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German Pages 250 [245] Year 1965
INHALT
YII 1
Einleitung Jean Baptiste von Schweitzer Ein Schlingel Eine nationalökonomisch-soziale Humoreske in einem Akt
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August Otto-Walster Ein verunglückter Agitator oder die Grund- und Bodenfrage Lustspiel in zwei Akten
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Demos und Liberias oder Der entlarvte Betrüger Ein Liebesdrama in zwei Akten
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Manfred Wittich Ulrich von Hutten Ein geschichtliches Spiel
153
Friedrich
Bosse
Die Arbeiter und die Kunst Schwank in einem Akt 195
Biographien
204
Anmerkungen
EINLEITUNG
Wenn man von sozialistischer Dramatik in Deutschland spricht, meint man in der Regel die vom sozialistischen Standpunkt geschriebene Dramatik der Jahre 1929 bis 1933, die in den Stücken Bertolt Brechts und Friedrich Wolfs die Bühne eroberte. Diese in der Periode der revolutionären Aktionen und des antifaschistischen Kampfes entstandenen Stücke sind undenkbar ohne das Arbeitertheater und die Agitpropbewegung der Weimarer Zeit. Zweifellos erhielten die Bestrebungen des proletarisch-revolutionären Theaters in den Jahren zwischen der Novemberrevolution und der Machtergreifung des Faschismus wichtige Impulse. Die planvolle Kulturpolitik der K P D , deren Ziel es war, die Möglichkeiten des Theaters für die Aufklärung und Aktivierung der werktätigen Massen nutzbar zu machen, trug zur Entwicklung einer sozialistischen Dramatik neuer Qualität bei. Aber gerade die Beachtung dieser vornehmsten Tendenz des sozialistischen Theaters muß den Blick zurücklenken zu den Anfängen sozialistischer Agitation und damit zu den ersten Anfängen sozialistischer Dramatik. Die Keime einer sozialistischen deutschen Dramatik entwickelten sich in der Zeit von Marx und Engels, von Liebknecht und Bebel, zusammen mit der sozialistischen Agitation der jungen deutschen Sozialdemokratie. Sie hat sich nach ersten Anfängen im Kampf gegen den Terror des Sozialistengesetzes gestärkt und hat nach dessen Aufhebung unter immer noch schwierigen Bedingungen den ersten Aufschwung erlebt. Die Geschichte dieser Dramatik ist noch nicht geschrieben. Die Herausgabe typischer Agitationsstücke und Dramen, die in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts und bis zur NovemberVII
revolution für das deutsche Arbeitertheater geschrieben wurden, ihre Einschätzung, Auswertung und Kommentierung sowie ihre Einreihung in die Gesamtentwicklung der deutschen Nationalliteratur ist ein erster Versuch, Geschichte und Merkmale dieser Anfänge einer sozialistischen Dramatik zu umreißen. Der vorliegende Band bringt eine Auswahl von fünf Agitationsstücken, die die Entwicklung des frühen Arbeitertheaters in der Zeit von 1867 bis 1897 veranschaulicht. Weitere Bände werden folgen, die die späteren Phasen der Entwicklung aufzeigen, abgesehen von solchen, die einzelne große Dramen oder den Überblick über das Gesamtwerk einiger Autoren enthalten. Alle diese Stücke erlebten keine rauschenden Premieren, wurden nicht von den berühmten Kritikern des Kaiserreiches besprochen, ihre Autoren erhielten keine hohen Honorare und Tantiemen, die Schauspieler keine Gagen. Diese Arbeitertheaterstücke durften nicht auf öffentlichen Bühnen gespielt werden und selbst in geschlossener Gesellschaft war ihre Aufführung durch den Argwohn wilhelminischer Polizeispitzel gefährdet. Sie erschienen nicht in anspruchsvollen Buchausgaben, sondern wurden, wenn überhaupt, von Parteiverlagen auf billigem Papier für wenig Geld herausgebracht. Sie konnten im Äußeren in keiner Weise mit den Goldschnittausgaben der Dramatik der Gründerjähre konkurrieren. Die Verfasser waren zunächst sozialdemokratische Intellektuelle: Wissenschaftler, Lehrer, Redakteure, Agitatoren, die auf die bürgerliche Karriere verzichtet hatten, um ihre ganze Kraft der Arbeiterbewegung zu widmen. Noch während des Sozialistengesetzes fingen talentierte Arbeiter an zu schreiben. Alle diese Männer wollten nicht eigentlich Literatur machen, sie schrieben aus gesellschaftspolitischem Antrieb, das Leben, die Wünsche und Forderungen der arbeitenden Menschen drängten nach Gestaltung. Von dieser Basis aus vertraten sie im Gegensatz zur apologetischen, volksfremden und abseitigen Dramatik des Hohenzollernreiches lange Zeit als einzige die Interessen der Volksmassen und eine demokratische deutsche Republik. Es zeigte sich, daß die Arbeiterbewegung keine bloße Magenfrage war, VIII
sondern eine Frage der Kultur und Humanität. Mögen die ersten proletarischen Stücke mancherlei Mängel gehabt haben, so bargen diese für politisches Laientheater geschriebenen Werke doch die Keime eines neuen humanistischen und sozialistischen Theaters. Um das Jahr 1890 wandten sich auch die deutschen Naturalisten, von den sich zuspitzenden Klassengegensätzen beeindruckt und vom Kampf der Arbeiterklasse angeregt, der sozialen Thematik zu. Gerhart Hauptmann vertrat in seinen „Webern" und ,.Florian Geyer" nach 50jähriger Stagnation des bürgerlichen deutschen Theaters, in Opposition zum Hohenzollemreich Interessen der Nation. Die revolutionären Sozialdemokraten setzten sich in ihrer Kunstdiskussion ernsthaft mit dem Naturalismus und mit Gerhart Hauptmann auseinander. Sie schätzten Hauptmann, lehnten jedoch die bloße Elendsmalerei und Perspektivelosigkeit der naturalistischen Dramatik ab. Zumindest konnten sie eine Kunst, die den Emanzipationskampf und die Leistungen der