Aus Petrarcas Sonettenschatz. Freie Nachdichtungen: Sammlung 2 [Reprint 2018 ed.] 9783111568164, 9783111196626


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German Pages 159 [160] Year 1903

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Table of contents :
Vorwort
I. Zu Lebzeiten Lauras
II. Nach Lauras Tode
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Aus Petrarcas Sonettenschatz. Freie Nachdichtungen: Sammlung 2 [Reprint 2018 ed.]
 9783111568164, 9783111196626

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Aus

Petrarcas Sonettenschatz Zweite Sammlung.

Freie Nachdichtungen von

J. Kohler

Berlin 1903 Druck und Verlag von Georg Reimer

Zu

P e t r a r c a s Geburtsfeier

Vorwort. Über die Lebensschicksale u n d Bedeutung des Dichters kann im allgemeinen auf die Einleitung zum ersten Teil verwiesen w e r d e n ; auch was die begleitenden Personen, insbesondere G i a c o m o C o l o n n a (f September 1 3 4 1 , Sonett 322), G i o v a n n i C o l o n n a ( t 3· J u ü ι 34·8, Sonett 269), u n d S e n u c c i o (f 1349, Sonett 287) betrifft. In Sonett 1 7 9 tritt ein Florentiner G e r i d e ' G i a n f i g l i a z z i auf, dem der Dichter Ratschläge in Liebessachen gibt. Im Lieblingstale V a u c l u s e (Val chiusa) am Ufer der S o r g a (unweit Avignon) finden wir d e n Sänger auch fernerhin, u n d dem wonnewollen Idyll weiht er fort und fort seine begeisterten Weisen (so Sonett 280. 281). E r reist durch die A r d e n n e n u n d sieht das herrliche R h o n e t a l wieder (Sonett 176. 177); er besingt die stolze R h o n e , die Avignon, Lauras Sitz, berührt (Sonett 208), er fährt den Ρ ο abwärts u n d denkt an Avignon zurück (Sonett 180). Der W e n d e p u n k t seines L e b e n s war der Augenblick, als er in P a r m a den T o d Lauras

— erfuhr:

er

war

zur

VI



Todeszeit

(6.

April

1348)

in

Verona, unbewußt des furchtbaren Schlages, der ihn traf;

die

Kunde

19. Mai. durch

erreicht die

zeichnet,

wahres so

wie

erst zu

die

andere Bahnen ein.

in

Parma

Lebzeiten

und ein

Empfinden

Dichtungen

am

Lauras

feine Psychologie

ergreifendes

schlagen

dividuelle Leid

ihn

Sonette

tiefes Naturgefühl,

ebenso Tod

Sind

ausge-

nach

ihrem

Nicht ist es mehr das inganze

Weh

der Menschheit, das in seinen Versen erzittert.

des Dichters,

Das

Werden und Vergehen,

es ist das

das Sein und

Entschwinden,

die Schauer, die die ganze Natur durchbeben,

finden

im Dichter ihre vollste Verklärung, und seinem fühl entströmen die innigsten Akzente. versenkt

sich die

Bewußtsein

leidende Seele in

der Einheit

die Natur;

aller Wesen,

Ge-

N o c h tiefer das

das vor allem

der schmerzerfüllten Seele aufgeht, kommt zur Herrschaft und verschwistert sich mit einem hochpoetischen, visionären Element, der Erscheinung das

momentane

klärung

selbst

traumhafte über

Hochbeglücken erfaßten

Entrückung

den Dichter und

wunderbarsten

Laute.

Seele, in Mit

die

höhere

entlockt

der Verklärten;

der

von

der

Sphären

kommt

seiner Dichtung

der Zeit

Ver-

augenblickliche die

tritt allmählich

die Vergangenheit in den Hintergrund; der Jenseits-



VII



glaube und die Jenseitssehnsucht mit ihrem hochsinnigen Zuge zeigt sich mehr und mehr; ein inständiges Verlangen nach endlicher Vereinigung der getrennten Seelen verbindet sich mit der Götterdämmerung, der Weltverachtuug und dem außerweltlichen Sinn, der dem vorausschauenden Geist in späteren Jahren eigen ist. Das Einzelwesen erstirbt, es opfert sich der Menschheit; ein kühler Hauch, ein Frösteln, ein wehmütiges Wehen umzieht den Dichter und Denker. Die Leidenschaft geht in ruhige Gelassenheit über, Walhalla sinkt, die Träume zerstieben, die Ideale verblassen; eines aber bleibt: die große Persönlichkeit und die menschheitumfassende Liebe. So verbindet sich die Naivität des mittelalterlichen Menschen mit der vielseitigen unruhigen Gefühlsweise des modernen. 1 ) Das Sinnlich-Übersinnliche, das den Lyriker macht, die unendliche Farbenglut der zwischen Sicherheit und vorahne'ndem Zweifel schwankenden Seele, die gewaltige Sinnlichkeit im Kampfe mit übersinnlicher Askese ist in Petrarca in einzigartiger Weise vertreten. So ist der Dichter der echte Vorgänger Goethes.

0

Vgl.

neuerdings

auch

Saitschick,

Kunst der italienischen Renaissance, S . 70 f.

Menschen

und



VIII



Seine Größe läßt sich empfinden, wenn man die manirierten, geschraubten Erzeugnisse der meisten seiner Zeitgenossen ins Auge faßt. Nur D a n t e , der Größte der Großen, ist auch in der Lyrik sein unvergleichlicher Vorgänger. Hoch anzurechnen ist es dem Dichter namentlich, daß er, der große Philologe, und Altertumsgelehrte, fast nie seine Dichtungen durch Einschiebungen mythologischer Einzelheiten und gelehrten Prunkes trübt. Kommt auch der Liebesgott zu seinem Recht, so ist das ein zwar nicht harmloser, aber doch poetisch entschuldbarer kleiner Kobold, den wir uns gefallen lassen. Selten sind es andere Götter, die in seine Verse hineinfrösteln. Auch darin ist der Dichter der echte Vorgänger Goethes: wer groß empfindet, verschmäht historisches Beiwerk; er knüpft an die Grundgedanken der Menschheit an, nicht an zufällige geschichtliche Erscheinungen, am wenigsten an Gestalten und Glaubensschöpfungen der Vergangenheit. Das war für die epische Dichtung Dantes anders: aus christlichen und antik-, mythologischen Stoffen errichtete er seinen gewaltigen Bau; denn das Epos verlangt positives Material, es verlangt eine Anlehnung an Denken und Glauben der Zeit; in der Lyrik aber ist jede poetische Phrasierung vom Übel: nur, was das Herz empfindet,



IX



darf zur Geltung kommen, und was die innerste Seele durchbebt, muß den einfachsten und schmucklosesten Ausdruck finden. Daher wird jedes Studium Petrarcas die wahre Lyrik fördern und vor Abwegen schützen. Mit vorliegenden Nachdichtungen habe ich mein eigenes poetisches Empfinden ausgelöst. Habe ich zugleich für Petrarca und damit für die Entwicklung der wahren Lyrik etwas geleistet, so danke ich es dem großen Dichter, der mich bei jedem Sonett neu begeistert hat. Ob man bei diesen Nachdichtungen mehr die Nachdichtung oder mehr die in jeder Nachdichtung schlummernden Übersetzungsmomente betont, ist unerheblich. Während mir die einen zu große Freiheit vorwarfen, haben andere geltend gemacht, ich sei nicht frei genug und biete mehr Übersetzung als Eigendichtung. In der Tat ist der Anschluß an das Original bald inniger, bald loser; ob man nun das eine oder andere mehr hervorheben will, tut nichts zur Sache. "Wesentlich ist nur, ob die Dichtungen an sich uns poetisch ergreifen und ob sie so gestaltet sind, daß man in ihnen den Zwang der Form und den Zwang der Nachdichtung nicht verspürt. Ist dies erreicht, dann ist gewiß jeder Tadel, der sich an den Vergleich mit dem Original heftet, unrichtig



χ



und unzutreffend. Jede Schöpfung muß nach dem gewürdigt werden, was sie geworden ist, ohne Rücksicht auf die einfließenden Elemente. Im übrigen soll die Dichtung deutsche Dichtung sein; und wo sie Wiedergabe enthält, erstrebt sie nicht Übersetzung, sondern Eindeutschung, indem sie es versucht, von dem hohen Gehalt der Kunst einer großen Zeit ein Erhebliches in unsere Literatur hineinzutragen. Daß ich die Poesien als Nachdichtungen bezeichnete, wollte nur der Meinung entgegentreten, als ob man hier getreue Übersetzungen finden werde. Ich wollte damit ein für alle Male die Einwürfe solcher beseitigen, die, unsere modernen dichterischen Bestrebungen verkennend, glauben, daß es unsere Aufgabe sei, zu übersetzen und Dichtungen romanischen Gepräges Wort für Wort wiederzugeben. Wer das glaubt, mit dem ist hierüber nicht zu rechten; ebenso wenig mit solchen, die annehmen, es ließe sich eine Übersetzung italienischer Sonette ebenso veranstalten wie eine Übersetzung des Shakespeareschen Blankverses. Beides hat einen ganz anderen Charakter: schon die strenge Form des Sonetts läßt eine poetische Übersetzung nicht zu. Wörtliche Übersetzungen haben wir; sie sind ja nicht ohne Wert für solche, die der Sprache nicht genügend



XI



kundig sind und einer solchen Krücke poetische Bedeutung haben sie nicht.

bedürfen;

Am 20. Mai 1904 feiert Italien, feiert die Menschheit das 600. Geburtsjahr eines der größten Lyriker, die die Welt gesehen, jedenfalls des Begründers der modernen Lyrik, des großen Vorgängers Goethes im Abendland. Auch mein Werk soll ein Zoll der Verehrung und Dankbarkeit sein, dargebracht von einem Deutschen, der lebhafter als die meisten anderen empfunden hat, wie unsere moderne Kultur in Oberitalien wurzelt, wo unser ganzes heutiges Leben seinen Ausgangspunkt genommen hat, in einem städtischen Leben voll gewaltiger Größe, voll tüchtigen bürgerlichen Strebens, voll unvergleichlichen künstlerischen Sinnes, voll universellen Zuges und doch voll kräftiger Eigenart. In der Kultur Oberitaliens können wir sicher sein, unser eigenes Wesen wiederzufinden, und so wird Petrarca wie Dante nie veralten, so lange es deutsches Wesen und eine deutsche Kultur gibt. In dieser zweiten Sammlung habe ich die Nummerierung der Sonette nach Carduccis Ausgabe beibehalten. B e r l i n , Oktober 1903. J. Kohler.

I. Zu Lebzeiten Lauras. 151.

Der Liebesgott lehrt den Dichter. Kein Schiffsmann floh zum sanften Ruheport So eilig, müd, vom schwarzen Sturm gejagt, Wie ich, von dunklen Grames Schmerz geplagt, Der meine Sehnsucht trieb von Ort zu Ort. Und nie hat Himmelslicht als sel'ger Hort So sehr das Menschenauge überragt, Wie jenes Auge; denn Gott Eros tagt In seinem Strahle, — doch er spricht kein Wort. Ich seh ihn off'nen Auges: Pfeil und Bogen In seiner Hand, kommt er herangezogen, Nur leicht verhüllt, mit weißem Flügelpaar. Er lehrt mich jene wonnetrunknen Lieder; In seinem holden Blicke les' ich klar Den Sang der Liebe, und ich schreib ihn nieder. Petrarcas Sonette.

I

153Und hör' ich auf des Herzens sanft Geflüster Zieht hin, ihr heißen Seufzer, brecht das Eis, Das s i e umschließt und all ihr Mitleid zähmt 1 Nun will ich Sicherheit — der Zweifel lähmt, — Ob düstrer Tod, ob der Erhörung Reis! Zieht hin, ihr Worte, wonnemild und leis! Zieht hin, und nach dem kalten Herzen nehmt Den Flug! Ο daß zurück ihr freudig kämt, Doch unverhüllt bringt mir ihr stolz Geheiß 1 Weicht auch die Hoffnung, weicht doch Zweifels Nacht 1 Ο sagt ihr, wie mein Sinnen trüb und düster, Indeß ihr Geist im lichten Äther lacht. Und hör ich auf des Herzens sanft Geflüster, Ist mir, als sei der Frühling neu erwacht Und lächle bald der Augen milde Pracht.

1

54·

Ihr Auge. Die Sterne und die himmlischen Gewalten, Die Elemente haben sich gerafft, Ein Wunderbild zu schaffen voller Kraft, Worin sich spiegeln himmlische Gestalten. Ο dieses Auges wonniges Entfalten, Das unaufhörlich neue Reize schafft 1 Kaum wagt ein Sterblicher aus Erdenhaft Sich auf zu deinem überirdschen Walten. Ein Strom entquillt voll reiner Himmelshuld Aus dir, der unsre Luft zur Glut entflammt, Gelöst von Erdenleid und Sündenschuld. Ο schweigt, ihr Worte, menschenbrustentstammt! Denn einzig ist es auf der Erde Wüste Und tötet alles irdische Gelüste 1

155-

Ich sah sie weinen. Ich sah sie weinen — selbst des Donnrers Blitze, Sie hätten wohl geruht in stiller Pause; So groß ist dieses Herzeleid, das grause, Daß Mitleid stiege zu des Mächtgen SitzeI Ich sah sie weinen, — Schauer, Fieberhitze Durchbebten mich in meines Herzens Klause, Ins innre Mark hinein, und wild und krause Ward mir das Haupt mit seinem kranken Witze. Ihr Klagelaut, des Kummers sanfte Worte Sind ewig in mein Innres eingegraben, Wie Demantschrift in meines Herzens Pforte. Kaum eine Träne dringt, um mich zu laben, Aus meines Kerkers fest verschlossnem Tor; Doch schwere Seufzer ringen sich empor.

156. Die Schönheit weinte. Es war ein Engelsbild, das ich erschaute, Voll Schönheit, schöner als der Sonne Leuchte! Mir ist, ein Tränenstrom mich mild befeuchte, Denk ich an jenes Bild, das liebe traute. Doch ach! die Schönheit weinte; Klagelaute Vernahm ich, und der Sonne Licht verscheuchte Ihr Weinen; Flüsse starrten und mir deuchte, Es rege sich der Berg, der festgebaute. Und Liebe, Sehnsucht, sinnend milde Klagen Vereinten sich zur sei'gen Harmonie, — Es schien ein Bild, entrückt den Erdentagen. Der Himmel schwieg mit seiner Melodie, Es schwieg der Blätter unruhvolles Rauschen, Denn alles mußte ihrer Klage lauschen.,

157Das Leid mehrt ihre Reize. Wie oft gedenk ich jenes Tags, des schweren Und heil'gen! Doch ich kann ihn nimmer schildern Er lebt in mir in nie verblaßten Bildern, Ich sah ein tiefes Leid die Frau verzehren. Die Schönheit doch des Bilds, des lichten, hehren, Mußt ihre Schmerzen voller Gnaden mildern, Und wenn die Leiden unsern Sinn verwildern, Sie konnten nur die holden Reize mehren. Ein himmlisch Bild! Schneeweiß die feinen Züge, Die Augensterne voller Gottesweihe, Und Ebenholz der Brauen stolz Gefüge 1 Die Lippen Rosen um die Perlenreihe, Krystall die Tränen, und der Brust entstammten Die Seufzer, die im Liebesfeuer flammten.

158.

Ein Schmerz mit süßer Engelshuld vereint. Wohin ich mag die müden Augen lenken, Die nie gestillte Sehnsucht zu bezwingen, Allüberall die Bilder mich umschlingen, In Leid mich unaufhörlich zu versenken. Doch holde Anmut überströmt mein Denken I Noch seh ich sie, ich hör die Seufzer klingen, Und ihre sanften Klagen zu mir dringen, Dem Herzen ein verklärtes Bild zu schenken. Nichts Schönres war gesehen auf der Erden, Und was der Sonne Strahlenlicht bescheint, Nicht kann es jemals ihresgleichen werden — Ein Schmerz mit süßer Engelshuld vereint, Die Züge mild getaucht in tiefe Träume, Gleich einem Bild der lichten Himmelsräume!

