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German Pages [191] Year 1928-1934
RUDOLF CARNAP
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Scheinprobleme in der Philosophie und andere metaphysikkritische Schriften
Herausgegeben, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von thomas mormann
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
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PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 560
Bibliographische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.ddb.de› abrufbar. ISBN 3-7873-1683-3
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Inhalt
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Einleitung von Thomas Mormann ......................................
ix
Zur Edition ........................................................................ xlix Ausgewählte Werke Carnaps ........................................... l
RUDOLF CARNAP
Scheinprobleme in der Philosophie (1928) ..........................
3
I. Die Aufgabe der Erkenntnistheorie .................................
3
A. Der Sinn der erkenntnistheoretischen Analyse .........
3
1. Problemstellung ...................................................... 3 2. Die logische Zerlegung ........................................... 7 a) Hinreichender und entbehrlicher Bestandteil .. 7 b) Das Kriterium: die rationale Nachkonstruktion 9 c) Die Überbestimmtheit des Erlebnisgehaltes ..... 10 3. Die erkenntnistheoretische Zerlegung .................. a) Kern und Nebenteil ........................................... b) Erstes Kriterium: die Rechtfertigung ................ c) Zweites Kriterium: die Täuschungsmöglichkeit B. Anwendung: die Erkenntnis von Fremdpsychischem
13 13 14 16 17
4. Logische Zerlegung der Erkennung von Fremdpsychischem ................................................. 17 5. Erkenntnistheoretische Zerlegung der Erkennung von Fremdpsychischem ....................... 21 6. Ergebnis. Ausblick auf den Stammbaum der Begriffe ............................................................. 24
VI
Inhalt
II. Reinigung der Erkenntnistheorie von Scheinproblemen 26
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A. Das Kriterium des Sinnes .......................................... 26 7. Sachhaltigkeit als Kriterium der sinnvollen Aussagen ............................................................... 26 8. Theoretischer Gehalt einer Aussage und begleitende Vorstellungen .................................... 30 B. Anwendung auf den Realismusstreit ......................... 9. Die Thesen des Realismus und des Idealismus .... 10. Die Realität der Außenwelt .................................. 11. Die Realität des Fremdpsychischen ......................
34 34 35 37
Zusammenfassung ............................................................... 43 Einteilung der möglichen Gegen-Standpunkte ............. 45 Von Gott und Seele. Scheinfragen in Metaphysik und Theologie (1929) ............................................................ 49 Die alte und die neue Logik (1930) ...................................... 63 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Logik als Methode des Philosophierens .......................... Die neue Logik ................................................................. Die symbolische Methode ............................................... Die Logik der Beziehungen ............................................. Die logischen Antinomien ............................................... Die Mathematik als Zweig der Logik .............................. Der tautologische Charakter der Logik ........................... Die Einheitswissenschaft ................................................. Die Ausschaltung der Metaphysik ..................................
63 65 67 68 71 73 74 77 78
Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache (1932) ................................................. 81 1. Einleitung ........................................................................ 81 2. Die Bedeutung eines Wortes ........................................... 83 3. Metaphysische Wörter ohne Bedeutung ........................ 87
Inhalt
4. 5. 6. 7.
VII
Der Sinn eines Satzes .................................................... 91 Metaphysische Scheinsätze ........................................... 92 Sinnlosigkeit aller Metaphysik ..................................... 98 Metaphysik als Ausdruck des Lebensgefühls ............... 104
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Über den Charakter der philosophischen Probleme (1934) .................................................................................. 111 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Philosophie ist Wissenschaftslogik ............................... Sind die Aussagen der Wissenschaftslogik sinnlos? ..... Inhaltliche und formale Betrachtung ............................ Logische Syntax der Sprache ........................................ Der Gehalt eines Satzes ................................................. Inhaltliche und formale Redeweise ............................... Philosophie ist Syntax der Wissenschaftssprache ........ Die Grundlagenprobleme der Wissenschaften .............
111 113 114 116 118 119 121 125
Anmerkungen des Herausgebers ....................................... 129 Bibliographie ...................................................................... 139 Personenregister ................................................................. 145 Sachregister ........................................................................ 147
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Einleitung
Die in dieser Studienausgabe zusammengefaßten Schriften könnte man als Carnaps »Wiener Antimetaphysik« bezeichnen. Damit wäre nicht einfach nur Thema und Entstehungsort benannt, sondern auch der besondere Kontext, der zu ihrer Eigenart wesentlich beigetragen hat: Ohne die politische und intellektuelle Atmosphäre des »Roten Wiens« der zwanziger und frühen dreißiger Jahre und insbesondere ohne den Einfluß des Wiener Kreises sind Scheinprobleme und die anderen hier versammelten Arbeiten nicht vorstellbar. Die Reihenfolge der Texte entspricht ihrer zeitlichen Entstehung und korrespondiert der inhaltlichen Entwicklung von Carnaps Denken: Während Scheinprobleme (1928) und Von Gott und Seele (1929) eine erkenntnistheoretisch motivierte Kritik der Metaphysik vortragen, treten in den späteren Arbeiten logische und aufklärerische Motive der Metaphysikkritik in den Vordergrund. In Die alte und die neue Logik (1930) und in Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache (1932) plädiert Carnap dafür, die von Frege, Whitehead und Russell inaugurierte »neue Logik« als Mittel für die endgültige Überwindung der traditionellen metaphysischen Philosophie einzusetzen. In dem bisher auf deutsch nicht veröffentlichten Aufsatz Der Charakter der philosophischen Probleme (1933/1934) wird diese Kritik ergänzt durch eine neue Konzeption von Philosophie, die Carnaps gesamtes weiteres Werk bestimmen sollte. Er verstand diese bisher nur unzureichend gewürdigte Konzeption als positive Antwort auf die negative These Wittgensteins, die dieser im Tractatus formuliert hatte. Wittgenstein stellte dort bekanntlich die Behauptung auf, streng genommen seien alle philosophischen Aussagen sinnlos und höchstens die Tätigkeit des Philosophierens sei sinnvoll; diese aber könne nur darin bestehen, gegebene Sätze als meta-
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physisch nachzuweisen (siehe Tractatus 6.53). Carnap hingegen wollte der Philosophie auch eine konstruktive Aufgabe zuweisen und sah ihr wesentliches Ziel darin, in Zusammenarbeit mit den Wissenschaften Vorschläge für die Konstruktion wissenschaftlich brauchbarer Sprachen zu machen. Über Carnap sind in der deutschsprachigen Philosophie bis heute eher Vormeinungen als Kenntnisse im Umlauf. Ihn schlicht als einen Logischen Empiristen zu kategorisieren greift zu kurz, insbesondere dann, wenn man eines der üblichen Zerrbilder des Logischen Empirismus zugrundelegt, wie es in der kontinentalen Philosophie verbreitet ist: Carnap wurde auch geprägt vom Neukantianismus, der Phänomenologie und der Gestalttheorie, um nur einige der philosophischen und wissenschaftlichen Strömungen zu nennen, die mit dem Logischen Empirismus nur wenig zu tun haben. Auch wenn die hier zusammengestellten Schriften noch keineswegs das gesamte Spektrum von Carnaps Denken sichtbar werden lassen, enthalten sie bereits viele der Leitmotive, die seine Philosophie insgesamt bestimmten: Was später in besser abgesicherter und oft schwerfälligerer Formulierung vorgetragen wurde, findet sich hier in seiner ursprünglichen und riskanteren Form. Beispiele sind das Sachhaltigkeitskriterium der Scheinprobleme, das als Vorläufer der späteren logischempiristischen Sinnkriterien gelten kann, oder auch die Unterscheidung zwischen internen und externen Fragen. So kann der Leser einen Blick auf die Ursprünge und Frühformen des Carnapschen Philosophierens werfen. Andererseits bemerkt man in den frühen Texten auch Motive, die später in den Hintergrund traten, auch wenn sie weiterhin eine tragende Rolle spielten. Dazu gehört etwa die aufklärerische und politische Komponente seiner Metaphysikkritik. Carnaps Wiener Periode (1925 – 1931) ist eine Periode des Übergangs: Einerseits spielen neukantianische und phänomenologische Einflüsse aus seiner philosophischen Jugendzeit in Jena und Freiburg noch eine Rolle, andererseits drängt ein radikal antimetaphysischer Logischer Empirismus Wiener Prä-
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gung in den Vordergrund, der in seinen Intentionen weit über die akademische Philosophie hinausweist. Diese Mischung aus »Schulphilosophie« und »Wissenschaftlicher Weltauffassung« hat niemand besser als er selbst im programmatischen Vorwort zur ersten Auflage des Logischen Aufbaus der Welt so zum Ausdruck gebracht:1 »Was ist die Absicht eines wissenschaftlichen Buches? Es stellt Gedanken dar und will den Leser von ihrer Gültigkeit überzeugen. Darüber hinaus aber will der Leser auch wissen: woher kommen diese Gedanken und wohin führen sie? Mit welchen Richtungen auf anderen Gebieten hängen sie zusammen? Die Begründung für die Richtigkeit der Gedanken kann nur das ganze Buch geben. Hier, außerhalb des Rahmens der Theorie, möge in kurzen Andeutungen eine Antwort auf die zweite Frage versucht werden: an welcher Stelle des Geschehens unserer Zeit in Philosophie und im Gesamtleben steht dieses Buch? – Die Mathematiker haben in den letzten Jahrzehnten eine neue Logik aufgebaut. Sie sind durch die Not, durch die Grundlagenkrisis der Mathematik dazu gezwungen worden, da die alte Logik in dieser Krisis vollständig versagte. Es wurde nicht etwa nur ihre Unzulänglichkeit in dieser schwierigen Problemsituation festgestellt, sondern weit Schlimmeres, das Schlimmste, was einer wissenschaftlichen Lehre zustoßen kann: sie führte zu Widersprüchen. Das gab den stärksten Antrieb zum Aufbau der neuen Logik. Diese vermeidet die Widersprüche der alten; aber über dieses bloß negative Verdienst hinaus hat sie auch schon den Beweis positiver Leistungsfähigkeit erbracht; allerdings vorerst nur auf dem Felde der Nachprüfung und Neulegung der Grundlagen der Mathematik. Es ist verständlich, daß die neue Logik zunächst nur im engeren Fachkreise der Mathematiker und Logiker Beachtung 1 Zwar hat Carnap den Aufbau zum größten Teil in den Jahren 1922 – 25 geschrieben, also in seiner Vorwiener Zeit, das Vorwort ist aber erst später in Wien verfaßt worden. Es ist deshalb durchaus als ein Dokument der »Wiener Antimetaphysik« zu betrachten.
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gefunden hat. Ihre hervorragende Bedeutung für die gesamte Philosophie wird nur von wenigen geahnt; ihre Auswertung auf diesem weiteren Felde hat kaum erst begonnen. Wenn die Philosophie willens ist, den Weg der Wissenschaft (im strengen Sinne) zu betreten, so wird sie auf dieses durchgreifend wirksame Mittel zur Klärung der Begriffe und zur Säuberung der Problemsituationen nicht verzichten können. Dies Buch will einen Schritt auf diesem Wege gehen und damit zu weiteren Schritten in dieser Richtung auffordern. Es handelt sich hier hauptsächlich um die Frage der Erkenntnislehre, also um die Frage der Zurückführung der Erkenntnisse aufeinander. Die Fruchtbarkeit der neuen Methode erweist sich dadurch, daß die Antwort auf die Zurückführungsfrage zu einem einheitlichen, stammbaumartigen Zurückführungssystem der in der Wissenschaft behandelten Begriffe führt, das nur wenige Wurzelbegriffe benötigt. Man wird erwarten, daß durch solche Klärung des Verhältnisses der Wissenschaftsbegriffe zueinander auch manche allgemeineren Probleme der Philosophie in ein neues Licht rücken. Es wird sich zeigen, daß einige Probleme durch die gewonnenen erkenntnistheoretischen Einsichten erheblich vereinfacht werden; andere enthüllen sich als bloße Scheinprobleme. Auf solche weitergehenden Folgerungen wird dies Buch nur kurz eingehen. Hier liegt noch ein weites, in großen Teilen unbebautes Feld, das der Bearbeitung harrt. – Die Grundeinstellung und die Gedankengänge dieses Buches sind nicht Eigentum und Sache des Verfassers allein, sondern gehören einer bestimmten wissenschaftlichen Atmosphäre an, die ein einzelner weder erzeugt hat, noch umfassen kann. Die hier niedergeschriebenen Gedanken fühlen sich getragen von einer Schicht von tätig oder aufnehmend Mitarbeitenden. Gemeinsam ist dieser Schicht vor allem eine gewisse wissenschaftliche Grundeinstellung. Die Abkehr von der traditionellen Philosophie ist nur ein negatives Merkmal. Wesentlicher sind die positiven Bestimmungen; sie sind nicht leicht zu umreißen, einige Andeutungen mögen versucht werden. Die neue Art des Philosophierens ist entstanden in enger Berührung mit
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der Arbeit in den Fachwissenschaften, besonders in Mathematik und Physik. Das hat zur Folge, daß die strenge und verantwortungsbewußte Grundhaltung des wissenschaftlichen Forschers auch als Grundhaltung des philosophisch Arbeitenden erstrebt wird, während die Haltung des Philosophen alter Art mehr der eines Dichtenden gleicht. Diese neue Haltung ändert nicht nur den Denkstil, sondern auch die Aufgabenstellung; der Einzelne unternimmt nicht mehr, ein ganzes Gebäude der Philosophie in kühner Tat zu errichten. Sondern jeder arbeitet an seiner bestimmten Stelle innerhalb der einen Gesamtwissenschaft. Den Physikern und Historikern ist solche Einstellung selbstverständlich; in der Philosophie aber erlebten wir das Schauspiel (das auf Menschen wissenschaftlicher Gesinnung niederdrückend wirken muß), daß nacheinander und nebeneinander eine Vielzahl philosophischer Systeme errichtet wurde, die mit einander unvereinbar sind. Wenn wir dem Einzelnen in der philosophischen Arbeit ebenso wie in der Fachwissenschaft nur eine Teilaufgabe zumessen, so glauben wir, um so zuversichtlicher in die Zukunft blicken zu können: es wird in langsamem, vorsichtigem Aufbau Erkenntnis nach Erkenntnis gewonnen; jeder trägt nur herbei, was er vor der Gesamtheit der Mitarbeitenden verantworten und rechtfertigen kann. So wird sorgsam Stein zu Stein gefügt und ein sicherer Bau errichtet, an dem jede folgende Generation weiterschaffen kann. Aus dieser Forderung zur Rechtfertigung und zwingenden Begründung einer jeden These ergibt sich die Ausschaltung des spekulativen, dichterischen Arbeitens in der Philosophie. Als man begann, mit der Forderung wissenschaftlicher Strenge auch in der Philosophie Ernst zu machen, mußte man notwendig dahin kommen, die ganze Metaphysik aus der Philosophie zu verbannen, weil sich ihre Thesen nicht rational rechtfertigen lassen. Jede wissenschaftliche These muß sich rational begründen lassen; das bedeutet aber nicht, daß sie auch rational, durch verstandesmäßige Überlegung gefunden werden müsse. Grundeinstellung und Interessenrichtung entstehen ja nicht durch Gedanken, sondern sind bedingt durch Gefühl, Trieb,
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Anlage, Lebensumstände. Das gilt nicht nur in der Philosophie, sondern auch in den rationalsten Wissenschaften: in Physik und Mathematik. Das Entscheidende aber ist: der Physiker beruft sich zur Begründung einer These nicht auf Irrationales, sondern gibt eine rein empirisch-rationale Begründung. Dasselbe verlangen wir von unserer philosophischen Arbeit. Das praktische Umgehen mit philosophischen Problemen und das Finden neuer Lösungen muß nicht rein denkmäßig geschehen, sondern wird immer triebmäßig bestimmt sein, wird anschauungsmäßige, intuitive Mittel verwenden. Aber die Begründung hat vor dem Forum des Verstandes zu geschehen; da dürfen wir uns nicht auf eine erlebte Intuition oder Bedürfnisse des Gemütes berufen. Auch wir haben »Bedürfnisse des Gemütes« in der Philosophie; aber die gehen auf Klarheit der Begriffe, Sauberkeit der Methoden, Verantwortlichkeit der Thesen, Leistung durch Zusammenarbeit, in die das Individuum sich einordnet. Wir können uns nicht verhehlen, daß die Strömungen auf philosophisch-metaphysischem und auf religiösem Gebiet, die sich gegen eine solche Einstellung wehren, gerade heute wieder einen starken Einfluß ausüben. Was gibt uns die Zuversicht, mit unserem Ruf nach Klarheit, nach metaphysikfreier Wissenschaft durchzudringen? Das ist die Einsicht, oder, um es vorsichtiger zu sagen, der Glaube, daß jene entgegenstehenden Mächte der Vergangenheit angehören. Wir spüren eine innere Verwandtschaft der Haltung, die unserer philosophischen Arbeit zugrundeliegt, mit der geistigen Haltung, die sich gegenwärtig auf ganz anderen Lebensgebieten auswirkt; wir spüren diese Haltung in Strömungen der Kunst, besonders der Architektur, und in den Bewegungen, die sich um eine sinnvolle Gestaltung des menschlichen Lebens bemühen: des persönlichen und gemeinschaftlichen Lebens, der Erziehung, der äußeren Ordnungen im Großen. Hier überall spüren wir dieselbe Grundhaltung, denselben Stil des Denkens und Schaffens. Es ist die Gesinnung, die überall auf Klarheit geht und doch dabei die nie ganz durchschaubare Verflechtung des Lebens anerkennt, die auf Sorgfalt in der Einzelgestaltung geht und zugleich auf
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Großlinigkeit im Ganzen, auf Verbundenheit der Menschen und zugleich auf freie Entfaltung des Einzelnen. Der Glaube, daß dieser Gesinnung die Zukunft gehört, trägt unsere Arbeit.« (Carnap 1998, xvii – xx) In den folgenden Abschnitten dieser Einleitung soll versucht werden, die wissenschaftlichen, philosophischen und politischen Linien des Projektes zu umreißen, an dessen Verwirklichung sich Carnap in seiner Wiener Zeit beteiligt sah. Bevor der Leser des 21. Jahrhunderts sich auf die Einzelheiten einläßt, sollte er vielleicht einen Augenblick innehalten, um sich der Fremdheit dieses Projektes zu vergewissern: Wäre heute noch ein philosophisches Projekt vorstellbar, das in einem Atemzug Fortschritte der Logik und Mathematik, neuere Entwicklungen in Architektur und Städtebau2 sowie eine neue Art des Philosophierens in Verbindung zu bringen versucht?
I. Von Jena nach Wien Eine Biographie Carnaps gibt es bis heute nicht. Sieht man von unveröffentlichtem Archivmaterial ab, ist man daher, was Information über seinen Werdegang angeht, fast ausschließlich auf die kargen Angaben seiner »Intellektuellen Autobiographie« (Carnap 1963 [1993]) angewiesen. Die folgenden biographischen Notizen beziehen sich daher zum größten Teil auf diese Quelle.
2 Zu Carnaps Beziehung zur Kunst- und Lebensauffassung der Neuen Sachlichkeit siehe Peter Galison, 1990, Aufbau / Bauhaus: Logical Positivism and Architectural Modernism, in: Critical Inquiry 16, 709 – 752, und Hans-Joachim Dahms, 2001, Neue Sachlichkeit in der Architektur und Philosophie der zwanziger Jahre, in: Arch+ 156, Zeitschrift für Architektur und Städtebau, 82 – 87. Stark erweiterte englische Fassung in: Awodey, St. / Klein, C. (eds.), Carnap Brought Home. The View from Jena, La Salle an Chicago 2004, 357 – 375.
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Von 1910 bis 1914 studierte Carnap an der Universität seiner Heimatstadt Jena Philosophie, Physik und Mathematik. 1913 begann er mit experimentellen Forschungen für eine Dissertation im Bereich der experimentellen Physik. Bei Ausbruch des ersten Weltkrieges im August 1914 mußte er dieses Vorhaben aufgeben und wurde Soldat. Als der Krieg zu Ende war, kehrte Carnap nach Jena zurück und schloß sein Studium der Philosophie bei Bruno Bauch ab. Heute weitgehend vergessen, war Bauch zu Lebzeiten einer der führenden Neukantianer in Deutschland. Im Gegensatz zur Südwestdeutschen Schule und in Übereinstimmung mit den Marburger Neukantianern (Cohen, Natorp, Cassirer) war Bauch vor allem an der Philosophie der mathematischen Naturwissenschaften interessiert. Bereits 1911 hatte er die einflußreichen Studien zur Philosophie der exakten Wissenschaften veröffentlicht. Auch wenn also keineswegs anti-wissenschaftlich eingestellt, vertrat Bauch bereits lange vor 1933 völkische und antisemitische Positionen. Carnap hingegen sympathisierte spätestens seit Kriegsende mit der Arbeiterbewegung und dem Internationalismus. Diese politischen Unverträglichkeiten scheinen die philosophischen Beziehungen jedoch nicht gestört zu haben. Jedenfalls schrieb Carnap unter Bauch als Doktorvater seine Dissertation Der Raum. Ein Beitrag zur Wissenschaftslehre, die 1922 in den Kantstudien veröffentlicht wurde. Nach seiner Promotion verließ Carnap Jena und zog nach Buchenbach bei Freiburg, wo seine Schwiegereltern ein größeres Gut besaßen.3 Dort lebte er bis etwa 1924/25 als Privatgelehrter.4 Es gibt Belege, daß er Veranstaltungen und Seminare 3 Diese Information stammt von Annette Merkenthaler, einer Enkelin Carnaps. 4 Der Logische Aufbau der Welt, gemeinhin als opus magnum des Logischen Empirismus Wiener Prägung gefeiert, ist daher wohl weitgehend in Buchenbach verfaßt worden. Phänomenologische Einflüsse sind in seiner Dissertation Der Raum erkennbar, finden sich aber auch noch im Aufbau, siehe Verena Mayer, 1991, Die Konstruktion der Erfahrungswelt: Carnap und Husserl, in: Erkenntnis 35, 287 – 304.
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Edmund Husserls in Freiburg besuchte. Im Jahre 1923 lernte Carnap Hans Reichenbach kennen, auf dessen Vermittlung er 1925 in Kontakt mit Moritz Schlick kam, der kurz zuvor auf den Lehrstuhl für Geschichte und Philosophie der induktiven Wissenschaften an der Universität Wien berufen worden war. Schlick lud ihn ein, im gerade gegründeten »Schlick-Zirkel«, der später als »Wiener Kreis« bekannt werden sollte, einige Vorträge zu halten. Insbesondere auf Betreiben des Mathematikers Hans Hahn, dem Carnaps Projekt einer »Konstitutionstheorie« besonders gefallen hatte, ergab sich daraus, daß er 1925 als Privatdozent nach Wien berufen wurde. Dort blieb er, bis er 1931 eine Stelle als Professor für Naturphilosophie an der Deutschen Universität in Prag erhielt, die er bis zu seiner Emigration in die USA 1935 innehatte.5 Die Wiener Zeit war bestimmend für Carnaps gesamte philosophische Laufbahn. In seiner »Intellektuellen Autobiographie« Mein Weg in die Philosophie (Carnap (1963 [1993]) schreibt er: »Für meine philosophische Arbeit war die Wiener Zeit eine der anregendsten, erfreulichsten und fruchtbarsten meines ganzen Lebens. Meine Interessen und meine grundlegenden philosophischen Ansichten stimmten mit denen des Wiener Kreises mehr überein als mit irgendeiner anderen Gruppe, die ich je traf.« (Carnap 1993, 32) In den letzten Jahren sind zahlreiche Arbeiten erschienen, die sich mit der Philosophie des Wiener Kreises, seiner Geschichte und seinen Ursprüngen befassen. Die derzeit wohl umfangreichste Darstellung mit einer Fülle von Materialien, Originalzeugnissen, Kommentaren und Literaturangaben sind Friedrich Stadlers Studien zum Wiener Kreis (1997), eine kürzere En passant wird die Phänomenologie noch einmal in Überwindung, Abschnitt 2 erwähnt. Ab Mitte der dreißiger Jahre gibt es in Carnaps Werk keine expliziten Bezugnahmen auf Husserl mehr. 5 Es wäre deshalb vielleicht besser, anstatt von Carnaps Wiener Periode von seiner Wien-Prager Periode (1925 – 1934) zu sprechen.
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Darstellung bietet Rudolf Hallers Neopositivismus. Eine historische Einführung in die Philosophie des Wiener Kreises (1993). Die philosophischen und ideengeschichtlichen Hintergründe des Logischen Empirismus des Wiener Kreises, insbesondere die Beziehungen zum Neukantianismus werden erörtert in Alberto Coffas The Semantic Tradition from Kant to Carnap (1991), in Alan Richardsons Carnap’s Construction of the World (1998), sowie in Michael Friedmans Büchern Logical Positivism Reconsidered (1999) und A Parting of the Ways: Carnap, Cassirer, and Heidegger (2000). Eine elementare Einführung in die Philosophie Carnaps bietet Thomas Mormanns Rudolf Carnap (2000). Neueste Arbeiten zu Carnaps Philosophie finden sich in den Sammelbänden Language, Truth and Logic (2003) und The View from Jena: Carnap Brought Home (2004), hrsg. von Thomas Bonk bzw. von Carsten Klein und Steve Awodey. Die folgenden Abschnitte dieser Einleitung konzentrieren sich auf diejenigen Aspekte der Philosophie Carnaps, die die Metaphysik und ihre Kritik betreffen.
II. Wissenschaftliche Philosophie Carnap war der Überzeugung, Philosophie habe nur als eine an den Wissenschaften orientierte Disziplin eine Existenzberechtigung, Philosophie solle wissenschaftliche Philosophie sein. In einem Rückblick beschrieb er 1964 sein Verhältnis zur »Wissenschaftlichen Philosophie« so: »Ich bin nicht ganz sicher, ob das die beste und glücklichste Bezeichnung ist, aber wir haben sie oft verwendet, und ich glaube, sie hat doch eine gewisse Berechtigung. […] [Ich glaube, man kann sagen], daß die Philosophie wissenschaftlich ist oder sein sollte, und wir bemühen uns, sie dahin zu bringen; aber nur in dem Sinne, daß sie dieselben Forderungen stellt, nämlich Standards von Objektivität und Rationalität in der Argumentation.« (Carnap 1993, 133).
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Wissenschaftliche Philosophie stand für Carnap im Gegensatz zur metaphysischen Philosophie, die er gelegentlich abfällig als »Begriffsdichtung«6 bezeichnete. Die Kritik der metaphysischen Philosophie war deshalb eine wichtige Aufgabe wissenschaftlicher Philosophie. Das Streben nach Wissenschaftlichkeit in der Philosophie war in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts keineswegs originell. Eine bunte Reihe philosophischer Ansätze, angefangen mit der Phänomenologie, über die verschiedenen Strömungen des Neukantianismus bis hin zu den »Wertwissenschaften«, deren Gegenstandsbereich die »objektiven Werte« sein sollten, betrachtete sich als »wissenschaftlich« oder bemühte sich zumindest, der Forderung nach Wissenschaftlichkeit gerecht zu werden. Für Carnap hatte Wissenschaftlichkeit in der Philosophie einen klaren Bezugspunkt, wie er im Vorwort des Aufbau ausführt. Die Grundlage eines wissenschaftlichen Philosophieverständnisses war für ihn eine neue Logik in Gestalt der Principia Mathematica von Whitehead und Russell. Diese »neue Logik« war für ihn das Instrument für die Explizierung und Klärung wissenschaftlicher und philosophischer Behauptungen: »Etwa 1919 las ich das große Werk von Whitehead und Russell Principia Mathematica […] Ich begann, die symbolische Schreibweise [nach Art der Principia] […] für mein Nachdenken über philosophische Probleme […] zu verwenden. Wenn ich in einer Diskussion über einen Begriff oder eine Aussage nachdachte, glaubte ich, sie besser zu verstehen, wenn ich das Gefühl hatte, ich könnte sie, wenn ich wollte, in symbolischer Sprache ausdrücken.« (Carnap 1993, 17 f.) Dieser Glaube, etwas besser zu verstehen, wenn man es in die Sprache der Principia übersetzen konnte, radikalisierte sich in der folgenden Zeit zu der Überzeugung, alles, was sich nicht in die Universalsprache der Principia übersetzen lasse, sei sinnlose Metaphysik. Anders gewendet, sprachliche Unterschiede, die 6 Siehe etwa Die alte und die neue Logik, 63.
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sich in der Übersetzung in die Sprache der Principia nicht wiederfinden lassen, seien philosophisch belanglos. Das galt etwa, wie in Scheinprobleme ausgeführt wird, für die vermeintlichen Differenzen zwischen Realismus und Idealismus. Die Bezugnahme auf die Principia hatte also für Carnap eine doppelte Funktion: Auf der negativ-kritischen Seite verfallen die philosophischen Thesen, die nicht im Rahmen der Principia rekonstruiert werden können, der Ablehnung, auf der anderen Seite erscheinen Differenzen, die sich in der Sprache der Principia nicht ausdrücken lassen, philosophisch belanglos und sind dem Belieben des Einzelnen anheimgestellt. Das erzeugt einen neuen philosophischen Freiraum: Jedem stand es frei, sich derjenigen Sprache bedienen, die ihm am besten gefiel, solange diese in die Sprache der Principia übersetzbar war.7 Dies kann als eine frühe Version eines Toleranzprinzips aufgefaßt werden, das Carnap explizit 1934 in Die Logische Syntax der Sprache so formulierte: »Jeder mag seine Logik, d. h. seine Sprachform, aufbauen, wie er will. Nur muß er, wenn er mit uns diskutieren will, deutlich angeben, wie er es machen will, syntaktische Bestimmungen geben anstatt philosophischer Erörterungen.« (Carnap 1934, 45) Carnaps Projekt einer wissenschaftlichen Philosophie erwuchs aus dem Versuch, Wissenschaft mit den besten zur Verfügung stehenden philosophischen Mitteln zu begreifen. Das waren für ihn damals der Empirismus, die neue Logik von Whitehead und Russell, der Neukantianismus, die Phänomenologie und der Konventionalismus. Seine charakteristische Ausprägung fand 7 Tatsächlich gab Carnap den festen Bezugspunkt der Principia ab Mitte der dreißiger Jahre auf, siehe seine Logische Syntax der Sprache (1934). Von da an akzeptierte er alle Sprachsysteme, deren (syntaktische) Regeln klar formuliert waren. Die Konsequenzen dieses Schrittes, weg von einer letztlich an einer Sprache (der der Principia) orientierten Konzeption hin zu einem genuin pluralistischen Ansatz, der von einer Vielfalt von Sprachen ausging, können hier nicht erörtert werden, siehe Hintikka (1988), Friedman (1999).
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dieses Projekt im spezifischen gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Kontext des Wiener Kreises. Wie er in der Einleitung des Aufbau andeutete, reichte dieses spezifisch wienerische Projekt weit über die Philosophie hinaus und zielte auf die Formulierung einer allgemeinen »wissenschaftlichen Weltauffassung«. Der Logische Empirismus des Wiener Kreises war keine rein akademische oder universitäre Angelegenheit. Er zielte, wie es das Manifest des Wiener Kreises formulierte, auf eine grundlegende Umgestaltung der Gesellschaft insgesamt: »Wir erleben, wie der Geist der wissenschaftlichen Weltauffassung in steigendem Maße die Formen persönlichen und öffentlichen Lebens, des Unterrichts, der Erziehung, der Baukunst durchdringt, die Gestaltung des wirtschaftlichen und sozialen Lebens nach rationalen Gesichtspunkten leiten hilft. Die wissenschaftliche Weltauffassung dient dem Leben, und das Leben nimmt sie auf.« (Neurath 1981, 315) Spätestens in Wien zeigte sich, daß wissenschaftliche Philosophie für Carnap keineswegs nur durch interne akademische Zielsetzungen motiviert war. Für ihn hatte die Philosophie einen Beitrag zu leisten für eine rationalere und gerechtere Neugestaltung der Gesellschaft insgesamt. Diese aufklärerischen und politischen Zielsetzungen seiner Philosophie zeigten sich am deutlichsten in der Metaphysikkritik, die auf eine umfassende Kritik der traditionellen Philosophie und ihrer politischen und gesellschaftlichen Konsequenzen zielte.8
8 Zur Beziehung von europäischer »wissenschaftlicher Philosophie« und US-amerikanischer »philosophy of science« siehe Ronald N. Giere, From Wissenschaftliche Philosophie to Philosophy of Science, in: R. N. Giere and A. Richardson (eds.), Origins of Logical Empiricism, Minnesota Studies in the Philosophy of Science vol. XVI, 335 – 354, 1996, und D. J. Stump, From the Values of Scientific Philosophy to the Value Neutrality of the Philosophy of Science, in: M. Heidelberger and F. Stadler (eds.), History of Philosophy of Science, New Trends and Perspectives, Dordrecht, 147 – 158.
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Wissenschaftliche Philosophie hatte so für Carnap zwei Seiten: eine negative, die sich in der Kritik des metaphysischen Denkens manifestierte, und eine positive, in der es darum ging, einen Beitrag zu leisten »zur Klärung der sinnvollen Begriffe und Sätze, zur logischen Grundlegung der Realwissenschaft und der Mathematik« (Überwindung, 104). Es mochte historische Situationen geben wie etwa die, in der sich die wissenschaftliche Philosophie in den dreißiger Jahren gerade befand, wo die negative Seite dominierte, eigentlich aber war die Metaphysikkritik keineswegs die Hauptaufgabe der wissenschaftlichen Philosophie. Wichtiger war die positive Arbeit, die die wissenschaftliche Philosophie in Zusammenarbeit mit den Wissenschaften leisten sollte. Sieht man von Nuancen ab, erhält sich der antimetaphysische Impetus seiner Philosophie durch alle Veränderungen seines Denkens. Metaphysik galt Carnap als Grundübel einer fehlgeleiteten Philosophie überhaupt. Der Grundfehler der Metaphysik bestand für ihn darin, daß sie etwas zu leisten vorgab, was sie in Wirklichkeit nicht leisten konnte. Metaphysik beruhte grundsätzlich auf Täuschung – sei es Selbsttäuschung oder Täuschung anderer. Eine besonders fatale Möglichkeit einer solchen metaphysischen Täuschung bot die Verwechslung von Wissenschaft und Kunst: »Der Metaphysiker glaubt sich in dem Gebiet zu bewegen, in dem es um wahr und falsch geht. In Wirklichkeit hat er jedoch nichts ausgesagt, sondern nur etwas zum Ausdruck gebracht, wie ein Künstler. […] Vielleicht ist die Musik das reinste Ausdrucksmittel für das Lebensgefühl, weil sie am stärksten von allem Gegenständlichen befreit ist. […] Metaphysiker sind Musiker ohne musikalische Fähigkeit. […] [Der Metaphysiker] schafft ein Gebilde, das für die Erkenntnis gar nichts und für das Lebensgefühl etwas Unzulängliches leistet.« (Überwindung, 106) Man könnte sagen, daß Carnaps Metaphysikkritik sich aus einer grundsätzlichen cartesischen Einstellung speiste, die
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keinen Platz hatte für Unklarheiten und Dunkelheiten. Carnap Denken war bestimmt durch klare und distinkte Unterscheidungen: Alles war entweder das eine oder das andere: entweder Wissenschaft oder Dichtung, Sätze waren entweder analytisch oder synthetisch, Fragen entweder intern oder extern, Urteile entweder Tatsachen- oder Werturteile etc. Die Metaphysiker vermengten absichtlich oder unabsichtlich diese zu trennenden Bereiche. Je nach dem, um welche Art von metaphysischer Vermengung es sich handelte, lassen sich erkenntnistheoretische, logische und aufklärerische Aspekte der Metaphysikkritik unterscheiden, die dieser kritischen Seite seiner wissenschaftlichen Philosophie ein komplexes Gepräge geben. Außer aus philosophischen Gründen lehnte er die Metaphysik auch aus politischen Gründen ab, galt sie ihm und den meisten anderen Mitgliedern des Wiener Kreises als Ausdruck einer reaktionären politischen und gesellschaftlichen Gesinnung, die auf die Verschleierung der wirklichen Verhältnisse aus war und deren politische Konsequenzen keineswegs nur eine akademische Bedrohung darstellten. Die Logischen Empiristen waren davon überzeugt, zumindest in einigen Fällen über die begrifflichen Mittel zu verfügen, die Metaphysikhaltigkeit gewisser Thesen und Begriffe der traditionellen Philosophie nachweisen zu können. Sie waren jedoch nicht, wie ihnen manchmal unterstellt wird, der naiven Meinung, die metaphysischen Begriffsbildungen in der Philosophie und den Wissenschaften trügen gewissermaßen ein Mal, an dem man ihren metaphysischen Charakter »automatisch« erkennen könnte. Im Gegenteil, selbst der manische Antimetaphysiker Neurath wies darauf hin, daß man metaphysische Begriffsbildungen wohl nie würde endgültig loswerden können. Vielmehr bedürfe es eines geschulten Blickes, metaphysische Fehlentwicklungen im jeweiligen Kontext zu entdecken. Nur gewissen »groben Unfug« könne man sofort als solchen identifizieren. Subtilere Formen der Metaphysik hingegen mochten für längere Zeit unentdeckt bleiben. Insofern ist Carnaps Behauptung, »vor dem unerbittlichen Urteil der neuen Lo-
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gik« erweise sich alle Metaphysik als sinnlos, ein wenig übertrieben. Die angestrebte Eliminierung metaphysischer Elemente aus Philosophie und Wissenschaft basierte also weniger auf einer eindeutig charakterisierbaren narrensicheren Methode, sondern auf einer empiristischen Grundeinstellung, die bemüht war, einen wachen Sinn für die obskurantistischen Thesen der Metaphysik zu entwickeln.
III. Von der philosophischen zur logischen Kritik der Metaphysik Nach Kant sind metaphysische Aussagen dadurch gekennzeichnet, daß sie etwas jenseits des Bereichs der Erfahrung zu artikulieren oder zu behaupten versuchen. Ganz kantianisch verwendet Carnap »Metaphysik« als Bezeichnung »für den Bereich einer angeblichen Erkenntnis des Wesens der Dinge, die den Bereich der empirisch begründeten induktiven Wissenschaft überschreitet«, und damit den grundsätzlichen Unterschied zwischen den Bereichen der Wissenschaft und Nichtwissenschaft verwischt. Metaphysik in diesem Sinne schließe Systeme wie das von Fichte, Schelling, Hegel, Bergson und Heidegger ein. Nicht zur Metaphysik zählen Ansätze, die auf eine Synthese oder Verallgemeinerung der Ergebnisse der verschiedenen Einzelwissenschaften abzielen. Aristoteles, Kant und allgemeiner »mit der Wissenschaft ihrer Zeit in Kontakt stehende Philosophen« galten Carnap nicht als Metaphysiker. Carnaps früheste Kritik der Metaphysik findet sich im Aufbau, der zwar erst im Jahre 1928 erschien, in seinen wesentlichen Teilen aber bereits 1925 geschrieben war. Im Unterschied zur Wiener Periode ist die Metaphysikkritik dort relativ verhalten. Carnap plädierte dafür, diejenigen philosophischen Behauptungen als Metaphysik zu bezeichnen, die als Ergebnis »nicht rationaler, sondern rein intuitiver Prozesse« zu charakterisieren sind (Aufbau, § 182). Diesen Gegensatz zwischen metaphysi-
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scher Intuition und wissenschaftlicher Begrifflichkeit entwikkelte Carnap im Aufbau und in Scheinprobleme zu einem Unterscheidungskriterium, wonach Systematizität und Einbettbarkeit in ein logisch-strukturiertes System Kennzeichen wissenschaftlicher Erkenntnis seien, das der metaphysischen »Erkenntnis« abgehe. Metaphysische Scheinbegriffe lassen sich nicht in einem »erkenntnismäßigen Konstitutionssystem konstituieren« (Aufbau, § 176). Das heißt, sie passen nicht in den Rahmen eines wissenschaftlichen Systems. Aus diesem Gegensatz zwischen »intuitiver Metaphysik« und »diskursiver wissenschaftlicher Erkenntnis« entwickelt sich in der Folgezeit eine ausgefeilte Konzeption, in der sich erkenntnistheoretische, logische, aufklärerische und ideologiekritische Komponenten miteinander verbinden. Beginnen wir mit den 1927 in Wien fertiggestellten und ein Jahr später veröffentlichten Scheinproblemen: Sie bestehen aus zwei Teilen. Im ersten Teil Die Aufgabe der Erkenntnistheorie skizziert Carnap eine Methode der erkenntnistheoretischen Analyse (»Zerlegung in erkenntnistheoretischen Kern und Nebenteil«), mit deren Hilfe sich alle Begriffe in ein schichtenmäßig gegliedertes Konstitutionssystem einordnen lassen sollen, dessen Theorie im Aufbau ausführlich dargestellt wird. Diese Methode wird am Beispiel der Erkenntnis von »Fremdpsychischem« und seiner Zurückführung auf die Erkenntnis von »Physischem« angewendet. Im zweiten Teil Reinigung der Erkenntnistheorie von Scheinproblemen, der auf die Konstitutionstheorie des Aufbau keinen direkten Bezug mehr nimmt, ist das zentrale Thema die Kritik der Metaphysik. Hier findet sich eine erste Form eines radikalen Sinnkriteriums, mit dessen Hilfe sich metaphysische von nichtmetaphysischen Aussagen unterscheiden lassen sollen. Carnap postuliert als wesentliches Merkmal für sinnvolle Aussagen ihre Sachhaltigkeit ( 7. Abschnitt). Der Sinn einer Aussage besteht ihm zufolge darin, daß sie einen denkbaren, nicht notwendig auch bestehenden Sachverhalt zum Ausdruck bringt. Bringt eine (vermeintliche) Aussage keinen denkbaren Sachverhalt zum Ausdruck, ist sie
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nur eine Scheinaussage. Das Problem ist nun, genauer zu bestimmen, was es heißen soll, daß eine Aussage »einen Sachverhalt zum Ausdruck bringt«. Carnap führt diesen Begriff auf den des Erlebnisses zurück, der in Anlehnung an die psychologische Gestalttheorie verstanden wird. Damit kann man den Begriff der Sachhaltigkeit so definieren: »Spricht eine Aussage p den Inhalt eines Erlebnisses E aus, und ist die Aussage q entweder gleich p oder aus p und früherem Erfahrungswissen durch Deduktionen oder induktive Schlüsse ableitbar, so sagen wir: q 9 ist durch das Erlebnis E »fundiert«. Eine Aussage p heißt »nachprüfbar«, wenn die Bedingungen angebbar sind, unter denen ein Erlebnis E eintreten würde, durch das p oder das Gegenteil von p fundiert werden würde. Eine Aussage p heißt »sachhaltig«, wenn Erlebnisse, durch die p oder das Gegenteil von p fundiert werden würde, wenigstens als Erlebnisse denkbar sind und ihrer Beschaffenheit nach angegeben werden können.«10 (Scheinprobleme, 28) Man kann diese Formulierung als einen ersten Versuch ansehen, die allgemeine empiristische These zu präzisieren, wonach eine Aussage genau dann sinnvoll ist, wenn sie mit der Erfahrung zusammenhängt. Die fundierenden Erlebnisse werden später zu Methoden der Verifikation, das Merkmal der Fundiertheit entwickelt sich zu einem Kohärenzkriterium, wonach sachhaltige Aussagen immer Aussagen in einem Erkenntniszusammenhang sein müssen. Als ein Anwendungsbeispiel des Sinnkriteriums der Sachhaltigkeit analysiert Carnap den alten Streit zwischen Realismus und Idealismus, den er folgendermaßen darstellt. Der Realist behauptet die Realität der Außenwelt in dem Sinne, daß die ihn umgebenden körperlichen Dinge nicht nur als Inhalte 9 Im Originaltext irrtümlich »p« statt »q«. 10 Man hat also eine Kette nicht umkehrbarer Implikationen:
Fundierte Aussagen sind nachprüfbar, nachprüfbare Aussagen sind sachhaltig, die Umkehrungen gelten jedoch nicht.
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seiner Wahrnehmung, sondern an sich existierten. Der Idealist hingegen besteht darauf, nicht die Außenwelt sei real, sondern nur die Wahrnehmungen oder Vorstellungen von ihr. Wie für ihn charakteristisch, ergreift Carnap in diesem Streit nicht Partei: er möchte vielmehr zeigen, daß beide Positionen sinnlos im Sinne seines Sachhaltigkeitskriteriums sind. Zwischen beiden gibt es keine empirisch feststellbaren (»sachhaltigen«) Unterschiede. In dieser frühen Version von Carnaps Metaphysikkritik spielen logische Überlegungen eine untergeordnete Rolle. Sachhaltigkeit ist ein pragmatisches Kriterium, das einige Ähnlichkeit mit Peirces pragmatischer Maxime aufweist.11 Logische Aspekte antimetaphysischer Sinnkriterien werden erst später in den Arbeiten Die alte und die neue Logik und in Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache expliziert. Der bisher unveröffentlichte Vortrag Von Gott und Seele (1929) kann zunächst als eine popularisierende Anwendung der in den Scheinproblemen entwickelten antimetaphysischen Konzeption gelesen werden. Wie zu erwarten, erweisen sich mit den Scheinbegriffen »Gott« und »Seele« gebildete metaphysische Fragen und Behauptungen wie »Gott existiert«, »Gott existiert nicht« oder »Gibt es eine Seele?« als Verlautbarungen ohne Sinn. Eine genauere Lektüre von Gott und Seele enthüllt jedoch Nuancen des Sinnkriteriums, die seine systematische Stellung in Carnaps Philosophie in einem interessanteren Licht erscheinen lassen. Sie verweisen auf die Bedeutung geo11 Peirces »pragmatische Maxime« stellt die Forderung auf: »Überlege, welche Wirkungen, die denkbarerweise praktische Relevanz haben könnten, wir dem Gegenstand unseres Begriffs in der Vorstellung zuschreiben. Dann ist unser Begriff dieser Wirkungen das Ganze unseres Begriffs des Gegenstandes.« (Ch. S. Peirce 1967, Schriften I, Zur Entstehung des Pragmatismus, mit einer Einführung herausgegeben von Karl-Otto Apel, Frankfurt/Main.) Die Beziehungen zwischen Logischem Empirismus und amerikanischem Pragmatismus sind recht verwickelt. Bis heute gibt es keine umfassende Darstellung dieser Problematik.
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metrisch motivierter Überlegungen für Carnaps Philosophie insgesamt und erlauben es, die Rolle der Geometrie für die Konstitutionstheorie des Aufbau und die Erkenntnistheorie des frühen Carnap besser zu verstehen. Carnaps Sinnkriterium zufolge sind metaphysische Aussagen deshalb sinnlos, weil sie sich auf etwas beziehen, das sich grundsätzlich »jenseits« jeder kohärenten Erfahrung befindet. In einer primitiven Form betrifft das räumliche Dinge, die gleichwohl als räumlich unzugänglich behauptet werden, weil es keinen Weg zu ihnen gäbe. In gut kantianischer Manier (vgl. KdrV, B 39) behauptete Carnap, dies sei sinnlos, weil der Raum nur als einer und deshalb als zusammenhängend gedacht werden könne. Eine auf ein räumliches Ding bezogene Aussage ist nur dann sinnvoll, wenn sie wenigstens im Prinzip eine Aussage darüber macht, wo dieses Ding zu finden ist.12 Nun ist nicht alles, was es gibt, ein raum-zeitliches Ding. Die raffiniertere Version des Sinnkriteriums geht davon aus, daß nur solche Aussagen sinnvoll sind, die auf Begriffen basieren, die in einem zusammenhängenden »Begriffsraum« aufgefunden werden können. Die Aufgabe, die »Geometrie« dieses Begriffsraumes zu explizieren, obliegt der Konstitutionstheorie, wie sie im Aufbau skizziert wird. Diese geometrische Motivation der Konstitutionstheorie des Aufbau ist keineswegs zufällig: Die Grundgedanken einer geometrisch inspirierten Konstitutionstheorie finden sich bereits in Carnaps Dissertation Der Raum. Auch in unveröffentlichten Vorarbeiten zum Aufbau spielen 12 Reine Existenzbehauptungen (»Es gibt ein Objekt der und der Art«) lehnte er deshalb als unwissenschaftlich ab: »Wenn z. B. jemand behauptet, es gebe einen Turm von 200m Höhe, so verlange ich die Angabe des Weges zu diesem Turm, um die Behauptung nachzuprüfen. […] Die Forderung, daß bei jeder Existenzbehauptung ein Weg zu dem behaupteten Ding angegeben werde, wird nun tatsächlich von der Wissenschaft stets erfüllt. […] Jeder Wissenschaftler fügt sich willig der Forderung nach Angabe eines Weges; der Metaphysiker aber, wie wir sehen werden, bemüht sich, ihr auszuweichen.« (Von Gott und Seele, 55).