Arbeiterklasse ignorierte, nicht als „neue Kunst" anerkennen. Selbstbewußt und historisch folgerichtig stellte sich das Proletariat die Aufgabe, im Kampf für eine demokratische deutsche Republik eine neue Kunst und Literatur zu schaffen, die die Interessen der Menschheit verficht. Wenn man also die in diesem Bändchen vereinten Stücke sowie das gesamte Arbeitertheater der Periode literaturhistorisch werten und einreihen will, so muß dies in der Hauptsache nach zwei Richtungen geschehen. Einmal im Hinblick auf die Dramatik der sogenannten Münchener Dichterschule und ihrer Trabanten, der hohenzollernschen Hofdichter, zum andern im Zusammenhang mit dem deutschen Naturalismus. Die Dramatik der Gründerjähre ist durch einen Neuklassizismus niedrigsten Niveaus gekennzeichnet. Schon 1868 wurde Geibels epigonenhafte, psychologistische und pompöse Jambentragödie „Sophonisbe" mit dem Schillerpreis ausgezeichnet. Paul Heyses 38 Bände umfassende Dramatik beherrschte den Spielplan mit lebensfremden Stücken voll äußerlicher Theatralik. Nach 1871 regierte das historische Ausstattungsstück, mit dessen Helden sich die reaktionären Reichsgründer nur allzugern IX
identifizierten. Gelegentliche Vorstöße zum Sittenstück waren keine Wendung zum Realismus, sondern Scheinmetamorphosen rückgratloser Eklektiker und Epigonen. Felix Dahns pseudoheroischen, altgermanischen Dramen „Markgraf Rüdiger von Bechelaren" (1875), „Sühne" (1879) und „Skaldenkunst" (1882), Hermann Linggs zur Schande der Jury mit dem Schillerpreis ausgezeichnetes effektvolles, aber tief verlogenes neapolitanisches Revolutionsstück „Luigi Sanfelice" (1882) entsprachen dem offiziellen Geschmack. Als die Epigonenwelle auf der deutschen Bühne bereits ihren Höhepunkt überschritten hatte, bewarb sich auch Ernst von Wildenbruch mit einer Reihe historischer Dramen erfolgreich um den Schillerpreis des Hohenzollernreiches. Sind in seinen Novellen Spuren einer gehemmten Opposition und Sozialkritik enthalten, so siegte in seinem dramatischen Schaffen, das am repräsentativsten in den „Quitzows" (1888) hervortrat, der Hang zur Theatralik, zum hohlen Pathos und Dekorativismus. Das Anknüpfen an das große Drama der Klassik zum Zwecke der Glorifizierung des verpreußten Deutschlands mußte zum Antirealismus führen. In diesem Zusammenhang ist es interessant zu vergleichen, welches Verhältnis die deutschen Arbeiter zu Schiller hatten. In den Stücken des aufsteigenden Proletariats gibt es Anklänge an Schiller, aber in erster Linie an den jungen Schiller, der für die Dramatiker der Gründerj ahre wenig interessant war. Die Bourgeoisie brauchte nach ihrem Verrat an ihrer eigenen fortschrittlichen Tradition und an den großen Zielen der Nation in der 48er Revolution die Welt des schönen Scheins. Sie mußte sich, wie Franz Mehring in seiner Schillerinterpretation für die deutsche Arbeiterklasse hervorhob, an das anklammern, was in Schillers Schaffen überlebt war, und sich vorspiegeln, dessen ideale Gedankenwelt sei im Hohenzollernreich lebendig. Aber Schillers „Flucht aus der gemeinen in die überschwengliche Misere" (Karl Marx) war nicht der Weg des Proletariats. Schiller war nach einer Formulierung Clara Zetkins „der Heimatlose, der Vogel auf dem Dach", der nicht wie Goethe für seine Kunst leben konnte, sondern unter X
äußeren und inneren Nöten hart um sie kämpfen mußte Diesem trotzigen Rebellen und leidenschaftlichen Kämpfer fühlte sich das junge Proletariat verwandt. Aus zeitgenössischen Autobiographien geht hervor, mit welch heißer Anteilnahme junge Arbeiter aus Schillers „Räubern" rezitierten. Diese Zuneigung, die das Proletariat den „Räubern" und „Kabale und Liebe" entgegenbrachte, spiegelt sich deutlich in den Anfängen der sozialistischen Dramatik wider. Die an Schiller anklingenden Motive der feindlichen Brüder und des altehrwürdigen Vaters aus den „Räubern", des intriganten Ränkespinners vom Typ Franz Moors und des Sekretärs Wurm sowie des jungen Mädchens, das sich zwischen zwei Bewerbern für den besseren Menschen entscheidet, fallen besonders ins Auge. Dieser bessere Mensch in den Agitationsstücken ist immer ein Sozialdemokrat, der neue Held der sozialistischen Dramatik von der Art des Fabrikarbeiters Fels in Bosses „Im Kampf" (1892) oder des August Frei in Sterns „Bismarckspende" (1891) und Kraußes „Wieder ein Kämpfer" (1894). Der ehrgeizige Intrigant ist bezeichnenderweise in der Regel'ein ehemaliger Sozialdemokrat, der sich aus Selbstsucht dem Klassenfeind verkauft hat. Diese Verschmelzung von Franz Moor und Wurm tritt uns in beiden genannten Stücken in der Gestalt eines Sekretärs und Vertrauten des Unternehmers entgegen; in mehreren Stücken heißt er sehr charakteristisch Schleicher, ein anderesmal, in Anlehnung an den rothaarigen Franz Moor, Franz Rothaar. In späteren Stücken schreibender Arbeiter, wie in Paul Mehnerts „Golgatha" (1908) und Ernst Söhngens „Eine Märznacht" (1909) stehen die feindlichen Brüder auf den entgegegensetzten Seiten der Barrikaden und der Vater, ein klassenbewußter Arbeiter, verflucht den Verräter. Es braucht kaum betont zu werden, daß die sozialdemokratischen Autoren diese Motive nicht unschöpferisch Schiller entlehnt haben. Schon dieser baute mit seinen „Räubern" auf einer Volksüberlieferung auf, ebenso sind die Agitationsstücke dem Volksleben verpflichtet. Dennoch sind die Berührungspunkte mit Schiller bemerkenswert. In Bosses Lehrstück „Die Arbeiter und die Kunst" XI