159-

Ihr Urbild. W o weilt in Sphären, die nicht heiß, nicht kalt, Das Urbild, dem die Himmlische entsprossen ? Sein Höchstes hat der Himmel uns erschlossen, Zu zeigen seiner Schönheit Allgewalt. Ward je in Wäldern, wo das Echo schallt, W o ewig frisch die kühlen Quellen flössen, So schön geschaut, das Goldhaar mild ergossen, Der weißen Nymphe herrliche Gestalt? W a r je ein Tugendquell so hold, wie sie, Mein Heil, mein Tod?

W o wär ein Reiz gefunden,

W i e dieser Augen holde Harmonie! Die Zauber, die uns heilen, die verwunden, Sind: ihre Stimme, die ich sanft empfunden, Ihr Hauch und ihres Lächelns Melodie!



9



ι6ο. Sie pflückt den Kranz. Erschau ich sie, ein Staunen mich umflicht Ob ihr, der unbeschreiblich holden Frau; Sich selber gleicht sie nur, — rings auf der Au Ist Huld und Segen, wenn sie lächelnd spricht. Aus reiner Höhe funkeln sanft und schlicht Der Augen Sterne, wie durch feuchten Tau, Und wo ich in der Welt auch suchend schau, Sie führt allein mich auf zum Himmelslicht. Als Blume lächelt sie auf frischer Flur, Ein Wunderbild; an ihren Busen drückt Sie sanft die bunten Gaben der Natur. So seh ich sie im Lenze hoch entzückt; So wandelt sie, und meine Pulse stocken: Sie pflückt den Kranz für ihre goldnen Locken.



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ι6ι.

Wenn ich kämpfe, kämpf ich stets vergebens. Ο meines Lebens Irrgang, heißes Sehnen! Ο meiner Seele jähe Sturmesfluten 1 Ο Liebesweh, du machst mein Innres bluten Und füllst das Auge mir mit lichten Tränen! Ο Laura, meines Busens stetes Wähnen! Ο Bild, das mir erweckt die wilden Gluten, Die liebesdürstend ewig mich umfluten! — So jag ich hin, und Abgrundschauer gähnen. Nach ihrem Anblick strebt der Nerv des Lebens, Vor ihm starrt wild zurück mein ganzes Sein, Und wenn ich kämpfe, kämpf ich stets vergebens. W e r j e geliebt, erfasse meine Pein! Doch ihr, des Jenseits körperlose Wesen, Ihr könnt allein in meiner Seele lesen 1

102. Glücksel'ge Auen! Glücksel'ge Auen, liebesglutdurchrauscht, Die meiner Herrin Fuß so oft durchschritten! Ο Hain, der sie geschaut in ihrer Mitten, W o sich der Schatten mit den Lichtern tauscht! Ihr schlanken Büsche, die ein Hauch durchrauscht Der Sehnsucht, weil ihr Blick vorbeigeglitten! Ihr blassen Veilchen, die mit zarten Bitten Nach ihr geblickt und ihrem Wort gelauscht! Ο mildes Land in hellem Sonnenschein! Ο Flüßchen, das so oft ihr Antlitz sah Erglänzend in dem Spiegel klar und rein! Wie neid' ich euch, daß ihr der Herrin nah, Daß jeden Strauch erfaßt ihr holdes Sein In heil'gem Zauber, wie einst mir geschah!



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163. Nicht hab' ich Flügel, und der Pfad ist herbe. Was andern ist verborgen, ist dir offen, Ο Eros! du allein durchschaust die Mühen, Die Leiden, die in tiefem Herzen glühen, Du weißt es, wie ich liebe ohne Hoffen. Du kennst die Qualen, die mein Herz betroffen! Ich folge ihr, wo Berg und Hügel blühen, Ich folge ihr, wo heiß die Strahlen sprühen, Ich steige, steige; soll ich weiter hoffen? Doch weiter steigt das Bild, nach dem ich werbe, Und immer höher schweifen seine Schwingen; Nicht hab' ich Flügel, und der Pfad ist herbe. Daß ich in treuer Liebe sanft ersterbe, Das werden meine letzten Tage bringen 1 Ob wohl die Seufzer endlich zu ihr dringen?

164.

Mein Leben hängt an meines Todes Ketten. Zur Zeit, da Himmel, Erde, Winde schweigen, Die Tierwelt ruht in mitternächt'ger Stunde, Das Meer erstarrt und an des Himmels Runde Die Sterne leise ziehn den stillen Reigen, Da wach ich weinend; heiße Seufzer steigen Empor, es tobt das Herz, es schmerzt die W u n d e ; Von ihr nur kommt dem Geiste holde Kunde, W e n n sanfte Träume sich hernieder neigen. Aus e i n e r Quelle stammt mir Freud und Leiden, Die Hand nur, die verwundet, kann mich heilen; So schwankt mein schwaches Leben zwischen beiden. Ich sterbe tausendfach, und ständig eilen Die Lebensgeister, mich vom Tod zu retten; Mein Leben hängt an meines Todes Ketten.



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i65.

Geblendet starr' ich in der Sonne Pracht. Betritt ihr feiner Fuß die frischen Auen, Entkeimen tausend Blumen rings dem Grunde, Die Kelche öffnen sich, und in der Runde Ein Leben tausendfältig ist zu schauen. Aus ihren Augen glüht ein Strahl; die Brauen Enthüllen sel'ger Liebe sanfte Kunde; Ein hehrer Zauber strebt in ihrem Bunde, D e m edlen Herzen Edles zu vertrauen. Ihr Blick, ihr Gang, die wundersüßen Worte, Die feine Art voll innigster Reserve Eröffnen mir des Himmels heil'ge Pforte, Auf daß ich alles Ird'sche von mir werfe: Ich leb' in ihr; dem Falter gleich der Nacht, Geblendet starr' ich in der Sonne Pracht.

166.

Hätt' ich geweilt einst an Kastaliens Quelle Hätt' ich geweilt einst an Kastaliens Quelle In dunkler Grotte bei dem Saitenspiel, Ich wär' ein großer Dichter gleich Virgil, Und mein Florenz erglänzte licht und helle. Doch nicht benetzte meine Saat die Welle, Die heilige, die einst dem Gott gefiel: Ein leerer Schaft mit blütelosem Stiel Erkeimte mir an lichter Blumen Stelle. Vertrocknet ist der Ölbaum, abgelenkt Der Strom, der einst die frischen Triebe brachte; Ο daß ein buntes Leben neu erwachte! Nur langsam fließt die Dichtung mir und sachte, Mein Dichtergeist scheint tief in Nacht versenkt; Ob mir die Gottheit neue Gnade schenkt?



ι6



167.

Liebestod stets neues Leben schafft. Senkt meine Holde ihre Blicke nieder, Hebt sie die Hand und haucht ihr Seufzen milde In laue Luft im himmlischen Gefilde, Und singt sie engelgleich die trauten Lieder, So faßt ein wonnesüßer Traum mich wieder; Der Sang, der sanft entkeimt dem Götterbilde, Durchbebt mich, und die Sehnsucht ruft, die wilde: „O senke Tod, herab dein mild Gefieder!" Doch jene Stimme, die mich tief verwundet, Erfüllt mein Inneres mit Lebenskraft, Und die verletzte Seele rasch gesundet. Denn Liebestod stets neues Leben schafft; So führt mich wieder auf des Lebens Szene Als Engel jene himmlische Sirene.



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168. Als wolle sie mir Gnade schenken . . . . Die Liebe sandte mir ein hold Gedenken, "Mir war, als wär' ich meinem Ziele nah, Und als ich ihr ins helle Antlitz sah, Erschiene, als wolle sie mir Gnade schenken. Soll ich es glauben? Soll ich mich versenken In süße Wonne?

Soll ich, was geschah,

Als Wüstentrugbild schau'η der Sahara — Wohin soll ich die bangen Schritte lenken? Indeß ich sichre Lösung will erreichen, Verstreicht die Zeit, verblühen meine Tage; In kurzem trag ich schon des Alters Zeichen. Doch mag es sein.

Auch in des Alters Plage

Wird wahre Hoffnung niemals von mir weichen, Bis sie der Tod einst bricht mit einem Schlage.

P e t r a r c a s Sonette.

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ι8



169. E s keimt ein Mitleidsstrahl! Der Sehnsucht voll, die mich von meinen Wegen Ins Dickicht lenkt, ich einsam irrend walle, Ganz selbstverloren; die Gedanken alle Zieh'n ihr, zieh'n meiner Holden wild entgegen. Da seh' ich sie, das Antlitz voller Segen, Doch ernst, ein Bildnis aus des Himmels Halle. Mein Herz erbebt; als niedriger Vasalle Kann ich nur seufzen schüchtern und verlegen. Doch irr' ich nicht, es keimt ein Mitleidsstrahl Aus jenen Augen, die sich mild mir neigen, Wie Sonnenlicht, das sich durch Wolken stahl. So sänftigt sich des Herzens bitt're Qual; Schon möcht' ich ihr mein ganzes Inn're zeigen: Ich will beginnen, — doch die Lippen schweigen.



1 9



170. Wem Liebe nie die Zunge hat gebunden . . . So manchmal, wenn ihr Blick voll sanfter Güte Sich mir eröffnet, sucht' ich mich zu raffen, Zu ihr die Bahn mir ehrfurchtsvoll zu schaffen, Zu künden, was ich leide im Gemüte. Doch trifft ihr Auge mich, Muß all mein Streben vor In ihrer Herrschaft, in der Liegt Freud' und Weh, des

das sanft erglühte, der Zeit erschlaffen; milden, straffen, Lebens Frucht und Blüte.

Und wenn ich sprechen wollte, kamen Worte, Verständlich nur mir selbst und meinem Sinne, Und fruchtlos blieb ich an des Edens Pforte; Denn unsern Geist umflort die holde Minne: Wem Liebe nie die Zunge hat gebunden, Der hat der Liebe Höchstes nicht empfunden.

2*



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171.

Nie werde ich in ihrem Dienst ermatten. Die Liebe griff mich an mit grausem Arme, Mich zu umschlingen und zu Tod zu quälen; Und will ich mich dagegen sträubend stählen, Verdoppelt sich die Qual in schwerem Harme. Drum schweigend duldet stets mein Herz, das arme: Nicht kann ihr Auge je sein Ziel verfehlen: Der kalte Rheinstrom könnte uns erzählen, Wie Wintereis vor ihrem Blick erwarme. In Hoheit schwebt sie über unserm Kreise, Ihr Herz demanten, Marmor ist ihr Leib; Wie soll ich je ergründen ihre Weise? Doch ist auch hart das überstolze Weib, Verschmäht sie mich bis in das Reich der Schatten — Ich werde nie in ihrem Dienst ermatten.

Die Sehnsucht bleibt mir offen. Ο Neid, der Tugend Feind, der blindlings stört Die edlen Triebe, die im Herzen schalten, Wie kamst du heimlich in das stille Walten Des Herzens, das der Frau, das mir gehört? Ich fand ein wenig Glück; darob betört Verschmäht sie mich; will Mitleid sich entfalten, Erstirbt es und der Neidsucht Geister walten: Sie haßt mich, weil sie einmal mich erhört! Nur einmal mich erhört und mich entzückt! Doch mag sie lächeln über meine Leiden, Noch bleibt der Augenblick, der mich beglückt! Und wollte sie an meinem Tod sich weiden, Mein Glück, es bleibt, es bleibt mein stürmisch Hoffen; Und höhnt sie mich, die Sehnsucht bleibt mir offen.



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173-

Freud' und Leiden wechseln wie im Spiele. Kann ich die Sonne deiner Augen schauen, Netzt sich mit bittern Tränen meine Wange; Mir ist, als ob die Seele müd und bange Entschwebe zu des Paradieses Auen. Nur Spinnweb ist, was rings auf Erdengauen, Blick ich zu ihr empor im Sehnsuchtsdrange; Doch wenn ich ehrfurchtsvoll nach ihr verlange, Trifft mich ihr herber Blick mit ernstem Grauen. So herb, so süß ist ihrer Augen Funkeln: Bald fühl' ichs hellen und bald fühl' ichs dunkelni, Und Freud und Leiden wechseln wie im Spiele; Der Freuden wenig, doch der Leiden viele: Ein ständig Schwanken, das uns führt vom Ziele; Die Liebe ist ein flackernd Licht im Dunkeln.



23



174·

Der Liebespfeil nur heilt den Liebestoren. Du unglückselig Sternbild, sei verflucht, Das mir geleuchtet, als ich ward geboren, Verflucht die Wiege, die mir ward erkoren, Das Land, wo sich mein Fuß zuerst versucht! Und du, du grauses W e i b ! mit welcher W u c h t Traf mich dein Pfeil!

All Hoffen ist verloren!

Der Liebespfeil nur heilt den Liebestoren, Doch dieser Pfeil verschwand in schneller Flucht. Und unersättlich ist des Weibes Spiel! Nicht ists genug der W u n d e dieses Pfeils, Ein Lanzenstich wär ihrer Wünsche Ziel. So komm ich nimmer auf den W e g des Heils; Doch besser ists, in ihrem Licht zu schwinden, Als andrer Frauen W o n n e zu empfinden.



24



175-

„Die Seele dein ist ewiglich gebunden." Gedenk ich jener heil'gen Frühlingsstunden, Als ich den Pfad verlor auf Liebesschwingen, Als mich des Lebens Zauber hold umfingen, Und ich in Seufzern all mein Heil gefunden: So flammt mein Innres: tief hab ich empfunden, Die Schicksalsmacht, und heiße Feuer dringen Ins inn're Mark; ich hör' es laut erklingen: „Die Seele dein ist ewiglich gebunden." Mich wärmt der Sonnenstrahl, der ihr entsprungen, So abendlich wie morgens wonnevoll, Und seine Glut hält all mein Sein bezwungen. In ferner Zeit erquillt, was je erquoll! Stets wird Erinn'rung wonnig mir erblühen, Stets wird der Liebeszauber neu erglühen.



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176.

Ich seh dich, wo die Buche sinnend weht. Durch unwegsame Wälder walle ich, W o feindlich Volk mit Waffen sich ergeht; Doch nimmer fürcht' ich sie; dein Bildnis steht Vor mir, und dies allein macht bange mich. W a s soll der Wald?

Ich sehe ständig dich:

Ich seh dich, wo die Buche sinnend weht, Und wenn die dunkle Fichte starrend steht, Strahlt mir dein Bildnis mild und wonniglich. Hör ich den West, hör ich der Zweige Flüstern, Hör ich im Laub der Vögel sanftes Klagen, Bist du mir n a h !

W o schwarz die Wälder düstern,

W o Wasser murmeln und die Gräser zagen, In Gottes Einsamkeit seh ich dein Zeichen: Doch nichts Geschaffenes könnte Lauren gleichen.



26



177·

Durch die Ardennen. Durch Wald und Auen führten mich die Schwingen Der Liebe, durch die schauernden Ardennen Nach Süden hin, zum Lande der Cevennen, Wo Sonnenlichter strahlend uns umschlingen. Wie unheilvoll die dunklen Wälder klingen! Doch nichts vermochte mich von ihr zu trennen, Und ob des Krieges wilde Fackeln brennen, Durch Nacht und Sturm zu ihr nur mußt ich dringen I Jetzt erst, wo ich erreicht die lichten Lande, Starr ich ob der Gefahr, die mich bedroht, Die ständig träumend : · nimmer ich erkannte. Doch nun beruhigt mich die milde Au, Beruhigt mich der Strom und der Pilot Des Lebens, du, du einzig hehre Frau!

i78.

Ein dunkler Widerspruch ist all mein Leben. Ein dunkler Widerspruch ist all mein Leben: Bald steht die Liebe hoffend auf der Lauer, Und bald erfüllt sie mich mit Eisesschauer; Denn zwischen Furcht und Hoffen schwankt mein Streben. Oft führt mich Sehnsucht aufwärts voller Beben, Zu überschreiten Schranke, Grenz' und Mauer, Und hinter mir bleibt alle Lebenstrauer — „Zum Himmel auf, wo lichte Bilder weben!" Bald lockt mich Rom mit seinem Freundeskreise: „Besteig dein Schiff", so ruft mir zu ein Geist, „Die Rhone herab zur See führ' deine Reise!" Doch ein Magnet hält meinen Sinn zumeist: In Avignon bleib ich in Herzensnot; Dort sehn' ich mich und sehne mich zu Tot.



