Sein“ erhalten, die leicht miteinander verwechselt werden können. Aber abgesehen von diesem möglichen Missverständnis und den anderen beiden zuvor Erwähnten, denke ich, dass es wirklich zur Verdeutlichung dient, was ich mit „Sein“ meine, wenn ich sage, dass es äquivalent zu „ein Bestandteil des Universums sein“ ist – wenn ich sage, dass wir, wenn wir fragen, welche Dinge sind und welche Dinge nicht sind, nur fragen, welche Dinge wirklich Bestandteile des Universums sind oder nicht. So viel nun, um zu erklären, was ich mit der ersten und grundlegendsten Eigenschaft meine, die durch unsere fünf Ausdrücke beschrieben wird – jene, bei der ich vorgeschlagen habe, sie „Sein“ zu nennen.

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Zweitens möchte ich den Ausdruck „ist eine Tatsache“ in jener Verwendung betrachten, in der wir sagen: „Es ist eine Tatsache, dass Bären existieren; es ist eine Tatsache, dass ich jetzt spreche; es ist eine Tatsache, dass zwei mal zwei vier ist.“ Offensichtlich meinen wir mit diesem Ausdruck auch etwas äußerst Wichtiges. Es ist ein Ausdruck, den wir fortwährend verwenden, um Dinge auszudrücken, auf denen wir besonders bestehen wollen. Die Frage lautet: „Was meinen wir damit? Verwenden wir ihn, um genau dieselbe Eigenschaft auszudrücken, der ich den Namen ,Sein‘ gegeben habe, oder eine andere? Und wenn es eine andere ist, in welcher Hinsicht ist sie anders?“ Es gibt gewiss einen Unterschied zwischen unserer Verwendung dieses Ausdrucks und unserer Verwendung des Wortes „Sein“, denn während es ganz natürlich ist zu sagen, „es ist eine Tatsache, dass Bären existieren“, „es ist eine Tatsache, dass zwei mal zwei vier ist“, so ist es nicht ganz natürlich zu sagen, dass es ist, „dass Bären existieren“, oder dass es ist, „dass zwei mal zwei vier ist“; und dies gilt auch umgekehrt, während es ganz natürlich ist zu sagen, dass Bären Bestandteile des Universums sind oder dass die Zahl 2 ein Bestandteil des Universums ist, so ist es nicht ganz natürlich zu sagen, die Tatsache, dass Bären existieren, oder die Tatsache, dass zwei mal zwei vier ist, sind Bestandteile des Universums. Aber nichtsdestotrotz bin ich geneigt, anzunehmen, dass dieser Unterschied in der Verwendung nicht wirklich einen Unterschied im Wesen der Prädikate oder Eigenschaften, die mit den beiden Ausdrücken gemeint sind, aufzeigt. Soweit ich es beurteilen kann, ist, wenn wir von einem Ding sagen, dass es eine Tatsache ist, und von einem anderen, dass es Sein hat oder ein Bestandteil des Universums ist, die Eigenschaft, die wir von den beiden Dingen feststellen wollen, in beiden Fällen genau dieselbe. Der Grund für den Unterschied in der Verwendung liegt, so denke ich, nur darin, dass wir instinktiv dazu neigen, den einen Ausdruck zu verwenden, wenn wir diese Eigenschaft bestimmten Arten von Dingen zuschreiben wollen, und den anderen Ausdruck, wenn wir sie anderen Arten von Dingen zuschreiben wollen. Kurz gesagt, der Unterschied in der Verwendung drückt keinen Unterschied des Prädikats aus, sondern einen Unterschied im Charakter des Subjekts, auf das es angewendet wird. Und der Unterschied im Charakter, der uns veranlasst, diese Unterscheidung zu treffen, ist wirklich einer der grundlegendsten Unterschiede, die es unter den Bestandteilen des Universums gibt. Wir können alle Bestandteile des Universums – alle Dinge, die sind – in zwei Klassen einteilen; in die eine Klasse gehören jene, die wir nur durch einen Satz, der mit „dass“ beginnt, oder durch ein entsprechendes Verbalsubjekt ausdrücken können, und in

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die andere gehört der ganze Rest. So haben wir in der ersten Klasse solche Dinge wie „die Tatsache, dass Löwen existieren“ oder (um es durch ein Verbalsubjekt auszudrücken) „die Existenz von Löwen“, „die Tatsache, dass zwei mal zwei vier ist“, „die Tatsache, dass ich jetzt spreche“ und wirklich alle der ungeheuer großen Anzahl von Tatsachen, die wir durch Redewendungen ausdrücken, die mit „dass“ beginnen. Kurz gesagt, diese Klasse der Bestandteile des Universums besteht aus einer Art von Entitäten, die mit wahren Annahmen korrespondiert (in dem dargelegten Sinn). Jede wahre Annahme korrespondiert mit einer solchen Entität; und nur mit Entitäten dieser Art korrespondieren wahre Annahmen. Diese erste Klasse von Entitäten – die Klasse von Entitäten, die mit wahren Annahmen korrespondiert – bildet gewiss, so denke ich, eine der größten und wichtigsten Klassen von Dingen im Universum. Wie sie sich genau von allen anderen Bestandteilen des Universums unterscheiden, ist sehr schwierig zu definieren. Soweit ich es beurteilen kann, kann man nur das Wesen hervorheben, das sie unterscheidet, indem man, wie ich es soeben getan habe, betont, dass sie die Klasse von Entitäten sind, die wir mit „die Tatsache, dass dieses und jenes€...“ benennen, oder dass sie die Art von Entitäten sind, die mit wahren Annahmen korrespondieren. Aber der Unterschied zwischen ihnen und allen anderen Arten von Entitäten ist, denke ich, leicht zu erkennen, selbst wenn es nicht einfach ist, ihn zu definieren. Sicherlich kann jeder sehen, dass die Tatsache, dass ein Löwe existiert, eine ganz andere Art von Entität ist als der Löwe selbst, oder dass die Tatsache, dass zwei mal zwei vier ist, eine ganz andere Art von Entität ist als die Zahl 2 selbst. Zu sagen, dass Dinge dieser Art selbst eine Klasse bilden, bedeutet natürlich zu sagen, dass sie eine gemeinsame Eigenschaft besitzen, die andere Dinge nicht teilen. Und so könnten wir sagen, dass wir, wenn wir den Ausdruck „es ist eine Tatsache, dass dieses und jenes€...“ verwenden, dem entsprechenden Ding nicht nur „Sein“ zuschreiben, sondern auch eine andere spezielle Eigenschaft, die nicht von allen Dingen, die Sein haben, geteilt wird. Wenn dies so wäre, würde es einen wirklichen Unterschied zwischen der Eigenschaft geben, die mit „eine Tatsache sein“ gemeint ist, und der Tatsache, die nur mit „Sein“ gemeint ist. Aber wie ich bereits sagte, denke ich nicht, dass wir für gewöhnlich diese Eigenschaft zuschreiben wollen, wenn wir sagen, „es ist eine Tatsache, dass dieses und jenes...“, sondern nur die Eigenschaft von Sein. Wir gebrauchen instinktiv den Ausdruck „es ist eine Tatsache“ anstatt „es ist“, wenn wir von Dingen sprechen, die diese Eigenschaft sowie jene des Seins tatsächlich haben, aber ich denke nicht, dass das, was wir von ihnen sagen

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wollen, ist, dass sie sie haben. Jedoch ist die Frage, ob dies so ist oder nicht, eine Frage von vergleichweise geringer Bedeutung. Wichtig ist zu erkennen, was die Eigenschaft ist, die uns veranlasst, den Ausdruck „es ist eine Tatsache, dass“ auf einige Dinge anzuwenden, während wir ihn nicht genauso natürlich auf andere anwenden können. Aus Darstellungsgründen werde ich die Bezeichnung „Tatsachen“ auf nur jene Bestandteile des Universums beschränken, die diese Eigenschaft haben. So sollten wir sagen, dass die Existenz von Löwen eine Tatsache ist, aber Löwen selbst keine Tatsache sind; wir sollten sagen, dass es eine Tatsache ist, dass zwei mal zwei vier ist, aber die Zahl 2 selbst keine Tatsache ist. Und wenn wir das Wort „Tatsachen“ in diesem Sinn verstehen, ist es wichtig zu beachten, dass „Tatsachen“ nicht mehr und nicht weniger als das sind, was oft als „Wahrheiten“ bezeichnet wird. Ich habe vorher hervorgehoben, dass ein Ausdruck der Form „es ist wahr, dass dieses und jenes€...“ wirklich immer als Äquivalent zum entsprechenden Ausdruck der Form „es ist eine Tatsache, dass dieses und jenes€...“ verwendet werden kann. Und ebenso kann etwas, das in diesem Sinn eine Tatsache ist, immer genauso natürlich „eine Wahrheit“ genannt werden. Anstatt von der Tatsache zu sprechen, dass 2 + 2 = 4, können wir genauso gut von der Wahrheit sprechen, dass 2 + 2 = 4; anstatt von der Tatsache, dass Löwen existieren, zu sprechen, können wir genauso gut von der Wahrheit, dass Löwen existieren, sprechen; und dies gilt für wirklich jeden Fall. Und es ist wichtig, dies zu beachten, weil diese Eigenschaft, die zu „einer Wahrheit“ gehört und die es zu einer Wahrheit macht, sich von jener völlig unterscheidet, die wir in den beiden letzten Vorlesungen besprochen haben – die Eigenschaft, die zu „wahren“ Annahmen gehört und aufgrund deren wir sie „wahr“ nennen. Von einer Wahrheit zu sagen, dass sie eine Wahrheit ist, bedeutet bloß von ihr zu sagen, dass sie eine Tatsache in dem von uns betrachteten Sinn ist; während von einem Glaubensakt zu sagen, dass er „wahr“ ist, nur zu sagen bedeutet, wie wir gesehen haben, dass er mit einer Tatsache korrespondiert. Tatsächlich würde niemand daran denken, einen wahren Akt der Annahme eine Wahrheit zu nennen: Es ist völlig unnatürlich, eine solche Ausdrucksweise zu gebrauchen. Und doch denke ich, dass es äußerst üblich ist, diese beiden Dinge verwechselt vorzufinden.31 Es ist z.€B. sehr üblich gewesen, anzuneh31

Ein Irrtum, der vielleicht noch verbreiteter ist, besteht in der Annahme, dass jede wahre Proposition eine Wahrheit ist. Analogien in der Ausdrucksweise könnten uns veranlassen, diesen Irrtum zu begehen: Es ist natürlich, anzunehmen, dass wir den Ausdruck „eine Wahrheit“ verwenden sollten, um etwas zu bezeichnen, das wahr ist. Aber es scheint mir vollkommen offensichtlich, dass wir den Aus-

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men, dass Wahrheiten vollkommen vom Bewusstsein abhängig sind, dass es keine Wahrheiten im Universum geben könnte, wäre kein Bewusstsein in ihm. Und soweit ich es beurteilen kann, ist der Hauptgrund, warum dies geglaubt worden ist, die Annahme, dass das Wort „wahr“ für eine Eigenschaft steht, die nur zu Glaubensakten gehören kann und dass nichts eine „Wahrheit“ sein kann, wenn es nicht diese Eigenschaft hat. Es ist natürlich völlig offensichtlich, dass es keine wahren Annahmen im Universum geben könnte, wenn es kein Bewusstsein in ihm gäbe: Kein Glaubensakt könnte wahr sein, wenn es nicht Glaubensakte gäbe; und es könnte keine Glaubensakte geben, wenn es kein Bewusstsein gäbe, weil ein Glaubensakt ein Bewusstseinsakt ist. Daher ist es völlig offensichtlich, dass die Existenz von wahren Glaubensakten vollkommen von der Existenz des Bewusstseins abhängig ist. Aber in dem Moment, in dem wir erkennen, dass mit einer „Wahrheit“ nicht ein wahrer Glaubensakt gemeint ist, sondern nur eine Tatsache – etwas, das mit einer wahren Annahme korrespondiert, wenn es wahre Annahmen gibt, aber das ebenso sein kann, selbst wenn es niemand annimmt – schwindet jeder Grund zu glauben, dass es keine Wahrheiten im Universum geben könnte, wenn es kein Bewusstsein in ihm gäbe. Es ist das genaue Gegenteil von einleuchtend, dass es keine Tatsachen im Universum geben könnte, wenn es kein Bewusstsein in ihm gäbe. Und sobald wir erkennen, dass „eine Wahrheit“ nur eine andere Bezeichnung für eine Tatsache ist und sich von einem wahren Glaubensakt völlig unterscheidet, wird es ganz offensichtlich möglich, dass es Wahrheiten im Universum geben könnte, selbst wenn es kein Bewusstsein in ihm gäbe. Aus diesem Grund ist es sehr wichtig zu beachten, denke ich, dass „eine Wahrheit“ bloß ein anderer Name für eine Tatsache ist, obwohl das Wort „wahr“, wie es auf Glaubensakte angewendet wird,32 etwas ganz anderes meint – es bedeutet nicht, dass der entsprechende Glaubensakt eine Wahrheit ist. Und es lohnt sich auch, denke ich, eine Verbindung zwischen dem Ausdruck „es ist eine Tatsache, dass“ und dem Wort „real“ [bzw.

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druck „eine Wahrheit“ nicht auf diese Weise verwenden. Die Tatsache hinsichtlich jeder Proposition, dass sie wahr ist, kann vollkommen natürlich „eine Wahrheit“ genannt werden; aber die Tatsache, dass eine gegebene Proposition wahr ist, unterscheidet sich offensichtlich völlig von der entsprechenden Proposition und auch von der äquivalenten Proposition, dass die entsprechende Proposition wahr ist. Keine Proposition ist eine Wahrheit; aber im Fall jeder Proposition, die wahr ist, ist die Tatsache, dass dies so ist, eine Wahrheit. (1952.) Und wie es natürlich bei der Anwendung auf Propositionen noch häufiger der Fall ist. (Siehe Fußnote 31.) (1952.)

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wirklich, Anm. d. Übers.] zu beachten. Zu sagen, „es ist eine Tatsache, dass Löwen existieren“, entspricht offensichtlich nur der Aussage: „Löwen existieren wirklich.“ Das heißt, wir verwenden das Wort „real“ in seiner adverbialen Form, nur um dieselbe Vorstellung auszudrücken, die wir durch „es ist eine Tatsache, dass“ ausdrücken. Obwohl es natürlich ist zu sagen, „dass Löwen wirklich existieren“, ist es überhaupt nicht natürlich zu sagen, „es ist real, dass Löwen existieren“: Nichts könnte ungebräuchlicher sein. Und dies zeigt, dass es einen Unterschied in der Verwendung der Ausdrücke „ist real“ und „ist eine Tatsache“ gibt. Aber zugleich weist die Verwendung des Adverbs „wirklich“ auf eine Verbindung zwischen den beiden hin. Ich werde nun die Bezeichnung „Tatsachen“ einzig und allein als eine Bezeichnung für jene Art von Bestandteilen des Universums verwenden, die mit wahren Annahmen korrespondieren – für jene Art von Dingen, die wir durch Redewendungen ausdrücken, die mit „dass“ beginnen. Aber ich will natürlich nicht sagen, dass dies der einzige Sinn ist, in dem das Wort „Tatsachen“ verwendet wird. Auf jeden Fall verwenden es Philosophen gewiss manchmal in einem weiter gefassten Sinne: Sie sagen z.€B. nicht nur, dass die Existenz von Löwen eine Tatsache ist, sondern dass ein Löwe selbst eine Tatsache ist, oder sie sagen, dass diese weißliche Stelle – die ich jetzt direkt erfasse – dieses Sinnesdatum selbst – eine Tatsache ist. Und ich will nicht sagen, dass diese weiter gefasste Verwendung falsch ist: Ich möchte es nur ganz deutlich machen, dass ich dies für die Zwecke dieser Diskussion nicht annehmen werde. Viel wichtiger ist, denke ich, hervorzuheben, dass wir im Alltagsleben sehr oft das Wort „Tatsache“ in einem enger gefassten Sinn verwenden als jenen, in dem ich es verwende: Wir wenden es nur bei einigen aus der Klasse von Dingen an, die ich Tatsachen nenne. Die Verwendung, an die ich denke, ist jene, in der Tatsachen oft Theorien gegenübergestellt werden oder in der gesagt wird, dass Fragen mit Verweis auf die Tatsachen geklärt werden sollten. In meiner Bedeutung des Worts kann eine Theorie eine Tatsache sein, obwohl sie nur eine Theorie ist; sie wird eine Tatsache sein, falls, wenn jemand sie annimmt, diese Annahme wahr ist. Und soweit ich es beurteilen kann, besteht der Hauptunterschied zwischen dieser enger gefassten Verwendung des Wortes „Tatsache“ und meiner Verwendung darin, dass im allgemeinen Gebrauch das Wort auf solche Arten von Tatsachen beschränkt ist, von denen wir wirklich wissen oder wissen können, dass sie Tatsachen sind. Das heißt, es wird behauptet, dass unter den vielen Tatsachen, in meiner Wortbedeutung, die es im Universum gibt, es bestimmte Arten gibt, von denen wir unter gewissen Umständen wirklich wissen können, dass sie

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Tatsachen sind, während es andere Arten gibt, von denen (beim gegenwärtigen Wissensstand) wir niemals wirklich wissen können, ob sie Tatsachen sind. So könnte gesagt werden, wenn ein Mensch etwas annimmt und seine Annahme wahr ist, dass das, was er annimmt, keine Tatsache ist, wenn es nicht etwas ist, von dem ein Mensch es jetzt wirklich wissen kann. Während es sich bei meiner Wortbedeutung so verhält, dass, wenn ein Mensch etwas annimmt und seine Annahme wahr ist, das, was er annimmt, eine Tatsache ist, selbst wenn niemand, der lebt, wirklich wissen kann, dass es so ist. Und natürlich ist meine Wortbedeutung eine der Bedeutungen, in denen das Wort im Allgemeinen verwendet wird; jeder verwendet fortwährend eine Ausdrucksweise, die impliziert, dass, wenn eine Annahme wahr ist, das, was angenommen wird, in einen Sinn eine Tatsache ist, ob jemand dies wissen kann oder nicht. Aber es gibt gewiss auch einen enger gefassten Sinn des Wortes, in dem es auf Dinge beschränkt ist, von denen (zu Recht oder Unrecht) behauptet wird, dass es möglich ist, von ihnen wirklich zu wissen; und ich möchte verdeutlichen, dass ich mich nicht auf diesen enger gefassten Sinn beschränke. Bis jetzt habe ich versucht, eindeutige Bedeutungen für zwei unserer fünf Ausdrücke darzulegen – für den Ausdruck „ist“ oder „hat Sein“ und für „ist eine Tatsache“. Aber den Ausdruck, den ich am genauesten betrachten möchte, ist der Ausdruck „existiert“. Dies ist gewiss ein Ausdruck von höchster Wichtigkeit. Nichts kann wohl wichtiger sein als zu wissen, ob gewisse Arten von Dingen existieren – oder zukünftig existieren werden – oder nicht: Es gibt nichts, von dem wir bemühter sind, es zu wissen. Und die Frage, die wir stellen müssen, lautet: Was genau ist „Existenz“? Was ist die Eigenschaft, die wir durch dieses Wort ausdrücken? Ist „existieren“ einfach dasselbe wie „sein“ oder „ein Bestandteil des Universums sein“ oder ist es dies nicht? Und falls nicht, wie unterscheiden sie sich? Hinsichtlich dieser Frage habe ich sehr stark die Meinung vertreten, die auch viele andere geneigt waren zu vertreten, dass die Wörter „Sein“ und „Existenz“ für zwei vollkommen unterschiedliche Eigenschaften stehen und dass, obwohl alles, was existiert, auch „sein“ muss, doch viele Dinge, die „sind“, nichtsdestotrotz bestimmt nicht existieren. Tatsächlich habe ich diese Ansicht vertreten, als ich mit diesen Vorlesungen begonnen habe; und ich habe das gesamte Schema meiner Vorlesungen auf dieser Unterscheidung aufgebaut, indem ich sagte, dass ich mich zuerst mit der Frage, welche Arten von Dingen existieren, beschäftigen würde und dann als eine völlig unterschiedliche Sache mit der Frage, welche Arten von Dingen sind, aber nicht existieren. Aber dennoch bin ich geneigt

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anzunehmen, dass ich Unrecht hatte und dass es keine solche Unterscheidung zwischen „Sein“ und „Existenz“ gibt, so wie ich dachte. Es gibt natürlich eine Unterscheidung in der Verwendung, aber ich bin geneigt anzunehmen, dass diese Unterscheidung nur von derselben Art ist wie jene, die zwischen „Sein“ und „eine Tatsache sein“ besteht, wie ich es versucht habe zu erklären. Das heißt, wenn wir von etwas sagen, dass es existiert, wollen wir ihm keine andere Eigenschaft zuschreiben als jene von „Sein“; alles, was wir von ihm sagen möchten, ist einfach, dass es ist oder ein Bestandteil des Universums ist. Und die Unterscheidung in der Verwendung tritt nur auf, weil wir instinktiv dazu neigen, das Wort „Existenz“ nur zu verwenden, wenn wir diese Eigenschaft bestimmten Arten von Dingen zuschreiben wollen und nicht, wenn wir sie anderen Arten zuschreiben wollen, die sie auch tatsächlich haben und Bestandteile des Universums sind, genauso wie die ersteren. Aber wie ich bereits in dem anderen Fall anmerkte, denke ich nicht, dass die Frage, ob dies so ist oder nicht, wirklich von großer Bedeutung ist. Indem wir nur sagen, dass es eine Klasse von Dingen gibt, bei denen wir dazu neigen, das Wort „Existenz“ zu beschränken, sagen wir natürlich, dass diese Dinge eine gemeinsame Eigenschaft haben, die von anderen Bestandteilen des Universums nicht geteilt wird. Und natürlich kann man sagen, falls man dies möchte (obwohl ich nicht denke, dass es streng genommen zutrifft), wenn wir von etwas sagen, es existiert, dass wir von ihm zwei Dinge auf einmal sagen wollen: (1) dass es ist oder ein Bestandteil des Universums ist und (2) dass es eine spezielle Eigenschaft hat, die nicht zu allen Bestandteilen des Universums gehört. Es ist wichtig, so klar und deutlich wie möglich zu erkennen, dass es solch eine Eigenschaft gibt und was sie ist; dass es eine Klasse von Dingen im Universum gibt, von denen wir ausschließlich sagen, dass sie existieren, und wie sich diese Klasse von Dingen von anderen Klassen von Dingen unterscheidet, die ganz genauso zum Universum gehören und Bestandteile von ihm sind, obwohl wir von ihnen nicht sagen sollten, dass sie „existieren“. Die beste Art, dies zu tun, ist hervorzuheben, welches die Klassen von Dingen im Universum sind, von denen wir nicht völlig natürlich sagen können, dass sie „existieren“. Soweit ich sehen kann, können wir diese in zwei Klassen einteilen. Die erste ist einfach die Klasse der Dinge, die ich „Tatsachen“ genannt habe. Es ist im höchsten Maße ungebräuchlich zu sagen, dass sie existieren. Niemand würde z.€B. daran denken zu sagen, dass die Tatsache, dass Löwen existieren, selbst existiert oder dass die Tatsache, dass zwei mal zwei vier ist, existiert. Daher neigen wir gewiss dazu, das Wort

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„Existenz“ nur bei anderen Bestandteilen des Universums als den Tatsachen anzuwenden. Aber es scheint auch eine andere Klasse von Dingen zu geben, die wirklich Bestandteile des Universums sind und in deren Fall es auch unnatürlich, obwohl vielleicht nicht ganz so unnatürlich, ist zu sagen, dass sie „existieren“. Die Klasse der Dinge, die ich meine, ist jene, die Locke, Berkeley und Hume als „allgemeine Ideen“ oder „abstrakte Ideen“ bezeichnet haben und die ebenso oft von anderen englischen Philosophen so bezeichnet worden sind. Dies ist, denke ich, ihr bekanntester Name. Um ganz deutlich zu erklären, was die Unterscheidung ist, die mir eine Unterscheidung zwischen „Sein“ und „existieren“ zu rechtfertigen scheint, ist es unbedingt notwendig, das Wesen von „allgemeinen“ oder „abstrakten“ Ideen zu besprechen. Und dies ist, denke ich, ein Thema, das sehr lohnt, auch um seinetwillen besprochen zu werden. Aber Fragen nach dem Wesens der allgemeinen Ideen haben tatsächlich eine ungeheuer große Rolle in der Philosophie gespielt. Es gibt einige Philosophen, die behaupten, dass es so etwas überhaupt nicht gäbe, dass allgemeine Ideen reine Fiktionen wie Chimären und Greife sind. Berkeley und Hume sagten dies zum Beispiel. Aber die Mehrzahl der Philosophen würde, denke ich, sagen, dass es so etwas gibt; und falls es so etwas gibt, besteht kein Zweifel daran, dass sie eine der wichtigsten Klassen von Dingen im Universum darstellen. Falls es sie überhaupt gibt, so gibt es eine enorme Anzahl von ihnen, und wir alle sprechen und denken fortwährend über bzw. an sie. Aber die Frage, was sie sind, falls es solche Dinge gibt, scheint mir eine der kompliziertesten Fragen in der Philosophie zu sein. Viele Philosophen sprechen fortwährend über sie, aber soweit ich weiß, gibt es keine vollkommen eindeutige Beschreibung, was eine allgemeine Idee ist und wie sie sich genau von anderen Bestandteilen des Universums unterscheidet. Daher möchte ich, so gut ich kann, zeigen, dass es allgemeine Ideen gibt und welche Eigenschaften sie haben, die sie von anderen Dingen unterscheiden. Aber das Thema scheint, wie ich sagte, äußerst verwirrend zu sein: Zunächst einmal scheint es eine große Zahl von verschiedenen Arten allgemeiner Ideen zu geben, und es ist sehr schwierig zu erkennen, was sie gemein haben. Daher nehme ich nicht an, dass ich das Thema wirklich deutlich darlegen kann, aber ich werde mein Bestes tun. Der erste Punkt, über den man sich im Klaren sein muss, besteht darin, dass die Bezeichnung „allgemeine Idee“ oder „abstrakte Idee“, wie die Bezeichnung „Idee“ im Allgemeinen, äußerst zweideutig ist: Sie kann für zwei völlig unterschiedliche Dinge stehen. Ich habe bereits mehrmals Gele-

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genheit gehabt, auf diese Zweideutigkeit in dem Wort „Idee“ hinzuweisen, aber es erscheint als etwas, das einige Personen schwierig finden zu begreifen. Betrachten wir ein Beispiel. Jeder würde zustimmen, dass die Zahl 2 oder irgendeine andere Zahl eine abstrakte Idee ist, falls es irgendetwas ist. Aber wenn ich oder jemand anderes an die Zahl 2 denkt, sind zwei völlig verschiedene Dinge beteiligt, von denen beide „Idee“ genannt werden können. Zuerst gibt es meinen mentalen Akt, den Akt, der darin besteht, dass man an die Zahl 2 denkt, ihrer bewusst ist oder sie wahrnimmt; und dieser mentale Akt selbst kann „eine Idee“ genannt werden. Und wenn wir das Wort in diesem Sinn verwenden, dann sind Ideen Dinge, die nur im Bewusstsein sein können: Sie sind eine andere Bezeichnung für Bewusstseinsakte. Der mentale Akt, den ich ausführe, wenn ich an die Zahl 2 denke, ist in diesem Sinn „eine Idee“; es ist meine Idee und gehört ausschließlich zu mir. Aber offensichtlich gehört die Zahl 2 selbst nicht ausschließlich zu mir; in diesem Sinn ist es keine Idee von mir. Sodass wir erkennen müssen, dass das Ding, an das gedacht wird – die Zahl 2 selbst – das Objekt meines Akts des Wahrnehmens – das, was ich wahrnehme –, sich von meinem mentalen Akt vollkommen unterscheidet: Und dies wird oft eine „Idee“ genannt. Wenn wir das Wort „Idee“ in diesem Sinn verwenden, dann ist eine „Idee“ offensichtlich ein Ding, das sehr wohl sein kann, ohne in einem Bewusstsein zu sein. Es mag zwei Dinge geben und es können wirklich zwei sein, selbst wenn niemand an sie denkt oder an die Tatsache, dass es zwei sind. Daher möchte ich es deutlich machen, dass ich, wenn ich von „allgemeinen Ideen“ spreche, nicht Akte des Wahrnehmens, sondern die erfassten Dinge meine – nicht meinen Akt des Wahrnehmens der Zahl 2, sondern die Zahl 2 selbst, die das ist, was ich erfasse. Bezüglich des Akts des Wahrnehmens, des mentalen Akts, möchte ich nicht auch nur für einen Moment unterstellen, dass er nicht existiert. Ich selbst glaube, dass er es tut, obwohl viele Leute dies anzweifeln würden. Es ist nur hinsichtlich des erfassten Objekts, dass ich behaupten möchte, dass es nicht „existiert“. Das erfasste Objekt, nicht der Akt des Wahrnehmens ist es nun, was wir besprechen werden. Und um eine Verwechslung zwischen den beiden zu vermeiden, sollte ich besser die Bezeichnung „allgemeine Idee“ oder „abstrakte Idee“ überhaupt nicht verwenden. Ich werde stattdessen eine Bezeichnung verwenden, die oft für diese Art von Objekten gebraucht wird, obwohl sie nicht so geläufig ist: Ich werde sie „Universalien“ nennen. Ich möchte nun hervorheben, welche Art von Dingen „Universalien“ sind, und dass es solche Dinge gibt – dass sie nicht reine Fiktionen wie Chimären und Greife sind.

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Und ich werde mit einem Beispiel beginnen, das in mancher Hinsicht vielleicht nicht so einfach ist, aber das ich nehmen möchte, weil es einen Punkt hervorhebt, der bald wichtig sein wird. Wenn ich meine beiden Hände anschaue, erfasse ich direkt zwei Gruppen von Sinnesdaten, zwei Stellen mit der Farbe der Haut, mit einer Art von Form, die Ihnen allen vertraut ist, die sich in einer gewissen Entfernung voneinander befinden. Die Entfernung ist, wie Sie sehen, nicht groß, deshalb werden wir sagen, sie sind nah beieinander. Und der Einfachheit halber werde ich von diesen zwei Stellen mit der Farbe der Haut als meinen Händen sprechen, obwohl es Grund gibt, wie wir gesehen haben, anzunehmen, dass diese zwei Stellen tatsächlich nicht meine Hände oder ein Teil von ihnen sind. Wenn ich daher von meinen Händen spreche, so verstehen Sie bitte, dass ich ausschließlich von diesen zwei farbigen Stellen spreche, die ich direkt erfasse. Ich möchte nicht voraussetzen, dass ich überhaupt Hände im üblichen Wortsinn habe. Ich möchte ausschließlich von Dingen sprechen, die zweifelsohne sind; daher möchte ich nur von diesen Sinnesdaten sprechen, die ich direkt erfasse und der Einfachheit halber werde ich sie „meine Hände“ nennen. Es ist nun eine Tatsache in meinem Wortsinn, dass diese Hand – diese farbige Stelle – sich in diesem Moment in einer gewissen Entfernung (eine Entfernung, die wir „nah“ nennen werden) von dieser anderen Hand – dieser anderen farbigen Stelle – befindet. Es ist eine Tatsache, dass diese rechte Hand jetzt nahe bei dieser linken Hand ist. Aber es scheint möglich zu sein, diese Tatsache in die folgenden Bestandteile aufzulösen. Wenn ich sage, dass sie in sie aufgelöst werden kann, will ich nicht sagen, dass sie nichts anderes als die Summe ihrer Bestandteile ist: Ich denke, dass es dies nicht ist –sie ist nicht nur identisch mit der Summe ihrer Bestandteile; ich will nur sagen, dass die entsprechenden Bestandteile Teile oder Bestandteile von ihr sind – dass sie in ihr enthalten sind. Die Bestandteile, die ich meine, lauten wie folgt. Diese rechte Hand – dieses Sinnesdatum – ist eines von ihnen und das andere ist das, was wir von diesem Sinnesdatum feststellen, die Eigenschaft, die wir ihm zuschreiben – nämlich die Eigenschaft, nahe bei der linken Hand zu sein. Die Tatsache ist, dass die rechte Hand nahe bei der linken ist: Und wir können dies auflösen in (1) die rechte Hand selbst – das ist eine Sache, die zu der Bildung der Tatsache beiträgt – und (2) was von der rechten Hand festgestellt wird – nämlich die Eigenschaft, jetzt nahe bei der linken zu sein. Dieser zweite Bestandteil – die Eigenschaft, nahe bei der linken Hand zu sein – ist eine Universalie und eine der unzweifelhaftesten Beispiele einer Universalie. Sie sehen, warum es „Universalie“ genannt werden sollte. Es wird so genannt, weil es eine Eigenschaft

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ist, die dieser Hand und anderen Dingen gemein sein kann (und ist). Andere Dinge können tatsächlich auch die Eigenschaft teilen, nahe bei dieser Hand zu sein, und andere Dinge tun dies: Diese weiße Stelle, die ich sehe, wenn ich das Stück Papier anschaue, ist auch nahe bei dieser Hand und ebenso die farbige Stelle, die ich sehe, wenn ich das Pult anschaue. Alle diese drei Dinge haben die gemeinsame Eigenschaft, nahe bei dieser Hand zu sein. Sie sind all nahe bei ihr in genau demselben Sinn, obwohl natürlich jedes von ihnen auch Beziehungen zu ihr hat, die die anderen nicht haben. Und diese Eigenschaft, nahe bei dieser farbigen Stelle zu sein, in dem Sinn, in dem es dem Sinnesdatum meiner rechten Hand, dem Sinnesdatum des Pults und dem Sinnesdatum des Papiers gemein ist, ist wirklich das, was für gewöhnlich als „allgemeine“ oder „abstrakte Idee“ bezeichnet wird. Die Beziehung, die ich mit „nahe sein“ meine, ist gewiss nicht mit dem Raum identisch, den ich zwischen dieser und jener Hand oder zwischen der Hand und dem Pult oder der Hand und dem Papier sehe. Alle diese Räume sind verschieden. Aber das, was ich mit „nahe sein“ meine, ist etwas, das in allen drei Fällen wirklich identisch ist. Daher haben wir mit dieser Eigenschaft, nahe dieses Sinnesdatums zu sein, ein wirkliches Beispiel einer „Universalie“ oder abstrakten Idee. Und der Grund, warum ich dieses Beispiel gewählt habe, ist, weil es mir in diesem Fall scheint, dass die Universalie offensichtlich darin besteht, eine Beziehung zu etwas zu haben, das keine Universalie ist. Diese farbige Stelle, die ich tatsächlich sehe, ist offensichtlich keine Universalie oder abstrakte Idee, nichts könnte partikulärer sein. Aber die Universalie besteht darin, eine Beziehung – die Beziehung von Nähe – zu genau dieser farbigen Stelle zu haben: Die Eigenschaft, nahe bei dieser farbigen Stelle zu sein, ist wirklich eine Eigenschaft, die ist und gemeinsam von mehreren unterschiedlichen Dingen geteilt werden kann. Wir haben nun eine Sorte von Universalie, die darin besteht, eine identische Beziehung zu etwas zu haben, das keine Universalie ist. Aber wenn wir die folgenden Tatsachen betrachten, erhalten wir ein Beispiel einer anderen Art von Universalien. Meine linke Hand hier ist nicht die einzige linke Hand im Universum: Es gibt eine Vielzahl anderer linker Hände und es kann sogar andere Sinnesdaten geben, jenen ähnlich, die ich jetzt direkt erfasse. Aber in demselben Sinn, in dem diese Dinge hier nahe bei meiner linken Hand sind, können andere Dinge nahe bei den linken Händen von anderen Leuten sein. Sodass es solch eine Eigenschaft gibt wie jene, nahe bei dieser oder jenen linken Hand zu sein. Dies ist eine Eigenschaft, die diese Dinge hier mit all den Dingen teilen, die nahe bei der linken Hand einer anderen Person

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sind. Alle von ihnen sind nahe bei dieser oder jener linken Hand. Auch diese Eigenschaft ist daher eine Universalie und es ist offensichtlich eine andere Art als die erste, die wir betrachteten. Diese Eigenschaft besteht nicht darin, eine spezielle Beziehung zu einem Ding zu haben, das keine Universalie ist, sondern eine spezielle Beziehung zu diesem oder jenem aus einer Gruppe von Dingen zu haben, die keine Universalien sind. Und Universalien dieser Art sind Universalien, an die wir fortwährend denken und über die wir sprechen. Viele der gebräuchlichsten Wörter sind Bezeichnungen für sie. Wenn wir z.€B. von einem Menschen sagen, dass er ein Vater ist, besteht das, was wir meinen, darin, dass er eine Vaterschaftsbeziehung zu diesem oder jenem Menschen hat: Dies ist die Eigenschaft, die von allen Vätern geteilt wird; und offensichtlich sind eine Vielzahl der gebräuchlichsten Wörter Bezeichnungen für UniÂ�versalien dieser Art – Universalien, die darin bestehen, eine bestimmte Beziehung zu diesem oder jenem aus einer Gruppe von Dingen zu haben, die keine Universalien sind. Daher haben wir Beispiele für zwei verschiedene Arten von Universalien: (1) die Universalie, die darin besteht, nahe bei dieser Hand von mir zu sein, und (2) die Universalie, die darin besteht, nahe bei dieser oder jener Hand zu sein. Es könnte angenommen werden, dass es überhaupt keinen Zweifel geben kann, dass es solche Dinge wie diese beiden Universalien gibt. Es gibt gewiss, so würde es scheinen, etwas wie die Eigenschaft, nahe bei dieser Hand zu sein, und auch etwas wie die Eigenschaft, nahe bei dieser oder jener Hand zu sein. Aber um zu sehen, warum es darüber Zweifel gegeben hat, müssen wir eine vollkommen andere Art von Universalie betrachten, die als ein Bestandteil in diesen beiden beinhaltet ist. Diese beiden Eigenschaften haben als einen Bestandteil eine Beziehung – die Beziehung, die ich „nahe sein“ genannt habe. Die meisten Leute würden sagen, dass diese Beziehung selbst eine „Universalie“ ist: Sie ist gewiss eine „allgemeine Idee“. Wenn diese Beziehung keine Universalie in zumindest einem Sinn des Worts wäre, so könnte es tatsächlich auch keine dieser beiden Eigenschaften sein. Und in diesem Fall wird es mir möglich sein zu zeigen, warum Berkeley und Hume dachten, dass es keine solchen Dinge wie Universalien gäbe, und auch mehrere andere Punkte, bei denen es sehr wichtig ist, sie zu beachten, wenn wir uns über das Wesens von Universalien wirklich im Klaren sein wollen.