(1897) begründet der Schuhmacher Klaar diese Tatsache damit, Schiller zeige dem Proletariat, wie man, wenn die Bedrückung zu groß wird, mit Tyrannen umzugehen habe. Während die bürgerliche Dramatik sich immer mehr von den dringenden Lebensinteressen des Volkes entfernte, entstanden in der deutschen Arbeiterbewegung Stücke aus dem täglichen Kampf des arbeitenden Volkes. Wenn die proletarischen Agitatoren in Einzelfällen mit ihren Spielen an die Geschichte anknüpften, so war es die Geschichte von Volksbewegungen, der große deutsche Bauernkrieg, das Jahr 1813, die 48er Revolution oder die Pariser Kommune. In diesem Zusammenhang ist es auch angebracht, auf das 1889 zur Zentenarfeier der Französischen Revolution geschriebene, den revolutionären Massen gewidmete Stück Franz Herzfelds „Ein Fest auf der Bastille" hinzuweisen, das 1894 auf Anregung Franz Mehrings von der Berliner „Freien Volksbühne" aufgeführt wurde. Manfred Wittich schrieb während des Sozialistengesetzes das Agitationsstück „Ulrich von Hutten" (1887), in dem er Hutten und seinen Anhängern verschlüsselt Forderungen und Ideale der Sozialdemokratie in den Mund legt. Auch der Leipziger Stubenmaler Bosse ließ in seinem ersten Stück „Die Alten und die Neuen" (1888), um Zensur und Zwangsmaßnahmen zu entgehen, Hans Sachs und Ulrich von Hutten verklausuliert Maximen der Arbeiterbewegung aussprechen. Bevorzugten die Apologeten des Kaiserreiches die herkömmliche Form der fünfaktigen Tragödie zur Erzielung einer repräsentativen Wirkung, so schätzte das frühe Arbeitertheater im Gegensatz dazu die Komödie, das Lustspiel, den im Volkstümlichen wurzelnden Schwank und die Posse wegen der polemischen Möglichkeiten dieser dramatischen Formen. Es entwickelte sich als neue Form das kurze Thesenstück, das Lehrstück, in dem Parteibeschlüsse und Hauptthesen des wissenschaftlichen Sozialismus, in eine einfache Handlung gekleidet, propagiert wurden. Auch diese Lehrstücke hatten oft Schwankcharakter, was sich keinesfalls nur damit erklären läßt, daß sie gleichzeitig unterhaltend wirken sollten. Der schwer arbeitende und schlecht lebende XII
proletarische Held drängt aus seiner Lage heraus. In der Arbeiterbewegung organisiert, mit dem wissenschaftlichen Sozialismus bekannt geworden, weiß er, daß seine Klasse dazu berufen ist, die soziale Ungerechtigkeit in der Welt zu beseitigen. Dieser optimistischen und überlegenen Grundhaltung der aufstrebenden Arbeiterklasse entspricht ihre Neigung zum Schwank und zur Komödie. Gleichzeitig war dieses zukunftszugewandte Denken der Ausgangspunkt für die Konfrontierung der eigenen ästhetischen Anschauungen mit denen des Naturalismus. Zu dieser prinzipiellen Frage nahm nicht nur Franz Mehring als Vertreter der marxistischen Literaturkritik in Deutschland Stellung. Sie wurde von den Arbeitern diskutiert, in der sozialdemokratischen Presse, auf dem Gothaer Parteitag und, wie Bosses Lehrstück „Die Arbeiter und die Kunst" (1897) widerspiegelt, auch in den Arbeiterbildungsvereinen und am Arbeitsplatz. Aus dem Protokoll des Gothaer Parteitages vom Oktober 1896 und aus dem von Bebel als Beschlußvorlage festgehaltenen Ergebnis geht hervor, daß die Sozialdemokratie nicht von vornherein gegen jede neue Strömung der bürgerlichen Kunst eingestellt war. Es wurde jedoch klar ausgesprochen, daß der Naturalismus ein Produkt der Dekadenz sei, und daß es niemals das Hauptanliegen der Kunst sein dürfe, lediglich das Kranke und Niederdrückende zu schildern. Die Literatur, die auf der Höhe der Zeit stehen wolle, müsse von einem sittlichen Ethos erfüllt sein, das das arbeitende Volk in seinem schweren Kampf aufrichtet. Die Sozialdemokratie betrachtete den „sozialistischen" Zug der modernen naturalistischen Dramatik von Anfang an mit Skepsis, denn ihre Beschränkung auf die Beschreibung des proletarischen Milieus kam in Wirklichkeit einer Entpolitisierung der sozialen Frage gleich. Selbst der der Sozialdemokratie besonders nahestehende Arno Holz hatte mit seinen „Sozialaristokraten" (1896) nur einen mit treffender Satire gezeichneten Ausschnitt der gesellschaftlichen Wirklichkeit gegeben. Sein zusammen mit Johannes Schlaf verfaßtes Drama „Die Familie Selicke" (1890) weist schon die Anfänge einer Methode auf, über die das dekadente bürgerliche Drama bis heute XIII
noch nicht hinausgekommen ist. Mit antirealistischen Ausdrucksmitteln werden die Ruinen der bürgerlichen Welt in grausiges Licht gehüllt, aber das neue Leben, das aus Ruinen erblüht, kann sich bei diesem völligen Nichtverstehen des historischen Prozesses nicht entfalten. Im oben angeführten Protokoll und auch in Bosses „Die Arbeiter und die Kunst" wird auf Gerhart Hauptmann angespielt. Auf dem Parteitag scheint, nach den Zwischenrufen zu urteilen, eine unterschiedliche Meinung darüber geherrscht zu haben, ob Hauptmann zu den Naturalisten zu rechnen sei oder nicht. Mjt dem Hinweis auf das Drama „Die Weber" bezeichnet in Bosses Stück der sozialdemokratische Redakteur Hauptmann als den Führer der neuen Kunst. „Mit welch zwingender Logik wird da in dem Zuhörer der Gedanke erweckt, so kann es nicht weitergehen, es muß anders werden". Der Schuhmacher Klaar dagegen beanstandet, Hauptmann könne dennoch dem Arbeiter nicht sagen, wie es anders werden wird. Das trifft ins Schwarze. Die frühen Arbeitertheaterstücke waren Agitation gegen den Kapitalismus für eine sozialistische Gesellschaftsordnung. Allerdings herrschte bei den ersten sozialdemokratischen Autoren, wie die Texte unseres Bandes zeigen, über den Weg zum Sozialismus auch keinerlei Klarheit. Die deutsche Sozialdemokratie hatte sich zu einer revolutionären Arbeiterpartei entwickelt, aber kleinbürgerliche Einflüsse und eine opportunistische Strömung, die ihre historischen Wurzeln in den Ansichten Lassalles hatte, blieben wirksam. Vor allem wurde die Frage nach dem Wege zur Eroberung der politischen Macht in der deutschen Sozialdemokratie dieser Periode trotz der Hinweise von Marx und Engels auf die Lehren der Pariser Kommune falsch oder nicht klar beantwortet. Zwischen der frühen sozialistischen Dramatik und den „Webern" bestehen reale Verbindungslinien, sowohl vom Thema des Volksaufstandes her als auch von der Struktur des Personenkreises und der Funktion der einzelnen dramatischen Gestalten. Vom roten Bäcker geht eine gerade Linie zum Arbeiter Roth aus Schweitzers „Schlingel", zum Arbeiter Fels aus Bosses „Im Kampf" XIV