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geometrische Betrachtungen eine wichtige Rolle. Später treten sie zugunsten logischer Überlegungen in den Hintergrund. Die in Scheinprobleme und Scheinfragen vorgetragene Metaphysikkritik war vorwiegend erkenntnistheoretisch orientiert, metaphysische Thesen wurden abgelehnt, weil sie erkenntnistheoretisch »abwegig« waren. In den dreißiger Jahren verschiebt sich der Akzent auf eine logische Kritik der Metaphysik. Metaphysik gilt nicht nur als ein erkenntnistheoretisch müßiges Unterfangen, mit Hilfe der »neuen Logik« läßt sich zeigen, daß die metaphysischen Sätze im strengen Sinne logisch unsinnig sind. Diese Schlußfolgerung zog Carnap in Die alte und die neue Logik (Carnap 1930). In diesem Text, der zusammen mit Schlicks Die Wende in der Philosophie als Eröffnungsartikel der gerade gegründeten Zeitschrift Erkenntnis fungierte, wird das »neue wissenschaftliche Philosophieren« durch zwei charakteristische Merkmale beschrieben: »Das erste Merkmal besteht darin, daß dieses Philosophieren sich in enger Verbindung mit der empirischen Wissenschaft, ja überhaupt nur an ihr vollzieht, so daß eine Philosophie als eigenes Erkenntnisgebiet neben oder über der empirischen Wissenschaft nicht mehr anerkannt wird. Das zweite Merkmal gibt an, worin die philosophische Arbeit an der empirischen Wissenschaft besteht: in der Klärung ihrer Sätze durch logische Analyse.« (Die alte und die neue Logik, 63) In der neuen wissenschaftlichen Philosophie lassen sich damit, so Carnap, zwei Gebiete unterscheiden, nämlich die reine Logik und die angewandte Logik, wobei letztere als wissenschaftliche Nachfolgerdisziplin der traditionellen Erkenntnistheorie betrachtet werden kann. Sie hat die Aufgabe, die logisch analysierten Begriffe der Wissenschaft in ein umfassendes System so einzuordnen, daß »sich ein Stammbaum der Begriffe (Konstitutionssystem) [ergibt], in dem jeder Begriff der Wissenschaft grundsätzlich seine Stelle finden muß, gemäß seiner Ableitung aus anderen Begriffen und schließlich aus dem Gegebenen«. (ebd., xx). Man kann also sagen, daß Carnap in dieser Phase
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seines Denkens die Konstitutionstheorie des Aufbau als Kernstück der »angewandten Logik« betrachtete. Gemäß dem pluralistischen Charakter der Konstitutionstheorie waren deshalb grundsätzlich mehrere solcher Stammbäume möglich, es war eine Frage der Zweckmäßigkeit, welchem man den Vorzug gab. Alle führten letztlich zum Aufbau der Einheitswissenschaft, in der alle Erkenntnisse ihren Platz finden sollten.13 Die alte und die neue Logik ist eine informelle und popularisierende Darstellung der historischen Entwicklung der neuen Logik von ihren Anfängen im letzten Drittel des 19. bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts. Der Titel dieses Artikels ist vielleicht eine Anspielung auf das seinerzeit sehr erfolgreiche szientistische Pamphlet Der alte und der neue Glaube von David Friedrich Strauß (1873). Strauß’ »neuer Glaube« an Wissenschaft und Fortschritt wurde von Nietzsche in seiner Ersten unzeitgemäßen Betrachtung als »philisterhaft« ins Lächerliche gezogen. Gegen Strauß berief sich Nietzsche auf ein von Wagners Musik inspiriertes mythisches Lebensgefühl. Carnap ergreift nun keineswegs für Strauß Partei oder eine szientistische Weltanschauung im allgemeinen. Im Gegenteil, in Überwindung bezeichnete er Nietzsche als »bedeutendsten aller Metaphysiker« und konzediert ihm, sich zumindest im Zarathustra keiner Vermengung von künstlerischem Ausdruck und Anspruch auf wissenschaftliche Erkenntnis schuldig gemacht habe, da er das, »was andere durch Metaphysik oder Ethik ausdrücken«, in diesem Werk in rein dichterischer Form formuliert habe. Konkrete Beispiele logischer Analysen werden in Die alte und die neue Logik nicht gegeben. Das wird nachgeholt in der Arbeit Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache (1932). Dort verficht Carnap die These, es sei eine Errungenschaft der neuen logischen Philosophie, daß sie nicht nur die Falschheit oder Unfruchtbarkeit metaphysischer The13 Die hier angedeutete Synthese von Konstitutionstheorie und Einheitswissenschaft wurde nicht realisiert.
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sen plausibel machen, sondern ihre Sinnlosigkeit sogar streng beweisen könne: »Durch die Entwicklung der modernen Logik ist es möglich geworden, auf die Frage nach Gültigkeit und Berechtigung der Metaphysik eine neue und schärfere Antwort zu geben. Die Untersuchungen der »angewandten Logik« oder »Erkenntnistheorie«, die sich die Aufgabe stellen, durch logische Analyse den Erkenntnisgehalt der wissenschaftlichen Sätze und damit die Bedeutung der in den Sätzen auftretenden Wörter («Begriffe«) klarzustellen, führen zu einem positiven und zu einem negativen Ergebnis. […] Auf dem Gebiet der Metaphysik […] führt die logische Analyse zu dem negativen Ergebnis, daß die vorgeblichen Sätze dieses Gebietes gänzlich sinnlos sind. Damit ist eine radikale Überwindung der Metaphysik erreicht, die von den früheren antimetaphysischen Standpunkten aus noch nicht möglich war.« (Überwindung, 81 f.). Die vorgeblich gehaltvollen Sätze der Metaphysik enthüllen sich durch logische Analyse als Scheinsätze ohne Bedeutung. Diese Bedeutungslosigkeit verdankt sich entweder der Sinnlosigkeit einzelner Wörter, der logisch inkorrekten grammatischen Struktur oder beidem. In Überwindung gibt Carnap zunächst einige Beispiele der Bedeutungs- oder Sinnanalyse von Wörtern und dann von Sätzen. Die Bedeutung von Wörtern wird auf die Bedeutung von Sätzen zurückgeführt. Implizit verwendet Carnap hier eine Art Kontextprinzip, das die Bedeutung eines Satzteiles aus der Bedeutung des ganzen Satzes erklärt. Kleinste bedeutungstragende Einheiten sind für ihn also Sätze, Wörter haben nur in einem abgeleiteten Sinne eine Bedeutung. Genauer gesagt gilt folgendes: Die Bedeutung eines Wortes ergibt sich aus dem für dieses Wort charakteristischen Elementarsatz. Ein Wort ist sinnvoll genau dann, wenn sein Elementarsatz sinnvoll ist. Dafür gibt Carnap eine Reihe von Kriterien an. Die Elementarsätze für metaphysische Begriffe wie »Idee«, »das Absolute«, »Ansichsein«, »Anundfürsichsein« erfüllen diese Bedingungen nicht und sind deshalb sinnlos.
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Die von Carnap vorgeschlagenen Kriterien erwiesen sich jedoch bald als unbefriedigend. Viele Sätze der Wissenschaft, die die logische Analyse natürlich als sinnvoll klassifizieren sollte, genügten ihnen nicht, während diese Kriterien andererseits nicht imstande waren, offensichtlich metaphysische Sätze auszusieben. Insgesamt muß man sagen, daß Überwindung eine recht inkohärente Sammlung metaphysikkritischer Kriterien enthält, die in vielen Fällen zu unannehmbaren Ergebnissen führen. Carnap und die anderen Logischen Empiristen haben die Schwierigkeiten, ein adäquates Sinnkriterium zu formulieren, gewaltig unterschätzt. In den folgenden Jahrzehnten wurde in immer neuen Anläufen versucht, ein solches Kriterium zu formulieren, ohne daß es zu einer abschließenden Klärung des Problems gekommen wäre (vgl. Hempel 1950). Insbesondere die Sinnhaftigkeit theoretischer Ausdrücke, die nur eine lose Beziehung zur Beobachtungssprache haben, erwies als ein äußerst hartnäckiges Problem, mit dem Carnap sich bis in die fünfziger und sechziger Jahre herumschlagen sollte. Auf die Einzelheiten dieser Debatte kann hier nicht weiter eingegangen werden. In Überwindung werden zwei verschiedene Klassen metaphysischer Sätze unterschieden: (i) Sätze der ersten Art sind also solche, die sinnlose Wörter enthalten, deren Sinnlosigkeit man dadurch feststellen kann, daß ihre Elementarsätze nicht die genannten Kriterien einer verifikationistischen Bedeutungstheorie erfüllen; (ii) die zweite Klasse metaphysischer Scheinsätze besteht aus Sätzen, deren Wörter zwar eine Bedeutung haben, deren logische Struktur aber so beschaffen ist, daß sich kein Sinn ergibt. Diese Sätze erfüllen zwar die Kriterien der üblichen Grammatik, sind aber nach der logischen Grammatik der Sprache unzulässig. Beispiele sind Kategorienfehler wie »Alle Primzahlen sind blau«, »Das Prinzip des Geistigen ist eine reale Substanz« und dergleichen. Nach Carnap ist es eine zentrale Aufgabe der wissenschaftlichen Philosophie, die logischen Defekte der natürlichen Spra-
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che nicht nur aufzudecken, sondern künstliche Sprachen mit einer logischen Syntax aufzubauen, in der metaphysische Sätze dieser Art erst gar nicht gebildet werden können. Das entspricht der kritischen Intention der wissenschaftlichen Philosophie, metaphysische Sätze als Scheinsätze zu entlarven und damit aus dem Diskurs zu eliminieren. Interessanter als isolierte Beispiele wie »Das Absolute ist universell« und dergleichen ist eine »Fallstudie«, in der Carnap die metaphysischen Absurditäten eines Textes von Martin Heidegger analysierte. Als typisches Beispiel einer metaphysischen Argumentation, die von Scheinsätzen Gebrauch macht, deren grammatische Konstruktion den Regeln der Logik widerstreitet, wählte er eine Passage aus Was ist Metaphysik? (Heidegger 1929). Diese Wahl ist keineswegs zufällig: Zum einen betrachtete er Heideggers Philosophie als die »metaphysische Lehre, die gegenwärtig in Deutschland den stärksten Einfluß ausübt«, zum anderen hatte Carnap persönliche und inhaltliche Gründe, gerade Heidegger anzugreifen. Er unterzog Heideggers Text einer logischen Analyse, indem er versuchte, ihn in eine logisch durchsichtige Sprache zu übersetzen, um so seine argumentative Struktur deutlicher hervortreten zu lassen. Es zeigte sich, daß Heideggers Argumentation auf einem logisch fundamentalen Fehler beruhte, der darin bestand, ein und denselben Begriff, nämlich »das Nichts«, auf zwei logisch inkompatible Weisen zu verwenden, einmal als eine negative Existenzaussage, zum anderen als ein existierendes Objekt. Dazu kam das neu eingeführte bedeutungslose Verb »nichten«, das zunächst überhaupt keine Bedeutung hat.14 14 Es liegt natürlich nahe, die Bedeutung von »nichten« irgendwo in der Nähe von »vernichten« zu suchen. Ein Heideggerianer würde dies als eine unzulässige Profanierung ansehen. »Nichten« hat für ihn eine andere, »tiefere« Bedeutung, die sich der gewöhnlichen Sprache und dem gewöhnlichen Verstande entzieht. Für diese Methode der Einführung neuer Begriffe, deren Bedeutung »irgendwie« in der Nähe der üblichen liegt, aber trotzdem davon verschieden ist, hatte Carnap im zweiten Abschnitt von Überwindung einige bissige Bemerkungen übrig, siehe Überwindung, 85 f.).
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Obwohl sich Heidegger nicht zu einer direkten Erwiderung aufraffen konnte, zeigt seine indirekte Entgegnung auf Carnaps Attacke, daß dieser ihn an einem entscheidenden Punkt getroffen hatte, der nicht von dem etwas naivem Vorgehen abhängt, die Sinnlosigkeit von Heideggers Ausführungen durch ihre Nichtübersetzbarkeit in die logische Sprache der Prädikatenlogik beweisen zu wollen. Heidegger lehnte eine logische Klärung seines Gedankenganges grundsätzlich als unzulässig ab, weil seiner Meinung nach jedwede Logik beim Fragen nach dem Sein und nach dem Nichts prinzipiell unangemessen sei. Er wollte keine logische Klärung. Für ihn gehörte die Logik zum profanen Bereich des Verstandes, dem das ursprünglichere Fragen nach dem Sein und dem Nichts grundsätzlich verschlossen ist: »Wenn so die Macht des Verstandes im Felde der Fragen nach dem Nichts und nach dem Sein gebrochen wird, dann entscheidet sich auch das Schicksal der Herrschaft der »Logik« innerhalb der Philosophie. Die Idee der »Logik« selbst löst sich auf im Wirbel eines ursprünglicheren Fragens.« (Heidegger 1976, 105 f.) Dieser »Wirbel eines ursprünglicheren Fragens« ist jeder profanen argumentativen Kontrolle entzogen. Er besitzt Offenbarungscharakter. Das ist das Gegenteil von wissenschaftlicher Philosophie. Thesen über das Sein und das Nichts, wie Heidegger sie vorträgt, sind keine argumentativ kontrollierbaren Aussagen und sollen das auch nicht sein, sie verstehen sich als intuitiv gewonnene Einsichten eines singulären »Denkers«, der von jeder Kritik ausgenommen ist. Heideggers eigene Charakterisierung seiner Erörterungen über das Sein und das Nichts entsprechen damit recht gut Carnaps Charakterisierung der Metaphysik als eines Ergebnisses »eines nicht rationalen, sondern rein intuitiven Prozesses« (Aufbau, § 182). In der Diagnose stimmen Heidegger und Carnap also überein, sie unterscheiden sich in der Einschätzung dieses Sachverhaltes: während Heidegger seine »Überwindung« der Logik als Durchbruch zu einer
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»ursprünglicheren« Dimension des »Denkens« feiert, läuft sie für Carnap hinaus auf eine Verabschiedung wissenschaftlicher Rationalität aus der Philosophie.15 Der Text Über den Charakter der philosophischen Probleme ist bisher auf deutsch nicht veröffentlicht, eine englische Übersetzung erschien 1934 als programmatischer Eröffnungsartikel der gerade gegründeten US-amerikanischen Zeitschrift Philosophy of Science unter dem Titel On the Character of Philosophical Problems. In diesem Text skizzierte Carnap ein neues Verständnis von (Wissenschafts)philosophie, das bis heute nur unzureichend zur Kenntnis genommen worden ist. Zunächst plädierte er dafür, Wissenschaftsphilosophie als Theorie der wissenschaftlichen Sprache, oder besser als Theorie der in den Wissenschaften verwendeten Sprachen, zu konzipieren. Die Philosophie ist also nicht direkt mit der Welt befaßt, sondern mit den Sätzen, die die Wissenschaft über die Welt formuliert. Das impliziert eine klare Arbeitsteilung, was jedoch nicht so zu verstehen ist, daß die Wissenschaftsphilosophie eine rein formale Disziplin wäre, die sich nur mit logischen Strukturen beschäftigte: »Wenn wir sagen, die philosophischen Fragen sind Fragen der Syntax der Wissenschaftssprache, […] so ist damit nicht gesagt, daß die Antworten auf diese Fragen durch ein bloßes Herumrechnen mit logischen Formeln gefunden werden könnten, ohne Rücksicht auf die Erfahrung zu nehmen. Ein Vorschlag zur syntaktischen Gestaltung der Wissenschaftssprache ist zwar prinzipiell gesehen ein Vorschlag für eine frei wählbare Konvention; aber was uns veranlaßt, bestimmte Sprachformen anderen vorzuziehen, ist die Rücksicht auf das empirische Material, das die wissenschaftliche Forschung liefert.« (Über den Charakter der philosophischen Probleme, 127). 15 Für eine ausführlichere Darstellung der Auseinandersetzung zwischen Carnap und Heidegger sei auf M. Friedman, A Parting of the Ways: Carnap, Cassirer, and Heidegger, Chicago 2000, deutsche Übersetzung Frankfurt/Main 2004, verwiesen.
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Es wäre also ein Mißverständnis, Carnaps Wissenschaftsphilosophie als eine rein deskriptive Konzeption aufzufassen. Das Studium der Wissenschaftssprache hat für ihn einen praktischen Zweck, nämlich Vorschläge zu ihrer Verbesserung zu machen. Genauer gesagt führt er aus, daß ein wissenschaftslogisches Theorem auf zwei verschiedene Weisen aufgefaßt werden kann, nämlich einmal als Behauptung und zum anderen als Vorschlag. Die Philosophie als Wissenschaftsphilosophie studiert die Sprache(n) der Wissenschaft also keineswegs wie etwa die romanistische Philologie die romanischen Sprachen. Ihre Aufgabe ist es vielmehr, Vorschläge zu machen für die Gestaltung der in den Wissenschaften zu verwendenden Sprachen. Dadurch leistet sie einen konstruktiven Beitrag nicht nur für die Wissenschaften im engeren Sinne, sondern für eine wissenschaftliche Kultur (»Wissenschaftliche Weltauffassung«) insgesamt, wie es im Manifest emphatisch formuliert worden war. Auch die scheinbar von jedweder Anwendung weit entfernte Wissenschaftsphilosophie gewann damit eine praktische Dimension. Sie engagierte sich im Projekt einer allgemeinen »Wissenschaftlichen Weltauffassung«. Letztlich war Wissenschaftsphilosophie war für Carnap daher immer engagierte Philosophie. Dies unterscheidet sein Verständnis »Wissenschaftlicher Philosophie« vom heute üblichen Begriff von »Wissenschaftsphilosophie« und auch von der anglo-amerikanischen »philosophy of science«. Zwar hielt sich Carnap meist zurück, wenn es darum ging, die über die akademische Philosophie hinausgehende politische Motivation seiner philosophischen Arbeit explizit zu formulieren. Gleichwohl läßt sich die allgemeine politische Orientierung seiner Philosophie aus den vorhandenen Zeugnissen unmißverständlich erschließen: Wissenschaftliche Philosophie war für ihn ein kollektives Unternehmen, bei dem es darum ging, in enger Zusammenarbeit mit den Einzelwissenschaften und anderen am Fortschritt der Gesellschaft interessierten Kräften, wozu insbesondere auch Kunst und Architektur gehörten, am Aufbau einer modernen sozialistischen Gesellschaft mitzuarbeiten.
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IV. Aufklärung und Antimetaphysik Die antimetaphysische Einstellung Carnaps und der anderen Mitglieder des Wiener Kreises kann nur in dem philosophischen, kulturellen und politischen Kontext verstanden werden, in dem sie entstanden ist. Weniger die Übereinstimmung in einzelnen philosophischen Sachfragen als diese nicht rein philosophisch begründete allgemeine antimetaphysische Einstellung war die Basis der gemeinsamen philosophischen Arbeit aller Mitglieder des Wiener Kreises. Sie ermöglichte die Kooperation so verschiedener und oft gegensätzlicher Denker wie dem liberal-konservativen Schlick und dem unorthodoxen Marxisten Neurath – um nur die beiden auffälligsten Antipoden des Kreises zu nennen. In diesem Projekt des Aufbaus einer modernen aufgeklärten Gesellschaft fühlten sich die Mitglieder des Wiener Kreises verbunden mit anderen modernistischen Strömungen, insbesondere der Neuen Sachlichkeit der Bauhaus-Bewegung. Carnaps philosophisch-politische Grundeinstellung läßt sich deshalb vielleicht am besten als Neue Sachlichkeit charakterisieren. Diese kann als eine soziale, kulturelle und künstlerische Bewegung beschrieben werden, deren Mitglieder sich dem Internationalismus, einem nichtparteigebundenen Sozialismus und einer rationalen und antiindividualistischen Reorganisation der Kunst und des öffentlichen Lebens verschrieben hatten (vgl. Galison 1990). Carnaps Angriff auf Heidegger als den führenden Repräsentanten einer all dem entgegengesetzten Weltanschauung hatte also keineswegs nur rein philosophische Motive. Für die Mitglieder des Wiener Kreises waren die irrationalistischen Strömungen der metaphysischen Philosophie Ausdruck einer existenziellen Bedrohung. Wie Heidegger kaum ein Jahr später mit seiner Freiburger Rektoratsrede vom Mai 1933 deutlich machte, hätte Carnap seinen Gegner nicht besser wählen können. Für die linken Mitglieder des Wiener Kreises wie Carnap, Neurath, Frank oder Hahn gehörten die politischen und kulturellen Aspekte der Metaphysikkritik untrennbar zur wissen-
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schaftlichen Philosophie. Der Kampf gegen Metaphysik war Teil des Kampfes, »den wir gegen Aberglauben, Theologie, […] traditionelle Moral, kapitalistische Ausbeutung der Arbeiter usw. führen« (Carnap 1934b, 258). Diese Auffassung von der umfassenden Schädlichkeit der Metaphysik teilte Carnap keineswegs nur mit Neurath, auch der ansonsten jeglichem rhetorischen Überschwang abholde Mathematiker Hahn urteilte: »Und so erweist sich die weltabgewandte [d. h. metaphysische, T. M.] Philosophie auch als ein immer wieder benutztes Mittel, um die Menge derer, die mit Recht nicht sehr zufrieden sind in dieser Welt, auf eine andere Welt zu vertrösten; und diesem Umstande zumeist verdankt es vielleicht die weltabgewandte Philosophie, daß sie durch zwei Jahrtausende eine ziemlich unbestrittene Herrschaft führen konnte, die erst in unseren Tagen ernstlich ins Wanken gerät« (Hahn 1988, 21 f.). Wohl einem bekanntem Diktum von Marx folgend (»Religion ist Opium für das Volk«) betrachtete Carnap in seinen radikalsten Momenten die Metaphysik (als Nachfolgerin der Theologie), als eine schädliche Droge: »Theoretisch beweisen läßt sich […], daß philosophische und religiöse Metaphysik ein unter Umständen gefährliches, vernunftschädigendes Narkotikum ist. Wir [d. h. der Wiener Kreis, T. M.] lehnen dieses Narkotikum ab. […] Wir können theoretische Aufklärung über Ursprung und Wirkungen des Narkotikums geben. Ferner können wir durch Aufruf, Erziehung, Vorbild auf die praktische Entscheidung der Menschen in diesem Punkt einwirken« (Carnap 1934 b, 260). Dieser radikal aufklärerische Hintergrund der Metaphysikkritik Carnaps und des Wiener Kreises wurde nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit ignoriert, sowohl von der englisch- wie von der deutschsprachigen Philosophie. Dies lief hinaus auf eine wesentliche Verkürzung des Begriffs wissenschaftlicher Philosophie: Im Sinne Carnaps war wissenschaftliche Philoso-
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phie immer auch kritische Philosophie, die gewisse Thesen und Methoden als unwissenschaftlich und irrational ablehnte. Eine Erörterung der Metaphysikkritik der wissenschaftlichen Philosophie sollte nicht übersehen, daß diese Kritik keineswegs nur gegen äußere philosophische Gegner gerichtet war. Als Selbstkritik innerhalb des Kreises spielte Metaphysikkritik eine wesentliche Rolle in den internen Diskussionen, z. B. in der sogenannten Protokollsatzdebatte (vgl. Uebel 1992). Carnap war, was Metaphysik anging, keineswegs nur Kritiker, sondern auch Kritisierter. So rügte Neurath »Restbestandteile idealistischer Metaphysik« im Aufbau, und später schien ihm die von Carnap als philosophische Grunddisziplin konzipierte Semantik ein Ausbund von Metaphysik. Allgemein kritisierte er Carnap des öfteren, weil dessen Konzeption von Wissenschaft »zu logisch« und »zu präzise« sei, um noch mit einer empiristischen Grundeinstellung verträglich zu sein. Die Verwendung ausgefeilter logischer und mathematischer Formalismen galt ihm also keineswegs als ausreichender Schutz gegen metaphysische Verirrungen. Manche Erscheinungsformen der nachcarnapianischen Wissenschaftsphilosophie, die sich selbst als Nachfolger von Carnaps Ansatz gerieren, lassen Neuraths These als nicht unplausibel erscheinen. Sich selbst von möglichen metaphysischen Verfehlungen keineswegs ausnehmend, stellte er in einem Brief an Carnap die selbstkritische Frage, »Ich möchte nur gern wissen, ob auch wir unsere Metaphysik haben, ohne es zu bemerken.« (RC 029-09-87).16 Man sollte deshalb vielleicht die Antimetaphysik des Wiener Kreises weniger durch explizite Thesen charakterisieren, sondern als eine nüchterne empiristische Einstellung, die die Prätentionen der traditionellen metaphysischen Philosophie ablehnte. 16 Der Nachlaß Carnaps wird in der Bibliothek der Universität Pittsburgh/USA (Special Collections Department – 363 Hillman Library) aufbewahrt. Eine Kopie befindet sich in der Universitätsbibliothek Konstanz. Manuskripte Carnaps sind durch eine Nummer der Art RC-xxx-xx-xx gekennzeichnet.
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V. Kritik der Metaphysikkritik Die antimetaphysische Einstellung des Logischen Empirismus, wie sie in den hier zusammengestellten Schriften oder auch im Manifest des Wiener Kreises (1929) zum Ausdruck kommt, erscheint heute vielen als engstirnig und obsolet. Man hält sich viel auf seine liberale Einstellung zugute, die jedem seine private Metaphysik zugesteht, weiß man doch längst, daß die Vorstellung von einer metaphysikfreien Philosophie und Wissenschaft ein frommer Traum war, der mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun hatte. Metaphysikkritik gilt als naiv positivistisch, und die Meinung ist weit verbreitet, sie gehörte zu den am gründlichsten überholten Doktrinen des Logischen Empirismus. Selbst ein Carnap so wohlgesonnener Interpret wie Günther Patzig hielt in den sechziger Jahren Carnaps antimetaphysischen Impetus für obsolet oder zumindest für übertrieben, sei doch heute (1966) »die Schlacht gegen die Art von Metaphysik, gegen die Carnap sich vor allem wandte, nämlich die irrationalistische Metaphysik […] geschlagen; auch die Heideggersche Variante einer Geburt der Metaphysik aus dem Geiste der Negation dürfte heute kaum noch Anhänger haben«. (Patzig 1966, 97 f.) Ein oberflächlicher Blick auf die heutige philosophische Landschaft dürfte genügen, um Patzigs Behauptung zu widerlegen: Irrationalistische metaphysische Strömungen jedweder Provenienz haben nichts von ihrer Virulenz eingebüßt und gerade Heideggers Philosophie ist en vogue wie selten zuvor. Die Metaphysikkritik des Logischen Empirismus hat sich als keineswegs so erfolgreich erwiesen, wie Patzig damals wohl geglaubt haben mag. Von einem Verschwinden der metaphysischen Philosophie kann keine Rede sein, ganz im Gegenteil. Aus der pauschalen Ablehnung der Metaphysikkritik des Logischen Empirismus nach dem zweiten Weltkrieg ergab sich, daß die politische Dimension der wissenschaftlichen Philosophie des Wiener Kreises zunächst vollständig vergessen
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oder verdrängt wurde. So dekretierte der österreichisch-deutsche Wissenschaftsphilosoph Wolfgang Stegmüller in seinen Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie: »Jede Beurteilung des Empirismus der Gegenwart muß davon ausgehen, daß zwei Dinge klar zu unterscheiden sind: die positive Arbeit der einzelnen Vertreter dieser Richtung an logischen und wissenschaftstheoretischen Fragen und die polemische Einstellung gegenüber der Metaphysik. Beides ist voneinander vollkommen unabhängig. […] Tatsächlich kann […] z. B. ein Thomist oder ein moderner Ontologe die Untersuchungsergebnisse über den Aufbau semantischer Systeme […] akzeptieren, ohne die These von der Sinnlosigkeit der Metaphysik anzunehmen.« (Stegmüller 1978, 422) Damit wird die Metaphysikkritik des Logischen Empirismus von vornherein als etwas Ideologisches denunziert, das man von den »echten« Errungenschaften des Logischen Empirismus trennen könnte, die auch »ein Thomist oder ein moderner Ontologe« als neutrale Dienstleistungen in Anspruch nehmen könnten. Die Möglichkeit, zwischen »positiver Arbeit« und »Polemik« trennen zu können, wird von Stegmüller nirgends begründet, sondern vorausgesetzt. Diese Voraussetzung hatte weitreichende Konsequenzen: Der durch Stegmüller und seine Schule in Szene gesetzte Re-Import der logisch-empiristischen Wissenschaftsphilosophie in die deutschsprachige philosophische Landschaft blieb – im Vergleich mit dem Logischen Empirismus des Wiener Kreises – von vornherein eine halbe Sache. Selbst wenn es in der Tat punktuell möglich sein mochte, semantische Begriffsbildungen auch für eine Modernisierung des Thomismus einzusetzen, läuft dies letztlich auf einen Mißbrauch des Logischen Empirismus hinaus. Die Beschränkung auf »die positive Arbeit […] an logischen und wissenschaftstheoretischen Fragen« (Stegmüller, loc. cit.) geschieht um den Preis einer groben Verkürzung der wissenschaftlichen Philosophie Wiener Prägung, die bestimmt war durch ihre kritische
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Einstellung gegen jede Art von metaphysischem Obskurantismus und Irrationalismus. Metaphysik ist jedoch nicht nur in der »kontinentalen« Philosophie wieder en vogue, auch in der analytischen Philosophie ist sie mittlerweile eine etablierte Disziplin. Diese »neue Metaphysik« mag mit einer empiristisch akzeptablen »Grundwissenschaft« in Einklang gebracht werden können, nicht selten wird das Aufkommen der neuen Metaphysik jedoch als eine Annäherung zwischen kontinentaler und analytischer Philosophie interpretiert. Es gilt als ausgemacht, daß der Graben zwischen beiden Lagern zuzuschütten sei, und bei diesem Versöhnungsunternehmen kann Metaphysikkritik im Stile des Wiener Kreises nur störend wirkend. Die neue analytische Metaphysik kommt recht unschuldig daher, ein typischer Definitionsvorschlag lautet etwa »Metaphysics is a philosophical inquiry into the most basic and general features of reality and our place in it.« (Kim and Sosa 1999, ix). Diese harmlos klingende Definition wird für eine empiristische, an der Wissenschaft orientierte Philosophie dann problematisch, wenn die »philosophische Erforschung der allgemeinsten und grundlegenden Strukturen der Welt« vermeint, sich genuin philosophischer Mittel bedienen zu müssen, von denen implizit oder explizit behauptet wird, sie seien den empirischen Wissenschaften nicht zugänglich. Wenn daher Kim und Sosa das Wiederaufblühen der Metaphysik in der analytischen Philosophie auch damit begründen, daß »unser Bedürfnis nach Metaphysik ebenso grundlegend sei wie unser Bedürfnis nach Philosophie überhaupt« (ibidem, x), ist es vielleicht nützlich, sich an Carnaps sarkastische Bemerkungen aus dem Vorwort zum Aufbau zu erinnern: »Auch wir haben ‚Bedürfnisse des Gemütes‹ in der Philosophie; aber die gehen auf Klarheit der Begriffe, Sauberkeit der Methoden, Verantwortlichkeit der Thesen, Leistung durch Zusammenarbeit, in die das Individuum sich einordnet.« (Carnap 1998, xx).17 17 In einer Vortragsnotiz weist er außerdem darauf hin, daß der
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Es ist oft behauptet worden, daß es dem Logischen Empirismus des Wiener Kreises nie gelungen sei, klar zu sagen, was eigentlich genau unter Metaphysik zu verstehen sei. Das ist wohl richtig. Eine andere Frage ist, was diese Unklarheit für eine empiristische Metaphysikkritik bedeutet. Metaphysische Behauptungen sind immer Prätentionen. Sie täuschen vor, mehr zu leisten und besser legitimiert zu sein, als es der Fall ist. Es hängt von den eingesetzten kritischen Resourcen ab, welche Behauptungen in welchem Kontext als metaphysisch erscheinen. Metaphysikkritik ist deshalb unabschließbar. Man kann von der Philosophie nicht erwarten, jemals »absolute Gewißheit«, »Letztbegründung« oder auch nur vollständige begriffliche Klarheit zu erreichen. Mit anderen Worten, Metaphysikkritik als permanente und unabschließbare Selbstkritik ist ein Kennzeichen jeder wissenschaftlichen Philosophie, die sich über die Endlichkeit und Unvollkommenheit ihrer selbst im klaren ist und nicht einem »Pseudorationalismus« verfällt, der vermeint, alles unter seiner begrifflichen Kontrolle zu haben.
VI. Carnaps Projekt einer neuen Art von Philosophie Im Vergleich mit den grandiosen Verlautbarungen der metaphysischen Philosophie wirkt Carnaps Konzeption von Philosophie bescheiden: das Ganze, das Wesen, das Absolute, das Sein des Seienden und alle die anderen großen Themen, mit denen sich die traditionelle Metaphysik befaßt, erschienen Carnap als Phantasmen, mit denen sich zu befassen nicht lohnte. Statt dessen schlug er vor: Satz »Die Menschen werden immer ein Bedürfnis nach Metaphysik haben«, auf zweierlei Weisen verstanden werden kann. Zum einen kann man unter »Bedürfnis« »Ausdrucksbedürfnis« verstehen – dann sei er richtig. Zum anderen kann man unter »Bedürfnis« auch »Bedürfnis nach Ausdruck im Medium einer Theorie« verstehen, dann sei er nicht richtig. (RC-110-07-21:4).
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»[Mir] schien es eine der dringendsten Aufgaben der Philosophie sein, die verschiedenen möglichen Sprachformen zu untersuchen und ihre charakteristischen Eigenschaften aufzudecken. Während der Arbeit an solchen Problemen wurde mir allmählich klar, daß eine derartige Untersuchung […] auf künstlich konstruierte symbolische Sprachen ausgedehnt werden müßte. […] Erst nach einer sorgfältigen Untersuchung der vielfältigen Sprachformen kann man eine begründete Wahl aus einer dieser Sprachen treffen, sei es die gesamtwissenschaftliche Sprache oder eine Teilsprache zu besonderen Zwecken.« (Carnap 1993, 69). Anstatt also direkt für irgendwelche spezifischen Thesen zu argumentieren, war es nach Carnap Aufgabe der Philosophie, begriffliche Möglichkeiten zu eröffnen und ansatzweise durchzuspielen. Er konzipierte Philosophie als Möglichkeitswissenschaft. Die Aufgabe wissenschaftlicher Philosophie bestand für ihn darin, gegen die vermeintlich unumstößlichen Gewißheiten der Metaphysik und des common sense Einspruch zu erheben und darauf hinzuweisen, daß es auch andere Möglichkeiten gab als die, die gerade Wirklichkeitsstatus erlangt hatte. Diese Art des Philosophierens ist nicht utopisches Denken im schlechten Sinne, das sich in abstrakten Möglichkeiten verliert, sondern es zielt auf die Bildung eines auf Empirie beruhenden Möglichkeitssinns, der gegen die bestehenden Verhältnisse darauf besteht, daß es anders sein könnte und angesichts der Unzulänglichkeiten der bestehenden Umstände auch anders sein sollte. Diese neue Art des Philosophierens unterscheidet sich sowohl von einer wissenschaftlich verbrämten Metaphysik, die als säkularisiertes Substitut der Theologie darauf zielt, die Grundstrukturen der Welt mit Hilfe wissenschaftlich nicht zu rechtfertigender Methoden zu enthüllen, wie auch von Wittgensteins »therapeutischer« Konzeption von Philosophie, die allein den Bedürfnissen des philosophierenden Individuums entgegenkommt und ansonsten alles so läßt, wie es ist. Ebensowenig hat Carnaps Vorschlag viel gemein mit Husserls Pro-
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gramm einer Begründung der Wissenschaften durch eine neue philosophische Grundwissenschaft.18 Die neue Art von Philosophie, die Carnap in Der Charakter der philosophischen Probleme zum ersten Mal skizzierte und ausführlicher in seinem Buch Die Logische Syntax der Sprache (Carnap 1934) darstellte, könnte man als theoretischen oder konzeptuellen Pragmatismus charakterisieren, der in Zusammenarbeit mit den Wissenschaften »Vorschläge macht« für die Planung und Entwicklung von »Sprachrahmen«, die für den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt eingesetzt werden können.19 Wenn man Hans Blumenberg darin zustimmt, daß die Aufklärung des 18. Jahrhunderts durch Fontenelles Formel charakterisiert werden könne, »daß mehr als eine Welt sei«, wird man auch an Carnaps Konstruktion syntaktischer und semantischer Systeme, die seit Mitte der dreißiger Jahre im Mittelpunkt seiner Arbeit standen, ein implizit aufklärerisches Moment ausmachen können. Es ging darum, den offenen Bereich wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Möglichkeiten in den Blick zu bekommen und Wissenschaft nicht als etwas Naturwüchsiges nur zur Kenntnis zu nehmen und zu beschreiben, sondern der Philosophie die Möglichkeit zu eröffnen, an der rationalen Planung der Wissenschaft und ihrer Indienstnahme für den gesellschaftlichen Fortschritt mitzuarbeiten, wie es bereits im Aufbau und im Manifest formuliert worden war. 18 Gleichwohl ist bemerkenswert, daß Carnaps und Husserls Intentionen recht ähnlich waren: Beiden ging es darum, durch eine Neubestimmung des Aufgabenbereichs der Philosophie die schon bei Kant zu findende, später durch Wittgenstein berühmt gewordene These zu überwinden, strenggenommen gebe es gar keine philosophischen Sätze, sondern nur die Tätigkeit des Philosophierens. 19 Es ist irreführend, Carnap als einen Vertreter einer Philosophie der »idealen Sprache« zu charakterisieren, weil diese Bezeichnung nahelegt, es hätte für ihn nur eine einzige »ideale« Sprache gegeben. Der wesentliche Punkt für Carnap war vielmehr die Vielfalt möglicher Sprachen, die zwar allesamt konstruierte, aber keineswegs »ideale« Sprachen waren.
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Zumindest der Intention nach war also die Konstruktion von »Sprachrahmen« eine eminent praktische Angelegenheit. Die Philosophie wurde keineswegs auf eine bloße Zuschauerrolle festgelegt, in der sie sich auf das »Verstehen« der Wissenschaften beschränken konnte. Ihre Aufgabe war es vielmehr, Vorschläge für die begriffliche Praxis der Wissenschaften zu machen. Dies ist keineswegs mit Szientismus gleichzusetzen, der die Thesen der Wissenschaft kritiklos übernimmt. Im Gegenteil, der Vorbildcharakter der Wissenschaft bezieht sich für Carnap nicht auf den Inhalt wissenschaftlicher Thesen, sondern auf die Rationalität ihrer Methoden. Das Verhältnis eines modernen Empirizismus zur Wissenschaft hat der amerikanische Wissenschaftsphilosoph Bas van Fraassen neuerdings in einer Weise formuliert, die den Vorstellungen Carnaps wohl recht nahe kommt: »Empiricism and its admiring attitude to science is not so much to the content of the sciences as to their forms and practices of inquiry. Science is a paradigm of rational inquiry. To take it as such is precisely to take up one of the most central attitudes in the empirist stance. But one may take it so while showing little deference to the content of any science per se. For the empiricist, science is more nearly what teaches us how to give up our beliefs. All our factual beliefs are to be given over as hostages to fortune, to the fortunes of future empirical evidence, and given up when they fail without succumbing to despair, cynicism, or debilitating relativism.« (van Fraassen 2002, 63) Die Praxis der Wissenschaften als Leitbild für rationale Praxis überhaupt anzusehen, ist heute nicht mehr so leicht möglich wie zu Carnaps oder Peirces Zeiten, dafür sind wissenschaftliche, politische, industrielle und militärische Interessen zu eng mit einander verschränkt, und zu unvernünftig erscheinen manche der Ergebnisse der Wissenschaften. Aber zumindest das für eine hinreichend idealisierte wissenschaftliche Praxis charakteristische Merkmal, vermeintliche Gewißheiten immer wieder empiristisch aufs Spiel zu setzen, hatte in Carnaps phi-
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losophischer Tätigkeit ein deutlich erkennbares Analogon: Er zögerte nie, ehemals vertretene Positionen aufzugeben, falls er sich durch neue Argumente dazu veranlaßt sah. Damit soll nicht behauptet werden, wissenschaftliche Philosophie wäre eine empirische Wissenschaft wie jede andere auch. Das ist sicher nicht der Fall: Die Standards für Rationalität und Objektivität für eine »Möglichkeitswissenschaft« wie die Philosophie sind gewiß nicht mit denen einer »normalen« empirischen Disziplin gleichzusetzen. Gleichwohl verfügt auch die wissenschaftliche Philosophie über Verfahren, die eine kritische Kontrolle des von ihr erzeugten »Wissens« erlauben. Diese Mechanismen aber fehlen der metaphysischen Philosophie. Die Wissenschaftlichkeit einer Philosophie schlägt sich deshalb nicht so sehr in ihren Resultaten als vielmehr in ihrer Einstellung und in ihrem Stil nieder. Diese flexible und zugleich selbstkritische Grundeinstellung drückt Carnap im Vorwort zur zweiten Auflage (1998) des Aufbau so aus: »Wenn ich jetzt die alten Formulierungen lese, finde ich manche Stellen, die ich heute anders sagen oder auch ganz weglassen würde. Aber mit der philosophischen Einstellung, die dem Buch zugrunde liegt, stimme ich noch heute überein.« (Carnap 1998, x) Ähnlich, aber noch schärfer konstatierte Alfred Ayer rückblikkend: 20 »Fast alle Thesen des Wiener Kreises sind problematisch und viele sind falsch. Aber ihr Geist triumphiert immer noch. Ein Zug, der sich wohl am besten als verschwommene Erbaulichkeit beschreiben läßt, wurde aus der Philosophie verbannt – ich wage nicht zu sagen auf Nimmerwiedersehn, das wäre zu optimistisch. Aber wo dieser Zug weiter besteht oder sich aufs Neue einstellt, muß er immerhin der Kritik ins Auge sehen, 20 In B. McGuinness (Hg.), 1985, Zurück zu Schlick. Eine Neubewertung von Werk und Wirkung, Wien, 8 – 23.
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deren Schärfe wir größtenteils jenen Helden meiner Jugend verdanken.« (Ayer 1985, 23) Es ist heute nicht schwer, sich davon zu überzeugen, daß Ayer zumindest mit seiner ersten Behauptung recht hat: so findet Carnaps logizistische These, die Mathematik sei auf die Logik reduzierbar, heute nur noch wenige Befürworter, sein Sachhaltigkeitskriterium hat sich als unzureichend herausgestellt, und die rein syntaktische Konzeption von Wissenschaftsphilosophie hat Carnap selbst schon bald aufgegeben. Ganz allgemein dürfte heute keine seiner Behauptungen auf allgemeine Zustimmung stoßen.21 Das tut Carnaps philosophischer Leistung ebensowenig Abbruch wie die Tatsache, daß etwa die moderne Physik über die Theorien der großen Physiker der Vergangenheit hinausgegangen ist. Ein Leser des 21. Jahrhunderts mag deshalb keinen Grund haben, irgendeiner von Carnaps Thesen ohne Einschränkung zuzustimmen, aber vielleicht findet er die dem Werk zugrundeliegende philosophische Einstellung immer noch bedenkenswert.
21 Ob Ayer allerdings auch mit seiner zweiten These Recht hat, die Produktion verschwommen-erbaulicher Philosophie sei durch die Instanz einer wissenschaftlichen Philosophie grundsätzlich in Frage gestellt worden, darf für die deutschsprachige Philosophie füglich bezweifelt werden.
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Zur Edition Die vorliegende Edition gibt den Text nach den jeweiligen Erstveröffentlichungen bzw. nach den Originalmanuskripten, die sich im Carnap-Archiv in Pittsburgh befinden. Eindeutige Druckfehler wurden stillschweigend korrigiert. Anmerkungen Carnaps sind im Text mit hochgestellten Ziffern markiert und als Fußnoten wiedergegeben. Anmerkungen des Herausgebers sind durch fortlaufend gezählte Marginalien gekennzeichnet und folgen im Anmerkungsteil am Schluß des Bandes. Die Kapitel in den verschiedenen Teilen dieses Buches sind mit arabischen Ziffern numeriert. Das entspricht der Originalnumerierung von Die alte und die neue Logik und Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache. Bei Scheinprobleme in der Philosophie wurde aus Gründen der Vereinheitlichung das Paragraphenzeichen weggelassen. Bei Über den Charakter der philosophischen Probleme sind die von Carnap stammenden Kapitelüberschriften neu numeriert worden. Von Gott und Seele … hat keine Kapiteleinteilung. Nachweis der Erstdrucke 1. Scheinprobleme in der Philosophie, Berlin 1928. Wieder abgedruckt 1961 in der zweiten Auflage des Logischen Aufbaus der Welt, Hamburg. 1966 als selbständige Veröffentlichung erschienen in Frankfurt, mit einem Nachwort von Günther Patzig. 2. Von Gott und Seele: Scheinfragen in der Theologie und Metaphysik, unveröffentlichtes Manuskript, RC-089-63-01, 1929. 3. Die alte und die neue Logik, in: Erkenntnis 1, 12 – 26, 1930. 4. Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache, in: Erkenntnis 2, 219– 241, 1932. 5. Der Charakter der philosophischen Probleme, unveröffentlichtes Manuskript, RC-110-04-02. Englische Übersetzung veröffentlicht als On the Character of Philosophical Problems, in: Philosophy of Science 1(1934), 5 – 19. Wieder abgedruckt ebd., vol. 51 (1984), 5 – 19.
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Ich danke dem Carnap-Archiv in Pittsburgh (Pennsylvania, USA) für die Überlassung der Abdruckrechte der Manuskripte Von Gott und Seele. Scheinfragen in Theologie und Metaphysik und Der Charakter der philosophischen Probleme. Brigitte Parakenings vom Carnap Archiv in Konstanz bin ich verpflichtet für ihre Hilfe bei der Beschaffung der Manuskripte und anderer Materialien. Marion Lauschke, der Lektorin des Meiner Verlages, danke ich für die angenehme Zusammenarbeit während der Realisierung dieses Projektes. Schließlich gaben mir Annette Merkenthaler, Elisabeth Nemeth, und Hans-Joachim Dahms wertvolle Hinweise; Hannah Mormann unterstützte mich bei der Literaturbeschaffung. Allen sei herzlich gedankt. Verlag und Herausgeber danken Hanneliese Carnap-Thost, André W. Carus (Open Court Publishing Company) und den Archives of Scientific Philosophy der Universität Pittsburgh für die Erteilung der Abdruckrechte. Es sei darauf hingewiesen, daß der Verlag Open Court (Chicago und LaSalle) eine Gesamtausgabe der Schriften Carnaps vorbereitet. Umfassende Bibliographien der veröffentlichten Werke Carnaps finden sich in P. A. Schilpp (Hg.), 1963, The Philosophy of Rudolf Carnap, The Library of Living Philosophers, La Salle and Chicago, und in F. Stadler, 1997, Studien zum Wiener Kreis, Frankfurt/Main. Ausgewählte Werke Carnaps 1922
Der Raum. Ein Beitrag zur Wissenschaftslehre, in: KantStudien Ergänzungshefte, Nr. 56.
1928 a
Der logische Aufbau der Welt, 1998 Hamburg.
1928 b
Scheinprobleme in der Philosophie, 1966 Frankfurt/ Main.
1929
Abriß der Logistik, mit besonderer Berücksichtigung der Relationstheorie und ihrer Anwendungen, in: Schriften zur wissenschaftlichen Weltauffassung 2, Wien.
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1932/33 Psychologie in physikalischer Sprache, in: Erkenntnis 3, 107 – 142. 1934
Logische Syntax der Sprache, Wien. Zweite Auflage 1968.
1934 a
Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen, in: Natur und Geist 2, 257 – 60.
1936
Über die Einheitssprache der Wissenschaft. Logische Bemerkungen zum Projekt einer Enzyklopädie, in: Actes du Congrès International de philosophie scientifique et empirisme logique, Paris 1936, 60 – 70.
1936/47 Testability and Meaning, in: Philosophy of Science 3, 419 – 471 und Philosophy of Science 4, 1 – 40. 1937
Einheit der Wissenschaft durch Einheit der Sprache, in: Congrès international de philosophie, Congrès Descartes, Paris 1937, 51 – 57.
1950
Empiricism, Semantics, and Ontology, in: Revue International de Philosophie 4, 20 – 40.
1963
Intellectual Autobiography, in: P. S. Schilpp (ed.), The Philosophy of Rudolf Carnap, 1963, 3 – 84, La Salle and Chicago.
1963
Feigl on Physicalism, in: P. Schilpp (ed.) The Philosophy of Rudolf Carnap, La Salle 1963, 882 – 886.
1993
Mein Weg in die Philosophie, Stuttgart. Enthält eine deutsche Übersetzung von Carnap (1963).