Kapitel 17 Wahrheiten und Universalien

I

ch habe gesagt, dass einige Leute geneigt sind, eine Unterscheidung zwischen „Sein“ und „Existenz“ in der folgenden Weise zu treffen. Sie behaupten, dass es im Universum eine ungeheuer große Anzahl von Dingen gibt, die zweifelsohne sind – zweifelsohne Sein haben – und die doch nicht existieren. Und ich habe versucht, genau zu erklären, was mir diese Aussage zu rechtfertigen scheint. Ich habe gesagt, dass ich annehme, es gibt zwei Arten von Dingen, bei denen mit einiger Plausibilität vorgebracht werden kann, dass sie sind und doch nicht existieren. Und ich habe versucht zu erklären, welche beiden Arten von Dingen dies sind. Die erste Klasse von Dingen war jene, welche ich das letzte Mal als „Tatsachen“ oder „Wahrheiten“ bezeichnet habe. Und ich bin sehr bemüht, es ganz deutlich zu machen, welche Art von Dingen ich mit „Tatsachen“ oder „Wahrheiten“ meine. Ich gebe zu, dass das Wort „Tatsachen“ keineswegs immer und ausschließlich auf Dinge jener Art angewendet wird, die ich meine oder was als solches angenommen wird. „Tatsachen“ ist ein sehr mehrdeutiges Wort, obwohl es fortwährend so verwendet wird, als wäre es eindeutig. Es wird oftmals einzig und allein als eine Bezeichnung für die Klasse von Dingen verwendet, die ich meine, aber es wird auch oftmals in einem weiter gefassten und in einem enger gefassten Sinn verwendet. Das heißt, es wird oftmals als eine Bezeichnung für Arten von Dingen verwendet, die nicht zu der Klasse gehören, die ich meine, und auch oftmals als eine Bezeichnung für nur einige der Dinge, die zu der Klasse gehören, die ich meine. Daher ist es vielleicht besser, wenn ich diese mehrdeutige Bezeichnung „Tatsachen“ nicht verwende, sondern stattdessen die Bezeichnung „Wahrheiten“. Hinsichtlich der Bezeichnung „Wahrheiten“ gibt es, denke ich, nur eine Mehrdeutigkeit jener Art wie im Fall der Bezeichnung „Tatsachen“. Die Bezeichnung „Wahrheiten“ ist nicht zu eng gefasst, denn wirklich alles, was zu der Klasse, die ich meine, gehört, kann völlig natürlich als eine „Wahrheit“ bezeichnet werden, und die Bezeichnung ist auch nicht zu weit gefasst – mit einer einzigen Ausnahme –, da es völlig unnatürlich ist, etwas außer den Dingen, die zu der Klasse gehören, die ich meine, als „Wahrheit“ zu bezeichnen – mit einer einzigen Ausnahme. Diese Ausnahme lautet

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wie folgt: Wir können die Bezeichnung „eine Wahrheit“ vielleicht nicht nur auf Dinge der Klasse, die ich meine, anwenden, sondern auch auf Formen der Wörter, durch die wir sie ausdrücken. Wenn wir z.€B. sagen, „es stellt eine Wahrheit dar, dass zwei mal zwei vier ist“, können wir entweder meinen, dass „die Form der Wörter – der Satz – ,zwei mal zwei ist vier‘ eine Wahrheit darstellt“, oder wir können meinen, dass die Tatsache, die sie ausdrücken – die Tatsache, dass zwei mal zwei vier ist – eine Wahrheit darstellt. Es besteht immer die Gefahr, die Wörter mit dem, was sie ausdrücken, zu verwechseln. Aber diese Zweideutigkeit, die dem Ausdruck „eine Wahrheit“ anhaftet (wenn sie ihm anhaftet) ist nicht so gefährlich – sodass sie zu Missverständnissen führen muss – wie die Mehrdeutigkeit, die dem Ausdruck „eine Tatsache“ anhaftet. Es wird vergleichsweise einfach sein, sich daran zu erinnern, wenn ich von einer „Wahrheit“ spreche; ich meine niemals nur die Form der Wörter, sondern immer nur die Art des Dings, das bestimmte Formen von Wörtern ausdrücken. Aber nichtsdestotrotz muss der Ausdruck „Wahrheiten“ auf eine andere Weise zu Missverständnissen führen. Es gibt zwei verschiedene Dinge, andere als bloße Formen von Wörtern, mit denen Wahrheiten verwechselt werden können: (1) wahre Glaubensakte und (2) die Art von Ding, die, wie ich sagte, einige Leute „Propositionen“ nennen und die sehr oft auch „Annahmen“ genannt werden. Der Unterschied zwischen diesen drei Arten – (1) eine Wahrheit, (2) ein wahrer Glaubensakt und (3) eine Proposition – kann leicht auf folgende Weise dargestellt werden. Nehmen wir irgendeinen Glaubensakt. Nehmen wir z.€B. an, man sieht einen Baum aus der Entfernung und nimmt an, dass es eine Eiche ist. Wir alle wissen sehr wohl, was für eine Art von Ding dieser Glaubensakt ist – die Annahme, dass ein gegebener Baum, den wir sehen, eine Eiche ist. Es ist die Art von Ding, die fortwährend im Bewusstsein von uns allen auftritt und mit der wir vollkommen vertraut sind, obwohl sie äußerst schwierig zu analysieren ist. Und wir wissen, dass dieser Glaubensakt auftreten kann und in seinem inneren Wesen genauso sein kann – ob der Baum, den wir tatsächlich sehen, eine Eiche ist oder nicht. Wir wissen alle, dass es möglich ist, sich hinsichtlich dessen zu irren: Wir können in beiden Fällen annehmen, dass ein Baum eine Eiche ist; wenn er tatsächlich eine Eiche ist oder wenn er es nicht ist. Und welcher Fall auch immer eintritt, unsere Annahme wird in ihrem Wesen genau dieselbe sein. Und damit erhalten wir die erste Unterscheidung: die Unterscheidung zwischen einer Wahrheit und einem wahren Glaubensakt. Wir haben gesehen, dass der Glaubensakt etwas ist, dass auftreten kann und in beiden Fällen genau derselbe sein kann – wenn der Baum eine Eiche ist

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und wenn er keine ist. Aber dies zeigt, dass es, wenn die Annahme wahr ist, im Universum neben der Annahme etwas anderes gibt, das sich vollkommen davon unterscheidet – die Tatsache nämlich, dass der Baum eine Eiche ist. Diese Tatsache, die im Universum ist, wenn die Annahme wahr ist, und nicht ist, wenn die Annahme falsch ist, ist das, was wir eine „Wahrheit“ nennen. Und es ist offensichtlich etwas vollkommen anderes als der wahre Glaubensakt, da der Glaubensakt im Universum sein kann und in seinem Wesen genau derselbe ist, selbst wenn diese „Wahrheit“ einfach nicht ist – wenn der Baum tatsächlich keine Eiche ist. Daher kann eine Wahrheit nicht mit einem wahren Glaubensakt gleichgesetzt werden. Und dasselbe Beispiel zeigt uns auch den Unterschied zwischen einer Wahrheit und einer Proposition. Jene, die annehmen, dass es so etwas wie Propositionen gibt, argumentieren wie folgt. Sie sagen: Wenn ich annehme, dass ein gegebener Baum, den ich sehe, eine Eiche ist, kann das ganze mentale Ereignis, das dann auftritt, in folgender Weise analysiert werden. Das ganze mentale Ereignis ähnelt einfach anderen Glaubensakten in Hinblick auf die Tatsache, dass es ein Glaubensakt ist. Aber, so sagen sie, ist es auch nicht weniger offensichtlich, dass er sich von ihnen in Hinblick auf die Tatsache unterscheidet, dass das, was in ihr angenommen wird, verschieden ist. Anzunehmen, dass ein gegebener Baum eine Eiche ist, ist offensichtlich etwas anderes als anzunehmen, wie wir es bei anderen Gelegenheiten tun, dass ein gegebener Baum eine Esche ist: Der Unterschied ist, sagen sie, dass, während beides Glaubensakte sind, das, was in einem Fall angenommen wird, darin besteht, dass der Baum eine Eiche ist, während das, was im anderen Fall angenommen wird, darin besteht, dass der Baum eine Esche ist. Daher schlagen sie im Fall dieser beiden Annahmen vor, zwischen dem Element, hinsichtlich dessen sie beide gleich sind, dem Element, das wir durch die Aussage ausdrücken, dass sie beide Glaubensakte sind, und dem Element, hinsichtlich dessen sie sich unterscheiden, zu unterscheiden und zu sagen, dass diese letzteren Elemente in einem Fall die Proposition ist, dass der Baum eine Eiche ist, und im anderen die Proposition, dass er eine Esche ist. Aber es ist vollkommen offensichtlich, dass wir, wenn wir uns diese Analyse aneignen, sagen müssen, dass die Proposition, dass der Baum eine Eiche ist, etwas ist, das gleichermaßen ist, ob die Annahme wahr oder falsch ist. Denn die Annahme, dass ein Baum eine Eiche ist, unterscheidet sich genauso und in genau derselben Weise von der Annahme, dass ein Baum eine Esche ist, ob dies wahr oder falsch ist. Wenn wir daher das Element als „Proposition“ bezeichnen, das die beiden Annahmen unterscheidet, so müssen wir sagen, dass die Proposition ist und es sie im Universum gibt,

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gleichgültig ob die Annahme wahr oder falsch ist. Aber wie wir gesehen haben, ist die „Wahrheit“ oder „Tatsache“, dass der Baum eine Eiche ist, etwas, das nur ist, wenn die Annahme wahr ist. Und folglich ist es eindeutig, dass diese „Wahrheit“ etwas ganz anderes als die Proposition ist, genauso wie sie sich von dem Glaubensakt unterscheidet. Wann immer ein Glaubensakt auftritt, ist auch die Proposition und es gibt sie im Universum; aber Glaubensakt und Proposition können auftreten, ohne dass es solch eine Wahrheit oder Tatsache im Universum gibt, wie dass der Baum eine Eiche ist. Dies erscheint mir alles völlig einleuchtend, sobald man es ausspricht: Es ist der reine gesunde Menschenverstand, wenn man sagt, die Tatsache, dass der Baum eine Eiche ist, ist etwas völlig anderes als die Annahme, dass er eine Eiche ist, und sie unterscheidet sich auch von dem, was ich annehme, wenn ich glaube, dass es eine Eiche ist, wenn wir mit „was ich glaube“ etwas meinen, das es im Universum gibt, gleichgültig ob die Annahme wahr oder falsch ist. Und doch denke ich, dass diese drei unterschiedlichen Dinge häufig verwechselt werden. Wie ich gesagt habe, glaube ich nicht, dass es so etwas wie Propositionen überhaupt gibt: Ich glaube nicht, dass Annahmen auf diese Weise in den Glaubensakt einerseits und die Proposition, die angenommen wird, andererseits zerlegt werden können. Es könnte angenommen werden, dass es, wenn es so etwas wie Propositionen nicht gibt, unmöglich sein muss, sie mit etwas zu verwechseln. Aber die Tatsache, dass ein Ding imaginär ist, hindert uns, wie wir gesehen haben, nicht daran, an es zu denken; und tatsächlich können wir nicht anders, als fortwährend an imaginäre Dinge zu denken und von ihnen zu sprechen. Und so ist es sehr leicht, „Wahrheiten“ mit diesen imaginären Dingen, „Propositionen“ genannt, trotz der Tatsache zu verwechseln, dass Letztere imaginär sind. Daher ist die Erkenntnis lohnenswert, dass „Wahrheiten“, ob es so etwas wie Propositionen gibt oder nicht, sich in jedem Fall völlig von ihnen unterscheiden. Als eine „Wahrheit“ bezeichne ich daher etwas, das weder ein wahrer Glaubensakt noch eine wahre Proposition (angenommen, es gibt so etwas) ist. Es ist etwas, das mit beiden korrespondiert, aber mit keinem identisch ist. Und um jede Gefahr zu vermeiden, sie mit einem von beiden gleichzusetzen, bezeichnet man Wahrheiten eher als „Tatsachen“ denn als „Wahrheiten“. Ich weiß wirklich nicht, welches der bessere Name ist: Jeder Name kann zu Missverständnissen führen, die die Verwendung des jeweils anderen verhindern kann. Wir haben nun gesehen, dass die Art von Dingen, die ich mit „Wahrheiten“ oder „Tatsachen“ bezeichne, sich von wahren Glaubensakten, „wahren Propositionen“ und wahren Sätzen oder Formen von Wörtern völlig

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unterscheidet. Aber wir haben noch nicht gesehen, wie sie sich von allen anderen Arten von Dingen im Universum unterscheiden. Es kann gefragt werden: Was ist die Eigenschaft, die allen Wahrheiten gemeinsam ist, und die von nichts anderem geteilt wird, das keine Wahrheit ist? Wie sollen wir die Art von Dingen, die man mit einer „Wahrheit“ meint, von allen anderen Arten von Dingen unterscheiden, die keine Wahrheit sind? Ich muss gestehen, dass ich nicht weiß, wie die Eigenschaft, die ausschließlich zu Wahrheiten gehört, zu beschreiben ist: Es scheint mir nur eine Eigenschaft zu sein, die hervorgehoben und erkannt werden kann, aber ich weiß nicht, wie sie analysiert werden kann, wenn sie analysiert werden kann. Ein ähnlicher Fall scheint mir jener zu sein, wenn man fragen würde, was „eine Farbe“ ist. Jeder von uns, der nicht blind ist, weiß ganz genau, was eine Farbe ist, und wir können bei allem, was wir vor unserem geistigen Auge haben können, mit Leichtigkeit sagen, ob es eine Farbe ist oder nicht. Dennoch ist es, wie wir sehen werden, äußerst schwierig zu definieren, was damit gemeint ist, „eine Farbe zu sein“ – zu erklären, welche Eigenschaft es ist, die ausschließlich zu Farben gehört. Und ebenso verhält es sich mit „Wahrheiten“: Es ist sehr einfach zu sagen, ob ein gegebenes Ding in dem dargelegten Sinn eine „Wahrheit“ sein würde oder nicht, angenommen, es hätte überhaupt Sein und wäre nicht rein imaginär; aber es ist keineswegs einfach, die Eigenschaft zu definieren, die allen Wahrheiten gemeinsam ist. Eine Weise, darzustellen, was die Eigenschaft ist, besteht in der Aussage, dass eine Wahrheit eine Art von Ding ist, die durch einen Satz ausgedrückt wird. Zum Beispiel bilden die Worte „der Baum, den ich sehe, ist eine Eiche“ das, was in der Grammatik als ein Satz bezeichnet wird. Und wenn dieser Satz wahr ist, dann ist das, was er ausdrückt, eine Wahrheit oder Tatsache: nämlich die Wahrheit oder Tatsache, dass der entsprechende Baum eine Eiche ist. Die Wörter „der Baum, den ich sehe“ bilden selbst keinen Satz, und das, was sie ausdrücken, ist daher keine Tatsache oder Wahrheit. Ich meine diese Art von Unterschied – der Unterschied, den es zwischen einem Baum und der Tatsache gibt, dass er eine Eiche ist –, die zwischen Dingen, die keine Wahrheiten sind, und Dingen, die es sind, besteht. Und gewiss ist es sehr leicht zu erkennen, dass diese beiden Dinge sich völlig voneinander unterscheiden. Der Baum selbst ist und existiert zweifelsohne, und ich gebe zu, dass er als eine „Tatsache“ bezeichnet werden könnte, aber niemand würde daran denken, einen Baum als eine „Wahrheit“ zu bezeichnen, während man die Tatsache, dass er eine Eiche ist, als Wahrheit bezeichnen könnte; und dieser Unterschied in der Sprache zeigt den Unterschied auf, den ich meine. Anders gesagt, der gram-

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matische Unterschied zwischen Sätzen, die eine Wahrheit ausdrücken, einerseits und Wörtern, die keine Sätze bilden, andererseits scheint mir einem Unterschied im Wesen der ausgedrückten Dinge zu entsprechen. Und dieser Unterschied im Wesen der ausgedrückten Dinge besteht und man kann ihn leicht erkennen, und obwohl ich ihn nicht definieren kann, gibt es den Unterschied, den ich meine, den zwischen Dingen, die Wahrheiten sind, und Dingen, die keine sind. Eine andere Art, um den Unterschied darzustellen, besteht, wie ich das letzte Mal sagte, in der Aussage, dass Wahrheiten Arten von Dingen sind, die mit wahren Annahmen korrespondieren, dass nichts außer Wahrheiten mit wahren Annahmen korrespondieren können. Gewiss ist es deutlich, dass, wenn ich glaube, dass der Baum, den ich sehe, eine Eiche ist, die ganze Tatsache, dass es eine Eiche ist, mit dieser Annahme in einem Sinn korrespondiert, in dem weder der Baum selbst noch das, was ich mit den Worten „ist eine Eiche“ meine, mit ihr korrespondieren. Und gewiss ist es auch deutlich, dass der Baum selbst und das, was ich mit den Wörtern „ist eine Eiche“ ausdrücke, in diesem Sinn mit überhaupt keiner Annahme korrespondieren können. „Ich kann nicht glauben, dass der Baum, den ich sehe“ – diese Wörter selbst drücken überhaupt nichts aus; eine solche Annahme kann es nicht geben. Und dasselbe gilt für „ich kann nicht glauben, das ist eine Eiche“ – diese Wörter sind Unsinn, wenn das Wort „dass“ nicht als Demonstrativpronomen, sondern als Konjunktion verwendet wird33; und eine solche Annahme kann es auch nicht geben. Aber wenn ich den Baum und die Eigenschaft, eine Eiche zu sein, zusammenfüge, ändert sich alles. Ich kann glauben, dass der Baum die Eigenschaft hat, eine Eiche zu sein; und es kann eine Wahrheit sein, dass der Baum diese Eigenschaft hat. Dass der Baum eine Eiche ist, kann eine Wahrheit sein und mit einer Annahme korrespondieren, während der Baum allein und die Eigenschaft, eine Eiche zu sein, allein keine „Wahrheiten“ sein können und auch nicht mit einer Annahme korrespondieren können, wir real sie auch sein mögen. Ich kann mich vielleicht irren, wenn ich diese ungeheuer große Klasse von Dingen, die ich „Wahrheiten“ nenne, anerkenne und annehme, dass es einen Unterschied zwischen ihnen und den anderen Bestandteilen des Universums gibt – eine Eigenschaft, die zu ihnen allen gehört und zu keinem andern Bestandteil des Universums. Möglicherweise gibt es solche Dinge überhaupt nicht. Viele Philosophen scheinen sie nicht anzuerkennen. Aber 33

Im Engl. that (Konjunktion „dass“ bzw. Relativpronomen 3. Person Singular „der/die/ das“); im Deutschen ist der dargestellte Unterschied nur in der optischen Wahrnehmung vorhanden. [Anm. d. Übers.]

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ich denke, wir haben keine andere Wahl, als fortwährend so zu sprechen, als ob es solche Dinge gäbe. Und ich meinerseits muss erstens einfach annehmen, dass es solche Dinge wie wahre Annahmen gibt; und zweitens, wann immer ich eine wahre Annahme betrachte, gleichgültig welches Wesen diese Annahme hat, muss ich einfach annehmen, dass es im Universum immer eines dieser seltsamen Dinge, die ich „Wahrheiten“ nenne, gibt, die mit ihr korrespondieren. Es gibt einen weiteren Punkt bezüglich „Wahrheiten“, der hoffentlich nicht missverstanden wird. Wenn ich sage, dass eine Wahrheit etwas ist, das mit einer wahren Annahme korrespondiert, so hoffe ich, dass niemand mich so versteht, dass es zu jeder Wahrheit tatsächlich eine korrespondierende wahre Annahme gibt. Ganz im Gegenteil, soweit ich es beurteilen kann, ist die Anzahl der Wahrheiten im Universum um ein Vielfaches größer als die Anzahl der wahren Annahmen. Wir alle sind mit der Vorstellung vertraut, dass es sehr viele Wahrheiten und Tatsachen gibt, die noch niemand jemals erkannt hat; so viele Wahrheiten, die noch niemand entdeckt hat. Und diese Vorstellung erscheint mir richtig zu sein, obwohl viele Philosophen es als ein Paradox ansehen. Natürlich stimmt es, dass es zu jeder Wahrheit eine korrespondierende wahre Annahme geben könnte: die Zahl möglicher wahrer Annahmen ist genau dieselbe wie die Zahl tatsächlicher Wahrheiten. Aber die meisten Menschen würden zugeben, dass keineswegs alle wahren Annahmen, die auftreten könnten, auch tatsächlich aufgetreten sind. Und somit ist die Zahl der Wahrheiten im Universum um ein Vielfaches größer als die Zahl tatsächlicher wahrer Annahmen. Daher bilden „Wahrheiten“ eine der beiden Klassen von Dingen, von denen in plausibler Weise behauptet werden kann, dass sie sind, aber nicht existieren. Der Grund, dies zu sagen, besteht nur darin, dass es eher ungebräuchlich ist zu sagen, „die Tatsache, dass zwei mal zwei vier ist“ existiert, oder zu sagen, „die Tatsache, dass Löwen existieren“ existiert selbst. Es ist ganz natürlich, von einem Löwen zu sagen, dass er existiert, aber es scheint ungebräuchlich, zu sagen, dass Existenz auch existiert, obwohl es gebräuchlich ist zu sagen, dass seine Existenz eine Tatsache oder eine Wahrheit ist. Welchen Schluss wir genau aus der Tatsache ziehen sollen, dass dies ungebräuchlich ist, werde ich bald betrachten. Zunächst möchte ich aber mit der Betrachtung der anderen Klasse von Dingen fortfahren, von denen in plausibler Weise behauptet werden kann, dass sie nicht existieren, obwohl sie zweifellos sind. Diese zweite Klasse von Dingen ist, so sagte ich, die Klasse von Dingen, die als „allgemeine Ideen“, „abstrakte Ideen“ oder „UniÂ�

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versalien“ bezeichnet werden; eine andere Bezeichnung ist „Konzept“ oder „Konzeption“. Man könnte sagen, dass das Wesen dieser Dinge selbst eines der Hauptprobleme der Philosophie darstellt, da ein Großteil philosophischer Diskussion ihnen gewidmet ist. Und ich werde veranschaulichen, was ich über die als „allgemeine Ideen“ oder „Universalien“ bezeichneten Dinge zu sagen habe, da ich das, worüber ich spreche, so klar wie möglich machen möchte und auch, dass ich über Dinge spreche, die wirklich sind. Das letzte Mal habe ich das Beispiel von mehreren Dingen angeführt, die sich alle in einer gewissen Entfernung zu einem bestimmten Ding befanden. Und nun werde ich dies mit Hilfe von diesen Kreidepunkten auf der Tafel veranschaulichen. Nehmen wir diese drei Punkte B, C, D und den vierten A. Ich habe festgestellt, dass die Eigenschaft, in einer gewissen Entfernung zu A zu sein – mit A räumlich in Beziehung zu stehen –, zu diesen anderen Dingen B, C und D gehört und eine „Universalie“ oder „allgemeine Idee“ ist, trotz der Tatsache, dass diese Eigenschaft darin besteht, eine Beziehung zu A zu haben, d.€h. zu etwas, das keine Universalie ist. Und ich stellte fest, dass wir, wenn wir dieses Beispiel betrachten, auch an eine andere Art von Universalie denken können. Dieser weiße Punkt A ist keineswegs die einzige weiße Stelle im Universum. Und genauso wie B, C und D nahe bei A sind, so können andere Dinge nahe bei anderen weißen Stellen sein. Aber alle Dinge, die überhaupt nahe bei einer weißen Stelle sind, haben die gemeinsame Eigenschaft, nahe bei dieser oder jener weißen Stelle zu sein. Dies ist eine Eigenschaft, die offenbar von einer Vielzahl von Stellen im Universum geteilt wird. Und ich habe gesagt, dass eine Vielzahl unserer gebräuchlichsten Wörter Bezeichnungen für Universalien dieser Art sind – Universalien, die darin bestehen, eine Beziehung zu dieser oder jener Gruppe von Dingen zu haben, die keine Universalien sind. Aber diese beiden Universalien setzen offenbar eine andere Universalie voraus, eine dritte Art – nämlich die Beziehung, „in einer Entfernung von€... zu sein“, und es ist das Wesen dieser Beziehung, das ich nun betrachten möchte. Sie alle können sehen, dass B, C und D sich in einer gewissen Entfernung zu A befinden: Jeder von ihnen hat in einer Hinsicht dieselbe Beziehung zu A – nämlich die Beziehung, sich in einer Entfernung von ihm zu befinden. Die Frage lautet nun: Was genau meinen wir damit? Trifft es zu, dass sie alle zu A genau dieselbe identische Beziehung haben? Gibt es eine allgemeine Beziehung, die „in einer Entfernung von€... sein“ genannt wird und allen

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drei Fällen gemeinsam ist? Und wenn dem so ist, was ist diese Beziehung? Versuchen wir die vorhandenen Tatsachen zu analysieren. Es ist offensichtlich, dass wir alle direkt einen Raum – eine Fläche – zwischen A und B erfassen, einen anderen zwischen A und C und einen anderen zwischen A und D. Und viele Menschen würden geneigt sein zu sagen, dass diese Räume, die wir tatsächlich sehen, selbst die Beziehungen zwischen diesen drei Beziehungspaaren sind – die Beziehung, an die wir denken, wenn wir sagen, dass B, C und D sich in einer gewissen Entfernung von A befinden. Aber es ist offensichtlich, dass jeder dieser Räume sich von den anderen Räumen unterscheidet: Der Raum zwischen A und B ist nicht mit dem zwischen A und C identisch, und keiner ist mit dem Raum zwischen A und D identisch. Zum einen sind sie wahrscheinlich in der Länge unterschiedlich, jeder von ihnen ist etwas länger oder etwas kürzer als die einer der beiden anderen; und selbst wenn zwei von ihnen die gleiche Länge haben sollten, so wären die beiden offensichtlich doch nicht identisch – sie würden nicht derselbe Raum sein, sondern nur gleich sein. Und dies ist der Grund, warum Berkeley und Hume bestritten haben, dass es solche Dinge wie allgemeine Ideen gibt. Sie sagten: Wenn man versucht an einen Raum zu denken, kann man nur an einem bestimmten Raum denken – einen Raum von einer bestimmten Länge und Breite sowie Form; es ist ganz unmöglich, an ein solches Ding wie Raum im Allgemeinen zu denken – ein Raum, der sich von anderen Räumen nicht unterscheidet; und so folgerten sie, dass es so etwas wie Raum im Allgemeinen nicht gibt. Und sie folgerten, dass das, was auf diese allgemeine Bezeichnung zutrifft, die Bezeichnung „ein Raum“, auch für alle anderen allgemeinen Bezeichnungen gilt: Dass alle allgemeinen Bezeichnungen tatsächlich nur Bezeichnungen für bestimmte Ideen sind, dass das, was wir in unserem Bewusstsein haben, wenn wir sie verwenden, und was wir mit ihnen ausdrücken, immer nur eine bestimmte Idee ist. Aber die erste und offensichtlichste Entgegnung darauf ist natürlich, dass es uns möglich ist zu denken, dass alle drei Räume Räume sind, und dass wir, wenn wir dies denken, nicht nur denken, dass dieser Raum dieser ist, dieser Raum dieser ist und dieser Raum dieser ist. Wir können gewiss denken und tun dies auch, dass sie sich alle in einem Merkmal ähneln; und das Merkmal, in dem sie sich gleichen, ist offenbar nicht mit irgendeinem von ihnen identisch, sondern ist etwas, das allen drei gemeinsam ist. Daher würde es scheinen, dass dieses Ding – das Merkmal, in dem alle unterschiedlichen Räume einander gleichen – eine allgemeine Idee oder Universalie ist und offenbar etwas, an das wir denken können. Und zumindest Hume musste zugeben, dass dies der Fall ist: Er gibt zu,

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dass wir uns dem Merkmal zuwenden können, in dem verschiedene einzelne Dinge sich gleichen. Und dieses Eingeständnis führt offenbar zur Verleugnung seiner ursprünglichen Lehre, dass es so etwas wie allgemeine Ideen nicht gibt. Durch das Eingeständnis, dass wir uns diesem Merkmal zuwenden können, in dem eine bestimmte Idee anderen gleicht, gibt er zu, dass wir uns auch einer allgemeinen Idee zuwenden können und sie daher in unserem Bewusstsein haben können; sodass alles, was er noch behaupten kann, darin besteht, dass wir, wann immer wir an eine allgemeine Idee denken, auch eine bestimmte in unserem Bewusstsein haben müssen. Daher müssen wir, denke ich, zugeben, das es so etwas wie allgemeine Dinge gibt. Wir können an das Merkmal denken und tun dies auch, in dem diese drei Räume einander gleichen; dieser Punkt ist offensichtlich nicht mit irgendeinem von ihnen identisch; und er ist eine allgemeine Idee. Aber eine Frage hinsichtlich der Art des Dinges, welches diese allgemeine Idee ist, bleibt bestehen; und es scheint mir eine Frage zu sein, die sehr schwierig zu beantworten ist. Eine Weise, sie zu beantworten, die zunächst sehr verlockend ist, lautet wie folgt. Wenn wir diese drei Räume betrachten, den Raum zwischen A und B, jenen zwischen A und C und jenen zwischen A und D, ist eine Eigenschaft, die gewiss allen gemeinsam ist, dass jeder einer der drei ist. Jeder von ihnen ist ein Mitglied dieser bestimmten Dreiergruppe; und diese Eigenschaft, die jedem von ihnen gehört, ist eine Universalie. Aber diese Eigenschaft selbst kann gewiss nicht jene sein, die wir ihnen zuschreiben wollen, wenn wir sagen, sie sind alle Räume. Denn dies ist eine Eigenschaft, die zu keinem Raum außer zu diesen dreien gehört: Kein anderer Raum außer diesen ist ein Mitglied dieser bestimmten Dreiergruppe. Aber ich denke, es ist verlockend und natürlich, zu vermuten, dass die Eigenschaft, die allen Räumen gemeinsam ist, entsprechend darin besteht, dass jeder von ihnen ein Mitglied der Gruppe ist, die aus allen Räumen besteht. Genau wie diese drei Räume eine Gruppe bilden, so können wir annehmen, dass alle Räume eine Gruppe bilden; und eine Eigenschaft, die gewiss allen Mitgliedern dieser Gruppe gemeinsam ist, besteht einfach darin, dass sie Mitglieder sind. Warum sollte es nicht der Fall sein, dass wir, genauso wie es uns möglich ist, an diese Gruppe von drei Räumen zu denken, entsprechend an die Gruppe aller Räume denken können und dass die Eigenschaft, die wir jedem von ihnen zuschreiben wollen, wenn wir sagen, es ist Raum, einzig und allein darin besteht, dass er ein Mitglied dieser Gruppe ist? Diese Eigenschaft ist gewiss eine Universalie oder allgemeine Idee, die allen Räumen gemeinsam ist; und ob es die gesuchte Eigenschaft ist oder nicht, so zeigt sie und doch ein Beispiel einer dritten Art von

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Universalie, die sich von den beiden zuerst erkannten unterscheidet – nämlich Mitglied einer Gruppe von Dingen zu sein, von denen selbst keines eine Universalie ist. Ich muss gestehen, dass ich nicht deutlich erkennen kann, ob diese Eigenschaft nicht tatsächlich die Eigenschaft sein könnte, die wir einem Raum zuschreiben wollen, wenn wir sagen, dass es ein Raum ist: Es scheint mir möglich, dass es wirklich die einzige Eigenschaft sein könnte, die allen Räumen gemeinsam und eigentümlich ist, – die einzige, die zu allen Räumen gehört und zu nichts, das kein Raum ist. Aber ich gebe zu, dass diese Ansicht möglicherweise eine unverhüllte Absurdität beinhalten kann, und ich denke, viele Philosophen würden sagen, dass es aus folgendem Grund so ist. Sie würden sagen, dass das einzige Merkmal, in dem alle Räume sich einander gleichen und von anderen Dingen unterscheiden, unmöglich die Tatsache sein kann, dass jeder von ihnen ein Mitglied der Gruppe von Räumen ist. Denn der einzige Grund, warum es uns möglich ist, die Idee dieser Gruppe zu bilden und zwischen Dingen, die zu ihr gehören, und jenen, die nicht zu ihr gehören, zu unterscheiden, besteht einfach darin, dass alle Dinge, die zu ihr gehören, bereits einander in einem anderen offensichtlichen Merkmal gleichen, in dem sie sich von anderen Dingen unterscheiden. Wir können nur an eine Gruppe als Ganzes denken, weil wir bereits mit dieser anderen Eigenschaft vertraut sind, die all ihren Mitgliedern gemeinsam ist. Und ich gebe zu, dass dies so sein kann, nur kann ich nicht klar sehen, dass es so ist. Meine Schwierigkeit besteht darin, dass ich nicht deutlich sehe, was diese andere Eigenschaft ist, falls es sie gibt. Die Idee der Menge aller Räume scheint mir sehr einleuchtend zu sein, und ich erkenne deutlich, was damit gemeint ist, ein Mitglied dieser Menge zu sein. Aber was ist diese andere Eigenschaft, von der angenommen wird, dass sie allen Mitgliedern eigentümlich ist? Soweit ich es beurteilen kann, kann sie nur als das Merkmal beschrieben werden, in dem sie alle einander gleichen und sich von anderen Dingen unterscheiden. Und ich gebe zu, wir wissen, dass es einen Punkt gibt, in dem sie alle einander gleichen und sich von anderen Dingen unterscheiden. Aber wenn dieser Punkt etwas anderes ist, als zu der Klasse der Räume zu gehören, was ist er? Welche Art von Ding ist er? Wie ist er? Die gleiche Schwierigkeit tritt auf, wenn wir eine Gruppe von Sinnesdaten nehmen und versuchen herauszufinden, was es ist, das allen Mitgliedern der Gruppe gemeinsam und eigentümlich ist. Nehmen wir z.€B. die Gruppe der Farben. Jede Farbe gleicht offensichtlich in dem Merkmal jeder anderen Farbe, in dem keine von ihnen etwas anderem als einer Farbe gleicht. Aber was ist dieses Merkmal, in dem sie einander gleichen und sich von anderen