und zum Arbeiter Frei ausKraußes „Wieder ein Kämpfer". Alle gleichen sich in der mutigen, selbstbewußten und intelligenten Art des Auftretens gegenüber dem Unternehmer. Dreissiger wiederum steht auf einer Ebene mit den Fabrikanten und Kommerzienräten der proletarischen Stücke. Die Gestalt des falschen Pfarrers, der Liebe predigt und die Interessen der Ausbeuterklasse vertritt, haben die „Weber" mit vielen Agitationsstücken gemeinsam. Ähnlich ist es mit der Gestalt des Polizisten. Schließlich bestehen auch gewisse Beziehungen zwischen dem Kollektivhelden der „Weber" und den Helden der sozialistischen Agitationsstücke, die nicht als große Einzelpersönlichkeiten gesehen sind, sondern als Vertreter ihrer Klasse, als einzelne von vielen. Kraußes Frei stehen die Arbeiter Treu und Stark zur Seite und Bosses Fabrikarbeiter Fels eine Reihe differenzierter klassenbewußter Gefährten Treumann, Kämpf, Rasch und Kluge. Diese Dramatik wäre undenkbar ohne die Arbeiterbildungsvereine, ihre Feste und ihre dramatischen Zirkel. Johann Jacoby(i8o5—1877) hatte am 20. Januar 1870 in einer Wählerverammlung des 2. Landtagswahlbezirks von Berlin das seitdem in zahlreichen Variationen immer wieder zitierte Wort geprägt: „Die Gründung des kleinsten Arbeitervereins wird für den künftigen Kulturhistoriker von größerem Wert sein als der Schlachttag vonSadowa." Die Agitation der Arbeiterklasse hatte von Anfang an ein doppeltes Ziel. Der Kampf um die Befreiung von den Fesseln der kapitalistischen Ordnung war untrennbar von den Anstrengungen, sich die Quellen von Kunst und Wissenschaft zu erschließen, die dem Werktätigen bisher nicht zugänglich waren. Das große Theater der herrschenden Klasse war dem Proletariat verschlossen. So schuf es sich zur Krönung seiner festlichen Veranstaltungen seine eigene Bühne. Die kleine unscheinbare Bühne des Arbeitervereins — oft war es nur ein Podium, das die Spieler vom Zuschauerraum aus betraten — wurde zur Tribüne der proletarischen Kampfentschlossenheit und Siegeszuversicht. Zu Stiftungsfesten der sozialdemokratischen Bildungsvereine, die als örtliche Vereine auch noch nach der GrünXV
dung der Partei bestehen blieben, wurde Theater gespielt, manchmal anstelle eines großen politischen Referats, manchmal als Höhepunkt eines vielseitigen Festprogramms. Zu den jahreszeitlichen Festen, zu Ostern, Pfingsten oder Weihnachten, später auch zum Ersten Mai, wurde Theater gespielt. Die Stücke wurden eigens zu diesem Zweck geschrieben und in den dramatischen Zirkeln der Bildungsvereine einstudiert. Sie mußten, da sie Teile eines Festprogramms waren, kurz sein und hatten nicht mehr als 30 bis 60 Minuten Spieldauer. Aus bühnentechnischen Gründen wechselten sie selten den Schauplatz. Die Anzahl der Personen war begrenzt. War ein Sprechchor oder Gesangschor nötig, agierte er von einem Platz von der Bühne oder von den Seitengängen des Saales. Der Inhalt mußte über den agitatorischen Charakter hinaus in zweiter Linie unterhaltend wirken. Erst in einer späteren Zeit, die dieser Band noch nicht behandelt, als die SPD revisionistischen Einflüssen zu erliegen begann, überwog gelegentlich der Unterhaltungscharakter in einem Maße und mit einem Niveau, welches das Arbeitertheater zum kleinbürgerlichen Vereinstheater herabwürdigte. Das Agitationsstück „Der Schlingel" (1867), mit dem wir die Herausgabe der Anfänge sozialistischer Dramatik beginnen, ist zweifellos nicht das erste dieser Art. Bereits im Vormärz haben Arbeiter Theater gespielt. Auf Initiative von Marx und Engels war 1847 i n Brüssel der „Bund der Kommunisten" begründet worden, die erste revolutionäre Organisation des deutschen Proletariats. Ebenfalls in Brüssel und im gleichen Jahr wurden auf einem sonntäglichen Fest des Brüsseler Deutschen Arbeiter-Vereins ein in wenigen Tagen geschriebenes und einstudiertes Stück aufgeführt, das die Mißwirtschaft in einem deutschen Kleinstaat und den Sturz des Fürsten durch eine Volksrevolution beschrieb. Der Text ist nicht mehr erhalten. Der Verfasser war kein anderer als Friedrich Engels, und die Darsteller waren Arbeiter und Angestellte. Diese Umstände der Entstehung und Aufführung blieben auch weiterhin für das Arbeitertheater typisch. So schreibt z. B. vierundvierzig Jahre später Franz Diederich, der in der sozialdemokratischen Presse eine XVI