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179· Hilfst du dir selber, hilft dir auch die Muse. Mein G e r i , wenn die Herrin dein im Zorne Sich von dir wendet, Feindschaft dir zu zeigen, Gedenk des Mittels, das mir stets zu eigen, Und schöpfe wieder aus des Lebens Borne! Zeig dich als Mann von echtem Schrot und Korne I Und wenn voll Stolz sich ihre Blicke neigen, Erwidre sie mit ehrfurchtsvollem Schweigen; Dann ritzt der Stolz sich an dem eignen Dorne. Denn tat' ich dieses nicht, ich wär' verloren, Und wie vom Haupt der dräuenden Meduse, Wär' mir der Tod in starrem Stein erkoren. Hilfst du dir selber, hilft dir auch die Muse; So lang' dein Herz der Liebe nicht entrinne, Mach dir zur Dienerin die stolze Minne.

ι8ο. Ο königlicher Strom! Des Leibes Bürde trägst du nun von hinnen, Du breiter Po, auf deinen mächt'gen Wogen! Mein Geist doch nimmer wird von dir betrogen, Er fliegt zu i h r zurück in heft'gem Minnen! Er fliegt beschwingt zurück in süßem Sinnen: Nach fernem Westen kommt er stolz geflogen, Er folgt der Sonne hehrem Strahlenbogen; Nicht Segel, Ruder stören sein Beginnen. Ο königlicher Strom, der voll Entzücken Nach Osten strebt zu gold'nen Sonnentoren! Mein leiblich Teil nur trägt dein stolzer Rücken. Beschwingt zieh'n die Gedanken, neu geboren, Zu ihr, die meines Lebens süß Beglücken, Denn ihrem Dienste bin ich auserkoren.



30

-

ι8ι.

Ich ward im Netz gefangen. Es legt in stille Gräser ihre Netze Die Liebe wie ein glänzendes Geschmeide Im Schatten jenes Baumes, der zum Leide Von nun an mich mit sel'ger Trübsal netze; Denn was der Seele wilde Sehnsucht letze, Woran das Herz mit bitt'rer Lust sich weide, Vereint war's hier zu aller Götter Neide: Die Schönheit ward zum lieblichen Gesetze. Ich hörte einer Stimme lichte Klarheit, W i e Engelstimmen, doch voll sel'gem Weh, Und was ich hoffte, ward mir traun zur Wahrheit, Und eine Hand, wie Elfenbein, wie Schnee, Sah ich umgeben von der Sonne Prangen: Ich ward erfaßt, ich ward im Netz gefangen.

— 3i



182.

Für keinen ist erreichbar dieser Stern. Bald Bald Was Und

hüllt die Liebe uns in helle Flammen, kühlt sie fröstelnd uns in Schnee und Eis; von den beiden besser sei, wer weiß? oftmals fällt auch beides fast zusammen.

Man zittert eisig, wenn die Feuer Und in der Eiseskühle brennt man Dazu die Eifersucht: sie sucht mit Die Leiden die aus finst'rer Hölle

flammen, heiß; Fleiß, stammen.

Ich kenne Sehnsucht nur: in Hof und Heime Ist ew'ge Sehnsucht meines Lebens Kern; Nicht Worte fassen sie, nicht Vers und Reime. Und alle Eifersucht erstirbt im Keime: Die Hohe steht uns allen ewig fern; Für keinen ist erreichbar dieser Stern.



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i83.

Mit Entzückung wechselt Todestrauer. Bezwingt mich ihrer Blicke hold Entzücken, Die sel'gen Worte, die sie huldreich spricht, So ist ihr Lächeln meines Lebens Licht; Doch ach, wohl schwindet einst dies Hochbeglücken! Wie, wenn die Augen, die mich nun berücken, Sich von mir wenden und der Zauber bricht, Wenn Todesahnung schauernd mich umflicht Durch eig'ne Schuld? durch uns'res Schicksals Tücken? Wenn schmerzvoll naht des Glückes jäher Bruch? Und wechselt Laura einmal nur die Haltung, Gedenk ich an den sinnig alten Spruch: „Beweglich ist das Weib, und die Gestaltung Des Liebesschicksals kennt nicht Maß und Dauer, Und mit Entzückung wechselt Todestrauer."



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184So schwindet sie dahin . . . Die Liebe, die Natur, ihr holdes Wesen, Sie haben sich in e i n e m Mut verschworen, Und Unheil hat das Schicksal mir erkoren, W i e es von j e sein herber Brauch gewesen. Drum ward die hehre Holde auserlesen Als zart Gebilde bei dem Spiel der Hören; Ihr Leib hat uns're Erdenlast verloren, Und nur im Himmel kann ihr Geist genesen. " Sie schwindet und sie schwebt dem Ideal, Dem Ew'gen zu; ihr winkt der heil'ge Hügel, Und alles bleibt zurück, was leer und schal. Fällt nicht dem Tod das Mitleid in die Zügel, Entschwebt mein Hoffen, und mit raschem Flügel Enteilt sie zu der Sel'gen hehrer Zahl.

Petrarcas Sonette.

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i85.

Ein Phönix bist du. Ein Phönix bist du mit dem Schein von Golde, Und um den Hals wallt sanft dein blondes Haar, Ein glänzend Bild! es peinigt mich fürwahr; So lang ich lebe, bin ich dir im Solde. Ein Diadem glänzt um das Haupt, das holde, Wie Heil'genschein erglüht es wunderbar, Und Liebe strömt es aus; nur mit Gefahr Erschau ich es als trotz'ger Eigenbolde. Dein Kleid ist purpurrot mit blauem Band, Und Rosen um die Schultern sind geschlungen, Ein neu Gewand, wie niemand es gekannt. Vom Phönix ist die Sage uns erklungen, Der ferne weile an Arabiens Strand — Nein, er ist hier; die Mähr hat falsch gesungen.



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186.

Hätt' sie gelebt zur Zeit Homers . . . Hätt' sie gelebt zur Zeit Homers, Die Frau, die mild umstrahlt das Sie hätten sich gesonnt in ihrem Und ihr gesungen Lieder großen

Virgils, Auge mein, Schein Stils 1

Die Helden dort im Zelt, am Bord des Kiels, Achill, Ulyss, sie hätten all ihr Sein Geweiht der Frau: Heroin muß sie sein Und für Heroen würdig höchsten Ziels. Der große Scipjo war der Frauen wert, Der edlen, dieser reinen Tugendquelle: Homer hätt' ihnen seinen Kranz verehrt. Doch Scipjo sollte Ennius besingen: Nicht lauten seine Verse klar und helle; — Ob meine Lieder lieblicher erklingen?

3*

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x8 7 .

Hätt' Orpheus sie gekannt! Als Alexander mit dem tapfern Heer Gelangt war zu Achilles stolzem Grabe, Da seufzte er: „Des Schicksals höchste Gabe Ward dir, weil du gefunden den Homer 1" Doch ihr, die wie die Göttin wandelt hehr, Der holden Frau kein anderer ward zur Labe, Als ich; so geht die Hoheit schlicht zu Grabe: Mein Lied verklingt, und niemand kennt es mehr. Das Schicksal will es so; hätt' Orpheus sie Gekannt, Homer: auf ewig wär' erklungen Ihr Lied, denn ihre Sänge altern nie. Was ich vermag, hab' ich der Frau gesungen, Daß ihr Gedächtnis nimmerdar entflieh; Ich hab's versucht; doch ob es mir gelungen?



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ι88.

Ο scheine weiter noch! Ο hehre Sonne, du bestrahlst das Laub Des Lorbeers, der nur Lauren ist geweiht; Er grünt alleine noch zur Winterszeit Am Hügel, den nicht rührt der Erde Staub 1 Ein Eden, das dem Fluche nicht zum Raub, Beschienen von des Himmels Herrlichkeit! Ο Sonne, scheine weiter! doch zum Neid Beginnt die Nacht, die meinem Flehen taub. Schon dunkelts tiefer, und der sel'ge Hügel Umhüllt sich düsternd, wo einst Laura weilte, Und rasch entflieht der Tag mit jähem Flügel. Indes ich spreche, schon das Licht enteilte; Der Schatten wächst, und was mein Sehnen heilte, Entschwebt; die Nacht hält uns mit schwerem Zügel.

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38

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189.

Verstoßen bin ich. Dahin zieht nun mein Schiff auf wildem Meer, Es heult der Sturm in mitternächt'ger Stunde; Vergessen bin ich, einsam, ohne Kunde, — Kein Stern, kein Hoffnungsschimmer rings umher. Am Steuer steht mein Feind mit Schild und Wehr, Die Ruder tauchen in der Wogen Schlunde Verzweifelt kühn; es nachtet tief im Grunde, Und nimmer gibt es eine Wiederkehr. Das Segel seufzt, verschränkt sind alle Taue, Das Boot erknirscht, ein schwerer Regen rauscht: Wo bleibt das Glück, dem ich dereinst gelauscht? Mein Feind führt mich ins Schicksal, in das rauhe, Und nimmer komm ich mehr zum sichern Porte: Verstoßen bin ich, ach, vom Heil und Horte.



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190.

Erscheint mir eine Hindin blendend weiß. Indes ich mich der ernsten Arbeit weihe, Erscheint mir eine Hindin, blendend weiß, Im grünen Grase, rings des Lorbeers Reis, Und weithin glänzt ihr goldenes Geweihe. Daß keine Arbeit fürder mehr gedeihe! Mir ist wie jenem, der in nächt'ger Weis' Nach Schätzen gräbt mit unverdrossnem Fleiß: Er sinnt und sinnt, was ihm das Glück verleihe. „Ich steh' in Kaisers Bann, berühr' mich nicht", So sah man's in Topas und Diamant Geschrieben auf dem Halsband gold und licht. Auf ihre Schönheit blickt ich unverwandt: Mich zu ersättigen ich nie vermeinte — Der Mittag kam, sie schied, und ich — ich weinte.



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i9i. Ich möchte schauen sie in Ewigkeit. Ich schau in deiner Augen Himmelslicht, Wie in der Gottheit Auge Engel schauen In ew'gem Glück, in hehrem Wonnegrauen; So schau ich dich, und and'res will ich nicht. Und immer Soll ich der Und immer Erquillt das

schöner wird der Augen Licht; wonnetrunknen Seele trauen? heißer nach der holden Frauen Sehnen, das im Herzen spricht.

Der Himmel wär's, flog' nicht dahin die Stund:, Die wonnige, der Seligkeit geweiht, Wo tiefe Stille herrscht im Weltengrunde. Wie hohe Geister, die, vom Schmerz befreit, Stets staunend blicken in der Sphären Runde, So möcht' ich schauen sie in Ewigkeit.



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192. Wie all dein Wesen die Natur verschönte! Wie all dein Wesen die Natur verschönte! Und deine Reize, die der Himmel schaut, Erstrahlen rings; dein Auge licht und traut Verklärt die Welt, die sonnenlichtgewöhnte. Verschwunden ist, was je auf Erden stöhnte, Und nur ein seliger beschwingter Laut Durchzieht die Flur, wenn dich die Sonne schaut, Die nur in deinem Glanz das All versöhnte. Betrittst du hehre mit dem Purpurkleide Im Perlenschmuck und goldenen Geschmeide Das Tal, so jauchzt die wonnige Natur. Das zarte Grün, der Blumen Augenweide, Blüt tausendfach auf deiner holden Spur; Es rauscht der Wald, rings flüstert Feld und Flur.



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193· Dein Anblick ist der Seele Himmelsspeise. Dein Anblick ist der Seele Himmelsspeise, Dein Augenpaar mein seliges Entzücken; Drum wurde mir kein höheres Beglücken, Als daß ich wandle still in deinem Kreise. Die Auf Ich Die

Worte dein sind uns'rer Welt zum Preise, Engelschwingen sie mich hold entrücken; möchte sie wie lichte Blume pflücken; ewig blüh'n in zauberhafter Weise.

Ich möcht ins Herz mir alle Worte graben, In mir verewigen der Stimme Klang, Den Lauten lauschen, die die Engel laben. Die Sprache wird zum himmlischen Gesang: Natur und Kunst, sie haben sich gefunden — Mit edlem Geist ist edler Leib verbunden.

— 43 — 194· Euch Hügel seh' ich wieder! Euch Hügel seh' ich wieder; mildes Wehen Umgiebt euch wonnig, wie ein leiser Hauch Von ihr, und ringsum lächelt Baum und Strauch, Als hätt' er immerdar nur sie gesehen. Die meines Glückes Aufgang und Vergehen, Um sie verliess ich meiner Heimat Brauch, Mein hold Florenz und meinen Herd und Rauch, Die Lüfte, die um Arnos Wellen wehen. Noch heute sie zu schauen drängt mein Sehnen, Und ganz beherrscht die Liebesglut mich heute; Dem Gotte, der mich haßt, bin ich zur Beute. Entfliehen möcht ich gern dem bangen Wähnen: Durch Sehnsucht tötet mich die dumpfe Ferne, Und bin ich nah, erlieg ich ihrem Sterne.

— 44 — 196.

Ihr frischen Frühlingswinde! Ihr frischen Frühlingswinde, wehet wieder Im grünen Laub, ο weh't um meine Wange, Wie damals, als im ersten Liebesdrange Ich sie geschaut, die Quelle meiner Liederl Wie sorglich hüllte sie die hehren Gliederl Ihr Haar, das nun in Perlen mild erprange, Erglänzte einst im sanften, gold'nen Hange Und fiel auf ihren freien Nacken nieder. Es fiel auf ihren Nacken süss und wonnig, Und neckisch spielten Winde mit den Locken; Ein hold Gedenken, selig, mild und sonnig! Ein sanftes Spiel nur schien's, ein zartes Locken; Dann ward es ernst: mich fassten feste Schlingen, Und nur der Tod kann mir die Freiheit bringen.

— 45 — 198. Ganz gefesselt hat sie mich fürwahr. Wie Das Wie Das

weht die sanfte Luft im gold'nen Haar, von der Liebe Seligkeit gewoben! glänzt ihr Auge, voller Ernst erhoben I Nied're sinkt, das Himmlische wird wahr.

So ganz gefesselt hat sie mich fürwahr, Und aller Widerstand ist längst zerstoben: Im Innern zitt're ich, die Fibern toben; Reicht sie den Tod, reicht sie Erhörung dar? Seh' ich ihr Auge tief erglüh'n und funkeln, Seh' ich der blonden Haare lichte Flechten, Ich fühl' es in der nächt'gen Seele dunkeln. Sie wallen bald zur Linken, bald zur Rechten, Und in der Augen wonnemildem Funkeln Erfaßt die Seele ihren Geist, den echten.

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199· Der Schleier fällt. Ο holde Hand, die mir das Herz geschnürt, — Fast naht mir schon des Lebens letzte Stunde! — Der Himmel hat mit der Natur im Bunde Dies Meisterwerk, das edle, ausgeführt. Ο schlanke, zarte Finger, euch gebührt Der Preis! Fünf Perlen seid ihr in der Runde! Mein Herz zwar blutet, daß es nie gesunde, Doch zur Verehrung hab ich euch gekürt! Noch einen Augenblick bleibt unbedeckt! Welch' Rosenhauch im jugendlichen Prangen Umschließt der Handschuh, wenn er euch versteckt! Bleib' fern, ο Schleier, ihren zarten Wangen! — — Doch Schicksalsmächte stören meine Welt: Die Wonnen fliehen und der Schleier fällt.

— 47 — 204·

Ich lebe, denn sie weilt in uns'rer Mitte. 0 Seele mein, die seufzend Tag wie Nacht Geharrt, in selig lichtem Traum verloren! Du bist für sie, die holde Frau, erkoren, Und ihre Worte hörst du mild und sacht! Welch' holdes Glück, das segnend mir gelacht! Zu rechter Zeit war ich dereinst geboren, Dereinst im Licht der hehren Friihlingshoren; Im Lenz bin ich für sie, für sie erwacht! So konnten ihre wunderholden Augen Mich leiten, konnten ihre Engelsschritte Zum Führer mir und zum Geleite taugen. Wohl auf, mein Herz! Ist kalt sie meiner Bitte, Zur Sonne werden ihre lichten Augen; Ich lebe, denn sie weilt in uns'rer Mitte.