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Dingen unterscheiden? Auch hier scheint mir die Idee der Gruppe aller Farben vergleichsweise eindeutig zu sein, und ich kann sehen, denke ich, was damit gemeint ist, ein Mitglied dieser Gruppe zu sein – eine unter den Farben zu sein. Und diese Eigenschaft – die Eigenschaft, ein Mitglied dieser Gruppe zu sein – ist gewiss eine Eigenschaft, die allen Farben gemeinsam ist: Jede Farbe gleicht jeder anderen Farbe hinsichtlich der Tatsache, dass sie ein Mitglied der Gruppe der Farben ist, und nichts außer einer Farbe kann einer Farbe in dieser Hinsicht gleichen. Aber gibt es eine andere Eigenschaft, die alle Farben besitzen und die von nichts anderem als Farben besessen wird? Ich kann nicht bestreiten, dass es sie geben könnte; und ich denke, dass es wirklich möglich sein kann zu beweisen, dass es sie geben muss. Aber ich kann keinen Beweis klar erkennen und ebenso wenig was die Eigenschaft ist. Ich kann folglich nicht zwischen diesen beiden unterschiedlichen Theorien entscheiden. Aber ich möchte den großen Unterschied betonen, der zwischen beiden besteht. Beide geben zu, dass es eine Eigenschaft gibt, die diesen drei Räumen und allen anderen Räumen gemeinsam ist – genau dieselbe Eigenschaft, die von jedem von ihnen besessen wird und sich daher von jedem einzelnen von ihnen unterscheidet, und eine Eigenschaft, die von nichts anderem als einem Raum besessen wird. Und in beiden Fällen ist die Eigenschaft wirklich eine Universalie oder allgemeine Idee. Daher weisen beide Theorien die Ansicht Humes und Berkeleys zurück, dass es so etwas wie allgemeine Ideen nicht gibt. Und ich denke, diese Ansicht muss zurückgewiesen werden, wenn auch nur weil diese drei Räume offensichtlich die gemeinsame Eigenschaft besitzen, dass jeder einer der drei ist. Diese Eigenschaft ist eine Universalie oder allgemeine Idee und es ist eine Eigenschaft, an die wir gewiss denken können. Berkeley und Hume bemerkten nicht einmal, dass es eine solche Eigenschaft wie diese gab. Aber diese Eigenschaft – die Eigenschaft, eines einer Gruppe von Dingen zu sein, die keine Universalien sind – ist vergleichsweise einfach und leicht zu erkennen. Und unsere erste Theorie hat uns nur genötigt, eine Universalie jener Art wie die Eigenschaft, die allen Räumen gemeinsam ist, zu erkennen: Sie besagt, dass die Eigenschaft, die allen Räumen gemeinsam ist – jene, die wir meinen, wenn wir sie alle „Räume“ nennen – einfach darin besteht, eine gewisse Beziehung zu der Gruppe von Dingen zu haben, die Räume sind – die Beziehung, ein Mitglied dieser Gruppe zu sein. Daher würde die einzige Universalie, die wir gemäß dieser Theorie erkennen müssten, den ersten beiden gleichen, die ich hinsichtlich der Tatsache dargelegt habe, dass sie einfach darin besteht, eine gewisse Beziehung zu Dingen zu haben, die keine Universalien sind. Aber die

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andere Theorie, die auch die wahre sein könnte, unterscheidet sich erheblich von dieser. Demnach kann die Eigenschaft, die diesen drei Räumen gemeinsam ist und die wir ihnen zuschreiben, wenn wir sagen, dass sie Räume sind, nicht nur darin bestehen, eine Beziehung zu etwas zu haben, dass keine Universalie ist. Daher würde uns diese Theorie zwingen, einen ganz neuen Typ von Universalie anzuerkennen – einen Typ, dessen Wesen man sehr schwierig erkennen kann. Man kann, denke ich, zwei verschiedene Sichtweisen über das Wesen dieses Typs annehmen. Es kann gesagt werden, dass er auch darin besteht, eine Beziehung zu etwas zu haben – aber zu etwas, das in diesem Fall selbst eine Universalie ist und eine Universalie eines anderen Typs als jene, die wir bis jetzt betrachtet haben. Oder es kann gesagt werden, dass er darin besteht, eine Beziehung zu überhaupt nichts zu haben, sondern dass es eine andere Alternative gibt, deren Wesen ich bald versuchen werde zu beschreiben. Aber das Wichtige – das, auf dem ich bestehen möchte – ist, dass diese Theorie uns in jedem Fall zwingen würde anzuerkennen, dass es im Universum eine Vielzahl von Universalien gibt, die nicht bloß darin bestehen, eine Beziehung zu etwas zu haben, und die auch keine Beziehungen sind. Dies ist im Moment alles, was ich über das Wesen der Universalie sagen möchte, die die Eigenschaft ist, die diesen drei verschiedenen Räumen gemeinsam ist – die Eigenschaft, die wir ihnen zuschreiben wollen, wenn wir sagen, dass jeder von ihnen ein Raum ist. Ich gebe nicht vor, genau zu wissen, was das Wesen dieser gemeinsamen Eigenschaft ist, obwohl ich denke, es ist offensichtlich, dass es eines gibt. Aber wir wurden in diese Diskussion gezogen, als wir versucht haben herauszufinden, was die identische Beziehung zwischen A und B, A und C und A und D ist, die wir durch die Aussage ausdrücken, dass B, C und D, jedes von ihnen, sich in einer Entfernung zu A befinden. Auf den ersten Blick scheint die Aussage am einleuchtendsten, dass dieser Raum, den wir tatsächlich zwischen A und B sehen, die Beziehung ist, von der wir ausgehen, wenn wir sagen, dass A sich in einer Entfernung zu B befindet, dasselbe gilt für die beiden anderen Fälle, sodass es schien, als ob wir, um die Beziehung zu entdecken, die allen drei Fällen gemeinsam ist, nur die gemeinsame Eigenschaft der drei Räume zu entdecken brauchen. Aber jetzt möchte ich hervorheben, was mir offensichtlich erscheint, wenn man daran denkt, dass dieser Raum, den wir tatsächlich zwischen A und B sehen, keine Beziehung zwischen ihnen allen ist. Die Beziehung, die A und B so offensichtlich miteinander haben und die uns zu der Aussage veranlasst, sie befänden sich in einer Entfernung von-

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einander, besteht nicht in diesem Raum selbst, sondern in der Tatsache, dass dieser Raum zwischen ihnen ist – dass A das eine Ende ist und B das andere. Der Raum selbst ist überhaupt keine Beziehung; er ist etwas Substanzielles, genauso wie A und B selbst es sind. Und was A und B wirklich verbindet, ist die Tatsache, dass dieser Raum zwischen ihnen ist, dass jedes von ihnen eine gewisse Beziehung zu ihm hat. Anders gesagt, um diese offensichtliche Beziehung zwischen A und B zu beschreiben – die Beziehung, die in der Tatsache besteht, dass dieser Raum zwischen ihnen ist –, müssen wir zwei andere Beziehungen voraussetzen – eine Beziehung von A zu diesem Raum und eine Beziehung von B zu diesem Raum, d.€h. die Beziehungen, die wir meinen, wenn wir sagen, dass A am einen Ende von ihm ist und B am anderen. Das heißt, es gibt gewiss zwischen A und B eine, wie ich sagen werde, indirekte Beziehung – eine Beziehung, die in der Tatsache besteht, dass jeder von ihnen eine Beziehung zu diesem Raum hat. Und diese nur indirekte Beziehung ist die offensichtlichste Beziehung zwischen ihnen – jene, an die wir im Allgemeinen denken sollten, wenn wir sagen, dass A sich in einer Entfernung zu B befindet. Das heißt, es ist eine Beziehung, die zwei andere Beziehungen voraussetzt und als Bestandteile enthält – nämlich eine Beziehung zwischen A und diesem Raum und eine Beziehung zwischen B und ihm. Und genauso wie diese ganze Beziehung zwischen A und B nur eine indirekte ist, so könnte behauptet werden, dass die anderen beiden Beziehungen, die Bestandteile von ihr sind, auch ihrerseits nur indirekt sind. Zum Beispiel könnte man sagen, dass A keine direkte Beziehung zu diesem Raum hat, der zwischen ihm und B liegt, sondern dass wir zwischen A und dem Raum, den es einnimmt, unterscheiden müssen und dass seine Beziehung zum Raum zwischen A und B in der Tatsache besteht, dass es zum Raum, den es einnimmt, die Beziehung hat, die mit Einnehmen gemeint ist, während der Raum, den es einnimmt, zu diesem Raum eine andere Beziehung hat, die durch die Aussage, dass er an einem Ende von ihm ist, ausgedrückt wird. Gemäß dieser Sichtweise würde die Beziehung zwischen A und dem Raum zwischen A und B selbst eine indirekte Beziehung sein, die in der Tatsache besteht, dass jede von ihnen eine Beziehung zum Raum hat, den A einnimmt. Aber ich denke, es ist offensichtlich, wenn wir die Analyse jeglicher indirekten Beziehung weit genug vorantreiben, dass wir immer am Ende auf Beziehungen stoßen werden, die nicht nur indirekt sind, sondern ganz direkte Beziehungen sind. Zum Beispiel ist es offensichtlich, dass die Beziehung von A – dieser weißen Stelle – zu diesem Raum, den es einnimmt, eine direkte Beziehung ist: Sie besteht nicht in der Tatsache, dass A und der entsprechende Raum eine

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Beziehung zu einem dritten Ding haben, sondern es ist eine ganz direkte Beziehung zwischen den beiden. Ein anderes Beispiel einer direkten Beziehung ist die Beziehung, die jeder dieser Räume so offensichtlich zu der aus diesen drei bestehenden Gruppe hat – die Beziehung, die wir ausdrücken, wenn wir sagen, dass jeder ein Mitglied einer der Gruppe ist. Und hinsichtlich direkter Beziehungen ist es ganz offensichtlich, dass die Mitglieder von zwei oder mehreren verschiedenen Beziehungspaaren genau dieselbe direkte Beziehung zueinander haben können. Zum Beispiel ist die Beziehung von A zu dem Raum, den es einnimmt, genau dieselbe wie jene von B oder C zu den Räumen, die sie einnehmen: Die Beziehung, die mit Einnehmen gemeint ist, ist in jedem Fall ein und dieselbe identische Beziehung; die Beziehung zwischen A und diesem Raum unterscheidet sich nicht von jener zwischen B und diesem anderen Raum in derselben Art, in der A sich von B unterscheidet und dieser Raum von jenem. Wenn daher die Beziehung, die wir mit „in einer Entfernung von€... sein“ meinen, eine direkte Beziehung wäre, würde es offensichtlich sein, dass B, C und D wirklich ein und dieselbe identische Beziehung zu A haben. Und möglicherweise kann es eine direkte Beziehung zwischen ihnen geben, die durch diese Wörter beschrieben wird. Aber wenn es eine gibt, denke ich nicht, dass sie offensichtlich ist; wenn wir eine identische Beziehung finden wollen, die durch diese Wörter beschrieben wird, die sie offensichtlich alle zu A haben, müssen wir in einer anderen Richtung suchen. Die indirekte Beziehung, die B zu A hat und in der Tatsache besteht, dass jedes an einem Ende dieses Raums ist, ist offensichtlich nicht dieselbe wie jene, die C zu A hat und in der Tatsache besteht, dass jedes an einem Ende dieses Raum ist. Was ist daher die identische Beziehung, falls es eine gibt, die B und C zu A haben? Wir müssen, denke ich, sagen, dass sie in der Tatsache besteht, dass B und A jeweils an dem Ende eines Raumes sind und C und A sind auch jeweils am Ende eines Raumes. Sodass wir hier eine neue Art einer indirekten Beziehung haben – nämlich einer indirekten Beziehung, die in der Tatsache besteht, dass jedes von zwei Dingen zu dem einen oder anderen einer Gruppe von Dingen in Beziehung steht, die keine Universalien sind. Wenn zwei Dinge, A und B, sich in einer Entfernung voneinander befinden, bedeutet dies, dass jedes von ihnen am einen Ende dieses oder jenes Raumes ist. Dies ist eine Beziehung, die wirklich alle solchen Paare verbindet und genau dieselbe identische Beziehung in jedem Fall ist. Bis jetzt haben wir nun sechs unterschiedliche Arten von Universalien oder allgemeinen Ideen vorgefunden, die zweifelsohne im Universum sind, drei von ihnen können Eigenschaften genannt werden, während drei Bezie-

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hungen genannt werden können. Die drei Typen der Eigenschaften waren folgende: (1) Eigenschaften, die darin bestehen, eine Beziehung zu einem Ding zu haben, das keine Universalie ist; (2) Eigenschaften, die darin bestehen, eine Beziehung zu einem Ding einer Gruppe von Dingen zu haben, die keine Universalien sind; und (3) Eigenschaften, die darin bestehen, ein Mitglied einer Gruppe zu sein, die keine Universalien sind. Alle diese drei Eigenschaften setzen Universalien eines anderen Typs voraus – der Typ, den ich Beziehungen genannt habe. Und die drei Arten von Beziehungen, die wir gefunden haben, sind folgende: (1) direkte Beziehungen zwischen zwei Termen; (2) indirekte Beziehungen zwischen zwei Termen, die in der Tatsache bestehen, dass jeder von ihnen eine Beziehung zu einem dritten Ding haben, das keine Universalie ist; und (3) indirekte Beziehungen zwischen zwei Termen, die in der Tatsache bestehen, dass alle von ihnen eine Beziehung zu einem Ding aus einer Gruppe von Dingen haben, die keine Universalien sind. Und wenn wir einmal diese sechs Typen von Universalien erkannt haben, können wir natürlich auch fünf weitere erkennen. (1) Drei Arten von Eigenschaften, die darin bestehen, eine Beziehung nicht zu etwas zu haben, das keine Universalie ist, sondern zu einer Universalie der Typen, die wir erkannt haben; und (2) zwei Arten indirekter Beziehungen zwischen zwei Termen, die darin bestehen, dass jeder eine Beziehung nicht zu etwas hat, das keine Universalie ist, sondern zu einer Universalie der Typen, die wir erkannt haben. Die Anerkennung dieser neuen Typen beinhaltet Schwierigkeiten; ich habe nicht versucht, ihnen gerecht zu werden, aber ich denke nicht, dass es notwendig ist, sie näher auszuführen, obwohl es notwendig ist, auf sie hinzuweisen, um Missverständnisse zu vermeiden. Der wichtige Aspekt, denke ich, ist folgender. Wir haben bis jetzt zwei Haupttypen von Universalien, Eigenschaften und Beziehungen erkannt. Aber alle Eigenschaften, die wir bis jetzt erkannt haben, bestehen darin, eine Beziehung zu etwas zu haben – entweder zu einem Etwas oder zu diesem oder jenem aus einer Gruppe von Dingen oder zu einer ganzen Gruppe von Dingen. Und natürlich können die entsprechenden Dinge eine Art von Ding sein, das es im Universum gibt. Sie können das sein, was ich jetzt partikuläre Dinge nennen werde, im Gegensatz zu Universalien – Dinge, wie diese weiße Stelle –, sie können Wahrheiten sein oder sie können selbst Universalien sein. Aber wenn sie Universalien sind, dann müssen sie, wie wir bis jetzt gesehen haben, entweder selbst Eigenschaften sein, die wieder darin bestehen, eine Beziehung zu diesem oder jenem zu haben, oder Beziehungen, weil wir keine Universa-

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lien außer diesen beiden Arten erkannt haben. Und ebenso kann das dritte Etwas oder die Gruppe von Dingen, die in indirekten Beziehungen beinhaltet sind, eine Art von Ding sein, das es im Universum gibt: Sie können auch entweder partikuläre Dinge, Wahrheiten oder Universalien sein. Aber wenn sie Universalien wären, dann müssten sie auch entweder Beziehungen oder Eigenschaften sein, die darin bestehen, eine Beziehung zu etwas zu haben. Wir können nun zusammenfassend sagen, dass wir bis jetzt keine Universalien erkannt haben, außer (1) Beziehungen und (2) Eigenschaften, die darin bestehen, eine Beziehung zu etwas zu haben. Und ich möchte darauf bestehen, weil die Frage, die ich nun stellen möchte, wie folgt lautet: Gibt es andere Arten von Universalien außer diesen?

Kapitel 18 Beziehungen, Eigenschaften und Ähnlichkeiten

I

ch habe auf zwei verschiedene Arten von „Universalien“ oder „allgemeinen Ideen“ hingewiesen, die ich „Beziehungen“ bzw. „Eigenschaften“ genannt habe. Ich möchte nun ein einfaches Beispiel dieser beiden Arten von Universalien darlegen, um so deutlich wie möglich zu machen, was es genau für Arten von Dingen sind und wie sich beide voneinander unterscheiden. Nehmen wir diese beiden kleinen Kreidestellen auf der Tafel, die ich „A“ und „B“ nenne. Nun ist es natürlich zu sagen, dass A eine Beziehung zu der Gruppe dieser beiden hat, die in der Tatsache besteht, dass es eine der beiden ist bzw. ein Mitglied der Gruppe, und dass B zu der Gruppe dieselbe Beziehung hat. Es ist natürlich, dies zu sagen, und ich habe mich auch das letzte Mal in dieser Weise geäußert. Aber ich möchte jetzt hervorheben, dass diese Weise nicht ganz exakt ist. Streng genommen, gibt es überhaupt keine Beziehung, die in der Tatsache besteht, dass A ein Teil dieser Gruppe ist. Die Tatsache, dass A ein Mitglied dieser Gruppe ist, ist keine Beziehung: Es ist eine Tatsache oder eine Wahrheit und ein gutes Beispiel für die Art von Ding, die ich mit Tatsache oder Wahrheit meine. Und ich möchte auf diese Sprachungenauigkeit aufmerksam machen, weil ich denke, dass dies oftmals Anlass für große Missverständnisse bietet. Die Tatsache, dass A Mitglied dieser Gruppe ist, ist offensichtlich nicht mit der Tatsache identisch, dass B so ist. A ist ein Mitglied von ihr und B ist auch ein Mitglied von ihr, aber es sind offensichtlich zwei verschiedene Tatsachen, nicht ein und dieselbe. Wenn daher die Beziehung zwischen A und der Gruppe wirklich und streng genommen in der Tatsache bestünde, dass A ein Mitglied von ihr wäre, würde diese Beziehung nicht mit einer Beziehung identisch sein, die B zu ihr hat: Wir könnten nicht sagen, dass B zu der Gruppe genau dieselbe Beziehung hat, die A zu ihr hat. Und ich denke, dass diese Verwirrung – die Verwirrung der Tatsache, dass A ein Mitglied der Gruppe mit der Beziehung ist, die A zu der Gruppe hat – teilweise für die Ansicht verantwortlich ist, die von einigen Philosophen vertreten wird, dass keine zwei Dinge genau dieselbe Beziehung zu einem dritten Ding haben können. Was ich behaupten möchte und was so deutlich ist, wie es nur sein kann, ist, dass A wirklich genau dieselbe Beziehung zu dieser Gruppe hat, wie B sie hat. Beide haben

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eine Beziehung zu ihr, die wir mit den Wörtern „ist ein Mitglied von“ ausdrücken: Jedes ist eines ihrer Mitglieder in genau demselben Sinn. Aber dies könnte nicht der Fall sein, wenn die Beziehung zwischen A und der Gruppe wirklich in der Tatsache besteht, dass A ein Mitglied von ihr ist und die Beziehung zwischen B und der Gruppe auch in der Tatsache besteht, dass B ein Mitglied von ihr ist, weil die Tatsache, dass A ein Mitglied von ihr ist, nicht mit der Tatsache identisch ist, dass B ein Mitglied von ihr ist. Und ich bin geneigt anzunehmen, dass, wenn einige Philosophen behaupten, dass A nicht genau dieselbe Beziehung zu der Gruppe „A und B“ hat und haben kann, wie B sie zu ihr hat, sie tatsächlich bloß an diese unzweifelhafte und offensichtliche Tatsache denken, dass die beiden Wahrheiten unterschiedlich sind. Die Wahrheit, dass A ein Mitglied von A und B ist, unterscheidet sich zweifelsfrei und offensichtlich von der Wahrheit, dass B ein Mitglied von ihr ist. Aber in dem Moment, in dem man zwischen einer Wahrheit und einer Beziehung unterscheidet, ist es offensichtlich, dass dieser unzweifelhafte Unterschied zwischen den beiden Wahrheiten überhaupt kein Hindernis für die Ansicht darstellt, dass jedes von A und B zu A und B genau dieselbe identische Beziehung hat. Die Beziehung zwischen A und der Gruppe A und B ist etwas, das aus der ganzen Wahrheit oder Tatsache, dass A ein Mitglied der Gruppe ist, herausgenommen worden ist und ein bloßer Bestandteil von ihr ist. Und es erscheint mir offensichtlich, dass genau dieselbe identische Beziehung auch ein Bestandteil der anderen Wahrheit oder Tatsache ist, dass B ein Mitglied der Gruppe ist. Wir müssen daher deutlich (obwohl wir es sprachlich nicht immer tun) zwischen „Beziehungen“ einerseits und Wahrheiten oder Tatsachen andererseits unterscheiden. Keine Wahrheit ist mit einer Beziehung identisch. Aber selbst wenn wir diese Unterscheidung getroffen haben, können wir dennoch Beziehung mit etwas anderem verwechseln – nämlich mit dem, was ich „Eigenschaften“ genannt habe. A hat die Eigenschaft, ein Mitglied der Gruppe A und B zu sein, und B hat genau dieselbe identische Eigenschaft. Die Eigenschaft, ein Mitglied der Gruppe A und B zu sein, ist daher etwas ganz anderes als die Wahrheit oder Tatsache, dass A ein Mitglied dieser Gruppe ist: Die Eigenschaft ist etwas, das tatsächlich zu A und zu B gehört, während die Tatsache, dass A ein Mitglied von A und B ist, offensichtlich nicht zu B gehört. Aber während sich diese Eigenschaft von der Wahrheit oder Tatsache einerseits unterscheidet, unterscheidet sie sich auch nicht weniger von der Beziehung andererseits. Die Eigenschaft, „ein Mitglied der Gruppe A und B zu sein“, ist eine Eigenschaft, die zugleich zu A und B gehört, aber die gewiss nicht zu dieser dritten Stelle

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C gehört. Aber andererseits ist die Beziehung, „ein Mitglied zu sein“, die A zu der Gruppe A und B hat, genau dieselbe identische Beziehung wie jene, die C zu der Gruppe B und C hat: C ist ein Mitglied der Gruppe B und C in genau demselben Sinn, in dem A ein Mitglied der Gruppe A und B ist, und doch hat C gewiss nicht die Eigenschaft, ein Mitglied der Gruppe A und B zu sein. Wir müssen daher die Beziehung, die A und B beide zu A und B haben, von der Eigenschaft, diese Beziehung zu A und B zu haben, die zu ihnen beiden gehört, unterscheiden. Die entsprechende Eigenschaft ist ein Bestandteil der zwei Tatsachen, dass A ein Mitglied von A und B und dass B ein Mitglied von A und B ist, aber kein Bestandteil der Tatsache, dass C ein Mitglied von B und C ist. Während die Beziehung, die durch „ist ein Mitglied von“ ausgedrückt wird, ein Bestandteil aller drei Tatsachen und Millionen anderer Tatsachen im Universum ist. Anders gesagt, wir müssen drei verschiedene Dinge unterscheiden: (1) die Tatsache oder Wahrheit, „dass A ein Mitglied von A und B ist“, (2) die Eigenschaft, „ein Mitglied von A und B zu sein“, die zu A und zu B gehört, und (3) die Beziehung, „ein Mitglied von€... zu sein“, die zugleich A mit A und B verbindet und B mit A und B und C mit B und C. Die Beziehung ist ein Bestandteil der Eigenschaft, aber nicht identisch mit ihr, und die Eigenschaft ist ein Bestandteil der Wahrheit oder Tatsache, aber nicht identisch mit ihr. Es scheint mir äußerst deutlich zu sein, dass diese drei Dinge sich voneinander unterscheiden und dass alle drei zweifelsfrei sind und im Universum vorkommen; ich möchte auf dieser Unterscheidung bestehen, da wir dazu neigen, sie mit demselben Namen zu bezeichnen und sie daher miteinander zu verwechseln. Ich gebe zu, falls ich mich damit irre, falls diese drei Dinge nicht alle im Universum sind, und falls sie sich nicht alle voneinander unterscheiden, dass dann alles, was ich über Wahrheiten und Universalien gesagt habe und sagen werde, Unsinn ist. Aber ich muss gestehen, dass ich nicht weiß, wie ich mich in dieser Sache irren könnte. Wir können sehr deutlich zwischen diesen drei Dingen – der Tatsache, der Eigenschaft und der Beziehung –unterscheiden und wir können erkennen, dass alle von ihnen sind. Wir haben hier nun ein klares und einfaches Beispiel einer Beziehung und einer Eigenschaft. Die Beziehung ist die Beziehung, die als „ein Mitglied von€... sein“ bezeichnet wird, und wirklich alles, was ein Mitglied irgendeiner Gruppe ist, hat dieselbe identische Beziehung. Die Eigenschaft andererseits ist eine Eigenschaft, die als „ein Mitglied der Gruppe A und B sein“ bezeichnet wird, und dieselbe identische Eigenschaft gehört zugleich zu A und zu B und gehört nicht zu irgendetwas anderem im Universum außer A und

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B. Dies sind meine Beispiele für eine „Eigenschaft“ und eine „Beziehung“. Aber diese spezielle Beziehung ist das, was ich das letzte Mal als eine direkte Beziehung bezeichnet habe, und ich habe erklärt, dass viele Beziehungen indirekt sind, aber ich denke nicht, dass ich jetzt auf den Unterschied zwischen direkten und indirekten Beziehungen und den Unterschied zwischen zwei Arten indirekter Beziehungen weiter eingehen muss. Alles, was im Moment für unsere Betrachtung wichtig ist, besteht darin, dass indirekte Beziehungen sich von Eigenschaften auf genau dieselbe Weise wie direkte Beziehungen unterscheiden und genauso mit diesen verbunden sind. Keine Beziehung, ob nun direkt oder indirekt, ist mit einer Eigenschaft identisch. Aber andererseits hat jede Eigenschaft, soweit wir bis jetzt festgestellt haben, eine Beziehung als ein Bestandteil von ihnen. Und um es ganz deutlich zu machen, in welchem Sinn Beziehungen Bestandteile von Eigenschaften sind, muss ich nur den Unterschied zwischen verschiedenen Arten von Eigenschaften erwähnen, die ich das letzte Mal unterschieden habe. Diese spezielle Eigenschaft, die wir soeben betrachtet haben, die Eigenschaft, ein Mitglied der Gruppe A und B zu sein, besteht darin, eine Beziehung zu dieser Gruppe zu haben. Und dies ist ein Beispiel einer der drei Arten von Eigenschaften, die ich das letzte Mal unterschieden habe – nämlich Eigenschaften, die darin bestehen, eine Beziehung zu einer Gruppe oder Menge zu haben. Aber genauso wie wir eine Eigenschaft haben können, die darin besteht, eine Beziehung zu einer Gruppe oder Ansammlung zu haben, so können wir auch Eigenschaften haben, die darin bestehen, eine Beziehung zu einem Ding zu haben, das keine Gruppe oder Ansammlung ist. Die Eigenschaft, nahe bei dieser Stelle A zu sein – die Eigenschaft, die zu B und zu C und zu vielen anderen Dingen gehört – ist eine Eigenschaft dieser Art. Dies war eine zweite Art von Eigenschaft, die ich das letzte Mal unterschieden habe. Und diese beiden Arten von Eigenschaften haben gemeinsam, dass sie darin bestehen, eine Beziehung zu einem Ding zu haben, und sie unterscheiden sich nur in der Tatsache, dass in einem Fall das entsprechende Ding eine Gruppe oder Ansammlung ist, während es im anderen nicht so ist. Aber die dritte Art von Eigenschaft unterscheidet sich sehr deutlich von diesen beiden. Sie besteht darin, eine Beziehung zu diesem oder jenem einer Gruppe von Dingen zu haben. Zum Beispiel ist die Eigenschaft, „ein Mitglied einer Gruppe zu sein“, die äquivalent mit „ein Mitglied dieser oder jener Gruppe zu sein“ ist, eine Eigenschaft dieser Art. Und ich habe zwei Gründe, auf diese Art von Eigenschaft aufmerksam zu machen. Der erste Grund ist, dass von ihnen, streng genommen, nicht gesagt werden kann, dass sie darin bestehen,

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eine Beziehung zu einem Ding zu haben. Sie bestehen einfach nicht darin: Sie bestehen darin, eine Beziehung zu diesem oder jenem einer Gruppe von Dingen zu haben, nicht zu einem speziellen Mitglied der Gruppe oder der Gruppe selbst. Der Unterschied, denke ich, ist leicht zu erkennen. Zum Beispiel hat jeder Mann die Eigenschaft, ein Sohn von diesem oder jenem Vater zu sein. Und diese Eigenschaft ist offensichtlich nicht dieselbe wie jene, die darin besteht, ein Sohn eines bestimmten Vaters zu sein. Die Eigenschaft, ein Sohn dieses oder jenes Vaters zu sein, ist eine Eigenschaft, die er mit allen anderen Männern teilt; aber keineswegs sind alle Männer Söhne dieses bestimmten Vaters. Aber andererseits kann die Eigenschaft, ein Sohn dieses oder jenes Vaters zu sein, nicht dahingehend aufgelöst werden, dass er die Beziehung, „ein Sohn von€... zu sein“, zu der ganzen Gruppe von Vätern hat: Er ist nicht der Sohn aller Väter, die es gibt, sondern nur dieses oder jenes aus der Gruppe. Daher kann von Eigenschaften dieser Art nicht gesagt werden, dass sie darin bestehen, eine Beziehung zu einem Ding, ob nun einzelnes Ding oder Gruppe, zu haben. Und ein Grund, warum ich dieses betone, ist, weil ich nichtsdestotrotz von ihnen so sprechen werde, als ob sie eine solche Beziehung hätten. Aus Darstellungsgründen werde ich von diesen drei Arten von Eigenschaften, die ich unterschieden habe, als Eigenschaften sprechen, die darin bestehen, eine Beziehung zu diesem oder jenem zu haben. Ich möchte einen allgemeinen Namen für alle drei und ich kenne keinen besseren als diesen, obwohl, so gebe ich zu, er nicht ganz zutreffend ist. Und der zweite Grund, warum ich Eigenschaften dieser dritten Art hervorheben möchte, ist, weil es besonders einfach ist, sie mit Beziehungen zu verwechseln. So ist es z.€B. sehr natürlich, von einer Beziehung, die ich „ein Mitglied von€... sein“ genannt habe, als einer Beziehung „ein Mitglied von einer Gruppe sein“ zu sprechen. Wir können kaum verhindern, dies zu tun. Und doch stehen die Wörter „ein Mitglied einer Gruppe sein“, streng genommen, für eine Eigenschaft und nicht für eine Beziehung. Mit „ein Mitglied einer Gruppe sein“ meinen wir „ein Mitglied dieser oder jener Gruppe zu sein“; und dies ist natürlich eine Eigenschaft, die tatsächlich zu irgendetwas gehört, das die Beziehung „ein Mitglied einer Gruppe sein“ zu irgendeiner Gruppe hat. Aber ich denke doch, dass es völlig offensichtlich ist, dass die Eigenschaft und die Beziehung unterschieden werden müssen. Die Beziehung gehört nicht zu irgendetwas in dem Sinn, in dem es die Eigenschaft tut: Sie verbindet nur zwei Dinge miteinander. Und was z.€B. A mit der Gruppe A und B verbindet, ist offensichtlich nicht die Eigenschaft, ein Mitglied dieser oder jener Gruppe zu sein. Diese Eigenschaft bildet keine

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Beziehung zwischen A und der speziellen Gruppe A und B. Und was ich mit der Beziehung „ein Mitglied von€... sein“ meine, ist etwas, das wirklich eine Beziehung zwischen A und „A und B“ bildet – die wirklich zwischen ihnen besteht oder sie verbindet. Wir haben bis jetzt zwei Arten von Universalien erkannt, nämlich (1) Beziehungen und (2) Eigenschaften, die darin bestehen, eine Beziehung zu diesem oder jenem zu haben – obwohl ich zugebe, dass der letzte Satzteil aus dem angeführten Grund ungenau ist. Und die Frage, die ich nun stellen möchte, lautet wie folgt: Gibt es andere Arten von Universalien neben diesen beiden oder gibt es keine? Ich habe gesagt, dass viele Leute anzunehmen scheinen, dass es sie gibt. Und wenn wir besprechen wollen, ob es sie gibt oder nicht, ist es besser am Anfang zu beginnen und die Frage so zu stellen, wie sie sich tatsächlich in der Geschichte der Philosophie gezeigt hat. Jeder würde darin übereinstimmen, dass diese zwei weißen Stellen – die beiden Sinnesdaten, die jeder von Ihnen direkt erfasst – etwas gemeinsam haben – etwas, das wir ausdrücken sollten, indem wir sagen, dass sie beide weiße Stellen sind. Sie gleichen einander nicht nur hinsichtlich der Tatsache, dass sie Stellen sind, sondern auch hinsichtlich der Tatsache, dass sie weiße Stellen sind. Und es ist offensichtlich, dass wir damit meinen, wenn wir dies sagen, dass sie beide eine Eigenschaft mit dem Namen „Weiß“ besitzen – beide besitzen ein und dieselbe Eigenschaft –, die eine Universalie ist. Und viele Leute würden hinzufügen, dass wir alle, die nicht blind sind, sehr wohl wissen, was Weiß ist, und daher wissen, was die Universalie ist, die eine gemeinsame Eigenschaft dieser beiden weißen Stellen ist. Aber wenn wir dies sagen, können wir einen Fehler begehen. Ich gebe zu, dass wir wissen, was „Weiß“ ist; aber es scheint mir, dass die Eigenschaft, die wir üblicherweise mit „Weiß“ bezeichnen, nicht eine Eigenschaft ist, die zu diesen zwei Stellen gehört – die Sinnesdaten, die jeder von ins jetzt direkt erfasst. Wir wissen, dass Lilien weiß sind und dass Schnee weiß ist, und diese Eigenschaft, die Lilien und Schnee gemeinsam ist, scheint mir die Eigenschaft zu sein, die wir mit Weiß meinen. Aber diese Eigenschaft, die Lilien und Schnee gemeinsam ist, ist offenbar eine Eigenschaft, die nicht zu einem Sinnesdatum gehört. Die Eigenschaft, die Lilien und Schnee gemeinsam ist, besteht gewiss zunächst darin, eine Beziehung zu einem der Sinnesdaten zu haben, die wir weiße Stellen nennen. Drei verschiedene Ansichten können darüber vertreten werden, was genau diese Beziehung ist, die sie zu diesen Sinnesdaten haben. Zunächst einmal (und ich denke, dies ist eine natürliche