eifrige publizistische Tätigkeit ausübte, das Festspiel „Wintersonnenwende". Er berichtet: „In ein paar Abendstunden wurde es im Dezember 1891 in Dortmund hingeschrieben, als wir eine Weihnachsfeier des Parteivereins bauten. Theater sollte durchaus gespielt werden, das gehörte damals dazu, aber ein geeignetes Stück fehlte, . . . Paul Voigt, der Goldarbeiter, spielte den Arbeitslosen, Fritz Nüchter, der Schriftsetzer, den Arbeiter und HansBlock, der Buchhändler, den Forscher." Nach der Niederlage der Revolution begann sich erst langsam aus den Fachvereinen, in denen Arbeiter verschiedener Berufe organisiert waren, eine neue Bewegung zu entwickeln, besonders als sich nach der Weltwirtschaftskrise des Jahres 1857 auch immer mehr Fabrikarbeiter zusammenschlössen. Seit 1859 entstanden in ganz Deutschland über die Fachorganisationen hinausgehende Arbeiterbildungsvereine, und seitdem entwickelte sich auch das Arbeitertheater in steigendem Maße. Die Bourgeoisie und das liberale Kleinbürgertum versuchten, durch Bildung sogenannter Volksvereine diese Bewegung einzudämmen und die Arbeiter unter ihren Einfluß zu bringen. In dieser Situation erfolgte die Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins durch Lassalle im Jahre 1863, der ersten großen deutschen Arbeiterorganisation, die aber durch den starken Einfluß Lasalles nicht zu einer politisch bewußten Kraft reifte, sondern eine verhängnisvolle Rolle in der Geschichte der Arbeiterbewegung spielte, was sich auch in der frühen Literatur der Arbeiterklasse und in den hier vorhandenen Stücken widerspiegelt. In den folgenden Jahren kam es zu scharfen Auseinandersetzungen zwischen den Lassalleanern und der wahrhaft klassenbewußten Arbeiterbewegung. Dieser politische Klärungsprozeß wurde durch die Tätigkeit der Ersten Internationale (1864—1872) entscheidend gefördert. Das Jahr 1867. und das Erscheinen des 1. Bandes des „Kapital", die Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Eisenach 1869 und der Vereinigungsparteitag in Gotha 1875 sind Kulminationspunkte der deutschen Arbeiterbewegung, die ihre Wirkung auch auf das frühe Arbeitertheater ausgestrahlt haben. In all diesen Jahren entwickelte sich das neue Menschenbild,
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Münchow, Dramatik I
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das den proletarischen Gestalten des Agitationsstückes sein Gesicht gibt. Im Jahre 1867, unmittelbar nach dem Erscheinen des „ K a p i t a l " schrieb der Lassalleaner Jean Ba-ptiste von Schweitzer den Schwank „ E i n Schlingel", den er eine nationalökonomisch-soziale Humoreske nannte. E r verfaßte sie zur Propagierung der Mehrwerttheorie in Arbeitervereinen. Ob Schweitzer dieses Stück aus D e m a gogie oder Geltungsbedürfnis, aus taktischen Gründen oder aus vorübergehender Bewunderung für das epochemachende W e r k des wissenschaftlichen Sozialismus geschrieben hat, ist für die Entwicklung des Arbeitertheaters von zweitrangiger Bedeutung. A u c h die T a t sache, d a ß sich gewisse Merkmale des Lasalleanismus in die Interpretation der Mehrwerttheorie eingeschlichen haben, wie z . B . die Forderung des ungekürzten Arbeitsertrages für den Arbeiter, ist nicht entscheidend. Wichtig ist, daß dieses Stück objektiv die intellektuelle und moralische Überlegenheit des durch den wissenschaftlichen Sozialismus geschulten Arbeiters reflektiert sowie das durch Drohungen und Gewaltmaßnahmen schlecht verdeckte zunehmende Unbehagen der herrschenden Klasse. A u s diesem Grunde ist der „Schlingel" jahrzehntelang, bis zum ersten Weltkrieg von Arbeitern vor ihren Klassengenossen mit E r f o l g gespielt worden. D a s Stück will belehrend wirken. In einem Streitgespräch des Fabrikarbeiters R o t h mit einem Großunternehmer und dem Ökonomen Dr. Fisch wird bewiesen, daß das Verhältnis zwischen K a p i t a l und A r b e i t , der Angelpunkt des kapitalistischen Wirtschaftssystems, ein Ausbeutungsverhältnis der Arbeiterklasse durch die Bourgeoisie ist. Der Verlauf des Gesprächs, in dem R o t h mit den verschiedensten Mitteln unter Druck gesetzt wird, sich aber durch nichts von seinem Standpunkt abbringen läßt, veranschaulicht den hartnäckigen, zähen K a m p f der Arbeiter gegen die Unternehmer und zugleich die sich aus diesem K a m p f ergebende revolutionäre Perspektive. D a s nach dramatischen Gesetzen aufgebaute Streitgespräch steht hier anstelle einer Handlung und gibt dem Stück seinen didaktischen Charakter. XVIII
Ein Seitentrieb des Hauptgesprächs über den Mehrwert ist der Wortwechsel zwischen dem Kommerzienrat, Dr. Fisch und dem Diener Johann, der den fragwürdigen Lebenswandel des Bourgeois enthüllt und den sozialkritischen Gehalt des Schwanks unterstreicht. Der komödienhafte Zug des „Schlingel" besteht darin, daß die Personen, die die Macht verkörpern, sich lächerlich machen und daß der Unterdrückte sich überlegen zeigt. Der Kommerzienrat, der in überheblich-belehrender, patriarchalischer und aufgeregt-unsicherer A r t Roth wie einen ungezogenen Schlingel behandeln zu dürfen glaubt, der phrasendreschende, mit geschwollener „Wissenschaftlichkeit" daherredende Dr. Fisch und der dummschlaue Diener Johann, der seinen Herrn trefflich bloßstellt, sind Lustspielfiguren. Roths trocken-logische Gesprächsführung erinnert an die Nüchternheit, die Franz Mehring am Vortrag Schweitzers hervorhob. Roth redet wie ein Advokat. Seine Schlagfertigkeit und Prinzipientreue geben ihm dennoch Züge eines proletarischen Helden. Wie viele Arbeiter ist er Vorsitzender eines örtlichen Arbeitervereins und schreibt Berichte für die sozialdemokratische Presse. E s gibt genug zeitgenössische Zeugnisse, die beweisen, wie in Festreden und Diskussionen einfacher Arbeiter eine Fülle aufkeimender Geisteskraft hervorbrach. Der Drechsler Bebel, der als 2ijähriger wandernder Handwerksbursch nach Leipzig kam, erst Mitglied, dann Vorsitzender eines Arbeitervereins war, mit 27 Jahren in den Reichstag gewählt und mit 29 Jahren zum Mitbegründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei wurde, ist ein besonders hervorragendes Beispiel. Aber der Emanzipationskampf des Proletariats wäre nicht gewonnen worden ohne die Masse der intelligenten und klassenbewußten Arbeiter. In diesem Sinne konnten die Arbeiter den Helden des Agitationsstückes „ E i n Schlingel" trotz seiner manchmal zu abstrakten Redeweise als einen der ihren bezeichnen. Als Ganzes ist „ D e r Schlingel" wegen der Erörterung der theoretischen Grundfragen jedoch eine schwere Kost und wenig abwechslungsreich. Anders verhält es sich mit August Otto-Walsters Lustspiel „ D e r verunglückte Agi2»