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und andere metaphysikkritische Schriften
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I. Die Aufgabe der Erkenntnistheorie A. Der Sinn der erkenntnistheoretischen Analyse 1. Problemstellung Die Aufgabe der Erkenntnistheorie besteht in der Aufstellung einer Methode zur Rechtfertigung der Erkenntnisse. Die Erkenntnistheorie soll angeben, wie eine vorgebliche Erkenntnis als gültige Erkenntnis gerechtfertigt, begründet werden kann. Diese Rechtfertigung geschieht nicht absolut, sondern relativ: ein bestimmter Erkenntnisinhalt wird gerechtfertigt durch Bezugnahme auf andere, als gültig unterstellte Erkenntnisinhalte. Es wird also ein Inhalt auf andere »zurückgeführt«, »erkenntnistheoretisch analysiert«. Auch die Logik lehrt die Ableitung der Gültigkeit bestimmter Setzungen (ausgedrückt durch Sätze) aus der angenommenen Gültigkeit anderer (»Schlußfolgerung«). Unterschied: die logische Ableitung geschieht durch bloße Umordnung der Begriffe; in der abgeleiteten Setzung kann kein neuer Begriff auftreten; für die erkenntnistheoretische Ableitung dagegen ist es gerade wesentlich, daß der zu analysierende Erkenntnisinhalt, also der zu begründende, abzuleitende Satz einen Begriff enthält, der in den Voraussetzungen nicht auftritt. Um die Erkenntnisinhalte zu analysieren, muß die Erkenntnistheorie die Gegenstände (Begriffe) der (Real-)Wissenschaft in ihren verschiedenen Gebieten (Natur- und Kulturwissenschaften) untersuchen. Und zwar muß sie feststellen, auf welche anderen Gegenstände die Erkenntnis irgendeines Gegenstandes »zurückgeht«. Es geschieht somit eine »Analyse« der Gegenstände, die »höheren« werden auf »niedere« zurückgeführt. Die
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nicht weiter zurückführbaren heißen die »(erkenntnistheoretisch) grundlegenden« Gegenstände. Was aber ist mit dieser erkenntnistheoretischen Analyse gemeint? Was heißt: ein Gegenstand a »geht (erkenntnistheoretisch) zurück« auf einen Gegenstand b? Erst wenn diese Frage beantwortet ist, ist die Aufgabe der Erkenntnistheorie deutlich gestellt; und erst dann ist klar, was unter den »grundlegenden« Gegenständen zu verstehen ist. Es ist häufig betont worden, daß die erkenntnistheoretische Frage nach der Begründung, nach der Zurückführung einer Erkenntnis auf andere unterschieden werden muß von der psychologischen Frage nach der Entstehung eines Erkenntnisinhaltes. Aber das ist nur eine negative Bestimmung. Für denjenigen, der sich mit den Ausdrücken »gegeben«, »zurückführbar«, »grundlegend« und dergleichen nicht zufrieden geben will oder der gar diese Begriffe in seiner Philosophie nicht verwenden will, ist die Aufgabe der Erkenntnistheorie überhaupt nicht formuliert. Diese Aufgabe scharf zu formulieren, soll das Ziel der folgenden Überlegungen sein. Es wird sich zeigen, daß wir die Bestimmung der erkenntnistheoretischen Analyse formulieren können, ohne die genannten Ausdrücke der traditionellen Philosophie zu benutzen; wir brauchen nur zurückzugehen auf den Begriff der Implikation, des Bedingungsverhältnisses (wie es in Wenn-Sätzen ausgedrückt wird). Dies aber ist ein logischer Fundamentalbegriff, der von niemandem abgelehnt oder auch nur vermieden wird: er ist unerläßlich in jeder Philosophie, in jedem Wissenschaftszweig. Im Entwicklungsgang der Wissenschaft geschieht es häufig, daß Antworten, und zwar richtige Antworten auf eine Frage schon gefunden werden, bevor noch die Frage ihre scharfe begriffliche Formulierung gefunden hat. Es liegt dann so, daß man intuitiv eine bestimmte Richtung der Begriffsbildung ins Auge faßt und festzuhalten imstande ist, ohne jedoch angeben zu können, was die in solcher Weise gebildeten Begriffe besagen. Wird dann später die begriffliche Formulierung für die intuitive Fragestellung gefunden, so werden damit zugleich
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auch die schon gefundenen Antworten aus ihrem schwebenden Zustand erlöst und auf den festen Boden des wissenschaftlichen Systems gestellt. beispiel. Die Erfinder der Infinitesimalrechnung (Leibniz und Newton) waren imstande, die Fragen nach der Ableitung (dem Differentialquotienten) der gebräuchlichen mathematischen Funktionen zu beantworten; z. B.: die Ableitung der Funktion x3 ist die Funktion 3x2. Was aber hiermit beantwortet sei, was denn eigentlich unter der »Ableitung« einer Funktion zu verstehen sei, das konnten sie nicht sagen. Verschiedene Anwendungen (z. B. Tangentenrichtung) konnten sie angeben, aber keine scharfe Definition des Begriffes »Ableitung« selbst. Sie glaubten zwar zu wissen, was sie damit meinten; aber sie hatten nur ein intuitives Ahnen, keine begriffliche Definition. Sie glaubten auch, eine Definition zu haben, die »Ableitung« begrifflich verstehen zu können. Ihre Formulierungen für die Definition benutzten aber solche Ausdrücke wie »unendlich kleine Größen« und Quotienten von solchen, die sich bei genauerer Analyse als Scheinbegriffe (leere Worte) herausstellen mußten. Erst mehr als ein Jahrhundert später gelang die einwandfreie Definition des allgemeinen Grenzbegriffs und damit auch der Ableitung. Erst damit bekamen alle jene mathematischen Ergebnisse, die längst in der Mathematik verwendet wurden, ihren eigentlichen Sinn. Ähnlich steht es mit der erkenntnistheoretischen Analyse. Die Wissenschaft hat schon längst eine große Menge von Ergebnissen der erkenntnistheoretischen Analyse in Händen; sie besitzt die Antworten, ohne die Frage zu besitzen, also auch ohne über den genauen Sinn der Antworten Rechenschaft geben zu können. Solche schon bekannten Antworten sind etwa: das Erkennen von Bewußtseinsvorgängen eines anderen Menschen »stützt sich« auf Wahrnehmungen seiner Bewegungen und Sprachäußerungen; die Erkenntnis eines physischen Körpers »geht zurück« auf Wahrnehmungen; ein bestimmtes Erlebnis »besteht aus« der Gesichtswahrnehmung einer Glocke, der Gehörwahrnehmung eines Klanges und einem Gefühlskomplex
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der und der Art; eine bestimmte Klangwahrnehmung »besteht aus« Einzelempfindungen der und der Töne. Man wird geneigt sein, die beiden letzten Beispiele eher einer »psychologischen« Analyse zuzurechnen als einer erkenntnistheoretischen. Und in der Tat gehört die Analyse dieser Art zu den Fundamenten des Verfahrens der Psychologie. Denn nur durch dieses Verfahren der Begriffsbildung gelangt die Psychologie überhaupt zu ihren Objekten. Wir werden aber später bemerken, daß dieses Verfahren nichts anderes ist als die erkenntnistheoretische Analyse, nach deren Sinn wir hier suchen. Die Wissenschaft (und teilweise auch schon das alltägliche Leben) ist im Besitze der in den Beispielen genannten Antworten; aber den eigentlichen Sinn dieser Antworten hat sie noch nicht. Wollten wir etwa die Antworten so deuten: »bestehen aus …«, besage »im Erlebnisverlauf zusammengesetzt sein aus …«, so wären wir auf einem Irrweg. Die Psychologie (in diesem Falle besonders die Gestaltpsychologie) belehrt uns, daß die Gesamtwahrnehmung vor den sie »zusammensetzenden« Einzelempfindungen erlebt wird, daß diese erst durch einen nachträglichen Abstraktionsprozeß zum Bewußtsein gebracht werden. Und entsprechend verhält es sich in den anderen Beispielen. Hier wird deutlich, wie wichtig es wäre, den Sinn der erkenntnistheoretischen Analyse scharf zu formulieren. Eine solche Formulierung wird zunächst keinen Gewinn an Erkenntnismenge bringen, sondern nur an Erkenntnisreinheit; die Ergebnisse der längst ausgeübten erkenntnistheoretischen Analyse würden scharf faßbar. Wir werden aber später sehen, daß die erkenntnistheoretische Analyse, nachdem die schärfere Begriffsbestimmung gefunden ist, auch in weiterem Maße anwendbar wird: sie gelingt in manchen Fällen, in denen das frühere, vorwiegend intuitive Verfahren nicht durchgedrungen ist; das Verfahren hätte in diesen Fällen nicht notwendig versagen müssen, vielleicht fehlte es nur an dem Mut zum Durchgreifen. Wenden wir die erkenntnistheoretische Analyse in bewußtem, begrifflich bestimmtem Verfahren an, so gelingt die Zurückführung der Gegenstände (Erkenntnisinhalte, Begriffe) auf einan-
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der in so weitem Umfange, daß sich die Möglichkeit eines allgemeinen Zurückführungssystems (»Konstitutionssystems«) erweisen läßt: alle Begriffe aller Wissenschaftsgebiete sind (grundsätzlich) in dieses System einordenbar, d. h. aufeinander und schließlich auf wenige Grundbegriffe zurückführbar. (Der Beweis dieser These des Konstitutionssystems kann in dieser Abhandlung nur angedeutet werden, vgl. 6.) 2. Die logische Zerlegung a) Hinreichender und entbehrlicher Bestandteil Die erkenntnistheoretische Analyse ist eine Analyse von Erlebnisinhalten, genauer: eine Zerlegung des theoretischen Gehaltes von Erlebnissen. Es handelt sich dabei nur um den theoretischen Gehalt des Erlebnisses, um das, was in dem Erlebnis an Material möglichen Wissens steckt. (Die Zerlegung ist keine Realzerlegung; das Erlebnis selbst bleibt dabei, was es ist; es handelt sich nur um eine in nachträglicher Betrachtung vorzunehmende Zerlegung des vergangenen und daher in sich selbst nicht mehr veränderlichen Erlebnisses, um eine nur »abstraktive«, begriffliche Zerlegung.) Im Folgenden soll versucht werden, eine Methode zu umreißen, bei deren Anwendung sich gerade die Ergebnisse finden, die man als erkenntnistheoretische Sachverhalte anzusehen pflegt (so etwa die früher genannten Beispiele). Diese Zerlegungsmethode ist also das, was gemeint ist (gemeint sein sollte), wenn von »erkenntnistheoretischer Analyse« die Rede ist. Der erste Schritt des Verfahrens besteht in der »logischen Zerlegung« des theoretischen Gehaltes des Erlebnisses in zwei Bestandteile. Den einen nennen wir einen »(erkenntnistheoretisch) hinreichenden Bestandteil«; den Rest nennen wir den (in bezug auf jenen Bestandteil) »(erkenntnistheoretisch) entbehrlichen Bestandteil«. Betrachten wir ein Beispiel. Ich betaste einen bestimmten, schon oft gesehenen Schlüssel und erkenne ihn dadurch, auch ohne ihn zu sehen. Dabei erlebe ich
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aber nicht nur die Vorstellung der Tastgestalt des Schlüssels, sondern gleichzeitig (und nicht etwa erst nachträglich mit Hilfe einer Schlußfolgerung) die der Sehgestalt des Schlüssels, auch wenn ich etwa die Augen geschlossen habe. Wenn ich irgendein Erlebnis gehabt habe, so kann ich es »erkenntnismäßig auswerten«, indem ich dasjenige ausspreche, was das Erlebnis mir an Zuwachs meines (theoretischen) Wissens bringt. Zu diesem Zuwachs gehört nicht nur der theoretische Gehalt des Erlebnisses selbst, sondern auch das, was ich aus diesem Gehalt mit Hilfe meines früheren Wissens schließen kann. Die erkenntnismäßige Auswertung des erörterten Erlebnisses vom Schlüssel ergibt: »Dies Ding ist so und so geformt, dies Ding ist mein Hausschlüssel, dies Ding ist eisenfarben.« Das Erlebnis enthält die Vorstellung der Tastgestalt und die der Sehgestalt vereinigt; bei der Auswertung des Erlebnisses kann ich aber auf die Auswertung des zweiten Bestandteils, der Sehgestalt, verzichten; der erste Bestandteil genügt schon, um mich auf Grund meines früheren Wissens erkennen zu lassen, daß es ein Schlüssel, und zwar der mir bekannte, mein Hausschlüssel ist; daher bin ich imstande, seine Sehgestalt, Farbe usw. zu erschließen; diese brauche ich also bei der erkenntnismäßigen Auswertung nicht aus dem Erlebnis zu entnehmen. Wir wollen deshalb die Tastgestalt einen »hinreichenden Bestandteil« des Erlebnisses nennen, die Sehgestalt einen (in bezug auf die Tastgestalt) »entbehrlichen Bestandteil«. Entbehrlich ist dieser Bestandteil aber nur vom Gesichtspunkt der Erkenntnis, des Wissensgewinnes aus, und ebenso nur in diesem Sinne ist jener Bestandteil hinreichend. Dagegen ist für das Erlebnis selbst weder jener Bestandteil entbehrlich, noch dieser hinreichend; würden wir jenen Bestandteil aus dem Erlebnis streichen, so wäre es ein ganz anderes Erlebnis. Eine leichte Überlegung zeigt uns, daß diese logische Zerlegung häufig mehrdeutig ist, d. h. daß sie bei demselben Erlebnis in verschiedener Weise vorgenommen werden kann. So könnte man in unserem Beispiel auch auf die erkenntnismäßige Auswertung der Tastgestalt verzichten; die Auswertung
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der Sehgestalt würde hinreichen, um alles Wißbare aus dem Erlebnis herauszuholen. In diesem Falle wird besonders deutlich, daß der »entbehrliche« Bestandteil so nur heißen kann im erkenntnistheoretischen Sinne; denn da der Schlüssel nur getastet, nicht gesehen wurde, können wir hier nicht etwa im Erlebnis die Tastgestalt entbehren, ohne daß das Erlebnis selbst verschwände; wohl aber können wir auf die erkenntnismäßige Auswertung dieses Bestandteiles verzichten, ohne daß der Umfang unseres Wissens vermindert würde. b) Das Kriterium: die rationale Nachkonstruktion Wir müssen nun eine Methode aufstellen, nach der wir in einem vorgelegten Falle entscheiden können, ob ein gewisser Bestandteil eines Erlebnisses hinreichender Bestandteil ist, der Rest also in bezug auf ihn entbehrlich ist. Denn nicht immer ist der Sachverhalt so einfach wie in dem angeführten Beispiele, wo wir ohne Schwierigkeit erkennen, daß ein gewisser Bestandteil entbehrlich ist. Daß ein Erlebnisbestandteil b (z. B. die Sehgestalt des Schlüssels) entbehrlich ist in bezug auf den Bestandteil a (die Tastgestalt), besagt, daß b mir an Wissen nichts bringt, was nicht schon in a zusammen mit meinem früheren Wissen irgendwie enthalten wäre. Der theoretische Gehalt von b braucht dabei aber nur logisch in a und dem früheren Wissen enthalten zu sein; daß er auch ausdrücklich bewußt sei, ist nicht notwendig. Ist der theoretische Gehalt von b nun in a und dem früheren Wissen logisch enthalten, so muß er sich aus diesem durch Schließen herleiten lassen. In unserem Beispiel würde diese Herleitung so aussehen: aus der Tastgestalt (Bestandteil a) kann ich auf Grund früherer Tastwahrnehmungen schließen, daß der getastete Gegenstand mein Hausschlüssel ist. Dieser hat, wie ich aus früheren Sehwahrnehmungen weiß, eine bestimmte Sehgestalt: die und die Form und Farbe, die er nicht zu ändern pflegt. Daraus schließe ich, daß auch jetzt bei dem getasteten Gegenstand diese selbe Sehgestalt vorliegt (Bestandteil b). Die-
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ses Erschließen des Bestandteiles b aus dem Bestandteil a und früherem Wissen wollen wir als »rationale Nachkonstruktion« von b bezeichnen. Es ist deutlich, daß unsere Auffassung von der »rationalen Nachkonstruktion« nicht etwa besagt, im wirklichen Erlebnis werde der Bestandteil b aus a erschlossen. Es werden zweifellos beide Bestandteile in einer intuitiven Einheit einfach erlebt; von einem Schließen ist in einem solchen Erlebnis keine Spur zu bemerken. Auch die Redeweise vom »unbewußten Schließen« wollen wir lieber nicht anwenden. Aber wenn auch im Erlebnis selbst im Allgemeinen keine rationale Konstruktion vorliegt, so können wir doch nachträglich eine rationale Nachkonstruktion vornehmen, ein schließendes Verfahren zum Zweck der Untersuchung, ob eine bestimmte logische Abhängigkeit zwischen gewissen Bestandteilen des Erlebnisses vorliegt oder nicht. Um sich die Bedeutung der rationalen Nachkonstruktion eines entbehrlichen Erlebnisbestandteiles anschaulicher faßbar zu machen, mag man auch eine Fiktion verwenden: wir denken uns, das Erlebnis habe zunächst nur den einen Bestandteil, nämlich den hinreichenden, gehabt (im Beispiel: die Tastgestalt des Schlüssels), und wir versuchen dann, den zweiten Bestandteil (im Beispiel: die Sehgestalt) durch rationale Konstruktion hinzuzufügen; gelingt das, so ist er als entbehrlicher Bestandteil nachgewiesen. Es ist aber zu beachten, daß diese fiktionale Ausdrucksweise keineswegs notwendig ist; die genauere, eigentliche Ausdrucksweise ist die früher angegebene: Bei bloßer Auswertung des Bestandteiles a (und des früheren Wissens) ergibt die rationale Nachkonstruktion dasselbe, was bei Auswertung des Bestandteils b an Erkenntnis gewonnen worden wäre. c) Die Überbestimmtheit des Erlebnisgehaltes Die logische Beschaffenheit des theoretischen Gehaltes unserer Erlebnisse, die sich darin zeigt, daß gewisse Bestandteile in bezug auf andere entbehrlich sind, ist als Überbestimmung zu bezeichnen. In der Mathematik pflegen wir eine Aufgabe über-
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bestimmt zu nennen, wenn mehr Angaben gemacht sind, als zur Lösung der Aufgabe logisch erforderlich sind, so daß (mindestens) eine der Angaben in bezug auf die anderen entbehrlich ist, aus den anderen konstruktiv (durch Rechnung oder durch zeichnende Konstruktion) hergeleitet werden kann. In diesem Sinne ist unser Erleben (erkenntnismäßig) überbestimmt. Wir erleben mehr, als für die Gewinnung der gewinnbaren Erkenntnisse notwendig wäre. Denn das besagt ja dasselbe wie: Wir können gewisse Erlebnisbestandteile unausgewertet lassen (fiktionaler Ausdruck: diese Bestandteile könnten aus unserem Erleben verschwinden), ohne daß dadurch unser Wissen vermindert würde. Die Überbestimmtheit des erkenntnismäßigen Erlebnisgehaltes bringt ein Problem mit sich, auf das hier nur kurz hingewiesen sei. Bekanntlich ist eine überbestimmte Aufgabe im Allgemeinen, d. h. für beliebige Daten, unlösbar; lösbar ist sie nur, wenn die Daten nicht beliebig sind, sondern gewisse spezielle Bedingungen erfüllen, die man als Widerspruchsfreiheit der Daten bezeichnen kann. Erfüllen nun die Erlebnisgehalte besondere Bedingungen dieser Art oder ist etwa die Aufgabe der Erkenntnis unlösbar? Beides ist nicht der Fall; die Aufgabe ist hier in einem bestimmten Punkte anders beschaffen als eine mathematische Aufgabe. Die Erlebnisgehalte erfüllen keine besondere Bedingung der Widerspruchsfreiheit (der Umstand, daß sie die allgemeine Bedingung erfüllen, überhaupt irgendwie ordenbar zu sein, trifft nicht diesen Punkt); denken wir uns irgendein bestimmtes Erlebnis beliebig anders beschaffen, als es in Wirklichkeit ist, während die übrigen ungeändert bleiben, so wird in bezug auf den variierten Erlebnisverlauf die Aufgabe der Erkenntnis keineswegs unlösbar; unter Umständen wird sie ein wenig schwieriger, weil wir einigen Naturgesetzen eine andere Gestalt geben müßten. Im Gegensatz hierzu kann eine überbestimmte, aber lösbare mathematische Aufgabe nicht lösbar bleiben, wenn man gestattet, ein beliebiges Datum beliebig zu ändern. Dieses verschiedene Verhalten der Erkenntnisaufgabe und der mathematischen Aufgabe beruht auf dem
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wesentlichen Unterschied, daß bei der mathematischen Aufgabe die Gesetze, nach denen die Lösung aus den Daten zu bestimmen ist, schon vor der Stellung der Aufgabe allgemein festliegen; bei der Erkenntnisaufgabe dagegen ergeben sich diese Gesetze (nämlich die Gesetzmäßigkeiten, die zwischen den wirklichen Gegenständen bestehen, also die Naturgesetze im weitesten Sinne) erst aus den Daten, dem Erkenntnismaterial selbst. Daher kommt es, daß bei einer Variation des Materials an einer bestimmten Stelle auch die abgeleiteten Gesetze eine entsprechende Änderung erleiden, und zwar gerade derart, daß das geänderte Material, gemessen an den geänderten Gesetzen, keinen Widerspruch aufweist. beispiel. Eine Erlebnisreihe habe den Gehalt: ein brauner, anscheinend kupferner Stab wird in eine Flamme gebracht und zeigt dann an einem Hebelapparat einen positiven Ausschlag, der als Verlängerung zu deuten ist. Wir denken uns diesen Gehalt so variiert, daß ein negativer Ausschlag erfolgt, während alle übrigen Bestandteile sowie auch alle übrigen Erlebnisse ungeändert bleiben. Dann bin ich gezwungen, irgendetwas sonst Geglaubtes für ungültig zu erklären. Dabei habe ich aber eine vielfache Wahlfreiheit. Z. B. setze ich jetzt an, der Stab sei nicht aus Kupfer, oder: Kupfer dehne sich bei Erwärmung nicht aus, das Gelbe sei keine Flamme (Verbrennungsprozeß) gewesen, oder: eine Flamme erwärme nicht, oder: negativer Ausschlag des Apparates gebe nicht Verkürzung an, oder: ich habe halluziniert; in diesem letzten Falle habe ich wiederum viele verschiedene Möglichkeiten, die Kriterien, aus denen heraus ich glaubte, eine Wachwahrnehmung gehabt zu haben, ungültig zu setzen. Es würde dann diejenige Ansetzung gewählt werden, die am Gesamtsystem der Naturgesetze die kleinste Änderung bedingen würde. Da alle Naturgesetze induktiv, d. h. durch Vergleichung von Erlebnisgehalten, gewonnen sind, so kann eine Variation des Materials an einer bestimmten Stelle wohl den Inhalt der Gesetze und damit der erkannten Wirklichkeit ändern, nicht aber die Erkennbarkeit von Gesetzen überhaupt und damit auch der
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Wirklichkeit unmöglich machen. Im strengen Sinne kann nicht ein Erlebnisgehalt zu den anderen in Widerspruch treten; sie sind in logisch strengem Sinne unabhängig voneinander; Überbestimmtheit des Gesamtinhaltes der Erlebnisse besteht nicht in strengem Sinne, sondern nur im Sinne der empirisch-induktiven Gesetzmäßigkeit. 3. Die erkenntnistheoretische Zerlegung a) Kern und Nebenteil Von der logischen Zerlegung des erkenntnismäßigen Gehaltes eines Erlebnisses (in einen hinreichenden Bestandteil und einen in bezug auf jenen entbehrlichen Bestandteil) unterscheiden wir die erkenntnistheoretische Zerlegung in »Kern« und »Nebenteil«. Diese Zerlegung ist ein Sonderfall von jener: sollen die Bestandteile a und b »(erkenntnistheoretischer) Kern« und »Nebenteil« heißen, so muß zunächst b entbehrlicher Bestandteil in bezug auf a sein. Ferner aber – und darum sprechen wir hier von »erkenntnistheoretischer« Zerlegung – muß b erkenntnismäßig auf a »zurückgehen«, die Erkenntnis von b muß auf der von a »beruhen«, a muß in bezug auf b »erkenntnismäßig primär« sein. Die genannten Ausdrücke lassen ungefähr erkennen, was hier gemeint ist; schärfer gefaßt wird der Begriff der erkenntnistheoretischen Zerlegung erst durch die Angabe von bestimmten Kriterien. Bevor wir diese erörtern, betrachten wir noch einmal das frühere Beispiel. Das Erlebnis, bei dem der Schlüssel nur getastet, nicht gesehen wird, in dem aber die Sehgestalt des Schlüssels doch als Vorstellung enthalten ist, bezeichnen wir mit S; die Bestandteile mit a (Tastgestalt) und b (Sehgestalt); ist das Erlebnis aber so beschaffen, daß der Schlüssel zugleich getastet und auch wirklich gesehen wird, so bezeichnen wir es mit S’, und die beiden Bestandteile entsprechend mit a’ und b’. Nach unseren Überlegungen ist leicht ersichtlich (und kann durch die Methode der rationalen Nachkonstruktion nachgewiesen werden), daß sowohl b ent-
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behrlicher Bestandteil in bezug auf a ist, als auch umgekehrt a in bezug auf b; und ebenso b’ in bezug auf a’, und a’ in bezug auf b’. Die logische Abhängigkeit ist also in beiden Fällen vorhanden, und in jedem der Fälle in beiden Richtungen. Ganz anders steht es nun mit der erkenntnismäßigen Abhängigkeit: sie ist nur im ersten Fall vorhanden, und auch hier nur in der einen Richtung. Denn im Erlebnis S beruht zwar unser Wissen von b (Sehgestalt) auf dem von a (Tastgestalt), nicht aber umgekehrt; und im Erlebnis S’ sind beide Bestandteile erkenntnismäßig selbständig, das Wissen keines von beiden stützt sich nur auf das Wissen vom anderen. b) Erstes Kriterium: die Rechtfertigung Um das Kriterium für die erkenntnistheoretische Zerlegung zu finden, brauchen wir nur ausdrücklich den Gesichtspunkt herauszustellen, nach dem wir soeben in dem einfachen Beispiel die Entscheidung getroffen haben, daß das erkenntnistheoretische Verhältnis Kern-Nebenteil im Erlebnis S zwischen a und b vorliegt, aber nicht zwischen b und a, und im Erlebnis S’ überhaupt nicht zwischen den Bestandteilen. Wir fragten uns da: »Worauf geht unser Wissen von b zurück?« und das heißt genauer: »Womit kann ich, wenn ich das Erlebnis S gehabt habe, meine (vorgebliche) Erkenntnis von dem Gehalt b begründen, gegen Zweifel rechtfertigen?«. Die Zweifel brauchen nicht wirklich von mir selbst oder anderen erhoben worden zu sein; es genügt der»methodische Zweifel«, dessen Sinn nicht ein Nichtglauben ist, sondern eine Aufforderung zur Rechtfertigung. In der Möglichkeit der Rechtfertigung eines (wirklich oder methodisch) angezweifelten Wissens durch ein anderes (als gültig zugegebenes oder hypothetisch vorausgesetztes) Wissen liegt das Kriterium für das erkenntnistheoretische Verhältnis Nebenteil-Kern. Um in konkreten Fällen die erkenntnistheoretische Zerlegung vorzunehmen, also die Frage zu beantworten, ob zwei bestimmte Erlebnisbestandteile a und b Kern und Nebenteil
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des Erlebnisses sind, werden wir uns im Allgemeinen an die Fachwissenschaft des betreffenden Gebietes wenden und nachschauen, ob nach den dort üblichen Methoden eine Behauptung, deren Inhalt von der Art des Gehaltes b ist, stets dann als nachgewiesen gilt, wenn sie zu ihrer Rechtfertigung auf eine Erkenntnis von der Art des Gehaltes a hinzuweisen vermag. Wenn die Erkenntnistheorie ihre Entscheidung derart von dem in der Einzelwissenschaft üblichen Verfahren abhängig macht, also dieses Verfahren als erkenntnistheoretisch einwandfrei voraussetzt, andererseits aber später von einem allmählich so aufgebauten erkenntnistheoretischen System aus die Verfahren der Einzelwissenschaften kritisch betrachtet, so macht sie sich dadurch nicht eines Zirkels schuldig. Denn ein solches Vorgehen entspricht gerade wesentlich dem Charakter der Wissenschaft, deren System sich nicht in eindeutigen Schritten von gegebenem Material aus ergibt; es ist vielmehr so, daß die methodischen Prinzipien zunächst in der Bearbeitung des Erkenntnismaterials praktisch angewendet und erst später auch bewußt gemacht und ausdrücklich herausgestellt werden; durch diese Herausstellung ist es möglich, die Prinzipien zu vereinheitlichen, um dann mit den vereinheitlichten Prinzipien wieder von Neuem an die Bearbeitung des Materials heranzugehen. So bildet sich erst im Wechselspiel der einzelwissenschaftlichen und der erkenntnistheoretischen Behandlung das Gesamtsystem der einen Wissenschaft heraus. Bei dem genannten Zurückgreifen auf die fachwissenschaftliche Methode zum Zwecke der Entscheidung einer konkreten erkenntnistheoretischen Frage handelt es sich aber nicht etwa um die Voraussetzung der betreffenden Einzelwissenschaft als eines gültigen Erkenntnissystems (wie in Kants transzendentaler Methode). Denn es geht hier nicht um die Frage, ob die (vorgeblichen) Erkenntnisse in dem betreffenden Wissenschaftsgebiet als gültig anzuerkennen sind oder nicht, sondern um die Frage, ob zwischen bestimmten Gegenständen des Gebietes die erkenntnistheoretische Abhängigkeitsbeziehung (Kern-Nebenteil) besteht oder nicht.
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c) Zweites Kriterium: die Täuschungsmöglichkeit In vielen Fällen wird das Bestehen der Beziehung Kern-Nebenteil zwischen zwei Erlebnisbestandteilen a, b dadurch besonders deutlich, daß der Bestandteil b auf »Täuschung« beruht, d. h., daß sich nachträglich herausstellt, daß der theoretische Gehalt von b irrig ist, also der in b sich darstellende Sachverhalt in Wirklichkeit nicht besteht. Es ist nicht erforderlich, daß in dem vorgelegten, zu prüfenden Erlebnis wirklich eine Täuschung vorliegt; für die erkenntnistheoretische Zerlegung genügt es uns, auf Grund anderer Erfahrungen zu wissen, daß bei Erlebnissen von der Art des zu prüfenden eine Täuschung vorkommen kann. Betrachten wir wieder unsere Beispiele: das Betasten des Schlüssels mit begleitender Gesichtsvorstellung (S) und das gleichzeitige Sehen und Tasten des Schlüssels (S’). Wir nehmen jetzt folgenden Fall an: Ich betaste den Schlüssel und glaube ihn dadurch als meinen Schlüssel zu erkennen und stelle ihn mir eisenfarben vor; nachträglich zeigt sich aber, daß der getastete Gegenstand messingfarben ist. Auch wenn dieser Fall nicht wirklich eintritt, so weiß ich auf Grund anderer Erfahrungen, daß er in einem Fall von der Art S eintreten kann; dadurch erweist sich in S der Bestandteil b (Sehgestalt) als Nebenteil von a (Tastgestalt). In einem Erlebnis von der Art S’ kann dagegen eine Täuschung dieser Art nicht vorkommen; zwischen b’ und a’ besteht also nicht die Beziehung Nebenteil-Kern. Dabei kommt für unsere Frage nicht in Betracht, worin der Unterschied zwischen S und S’ sich erlebnismäßig zeigt. Man mag annehmen, daß dieser Unterschied darauf beruht, daß schon rein phänomenal zwischen einer aktuellen Wahrnehmung und einer bloßen Vorstellung ein qualitativer, erlebnismäßiger Unterschied bestehe; oder man nimmt an, daß man imstande ist, auf Grund der übrigen Erlebnisinhalte (nämlich insofern sie die physikalische Situation zwischen dem Gegenstand und dem betreffenden Sinnesorgan erkennen lassen) zu entscheiden, ob eine aktuelle Wahrnehmung vorliegt oder nicht. Für die erkenntnistheoretische Zerlegung genügt der Umstand, daß
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die Frage, ob ein bestimmter Bestandteil als aktuelle Wahrnehmung oder als bloße Vorstellung aufzufassen ist, sich entscheiden läßt; im Beispiel: die Frage, ob ein Erlebnis von der Art S oder ein Erlebnis von der Art S’ vorliegt.
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B. Anwendung: Die Erkenntnis von Fremdpsychischem 4. Logische Zerlegung der Erkennung von Fremdpsychischem Die dargelegten Verhältnisse, die logische Beziehung zwischen hinreichendem und entbehrlichem Bestandteil und die erkenntnistheoretische Beziehung zwischen Kern und Nebenteil, sind – besonders im Falle des zugrunde gelegten Beispiels – sehr einfach und können fast als trivial erscheinen. Die angegebenen Begriffsbildungen sind aber auch auf Fälle anwendbar, an die sich widerstreitende philosophische Thesen und Antithesen geknüpft haben, z. B. auf das Problem der Erkenntnis von Fremdpsychischem. Die Einsicht, daß Eigenpsychisches und Fremdpsychisches eine erkenntnistheoretisch durchaus verschiedene Stellung einnehmen, setzt sich immer mehr durch; dieser Sachverhalt kann gegenwärtig nur noch von gewissen metaphysischen Standpunkten aus bestritten werden. Der erkenntnistheoretische Unterschied zwischen Fremdpsychischem und Eigenpsychischem wird durch die jetzt vorzunehmende Untersuchung des erkenntnistheoretischen Verhältnisses zwischen Fremdpsychischem und Physischem besonders deutlich werden. Die folgenden Überlegungen sollen den Nachweis für die These führen: der erkenntnistheoretische Kern jeder konkreten Erkenntnis von Fremdpsychischem besteht aus Wahrnehmungen von Physischem; oder: das Fremdpsychische tritt nur als (erkenntnistheoretischer) Nebenteil von Physischem auf. Zum Zwecke dieses Nachweises ist zunächst eine logische Zerlegung, dann die erkenntnistheoretische Zerlegung vorzunehmen.
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Wenn ich ein Wissen um ein konkretes Fremdpsychisches habe, d. h. um bestimmte Bewußtseinsvorgänge (oder auch Unbewußtes) eines anderen Subjektes A, so kann ich dieses Wissen auf verschiedene Weise erworben haben. Erstens erfahre ich Fremdpsychisches, wenn A mir seine Bewußtseinsvorgänge mitteilt (mein Erlebnis dabei heiße E 1); ferner aber auch ohne Mitteilung, wenn ich Ausdrucksbewegungen (Mienen, Gesten) oder Handlungen des A wahrnehme (E 2). Zuweilen kann ich auch (vermutungsweise) ein Wissen um die Bewußtseinsvorgänge des A haben, wenn ich seinen Charakter kenne und außerdem weiß, unter welche äußeren Bedingungen er jetzt geraten ist (E 3). Einen anderen Weg zur Erkennung von Fremdpsychischem gibt es nicht. (Von der Telepathie sei hier abgesehen, da sie zumindest im wissenschaftlichen Verfahren nicht als Erkenntnismittel für Fremdpsychisches angewendet wird.) In jedem der Fälle E 1, E 2, E 3 ist die Erkennung von Fremdpsychischem verknüpft mit der Wahrnehmung von Physischem. Wir wollen nun zunächst eine logische Zerlegung vornehmen und zeigen, daß in allen Fällen die Wahrnehmungen von Physischem (Bestandteil a 1 bzw. a 2 bzw. a 3) hinreichende Bestandteile sind, also die Vorstellungen von Fremdpsychischem (Bestandteil b 1 bzw. b 2 bzw. b 3) nur als entbehrliche Bestandteile (im Sinne unserer früheren Begriffsbestimmung) vorkommen. Auf Grund unserer früheren Überlegungen stellen wir das Vorliegen der Beziehung »hinreichender-entbehrlicher Bestandteil« zwischen b und a fest durch die Möglichkeit der rationalen Nachkonstruktion von b auf Grund von a und früher Gewußtem. Im Falle E 1 ist die rationale Nachkonstruktion von b 1 möglich, und zwar in folgender Weise. Wir nehmen zur erkenntnismäßigen Auswertung aus dem Erlebnis der verstandenen Mitteilung des A nur die Wahrnehmung der physischen Zeichen (a 1) heraus, also etwa das Hören der gesprochenen Worte (als Geräusche) oder das Sehen der geschriebenen Worte (als Strichfiguren), nicht aber das im Erlebnis selbst außerdem noch vorliegende Verstehen dieser Zeichen (b 1); aus diesem Material a1 erschließen wir dann unter Mitbenutzung von frü-
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her schon Gewußtem den theoretischen Gehalt von b 1. Diese Nachkonstruktion hat allerdings zur Voraussetzung, daß uns die vorkommenden Worte schon bekannt sind oder sich wenigstens aus dem Zusammenhang erraten (d. h. vermutungsweise erschließen) lassen. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, so liegt gar kein Erlebnis von der Art E 1 vor, der Bestandteil b 1 tritt gar nicht auf: Bekomme ich einen chinesischen Brief, so sehe ich nur schwarze Striche, ohne etwas Fremdpsychisches zu erfahren. Ist die Voraussetzung aber erfüllt, so kann ich aus den wahrgenommenen Worten (den gehörten Geräuschen oder den gesehenen Figuren) mit Hilfe der mir bekannten Wortbedeutungen die Bedeutung der Aussage erschließen; und das ist der Gehalt von b 1, das in E 1 zur Erkennung kommende Fremdpsychische. Im Falle E 2 (Wahrnehmung von Handlungen und Ausdrucksbewegungen des A) liegt die Sache ähnlich. (Das beruht darauf, das E 1 genau genommen ein Sonderfall von E 2 ist.) Sehe ich etwa das freudestrahlende Gesicht des A (a 2), so ist die Vorstellung von der Freude des A (b 2) gleichzeitig in meinem Erlebnis mitenthalten, ohne daß ich etwa erst eine Schlußfolgerung vollziehen müßte. Aber ich brauche für mein Wissen den Bestandteil b 2 meines Erlebnisses nicht mit auszuwerten, da ich ihn aus a 2 erschließen kann auf Grund meiner früheren Erfahrung über die Bedeutung der Gesichtsausdrücke. einwand (»Baby-Einwand«). Es wird zuweilen angenommen, daß ein kleines Kind auf die heiteren oder finsteren Gesichtszüge seiner Mutter sinngemäß reagiere, bevor es noch Erfahrungen über die Bedeutung dieser Ausdrucksbewegungen habe sammeln können. Wir dürfen die Frage nach der Richtigkeit dieser Annahme, die von der Kinderpsychologie noch nicht endgültig beantwortet ist, ruhig dahingestellt sein lassen. Denn selbst, wenn ein derartiges Erlebnis der Erkennung von Fremdpsychischem ohne entsprechende vorhergehende Erfahrungen bei einem Erwachsenen vorkäme, der seine Erlebnisse sprachlich auszuwerten imstande ist, so würde dadurch unser erkenntnistheoretisches Ergebnis nicht berührt. Das Erlebnis
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könnte etwa so beschaffen sein, daß es die Sehwahrnehmung von der gefurchten Stirn des A enthält und zugleich die Furcht vor einem Zornausbruch des A. Die erkenntnismäßige Auswertung darf aber dann nicht so lauten: »A hat eine gefurchte Stirn; A ist wütend« (oder in physischer Sprache: »A wird sogleich in der und der Weise wahrnehmbar reagieren«). Denn der zweite Satz kann als Wissen nicht schon dann ausgesprochen werden, wenn die bloße Vorstellung vom Zorn des A im Erlebnis auftritt; sondern nur dann, wenn Erfahrungen vorausgegangen wären, auf Grund deren der Erlebende wüßte, daß bei der und der Gestalt der Stirn eines Menschen meist ein zorniges Verhalten zu erwarten ist. Der Fall liegt hier gar nicht anders als bei der Erkenntnis von Physischem allein. Nehmen wir einmal an, es käme der Fall vor, daß ein Mensch, der die Wärme einer Flamme weder erfahren, noch theoretisch gelernt hat, zum ersten Mal in seinem Leben eine Flamme sieht (ohne die Wärme wahrnehmen zu können) und dabei doch zugleich schon die Vorstellung bekommt, sie sei heiß. Auch eine solche (nativistische) Annahme würde unserer erkenntnistheoretischen (empiristischen) Auffassung nicht widersprechen, daß man ein Wissen von der Wärme der Flamme nur durch Erfahrung gewinnen kann. Denn um den Inhalt der Vorstellung, die Flamme sei heiß, nicht nur als Vorstellungsinhalt, sondern als Wissen zu haben, muß man Wahrnehmungen (oder mindestens eine) gehabt haben, aus denen sich durch Induktion erschließen läßt, daß ein so und so aussehendes Ding sich heiß anzufühlen pflegt. Dem dritten Fall E 3 (Vermutung aus dem bekannten Charakter und den wahrgenommenen oder sonstwie gewußten jetzigen äußeren Umständen des A) kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Denn hier wird meist dem Erlebenden selbst schon klar sein, daß es sich nicht um eine ursprüngliche Erkennung handelt, sondern um einen Schluß oder ein schlußähnliches intuitives Verfahren; hierbei wird ja die Kenntnis vom Charakter des A vorausgesetzt. Aber auch hier kann (unter Benutzung dieser Vorkenntnis) aus den bekannten physischen
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Umständen (a 3) der psychische Vorgang in A (b 3) nachkonstruierend erschlossen werden; zuweilen ist er auch schon im Erlebnis selbst nicht unmittelbar gegeben, sondern konstruierend erschlossen. Es sei nochmals betont, daß die angewandte Methode der rationalen Nachkonstruktion keineswegs die Meinung in sich schließt, daß im wirklichen Erlebnis b (das Fremdpsychische) aus a (dem wahrgenommenen Physischen) erschlossen werde. Es wird nur behauptet, daß zwischen den theoretischen Gehalten der Erlebnisbestandteile b und a eine logische Abhängigkeit besteht, die dadurch nachgewiesen werden kann, daß nachträglich b aus a und dem früher Gewußten durch Schlüsse hergeleitet werden kann.
5. Erkenntnistheoretische Zerlegung der Erkennung von Fremdpsychischem Durch die logische Zerlegung der Erlebnisse, in denen Fremdpsychisches erkannt wird, ist festgestellt, daß in allen möglichen Fällen (E 1, E 2, E 3) jeweils der Bestandteil a (die Wahrnehmung von Physischem) erkenntnistheoretisch hinreichend, der Bestandteil b (die Vorstellung von dem erkannten Fremdpsychischen) in bezug auf jenen entbehrlich ist. Wir wollen nun die erkenntnistheoretische Zerlegung dieser Erlebnisse vornehmen, die zum Ergebnis haben wird, daß jeweils der Bestandteil a erkenntnistheoretischer Kern, der Bestandteil b Nebenteil ist. Um dies zu zeigen, müssen wir außer jener logischen Abhängigkeit des b von a noch die erkenntnistheoretische Abhängigkeit nachweisen. Hierfür haben wir früher zwei verschiedene Kriterien aufgestellt: die Rechtfertigung des b aus a, und die Möglichkeit der Vortäuschung eines b auf Grund von a. Diese beiden Kriterien wollen wir nun nacheinander auf die Erkennung von Fremdpsychischem anwenden. Die erste Methode besteht in der Feststellung, daß im wissenschaftlichen Verfahren für die Begründung oder Rechtfer-
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tigung einer Erkenntnis von der Art b stets ein Hinweis auf entsprechende Erlebnisbestandteile von der Art a als notwendig verlangt und als genügend anerkannt wird. Hierbei ist vorausgesetzt, daß das Verfahren der betreffenden Einzelwissenschaft, auf das zurückgegriffen wird, als erkenntnistheoretisch einwandfrei angesehen werden kann. In unserem Falle, wo wir auf gewisse, allgemeinste Erkenntnisweisen der Psychologie zurückgreifen, dürfen wir diese Voraussetzung als erfüllt unterstellen, da von den verschiedenen erkenntnistheoretischen Richtungen aus (auch von solchen, die mit unserer These nicht übereinstimmen) gegen diese Erkenntnisweisen kein Einspruch erhoben wird. Wenn ein Psychologe die Behauptung, daß die Versuchsperson A die und die Bewußtseinsvorgänge gehabt habe, begründen oder gegen Zweifel rechtfertigen soll, so wird man sich nicht damit zufrieden geben, daß er angibt, er habe es einfach erlebt, er habe es deutlich gespürt. Man wird vielmehr Rechenschaft darüber fordern, auf welche der drei Arten E1, E 2 oder E 3 die Erkenntnis gewonnen worden sei. Freilich braucht der Psychologe im Falle E 1 nicht mehr imstande zu sein, die einzelnen gehörten oder gelesenen Worte anzugeben; kann er dies, so ist das jedenfalls die sicherste Rechtfertigung und wird als hinreichend angesehen; zumindest aber muß er berichten können, daß er Worte gehört oder gelesen hat, die so beschaffen waren, daß daraus auf den von ihm behaupteten Bewußtseinsvorgang des A geschlossen werden kann. Ebenso besteht im Falle E 2 die sicherste und als genügend betrachtete Rechtfertigung in der Angabe der beobachteten Ausdrucksbewegungen oder sonstigen Handlungen; und es gilt als unerläßlich für die Rechtfertigung, daß berichtet werden kann, es seien Handlungen des A von solcher Beschaffenheit wahrgenommen worden, daß aus ihnen der behauptete Bewußtseinsvorgang des A zu erschließen sei. Und schließlich geschieht im Falle E 3 die Rechtfertigung durch Anführung der wahrgenommenen äußeren Umstände des A und seines von früher her bekannten Charakters; (die Prüfung und Rechtfertigung der (vorgeblichen) Kenntnis des
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Charakters von A gehört nicht hierher; sie geht zurück auf frühere Erkennungserlebnisse des Psychologen, die ihrerseits von der Art E 1 oder E 2 sind). Das zweite Kriterium für die Kern-Nebenteil-Beziehung zwischen a und b ist erfüllt, wenn wir auf Grund anderer Erfahrungen über Erlebnisse von der Art des zu prüfenden Erlebnisses wissen, daß b auf Täuschung beruhen kann. Wir sagen »b beruht auf Täuschung«, wenn sich nachträglich herausstellt, daß zwar der erkenntnismäßige Gehalt von a in Wirklichkeit vorliegt, nicht aber der von b. Dieses Kriterium ist nun für die Erlebnisse der Erkennung von Fremdpsychischem erfüllt. Haben wir ein Erlebnis von der Art E 1 , so können wir uns klar machen, daß die Mitteilung des A Lüge oder Irrtum sein kann. Die Möglichkeit hierzu liegt jedenfalls immer vor, so unwahrscheinlich sie auch im besonderen Falle sein mag. Diese Möglichkeit würde besagen: der erkenntnismäßige Gehalt des Bestandteiles a, (unser Wissen um die gehörten oder gelesenen Worte) entspricht der Wirklichkeit, nicht aber der Gehalt von b 1(unser vermeintliches Wissen um den mitgeteilten Bewußtseinsvorgang des A). Bei einem Erlebnis von der Art E 2 liegt die Möglichkeit einer Verstellung (etwa zum Zwecke absichtlicher Täuschung oder im Schauspiel) vor. Hier ist es ebenso wie vorher: a 2 entspricht der Wirklichkeit, b 2 nicht; die wahrgenommenen Mienen und Handlungen sind wirklich, die (vermeintlich) erkannten Bewußtseinsvorgänge dagegen nicht. Im Falle E 3 bedarf es keiner besonderen Überlegung, da wir uns hier von vornherein bewußt sind, die Erkenntnis des Bewußtseinsvorganges des A trotz richtig wahrgenommener äußerer Umstände nur vermutungsweise zu haben, d. h. mit der Möglichkeit des Irrtums. Damit ist unsere These nachgewiesen, daß in allen Fällen, in denen Erkenntnis von Fremdpsychischem gewonnen wird, zum erkenntnistheoretischen Kern des Erkennungserlebnisses nur Wahrnehmungen von Physischem gehören.
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6. Ergebnis. Ausblick auf den Stammbaum der Begriffe Unsere Überlegungen haben zu dem Ergebnis geführt, daß jede Erkenntnis von Fremdpsychischem auf Erkenntnis von Physischem zurückgeht; was besagen soll: Jede Erkenntnis von Fremdpsychischem hat als erkenntnistheoretischen Kern Wahrnehmungen von Physischem. Diesen Sachverhalt drükken wir auch so aus: Die fremdpsychischen Gegenstände sind »erkenntnistheoretisch sekundär« gegenüber den physischen, diese »primär« gegenüber jenen. (»Gegenstände« hier im weitesten Sinne verstanden: Gebilde, Vorgänge, Zustände, Eigenschaften usw.) Auf die philosophischen Folgerungen aus diesem Ergebnis kann hier nicht eingegangen werden. Es sei aber noch kurz ein Blick auf die entsprechenden Beziehungen zwischen den anderen Gegenstandsarten geworfen. Eine ähnliche Überlegung wie die oben durchgeführte würde zeigen, daß die geistigen Gegenstände (im Sinne der Kulturgebilde und -vorgänge) erkenntnistheoretisch sekundär gegenüber den fremdpsychischen und physischen sind. Dieser Nachweis würde sogar noch leichter zu führen sein, da ihm keine oder geringere gefühlsmäßige Vorurteile entgegenstehen. Es braucht ja nur gezeigt zu werden, daß die Erkennung geistiger Vorgänge (z. B. einer Religion) sich knüpft an die Erkennung der psychischen Vorgänge (»Manifestationen«) in den Trägern jenes geistigen Vorganges und an die Erkennung seiner physischen »Dokumentationen«. Ferner läßt sich zeigen, daß die physischen Gegenstände erkenntnistheoretisch sekundär sind gegenüber den eigenpsychischen, da die Erkennung physischer Gegenstände an Wahrnehmungen gebunden ist. Wenn man die Untersuchungen, deren Ergebnisse hiermit angedeutet sind, durchführt (das ist die Aufgabe einer Konstitutionstheorie), so wird man zu folgendem erkenntnistheoretischen Schichtensystem der vier wichtigsten Gegenstandsarten geführt (von unten nach oben zu lesen):
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4. Geistige Gegenstände 3. Fremdpsychische Gegenstände 2. Physische Gegenstände 1. Eigenpsychische Gegenstände Auch die Gegenstände innerhalb einer jeden dieser Schichten lassen sich wiederum in bezug auf ihre erkenntnistheoretische Zurückführbarkeit anordnen. Schließlich ergibt sich so ein System der Wissenschaftsgegenstände oder Begriffe, das auf der Basis einiger, weniger »Grundbegriffe« in stufenmäßigem Aufbau zu den übrigen Begriffen führt. In diesem System hat jeder Begriff, der Gegenstand einer wissenschaftlichen Aussage sein kann, grundsätzlich seinen bestimmten Ort. Dabei bedeutet die Anordnung der Begriffe in diesem System zweierlei. Zunächst ist jeder Begriff erkenntnistheoretisch sekundär gegenüber den unter ihm stehenden Begriffen (wie es für die vier Hauptschichten schon angedeutet worden ist). Ferner aber kann jeder Begriff definiert, d. h. eindeutig gekennzeichnet werden durch bloße Bezugnahme auf unter ihm stehende Begriffe. Das System ist also zugleich ein Ableitungssystem, ein »Stammbaum der Begriffe«. Darauf kann hier nicht näher eingegangen werden.1
1 Die logischen und erkenntnistheoretischen Untersuchungen (»Konstitutionstheorie«), die zu einem derartigen Stammbaum der Begriffe (»Konstitutionssystem«) führen, sind ausführlich dargestellt in: Carnap, Der logische Aufbau der Welt. Versuch einer Konstitutionstheorie der Begriffe, Berlin 1928.