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Ansicht) können wir meinen, wenn wir sagen, dass eine Lilie weiß ist, dass eine Stelle mit Weiß tatsächlich auf ihrer Oberfläche ist, d.€h. wir könnten behaupten, dass eines der Sinnesdaten, die wir weiße Stellen nennen, eine räumliche Beziehung zu einem Objekt hat, das wir als eine Lilie bezeichnen – die Beziehung, über ihrer Oberfläche ausgebreitet zu sein. Oder wir können zweitens sagen, dass eines der Sinnesdaten, die wir weiße Stellen nennen, nicht bloß auf der Oberfläche der Lilie ist, sondern tatsächlich ein Teil von ihr. Beide Ansichten sind sehr natürlich und wir denken für gewöhnlich von Farben, die wir direkt erfassen, dass sie auf der Oberfläche der materiellen Objekte sind, die wir als „weiß“, „grün“, „rot“, „blau“ o.€ä. bezeichnen. Aber es gibt gegenüber diesen beiden Ansichten, wie wir gesehen haben, den Einwand, dass es Grund für die Annahme gibt, dass kein Sinnesdatum jemals auf der Oberfläche eines materiellen Objekts oder ein Teil von ihm ist: Sinnesdaten gibt es, falls es sie überhaupt im Raum gibt, nur im privaten Raum, wie wir Grund zur Annahme hatten, der zu der Person gehört, die sie direkt erfasst, und keine räumliche Beziehung zu dem Raum hat, in dem sich materielle Objekt befinden. Selbst wenn dies so ist, könnte es natürlich der Fall sein, dass wir, wenn wir sagen, eine Lilie ist weiß, tatsächlich meinen, dass ein Sinnesdatum jener Art, das wir eine weiße Stelle nennen, auf ihrer Oberfläche ist: Wir können dies tatsächlich meinen, obwohl wir im Unrecht sein sollten; und ich bin geneigt anzunehmen, dass wir dies oftmals meinen, selbst wenn wir die allgemeine philosophische Sichtweise akzeptiert haben, dass kein Sinnesdatum jemals auf der Oberfläche eines materiellen Objektes ist. Das heißt, wir vertreten im Alltagsleben fortwährend Sichtweisen, die im Widerspruch zu unserer philosophischen Ansicht stehen. Aber es gibt natürlich auch noch ein anderes Ding, das wir meinen können und das mit der allgemeinen philosophischen Sichtweise über Sinnesdaten im völligen Einklang steht. Wenn wir sagen, eine Lilie ist weiß, könnten wir meinen, wenn wir bei normalem Licht die Lilie ansehen, dass wir veranlasst werden, ein Sinnesdatum jener Art zu erfassen, das wir eine weiße Stelle nennen. Dies oder etwas Ähnliches ist der einzige Sinn, in dem auf Grundlage der allgemeinen philosophischen Sichtweise eine Lilie oder Schnee oder irgendein anderes materielles Objekt überhaupt wirklich weiß sein kann: Es kann nur in dem Sinn weiß sein, dass es unter gewissen normalen Bedingungen uns veranlasst, eines der Sinnesdaten zu erfassen, das ich „eine weiße Stelle“ nenne. Aber Sie sehen, welche dieser Sichtweisen man auch nimmt, die Eigenschaft, die zu Lilien, Schnee und anderen weißen Objekten gehört, besteht zunächst nur darin, eine Beziehung zu diesem oder

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jenem aus der Gruppe von Sinnesdaten zu haben, die ich „weiße Stellen“ nenne. Und es ist vollkommen offensichtlich, dass die Sinnesdaten selbst – z.€B. diese zwei weißen Stellen, die ich sehe – diese Eigenschaft nicht haben. Diese beiden weißen Stellen – die tatsächlichen Sinnesdaten, die ich direkt erfasse – sind nicht in demselben Sinn weiß, wie Lilien oder Schnee weiß sind. Ihre gemeinsame Eigenschaft besteht gewiss nicht in der Tatsache, dass zwei andere weiße Stellen auf ihrer Oberfläche oder Teile von ihr sind oder von ihnen verursacht werden. Was wir nun im Allgemeinen mit „Weiß“ meinen, scheint mir eine Eigenschaft zu sein, die zu materiellen Objekten gehört und die zunächst darin besteht, eine Beziehung zu Sinnesdaten, die ich „weiße Stellen“ nenne, zu haben, und daher ist es gewiss keine Eigenschaft, die zu diesen Sinnesdaten selbst gehört. Und wenn wir dies einmal erkennen, werden wir ein wenig skeptisch, was die Eigenschaft ist, die all diesen Sinnesdaten, die ich „weiße Stellen“ nenne, gemeinsam ist und ob wir tatsächlich so gut wissen, was diese Eigenschaft ist. Die letzte Frage lautet: Was ist die Eigenschaft, die all diesen Sinnesdaten, die ich „weiße Stellen“ nenne, gemeinsam und eigentümlich ist? Und wir können diese Frage nicht klären, indem wir einfach sagen, es sei „Weiß“, denn es ist gewiss zumindest in einem allgemeinen Sinn des Begriffs nicht „Weiß“: Es ist nicht die Art von Weiß, die zu Lilien, Schnee, Papier und anderen weißen materiellen Objekten gehört. Stellen wir die Frage anders: Was ist die Eigenschaft, die zu allen Empfindungen von Weiß und nur zu Empfindungen von Weiß gehört? Besteht diese Eigenschaft darin, dass alle eine gemeinsame Beziehung zu einem Ding haben? Und wenn ja, was ist dieses Ding, zu dem alle eine gemeinsame Beziehung haben, und was ist die Beziehung, die sie alle zu ihm haben? Und wenn nein, worin besteht die Eigenschaft? Dies scheint mir eine äußerst schwierig zu beantwortende Frage zu sein, und doch denke ich, es ist eine Frage von äußerster Wichtigkeit, wenn wir wirklich verstehen wollen, wie der Aufbau des Universum ist, und daher werde ich sie so sorgfältig wie möglich behandeln. Wenn wir sie auf eine Weise beantworten, werden wir darauf schließen müssen, dass es im Universum eine ungeheuere Vielzahl von Universalien gibt, die weder Beziehungen noch Eigenschaften sind, die darin bestehen, eine Beziehung zu etwas zu haben, und die in ihrem Wesen auch äußerst verschieden von dem sind, was ich „partikuläre Dinge“ nennen werde – mit „partikulären Dingen“ sind Dinge gemeint, die weder Universalien noch Tatsachen sind. Viele Philosophen scheinen beharrlich anzunehmen, dass es eine Vielzahl von Univer-

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salien dieser Art im Universum gibt, und doch schenken sie ihnen keine besondere Beachtung oder versuchen, ihr Wesen deutlich zu beschreiben. Und andererseits scheinen viele anzunehmen, dass es solche Dinge überhaupt nicht gibt. Und obwohl, falls es solche Dinge gibt, wir alle fortwährend an sie denken und in unserem Bewusstsein haben müssen, muss zugestanden werden, dass wir gewöhnlich nicht bemerken, dass es solche Dinge überhaupt gibt; d.€h. wir bemerken nicht, dass das, was in unserem Bewusstsein geschieht, wenn wir an sie denken, etwas anderes ist als das bloße Denken an partikuläre Dinge. Nun könnte zunächst gesagt werden, dass es überhaupt keine Eigenschaft gibt, die allen Sinnesdaten, die ich „weiße Stellen“ nennen sollte, zugleich gemeinsam und eigentümlich ist. Es besteht natürlich kein Zweifel, dass es mehrere verschiedene Eigenschaften und nicht nur eine gibt, die ihnen allen gemeinsam ist; aber was angezweifelt werden kann, ist, ob eine von den Eigenschaften ihnen auch eigen ist – ausschließlich zu ihnen gehört und nicht zu etwas, das keine weiße Stelle ist. Diese Schwierigkeit kommt auf, weil wir gewiss die Bezeichnung „weiß“ auf viele verschiedene Schattierungen anwenden, die nicht ganz reinweiß sind, und weil die Farben, wie Sie wissen, eine stetige Reihe bilden – sie gehen ineinander über. Das heißt, wenn wir sagen, wie wir es gewiss tun, dass mehrere verschiedene Schattierungen von Weiß alle „weiß“ sind, taucht die Frage auf, wo die Grenze zu ziehen ist. Denn wir können z.€B., ausgehend von Reinweiß, eine fortlaufende Schattierungsreihe bis zu einem mehr und mehr gelblichen Weiß erhalten und dabei unmerklich ins Reingelbe kommen; und obwohl es keinen Zweifel daran gibt, dass wir jene, die sich kaum vom Reinweiß unterscheiden, „Weißtöne“ nennen, es ist sehr schwierig zu sagen, an welchem Punkt wir eine Farbe erhalten, die wir nicht als „ein Weiß“ bezeichnen sollten. Und genauso wie wir eine fortlaufende Reihe von gelblichen Weißtönen erhalten können, indem wir vom Reinweiß über weißliche Gelbtöne zum Reingelben gehen, so können wir eine fortlaufende Reihe von bläulichen Weißtönen erhalten, indem wir vom Weißen zum Blauen gehen, und eine fortlaufende Reihe von rötlichen Weißtönen, indem wir vom Reinweißen zum Roten gehen, und genauso in vielen anderen Fällen. Obwohl wir alle gelblichen Weißtöne „Weißtöne“ nennen können, sollten wir nicht alle weißlichen Gelbtöne „Weißtöne“ nennen: Wir sollten gewiss sagen, dass einige von ihnen gelb seien und nicht weiß; und doch können wir offenbar Schattierungen erhalten, bei denen es sehr schwierig zu entscheiden ist, ob sie gelbliche Weißtöne oder weißliche Gelbtöne sind; und es ist weiterhin zu beachten: Selbst wenn wir eine Schattierung

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erhalten, die zweifelsohne ein weißliches Gelb ist und kein gelbliches Weiß, ist es dann nicht der Fall, dass ein weißliches Gelb immer die Eigenschaft besitzt, aufgrund der wir alle Weißtöne „Weißtöne“ nennen, sodass diese Eigenschaft, aufgrund der wir alle Weißtöne „Weißtöne“ nennen, nicht nur Weißtönen eigentümlich sein würde, sondern auch zu weißlichen Gelbtönen, weißlichen Blautönen, weißlichen Rottönen usw. gehören würde? Wir sollten geneigt sein, denke ich, zu sagen, dass der Unterschied zwischen einem gelblichen Weiß und einem weißlichen Gelb in der Tatsache besteht, dass das gelbliche Weiß weißer als Gelb ist oder mehr Weiß in sich hat, während das weißliche Gelb gelblicher als Weiß ist bzw. mehr Gelb in sich hat. Aber dies zeigt, dass wir das Wort „Weiß“ in zwei verschiedenen Bedeutungen verwenden. Wir können nicht bestreiten, dass ein weißliches Gelb, wie viel gelber es als Weiß auch sein mag, doch wenn es überhaupt in irgendeinem Grad weiß ist, in einem Sinn weiß ist. Während wir andererseits, wenn es überhaupt kaum weiß ist, es gewiss nicht als ein Weiß klassifizieren sollten, sondern als ein Gelb. Wir müssen jene zwei Bedeutungen des Worts „Weiß“ anerkennen; und wenn wir dies tun, dann bin ich geneigt anzunehmen, dass diese erste Schwierigkeit bewältigt worden ist. Wir müssen, denke ich, sagen, dass wir in einem Sinn des Wortes „Weiß“ eine Stelle als eine weiße Stelle bezeichnen, nur wenn es entweder „reinweiß“ ist oder näher am Reinweiß als an irgendeiner anderen reinen Farbe. Und eine Frage, die wir versuchen könnten zu beantworten, lautet: Was ist die Eigenschaft, die allen weißen Stellen, die in diesem Sinn weiß sind, zugleich gemeinsam und eigentümlich ist? Aber wir müssen in einem anderen Sinn des Wortes „Weiß“ zugeben, dass weißliche Gelbtöne, Blautöne, Rottöne usw., wie viel gelber, röter, blauer sie als weiß auch sein mögen, nichtsdestotrotz weiß sind, wenn wir diesen Ausdruck verwenden, um das zu sagen, was wir oft mit „es ist etwas Weiß in ihnen“ meinen; und die Frage, was diese Eigenschaft ist, wird eine andere sein. Aber die erste dieser beiden Bedeutungen ist gewiss jene, in der es äußerst natürlich ist, das Wort „Weiß“, auf Sinnesdaten angewendet, zu benutzen; und ich schlage daher vor, zuerst folgende Frage zu betrachten: „Was ist die Eigenschaft, die allen Sinnesdaten, die in der ersten Bedeutung weiß sind, zugleich gemeinsam und eigentümlich ist?“ Das letzte Mal habe ich vermutet, dass die einzige Eigenschaft, die all diesen Stellen zugleich gemeinsam und eigentümlich ist, bloß darin bestehen könnte, dass jede ein Mitglied einer Gruppe ist, die aus allen diesen Stellen besteht. Dies ist gewiss eine Eigenschaft, die ihnen allen zugleich gemeinsam und eigentümlich ist; und ich habe vermutet, dass es die einzige sein

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könnte. Aber ich habe auch gesagt, dass es Gründe gibt, dies anzuzweifeln; und jetzt denke ich, dass es vollkommen offensichtlich ist, dass dies nicht die einzige Eigenschaft ist, die ihnen allen gemeinsam und eigentümlich ist. Ich denke, dies kann am besten auf folgende Weise gezeigt werden. Wirklich jede Anordnung von Dingen im Universum, wie ungleich sie auch sie auch sein mögen, bildet eine Gruppe. Wir können z.€B. an eine Gruppe denken, die aus einer bestimmten Farbe, einem bestimmten Geräusch und einem bestimmten Geruch besteht. Solch eine Gruppe ist natürlich wirklich eine Gruppe; und es wird natürlich auf alle ihre Mitglieder zutreffen, dass eine Eigenschaft ihnen allen zugleich gemeinsam und eigentümlich ist – nämlich die Eigenschaft, Mitglied dieser Gruppe zu sein. Jedes von ihnen ist ein Mitglied dieser Gruppe und nichts im Universum außer einem von ihnen ist ein Mitglied dieser Gruppe. Dies trifft offensichtlich auf jede Gruppe zu, wie willkürlich sie auch gewählt sein mag. Und es scheint einleuchtend, dass die Gruppe, die wir betrachtet haben – die Gruppe, die aus allen Sinnesdaten besteht, die wir ohne zu zögern „weiß“ nennen würden – sich in einer gewissen Weise von diesen soeben angeführten Gruppen unterscheidet: Alle ihre Mitglieder sind in einer Weise miteinander verbunden, in dem Mitglieder einer rein willkürlichen Gruppe nicht miteinander verbunden sind; es ist in einem gewissen Sinn eine natürliche Gruppe. Aber das, was wir meinen, wenn wir sagen, dass sie nicht rein willkürlich, sondern natürlich ist, besteht darin, dass es eine andere Eigenschaft gibt, neben der bloßen Mitgliedschaft in der Gruppe, die allen ihren Mitgliedern zugleich gemeinsam und eigentümlich ist. Dies ist, soweit ich es beurteilen kann, die einzige Möglichkeit, eine natürliche von einer willkürlichen Gruppe zu unterscheiden; und ich denke, dass es gewiss eine solche Unterscheidung gibt. Wir können von jeder natürlichen Gruppe sagen, dass alle ihre Mitglieder eine Eigenschaft haben müssen, die ihnen zugleich gemeinsam und eigentümlich ist. Und die Gruppe, die wir betrachten, ist gewiss eine natürliche Gruppe. Die Frage lautet nun: Was ist diese Eigenschaft? Und eine sehr natürliche Vermutung, um diese Frage zu klären, ist es, dass sie irgendwie mit Hilfe der Beziehung der Ähnlichkeit definiert werden kann. Es scheint in einem Sinn gewiss zu sein, dass wir sie zusammen einordnen und sie als eine natürliche Gruppe betrachten, weil alle Sinnesdaten, die weiß sind, sich in einer gewissen Hinsicht ähneln. Und ich denke, es gibt bei einigen Philosophen eine Neigung, mit dieser Erklärung zufrieden zu sein und nicht weiterzusuchen. Aber wenn wir darüber hinausgehen, ist es vollkommen offensichtlich, dass diese Erklärung, so wie sie ist, nicht genügt.

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Das ganze Thema der Ähnlich- oder Gleichartigkeit ist sehr verwirrend; und ich denke, es ist lohnenswert, es sehr sorgsam zu betrachten. Zuerst könnte gesagt werden: Nehmen wir ein bestimmtes Sinnesdatum; dann ähneln ihm alle anderen, und dies ist es, was sie vom Rest der Dinge im Universum, von all Dingen, die in diesem speziellen Fall nicht weiß sind, unterscheidet. Alle anderen weißen Stellen ähneln unserer weißen Stelle, welche es auch ist, die wir wählen; während nichts anderes dies tut. Hier haben wir nun eine Eigenschaft, die ihnen allen gemeinsam und eigentümlich ist. Aber, abgesehen von einem anderen Einwand, den ich bald darlegen werde, gibt es einen sehr offensichtlichen Einwand gegen diese Theorie: Dass nämlich auf jeden Fall das, was sie besagt, in einem Sinn einfach unwahr ist. Welche weiße Stelle man auch nimmt, es ist offensichtlich nicht wahr, dass nichts im Universum außer weißen Stellen ihr ähnelt. Ganz im Gegenteil, wirklich alles im Universum muss ihr in einem gewissen Sinn ähneln. Wirklich alles im Universum muss ihr zumindest in einer Hinsicht ähneln – und zwar in der Tatsache, dass sie beide im Universum sind. Das heißt, es gibt gewiss einen Sinn, in dem wirklich alles im Universum sich allem anderen ähnelt: Alles ähnelt allem anderen in zumindest dieser Hinsicht. Folglich ist die Eigenschaft, bloß unserer weißen Stelle zu ähneln, welche Stelle man auch nimmt, gewiss nicht anderen weißen Stellen eigentümlich, obwohl es ihnen gemeinsam ist: Sie ist weit davon entfernt ihnen eigen zu sein, sie wird von wirklich allen anderen im Universum geteilt. Aber es kann gesagt werden: Obwohl dies in einem Sinn des Wortes Ähnlichkeit zutrifft, so gibt es gewiss einen anderen Sinn, in dem ein Ding einem andern Ding ganz unähnlich sein kann – ihm überhaupt nicht ähneln kann. Wir drücken uns gewiss fortwährend auf diese Weise aus: Wir sagen fortwährend, dass ein Ding einem anderen Ding ganz ungleich ist, sich von ihm völlig unterscheidet; und was wir damit meinen, ist gewiss oftmals wahr. Daher gibt es eine Bedeutung des Wortes „ähneln“, in der ein Ding einem andern ausdrücklich nicht ähneln kann. Und ich meinerseits sehe keinen Grund, zu bestreiten, dass dies wahr ist. Es kann möglicherweise mehrere Bedeutungen als eine geben, in der ein Ding einem anderen ganz ungleich sein kann. Mir scheint, es gibt zumindest eine, die sehr wichtig ist, aber sie ist sehr schwierig zu definieren. Etwas, was wir meinen, wenn wir sagen, dass ein Ding einem anderen ganz ungleich ist, besteht darin, dass es ihm innerlich ganz ungleich ist: Obwohl die beiden sich hinsichtlich der Tatsache ähneln, dass sie eine gemeinsame Eigenschaft haben – eine gemeinsame Eigenschaft gegenüber anderen Dingen –, so sind sie doch in sich selbst

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oder innerlich ganz ungleich. Ich behaupte nicht, dass ich in der Lage bin, das zu definieren, was mit innerer, im Gegensatz zu äußerlicher Ähnlichkeit gemeint ist, aber es scheint mir, dass etwas gemeint ist und auch etwas Wichtiges, wenn man dies sagt, sodass es lohnenswert ist zu betrachten, ob wir unser Problem mit Bezug auf innere Ähnlichkeit beantworten können. Nehmen wir nun an, jemand sagt: „Nimmt man eine beliebige weiße Stelle: Jede andere weiße Stelle ähnelt dieser weißen Stelle innerlich und nichts anderes im Universum tut dies.“ Ist dies wahr? Ganz offensichtlich nicht. Wie auch immer wir innere Ähnlichkeit definieren, es ist vollkommen einleuchtend, dass eine reinrote Stelle einer rötlich weißen Stelle innerlich ähnelt. Sodass wir nicht einfach sagen können: Nehmen wir irgendeine weiße Stelle: Dann ähneln ihr alle anderen weißen Stellen innerlich und nichts, das keine weiße Stelle ist, tut dies. Ganz im Gegenteil, denn welche weiße Stelle man auch wählt, es gibt etwas, das nicht weiß ist, das ihr innerlich ähnelt: Wenn die Stelle gelblich weiß ist, wird eine reingelbe ihr ähneln; wenn sie bläulich weiß ist, wird eine reinblaue ihr ähneln usw. Durch bloßen Bezug auf innere Ähnlichkeit können wir daher gewiss eine Eigenschaft nicht definieren, die unseren weißen Stellen, neben dem Gemeinsein, auch eigentümlich ist. Wir sind nun gescheitert, durch die Betrachtung bloßer Ähnlichkeit oder durch die Betrachtung innerer Ähnlichkeit das zu finden, was wir benötigen. Als Nächstes könnte vermutet werden, dass der Grad oder die Nähe der inneren Ähnlichkeit unserem Zweck dienen könnte. Es könnte gesagt werden: „Nimmt man eine beliebige weiße Stelle, dann wird der gesamte Rest zu ihr eine Nähe von innerer Ähnlichkeit haben, was nichts anderes hat: Sie werden ihr innerlich näher sein als alles andere im Universum.“ Aber auch dies ist offensichtlich nicht wahr. Nehmen wir an, die gewählte weiße Stelle ist fast, wenn nicht sogar ganz, reinweiß. Dann kann eine andere Stelle, die deutlich weiß ist, aber auch deutlich gelblich weiß, eine nähere innere Ähnlichkeit zu einer weißlich gelben Stelle haben als unsere reinweiße. Das heißt, eine Stelle, die überhaupt nicht weiß ist, sondern nur weißlich gelb, wird unserer gelblich weißen Stelle innerlich ähnlicher sein als viele Stellen, die weiß sind. Und fast bei jeder weißen Stelle, die man wählt, wird man denselben Einwand vorbringen. Es wird nicht wahr sein, dass alle anderen weißen Stellen ihr innerlich ähnlicher sind als alles andere im Universum. Auch hier sind wir daher gescheitert, eine Eigenschaft zu finden, die diesen weißen Stellen eigentümlich ist. Nähe der inneren Ähnlichkeit dient unserem Zweck genauso wenig wie innere Ähnlichkeit oder bloße Ähnlichkeit.

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Aber es könnte gesagt werden: „In den letzten beiden Fällen sind wir gescheitert, nur weil wir gesagt haben: Nimmt man irgendeine beliebige weiße Stelle und dann wird nichts außer weißen Stellen ihr innerlich ähnlich sein oder ihr innerlich mit dem Grad der Nähe ähnlich sein, mit dem alle anderen weißen Stellen es tun. Wenn man eine beliebige weiße Stelle nimmt, dann sind diese Dinge offensichtlich nicht wahr. Aber es gibt eine Art von weißer Stelle, sodass, wenn man die Wahl auf die Stellen dieser Art beschränkt, beide Dinge zutreffen. Wirkliches Reinweiß hat eine einzigartige Stellung, und wenn man eine wirklich reinweiße Stelle nimmt, dann ist es wahr , dass wirklich nichts im Universum außer weißen Stellen ihr innerlich so ähnlich ist, wie alle anderen weißen Stellen es tun.“ Aber ich kann mehrere Gründe erkennen, warum selbst dies bestritten werden kann. Zunächst einmal scheint mir der folgende Einwand vernichtend zu sein – ein Einwand, der auch auf alle anderen Theorien, die wir betrachtet haben, zutrifft, obwohl ich ihn in ihrem Fall nicht erwähnt habe, weil es andere offensichtlichere Einwände gab. Der Einwand, den ich meine, lautet wie folgt. Wir sollen eine bestimmte wirklich reinweiße Stelle genommen haben und wir nehmen an, dass alle anderen weißen Stellen dieser ähnlicher sind als alle anderen Dinge im Universum. Und falls dies wahr ist, haben wir wirklich eine Eigenschaft gefunden, die allen anderen weißen Stellen außer der wirklich reinweißen, die wir genommen haben, zugleich gemeinsam und eigentümlich ist. Aber der wirklich vernichtende Einwand für unsere Theorie besteht gerade darin – dass wir diese eine Ausnahme machen müssen. Selbst wenn die Eigenschaft, die wir gefunden haben, wirklich allen anderen Stellen außer der einen, die wir genommen haben, gemeinsam und eigentümlich ist, so würde doch folgen, weil sie ihnen eigen ist – sie gehört nur zu ihnen –, dass sie nicht zu derjenigen gehört, die wir genommen haben. Und offensichtlich würde sie dies nicht tun. Diese bestimmte weiße Stelle ähnelt sich nicht selbst: Sie ist sie selbst – was eine ganze andere Sache ist. Daher hat diese weiße Stelle nicht die Eigenschaft, von der wir angenommen haben, dass sie dem ganzen Rest gemeinsam und eigentümlich ist. Und doch hat sie offensichtlich die Eigenschaft, nach der wir suchen – diejenige, die allen weißen Stellen gemeinsam und eigentümlich ist. Daher folgt, dass die Eigenschaft, die wir gefunden haben, nicht diejenige ist, die wir gesucht haben, es ist keine Eigenschaft, die allen weißen Stellen zugleich gemeinsam und eigentümlich ist. Und Sie sehen, dies ist ein wirklich allgemeiner Einwand gegen jeden Vorschlag, eine Eigenschaft zu definieren, die allen Mitgliedern einer Gruppe gemeinsam und eigentümlich ist und die in jeder Art von Ähnlich-

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keit zu einem unter ihren Mitgliedern besteht. Jede Art von Ähnlichkeit zu einem der Mitglieder einer Gruppe ist zwangsläufig immer eine Eigenschaft, die nicht zu allen Mitgliedern der Gruppe gehört, weil sie nicht zu dem ausgewählten Mitglied als demjenigen gehört, dem es ähnelt: Das ausgewählte Mitglied ähnelt nicht sich selbst, es ist es selbst oder es ist mit sich selbst identisch. Daher muss jeder Versuch immer scheitern, eine Eigenschaft auf diese Weise zu definieren, die allen Mitgliedern einer Gruppe zugleich gemeinsam und eigentümlich ist, da sie zumindest ein Mitglied auslässt: Es muss ein Mitglied geben, dass die entsprechende Eigenschaft nicht besitzt. Es kann natürlich gesagt werden, dass dieser Unterschied zwischen dem, einem Ding zu ähneln, und dem, das Ding selbst zu sein, nicht wichtig ist, dass es kein wichtiger Unterschied ist, der zwischen der Beziehung der Ähnlichkeit und der Beziehung der reinen Identität besteht. Aber ob dies so ist oder nicht, so muss doch ein Unterschied anerkannt werden. Was wir im Allgemeinen unter Ähnlichkeit verstehen, ist eine Beziehung, die ein Ding gewiss nicht mit sich selbst haben kann: Es ist eine Beziehung, die nur zwischen zwei verschiedenen Dingen bestehen kann – Dinge, die zumindest numerisch verschieden sind. Solange wir folglich das Wort „Ähnlichkeit“ in seiner allgemeinen Bedeutung verwenden, müssen wir den Versuch eindeutig aufgeben, eine Eigenschaft zu definieren, die durch Ähnlichkeit zu einem Mitglied einer Gruppe allen Mitgliedern gemeinsam und eigentümlich ist. Dieser Aspekt, dass wir die benötigte Eigenschaft auf diese Weise mit Hilfe der Ähnlichkeit in der allgemeinen Wortbedeutung nicht definieren können, ist der erste, den ich darlegen will. Und ich denke, dies ist lohnenswert, da es oftmals übersehen wird. Aber dieser bestimmte Grund, diese Theorie aufzugeben, verweist natürlich auf zwei andere Theorien, die uns möglicherweise das geben könnten, was wir möchten. Die erste von ihnen ist jene, die jemand meinen würde, der geneigt wäre, jeden wichtigen Unterschied zwischen Identität und Ähnlichkeit zu bestreiten. Solch eine Person könnte sagen, dass ein Ding immer zu sich selbst eine gewisse Beziehung hat, die Dinge, die ihm ähneln, auch zu ihm haben; dass es in diesem Sinn etwas gibt, dass der Beziehung von Ähnlichkeit und reiner Identität gemeinsam ist. Und sie könnten dann vorschlagen, die Eigenschaft, die wir wollen, mit Bezug auf diese vermutete Beziehung zu definieren, die immer zugleich in Ähnlichkeit und Identität enthalten ist, aber mit keiner identisch ist. Selbst wenn dies getan werden kann, so möchte ich doch hervorheben, dass es nicht dasselbe ist, wie die gewünschte Eigenschaft mit Hilfe der Ähnlichkeit zu definieren. Wir haben immer noch

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das Recht zu sagen, dass bloße Ähnlichkeit, welcher Art und welchen Grades auch immer, uns die gewünschte Eigenschaft nicht geben wird. Und ich sehe keinen Grund anzunehmen, dass es eine solche Beziehung gibt, wie diese Theorie sie erfordern würde – eine Beziehung, die jedes Ding immer zu sich selbst hat und die Grade zulässt, sodass jene Dinge, die einem Ding innerlich sehr ähneln, dieselbe Beziehung zu dem Ding haben würden, wie das Ding zu sich selbst hat, aber in einem geringeren Grad. Aber ich schicke mich nicht an zu beweisen, dass es eine solche Beziehung nicht gibt, sodass wir diese Theorie als eine mögliche Lösung unseres Problems ansehen müssen – eine Lösung, die nichts, was ich gesagt habe, ausschließt. Und die zweite Theorie, die noch möglich ist, lautet wie folgt. Es ist die Theorie, dass die Eigenschaft, nach der wir suchen – die Eigenschaft, die allen weißen Stellen gemeinsam und eigentümlich ist – nur das sein kann, was ich eine disjunktive Eigenschaft nennen werde. Es kann z.€B. gesagt werden: Angenommen, man nimmt eine bestimmte wirklich reinweiße Stelle, die wir „A“ nennen; dann besteht eine Eigenschaft, die wirklich allen weißen Stellen, A eingeschlossen, zugleich gemeinsam und eigentümlich ist, in der Tatsache, dass jedes von ihnen entweder A innerlich sehr viel mehr ähnelt als alles andere im Universum oder A ist. Ich nenne es eine disjunktive Eigenschaft, weil sie darin besteht, entweder eine Eigenschaft oder eine andere zu haben – entweder A mit einem besonderen Grad an Nähe zu ähneln oder A zu sein. Es kann nicht bestritten werden, dass, wenn alle weißen Stellen im Universum, außer A, A innerlich sehr viel ähnlicher sind als alles andere, dann diese disjunktive Eigenschaft wirklich eine Eigenschaft ist, die allen weißen Stellen im Universum zugleich gemeinsam und eigentümlich ist: Jede von ihnen ist entweder eine dieser sehr ähnlichen Stellen oder ist A; dies ist wirklich eine Eigenschaft, die zugleich zu A selbst und dem gesamten Rest gehört; und es ist eine Eigenschaft, die zu ihnen allen gehört, selbst wenn es nichts Gemeinsames zwischen dem, A zu sein, und dem, A zu ähneln, gibt – zwischen Ähnlichkeit und Identität. Es erscheint mir möglich, dass es wirklich keine Eigenschaft gibt, die wirklich allen weißen Stellen zugleich gemeinsam und eigentümlich ist, außer dieser disjunktiven Eigenschaft. Ich weiß wirklich nicht, wie man diese Annahme, dass dies so sein könnte, widerlegen kann; und dass daher die von uns gewünschte Eigenschaft eine rein disjunktive sein könnte.