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tator oder Die Grund- und Bodenfrage" (1874). Wohl ist der Ausgangspunkt wie im „Schlingel" ebenfalls ein ökonomisches Problem. Die Überschwemmung Europas mit amerikanischem Getreide und Fleisch führte in den siebziger Jahren zu einer Agrarkrise, die die Lage der Bauernschaft und besonders ihrer ärmsten Schichten, bedeutend verschlimmerte. Auch die Tendenz dieses Stückes ist didaktisch. Der Autor hat es für städtische Arbeitervereine geschrieben, um die Mitglieder über die Verhältnisse auf dem Lande zu informieren und den von der Sozialdemokratie bisher vernachlässigten Kontakt zu Kleinbauern und ländlichem Proletariat zu verstärken. In einigen Gegenden Deutschlands war besonders das Elend der Land- und Waldarbeiter groß, sie mußten aufgeklärt und in eigenem Interesse für den Sozialismus gewonnen werden. Aus diesem Grunde ist die Frage der Landagitation ein besonders ernstes Anliegen des Stückes. Ja, es wird sogar im Zusammenhang mit dem Parteibeschluß über die Grund- und Bodenfrage vorgeführt, wie eine solche Landagitation aussehen muß. Doch wird dieses Anliegen nicht lediglich theoretisch erörtert, sondern in eine flotte und unterhaltungsreiche Handlung eingebettet. Das Ganze hat soviel heiteren Schwung, daß es, in Musik gesetzt, ein kleines ländliches Singspiel abgeben könnte. Die Personen sind differenziert gestaltet und haben, soweit sich ihre Charaktere in einer auf zwei kurze Akte zusammengedrängten Handlung entfalten können, typische und individuelle Züge. Das Stück hat auch Atmosphäre. Im ersten Akt, der auf dem Dorfplatz spielt, wo die Wege der Landbewohner zusammenlaufen, spürt man die frische, würzige Luft, in der sich die Gestalten bewegen. Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch die Heiterkeit, Schlagfertigkeit und Anmut der schönen Schulzentochter Leonore. Mit der Wahl des Schauplatzes ist Otto-Walster unter Umständen einer Volksstücktradition gefolgt, die beispielsweise auch Anzengruber im 1. Akt seines Schauspiels „Der Pfarrer von Kirchfeld" (1872) verwandt hat. Der zweite Akt im Versammlungsraum des Wirtshauses reflektiert eine politisch geladene Atmosphäre, die den Lustspielcharakter nicht aufhebt. XX
Die Eigenart und, wenn man will, Schwäche des Stückes besteht darin, daß es keinen gültigen Helden hat. Der junge Gelehrte Dr. Georg Lindner, der im Titel als verunglückter Agitator bezeichnet wird, ist die Mittelpunktfigur der Lustspielhandlung mit Verwechslungs- und Erkennungsszenen nebst der dazugehörigen „Liebe auf dem Lande". Man kann ihn jedoch nicht als dramatischen Helden bezeichnen, seine Gestalt hat keine festen Umrisse. Der Arbeiter Daschner, dessen Auftritt die politische Auseinandersetzung des 2. Aktes einleitet, ist zweifellos die profilierteste Gestalt. Er bringt als echter Agitator Ordnung in die etwas verwickelten Verhältnisse. Der dramatische Held ist er jedoch auch nicht. Eindrucksstark, bleibt er dennoch im Hintergrund, er agitiert, aber er handelt nicht. Für den positiven Helden steht hier die ganze Arbeiterklasse, vertreten durch Daschner als Repräsentanten des städtischen, geschulten Proletariats und den Schmiedegesellen Sommer als Sprecher der Waldarbeiter, Zimmerleute, Maurer, Mühlknappen, Stellmacher, Schuhmacher und Schneider, die eine sozialdemokratische Gruppe auf dem Lande bilden. Daschner verkörpert das politische und soziale Ethos jener heroischen Vertreter der deutschen Arbeiterbewegung, die Arbeiter waren oder ein Handwerk gelernt hatten, und viel Energie, Lernbegier und Opfermut aufbringen mußten, um die Sache der Unterdrückten erfolgreich verfechten zu können. Sehr wirksam ist die Konfrontation Daschners mit dem jungen Gelehrten, der sich zwar auch als Sozialdemokrat bezeichnet und auf Grund seines Universitätsstudiums meint, eine politische Rede aus dem Ärmel schütteln zu können, dabei jedoch kläglich scheitert. Das Korreferat Daschners hält sich eng an Wilhelm Liebknechts Broschüre „Zur Grund- und Bodenfrage", in der jene falschen Ansichten, die Lindner äußert, als Parole des Klassengegners widerlegt werden. Solche Auslegung, die Sozialdemokraten wollten den Boden teilen, hat Otto-Walster veranlaßt, seinen Daschner jene durch ihre Länge den Rahmen des Stückes sprengende Agitationsrede halten zu lassen. Er wollte den Mitgliedern des Arbeiterbildungsvereins konkretes Rüstzeug für ihre XXI