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205-

So füg' das Leid zum holden Liede! Ο sel'ger Schmerz, ο holder Seelenfriede, Ο süßes Leid, ο Worte, die sie spricht I Sie ist mir Kühlung, Glut und Sonnenlicht; Was wäre, was mich jemals von ihr schiede! Kein Augenblick, daß ich die Sehnsucht miede! Nicht klage, Seele, trag' das Schwergewicht! Was auch des Leid's durch dunk'le Wolken bricht, So füge deinen Schmerz zum holden Liede. Daß ich dem Dienst der hehren Frau geweiht! Gar mancher sieht's in Zukunft voller Neid Und stammelt leis: „Er hat genug gelitten". Doch and're sagen: „Glücklich, wer inmitten Des tiefen Leids geweint in Seligkeit; Warum ward nicht auch uns dies Loos erstritten?"



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208.

Stolze Rhone! Ο Strom, der aus der Alpen dunkler Zelle Mit Macht hervordringt, üppig stolze Rhone! Mich treibt die Leidenschaft, den Erdensohn, Dich treibt Natur, und voll rauscht deine Quelle. Nicht Schlaf hält, nicht Ermüdung deine Welle, Und ruhelos eilst du davon, davon 1 Noch ehe du dem Meere giebst den Lohn, Kommst du nach Avignon zur heil'gen Stelle. Dort weilt die Sonne, weilt mein Edelstein, Zur Linken dein, am wonnigen Gestad; Vielleicht, ο darf ich's hoffen, denkt sie mein. Und bist du hier der holden Frau genaht, So künde ihr in deinem treuen Sinn, Wie stark mein Sehnen und wie müd' ich bin.

Petrarcas Sonette.

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2og.

Ich flieh im Weh! Ο holde Hügel, wo ich sie verließ, Wie strahlt ihr in des Lebens Nachtung helle! Ihr folgt mir nach, ihr seid mir stets zur Stelle, Ihr seid um mich, so sehr ich euch verstieß! Ο Land, das mir die Seligkeit verhieß! Dich lassend, streife ich auf ferner Welle; Doch fern von mir erstrahlt die Lebensquelle, Erstrahlt das Bild, das mir den Himmel wies! Wie jene Hindin, die, von gift'gem Pfeile Verwundet in der Weiche, jammernd floh, Von Schmerz durchzuckt bei jedem Schritt der Eile: So haftet mir, drum werd ich nimmer froh, Im Herzen das Geschoß; ich flieh im Weh, Indes voll süßer Sehnsucht ich vergeh.



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210. Von Spaniens Ebro bis zu Indiens Küste. Von Spaniens Ebro bis zu Indiens Küste, Vom roten Meer, bis wo die Flut vereist, In allen Meeren, wo der Wirbel kreist, In Bergesschluchten und im Tal der Wüste, Wo Wie Hat Den

giebt es einen den ich elend wüßte, mich? Welch' Vogel, der das Schicksal weist, mir gesungen? — Wenn die Parze reißt Faden, war mein Leben öd und wüste.

Warum sie doch den andern beut die Reize Und andrer Herz mit süßer Wonne füllt, Und mir allein mit ihren Hulden geize I Wenn ich sie schaue, ist sie tief verhüllt; — Nicht meine Liebe sieht die hehre Frau, Und nicht, daß schon mein Haar vor Kummer grau.

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21 I. Im Jahre Dreizehnhundertzwanzigsieben! Mich spornt die Liebe, und sie führt mich weiter; Mich reizt die Lockung und der süße Traum, Der mich so lang durchbebt; der Hoffnung Saum Berührt mich als mein ewiger Begleiter. Das bändigt meines Herzens wilden Streiter, Der Widerstand zerstiebt wie leichter Schaum, Und trügerischer Sehnsucht geb ich Raum: So wird die Unheilspforte breit und breiter. Ο holdes Tugendbild, du ewig eine, Geweiht des Paradieses heil'gem Spiel! Seit ich dich sah, bin ewig ich der Deine! Es war dereinst am sechsten des April, Im Jahre Dreizehnhundertzwanzigsieben; Seitdem bin ich der Deine stets geblieben!

212.

Ich schreib' in Sand! Im Traume glücklich, glücklich nur im Sehnen, Umarm' ich Schatten nur und leere Lüfte, Und über uferlose Meeresgrüfte Schweif haltlos ich in ruhelosem Wähnen. Ich schreib' in Sand! Es badet sich in Tränen Mein blindes Auge! Über Berg und Klüfte Folg' ich der Hindin, lahm ist Arm und Hüfte, Mein Fuß ist matt und tiefe Schluchten gähnen. So lauf ich immerdar in mein Verderben, Und Tag und Nacht stets starrt das eine Ziel: Es bleibt mir fern; so geht mein Glück in Scherben. Schon zwanzig volle Jahre währt das Spiel: Ich leide stets und nimmer kann ich sterben, Und ohne Hoffnung fährt des Lebens Kiel.



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213.

Du hast verwandelt mich, ich bin gewesen. Ο Wesen, wie kein and'res gnadenreich, Ο Tugend, über Menschen hocherhaben, Mit deines lichten Geistes hehren Gaben Bist du im Jugendprangen Weisen gleich! Und wenn du singst, dein Sang ist lind und weich, Die Schönheit dein wird selbst die Engel laben, Und alles Menschenleid wird schnell begraben, Erscheinst du, Göttin, mir im Erdenreich. Dein Auge leuchtet in des Abgrunds Nächte, Es staunt der Sinn, wird deiner er gewahr; Die Bosheit sinkt, froh hebt sich der Gerechte. Mit deinem sanften, ewig milden Wesen, Mit deinen Seufzern, deinem blonden Haar Hast du verwandelt mich, — ich bin gewesen.



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2Ι5·

Von edlem Blut ein Wesen treu und schlicht. Von edlem Blut ein Wesen treu und schlicht, Ein hoher Sinn im kindlichen Gemüte, Die reife Frucht in jugendlicher Blüte, In tiefem Geist ein Lächeln zart und licht; So schuf sie einstens der Planeten Licht, Das ihr in himmelhellem Glanz erglühte; So viel der Feinheit, so viel Herzensgüte I Ich möchte schildern, doch die Kraft gebricht. Mit ihr ist edle Sitte stets im Bunde: Den schönen Leib verhüllt ein herrlich Kleid, Und schon ihr Schweigen ist mir frohe Kunde. Ihr Auge hat ein etwas, das uns weiht, Das Nacht in Tag und Tag in Nacht kann stürzen, Das Leid versüßen und das Süße würzen.

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2l6.

Auf Nacht folgt Tag, ein öder, müder, grauer... Ich wein' am Tag, und in der Nächte Schauer Wein' ich aufs Neue; doppelt ist mein Sehnen, Wenn alles ruht: dann brechen heiße Tränen Hervor: so ist meinrLeben voller Trauer. Auf Nacht folgt Tag, ein öder, müder, grauer; Kein lebend Wesen fühlt ein solches Wähnen: Denn ewig meines Herzens Tiefen gähnen, Und ewig steht der Unhold auf der Lauer. So hab ich schon die Hälfte überschritten Des Todes, den man Leben nennt, und immer War trüb' die Nacht und trüb' der Tagesschimmer. Und was ich leide, was ich je gelitten, Verschuldet sie, die voller Lieb und Pflicht: Sie sieht mich leiden, und es rührt sie nicht.



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2Ι7· Wie wonnig war doch meiner Seele Qual! Schon hob ich an, in urgewalt'ger Weise Mit solcher Glut mein Leiden zu verkünden, Daß ich selbst ihren Busen könnt' entzünden, Der auch im Sommer friert im Wintereise. Ich mochte singen eine stolze Weise, Sie dringe bis zu ihres Herzens Gründen; Ich mochte gar der Welten Haß ergründen Und Unheil bringen ihrem lichten Kreisel Doch Mitleid such' ich nicht und nicht den Haß; Das eine kann, das andre will ich nicht; Was soll's? Das Schicksal fügt es so fürbaß. Ich singe weiter ihrer Augen Licht; Und bin ich tot, sagt alle Welt zumal: Wie wonnig war doch seiner Seele Quall

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26ο.

Was sollen mir die Frauen alter Sage? Zwei Augen blinkten mir am holden Tage, Ich sah ihr reizend himmlisch reines Walten, Darin des argen Eros traulich Schalten — Was sollen mir die Frauen alter Sage? Was auch die Erdenwelt an Schönheit trage Auf Bergeshöh'n, in tiefen Tales Falten, Es ist mir nichts; nichts sind mir die Gestalten, Die einst die Welt erfüllt mit Freud und Klage. Was ist mir Helena, der Troer Tod, Lucrezia, die ihren keuschen Leib Dem kühlen Eisen heldenmütig bot? Was ist Polyxena, Isiphyle? — Triumph der Schönheit, hoheitsvolles Weib! Du kamst, du gingst, und mir blieb Leid und Wehl

Π. Nach Lauras Tode. 267. Wohin entschwand der Blick? Wohin entschwand der Blick, den sie mir schenkte? Weh, Wehl Wohin die Anmut und die Stimme, Die selbst der Wilde ehrte und der Grimme, Die selbst gemeinen Sinn zum Edeln lenkte? Das Lächeln, ach, in das ich mich versenkte? Das Feuer, das mir ewig neu erglimme? Zu edel warst du für die Welt, die schlimme, Du kamst in ein Jahrhundert, das dich kränkte. Für dich erglüht stets innige Verehrung I Du warst mir alles und du bist dahin; Es war der schlimmste Schlag, der mich betroffen! Die Welt ist öde und die Freuden flieh'η; Noch glaubt' ich, daß mir Heil und Segen offen: Sie schwanden; Unheil blieb mir und Verheerung.



6o



269. Auf den Tod Lauras (f 6. A p r i l 1348) und Giovanni Colonnas (f 3. Juli 1348). Colonna, Laura tot!

Nun ist gefallen

D i e Säule und der Lorbeer, der im Schatten Mir einstens Ruhe bot, dem Schicksalsmatten. W i e soll ich, ganz verlassen, weiter wallen? U n d m a g ich wandern in den Landen allen, Nicht Gut und Geld, nicht Herrschaft k o m m t zu statten; D e n n Stolz und L i e b e floh'η den Schicksalssatten, Und nichts im L e b e n kann mir mehr gefallen. D e m Unheil b e u g ' ich mich, das mich b e z w u n g e n ; Mein H e r z ist tot und feucht sind meine Lider: W i e kann ich g e g e n solche Mächte kämpfen? D e n größten Jubel wird das Schicksal dämpfen; U n d was der Jahre Mühe hat errungen, Schlug oft ein einz'ger Windesschauer nieder.







271. Das dürre Holz brennt lichter als das grüne. Der Tod zerriß die feste Liebesschlinge, In der ich weilte einundzwanzig Jahre: Die Hehre lag auf ihrer schlichten Bahre! Glaubt nicht, daß höchster Schmerz den Tod uns bringe I Da fühlt' ich plötzlich andrer Liebe Schwinge, Kaum merkt' ich sie, kaum, daß ichs jetzt gewahre; Fast schon erlag ich diesem neuen Mahre, Doch sie auch traf der Löser aller Dinge. Wär' ich im Liebesleide nicht erfahren, So wär' auch mir das Totenkleid genäht; Das dürre Holz brennt lichter als das grüne. Doch wieder hat des Todes schlimm' Gebahren Das Band gelöst; es kam der Hort der Sühne: Ich fühlte tief des Schicksals Majestät.



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272. Hätt' ich nicht Mitleid mit dem eig'nen Ich . . . Das Leben flieht, es zögert keine Stunde, Der Tod naht eilig und mit Riesenschritten; Mir tief im Herzen brennt, was ich gelitten, Und täglich fühl' ich meine schwere Wunde. Ich blick' zurück, mir wird nur trübe Kunde, Und blick' ich vorwärts, kommt herangeschritten Ein neu Gespenst; nicht hilft mir Fleh'n und Bitten, Und hart erdröhnt der Spruch aus Schicksals Munde. Hätt' ich nicht Mitleid mit dem eig'nen Ich, Das Leben würf ich ab, das mir verhaßt. Auf alte Zeit blick' ich voll Leid zurück; Die Zukunft? Ach mein SchifFlein schaukelt sich Ohn' Steuermann und ohne Tau und Mast; Das Licht erlosch, mit ihm erlosch mein Glück.

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2 73·

Kein wahres Gut ist, was den Frieden raubt. Was tust du, Seele, daß du stets zurück Nach Zeiten blickst, die ewig dir vergangen? Mein trostlos Herzl Woher dein blind Verlangen, Zu zünden und zu brennen Stück um Stück? Der zarte Blick und all dein holdes Glück, Die Stimme, die du einst vernahmst mit Bangen, Sie sind entschwunden, sind dahin gegangen In höchste Höh'n und kehren nicht zurück. Vergangen ist vergangen! Folg' nicht mehr Dem Alten, das kein Frühling mehr belaubt: Laß diesen Vampyr, der am Leben sauge I Nach lichten Höhen richte froh dein Auge, Und aus dem Leben nimm die ew'ge Lehr: Kein wahres Gut ist, was den Frieden raubt

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274· Aller Übel Quell bist du, mein Herz! Gebt Frieden mir, ihr stürmischen Gedanken 1 Ists nicht genug, daß mich ein Heer von außen Umtost, daß Liebe, Glück und Tod mit Brausen Mich jetzt umwogt, den Wehmuts-, Sehnsuchtskranken ? Verräterisches Herz, du brichst die Schranken, Du öffnest sie den Feinden voller Grausen, Und sie bestürmen mich: mit vollem Sausen Dringts ein und meines Daseins Säulen wanken. Die Liebe sendet mir geheime Boten, Das Glück schleicht ein mit tückischem Gegleiße, Und die Erinnerung führt mich zu den Toten. So marterst du mit unverdross'nem Fleiße Den Rest der Tage durch verborg'nen Schmerz, Und aller Übel Quell bist du, mein Herz.

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ό5

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275·

Kein Wesen kann dem grausen Tod entfliehn. Mein Auge! Deiner Sonne herrlich Blinken Ist jetzt entschwunden; sie erglänzt in Sphären, W o Glück und Segen unaufhörlich währen; Dort harrt sie, bis auch dir die Schauer winken. Mein Ohr! Du konntest einst die Worte trinken, Die jetzt nur dort ertönen, wo die Zähren Gestillt, wo Wonnen Wonnen nur gebären Und alle Menschenschwächen schnell versinken. W o keines Menschen Fuß je weilt, dahin Ist sie; was gibst du, Auge, Ohr die Schuld Mir Armen voller Groll und Ungeduld? Kein Wesen kann dem grausen Tod entfliehn; Sie aber schwebt in Gottes heil'ger Huld Verklärt empor zu ewigen Harmonien.

Petrarcas Sonette.

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27 6.

Ewig mich des Schicksals Mächte hassen. Jetzt, da ihr Engelsanblick mich verlassen, Da meine Seele schien dem Tod erkoren, Wollt' sich mein Herz, das tief in Leid verloren, Erheben, und ich suchte mich zu fassen. Doch ewig mich des Schicksals Mächte hassen! Nicht Lind'rung gibts, ich bin zum Leid geboren, Und Schmerzen unaufhaltsam mich durchbohren; — Die Einzige, die Höchste mußt' erblassen! So nahm der Tod hinweg die Fraue hehr. Glückseliger Boden, der die Edle deckt Als ihres heil'gen Leibes Schutz und W e h r ! Warum nahmst du nicht mich in deinen Schoß? Was mir das Leben hat an Glück erweckt, Es lag in ihr; nun bin ich hoffnungslos.