Kapitel 19 Disjunktive und andere Eigenschaften

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as, was ich versucht habe deutlich zu machen, ist Folgendes. Ich habe versucht zu zeigen, dass es im Universum gewiss zwei verschiedene Arten von „Universalien“ oder „allgemeinen Ideen“ gibt, nämlich (1) Beziehungen und (2) Eigenschaften, die darin bestehen, eine Beziehung zu etwas zu haben. Es gibt im Universum gewiss eine ungeheuere Vielzahl von verschiedenen Universalien dieser beiden Arten. Und ich nehme an, dass Sie jetzt sehr klar verstehen, was ich mit diesen beiden Arten von Universalien gemeint habe. Nun gut: Das, was ich versucht habe zu entwickeln, bestand darin, dass es neben diesen beiden Arten womöglich im Universum Universalien einer dritten, völlig unterschiedlichen Art gibt. Dies scheint mir etwas zu sein, was äußerst schwierig zu zeigen ist, aber ich denke, es ist gewiss lohnenswert, es zu versuchen. Wenn es wahr ist, wenn es im Universum Universalien dieser dritten Art gibt, dann ist es gewiss, dass sie eine der wichtigsten Arten von Dingen sind, die überhaupt in ihm sind. Falls es überhaupt solche Dinge gibt, sind es Dinge, die wir alle fortwährend in unserem Bewusstsein haben – Dinge, an die wir fortwährend denken und über die wir sprechen. Und doch, wenn wir versuchen eine allgemeine Beschreibung des Universums zu geben – die Hauptarten der Dinge, die in ihm sind, zu nennen –, neigen wir sehr dazu, diese Universalien überhaupt nicht zu bemerken, sie zu übersehen oder auszulassen und so zu reden, als ob das Universum ausschließlich aus anderen Arten von Dingen bestünde. Dies trifft selbst auf meine ersten Arten von Universalien zu – auf Beziehungen und auf Eigenschaften, die darin bestehen, eine Beziehung zu diesem oder jenem zu haben. Viele Philosophen reden, als ob es im Universum noch nicht einmal solche Dinge gäbe – kurz gesagt, als ob es keine Universalien irgendeiner Art gäbe. Aber ich denke, es trifft besonders auf diese dritte Art von Universalien zu, weil es in ihrem Fall sehr viel schwieriger ist, sie deutlich zu unterscheiden – sie zu finden und im Geist zu betrachten, selbst wenn man sie vor sich hat. Ich habe versucht, Gründe anzugeben, durch die man annehmen kann, dass es Universalien dieser dritten Art gibt. Und ich dachte, wir könnten eine Universalie finden, wenn wir eine bestimmte Gruppe Sinnesdaten betrachten. Es gibt eine Gruppe Sinnesdaten, die farbige Stellen genannt werden

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können. (Unter dem Begriff „Stellen“ verstehe ich, wie ich bereits in Fußnote€3 auf Seite 37 sagte, Stellen von wirklich jeder Form und Größe, einschließlich des kleinsten sichtbaren Flecks.) Und in dieser Gruppe gibt es eine kleinere Gruppe, die aus jenen Stellen und nur aus jenen besteht, die entweder reinweiß oder, wenn nicht ganz reinweiß, doch gewiss weiß sind. Es war diese kleinere Gruppe, die ich zur Betrachtung gewählt habe – die Gruppe, die aus allen farbigen Stellen besteht, die gewiss weiß sind, einschließlich jener, die reinweiß sind. In der Hoffnung, eine Universalie meiner dritten Art zu finden, habe ich die Frage gestellt: Welche Eigenschaft gibt es, die zu allen Mitgliedern dieser Gruppe gehört und zu nichts anderem im Universum? Wir sagten zunächst, dass eine Eigenschaft, die zweifelsohne zu ihnen allen und zu nichts anderem gehört, einfach darin besteht, Mitglieder dieser Gruppe zu sein. Und wenn dies die einzige Eigenschaft ist, die zu ihnen allen und zu nichts anderem gehört, könnten wir natürlich keine Universalie meiner dritten Art gefunden haben. Denn diese Universalie ist nur eine Universalie meiner zweiten Art –€eine Eigenschaft der Beziehung. Aber ich habe Gründe angeführt, anzunehmen, und ich denke, es ist sehr offensichtlich, dass es neben dieser zumindest eine andere Eigenschaft gibt, die zu ihnen allen und nur zu ihnen gehört. Und so haben wir weiter nach solch einer Eigenschaft gesucht. Wir haben keine gefunden. Aber ich habe eine Eigenschaft angeführt, die mir näher an der Erfüllung der Voraussetzung schien als andere, die ich betrachtet hatte; und ich möchte jetzt ganz kurz wiederholen, was diese Eigenschaft ist und welcher Einwand gegen sie besteht, da ich denke, dass ich sie besser und plausibler darstellen kann als das letzte Mal. Jede gelblich weiße Stelle ähnelt jeder reinweißen Stelle in einer Hinsicht mehr, als irgendeine reingelbe Stelle irgendeiner reinweißen Stelle ähnelt. Dies scheint mir absolut sicher und unbestreitbar. Und wir alle wissen, welche Bezeichnung dieser Aspekt hat, es ist jener der Farbe, Schattierung oder des Farbtons. Wir können nun sagen, dass die Ähnlichkeit zwischen einer reinweißen Stelle und einer gelblich weißen Stelle hinsichtlich der Farbe immer größer ist als jene zwischen einer reinweißen Stelle und einer reingelben Stelle. In anderen Aspekten kann die innere Ähnlichkeit zwischen einer reingelben Stelle und einer reinweißen viel größer sein als die der beiden anderen. Zum Beispiel können wir eine reinweiße und eine reingelbe Stelle von genau derselben Größe und Form haben – z.€B. diese Form (auf der Tafel) – und eine gelblich weiße Stelle von einer sehr unterschiedlichen Größe und Form. In diesem Fall wird die Ähnlichkeit zwischen der reingel-

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ben und der reinweißen Stelle hinsichtlich der Größe und der Form natürlich sehr viel größer sein als jene zwischen der gelblich weißen und der reinweißen Stelle. Aber trotz dieser Tatsache gibt es offensichtlich einen Aspekt, in dem eine gelblich weiße Stelle einer reinweißen immer mehr ähnelt, als eine reingelbe es jemals tut – nämlich hinsichtlich ihrer Farbe, Schattierung oder ihres Farbtons. Jede gelblich weiße Stelle ähnelt daher immer hinsichtlich der Farbe irgendeiner reinweißen Stelle mehr, als irgendeine reingelbe Stelle jemals irgendeiner reinweißen Stelle in dieser Hinsicht ähnelt. Und es ist vollkommen offensichtlich, dass alle weißen Stellen, mit der einzigen Ausnahme der reinweißen Stellen selbst, allen reinweißen Stellen hinsichtlich der Farbe mehr ähneln, als irgendetwas anderes im Universum einer reinweißen Stelle ähnelt. Dies ist die offensichtlichste Eigenschaft, die tatsächlich zu ihnen allen und zu nichts anderem im Universum gehört: ein gewisser Grad an Ähnlichkeit hinsichtlich der Farbe zu allen reinweißen Stellen. Alle von ihnen haben wirklich diesen Grad an Ähnlichkeit zu reinweißen hinsichtlich der Farbe, den nichts anderes im Universum hat. Somit haben wir eine Eigenschaft gefunden, die zu allen weißen Stellen, außer den reinweißen, und zu nichts anderem im Universum gehört. Und es könnte angenommen werden, dass dies die einzige Eigenschaft ist, auf die beides zutrifft, dass alle weißen Stellen sie gemeinsam besitzen und dass nichts anderes im Universum sie besitzt. Aber der vernichtende Einwand gegen diese Vermutung besteht darin, wie wir das letzte Mal gesehen haben, dass die reinweißen Stellen sie nicht besitzen. Es trifft auf sie nicht zu, dass jede einzelne von ihnen einen Grad an Ähnlichkeit hinsichtlich der Farbe zu allen reinweißen Stellen hat, den nichts anderes im Universum hat. Es trifft auf sie einfach nicht zu, da keine von ihnen sich in irgendeinem Grad selbst ähnelt. Jede einzelne hat zweifelsohne den entsprechenden Grad an Ähnlichkeit mit dem Rest – den anderen reinweißen Stellen. Aber sie hat den Grad an Ähnlichkeit nicht zu sich selbst, aus dem einfachen Grund, dass sie sich nicht selbst ähnelt, sondern einfach sie selbst ist. Keine reinweiße Stelle hat daher den erforderlichen Grad an Ähnlichkeit zu allen reinweißen Stellen: Sie hat ihn nur zum Rest, außer zu sich selbst. Und wir können deshalb nicht sagen, dass die Eigenschaft, einen gewissen Grad an Ähnlichkeit zu allen reinweißen Stellen hinsichtlich der Farbe zu haben, eine Eigenschaft ist, die zu allen weißen Stellen gehört, einfach weil diese Eigenschaft nicht zu allen reinweißen Stellen selbst gehört. Doch wie ich gesagt habe, lässt dieser Einwand sofort auf eine andere Eigenschaft schließen, die wirklich zu allen weißen Stellen und zu nichts anderem gehört. Die Eigenschaft, die ich meine, ist folgende. Jede von ihnen

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hat wirklich die Eigenschaft, entweder den erforderlichen Grad an Ähnlichkeit zu allen reinweißen Stellen hinsichtlich der Farbe zu haben oder eine reinweiße Stelle zu sein. Von jeder reinweißen Stelle ist es wahr, dass sie entweder den erforderlichen Grad an Ähnlichkeit zu reinweißen Stellen hat oder eine reinweiße Stelle ist. Dies trifft auf alle reinweißen zu, da jede von ihnen eine reinweiße Stelle ist, d.€h. sie erfüllt die zweite Bedingung, die in der Disjunktion genannt wird. Und es trifft auch auf alle anderen weißen Stellen zu – alle, die nicht reinweiß sind: Es trifft auf sie zu, da jede von ihnen den erforderlichen Grad an Ähnlichkeit hinsichtlich der Farbe zu allen reinweißen Stellen hat, d.€h. weil sie die erste Bedingung erfüllen, die in der Disjunktion genannt wird. Es ist daher wahr, dass wirklich jede weiße Stelle die eine oder die andere Bedingung erfüllt, die in der Disjunktion genannt wird; und wirklich jede von ihnen besitzt folglich die disjunktive Eigenschaft, entweder den reinweißen Stellen in dieser speziellen Hinsicht und in dem Grad zu ähneln oder eine reinweiße zu sein. Und gewiss nichts anderes im Universum besitzt diese disjunktive Eigenschaft: Auf nichts anderes im Universum trifft es zu, dass es entweder eine reinweiße Stelle ist oder den erforderlichen Grad an Ähnlichkeit zu reinweißen Stellen hinsichtlich der Farbe hat; nichts anderes im Universum erfüllt die Bedingung, dass entweder die erste oder die zweite auf es zutrifft. Die disjunktive Eigenschaft ist daher wirklich eine Eigenschaft, die unsere Voraussetzungen erfüllt: Sie gehört wirklich zu allen weißen Stellen und zu nichts anderem. Und wenn jemand denkt, dass sei wirklich die einzige Eigenschaft neben der Mitgliedschaft in der Gruppe, die zu allen weißen Stellen und zu nichts anderem gehört, so muss ich gestehen, dass ich nicht weiß, wie das Gegenteil zu beweisen wäre. Ich denke, dass es wahrscheinlich einen Weg gibt, zu beweisen, dass dies nicht die einzige ist, aber ich habe keinen gefunden. Daher kann ich nicht bestreiten, dass diese disjunktive Eigenschaft diejenige sein könnte, die wir suchen. Und wenn dies die einzige Eigenschaft neben der Mitgliedschaft in der Gruppe ist, die zu ihnen allen und zu nichts anderem gehört, sind wir natürlich wieder gescheitert, eine Universalie meiner dritten Art zu finden. Denn diese Eigenschaft ist auch nur eine Universalie meiner zweiten Art. Aber die meisten Leute würden geneigt sein zu sagen, dass diese disjunktive Eigenschaft nicht die einzige neben der Mitgliedschaft in der Gruppe sein kann, die zu der gesamten Gruppe von weißen Stellen und zu nichts anderem gehört. Es könnte behauptet werden, dass es selbstverständlich ist, dass es eine andere Eigenschaft gibt, die ihnen allen gemeinsam und eigentümlich ist – eine Eigenschaft, die nicht nur eine disjunktive ist. Und obwohl

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ich nicht sicher bin, ob dies so ist oder nicht, ist es doch lohnenswert zu betrachten, was diese Eigenschaft sein könnte, angenommen, es gibt eine. Und viele Leute würden geneigt sein, nicht nur zu sagen, dass es ganz offensichtlich ist, dass es eine solche Eigenschaft gibt, sondern auch, dass es ganz offensichtlich ist, was diese Eigenschaft ist. Sie würden sagen: Sie besteht offensichtlich in der Tatsache, dass es ein Reinweiß in ihnen allen gibt oder in ihnen vorhanden ist, dass eine gewisse Menge von Reinweiß ein Element in ihnen allen ist oder dass Reinweiß in einem gewissen Ausmaß ein Element in ihnen allen ist. Wir sollten natürlicherweise von ihnen allen sagen, dass, außer in den reinweißen Stellen, etwas Weiß in allen von ihnen ist. Wir sollten sagen, dass mehr Weiß in einer bläulich weißen als in einer weißlich blauen ist und dass das den Unterschied zwischen ihnen darstellt; und auch, dass das, was den Unterschied zwischen den beiden und einer reinblauen Stelle darstellt, darin besteht, dass es in der reinblauen überhaupt kein Weiß gibt, während es bei den beiden anderen vorkommt. Und wenn wir gefragt werden, was wir mit diesem Ding, das wir „Weiß“ nennen, meinen, das in allen von ihnen ist, sollten wir gewiss geneigt sein zu antworten, dass wir damit „Reinweiß“ meinen. Bezüglich reinweißer Stellen sollten wir geneigt sein zu sagen, dass das, was den Unterschied zwischen ihnen und den Stellen, die nur weiß und nicht reinweiß sind, darstellt, darin besteht, dass in den letztgenannten eine andere Farbe, genauso wie Reinweiß, zu einem gewissen Grad vorhanden ist, während in allen reinweißen Stellen nur Reinweiß allein vorhanden ist und keine andere Farbe. Dies ist die natürlichste Beschreibung des ganzen Sachverhalts. Aber es bringt uns mehrere neue Probleme. Wenn wir sagen, „in jeder bläulich weißen oder gelblich weißen Stelle ist Reinweiß in einem gewissen Grad vorhanden“, so kommt zunächst die Frage auf: Was ist dieses Ding, das wir „Reinweiß“ nennen? Bis jetzt haben wir nur reinweiße Stellen oder Stellen mit Reinweiß erkannt und es scheint offensichtlich nicht zutreffend zu sein, wenn man sagt, dass in jeder bläulich weißen Stelle eine reinweiße Stelle vorhanden ist. Es ist gewiss nicht wahr, dass jede bläulich weiße Stelle eine reinweiße Stelle als Bestandteil hat. Daher meinen wir offenbar mit „Reinweiß“ etwas, das sich von einer bestimmten reinweißen Stelle oder von der Summe von ihnen allen unterscheidet – etwas, das selbst eine Universalie ist, die ihnen allen gemeinsam ist. Und die erste Frage, die wir stellen müssen, lautet, was diese Universalie, die „Reinweiß“ genannt wird, ist, ob sie sich von einer reinweißen Stelle unterscheidet oder nicht, und wenn sie sich unterscheidet, in welcher Weise sie sich unterscheidet. Zweitens müssen wir fragen, was mit der

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Aussage gemeint ist, dass sie in allen weißen Stellen ist, ob das, was wir „vorhanden sein in€...“ nennen, eine Bezeichnung für eine Beziehung ist, die sie zu ihnen hat, oder nicht; und wenn ja, was die Beziehung ist. Und schließlich werden wir fragen müssen, was mit der Aussage gemeint ist, dass sie in ihnen in verschiedenen Graden vorhanden ist, ob das, was gemeint ist, darin besteht, dass mehr Reinweiß in der einen als in der anderen vorhanden ist; oder ob andererseits Reinweiß etwas ist, das keine Gradeinteilung hat, und die Wahrheit des Sachverhalts darin besteht, dass es in einigen mehr vorhanden ist als in anderen; kurz gesagt, ob der Gradunterschied ein Unterschied in der Menge von Reinweiß ist, die vorhanden ist, oder ein Unterschied im Grad seines Vorhandenseins. Und bezüglich der ersten Frage, der Frage, was die Universalie „Reinweiß“ ist, können zwei sehr verschiedene Sichtweisen angenommen werden. Ich habe bereits erklärt, dass ich mit einer „Stelle“ eine Stelle von wirklich jeder Größe und Form meine, bis zum und einschließlich des kleinsten sichtbaren Flecks – eines Flecks, hinsichtlich dessen wir geneigt sein sollten zu sagen, dass er überhaupt keine Form hat und vielleicht auch keine Größe. Betrachten wir eine Stelle, die größer als ein bloßer Fleck ist – z.€B. diese Stelle (auf der Tafel), d.€h. jenes Sinnesdatum, das jeder von uns direkt erfasst, wenn er diese Stelle auf der Tafel sieht. Und nehmen wir an, dass sie wirklich reinweiß ist, obwohl sie es wahrscheinlich nicht ist. Es ist völlig offensichtlich, dass jede solche durch die Sinne gegebene Stelle einteilbar in andere Stellen ist, die Teile von ihr sind, oder sie enthält, und jede von diesen ist ebenso eine reinweiße Stelle wie die gesamte es ist. Teilen wir sie in zwei Teile und betrachten diese beiden. Dieser Teil unterscheidet sich offensichtlich von dem anderen in Größe und Form; und sie unterscheiden sich auch in einem anderen Aspekt, nämlich dass diese an einem anderen Ort ist als jene: Diese ist z.€B. näher als die andere an dem Sinnesdatum, das den Rand der Tafel darstellt. Eine Sichtweise, die nun vertreten werden kann, lautet wie folgt. Es kann behauptet werden, dass trotz ihres Unterschieds in Größe und Form sowie trotz der Tatsache, dass sie sich an zwei verschiedenen Orten befinden, die beiden Stellen sich selbst nicht unterscheiden, sondern ein und dieselbe sind. Wenn man es auf diese Weise ausdrückt, widerspricht es sich natürlich selbst: Wenn sie wirklich zwei sind, können sie nicht ein und dieselbe sein. Aber die Ansicht, die ich meine, widerspricht sich nicht selbst, obwohl es sehr schwierig ist, sie auszudrücken, außer in Worten, die sich selbst zu widersprechen scheinen. Wir könnten versuchen, sie auf folgende Weise auszudrücken. Wir könnten sagen: „Es gibt eine Farbe, die ,Reinweiß‘ genannt

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wird, und diese Farbe ist an diesen beiden Orten zugleich – sie nimmt beide Orte gleichzeitig ein; und wir sprechen, als ob sie nicht ein Ding, sondern zwei wären, weil sie an diesem Ort eine andere Größe und Form hat als jene, die sie an dem anderen hat. Und doch besteht die Wahrheit des Sachverhalts darin, dass es ein und dieselbe Farbe ist, die zugleich diese beiden unterschiedlichen Größen und Formen hat: Sie hat eine Größe und eine Form an diesem Ort und eine andere Größe und Form an dem anderen Ort, aber sie ist sie selbst an beiden Orten zugleich – ein und dasselbe Ding ist wirklich an zwei Orten und hat beide Größen und Formen zugleich.“ Und ebenso verhält es sich, wenn wir hier einen reinweißen Fleck nehmen und hier einen anderen, beide haben dieselbe Größe und Form. Laut dieser Ansicht haben wir nicht zwei reinweiße Flecke, obwohl wir sprechen sollten und müssen, als ob wir sie hätten; die Wahrheit des Sachverhalts besteht darin, dass genau dasselbe Ding, „Reinweiß“ genannt“, das vorher nicht an diesen beiden Orten war, jetzt in beiden von ihnen ist; die Wahrheit ist, dass das Ding, das an diesem Ort sichtbar ist, wirklich genau dasselbe Ding ist, das auch an dem anderen Ort ist. Diese Ansicht scheint gewiss sehr paradox und ich denke, sie widerspricht allem, was wir jeden Tag glauben und auch nicht anders können, als es zu glauben. Aber der Vorteil von ihr ist, dass sie aus der Universalie „Reinweiß“ etwas macht, das zweifelsohne ist – etwas, das wir alle tatsächlich sehen und mit dem wir alle vertraut sind –, und sie hinterlässt daher keinen Zweifel, entweder dass ein solches Ding ist oder hinsichtlich dessen, was es ist. Wenn man eine reinweiße Stelle ansieht, sieht man tatsächlich gemäß dieser Ansicht die Universalie „Reinweiß“: Die Universalie ist Teil dessen, was man durch den Gesichtssinn direkt erfasst. Und auf den Einwand, dass diese Ansicht paradox ist, kann man entgegen, dass der Raum nur so behandelt wird, als ob er genau analog zur Zeit wäre. Wir nehmen alle an, und es scheint wahr zu sein, dass ein und dasselbe Ding an ein und demselben Ort zu zwei verschiedenen Zeiten sein kann. Wann immer wir annehmen, dass ein Ding wirklich für eine Zeitdauer ruht, nehmen wir an, dass es an demselben Ort zu zwei verschiedenen Zeiten ist. Aber wenn ein Ding an demselben Ort zu zwei verschiedenen Zeiten sein kann, warum (so kann gefragt werden) sollte es nicht zur selben Zeit an zwei verschiedenen Orten sein? Die beiden Vermutungen sind genau vergleichbar, sodass es, wenn der Raum genau analog zur Zeit wäre, wirklich so sein würde; und dies ist alles, was unsere Theorie von uns fordert, dass wir es annehmen. Daher ist es gewiss eine vorstellbare Theorie und eine, die sich nicht selbst widerspricht. Und ich muss gestehen,

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dass ich wirklich keinen schlüssigen Einwand gegen sie finden kann. Der einzigen Einwand, den ich gegen sie vorbringen kann, besteht darin, dass das, was an diesem Ort hier ist, nicht dasselbe ist wie das, was an diesem anderen Ort ist. Obwohl es keinen qualitativen Unterschied zwischen den beiden gibt, scheint es mir selbstverständlich, dass sie numerisch verschieden sind – dass sie zwei sind und nicht ein und dasselbe. Oder um denselben Einwand anders zu formulieren, es scheint mir selbstverständlich, dass das Sinnesdatum, das diesen gesamten Raum einnimmt, Teile hat, die sich von dem anderen unterscheiden; dass es nicht nur wahr ist, dass der Raum, den es einnimmt, Teile hat, während die reinweiße Stelle selbst unteilbar ist und jeden von ihnen einnimmt. Aber ich kann nur behaupten, dass diese Dinge selbstverständlich sind: Ich kenne kein Argument, um zu beweisen, dass sie wahr sind. Daher denke ich, dass wir zugeben müssen, dass diese paradoxe Theorie eine mögliche Theorie bezüglich des Wesens der Universalie „Reinweiß“ ist. Es gibt nur noch einen Aspekt, den ich bezüglich dieser Theorie hinzufügen möchte. Ich habe durchwegs gesprochen, als ob dieses Ding, „Reinweiß“ genannt, das gemäß dieser Theorie an diesen unterschiedlichen Orten zu derselben Zeit und in jedem Teil von ihnen ist, wirklich eine „Universalie“ sein würde. Ich denke, jene, die die Theorie vertreten, würden sagen, dass es eine sei. Und falls es eine wäre, würde sie natürlich eine Universalie meiner dritten Art sein; denn es ist gewiss weder eine Beziehung noch eine Eigenschaft, die darin besteht, zu diesem oder jenem eine Beziehung zu haben. Es ist einfach nur diese Farbe, die, wie wir sehen, zugleich diesen gesamten Raum einnimmt und jeden Teil von ihm. Aber das, was ich hervorheben möchte, besteht darin, wenn diese Farbe eine Universalie ist, dass es sehr zweifelhaft scheinen würde, ob es irgendwelche Dinge gibt, die im Universum überhaupt keine Universalien sind, außer partikulären Orten und Zeiten. Wenn diese weiße Stelle, die wir tatsächlich sehen, kein partikuläres Ding ist, gibt es keinen Grund mehr anzunehmen, dass etwas anderes außer partikulären Orten und Zeiten es ist. Ich denke, dies ist die wirkliche Schwierigkeit dieser Theorie. Jeder spricht gewöhnlich, als ob es andere partikuläre Dinge neben partikulären Orten und Zeiten gäbe; und selbst jene, die diese Theorie vertreten, tun dies. Aber soweit ich es beurteilen kann, gäbe es keinen Grund anzunehmen, dass es überhaupt irgendwelche partikulären Dinge außer partikulären Orten und Zeiten gibt, wenn diese Theorie wahr wäre und wenn diese weiße Stelle eine Universalie wäre. Diese Schwierigkeit und tatsächlich das ganze Problem, das ich jetzt hinsichtlich der Unterscheidung zwischen Universalen und partikulären Dingen betrachte, neigt dazu,

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durch die folgende Ausdrucksweise verdeckt zu werden. Leute neigen dazu, zu sagen: „Wenn wir von ,dieser bestimmten weißen Stelle‘ sprechen und sie ein partikuläres Ding nennen, ist das, was wir meinen, ,die Universalie betrachtet als diesen partikulären Ort einnehmend‘. Was wir mit den Worten ,diese bestimmte weiße Stelle‘ meinen, ist, dass die Universalie so betrachtet wird, dass sie diesen Ort einnimmt; und was wir mit ,jener bestimmten weißen Stelle‘ meinen, ist, dass die Universalie so betrachtet wird, dass sie jenen Ort einnimmt. Die Universalie, die als diesen Ort einnehmend betrachtet wird, unterscheidet sich wirklich von derselben Universalie, die als den anderen Ort einnehmend betrachtet wird. Es ist die Position im Raum, die diesen Universalien Partikularität gibt.“ Aber wenn man genau darüber nachdenkt, ist es offensichtlich, dass dieser Ausdruck „Reinweiß betrachtet als diesen Raum einnehmend“ entweder nur eine Bezeichnung für eine Universalie ist oder für überhaupt nichts. Es gibt nichts, für das es eine Bezeichnung sein könnte, im Unterschied zu einer Universalie. Es ist wahr, dass der gesamte Satz „Reinweiß, betrachtet als diesen Raum einnehmend, ist rund“ wirklich eine Bedeutung haben würde im Gegensatz zu dem Satz „Reinweiß ist rund“. Seine Bedeutung würde sein, dass Reinweiß an diesem Ort rund ist, während es quadratisch oder dreieckig an anderen Orten sein kann. Aber es sind nur die beiden ganzen Sätze, die unterschiedliche Bedeutungen haben. Der Ausdruck „Reinweiß betrachtet als diesen Ort einnehmend“ ist selbst keine Bezeichnung für irgendetwas im Unterschied zu „Reinweiß“. Der Fall stellt sich analog zu dem dar, was wir zuvor gesehen haben. Wir haben festgestellt, dass der gesamte Satz „ich stelle mir eine Chimäre vor“ gewiss eine Bedeutung hat, und zwar eine unterschiedliche Bedeutung als der gesamte Satz „ich stelle mir einen Greif vor“. Aber wir haben gesehen, dass trotz dieser Tatsache es ein Fehler ist anzunehmen, dass die Wörter „eine Chimäre“ oder „ein Greif“ selbst für irgendetwas eine Bezeichnung sind. Gesamte Sätze, in denen sie vorkommen, sind sehr oft Bezeichnungen für Tatsachen. Aber diese Ausdrücke selbst sind keine Bezeichnungen für irgendetwas. Auf dieselbe Weise scheint es nun offensichtlich zu sein, dass der Ausdruck „Reinweiß betrachtet als diesen Ort einnehmend“ keine Bezeichnung für irgendetwas ist im Unterschied zu Reinweiß. Es gibt nichts im Universum, das den Namen „Reinweiß betrachtet als diesen Ort einnehmend“ trägt. Das heißt, wir können die Tatsache, die durch den Satz „Reinweiß, betrachtet als diesen Ort einnehmend, ist rund“ ausgedrückt wird, nicht auflösen in ein partikuläres Ding einerseits, „Reinweiß betrachtet als diesen Ort einnehmend“ genannt, und eine Eigenschaft, „rund sein“ genannt, andererseits; genauso

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wenig wie wir die Tatsache, die durch den Satz „ich stelle mir einen Greif vor“ ausgedrückt wird, in „einen Greif“ einerseits und die Eigenschaft, von mir vorgestellt zu werden, andererseits auflösen können. Kurzum würden alle partikulären Dinge außer partikulären Orte und Zeiten gemäß dieser Ansicht etwas rein Imaginäres sein – genauso imaginär wie Greife oder Chimären. Alles, was wahr sein würde, würde darin bestehen, dass ein und dieselbe Universalie „Reinweiß“ an einem Ort rund sein würde und quadratisch an einem anderen; groß an einem Ort und klein an einem anderen. Es würde kein solches Ding wie ein partikuläres Ding geben, das „die reinweiße Stelle an diesem Ort“ heißen würde, die rund ist und nicht quadratisch. Alles, was es geben würde, würde die Universalie Reinweiß sein, die zugleich rund und quadratisch ist, aber die dies an verschiedenen Orten ist. Doch all dies bildet keinen vernichtenden Einwand gegen die Theorie, dass es ein und dasselbe Ding ist, „Reinweiß“ genannt, das an all den verschiedenen Orten ist, von denen wir sagen, dass es dort eine reinweiße Stelle gibt. Und es bleibt nur übrig zu fragen: Angenommen, diese Theorie wäre wahr, könnte es der Fall sein, dass dieses Ding, „Reinweiß“ genannt, wirklich in allen weißen Stellen ist oder in ihnen vorhanden? Und dass sein Vorhandensein in ihnen die Eigenschaft ist, die ihnen allen gemeinsam und eigentümlich ist? Soweit ich es beurteilen kann, müssen wir auf diese Frage mit Nein antworten. Zunächst muss betont werden, dass gemäß dieser Theorie das Ding, das „Reinweiß“ genannt wird, einfach überhaupt nicht in den reinweißen Stellen ist: Es ist nicht in ihnen, sondern mit ihnen identisch. Jede reinweiße Stelle ist dieses Ding und ist ein und dieselbe Stelle. Es ist tatsächlich wirklich ein Fehler, laut dieser Theorie, von verschiedenen reinweißen Stellen oder von überhaupt jeder reinweißen Stelle zu sprechen; es gibt tatsächlich nur eine Stelle, die an so vielen verschiedenen Orten und von so unterschiedlichen Größen und Formen ist. Daher bleibt nur zu betrachten, ob dieses Ding möglicherweise in irgendeinem Sinn in den anderen weißen Stellen sein könnte – in denjenigen, die nicht reinweiß sind: in z.€B. allen verschiedenen bläulich oder gelblich weißen Stellen. Und soweit ich es beurteilen kann, kann es dies gewiss nicht sein. Denn wir müssen uns erinnern, dass gemäß dieser Theorie „Reinweiß“ das Sinnesdatum ist, das wir tatsächlich sehen, wenn wir eine reinweiße Stelle ansehen. Und wenn wir nun annehmen sollten, dass es in einer bläulich weißen Stelle ist, müssten wir annehmen, dass dieses Sinnesdatum, das sich so deutlich von Bläulichweiß unterscheidet, wirklich in jedem Teil der bläulich weißen Stelle enthalten ist. Tatsächlich würde die Annahme mit der Annahme identisch sein, dass eine reinweiße Stelle von

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genau derselben Größe und Form wie eine bläulich weiße Stelle in jeder bläulich weißen Stelle enthalten ist; und es erscheint mir vollkommen offensichtlich, dass dies nicht so ist. Wenn wir daher diese Theorie über das Wesen des Reinweißes akzeptieren, sind wir mit dem Versuch gescheitert, eine Eigenschaft zu finden, die allen weißen Stellen gemeinsam und eigentümlich ist. Aber angenommen, wir weisen sie aufgrund dessen zurück, dass das, was an diesem Ort ist, sich selbstverständlich von dem unterscheidet, was an jenem ist, und auch nicht identisch mit ihm ist, obwohl beide reinweiße Stellen sind. Angenommen, wir weisen sie zurück, was ist die Alternative? Wir müssen uns erinnern, dass, wenn wir sie zurückweisen, wir sagen, dass wirklich jeder reinweiße Fleck, der an einem Ort zu einer Zeit ist, ein anderer Fleck ist als jeder Fleck, der an einem anderen Ort zur selben Zeit ist. Wir werden somit eine ungeheuere Vielzahl verschiedener reinweißer Flecken im Universum haben, jeder numerisch verschieden vom gesamten Rest, obwohl sie alle in der Qualität genau gleich sind. Und wir müssen uns daran erinnern, dass es diese Flecken sind, die sich alle voneinander unterscheiden, die das sind, was wir sehen, wenn wir reinweiße Stellen sehen. Wenn ich diese reinweiße Stelle hier sehe, sehe ich nicht dasselbe, wie wenn ich diese Stelle dort sehe, obwohl beide reinweiße Stellen und in der Qualität genau gleich sind. All dieses scheint der reinste gesunde Menschenverstand zu sein; und es ist wirklich das, was wir alle für gewöhnlich annehmen. Aber dann sollten wir auch annehmen, dass alle diese verschiedenen Flecke eine gemeinsame Eigenschaft haben, eine Eigenschaft, die vielleicht auch zu allen weißen Flecken irgendeines Grades gehört, aber die zu nichts anderem im Universum gehört. Und wir nehmen auch an, dass diese Eigenschaft nicht in der bloßen Tatsache besteht, dass sie alle Mitglieder einer Gruppe sind, die sie alle enthält, und auch dass es nicht nur eine disjunktive Eigenschaft ist. Was kann diese Eigenschaft sein, wenn es sie gibt? Es scheint mir nun, dass es zwei verschiedene Ansichten gibt, die in Bezug auf sie eingenommen werden können. Und ich möchte den Unterschied so sorgfältig wie möglich darlegen. Wir haben gesehen, dass es einige Eigenschaften gibt, die darin bestehen, eine Beziehung zu etwas zu haben. Diese sind die einzigen Arten von Eigenschaften, die wir bis jetzt erkannt haben. Als ein Beispiel haben wir die Eigenschaft genommen, zu der Gruppe A und B zu gehören – ein Mitglied dieser Gruppe zu sein – eine der beiden Stellen A und B zu sein. Und wir haben gesehen, dass dies eine Eigenschaft ist, die zugleich zu A und zu B gehört. Aber wir haben auch gesehen, dass die Aus-

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sage, dass A ein Mitglied der Gruppe A und B ist, dasselbe wie die Aussage ist, dass es eine Beziehung zur Mitgliedschaft in dieser Gruppe hat. Und wir haben gesehen, dass diese Beziehung nicht nur A und B mit A und B verbindet, sondern auch alles, was ein Mitglied irgendeiner Gruppe ist, mit der Gruppe, dessen Mitglied es ist, verbindet. Die Beziehung der Mitgliedschaft ist daher etwas ganz anderes als die Tatsache, dass A diese Beziehung zu A und B hat. Die Beziehung ist etwas, das C auch zu B und C hat, und ist ebenso ein Bestandteil einer unendlichen Anzahl anderer Tatsachen im Universum. Und wenn man dies erkannt hat, ist es natürlich zu fragen: Was ist damit gemeint, dass A diese Beziehung zu A und B hat? Ist nicht vielleicht gemeint, dass es eine Beziehung zu dieser Beziehung hat? Es ist, denke ich, vorgeschlagen worden, dass, wann immer wir von einem Ding A sagen, dass es die Beziehung R zu einem anderen B hat, ein Teil dessen, was mit der Aussage gemeint ist, dass es diese Beziehung zu B hat, darin besteht, dass es eine Beziehung zu dieser Beziehung hat. Und was ich hervorheben möchte, ist, dass dies ganz unmöglich ist. Es kann unmöglich der Fall sein, dass ein Teil dessen, was mit der Aussage gemeint ist, eine Beziehung R zu diesem oder jenem zu haben, nur darin besteht, eine andere Beziehung zu R zu haben. Denn wir versuchen offenbar, wenn wir dies sagen, die Vorstellung, eine Beziehung haben, mittels genau der Vorstellung zu erklären, von der wir ausgegangen sind. Wenn wir nicht verstehen können, was mit der Aussage, eine Beziehung R zu haben, gemeint ist, können wir es unmöglich besser verstehen, was mit der Aussage gemeint ist, eine andere Beziehung zu R zu haben. Unsere vorgeschlagene Erklärung ist überhaupt keine Erklärung. Daher müssen wir darauf bestehen, dass die Vorstellung, eine Beziehung zu haben, eine endgültige Vorstellung ist und dass sie unmöglich als einen Teil beinhalten kann, dass sie eine andere Beziehung zu dieser Beziehung hat. Ich möchte diesen Aspekt deutlich von einem anderen abgrenzen, mit dem er leicht verwechselt werden kann. Es kann vielleicht der Fall sein, wann immer ein Ding A eine Beziehung R zu einem anderen Ding B hat, dass es tatsächlich auch eine andere Beziehung zu der Beziehung R haben muss. Ich bestreite dies nicht und ich weiß auch tatsächlich nicht, wie man es bestreiten könnte. Alles, was ich behaupte, ist, dass der Umstand, dass A die Beziehung R zu B hat, unmöglich beinhalten kann, dass es diese andere Beziehung zu R hat. Was damit gemeint ist, eine Beziehung R zu B zu haben, kann unmöglich mit der Aussage erklärt werden, dass ein Teil seiner Bedeutung darin besteht, eine gewisse andere Beziehung zu der Beziehung R zu haben. Aber ich hebe diesen Punkt besonders hervor, weil folgt, dass, wo eine Eigenschaft darin

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besteht, eine Beziehung zu diesem oder jenem zu haben, diese Eigenschaft dann in einem Sinn zu dem Ding gehört, das sie hat, es bedeutet nicht, dass sie mit diesem Ding verbunden ist. Es ist lohnenswert, diesen Punkt zu betrachten, da, wenn wir sagen, „diese oder jene Eigenschaft gehört zu A“, es sehr natürlich ist anzunehmen, dass das, was wir mit dem Wort „gehört“ meinen, eine Beziehung sein muss, die die Eigenschaft zu A hat. Aber wenn die Eigenschaft selbst darin besteht, eine Beziehung zu etwas zu haben, kann dies gewiss nicht der Fall sein. Die Eigenschaft, ein Mitglied von A und B zu sein, ist eine Eigenschaft, die zu A in einem gewissen Sinn gehört, es bedeutet nicht, dass sie mit A verbunden ist. Daraus folgt, da zu sagen, dass A diese Eigenschaft hat, nur äquivalent zu der Aussage ist, dass A die Beziehung der Mitgliedschaft zu A und B hat; und wir haben gesehen, dass kein Teil dessen, was mit „eine Beziehung haben“ gemeint ist, darin bestehen kann, eine Beziehung zu dieser Beziehung zu haben. Es ist nun vollkommen klar, dass Eigenschaften, die darin bestehen, eine Beziehung zu diesem oder jenem zu haben, zu den Dingen gehören, von denen sie Eigenschaften sind, in einem gewissen Sinn, der nicht darin besteht, mit ihnen verbunden zu sein. Wenn dies einmal erkannt ist, ist es offenbar möglich zu fragen: Warum sollten nicht andere Dinge – Dinge, die nicht darin bestehen, eine Beziehung zu diesem oder jenem zu haben – auch zu dem gegebenen Ding in dem Sinn gehören – in einem anderen Sinn als mit ihnen verbunden zu sein? Oder anders gesagt: Warum sollte es keine Eigenschaften geben, die nicht darin bestehen, eine Beziehung zu diesem oder jenem zu haben, aber die doch zu Dingen in demselben Sinn gehören wie jene, die darin bestehen? Viele Philosophen haben sich ausgedrückt, als ob es solche Eigenschaften gäbe. Sie haben sich so ausgedrückt, als ob einige der Dinge, die „Prädikate“ oder „Qualitäten“ genannt werden, zu den Dingen gehören, deren Prädikate oder Qualitäten sie sind, und zwar in einem Sinn, der nicht darin besteht, mit ihnen verbunden zu sein. Sie haben sich ausgedrückt, als ob ein Ding A durch ein anderes B „bestimmt“ wird oder es B als Prädikat haben könnte und als ob sie durch diese Aussage nicht sagen würden, dass B mit A verbunden ist, selbst wenn B etwas wäre, das nicht nur darin besteht, eine Beziehung zu etwas anderem zu haben. Nun möchte ich aber nicht sagen, dass es Eigenschaften dieser Art gibt – Eigenschaften, die nicht darin bestehen, eine Beziehung zu diesem oder jenem zu haben, aber die doch zu Dingen in demselben Sinn gehören, der nicht bedeutet, dass sie mit ihnen verbunden sind. Soweit mir bekannt ist, ist es niemand jemals gelungen, eine Eigenschaft darzulegen, die vollkommen eindeutig von dieser Art ist. Und ich denke, es