eigene politische Tätigkeit geben. Deshalb wird an dieser Stelle in allen Einzelheiten historisch nachgewiesen, warum Grund und Boden Gesellschaftseigentum sein und bleiben muß sowie gemeinsam nach dem „Fortschritt der Wissenschaft unterliegenden Regeln zu bebauen" ist von Leuten, „die hierzu Neigung, Fähigkeiten und Beruf besitzen". Das Sextett des Klassengegners: Rittergutspächter, Pfarrer und Schulze, Assessor, Registrator und Gendarm löst sich gewissermaßen in zwei Trios auf, in die örtliche Macht und den die Bürokratie verkörpernden Polizeiapparat. Die gleiche Tonart, die sie verbindet, ist der Haß gegen die bösen Sozialdemokraten, aber in sich sind sie uneins. Der Vertreter des Großgrundbesitzers und der Pfarrer kämpfen um die Vormachtstellung im Ort. Während der Pfarrer sich als Seelsorger tarnt und seine arbeiterfeindlichen Ziele, den schönen Schein wahrend, mit taktischem Geschick verfechten möchte, geht der Pächter dummdreist und plump vor: „Wozu brauchen diese Menschen sich zu versammeln, arbeiten sollen sie, das ist genug. Aber in den Versammlungen werden den Leuten alberne Dinge in den Kopf gesetzt von Menschenrechten, Menschenwürde und anderem Unsinn, als wenn so ein Arbeiter Menschenwürde brauchte." Der Dorfschulze redet beiden zum Munde, bewahrt sich aber mit Bauernschläue die Möglichkeit zum Kompromiß. Alle drei sind am Ende die Geprellten, denn die Versammlung, die sie verhindern wollten, findet doch statt. Das zweite Trio tritt während der Versammlung in Aktion, wo es sich von vornherein lächerlich macht. Der Assessor kann der Schlagkraft der Argumente Daschners nur mangelhafte historische Kenntnisse entgegensetzen. Registrator und Gendarm sind bloße Marionetten, sowie man eine selbständige Handlung von ihnen erwartet, offenbaren sie ihre Dummheit. Mit der „Kreisphysikal-Verordnung wegen Vorkommens von tollen Hunden" will der Gendarm die Versammlung sprengen. Wie in jeder Komödie ist auch hier hinter dem Komischen das Tragische verborgen. Hinter dem Ulk, den der Autor mit seinen komischen Figuren treibt, ist der Ernst der Lage der Arbeiterklasse sichtbar, der schwere Kampf der XXII
Sozialisten, die wenige Jahre später von Bismarck wirklich wie tolle Hunde gehetzt wurden. Gelegentlich wurde der Schauplatz eines aggressiven Agitationsstückes um seinen Inhalt zu tarnen ins Ausland verlegt, so in Kegels „Press-Prozesse oder Die Tochter des Staatsanwalts" (1876) oder in Scaevolas „Der entlarvte Spitzel" (1895). Der in unseren Band aufgenommene Zweiakter eines unbekannten Verfassers „Demos und Liberias oder Der entlarvte Betrüger" (1876) ist ein Beispiel für eine besondere Art von Agitationsstücken, in denen eine parteiliche Aussage über die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht an einem Stoff aus dem Alltagsleben getroffen, sondern gewissermaßen auf eine höhere Ebene gehoben wird, in die Allegorie oder in antikes Gewand gekleidet. Die Personen werden bewußt nicht als Individuen, sondern als Vertreter bestimmter gesellschaftlicher Kräfte gestaltet. Ursache ist nicht in erster Linie der Versuch, den direkt geführten Angriff zu tarnen, als vielmehr das echte Bedürfnis des frühen Arbeitertheaters, für besonders festliche Anlässe solche auch im sprachlichen Ausdruck, in Kostüm und Requisiten über den Alltag hinausgehobenen Stücke zu spielen. Unser Liebesdrama „Demos und Liberias" mit dem Untertitel „Der entlarvte Betrüger" ist eine Mischung von Festspiel und volkstümlicher Typenkomödie. Das Arbeitertheater setzt damit eine Tradition fort, die sich vom Volksstück der Renaissance bis zu Raimund und Nestroy fortgepflanzt hatte. Parasitus, Prototyp seiner Klasse, ist zugleich eine mit stark satirischen Mitteln gezeichnete, saftige, bühnenwirksame Komödienfigur. Demos, Liberias und Scientia sind allegorische Figuren. Demos verkörpert das werktätige Volk, Liberias mit der phrygischen Mütze der Französischen Revolution die Freiheit und Scientia die echte Wissenschaft, die wie der wissenschaftliche Sozialismus die Interessen des Volkes vertritt. Demos wandelt sich unter dem Einfluß der Wissenschaft und im Bündnis mit der Freiheit. Zu Anfang ist er aus Unwissenheit über die Ursachen seines Elends ein geduldiger und resignierender Mensch. Dann aber wirft er seine Ketten ab XXIII
und wird, selbständig handelnd, Herr der Lage zum Wohle der Menschheit. Das Stück ist 1876 veröffentlicht. Das 1875 auf dem Gothaer Parteitag beschlossene sozialdemokratische Programm hatte nicht die notwendigen Lehren aus dem Kampf der Kommunarden gezogen. Aber die Vereinigung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei mit dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein hat sich trotz hemmender lassalleanischer kleinbürgerlicher Einflüsse so aktivierend auf die Arbeiterpolitik ausgewirkt, daß die herrschende Klasse sich immer mehr bedroht fühlte. „Demos und Liberias" spiegelt beides wider: Klarheit über die Eigenschaften der Bourgeoisie und politische Zielstrebigkeit sowie die aus den Fehlern des Gothaer Programms erwachsenen schwerwiegenden Mängel. Treffend werden alle die Kräfte bezeichnet, die dem Kapitalismus zur Gängelung der Massen und zur Aufrechterhaltung seiner Macht dienen. Mit Hilfe des wissenschaftlichen Sozialismus in der Gestalt der Scientia wird Parasitus als Betrüger entlarvt. Er will der von Scientia angestrebten Vermählung von Demos und Liberias zuvorkommen und sich selbst mit ihr verbinden. Die Szene, in der Parasitus um Liberias buhlt, ist gedanklich und künstlerisch Höhepunkt und Wendung der dramatischen Handlung. Wir erleben das schamlose Werben des Kapitalismus um Libertas, wir nehmen die Anpreisung einer Scheindemokratie zur Kenntnis, der die Freiheit nichts weiter ist als die „Freiheit" des Geldbeutels, alles, was käuflich ist, zu erwerben und unter dem Mantel der „freien" Demokratie nicht vor Raub und Vergewaltigung zurückzuschrecken. Doch der Lauf der Geschichte ist nicht aufzuhalten, im Schöße des Kapitalismus wächst das Proletariat. Als Parasitus Libertas brutal knebelt, eilt Demos zornentbrannt zur Hilfe und befreit sie. Gegen Libertas in den Armen des Demos ist Parasitus machtlos, er muß abtreten. Bis zu diesem Punkt ist das Stück logisch, folgerichtig und überzeugend. Von dem Augenblick an, in dem Demos die Macht ergreift, bis zur Schlußapotheose des Volksstaates gerät der Gedankengang des ganzen Werkes vom bisher gezeigten Weg der Arbeiterklasse ab in kleinXXIV