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6;

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277·

Hoffnung ist des Lebens letzter Schluß. Bringt Liebe mir nicht neuen Rat, dann muß Mein Herz vergehen in des Leid's Gewühl; Denn ewig hoffnungslos ist mein Gefühl, Und Hoffnung ist des Lebens letzter Schluß. Nicht Mut, nicht Kraft wird mir, nein, Überdruß! Die Sonne sinkt, die Luft weht nächtlich kühl, Das letzte Licht erstrahlt auf hohem Bühl; Empfange, Leben, meinen Scheidekußl Ein Schifflein, steuerlos im Flutenreich, So wirft das Schicksal mich in dunklem Toben; Im Herzen nur strahlt meine Führerin. Im Herzen glänzt die Frau, der keine gleich. Mein Erdenauge doch bleibt nachtumwoben; So werd' ich alt und meine Tage fliehn.

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278. Ο hätt' vor Jahren mich der Tod gefunden! Sie starb in ihres Lebens Blütenmai In voller Kraft der frisch ersproßten Liebe; So ließ sie dieses irdische Getriebe, Und meines Lebens Wonnen sind vorbei. Sie stieg aus dieser Erden Einerlei Empor, auf daß ich arm und einsam bliebe; So ist verschwunden alles, was ich liebe; Ο wärst auch du, mein Herz, nun endlich freil Ich folgt' ihr, als auf Erden sie geweilt, Was folg' ich ihr nicht in das helle Land, Das alles Sehnen, alle Schmerzen heilt? Dann bin auch ich erlöst, dann ist das Band, Das mich dem Erdenwahn verknüpft, entschwunden; Ο hätt' vor Jahren mich der Tod gefunden.

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9

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279·

Wenn Vögel klagen tief im grünen Laube . . . W e n n Vögel klagen tief im grünen Laube, Das leise sich bewegt in Sommersluft; Wenn lind der helle Quell in Felsenkluft Mir murmelt, weil ich, meinem Schmerz zum Raube, Im Grün: das Ufer lacht, die Blütentraube Umgiebt mich kosend rings mit süßem Duft; Da plötzlich — ja, sie ists, — aus tiefer Gruft Nein himmelher! ο wache auf, mein Glaube! Ich seufze tief und schwer; die Holde spricht Und lächelt mir voll Mitleid zu: „Was zehrst Du dich, was fließen deine herben Tränen? Nicht weine mehr!

Gestillt ist all mein Sehnen,

Und während klagend du mein Bild verehrst, Geht durch die Nacht mein Geist zum ew'gen Licht."



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28ο.

Im trauten Blütenhain von Valchiusa. Nicht war ich, seit sie diese Welt verließ, So nah der Holden himmelsglanzumflossen, Wie hier im Tal, vom Felsengrund umschlossen, Fern aller Welt im lauschigen Verließ; In Vaucluse, das dereinst mir Heil verhieß 1 Am Ufer, wo die bunten Blumen sprossen Im trauten Blütenhain, wo unverdrossen Die Lüfte wehn im Liebesparadies. Noch klingt, noch murmelt hier die klare Welle, Die Vögel klagen noch von süßem Weh, Es sagens Zweige, Blumen, Luft und Quelle, Daß treue Liebe nimmerdar vergeh'. Ο Hehre, die du strahlst in Himmelshelle, Gieb, daß den Weltgelüsten ich entgeh!



7i



28i.

Am Ufer, wo die Zweige düstern. W e n n oft am Ufer, wo die Zweige düstern, Ich aller Welt, mir selbst entfliehend, weile, Netz ich die Brust mit Tränen und ich eile Ins traute Dickicht, wo die Blätter

flüstern.

In tiefem Grunde such ich sehnsuchtslüstern Nur sie die Holde, und die Zweige teile Ich rufend: „Hehrste Frau! ο komm und heile Mein Sehnen!" Schweigend hören's Strauch und Rüstern. Da seh' ich plötzlich sie der Flut entsteigen; Mir ist, als ob sie zagend aufwärts glitte, Sich wiegend leicht am blumigen Gestade. Dann seh' ich sie mit flüchtig schnellem Schritte Entschweben scheu wie in der Göttin Reigen; Ihr Blick doch kündet Mitleid mir und Gnade.



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282.

Sie erschien am lichten Morgensaum. Ο Selige, wie oft es schon geschah, Daß du mir Trost gespendet hast im Traum Mit deinem Auge, das im Himmelsraum Im Engelskreis verklärt den Ew'gen sah! Ο Selige, wie oft es schon geschah, Daß du erschienst am lichten Morgensaum! Ein Zauber war's, ich sah's, ich glaubt es kaum, Dort, wo du mir dereinst auf Erden nah. Dort, wo ich viele Jahre dich besungen, Gedenk' ich deiner, und mein A u g e weint, Nicht über dich, doch über mein Geschick. Der eine Trost nur hat mein Herz bezwungen, Daß mir im Traum dein holdes Bild erscheint: Ich kenne deine Stimme, deinen Blick.

283.

Was soll das öde Leben noch gewähren? Das schönste Antlitz, das je ward geschaut, Hast du, ο Tod, mit bleichem Schein umgössen, Die reinste Seele, die der Welt entsprossen, Gelöst vom Leibe, himmelslichtbetaut. Ihr Auge brach und ihre Stimme traut, Die Worte, die einst ihrem Mund entflossen, Die engelgleichen starben; leidverdrossen Ist meine Seele und der T a g ergraut. W a s soll das öde Leben noch gewähren? Nichts als der Frauen himmlische Erscheinung, W e n n sie im Traume trocknet meine Zähren. Dann glüh' ich in der Seelen Lichtvereinung; Und was an Wonnen uns're Geister spüren, Nicht Menschen, nein, auch Tiger könnt es rühren.

— 74 — 284. Leise schließt sich meines Lebens Wunde. Wie schnell entschwindet doch die Lichterscheinung, Wenn sie mir naht zu himmlischem Entzücken, Wie kurz ist doch der Seele Hochbeglücken, Wie kurz der Geister innige Vereinung! Sie schwebt heran; rasch flieht die Erdenmeinung: Ich fühle wie ein himmlisches Entrücken, Wie Seligkeiten, die mich fast erdrücken; — Doch plötzlich nah'n die Geister der Verneinung. Als Königin, so zieht sie in die Burg Des Herzens und verscheucht das nächt'ge Dunkel, Und welterschaffend wirkt der Demiurg. Kaum daß ich fasse dieses Lichtgefunkel! „Gebenedeite", ruf ich, „Heil der Stunde", Und leise schließt sich meines Lebens Wunde.



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285.

Du bist mir Mutter, Freundin! Nie hat die treue Mutter ihrem Kinde Und nie die Braut dem Mann, dem heißersehnten, So hold geblickt, im Aug' dem heiß betränten Es bergend, was sie sorgenvoll empfinde; Wie sie, wenn sie mir löst die dunkle Binde, Die mir den Abgrund hüllt, den schwarz umgähnten Zum Jenseits; wo wir tiefes Dunkel wähnten, Aus hehren Höhen schwebt sie licht und linde. Du bist mir Mutter, Freundin; selig klagt Und tröstet mich dein Mund; du spendest Segen Und zeigst, was mir gebührt, dem Erdengast. Wir sprechen von Vergang'nem unverzagt, Von ew'ger Zukunft nach des Schicksals Schlägen, Und so wird meinem Herzen Fried und Rast.

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286. Wie sie spricht, so muß ich handeln. Ο könnt ich Die einst im Und die aus Erschien, ich

sie und meine Seufzer schildern, Erdengrund die Meine war Himmelshöhen licht und klar malt' es euch in glüh'nden Bildern.

Wie innig ihre leisen Worte mildern Mein Sehnen, wie sie mütterlich fürwahr Mich mahnt und wie sie seufzend vor Gefahr Mich warnt, wenn meine Pfade sich verwildern! Mir ist, sie lebt, ich seh' sie atmen, wandeln, Ich höre ihre zarten Schmeichelei'n, Ihr sanftes Wort, ihr innig leises Flehen; Und unermüdet spricht die Fraue mein — Die Steine könnten weinen und vergehen; — Und wie sie sorglich spricht, so muß ich handeln.

287. Senuccio tot! Senuccio tot! Daß nun auch du entschwunden, Ist herbe Pein; doch hebt mich der Gedanke, Daß unsres Körpers nächtlich dunkler Schranke Du deine hohe Seele hast entwunden. Die höchste Einsicht hast du nun gefunden! Du siehst der Sterne Schaar, die niemals wanke, Du siehst der Menschen müdes Sein, das kranke, Und von dem Erdenweh kannst du gesunden. Du wandelst frei in der Planeten Bahnen, Du schaust, was ist, du schaust, was einst gewesen Dies hehre Schicksal lindert all mein Leid. Ο grüße unsrer Dichtung hehre Ahnen, Grüß' Cynus, Dante, grüß das teu're Wesen, Um das ich trau're in der Einsamkeit.

288.

Des Baches Murmeln fühlt die Sehnsucht auch. Mein Seufzen wiederhallt im Busch und Haine. W e n n meine Augen sehnend niederschauen Vom herben Hügel nach den milden Gauen, W o sie geboren ward, die holde Eine. Sie war die Herrin mein im Blütenscheine Und in des Lebens Frucht!

Das Todesgrauen

Deckt nun die stolze Zier der Erdenfrauen; Ich denke der vergang'nen Zeit und weine. Und meinen Schmerz versteht der Fluren Grün, Ihn fühlt der lichte Baum, der holde Strauch, Ihn fühlt der milden L ü f t e sanfter Hauch. Ihn kennt der Knospe liebliches Erblüh'n, Des Baches Murmeln fühlt die Sehnsucht auch, Sie zittert in der Abendsonne Glüh'n.



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289.

Sie adelte die Seele mein zur Tugend. Die über alle Schönheit schöne Seele, Die schon auf Erden Engeln war verwandt, Flog vor der Zeit hinauf ins sel'ge Land, Daß sie im ew'gen Licht den Sitz erwähle; Daß sie den Himmlischen sich dort vermähle! Nun wach ich auf; was sie mir einst gesandt An Leid und Liebe, hab ich nun erkannt: Ihr Streben war, zu mildern meine Fehle. Mir ward zum Heil, wenn sie mir segnend nickte, Mir ward zum Heil, wenn sie mit ernstem Zuge Herab auf meine losen Tage blickte, Und wenn ich ihr, der schnellen Zeit zum Truge Durch meine Lieder gab die ew'ge Jugend, — Sie adelte die Seele mein zur Tugend.



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290. W a s mir zur Plage ward, wird mir zum Frieden. 0 tolle Welt, wie ändern sich die Zeiten! Was mir zur Plage ward dereinst hienieden, Wird jetzt zur Seligkeit, zum Heil und Frieden, Und so begrüß' ich die vergang'nen Leiden. Ein kurzes Glück, um das sich Nächte breiten, Ein blödes Hoffen, dem kein Glück beschieden, Ist alles Lieben; daß sie mich gemieden, Ich dank' es ihr in alle Ewigkeiten. Das dunkle Leben hielt mich einst umfangen, Und eitlem Tande strebt ich müd entgegen; So schlich Verderben bleich um meine Wangen. Da kam die Heilige, und mir ward Segen: Sie sänftigte des Herzens wilde Schlangen, Und wieder wandelt ich auf bessern Wegen.







291.

Wie glücklich ist des Morgenrots Geliebter, Tithon! Seh ich die Morgenröte licht erscheinen Mit blondem Haar, mit Rosen glühend rot, Dann ruf' ich: „Liebste, stille meine Not!" Ich seufze tief, und seufzend muß ich weinen. Wie glücklich bist du, Tithon!

Denn vereinen

Kannst du der Göttin dich im Abendrot; Ich find' die meine erst im bleichen Tod: Das ist mein Trost, ihn hab' ich, diesen einen. W e n n dich dein Lieb verläßt am frühen Morgen, Sie kehrt zurück im holden Abendschein, Und Liebe findest du in ihren Armen. Doch Tag und Nacht verfolgen mich die Sorgen, Und Unheil brütet mir mein Erdensein: Nur ihren Namen ließ sie mir, dem A r m e n !

Petrarcas Sonette.

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292. 0 meine Dichtung, stirb jetzunder auch!

Die Liebste mein, für die ich einst ein Heer Der Lieder dichtete, ihr Angesicht, Die weiße Hand, der Augen blinkend Licht Und die Gestalt, die holde, traut und hehr, Ihr blondes Haar, das wie zur sei'gen W e h r Als krauser Schein erstrahlte sanft und licht, Ihr Lächeln, ihre Worte mild und schlicht, Mein ganzes Paradies, es ist nicht mehr! Ich blieb zurück; die Sonne sank, die Nacht Umgibt mich einsam in des Meeres Sturm, A u s tiefem Traume bin ich jäh erwacht. Kein Licht mehr leuchtet mir vom hohen Turm; Erstorben ist des Lebens matter Hauch! Ο meine Dichtung, .stirb jetzunder auch!

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293·

Mir fehlt das Sonnenlicht. Hätt' ich geahnt, daß alle Welt die Reime, Die Schwingen meiner lieberfüllten Klagen, Einst schätze, sicher hätt' ich ohn Verzagen In voller Kraft entfaltet meine Keime. Doch wenn ich jetzo dichte, wenn ich reime, Fehlt mir das Sonnenlicht; in dunklen Tagen Vermag ich nicht den höchsten Flug zu wagen, Und düster wird der Vers im düstern Heime. Nicht hab ich einst gestrebt nach Ruhm und Ehrung; Was ich gewollt? die Schmerzen wollt' ich hauchen, Den Lüften weihn mein innigstes Empfinden. Jetzt möcht' ich wohl auch meinen Namen tauchen In Sonnenglut des Ruhms und der Verehrung; Doch Nacht ist rings und alles seh ich schwinden.

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294· Die Hoffnung ist ein trügerisch Gespenst. Die Herrlichste war einst im Herzen mein, Sie adelte das niedrige Verließ; Doch als sie mich, als sie die Welt verließ, Erstarrte ich in dunkler Todespein. Ihr Antlitz konnte diese Stätte weihn; Doch als sie floh, der Himmel mich verstieß, Das Heim mir schwand, mir schwand das Paradies, Das Unheil kam, tief fühlt es Fels und Stein. Doch alles schweigt und niemand spricht es aus; Ο sag', Natur, ob du das Mitleid kennst? Kennst du den Schmerz, der mir im Busen quillt? Fürwahr, nichts ist des Menschen sterblich Haus. Öd ist die Welt, die Sehnsucht ungestillt, Die Hoffnung ist ein trügerisch Gespenst.

295·

Oft sprachen die Gedanken leis und linde . . . Oft sprachen die Gedanken leis und linde, Ob sie sich neige meinem trüben Sein, Ob hoffend sie, ob bangend denke mein, Und ob sie Mitleid wohl mit mir empfinde. So dacht' ich einst Doch jetzt, wo sie Blickt sie herab in Jetzt weiß ich, daß

beim Wehn der Frühlingswinde! verweilt im Strahlenschein, meines Herzens Schrein — ihr jeder Zweifel schwinde!

Ο holde Seele, die zurückgekehrt Ins helle Land der ewig heitern Jugend, Du leuchtest dort in neu verklärter Kraft Mit jenem Kranz, den nie die Zeit versehrt! Den Erdenruhm doch brachte deiner Tugend Mein sehnend Lied und meine Leidenschaft!



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296. Und hätte ich ein Königreich befehligt . . . Mich anzuklagen pflegt ich; jetzt entschuldige Ich mich, daß ich so lang' das Joch getragen: Zur Ehre ward es mir, und ohne Klagen Trug es mein Herz, das bange, das geduldige. Doch euch, ihr Parzen, ich jetzt schwer beschuldige: Ihr rißt den Faden ab in sel'gen Tagen, In jener Zeit der Pein, der süßen Plagen Des Liebesgottes, dem ich seufzend huldige. Ο Pfeil der Liebe, der den Tod beseligt, Wer gäbe nicht ein Leben frei und kühn, Damit er sanft in Liebesleid vergeh? Und hätte ich ein Königreich befehligt Und möchte mir der Hulden höchste blühn, Ich tauscht es um das holde Liebesweh.