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ist völlig eindeutig, dass viele der Dinge, von denen oft so gesprochen wird, als ob sie Eigenschaften dieser Art wären, es gewiss nicht sind. Wenn von Farben z.€B. als „sekundäre Qualitäten“ gesprochen wird, wird oft vage angenommen, dass, indem wir sie als Qualitäten bezeichnen, wir meinen, dass sie eine Art von Ding sind, das zu Dingen gehören kann, dessen Qualitäten sie in einem Sinn sind, der nicht bedeutet, mit ihnen verbunden zu sein. Ich denke, in der Philosophie gibt es eine andauernde Verwirrung zwischen Eigenschaften, die darin bestehen, eine Beziehung zu diesem oder jenem zu haben, und dem Diesem oder Jenem selbst, zu dem die Beziehung aufgebaut wird, worin die Eigenschaft besteht. Wenn z.€B. von einer Orange gesagt wird, sie sei gelb, bedeutet dies gewiss nur, dass sie eine gewisse Beziehung zu der Farbe Gelb hat. Aber diese Eigenschaft – die Eigenschaft, eine Beziehung zu Gelb zu haben –, die die Orange in einem Sinn hat, der nicht nur bedeutet, dass sie – die Eigenschaft – mit ihr verbunden ist, wird sehr oft mit der Farbe Gelb selbst – einem Ding, das nur mit der Orange verbunden ist und nicht in irgendeinem Sinn zu ihr gehören kann – verwechselt. Und Ähnliches gilt, wenn man von „Prädikaten“ und „Adjektiven“ spricht, so besteht auch hier eine Verwechslung derselben Art. Einige Leute würden sagen: Es gibt ein solches Ding, wie die Prädikationsbeziehung – die Beziehung, die ein Prädikat immer zu einem Ding hat, dessen Prädikat es ist. Während andere sagen würden: So etwas wie eine Prädikationsbeziehung gibt es nicht; das Wesen eines Prädikats besteht darin, dass es zu dem Ding gehört, dessen Prädikat es in einem anderen Sinn ist, als mit ihm verbunden zu sein. Und beide Parteien können Recht haben, einfach weil sie, ohne es zu wissen, das Wort „Prädikat“ in verschiedenen Bedeutungen verwenden. Erstere könnten mit einem Prädikat etwas meinen, zu dem eine Orange eine Beziehung hat, wenn von ihr gesagt wird, sie sei gelb; und in diesem Fall besteht kein Zweifel, dass das Prädikat in diesem Sinn eine Beziehung zu der Orange hat und nur zu ihr gehört, da es diese Beziehung hat. Während die anderen mit einem Prädikat die Eigenschaft meinen können, diese Beziehung zu der Farbe Gelb zu haben; und in diesem Fall besteht kein Zweifel, dass das Prädikat zur Orange in einem anderen Sinn gehört als jenem, mit ihr verbunden zu sein. Wenn wir einmal diese Eigenschaften erkannt haben, die darin bestehen, eine Beziehung zu diesem oder jenem zu haben, und die zu den Dingen, dessen Eigenschaften sie sind, in einem Sinn gehören, der nicht bedeutet, dass sie mit ihnen verbunden sind, so entsteht doch offensichtlich eine Möglichkeit, dass es im Universum andere Dinge geben könnte, die zu Dingen in demselben Sinn gehören. Und diese Möglichkeit gibt uns zwei Alternativen,

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über die ich in unserem speziellen Fall gesprochen habe. Wir nehmen an, dass es eine Eigenschaft gibt, die zu allen durch die Sinne gegebenen weißen Stellen und nur zu ihnen gehört – eine Eigenschaft, die nicht nur darin besteht, ein Mitglied einer Gruppe zu sein, und nicht nur eine disjunktive Eigenschaft ist –; und die beiden Alternativen lauten wie folgt. Bei der einen besteht die Eigenschaft darin, dass sie alle ein und dieselbe Beziehung zu einem Ding haben – einem Ding, das ich zur Vereinfachung „W“ nennen werde. Und bei der anderen gibt es ein Ding – das ich auch „W“ nennen kann –, das zu ihnen allen in einem Sinn gehört, der nicht bedeutet, dass es mit ihnen verbunden ist. Im letzteren Fall würde das Ding „W“ eine Universalie sein und zwar eine Universalie der dritten Art, also ein Beispiel, nach dem wir suchen. Und wenn wir sagen, dass Reinweiß in ihnen allen oder in allen vorhanden ist, würden wir dadurch ausdrücken, entweder dass W die entsprechende Beziehung zu ihnen allen hat oder dass W zu ihnen allen gehört. Und wenn wir sagen, dass Reinweiß in unterschiedlichen von ihnen in unterschiedlichen Graden vorhanden ist – dass es z.€B. mehr Reinweiß in einer bläulich weißen Stelle als in einer weißlich blauen gibt –, so kann die Tatsache, die wir so ausdrücken, von drei verschiedenen Arten sein. Es könnte der Fall sein, dass W selbst ein Ding ist, das Grade hat; und dann könnten wir entweder meinen, dass mehr von W eine spezielle Beziehung zu der einen als zu der anderen hat oder dass mehr von W zu der einen als zu der anderen gehört. Oder es könnte der Fall sein, dass W selbst keine Grade hat, aber die Beziehung, die es zu ihnen allen hat (wenn es solch eine Beziehung gibt), Grade hat; und dann könnten wir meinen, dass W mehr von dieser Beziehung zu einigen als zu anderen hat. Ich kann keinen schlüssigen Einwand gegen irgendeine dieser Annahmen sehen. Denn man muss sich erinnern, dass W gemäß dieser Theorie nicht mit irgendeinem Sinnesdatum identisch ist. Es ist nicht das, was wir sehen, wenn wir eine reinweiße Stelle sehen. Darüber hinaus ähnelt es noch nicht einmal einer weißen Stelle in der Hinsicht, wie sie und nur sie allein einander ähneln. Denn der Sinn, in dem sie sich alle einander ähneln und in dem nichts anderes im Universum ihnen ähnelt, besteht gemäß dieser Theorie bloß in der Tatsache, dass W zu ihnen gehört oder eine spezielle Beziehung zu ihnen hat. Daher gehört unter dieser Annahme W weder zu ihr noch hat sie die angenommene spezielle Beziehung zu irgendetwas anderem im Universum, außer zu jedem Mitglied der Gruppe von weißen Stellen. Daher folgt, dass W nicht zu sich selbst gehört und nicht die spezielle Beziehung zu sich selbst hat, die es zu jedem von ihnen hat. Und da es diese nicht hat, kann es unmöglich ihnen in dieser

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besonderen Hinsicht ähneln, in der sie sich einander ähneln. Daher müssen wir erkennen, dass W etwas ganz anderes ist als alles, was wir jemals sehen, wenn wir eine weiße Stelle ansehen: Es ist etwas, dass sich sehr viel mehr von dem, was wir sehen, wenn wir eine reinweiße Stelle anschauen, unterscheidet, als dieses sich von einer bläulich weißen Stelle, die ausgesprochen blau ist, unterscheidet. Und die Tatsache, dass es sie derart von einer weißen Stelle, die wir sehen, unterscheidet, macht es möglich, dass es wirklich in einem Sinn in allen weißen Stellen sein kann. Wir haben gesehen, dass es völlig unmöglich ist, dass Reinweiß, wenn wir mit Reinweiß das meinen, was wir sehen, wenn wir eine reinweiße Stelle anschauen, in einer bläulich weißen Stelle sein könnte. Aber es gibt keine ähnliche Unmöglichkeit im Fall von W, einfach weil W sich völlig von allem unterscheidet, das wir jemals sehen. Daher haben wir hier eine Theorie, die uns wirklich eine Eigenschaft gibt, die allen weißen Stellen zugleich gemeinsam und eigentümlich sein könnte. Und der einzige Einwand gegen diese Theorie besteht darin, soweit ich es beurteilen kann, dass es so äußerst schwierig ist, dieses Ding, das ich „W“ genannt habe, zu unterscheiden und sicher zu sein, dass es ein solches Ding überhaupt gibt. Wenn es ein solches Ding gibt, was ist es und wie ist es? Wie kann man es aufzeigen? Doch ich denke, viele Philosophen haben dauernd mehr oder weniger vage vorausgesetzt, dass es solche Dinge im Universum gibt. Und ich werde die Gründe für die Annahme, dass es sie gibt, auf die bestmöglichste Weise darlegen. Und um dies zu tun, sollten wir die Betrachtung aller weißen Stellen fallen lassen, da ich nicht sicher bin, ob alle weißen Stellen wirklich eine Eigenschaft haben, die ihnen allen gemeinsam und eigentümlich ist, außer einer disjunktiven Eigenschaft. Es mag auf eine plausible Weise behauptet werden, dass es nur eine disjunktive Eigenschaft gibt, die zu allen weißen Stellen und nur zu ihnen gehört, sodass sie keinen überzeugenden Grund bieten, anzunehmen, dass es ein solches Ding wie W gibt. Aber wenn wir wirklich reinweiße Stellen und nur diese betrachten, scheinen mir die Gründe für die Annahme, dass es solch ein Ding gibt, sehr überzeugend. Es ist sicher unbestreitbar, dass jeder Teil oder Punkt des Raumes, das oder der zu jeder Zeit von einer wirklich reinweißen Stelle (selbst wenn es nur ein Fleck ist) eingenommen wird, aufgrund dieser Tatsache eine Eigenschaft hat, die es mit allen andern Teilen oder Punkten des Raumes teilt, die in ähnlicher Weise eingenommen werden, aber diese Eigenschaft gehört zu nichts anderem im Universum. Jeder solcher Teil oder Punkt des Raums hat die Eigenschaft, von einer wirklich reinweißen Stelle eingenommen zu werden, und nichts anderes im Universum hat diese

Disjunktive und andere Eigenschaften

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Eigenschaft. Aber worin besteht diese Eigenschaft? Es gibt, soweit ich es beurteilen kann, nur zwei Alternativen, wenn wir nicht die Theorie annehmen, dass es ein solches Ding wie W gibt. Wir müssen entweder sagen, dass (1) jeder solche Teil des Raumes durch ein und dasselbe Ding eingenommen wird, d.€h. dass diese Stelle hier sich nicht von jener dort unterscheidet, dass es nicht zwei Stellen sind, sonder nur eine, dass genau dieses Ding, das, wie wir sehen, diesen Raum einnimmt, auch zugleich diesen und diesen und diesen einnimmt. Und der Einwand gegen diese Theorie besteht darin, dass, wie wir gesehen haben, dies selbstverständlich nicht zuzutreffen scheint. Oder wir müssen (2) sagen, dass alle verschiedenen reinweißen Stellen nichts gemeinsam haben außer einer disjunktiven Eigenschaft. Und ich werde wieder versuchen, mit Bezug auf diesen speziellen Fall zu erklären, was genau ich damit meine. Jede reinweiße Stelle ist natürlich hinsichtlich der Farbe jeder anderen Stelle genau gleich. Sodass wir sagen können: Man kann jede beliebige Stelle auswählen und sie A nennen, dann trifft es auf alle anderen Stellen und auf nichts anderes im Universum zu, dass sie A hinsichtlich der Farbe genau gleichen. Aber A ist nicht genau gleich zu sich selbst: Es ist es selbst. Die einzige Eigenschaft, die wir auf diese Weise erhalten und die allen reinweißen Stellen gemeinsam und eigentümlich ist, ist eine disjunktive, entweder A genau gleich zu sein oder A zu sein. Natürlich können wir anstatt A jede andere reinweiße Stelle nehmen; sodass wir wirklich so viele verschiedene disjunktive Eigenschaften erhalten, wie es reinweiße Stellen gibt, und diese Eigenschaften gehören zu jeder reinweißen Stelle und zu nichts anderem im Universum. Und der Einwand gegen diese Theorie besteht darin, dass es scheinbar so schwierig zu sein scheint, dass allen reinweißen Stellen wirklich keine Eigenschaft gemeinsam und eigentümlich ist, außer nur einer disjunktiven. Anders gesagt, wir sollten geneigt sein zu sagen, dass eine bloße disjunktive Eigenschaft nicht wirklich eine gemeinsame Eigenschaft ist. Es scheint vollkommen klar zu sein, dass A wirklich genau dieselbe besondere Eigenschaft hat, wie alle anderen Stellen, die ihr genau gleichen: Und damit meinen wir, dass das, was sie mit ihnen gemeinsam hat, nicht nur darin besteht, dass eine der beiden in der Disjunktion dargelegten Bedingungen erfüllt wird, während der Rest nur die andere Bedingung erfüllt. Man könnte genauso gut sagen, dass Männer und Frauen wirklich nichts gemein haben, außer dass jeder bzw. jede von ihnen entweder eine Mann oder eine Frau ist. Da beide dieser Alternativen anscheinend schwierig zu glauben sind, sind wir veranlasst anzunehmen, dass es etwas wie W geben muss, dass es nämlich ein Ding gibt, das sich von einer reinweißen Stelle sehr unterscheidet und

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George Edward Moore • Grundprobleme der Philosophie

das entweder zu allen reinweißen Stellen gehört oder eine gewisse bestimmte Beziehung zu ihnen allen hat und das zu nichts anderem im Universum gehört oder diese Beziehung hat. Dieses eine Ding, wenn es ein solches Ding gibt, würde natürlich ein Ding sein, mit dem wir alle sehr vertraut sind und das wir fortwährend in unserem Bewusstsein haben. Aber – und dies ist der Einwand gegen die Theorie – mir gelingt es nicht, ein solches Ding zu erkennen bzw. es mir zu verdeutlichen. Es gelingt mir nicht, klar zu erfassen, dass es wirklich eine sehr einfache Eigenschaft gibt, die sich von der Stelle unterscheidet, die ich sehe, wenn ich eine reinweiße Stelle anschaue, und die allen solchen Stellen gemeinsam und eigentümlich ist. Vielleicht gelingt es einem von Ihnen, die fragliche Eigenschaft zu erkennen. Vielleicht wird aber auch einer von Ihnen sagen, dass es kein solches Ding gibt. Aber wenn man das Letztere sagt, begegnet man einer Schwierigkeit. Denn es erscheint äußerst gewiss, dass es eine Eigenschaft gibt, die allen reinweißen Stellen gemeinsam und eigentümlich ist – was wir durch die Aussage ausdrücken, dass sie alle reinweiß sind –, und wenn man diese Theorie zurückweist, bleiben, soweit ich es beurteilen kann, nur die beiden Alternativen übrig, die ich dargelegt habe. Man muss entweder sagen, dass es wirklich ein und dasselbe Ding ist, das an so vielen verschiedenen Orten zur selben Zeit ist; oder man muss sagen, dass die einzige Eigenschaft, die ihnen allen gemeinsam ist, nur eine disjunktive ist – dass nämlich jede entweder eine spezielle ist, die man ausgewählt hat, oder die genau der gleicht, die man gewählt hat. Und mich persönlich stellt keine dieser beiden Theorien zufrieden. Auf jeden Fall scheint mir eine Schwierigkeit bei diesem Sachverhalt zu bestehen. Und diese Schwierigkeit ist einfach dadurch verdeckt, wenn man nur sagt, wie es gewöhnlich getan wird, dass es eine Eigenschaft gibt, die allen reinweißen Stellen gemeinsam und eigentümlich ist, und so spricht, als ob diese Eigenschaft die Eigenschaft wäre, die ihnen allen gemeinsam und eigentümlich ist, und sie „Reinweiß“ nennt, als ob wir alle wüssten, was diese wäre. Wir wissen natürlich in einem Sinn, was es ist: Wir haben es alle im Bewusstsein. Aber es scheint mir, dass wir überhaupt nicht wissen, welches dieser drei grundverschiedenen Dinge es ist.

Kapitel 20 Abstraktionen und Sein

I

n dieser Vorlesung möchte ich zunächst alle Punkte, die ich zuletzt behandelt habe, nochmals betrachten, weil ich mich nicht ganz klar ausgedrückt habe; und wenn das Thema überhaupt sinnvoll ist, so ist es lohnenswert, es klar und deutlich zu machen. Ich habe eine Zeit lang die Arten von Dingen behandelt, die „Universalien“, „Begriffe“, „Konzeptionen“, „allgemeine Ideen“ oder „abstrakte Ideen“ genannt werden. Sie werden sehen, dass die meisten Philosophen von diesen Dingen recht häufig sprechen, mit diesen oder anderen Bezeichnungen, und nicht nur das, ein sehr großer Teil der Werke einiger Philosophen, besonders der griechischen und mittelalterlichen Philosophen, hat in der Diskussion der Theorien über genau diese Dinge bestanden. Platon und Aristoteles haben sie – oder einige von ihnen – ἐίδη oder „Formen“ genannt; und was Platons „Ideenlehre“ genannt wird, ist tatsächlich eine Theorie über Universalien. Aber trotz aller Aufmerksamkeit, die ihnen zuteil wurde, ist es niemandem, soweit mir bekannt ist, gelungen, völlig klarzumachen, was genau für Arten von Dingen sie sind und wie sie sich von anderen Arten von Dingen unterscheiden, die im Gegensatz zu ihnen „partikuläre“ oder „einzelne Dinge“ genannt werden. Und einige Philosophen haben, wie ich gesagt habe, sogar bestritten, dass es überhaupt solche Dinge wie allgemeine Ideen gibt. Nun denke ich, es besteht kein Zweifel, falls es solche Dinge gibt, dass sie eine sehr wichtige Art von Dingen sind; und daher möchte ich es so klar wie nur möglich machen, dass es solche Dinge gibt und auch was für eine Art von Dingen sie sind. Und ich denke, dass in vielen Auseinandersetzungen über Universalien eine vergleichsweise einfache Unterscheidung übersehen wird. Es scheint mir überhaupt kein Zweifel zu bestehen, dass es im Universum wirklich zwei Arten von Universalien gibt, die ich versucht habe hervorzuheben, nämlich (1) Beziehungen und (2) Eigenschaften, die darin bestehen, eine Beziehung zu diesem oder jenem zu haben. Es ist vergleichsweise einfach, Universalien dieser beiden Arten zu unterscheiden; und wenn es völlig klar wäre, dass dies die einzigen Arten wären, würde die ganze Frage nach Universalien vergleichsweise einfach sein. Aber die verschiedenen Auseinandersetzungen sind hauptsächlich entstanden, weil angenommen worden ist, dass es Universalien einer dritten,

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anderen Art gibt. Und wenn Menschen über Universalien sprechen, denken sie oftmals ausschließlich an diese vermutete dritte Art. Jene, die bestritten haben, dass es überhaupt Universalien gibt, haben für gewöhnlich nur an diese dritte Art von Universalien gedacht: Sie haben einfach nicht bemerkt, dass die beiden anderen Arten gewiss Universalien sind. Und Ähnliches gilt für die Verteidiger der Universalien, sie haben oft zu unbedacht angenommen, dass Universalien, die tatsächlich nur Eigenschaften sind, die darin bestehen, eine Beziehung zu diesem oder jenem zu haben, Universalien der dritten Art sind. Daher entfällt ein Teil der Schwierigkeit dieses Themas, wenn man diese beiden Arten von Universalien klar erkennt. Aber sehr viele Fälle bleiben trotzdem übrig, in denen es mehr oder weniger Grund zur Annahme gibt, dass Universalien einer dritten, sehr unterschiedlichen Art wirklich beteiligt sind. Und was ich tun wollte, war, typische Beispiele der Hauptarten von Fällen zu nehmen, in denen mir scheint, dass es Grund für diese Annahme gibt, und versuchen herauszufinden, ob Universalien dieser dritten Art an ihnen beteiligt sind, und wenn ja, es so deutlich wie möglich zu machen, was für eine Art von Dingen sie sind. Ich habe „Weiß“ als ein Beispiel dieser Fälle genommen, in denen behauptet werden kann, und es auch sehr oft wird, dass eine Universalie dieser dritten Art beteiligt ist. Und ich möchte kurz die Punkte zusammenfassen, die mir als die wichtigsten bezüglich „Weiß“ erscheinen. Zuerst habe ich hervorgehoben, dass „Weiß“ in der allgemeinsten Wortbedeutung eine Bezeichnung für eine Eigenschaft ist, von der wir annehmen, dass sie zu Lilien, Schnee und anderen Dingen dieser Art gehört. Es ist keine Eigenschaft, die zu Sinnesdaten gehört. Und diese Eigenschaft, die wir Lilien und Schnee zuschreiben, ist zweifelsohne eine, die darin besteht, eine Beziehung zu diesem oder jenem zu haben. Eine solche Eigenschaft, die zweifelsohne zu Lilien und Schnee gehört, besteht darin, eine Art von Beziehung zu Sinnesdaten zu haben, die Art, die weiße Stellen genannt werden kann. Und obwohl diese Eigenschaft vielleicht eine Universalie unserer dritten Art beinhaltet, so ist sie gewiss keine und sie kann nur eine beinhalten, wenn und weil die Sinnesdaten, die weiße Stellen genannt werden können, ihrerseits eine andere gemeinsame Eigenschaft haben, die entweder eine ist oder eine beinhaltet. Daher muss der Sinn, in dem Lilien und Schnee weiß sein können, von dem Sinn unterschieden werden, in dem jene Sinnesdaten oder Empfindungen, die weiße Stellen genannt werden können, weiß sind. Die Eigenschaft, die „Weiß“ genannt wird und die zu Lilien und Schnee gehört, gehört

Abstraktionen und Sein

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nicht zu diesen Sinnesdaten; und jede Eigenschaft, die „Weiß“ genannt wird und zu diesen Sinnesdaten gehört, gehört nicht zu Lilien und Schnee. Aber wenn wir jetzt versuchen herauszufinden, welche Eigenschaft den Sinnesdaten, die weiße Stellen genannt werden können, gemeinsam und eigentümlich ist, erkennen wir, dass es zwei unterschiedliche Gruppen von Sinnesdaten gibt, eine größere und eine kleinere, denen dieser Name in einem unterschiedlichen Sinn gegeben werden kann. Alle Stellen mit Farbe, die in irgendeinem Grad weißlich (wie gering auch immer) sind, könnten in einem Sinn als „weiß“ bezeichnet werden. Aber andererseits sollten wir sie gewiss im Allgemeinen nicht alle als weiße Stellen bezeichnen; wir sollten die Bezeichnung auf jene beschränken, die eindeutig mehr weiß, wie wir sagen sollten, in sich haben als eine andere Farbe; d.€h. wir sollten eine bläulich weiße Stelle als „ein Weiß“ bezeichnen, aber wir sollten eine weißlich blaue nicht als „ein Weiß“ bezeichnen; wir sollten es als „ein Blau“ bezeichnen. Ich habe mich entschlossen, nur die kleinere Gruppe zu betrachten, und zwar aus diesem Grund, dass wir gewöhnlich, wenn wir von einer weißen Stelle reden, nur die Mitglieder der kleineren Gruppe meinen. Aber was ist nun diese Eigenschaft, die alle Mitglieder dieser kleineren Gruppe gemeinsam besitzen und die nichts anderes besitzt? Als wir diese Frage betrachteten, sind wir schließlich zu der Annahme gelangt, dass wir herausfinden könnten, was sie ist, wenn wir herausfinden können, was die Eigenschaft ist, die zu allen wirklich reinweißen Stellen und nur zu ihnen gehört. Natürlich kann die Eigenschaft, die nur zu reinweißen Stellen gehört, unmöglich dieselbe sein wie jene, die nicht nur zu ihnen, sondern auch zu allen Stellen mit irgendeinem Grad an Weiß gehört. Aber es scheint möglich, dass die beiden Eigenschaften sich nur im Grad unterscheiden und nicht in der Art. Auf diese Weise sind wir dazu veranlasst worden zu betrachten, was die Eigenschaft ist, die allen wirklich reinweißen Stellen gemeinsam und eigentümlich ist. Und hier möchte ich sagen, dass ich nicht mit Bestimmtheit weiß, ob es solche Dinge überhaupt gibt. Es mag vielleicht der Fall sein, dass das reinste mögliche Weiß, das jeder von uns direkt erfassen kann, immer leicht getönt ist mit entweder Gelb, Blau, Rot oder einer anderen Farbe. Und wenn dem so ist, dann würden die Stellen mit den reinsten möglichen Weißtönen keine Gruppe von Stellen mit genau derselben Schattierung bilden. Das letzte Mal habe ich angenommen, dass sie es tun: Es war für meinen Punkt wesentlich, dass die Stellen, von denen ich gesprochen habe, genau dieselbe Schattierung haben sollten. Und wenn die Stellen mit dem reinsten Weiß, die wir erhalten können, nicht alle genau dieselbe Schattierung haben,

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stellt diese Tatsache gewiss ein neues Problem für die Frage dar: Was ist es, das allen weißen Stellen gemeinsam und eigentümlich ist? Aber wie es auch sein mag, ob es eine Gruppe von reinweißen Stellen gibt oder nicht, die Hauptaspekte, die ich anführen wollte, treffen gewiss auf unzählige andere Beispiele zu. Einige der Stellen mit Farbe, die wir direkt erfassen, haben gewiss genau dieselbe Schattierung wie andere. Und die Frage, die ich stellen wollte, war bloß: Wenn man eine Gruppe von Stellen hat, auch wenn es nur zwei sind, die genau dieselbe Farbschattierung haben, welche Eigenschaft ist es, die allen Stellen genau derselben Schattierung und nur diesen gemeinsam gehört? Nehmen wir z.€B. an, man hat vor sich zwei kleine farbige Stellen, die genau dieselbe Schattierung haben, eine von ihnen ist quadratisch und die andere rund. Und da es einen Zweifel hinsichtlich Reinweiß gibt, nehmen wir an, dass sie beide eine Farbschattierung haben, die leicht cremeweiß ist. Die Frage lautet nun: Welche Eigenschaft gibt es, die zu diesen beiden Stellen gehört, genauso wie zu allen anderen Stellen im Universum mit genau derselben Schattierung und nicht zu anderem? Und die Antwort auf diese Frage könnte, wie wir gesehen haben, wie folgt lauten: „Was man in einem solchen Fall vor sich hat, besteht einerseits in zwei unterschiedlichen Raumteilen, einer rund und der andere quadratisch, und andererseits in etwas, das diese beiden Raumteile einnimmt. Man muss streng zwischen diesen beiden Raumteilen einerseits und dem, was sie einnimmt, unterscheiden. Und wenn man dies tut, dann kann man sagen, dass ein und dasselbe Ding beide von ihnen einnimmt. Man erfasst direkt eine einzige Farbe, die keinen Namen zugewiesen hat, die aber beide Raumteile einnimmt, den runden und den quadratischen: Was man tatsächlich an den beiden verschiedenen Orten sieht, ist ein und dasselbe Ding. Dies ist die Wahrheit über diesen Sachverhalt. Und daraus folgt, dass man kein Recht zu sagen hat, dass das Ding, das den runden Raum einnimmt, rund ist und nicht quadratisch. Das Ding, das den runden Raum einnimmt, ist natürlich rund, aber genau dasselbe Ding ist auch quadratisch, weil es auch den quadratischen Ort einnimmt. Es trifft nur zu, dass es an einem Ort rund ist und an einem anderen quadratisch; und natürlich ist es an dem Ort, an dem es rund ist, nicht quadratisch: Es kann nicht zugleich rund und quadratisch an genau demselben Ort sein. Aber es ist nur an dem Ort, an dem es rund ist, nicht quadratisch, an anderen Orten ist es quadratisch. Sodass das Ding selbst zugleich rund und quadratisch ist; rund an einem Ort, quadratisch an einem anderen.“ Des Weiteren folgt, dass man kein Recht hat, von dem

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Ding, das den runden Raum einnimmt, zu sprechen, als ob es eine Stelle dieses bestimmten Cremeweißes wäre. Mit einer Stelle mit Farbe meinen wir etwas, das eine eindeutige Größe und Form hat und keine andere hat. Aber das Ding, das den runden Raum einnimmt, ist keine Stelle mit Farbe in diesem Sinn. Es ist ein Ding, das viele verschiedene Größen und Formen zur selben Zeit hat, obwohl es sie nur an unterschiedlichen Orten haben kann. Kurz gesagt, diese Ansicht läuft darauf hinaus zu bestreiten, dass es solche Dinge wie Stellen mit diesem bestimmten Cremeweiß überhaupt gibt. Demnach gibt es nur ein einziges Ding, das beide Orte einnimmt und keinen speziellen Namen zugewiesen bekommen hat und weder eine einzelne Stelle noch eine Ansammlung von Stellen ist. Daher beantwortet diese Sichtweise wirklich unsere Frage, nicht indem sie eine Eigenschaft aufzeigt, die allen Stellen dieses speziellen Weißtons gemeinsam und eigentümlich ist, sondern indem sie bestreitet, dass es überhaupt Stellen von ihm gibt. Alles, was sie tut, ist, eine Eigenschaft aufzuzeigen, die allen Raumteilen, die, so sollten wir sagen, durch Stellen von ihr eingenommen sind, gemeinsam und eigentümlich ist; nämlich jener, durch eine einzige Weißschattierung eingenommen zu sein, die das ist, was wir tatsächlich sehen, wenn wir denken, dass wir eine Stelle sehen, die diese Schattierung hat. Sie zeigt keine Eigenschaft auf, die den Dingen, die diese Raumteile einnehmen, gemeinsam und eigentümlich ist; da sie bestreitet, dass es irgendwelche Dinge gibt, die sie einnehmen: Sie behauptet, dass es nur ein Ding gibt, dass sie alle einnimmt. Soweit ich es beurteilen kann, ist der einzige Weg, dies anzufechten, es einfach zu bestreiten; einfach durch die Behauptung, dass, wenn ich das sehe, was wir zwei verschiedene Stellen einer bestimmten Schattierung, eine rund und die andere quadratisch, nennen sollten, wir mit dieser Aussage Recht haben. Das heißt, wir können feststellen, dass es in einem solchen Fall nicht nur zwei Raumteile sind, die sich unterscheiden, sondern dass das, was den einen Teil einnimmt, sich auch von dem unterscheidet, was den anderen einnimmt, obwohl beide genau dieselbe Farbschattierung haben. Es scheint mir in der Tat offensichtlich zu sein, dass das, was ich den einen Ort einnehmen sehe, in solch einem Fall von dem verschieden ist, was ich den andern Raum einnehmen sehe, dass es nicht ein und dasselbe Ding ist, das sie beide einnimmt. Natürlich kann ich damit Unrecht haben. Aber soweit mir bekannt ist, gibt es keinen Weg, um zu beweisen, dass ich Unrecht habe. Jeder hat genauso gut ein Recht, die eine wie die andere Ansicht zu wählen. Es gibt kein schlüssiges Argument zugunsten von einem. Es ist schlichtweg eine Sache der Prüfung.