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II. Reinigung der Erkenntnistheorie von Scheinproblemen A. Das Kriterium des Sinnes
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7. Sachhaltigkeit als Kriterium der sinnvollen Aussagen
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Der Sinn einer Aussage besteht darin, daß sie einen (denkbaren, nicht notwendig auch bestehenden) Sachverhalt zum Ausdruck bringt. Bringt eine (vermeintliche) Aussage keinen (denkbaren) Sachverhalt zum Ausdruck, so hat sie keinen Sinn, ist nur scheinbar eine Aussage. Bringt eine Aussage einen Sachverhalt zum Ausdruck, so ist sie jedenfalls sinnvoll; und zwar ist sie wahr, wenn dieser Sachverhalt besteht, falsch, wenn er nicht besteht. Man kann von einer Aussage schon wissen, ob sie sinnvoll ist, noch bevor man weiß, ob sie wahr oder falsch ist. Enthält eine Aussage nur Begriffe, die schon bekannt und anerkannt sind, so ergibt sich aus diesen ihr Sinn. Enthält dagegen eine Aussage einen neuen Begriff oder einen solchen, dessen Legitimität (wissenschaftliche Verwendbarkeit) in Frage gestellt wird, so muß angegeben werden, welchen Sinn sie hat. Dazu ist notwendig und hinreichend, daß angegeben wird, in welchen Fällen von (zunächst nur gedachter) Erfahrung sie wahr heißen soll (nicht: »wahr ist«), und in welchen Fällen sie falsch heißen soll. Die geforderte Angabe ist erstens hinreichend; es braucht nicht etwa so etwas wie der »Sinn des Begriffes« angegeben zu werden. beispiel. Der Begriff »Jupiter« kann dadurch eingeführt werden, daß festgesetzt wird: die Aussage »Jupiter brummt zur Zeit t am Ort p« soll wahr heißen, wenn zur Zeit t am Ort p ein Donner feststellbar ist, andernfalls soll sie falsch heißen. Durch diese Festsetzung hat, ohne daß etwas über den Sinn des Begriffes »Jupiter« gesagt worden ist, die Aussage einen Sinn bekommen; denn wenn ich jetzt zu jemandem die Aussage mache: »Jupiter wird um 12 Uhr hier brummen«, so weiß er, was er zu erwarten hat; er kann, wenn er sich in die geeignete Situation
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(an den bestimmten Ort) begibt, eine Erfahrung machen, durch die meine Aussage bestätigt oder widerlegt wird. Die geforderte Angabe ist aber auch notwendig. Denn wenn man es für zulässig ansehen wollte, in der Wissenschaft eine Aussage zu machen, deren Gültigkeit nicht in bestimmter Weise durch Erfahrungen bestätigt oder widerlegt werden kann, so würde man das Eindringen auch ganz offenkundig sinnloser (Schein-)Aussagen nicht verhindern können. beispiel. Betrachten wir die folgende Reihe von schrittweise schlimmer werdenden Zeichenkomplexen. Soll hierin (1) als sinnvoll (wenn auch vielleicht falsch) hingestellt werden, so dürfte es schwierig sein, ohne Willkür ein Kriterium aufzustellen, durch das irgendwo in der Reihe eine Grenze zwischen Sinnvollem und Sinnlosem gezogen würde. 1. »In dieser Wolke sitzt Jupiter (er drückt sich aber weder in der Gestalt der Wolke aus, noch ist seine Anwesenheit in irgendeiner anderen Weise durch Wahrnehmungen erkennbar) »; 2. »Dieser Stein ist traurig«; 3.»Dieses Dreieck ist tugendhaft«; 4. »Berlin Pferd blau«; 5. »und oder dessen«; 6. »bu ba bi«; 7. » – ) ] ∇ – – – «. Man wird zugeben, daß (6) ebenso sinnlos ist wie (7). Denn (6) besteht zwar aus solchen Zeichen (nämlich Buchstaben), die sonst auch in sinnvollen Sätzen vorkommen; aber die Art ihrer Zusammenstellung macht hier doch den ganzen Satz sinnlos. Das Verhältnis zwischen (4) und (6) ist im Grunde nicht anders; (4) ist ebenso sinnlos wie (6), obwohl es aus größeren Zeichenkomplexen zusammengesetzt ist, die sonst auch in sinnvollen Sätzen vorkommen. Das wird man auch noch leicht zugeben. Und nun müssen wir uns klar machen, daß auch (3) und dann auch (2) ebenso sinnlos sind wie (4); (2) und (3) bestehen zwar aus Worten, die (im Unterschied zu (4)) so zusammengestellt sind, wie es ihr grammatischer Charakter verlangt; nicht aber, wie es ihre Bedeutung verlangt. Wenn man auf den ersten Blick glaubt, zwischen (3) und (4) bestehe ein wesentlicher Unterschied, so wird dieser Irrtum verursacht durch eine Mangelhaftigkeit unserer gewöhnlichen Sprachen, die darin besteht, daß ein Satz grammatisch einwandfrei und trotzdem sinnlos sein kann.
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Infolgedessen kommt es leicht vor, daß man einen Scheinsatz für einen sinnvollen Satz hält; und das ist für die Philosophie an manchen Stellen verhängnisvoll geworden; das werden wir später an den Thesen des Realismus und Idealismus sehen. (Die logistische Sprache hat diesen Fehler nicht; in ihr kann für einen vorgelegten, auch nicht-logischen Satz entschieden werden, ob er sinnvoll ist oder nicht, wenn nur die Art (nicht auch die Bedeutung) der vorkommenden Zeichen bekannt ist. Die hierauf beruhende große Bedeutung der logistischen Sprache für die Nachprüfung philosophischer Aussagen wird noch sehr wenig erkannt und verwertet.) Damit unsere These genauer formuliert werden kann, seien zunächst einige Definitionen aufgestellt. Spricht eine Aussage p den Inhalt eines Erlebnisses E aus, und ist die Aussage q entweder gleich p oder aus p und früherem Erfahrungswissen durch Deduktionen oder induktive Schlüsse ableitbar, so sagen wir: q ist durch das Erlebnis E »fundiert«. Eine Aussage p heißt »nachprüfbar«, wenn die Bedingungen angebbar sind, unter denen ein Erlebnis E eintreten würde, durch das p oder das Gegenteil von p fundiert werden würde. Eine Aussage p heißt »sachhaltig«, wenn Erlebnisse, durch die p oder das Gegenteil von p fundiert werden würde, wenigstens als Erlebnisse denkbar sind und ihrer Beschaffenheit nach angegeben werden können. Aus diesen Definitionen ergibt sich: ist eine Aussage nachprüfbar, so auch sicher sachhaltig; das Umgekehrte gilt nicht allgemein. Kann eine Aussage nicht nur gegenwärtig nicht, sondern grundsätzlich überhaupt nicht durch ein Erlebnis fundiert werden, so ist sie nicht sachhaltig. beispiele. Die Aussage »im Nebenzimmer steht ein dreibeiniger Tisch« ist nachprüfbar; denn es läßt sich angeben, unter welchen Umständen (Hinübergehen und Hinschauen) ein Wahrnehmungserlebnis von bestimmter Art eintreten wird, durch das diese Aussage fundiert wird. Diese Aussage ist daher auch sachhaltig. Die Aussage »Es gibt eine Farbe Drommetenrot, deren Anblick Entsetzen erregt« ist nicht nachprüfbar, denn wir wissen nicht, wie wir es anzustellen haben, um zu einem
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diese Aussage fundierenden Erlebnis zu gelangen; die Aussage ist aber trotzdem sachhaltig, denn wir können uns ein Erlebnis denken und seiner Beschaffenheit nach beschreiben, durch das die Aussage fundiert werden würde; ein solches Erlebnis müßte nämlich die Sehwahrnehmung einer Farbe von rotem Farbton enthalten und zugleich ein Gefühl des Erschreckens über diese Farbe. Die Scheinaussagen 1, 2, 3 des vorigen Beispiels (S. 28) sind nicht sachhaltig. Ist eine Aussage nur durch vergangene Erlebnisse fundiert und jetzt nicht mehr nachprüfbar, so wird ihr nicht dieselbe Sicherheit beigemessen, wie einer nachprüfbaren Aussage. In Geschichte, Geographie, Ethnologie wird man sich häufig mit Aussagen von solcher Art begnügen müssen; in der Physik wird man im Allgemeinen verlangen, daß eine Aussage auch nachprüfbar sei. Sehen wir von dem Sicherheitsgrad einer Aussage ab und achten wir nur darauf, ob sie sinnvoll ist oder nicht, so besteht kein Unterschied zwischen den früher fundierten und nicht mehr nachprüfbaren Aussagen und den jetzt noch oder auch zu jeder beliebigen Zeit nachprüfbaren Aussagen: Beide Arten von Aussagen sind sicherlich sinnvoll, also wahr oder falsch. Zu den Aussagen, die zwar sachhaltig sind, aber weder bisher fundiert noch nachprüfbar sind, kann man eine verschiedene Stellung einnehmen. Wenn jemand so streng vorgehen will, solche Aussagen aus der Wissenschaft zu verbannen, so läßt sich etwas Entscheidendes dagegen nicht einwenden. Immerhin sei daran erinnert, daß die übliche Methode der Realwissenschaften, auch der Physik, solche Aussagen nicht als sinnlos hinstellt, sondern sie als Hypothesen, vorläufige Vermutungen oder zum mindesten als Fragestellungen zuläßt. Wir wollen deshalb jenen strengen Standpunkt nicht einnehmen, sondern die Aussagen der genannten Art als sinnvoll (nicht etwa schon als wahr) anerkennen; sinnvoll sind die sachhaltigen Aussagen, weil es ja wenigstens denkbar ist, daß sie einmal als wahr oder falsch erkannt werden. Alles jedoch, was jenseits des Sachhaltigen liegt, muß unbedingt als sinnlos angesehen werden; eine (scheinbare) Aussage, die grundsätzlich nicht durch
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ein Erlebnis fundiert werden könnte und daher nicht sachhaltig wäre, würde gar keinen auch nur denkbaren Sachverhalt zum Ausdruck bringen, also gar keine Aussage sein, sondern ein bloßes Konglomerat sinnloser Striche oder Geräusche. Die Forderung der Sachhaltigkeit für jede Aussage wird von allen Realwissenschaften (Naturwissenschaften, Psychologie, Kulturwissenschaften) anerkannt und praktisch durchgeführt. Ganz gleich, ob es sich etwa um Mineralogie, Biologie oder Religionswissenschaft handelt: Jede Aussage, die in einem dieser Gebiete als sinnvoll anerkannt werden soll (d. h. die entweder für wahr oder für falsch angesehen wird oder auch nur als Frage hingestellt wird), geht entweder direkt auf Erfahrung, also Erlebnisinhalte zurück oder hängt doch wenigstens indirekt so mit Erfahrung zusammen, daß angegeben werden kann, durch welche mögliche Erfahrung sie bestätigt oder widerlegt werden würde; d. h. sie ist entweder schon durch Erlebnisse fundiert oder nachprüfbar oder wenigstens überhaupt sachhaltig. Nur im Gebiete der Philosophie (und Theologie) kommen vermeintliche Aussagen vor, die nicht sachhaltig sind; Beispiele hierfür sind, wie unsere späteren Überlegungen zeigen werden, die Thesen des Realismus und des Idealismus. Wenn wir nicht jenen strengen Standpunkt eingenommen haben, der von jeder Aussage Fundiertheit oder Nachprüfbarkeit verlangt, sondern auch noch die nur sachhaltigen Aussagen als sinnvoll anerkennen, wenn wir also unser Kriterium des Sinnvollen so weitherzig fassen, wie der weitherzigste Physiker oder Historiker innerhalb seiner Wissenschaft, so wird dann unsere Ablehnung der Thesen des Realismus und des Idealismus um so zwingender.
8. Theoretischer Gehalt einer Aussage und begleitende Vorstellungen Wenn wir eine Aussage aussprechen oder auch nur denken, so geht im Allgemeinen der Vorstellungsablauf seinem Inhalt nach über den Inhalt der Aussage hinaus. Sage ich z. B. »Jene
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Bank ist klein«, so zeigt meine Vorstellung die Bank außerdem auch als grün, während in der Aussage davon nichts gesagt ist. Bekanntlich kommen in die Deduktionen aus festen Prämissen leicht dadurch Fehler hinein, daß außer den Sachverhalten, die den Inhalt der Prämissen bilden, noch andere Sachverhalte, die mit ihnen zugleich vorgestellt werden, bei der Deduktion unvermerkt verwendet werden. Wir wollen nun zwei Arten von Vorstellungen unterscheiden (bzw. von Vorstellungskomplexen, Vorstellungsabläufen, was hier nicht unterschieden zu werden braucht). Wir bezeichnen eine Vorstellung als »Sachverhaltsvorstellung«, wenn ihr Inhalt als ein Sachverhalt gemeint ist, also als etwas, das besteht oder nicht besteht, so daß zu dem Vorstellungsinhalt Ja oder Nein gesagt werden kann; andernfalls bezeichnen wir sie als »Gegenstandsvorstellung«. Habe ich z. B. die Vorstellung einer bestimmten Person in einer bestimmten Umgebung, und ist dabei die Meinung die, diese Person sei jetzt in dieser Umgebung, so ist dies eine Sachverhaltsvorstellung; sie ist entweder richtig oder falsch. Stelle ich mir dagegen einfach jene Person in jener Umgebung ohne Meinung in bezug auf Ort und Zeit vor, so habe ich eine Gegenstandsvorstellung. Allerdings kann auch eine einfache Vorstellung einer Person ohne Orts- und Zeitbestimmung eine Sachverhaltsvorstellung sein, wenn nämlich dabei auf eine bestimmte Eigenschaft intendiert ist, etwa, daß diese Person diese Haarfarbe habe. Es hängt also wesentlich von der Intentionsrichtung ab, ob eine Vorstellung Sachverhaltsvorstellung oder bloße Gegenstandsvorstellung ist; im ersteren Falle enthält das Erlebnis noch einen Urteilsakt, der das Bestehen des Sachverhaltes bejaht (oder verneint). Aus dem angegebenen Unterschied der beiden Vorstellungsarten ergibt sich der weitere Unterschied, der für unsere Überlegungen wichtig sein wird: Eine Sachverhaltsvorstellung kann den Inhalt einer Aussage bilden, eine Gegenstandsvorstellung dagegen nicht. Der sprachliche Ausdruck für den Inhalt einer Gegenstandsvorstellung ist ein Substantiv (das von Adjektiv, Apposition und dergleichen begleitet sein kann). (In der Ter-
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minologie der Meinongschen Gegenstandstheorie: Der Inhalt einer Gegenstandsvorstellung ist ein »Objekt«, der Inhalt einer Sachverhaltsvorstellung ist ein »Objektiv«.) beispiele. 1. Ausdruck für Gegenstandsvorstellungen: »mein Sohn«, »ein so und so aussehender Mensch«. 2. Ausdruck für Sachverhaltsvorstellungen: »mein Sohn sieht so und so aus«, »es gibt einen so und so aussehenden Menschen«. Wir haben bei den Vorstellungen, die man beim Aussprechen oder Denken einer Aussage erlebt, unterschieden zwischen den ausgesagten Vorstellungen und den Begleitvorstellungen. Unter den begleitenden Vorstellungen können sich nun sowohl Sachverhaltsvorstellungen als auch bloße Gegenstandsvorstellungen befinden. Bei der Aussage »Jene Bank ist klein« ist die Vorstellung von der Kleinheit der Bank die ausgesagte Vorstellung. Die Vorstellung von der Grüne der Bank ist eine Begleitvorstellung; da sie eine Sachverhaltsvorstellung ist, so kann sie durch eine zusätzliche Aussage »Jene Bank ist grün« mit in den Aussageinhalt aufgenommen werden. Nun möge das Aussprechen der Aussage »Jene Bank ist klein« gleichzeitig in mir noch die Vorstellung eines bestimmten musikalischen Klanges auslösen und etwa zugleich noch die eines vergnügten Gefühles. Diese Vorstellungen sind bloße Gegenstandsvorstellungen, sie gehören nicht zum Sachverhalt der Bank, sie können daher nicht in die Aussage über die Bank mit aufgenommen werden: wir können der Bank nicht den Klang oder die Vergnügtheit als Eigenschaften beilegen. Versuchen wir das doch (etwa verführt durch eine hier leergehende Tendenz zum Urteilen), so erhalten wir Scheinaussagen, sinnlose Zeichenzusammenstellungen. Da die begleitenden Gegenstandsvorstellungen nicht Aussageinhalt werden können, so stehen sie jenseits von wahr und falsch. Während der theoretische Gehalt der Aussage sich an irgendeinem Kriterium, z. B. an dem angegebenen Kriterium der Sachhaltigkeit, rechtfertigen muß, unterliegen die die Aussage begleitenden bloßen Gegenstandsvorstellungen keiner theoretischen Kontrolle. Sie sind theoretisch irrelevant, dagegen oft praktisch von großer Bedeutung. Daß wir beim Sprechen
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oder Denken der Aussage »2 + 2 = 4« uns die Ziffernbilder oder Zahlwortklänge oder Punktfiguren vorstellen, ist eine große Erleichterung für das Neuerlernen oder schließende Behandeln solcher Aussagen. Eine ähnliche Rolle spielen die Figuren in der Geometrie. Durch die in den letzten Jahrzehnten vorgenommene Formalisierung der Geometrie ist klar geworden, daß die anschaulichen Eigenschaften der Figuren zwar ein wertvolles praktisches Hilfsmittel der Forschung oder des Lernens sind, daß sie aber nicht in die geometrische Deduktion hineinspielen dürfen. Zuweilen haben wir die Absicht, das Auftreten der begleitenden Gegenstandsvorstellungen nicht dem Zufall zu überlassen, sondern wir wollen diese Vorstellungen wegen ihres praktischen Nutzens bei uns selbst oder anderen methodisch hervorrufen. Das können wir erreichen durch die Wahl geeigneter Namen für die Begriffe oder durch die Wahl einer geeigneten Sprachform für die ganze Aussage (bei einer mündlichen Aussage auch durch Betonung, Sprachmelodie, begleitende Gesten und dergleichen). Die Namengebung ist ja unabhängig vom theoretischen Gehalt der Aussage; sie ist rein konventionell. Hier haben wir daher für unseren Wunsch, die ebenfalls vom theoretischen Gehalt nicht abhängigen begleitenden Gegenstandsvorstellungen zum Ausdruck zu bringen, ein freies Betätigungsfeld, das unserem Willen unterliegt. beispiele. Die formalisierte Geometrie (vgl. z. B. Hilbert, Grundlagen der Geometrie) spricht nicht von räumlichen Gebilden, sondern von unbestimmten Gegenständen, die in bestimmter Weise verknüpft sind. Wir bezeichnen aber gewöhnlich die Grundgegenstände erster, zweiter, dritter Art nicht mit diesem neutralen Ausdruck, sondern mit den Worten »Punkte«, »Gerade«, »Ebenen«, weil wir wünschen, daß der Leser (nur zu seiner Erleichterung, unabhängig von theoretischer Gültigkeit) mit den Aussagen über die Grundgegenstände die Vorstellungen von kleinen schwarzen Klecksen, von geraden Strichen und von dünnen ebenen Scheiben verbinden soll. Nennt ein Indianer sein Kind »Schwarzer Büffel«, so wird
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damit bewirkt, daß man bei jedem Sprechen über diesen Menschen die achtung- oder furchterregende Begleitvorstellung jenes Tieres hat. Hier wird eine Begleitvorstellung zum Ausdruck gebracht, die nicht durch eine Aussage ausgedrückt werden kann, weil sie keinen Sachverhalt wiedergibt. Der Indianer allerdings glaubt mit dieser Namengebung einen (für die Zukunft erhofften) Sachverhalt zum Ausdruck zu bringen; und das Gleiche glaubt, wie wir sehen werden, die Philosophie bei der Namengebung auf dem Gebiete des Fremdpsychischen.
B. Anwendung auf den Realismusstreit 9. Die Thesen des Realismus und des Idealismus Unter der These des Realismus seinen die folgenden beiden Teilthesen verstanden: 1. die mich umgebenden, wahrgenommenen, körperlichen Dinge sind nicht nur Inhalt meiner Wahrnehmung, sondern sie existieren außerdem an sich (»Realität der Außenwelt«); 2. die Körper der anderen Menschen zeigen nicht nur die und die wahrnehmbaren Reaktionen ähnlich denen meines Körpers, sondern die anderen Menschen haben außerdem auch Bewußtsein (»Realität des Fremdpsychischen«). Als These des Idealismus seien die entsprechenden Gegenbehauptungen bezeichnet, (von denen jedoch die zweite nur von einer bestimmten, radikalen Richtung des Idealismus, dem Solipsismus, aufgestellt wird): 1. real ist nicht die Außenwelt selbst, sondern nur die Wahrnehmungen oder Vorstellungen von ihr (»Nichtrealität der Außenwelt«); 2. real sind nur meine eigenen Bewußtseinsvorgänge, die sogenannten Bewußtseinsvorgänge der Anderen sind bloße Konstruktionen oder gar Fiktionen (»Nichtrealität des Fremdpsychischen«). Hier soll nun nicht die Frage gestellt werden, welche der beiden Thesen recht hat. (Dabei wäre auch noch die Gültigkeit der Teilthesen zu unterscheiden.) Es soll vielmehr die tieferliegende Frage aufgeworfen werden, ob die genannten Thesen überhaupt
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einen wissenschaftlichen Sinn haben, ob sie überhaupt einen Inhalt haben, zu dem die Wissenschaft dann zustimmend oder ablehnend Stellung nehmen könnte. Diese tieferliegende Frage müsste zunächst bejaht werden, bevor jene Frage nach Gültigkeit oder Ungültigkeit der Thesen überhaupt gestellt werden könnte. Nach unseren Überlegungen bedeutet die Frage nach dem Sinn: sprechen die Thesen einen Sachverhalt aus (gleichviel, ob einen bestehenden oder nicht bestehenden), oder sind es vielleicht bloße Scheinaussagen, entstanden aus der unausführbaren Absicht, begleitende Gegenstandsvorstellungen in Aussagen auszudrücken, als seien es Sachverhaltsvorstellungen. Wir werden finden, daß dies letztere der Fall ist, daß also die Thesen keinen Inhalt haben, gar keine Aussagen sind; damit fällt dann jene Frage der Gültigkeit der Thesen weg. Die Wissenschaft kann in der Realitätsfrage weder bejahend noch verneinend Stellung nehmen, da die Frage keinen Sinn hat. Das soll im Folgenden gezeigt werden.
10. Die Realität der Außenwelt Wenn zwei Geographen, ein Realist und ein Idealist, ausgeschickt werden, um die Frage zu entscheiden, ob ein an einer bestimmten Stelle in Afrika vermuteter Berg nur legendär sei oder wirklich existiere, so kommen sie beide zu dem gleichen (positiven oder negativen) Ergebnis. Denn für den Begriff der Wirklichkeit in diesem Sinn – wir wollen ihn als »empirische Wirklichkeit« bezeichnen – liegen in Physik und Geographie bestimmte Kriterien vor, die unabhängig von dem philosophischen Standpunkt des Forschers eindeutig zu einem bestimmten Ergebnis führen. Und nicht nur über die Existenz des Berges werden die beiden Geographen bei genügender Untersuchung zu übereinstimmendem Ergebnis kommen, sondern auch bei jeder Frage nach der Beschaffenheit des Berges, nach Lage, Gestalt, Höhe usw. In allen empirischen Fragen herrscht Einigkeit. Die Wahl des philosophischen Standpunktes hat also keinen in-
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haltlichen Einfluß auf die Naturwissenschaft; (damit ist noch nichts darüber gesagt, ob sie nicht trotzdem praktischen Einfluß auf die Tätigkeit des Forschers haben kann). Der Gegensatz zwischen den beiden Forschern tritt erst auf, wenn sie nicht mehr als Geographen sprechen, sondern als Philosophen, wenn sie die übereinstimmend gefundenen, empirischen Ergebnisse philosophisch interpretieren. Dann sagt der Realist: »Diesem von uns gemeinsam festgestellten Berg kommen nicht nur die gefundenen geographischen Eigenschaften zu, sondern er ist außerdem auch real« oder (bei einer anderen, der »phänomenalistischen« Spielart des Realismus): Dem gefundenen Berg liegt etwas Reales, selbst Unerkennbares zugrunde.« Der Idealist dagegen sagt: »Im Gegenteil; der Berg selbst ist nicht real, real sind nur unsere (oder, bei einer anderen, der »solipsistischen« Spielart des Idealismus: (»nur meine«) Wahrnehmungen und sonstigen Bewußtseinsvorgänge.« Diese Divergenz zwischen den beiden Forschern liegt nicht auf empirischem Gebiete; denn im Empirischen sind ja beide völlig einig. Die beiden Thesen, die hier einander widerstreiten, liegen jenseits der Erfahrung und sind daher nicht sachhaltig; weder unternimmt es einer der beiden Streitenden, einen Vorschlag zur Nachprüfung seiner These durch ein gemeinsam anzustellendes entscheidendes Experiment zu machen, noch gibt einer von ihnen auch nur die Beschaffenheit eines Erlebnisses an, durch das seine These fundiert werden würde. Unser Beispiel läßt sich leicht verallgemeinern. Wie es mit dem Berge steht, so auch mit der Außenwelt überhaupt. Da uns nun die Sachhaltigkeit als das Kriterium der sinnvollen Aussagen gilt, so kann weder die These des Realismus von der Realität der Außenwelt, noch die des Idealismus von der Nichtrealität der Außenwelt als wissenschaftlich sinnvoll anerkannt werden. Das besagt nicht: die beiden Thesen seien falsch; sondern: sie haben überhaupt keinen Sinn, in bezug auf den die Frage, ob wahr oder falsch, gestellt werden könnte. Wir werden beim zweiten Teil der realistischen These, der sich auf das Fremdpsychische bezieht, bemerken, daß die
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Aufstellung der theoretisch sinnlosen These zu verstehen ist als Ausfluß des Wunsches, eine begleitende Gegenstandsvorstellung zum Ausdruck zu bringen. Vielleicht liegt hier beim ersten Teil der These etwas Ähnliches vor. Man könnte etwa bei der realistischen These an gewisse emotionale Begleitmomente denken, z. B. an das Fremdheitsgefühl gegenüber dem Berge, an das Gefühl, daß er sich in vielem meinem Willen entzieht oder gar ihm widersteht, und Ähnliches. Die Frage sei hier nur angedeutet.
11. Die Realität des Fremdpsychischen Wie wir früher überlegt haben (Kapitel 5), geht die Erkenntnis des Fremdpsychischen in jedem einzelnen Falle auf die Erkenntnis von Physischem zurück. Und zwar nicht nur so, daß stets gleichzeitig auch Erkenntnis von einem irgendwie entsprechenden Physischen stattfindet, sondern derartig, daß die Erkennung des Fremdpsychischen auch nach ihrer ganzen Beschaffenheit im Einzelnen von dem erkannten, entsprechenden Physischen abhängt. Man könnte daher jede Aussage über ein bestimmtes Fremdpsychisches, z. B. »A freut sich jetzt«, übersetzen in eine Aussage, die nur von Physischem spricht, nämlich von Ausdrucksbewegungen, Handlungen, Worten usw. Und zwar könnte die Aussage entweder von demjenigen Physischen (Ausdrucksbewegungen usw.) sprechen, das zur Erkennung der Freude des A geführt hat, also von Inhalten gehabter Wahrnehmungserlebnisse; oder die Aussage gibt die Möglichkeiten zur Nachprüfung der Freude des A an. In diesem Falle ist sie eine Bedingungsaussage von der Form: Wenn A jetzt den und den Bedingungen unterworfen wird, so wird die und die (physische, wahrnehmbare) Reaktion erfolgen. Es liegen hier also zwei verschiedene Sprachen vor, eine psychische und eine physische, und wir behaupten, daß sie denselben theoretischen Gehalt zum Ausdruck bringen. Man wird einwenden, daß in der Aussage »A freut sich« doch mehr
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zum Ausdruck komme, als in der entsprechenden physischen Aussage. Und das ist auch richtig. Die psychische Sprache hat vor der physischen nämlich nicht nur den Vorzug einer bedeutend größeren Einfachheit voraus, sondern sie bringt auch mehr zum Ausdruck. Aber dieses Mehr ist kein Mehr an theoretischem Gehalt, sondern es werden damit nur Begleitvorstellungen ausgedrückt. Und zwar sind es bloße Gegenstandsvorstellungen, also solche, die keinen Sachverhalt darstellen und daher nicht den Inhalt einer Aussage bilden können. Sie kommen zum Ausdruck durch die Wahl der Sprache (während andere Begleitmomente, die auch nicht zum theoretischen Gehalt gehören, etwa durch den Stimmklang, durch Gesten und dergleichen zum Ausdruck kommen). Indem ich nämlich sage: »A freut sich« und nicht nur: »A zeigt Mienen von der und der Gestalt«, bringe ich zum Ausdruck, daß ich dabei die Vorstellung eines Freudegefühls habe; allerdings eines Freudegefühls im eigenpsychischen Sinne, ein anderes kenne ich ja nicht. Glaubt man aber, durch die Anwendung der psychischen an Stelle der physischen Sprache, also durch die Verwendung der Bezeichnung »Freude« anstatt »Mienen von der und der Form« einen Sachverhalt angegeben zu haben, der über den physischen Sachverhalt hinausgeht, so verwechselt man theoretischen Aussagegehalt und begleitende Vorstellung. Mit dieser Verwechslung würde man in den Irrtum des Indianers verfallen (8), vielmehr in einen noch schlimmeren. Denn die Begleitvorstellung des Indianers führt ihn, wenn auch irrtümlicherweise, zu einer Sachverhaltsvorstellung, die etwa durch die Aussage ausdrückbar ist: »mein Sohn ist so stark wie ein Büffel.« Hier dagegen werden wir nicht zu einer irrtümlichen Aussage, sondern zu einer Scheinaussage geführt. Denn es gibt gar keinen (auch nur denkbaren, aussagbaren) Sachverhalt, der die Vorstellung »Freudegefühl« (im eigenpsychischen Sinne) mit dem Verhalten des A verbinden könnte. Denken wir uns auch hier wieder zwei Forscher, diesmal Psychologen; der eine sei Solipsist, der andere nicht-solipsistischer Idealist oder Realist. (Die Front verläuft hier anders als vorhin;
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das ist für unsere Überlegung nicht wichtig, da wir ja nicht einer der beiden streitenden Parteien recht geben wollen, sondern den ganzen Streit als wissenschaftlich sinnlos hinstellen.) Ob die Freude des A wirklich sei oder etwa nur vorgetäuscht (empirischer Wirklichkeitsbegriff), darüber kommen beide Forscher auf Grund der empirischen Kriterien der Psychologie zur Übereinstimmung (genau so wie vorhin die beiden Geographen in bezug auf die Frage nach der Wirklichkeit des Berges). Gehen sie dann aber von der Psychologie zur Philosophie über, so entsteht der Widerstreit. Der Solipsist behauptet, real sei nur das beobachtete, physische Verhalten (einschließlich der Worte) des A; er fügt hinzu, auch er wolle für diesen Sachverhalt den sprachlichen Ausdruck »A freut sich« anwenden, da ja die psychische Sprache gegenüber der physischen nicht nur den Vorzug der Kürze, sondern auch den der zweckmäßigen Begleitvorstellung habe; aber das Bewußtsein des A sei nicht real. Der Gegner behauptet dagegen, A zeige nicht nur dieses bestimmte physische Verhalten, durch das die Aussage »A freut sich« (auf Grund der gemeinsamen Untersuchung der beiden Psychologen) fundiert werde, sondern A habe darüber hinaus auch wirklich Bewußtsein. Im Physisch-Beobachtbaren, dem allein Nachprüfbaren, sind also beide Psychologen einig. Es gibt keine psychologische Frage, auf die nicht beide bei hinreichender Untersuchung übereinstimmende Antworten geben würden. Darin zeigt sich, daß die Wahl des philosophischen Standpunktes keinen inhaltlichen Einfluß auf die Psychologie hat (so wenig wie auf die Naturwissenschaft). (Auch hier ist der praktische Einfluß nicht ausgeschlossen.) Da die Divergenz zwischen den beiden Standpunkten jenseits des Sachhaltigen, im grundsätzlich Nicht-erfahrbaren liegt, so haben sie nach unserem Kriterium keinen wissenschaftlichen Sinn. Vielleicht wird man hier einwenden: Die beiden Psychologen sprechen innerhalb der Psychologie zwar dieselben Aussagen aus, aber sie meinen damit doch etwas Verschiedenes; wenn beide sagen: »A freut sich jetzt«, so meint der Solipsist damit
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nichts anderes als: »A zeigt die und die Reaktionen«, während sein Gegner dabei außerdem noch das Vorliegen eines Freudegefühles in A meint. Um den Sachverhalt deutlicher durchschaubar zu machen, wollen wir auf eine analoge Situation hinweisen, die in der Entwicklung der Mathematik infolge der kritischen Untersuchungen der letzten hundert Jahre mehrmals aufgetreten ist. Den Begriff des Differentialquotienten haben wir früher schon erwähnt; jetzt wollen wir den Begriff der Irrationalzahlen als Beispiel heranziehen. Die logischen Untersuchungen (von Dedekind, Frege, Russell) zeigten, daß es nicht neben den rationalen Zahlen noch andere gibt, die man in die Reihe der rationalen Zahlen einschieben kann, √ sondern daß jede Aussage über eine Irrationalzahl (z. B. über 2) eine abgekürzte Sprechweise ist für eine Aussage über eine Klasse (oder Eigenschaft) von rationalen Zahlen, die in der Reihe der rationalen Zahlen einen Schnitt erzeugt. Da gab es häufig den Einwand: »Die Mathematiker meinen aber doch etwas anderes als eine Klasse von rationalen Zahlen, wenn sie von der Irrationalzahl √ 2 sprechen«; und ähnlich im Falle der Geometrie (vgl. das Beispiel S. 33): »Die Mathematiker meinen in der Geometrie doch etwas anderes als unbestimmte, nur in bestimmter Weise verknüpfte Gegenstände, wenn sie von Punkten und Geraden sprechen.« Diese Einwände und ebenso der analoge vom Meinen der Psychologen haben recht, wenn unter dem Meinen der Vorstellungsablauf verstanden wird, der das Denken der betreffenden Aussage begleitet. Denn dieser Ablauf kann in der Tat verschieden sein, je nachdem, welche Sprechweise angewendet wird: die Sprechweise der »Rationalzahlen« oder die der »Irrationalzahlen, die Redeweise von »Grundgegenständen erster, zweiter, dritter Art« oder die von »Punkten, Geraden, Ebenen«, die physische oder die psychische Sprache. Das Entscheidende aber ist, daß der Unterschied in jedem dieser Fälle nur in den begleitenden Gegenstandsvorstellungen liegt, nicht im theoretischen Gehalt der Aussagen. Wer anderer Ansicht ist, hat die Aufgabe, diejenige sinnvolle, also sachhaltige Teilaussage zu formulieren, die in der vermeintlich mehr besagenden Aussage
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der psychischen Sprache darinsteckt, in der entsprechenden Aussage der physischen Sprache aber nicht; dieses Nicht-darinstecken muß sich dadurch erweisen, daß die zu formulierende Teilaussage auch falsch sein kann in Fällen, in denen die physische Aussage wahr ist. Ein anderer Einwand (»Wurm-Einwand«) weist auf den Unterschied der praktischen Wirkung der beiden Aussagen hin. Er argumentiert etwa so: in der Aussage »Dieses Tier hier hat Bewußtsein« muß doch mehr liegen als in der bloßen Angabe, das Tier zeige bei bestimmten Reizen bestimmte, beobachtbare Reaktionen; denn jene Aussage hat Einfluß auf mein Handeln; wenn ich weiß, daß der Wurm Schmerz fühlt, so trete ich ihn nicht; während mich die bloße Beobachtung, daß er sich dabei krumm legt, nicht daran zu hindern braucht. Auch dieser Einwand hat recht; auch vom Gesichtspunkt des praktischen Einflusses gesehen liegt in der ersten Aussage mehr als in der zweiten. Aber dieses Mehr ist wiederum nur eine Gegenstandsvorstellung, nämlich die der Schmerzempfindung; in diesem Falle liegt also eine Einfühlung vor. Einfühlung ist nicht Erkenntnis, gibt nichts an theoretischem Gehalt, nichts Aussagbares; sie ist ein Tun, nicht ein Erkennen, und zwar ein Tun, das eine Fühlung mit dem Andern herstellt und dadurch zu einer anderen praktischen Einstellung führen kann und als Folge davon auch zu anderem äußeren Handeln. Dies Alles aber ist eine praktische Angelegenheit, keine theoretische. Ethische Werte kommen hier ins Spiel: mit wahr und falsch aber hat das nichts zu tun. Die Thesen »A verhält sich nur so, als ob er Bewußtsein hätte; in Wirklichkeit hat er keins« und »A hat wirklich Bewußtsein« sind also nur Scheinthesen; es sind nicht Aussagen (im theoretischen Sinne), man kann hier nicht mit »wahr« und »falsch« urteilen. Wohl aber kann man mit »ja« und »nein« Stellung nehmen, je nachdem man in den Worten den Ausdruck einer praktischen Stellungnahme spürt, die man mitmachen will. (Dabei bleibt aber doch noch das Bedenken, ob diese Worte, die das Auszudrückende in das Gewand einer Aussage kleiden, also in das eigentliche Gewand eines theoretischen
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Inhaltes, die geeignetste Ausdrucksform dieser praktischen Einstellung bilden.) Wenngleich Einfühlung nicht Erkenntnis ist, so hat sie doch für die Wissenschaft (besonders für Psychologie, Kulturwissenschaften und Biologie, zuweilen aber auch für Physik) großen praktischen, nämlich heuristischen Wert. Ein Psychologe könnte ohne sie praktisch nicht auskommen. Einen Psychologen, der ohne Einfühlung arbeiten würde, gibt es so wenig, wie einen Mathematiker, der ohne das heuristische Hilfsmittel der Anschauung arbeitet. (Auch der solipsistische Psychologe wendet Einfühlung an.) Trotz ihres gewaltigen heuristischen Wertes ist aber die Einfühlung nicht grundsätzlich notwendig für die Psychologie. Denken wir uns einen Psychologen, der keine Einfühlung vollziehen würde, sondern nur das beobachtete Verhalten der Versuchspersonen rational bearbeiten (und in der psychischen Sprache beschreiben) würde, so müßte er zu jedem Ergebnis, das der einfühlende Psychologe findet, auch gelangen (wenn auch vielleicht erst später); denn der einfühlende Psychologe muß ja auch seine durch Einfühlung gewonnenen Resultate rational, d. h. ohne Bezugnahme auf Einfühlung, rechtfertigen (vgl. 5). Bei einer geschichtlichen Darstellung wird allerdings in vielen Fällen die Einfühlung überhaupt nicht entbehrt werden können, wenn nicht der Hauptzweck der Darstellung verfehlt werden soll. Denn eine solche Darstellung ist meist nicht rein wissenschaftlich eingestellt; ihr Zweck ist in erster Linie nicht theoretisch, auf Erkenntnis gerichtet, sondern praktisch: Sie soll z. B. der Bereicherung des Lebens durch Miterleben oder der Einstellung des Handelns in eine bestimmte Richtung dienen. Soweit dies der Fall ist, ist Geschichte nicht Wissenschaft, sondern praktische Tätigkeit, die die Wissenschaft als Hilfsmittel benutzt; nur für die wissenschaftliche Teilkomponente gilt hier die Forderung der rationalen Rechtfertigung der Einfühlung. Es müßte einmal näher untersucht werden, welche kulturgeschichtliche Bedeutung der Verwechslung von begleitenden Gegenstandsvorstellungen mit Sachverhaltsvorstellungen zu-
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kommt, genauer: dem aus dieser Verwechslung entspringenden Versuch, begleitende Gegenstandsvorstellungen durch (Schein- ) Aussagen zum Ausdruck zu bringen. Vielleicht haben Magie (als Theorie), Mythus (einschließlich der Theologie) und Metaphysik hier ihren Ursprung; nicht als sei der Inhalt solcher Lehren hierdurch zu erklären, sondern der merkwürdige Umstand, daß man diesen Inhalt nicht in der Form der Kunst oder nur in der praktischen Lebensführung zum Ausdruck gebracht hat, sondern in Form einer Theorie, die doch keinen theoretischen Gehalt hat. ZUSAMMENFASSUNG
I. Die Aufgabe der Erkenntnistheorie A. Der Sinn der erkenntnistheoretischen Analyse 1. Aufgabe der Erkenntnistheorie: Begründung, »Zurückführung« einer Erkenntnis auf eine andere, Analyse von Erlebnisinhalten. Ergebnisse der Analyse liegen vor, ihr Sinn ist aber nicht genau bekannt. Problem: Welches ist der Sinn der erkenntnistheoretischen Analyse eines Erlebnisinhaltes, wenn diese Analyse nicht den Sinn der genetisch-psychologischen Analyse haben soll? 2. Der erste Schritt der erkenntnistheoretischen Analyse besteht in der logischen Zerlegung des Erlebnisinhaltes in zwei Teile: einen »hinreichenden« und einen »entbehrlichen« Bestandteil. Der zweite Bestandteil liefert über den ersten hinaus kein neues Wissen; sein theoretischer Gehalt kann aus dem ersten in »rationaler Nachkonstruktion« durch Schließen gefunden werden. 3. Die erkenntnistheoretische Zerlegung teilt einen Erlebnisgehalt in den »Kern« (a) und den »Nebenteil« (b). Die Teilung ist dadurch gekennzeichnet, daß erstens b in bezug auf a entbehrlicher Bestandteil ist, und zweitens b in bezug auf a »erkenntnismäßig sekundär« ist. Kriterien hierfür sind: 1. die
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(wissenschaftliche) Rechtfertigung der Erkenntnis vom Gehalte b kann nur durch Hinweis auf a geschehen, 2. der theoretische Gehalt von b kann, obwohl a richtig erkannt ist, auf Täuschung beruhen.
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B. Anwendung: Die Erkenntnis von Fremdpsychischem 4. Das Erlebnis einer Erkennung von Fremdpsychischem enthält stets einen Bestandteil (a), der auf Physisches geht, und einen Bestandteil (b), der das Fremdpsychische darstellt. Es ist dann stets b entbehrlich in bezug auf a, was durch die Methode der rationalen Nachkonstruktion gezeigt werden kann. 5. Ferner ist a stets der Kern des Erlebnisses. Denn die wissenschaftliche Rechtfertigung der Erkenntnis des Gehaltes b weist stets auf a hin; auch kann stets in bezug auf b eine Täuschung auf Grund von a vorliegen. 6. Ergebnis: zum Kern eines Erkenntniserlebnisses von Fremdpsychischem gehören nur Wahrnehmungen von Physischem. Das Fremdpsychische ist »erkenntnismäßig sekundär« gegenüber dem Physischen. Eine (hier nicht durchgeführte) Analyse in bezug auf erkenntnistheoretische Primarität würde folgende Stufenordnung ergeben: Eigenpsychisches, Physisches, Fremdpsychisches, Geistiges; die Analyse würde weiter zu einem vollständigen Stammbaum der Begriffe führen. II. Reinigung der Erkenntnistheorie von Scheinproblemen Thesen: 1. Nur sachhaltige Aussagen sind theoretisch sinnvoll; (scheinbare) Aussagen, die grundsätzlich nicht durch ein Erlebnis fundiert werden können, sind sinnlos. 2. Die Realwissenschaften verwenden nur den empirischen Realitätsbegriff. 3. Die Philosophie verwendet einen nicht-empirischen (metaphysischen) Realitätsbegriff: a) die Thesen des Realismus und
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des Idealismus über die Außenwelt sind nicht sachhaltig; b) ebenso die Thesen des Realismus und des Solipsismus über das Fremdpsychische. 4. Die Thesen des Realismus und des Idealismus können in der Wissenschaft weder aufgestellt noch widerlegt werden; sie haben keinen wissenschaftlichen Sinn. 5. Was in den Scheinthesen des Realismus und des Idealismus zum Ausdruck kommt, ist nicht der theoretische Gehalt einer wissenschaftlich möglichen Aussage, sondern nur begleitende Gegenstandsvorstellungen; in diesen drückt sich vielleicht eine lebenspraktische Einstellung aus.
Einteilung der möglichen Gegenstandpunkte Wer der dargestellten Auffassung widersprechen will, also insbesondere, wer eine These des Realismus oder des Idealismus als wissenschaftliche Aussage aufstellen will, muß einen der folgenden Standpunkte einnehmen; unsere Erwiderung (»Erw.«) ist jedesmal angegeben. I. Die Sachhaltigkeit wird als Kriterium der wissenschaftlich sinnvollen Aussagen abgelehnt. Es wird also eine bestimmte, nicht tautologische Aussage (die wir mit p bezeichnen wollen), z. B. eine der Thesen des Realismus oder des Idealismus für sinnvoll gehalten, obwohl sie nicht sachhaltig ist. Es besteht dann die Aufgabe, ein neues Kriterium der sinnvollen Aussagen aufzustellen, das einen weiteren Umfang haben wird als das der Sachhaltigkeit. Hierbei liegen verschiedene Möglichkeiten vor; wir teilen zunächst ein in bezug auf die Auffassungen über p: 1. p bezeichnet keinen Sachverhalt. Erw.: Dann ist p sinnlos; denn was soll eine Aussage anderes als einen Sachverhalt ausdrücken? In welchem Sinn soll etwas »wahr« oder »falsch« genannt werden, wenn es nicht einen bestehenden oder nicht bestehenden Sachverhalt bezeichnet?
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2. p bezeichnet einen Sachverhalt. a) Dieser Sachverhalt ist grundsätzlich unerkennbar. Erw.: Dann ist p sinnlos. Denn wodurch soll sich p von einer sinnlosen Zeichenverbindung unterscheiden, wenn der vermeintliche Inhalt von p etwas sein soll, das nicht Erlebnisinhalt werden kann? b) Der Sachverhalt ist erkennbar, und zwar nicht-empirisch erkennbar (denn sonst wäre p sachhaltig). Erw.: Alle Erkenntnis beruht auf Erfahrung (»Erfahrung« im weitesten Sinne genommen: als theoretischer Gehalt von Erlebnissen irgendwelcher Art). Quer zu der genannten Einteilung 1–2 in bezug auf p geht die folgende Einteilung in bezug auf das Kriterium: 1’. Das neue, erweiterte Kriterium der sinnvollen Aussagen ist so eng, daß es gerade noch p (und andere beabsichtigte Aussagen) zuläßt; offenkundig sinnlose Aussagen, denen man nicht gern wissenschaftliche Legitimität zusprechen will (z. B. die früher genannte vom verborgenen Jupiter in der Wolke, S. 28), erfüllen dagegen das Kriterium nicht. Hierbei können wir, nicht in bezug auf den Inhalt, sondern in bezug auf das gegenwärtige Ausbildungsstadium der Ansicht, zwei Möglichkeiten unterscheiden: a) Das neue Kriterium wird formuliert. Erw.: Die Nichterfüllung durch offenkundig sinnlose Aussagen muß bewiesen werden. b) Es besteht die Ansicht, daß es ein Kriterium der genannten Art geben müsse; es kann aber noch kein solches genannt werden. Erw.: Hier liegt überhaupt noch kein Standpunkt vor, sondern nur die Absicht, in einer bestimmten Richtung einen noch unbestimmten Standpunkt zu suchen. 2’. Das neue Kriterium wird nicht in der angedeuteten Weise eng begrenzt, sondern hat einen weiten Umfang (z. B.: »Als wissenschaftlich sinnvolle Aussage wird jede Äußerung eines Menschen anerkannt, die Einfluß auf mein Handeln haben
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kann« oder ähnlich). Erw.: Dann gelten als wissenschaftlich sinnvolle Aussagen auch Äußerungen wie ein Faustschlag auf den Tisch, ein Freudenschrei, ein lyrisches Gedicht. II. Die Sachhaltigkeit wird als Kriterium angenommen. Es besteht aber die Auffassung, daß eine der genannten Thesen des Realismus oder des Idealismus sachhaltig sei; nach dem Gebiet, auf das sich die für sachhaltig angesehene These bezieht, unterscheiden wir zwei Fälle: 1. Die These bezieht sich auf das Fremdpsychische allein. Frage: Wird hierbei die (behauptete oder bestrittene) »Realität des Fremdpsychischen« so verstanden, daß der theoretische Gehalt der Aussage »A freut sich« über den theoretischen Gehalt der entsprechenden physischen Aussage hinausgeht? a) Ja. Erw.: Dann besteht die Aufgabe, den darüber hinausgehenden Bestandteil und die Möglichkeit seiner Fundierung (d. h. die Beschaffenheit der Erlebnisinhalte, die ihn bestätigen oder widerlegen würden) anzugeben. (Geht der theoretische Gehalt, nicht nur die begleitenden Gegenstandsvorstellungen, einer Aussage p über den einer Aussage q hinaus, so bedeutet das: es gibt eine Aussage r (die wir dann den »über q hinausgehenden Bestandteil von p« nennen) von folgender Art: r ist von q unabhängig, der Inhalt von p umfaßt den Inhalt von r und q (Konjunktion). In unserem Fall ist p die Aussage »A freut sich«, q die entsprechende physische Aussage; hier müßte nun ein r gefunden werden von folgender Art: r ist stets wahr, wenn p wahr ist; r kann falsch sein, wem q wahr ist; r ist sachhaltig. (Für eine strenge Formulierung müßten an Stelle der Aussagen p, q, r Aussagefunktionen mit einer Zeitvariablen genommen werden). b) Nein. Erw.: In diesem Falle liegt kein inhaltlicher Widerspruch zu unserer Auffassung vor. Es bleibt die terminologische Frage, ob man in diesem Falle noch von »Realismus«, »Idealismus« oder »Solipsismus« sprechen sollte.
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2. Die These bezieht sich (auch oder allein) auf die Außenwelt. Frage: ist hierbei die »Realität der Außenwelt« so gemeint, daß der theoretische Gehalt der Aussage »Der Mont Blanc existiert wirklich« hinausgeht über den theoretischen Gehalt der entsprechenden Bedingungsaussagen über Wahrnehmungen? a) Ja. Erw.: Dann besteht die Aufgabe, den darüber hinausgehenden Bestandteil und die Möglichkeit seiner Fundierung anzugeben (vgl. 1a). b) Nein. Erw.: Siehe 1b. Jeder Entgegnende sei gebeten, sich zum deutlicheren Verständnis ausdrücklich zu einem dieser Standpunkte zu bekennen.
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Von Gott und Seele. Scheinfragen in Metaphysik und Theologie 1 Die Menschen über Gott zu belehren, war ursprünglich ein Vorrecht der »höchsten« Wissenschaft, der Theologie. Diese aber hat immer mehr an wissenschaftlichem Ansehen eingebüßt. Die Zahl der Leute wird immer kleiner, die die Berufung auf Bibel und Offenbarung als besondere Erkenntnisquellen für eine wissenschaftlich zureichende Begründung halten. Man könnte meinen, durch diese Entwicklung hätte auch der Gottesbegriff allmählich aus dem wissenschaftlichen Denken verschwinden müssen. Aber das ist nicht geschehen. Anstelle der Theologie behandelt eine andere vorgebliche Wissenschaft den Gottesbegriff, nämlich die Metaphysik, die Spitze der Philosophie, also die Spitze der Spitze der Wissenschaft. Noch bis zum heutigen Tage werden metaphysische Beweise für das Dasein Gottes und metaphysische Theorien über das Wesen Gottes aufgestellt und mit dem Anspruch auf wissenschaftliche Geltung verkündet: Gott ist der absolute Geist, der sich in Natur und Weltgeschichte verkörpert; Gott ist die letzte Ursache, die hinter allen Wirkungen liegt; Gott ist die Quelle, aus der alles Geschehen und besonders alles Leben quillt. Und auch der Begriff der »Seele«, als eines besonderen Wesens in, über, hinter dem Leib, entstammt ursprünglich dem mythisch-religiös-theologischen Denken und ist dann von der Metaphysik übernommen worden. Wie Gott als verborgener Urgrund die Welt aus sich heraus entströmen läßt, so etwa ist nach der Lehre der Metaphysiker die Seele der Urgrund, aus dem alles Denken und Empfinden, alles Fühlen und Wollen, ja auch der Leib und die organischen Vorgänge an ihm hervorquellen. 1 Untertitel Carnaps: »Gemeinverständlicher Vortrag, gehalten im Verein Ernst Mach, Wien, im Juni 1929.« Unveröffentlichtes Ms. RC089-63-0.