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297· Zwei feindlich' Wesen. Zwei feindlich' Wesen, die sich stets bedrohen, Sie hatten innig sich in ihr verbunden, Und steten Frieden hatten sie gefunden: Nie sah ich Zwietracht und Verderben lohen. Das Schicksal trennte sie: im Licht, im hohen Des Himmels weilt ihr Geist in sel'gen Stunden; Die Schönheit doch, die ich dereinst empfunden, Ward hingestreckt vom Tod, dem harten, rohen. Ihr hoher Wuchs, die Stimme und die Worte, Voll edlen Denkens und doch sanft und schlicht, Die mir des Leides, ach, gebracht so viel, Verschwanden an des Todes stummer Pforte. So lange doch ich weil' im Sonnenlicht, Will ich dich preisen mit dem matten Kiel.



SS



298.

Ich blick' zurück. Ich blick' zurück, — ο Zeit, die leiddurchbebt Das Heiligste in alle Winde streute, Die ausgelöscht auf meines Lebens Reute Das Licht, das frühlingsglühend mich belebt! Dahin ist, was die Seele einst erstrebt! Die Herrlichste, sie ward dem Tod zur Beute, Das Gestern wurde mir ein trostlos Heute, Und aller Zauber schwand, der mich umwebt. Nun fühl' ich mich so einsam, so verlassen, Und jedes Wesen neid ich um sein Glück; Ο Leid, ο Nacht, ο kalte, feuchte Not! Wie muß ich nun mein armes Leben hassen! Die Zeit der Liebe nimmer kehrt zurück, Drum komm und löse mich, mein trauter Tod!

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299Ο schweig auch du nun fürder, meine Laute! Wo ist die Stirne, die mit schnellem Winken Einst mich und meinen schwanken Sinn geleitet? Wo sind die Augen, die mein Herz geweidet Dereinst und es erfüllt mit trautem Blinken? Die Hand, die mich gelenkt zur Rechten, Linken, Doch stets zum Heil, die einst um mich gebreitet Den Lebenszauber und den Pfad bereitet, Auf dem des Unheils Mächte mußten sinken! Wo ist die Liebe, die mich einst umschattet, In der ich Ruh und Seligkeit gefunden, Wenn ich des Zweifels Fragen ihr vertraute? Nie kann mein Herz von diesem Schlag gesunden; Mein einsam ödes Leben still ermattet. Ο schweig auch du nun fürder, meine Laute!



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300.

Wie neid' ich dich . . . Wie neid Denn du Du birgst Das mich

ich dich, du beutegier'ge Erde, umschlingst sie, meine Hehre, Hohe, das Antlitz mir, das hoffnungsfrohe, dereinst erweckt zu neuem „Werde"!

Wie neid ich, Himmel, dich, wo mein Gefährte Nun weilt; wie blitzte deine lichte Lohe, Wie flammte deine Glut, die lichterlohe, Als sie erschien in deiner heil'gen Herde! Wie neid ich euch, ihr erdentrückten Geister! Im traulichen Verkehre wonnetrunken Erblickt ihr sie, die ich so selten sprach! Wie neid ich dich, ο Tod, du grauser Meister, Der du geraubt, in die mein Blick versunken, Und mich verschonte, als ihr Auge brach.



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301. Ein andrer bin ich heute. Ο Tal, erfüllt von meinen Klagetönen, Ο Fluß, dem ich mein Herz so oft vertraut, Ihr Vögel, Fischlein alle, die den Laut Der Liebe einst gehört und nun mein Stöhnen! Ο könntet ihr mein armes Herz versöhnen! Ο Lüfte, die einst meiner Sehnsucht traut! Ο Land, wo Heil und Unheil ich geschaut, Zu dem mich führt ein unhaltsam Gewöhnen! Ihr seid geblieben, wie ihr ehmals wart! Noch zeigt ihr eure Weisen, eure Normen, Doch ich bin's nicht, ein andrer bin ich heute. Mein Seelenleid ist tief versunkner Art, Nichts ist mir mehr die Welt und ihre Formen: Die Holde schied, ich blieb dem Schmerz zur Beute.



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302.

Verblieben war' ich fast im bessern Sein. Ich schwang mich auf in seligen Gedanken Zu jenen Höh'n, wo die Verklärte weilt, W o alle Sehnsucht, aller Schmerz geheilt; Und wo verschwunden alle Erdenschranken. Da kam sie, gab die Hand dem Lebenskranken: „Verschwinden sollte, was uns einst geteilt, Drum hat mein Lebensschicksal sich beeilt, Und alle trüben Erdenschauer sanken. Die Seligkeiten kannst du niemals fassen, Die uns erwarten in des Himmels Porte, W o ich dich einstens nenne ewig mein!" Sie schwieg, sie schwand, ich blieb zurück, verlassen, Doch noch umschweben mich die schlichten Worte; Verblieben wär' ich fast im bessern Sein.



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3θ3· In jenen goldnen Tagen! Ο Sehnsucht, die dereinst in goldnen Tagen An jenen Ufern weilte, die mir traut, Wo wir gewandelt, als der sanfte Laut Des Flusses seufzte süße Liebessagen! Du Ihr Du Ihr

blumig Tal, wo holde Sträucher ragen, Schatten, Lüfte, Blätter sanft betaut, heil'ger Port, der Liebesglück geschaut, sonndurchglühte Zeugen sel'ger Klagen!

Ihr Nymphen, die ihr schwebt im grünen Hain, Die ihr verweilt in Wogen des Krystalls, Die ihr im Winde flattert rings am Rain, Beleuchtet von der Glut des ewigen Alls! Hier lebte einst· der Liebe tiefe Not, Hier seufzt nun alles Gram und Leid und Tod.



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304· Stets ringend würd' im Alter ich zum Meister. Als noch mein Herz in seinem dunklen Bangen Durchdrang die Glut der heil'gen Liebesflammen, Verfolgt ich auf den Höh'n, in wilden Klammen, Die Spur des Wilds voll wonnigem Verlangen. Ich wollte singen, wie die Alten sangen, Ich suchte Klänge, die vom Herzen stammen, Und alle Kräfte raffte ich zusammen; Doch schwache Seufzer nur die Luft durchdrangen. Da starb die Sonne meiner Erdensendung. Weh! weh! Wenn du noch lebtest, Geist der Geister, So kämen meine Verse zur Vollendung. Stets ringend würd' im Alter ich zum Meister; Dann wäre Wirklichkeit, was ich erfleh': Es weinten Berg und Tal in Liebesweh.



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305·

0 schau' herab, wo Sorgas Quell erquillt! Blick' nicht auf Avignon! Ο schöne Seele, die emporgetragen, Den Leib verließ, wie keinen die Natur Je schuf, ο blick herab auf diese Flur, W o ich nun weine nach so frohen Tagen! Nun wird es lichter und die Nebel tagen, Die falsche Meinung, deren öde Spur Dich einst verfolgte, war ein Schatten nur: Er schwand; nun höre meine heißen Klagen! Ο blick dahin, wo Sorgas Quell erquillt, W o ich, der Wanderer, deiner nur gedenkend, A m Ufer wall' im Schmerz, der nie gestillt. In dieses Ufer deinen Blick versenkend Vermeide jene Stadt, die dich gebar, Denn schlimmer Dinge wirst du dort gewahr.

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306. Gib mir den Segen, daß ich weiter walle. Die Sonne, die einst meinen Pfad geleitet Zu jener Sonne, die im Himmel waltet, Liegt nun im tiefen Grunde längst erkaltet, Und feuchte Erde fröstelnd sie umbreitet. Und ich, den nimmer heiße Sehnsucht meidet, Irr einsam, wo des Lebens Nachtung schaltet; Zum öden Heideland sich mir gestaltet Die Welt; mein Auge weint, mein Inn'res leidet. So such ich auf die Stätten, such sie alle, Wo ich gefühlt der Liebe tiefes Weh, Und ringsum murmelt es mit trautem Schalle. Ο Bild, das ich vergeblich nun erfleh'! Gib mir den Segen, daß ich weiter walle Und nicht in Charons Fluten untergeh'.



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3°7·

Ein Glück wars ohnegleichen. Ich wähnte mich auf mächt'gen Liebesschwingen Befähigt, aufwärts nach den Höh'n zu streifen; Ich glaubte, meine Kräfte könnten reifen, Um die Verklärte würdig zu besingen. Doch nur Enttäuschung wird dem ernsten Ringen, Nur matt und mühsam meine Flügel schweifen; W a s uns nicht ward, wir sollen's nicht ergreifen, Ein Sonnenflug kann nur Verderben bringen. So hoheitsvoll war diese Frau gestaltet: Nicht Menschenkunst kann jenes Bild erreichen, Worin der Gottheit hehre Gnade waltet. Der Himmel hat die Edle sich begehrt: Daß ich sie sah, ein Glück war's ohnegleichen, Denn sie zu schauen war ich nimmer wert.

P e t r a r c a s Sonette.

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308.

In jenen Höh'n verstummt mein Sang. Die Frau, für die ich einstens Arnos Strand Mit Sorga tauschte — stolzer Armut Stand Mit reicher Knechtschaft —, floh dahin und schwand; Ich blieb zurück an der V e r z w e i f l u n g Rand. Da wollt' ich künft'ger Welt und künft'gem Land Sie schildern, wie ich lebend sie gekannt, Auf daß der Liebe, der Verehrung Band Sie ewiglich umschlinge unverwandt. Und so begann ich Stern auf Stern zu schildern Von ihrem Himmel, der sich stolz entfaltet, Und manches wohl gelang in kühnen Bildern. In jenen Höh'n doch, wo der Sterne Schimmer Zu e i n e r Strahlensonne sich gestaltet, Verstummt mein Sang, und ich versuch' es nimmer.



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309·

Götter stets die Menschenwerke hassen! Das höchste Wunder sollt' ich baß besingen, Das auf der Welt erschien und kurz nur blieb, Das bald entschwand, den Himmlischen zulieb, Um jenen Sphären höchsten Preis zu bringen. Die Liebe wollt' es, die mir einst die Schwingen Gelöst und mich so oft zum Werke trieb, Daß ich in würd'gen Versen sie beschrieb, U m nach der Dichtung höchstem Preis zu ringen. Doch Höchstes kann die Dichtkunst niemals fassen; Ich hab's erfahren und ich weiß es traun, Denn Götter stets die Menschenwerke hassen, Drum nie gelingt das Lob der sel'gen Frau'n! Ο glücklich, wer sie einstens konnte schau'n; Sie zu besingen doch, er soll es lassen.

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ΙΟΟ



3ΐο.

Kalt ist mir das Bild der edlen Frau'n. Rings weht der Zephir über Berg und Tal, Mit bunten Blüten sproßt es überall; Die Schwalbe zwitschert und der Nachtigall Gesang ertönt, zu lösen uns're Qual. Mit lichten Blumen schmückt sich ohne Zahl Die Au' im Frühlingswehn; am Wasserfall, In grüner Schlucht erklingt der traute Schall; Der Himmel lacht und grüßt uns tausendmal. Doch mir, dem Armen, keine Liebe spendet Der Lenz, und Seufzer sich der Brust entringen, Die all ihr Sehnen nur nach oben sendet. Mein Herz ist tot, die Welt ist öd', mir klingen Nur wie Gekrächz die Sänge auf den Au'n, Und kalt ist mir das Bild der edlen Frau'n.



ιοί



3"· Dem Schönsten selbst erklingt die Totenklage. Wie singt die Nachtigall so traulich mild! Um wen sie klagt? Um ihre lieben Kinder? Um der Gefährtin Scheiden? lind und linder Ihr wehmutsvoller süßer Sang erquillt. Mich aber drückt ein düstres Traumgebild, Es scheucht den Schlaf, den Schmerzensüberwinder; So wird das Leid stets neuen Leid's Erfinder — „Auch Götter sterben", ruft mein Herz mir wild! Ich glaubte —• doch mein Glaube war ein Wahn! —, „Wie sollte dieser Blick, der sonnenklare, Einst streifen auf des Todes düst'rer Bahn?" Und doch lag diese Göttin auf der Bahre! Was bleibt dem Leben, als des Lebens Plage? Dem Schönsten selbst erklingt die Totenklage.



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312.

Besser war's, ich hätt' sie nie gesehn. Nicht Nicht Nicht Nicht

Sternenfall am dunklen Himmelszelt, stolzer Strom, der fließt und ewig flöß, Reiterschar, die sprengt auf stolzem Roß, schnelles Wild, das schweift in Wald und Feld,

Nicht Freudenkunde, die man stolz erhält, Nicht Dichtung, die den Himmel uns erschloß, Nicht Frauensang, der sehnend sich ergoß Am grünen See durch bunte Blütenwelt, Nichts kann mich letzen; Schein nur ist's, nicht Wahrheit; Das Herz ist tot, es ist begraben tief, Seit ihren Geist der Himmel von mir rief. Nur öd' und leer die Tage mir vergehn. Ο möcht ich bald sie schau'n in lichter Klarheit! Doch besser wär's, ich hätt' sie nie gesehn.



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313Ihr Zauber trug mich zu der Sel'gen Runde. Dahin ist jene wunderholde Stunde, W o Kühlung bot der Brust, die heiß gerungen, Ihr Angesicht; die Frau, der ich gesungen Mein Höchstes, floh; mir blieb des Herzens Wunde. Sie schwand dahin; nichts als die holde Kunde Mir blieb.

Die Stimme doch, die mich bezwungen,

Ihr Auge, das mir tief ins Herz gedrungen, Ihr Zauber trug mich zu der Sel'gen Runde. Von Ihrem Fittig war emporgetragen Mein Sein zu Höh'n, wo nimmer wir verzagen, W o sie nun weilt in hehrer Majestät. Ο könnt ich dort zum sel'gen Geiste werden, W o nur der liebetrunk'ne Blick verrät, Daß wir entstammt dem trauten Schoß der Erden!



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3HEin Vorgefühl der Leiden. Wie faßte mich im Vorgefühl der Leiden Schon in der Freudenzeit ein trübes Ahnen! Mir war, ich höre stets ein dunkles Mahnen, Daß künftig mich der Liebe Blicke meiden. Mir Der Als Als

war, als ob die Götter mich beneiden; Holden Blick, er ließ mich Dunkles ahnen, schlich ein Unhold auf geheimen Bahnen, nahe bald das Ende gold'ner Zeiten.

Wie war mein Inn'res sehnsuchtsvoll entbrannt! Wie blinkte ihrer Augen milder Strahl, Aus deren Glanz ich ewig nun verbannt! Dort ließ ich meine Seele allzumal, Wie wir den Freunden schnell im Morgengrauen, Wenn wir entfliehn, das Teuerste vertrauen.



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3ΐ5·

Schon nahte uns die Zeit der keuschen Liebe. Verflossen waren schon der Jugend Tage, Die goldene Zeit! Gemildert war das Feuer Des Herzens, abwärts lenkte schon das Steuer, Mein Lebensschifflein in der W o g e n Schlage. Nicht mehr erschien verdächtig meine Klage Der holden Feindin, nicht mein Sinn, mein treuer; Mein Sehnen ward ihr mählich lieb und teuer, Und edles Wort verscheuchte meine Plage. Schon nahte uns in lieblicher Entfaltung Die Zeit der keuschen Liebe, wo man sitzt Vereint in harmlos trauter Unterhaltung. Der Tod uns neidete das Glück; verschmitzt Schlich er heran und schnellte durch die Luft Den Pfeil: so sank sie jählings in die Gruft.

— ιο6 — 316. Die Zeit der Waffenruhe schien erreicht. Die Zeit der Waffenruhe schien erreicht, Nach so viel Kampf war nicht der Friede weit; Schon schien das Ziel dem Ringenden bereit: Da kam der Tod, der alle Schuld begleicht. Wie holdes Nebelbild dem Winde weicht, So schied ihr Leben durch der Götter Neid; Ihr Auge brach, das mich so lange Zeit Gelenkt, und ihre Wange war erbleicht. Nur kurze Zeit, dann kamen jene Jahre, W o unser Haar in mildem Sinn ergraut, Und wo die Einsicht reift, die sonnenklare. Dann hätt' ich meine Liebe ihr vertraut Und meine Pein, und auch das Herz, das wahre, Das sie nun von den Himmelshöh'n erschaut.