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Aber angenommen, wir wählen jetzt die Ansicht, dass das, was den runden Raum einnimmt, sich von dem unterscheidet, was den quadratischen einnimmt; dass das, was den einen einnimmt, eine Stelle dieses bestimmten Cremeweißes ist, die rund ist und nicht quadratisch, und das, was den anderen einnimmt, eine Stelle derselben Schattierung ist, die quadratisch ist und nicht rund. Dann müssen wir uns folgende Frage stellen: Was ist es, das diesen beiden Stellen und allen anderen Stellen im Universum mit genau derselben Weißschattierung und nichts anderem gemeinsam und eigentümlich ist? Was ist die Eigenschaft, aufgrund der wir sie alle als Stellen dieser bestimmten Schattierung bezeichnen? Gemäß dieser Sichtweise haben wir eine Anzahl verschiedener Dinge, jedes von ihnen ist eine Stelle mit dieser bestimmten Schattierung, und es erscheint offensichtlich, dass es eine Eigenschaft gibt, die zu ihnen allen und nur zu ihnen gehört. Was ist diese Eigenschaft? Nun, wie ich gesagt habe, ist das Einzige, das über sie völlig klar zu sein scheint, dass sie alle hinsichtlich ihrer Farbe einander genau gleichen, während nichts anderes in dieser Hinsicht genau wie sie ist. Und daher könnten wir uns zu sagen bemühen, dass die Eigenschaft, die ihnen allen gemeinsam und eigentümlich ist, irgendwie genau in dieser gemeinsamen Ähnlichkeit besteht. Aber es gibt einen Einwand gegen diese Theorie, den ich zuvor nicht erwähnt habe. Es kann nämlich behauptet werden, dass, wenn wir sagen, zwei Dinge ähneln einander, dass das, was wir damit meinen, immer nur darin besteht, dass sie eine Eigenschaft gemeinsam haben. Kurz gesagt, es kann behauptet werden, dass die Ähnlichkeit immer in dem Besitz einer gemeinsamen Eigenschaft besteht – es nur ein anderer Name für solch einen Besitz ist. Und wenn Ähnlichkeit somit auf dem Besitz einer gemeinsamen Eigenschaft beruht, ist es ganz offensichtlich, dass die fragliche gemeinsame Eigenschaft nicht in der Ähnlichkeit bestehen kann. Daher kann gemäß dieser Ansicht die Eigenschaft, die allen Stellen dieses bestimmten Cremeweißes gemeinsam und eigentümlich ist, unmöglich in ihrer gegenseitigen Ähnlichkeit bestehen. Ganz im Gegenteil, ihre gegenseitige Ähnlichkeit muss darin bestehen, eine andere gemeinsame Eigenschaft zu haben. Und so müssten wir direkt zu der Annahme geführt werden, dass es eine Universalie meiner dritten Art geben kann, die hier beteiligt ist. Wir müssten annehmen, dass es ein einziges Ding gibt, dem wir einen Namen geben könnten, obwohl es noch keinen hat – nehmen wir an, sein Name sei „Z“ –, das zu ihnen allen in einem gewissen Sinn gehört und zu nichts anderem im Universum. Dieses Ding, „Z“ genannt, würde die Farbschattierung sein, die alle Stellen dieses

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bestimmten Cremeweißes haben. Und wir müssten annehmen, dass das, was wir meinen, wenn wir sagen, dass sie alle einander genau hinsichtlich dessen gleichen, diese bestimmte Schattierung zu sein, und dass nichts anderes ihnen in dieser Hinsicht ähnelt, nur darin besteht, dass Z zu ihnen allen und zu nichts anderem „gehört“. Und hier kommt die Unterscheidung zum Tragen, die ich das letzte Mal gemacht habe, zwischen den beiden unterschiedlichen Bedeutungen, in denen Z zu ihnen gehören könnte. Die Unterscheidung ist eine sehr einfache, wenn ich sie nur deutlich erklären könnte. Betrachten wir irgendeine Tatsache, dass ein Ding A eine spezielle Beziehung zu einem anderen Ding B hat. Nehmen wir z.€B. an, dass A sich von B unterscheidet. Diese Tatsache, dass A sich von B unterscheidet, kann auf eine andere Weise ausgedrückt werden, indem man sagt, dass A eine Beziehung des Unterschieds zu B hat. Aber aus Gründen, die ich das letzte Mal angeführt habe, ist es vollkommen offensichtlich, dass der Umstand, dass A zu B eine Beziehung des Unterschieds hat, noch nicht einmal teilweise in dem Umstand besteht, dass es eine andere Beziehung zu der Beziehung mit dem Namen „Unterschied“ hat. Die Beziehung, die Unterschied genannt wird, verbindet A und B; und wenn wir sagen, dass es sie verbindet, können wir nicht nur meinen, dass die Beziehung des Unterschieds wieder mit ihnen verbunden ist; oder anders gesagt, ihr Verbinden von ihnen besteht nicht bloß darin, sie miteinander zu verbinden. Daher folgt, dass A zu B eine Beziehung des Unterschieds in einem Sinn hat, der nicht in ihrem Verbundensein zu dieser Beziehung besteht. Die gesamte Tatsache, dass A sich von B unterscheidet, beinhaltet daher keine Beziehung zwischen A und dem Unterschied. Es kann tatsächlich eine solche Beziehung geben, die ein Bestandteil einer anderen Tatsache ist, aber diese andere Beziehung ist kein Bestandteil der Tatsache, die wir betrachten. Die einzigen Bestandteile der Tatsache, die wir betrachten, sind A und B und der „Unterschied“, obwohl die Tatsache ein Ganzes ist, das nicht mit der Summe ihrer Bestandteile identisch ist. Aber genauso wie eine Art, diese Tatsache auszudrücken, darin besteht, zu sagen, dass A zu B die Beziehung des Unterschieds hat; so ist eine andere Art dies auszudrücken, zu sagen, dass A die Eigenschaft hat, sich von B zu unterscheiden, oder dass die Eigenschaft, sich von B zu unterscheiden, zu A gehört. Beide dieser Ausdrucksformen können bloß ein und dieselbe Tatsache ausdrücken – nämlich die Tatsache, dass A sich von B unterscheidet, eine Tatsache, in der, wie wir gesehen haben, keine Beziehung zwischen A und dem Unterschied beinhaltet ist. Aber dies vorausgesetzt; wenn wir sagen, dass die Eigenschaft, sich von B zu unterscheiden, zu A gehört, wollen

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wir nicht notwendigerweise feststellen, dass diese Eigenschaft eine Beziehung zu A hat. Auch hier könnten wir dies manchmal meinen; aber wenn wir diesen Ausdruck nur verwenden, um die Tatsache, dass A sich von B unterscheidet, auszudrücken, tun wir dies gewiss nicht. Es gibt daher eine Bedeutung des Wortes „gehören“, in der die Tatsache, dass die Eigenschaft, sich von B zu unterscheiden, zu A gehört, nicht darin besteht, dass diese Eigenschaft mit A verbunden ist. A hat diese Eigenschaft in einem Sinn, der nicht darin besteht, dass sie mit ihm verbunden ist. Und Gleiches gilt, wann immer wir eine Eigenschaft haben, die darin besteht, eine Beziehung zu diesem oder jenem zu haben, diese Eigenschaft wird zu dem Ding gehören, das sie in einem gewissen Sinn hat, der nicht darin besteht, dass sie mit ihm verbunden ist. Aber wenn wir dies einmal erkannt haben, wird es möglich anzunehmen, dass andere Dinge – Dinge, die nicht darin bestehen, eine Beziehung zu diesem oder jenem zu haben – zu gewissen Subjekten in diesem Sinn gehören können. Wie ich das letzte Mal bereits gesagt habe, kenne ich keinen schlüssigen Grund für die Annahme, dass dies jemals tatsächlich geschieht. Aber viele Philosophen scheinen angenommen zu haben, dass die Aussage über gewisse Prädikate, dass sie zu einem gegebenen Subjekt gehören, nicht dasselbe ist wie die Aussage, dass sie eine spezielle Beziehung zu diesem Subjekt haben. Anders gesagt, sie haben angenommen, dass ein Prädikat eines Subjekts zu sein, nicht darin besteht, eine Beziehung zu diesem Subjekt zu haben. Und es ist nur wegen dieser Analogie, dass ich dieser Annahme einen Sinn geben kann. Mittels dieser Analogie können wir, denke ich, ihr einen Sinn geben und erkennen, dass sie möglicherweise wahr ist. Es ist nur anzunehmen, soweit ich es beurteilen kann, dass das, was gewiss auf alle Eigenschaften zutrifft, die darin bestehen, eine Beziehung zu etwas zu haben, auch auf einige andere Dinge zutreffen kann – auf Dinge, die nicht darin bestehen, eine Beziehung zu etwas zu haben. Kehren wir zu unserem Beispiel zurück. Nehmen wir an, dass A die Eigenschaft hat, sich von B zu unterscheiden. Dies ist eine Eigenschaft, die darin besteht, eine Beziehung zu B zu haben. Und auf diese Beziehung trifft es gewiss zu, dass sie zu A in einem Sinn gehört, der nicht darin besteht, dass sie mit A verbunden ist. Und dasselbe gilt, denke ich, für alle Eigenschaften, die wie diese darin bestehen, eine Beziehung zu diesem oder jenem zu haben. Aber wenn dem so ist, ist es offensichtlich ebenso möglich, dass es andere Eigenschaften geben könnte –€Eigenschaften, die nicht darin bestehen, eine Beziehung zu etwas zu haben€–, die nichtsdestotrotz zu den Subjekten gehören, die sie in demselben nicht-verbundenen Sinn besitzen. Und diese Möglichkeit gibt uns zwei Alternativen,

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die in unserem speziellen Fall möglich sind. Wir haben angenommen, dass es eine Farbschattierung gibt, die wir Z nennen und die in einem Sinn zu allen Stellen dieses bestimmten Cremeweißes, das wir so nennen, und zu nichts anderem im Universum gehört. Die Frage lautet nun: Was ist mit der Aussage gemeint, dass sie zu ihnen „gehört“? Und eine Alternative besteht darin, zu sagen, dass das, was gemeint ist, zu ihnen eine spezielle Beziehung hat, die ich Prädikationsbeziehung nennen werde. Die andere besteht darin, zu sagen, dass ihre Zugehörigkeit nicht darin besteht, dass sie zu ihnen allen überhaupt eine Beziehung hat: Und diese Alternative werde ich dadurch ausdrücken, dass ich sie die Theorie nennen werde, dass Z ein Prädikat von ihnen ist. Wir haben nun zwei verschiedene Theorien hinsichtlich des Sinns, in dem Z zu ihnen „gehören“ kann: (1) dass Z ein Prädikat von ihnen ist; damit meine ich, dass es zu ihnen in einem nicht-verbundenen Sinn gehört, den ich versucht habe darzulegen; und (2) dass Z kein Prädikat von ihnen ist, sondern zu ihnen nur eine Beziehung hat, die Prädikationsbeziehung genannt werden kann. Wenn die erste Theorie wahr wäre, dann würde die Eigenschaft, die allen Stellen unseres bestimmten Cremeweißes gemeinsam und eigentümlich ist, einfach Z selbst sein. Wenn die zweite wahr wäre, würde sie darin bestehen, dass Z zu ihnen eine Beziehung hat, die als Prädikationsbeziehung bezeichnet werden kann. Dies sind die beiden Alternativen, die ich erklären wollte. Aber in beiden Fällen würde Z selbst eine Universalie unserer dritten Art sein: Es würde weder eine Beziehung noch eine Eigenschaft sein, die darin besteht, eine Beziehung zu etwas zu haben. Der Grund, warum ich diese Ansicht so sorgfältig erklären wollte, ist, weil es diese Ansicht ist, soweit ich es beurteilen kann, die die meisten Philosophen im Sinn haben, wenn sie von der Universalie „Reinrot“ oder „Reinweiß“ sprechen oder von der Eigenschaft, die allen Stellen einer bestimmten Farbschattierung gemeinsam ist und nur ihnen gehört. Sie nehmen an, dass es ein Ding gibt (das Ding, das ich „Z“ genannt habe), die in dem einen oder dem anderen der beiden Sinne zu allen Stellen des bestimmten Cremeweißes – dessen Namen ich vorgeschlagen habe – gehört und zu nichts anderem. Es gibt einen weiteren sehr wichtigen Punkt zu beachten hinsichtlich des Wesens dieses Dinges. Dass nämlich gemäß dieser Sichtweise das, worin alle Stellen dieses bestimmten Cremeweißes einander und nichts anderem ähneln, einfach darin besteht, dass Z zu ihnen allen „gehört“. Und dass folglich Z selbst unmöglich ihnen in dieser Hinsicht ähneln kann, in der sie einander ähneln. Dies folgt tatsächlich, weil Z etwas ist, das zu allen Stellen dieser bestimmten Schattierung und nur zu ihnen gehört, und folglich unmöglich

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zu sich selbst gehören kann. Dies ist, denke ich, ein Punkt, der gerne übersehen wird. Es war eine Kritik, gerichtet gegen Platons Ideenlehre, welche in einer ihrer Formen diesen Punkt übersehen hat. Wenn Platon behauptet, dass Universalien zu ihren partikulären Dingen in Beziehung stehen können wie ein Modell oder Muster (παραδείγμα) zu seinen Kopien, denkt er gewiss, dass es ihnen genau in dieser Hinsicht ähnelt, wie sie alle einander ähneln. Und es ist sehr natürlich, dies zu denken; es ist z.€B. sehr natürlich, von der Universalie „Reinrot“ zu denken, dass sie bestimmten reinroten Stellen in genau der Hinsicht ähnelt, in der sie alle einander ähneln. Daher ist es wichtig zu erkennen, dass dies unmöglich der Fall sein kann. Und wenn dies erkannt ist, so verringert sich die Plausibilität der gesamten Theorie, dass es ein solches Ding wie Z gibt. Der Einwand, den ich gegen diese Theorie habe, besteht einfach darin, dass ich kein solches Ding entdecken kann. Ich kann nicht entdecken, dass ich es jemals im Bewusstsein habe. Aber wenn wir sie zurückweisen, was ist die Alternative? Nun, wir müssen zunächst sagen, dass es eine Art von Ähnlichkeit gibt, die nicht darin besteht, eine gemeinsame Eigenschaft zu haben. Und ich meinerseits sehe keinen schlüssigen Einwand gegen die Annahme, dass es eine gibt. Nehmen wir unseren speziellen Fall zweier kleiner Stellen mit genau derselben cremeweißen Schattierung, eine von ihnen rund und die andere quadratisch, wir können, so scheint es mir, zwischen diesen Stellen selbst und ihren Formen unterscheiden. Eine von ihnen hat eine runde Form, die andere eine quadratische; und der Besitz dieser Formen sind Eigenschaften, die zu ihnen gehören und von den Stellen, die diese Eigenschaften haben, unterschieden werden können. Und Ähnliches gilt, wenn wir annehmen, dass sie trotz derselben Farbschattierung doch in der Helligkeit sich unterscheiden könnten; die unterschiedlichen Helligkeiten würden noch Eigenschaften sein, die zu ihnen gehören; und wir müssen zwischen der Stelle, die einen bestimmten Grad an Helligkeit hat, und dem Grad der Helligkeit, den sie hat, unterscheiden. Unsere cremeweißen Stellen sind nun die Dinge, die diese Eigenschaften einer bestimmten Form, einer bestimmten Helligkeit usw. haben, aber die sich selbst von diesen Eigenschaften, die sie haben, unterscheiden und sie nicht als Bestandteile beinhalten. Wenn wir dieses verstanden haben, können wir, denke ich, sagen, dass diese Stellen selbst eine Beziehung zueinander haben, die exakte Ähnlichkeit genannt werden kann, die nicht im Besitz einer gemeinsamen Eigenschaft besteht. Es ist wahr, dass wir, wenn wir dies sagen, dem üblichen Sprachgebrauch widersprechen. Denn über eine runde und eine quadratische Stelle würden wir im Allgemeinen ent-

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schieden sagen, dass sie einander nicht genau gleichen und auch nicht gleichen können, einfach weil sie sich in der Form unterscheiden. Wir sollten sagen, dass sie sich nur in einer Hinsicht genau gleichen – nämlich hinsichtlich ihrer Farbschattierung. Aber trotzdem scheint es mir möglich, dass das, was wir damit meinen, wirklich darin besteht, dass die beiden Stellen selbst – im Unterschied zu ihren Formen und Helligkeiten usw., zu allen Eigenschaften, die sie haben – wirklich zueinander eine Beziehung haben, die nicht im Besitz einer gemeinsamen Eigenschaft besteht und die exakte Ähnlichkeit genannt werden kann. Und diese Art der Ähnlichkeit, ob nun exakt oder nicht, könnte unmittelbare oder innere Ähnlichkeit genannt werden – im Unterschied zu der Art von Ähnlichkeit, die nur im Besitz von gemeinsamen Eigenschaften besteht. Ich kann nur hervorheben, was diese exakte unmittelbare Ähnlichkeit sein würde, wenn es ein solches Ding gibt, indem ich sage, dass es genau die Beziehung sein würde, die alle Stellen unseres bestimmten Cremeweißes so offenbar zueinander und zu nichts anderem im Universum haben, trotz der Unterschiede in Größe, Form, Helligkeit, Position usw. Es scheint mir, dass wir diese Beziehung gewiss völlig klar erkennen können: Die einzige Frage ist, ob sie im Besitz einer gemeinsamen Eigenschaft besteht oder nicht. Es erscheint mir nun, dass es möglich ist, dass sie nicht im Besitz einer gemeinsamen Eigenschaft besteht. Und in diesem Fall könnten wir versuchen, die Eigenschaft zu definieren, die allen cremeweißen Stellen gemeinsam und eigentümlich ist – die Eigenschaft, aufgrund der wir sie alle „Z“ nennen, falls wir diesen Namen verwenden – mit Bezug auf diese Beziehung der exakten inneren Ähnlichkeit. Aber hier tritt eine Schwierigkeit auf, die ich durch die Aussage ausgedrückt habe, dass die einzige Eigenschaft, die wir auf diese Weise erhalten können und die wirklich zu ihnen allen und nur zu ihnen gehört, eine disjunktive Eigenschaft ist. Das heißt: Nehmen wir irgendeine beliebige Stelle von Z; dann würden gemäß dieser Theorie alle anderen Stellen von Z und nichts anderes im Universum zu dieser Stelle die angenommene Beziehung der exakten inneren Ähnlichkeit haben. Exakte Ähnlichkeit zu dieser Stelle würde zu allen anderen Stellen und zu nichts anderem gehören; aber leider würde sie nicht zu dieser Stelle, die wir gewählt haben, gehören, da diese Stelle nicht sich selbst ähnelt, sondern sie selbst ist. Somit würde die einzige Eigenschaft, die zu wirklich allen Stellen von Z und zu nichts anderem gehören würde, die disjunktive sein, entweder diese Stelle oder wie sie zu sein. So ist, wie wir sagen sollten, die einzige Eigenschaft, die zu jedem Mitglied der menschlichen Gattung und zu nichts

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anderem gehört, die disjunktive, entweder ein Mann oder eine Frau zu sein. Alle Männer sind Männer und alle Frauen sind Frauen: Nichts anderes im Universum ist entweder ein Mann oder eine Frau. Sodass jedes Mitglied der menschlichen Gattung, ob ein Mann oder eine Frau, die disjunktive Eigenschaft besitzt, entweder ein Mann oder eine Frau zu sein, aber es gibt keine andere Eigenschaft, die ihnen allen zugleich gemeinsam und eigentümlich ist. Dies erscheint mir kein gravierender Einwand gegen den Vorschlag zu sein, die Eigenschaft zu definieren, die allen Stellen von Z mit Verweis auf die Beziehung der exakten inneren Ähnlichkeit gemeinsam und eigentümlich ist. Es scheint, als ob sie offenbar eine andere Eigenschaft gemeinsam haben, die nicht nur eine disjunktive ist. Darüber hinaus muss beachtet werden, dass gemäß dieser Sichtweise das, was ein Mensch mit „Z“ meint, bei aller Wahrscheinlichkeit niemals dasselbe sein kann, was ein anderer Mensch damit meint. Ich sollte damit exakte Ähnlichkeit oder Identität mit einer Stelle meinen, die ich direkt erfasst habe. Aber in der allgemeinen Theorie über Sinnesdaten erfasst kein anderer Mensch jemals direkt eine Stelle, die ich direkt erfasse. Folglich würde ein anderer Mensch mit „Z“ exakte Ähnlichkeit oder Identität mit einer Stelle meinen, die er direkt erfasst hat. Und da seine Stelle nicht dieselbe wie meine sein würde, so würde sich das, was er mit „Z“ meint, von dem unterscheiden, was ich damit meine. Aber nichtsdestotrotz, trotz dieser Schwierigkeiten, bin ich geneigt zu denken, dass diese Theorie die wahre sein könnte. Dies ist nun alles, was ich hinsichtlich meiner ersten Art von Fällen zu sagen habe – jene Fälle, in denen, wie wir sagen sollten, zwei oder mehr unterschiedliche Dinge einander in einer Hinsicht genau gleichen. Das Problem bestand darin, herauszufinden, was die Eigenschaft ist, die jeder Gruppe von Dingen, die, wie wir sagen sollten, einander in der Hinsicht genau gleichen, in der nichts anderes ihnen gleicht, gemeinsam und eigentümlich ist. Und ich habe drei verschiedene Theorien unterschieden, die als eine Lösung dieses Problems angeführt werden könnten. Die erste (1) besteht einfach darin, zu bestreiten, dass in der Regel das, was wir in diesen Fällen haben, überhaupt eine Menge verschiedener Dinge ist. Sie besagt, dass das, was wir irrtümlicherweise als verschiedene Dinge ansehen, tatsächlich ein und dasselbe ist, (wenn es eine Farbe ist) an vielen verschiedenen Orten, in vielen Größen und Formen zur selben Zeit sein und von vielen verschiedenen Leuten direkt erfasst werden kann. Aber die anderen beiden Theorien geben andererseits zu, dass das, mit dem wir es zu tun haben, wirklich verschiedene Dinge sind. Und die erste davon (2) besagt, dass es immer ein Ding gibt, eine Universalie meiner

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dritten Art, das ihnen nicht in der Hinsicht ähnelt, in der sie alle einander ähneln, und das entweder ein Prädikat von ihnen allen und nichts anderem ist oder eine Prädikationsbeziehung zu ihnen allen und nichts anderem hat. Während die letzte (3) besagt, dass es eine Art von Ähnlichkeit gibt, die nicht im Besitz einer gemeinsamen Eigenschaft besteht, und dass die Eigenschaft, die ihnen allen gemeinsam und eigentümlich ist, in der Tatsache besteht, dass jedes jedem beliebigen von ihnen entweder ähnelt oder es ist. Und zwischen diesen drei Theorien weiß ich mich wirklich nicht zu entscheiden. Aber jetzt gibt es eine zweite Art von Fällen, bei denen die erste Theorie offensichtlich unmöglich ist. Und dies kann bis jetzt als ein Argument gegen die erste Theorie angeführt werden, obwohl es natürlich kein schlüssiges Argument ist. Es zeigt auf jeden Fall, dass die Schwierigkeit, die die erste Theorie umgangen hat, in anderen Fällen wieder auftritt, ohne dass sie auf dieselbe Weise verhindert werden könnte; und da in diesen Fällen eine der anderen beiden Theorien angenommen werden muss, könnten sie auch bei der ersten Art von Fällen die richtige Lösung sein. Nehmen wir z.€B. die Gruppe von Sinnesdaten, die aus wirklich allen farbigen Stellen und allen Stellen jeglicher Schattierung besteht. Offensichtlich haben sie alle eine Eigenschaft gemeinsam, die sie von allem anderen im Universum unterscheidet – die Eigenschaft, die wir ihnen zuschreiben wollen, wenn wir sagen, dass sie und nur sie allein farbige Stellen oder Farben sind. Somit hat eine blaue Stelle offensichtlich mit einer gelben Stelle etwas gemein, das keines von beiden mit einem Geräusch gemeinsam hat. Und hier kann niemand sagen, dass das Sinnesdatum, das wir einen Raumteil einnehmen sehen, von dem wir sagen sollten, dass er durch eine blaue Stelle eingenommen wird, ein und dasselbe ist wie jenes, das wir einen Raumteil einnehmen sehen, von dem wir sagen sollten, dass er von einer gelben Stelle eingenommen wird. Es scheint zu offensichtlich, dass eine blaue Stelle und eine gelbe Stelle unterschiedlich sind. Daher kann die erste Theorie unmöglich dazu verwendet werden, das zu beschreiben, was allen farbigen Stellen und allen Farben gemeinsam und eigentümlich ist. Und ebenso benötigt die letzte Theorie – die Theorie der exakten inneren Ähnlichkeit – eine Modifikation, wenn sie auf diesen Fall angewendet werden soll. Es ist völlig offensichtlich, dass eine gelbe Stelle nicht genau wie eine blaue Stelle in demselben Sinn (wenn überhaupt) ist, in dem eine Stelle von Z genau wie eine andere Stelle von Z ist. Aber genauso wie wir angenommen haben, dass es eine Art von exakter Ähnlichkeit gibt, die nicht im Besitz einer gemeinsamen Eigenschaft besteht, so scheint es mir, dass es eine Art von Ähnlichkeit geben kann, die exakte Ähnlichkeit nicht

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erreicht, sondern nur unmittelbar oder innerlich ist, d.€h. nicht im Besitz einer gemeinsamen Eigenschaft besteht. Wenn wir so sorgfältig zwischen den farbigen Stellen selbst unterscheiden und den verschiedenen Eigenschaften wie Größe, Form, Helligkeit usw., die sie haben, könnten wir sagen, denke ich, dass jede farbige Stelle zu jeder anderen eine Beziehung hat, Gleichartigkeit genannt, die nichts anderes im Universum zu ihnen hat, und dass dies eine Beziehung ist, die nicht im Besitz einer gemeinsamen Eigenschaft besteht. Auf diese Weise, mit Verweis auf diese angenommene Beziehung der unmittelbaren oder inneren Ähnlichkeit, könnten wir in diesem Fall wie in dem anderen eine disjunktive Eigenschaft erhalten, die wirklich allen farbigen Stellen gemeinsam und eigentümlich ist. Und trotz der Einwände gegen die Annahme, dass die einzige Eigenschaft, die ihnen allen gemeinsam und eigentümlich ist, wirklich nur eine disjunktive Eigenschaft dieser Art sein kann, bin ich geneigt zu denken, dass dies die zutreffende Lösung sein könnte. Hinsichtlich der Anwendung der zweiten Theorie auf diesen Fall – der Theorie, dass es ein einziges Ding gibt, eine Universalie meiner dritten Art, das entweder ein Prädikat aller farbigen Stellen und von nichts anderem im Universum ist oder eine Prädikationsbeziehung zu ihnen hat, gibt es nur zwei Punkte, die ich anführen möchte. Zunächst scheint es mir genauso schwierig zu sein, dieses vermutete Ding in diesem Fall wie in dem der reinroten Stellen zu erkennen. Ich kann nicht entdecken, dass ich solch ein Ding jemals in meinem Bewusstsein hatte; ein Ding, das zu allen farbigen Stellen jeglicher Schattierung und zu nichts anderem gehört und das keine Eigenschaft ist, die darin besteht, eine Beziehung zu diesem oder jenem zu haben. Und zweitens möchte ich bemerken, dass mir in diesem Fall keine Gefahr zu bestehen scheint, anzunehmen, dass das entsprechende Ding, wenn es ein solches Ding gibt, allen Farben in derselben Hinsicht ähneln könnte, wie sie einander ähneln. Wenn es das täte, würde es zu offensichtlich nur eine der Farben sein und nicht ein Ding, das zu ihnen allen gleichermaßen gehört. Daher zeigt die Analogie dieses Falles deutlicher, wie der Fall möglich sein könnte, dass die Universalie, die zu allen Stellen von Z und nur zu ihnen gehört, etwas sein könnte, das ihnen nicht in dieser bestimmten Hinsicht ähnelt, in der sie alle einander ähneln. Es ist sicherlich völlig offensichtlich, dass die Universalie, die zu allen unterschiedlichen farbigen Stellen oder Schattierungen und nur zu ihnen gehört (wenn es eine solche Universalie gibt), ihnen nicht in der besonderen Hinsicht ähneln kann, in der sie alle einander ähneln. Aber nun gibt es schließlich eine dritte Art von Fällen, bei denen es offensichtlicher scheint, dass eine Universalie der dritten Art beteiligt ist, und es

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scheint mir, dass wir vielleicht diese Universalie erkennen können – vor unser geistiges Auge halten können – und sicher sein, dass es sie gibt, und zwar auf eine Weise, die wir nicht auf die letzten beiden Fälle anwenden konnten. Betrachten wir z.€B. die Gruppe, die auch aus allen Mengen gebildet werden, die Mengen zweier Dinge und nicht mehr sind – die Paare sind. Jedes Paar von Dingen, gleichgültig, was diese Dinge sein mögen, hat offensichtlich eine Eigenschaft, die zu allen anderen Paaren und zu nichts anderem gehört – die Eigenschaft, die wir ausdrücken, indem wir sagen, dass jedes von ihnen ein Paar ist. Ein Paar Shillings hat offensichtlich eine Eigenschaft, die auch zu einem Paar Pennies gehört oder einem Paar von Menschen, einem Paar von Farben, einer Menge, gebildet aus einem Geräusch und einer Farbe oder einem Menschen und einem Shilling usw. – die kurz gesagt zu allen Mengen gehört, die Mengen zweier Dinge und von nicht mehr ist und zu nichts anderem gehört. Und hier erscheint mir, dass wir vielleicht sehen können, dass bei dieser Eigenschaft eine Universalie meiner dritten Art beteiligt ist. Die entsprechende Eigenschaft scheint in der Tatsache zu bestehen, dass die Zahl Zwei zu jeder solchen Menge und nur zu einer solchen Menge gehört; und die Zahl Zwei selbst scheint mir eine Universalie meiner dritten Art zu sein – etwas, das weder eine Beziehung ist noch eine Eigenschaft, die darin besteht, eine Beziehung zu diesem oder jenem zu haben. Und es scheint mir, dass wir in diesem Fall die entsprechende Universalie vielleicht erkennen können, dass wir die Zahl Zwei vor unser geistiges Auge halten können und sehen, was sie ist und dass sie ist, auf fast dieselbe Weise, wie wir es mit jedem Sinnesdatum, das wir direkt erfassen, tun können. Daher erscheint mir die Zahl Zwei ein bestmögliches Beispiel für eine Universalie meiner dritten Art zu sein. Und sie dient auch sehr gut dazu, zwei Punkte zu veranschaulichen, die bei dem, was ich zuvor gesagt habe, schwer verständlich schienen. In welchem Sinn gehört die Zahl Zwei zu den beiden Shillings? Was meinen wir mit der Aussage über zwei Shillings, dass sie zwei sind? Ich habe versucht zu erklären, dass zwei verschiedene Theorien hinsichtlich des Sinns möglich sind, in dem Universalien dieser Art zu Dingen gehören könnten. Die eine Theorie habe ich als die Theorie bezeichnet, dass sie Prädikate von ihnen in einem nicht-verbundenen Sinn sind; und die andere als die Theorie, dass sie zu ihnen eine spezielle Beziehung haben, die Prädikationsbeziehung genannt werden könnte. Und es scheint mir, dass die Unterscheidung zwischen diesen beiden Theorien und die Tatsache, dass beide möglich sind, in diesem Fall sehr gut zum Vorschein kommen könnten. Es ist sicherlich möglich, dass die Zahl Zwei in dem dargelegten Sinn ein Prädikat von jeder Gruppe

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zweier Shillings ist. Das heißt, es ist sicherlich möglich, dass die Tatsache, dass sie zwei sind, eine Tatsache ist, die keine Beziehung als einen Bestandteil enthält. Kann jemand mit Bestimmtheit versuchen festzustellen, dass dies nicht so ist – dass das Verb „sind“, wenn wir sagen, dass sie zwei sind, eine Beziehung ausdrückt und ausdrücken muss? Aber andererseits erscheint es auch möglich, dass es so ist – dass es eine bestimmte Beziehung ausdrückt, die eine Prädikationsbeziehung genannt werden kann. Ich selbst kann mich zwischen diesen beiden Alternativen nicht entscheiden, aber es scheint mir, dass beide möglich sind. Und der zweite Punkt, den dieses Beispiel hilft zu veranschaulichen, ist das, was ich hinsichtlich der Möglichkeit gesagt habe, eine Eigenschaft zu definieren, die allen Farben gemeinsam und eigentümlich ist mit Verweis auf eine Art Ähnlichkeit, die ich unmittelbare Ähnlichkeit genannt habe – eine Art Ähnlichkeit, die nicht im Besitz einer gemeinsamen Eigenschaft besteht. Ist es möglich, die Zahl Zwei selbst zu definieren mit Verweis auf diese Art Ähnlichkeit? Ist es möglich, dass wir trotz allem sogar hier keine Universalie meiner dritten Art vorliegen haben? Es scheint mir, dass dies ebenso möglich ist; aber es scheint, denke ich, ein offenkundiger Unterschied zwischen diesem Fall und jenem der Farben zu bestehen. Die Mengen, die aus einem Geräusch und einer Farbe, einem Menschen und einem Penny oder einem Planeten und einem Fixstern bestehen, ähneln einander offenbar in einer Hinsicht – nämlich hinsichtlich der Tatsache, dass jede von ihnen eine Menge von zwei Dingen und nicht mehr ist. Alle Paare ähneln einander in dieser Hinsicht und nichts anderes tut dies. Aber sicherlich scheint die Art, in der alle Farben einander ähneln und nichts anderem, völlig verschieden zu sein. Scheint es nicht einen Unterschied der Art und nicht bloß des Grades zwischen diesen beiden Beziehungen zu geben, die beide Ähnlichkeit genannt werden? Scheint es nicht, als ob die Beziehung, die jede Farbe zu jeder anderen Farbe und zu nichts anderem hat, eine ganz andere Art als jene zu sein, die jedes Paar zu jedem anderem Paar und zu nichts anderem hat? Jene, die sagen, dass Ähnlichkeit immer nur im Besitz einer gemeinsamen Eigenschaft besteht – es nur ein anderer Name dafür ist –, könnten versuchen, so vermute ich, den offensichtlichen Unterschied zwischen den beiden Fällen damit zu erklären, dass sie sagen, dass die Farben viel mehr Eigenschaften gemeinsam haben, als Paare es haben. Und dies, denke ich, trifft zu. Aber es ist nicht wahr, denke ich, dass die Farben mehr Eigenschaften haben, die ihnen gemeinsam und eigentümlich sind, als die Paare. Und es ist nur die Art Ähnlichkeit, die alle Mitglieder jeder Gruppe zueinander und

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zu nichts anderem haben, das ist hier der Punkt. Daher denke ich, dass jene, die sagen, dass Ähnlichkeit immer im Besitz einer gemeinsamen Eigenschaft besteht, den offenkundigen Unterschied zwischen diesen beiden Fällen nicht erklären können. Und soweit ich sehen kann, besteht die einzige Weise, dies zu erklären, darin, zu sagen, dass die Ähnlichkeit zwischen Paaren bloß im Besitz einer gemeinsamen Eigenschaft besteht; während die Ähnlichkeit zwischen Farben, obwohl sie „Ähnlichkeit“ genannt wird, tatsächlich eine völlig andere Beziehung ist, die nicht im Besitz einer gemeinsamen Eigenschaft besteht. Daher würde dies ein Argument sein, anzunehmen, dass die Eigenschaft, die allen Paaren gemeinsam und eigentümlich ist, in ihrem Besitz einer Universalie meiner dritten Art bestehen muss; während im Fall der Farben keine Notwendigkeit besteht, dies anzunehmen, da in ihrem Fall die Eigenschaft, die ihnen allen gemeinsam und eigentümlich ist, bloß eine disjunktive Eigenschaft sein könnte, die mit Verweis auf unmittelbare Ähnlichkeit definiert ist. Und dieser offensichtliche Unterschied zwischen der Art, in der alle Farben sich ähneln, und der Art, in der alle Gruppen von zwei Dingen sich ähneln, wird auch durch einen anderen interessanten und wichtigen Fall veranschaulicht. Bis jetzt haben wir nur gefragt, was es ist, das allen Gruppen, die Gruppen von zwei Dingen und nicht mehr sind, gemeinsam und eigentümlich ist – die Eigenschaft, die wir meinen, wenn wir sie alle als „Zweiergruppe“ oder „Paare“ bezeichnen. Und wir haben entschieden, dass diese Eigenschaft im Besitz einer Universalie meiner dritten Art besteht, nämlich der Zahl Zwei. Und es ist offenbar natürlich, dass genau dasselbe Argument auf jede der ganzen Zahlen zutrifft – auf 3, 4, 5, 6 usw. Es scheint nicht, als ob alle Dreiergruppen eine unmittelbare Ähnlichkeit zueinander haben, genauso wenig wie alle Zweiergruppen; und somit scheint es, als ob die einzige Art Ähnlichkeit, die sie alle zueinander und zu nichts anderem haben, tatsächlich im Besitz einer gemeinsamen Eigenschaft besteht. Daher scheint jede einzelne ganze Zahl eine Universalie meiner dritten Art zu sein. Aber wenn wir die Frage stellen: „Was ist die Eigenschaft, die allen diesen unterschiedlichen Zahlen selbst gemeinsam und eigentümlich ist? Was ist es, das wir meinen, wenn wir sie alle als ganze Zahlen bezeichnen?“, scheint es mir, dass wir wieder einen Fall haben, der sich analog zum Fall der Farben verhält. Die Zahl Zwei hat, soweit ich es beurteilen kann, eine unmittelbare Ähnlichkeit zu der Zahl Drei, genau wie sie jede ganze Zahl zu jeder ganzen Zahl hat: Sie haben eine Ähnlichkeit, die nicht nur im Besitz einer gemeinsamen Eigenschaft besteht. Sodass, soweit dieses Argument reicht, es keinen Grund zur Annahme gibt, dass bei der Eigenschaft, die wir ihnen allen

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zuschreiben, wenn wir sie „ganze Zahlen“ nennen, tatsächlich eine Universalie meiner dritten Art beteiligt ist: Es könnte bloß eine disjunktive Eigenschaft sein, die mit Verweis auf die unmittelbare Ähnlichkeit, die sie alle zu jeder beliebigen von ihnen haben, definiert wird. Es könnte, soweit mir bekannt ist, andere Gründe für die Annahmen geben, dass eine Universalie meiner dritten Art in diesem Fall auch beteiligt ist. Aber ich möchte besonders betonen, dass alle ganzen Zahlen einander auf eine Weise zu ähneln scheinen, in der alle Gruppen, die Gruppen von zwei Dingen sind, einander nicht ähneln. Alle ganzen Zahlen ähneln einander auf die Weise, in der alle Farben einander ähneln, während alle Gruppen, die Zweiergruppen sind, einander nicht auf diese Weise ähneln. Es scheint mir nun, dass es sehr überzeugende Gründe für die Annahme gibt, dass jede ganze Zahl – 2, 3, 4, 5 usw. – eine Universalie meiner dritten Art ist. Hier haben wir nun endlich einen Fall, an dem Universalien dieser Art fast sicher beteiligt zu sein scheinen. Und es kann vielleicht andere Fälle geben, bei denen es gleichermaßen gewiss ist. Darüber hinaus scheint es möglich, dass sie auch bei anderen Fällen, die ich betrachtet habe – der Fall der Farben und der Fall von Z –, und ähnlichen Fällen, beteiligt sind. Ich weiß nicht, wie man mit Gewissheit entscheiden kann, dass sie bei diesen Fällen nicht beteiligt sind; obwohl es mir aufgrund der alternativen Möglichkeiten viel zweifelhafter scheint, ob sie es sind. Es scheint auf jeden Fall recht gewiss zu sein, dass es einige sehr wichtige Beispiele von Universalien dieser dritten Art gibt, und es scheint möglich zu sein, dass es sehr viel mehr geben kann. Daher können wir nicht sagen, dass die einzigen Arten von Universalien jene meiner ersten beiden Arten sind, nämlich (1) Beziehungen und (2) Eigenschaften, die darin bestehen, eine Beziehung zu diesem oder jenem zu haben: Wir müssen zugeben, dass es, zumindest als eine mögliche Klasse, Universalien gibt, die weder Beziehungen noch Eigenschaften sind, die darin bestehen, eine Beziehung zu etwas zu haben. Ich wollte auf diese drei Arten von Universalien aufmerksam machen, teils um so deutlich wie möglich zu zeigen, welche Art von Dingen Universalien sind, und teils weil ich dann ausdrücklich zur Betrachtung folgender Frage übergehen wollte: Was ist nun die Eigenschaft, die allen Universalien gemeinsam und eigentümlich ist? Was meinen wir, wenn wir sie alle Universalien nennen? Was ist es, das Universalien von dieser anderen Art von Dingen, die partikuläre Dinge genannt werden, unterscheidet? Es scheint mir, dass dies wirklich eine äußerst schwierige Frage ist und dass ihre Schwierigkeit oft vom Scheitern verdeckt wird, die benannten drei unterschiedlichen Arten von Universalien deutlich zu erken-