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Was aber sagt die moderne vorurteilsfreie Wissenschaft, vor allem Erkenntnislehre und Logik, zu diesen Begriffen von Gott und Seele? Gibt es einen Gott oder nicht? Und wenn es ihn gibt, was ist sein Wesen? Und hat der Mensch eine substantielle (d. h. wesenhafte) Seele als besonderes Wesen außer seinem Leibe? Die früheren antimetaphysischen Auffassungen pflegten solche Fragen verneinend zu beantworten. Die moderne Logik kommt zu einem radikaleren Ergebnis: die Fragen sind weder zu bejahen noch zu verneinen, denn sie haben überhaupt keinen Sinn. Es sind Scheinfragen. Alle Bemühungen gelehrter Köpfe seit Jahrhunderten bis in unsere Tage, die sich um die Beantwortung dieser Fragen geplagt haben, gehen ins Leere. Zunächst müssen wir uns einmal klar darüber werden, was das sind: Scheinfragen. Fragen, die fehlgehen, falsche Fragen. Kann denn schon eine Frage falsch sein? Nicht erst die Antwort auf eine Frage? Betrachten wir ein Beispiel. Ich sagte einmal zu einem Kind: »Warum hast du so einen Lärm gemacht, daß dein Bruder aufgewacht ist? Der Schlaf tat ihm so gut. Jetzt ist’s vorbei damit.« Darauf das Kind: »Und wo ist denn jetzt der Schlaf?« Das Kind denkt ganz konsequent: Da war etwas, und das ist jetzt weg; also wo ist es jetzt? Der Fehler liegt nur darin, daß etwas als Ding genommen wird, das kein Ding, sondern ein Zustand ist. Solche falschen »Verdinglichungen« kommen häufig vor, nicht nur bei Kindern. Stellt man dann für einen solchen Zustand oder sonst etwas, das kein Ding ist, eine Frage, die nur für Dinge Sinn hat, so ergibt sich eine Scheinfrage. Manche Formen der Sprache behandeln etwas, das kein Ding ist, wie ein Ding und können uns dadurch zu einer falschen, verdinglichenden Auffassung und damit zu Scheinfragen verleiten. Man sagt z. B. in unserer Sprache: »Ich habe den Mut verloren«, wie man auch sagt: »Ich habe den Bleistift verloren«. Den Mut, eine gewisse Beschaffenheit, die sich ändern kann, die dasein oder auch nicht dasein kann, behandelt man also sprachlich genau wie ein Ding. Auch hier könnte man sich zu der Scheinfrage verleiten lassen: »Wo ist denn jetzt der Mut?«
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Nun werden Sie der Meinung sein, solche durch bildliche Sprachausdrücke veranlaßte falsche Fragen könne wohl nur ein Kind stellen. Aber das ist leider nicht der Fall. Zuweilen, wenn auch selten, sind im Laufe der geschichtlichen Entwicklung der Naturwissenschaft Scheinfragen gestellt worden, die lange Zeit die Köpfe beschäftigt haben. Vor allem aber sind in der Philosophie Scheinfragen aufgetreten in einer Häufigkeit und Großartigkeit wie nirgends sonst. Und auch hier haben die üblichen Formen der Sprache einen großen Teil der Schuld an den verfehlten Fragen. Im Vergleich zu den genannten Beispielen ist hier das Verfehlte freilich mit viel größerer Kunst aufgebaut. Betrachten wir als Beispiel den Begriff des Lebens. Auch hier gibt es Redewendungen, die eine Verdinglichung vornehmen, z. B. »Das Leben ist dem Leib entflohen«. In Wirklichkeit ist aber das Leben nicht ein Ding, das in dem Leibe drin sitzt und sich aus ihm entfernen kann. Was aber ist dann eigentlich das »Leben«? Wir nennen einen Körper »belebt«, wenn er eine gewisse Beschaffenheit, eine gewisse Verhaltungsweise zeigt; diese Verhaltungsweise ist zu kennzeichnen durch Vorgänge wie Ernährung, Fortpflanzung usw., die von der Biologie genauer untersucht und beschrieben werden. Wenn wir nun sagen, ein Körper habe »Leben«, so bedeutet das nichts anderes als: Er ist belebt, er zeigt das genannte Verhalten. Daß in einem Körper Leben sei, ist also nur eine bildliche Redeweise, die das Leben verdinglicht. Das Leben ist ein Zustand, ein Verhalten, ein Vorgang, kein Ding. Daher kann man nicht fragen: »Wo ist jetzt das entschwundene Leben?« Und diese Frage ist auch von der Philosophie – trotz mancher andern Scheinfragen in bezug auf das Leben – niemals gestellt worden. Bei einem ganz verwandten Begriff wird aber tatsächlich diese Wo-Frage noch bis in die Gegenwart hinein aufgeworfen. Das ist der Begriff der Seele. Ein Körper heißt »beseelt«, wenn er nicht nur die biologischen Merkmale des Lebens aufweist, sondern darüber hinaus noch ein in gewisser Hinsicht sinnvolles Verhalten, das man näher charakterisieren könnte. Die Frage, ob die Tiere beseelt sind oder nicht, ist durchaus sinnvoll.
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Wie sie zu beantworten ist, hängt vor allem von der genaueren Definition des Begriffes »beseelt« ab; wenn wir den Begriff recht weit fassen, ist die Frage zu bejahen, bei engerer Fassung zu verneinen. Man kann die genannte Frage auch in die Worte fassen: »Haben die Tiere eine Seele?«; und dann ist natürlich auch diese Frage sinnvoll. Wollte man aber mit dieser Frage mehr meinen, wollte man etwa fragen: »Haben die Tiere, von denen wir ja wissen, daß sie dies und dies bestimmte Verhalten zeigen, auf Grund dessen wir sie als beseelt bezeichnen, auch wirklich eine Seele?«, so hätten wir wieder eine Scheinfrage. Es wäre genau so, als wollte man fragen: »Hat dieser Körper, an dem wir organische Vorgänge beobachten, auch wirklich Leben?« oder »Hat dieser Mensch, der hier schläft, auch wirklich einen Schlaf?« Beim Begriff der Seele ist es aber zu noch schlimmeren Scheinfragen gekommen. Wie der Satz »Dieser Körper hat Leben« nichts anderes bedeutet als »Dieser Körper ist belebt«, so bedeutet auch der Satz »Dieser Körper hat eine Seele« nichts anderes als »Dieser Körper ist beseelt«. Daß die Frage »Wo ist jetzt die dem Leib entflohene Seele?« sinnlos ist, ist daher ebenso klar, wie es bei den entsprechenden Fragen in bezug auf »Leben«, »Mut«, »Schlaf« war. Während aber bei diesen Begriffen die Wo-Frage wohl nur Kindern zuzutrauen ist, ist sie in bezug auf die Seele von Theologen und Metaphysikern der Vergangenheit mit Eifer erörtert worden. Zu den Scheinfragen der gegenwärtigen Philosophie sind wir aber damit noch nicht gelangt. Die Scheinfragen, die wir in den bisherigen Beispielen gefunden haben, sind so beschaffen, daß sie keinen Sinn ergeben, obwohl jedes der Worte, aus denen die Frage besteht, sinnvoll ist. Es sind unzusammengehörige Worte zusammengesetzt; z. B. das Wort »wo«, das nach dem Ort eines Dinges fragt, mit Worten von nicht-dinglichen Begriffen, wie »Schlaf«, »Mut«, »Leben«, »Seele«. Eine zweite, schlimmere Art von Scheinfragen entsteht dadurch, daß ein Wort benutzt wird, das überhaupt keinen Sinn
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hat. Wie kommt es denn, daß die Menschen ein Wort benutzen, das gar nichts bedeutet? Anfänglich hatte freilich jedes Wort seine Bedeutung. Aber manche Worte haben im Laufe der Zeit ihre Bedeutung verloren, weil man mit der alten Bedeutung nichts mehr anfangen konnte. Zuweilen haben die Worte eine neue Bedeutung erhalten. Viele Worte aber bedeuten gar nichts mehr, und es scheint uns nur so, als hätten sie eine Bedeutung. Und das ist gerade in der Philosophie häufig der Fall, sowohl in der überlieferten Schulphilosophie als auch in den modernen metaphysischen Lehren, die gegenwärtig in Europa in großem Ansehen stehen. Hier wollen wir als Beispiel vor allem den Gottesbegriff näher untersuchen. Man kann freilich genau genommen nicht von »dem« Gottesbegriff sprechen; denn das Wort »Gott« hat bei verschiedenen Völkern und zu verschiedenen Zeiten sehr verschiedene Bedeutungen gehabt; und wie es schließlich sogar bedeutungslos geworden ist, werden wir später sehen. Hauptsächlich werden wir die Frage nach der Existenz Gottes untersuchen. Nicht als wollten wir eine Antwort auf die Frage suchen; denn wir wollen hier ja keine Theologie treiben. Sondern wir wollen durch eine logische und geschichtliche Untersuchung uns klar machen, welchen Sinn diese Frage auf verschiedenen Entwicklungsstufen gehabt hat. Wie kommen überhaupt Existenzfragen zustande? Wir haben in unserer Phantasie die Möglichkeit, uns Gegenstände vorzustellen, die wir gesehen haben, aber auch solche, die wir nicht gesehen haben. Wenn wir uns nun irgend etwas vorstellen, so erhebt sich die Frage, ob es ein bloßes Phantasieerzeugnis ist oder ob wir es wirklich gesehen haben oder wenigstens unter gewissen Umständen sehen könnten. Haben wir irgendwelche Vorstellungen unserer Phantasie liebgewonnen, sind sie etwa entstanden aus einer geheimen Sehnsucht, einem unbewußten Wunsch, so sind wir sehr geneigt, an ihre Existenz zu glauben. Zu einer Behauptung der Existenz sind wir aber erst dann berechtigt, wenn der Verstand den Glauben an die Existenz kritisch nachgeprüft und bestätigt hat.
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Das Nachprüfen gerade von Existenzbehauptungen bietet nun merkwürdige Schwierigkeiten. Gewisse Behauptungen lassen sich ja leicht nachprüfen. Wenn z. B. jemand angibt, der Stephansturm sei 200 m hoch, so kann ich nachmessen und feststellen, daß das nicht stimmt. Viel schwieriger aber wird es, wenn nicht eine solche Behauptung über das »So-sein« (so sagt man in der Logik), d. h. über die Beschaffenheit irgendeines bestimmten Gegenstandes aufgestellt wird, sondern eine »Daseins«-Behauptung, eine Behauptung über die wirkliche Existenz eines Gegenstandes bestimmter Art. Eine Existenzbehauptung kann nicht einfach dadurch widerlegt werden, daß man einen Fall findet, bei dem sie nicht zutrifft. Wenn jemand behauptet, es gebe einen Turm, der 200 m hoch ist, so ist ja diese Behauptung noch nicht dadurch widerlegt, daß ich einen Turm finde, der die Höhe von 200 m nicht erreicht. Und wenn ich auch tausend Türme messe und dabei niemals einen Turm von solcher Höhe finde, so läßt sich doch die Existenzbehauptung immer noch aufrecht erhalten. Man steht also einer Existenzbehauptung, die man widerlegen will, ziemlich machtlos gegenüber. So ist es kein Wunder, wenn in Mythen, Sagen und Legenden zahlreiche Existenzbehauptungen auftreten, die lange Zeit allen Zweifeln standhalten. Können nicht die »Inseln der Seligen« oder das »Schlaraffenland« vielleicht sogar in einer andern Welt liegen, die uns gar nicht zugänglich ist? Hier setzt nun eine entscheidende Entdeckung ein, die schon vor Jahrtausenden gemacht worden ist und die dem kritisch nachprüfenden Verstand ein Mittel in die Hand gibt, um den Glauben, der auf Grund der Phantasie derartige Existenzbehauptungen aufstellt, zur Rechenschaft zu ziehen. Das ist die Entdeckung des einen, alles umfassenden Raumes. Alle Dinge sind im Raum; irgend zwei Dinge sind stets räumlich mit einander verbunden. Also gibt es auch von mir aus zu jedem Ding einen Weg; »Weg« nicht im Sinne eines gebahnten Geleises, sondern einer gedachten Linie, einer Bewegungsmöglichkeit. Jedes Ding ist zugänglich. Wenn nun jemand die Existenz eines Dinges von bestimmter Art behauptet, so kann ich verlangen,
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daß er mir den Weg von mir zu dem behaupteten Ding zeigt. Der Weg kann etwa dadurch angegeben werden, daß Richtung und Entfernung angegeben werden. Wenn z. B. jemand behauptet, es gebe einen Turm von 200 m Höhe, so verlange ich die Angabe des Weges zu diesem Turm, um die Angabe nachzuprüfen. Handelt es sich um eine rechtmäßige Behauptung, die auf Erfahrung beruht, so ist der Behauptende auch in der Lage, mir zu sagen: »Der gemeinte Turm befindet sich westlich von hier in so und so viel km Entfernung«. Dadurch ist die Behauptung überprüfbar geworden. Die Forderung, daß bei jeder Existenzbehauptung ein Weg zu dem behaupteten Ding angegeben werde, wird nun auch tatsächlich von der Wissenschaft stets erfüllt. Wenn z. B. ein Zoologe die Existenz irgendeiner Tierart behauptet, so gibt er auch an, daß sie dort und dort zu finden sei. Und wenn ein Astronom die Existenz eines Sternes von bestimmter Beschaffenheit behauptet, so gibt er die astronomischen Koordinaten an, d. h. die Richtung, den Sehweg zu dem Stern. Jeder Wissenschaftler irgendeines Faches fügt sich willig dieser Forderung nach Angabe eines Weges; der Metaphysiker aber, wie wir sehen werden, bemüht sich, ihr auszuweichen. Der Verstand will mit Hilfe des Raumsystems, das jedes Ding erfaßt, alle Existenzbehauptungen nachprüfen. Die Phantasie aber will ihre Gebilde dieser Prüfung nicht gern aussetzen; sie beginnt jetzt die großartige Flucht in mehreren Etappen vor dem verfolgenden Verstand. Zunächst flüchtet sie in entlegene, möglichst schwer zugängliche Räume. Fragte der Verstand nach dem Weg zu den mythischen Geschöpfen, so antworten Sage und Märchen: die Inseln der Seligen liegen weit draußen hinter den Säulen des Herkules; die Kobolde stecken tief in den Bergen; Zeus wohnt hoch droben auf dem Olymp; Gott thront im Himmel über den Wolken oder über dem Firmament. Aber diese Flucht hilft nicht viel. Der von Menschen durchforschte Bereich wird immer größer. Man besteigt den Olymp, man durchfährt die unbekannten Meere, man bohrt Schächte in das Innere der Erde.
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Wohin flüchtet sich jetzt die Phantasie? Sie macht es gleich ganz radikal: Sie verlegt ihre Geschöpfe ins Nicht-Räumliche, ins »Über-Räumliche«. Sie wäre zunächst nicht zu einer so entscheidenden und merkwürdigen Verlegung genötigt. Denn es gibt ja stets noch Orte, die genügend entfernt und undurchforscht sind: man könnte z. B. sagen, das Reich der Zwerge oder das Schlaraffenland liege auf einem Planeten des Sirius. Aber damit begnügt sich die aufgescheuchte Phantasie nicht; sie will gleich möglichst gründlich dem Verfolger entrinnen. Alles dies geschieht aber unbewußt. Der Streit zwischen gläubiger Phantasie und kritisch zweifelndem Verstand wird ja nicht immer zwischen verschiedenen Menschen ausgefochten. Häufig, vielleicht meist, spielt er sich in einem Menschen ab. Der Mensch möchte gern an das Dasein solcher Wesen glauben, wie sie ihm seine unbewußten Wünsche erträumen; aber andererseits will er doch nichts gelten lassen, was seiner verstandesmäßigen Überlegung widersprechen würde. Und so verlegt er denn, um seiner eigenen Kritik zu entrinnen, das Geglaubte ins NichtRäumliche. Gibt es denn das? Alle Dinge sind doch im Raum. Ja, alle Dinge; aber nicht alles, von dem wir sprechen, ist ein Ding. Der Zustand des Schlafes, die Verwandtschaftsbeziehung zwischen zwei Menschen, das sind keine Dinge; genau genommen kann man nur für die Menschen, an denen dieser Zustand oder zwischen denen diese Beziehung besteht, fragen, wo sie seien, nicht aber bei diesem Zustand und dieser Beziehung selbst. Und so ist es auch mit unseren Gefühlen, Vorstellungen, Gedanken; alles sogenannte Seelisch-Geistige ist unräumlich. Darum die Flucht der Phantasie ins Geisterreich, um der Raumfrage des verfolgenden Verstandes nicht ausgesetzt zu sein. Hier reden die Mythen von Naturgeistern, Dämonen, Geistern Verstorbener und dergleichen. Auch mit dem Gottesbegriff wurde diese Wandlung vollzogen. Der griechische Gott Zeus wohnte auf dem Olymp. Aber dort war er nicht sicher, der Olymp war ja ersteigbar, wenn auch kein Grieche eine Besteigung wagte. Und noch bevor der Berg wirklich erstiegen wurde, versetzte man den geglaubten Gott
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aus dem Raume hinaus, ins Geisterreich. Gott galt als geistiges Wesen ohne Leib. Aber auch diese Flucht genügte nicht. Alle seelisch-geistigen Wesen, von denen man durch Erfahrung wußte, waren an Körper gebunden. (Auf Grund unserer früheren Überlegung könnte man sogar sagen: Ein solches Wesen bedeutet nichts anders als eine bestimmte Verhaltungsweise eines Körpers). Und wenn man auch zu sagen pflegte: dieser geistige Gott ist eben, zum Unterschied von den Menschen, ein unkörperlicher Geist, so scheint man doch unbewußt gespürt zu haben, daß mit einer solchen Behauptung irgend etwas nicht stimmt, daß zumindest etwas Seltsames, Problematisches in ihr steckt. Darum hat der Glaube es vorgezogen, mit seinen Geschöpfen und vor allem mit dem Gott-Wesen auch aus dem Geisterreich auszuwandern und eine dem Körperlichen, Räumlichen noch fremdere Sphäre aufzusuchen: das Reich der »Ideen«. Gott wurde nun »die absolute Idee« oder »das Absolute« oder »das oberste Prinzip der Welt« oder »der Ursprung des Seins«. Aus der Theologie, der Lehre von Gott nach den überlieferten Schriften, wurde Metaphysik, die Erkenntnis von Gott aus reinem Denken. Hier hat der Gottesbegriff nichts Körperliches und nichts Körpergebundenes mehr an sich. Er ist in eine radikal unräumliche Sphäre versetzt. Die Flucht vor dem Zugriff des kritischen Verstands mit Hilfe des Raumsystems scheint vollständig gelungen. Aber nun macht der verfolgende Verstand ebenfalls einen entscheidenden Schritt. Der erste Schritt bestand darin, auf Grund des alle Dinge umfassenden Raumsystems jeder Behauptung von der Existenz eines Dinges die Frage nach dem Zugangsweg zu diesem Dinge entgegenzustellen. Und nun wird ein System gefunden, das nicht nur die Dinge, sondern alles Denkbare überhaupt umfaßt, alle Begriffe, seien sie dinglich oder nicht-dinglich. Im Raum stehen alle Dinge in räumlicher Beziehung zu einander, und zu jedem Ding muß es von mir aus einen Zugangsweg geben. Ebenso stehen auf Grund des Begriffssystems, gewissermaßen eines alles umfassenden Begriffsraumes, alle Begriffe in Beziehung zu einander (und zwar
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hier in begrifflicher, logischer Beziehung); und hier muß es zu jedem Begriff einen Verbindungsweg von meinen Erlebnisinhalten, z. B. von meinen Wahrnehmungen aus, geben. Alles, von dem man überhaupt sprechen kann, muß sich auf von mir Erlebtes zurückführen lassen. Alle Erkenntnis, die ich haben kann, bezieht sich entweder auf meine eigenen Gefühle, Vorstellungen, Gedanken usw., oder sie ist aus meinen Wahrnehmungen zu erschließen. Jede sinnvolle Aussage über noch so entlegene Gegenstände oder über noch so komplizierte wissenschaftliche Begriffe muß sich übersetzen lassen in eine Aussage, die von meinen eigenen Erlebnisinhalten, und zwar meist von meinen Wahrnehmungen spricht. Sage ich z. B. »Hier steht ein Tisch«, so bedeutet das: »Ich habe hier die Wahrnehmung von etwas Viereckigem, Braunen usw., das ich zusammenfassend als Tisch bezeichne«. Wie aber, wenn ich sage: »Im Nebenzimmer steht ein Tisch«, während ich jetzt keine Wahrnehmung von diesem Tisch habe? Diese Aussage läßt sich übersetzen in eine Bedingungsaussage über Wahrnehmungen: »Wenn ich in das Nebenzimmer gehe« (und das heißt, in Wahrnehmungen ausgedrückt: »Wenn ich jetzt die und die Bewegungsempfindungen meiner Beinmuskeln habe«), »so habe ich die Wahrnehmung von etwas Viereckigem, Braunem«. In ähnlicher Weise kann man überlegen, daß auch die abstrakten Begriffe der Physik, wie Atom, elektrisches Feld usw., stets auf Wahrnehmungen zurückgehen. Der Physiker kann von jedem dieser Begriffe auf Verlangen eine Definition geben, d. h. eine Zurückführung auf Begriffe, die der Wahrnehmung näher liegen; bis hinab zu solchen Begriffen wie »rot«, »hart«, die unmittelbare Empfindungsinhalte angeben. So gibt es für jeden Begriff einen »logischen Weg«, der bis zu meinen Erlebnisinhalten hinab führt. Das Gleiche gilt auch für das Gebiet des Seelischen. Die Tatsache, die ich durch den Satz ausdrücke »Herr N. freut sich«, ist nicht direkt wahrnehmbar. Aber ich kann sie aus Wahrnehmungen erschließen, nämlich z. B. aus der Beobachtung, daß die Mienen des Herrn N. ein bestimmtes Aussehen angenommen haben. Auch wenn ein Forschungsreisender uns eine Mitteilung dar-
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über macht, daß ein bestimmtes Volk eine bestimmte Religionsform habe, so läßt sich eine solche Erkenntnis vollständig auf Wahrnehmungen zurückführen, etwa auf die Beobachtungen, die der Forscher über die Gesänge, Tänze und sonstigen Riten des Volkes gemacht hat. Jede Aussage muß sich auf Wahrnehmungen zurückführen lassen, sonst ist sie sinnlos. Wie wir bei der Behauptung von der Existenz eines Dinges nach dem Weg zu diesem Ding fragen, so verlangen wir, wenn eine Behauptung über die Existenz irgendeines auch nicht-dinglichen Begriffes gemacht wird, eine Definition des Begriffes, und zwar eine Definition, die auf Beobachtung, auf Sinneseindrücke zurückgeht. Von einer Banknote verlangen wir, daß man sie in klingende Münze umtauschen kann. Wir laufen nicht etwa mit jeder Banknote zur Bank, um sie umzutauschen; es genügt uns, daß wir die Sicherheit der Umtauschbarkeit haben. So werden wir nicht jeden Begriff stets in Wahrnehmungsausdrücke umformen; das wäre viel zu umständlich. Aber wir müssen die Sicherheit haben, daß eine solche Umformung möglich ist. Es kommt vor, daß ungedeckte Banknoten, sei es in betrügerischer Absicht oder gutgläubig, von Hand zu Hand gegeben werden, ohne daß jemand nach der Möglichkeit der Einlösung forscht. So werden auch manche Begriffsworte noch, meist gutgläubig, gebraucht und von Mund zu Mund weitergegeben, für die man bei der Nachforschung keine Golddeckung findet, d. h. keine Definition mit erfahrungsmäßigen Kennzeichen, und daher keine Möglichkeit, den Begriff und die Aussagen über ihn auf Erfahrung, Beobachtung, Wahrnehmung zurückzuführen. Der englische Philosoph Hume hat vor zweihundert Jahren diese zwingende Forderung der Zurückführbarkeit eines jeden Begriffes auf Sinneseindrücke, die sogenannte »positivistische« Forderung, aufgestellt. Weitergehende Untersuchungen in dieser Richtung sind dann vor etwa fünfzig Jahren von dem Wiener Physiker und Philosophen Ernst Mach angestellt worden. Und gegenwärtig sind englische und deutsche Logiker damit beschäftigt, den »Begriffsraum« oder besser den »Stammbaum
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Von Gott und Seele
der Begriffe« aufzustellen, d. h. das System (»Konstitutionssystem«), in dem die Wege zur Darstellung kommen, die von den einfachsten Erlebnisinhalten und den unmittelbaren Sinnesempfindungen stufenweise zu weiteren Begriffen hinführen, bis hinauf zu den kompliziertesten, abstraktesten Begriffen der modernen Wissenschaft. Wir wollen jetzt die Forderung der Zurückführung auf Wahrnehmungen anwenden auf den Begriff »Seele«. Wir haben früher schon die Frage betrachtet: »Haben die Tiere eine Seele«. Wenn hier mit »Seele« nicht ein bestimmtes, beobachtbares Verhalten gemeint ist, sondern etwas anderes, nicht Beobachtbares, das außer dem Verhalten noch da ist oder »hinter« ihm liegt, so erfüllt ein solcher Begriff die aufgestellte Forderung nicht. Er besitzt keine Definition, die auf Wahrnehmbares verweist und ist daher ein ungedecktes Papier, ein Wort ohne Bedeutung. Und allgemein gilt: Jeder Satz über Seelisches und über Seelen, ob von Tieren oder Menschen, von Lebenden oder Verstorbenen, muß umtauschbar sein in einen Satz über mögliche Wahrnehmungen. Und nun wenden wir die gleiche Forderung auch auf den Gottesbegriff an. Wenn jemand Aussagen macht, in denen das Wort »Gott« vorkommt, also insbesondere, wenn ein Metaphysiker oder ein Theologe die Existenz Gottes behauptet, so verlangen wir die Zurückführung auf Sinneseindrücke, also die Angabe einer Definition des Wortes »Gott«, in der wahrnehmbare Kennzeichen genannt werden. Zu dieser Forderung kann man sich nun in drei verschiedenen Arten stellen. Erstens kann man die Forderung erfüllen: eine solche Definition angeben. Dann hat die Behauptung der Existenz Gottes auf jeden Fall einen Sinn; sie besagt dann: es gibt etwas, das die und die (in der Definition genannten) wahrnehmbaren Merkmale besitzt. So ist die Behauptung der Existenz Gottes in die Form einer Aussage über einen erfahrbaren Sachverhalt der Natur gebracht; damit ist das Urteil über die Gültigkeit der Behauptung der Naturwissenschaft übergeben. Für die bisher in Theologie und Metaphysik verwendeten Gottesbegriffe hat man nur
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Scheinfragen in Metaphysik und Theologie
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selten eine Definition gegeben, die den Forderungen der Logik entspricht. In den wenigen Fällen, wo eine Definition gegeben und die Existenzbehauptung damit vor den Richterstuhl der Naturwissenschaft gebracht worden ist, hat die Wissenschaft entweder die Existenz nicht anerkannt oder sie hat, wenn sie fand, daß es etwas von der Art des Definierten gab, festgestellt, daß dieses nicht die Eigenschaften besaß, die man dem »Gott« Genannten zulegen wollte. Wenn z. B. »Gott« definiert wird als »die Kraft, die die Sterne in ihrer Bahn lenkt«, so findet zwar die Naturwissenschaft eine solche Kraft, nämlich die Gravitation (Schwerkraft); aber sie muß dann feststellen, daß diese durchaus nicht allmächtig ist, sondern mit dem Quadrat der Entfernung abnimmt; von Allgütigkeit gar nicht zu reden. Es ist begreiflich, daß die Theologen und Metaphysiker nicht sehr geneigt sind, ihre Behauptungen der Beurteilung der Naturwissenschaft zu unterstellen. Sie haben es deshalb meist vorgezogen, das Wort »Gott« zu verwenden, ohne eine Definition zu geben. Für diesen Fall haben unsere früheren Überlegungen das Urteil schon gefällt: »Gott« ist in diesem Falle ein bloßes Wort ohne Inhalt; alle Behauptungssätze, in denen es vorkommt, also auch die Existenzbehauptung, sind sinnlos; sie gleichen einem Geldschein ohne Umtauschvermerk. Und nun kommen wir zur dritten Art des Verhaltens. Kann es denn etwas Drittes geben? Man stellt doch entweder eine Definition auf oder man tut das nicht. In Wirklichkeit kann es hier freilich nichts Drittes geben. Aber man kann Folgendes machen: man tut das eine und stellt sich so, als tue man das andere. Man gibt für das Wort »Gott«, das man verwendet, zwar keine Definition an; aber man formuliert irgendetwas, das so aussieht wie eine Definition. Und das ist natürlich besonders gefährlich, weil man hiermit andere und oft auch sich selbst leicht täuschen kann. Man macht eine Angabe von der Form einer Definition: der Name »Gott« soll etwas von der und der Art bezeichnen. Wenn man aber die angegebenen Kennzeichen oder Bestimmungen näher untersucht, so findet man, daß sie nicht auf Wahrnehmbares oder irgendwie Erfahrbares zurückgehen.
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Von Gott und Seele
Eine solche Scheindefinition liegt z. B. vor, wenn man sagt, unter »Gott« sei zu verstehen »der Urgrund der Welt« oder »die absolute Idee« oder »das Prinzip des Guten« oder »das unbedingt notwendige Sein«. Mit solchen Bestimmungen glaubt man eine Definition gegeben zu haben. Aber es sind keine Definitionen; diese Bestimmungen führen nicht auf Wahrnehmungsaussagen zurück, sondern geben nur für ein sinnloses Wort andere sinnlose Worte. Hier haben wir Banknoten, die in besonders gefährlicher Weise gefälscht sind; sie tragen nämlich einen Umtauschvermerk; wenn man aber die Einlösungsbank unter der aufgedruckten Adresse suchen will, so stellt sich heraus, daß sie überhaupt nicht besteht. Zum Schluß sei das Ergebnis unserer Überlegungen noch einmal kurz zusammengefaßt. Wie stellt sich die moderne wissenschaftliche Philosophie zu den sogenannten »höheren« Begriffen der Metaphysik, z. B. zum Gottesbegriff? Sie verlangt eine Definition; das bedeutet: eine Zurückführung auf Beobachtbares. Wird eine Definition nicht gegeben, so liegt ein bloßer Scheinbegriff vor; die angeknüpften metaphysischen Probleme sind bloße Scheinfragen. Wird aber eine Definition gegeben, so wird jede Behauptung über den Begriff ein Erfahrungssatz, dessen Beurteilung wir der Erfahrungswissenschaft übergeben. Die Metaphysik aber, die Erbin der Theologie in verändertem Sprachgewand, ist in beiden Fällen überflüssig.1
1 »Wer die Fragen, die in diesem gemeinverständlichen Vortrag nur kurz und ungenau behandelt werden konnten, eingehender studieren will, sei auf folgende Schriften hingewiesen. [Siehe in der Bibliographie die Werke von Carnap, Hahn, Hume, Mach und Russell (Anm. des Hg.)] Insbesondere sei jeder, der Einwände gegen die vorgetragene Auffassung erheben will, gebeten, sich an die strengeren Formulierungen und ausführlicheren Begründungen der Theorie vom Stammbaum der Begriffe (»Konstitutionssystem«) im unten genannten Buch Der Logische Aufbau der Welt zu halten.
Die alte und die neue Logik
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1. Logik als Methode des Philosophierens 19
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Der neue Kurs dieser Zeitschrift, der mit diesem Heft beginnt, stellt sich die Aufgabe, die neue wissenschaftliche Methode des Philosophierens zu fördern, die man vielleicht in aller Kürze dadurch kennzeichnen kann, daß sie in der logischen Analyse der Sätze und Begriffe der empirischen Wissenschaft besteht. Hiermit sind die beiden wichtigsten Merkmale angedeutet, durch die sich diese Methode von der der traditionellen Philosophie unterscheidet. Das erste Merkmal besteht darin, daß dieses Philosophieren sich in enger Verbindung mit der empirischen Wissenschaft, ja überhaupt nur an ihr vollzieht, so daß eine Philosophie als eigenes Erkenntnisgebiet neben oder über der empirischen Wissenschaft nicht mehr anerkannt wird. Das zweite Merkmal gibt an, worin die philosophische Arbeit an der empirischen Wissenschaft besteht: in der Klärung ihrer Sätze durch logische Analyse; im einzelnen: in der Zerlegung der Sätze in Satzteile (Begriffe), der schrittweisen Zurückführung der Begriffe auf grundlegendere Begriffe und der schrittweisen Zurückführung der Sätze auf grundlegendere Sätze. Aus dieser Aufgabestellung ergibt sich der Wert der Logik für die philosophische Arbeit: sie ist nicht mehr bloß eine philosophische Disziplin neben anderen, sondern wir können geradezu sagen: die Logik ist die Methode des Philosophierens. Dabei ist »Logik« im weitesten Sinne verstanden als Zusammenfassung der reinen, formalen Logik und der angewandten Logik oder Erkenntnistheorie. Der Wunsch, an Stelle metaphysischer Begriffsdichtung eine streng wissenschaftliche Methode des Philosophierens zu setzen, wäre ein frommer Wunsch geblieben, wenn man als logisches Werkzeug nur das System der traditionellen Logik zur
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Die alte und die neue Logik
Verfügung gehabt hätte. Diese war gänzlich außerstande, den Ansprüchen an inhaltlichen Reichtum, formale Strenge und technische Brauchbarkeit zu genügen, die die neue Aufgabe an sie stellen mußte. Die formale Logik beruhte auf dem aristotelisch-scholastischen System, das im Laufe seiner weiteren Entwicklung nur geringfügige Verbesserungen und Ergänzungen erfahren hatte. Auf dem Gebiet der angewandten Logik (Methodenlehre) lagen zwar zahlreiche Einzeluntersuchungen und manche umfangreiche zusammenfassende Werke vor; diese enthielten auch inhaltlich manche bemerkenswerte Überlegungen, standen aber in bezug auf Schärfe der Begriffsbildung und Gründlichkeit der Analyse auf ziemlich primitiver Stufe. Darin liegt kein Vorwurf gegen diese Werke (zumindest nicht, soweit sie dem vorigen Jahrhundert angehören); denn dieser Zustand der angewandten Logik war bedingt durch die Unzulänglichkeit der formalen Grundlage. An Stelle des unbrauchbaren alten Werkzeuges ein leistungsfähiges neues zu schaffen, hätte wohl lange Zeit erfordert. Und vielleicht darf man zweifeln, ob die Logiker aus eigenen Kräften zu diesem Werk überhaupt imstande gewesen wären. Zum Glück fand man ein Werkzeug schon vor, eine neue Logik, die in den letzten 50 Jahren entwickelt worden ist, und zwar fast durchweg von Mathematikern. Den Anlaß hierzu gaben Schwierigkeiten innerhalb der Mathematik; an eine philosophisch bedeutsame allgemeinere Anwendung war zunächst nicht gedacht worden. Die meisten Philosophen haben auch bisher wenig Kenntnis von ihr genommen und noch weniger Nutzen für ihre eigene Arbeit aus ihr gezogen. Ja, es ist auffallend, mit welcher Vorsicht oder geradezu ängstlicher Scheu sie an diese neue Logik herangehen oder zumeist um sie herumgehen. Sicherlich schreckt das mathematisch anmutende Formelgewand viele ab; aber im Grunde steckt wohl ein instinktives Gegengefühl dahinter. Und diesmal haben sie richtig gewittert: In dieser neuen Logik liegt – das ist auch vielen ihrer Vertreter noch nicht bewußt – der Punkt, von dem aus die alte Philosophie aus den Angeln zu heben ist. Alle Philosophie im
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Die neue Logik
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alten Sinne, knüpfe sie nun an Plato, Thomas, Kant, Schelling oder Hegel an, oder baue sie eine neue »Metaphysik des Seins« oder eine »geisteswissenschaftliche Philosophie« auf, erweist sich vor dem unerbittlichen Urteil der neuen Logik nicht etwa nur als inhaltlich falsch, sondern als logisch unhaltbar, daher sinnlos. 2. Die neue Logik
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Die neue Logik ist in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts entstanden. Unter Anknüpfung an Ideen von Leibniz und unter Verwendung älterer Ansätze (De Morgan 1847; Boole 1854) wurden die ersten Versuche zu einem umfassenden Neuaufbau der Logik von Frege, Peano und Schröder angestellt. Unter Verwertung dieser Vorarbeiten haben dann Whitehead und Russell das große Hauptwerk der neuen Logik geschaffen, die »Principia Mathematica« (1910 – 1913). Alle weiteren Arbeiten in der neuen Logik stützen sich auf dieses Werk; sie versuchen entweder, es zu ergänzen, oder es umzubauen. (Hier seien nur einige Namen genannt; die Göttinger Schule: Hilbert, Ackermann, Bernays, Behmann und andere; die Warschauer Schule: Chwistek, Lesniewski, Tarski und andere; Wittgenstein und an ihn anknüpfend Ramsey; weitere Angaben bei Lewis und Fraenkel). Der wichtigste Anlaß zur Ausbildung der neuen Logik lag in der Notwendigkeit, die Grundlagen der Mathematik kritisch nachzuprüfen. Die Mathematik hatte insbesondere seit Leibniz und Newton einen ungeheuren Aufschwung genommen, eine Fülle neuer Erkenntnisse gewonnen. Die Sicherung der Fundamente hatte jedoch mit diesem schnellen Wachsen des Gebäudes nicht Schritt gehalten. Daher begannen vor etwa hundert Jahren stärkere Bemühungen um eine Klärung der Grundbegriffe. Diese Bemühungen waren an manchen Stellen erfolgreich; es gelang den Mathematikern, wichtige Begriffe wie z. B. Grenzwert, Differentialquotient, komplexe Zahl in strengerer Form zu definieren. Man hatte diese Begriffe schon längst in
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Die alte und die neue Logik
fruchtbarer Weise praktisch verwendet, ohne hinreichende Definitionen zu besitzen; nicht der Klarheit der Begriffe, sondern nur dem sicheren Instinkt der großen Mathematiker war es zu verdanken, daß die Unzulänglichkeit der Begriffsbildungen kein Unheil in der Mathematik angerichtet hatte. Die Bemühungen um »Tieferlegung der Fundamente« gingen nun schrittweise weiter. Man begnügte sich nicht damit, die verschiedenen Begriffe der Analysis auf Zahlbegriffe als die Fundamentbegriffe der Mathematik zurückzuführen, sondern stellte sich die Aufgabe einer logischen Klärung der Zahlbegriffe selbst. Diese Untersuchungen der logischen Grundlagen der Arithmetik mit dem Ziel der logischen Analyse der Zahl erforderten unumgänglich ein durch Umfang und Schärfe leistungsfähiges logisches System. So gaben diese Untersuchungen einen besonders starken Antrieb zur Entwicklung der neuen Logik; vor allem Peano, Frege, Whitehead, Russell und Hilbert waren in ihren logischen Arbeiten in erster Linie durch diese Zielsetzung bestimmt. Dringender noch wurde die Notwendigkeit eines Neuaufbaues der Logik, als man gewisse Widersprüche (»Antinomien«) zunächst auf mathematischem Gebiete bemerkte, die sich aber bald als solche allgemein-logischer Natur herausstellten. Sie konnten nur durch gründliche Neugestaltung der Logik überwunden werden. Im folgenden sollen einige wichtige Züge der neuen Logik angegeben werden, vor allem solche, in denen sie sich von der alten Logik unterscheidet und durch die sie eine besondere allgemeinwissenschaftliche Bedeutung gewonnen hat. Zunächst werden wir einen Blick auf die symbolische Einkleidung werfen, in der die neue Logik aufzutreten pflegt. Dann sollen einige Andeutungen über die inhaltliche Bereicherung gegeben werden, die vor allem in der Berücksichtigung der Relationen gegenüber der Beschränkung auf Prädikate liegt. Weiterhin soll kurz erläutert werden, wie die schon genannten Widersprüche durch die sogenannte Typentheorie überwunden werden. Nach diesen Punkten von hauptsächlich innerlogischer Bedeutung werden wir dann die allgemein-wissenschaftliche
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Die symbolische Methode
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Bedeutung ins Auge fassen: die Möglichkeit der Ableitung der Mathematik aus der Logik; die für die Philosophie sehr bedeutsame Klärung des wesentlichen Charakters der logischen Sätze als Tautologien; die Begriffsanalyse, durch die die Wissenschaft zu einer Einheit gebracht wird; und schließlich die Ausschaltung der Metaphysik durch logische Analyse.
3. Die symbolische Methode
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Wenn man eine Abhandlung der modernen Logik zu Gesicht bekommt, fällt zunächst als äußeres Merkmal die Verwendung symbolischer Formeln auf, die denen der Mathematik ähnlich sehen. Diese Symbolik ist auch ursprünglich in Anlehnung an die Mathematik geschaffen worden; später aber wurde eine für den besonderen Zweck geeignetere Form entwickelt. In der Mathematik erscheint uns der Vorzug der symbolischen Darstellungsweise gegenüber der Wortsprache selbstverständlich. Wieviel prägnanter und übersichtlicher wird der Satz, wenn wir nicht mehr schreiben: »Multipliziert man eine Zahl mit einer zweiten, so erhält man dasselbe Ergebnis, wie wenn man die zweite mit der ersten multipliziert«, sondern: »Für beliebige Zahlen x, y gilt: x · y = y · x« oder noch kürzer und deutlicher mit Benutzung des logistischen Allzeichens: »(x,y). x · y = y · x«. Durch die Verwendung der Symbolik in der Logik wird vor allem eine sonst nicht erreichbare Strenge der Schlußfolgerung erzielt. Das Schließen geschieht hier durch ein rechenmäßiges Operieren mit den Formeln (daher die Bezeichnung »Kalkül«, »Aussagenkalkül«, »Funktionenkalkül«); inhaltliche Überlegungen leiten dabei zwar den Gang der Deduktion, gehen aber nicht in die Deduktion mit ein. Diese Methode sichert, daß sich bei der Deduktion keine unbemerkten Voraussetzungen einschleichen, was sich bei Ableitungen in Wortsprache schwer vermeiden läßt. Eine solche Strenge der Schlußfolgerung ist besonders wichtig bei der Axiomatik irgendeines Gebietes, z. B. der Geometrie. Aus der geschichtli-
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Die alte und die neue Logik
chen Entwicklung sind zahlreiche Beispiele unreiner Schlüsse bekannt, so die verschiedenen Versuche, das Parallelenaxiom aus den übrigen Axiomen der euklidischen Geometrie abzuleiten. Hier wurde jedesmal ein dem Parallelenaxiom äquivalenter Satz stillschweigend vorausgesetzt und in der Ableitung benutzt. Ebenso wie bei der Deduktion von Sätzen ist auch bei der Konstitution von Begriffen Strenge und Sauberkeit nötig. Die Analyse mit den Mitteln der neuen Logik hat gezeigt, daß viele philosophische Begriffe den erhöhten Anforderungen an Strenge nicht genügen; einige müssen anders gefaßt, andere als sinnlos ausgeschaltet werden (vgl. 9). So wird gegenwärtig immer deutlicher, daß die Erkenntnistheorie, die im Grunde nichts anderes ist als angewandte Logik, die Logistik so wenig entbehren kann wie die Physik die Mathematik.
4. Die Logik der Beziehungen Die neue Logik unterscheidet sich von der alten aber nicht nur durch die Form der Darstellung, sondern vor allem durch umfangreiche Gebietserweiterungen. Die wichtigsten neuen Gebiete sind die Theorie der Beziehungssätze und die Theorie der variablen Satzfunktionen. Hier soll nur die Beziehungstheorie kurz erläutert werden. Die einzige Form der Sätze (Urteile) in der alten Logik war die prädikative Form: »Sokrates ist ein Mensch«, »Alle (oder: einige) Griechen sind Menschen«. Hier wird einem Subjektsbegriff ein Prädikatsbegriff, eine Eigenschaft beigelegt. Schon Leibniz hat die Forderung aufgestellt, daß die Logik auch Sätze von relationaler Form berücksichtigen sollte. Durch einen solchen Beziehungssatz, z. B. »a ist größer als b«, wird zwei oder mehreren Gegenständen (wenn man will: mehreren Subjektsbegriffen) eine Beziehung beigelegt. Leibniz’ Entwürfe einer Relationstheorie sind erst von der neuen Logik ausgebaut worden. Die alte Logik faßte auch die Beziehungssätze als Sätze
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Die Logik der Beziehungen
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prädikativer Form auf. Dadurch werden aber manche Schlüsse zwischen Relationssätzen unmöglich, die für die Wissenschaft unentbehrlich sind. Man kann zwar z. B. den Satz »a ist größer als b« so deuten: Dem Subjekt a wird das Prädikat »größer als b« zugeschrieben. Aber dann bildet dieses Prädikat eine Einheit; man kann b nicht nach irgendeiner Schlußregel herauslösen. Daher ist man nicht imstande, aus dem genannten Satz auf den Satz »b ist kleiner als a« zu schließen. In der neuen Logik geschieht dieser Schluß in folgender Weise. Die Beziehung »kleiner« wird definiert als die »Konverse« der Beziehung »größer«. Der genannte Schluß beruht dann auf dem allgemeinen Satz: Besteht eine Beziehung zwischen x und y, so besteht ihre Konverse zwischen y und x. Ein weiteres Beispiel eines Satzes, der in der alten Logik nicht bewiesen werden kann: »Wenn es einen Sieger gibt, gibt es einen Besiegten«. In der neuen Logik folgt dies aus dem logischen Satz: Wenn eine Beziehung ein Vorderglied besitzt, so auch ein Hinterglied. Besonders für die mathematischen Wissenschaften sind die Beziehungssätze unumgänglich nötig. Nehmen wir als Beispiel eines geometrischen Begriffes die dreistellige Beziehung »zwischen« (auf der offenen Geraden). Die geometrischen Axiome »Liegt a zwischen b und c, so liegt a zwischen c und b« und »Liegt a zwischen b und c, so liegt b nicht zwischen c und a« können nur in der neuen Logik ausgedrückt werden. Bei prädikativer Auffassung würden wir im ersten Fall die Prädikate »zwischen b und c liegend« und »zwischen c und b liegend« haben. Läßt man sie unzerlegt, so kann man nicht angeben, wie das zweite Prädikat durch Umformung aus dem ersten entsteht. Hebt man aber die Gegenstände b und c aus dem Prädikat heraus, so schreibt der Satz »a liegt zwischen b und c« nicht mehr nur einem Gegenstand, sondern drei Gegenständen eine Bestimmung zu; damit ist er ein dreistelliger Beziehungssatz. Die genannten Beziehungen »größer« und »zwischen« sind von der Art, daß bei ihnen die Glieder nicht beliebig in eine andere Reihenfolge gebracht werden dürfen. Die Bestimmung irgendeiner Ordnung in irgendeinem Bereiche beruht wesent-
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Die alte und die neue Logik
lich auf der Verwendung derartiger Beziehungen. Ist für je zwei Personen einer Klasse bekannt, welche größer als die andere ist, so ist damit eine Reihenordnung dieser Personen festgelegt. Man könnte meinen, das sei auch mit Hilfe prädikativer Bestimmungen möglich, nämlich indem man jeder Person eine bestimmte Maßzahl als Eigenschaft zuschreibe. Aber hierbei müßte man wiederum voraussetzen, daß für je zwei Zahlen bekannt ist, welche die größere ist. Ohne Verwendung einer ordnenden Beziehung ist somit die Bildung einer Reihe unmöglich. Daraus ergibt sich die Unentbehrlichkeit der Beziehungslehre für alle diejenigen Wissenschaften, die es mit Reihen und Ordnungen zu tun haben: Arithmetik (Zahlenreihe), Geometrie (Punktreihen), Physik (alle Maßreihen: solche des Raumes, der Zeit und der verschiedenen Zustandsgrößen). Die Beschränkung auf Prädikatsätze hat auch auf außerlogischem Gebiet verhängnisvoll gewirkt. Vielleicht hat Russell recht, wenn er gewisse Irrwege der Metaphysik auf diesen Fehler der Logik zurückführt: Wenn jeder Satz einem Subjekt ein Prädikat zuschreibt, so kann es im Grunde nur ein Subjekt geben, das Absolute; und jeder Sachverhalt muß darin bestehen, daß dem Absoluten ein gewisses Attribut zukommt. Vielleicht könnte man in ähnlicher Weise alle substantialisierende Metaphysik auf jenen Fehler zurückführen. Sicher ist jedoch, daß die genannte Beschränkung in der Physik bedeutungsvolle und langwährende Hemmungen bewirkt hat, so z. B. die substantielle Vorstellung von der Materie. Vor allem aber dürfen wir wohl annehmen, daß der Begriff des absoluten Raumes mit auf jenem Fehler der Logik beruhte. Da die Grundform einer Aussage über Räumliches prädikativ sein mußte, konnte sie nur in einer Ortsbestimmung eines Körpers bestehen. Da Leibniz die Möglichkeit der Relationssätze erkannt hatte, konnte er zur richtigen Auffassung vom Raum gelangen: nicht der Ort eines Körpers, sondern seine Lagebeziehungen zu anderen Körpern bilden den elementaren Sachverhalt. Er begründete das erkenntnistheoretisch: Nicht der Ort an sich, sondern nur die Lagebeziehungen sind feststellbar. Sein Kampf
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Die logischen Antinomien
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für die relativistische Raumauffassung gegen die absolutistische der Newton-Anhänger hatte ebensowenig Erfolg wie seine Forderung in der Logik. Erst nach 200 Jahren wurden, zugleich auf beiden Gebieten, seine Ideen wieder aufgegriffen und durchgeführt: in der Logik durch die Relationstheorie (De Morgan 1858 ; Peirce 1870), in der Physik durch die Relativitätstheorie (vorbereitende Gedanken bei Mach 1883; Einstein 1905).