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317Mein heiß Bemüh'n ward um den Preis betrogen. Nach bangem Sturme, schweren Schicksalswogen Schien mir bestimmt ein stiller Ruheport Im reifen Alter, wo der Weisheit Wort Uns läutert, wo die Laster längst verflogen. Die trüben Wolken hatten sich verzogen, Und nicht belästigte mehr meinen Hort Mein treuer Sinn; da riß der Tod sie fort, Und heiß Bemüh'n ward um den Preis betrogen. Ο wär es mir vergönnt, daß ich der Jahre Beständig Sehnen still ihr offenbare Und ihr erzähle, was ich einst gelitten 1 Sie hätte wohl, wenn mit gebleichtem Haare Sie seufzend fühlte, wie ich heiß gestritten, Ein tröstend Wort geäußert meinen Bitten.



ιο8 — 318.

Der Lorbeer fiel, ein Zweig im Herzen blieb. Es fiel ein Baum, von schwerem Sturm bezwungen: Es brach der Stamm mit ächzendem Gekrach, Die Wurzeln hatten aufwärts sich gerungen, Am Boden stöhnte wild das Blätterdach. So war mein Traum; doch wie der Traum verklungen, War noch ein Traum in meiner Seele wach: Ein Epheu hatte sich ums Herz geschlungen Und drang hinein bis in sein tiefstes Fach. Da dacht ich jenes Baums; in seinem Laub Hab ich so oft geseufzt, gefleht, gesungen, Doch immer blieb er meinen Bitten taub. Nun hat zum Himmel er sich aufgeschwungen; Doch mir im Herzen blieb zurück ein Sproß, Der mir des Leides, ach, so viel erschloß.



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319So wie die Hindin, fliehen meine Tage. So wie die Hindin, fliehen meine Tage, Ein Schatten nur; und wie ein Augenwinken, Sah ich des Glücks geweihte Standen sinken, Die ich so bittersüß im Herzen trage. Ο unbeständ'ge Welt, voll Pein und Plage! Wie blind, wer auf dich baut und auf dein Blinken! Und wenn im holden Schein wir Wonne trinken, Sinkt er dahin und flieht mit einem Schlage. So fiel, was ich dereinst geliebt, in Staub, — Ihr holder Leib; doch ihres Geistes Kraft Wird nimmermehr der Erdenstürme Raub. Ihr Strahlenbild hat sich emporgerafft; Und in dies Bildnis, das im Äther weilt, Bin ich versenkt, bis mich der Tod ereilt.



I ΙΟ —

32θ.

Nun leb' ich und empfinde meinen Tod. Euch Lüfte fühl' ich wieder! sanfte Hügel, Ich grüß' euch wieder, die ich oft geschaut, Als ich mit stolzem Blick, vom Duft betaut, Euch rief: ο hätte meine Sehnsucht Flügel I Euch grüß' ich wieder, sonnbeglänzte Hügel! Verwaist doch seid ihr, trüb das Wetter staut, Mein Blick umflort und leer das Nest, das traut Gehegt die Frau, die meiner Sehnsucht Zügel. So oft wünscht ich den Tod bei euch hienieden; Nun taucht Erinn'rung auf, und neues Leben Erquillt, wo ich ersehnt des Todes Frieden. Wie grausam bist du, Liebesgott! Mein Streben Versenkte mich dereinst in Liebesnot; Nun leb' ich und empfinde meinen Tod.

III

321.

Die alte Sehnsucht keimt und keimt stets wieder. In diesem Nestchen hat einst sein Gefieder Mein Phönix angelegt im Purpurglanze, Der mir in trauten Fittichs goldnem Kranze Die Seele nahm und meine holden Lieder. Die alte Sehnsucht keimt und keimt stets wieder; Ο Antlitz, dem ich weihte manche Stanze, Du Heil'ge in der Sel'gen frohem Tanze! Ο glücklich d u ! Wie sank m e i n Glück hernieder! So muß ich einsam um die Stätte kreisen, Die du einst segnetest auf immerdar, Und singen meinen Schmerz in düst'ren Weisen. Von hier flogst du zu Gottes Hochaltar! Und alle Stätten, die dich, Sel'ge, preisen, Sind nun verödet und des Lichtes bar.



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322.

An den verstorbenen Giacomo Colonna als Antwort auf einige freundliche Verse. Nie werd' ich ohne Tränen jene Zeilen, Nie ohne Rührung lesen, die mir traut, Als deiner holden Freundschaft milder Laut, Die Grüße sandten, die die Luft durcheilen. D u stiegst empor auf jenem Pfad, dem steilen, Zur Ewigkeit, im Kampfe stolz ergraut, Nachdem du holde Tröstung lichtbetaut Mir gabst für Schmerzen, die, ach, niemals heilen. Du führtest mich dereinst zurück zur Dichtung, D r u m wollt' ich dir der Gaben beste weih'n, — Ein Geist doch gab dem Schicksal andre Richtung; Nicht gönnte er uns mehr, vereint zu sein; Doch du bleibst meines Daseins helle Lichtung, In dir nur still ich meines Lebens Pein.



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326.

Der Geist, er bleibt, er schwebt zum Himmel an. Das Höchste deiner Macht hast du getan, Ο grauser Tod: verarmt das All, verhöhnt Das Herrliche! die Blume brach, es stöhnt Die Welt, das Licht erlosch, uns bleibt der Wahn. Entschwunden ist auf Charons dunklem Kahn Der Liebe Glanz, die unser All verschönt; Nur das Bewußtsein unser Herz versöhnt: Der Geist, er bleibt, er schwebt zum Himmel an. Er bleibt: er leuchtet dort in heil'ger Klarheit, Als Sonne glänzend mächtig, hehr und mild, Und was hier scheint, wird dort zur ew'gen Wahrheit. Ο Engel höre sanft mein heiß Gebet! Wie mich einst hier besiegt dein holdes Bild, Besiege dich des Mitleids Majestät!

P e t r a r c a s Sonette.

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327·

So ist des Lebens dunkle Nacht gekommen. Mein Licht und meinen Lorbeer hat genommen Der Grause, der den letzten Lebenshauch Erlöscht; das holde Spiel, der süße Brauch Des Daseins schwand, ich starre, bleich beklommen. So ist des Lebens dunkle Nacht gekommen, Und alles Glück versank in Dunst und Rauch; Die Sonne wich; ο Tod, dich ruf' ich auch Für mich, was soll mir noch das Leben frommen? Geschlummert hast du eine kleine Weile, Dann öffnete sich dir der frische Blick: Du schwebtest auf zu himmlischen Gestalten. Aufschweb auch du, der Dichtung stolze Zeile, Besiege Zeit und feindliches Geschick! Dann wird ihr Ruhm auf ew'ge Zeiten walten!



Π5



328.

Bleib', Freund, auf Erden noch so manches Jahr! Der letzte kam der frohen Erdentage, — Wie wen'ge wurden mir im Leben doch! — Da war's, daß mir ein Wurm zur Seele kroch, Ein Vorgefühl der bitt'ren Totenklage. Wie wenn die Pulse glühn: man spürt, man trage Das Fieber, das in unsern Adern koch, So fühlte ichs — ein Weilchen harrt es noch, Dann war ich streng gefaßt vom Schicksalsschlage. Das Auge, das im Himmel nun verklärt In sel'gem Glänze blickt, vom Heil umschlungen, In hehrem Glück, das ew'ge Jahre währt, Es schwand, und eine Stimme ist erklungen: „Bleib, Freund, auf Erdeq noch so manches Jahr, Bis wir uns schau'n in der Verklärten Schar."

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329· Wie war ich blind, der auf mein Schicksal baute! Ο Tag, als ich zum letztenmal dich schaute! — — Ihr Sterne ward verschworen, mich zu kränken! Und jener Blick, den sie mir wollte schenken, Was war es, was er schweigend mir vertraute? Wie war ich blind, der auf mein Schicksal baute! Ich glaubte mich in halbes Leid zu senken, Ins ferne Land nur meinen Schritt zu lenken, Und wiedersehn wollt' ich die holde Traute. Doch ihr im ernsten Antlitz war geschrieben, Wie dunkler Hauch, die bange Seelennot; So starb sie fern, und nichts ist mir geblieben. Und nicht erkannte ich den künft'gen Tod! Ein Schleier hüllte meinen scheuen Blick: So traf mich ungeahnt das Wehgeschick.



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330.

Du alterst und ergraust und stirbst allmählich. Der letzte, sehnsuchtsfeuchte, treue Blick Schien mir zu sagen: „Nimm, was du vermagst, Und wenn du vor der Trennung heute zagst, So wisse: ewig trennt uns das Geschick." So trennte ewig uns das Wehgeschick! Mein Herz, wenn du verzweifelt heute klagst, Du hast die Schuld, weil du in Fesseln lagst, Denn nicht verstandest du den letzten Blick. Ihr Auge, rätselhaft und wonnig blinkend, Es sprach: „Ihr Freundesaugen, die sich selig In mich versenkten, traute Wonnen trinkend! Mich ruft der Himmel in der Jugend Prangen; Doch dir bleibt noch ein sehnendes Verlangen: Du alterst und ergraust und stirbst allmählig."



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333· Ο schwebt, ihr schmerzdurchglühten düst'ren Reime! Ο schwebt, ihr schmerzdurchglühten, düstren Reime, Zur Gruft: sie birgt mein Hoffen und mein Lieben; Dort ruft nach ihr, nach dem, was uns geblieben, Und laßt die Hülle in dem dunklen Heime. Ο sagt ihr: wenn ich dichte, wenn ich reime, Das lebensmüde Herz hat mich getrieben, Nur ihr gedenkend hab' ich euch geschrieben, Daß stets ihr Ruhm erblüh' in neuem Keime. An sie nur denk' ich, an die holde Tote, — Nicht ist sie tot, nein, ewig wird sie sein, Und noch erglüht die Glut, die in mir lohte. Ο denke mein bei meinem bangen Tote Und komm' zu mir in schwerer Schicksalspein, Mich zu geleiten zu der Seligen Reih'n!



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334· Sie hebt mich auf zum Reich der ew'gen Jugend. Ist ihm, der tugendhaften Sinn bewiesen, Der Lohn gewiß in jener höhern Welt, Mir wird der Kranz; denn überm Sternenzelt Wird edler Sinn erkannt und hoch gepriesen. Und sie, die einst die Zweifel nie verließen, Kennt nun die Treue mein; die Täuschung fällt, Die unser Erdendasein einst vergällt, Weil sich des Herzen Tiefen ihr, erschließen. Ihr muß mein ganzes Innre sich enthüllen, Und Himmelsgabe wird sie mir verleih'n Als Lohn für meines Lebens ernste Tugend. Wird dann des Schicksals Tag sich mir erfüllen, Dann naht sie mir im hehren Strahlenschein Und hebt mich auf zum Reich der ew'gen Jugend.



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335· Sie ward verklärt, als ihr das Auge brach. Ich sah sie unter vielen, vielen Frauen, Und mich durchrieselte ein eis'ger Schauer; Verschwunden war der Erde Dunst und Trauer: Ein Himmelsbild erschien auf lichten Auen. Nichts Irdisches war je in ihr zu schauen, Sie strebte auf zum Reich der ew'gen Dauer In Jugendkraft; doch mir ward rauh und rauher Der Pfad, nicht könnt ich meiner Kraft vertrauen. So sehr ich spannte meiner Sehnsucht Flügel, Sie schwand und schwand und ward nicht mehr gesehen; Erstarrt blieb ich, und nimmer folgt ich nach. So schwebte sie empor zum heil'gen Hügel, Als sie der Tod gerührt mit eis'gem Wehen, Und ward verklärt, als ihr das Auge brach.

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336. Ich seh sie Tag und Nacht. Ich sehe sie, ich seh sie Tag und Nacht, Ich höre sie in seligen Gesängen: Dies Bild kann nimmer Lethes Flut verdrängen, Denn es erglänzt in steter Jugendpracht. Wie ich sie einstens sah, als sanft und sacht Sie dort geschwebt auf grünen Hügels Hängen, Seh ich sie wieder; alle Pulse drängen, — „Sie ist's, sie lebt", so ruf ich glutentfacht. Bald spricht, bald schweigt die Holde; neu erwacht Mein Traum; doch nur ein Traum, ein grauses Spiel! Ich sehe sie, und mir ward doch die Kunde: „Im Jahre dreizehnhundertvierzigacht Beim Tagesgrau'n, am sechsten des April Schied sie dahin in erster Morgenstunde."



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337· Ο Lorbeerbaum! Ο Baum!

Dein Blütenduft, dein holdes Grün

Besiegt, was Schönes beut das Morgenland; Und was Europa Herrliches gekannt, Wird überstrahlt, wenn deine Blumen blühn. Wie oft ich saß in meiner Liebe Glühn In deinem Schatten traulich lustgebannt! Mir war, als sei ihr holder Geist gesandt, Zu sänftigen des Herzens schweres Mühn. Mir war, als keimten dort im stillen Neste Die liebeseligen Gedanken mein; Ich glühte wild und ich erstarrt im Eise! Dort sang ich auch mein Lied beim trauten Weste, Bis sie verließ der Erde dunkle Weise; Denn würdig war sie für der Sel'gen Reihn.



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33«·

W a s weint ihr nicht, ihr, Erde, Luft und Meer? Ο Tod, dein Werk ist eine Welt der Nacht! So sonnenlos, so düster und versteint Ist alles; Liebe, Schönheit weicht, mir scheint Kein Stern mehr, und das ew'ge Unheil wacht. Der Erde Zauber seufzt in Bann und Acht, Die Tugend schwindet, die mich ihr vereint, Und ich, ich bin der einzige, der weint, Indes versunken uns'res Weltalls Pracht! Was weint ihr nicht, ihr, Erde, Luft und Meer? Was weinst du, Wiese, nicht? denn blumenlos Bist du und tot, ein Ring ohn' Edelstein. Sie wandelte einst ungekannt umher; Ich kannte sie, drum ist nun Leid mein Los; Der Himmel kennt sie und er nennt sie sein.



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339· Kann doch der Mensch nicht über die Natur! Als einst der Himmel löste meine Schwingen, Als Leid und Dichtkunst mir das Auge stählte, Da sah ich sie, von der mein Lied erzählte, Und schüchtern mochte manches mir gelingen. Ins Inn're doch kein Menschenblick mag dringen: Die Himmelsschönheit sehn nur Auserwählte; Das Höchste drum auch meinen Versen fehlte: Nur Wesensgleiches kann der Mensch besingen. Was ich einst sang, ein Tropfen war es nur Vom Meer der Seligkeit, das sie umschwebt; Wie könnt ich ihr ein würdig Lied wohl senden? Kann doch der Mensch nicht über die Natur; Und wenn sein Auge kühn nach oben strebt, So wird die Sonne seine Blicke blenden.



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340. Erscheine mir im Traum ein einzig' mal! Ο meiner Liebe treues Unterpfand! Ο Stütze der vergang' nen Erdentage, Die mir der Himmel nahm zur ew'gen Plage! Wo bleibt das Mitleid, das du einst gekannt? Dereinst sah ich im Schlummer deine Hand, Dein Auge drang herab in meine Klage Und labte mich; doch was ich jetzo trage, Ist Glut, die niemals Trost und Kühlung fand. Was kommst du nicht? Wie kann der Haß je weilen In jenen Höh'n? wenn auch im Erdengrunde Sich mancher weidet an der Liebe Qual. Drum komm' herab, den herben Schmerz zu heilen! Dein Schatten kühle meines Herzens Wunde! Erscheine mir im Traum ein einzig Mal!



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34ΐ· Ο weiche, Tod, das Leben hat mich wieder! Welch mitleidsvoller Engel stieg hernieder, Empor zu tragen meiner Seele Pein? Ich sah die Heilige im Strahlenschein Und rings der Engel himmlisches Gefieder! Sie senkte mitleidsvoll die milden Lider, So voller Anmut, so vom Stolze rein, — Sie war es, sie, die holde Fraue mein, — Ο weiche, Tod, das Leben hat mich wieder! Ο Seligkeit, welch holdes Weltentrücken! Sie sprach; es waren Worte, die nur wir Verstehn, der Liebe wonniges Entzücken! „O teurer Freund, mein Mitleid ist bei dir; Doch was geschah, geschah, uns zu beglücken." Sie sprach, der Himmel neigte sich vor ihr.