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nen. Es ist vergleichweise einfach, eine Definition zu geben, die auf eine der drei Arten zutrifft; die Schwierigkeit besteht darin, dass die drei Arten voneinander so verschieden sind, dass es sehr schwierig ist, eine eigene Eigenschaft zu entdecken, die ihnen allen wirklich gemeinsam ist. Aber ich habe, so wie es steht, keine Zeit, um auf diese Frage einzugehen. Was ich zum Abschluss tun möchte, ist bloß, zwei sehr allgemeine Ansichten über Universalien zu erwähnen, die mir von solch einer Art zu sein scheinen, dass es einen sehr großen Unterschied zu unserer Sicht des Universums darstellt, ob wir sie als wahr oder nicht wahr erachten. Die erste lautet wie folgt. Locke spricht fortwährend von bestimmten Arten von Universalien (ich weiß nicht, ob er so von allen spricht), als ob sie das „Produkt des Bewusstseins“ wären. Und diese Ansicht ist sehr verbreitet, selbst jetzt, hinsichtlich aller Universalien. Und sie ist besonders verbreitet hinsichtlich „Beziehungen“; es wird sehr häufig behauptet, dass alle „Beziehungen“ „Werke des Bewusstseins“ sind; und wenn dies auf „Beziehungen“ zutrifft, so muss es natürlich auch auf alle Eigenschaften zutreffen, die darin bestehen, eine Beziehung zu diesem oder jenem zu haben. Aber Sie erkennen, was diese Ansicht impliziert. Sie impliziert, dass alle Universalien durch das Bewusstsein geschaffen sind. Dass es z.€B. unmöglich zwei Dinge im Universum gegeben haben kann, wenn nicht ein Bewusstsein die Zahl Zwei erschaffen hat; und dass keine zwei Dinge einander ähneln können, wenn nicht ein Bewusstsein sie verglichen hat und eine Beziehung der Ähnlichkeit hergestellt hat. In diesem Sinn impliziert sie, dass alle Universalien vom Bewusstsein abhängig sind; dass es unmöglich Universalien im Universum gegeben haben kann, bevor ein Bewusstsein in ihm war. Natürlich impliziert sie nicht notwendigerweise, dass sie vom Bewusstsein in dem anderen Sinn abhängig sind, in dem ich bisher hauptsächlich über Abhängigkeit gesprochen habe. Sie impliziert nicht zwangsläufig, dass sie überhaupt niemals existieren können, außer wenn jemand an sie denkt. Denn es kann natürlich angenommen werden, dass, wenn einmal ein Bewusstsein die Zahl Zwei erschaffen hat, Dinge zukünftig zwei sein könnten, selbst wenn niemand an die Zahl Zwei denkt. Aber jene, die an die erste Art der Abhängigkeit glauben, glauben auch, denke ich, an die letztere. Und hinsichtlich dieser Ansicht, dass alle Universalien nur „Produkt des Bewusstseins“ sind, möchte ich nur anmerken, dass ich keinen Hauch eines Grundes dafür sehe. Sie ist hauptsächlich aus dem Scheitern hervorgegangen, die beiden verschiedenen Bedeutungen des Wortes „Idee“, von denen ich zuvor gesprochen habe, zu unterscheiden; nämlich die Bedeutung, in der, wenn ich an die Zahl Zwei

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denke, mein Gedankenakt eine „Idee“ ist, und die Bedeutung, in der das, an was ich denke, nämlich die Zahl Zwei, eine Idee ist. Wir wenden dieselbe Bezeichnung „Idee“ oder ähnliche Bezeichnungen wie „Konzeption“, „Gedanke“ usw., auf Gedankenakte und die Objekte, an die gedacht wird, an: Es ist völlig üblich, die Zahl Zwei selbst oder die Beziehung der Ähnlichkeit selbst als eine „Idee“, „Konzeption“ oder „Gedanke“ zu bezeichnen; und es ist auch völlig natürlich den Gedankenakt, den wir ausführen, wenn wir an diese Dinge denken, als eine Idee, eine Konzeption oder einen Gedanken zu bezeichnen. Und aus diesem Grund sind diese beiden unterschiedlichen Dinge – der Gedankenakt und das Objekt, an das gedacht wird – häufig verwechselt worden. Der Gedankenakt, den wir ausführen, wenn wir an die Zahl Zwei denken, ist natürlich etwas Mentales – etwas, das vom Bewusstsein abhängig ist. Aber sobald wir ganz deutlich erkennen, dass die Zahl Zwei selbst etwas ganz anderes als dieser Gedankenakt ist, gibt es keinen Grund mehr anzunehmen, dass die Zahl Zwei oder die Beziehung der Ähnlichkeit das „Werk des Bewusstseins“ ist. Es wird offenbar möglich, dass es zwei Dinge im Universum gegeben haben könnte und auch zwei Dinge, die einander ähneln, bevor in ihm überhaupt ein Bewusstsein war. Und die Sichtweise des gesunden Menschenverstands bezüglich Universalien, die ich erwähnen möchte, lautet wie folgt. Es ist gewiss, dass alle Universalien in einem Sinn „Abstraktionen“ sind, sie sind „abstrakte“ Dinge. Ich denke tatsächlich, dass diese beiden Begriffe in ihrer eigentlichen Verwendung genau äquivalent sind: Nicht nur alle Universalien sind „abstrakt“, sondern auch alle „abstrakten“ Dinge sind Universalien. Aber viele Philosophen scheinen anzunehmen, wenn man ein Ding eine „Abstraktion“ nennt, dass man zwei Dinge darüber impliziert. Es scheint erstens angenommen zu werden, dass man, indem man es so nennt, wieder impliziert, dass es ein Werk des Bewusstseins ist; und dies sollte vielleicht als ein zweiter, eigenständiger Grund betrachtet werden, warum man angenommen hat, dass alle Universalien „Werke des Bewusstseins“ sind. Es gibt natürlich einen psychologischen Prozess, der „Abstraktion“ genannt wird und man spricht fortwährend so, denke ich, als ob Universalien ein Produkt dieses Prozesses wären und als ob es das wäre, wie sie definiert werden sollten. Aber die zutreffende Beschreibung des Sachverhalts scheint mir folgende zu sein. Der Prozess der Abstraktion ist ein Prozess, durch den uns Universalien bewusst werden; es ist unser Bewusstsein von ihnen, das ein Produkt des Prozesses ist, nicht die Universalien selbst. Und anstatt der Möglichkeit, Universalien als Produkte des Abstraktionsprozesses zu definieren, ist es, soweit ich sehen kann, nur möglich,

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Abstraktion mit Verweis auf Universalien zu definieren: Was wir mit Abstraktion meinen, ist genau der Prozess, durch den wir zuerst lernen, Universalien zu unterscheiden, und es gibt keine andere Weise, dies zu definieren. Aber das Zweite, von dem einige Philosophen anzunehmen scheinen, dass es impliziert ist, wenn man ein Ding eine Abstraktion nennt, besteht darin, dass es nicht wirklich „real“ ist. Sie scheinen anzunehmen, dass der Umstand, ein Ding eine Abstraktion zu nennen, darauf hinausläuft, dass es kaum besser ist als eine reine Fiktion wie ein Greif oder eine Chimäre, etwas, das daher nicht als eines der Bestandteile des Universums angesehen werden muss. Und die Frage nach dem Sinn, falls es einen gibt, in dem Abstraktionen nicht „real“ sind, führt uns zu dem Punkt zurück, von dem wir bei dieser gesamten Diskussion ausgegangen sind. Ich werde versuchen, so kurz wie möglich das zu sagen, was mir diesbezüglich als die wichtigsten Punkte erscheinen. Ich habe drei verschiedene Arten von Bestandteilen des Universums unterschieden, nämlich (1) partikuläre Dinge, (2) Wahrheiten oder Tatsachen und (3) Universalien. Und es scheint Grund für die Aussage zu geben, dass es von diesen drei Arten von Dingen nur partikuläre Dinge sind, die „existieren“, dass Wahrheiten und Universalien nicht existieren, sondern nur Sein haben oder sind. Es ist gewiss natürlicher, von einem partikulären Ding zu sagen, dass es „existiert“, als dies von der Wahrheit zu sagen, dass zwei mal zwei vier ist, oder von der Zahl Zwei selbst; obwohl der Gebrauch gewiss nicht festgelegt ist. Wenn daher jemand entscheidet zu sagen, dass Universalien nicht existieren und in diesem Sinn nicht „real“ sind, möchte ich nicht bestreiten, dass dies möglicherweise der Fall sein könnte. Ich denke, es könnte möglicherweise eine Eigenschaft geben, die das ist, was wir im Allgemeinen mit „Existenz“ meinen, die zu allen partikulären Dingen gehört zusätzlich zu der Eigenschaft, aufgrund der wir sie partikuläre Dinge nennen, und die nicht zu Wahrheiten und Universalien gehört. Ich denke, es ist fraglich, ob dies der Fall ist; ich denke, es ist fraglich, ob es eine Eigenschaft gibt, die allen partikulären Dingen gemeinsam und eigentümlich ist, außer jener, aufgrund der wir sie alle partikuläre Dinge nennen; und folglich ist es fraglich, ob partikuläre Dinge eine Art von Realität haben, die Wahrheiten und Universalien nicht haben: kurz gesagt, ob der einzige Unterschied zwischen ihnen nicht einfach und allein in der Tatsache besteht, dass partikuläre Dinge partikuläre Dinge sind, während Wahrheiten und Universalien es nicht sind. Aber ob dies so ist oder nicht – ob wir eine Unterscheidung zwischen Existenz und Sein zusätzlich zu der Unterscheidung zwischen partikulären Dingen einerseits und Wahrheiten und Universalien andererseits anerkennen sollten oder

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nicht€–, was ich betonen möchte, ist, dass diese Unterscheidung zwischen Existenz und Sein auf jeden Fall nicht annähernd so wichtig ist wie jene zwischen den Dingen, die Sein haben, und jenen, die es einfach nicht haben, rein imaginär sind und überhaupt nicht zum Universum gehören. Die Eigenschaft des Seins, die gewiss zu Wahrheiten und Universalien wie auch zu partikulären Dingen gehört, ist um einiges wichtiger als jede, die sie voneinander unterscheidet. Ich habe bereits erklärt, wenn man so spricht, wie ich es soeben getan habe – wenn man so spricht, als ob es eine Klasse von Dingen wäre, die einfach nicht ist, kein Sein haben – dass wir uns selbst zu widersprechen scheinen, aber ich habe versucht zu zeigen, dass der Widerspruch nur verbaler Art ist. Und was ich betonen möchte, ist, dass es diese Unterscheidung ist, von der es so unmöglich erscheint, sie ohne einen sprachlichen Widerspruch auszudrücken, die die wirklich grundlegende und wichtige ist. Es ist diese Unterscheidung, die, wie wir gesehen haben, sich am Grunde der Unterscheidung zwischen Wahrheit und Unwahrheit befindet: Es könnte keinen wichtigen Unterschied zwischen Wahrheit und Unwahrheit geben, wenn nicht diese Unterscheidung zwischen dem, was ist oder gewesen ist oder sein wird, und dem, was weder ist noch gewesen ist noch sein wird. Und die grundlegende Frage für die Philosophie ist, ob gewisse Dinge in diesem Sinn zum Universum gehören oder nicht. Und es ist, denke ich, diese grundlegende Unterscheidung, die von jenen übersehen wird, die so sprechen, als ob Universalien, weil sie bloße Abstraktionen und daher reine Fiktionen seien, etwas Unbedeutendes wären. Jene, die auf diese Weise sprechen, wollen wirklich, so denke ich, Universalien auf die Stufe von Greifen und Chimären herabsetzen; aber sie sehen nicht, was sie tun, weil sie annehmen, dass selbst „Greife“ und „Chimäre“ in einem Sinn „real“ sind. Auf diese Art wird die grundlegende Unterscheidung zwischen dem, was ist, und dem, was nicht ist, verwischt; und Leute behaupten wirklich von Dingen zugleich, und können dies von fast allem behaupten, dass sie sind und dass sie auch zur selben Zeit nicht sind. Wenn man in seinem Bewusstsein den Sinn festhält, in dem es gewiss solche Dinge wie Greife oder Chimären nicht gibt, scheint mir dies den Sinn zu geben, in dem es wichtig ist, zu untersuchen, ob es solche Dinge wie Universalien gibt oder nicht. Und wenn man diesen Sinn deutlich fixiert, scheint es mir vollkommen offensichtlich zu sein, dass es solche Dinge gibt, dass Universalien keineswegs zusammen mit Greifen und Chimären eingeordnet werden sollten; dass, ganz im Gegenteil, der grundlegendste Unterschied im Universum zwischen den beiden besteht, ein Unterschied, der um einiges wichtiger ist als jener, der Universalien von partikulären Dingen trennt.

Anhang

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um heutigen Zeitpunkt (1952) denke ich, dass Kapitel 19 und 20 schwer verunstaltet sind und sogar durch mindestens zwei schwere Fehler, die ich in ihnen gemacht habe, in Teilen fast unverständlich geworden sind. (1) Der erste Fehler ist folgender. In Kapitel 19 auf Seite 376€f setzte ich zwei Sichtweisen gleich, die tatsächlich voneinander völlig verschieden sind. Eine von den beiden lautet wie folgt. Wenn wir zwei durch die Sinne gegebene „Stellen“ haben („Stelle“ in einem erweiterten Sinn, den ich erklärt habe, sodass z.€B. ein Satzpunkt, wie klein auch immer, oder ein Bindestrich oder eine andere Linie, wie dünn auch immer, in meinem Wortsinn eine Stelle ist), also zwei durch die Sinne gegebene Stellen, die genau dieselbe Farbschattierung haben, und jede von ihnen hat überall diese Farbschattierung, dann ist in beiden Fällen die Farbe der einen Stelle mit der Farbe der anderen identisch, gleichgültig ob die beiden Stellen die gleiche Größe und Form oder eine verschiedene Größe oder Form oder beides haben (ob z.€B. eine von ihnen quadratisch ist und die andere rund). Diese erste Sichtweise ist gewiss von einigen Philosophen vertreten worden und auch ich selbst halte sie immer noch für wahr. Aber die zweite Sichtweise, mit welcher ich die soeben dargelegte tatsächlich gleichgesetzt habe, ist die völlig andere Position, dass es in solchen Fällen überhaupt keine zwei Stellen gibt, sondern nur ein und dieselbe Stelle an verschiedenen Orten, sodass z.€B. ein und dieselbe Stelle an einem Ort groß und quadratisch sein kann und an einem anderen klein und rund. Diese zweite Ansicht, ist niemals von irgendjemand vertreten worden, soweit mir bekannt ist, und sie ist gewiss vollkommen unhaltbar. Ich sage von ihr in diesem Kapitel, dass sie sich zwar „sprachlich selbst widerspricht“, aber dass sie nicht wirklich widersprüchlich ist, und dann fahre ich durch Aufzeigen, dass sie es nicht ist, fort, die erste Sichtweise so darzulegen, als ob sie alles wäre, was mit den Worten „zwei solche Stellen sind ein und dieselbe Stelle“ gemeint ist; d.€h. als ob diese Worte dasselbe bedeuten wie die Worte „die Farbe von beiden solchen Stellen ist dieselbe“! Tatsächlich würde niemand das, was mit der letzten Wortform gemeint ist, mit der Aussage ausdrücken, dass es in solchen Fällen nicht zwei Stellen, sondern nur eine gibt. Und die Ansicht, dass es in solchen Fällen nicht zwei, sondern nur eine Stelle gibt, widerspricht sich natürlich nicht nur „sprachlich“. Die Fälle sind so definiert, dass wir in ihnen zwei durch die Sinne gege-

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bene Stellen haben; und natürlich widerspricht man sich selbst, wenn man sagt, dass wir in solchen Fällen nur eine Stelle haben! Wie es geschehen ist, dass ich diesen Fehler begangen habe, weiß ich nicht. Mir ist es aus diesem oder jenem Grund misslungen zu sehen, dass die Farbe einer Stelle nicht mit der entsprechenden Stelle identisch ist; und folglich habe ich die absurde Schlussfolgerung gezogen, wenn zwei Stellen genau dieselbe Farbe haben, dass sie dann nicht zwei Stellen, sondern ein und dieselbe sind! Aufgrund dieses Fehlers stelle ich auf S.€376 die völlig falsche Behauptung auf, dass die Annahme, in jeder bläulich weißen Stelle sei ein Reinweiß, mit der unmöglichen Annahme identisch ist, dass in jeder bläulich weißen Stelle eine reinweiße Stelle enthalten ist! (2) Ein zweiter grober Fehler, den ich gemacht habe, bestand darin, dass, angenommen, jemand vertritt dies in einem Fall, in dem wir zwei Stellen mit genau derselben Farbschattierung sehen oder eine Stelle mit der entsprechenden Schattierung, dann ist die Farbschattierung etwas, das wir nicht sehen (S.€381)! Dieser Fehler geht vielleicht teilweise darauf zurück, dass ich von „was ich sehe“ gesprochen habe, wenn ich eine weiße Stelle sehe (S.€381), und ich nicht erkannt habe, dass in einem solchen Fall die weiße Stelle nicht das einzige Ding, das ich sehe, zu sein braucht: „Was ich sehe“ ist zweideutig; es kann bedeuten „das einzige Ding, das ich sehe“ oder es kann bedeuten „alle Dinge, die ich sehe“; und ich könnte durch diese Zweideutigkeit in die Irre geführt worden sein. Warum sollte es nicht der Fall sein (wie ich jetzt annehme, dass es so ist), wann immer ich eine weiße Stelle mit derselben Weißschattierung überall sehe, dass ich auch diese bestimmte Weißschattierung sehe, aus der diese Stelle besteht? Soweit ich weiß, hat niemand die Ansicht vertreten, dass eine bestimmte Weißschattierung oder eine bestimmte Schattierung einer anderen Farbe etwas ist, dass ich niemals sehe. Wenn ich eine runde Stelle mit überall derselben Schattierung sehe, sehe ich gewiss nicht nur die Stelle, sondern auch ihre Schattierung, Form und Größe; obwohl ich denke, es muss festgehalten werden, dass wir, wenn wir vom Sehen dieser drei „abstrakten“ Dinge sprechen, „Sehen“ in einem anderen Sinn benutzen als jenen, in dem wir es verwenden, wenn wir vom „Sehen“ der „konkreten“ Stelle sprechen. Die Sichtweise, die ich in diesen Kapiteln ausdrücke, wenn es „Qualitäten“ gibt, die zu einer Stelle in demselben nicht-verbundenen Sinn „gehören“, in dem ihre durch Beziehungen verbundenen Eigenschaften zu ihr gehören, dass dann diese „Qualitäten“ Dinge sein müssen, die wir niemals sehen, scheint mir jetzt völlig absurd zu sein und eine Sichtweise, die niemals vertreten worden ist.

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Ich denke, ich bin vielleicht zu diesem Fehler teilweise durch einen Fehler verleitet worden, analog zu jenem, bei dem man die Zweideutigkeit des Ausdrucks „was ich sehe“ übersieht. Mir ist es gewiss misslungen, wenn ich von einer bestimmten Farbschattierung gesprochen habe, die den Bereich „einnimmt“, der durch die Stelle „eingenommen“ wird, dessen Farbe sie ist, dass der Sinn, in dem ich von der Farbe, die diesen Bereich „einnimmt“, von jenem verschieden sein könnte, in dem die Stelle diesen Bereich „einnimmt“. Ich könnte gedacht haben, da die Stelle diesen Bereich „einnimmt“ und da ich diese Stelle gewiss sehe, dass ihre Stelle etwas sein muss, das den Bereich nicht „einnimmt“ und das ich nicht sehe. Ich denke, ich habe nun die Hauptmängel dargelegt, die mir diese beiden Kapitel zu verunstalten scheinen, obwohl diese Mängel natürlich Konsequenzen an verschiedenen Stellen haben; und ich werde jetzt damit fortfahren, das darzulegen, was ich heute über die Hauptfrage sagen sollte, die ich damals versuchte zu beantworten. Ich versuchte, wie ich es oft sagte, herauszufinden, ob es „Universalien“ gibt, die weder Beziehungen noch durch Beziehungen verbundene Eigenschaften sind, sondern nichtsdestotrotz zu Dingen in demselben nichtverbundenen Sinn „gehören“, wie durch Beziehungen verbundene Eigenschaften zu Dingen, die sie haben, „gehören“; und ich war hauptsächlich damit beschäftigt, zu besprechen, ob Farben in dem Sinn, in dem Sinnesdaten Farben haben, uns Beispiele solcher Universalien liefern könnten, und ich nahm als ein Beispiel die Farbe „Weiß“. Ich denke, viele Philosophen sind wirklich geneigt zu behaupten, dass die Farbe „Weiß“ selbst in dem Sinn, in dem einige Sinnesdaten zweifellos weiß sind, ein Beispiel einer solchen Universalie ist; und wenn es die Farbe „Weiß“ ist, dann gilt dies natürlich auch für die Farben „Blau“, „Grün“, „Rot“, „Gelb“, „Schwarz“, „Braun“, „Grau“ usw. Ich denke, diese Ansicht ist oftmals das, was zumindest vage im Bewusstsein von Leuten ist, wenn sie Weiß eine „Qualität“ nennen. Es hat eine Tradition in der Philosophie gegeben, eine Unterscheidung zwischen „Beziehungen“ und „Qualitäten“ zu treffen, als ob sie unterschiedliche Arten von Universalien wären; und da im Allgemeinen Beziehungen mit dem verwechselt worden sind, was ich „durch Beziehungen verbundene Eigenschaften“ nenne, denke ich, dass vielleicht das, was vage im Bewusstsein jener gewesen ist, die diese Unterscheidung getroffen haben, darin besteht, dass „Qualitäten“ (und daher Farben) keine durch Beziehung verbundenen Eigenschaften sind, sondern doch zu Dingen „gehören“, die sie haben, in dem selben nicht-verbundenen Sinn, in dem

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durch Beziehungen verbundene Eigenschaften zu Dingen gehören, die sie haben. Sie behaupten, denke ich, wenn sie Weiß eine „Qualität“ nennen, dass, wenn wir von einem Sinnesdatum sagen, „dies ist weiß“, die so ausgedrückte Proposition überhaupt keine durch Beziehungen verbundene Eigenschaft ist – es keine Proposition ist, die von der Farbe „Weiß“ behauptet, dass es eine Beziehung zu der entsprechenden durch die Sinne gegebenen Stelle hat; kurz gesagt, dass die Kopula „ist“, wenn „ist“ das „ist“ der Prädikation ist, keine Bezeichnung für irgendeine Beziehung ist. Um nun genau zu betrachten, ob diese Ansicht wahr oder falsch ist, ist es absolut notwendig, eine sehr wichtige Tatsache zu berücksichtigen. Die Tatsache, die ich meine, besteht in der Tatsache, dass zwei verschiedene durch die Sinne gegebene Stellen, von denen von jeder zweifellos gesagt werden kann, dass sie „weiß ist“, nichtsdestotrotz zwei verschiedene Weißschattierungen aufweisen können; eine kann z.€B. ein wenig cremeweißer sein als die andere. Es gibt tatsächlich eine ganz Reihe von verschiedenen Weißschattierungen, von denen jede so ist, dass von einem Sinnesdatum (d.€h. eine durch die Sinne gegebene Stelle), das diese Schattierung hat, wirklich gesagt werden kann, dass es weiß ist; und ich denke, es ist recht offensichtlich, dass von keinem Sinnesdatum wirklich gesagt werden kann, dass es überhaupt weiß ist, wenn es nicht entweder überall von einer bestimmten Weißschattierung (und Reinweiß als eine Schattierung enthält) oder eine Anzahl verschiedener Weißschattierungen in verschiedenen Teilen von ihm hat. Aus Gründen der Einfachheit und weil es für meinen gegenwärtigen Zweck irrelevant ist, werde ich die letztere Alternative nicht berücksichtigen und mich darauf beschränken, jene weißen Sinnesdaten (welche ebenso häufig auftreten) betrachten, die überall genau dieselbe Schattierung haben. Jede unterschiedliche Weißschattierung ist natürlich eine unterschiedliche Farbe, obwohl die meisten, wenn nicht sogar alle, von ihnen keine eigene Bezeichnung haben und keine Farben in dem Sinn sind, in dem z.€B. „Weiß“, „Blau“, „Rot“ usw. Bezeichnungen für Farben sind. Und obwohl von jeder von ihnen wirklich gesagt werden kann, dass sie „ein Weiß“ oder „ein bestimmtes Weiß“ ist, kann keine von ihnen selbst in dem Sinn weiß sein, den wir betrachten – in dem Sinn, in dem nicht eine Farbe, sondern eine durch die Sinne gegebene Stelle mit Farbe oder farbige Stelle weiß sein kann. Keine farbige Stelle ist mit einer Farbe identisch – sie ist bloß von einer Farbe; und keine Farbe kann wirklich von einer bestimmten Farbe sein (wie es eine Stelle kann): Jede von ihnen ist eine gewisse Farbe. Wir müssen daher, wenn wir den Sinn betrachten, in dem eine bestimmte durch die Sinne gegebene Stelle überall weiß sein kann, zwei völlig

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unterschiedliche Fragen betrachten. Wir müssen betrachten, (1) was gemeint ist, wenn man von einer Stelle sagt, die überall ein und dieselbe Weißschattierung hat, dass sie diese Schattierung hat, und (2) was gemeint ist, wenn man von einer bestimmten Weißschattierung (d.€h. von einer Farbe, nicht einer farbigen Stelle) sagt, dass es eine Weißschattierung ist, oder, um den Ausdruck zu verwenden, den ich eben verwendet habe, „ein Weiß“ ist. Ich sage, dass wir beide der zwei soeben aufgezeigten, völlig unterschiedlichen Fragen berücksichtigen müssen, wenn wir unsere Hauptfrage betrachten, ob Farben in dem Sinn, in dem Sinnesdaten Farben haben, uns Beispiele von Universalien liefern können, die weder Beziehungen noch durch Beziehungen verbundene Eigenschaften sind, und als ein bestimmtes Beispiel, ob die Farbe „Weiß“ in dem Sinn, in dem einige Sinnesdaten zweifellos weiß sind, entweder selbst eine solche Universalie ist und eine beinhaltet. Und ich sage dies aus folgenden Gründen. (1) Es scheint mir völlig offensichtlich, dass die Farbe „Weiß“ selbst keine solche Universalie sein kann, wenn wir ihr nicht eine nicht-verbundene Eigenschaft zuschreiben, indem wir von einem Sinnesdatum sagen, das überall eine bestimmte Weißschattierung hat, dass es diese Schattierung hat; und wir können nicht entscheiden, ob wir dies tun oder nicht, ohne die soeben aufgezeigte erste Frage zu betrachten. (2) Es scheint mir auch völlig offensichtlich, dass wir, indem wir sagen, dass ein Sinnesdatum weiß ist, sagen, dass jedes Teil von ihm eine Weißschattierung hat, und so zugleich die Fälle, in denen unterschiedliche Teile unterschiedliche Weißschattierungen haben, und die Fälle abdecken, in denen das Sinnesdatum überall genau dieselbe Weißschattierung hat. Aber wenn dem so ist, dann wird ein Teil unserer Hauptfrage darin bestehen, unsere zweite Frage zu stellen, nämlich: Was ist gemeint, wenn wir von einer Farbe, die eine Weißschattierung ist, sagen, dass sie eine Weißschattierung ist? Wenn die Eigenschaft, die wir ihr zuschreiben, indem wir dies sagen, eine nichtverbundene Eigenschaft ist, dann wird die Farbe „Weiß“ eine Eigenschaft beinhalten, die weder eine Beziehung noch eine durch eine Beziehung verbundene Eigenschaft ist, ob sie nun selbst eine solche Eigenschaft ist oder nicht: „Ein Weiß sein“, was nur eine Farbe sein kann, wird eine nicht-verbundene Eigenschaft sein, ob „weiß sein“, was nur eine Stelle sein kann, eine solche Eigenschaft ist oder nicht. Die Antwort auf unsere erste Frage scheint mir nun darin zu bestehen, dass Weißsein eine durch Beziehung verbundene Eigenschaft ist, da der Umstand, eine bestimmte Weißschattierung zu haben, so ist. Und mein Grund, Letzteres zu sagen, besteht einfach darin, dass, wo man ein Sinnes-

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datum hat, das überall dieselbe Weißschattierung hat, diese Farbe, die es hat, mir mit ihr auf eine ganz andere Weise verbunden scheint als jene, in der seine Form und Größe mit ihm verbunden sind. Diese (im Allgemeinen und vielleicht immer namenlose) Farbe ist über das gesamte Sinnesdatum verteilt. Dies scheint mir das zu sein, was wir meinen, wenn wir sagen, dass es überall diese Farbe hat. Und ganz gewiss sind weder seine Form noch Größe über das gesamte Sinnesdatum verteilt. Ist nicht „verteilt über“ in dem Sinn, in dem die namenlose Farbe ganz offensichtlich über dem gesamten verteilt ist, eine Bezeichnung für eine Beziehung? Ich kann nicht umhin zu denken, dass dies so ist. Wenn ja, dann haben wir in keiner bestimmten Weißschattierung noch im Weiß selbst ein Beispiel einer Eigenschaft, die zu nichts in einem Sinn „gehört“, in dem „gehört“ keine Bezeichnung für eine Beziehung ist. Natürlich wird die Eigenschaft, weiß zu sein und diese bestimmte namenlose Weißschattierung zu haben, durch Beziehungen verbundene Eigenschaften sein und werden, wie alle diese Eigenschaften, zu dem „gehören“, zu dem sie in einem nicht-verbundenen Sinn gehören. Aber wenn ich Recht habe, müssen wir streng (was, wie ich denke, normalerweise nicht gemacht wird) zwischen der Farbe „Weiß“ oder einer bestimmten Schattierung von Weiß und den durch Beziehung verbundenen Eigenschaften, „weiß zu sein“ oder „diese bestimmte Schattierung zu haben“ unterscheiden. Die Farben gehören nur zu den Sinnesdaten in dem Sinn, eine gewisse Beziehung zu ihnen zu haben; aber natürlich „gehören“ die durch Beziehung verbundenen Eigenschaften, jene Farben zu haben, in einem ganz unterschiedlichen Sinn. Aber wenn wir uns nun meiner zweiten Frage zuwenden, scheint mir die Antwort völlig anders zu sein. Obwohl, wie ich soeben gesagt habe, die Eigenschaft des Weißseins, die zu einigen Sinnesdaten gehört (obwohl nicht zur Farbe „Weiß“), eine durch Beziehungen verbundene Eigenschaft zu sein scheint, scheint mir andererseits, die Eigenschaft, ein Weiß zu sein, die nur zu Farben gehört und nicht zu Sinnesdaten, keine durch Beziehung verbundene Eigenschaft zu sein, sondern ein Beispiel der Art von Universalie, nach der wir gesucht haben. Ich muss zugeben, dass ich nur so denke, weil die einzige, mögliche alternative Sichtweise mir darin zu bestehen scheint, dass es eine disjunktive Eigenschaft ist, in der eine der Disjunkte Identität ist und die andere auf eine Art durch Verweis auf Ähnlichkeit definiert ist – natürlich in diesem Fall eine Ähnlichkeit zu Farben und nicht wie in den Fällen, die ich in meinen Vorlesungen betrachtet habe, zu farbigen Stellen. Und ich kann einfach nicht glauben, dass es eine disjunktive Eigenschaft dieser Art ist.

Stichwortverzeichnis Verweise, die besonders wichtig erscheinen, sind halbfett abgedruckt. Abbilder 83-84, 253-258 Abstraktion 408 Abhängigkeit 12, 52, 407 384 Adjektive Akte (mentale) 8, 176, 333 Ähnlichkeit 367-370, 394, 398-399, 404-405 Analyse 223, 282, 287, 291-293, 320 Annahme 69-70, 280-291, 297-302 70-71,338 Zweideutigkeit der Appearance and Reality 225-228 389 Aristoteles Bedeutung 66-68, 222-224, 235-236 Beobachtung 113-114 Berkeley 27, 118, 163,256-257, 336, 345 Bestandteil 356, 395 Beweis 102 Bewusst 263-264 Bewusstsein, siehe ,Akte‘ Beziehungen 344-360, 381-383, 395, 413-414 direkte und indirekte 350-351 Bradley, F.€H. 225-230, 252-253, 312-318 Deduktiv Definition Descartes Disjunktiv

102 223-224, 303, 305 173 370

Eigenschaften

335-336, 344-353, 357-359 durch Beziehungen verbundene 351, 381-383, 395,413-415 142, 202, 412 Einnehmen Empfindungen 38-40 Entfernung 9, 344-345 Erfahrung 108-109, 123, 155-157 Erfassen direktes 39, 77-78 indirektes 79-81, 85-88 58-60, 103, 258-269 Erinnerung 26, 28, 117, 147, Erscheinungen 185-190,219, 228-230 32-33 Ethik Euklid 102, 210 Euklidischer Raum 194,€201-202, 210-211 Existenz 101-102, 329-332, 337, 409 112 Experiment Extern 62 Falsch 271-274, 302-303 Drei Bedeutungsarten 73-75 teilweise 313-314 Farbe 401-406 Farben (siehe auch ,Weiß‘) 42-43, 414-416 44-46, 142, 416 Form Gehören zu 383, 395-396 Gewiss€(siehe€auch€,Sicher‘) 115 Gott 22, 27, 173, 272-274 Größe 43-45, 416

418

Hegel Hume

George Edward Moore • Grundprobleme der Philosophie

188-189 99-125, 130-136, 155-158, 164-168, 256-257, 299, 332, 336, 345

Ideen zwei Bedeutungsarten

333, 407-408 allgemeine oder abstrakte 332-334 wahre (Vorstellung) 75-76 Identität, qualitative und numerische 45 Imaginär 318, 340 Interaktion 173-178 Innerlich 367 Intuitiv 102 Kant

99, 164, 166, 179-198, 208, 217-218 Konjunktion 342 Korrespondenz 305,€307,€309-310, 342 311 Kriterium Locke

332, 407

Materielle Objekte 6, 14, 142-146 Mathematiker 102, 210-211 Mental, siehe ,Akte‘ Oberfläche 42, Fußnote 6, 130-132 Okkasionalismus 173 Plato 389 Prädikate 384, 397 Prädikations(beziehung) 384, 397 Pragmatisten 310-312 Propositionen 66-81, 281-292, 339-340 Prüfstein 311

Qualitäten

383-384

Raum 9, 21, 142, 193-195 durch den Sinn gegeben 51-54, 202-203 344-347 Räume Realität 231-254 Grade der 252-254 Richtung 9 Russell, Bertrand 88, Fußnote 13, 216 Satz vom ausgeschlossenen 180 Dritten Satz vom Widerspruch 180 Sätze 66-67, 70-71 Sehen 36-42, 60, 93-94 zwei Bedeutungen von 60, 200 Sein 278, 294, 318-325, 329 Sicher 300-301 Sinnesdaten 37-38 zwei Verwendungsarten von 37, Fußnote 4 anerkannte Ansicht über 48-51, 62-65 35, 94 Sinneswahrnehmung Skeptisch 24 Stelle 36, Fußnote 3 u. 4, 48, Fußnote 8 Synthetisch 166-67 Tatsachen Tautologien Teil Unendliches Ausmaß Unendliche Teilbarkeit Unendlichkeit Universalien Universum Ursache

327, 337-341 165 42, Fußnote 6 213-214 215-218 199-218 334 321-324 108, 175

Stichwortverzeichnis

Verbindung Volumen Vorstellung

121-122 42, 142 253-258, 270-272

71-75, 288-295, 302-303, 307-308 drei Bedeutungsarten von 74-75 Wahrheiten 327-328, 337-343 Wahrnehmen (siehe auch ,Sehen‘) 55, Fußnote 9, 64, 88, Fußnote 13 Wahrscheinlich 110-111, 115-116 Weiß Zweideutigkeit von 360-362, 390 Reinweiß 368, 375-378, 391 Wissen (Verb) 17-19, 31-32, 88-93, 101 falscher Gebrauch 88, Fußnote 13 Wissen (Substantiv) 58-60, 300-301 an sich 93 mittelbares 138 unmittelbares 137 Wahr

Zahlen 214-215, 403-406 Zeichen 127-129 Zeit 16-17, 21, 179-198, 203-213, 219-228 322-324 Zeitlos

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