5. Die logischen Antinomien Etwa um die Jahrhundertwende traten in der jungen mathematischen Disziplin der Mengenlehre gewisse merkwürdige Widersprüche (»Paradoxien«) auf. Die nähere Untersuchung ergab bald, daß nicht spezifisch mathematische, sondern allgemein-logische Widersprüche vorlagen, die sogenannten logischen Antinomien. Die neue Logik war in ihrem damaligen Entwicklungsstadium nicht imstande, diese Widersprüche zu überwinden; das war ein Mangel, den sie mit der alten Logik gemein hatte. Dieser Mangel bildete einen weiteren Ansporn zur gründlichen Neugestaltung des Systems der Logik. Russell gelang es, die Widersprüche durch die »Typentheorie« auszuschalten. Dadurch wurde die Kluft zwischen alter und neuer Logik noch größer. Die alte Logik steht nicht nur bedeutend inhaltsärmer da, sondern kommt, da die Widersprüche in ihr nicht behoben sind, überhaupt nicht mehr in Betracht (davon wissen aber die meisten Lehrbücher der Logik noch nichts). Betrachten wir das einfachste Beispiel einer Antinomie (nach Russell). Ein Begriff soll als prädikabel bezeichnet werden, wenn er sich selbst als Eigenschaft zukommt. Beispiel: der Begriff »abstrakt« ist abstrakt. Ein Begriff soll als imprädikabel bezeichnet werden, wenn er sich selbst nicht zukommt. Beispiel: der Begriff »tugendhaft« ist nicht tugendhaft. Nach dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten ist der Begriff »imprädikabel« entweder prädikabel oder imprädikabel. Angenommen, er ist prädikabel; dann kommt er, gemäß der Definition von »prä-
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Die alte und die neue Logik
dikabel«, sich selbst zu, ist also imprädikabel. Angenommen, der Begriff »imprädikabel« ist imprädikabel; dann ist dieser Begriff sich selbst zugeschrieben; also ist er nach der Definition von »prädikabel« prädikabel. Beide Annahmen sind also widerspruchsvoll. Es gibt eine ganze Reihe ähnlicher Antinomien. Die Typentheorie besteht nun darin, daß alle Begriffe, also Eigenschaften und Beziehungen, in »Typen« eingeteilt werden. Beschränken wir uns der Einfachheit halber hier auf Eigenschaften. Hier werden unterschieden: die »Individuen«, d. h. Gegenstände, die nicht Eigenschaften sind (nullte Stufe); die Eigenschaften von Individuen (erste Stufe); die Eigenschaften von Eigenschaften von Individuen (zweite Stufe) usf. Nehmen wir z. B. die Körper als Individuen; »viereckig«, »rot« sind dann Eigenschaften erster Stufe; »räumliche Eigenschaften«, »Farbe« sind Eigenschaften zweiter Stufe. Die Typentheorie besagt nun: eine Eigenschaft erster Stufe kann nur Individuen zukommen oder nicht zukommen, dagegen ist sie auf Eigenschaften erster oder höherer Stufe überhaupt nicht beziehbar; eine Eigenschaft zweiter Stufe kann nur Eigenschaften erster Stufe zukommen oder nicht zukommen, auf Individuen oder Eigenschaften zweiter oder höherer Stufe ist sie nicht beziehbar usf. Beispiel: Sind a, b Körper, so sind die Sätze »a ist viereckig«, »b ist rot« wahr oder falsch, jedenfalls sinnvoll; ferner sind die Sätze »Viereckig ist eine räumliche Eigenschaft« und »Rot ist eine Farbe« wahr; dagegen sind die Wortreihen »a ist eine räumliche Eigenschaft«. »Viereckig ist rot«, »Farbe ist eine räumliche Eigenschaft« weder wahr, noch falsch, sondern sinnlos, bloße Scheinsätze. Solche Scheinsätze werden vermieden, wenn ein Begriff (Eigenschaft) n-ter Stufe jeweils nur auf einen solchen (n – 1)-ter Stufe bezogen wird. Daraus folgt als besonders wichtiger Sonderfall, daß die Annahmen, eine gewisse Eigenschaft komme sich selbst zu oder sie komme sich nicht zu, weder wahr, noch falsch sein können, sondern stets sinnlos sind. Befolgt man die Regel dieser Typentheorie, so kann, wie man leicht sieht, die genannte Antinomie »imprädikabel« gar nicht entstehen. Denn die genannten Definitionen für »prädikabel«
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Die Mathematik als Zweig der Logik
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und für »imprädikabel« können dann nicht aufgestellt werden, sind also sinnlos. In gleicher Weise werden auch die übrigen hier nicht genannten Antinomien mit Hilfe der Typentheorie ausgeschaltet.
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6. Die Mathematik als Zweig der Logik Zu den Zielen der Bemühungen um eine neue Logik gehörte, wie erwähnt, die logische Analyse der Arithmetik. Schon Frege kam zu dem Ergebnis, daß die Mathematik als Zweig der Logik aufzufassen sei. Diese Auffassung wurde von Whitehead und Russell in systematischer Durchführung bestätigt. Es zeigt sich nämlich, daß jeder mathematische Begriff aus den Grundbegriffen der Logik abgeleitet werden kann, und daß jeder mathematische Satz (sofern er in jedem möglichen Denkbereich beliebigen Umfanges gilt) aus den Grundsätzen der Logik abgeleitet werden kann. Die wichtigsten Begriffe der neuen Logik (die zum Teil aufeinander zurückführbar sind) sind die folgenden: 1. die Negation »nicht«, 2. die logischen Verknüpfungen zweier Sätze: »und«, »oder«, »wenn – so«, 3. »jeder« (oder »alle«), »es gibt«; 4. »identisch«. Die Möglichkeit der Ableitung arithmetischer Begriffe sei an einem einfachen Beispiel gezeigt: an der Zahl Zwei als Kardinalzahl, d. h. als Anzahl eines Begriffes. Wir definieren: »Die Anzahl des Begriffes f ist zwei« soll bedeuten »Es gibt ein x und es gibt ein y derart, daß x nicht identisch mit y ist, x unter f fällt, y unter f fällt, und daß für jedes z gilt: wenn z unter f fällt, so ist z mit x identisch oder mit y identisch«. Wir sehen, daß bei dieser Definition von »zwei« nur die genannten logischen Begriffe verwendet worden sind; streng läßt sich das nur in symbolischer Darstellung zeigen. In ähnlicher Weise können alle natürlichen Zahlen abgeleitet werden; ferner auch die positiven und die negativen Zahlen, die Brüche, die reellen Zahlen, die komplexen Zahlen; schließlich auch die Begriffe der Analysis: Limes, Konvergenz, Differentialquotient, Integral, Stetigkeit usw.
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Die alte und die neue Logik
Da jeder mathematische Begriff aus den logischen Grundbegriffen abgeleitet ist, läßt sich jeder mathematische Satz in einen Satz über rein logische Begriffe übersetzen; und diese Übersetzung ist dann (unter gewissen Bedingungen, wie angedeutet) aus den logischen Grundsätzen deduzierbar. Nehmen wir als Beispiel den arithmetischen Satz »1+1 = 2«. Seine Übersetzung in einen rein logischen Satz lautet: »Hat ein Begriff f die Anzahl 1 und ein Begriff g die Anzahl 1 und schließen f und g einander aus, und ist der Begriff h die Vereinigung (oder-Verknüpfung) von f und g, so hat h die Anzahl 2«. Diese Übersetzung stellt einen Satz der Begriffslogik (Theorie der Satzfunktionen) dar, der aus den logischen Grundsätzen ableitbar ist. In ähnlicher Weise können alle übrigen Sätze der Arithmetik und der Analysis (soweit sie allgemeingültig im weitesten Sinne sind) als logische Sätze abgeleitet werden.
7. Der tautologische Charakter der Logik Auf dem Boden der neuen Logik hat sich der wesentliche Charakter der logischen Sätze klar erkennen lassen. Das ist sowohl für die Erkenntnistheorie der Mathematik, als auch für die Klärung viel umstrittener philosophischer Fragen von größter Bedeutung geworden. Die übliche Unterscheidung zwischen Grundsätzen und abgeleiteten Sätzen in der Logik ist willkürlich. Für einen logischen Satz ist es unwesentlich, von irgendwelchen anderen Sätzen abgeleitet zu sein; er läßt seine Gültigkeit durch seine eigene Form erkennen. Das sei an einem einfachen Beispiel gezeigt. Mit Hilfe der logischen Verknüpfungen kann man aus zwei Sätzen p, q andere Sätze bilden, z. B. »nicht-p«, »p oder q«, »p und q«. Die Wahrheit dieser zusammengesetzten Sätze hängt offenbar nicht vom Sinn der Sätze p und q ab, sondern nur von ihrem »Wahrheitswert«, d. h. davon, ob sie wahr oder falsch sind. Nun gibt es vier Kombinationen der Wahrheitswerte für p
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Der tautologische Charakter der Logik
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und q, nämlich 1. p ist wahr und q ist wahr: W W, 2. W F, 3. F W, 4. F F. Der Sinn einer logischen Verknüpfung wird dadurch bestimmt, daß der mit Hilfe dieser Verknüpfung aus p und q gebildete Satz in gewissen dieser vier möglichen Fälle wahr, in den übrigen falsch sein soll. Z. B. wird der Sinn von »oder« (im nicht-ausschließenden Sinne) durch die Festsetzung bestimmt, daß der Satz »p oder q« in den ersten drei Fällen wahr, im vierten falsch sein soll. Zusammengesetzte Sätze können nun weiter zusammengesetzt werden. Nehmen wir als Beispiel: »(nicht-p und nicht-q) oder (p oder q)«. Wir können nun die Wahrheitswerte in den vier Fällen zunächst für die Teilsätze und dann für den ganzen Satz feststellen; dabei kommen wir in dem genannten Beispiel zu einem merkwürdigen Ergebnis. »nicht-p« ist nur im dritten und vierten Fall wahr; »nicht-q« nur im zweiten und vierten Fall; daher »nicht-p und nicht-q« nur im vierten Fall.
pq
nicht-p
nicht-q
nicht-p und
p oder q
(nicht-p und nicht-q) oder (p und q)
nicht q 1. W W
F
F
F
W
W
2. W F
F
W
F
W
W
3. F W
W
F
F
W
W
4. F F
W
W
W
F
W
»p oder q« ist in den drei ersten Fällen wahr, also ist der ganze Satz »(nicht-p und nicht-q) oder (p oder q)« in jedem Falle wahr. Eine solche Formel, die nicht nur nicht vom Sinn, sondern auch nicht mehr vom Wahrheitswert der Sätze, die in ihr vorkommen, abhängt, sondern für beliebige wahre oder falsche Sätze notwendig wahr ist, heißt eine Tautologie. Eine Tautologie ist wahr auf Grund ihrer bloßen Form. Es läßt sich zeigen, daß alle Sätze der Logik, also nach der hier vertretenen Auffassung auch alle Sätze der Mathematik, Tautologien sind.
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Die alte und die neue Logik
Wird uns ein zusammengesetzter Satz mitgeteilt, z. B. »Es regnet (jetzt hier) oder es schneit«, so erfahren wir durch ihn etwas über die Wirklichkeit, da er aus den einschlägigen Sachverhalten gewisse ausschließt und die übrigen als möglich offen läßt. In dem Beispiel gibt es vier Möglichkeiten: 1. Es regnet und es schneit, 2. Es regnet, schneit aber nicht, 3. Es regnet nicht, schneit aber, 4. Es regnet nicht und schneit nicht. Der genannte Satz schließt die vierte Möglichkeit aus und läßt die drei ersten offen. Wird uns dagegen eine Tautologie gesagt, so ist damit keine Möglichkeit ausgeschlossen, sondern alle offen gelassen. Wir erfahren daher aus ihr nichts über die Wirklichkeit; Beispiel: »Es regnet (jetzt hier) oder es regnet nicht«. Die Tautologien sind also gehaltleer, besagen nichts. Sie brauchen deshalb aber nicht trivial zu sein; die eben genannte Tautologie ist trivial, bei anderen dagegen ist ihr tautologischer Charakter nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Da alle Sätze der Logik tautologisch und gehaltleer sind, kann aus ihr nichts darüber erschlossen werden, wie die Wirklichkeit sein muß oder wie sie nicht sein kann. Jeder logisierenden Metaphysik, wie sie im größten Maßstabe von Hegel aufgestellt worden ist, ist damit die Berechtigung genommen. Auch die Mathematik ist, als Zweig der Logik, tautologisch. In Kantischer Ausdrucksweise: die Sätze der Mathematik sind analytisch, es sind keine synthetischen Sätze a priori. Damit ist dem Apriorismus sein stärkstes Argument entzogen. Der Empirismus, die Auffassung, daß es keine synthetische Erkenntnis a priori gibt, fand seit je in der Deutung der Mathematik die größte Schwierigkeit, die noch Mill nicht hatte überwinden können. Sie ist dadurch behoben, daß die mathematischen Sätze weder empirisch, noch synthetisch a priori, sondern analytisch sind.
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Die Einheitswissenschaft
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8. Die Einheitswissenschaft Von der reinen Logik mit ihren formalen Problemen unterscheiden wir die angewandte Logik: die logische Analyse der Begriffe und Sätze der verschiedenen Wissenschaftszweige. Auch auf diesem Gebiet hat die neue Logik schon erfreuliche Erfolge aufzuweisen, wenn auch die meisten Arbeiten bisher den formalen Problemen gewidmet worden sind. Bei der Analyse der wissenschaftlichen Begriffe hat sich ergeben, daß alle Begriffe, mögen sie nun nach üblicher Einteilung zu dem Gebiet der Naturwissenschaften, der Psychologie oder der Sozialwissenschaften gehören, auf eine gemeinsame Basis zurückgehen: Sie lassen sich auf Wurzelbegriffe zurückführen, die sich auf das »Gegebene«, die unmittelbaren Erlebnisinhalte, beziehen. Zunächst gehen alle eigenpsychischen Begriffe, d. h. solche, die sich auf die psychischen Vorgänge des erkennenden Subjektes selbst beziehen, auf das Gegebene zurück. Alle physischen Begriffe lassen sich auf die eigenpsychischen zurückführen, da jeder physische Vorgang prinzipiell durch Wahrnehmungen feststellbar ist. Aus den physischen Begriffen werden die fremdpsychischen konstituiert, die sich auf die psychischen Vorgänge der übrigen Subjekte beziehen. Und schließlich gehen die sozialwissenschaftlichen Begriffe auf Begriffe der genannten Arten zurück. So ergibt sich ein Stammbaum der Begriffe (Konstitutionssystem), in dem jeder Begriff der Wissenschaft grundsätzlich seine Stelle finden muß, gemäß seiner Ableitung aus anderen Begriffen und schließlich aus dem Gegebenen. Die Konstitutionstheorie zeigt ferner, daß in entsprechender Weise auch jeder Satz der Wissenschaft sich rückübersetzen läßt in einen Satz über das Gegebene (»methodischer Positivismus«). Ein zweites, ebenfalls alle Begriffe umfassendes Konstitutionssystem hat als Grundbegriffe die physischen, d. h. die Begriffe, die sich auf raum-zeitliche Vorgänge beziehen. Auf sie werden die psychologischen und die sozialwissenschaftlichen Begriffe zurückgeführt, wie es dem Prinzip des Behaviorismus entspricht (»methodischer Materialismus«).
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Die alte und die neue Logik
Wir sprechen von »methodischem« Positivismus bzw. Materialismus, weil es sich hier nur um die Methode der Begriffsableitung handelt, während die metaphysisch-positivistische These von der Realität des Gegebenen und die metaphysischmaterialistische These von der Realität des Physischen hier völlig ausgeschaltet bleiben. Daher stehen positivistisches und materialistisches Konstitutionssystem nicht im Widerspruch zueinander. Beide bestehen zu Recht und sind unentbehrlich. Das positivistische System entspricht dem erkenntnistheoretischen Gesichtspunkt, da sich in ihm die Gültigkeit einer Erkenntnis durch Rückführung auf das Gegebene erweist. Das materialistische System entspricht dem Gesichtspunkt der Realwissenschaft, da in ihm alle Begriffe auf das Physische zurückgeführt werden, auf das einzige Gebiet, das durchgängige Gesetzmäßigkeit aufweist und intersubjektive Erkenntnis ermöglicht. So führt die logische Analyse mit den Mitteln der neuen Logik zur Einheitswissenschaft. Es gibt nicht verschiedene Wissenschaften mit grundsätzlich verschiedenen Methoden oder gar verschiedenen Erkenntnisquellen, sondern nur die eine Wissenschaft. In ihr finden alle Erkenntnisse ihren Platz, und zwar als Erkenntnisse grundsätzlich gleicher Art; ihre scheinbare Verschiedenheit wird nur durch die Verschiedenheit der Teilsprachen vorgetäuscht, in denen man sie auszudrücken pflegt. 9. Die Ausschaltung der Metaphysik Aus dem tautologischen Charakter der Logik ergibt sich auch, daß alles Schließen tautologisch ist: Der Schlußsatz sagt stets dasselbe (oder weniger) wie die Prämissen, nur in anderer sprachlicher Form. Niemals kann aus einem Sachverhalt ein anderer erschlossen werden. (Nach üblicher Auffassung geschieht dies beim induktiven Schluß; die logische Analyse führt aber zu einer anderen Interpretation, auf die hier nicht eingegangen werden kann.) Daraus folgt die Unmöglichkeit jeder
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Die Ausschaltung der Metaphysik
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Metaphysik, die aus der Erfahrung auf Transzendentes, jenseits der Erfahrung Liegendes, selbst nicht Erfahrbares schließen will; z. B. auf das »Ding an sich« hinter den Erfahrungsdingen, auf das »Unbedingte«, »Absolute« hinter allem Bedingten, auf »Wesen« und »Sinn« der Vorgänge hinter diesen Vorgängen selbst. Da strenges Schließen niemals von der Erfahrung zu Transzendentem führen kann, enthalten die metaphysischen Schlußfolgerungen notwendig Lücken; dadurch entsteht der Schein einer Transzendenz. Es werden Begriffe eingeführt, die weder auf das Gegebene noch auf das Physische zurückführbar sind. Es sind daher bloße Scheinbegriffe, die sowohl vom erkenntnistheoretischen als vom inhaltlich-wissenschaftlichen Gesichtspunkt aus abzulehnen sind. Es sind sinnlose Worte, mögen sie auch noch so sehr durch Tradition geheiligt und mit Gefühlen behangen sein. Mit Hilfe der strengeren Methoden der neuen Logik kann so eine gründliche Reinigung der Wissenschaft vorgenommen werden. Jeder Satz der Wissenschaft muß sich bei logischer Analyse als sinnvoll bewähren. Dabei wird entweder gefunden, daß es sich um eine Tautologie oder um eine Kontradiktion (Negation einer Tautologie) handelt; dann gehört der Satz zum Gebiet der Logik einschließlich der Mathematik. Oder der Satz ist eine gehaltvolle Aussage, d. h. weder tautologisch noch kontradiktorisch; dann ist er ein empirischer Satz. Er ist zurückführbar auf das Gegebene und daher grundsätzlich als wahr oder falsch entscheidbar. Solcher Art sind die (wahren bzw. falschen) Sätze der Realwissenschaft. Grundsätzlich unbeantwortbare Fragen gibt es nicht. Es gibt keine Philosophie als Theorie, als System eigener Sätze neben denen der Wissenschaft. Philosophie betreiben bedeutet nichts Anderes als: die Begriffe und Sätze der Wissenschaft durch logische Analyse klären. Das Werkzeug hierfür ist die neue Logik.
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Die alte und die neue Logik
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Bemerkungen des Autors (1957) Die in den voranstehenden Kapiteln 8 und 9 erläuterte Position wurde in den Jahren nach ihrer Veröffentlichung modifiziert, und zwar in folgender Hinsicht: Die Zurückführung wissenschaftlicher Begriffe auf Begriffe, die der einen oder der anderen angegebenen Basis angehören (der des Gegebenen, d. h. der Sinnesdaten, oder der beobachtbaren Eigenschaften physischer Dinge) läßt sich nicht gänzlich in der Form expliziter Definitionen durchführen. Wissenschaftliche Sätze können deshalb im allgemeinen auch nicht in Sätze der einen oder der anderen Basis übersetzt werden; die Beziehungen zwischen ihnen sind komplizierter. Daraus folgt, daß ein wissenschaftlicher Satz nicht einfach als wahr oder falsch bezeichnet werden kann; er läßt sich mehr oder weniger nur auf der Basis gegebener Beobachtungen bewähren. Das zuerst von Wittgenstein formulierte frühere Verifikationsprinzip wurde deshalb durch die schwächere Forderung nach Bewährung ersetzt. Wegen der gemeinsamen Bestätigungsbasis für alle Bereiche empirischer Wissenschaft wurde die Behauptung einer Einheit der Wissenschaft jedoch nicht aufgegeben. Die hier angedeutete Modifikation habe ich in meinem Aufsatz »Testability and Meaning« (1936 – 37) erläutert.
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Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache
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1. Einleitung Von den griechischen Skeptikern bis zu den Empiristen des 19. Jahrhunderts hat es viele Gegner der Metaphysik gegeben. Die Art der vorgebrachten Bedenken ist sehr verschieden gewesen. Manche erklärten die Lehre der Metaphysik für falsch, da sie der Erfahrungserkenntnis widerspreche. Andere hielten sie nur für ungewiß, da ihre Fragestellung die Grenzen der menschlichen Erkenntnis überschreite. Viele Antimetaphysiker erklärten die Beschäftigung mit metaphysischen Fragen für unfruchtbar; ob man sie nun beantworten könne oder nicht, jedenfalls sei es unnötig, sich um sie zu kümmern; man widme sich ganz der praktischen Aufgabe, die jeder Tag dem tätigen Menschen stellt! Durch die Entwicklung der modernen Logik ist es möglich geworden, auf die Frage nach Gültigkeit und Berechtigung der Metaphysik eine neue und schärfere Antwort zu geben. Die Untersuchungen der »angewandten Logik« oder »Erkenntnistheorie«, die sich die Aufgabe stellen, durch logische Analyse den Erkenntnisgehalt der wissenschaftlichen Sätze und damit die Bedeutung der in den Sätzen auftretenden Wörter (»Begriffe«) klarzustellen, führen zu einem positiven und zu einem negativen Ergebnis. Das positive Ergebnis wird auf dem Gebiet der empirischen Wissenschaft erarbeitet; die einzelnen Begriffe der verschiedenen Wissenschaftszweige werden geklärt; ihr formal-logischer und erkenntnistheoretischer Zusammenhang wird aufgewiesen. Auf dem Gebiet der Metaphysik (einschließlich aller Wertphilosophie und Normwissenschaft) führt die logische Analyse zu dem negativen Ergebnis, daß die vorgeblichen Sätze dieses Gebietes gänzlich sinnlos sind. Damit ist eine radikale Überwindung der Metaphysik erreicht, die von
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Überwindung der Metaphysik …
den früheren antimetaphysischen Standpunkten aus noch nicht möglich war. Zwar finden sich verwandte Gedanken schon in manchen früheren Überlegungen, z. B. in solchen von nominalistischer Art; aber die entscheidende Durchführung ist erst heute möglich, nachdem die Logik durch die Entwicklung, die sie in den letzten Jahrzehnten genommen hat, zu einem Werkzeug von hinreichender Schärfe geworden ist. Wenn wir sagen, daß die sogenannten Sätze der Metaphysik sinnlos sind, so ist dies Wort im strengsten Sinn gemeint. Im unstrengen Sinn pflegt man zuweilen einen Satz oder eine Frage als sinnlos zu bezeichnen, wenn ihre Aufstellung gänzlich unfruchtbar ist (z. B. die Frage: »Wie groß ist das durchschnittliche Körpergewicht derjenigen Personen in Wien, deren Telephonnummer mit »3« endet?«); oder auch einen Satz, der ganz offenkundig falsch ist (z. B. »im Jahr 1910 hatte Wien sechs Einwohner«), oder einen solchen, der nicht nur empirisch, sondern logisch falsch, also kontradiktorisch ist (z. B. »von den Personen A und B ist jede ein Jahr älter als die andere«). Derartige Sätze sind, wenn auch unfruchtbar oder falsch, doch sinnvoll; denn nur sinnvolle Sätze kann man überhaupt einteilen in (theoretisch) fruchtbare und unfruchtbare, wahre und falsche. Im strengen Sinn sinnlos ist dagegen eine Wortreihe, die innerhalb einer bestimmten, vorgegebenen Sprache gar keinen Satz bildet. Es kommt vor, daß eine solche Wortreihe auf den ersten Blick so aussieht, als sei sie ein Satz; in diesem Falle nennen wir sie einen Scheinsatz. Unsere These behauptet nun, daß die angeblichen Sätze der Metaphysik sich durch logische Analyse als Scheinsätze enthüllen. Eine Sprache besteht aus Vokabular und Syntax, d. h. aus einem Bestand an Wörtern, die eine Bedeutung haben, und aus Regeln der Satzbildung; diese Regeln geben an, wie aus Wörtern der verschiedenen Arten Sätze gebildet werden können. Demgemäß gibt es zwei Arten von Scheinsätzen: Entweder kommt ein Wort vor, von dem man nur irrtümlich annimmt, daß es eine Bedeutung habe, oder die vorkommenden Wörter haben zwar Bedeutungen, sind aber in syntaxwidriger Weise
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zusammengestellt, so daß sie keinen Sinn ergeben. Wir werden an Beispielen sehen, daß Scheinsätze beider Arten in der Metaphysik vorkommen. Später werden wir dann überlegen müssen, welche Gründe für unsere Behauptung sprechen, daß die gesamte Metaphysik aus solchen Scheinsätzen besteht.
2. Die Bedeutung eines Wortes Hat ein Wort (innerhalb einer bestimmten Sprache) eine Bedeutung, so pflegt man auch zu sagen, es bezeichne einen »Begriff«; sieht es nur so aus, als habe das Wort eine Bedeutung, während es in Wirklichkeit keine hat, so sprechen wir von einem »Scheinbegriff«. Wie ist die Entstehung eines solchen zu erklären? Ist nicht jedes Wort nur deshalb in die Sprache eingeführt worden, um etwas Bestimmtes auszudrücken, so daß es von seinem ersten Gebrauch an eine bestimmte Bedeutung hat? Wie kann es da in der traditionellen Sprache bedeutungslose Wörter geben? Ursprünglich hat allerdings jedes Wort (abgesehen von seltenen Ausnahmen, für die wir später ein Beispiel geben werden) eine Bedeutung. Im Lauf der geschichtlichen Entwicklung ändert ein Wort häufig seine Bedeutung. Und nun kommt es zuweilen auch vor, daß ein Wort seine alte Bedeutung verliert, ohne eine neue zu bekommen. Dadurch entsteht dann ein Scheinbegriff. Worin besteht nun die Bedeutung eines Wortes? Welche Festsetzungen müssen in bezug auf ein Wort getroffen sein, damit es eine Bedeutung hat? (Ob diese Festsetzungen ausdrücklich ausgesprochen sind, wie bei einigen Wörtern und Symbolen der modernen Wissenschaft, oder stillschweigend vereinbart sind, wie es bei den meisten Wörtern der traditionellen Sprache zu sein pflegt, darauf kommt es für unsere Überlegungen nicht an.) Erstens muß die Syntax des Wortes festliegen, d. h. die Art seines Auftretens in der einfachsten Satzform, in der es vorkommen kann; wir nennen diese Satzform seinen Elementarsatz. Die elementare Satzform für das Wort »Stein« ist z. B. »x ist ein Stein«; in Sätzen dieser Form steht an Stelle
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von »x« irgendeine Bezeichnung aus der Kategorie der Dinge, z. B. »dieser Diamant«, »dieser Apfel«. Zweitens muß für den Elementarsatz S des betreffenden Wortes die Antwort auf folgende Frage gegeben sein, die wir in verschiedener Weise formulieren können: 1. Aus was für Sätzen ist S ableitbar, und welche Sätze sind aus S ableitbar? 2. Unter welchen Bedingungen soll S wahr, unter welchen falsch sein? 3. Wie ist S zu verifizieren? 4. Welchen Sinn hat S? (1) ist die korrekte Formulierung; die Formulierung (2) paßt sich der Redeweise der Logik an, (3) der Redeweise der Erkenntnistheorie, (4) der der Philosophie (Phänomenologie). Daß das, was die Philosophen mit (4) meinen, durch (2) erfaßt wird, hat Wittgenstein ausgesprochen: der Sinn eines Satzes liegt in seinem Wahrheitskriterium. ((1) ist die »metalogische« Formulierung; eine ausführliche Darstellung der Metalogik als Theorie der Syntax und des Sinnes, d. h. der Ableitungsbeziehungen, soll später an anderer Stelle gegeben werden.) Bei vielen Wörtern, und zwar bei der überwiegenden Mehrzahl aller Wörter der Wissenschaft, ist es möglich, die Bedeutung durch Zurückführung auf andere Wörter (»Konstitution«, Definition) anzugeben. Z. B.: »,Arthropoden‹ sind Tiere mit gegliedertem Körper, gegliederten Extremitäten und einer Körperdecke aus Chitin.« Hierdurch ist für die elementare Satzform des Wortes »Arthropode«, nämlich für die Satzform »das Ding x ist ein Arthropode«, die vorhin genannte Frage beantwortet; es ist bestimmt, daß ein Satz dieser Form ableitbar sein soll aus Prämissen von der Form »x ist ein Tier«, »x hat einen gegliederten Körper«, »x hat gegliederte Extremitäten«, »x hat eine Körperdecke aus Chitin«, und daß umgekehrt jeder dieser Sätze aus jenem Satz ableitbar sein soll. Durch diese Bestimmungen über Ableitbarkeit (in anderer Ausdrucksweise: über das Wahrheitskriterium, die Verifikationsmethode, den Sinn)
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des Elementarsatzes über »Arthropode« ist die Bedeutung des Wortes »Arthropode« festgelegt. In dieser Weise wird jedes Wort der Sprache auf andere Wörter und schließlich auf die in den sogenannten »Beobachtungssätzen« oder »Protokollsätzen« vorkommenden Wörter zurückgeführt. Durch diese Zurückführung erhält das Wort seine Bedeutung. Die Frage nach Inhalt und Form der ersten Sätze (Protokollsätze), die bisher noch keine endgültige Beantwortung gefunden hat, können wir für unsere Erörterung ganz beiseite lassen. Man pflegt in der Erkenntnistheorie zu sagen, daß die ersten Sätze sich auf »das Gegebene« beziehen; es besteht aber keine Übereinstimmung in der Frage, was als das Gegebene anzusprechen ist. Zuweilen wird die Auffassung vertreten, daß die Sätze über das Gegebene von einfachsten Sinnes- und Gefühlsqualitäten sprechen (z. B. »warm«, »blau«, »Freude« und dergleichen); andere neigen zu der Auffassung, daß die ersten Sätze von Gesamterlebnissen und Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen solchen sprechen; eine weitere Auffassung meint, daß auch die ersten Sätze schon von Dingen sprechen. Unabhängig von der Verschiedenheit dieser Auffassungen steht fest, daß eine Wortreihe nur dann einen Sinn hat, wenn ihre Ableitungsbeziehungen aus Protokollsätzen feststehen, mögen diese Protokollsätze nun von dieser oder jener Beschaffenheit sein; und ebenso, daß ein Wort nur dann eine Bedeutung hat, wenn die Sätze, in denen es vorkommen kann, auf Protokollsätze zurückführbar sind. Da die Bedeutung eines Wortes durch sein Kriterium bestimmt ist (in anderer Ausdrucksweise: durch die Ableitungsbeziehungen seines Elementarsatzes, durch seine Wahrheitsbedingungen, durch die Methode seiner Verifikation), so kann man nicht nach der Festsetzung des Kriteriums auch noch darüber verfügen, was man mit dem Wort »meinen« wolle. Man darf nicht weniger als das Kriterium angeben, damit das Wort eine scharfe Bedeutung erhält; aber man kann auch nicht mehr als das Kriterium angeben, denn durch dieses ist alles Weitere bestimmt. Im Kriterium ist die Bedeutung implizit enthalten; es bleibt nur übrig, sie explizit herauszustellen.
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Nehmen wir beispielshalber an, jemand bilde das neue Wort »babig« und behaupte, es gäbe Dinge, die babig sind, und solche, die nicht babig sind. Um die Bedeutung dieses Wortes zu erfahren, werden wir ihn nach dem Kriterium fragen: Wie ist im konkreten Fall festzustellen, ob ein bestimmtes Ding babig ist oder nicht? Nun wollen wir zunächst einmal annehmen, der Gefragte bleibe die Antwort schuldig; er sagt, es gebe keine empirischen Kennzeichen für die Babigkeit. In diesem Falle werden wir die Verwendung des Wortes nicht für zulässig halten. Wenn der das Wort Verwendende trotzdem sagt, es gebe babige und nicht babige Dinge, nur bleibe es für den armseligen, endlichen Verstand des Menschen ein ewiges Geheimnis, welche Dinge babig sind und welche nicht, so werden wir dies für leeres Gerede ansehen. Vielleicht wird er uns aber versichern, daß er mit dem Wort »babig« doch etwas meine. Daraus erfahren wir jedoch nur das psychologische Faktum, daß er irgendwelche Vorstellungen und Gefühle mit dem Wort verbindet. Aber eine Bedeutung bekommt das Wort hierdurch nicht. Ist kein Kriterium für das neue Wort festgesetzt, so besagen die Sätze, in denen es vorkommt, nichts, sie sind bloße Scheinsätze. Zweitens wollen wir den Fall annehmen, daß das Kriterium für ein neues Wort, etwa »bebig«, festliegt; und zwar sei der Satz: »Dies Ding ist bebig« stets dann und nur dann wahr, wenn das Ding viereckig ist. (Dabei ist es für unsere Überlegungen ohne Belang, ob dieses Kriterium uns ausdrücklich angegeben wird, oder ob wir es dadurch feststellen, daß wir beobachten, in welchen Fällen das Wort bejahend und in welchen Fällen es verneinend gebraucht wird.) Hier werden wir sagen: Das Wort »bebig« hat dieselbe Bedeutung wie das Wort »viereckig«. Und wir werden es als unzulässig ansehen, wenn die das Wort Verwendenden uns sagen, sie »meinten« aber etwas anderes damit als »viereckig«; es sei zwar jedes viereckige Ding auch bebig und umgekehrt, aber das beruhe nur darauf, daß die Viereckigkeit der sichtbare Ausdruck für die Bebigkeit sei, diese aber sei eine geheime, selbst nicht wahrnehmbare Eigenschaft. Wir werden entgegnen, daß, nachdem hier das Kriterium festliegt,
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auch schon festliegt, daß »bebig« »viereckig« bedeutet, und daß gar nicht mehr die Freiheit besteht, dies oder jenes andere mit dem Wort zu »meinen«. Das Ergebnis unserer Überlegungen sei kurz zusammengefaßt. »a« sei irgendein Wort und »S(a)« der Elementarsatz, in dem es auftritt. Die hinreichende und notwendige Bedingung dafür, daß »a« eine Bedeutung hat, kann dann in jeder der folgenden Formulierungen angegeben werden, die im Grunde dasselbe besagen: 1. Die empirischen Kennzeichen für »a« sind bekannt. 2. Es steht fest, aus was für Protokollsätzen »S(a)« abgeleitet werden kann. 3. Die Wahrheitsbedingungen für »S(a)« liegen fest. 4. Der Weg zur Verifikation von »S(a)« ist bekannt.1 3. Metaphysische Wörter ohne Bedeutung Bei vielen Wörtern der Metaphysik zeigt sich nun, daß sie die soeben angegebene Bedingung nicht erfüllen, daß sie also ohne Bedeutung sind. Nehmen wir als Beispiel den metaphysischen Terminus »Prinzip« (und zwar als Seinsprinzip, nicht als Erkenntnisprinzip oder Grundsatz). Verschiedene Metaphysiker geben Antwort auf die Frage, was das (oberste) »Prinzip der Welt« (oder »der Dinge«, »des Seins«, »des Seienden«) sei, z. B.: das Wasser, die Zahl, die Form, die Bewegung, das Leben, der Geist, die Idee, das Unbewußte, die Tat, das Gute und dergleichen mehr. Um die Bedeutung, die das Wort »Prinzip« in dieser metaphysischen Frage 1 Über die logische und erkenntnistheoretische Auffassung, die unserer Darlegung zugrunde liegt, hier aber nur kurz angedeutet werden kann, vgl.: Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, 1922, Carnap, Der logische Aufbau der Welt, 1928, Waismann, Logik, Sprache, Philosophie. (In Vorbereitung.) [Zusatz des Herausgebers: Die Arbeit Waismanns, ursprünglich geplant als Band I der »Schriften zur wissenschaftlichen Weltauffassung« ist postum erst 1965 erschienen.]
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hat, zu finden, müssen wir die Metaphysiker fragen, unter welchen Bedingungen ein Satz von der Form »x ist das Prinzip von y« wahr und unter welchen er falsch sein soll; mit anderen Worten: wir fragen nach den Kennzeichen oder nach der Definition des Wortes »Prinzip«. Der Metaphysiker antwortet ungefähr so: »x ist das Prinzip von y« soll heißen »y geht aus x hervor«, »das Sein von y beruht auf dem Sein von x«, »y besteht durch x« oder dergleichen. Diese Worte aber sind vieldeutig und unbestimmt. Sie haben häufig eine klare Bedeutung; z. B. sagen wir von einem Ding oder Vorgang y, er »gehe hervor« aus x, wenn wir beobachten, daß auf Dinge oder Vorgänge von der Art des x häufig oder immer solche von der Art des y folgen (Kausalverhältnis im Sinn einer gesetzmäßigen Aufeinanderfolge). Aber der Metaphysiker sagt uns, daß er nicht dieses empirisch feststellbare Verhältnis meine; denn sonst würden ja seine metaphysischen Thesen einfache Erfahrungssätze von der gleichen Art wie die der Physik. Das Wort »hervorgehen« solle hier nicht die Bedeutung eines Zeitfolge- und Bedingungsverhältnisses haben, die das Wort gewöhnlich hat. Es wird aber für keine andere Bedeutung ein Kriterium angegeben. Folglich existiert die angebliche »metaphysische« Bedeutung, die das Wort im Unterschied zu jener empirischen Bedeutung hier haben soll, überhaupt nicht. Denken wir an die ursprüngliche Bedeutung des Wortes »principium« (und des entsprechenden griechischen Wortes »¢rc»«), so bemerken wir, daß hier der gleiche Entwicklungsgang vorliegt. Die ursprüngliche Bedeutung »Anfang« wird dem Wort ausdrücklich genommen; es soll nicht mehr das zeitlich Erste, sondern das Erste in einer anderen, spezifisch metaphysischen Hinsicht bedeuten. Die Kriterien für diese »metaphysische Hinsicht« werden aber nicht angegeben. In beiden Fällen ist also dem Wort seine frühere Bedeutung genommen worden, ohne ihm eine neue zu geben; es bleibt das Wort als leere Hülse zurück. Aus einer früheren bedeutungsvollen Periode haften ihm noch verschiedene Vorstellungen assoziativ an; sie verknüpfen sich mit neuen Vorstellungen und Gefühlen durch den Zusammenhang, in dem man nunmehr das Wort ge-
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braucht. Aber eine Bedeutung hat das Wort dadurch nicht; und es bleibt auch weiter bedeutungslos, solange man keinen Weg zur Verifikation angeben kann. Ein anderes Beispiel ist das Wort »Gott«. Bei diesem Wort müssen wir, abgesehen von den Varianten seines Gebrauchs innerhalb eines jeden der Gebiete, den Sprachgebrauch in drei verschiedenen Fällen oder historischen Perioden, die aber zeitlich ineinander überfließen, unterscheiden. Im mythologischen Sprachgebrauch hat das Wort eine klare Bedeutung. Es werden mit diesem Wort (bzw. mit den Parallelwörtern anderer Sprachen) zuweilen körperliche Wesen bezeichnet, die etwa auf dem Olymp, im Himmel oder in der Unterwelt thronen, und die mit Macht, Weisheit, Güte und Glück in mehr oder minder vollkommenem Maße ausgestattet sind. Zuweilen bezeichnet das Wort auch seelisch-geistige Wesen, die zwar keinen menschenartigen Körper haben, aber doch irgendwie in den Dingen oder Vorgängen der sichtbaren Welt sich zeigen und daher empirisch feststellbar sind. Im metaphysischen Sprachgebrauch dagegen bezeichnet »Gott« etwas Überempirisches. Die Bedeutung eines körperlichen oder eines im Körperlichen steckenden seelischen Wesens wird vom Wort ausdrücklich genommen. Und da ihm keine neue Bedeutung gegeben wird, so wird es bedeutungslos. Allerdings sieht es häufig so aus, als gäbe man dem Wort »Gott« eine Bedeutung auch im Metaphysischen. Aber die Definitionen, die man aufstellt, erweisen sich bei näherem Zusehen als Scheindefinitionen; sie führen entweder auf logisch unzulässige Wortverbindungen (von denen später die Rede sein wird) oder auf andere metaphysische Wörter zurück (z. B. »Urgrund«, »das Absolute«, »das Unbedingte«, »das Unabhängige«, »das Selbständige« und dergl.), aber in keinem Fall auf die Wahrheitsbedingungen seines Elementarsatzes. Bei diesem Wort wird nicht einmal die erste Forderung der Logik erfüllt, nämlich die Forderung nach Angabe seiner Syntax, d. h. der Form seines Vorkommens im Elementarsatz. Der Elementarsatz müßte hier die Form haben »x ist ein Gott«; der Metaphysiker aber lehnt entweder diese Form gänzlich ab, ohne eine andere
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anzugeben, oder er gibt, wenn er sie annimmt, nicht die syntaktische Kategorie der Variablen x an. (Kategorien sind z. B.: Körper, Eigenschaften von Körpern, Beziehungen zwischen Körpern, Zahlen usw.). Zwischen dem mythologischen und dem metaphysischen Sprachgebrauch steht der theologische Sprachgebrauch in bezug auf das Wort »Gott«. Hier liegt keine eigene Bedeutung vor, sondern man schwankt zwischen jenen beiden Anwendungsarten hin und her. Manche Theologen haben einen deutlich empirischen (also in unserer Bezeichnungsweise »mythologischen«) Gottesbegriff. In diesem Fall liegen keine Scheinsätze vor; aber der Nachteil für den Theologen besteht darin, daß bei dieser Deutung die Sätze der Theologie empirische Sätze sind und daher dem Urteil der empirischen Wissenschaft unterstehen. Bei anderen Theologen liegt deutlich der metaphysische Sprachgebrauch vor. Wieder bei anderen ist der Sprachgebrauch unklar, sei es, daß sie zuweilen diesem, zuweilen jenem Sprachgebrauch folgen, sei es, daß sie sich in nicht klar faßbaren, nach beiden Seiten schillernden Ausdrücken bewegen. Ebenso wie die betrachteten Beispiele »Prinzip« und »Gott« sind auch die meisten anderen spezifisch metaphysischen Termini ohne Bedeutung, z. B. »Idee«, »das Absolute«, »das Unbedingte«, das »Unendliche«, »das Sein des Seienden«, »das Nicht-Seiende«, »Ding an sich«, »absoluter Geist«, »objektiver Geist«, »Wesen«, »Ansichsein«; »Anundfürsichsein«, »Emanation«, »Manifestation«, »Ausgliederung«, »das Ich«, »das Nicht-Ich« usw. Mit diesen Ausdrücken verhält es sich nicht anders als mit dem Wort »babig« in dem früher erdachten Beispiel. Der Metaphysiker sagt uns, daß sich empirische Wahrheitsbedingungen nicht angeben lassen; wenn er hinzufügt, daß er mit einem solchen Wort trotzdem etwas »meine«, so wissen wir, daß damit nur begleitende Vorstellungen und Gefühle angedeutet sind, durch die das Wort aber keine Bedeutung erhält. Die metaphysischen angeblichen Sätze, die solche Wörter enthalten, haben keinen Sinn, besagen nichts, sind bloße Scheinsätze. Wie ihre historische Entstehung zu erklären ist, werden wir später überlegen.
Der Sinn eines Satzes
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4. Der Sinn eines Satzes Bisher haben wir Scheinsätze betrachtet, in denen ein bedeutungsloses Wort vorkommt. Es gibt nun noch eine zweite Art von Scheinsätzen. Sie bestehen aus Wörtern mit Bedeutung, sind aber aus diesen Wörtern so zusammengesetzt, daß sich doch kein Sinn ergibt. Die Syntax einer Sprache gibt an, welche Wortverbindungen zulässig und welche unzulässig sind. Die grammatische Syntax der natürlichen Sprachen erfüllt aber die Aufgabe der Ausschaltung sinnloser Wortverbindungen nicht überall. Nehmen wir als Beispiel die folgenden beiden Wortreihen: 1. »Caesar ist und.« 2. »Caesar ist eine Primzahl.« Die Wortreihe (1) ist syntaxwidrig gebildet; die Syntax verlangt, daß an dritter Stelle nicht ein Bindewort, sondern ein Prädikat stehe, also ein Substantiv (mit Artikel) oder ein Adjektiv. Syntaxgemäß gebildet ist z. B. die Wortreihe »Caesar ist ein Feldherr«; sie ist eine sinnvolle Wortreihe, ein wirklicher Satz. Ebenso ist aber nun auch die Wortreihe (2) syntaxgemäß gebildet, denn sie hat dieselbe grammatische Form wie der soeben genannte Satz. (2) ist aber trotzdem sinnlos. »Primzahl« ist eine Eigenschaft von Zahlen; sie kann einer Person weder zu- noch abgesprochen werden. Da (2) aussieht wie ein Satz, aber kein Satz ist, nichts besagt, weder einen bestehenden noch einen nicht bestehenden Sachverhalt zum Ausdruck bringt, so nennen wir diese Wortreihe einen »Scheinsatz«. Dadurch, daß die grammatische Syntax nicht verletzt ist, wird man auf den ersten Blick leicht zu der irrigen Meinung verführt, man habe es doch mit einem Satz zu tun, wenn auch mit einem falschen. »a ist eine Primzahl« ist aber dann und nur dann falsch, wenn a durch eine natürliche Zahl, die weder a noch 1 ist, teilbar ist; hier kann offenbar für »a« nicht »Caesar« gesetzt werden. Dieses Beispiel ist so gewählt worden, daß die Sinnlosigkeit leicht zu bemerken ist; bei manchen metaphysischen sogenannten Sätzen ist nicht
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so leicht zu erkennen, daß sie Scheinsätze sind. Daß es in der gewöhnlichen Sprache möglich ist, eine sinnlose Wortreihe zu bilden, ohne die Regeln der Grammatik zu verletzen, weist darauf hin, daß die grammatische Syntax, vom logischen Gesichtspunkt aus betrachtet, unzulänglich ist. Würde die grammatische Syntax der logischen Syntax genau entsprechen, so könnte kein Scheinsatz entstehen. Würde die grammatische Syntax nicht nur die Wortarten der Substantive, der Adjektive, der Verben, der Konjunktionen usw. unterscheiden, sondern innerhalb dieser Arten noch gewisse logisch geforderte Unterschiede machen, so könnten keine Scheinsätze gebildet werden. Würden z. B. die Substantive grammatisch in mehrere Wortarten zerfallen, je nachdem, ob sie Eigenschaften von Körpern, von Zahlen usw. bezeichnen, so würden die Wörter »Feldherr« und »Primzahl« zu grammatisch verschiedenen Wortarten gehören, und (2) würde genau so sprachwidrig sein wie (1). In einer korrekt aufgebauten Sprache wären also alle sinnlosen Wortreihen von der Art des Beispiels (1). Sie würden somit schon durch die Grammatik gewissermaßen automatisch ausgeschaltet; d. h. man brauchte, um Sinnlosigkeit zu vermeiden, nicht auf die Bedeutung der einzelnen Wörter zu achten, sondern nur auf ihre Wortart (die »syntaktische Kategorie«, z. B.: Ding, Dingeigenschaft, Dingbeziehung, Zahl, Zahleigenschaft, Zahlbeziehung und andere). Wenn unsere These, daß die Sätze der Metaphysik Scheinsätze sind, zu Recht besteht, so würde also in einer logisch korrekt aufgebauten Sprache die Metaphysik gar nicht ausgedrückt werden können. Daraus ergibt sich die große philosophische Bedeutsamkeit der Aufgabe des Aufbaus einer logischen Syntax, an der die Logiker gegenwärtig arbeiten.
5. Metaphysische Scheinsätze Wir wollen nun einige Beispiele metaphysischer Scheinsätze aufzeigen, an denen sich besonders deutlich erkennen läßt, daß die logische Syntax verletzt ist, obwohl die historisch-gramma-
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tische Syntax erfüllt ist. Wir wählen einige Sätze aus derjenigen metaphysischen Lehre, die gegenwärtig in Deutschland den stärksten Einfluß ausübt.1 »Erforscht werden soll das Seiende nur und sonst – nichts; das Seiende allein und weiter – nichts; das Seiende einzig und darüber hinaus – nichts. Wie steht es, um dieses Nichts? – – Gibt es das Nichts nur, weil es das Nicht, d. h. die Verneinung gibt? Oder liegt es umgekehrt? Gibt es die Verneinung und das Nicht nur, weil es das Nichts gibt? – – Wir behaupten: Das Nichts ist ursprünglicher als das Nicht und die Verneinung. – – Wo suchen wir das Nichts? Wie finden wir das Nichts? – – Wir kennen das Nichts. – – Die Angst offenbart das Nichts. – – Wovor und warum wir uns ängsteten, war »eigentlich« – nichts. In der Tat: das Nichts selbst – als solches – war da. – – Wie steht es um das Nichts? – – Das Nichts selbst nichtet.« Um zu zeigen, daß die Möglichkeit der Bildung von Scheinsätzen auf einem logischen Mangel der Sprache beruht, stellen wir das unten stehende Schema auf. Die Sätze unter I sind sowohl grammatisch wie logisch einwandfrei, also sinnvoll. Die Sätze unter II (mit Ausnahme von B 3) stehen grammatisch in vollkommener Analogie zu denen unter I. Die Satzform II A (als Frage und Antwort) entspricht zwar nicht den Forderungen, die an eine logisch korrekte Sprache zu stellen sind. Sie ist aber trotzdem sinnvoll, da sie sich in korrekte Sprache übersetzen läßt; das zeigt der Satz III A, der denselben Sinn wie II A hat. Die Unzweckmäßigkeit der Satzform II A zeigt sich dann darin, daß wir von ihr aus durch grammatisch einwandfreie Operationen zu den sinnlosen Satzformen II B gelangen können, die 1 Die folgenden Zitate (Sperrungen im Original) sind entnommen aus M. Heidegger, Was ist Metaphysik?, 1929. Wir hätten ebensogut Stellen aus irgendeinem anderen der zahlreichen Metaphysiker der Gegenwart oder der Vergangenheit entnehmen können; doch scheinen uns die ausgewählten Stellen unsere Auffassung besonders deutlich zu illustrieren.