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342-

Lebtest du doch so wie ich! Gesättigt bin ich längst von jener Speise, Die uns mit Tränen und mit Seufzern nährt, Und durch die Seele oft ein Schauer fährt, Gedenk' ich ihrer auf des Lebens Reise. So weilt' ich kürzlich in des Winters Eise, Im Schmerze stöhnend, der die Brust durchfährt, — Da stand die Unvergleichliche verklärt Am Rande meines Lagers licht und leise. Sie legte ihre Hand, die heiß ersehnte, Auf meine Stirne, sprach mir Himmelsworte, Daß ich mich in den lichten Höhen wähnte. „Was weinst du", sprach sie, „an des Ew'gen Pforte? Genug des Grams, die Weisheit tröste dich: Ich lebe; lebtest du doch so wie ich!"



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343· Nur eine Träne blieb auf Aug' und Wangen. Denk' ich an sie, die nun den Himmel schmückt, An ihren Blick und an ihr blondes Haar, An ihre Sittsamkeit so schlicht und wahr, An jene Stimme, die mich einst entzückt, So wird mir Pein, was mich einst hochbeglückt; Nicht trüg' ich's, hätte sie nicht licht und klar, Die Sternengleiche, aller Zweifel bar, Im Morgentraum mich meinem Leid entrückt. Wie keusch, wie rein war da ihr hold Umfangen I In ihre Augen blickt' ich liebehold, Erzählend traulich, was ich hab' gelitten, Bis uns genaht des Morgens Feuergold. Da schwand sie; fruchtlos war mein heißes Bitten, Nur eine Träne blieb auf Aug' und Wangen.



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344·

So ist mir plötzlich all mein Glück entschwunden. Die Liebe war ein süßes Ding einmal; Doch wann dies war? Nichts kann ich's euch mehr sagen; W e r sie gefühlt, er hat es wohl zu klagen, Wie rauh sie ist und voller Leid und Qual. Die Holde, die im heißen Erdental Mir Ruhe bot, wenn ich schon wollt verzagen, Ward nach des Himmels Höh'n emporgetragen, Und thront im Glanz der Engel ohne Zahl. So ist mir plötzlich all mein Glück entschwunden; Nicht kann der Edeln höchste Seligkeit Mich trösten ob des Leids, das ich empfunden. Nur klagen kann ich noch zu jeder Zeit! Der Sel'gen hab' ich drum des Lebens Stunden, Die Dichtung und den Liebestod geweiht.

Petrarcas Sonette.

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345·

Ich sprach ein schlimmes Wort. Soeben sprach ich liebesgramumfangen Ein schlimmes Wort; ich sagte leidesvoll: Die Seligkeit, die himmlisch ihr erquoll, Sei nimmer Trost für meiner Seele Bangen. Und doch, welch' Glück, daß ihrem Gottverlangen Entgegen kam der Höchste segensvoll In jenen Höh'n, wo schweigt der Erde Groll, Wo sie nun glänzt in ew'gem Jugendprangen. Welch' Glück! Wie stünd' es wohl in meinem Sinn, Daß sie zu dieser Hölle wieder käme? Nein, lieber leb' und sterb' ich hier allein. Darum ich mich ob jenes Wortes schäme; Heil ihr, die nun verweilt im ew'gen Sein Bei ihm, der aller Dinge Anbeginn!



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346-

Niemals solche Schönheit aufwärts schwebte. Als sie zum ew'gen Himmel aufwärts schwebte, W i e staunte rings der Engel holde Schar; Die Heil'gen alle wurden ihr gewahr, D e r ganze Himmel jauchzte und erbebte! Ihr holden Seelen, lichte, heilumwebtel Nie saht ihr je ein Bild, so sonnenklar; Es strichen die Jahrhunderte fürwahr, Doch niemals solche Schönheit aufwärts strebte. Verlassen hatte sie das Tal der Erden, W a r eingetreten in der Sel'gen Reihn, Die schönste aller Seelen dort zu werden. Doch abwärts schaut sie aus dem Strahlenschein, W i e ich empor streb' auf dem Pfad', dem steilen; Oft flüstert sie, ich möge mich beeilen.

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347· Wie ich nur dein bin, dein, ich war es immer! Ο Fraue mein, die an des Ew'gen Throne Im Himmel weilt, von Sternenglanz umflossen, Von Purpur und Geschmeid' bist du umgössen ι Der Gottheit Anblick wurde dir zum Lohne! Ο denke mein, du aller Frauen Krone! In Ewigkeit ist dir die Welt erschlossen, Und auch die Treue mein, die unverdrossen Dein Lob erschallen läßt in jeder Zone. Wie ich nur dein bin, dein, ich war es immer! Verehrend weiht ich dir mein ganzes Wesen, Und dein war meiner Seele höchstes Gut! Von dir verlassen taugt mein Leben nimmer; Drum, wie ich dein und ewig dein gewesen, So heb' mich auf zu deiner Strahlenglut!



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348. Die eine Tröstung doch der Tod vermag Der schönsten Augen wonneklarer Sinn, Das blonde Haar, das gleich der Sonne Pracht, Die Stimme, die voll Zauber mir gelacht, War meiner Liebe Anfang und Beginn. Die feine Wange und das zarte Kinn, Die hehre Anmut und ihr Blick, der sacht Und mild mir Segen, Heil und Trost gebracht, — Ο Frau, du warst der Erde Heilgewinn. Du warst mir alles; da — in tiefer Stille Flogst du dahin, wo alles Licht und Tag, Als Engel in des Göttlichen Geleit. So bin ich einsam, — grauser Schicksalswille! Die eine Tröstung doch der Tod vermag: Tot werd' ich dein, ja dein auf ew'ge Zeit.

— 134 — 349· Dann flieg' ich sanft empor mit einem Male. Schon hör' ich dann und wann den ernsten Boten, Gesandt von ihr, der bald mich ruft von dannen; Nicht kann zum Leben ich mich mehr ermannen, Und baldig wandle ich im Reich der Toten. Nur eine kurze Frist ist mir geboten: Dann wird der Tod die Lebensgeister bannen; Ein Weilchen noch kann ich die Kräfte spannen, Dann fliehn die Gluten, die im Innern lohten. Ο glücklich, wenn aus dieser Leibeshülle, Aus dieser schwachen und zerborstnen Schale Die Seele sich erhebt zur Gnadenfülle 1 Dann flieg' ich sanft empor mit einem Male Zur ewig milden lichtverklärten Au', Wo ich den Heiland und die Holde schau'.



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350.

Die Erdenschönheit ward vereint in einem Weibe. Die Erdenschönheit, die sonst Dunst und Rauch, W a r einst in einem einz'gen Frauenleibe Vereint, sie ward nur ihr, dem einz'gen W e i b e ; Ist solches jemals Erdenart und Brauch? Nie will es sonst das Schicksal, daß der Hauch Der Schönheit nur in einem Wesen bleibe; Doch hier, — verzeiht ihr Frauen, daß ichs schreibe, Hier war es so, ich fühls, ich kund' es auch. Kein and're Schönheit war ihr zu vergleichen; Doch einsam lebte sie und fast versteckt, Fast unbekannt in unsern Erdenreichen. Sie schied dahin: im Jenseits neu erweckt Ward Himmelsschönheit trau'n ihr Angebinde; Es ist die Schönheit, die ich nun empfinde.



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351-

Ich habe doch das höchste Glück besessen. Ο Selige, die mir dereinst gewiesen Den Pfad, mit hehrer Sanftmut mich gehalten Auf jenem Wege, den mein schlimmes Schalten, Mein töricht Hoffen, ach, so oft verließen! Ο Worte, die mir Trost und Heil verhießen I So lange Höfigkeit und Ehre walten, Wird nimmer eure keusche Glut erkalten, Und das Gemeine muß sich euch verschließen. Du Quell der Tugend, fern von Leid und Groll! Du führtest stets den Sinn zurück, den kühnen, Wenn ich in frechem Trachten mich vermessen 1 Dann beugtest du zu mir dich hoheitsvoll; So könnt' ich wohl mein Erdendasein sühnen, Und habe doch das höchste Glück besessen.



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352·

Ob einst der grause Tod mir Lösung bringe! W i e sie auf mich die Blicke sanft gerichtet, Und wie sie fragend seufzte, still verstohlen! Die W o r t e glühten mir wie heiße Kohlen; Ο Lebensnacht, da warst du mir gelichtet! Sie strahlte, wie kein Dichter je gedichtet, Und über blüh'nden Veilchen und Violen Leicht glitt sie elfengleich mit flücht'gen Sohlen; Ο Lebensfrage, du warst mir geschlichtet! Entschwebt ist sie zum Schöpfer aller Dinge Und ließ zurück der Schönheit strahlend Kleid, Das ihr verlieh'n ward als die höchste Zier. Die Sonne wich, es wurde Nacht in mir: Das Heil verschwand, mir blieb das Herzeleid; Ob einst der grause Tod mir Lösung bringe!

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Welch' holde Zeiten hat es einst gegeben! Ο Vögelein, wie ich dein Leid versteh'! Du klagst wohl über Zeiten, die vergangen, Du siehst die Nacht dir nah'n, des Winters Bangen; Die Wonne schwindet, wie ein flüchtig Reh. Ο wüßtest du um meines Herzens Weh, Ο kenntest du mein zehrendes Verlangen! Du flögst in meinen Schoß, um meine Wangen Und sängst, daß all mein Herzeleid vergeh'. Nicht glaub' ich, daß dein Schmerz dem meinen gleich; Das Lieb, um das du klagst, ist wohl am Leben, Und dennoch singt dein Lied so sehnend weich. Mein trautes Lieb ruht tief im Schattenreich; Doch beide rufen wir in gleichem Beben: Welch' holde Zeiten hat es einst gegeben!



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354· Schreib' es weinend nieder! „O reiche, Liebesgott, mir deine Hand Und führ' mich aufwärts, daß mein Geist, der matte, Sie schaut, die dort auf Himmels heil'ger Matte Als Engel glänzt im ew'gen Frühlingsland! Schon oft versucht' ich's, doch die Kunst entschwand; Ο komm, daß deine Kraft mich rings umschatte, Auf daß mein Geist, der weltensorgensatte, Das Höchste preise, das die Welt gekannt!" Da spricht der Gott: „Was in der Schönheit Reiche Geweilt, was je gedichtet heil'ge Lieder, Es war vereint in dieser hehren Frau. Seit Eva ging auf Paradieses Au', Ward nichts geseh'n, was dieser Holden gleiche. Ich sag es weinend, schreib' es weinend nieder."



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355· Mit Mühe will errungen sein die Tugend. Die Tage, Monde wechseln, wandeln, schwinden Und täuschen uns dahin, die ewig blinden; Wie Hauch vergehen sie in allen Winden: Ich hab's gefühlt mit sehrendem Empfinden. Doch wenn die Stunden ständig sich entwinden, Es ist ihr Recht; in mir nur kann ich finden Die Schuld; von Scheinwerk ließ mein Geist sich binden, Darob ich Scham und Reue muß empfinden. Längst ist gefloh'n des Herzens holde Jugend: Schon ist es Zeit, daß sich vom Irrtum wende Mein Geist und strebe nach des Heils Gewähr. Die Liebe bleibt, nur weicht des Lebens Blende; Die Weisheit doch kommt nicht von ungefähr: Mit Mühe will errungen sein die Tugend.



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356. In meinem Schlummer, wenn ich fast verzagte . . . In meinem Schlummer, wenn ich fast verzagte, Erscheint die Hehre, und ich werde kühn; Denn wenn mir ihre holden Blicke blühn, Verkünd' ich, was ich ehdem niemals wagte, Wie mir das holde Auge einstens tagte, Wie heiße Qualen ewig mich durchglühn, — Ein Jauchzen bald und bald ein herbes Mühn, — Und wie mich stündlich Schmerz und Reue nagte. Sie schweigt; voll tiefen Mitleids blickt sie bange Auf mich hernieder, schluchzend tief und schwer, Und Tränen netzen ihre bleiche Wange. Dann zürn' ich mir, daß ich die Fraue hehr Betrübt; ich fahre auf, ein Schauer streicht, Erwache weinend, und der Zauber weicht.



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357·

Nicht fürcht' ich mehr des Todes schwarzen Reiter. W i e tausend Jahre scheinen mir die Tage, Bis ich einst folge meinem treuen Hort, Der mich auf Erden führte und auch dort Mich leitet, wo Verklärung scheucht die Klage. Ich schüttle ab, was ich vom Staube trage; Die Welt kenn ich genug: vom sel'gen Port Fließt solches Licht herab, solch hehres Wort, Daß ich vergesse jede Erdenfrage. Nicht fürcht' ich mehr des Todes schwarzen Reiter; Denn unser Heiland hat den Tod erduldet So schwer, daß ich mich fest und standhaft fühle. So traf der Tod auch sie, die nichts verschuldet; Und als sie trat in seines Schattens Kühle, Blieb schön ihr Leib und ihre Stirne heiter.



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358.

Seit sie entschwunden, ist mein Leben tot. Nicht kann der T o d ihr Angesicht versehren; Ihr holdes Auge scheucht die dunkle Nacht: W a s brauch ich andern Frühling, wenn sie wacht, Die mir des Lebens Höchstes konnte lehren? Und er, der mit dem Blute, mit dem hehren, Uns hat erlöst und in der Hölle Schlacht Hinab stieg, hat auch mir das Heil gebracht; Drum komme, Tod, dir werd' ich nimmer wehren! Ο zög're nicht! mein Inn'res nach dir lechzt? Seit sie entschwunden, ist mein Leben tot, Und Tod ist Leben nach des Höchsten Worte. Mein Dasein in den Fugen stöhnt und ächzt; Ich folgt ihr in des Lebens Morgenrot, Ich folg ihr freudig zu des Todes Pforte.



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30ι. Sie ist mein treuer Hort. Mein treuer Spiegel sagt mir schroff und kalt, Es sagts die Stirne und es sagts das Haar, Es sagts die Kraft, die schwindet, offenbar: „Verbirg es nicht, mein Liebster, du wirst alt. Folg der Natur!

Betrachte die Gestalt,

Und biete dich nicht mehr als Jüngling dar!" Da wird es meinem A u g e licht und klar, Und eine Stimme spricht mit Allgewalt: „Das Dasein flieht dahin, und unser Leben Ist einmal nur und einmal unser W e r d e n ; Drum denk an sie und an ihr heilig W o r t ! W e r kann dir besser Halt und Stärke geben, Als sie, die einst die Beste war auf Erden? Sie ist im Jenseits auch dein treuer Hort."



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362. Noch mag es zwanzig, dreißig Jahre währen. Oft flieg' ich mit des Geistes leichten Schwingen Zum Himmel auf — fast bin ich schon der ihre —, Daß ich des Leibes Hülle fast verliere; Dort seh ich sie im Chor der Engel singen. Sie spricht zu mir, und Schauer mich durchdringen: „Gegrüßt im Land der himmlischen Zephire, Wo Tugend nur das reine Wesen ziere, Und alle Geister nach dem Ew'gen ringen!" Dann führt sie mich zum Herrn; ihn fleh' und bitt' Ich inniglich, die Gunst mir zu gewähren, Sein Angesicht zu schau'n und das der Frau. Doch sie: „Auch dir naht einst des Schicksals Schritt; Dann wird auch dir die hehre Himmelsschau, Noch mag es zwanzig, dreißig Jahre währen."

Petrarcas Sonette.

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365· Der Lorbeer starb. Erloschen ist das Licht, das engelgleiche, In tiefes Dunkel ist mein Blick versenkt; Ihr Auge brach, das mich dereinst gelenkt, Der Lorbeer starb und mit ihm Ulm' und Eiche. Sie weilt, die Himmlische, im fernen Reiche, An die mein Geist voll tiefer Wehmut denkt, Die mir bald Leid, bald hohes Glück geschenkt, Mich hold beschirmt und nimmer von mir weiche. Mich hielt der Liebesgott mit strengem Zügel, Der uns mit Wonnen labt und bitt'rer Pein; Jetzt bin ich frei und hebe meine Flügel; Nur ihn verehr' ich jetzt, den Heiland mein; Bei ihm nur find ich meine Ruhestatt, Denn meines Lebens bin ich müd' und matt.



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