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dem obigen Zitat entnommen sind. Diese Formen lassen sich in der korrekten Sprache der Kolonne III überhaupt nicht bilden. Trotzdem wird ihre Sinnlosigkeit nicht auf den ersten Blick bemerkt, da man sich leicht durch die Analogie zu den sinnvollen Sätzen I B täuschen läßt. Der hier festgestellte Fehler unserer Sprache liegt also darin, daß sie, im Gegensatz zu einer logisch korrekten Sprache, grammatische Formgleichheit zwischen sinnvollen und sinnlosen Wortreihen zuläßt. Jedem Wortsatz ist eine entsprechende Formel in der Schreibweise der Logistik beigefügt; diese Formeln lassen die unzweckmäßige Analogie zwischen I A und II A und die darauf beruhende Entstehung der sinnlosen Bildungen II B besonders deutlich erkennen. I. Sinnvolle Sätze der üblichen Sprache
II. Entstehung von Sinnlosem aus Sinnvollem in der üblichen Sprache
A. Was ist draußen? dr (?) A. Was ist draußen? Draußen ist Regen. dr (Re) Draußen ist nichts.
B. Wie steht es um diesen Regen? (d.h.: was tut der Regen? oder: was lässt sich über diesen Regen sonst noch aussagen?) ? (Re) 1. Wir kennen den Regen. k (Re) 2. Der Regen regnet. re (Re)
B. »Wie steht es um dieses Nichts?«
III. Logisch korrekte Sprache
A. Es gibt nicht (existiert nicht, ist dr (?) nicht vorhanden) etwas, das draudr (Ni) ßen ist. ~ (∃ x) · dr (x) B. Alle diese Formen können ? (Ni) überhaupt nicht gebildet werden.
1. »Wir suchen das Nichts«, »Wir finden das Nichts«, k (Ni) »Wir kennen das Nichts«. 2. »Das Nichts nichtet«. ni (Ni) 3. »Es gibt das Nichts nur, weil …« ex (Ni)
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Bei genauerer Betrachtung der Scheinsätze unter II B zeigen sich noch gewisse Unterschiede. Die Bildung der Sätze (1) beruht einfach auf dem Fehler, daß das Wort »nichts« als Gegenstandsname verwendet wird, weil man es in der üblichen Sprache in dieser Form zu verwenden pflegt, um einen negativen Existenzsatz zu formulieren (siehe II A). In einer korrekten Sprache dient dagegen zu dem gleichen Zweck nicht ein besonderer Name, sondern eine gewisse logische Form des Satzes (siehe III A). Im Satz II B 2 kommt noch etwas Neues hinzu, nämlich die Bildung des bedeutungslosen Wortes »nichten«; der Satz ist also aus doppeltem Grunde sinnlos. Wir haben früher dargelegt, daß die bedeutungslosen Wörter der Metaphysik gewöhnlich dadurch entstehen, daß einem bedeutungsvollen Wort durch die metaphorische Verwendung in der Metaphysik die Bedeutung genommen wird. Hier dagegen haben wir einen der seltenen Fälle vor uns, daß ein neues Wort eingeführt wird, das schon von Beginn an keine Bedeutung hat. Satz II B 3 ist ebenfalls aus doppeltem Grunde abzulehnen. In dem Fehler, das Wort »nichts« als Gegenstandsname zu benutzen, stimmt er mit den vorhergehenden Sätzen überein. Außerdem enthält er aber einen Widerspruch. Denn selbst, wenn es zulässig wäre, »nichts« als Name oder Kennzeichnung eines Gegenstandes einzuführen, so würde doch diesem Gegenstand in seiner Definition die Existenz abgesprochen werden, in Satz (3) aber wieder zugeschrieben werden. Dieser Satz würde also, wenn er nicht schon sinnlos wäre, kontradiktorisch, also unsinnig sein. Angesichts der groben logischen Fehler, die wir in den Sätzen II B finden, könnten wir auf die Vermutung kommen, daß in der zitierten Abhandlung vielleicht das Wort »nichts« eine völlig andere Bedeutung haben soll als sonst. Und diese Vermutung wird noch bestärkt, wenn wir dort weiter lesen, daß die Angst das Nichts offenbare, daß in der Angst das Nichts selbst als solches da sei. Hier scheint ja das Wort »nichts« eine bestimmte gefühlsmäßige Verfassung, vielleicht religiöser Art, oder irgendetwas, das einem solchen Gefühl zugrunde liegt, bezeichnen zu sollen. Wäre das der Fall, so würden die genannten logischen
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Fehler in den Sätzen II B nicht vorliegen. Aber der Anfang des S. 94 gegebenen Zitates zeigt, daß diese Deutung nicht möglich ist. Aus der Zusammenstellung von »nur« und »und sonst nichts« ergibt sich deutlich, daß das Wort »nichts« hier die übliche Bedeutung einer logischen Partikel hat, die zum Ausdruck eines negierten Existenzsatzes dient. An diese Einführung des Wortes »nichts« schließt sich dann unmittelbar die Hauptfrage der Abhandlung: »Wie steht es um dieses Nichts?« Unser Bedenken, ob wir nicht vielleicht falsch gedeutet haben, wird aber vollständig behoben, wenn wir sehen, daß der Verfasser der Abhandlung sich durchaus klar darüber ist, daß seine Fragen und Sätze der Logik widerstreiten. »Frage und Antwort im Hinblick auf das Nichts sind gleicherweise in sich widersinnig. – – Die gemeinhin beigezogene Grundregel des Denkens überhaupt, der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch, die allgemeine ›Logik‹, schlägt diese Frage nieder.« Um so schlimmer für die Logik! Wir müssen ihre Herrschaft stürzen: »Wenn so die Macht des Verstandes im Felde der Fragen nach dem Nichts und dem Sein gebrochen wird, dann entscheidet sich damit auch das Schicksal der Herrschaft der ›Logik‹ innerhalb der Philosophie. Die Idee der ›Logik‹ selbst löst sich auf im Wirbel eines ursprünglicheren Fragens.« Wird aber die nüchterne Wissenschaft mit dem Wirbel eines widerlogischen Fragens einverstanden sein? Auch darauf ist schon die Antwort gegeben: »Die vermeintliche Nüchternheit und Überlegenheit der Wissenschaft wird zur Lächerlichkeit, wenn sie das Nichts nicht ernst nimmt.« So finden wir eine gute Bestätigung für unsere These; ein Metaphysiker kommt hier selbst zu der Feststellung, daß seine Fragen und Antworten mit der Logik und der Denkweise der Wissenschaft nicht vereinbar sind. Der Unterschied zwischen unserer These und der der früheren Antimetaphysiker ist jetzt deutlich. Die Metaphysik gilt uns nicht als »bloßes Hirngespinst« oder »Märchen«. Die Sätze eines Märchens widerstreiten nicht der Logik, sondern nur der Erfahrung; sie sind durchaus sinnvoll, wenn auch falsch. Die Metaphysik ist kein »Aberglaube«; glauben kann man an wahre
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und an falsche Sätze, aber nicht an sinnlose Wortreihen. Auch nicht als »Arbeitshypothesen« kommen die metaphysischen Sätze in Betracht; denn für eine Hypothese ist das Ableitungsverhältnis zu (wahren oder falschen) empirischen Sätzen wesentlich, und das fehlt ja gerade bei Scheinsätzen. Unter Hinweis auf die sogenannte Beschränktheit des menschlichen Erkenntnisvermögens wird zuweilen folgender Einwand erhoben, um die Metaphysik zu retten: Die metaphysischen Sätze können zwar nicht vom Menschen oder sonst einem endlichen Wesen verifiziert werden; sie könnten aber vielleicht als Vermutungen darüber gelten, was von einem Wesen mit höherem oder gar vollkommenem Erkenntnisvermögen auf unsere Fragen geantwortet werden würde, und als Vermutungen wären sie doch immerhin sinnvoll. Gegen diesen Einwand wollen wir folgendes überlegen. Wenn die Bedeutung eines Wortes nicht angebbar ist, oder die Wortreihe nicht syntaxgemäß zusammengestellt ist, so liegt nicht einmal eine Frage vor. (Man denke etwa an die Scheinfragen: »Ist dieser Tisch babig?«, »Ist die Zahl Sieben heilig«, »Sind die geraden oder die ungeraden Zahlen dunkler?«.) Wo keine Frage ist, kann auch ein allwissendes Wesen nicht antworten. Der Einwender wird nun vielleicht sagen: wie ein Sehender dem Blinden eine neue Erkenntnis mitteilen kann, so könnte ein höheres Wesen uns vielleicht eine metaphysische Erkenntnis mitteilen, z. B. ob die sichtbare Welt Erscheinung eines Geistes ist. Hier müssen wir überlegen, was »neue Erkenntnis« heißt. Wir können uns allerdings denken, daß wir Tiere treffen, die uns von einem neuen Sinn berichten. Wenn diese Wesen uns den Fermatschen Satz beweisen würden oder ein neues physikalisches Instrument erfinden würden oder ein bisher unbekanntes Naturgesetz aufstellen würden, so würde unsere Erkenntnis durch ihre Hilfe bereichert. Denn Derartiges können wir nachprüfen, wie ja auch der Blinde die ganze Physik (und damit alle Sätze des Sehenden) verstehen und nachprüfen kann. Wenn aber die angenommenen Wesen uns etwas sagen, was wir nicht verifizieren können, so können wir es auch nicht verstehen;
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für uns liegt dann gar keine Mitteilung vor, sondern bloße Sprechklänge ohne Sinn, wenn auch vielleicht mit Vorstellungsassoziationen. Durch ein anderes Wesen kann somit, gleichviel ob es mehr oder weniger oder alles erkennt, unsere Erkenntnis nur quantitativ verbreitert werden, aber es kann keine Erkenntnis von prinzipiell neuer Art hinzukommen. Was uns ungewiß ist, kann uns mit Hilfe eines andern gewisser werden; was aber für uns unverstehbar, sinnlos ist, kann uns nicht durch die Hilfe eines andern sinnvoll werden, und wüßte er noch so viel. Daher kann uns auch kein Gott und kein Teufel zu einer Metaphysik verhelfen.
6. Sinnlosigkeit aller Metaphysik Die Beispiele metaphysischer Sätze, die wir analysiert haben, sind alle nur einer Abhandlung entnommen. Aber die Ergebnisse gelten in ähnlicher, zum Teil in wörtlich gleicher Weise auch für andere metaphysische Systeme. Wenn jene Abhandlung einen Satz von Hegel zustimmend zitiert (»Das reine Sein und das reine Nichts ist also dasselbe«), so besteht diese Berufung durchaus zu Recht. Die Metaphysik Hegels hat logisch genau den gleichen Charakter, den wir bei jener modernen Metaphysik gefunden haben. Und dasselbe gilt auch für die übrigen metaphysischen Systeme, wenn auch die Art ihrer Sprachwendungen und damit die Art der logischen Fehler mehr oder weniger von der Art der besprochenen Beispiele abweicht. Weitere Beispiele für Analysen einzelner metaphysischer Sätze verschiedener Systeme hier beizubringen, dürfte nicht nötig sein. Es sei nur auf die häufigsten Fehlerarten hingewiesen. Vielleicht die meisten der logischen Fehler, die in Scheinsätzen begangen werden, beruhen auf den logischen Mängeln, die dem Gebrauch des Wortes »sein« in unserer Sprache (und der entsprechenden Wörter in den übrigen, wenigstens den meisten europäischen Sprachen) anhaften. Der erste Fehler ist die Zweideutigkeit des Wortes »sein«; es wird einmal als Kopula vor
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einem Prädikat verwendet (»ich bin hungrig«), ein andermal als Bezeichnung für Existenz (»ich bin«). Dieser Fehler wird dadurch verschlimmert, daß die Metaphysiker sich häufig über diese Zweideutigkeit nicht klar sind. Der zweite Fehler liegt in der Form des Verbums bei der zweiten Bedeutung, der Existenz. Durch die verbale Form wird ein Prädikat vorgetäuscht, wo keines vorliegt. Man hat zwar längst schon gewußt, daß die Existenz kein Merkmal ist (vgl. Kants Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises). Aber erst die moderne Logik ist hierin völlig konsequent: sie führt das Existenzzeichen in einer derartigen syntaktischen Form ein, daß es nicht wie ein Prädikat auf Gegenstandszeichen bezogen werden kann, sondern nur auf ein Prädikat (vgl. z. B. Satz III A in der Tabelle S. 94). Die meisten Metaphysiker seit dem Altertum haben sich durch die verbale und damit prädikative Form des Wortes »sein« zu Scheinsätzen verführen lassen, z. B. »ich bin«, »Gott ist«. Ein Beispiel für diesen Fehler finden wir in dem »cogito, ergo sum« des Descartes. Von den inhaltlichen Bedenken, die gegen die Prämisse erhoben worden sind – ob nämlich der Satz »ich denke« ädaquater Ausdruck des gemeinten Sachverhaltes sei oder vielleicht eine Hypostasierung enthalte – , wollen wir hier gänzlich absehen und die beiden Sätze nur vom formallogischen Gesichtspunkt aus betrachten. Da bemerken wir zwei wesentliche logische Fehler. Der erste liegt im Schlußsatz »ich bin«. Das Verbum »sein« ist hier zweifellos im Sinne der Existenz gemeint; denn eine Kopula kann ohne Prädikat nicht gebraucht werden; das »ich bin« des Descartes ist ja auch stets in diesem Sinne verstanden worden. Dann verstößt aber dieser Satz gegen die vorhin genannte logische Regel, daß Existenz nur in Verbindung mit einem Prädikat, nicht in Verbindung mit einem Namen (Subjekt, Eigennamen) ausgesagt werden kann. Ein Existenzsatz hat nicht die Form »a existiert« (wie hier: »ich bin«, d. h. »ich existiere«), sondern »es existiert etwas von der und der Art«. Der zweite Fehler liegt in dem Übergang von »ich denke« zu »ich existiere«. Soll aus dem Satz »P(a)« (»dem a kommt die Eigenschaft P zu«) ein Existenzsatz abgeleitet wer-
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den, so kann dieser die Existenz nur in bezug auf das Prädikat P, nicht in bezug auf das Subjekt a der Prämisse aussagen. Aus »ich bin ein Europäer« folgt nicht »ich existiere«, sondern »es existiert ein Europäer«. Aus »ich denke« folgt nicht »ich bin«, sondern »es gibt etwas Denkendes«. Der Umstand, daß unsere Sprachen die Existenz durch ein Verbum (»sein« oder »existieren«) ausdrücken, ist an sich noch kein logischer Fehler, sondern nur unzweckmäßig, gefährlich. Durch die verbale Form läßt man sich leicht zu der Fehlauffassung verführen, als sei die Existenz ein Prädikat; man kommt dann zu solchen logisch verkehrten und daher sinnlosen Ausdrucksweisen, wie wir sie soeben betrachtet haben. Denselben Ursprung haben auch solche Formen wie »das Seiende«, das »Nicht-Seiende«, die ja seit jeher in der Metaphysik eine große Rolle gespielt haben. In einer logisch korrekten Sprache lassen sich solche Formen gar nicht bilden. Wie es scheint, hat man in der lateinischen und in der deutschen Sprache, vielleicht durch das griechische Vorbild verführt, die Formen »ens« bzw. »seiend« eigens zum Gebrauche des Metaphysikers eingeführt; so machte man die Sprache logisch schlechter, während man glaubte, einen Mangel zu beheben. Ein anderer sehr häufig vorkommender Verstoß gegen die logische Syntax ist die sogenannte »Sphärenvermengung« der Begriffe, Während der vorhin genannte Fehler darin besteht, daß ein Zeichen mit nichtprädikativer Bedeutung wie ein Prädikat verwendet wird, wird hier ein Prädikat zwar als Prädikat verwendet, aber als Prädikat einer anderen »Sphäre«; es liegt eine Verletzung der Regeln der sog. »Typentheorie« vor. Ein konstruiertes Beispiel hierfür ist der früher betrachtete Satz: »Caesar ist eine Primzahl«. Personennamen und Zahlwörter gehören zu verschiedenen logischen Sphären, und daher auch Personenprädikate (z. B. »Feldherr«) und Zahlenprädikate (»Primzahl«). Der Fehler der Sphärenvermengung ist, im Unterschied zu dem vorher erörterten Sprachgebrauch des Verbums »sein«, nicht der Metaphysik vorbehalten, sondern kommt schon in der Umgangssprache sehr häufig vor. Er führt hier aber selten zu
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Sinnlosigkeiten; die Mehrdeutigkeit der Wörter in bezug auf die Sphären ist hier von der Art, daß sie leicht beseitigt werden kann. Beispiel: 1. »Dieser Tisch ist größer als jener.« 2. »Die Höhe dieses Tisches ist größer als die Höhe jenes Tisches.« Hier wird das Wort »größer« in (1) als Beziehung zwischen Gegenständen, in (2) als Beziehung zwischen Zahlen gebraucht, also für zwei verschiedene syntaktische Kategorien. Der Fehler ist hier unwesentlich; er könnte z. B. dadurch eliminiert werden, daß »größer 1« und »größer 2« geschrieben wird; »größer 1« wird dann aus »größer 2« dadurch definiert, daß Satzform (1) als gleichbedeutend mit (2) (und einigen anderen ähnlichen) erklärt wird. Da die Sphärenvermengung in der Umgangssprache kein Unheil anrichtet, pflegt man sie überhaupt nicht zu beachten. Das ist für den gewöhnlichen Sprachgebrauch zwar zweckmäßig, hat aber in der Metaphysik unheilvolle Folgen gehabt. Hier hat man sich, verführt durch die Gewöhnung in der Alltagssprache, zu solchen Sphärenvermengungen verleiten lassen, die nicht mehr, wie die der Alltagssprache, in logisch korrekte Form übersetzt werden können. Scheinsätze dieser Art finden sich besonders häufig z. B. bei Hegel und bei Heidegger, der mit vielen Eigentümlichkeiten der Hegelschen Sprachform auch manche ihrer logischen Mängel mit übernommen hat. (Es werden z. B. Bestimmungen, die sich auf Gegenstände einer gewissen Art beziehen sollten, statt dessen auf eine Bestimmung dieser Gegenstände oder auf das »Sein« oder das »Dasein« oder auf eine Beziehung zwischen diesen Gegenständen bezogen.) Nachdem wir gefunden haben, daß viele metaphysische Sätze sinnlos sind, erhebt sich die Frage, ob es vielleicht doch einen Bestand an sinnvollen Sätzen in der Metaphysik gibt, der übrigbleiben würde, wenn wir die sinnlosen ausmerzen. Man könnte ja durch unsere bisherigen Ergebnisse zu der Auffassung kommen, daß die Metaphysik viele Gefahren, in Sinnlosigkeit zu geraten, enthält, und daß man sich daher, wenn man Metaphysik betreiben will, bemühen müsse, diese Gefah-
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ren sorgfältig zu meiden. Aber in Wirklichkeit liegt die Sache so, daß es keine sinnvollen metaphysischen Sätze geben kann. Das folgt aus der Aufgabe, die die Metaphysik sich stellt: Sie will eine Erkenntnis finden und darstellen, die der empirischen Wissenschaft nicht zugänglich ist. Wir haben uns früher überlegt, daß der Sinn eines Satzes in der Methode seiner Verifikation liegt. Ein Satz besagt nur das, was an ihm verifizierbar ist. Daher kann ein Satz, wenn er überhaupt etwas besagt, nur eine empirische Tatsache besagen. Etwas, das prinzipiell jenseits des Erfahrbaren läge, könnte weder gesagt, noch gedacht, noch erfragt werden. Die (sinnvollen) Sätze zerfallen in folgende Arten: Zunächst gibt es Sätze, die schon auf Grund ihrer Form allein wahr sind (»Tautologien« nach Wittgenstein; sie entsprechen ungefähr Kants »analytischen Urteilen«); sie besagen nichts über die Wirklichkeit. Zu dieser Art gehören die Formeln der Logik und Mathematik; sie sind nicht selbst Wirklichkeitsaussagen, sondern dienen zur Transformation solcher Aussagen. Zweitens gibt es die Negate solcher Sätze (»Kontradiktionen«); sie sind widerspruchsvoll, also auf Grund ihrer Form falsch. Für alle übrigen Sätze liegt die Entscheidung über Wahrheit oder Falschheit in den Protokollsätzen; sie sind somit (wahre oder falsche) Erfahrungssätze und gehören zum Bereich der empirischen Wissenschaft. Will man einen Satz bilden, der nicht zu diesen Arten gehört, so wird er automatisch sinnlos. Da die Metaphysik weder analytische Sätze sagen, noch ins Gebiet der empirischen Wissenschaft geraten will, so ist sie genötigt, entweder Wörter anzuwenden, für die keine Kriterien angegeben werden und die daher bedeutungsleer sind, oder aber bedeutungsvolle Wörter so zusammenzustellen, daß sich weder ein analytischer (bzw. kontradiktorischer) noch ein empirischer Satz ergibt. In beiden Fällen ergeben sich notwendig Scheinsätze. Die logische Analyse spricht somit das Urteil der Sinnlosigkeit über jede vorgebliche Erkenntnis, die über oder hinter die Erfahrung greifen will, Dieses Urteil trifft zunächst jede spekulative Metaphysik, jede vorgebliche Erkenntnis aus rei-
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nem Denken oder aus reiner Intuition, die die Erfahrung entbehren zu können glaubt. Das Urteil bezieht sich aber auch auf diejenige Metaphysik, die, von der Erfahrung ausgehend, durch besondere Schlüsse das außer oder hinter der Erfahrung Liegende erkennen will (also z. B. auf die neovitalistische These einer in den organischen Vorgängen wirkenden »Entelechie«, die physikalisch nicht erfaßbar sein soll; auf die Frage nach dem »Wesen der Kausalbeziehung« über die Feststellung gewisser Regelmäßigkeiten des Aufeinanderfolgens hinaus; auf die Rede vom »Ding an sich«). Weiter gilt das Urteil auch für alle Wert- oder Normphilosophie, für jede Ethik oder Ästhetik als normative Disziplin. Denn die objektive Gültigkeit eines Wertes oder einer Norm kann ja (auch nach Auffassung der Wertphilosophen) nicht empirisch verifiziert oder aus empirischen Sätzen deduziert werden; sie kann daher überhaupt nicht (durch einen sinnvollen Satz) ausgesprochen werden. Anders gewendet: Entweder man gibt für »gut« und »schön« und die übrigen in den Normwissenschaften verwendeten Prädikate empirische Kennzeichen an oder man tut das nicht. Ein Satz mit einem derartigen Prädikat wird im ersten Fall ein empirisches Tatsachenurteil, aber kein Werturteil; im zweiten Fall wird er ein Scheinsatz; einen Satz, der ein Werturteil ausspräche, kann man überhaupt nicht bilden. Das Urteil der Sinnlosigkeit trifft schließlich auch jene metaphysischen Richtungen, die man unzutreffend als erkenntnistheoretische Richtungen zu bezeichnen pflegt, nämlich den Realismus (sofern er mehr besagen will als den empirischen Befund, daß die Vorgänge eine gewisse Regelmäßigkeit aufweisen, wodurch die Möglichkeit zur Anwendung der induktiven Methode gegeben ist) und seine Gegner: subjektiven Idealismus, Solipsismus, Phänomenalismus, Positivismus (im früheren Sinne). Was aber bleibt denn für die Philosophie überhaupt noch übrig, wenn alle Sätze, die etwas besagen, empirischer Natur sind und zur Realwissenschaft gehören? Was bleibt, sind nicht Sätze, keine Theorie, kein System, sondern nur eine Methode,
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nämlich die der logischen Analyse. Die Anwendung dieser Methode haben wir in ihrem negativen Gebrauch im Vorstehenden gezeigt: Sie dient hier zur Ausmerzung bedeutungsloser Wörter, sinnloser Scheinsätze. In ihrem positiven Gebrauch dient sie zur Klärung der sinnvollen Begriffe und Sätze, zur logischen Grundlegung der Realwissenschaft und der Mathematik. Jene negative Anwendung der Methode ist in der vorliegenden historischen Situation nötig und wichtig. Fruchtbarer, auch schon in der gegenwärtigen Praxis, ist aber die positive Anwendung; doch kann auf sie hier nicht näher eingegangen werden. Die angedeutete Aufgabe der logischen Analyse, der Grundlagenforschung, ist es, die wir unter »wissenschaftlicher Philosophie« im Gegensatz zur Metaphysik verstehen; an dieser Aufgabe wollen die meisten Beiträge dieser Zeitschrift arbeiten. Die Frage nach dem logischen Charakter der Sätze, die wir als Ergebnis einer logischen Analyse erhalten, z. B. der Sätze dieser und anderer logischer Abhandlungen, kann hier nur andeutend dahin beantwortet werden, daß diese Sätze teils analytisch, teils empirisch sind. Diese Sätze über Sätze und Satzteile gehören nämlich teils der reinen Metalogik an (z. B. »Eine Reihe, die aus dem Existenzzeichen und einem Gegenstandsnamen besteht, ist kein Satz«), teils der deskriptiven Metalogik (z. B. »Die Wortreihe an der und der Stelle des und des Buches ist sinnlos«). Die Metalogik wird an anderer Stelle erörtert werden; dabei wird auch gezeigt werden, daß die Metalogik, die über die Sätze einer Sprache spricht, in dieser Sprache selbst formuliert werden kann.
7. Metaphysik als Ausdruck des Lebensgefühls Wenn wir sagen, daß die Sätze der Metaphysik völlig sinnlos sind, gar nichts besagen, so wird auch den, der unseren Ergebnissen verstandesmäßig zustimmt, doch noch ein Gefühl des Befremdens plagen: Sollten wirklich so viele Männer der verschiedensten Zeiten und Völker, darunter hervorragende Köpfe,
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so viel Mühe, ja wirkliche Inbrunst auf die Metaphysik verwendet haben, wenn diese in nichts bestände als in bloßen, sinnlos aneinandergereihten Wörtern? Und wäre es verständlich, daß diese Werke bis auf den heutigen Tag eine so starke Wirkung auf Leser und Hörer ausüben, wenn sie nicht einmal Irrtümer, sondern überhaupt nichts enthielten? Diese Bedenken haben insofern recht, als die Metaphysik tatsächlich etwas enthält; nur ist es kein theoretischer Gehalt. Die (Schein-)Sätze der Metaphysik dienen nicht zur Darstellung von Sachverhalten, weder von bestehenden (dann wären es wahre Sätze) noch von nicht bestehenden (dann wären es wenigstens falsche Sätze); sie dienen zum Ausdruck des Lebensgefühls. Vielleicht dürfen wir annehmen, daß es der Mythus ist, aus dem sich die Metaphysik entwickelt hat. Das Kind ist auf den »bösen Tisch«, der es gestoßen hat, zornig; der Primitive bemüht sich, den drohenden Dämon des Erdbebens zu versöhnen, oder er verehrt die Gottheit des fruchtbringenden Regens in Dankbarkeit. Hier haben wir Personifikationen von Naturerscheinungen vor uns, die der quasidichterische Ausdruck für das gefühlsmäßige Verhältnis des Menschen zur Umwelt sind. Das Erbe des Mythus tritt einerseits die Dichtung an, die die Leistung des Mythus für das Leben mit bewußten Mitteln hervorbringt und steigert; andererseits die Theologie, in der der Mythus sich zu einem System entwickelt. Welches ist nun die historische Rolle der Metaphysik? Vielleicht dürfen wir in ihr den Ersatz für die Theologie auf der Stufe des systematischen, begrifflichen Denkens erblicken. Die (vermeintlich) übernatürlichen Erkenntnisquellen der Theologie werden hier ersetzt durch natürliche, aber (vermeintlich) über-empirische Erkenntnisquellen. Bei näherem Zusehen ist auch in dem mehrmals veränderten Gewand noch der gleiche Inhalt wie im Mythus zu erkennen: Wir finden, daß auch die Metaphysik aus dem Bedürfnis entspringt, das Lebensgefühl zum Ausdruck zu bringen, die Haltung, in der ein Mensch lebt, die gefühls- und willensmäßige Einstellung zur Umwelt, zu den Mitmenschen, zu den Aufgaben, an denen er sich betätigt, zu den Schicksalen, die er
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erleidet. Dieses Lebensgefühl äußert sich, meist unbewußt, in allem, was der Mensch tut und sagt; es prägt sich auch in seinen Gesichtszügen, vielleicht auch in der Haltung seines Ganges aus. Manche Menschen haben nun das Bedürfnis, darüber hinaus noch einen besonderen Ausdruck für ihr Lebensgefühl zu gestalten, in dem es konzentrierter und eindringlicher wahrnehmbar wird. Sind solche Menschen künstlerisch befähigt, so finden sie in der Formung eines Kunstwerkes die Möglichkeit, sich auszudrücken. Wie sich in Stil und Art des Kunstwerkes das Lebensgefühl kundgibt, ist von verschiedenen schon klargelegt worden (z. B. von Dilthey und seinen Schülern). (Hierbei wird häufig der Ausdruck »Weltanschauung« gebraucht; wir vermeiden ihn lieber wegen seiner Zweideutigkeit, durch die der Unterschied zwischen Lebensgefühl und Theorie verwischt wird, der für unsere Analyse gerade entscheidend ist.) Hierbei ist für unsere Überlegung nur dies wesentlich, daß die Kunst das adäquate, die Metaphysik aber ein inadäquates Ausdrucksmittel für das Lebensgefühl ist. An und für sich wäre natürlich gegen die Verwendung irgendeines beliebigen Ausdrucksmittels nichts einzuwenden. Bei der Metaphysik liegt jedoch die Sache so, daß sie durch die Form ihrer Werke etwas vortäuscht, was sie nicht ist. Diese Form ist die eines Systems von Sätzen, die in (scheinbarem) Begründungsverhältnis zueinander stehen, also die Form einer Theorie. Dadurch wird ein theoretischer Gehalt vorgetäuscht, während jedoch, wie wir gesehen haben, ein solcher nicht vorhanden ist. Nicht nur der Leser, sondern auch der Metaphysiker selbst befindet sich in der Täuschung, daß durch die metaphysischen Sätze etwas besagt ist, Sachverhalte beschrieben sind. Der Metaphysiker glaubt sich in dem Gebiet zu bewegen, in dem es um wahr und falsch geht. In Wirklichkeit hat er jedoch nichts ausgesagt, sondern nur etwas zum Ausdruck gebracht, wie ein Künstler. Daß der Metaphysiker sich in dieser Täuschung befindet, können wir nicht schon daraus entnehmen, daß er als Ausdrucksmedium die Sprache und als Ausdrucksform Aussagesätze nimmt; denn das gleiche tut auch der Lyriker, ohne doch jener Selbsttäu-
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schung zu unterliegen. Aber der Metaphysiker führt für seine Sätze Argumente an, er verlangt Zustimmung zu ihrem Inhalt, er polemisiert gegen den Metaphysiker anderer Richtung, indem er dessen Sätze in seiner Abhandlung zu widerlegen sucht. Der Lyriker dagegen bemüht sich nicht, in seinem Gedicht die Sätze aus dem Gedicht eines anderen Lyrikers zu widerlegen; denn er weiß, daß er sich im Gebiet der Kunst und nicht in dem der Theorie befindet. Vielleicht ist die Musik das reinste Ausdrucksmittel für das Lebensgefühl, weil sie am stärksten von allem Gegenständlichen befreit ist. Das harmonische Lebensgefühl, das der Metaphysiker in einem monistischen System zum Ausdruck bringen will, kommt klarer in Mozartscher Musik zum Ausdruck. Und wenn der Metaphysiker sein dualistisch-heroisches Lebensgefühl in einem dualistischen System ausspricht, tut er es nicht vielleicht nur deshalb, weil ihm die Fähigkeit Beethovens fehlt, dieses Lebensgefühl im adäquaten Medium auszudrücken? Metaphysiker sind Musiker ohne musikalische Fähigkeit. Dafür besitzen sie eine starke Neigung zum Arbeiten im Medium des Theoretischen, zum Verknüpfen von Begriffen und Gedanken. Anstatt nun einerseits diese Neigung im Gebiet der Wissenschaft zu betätigen und andererseits das Ausdrucksbedürfnis in der Kunst zu befriedigen, vermengt der Metaphysiker beides und schafft ein Gebilde, das für die Erkenntnis gar nichts und für das Lebensgefühl etwas Unzulängliches leistet. Unsere Vermutung, daß die Metaphysik ein Ersatz, allerdings ein unzulänglicher, für die Kunst ist, scheint auch durch die Tatsache bestätigt zu werden, daß derjenige Metaphysiker, der vielleicht die stärkste künstlerische Begabung besaß, nämlich Nietzsche, am wenigsten in den Fehler jener Vermengung geraten ist. Ein großer Teil seines Werkes hat vorwiegend empirischen Inhalt; es handelt sich da z. B. um die historische Analyse bestimmter Kunstphänomene oder um die historischpsychologische Analyse der Moral. In dem Werke aber, in dem er am stärksten das zum Ausdruck bringt, was andere durch Metaphysik oder Ethik ausdrücken, nämlich im »Zarathustra«,
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wählt er nicht die irreführende theoretische Form, sondern offen die Form der Kunst, der Dichtung.1
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Bemerkungen des Autors (1957)
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Zu Abschnitt 1 »Metaphysik«: Dieser Begriff wird in dieser Arbeit wie in Europa üblich als Bezeichnung für den Bereich angeblichen Wissens über das Wesen der Dinge gebraucht, der sich der empirisch begründeten induktiven Wissenschaft entzieht. Metaphysik in diesem Sinne umfaßt Systeme wie die von Fichte, Schelling, Hegel, Bergson, und Heidegger, jedoch nicht Ansätze, die auf eine Synthese und Verallgemeinerung der Ergebnisse der verschiedenen Wissenschaften zielen. Zu Abschnitt 1 »Sinn«: Heutzutage unterscheiden wir mehrere Arten von Sinn, insbesondere erkenntnismäßigen (bezeichnenden, bezugnehmenden) Sinn auf der einen Seite, und nicht-erkenntnismäßigen (expressiven) auf der anderen Seite, zum Beispiel emotiven oder motivationalen Sinn. In dieser 1 Zusatz bei der Korrektur. Ich habe inzwischen zu meiner Freude bemerkt, daß auch von anderer Seite im Namen der Logik eine energische Ablehnung der modernen Nichts-Philosophie ausgesprochen worden ist. Oskar Kraus gibt in einem Vortrag »Über Alles und Nichts«, Leipziger Rundfunk, 1. Mai 1930; Philosophische Hefte 2, 140, 1931) einige Hinweise auf die historische Entwicklung der Nichts-Philosophie und sagt dann über Heidegger: »Die Wissenschaft würde sich lächerlich machen, wenn sie es [das Nichts] ernst nähme. Denn nichts bedroht das Ansehen aller philosophischen Wissenschaft ernstlicher als ein Wiederaufleben jener Nichts- und Alles-Philosophie.« Ferner macht Hilbert in einem Vortrag (»Die Grundlegung der elementaren Zahlenlehre«, Dezember 1930 in der Philosophischen Gesellschaft Hamburg; Mathematische Annalen 104, 485, 1931) die folgende Bemerkung, ohne Heideggers Namen zu nennen: »In einem neueren philosophischen Vortrag finde ich den Satz: ›Das Nichts ist die schlechthinnige Verneinung der Allheit des Seienden‹. Dieser Satz ist deshalb lehrreich, weil er trotz seiner Kürze alle hauptsächlichen Verstöße gegen die in meiner Beweistheorie aufgestellten Grundsätze illustriert.«
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Bemerkungen des Autors
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Arbeit wird »Sinn« immer als »erkenntnismäßiger Sinn« verstanden. Die These, daß die Sätze der Metaphysik sinnlos sind, ist daher so zu verstehen, daß sie keinen erkenntnismäßigen Sinn haben, keinen behauptenden Gehalt. Die offensichtliche psychologische Tatsache, daß sie eine expressive Bedeutung haben, wird dabei nicht geleugnet. Dies wird in Abschnitt 7 ausdrücklich gesagt. Zu Abschnitt 6 »Metalogik«: Dieser Ausdruck bezieht sich auf die Theorie der sprachlichen Ausdrücke und insbesondere auf ihre logischen Beziehungen. Heute würde man unterscheiden zwischen logischer Syntax als Theorie ihrer rein formalen Beziehungen und der Semantik als Theorie der Bedeutung und Wahrheitsbedingungen. Zu Abschnitt 6 »Realismus« und »Idealismus«: Daß sowohl negative wie positive Thesen betreffend die Realität der Außenwelt Scheinaussagen sind, habe ich in Scheinprobleme zu zeigen versucht. Daß entsprechendes auch für ontologische Thesen über die Wirklichkeit oder Nicht-Wirklichkeit abstrakter Entitäten wie Eigenschaften, Beziehungen oder Propositionen gilt, wird diskutiert in Empiricism, Semantics, and Ontology, in: Revue International de Philosophie 4, 1950, 20 – 40, wieder abgedruckt in: Meaning and Necessity, zweite Auflage, Chicago 1956.
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Über den Charakter der philosophischen Probleme
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1. Philosophie ist Wissenschaftslogik Die Philosophen haben stets behauptet, daß ihre Probleme in einer andern Schicht liegen als die Probleme der empirischen Wissenschaften. Vielleicht kann man dieser Behauptung zustimmen; es kommt aber darauf an, wo man diese Schicht suchen will. Die Metaphysiker wollen ihren Gegenstand hinter den Objekten der empirischen Wissenschaft suchen; sie wollen nach dem Wesen, dem Urgrund der Dinge fragen. Aber die logische Analyse der vorgeblichen Sätze der Metaphysik hat gezeigt, daß es gar keine Sätze sind, sondern gehaltlose Wortreihen, die durch vorstellungsmäßige und gefühlsmäßige Verknüpfungen den falschen Anschein erwecken, als seien sie Sätze. Diese Auffassung, daß die »Sätze« der Metaphysik, einschließlich derjenigen der Ethik, keinen theoretischen Gehalt haben, ist freilich noch umstritten. Wir wollen hier jedoch nicht auf ihre Begründung eingehen, sondern nur, durch sie veranlaßt, uns auf die nicht-metaphysischen und nicht-ethischen (wertungsfreien) philosophischen Probleme beschränken. Um den richtigen Standpunkt des Philosophen zu finden, der von dem des empirischen Forschers verschieden ist, müssen wir nicht hinter die Objekte der empirischen Wissenschaft in irgendeine vermeintlich transzendente Schicht hineingreifen; wir müssen im Gegenteil einen Schritt zurücktreten und als Objekt die Wissenschaft selbst nehmen. Philosophie ist Theorie der Wissenschaft (wobei hier und im folgenden ›science‹ stets in dem umfassenden Sinn des gesamten Systems der Erkenntnis irgendwelcher Gegenstände gemeint ist, physischer und psychischer, natürlicher und sozialer Gegenstände). Dies muß näher präzisiert werden. Man kann die Wissenschaft von verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachten; z. B. kann man
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Charakter der philosophischen Probleme
eine psychologische Untersuchung über die Tätigkeiten des Beobachtens, Schließens, Theorienbildens usw. anstellen, oder soziologische Untersuchungen über die wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen des Wissenschaftsbetriebes. Diese Gebiete – obwohl höchst wichtig – sind hier nicht gemeint. Psychologie und Soziologie sind empirische Wissenschaften; sie gehören nicht zur Philosophie, auch wenn sie oft in Personalunion mit ihr betrieben werden und erst in unserer Zeit sich als selbständige Wissenschaftszweige von der Philosophie loslösen. Die Philosophie hat es mit der Wissenschaft zu tun vom logischen Gesichtspunkt aus. Philosophie ist Wissenschaftslogik, d. h. logische Analyse der Begriffe, Sätze, Beweise, Theorien der Wissenschaft, sowohl derer, die wir in der vorhandenen Wissenschaft vorfinden, als auch allgemein der möglichen Methoden zur Bildung von Begriffen, Beweisen, Hypothesen, Theorien. (Was man epistemology oder Theorie der Erkenntnis zu nennen pflegt, ist eine Mischung von angewandter Logik und Psychologie (und zuweilen noch Metaphysik); soweit diese Theorie Logik ist, ist sie in dem, was wir Wissenschaftslogik nennen, mit einbegriffen; soweit sie aber Psychologie ist, gehört sie nicht zur Philosophie, sondern zur empirischen Wissenschaft.) Die Auffassung, daß Philosophie Wissenschaftslogik ist, soll hier nicht begründet werden. Sie wird früher und jetzt von verschiedenen philosophischen Richtungen vertreten, unter anderem auch in unserem Wiener Kreis. Mit dieser These ist die Frage nach dem Charakter der philosophischen Probleme nicht etwa schon gelöst. Vielmehr fängt hier erst die eigentliche Frage an. Wir wollen hier also fragen: Welchen Charakter, welche logische Beschaffenheit, haben die Fragen und Antworten der Wissenschaftslogik? Für diejenigen, die mit uns der Auffassung sind, daß Philosophie Wissenschaftslogik ist, wird damit auch die Frage nach dem Charakter der philosophischen Probleme beantwortet sein.
Sinn von Sätzen der Wissenschaftslogik 59
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2. Sind die Sätze der Wissenschaftslogik sinnlos?
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Unsere antimetaphysische Auffassung ist ihrem Kern nach schon von Hume in klassischer Weise formuliert worden: »Wie mir scheint, sind die einzigen Gegenstände der abstrakten oder demonstrativen Wissenschaften Größe und Zahl. […] Alle übrigen Untersuchungen der Menschen beziehen sich nur auf Tatsachen und Existenz, und diese sind augenscheinlich einer Demonstration nicht zugänglich. […] Sehen wir, von diesen Grundsätzen erfüllt, die Bibliotheken durch, wie müßten wir dann hier aufräumen! Nehmen wir z. B. ein theologisches oder metaphysisches Buch zur Hand, so müßten wir fragen: enthält es eine abstrakte Untersuchung über Größe und Zahl? Nein. Enthält es erfahrungsgemäße Erörterungen über Tatsachen und Existenz? Nein. So übergebe man es den Flammen, denn es kann nur sophistische Täuschungen enthalten!« (Enquiry concerning human understanding, Kap. XII, 3.) Man hat hiergegen immer wieder den folgenden Einwand erhoben, der auf den ersten Blick tatsächlich schlagend erscheint: »Wenn jeder Satz sinnlos ist, der nicht entweder zur Mathematik oder zur empirischen Tatsachenforschung gehört, wie steht es dann mit euren eigenen Sätzen? Ihr Positivisten und Antimetaphysiker sägt selbst den Ast ab, auf dem ihr sitzt.« Dieser Einwand berührt tatsächlich den entscheidenden Punkt. Es mag für jeden Philosophen, auch den Metaphysiker, interessant sein, über den Charakter der Sätze der Wissenschaftslogik ins Klare zu kommen; aber für die Antimetaphysiker, der Philosophie und Wissenschaftslogik identifiziert, ist dies die entscheidende Frage, von deren befriedigender Beantwortung die Sicherheit seines Standpunktes abhängt. Wittgenstein hat mit besonderer Entschiedenheit die These von der Gehaltlosigkeit der metaphysischen Sätze und von der Identität von Philosophie und Wissenschaftslogik vertreten; besonders durch ihn ist die Auffassung des Wiener Kreises in diesem Punkt entwickelt worden. Wie widerlegt nun Witt-
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Charakter der philosophischen Probleme
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genstein jenen Einwand, das auch seine eigenen Sätze sinnlos seien? Überhaupt nicht; er stimmt ihm zu! Er meint, auch die nicht-metaphysische Philosophie besitze keine Sätze; sie wirke mit Worten, deren Sinnlosigkeit sie selbst am Ende einsehen müsse: (4.112) »[…] Die Philosophie ist keine Lehre, sondern eine Tätigkeit. Ein philosophisches Werk besteht wesentlich aus Erläuterungen. Das Resultat der Philosophie sind nicht »philosophische Sätze«, sondern das Klarwerden von Sätzen. […] (6.54) Meine Sätze erläutern dadurch, daß sie der, welcher mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch sie – auf ihnen – über sie hinausgestiegen ist. (Er muß sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er auf ihr hinaufgestiegen ist.) Er muß diese Sätze überwinden, dann sieht er die Welt richtig. (7) »Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.« Wir wollen im Folgenden versuchen, an Stelle dieser radikal negativen Antwort eine positive Antwort auf die Frage nach dem Charakter der Sätze der Wissenschaftslogik und damit der Philosophie zu geben.
3. Inhaltliche und formale Betrachtung Wissenschaft aufbauen heißt ein System von Sätzen aufbauen, die in gewissen Begründungszusammenhängen mit einander stehen. Wissenschaftslogik ist somit die logische Analyse dieses Systems, seiner Elemente und der Methoden zur Verknüpfung dieser Elemente. Bei einer solchen Analyse können wir nun von zwei verschiedenen Gesichtspunkten ausgehen; wir wollen sie als »inhaltlich« und »formal« bezeichnen. Gewöhnlich pflegt man in der Wissenschaftslogik etwa folgende Fragen und ähnliche zu stellen: Welches ist die Bedeutung dieses oder jenes
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Inhaltliche und formale Betrachtung
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Begriffes? In welcher Beziehung steht die Bedeutung dieses Begriffes zu der jener anderen? Ist die Bedeutung dieses oder die jenes Begriffes grundlegender? Welchen Sinn (Inhalt, Gehalt) hat dieser Satz? (Oder: Was besagt dieser Satz?) Ist der Sinn dieses Satzes in dem Sinn jenes Satzes enthalten? Besagt dieser Satz mehr als jener? Ist das, was dieser Satz aussagt, notwendig oder kontingent oder unmöglich? Ist das, was diese beiden Sätze besagen, mit einander verträglich? Alle diese Fragen beziehen sich auf die Bedeutung der Begriffe und Sätze. Wir nennen sie deshalb Bedeutungsfragen oder inhaltliche Fragen. Im Unterschied dazu verstehen wir unter formalen Fragen und Sätzen solche, die sich bloß auf die formale Struktur der Sätze beziehen, d. h. auf die Reihenfolge und Art der Zeichen (z. B. Wörter), aus denen ein Satz gebildet ist, ohne Bezugnahme auf die Bedeutung der Zeichen und Sätze. Formal (in dem soeben definierten Sinn) sind z. B. (meist) die Regeln der Grammatik. Nach allgemein üblicher Auffassung sind jene inhaltlichen Fragen der Wissenschaftslogik sehr viel reicher und ergiebiger als diese formalen; falls die formalen überhaupt zur Wissenschaftslogik gehören, so seien sie höchstens ein kleiner, unbedeutender Ausschnitt. Aber diese Auffassung hat Unrecht. Die Wissenschaftslogik kann durchweg nach der formalen Methode vorgehen, ohne dadurch den Reichtum der Fragestellung einzuschränken. Es ist möglich, bei rein formalem Verfahren, also von einem Ausgangspunkt aus, bei dem man auf die Bedeutung nicht Bezug nimmt, schließlich doch zur Beantwortung aller jener Fragen zu gelangen, die als inhaltliche Fragen formuliert sind. Diese Möglichkeit soll im Folgenden andeutungsweise gezeigt werden. Damit ist dann die Frage nach dem Charakter der Philosophie als Wissenschaftslogik beantwortet; sie ist formale Strukturtheorie der Wissenschaftssprache, wir werden es nennen: logische Syntax der Wissenschaftssprache.
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Charakter der philosophischen Probleme
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4. Logische Syntax der Sprache Unter »logischer Syntax« (oder auch kurz »Syntax«) einer Sprache wollen wir verstehen das System der formalen, also auf Bedeutung nicht Bezug nehmenden Regeln dieser Sprache, sowie der Konsequenzen aus diesen Regeln. Dabei handelt es sich erstens um die Formregeln, die bestimmen, wie aus den Zeichen (z. B. Wörtern) der Sprache Sätze gebildet werden können, zweitens um die Umformungsregeln, die bestimmen, wie aus gegebenen Sätzen neue abgeleitet werden können. Sind die Regeln streng formal aufgestellt, so gestatten sie ein mechanisches Operieren mit den Zeichen der Sprache. Das Formen und Umformen von Sätzen gleicht dann dem Schachspiel: wie die Schachfiguren werden hier die Wörter nach bestimmten Regeln kombiniert und verschoben. Aber damit ist nicht gesagt, daß die Sprache ein bloßes Figurenspiel sei; es wird nicht geleugnet, daß die Wörter und Sätze eine Bedeutung haben; es wird hier nur von der Bedeutung methodisch abgesehen. Man kann es auch so ausdrücken: die Sprache wird als Kalkül behandelt. Daß die formale, kalkülmäßige Aufstellung der Formregeln möglich ist, leuchtet ein. Das, was die Linguisten Syntaxregeln nennen, sind ja solche formalen (oder wenigstens formal ausdrückbaren) Regeln zur Bildung von Sätzen. Wir können uns aber leicht klar machen, daß die Umformungsregeln, die man gewöhnlich logische Schlußregeln nennt, denselben formalen, also syntaktischen Charakter haben. (Und das ist der Grund, warum wir das Gesamtsystem der Regeln Syntax nennen, in Erweiterung des Sprachgebrauches der Linguisten.) Seit Aristoteles ging ja das Bestreben der Logiker (mehr oder weniger bewußt) dahin, die Schlußregeln möglichst formal zu fassen, d. h. möglichst so, daß man mit ihrer Hilfe den Schlußsatz mechanisch aus den Prämissen »errechnen« kann. Erreicht worden ist dies in strenger Weise allerdings erst in der modernen symbolischen Logik; die traditionelle Logik war durch die Mängel der Wortsprache zu sehr behindert.
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Logische Syntax der Sprache
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Für eine bestimmte Teilsprache der Wissenschaftssprache ist eine streng formale Theorie schon bekannt, nämlich Hilberts Metamathematik. Sie behandelt die Zeichen und Formeln der Mathematik ohne Bezugnahme auf die Bedeutung, um Beziehungen der Ableitbarkeit, Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit und dergleichen zu untersuchen. Diese Metamathematik ist also (in unserer Ausdrucksweise) logische Syntax der mathematischen Sprache. Die hier gemeinte logische Syntax der Wissenschaftssprache ist eine analoge Erweiterung, bezogen auf die Sprache der Gesamtwissenschaft. Einer der wichtigsten Begriffe der Logik und damit auch der Wissenschaftslogik ist der der Folgerung, das (logische) entailment. Kann dieser Begriff rein formal erfaßt werden? Es wird häufig behauptet, daß die Beziehung entailment von der Bedeutung der Sätze abhängt. In gewissem Sinn können wir dem zustimmen; denn wenn die Bedeutung zweier Sätze bekannt ist, so ist damit bestimmt, ob der eine eine Folgerung des anderen ist oder nicht. Das Entscheidende aber ist: Es ist auch möglich, den Begriff »Folgerung« rein formal zu erfassen. Sind nämlich die Umformungsregeln der Sprache rein formal aufgestellt, so nennen wir einen Satz eine Folgerung aus anderen Sätzen, wenn er aus diesen Sätzen durch Anwendung der Umformungsregeln gebildet werden kann. Die Frage, ob ein bestimmter Satz eine Folgerung aus bestimmten anderen Sätzen ist oder nicht, ist daher vollkommen analog der Frage, ob eine bestimmte Spielstellung im Schachspiel aus einer anderen erspielt werden kann oder nicht. Diese Frage wird beantwortet durch die Schachtheorie, d. h. eine kombinatorische oder mathematische Untersuchung, die auf den Schachregeln basiert; jene Frage ist ebenso eine formale, sie wird beantwortet durch die Kombinatorik oder Mathematik der Sprache, die auf den Umformungsregeln der Sprache basiert, also durch das, was wir die Syntax der Sprache genannt haben. Kurz: »Folgerung« wird definiert als Deduzierbarkeit nach den Umformungsregeln; da diese Regeln formal sind, so ist auch »Folgerung« ein formaler, also syntaktischer Begriff.
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Charakter der philosophischen Probleme
Der Begriff »entailment« ist, wie Lewis richtig gesehen hat, durchaus verschieden vom Begriff der »(materialen) Implikation« (Russell, Princ. Math.). Die Implikation hängt nicht vom Sinn der Sätze, sondern nur von ihrem Wahrheitswert ab; das entailment dagegen ist durch die Wahrheitswerte noch nicht bestimmt. Hieraus darf man aber nicht schließen, daß zur Bestimmung des entailment Bezugnahme auf den Sinn nötig sei; es genügt die Bezugnahme auf die formale Struktur der Sätze.
5. Der Gehalt eines Satzes Auf Grund des Begriffes »Folgerung« läßt sich nun folgende, für die Wissenschaftslogik fundamentale, Klassifikation der Sätze definieren. Ein Satz heißt analytisch (oder tautologisch), wenn er Folgerung jedes Satzes ist (genauer: wenn er ohne Prämissen deduzierbar, also Folgerung der leeren Satzklasse ist). Ein Satz heißt kontradiktorisch, wenn jeder beliebige Satz Folgerung von ihm ist. Ein Satz heißt synthetisch, wenn er weder analytisch noch kontradiktorisch ist. Beispiel: »Es regnet jetzt hier« ist synthetisch; »Es regnet oder es regnet nicht« ist analytisch; »Es regnet und es regnet nicht« ist kontradiktorisch. Ein analytischer Satz ist in jedem möglichen Fall wahr und besagt daher nichts darüber, welcher Fall vorliegt. Ein kontradiktorischer Satz dagegen besagt zu viel, er ist in keinem möglichen Fall wahr. Ein synthetischer Satz ist nur in gewissen Fällen wahr, er besagt daher, daß einer dieser Fälle vorliegt; alle (wahren oder falschen) Behauptungen sind synthetisch. Die Begriffe »analytisch«, »kontradiktorisch«, »synthetisch« können in analoger Weise auch für Klassen von Sätzen definiert werden; mehrere Sätze heißen unverträglich mit einander, wenn ihre Klasse kontradiktorisch ist. Und nun kommen wir zum Hauptbegriff der Wissenschaftslogik, zum Begriff des Inhaltes eines Satzes. Kann auch dieser Kernbegriff der inhaltlichen Betrachtungsweise rein formal erfaßt werden? Wir können uns leicht überzeugen, daß das
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Inhaltliche und formale Redeweise
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möglich ist. Denn was wollen wir wissen, wenn wir nach dem Inhalt oder Sinn eines Satzes S fragen? Wir wollen wissen, was S uns mitteilt; was wir durch S erfahren; was wir aus S entnehmen können. Mit anderen Worten: wir fragen, was wir aus S folgern können; genauer: welche Sätze Folgerungen aus S sind, die nicht schon Folgerungen jedes beliebigen Satzes sind und daher nichts besagen. Wir definieren deshalb: unter dem Gehalt eines Satzes S verstehen wir die Klasse der Folgerungen aus S, die nicht analytisch sind. Damit ist der Begriff »Gehalt« auf die früher definierten syntaktischen Begriffe zurückgeführt; er ist also auch ein syntaktischer, ein rein formaler Begriff. Aus dieser Definition ergibt sich, daß der Gehalt eines analytischen Satzes leer ist, da kein nicht-analytischer Satz Folgerung von ihm ist. Ferner, daß der Gehalt von S 2 dann und nur dann in dem von S1 enthalten ist, wenn S 2 eine Folgerung von S 1 ist; daß zwei Sätze dann und nur dann gehaltgleich sind, wenn jeder von beiden Folgerung des andern ist. So entspricht also der definierte Begriff »Gehalt« vollkommen dem, was wir meinen, wenn wir (in vager Weise) vom »Inhalt« eines Satzes zu reden pflegen; allerdings nur, soweit mit »Inhalt« etwas Logisches gemeint ist. Häufig ist bei der Frage nach dem »Inhalt« oder »Sinn« eines Satzes auch gemeint: was denkt man oder stellt man sich vor bei diesem Satz? Dies ist aber eine psychologische Frage, mit der wir bei einer logischen Untersuchung nichts zu tun haben.
6. Inhaltliche und formale Redeweise Wir sind davon ausgegangen, daß man eine Sprache in zwei verschiedenen Weisen betrachten kann: in inhaltlicher und in formaler Weise. Jetzt haben wir aber festgestellt, daß man mit Hilfe der formalen Methode schließlich auch die Fragen der inhaltlichen Betrachtungsweise beantworten kann. Es liegt also im Grunde gar kein Unterschied zweier Betrachtungsweisen vor, sondern nur ein Unterschied zweier Redeweisen: Bei der
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Charakter der philosophischen Probleme
Untersuchung einer Sprache, ihrer Begriffe und Sätze und der Zusammenhänge zwischen ihnen, kann man sich entweder der inhaltlichen oder der formalen Redeweise bedienen. Die inhaltliche Redeweise ist mehr üblich und anschaulich; aber man muß sie mit großer Vorsicht verwenden, sie erzeugt häufig Unklarheiten und Scheinfragen. Wir wollen einige Beispiele von Sätzen in inhaltlicher Redeweise und ihre Übersetzung in formale Redeweise betrachten; bei manchen dieser Beispiele (6a –10a) zeigt erst die Übersetzung, daß es sich um Behauptungen über die Sprache handelt. Inhaltliche Redeweise:
Formale Redeweise:
1 a. Die Sätze der arithmetischen Sprache geben Eigenschaften von Zahlen und Beziehungen zwischen Zahlen an.
1 b. Die Sätze der arithmetischen Sprache sind so und so zusammengesetzt aus ein- oder mehrstelligen Prädikaten und Zahlausdrücken als Argumenten.
2 a. Die Ausdrücke »5« und »3+2« bedeuten dieselbe Zahl. 3 a. »5« und »3+2« bedeuten nicht dieselbe Zahl, sondern zwei gleiche Zahlen.
2 b. 3 b. Die Ausdrücke »5« und »3+2« sind in der arithmetischen Sprache synonym (d. h. überall miteinander vertauschbar).
Auf Grund der inhaltlichen Formulierung 1a entsteht leicht eine Menge von metaphysischen Scheinfragen nach dem Wesen der Zahlen, ob die Zahlen real oder ideal seien, ob sie extra- oder intramental seien und dergleichen. Die Gefahr dieser Scheinfragen verschwindet, wenn wir die formale Redeweise anwenden, indem wir anstatt von »Zahlen« nur noch von »Zahlausdrücken« sprechen. Auch der philosophische Streit zwischen 2 a und 3 a verschwindet bei formaler Redeweise: Beide Thesen haben dieselbe Übersetzung.
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Philosophie ist Syntax der Wissenschaftssprache
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4 a. Das Wort »luna« der lateinischen Sprache bezeichnet den Mond.
4 b. Auf Grund der syntaktischen Übersetzungsregeln zwischen lateinischer und englischer Sprache ist dem Wort »luna« das Wort »moon« zugeordnet.
5 a. Der Begriff »rot« bezeichnet eine ursprüngliche Qualität; der Begriff »Mensch« hat eine ursprünglichere Bedeutung als der Begriff »Enkel«.
5 b. Das Wort »rot« ist ein undefiniertes Grundzeichen der Sprache; das Wort »Mensch« steht im definitorischen Stammbaum der Begriffe auf einer niederen Stufe als das Wort »Enkel«.
6 a. Der Mond ist ein Ding; die Summe von 3 und 2 ist kein Ding, sondern eine Zahl.
6 b. »Mond« ist eine Dingbezeichnung; »3 + 2« ist keine Dingbezeichnung, sondern eine Zahlbezeichnung.
7 a. Eine Eigenschaft ist kein Ding.
7 b. Ein Eigenschaftswort ist kein Dingwort.
8 a. Dieser Umstand (Sachverhalt, Vorgang, Zustand) ist logisch notwendig; … logisch unmöglich; … logisch möglich.
8 b. Dieser Satz ist analytisch; … kontradiktorisch; … nicht kontradiktorisch.
9 a. Dieser Umstand (Sachverhalt, Vorgang, Zustand) ist physikalisch notwendig; … physikalisch unmöglich; … physikalisch möglich.
9 b. Dieser Satz ist deduzierbar aus der Klasse der physikalischen Gesetze; … unverträglich mit … ; … ist verträglich mit…
10 a. Die Wirklichkeit besteht aus Tatsachen, nicht aus Dingen.
10 b. Die Wissenschaft ist ein System von Sätzen, nicht von Namen.
7. Philosophie ist Syntax der Wissenschaftssprache Wir sind von der Voraussetzung ausgegangen: Philosophie der Wissenschaft ist Wissenschaftslogik, logische Analyse der Begriffe, Sätze, Satzgebäude der Wissenschaft. Da nun die Ergebnisse jeder logischen Analyse in die formale Redeweise
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übersetzt werden können, so finden alle Fragen und Theoreme der Philosophie ihren Platz in der formalen Strukturtheorie der Sprache, also in dem Gebiet, das wir Syntax der Wissenschaftssprache genannt haben. Hierbei ist aber zu beachten, daß ein philosophisches Theorem, aufgefaßt als Satz der Syntax, in verschiedener Weise gemeint sein kann: A. Als Behauptung: z. B. 1. In der heute vorliegenden Sprache der Wissenschaft (oder eines Teilgebietes: der Physik, der Biologie, …) gilt dies und dies. 2. In jeder Sprache (oder: in jeder Sprache von der und der Beschaffenheit) gilt dies und dies. 3. Es gibt eine Sprache, für die dies und dies gilt. B. Als Vorschlag: z. B. 1. Ich schlage vor, die Sprache der Wissenschaft (oder der Mathematik, der Psychologie, …) so aufzubauen, daß sie die und die Eigenschaften bekommt. 2. Ich will (neben anderen) eine Sprache untersuchen, die diese und diese Eigenschaften besitzt. Die übliche Verwirrung in philosophischen Diskussionen, nicht nur bei Metaphysikern, sondern auch in der Philosophie der Wissenschaft, wird hauptsächlich dadurch hervorgerufen, daß man sich nicht klar darüber ist, daß das Objekt der Diskussion die Wissenschaftssprache ist; und ferner, daß man nicht deutlich sagt (und meist selbst nicht weiß), ob eine These als Behauptung oder als Vorschlag gemeint ist. Betrachten wir z. B. in der Diskussion der logischen Grundlagen der Mathematik einen Punkt des Streites zwischen den Logizisten (Frege, Russell) und den Axiomatikern (Peano, Hilbert); die Thesen seien durch 12 a, 13a formuliert. Zunächst übersetzen wir die Thesen, um sie exakter zu formulieren, in die formale Redeweise: 12 b, 13 b.
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Philosophie ist Syntax der Wissenschaftssprache
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12 a. Die Zahlen sind Klassen von Klassen von Dingen.
12 b. Die Zahlzeichen sind Klassenzeichen zweiter Stufe.
13 a. Die Zahlen gehören zu einer eigenen, ursprünglichen Gegenstandsart.
13 b. Die Zahlzeichen sind Individualzeichen (d. h. Zeichen nullter Stufe, die nur als Argumente auftreten.)
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Interpretieren wir nun 12 b und 13 b in der Art A 3, so verschwindet der Streit: Man kann zeigen, daß sich eine Sprache der Arithmetik aufbauen läßt, die die Eigenschaft 12 b hat; aber auch eine solche, die die Eigenschaft 13 b hat. Vielleicht sind aber die Thesen 12 b, 13 b als Vorschläge im Sinn von B 1 gemeint. In diesem Fall handelt es sich nicht um eine Diskussion über wahr und falsch, sondern um eine Diskussion darüber, ob diese oder jene Sprachform einfacher oder zweckmäßiger (für bestimmte wissenschaftsmethodische Zwecke) ist. Jedenfalls ist die Diskussion schief und unfruchtbar, solange die Diskutanten sich nicht darüber einigen, welche der Interpretationen A und B gemeint ist. Ähnlich steht es mit dem philosophischen Streit um die Thesen 14 a, 15 a: 14 a. Zum ursprünglich Gegebenen gehören Beziehungen.
15 a. Beziehungen sind niemals ursprünglich gegeben, sondern beruhen stets nur auf der Beschaffenheit 71 der Beziehungsglieder.
14 b. Zu den definierten Grundzeichen gehören zwei- (oder mehr-) stellige Prädikate. 15 b. Alle zwei- und mehrstelligen Prädikate werden auf Grund einstelliger Prädikate definiert.
Die Diskussion wird erst klar, wenn man 14 b und 15 b als Vorschläge auffaßt; die Aufgabe besteht dann darin, Sprachen dieser und jener Form aufzustellen und mit einander zu vergleichen. Im folgenden Beispiel handelt es sich um den Streit zweier Thesen 16 a, 17 a, die ungefähr dem Positivismus und dem Realismus entsprechen:
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Charakter der philosophischen Probleme
16 a. Ein Ding ist ein Komplex von Sinnesempfindungen.
16 b. Jeder Satz, in dem eine Dingbezeichnung vorkommt, ist gehaltgleich mit einer Klasse von Sätzen, in denen keine Dingbezeichnungen, sondern Empfindungsbezeichnungen vorkommen.
17 a. Ein Ding ist ein Komplex von Atomen.
17 b. Jeder Satz, in dem eine Dingbezeichnung vorkommt, ist gehaltgleich mit einer Klasse von Sätzen, in denen keine Dingbezeichnungen, sondern Raum-Zeit-Koordinaten und physikalische Funktionen vorkommen.
16 b, 17 b können hier im Sinn von A1 interpretiert werden, also als Behauptungen über die syntaktische Struktur unserer Wissenschaftssprache. Trotzdem widersprechen sie einander nicht; denn ein Dingsatz kann ja in mehr als einer Weise gehaltgleich umgeformt werden. Wir sehen: Bei Anwendung der formalen Redeweise verschwindet die Scheinfrage »Was ist ein Ding?« und damit verschwindet der Widerstreit zwischen der positivistischen und der realistischen Antwort. Wenn wir die Auffassung vertreten, daß alle philosophischen Probleme Fragen der Syntax der Wissenschaftssprache sind, so ist das nicht gemeint als Vorschlag oder gar als Vorschrift zur Beschränkung auf ein bestimmtes, anscheinend sehr enges Gebiet von Fragen. Es ist vielmehr gemeint: Sobald man irgendeine Frage der Philosophie als Wissenschaftslogik genau formuliert, bemerkt man, daß es eine Frage der logischen Analyse der Wissenschaftssprache ist; und die weitere Untersuchung lehrt dann, daß jede solche Frage sich als formale Frage formulieren läßt, also eine Frage der Syntax der Wissenschaftssprache ist. Alle Theoreme der Philosophie nehmen erst dann eine exakte, diskutierbare Gestalt an, wenn wir sie als Behauptungen oder Vorschläge zur Syntax der Wissenschaftssprache formulieren.
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Grundlagenprobleme der Wissenschaften
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8. Die Grundlagenprobleme der Wissenschaften Um unsere Auffassung über den Charakter der philosophischen Probleme deutlicher zu machen, werde noch kurz ein Blick auf die Probleme geworfen, die man als philosophische Grundlagenprobleme der einzelnen Wissenschaften zu bezeichnen pflegt. Die philosophischen Grundlagenprobleme der Mathematik sind Fragen der Syntax der mathematischen Sprache, und zwar nicht als einer isolierten Sprache, sondern als einer Teilsprache der Wissenschaftssprache. Dieser Zusatz ist wichtig. Die logizistische Richtung (Frege, Russell) hat recht mit der Forderung, daß die Grundlegung der Mathematik nicht nur den mathematischen Kalkül aufbauen, sondern auch die Bedeutung der mathematischen Begriffe aufklären muß, da auf dieser Bedeutung die Anwendung der Mathematik auf die Wirklichkeit beruht. In formaler Redeweise wenden wir dies um: Die mathematischen Begriffe erhalten ihre Bedeutung dadurch, daß die Regeln ihrer Anwendung in der empirischen Wissenschaft gegeben werden. Wenn wir nicht nur die syntaktischen Regeln der mathematischen Sprache selbst untersuchen, sondern auch die Regeln, die sich auf das Vorkommen mathematischer Zeichen in synthetischen Sätzen beziehen, so erfassen wir damit die Bedeutung der mathematischen Begriffe. (Z. B. wird die Bedeutung des Zeichens »2« dadurch erfaßt, daß festgestellt wird, wie dieses Zeichen in synthetischen Sätzen vorkommen kann, und nach welchen Regeln solche Sätze aus Sätzen ohne Zahlausdrücke abgeleitet werden können. Ist eine Regel aufgestellt, mit deren Hilfe wir aus dem Satz »In diesem Zimmer ist Peter und Paul und sonst kein Mensch« den Satz »In diesem Zimmer sind 2 Menschen« ableiten können, so ist durch diese Regel die Bedeutung von »2« festgelegt.) Die Grundlagenfragen der Physik sind Fragen der Syntax der physikalischen Sprache: Das Problem der Verifikation der physikalischen Gesetze ist die Frage nach dem syntaktischen Deduktionszusammenhang zwischen den physikalischen Ge-
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Charakter der philosophischen Probleme
setzen (d. h. generellen Sätzen bestimmter Form) und den Protokollsätzen (singulären Sätzen bestimmter Form); das Problem der Induktion ist umgekehrt die Frage, ob und welche Umformungsregeln von Protokollsätzen zu Gesetzen führen; das Problem der Endlichkeit oder Unendlichkeit und der sonstigen Struktureigenschaften der Zeit und des Raumes ist die Frage nach den syntaktischen Umformungsregeln in bezug auf Zahlausdrücke, die in den physikalischen Sätzen als Zeit- und Raum-Koordinaten auftreten; das Problem der Kausalität ist die Frage nach der syntaktischen Struktur der physikalischen Gesetze (ob eindeutige oder Wahrscheinlichkeitsfunktionen) und nach einer gewissen Vollständigkeitseigenschaft des Systems dieser Gesetze (Determinismus – Indeterminismus). Die philosophischen Grundlagenprobleme der Biologie beziehen sich vor allem auf das Verhältnis zwischen Biologie und Physik. Hier sind folgende beiden Fragen zu unterscheiden: 1. Können die Begriffe der Biologie auf Grund der Begriffe der Physik definiert werden? (Wenn ja, ist die Sprache der Biologie eine Teilsprache der physikalischen Sprache). 2. Können die Gesetze der Biologie abgeleitet werden aus den Gesetzen der Physik des Anorganischen? Die zweite Frage bildet den Kern des Vitalismus-Problems, wenn wir dieses Problem von den üblichen metaphysischen Beimengungen reinigen. Unter den Grundlagenproblemen der Psychologie gibt es analoge zu den soeben genannten: 1. Können die Begriffe der Psychologie auf Grund der Begriffe der Physik definiert werden? 2. Können die Gesetze der Psychologie aus denen der Physik abgeleitet werden? Das sogenannte psychophysische Problem wird gewöhnlich formuliert als Problem des Verhältnisses zweier Objektbereiche: des Bereiches der psychischen Vorgänge und des Bereiches der physischen Vorgänge. Aber diese Formulierung führt in ein Gewirr von Scheinfragen. Bei Anwendung der formalen Redeweise wird klar, daß es sich nur um das Verhältnis der beiden Teilsprachen handelt, der der Psychologie und der der Physik, und zwar genauer um die Art der syntaktischen Ableitungsbeziehungen (Übersetzungs-
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regeln) zwischen den Sätzen dieser beiden Sprachen. Mit der Formulierung des psychophysischen Problems in der formalen Redeweise ist das Problem gewiß noch nicht gelöst; die Lösung zu finden, mag noch schwierig genug sein. Aber es ist wenigstens die notwendige Voraussetzung erfüllt, damit eine Lösung überhaupt gesucht werden kann; die Frage ist wenigstens klar gestellt. Ein prinzipieller Punkt muß noch beachtet werden, damit unsere Auffassung richtig verstanden wird. Wenn wir sagen, die philosophischen Fragen sind Fragen der Syntax der Wissenschaftssprache, die sich in formaler Redeweise ausdrücken lassen, so ist damit nicht gesagt, daß die Antworten auf diese Fragen durch ein bloßes Herumrechnen mit logischen Formeln gefunden werden können, ohne Rücksicht auf die Erfahrung zu nehmen. Ein Vorschlag zur syntaktischen Gestaltung der Wissenschaftssprache ist zwar prinzipiell gesehen ein Vorschlag für eine frei wählbare Konvention ; aber was uns veranlaßt, bestimmte Sprachformen anderen vorzuziehen, ist die Rücksicht auf das empirische Material, das die wissenschaftliche Forschung liefert. (Es ist z. B. eine Frage der Konvention, ob man als Grundgesetze der Physik deterministische oder statistische Gesetze nimmt; aber nur im Hinblick auf das empirische Material, syntaktisch gesprochen: auf die Protokollsätze, können wir entscheiden, mit welcher von beiden Formen wir zu einem gut zusammenstimmenden, relativ einfachen Systemaufbau gelangen.) Hieraus folgt auch, daß die Arbeit der Philosophie der Wissenschaft nur in enger Zusammenarbeit zwischen Logikern und empirischen Forschern geleistet werden kann.
Anmerkungen des Herausgebers
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Scheinprobleme in der Philosophie (S. 9 ff.) 1 Heute ist die Situation komplizierter: von »der« Implikation kann man nicht mehr sprechen. Statt dessen gibt es eine Vielzahl logischer Systeme mit verschiedenen Implikationen. Mit Logische Syntax der Sprache (1934) fand Carnap bereits in den dreißiger Jahren zu einer pluralistischen Logikauffassung. 2 Carnap meint wohl die Arbeiten Cauchys, Bolzanos und Weierstrass’ im 19. Jahrhundert. Seine harsche Einstellung gegenüber der Infinitesimalrechnung des 17. und 18. Jahrhunderts erscheint heute nur noch schwer haltbar. Robinsons Non-Standard Analysis hat gezeigt, daß der Begriff einer »unendlich kleinen Größe« keineswegs ein Scheinbegriff sein muß, vgl. A. Robinson 1966, NonStandard Analysis, Amsterdam und London. 3 Das im Aufbau hauptsächlich behandelte Beispiel eines Konstitutionssystems hat als Grundbegriff den der Gestaltpsychologie entlehnten Begriff des Elementarerlebnisses. Die Konstitution höherer Begriffe kann als »rationale Nachkonstruktion« (siehe 2 b) des von Carnap erwähnten »nachträglichen Abstraktionsprozesses« verstanden werden. 4 Die Formulierung eines präzisen und plausiblen »Sinnkriteriums« blieb eines der letzlich ungelösten Probleme des Logischen Empirismus, siehe C. G. Hempel, 1950, Problems and Changes in the Empiricist Criterion of Meaning, in: Revue International de Philosophie 4, 41 – 63. 5 Vgl. Einleitung, Anmerkung 11. 6 Carnaps Argumentation an dieser Stelle ist nicht schlüssig: Er argumentiert folgendermaßen: (i) wenn (1) sinnvoll ist, läßt sich keine plausible Unterscheidung zwischen der Sinnhaftigkeit der Zeichenreihen (2) – (7) machen; (ii) (7) ist aber offensichtlich sinnlos; (iii) also ist auch (2) sinnlos. Das aber ist angesichts der angenommenen Sinnhaftigkeit von (1) absurd. Diese Argumentation ist wenig überzeugend, weil Carnap keine Gründe dafür an-
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gibt, warum man die Prämisse (i) als gültig annehmen sollte, und weshalb die Konklusion (iii) inakzeptabel sein sollte. 7 Im Originaltext irrtümlich »p« statt »q«. 8 Im Aufbau führt Carnap fundierte Relationen als diejenigen ein, die »einer erlebbaren, »natürlichen« Beziehung entsprechen, deren zugeordnete Glieder also etwas Erlebbares gemein haben.« (Aufbau, § 154). Er behauptet, der Begriff der Fundiertheit sei ein logischer Grundbegriff. 9 Diese Unterscheidung zwischen »empirischen Fragen« und »philosophischen Standpunkten« kann als eine Vorwegnahme der späteren Unterscheidung zwischen »internen« und »externen Fragen« betrachtet werden, siehe Carnap (1950).
Von Gott und Seele (S. 49 ff.) 10 Der Hauptturm des Wiener Stephansdomes hat eine Höhe von 136,7 Meter. 11 Das Problem der Unwissenschaftlichkeit isolierter Existenzaussagen ist etwas später von Popper ausführlich behandelt worden, siehe Karl Popper, Logik der Forschung, Wien, 1934. 12 Für Carnap gehörte es offenbar zum Wesen des Raumes zusammenhängend zu sein. Diese Auffassung findet sich bereits bei Kant, der diese These dadurch begründet (siehe Kritik der reinen Vernunft, B 39), daß »Raum« kein Begriff, sondern eine reine Anschauung sei. 13 Carnap gründet diese These auf einer Analogie zum physischen Raum: Ebenso wie der physische Raum müsse der Begriffsraum des wissenschaftlichen Wissens zusammenhängend sein. Der Zusammenhang des Wissensraumes führt in natürlicher Weise zur Einheitswissenschaft. Das Problem der »Einheit der Wissenschaft« wird ausführlicher behandelt in einigen Arbeiten aus den dreißiger Jahren, z. B. Die physikalische Sprache als Universalsprache der Wissenschaft, in: Erkenntnis 2 (1931), 432 – 465, und Über die Einheitssprache der Wissenschaft. Logische Bemerkungen zum Projekt einer Enzyklopädie, in: Actes du Congrès International de philosophie scientifique et empirisme logique, Paris 1936, 60 – 70. 14 Das im Aufbau hauptsächlich betrachtete Beispiel eines Kon-
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Anmerkungen
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stitutionssystems hat als Basiselemente gerade die der Gestaltpsychologie entlehnten »Elementarerlebnisse«. 15 Diese Behauptung wird ausführlicher entwickelt in Psychologie in physikalischer Sprache, in: Erkenntnis 3 (1932/33), 107 – 142. 16 In Enquiry concerning Human Understanding, Ch. II. (Hume 1973, 19 ff.) 17 Ernst Mach (1838 – 1916), Die Mechanik in ihrer Entwicklung historisch-kritisch dargestellt, Leipzig 1883. 18 Carnap meinte damit wohl Whitehead, Russell und sich selbst. Aus dem Manifest des Wiener Kreises ist ersichtlich, daß er und Neurath damals planten, die Konstitutionstheorie des Aufbau als formalen Rahmen der »Einheitswissenschaft« zu verwenden.
Die alte und die neue Logik (S. 63 ff.) 19 Gemeint ist die Zeitschrift Erkenntnis, die als Nachfolgerin der Annalen der Philosophie seit 1930 von Carnap und Reichenbach herausgegeben wurde. Seit 1937 erschien sie unter dem Namen Journal of Unified Science/Erkenntnis und mußte 1939/40 eingestellt werden. Im Jahre 1975 wurde sie durch Wolfgang Stegmüller unter dem ursprünglichen Namen neu gegründet. 20 Siehe auch das sogenannte Manifest des Wiener Kreises (Wissenschaftliche Weltauffassung. Der Wiener Kreis), das 1929 vom Verein Ernst Mach herausgegeben wurde. Die (anonymen) Autoren sind Neurath, Carnap und Hahn. Zahlreiche Wiederabdrucke, z. B. in Otto Neurath Wissenschaftliche Weltauffassung und Sozialismus, herausgegeben von R. Hegselmann, Frankfurt/ Main 1981. 21 Vgl. dazu Russell in Our Knowledge of the External World: »[…] the study of logic becomes the central study of philosophy: it gives the method of research in philosophy, just as mathematics give the method in physics.« (243) 22 Ähnlich Moritz Schlick, Die Wende in der Philosophie, in: Erkenntnis 1, 4 – 11. 23 Später werden Kant, Aristoteles und andere der »Wissenschaft nahestehende Philosophen« von diesem harschen Urteil ausgenommen.
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24 Augustus de Morgan, Formal Logic, or The Calculus of Inference, Necessary and Probable, London 1847. 25 George Boole, An Investigation of the Laws of Thought on which are Founded the Laws of Logic and Probabilities, Cambridge 1854. 26 Die These von der einen Logik gab Carnap in den dreißiger Jahren zugunsten einer pluralistischen Auffassung auf, siehe Carnap (1934). 27 Siehe Anmerkung 2. 28 Vgl. David Hilberts Axiomatisches Denken, in: Mathematische Annalen 78, 1918, 405 – 415. 29 Diese in den Principia von Whitehead und Russell verwendete Bezeichnung des »logistischen Allzeichens« ist heute kaum mehr gebräuchlich. Anstatt von »Allzeichen« spricht man meist von »Allquantor«, der üblicherweise mit ∀x oder mit (x) bezeichnet wird. In heutiger Schreibweise schreibt sich Carnaps Beispiel daher ∀x∀y (x · y = y · x) oder auch (x)(y) (x · y = y · x). 30 Leitbild für Carnap und die anderen Logischen Empiristen war in dieser Hinsicht Hilberts Grundlagen der Geometrie (Hilbert 1899). 31 Siehe Anmerkung 21. 32 Siehe dazu auch Carnaps Dissertation Der Raum (Carnap 1922). 33 Dies ist eine Anspielung auf Russells Kritik an Bradleys idealistischem Monismus, vgl. F. H. Bradley, 1968 (1893), Appearance and Reality, Oxford. 34 Augustus de Morgan, 1858, On the Syllogism III and logic in general, in: Transactions of the Cambridge Philosophical Society 10, 173 – 230. 35 C. S. Peirce, 1870, Description of a notation for the logic of relatives, resulting from an amplification of the conceptions of Boole‘s calculus of logic, in: Memoirs of the American Academy of Sciences 9, 317 – 378. 36 Daß die allgemeine Relativitätstheorie als zwingendes Argument gegen eine substantialistische (»absolutistische«) Konzeption des Raumes zugunsten einer relationalistischen Auffassung gelten kann, ist heute durchaus umstritten. 37 Ernst Mach 1883, Die Mechanik in ihrer Entwicklung historisch-kritisch dargestellt, Leipzig, Nachdruck Darmstadt 1973.
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Anmerkungen
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38 Albert Einstein, 1905, Zur Elektrodynamik bewegter Körper, in: Annalen der Physik 17, 891 – 921. 39 Siehe z. B. Rosemarie Rheinwald 1988, Semantische Paradoxien, Typentheorie und ideale Sprache: Studien zur Sprachphilosophie Bertrand Russells, Berlin und New York. 40 Aufgrund des Gödelschen Unvollständigkeitssatzes läßt sich natürlich nicht ausschließen, daß andere Antinomien auftreten. 41 Der Versuch John Stuart Mills (1806 – 1873), Arithmetik und Geometrie empirisch zu begründen, war von Frege und anderen modernen Logikern vernichtend kritisiert worden. 42 Die Einheitswissenschaft könnte man als »positives Paradigma des Logischen Empirismus« (Hegselmann) bezeichnen. Zunächst sollte die Konstitutionstheorie des Aufbau als theoretische Basis der Einheitswissenschaft dienen. Dieser Plan wurde jedoch nicht verwirklicht. Stattdessen entwickelte Neurath seit Mitte der dreißiger Jahre den »Enzyklopädismus« als Theorie der Einheitswissenschaft. 43 Aus Alfred Ayer (Hg.), 1959, Logical Positivism, London, 146.
Überwindung der Metaphysik … (S. 81 ff.) 44 Dies ist vermutlich als eine späte Reminiszenz an Carnaps »phänomenologische« Periode in den frühen zwanziger Jahren zu lesen. 45 Carnaps Behauptung, die Fragen 1 – 4 seien äquivalent, ist unhaltbar. Die Gleichsetzung von 1 und 2 läuft darauf hinaus, Wahrheit und Ableitbarkeit in eins zu setzen. Das ist, wie Gödels Unvollständigkeitssatz zeigt, schon für die Mathematik nicht richtig. Problematisch ist auch die Gleichsetzung von 3 und 4, wonach ein (Elementar)satz nur dann sinnvoll ist, wenn man weiß, wie er zu verifizieren ist. Spätere Untersuchungen haben gezeigt, daß die Forderung der Verifizierbarkeit ein zu starkes Kriterium für Sinnhaftigkeit darstellt. 46 Gemeint ist wohl seine Logische Syntax der Sprache (1934). 47 Eine umfassende Darstellung der »Protokollsatzdebatte« findet sich in Uebel (1992). 48 Damit ist offenbar Schlicks Positition in der Protokollsatzdebatte gemeint.
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49 Damit charakterisiert Carnap eine seiner frühen, am Aufbau orientierten Positionen in der Debatte. 50 Dies war Neuraths physikalistische Position in der Protokollsatzdebatte. 51 Hier begeht Carnap einen Flüchtigkeitsfehler: Gemäß seiner eigenen Definition sind kontradiktorische Sätze falsch, aber nicht sinnlos (s. Überwindung, 82). 52 Heidegger 1976, 105 f. 53 Der französische Mathematiker Pierre de Fermat (1601 – 1665) stellte die folgende Behauptung auf (»Großer Satz von Fermat«): Für n 암 3 ist die Gleichung x n + y n = zn in natürlichen Zahlen x, y, z unlösbar. Diese Behauptung wurde erst 1995 von Andrew Wiles bewiesen. 54 Gemeint ist die Zeitschrift Erkenntnis. 55 In Bühlers Sprachtheorie wird die Sprache durch die drei Funktionen des Ausdrucks, des Appells (Auslösung) und der Darstellung charakterisiert, vgl. Karl Bühler, 1933 (1976), Die Axiomatik der Sprachwissenschaften, Frankfurt/Main. Aus seinen Vortragsnotizen erhellt, daß Carnap die Verbindung seiner Metaphysikkritik zu Bühlers Sprachtheorie tatsächlich gesehen hat (vgl RC-110-07-19 :1R). Nach Carnap täuschten metaphysische Sätze die Erfüllung der Darstellungsfunktion nur vor, während sie in Wirklichkeit Ausdruck eines Lebensgefühls waren. Unter allen Metaphysikern war für ihn daher Nietzsche noch der respektabelste, konnte man ihm doch kaum vorwerfen, den Leser über die eigentliche Intention seiner Werke zu täuschen, nämlich ein bestimmtes Lebensgefühls auszudrücken, vgl. auch (RC-110-07-21:4). 56 Carnap konzediert also auch Nietzsche eine »Überwindung der Metaphysik«, nämlich eine »Überwindung der Metaphysik durch Dichtung«. Diese Überwindung aber weist in eine ganz andere Richtung als die von Carnap intendierte »Überwindung durch logische Analyse der Sprache«. Zur Beziehung von Carnap zu Nietzsche und Heidegger siehe Gottfried Gabriel, Carnap und Heidegger, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 48 (2000), 487 – 497, und ders., Introduction: Carnap Brought Home, in: Awodey, St. und Klein, C. (eds.), Carnap Brought Home. The View from Jena, 2004, 3 – 23, La Salle and Chicago. 57 Aus A. J. Ayer, (ed.), 1959, Logical Positivism, London.
Anmerkungen
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Über den Charakter der philos. Probleme (S. 111 ff.) 58 Dieser Text wurde bisher auf deutsch nicht veröffentlicht. Die englische Übersetzung erschien 1934 als On the Character of Philosophical Problems in der Zeitschrift Philosophy of Science 1, 5 – 19. Das deutsche Manuskript (RC 110-04-02) weist zahlreiche Verbesserungen und Durchstreichungen auf. Bei Unklarheiten folgt der hier gegebene Text der englischen Übersetzung. In Angleichung an die anderen Kapitel dieses Buches sind die von Carnap stammenden Überschriften der einzelnen Abschnitte numeriert worden. 59 Im deutschen Manuskript ist diese Überschrift nur handschriftlich eingefügt. In On the Character of Philosophical Problems erscheint sie. 60 Im deutschen Manuskript zitiert Carnap diese Passagen des Tractatus auf Englisch und läßt Wittgensteins Numerierung weg. 61 Im Anschluß an Jan van Heijenoort hat Jaakko Hintikka vorgeschlagen, in der Logik und Sprachphilosophie des 20. Jahrhunderts zwischen zwei wesentlich verschiedenen Ansätzen zu unterscheiden: Auf der einen Seite finden sich die Philosophen, die von einer Sprache und einer Logik ausgehen, und die als Vertreter der Auffassung von »Language as a Universal Medium« (LUM) charakterisiert werden können, auf der anderen Seite finden sich diejenigen, die von einer Vielzahl konstruierter Sprachen und Logiken ausgehen, deren Semantik durch die Sprachbenutzer festgelegt werden kann. Diese können als Befürworter der Konzeption von »Languages as Interpreted Calculi« (LAC) beschrieben werden. Carnap gehörte zunächst zur LUM-Fraktion, wandelte sich aber später zu einem überzeugten Vertreter von LAC. Vgl. J. van Heijenoorth, Logic as Language and Logic as Calculus, in: Synthese 17 (1967), 324 – 330, und J. Hintikka, On the Development of the Model-Theoretic View in Logical Theory, in: Synthese 77 (1988), 1 – 36. 62 In der englischen Fassung steht irrtümlich »mathematics«. 63 Im Unterschied zur modernen Auffassung unterscheidet Carnap hier nicht zwischen Folgerung und Ableitung. Wenn man vom heutigen Verständnis von Syntax und Semantik ausgeht, sind seine Ausführungen deshalb sicher nicht richtig. Zum Beispiel ist der Begriff der Gültigkeit im heutigen Sinne kein syntaktischer,
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sondern ein semantischer Begriff. Carnaps Begriff von Syntax ist jedoch verschieden von dem heute verwendeten und liegt näher an dem, was heute unter Semantik verstanden wird, vgl. Coffa (1991, Kapitel 16). 64 Es ist nicht klar, ob Carnap mit »Princ. Math.« das Werk The Principles of Mathematics von Russell oder die Principia Mathematica von Whitehead und Russell meint. In der englischen Übersetzung des Textes findet sich »Russell, Principles of Mathematics (sic)«. 65 Im Vergleich zu Überwindung ist das Spektrum dessen, was als Explikation von »Gehalt« zu verstehen ist, deutlich reduziert. Nur noch die syntaktische Explikation wird zugelassen. 66 Eine ausführlichere Liste von Übersetzungsbeispielen dieser Art findet sich in Logische Syntax der Sprache (Carnap 1934, § 75 – 81). 67 Vgl. Tractatus 1.1: »Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge.« 68 Dies wird ausgeführt in Carnaps Testability and Meaning (Carnap 1936/37), wo verschiedene mögliche Formen des Empirismus diskutiert werden, siehe insbesondere § 27. 69 Vgl. dazu auch Empiricism, Semantics, and Ontology (Carnap 1950). 70 Diese These entspricht Russells Theorie »externer« Relationen, wie er sie in Our Knowedge of the External World (Russell 1914) vertrat. 71 Diese These vertrat Russells ehemaliger Lehrer und späterer philosophischer Gegner Bradley, siehe F. H. Bradley, 1968 (1893), Appearance and Reality, Oxford. 72 Dieser Auffassung war schon Mach. Auch Russell vertrat zeitweise eine ähnliche These, z. B. in seinem Artikel The Relation of Sense-Data to Physics (Russell 1914), in: ders., Mysticism and Logic (1994), 140 – 172, London. 73 »Grundlagenprobleme« dieser Art haben Carnap während seiner gesamten philosophischen Laufbahn beschäftigt, siehe z. B. in Carnap 1934 (§ 83). Für einige späte Bemerkungen zu »Grundlagenproblemen« siehe seinen Beitrag Feigl on Physicalism, in: P. Schilpp (ed.) The Philosophy of Rudolf Carnap, La Salle 1963, 882 – 886. 74 Explizit wird der konventionelle Charakter jeder Wissen-
Anmerkungen
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schaftssprache im »Toleranzprinzip« formuliert: »In der Logik gibt es keine Moral. Jeder mag seine Logik, d.h. seine Sprachform, aufbauen wie er will. Nur muß er, wenn er mit uns diskutieren will, deutlich angeben, wie er es machen will, syntaktische Bestimmungen geben anstatt philosophischer Erörterungen.« (Carnap 1934, § 17).
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Bibliographie
In der folgenden Bibliographie ist die von Carnap angegebene Literatur ohne seine historischen oder thematischen Einteilungen wie »Ältere Schriften«, »Neuere Schriften«, »Philosophie als Wissenschaftslogik« etc. angegeben. Gelegentlich gibt Carnap nur vage Literaturhinweise wie »Boole (1854)«. In den Anmerkungen des Herausgebers ist versucht worden, diese Angaben genauer zu spezifieren. Wenn das möglich war, wird auch diese Literatur hier angegeben. Auch die in der Einführung erwähnte Literatur wird aufgeführt. Awodey, St. / Klein, C. (eds.), 2004, Carnap Brought Home: The View from Jena, La Salle and Chicago. Ayer, A.J. (ed.), 1959, Logical Positivism, London. Behmann, H., 1927, Mathematik und Logik, Leipzig. Blumenberg, H., 1981, Wirklichkeiten, in denen wir leben, Stuttgart. Bonk, T. (ed.), 2003, Language, Truth, and Logic. Recent Studies on the Philosophy of Rudolf Carnap, Dordrecht. Boole, G., 1854, An Investigation of the Laws of Thought on which are Founded the Laws of Logic and Probabilities, Cambridge. Bradley, F. H., 1893 (1968), Appearance and Reality, Oxford. Bühler, K., 1933 (1976), Die Axiomatik der Sprachwissenschaften, Frankfurt/Main. Coffa, A., 1991, The Semantic Tradition from Kant to Carnap. To the Vienna Station, ed. by L. Wessels, Cambridge. Dahms, H.-J., 2001, Neue Sachlichkeit in der Architektur und Philosophie der zwanziger Jahre, in: Arch + 156, Zeitschrift für Architektur und Städtebau, 82 – 87. Stark erweiterte englische Fassung in: Awodey, St. / Klein, C. (eds.), Carnap Brought Home. The View from Jena, 2004, 357 – 375.
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Personenregister
Ackermann, Wilhelm 65 Bergson, Henri 108 Bernays, Paul 65 Behmann, Heinrich 65 Beethoven, Ludwig van 107 Boole, George 65 Caesar 91, 100 Chwistek, Leon 65 Dedekind, Richard 40 De Morgan, Augustus 65, 71 Descartes, René 99 Dilthey, Wilhelm 106 Einstein, Albert 71 Fichte, Johann Gottlieb 108 Fraenkel, Abraham Adolf 65 Frege, Gottlob 40, 65 f., 73, 122, 125 Hahn, Hans 62 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 65, 76, 98, 101, 108 Heidegger, Martin 93, 101, 108 Hilbert, David 33, 65 f., 108, 117, 122 Hume, David 59, 62, 113 Kant, Immanuel 15, 65, 76, 99, 102 Kraus, Oskar 108
Leibniz, Gottfried Wilhelm 5, 65, 68, 70 Lesniewski, Stanislaw 65 Lewis, Clarence, Irving 65, 118 Mach, Ernst 49, 56, 59, 62, 71 Meinong, Alexius 32 Mill, John Stuart 76 Mozart, Wolfgang Amadeus 107 Newton, Isaac 5, 65, 71 Nietzsche, Friedrich 107 Peano, Guiseppe 65 f., 122 Peirce, Charles Sanders 71 Plato 65 Ramsey, Frank Plumpton 65 Russell, Bertrand 40, 62, 65 f., 70 f., 73, 118, 122, 125 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 65, 108 Schröder, Ernst 65 Sokrates 68 Tarski, Alfred 65 Thomas von Aquin 65 Whitehead, Alfred North 65 f., 73 Wittgenstein, Ludwig 65, 80, 84, 87, 102, 113
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Sachregister
Ableitung 3, 5, 67 f., 73, 77, 84, 135 Ableitungsbeziehung 84, 126 Ableitbarkeit 84, 117 Analyse 3–7, 43 f., 63–68, 73, 77– 82, 98, 102, 104, 106 f., 111 f., 114, 121, 124 Antinomien 66, 71–73 Außenwelt, Realität der 34– 36, 45, 48 Axiomatik 67 Babigkeit 86 Baby-Einwand 19 Bedeutung 19 f., 27 f., 32, 42, 53, 60, 66, 81–92, 95–99, 100, 102, 104, 109, 113, 125 Begriffsanalyse 67 Begriffsraum 57, 59 Behaviourismus 77 Beobachtungssätze 85 Bewußtseinsvorgang 5, 18, 22 f., 34, 36 Beziehungstheorie 68 Biologie 30, 42, 51, 122, 126 Ding 8, 34, 51–59, 80–89, 92, 108, 113, 121, 123 f. Ding an sich 79, 90, 103 Dingbezeichnung 123 f. Dingwort 121 Differentialquotient 5, 65
Eigenpsychisches 17, 44, 77 Einfühlung 41 f. Einheitswissenschaft 77 f. Elementarsatz 83–89 Erlebnis 5, 7–23, 20–31, 43 f., 85 Erfahrung 16, 19 f., 23, 26 f., 30, 36, 46, 55, 57, 59, 79, 96, 102 f., 127 Erfahrungssätze 88, 102 Erkenntnistheorie 3 f., 15, 26, 43, 63, 74, 85 Ethik 103, 107, 111 Existenzbehauptung 54 f., 61 Existenzfragen 53 Fermatscher Satz 97 Folgerung 117–119 Forderung, positivistische 59 Fremdpsychisches 17–19, 21, 24, 34, 37, 44, 47, 77 fundiert 28–30, 36, 39, 44 Gegebene, das 77–80, 85, 123 Gegenstandstheorie 32 Gegenstandsvorstellung 31– 33, 35, 40, 42 f., 45 Gehalt (theoretischer) 8–16, 19, 23, 30, 33, 35, 37 f., 40, 42 f., 45, 105 f., 111, 119 Geometrie 33, 40, 67 f., 70 Geographie 29, 35 Gestaltpsychologie 6
148
Thomas Mormann
Gott 49–62, 89 f., 98 f., 105 Gottesbeweis, ontologischer 99 Grenzwert 65 Grundlagenprobleme 125 f.
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Herkules 55 Idealismus 28, 30, 34, 36, 45, 47, 103, 106 Implikation 4, 118 Induktion 126 Infinitesimalrechnung 5 Intuition 103 imprädikabel 71–73 Irrtum des Indianers 38 Irrationalzahlen 40 Jupiter 26 f., 46 Kern 13–17, 21, 23 f., 43 f. Kalkül 67, 116, 125 Kinderpsychologie 19 Kombinatorik 117 Konstitutionssystem 7, 25, 60, 62, 77 f. Konstitutionstheorie 24 f., 77 Konvention 127 Kunst 106–108, 143 Leben 42, 51 f., 87, 105 Lebensgefühl 103–107 Logik passim Mathematik 5, 10, 40, 42, 64–68, 73–76, 79, 102, 104, 122, 125 Metalogik 84, 104, 109, 117 Metamathematik 117
Metaphysik passim Mythus 43, 105 Nachkonstruktion, rationale 9 f., 13, 18 f., 21, 43 f., 129 nachprüfbar 28–30, 39 Nebenteil 13 f., 16 f., 21, 23, 43 Nichts, das 93–96, 108 Normwissenschaft 81, 103 Ordnung 25, 44, 69 f. Phänomenalismus 103 Phänomenologie 84 Physik 29, 35, 42, 58, 68, 70 f., 88, 97, 122, 125–127 Positivismus 77 f., 103, 123 prädikabel 71 f. Protokollsätze 85, 87, 102, 126 f. Psychologe 22 f., 39 f., 42 Psychologie 6, 22, 30, 39, 42, 77, 112, 122, 126 Rationalzahlen 40 Raum 54–58, 70 f., 126 Rechtfertigung 3, 14 f., 21 f., 42, 44 Redeweise, formale 119–127; inhaltliche 119–121 Realwissenschaft 28–30, 36, 44 f., 78 f., 103 f. Realismus 30, 34, 45, 47, 109 Relationstheorie 68, 71 Relativitätstheorie 71 sachhaltig 28–30, 36, 39, 40, 44–47
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Sachregister
Sachhaltigkeit 26, 30, 32, 36, 45, 47 Sachverhalt 7, 9, 16 f., 24, 26, 30–32, 34 f., 38, 40, 45 f., 60, 70, 78, 91, 99, 105, 121 Sachverhaltsvorstellung 31 f., 38, 42 Schachspiel 116 f. Scheinbegriff 5, 62, 79, 83 Scheinfrage 49–62 Scheinsatz 82, 91 f., 103 Scheinaussage 29 Scheinthese 45 Seele 49–62 Semantik 109 Sinn 60, 74 f., 82, 84 f., 88, 90 f., 93, 98, 102, 108 f., 115, 118 f., 124 Solipsismus 34, 45, 47,103 Solipsist 38 f. Soziologie 112 Sprache passim Sphärenvermengung 100 f. Stammbaum der Begriffe 24 f., 44, 59, 62, 77, 121 Strukturtheorie 115, 122 Syntax 82– 84, 89, 91–93, 100, 109, 115–117, 121–127 tautologisch 45, 74–79, 118 Tautologie 67, 75 f., 79, 102 Theologie 30, 43, 49, 53, 57, 60, 62, 90, 105
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Typentheorie 66, 71–73, 100 Überbestimmtheit 10 f. Verifikation 87, 125 Verifikationsmethode 84 Verifikationsprinzip 80 Vitalismus 126 Vollständigkeit 117 Vorstellungen 18, 30–34, 53, 56, 86, 88, 90 Wahrheitsbedingung 87, 89, 109 Wahrheitskriterium 84 Wahrheitswert 74 f., 118 Wahrnehmung 5 f., 9, 12, 16, 18, 23 f., 27, 29, 34, 36, 44, 48, 58, 60, 77 Wahrnehmungsaussagen 62 Wertphilosophie 81, 103 Wissenschaftslogik 111–118, 121, 124 Wissenschaftssprache 115, 117, 121 f., 124 f. Widerspruch 12 f., 66, 71, 78, 95 Widerspruchsfreiheit 11, 117 Wurm-Einwand 41 Zerlegung 7, 13, 14, 16–18, 21, 43, 63 Zeus 55 f.