bürgerliche Bahnen, indem es auf vom wissenschaftlichen Sozialismus längst überholte Ideen des utopischen Sozialismus zurückgeht. Den damaligen Zuschauer, der selbst nicht wußte, wie man den Weg zum Sozialismus beschreiten kann, mag diese Zukunftsstaatidee etwas berührt haben. Dem Leser von heute werden gleichsam die hauptsächlichen Fehler des Gothaer Programms noch einmal vorexerziert, wie sie Marx in seiner „Kritik des Gothaer Programms" bezeichnet hat. In „Demos und Liberias" wird nach der Machtergreifung des Demos der Klassengegner nicht enteignet; ohne Übergangsphasen, ohne die Aufrichtung der revolutionären Diktatur des Proletariats wird ein über den Klassen stehender Volksstaat gebildet und eine allgemeine Völkerverbrüderung nach dem Prinzip der „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" erreicht. Diese kindlich primitiven, der Klassenerkenntnis des Marxismus völlig fremden utopischen Gedanken reflektieren den schädlichen Einfluß des Lassalleanismus auf die Kampfbereitschaft und das Klassenbewußtsein der Arbeiter. Manfred Wittich hat sein geschichtliches Spiel „Ulrich von Hutten" (1887) im Auftrag des Leipziger Arbeiterbildungsvereins auf Vorschlag seines Vorsitzenden Friedrich Bosse geschrieben. Es sollte zum Reformationstag als Festspiel im Sinne der Arbeiterklasse gelten. Wir haben dieses Stück in unsern Auswahlband aufgenommen, weil es trotz seiner ideologischen Schwächen beispielhaft ist für die Bemühungen der jungen Sozialdemokratie, auch unter dem Terror des Sozialistengesetzes verschlüsselt sozialistische Forderungen zu agitieren und weil es überdies die Geschichtsauffassung innerhalb der damaligen Arbeiterbewegung widerspiegelt. Es geht hier um die Volksbewegung des 16. Jahrhunderts, um die Emanzipation von der Tyrannei der katholischen Kirche und der mit ihr verbundenen Fürsten und Herren. Das Stück spielt im Jahre 1521 zur Zeit des Reichstags zu Worms. Die Handlung rollt vor dem Hintergrund dieses historischen Ereignisses ab, dessen Ausgang das Volk noch nicht kennt, aber ahnt und mit seinen Gedanken XXV
und seinem Tun begleitet. Luther selbst tritt jedoch nicht auf. Zwei andere Ereignisse des Jahres 1521, die im Stück angedeutet werden, werfen ihre Schatten voraus: Hutten bietet Luther in Worms den Schutz der Reichsritterschaft an und verbündet sich mit Sickingen zur reichsritterlichen bewaffneten Rebellion. In diesem Zusammenhang wird auch in Wittichs Stück der schädliche Einfluß Lassalles sichtbar. Obwohl die Adelsrevolte im Leipziger Agitationsstück nur erwähnt ist, wird sie offensichtlich als revolutionäre Handlung gewertet. Diese Wertung entsprach der falschen Konzeption Lassalles, der die Niederlage des Aufstandes von Sickingen und Hutten der Niederlage der Revolution von 1848 gleichsetzte und die beiden Ritter in seinem Trauerspiel „Franz von Sickingen" (1859) zu revolutionären Helden machte. Marx und Engels haben in der berühmten „SickingenDebatte" des Jahres 1859 Lassalle gegenüber deutlich ausgesprochen, daß im 16. Jahrhundert in Deutschland eine nationale Revolution nur durch eine Allianz der Städte und Bauern hätte herbeigeführt werden können, daß aber eine Revolte des Adels von vornherein zum Untergang verurteilt war. Hutten und Sickingen vertraten zwar Ideen des Humanismus, zugleich aber verfochten sie im Gegensatz zu Florian Geyer, der sich von seinem Stand lossagte und die Sache der revolutionären Bauern zu seiner eigenen machte, ein reaktionäres Klasseninteresse. Das hat Wittich nicht erkannt. Zum andern wollte Wittich mit seinem Stück von vornherein keine umfassende Gestaltung der großen historischen Einzelpersönlichkeit geben. Nur die Eigenschaften und Tendenzen Huttens stehen im Mittelpunkt, die das Proletariat in seinem eigenen Kampf brauchte. Ein Vergleich mit der apologetischen Literatur dieser Zeit ist in diesem Zusammenhang ganz besonders aufschlußreich. C. F. Meyer hatte 1871 aus Begeisterung über die preußisch-deutsche Reichsgründung durch den von ihm bewunderten Bismarck sein Versepos „Ulrich von Hutten" geschrieben, das eine einzige Verherrlichung der großen Einzelpersönlichkeit war. Wittich ehrte Hutten als einen unerschrockenen Mann, der es gewagt hatte, für eine von XXVI
den Fesseln der Kirche befreite Wissenschaft einzutreten. Trotzdem führte diese Wertschätzung nicht zu einseitiger Verherrlichung. Als ein fahrender Schüler in Wittichs Festspiel seiner Sorge um Luther und Hutten Ausdruck verleiht, bedeutet ihm Letzterer: „Und wenn der Luther und der Hutten fällt, 's gibt mehr als einen Luther, einen Hutten." Als ein Landsknecht ein Hoch auf ihn ausbringt, wehrt er ab: „Dank Euch, Ihr Freunde! Dank! Doch laßt das Jubeln! Gilt's einem nur, was hilft's dem ganzen Volke! Gebt Euch! Und gebt den Jubel in der T a t ! " Diese Formulierungen sind nicht zufällig, sie sind ein wesentlicher Zug des Geschichtsbildes der Arbeiterklasse, wie es sich umfassend im historischen und dialektischen Materialismus manifestiert hat. Es ist auch nicht zufällig, daß dieses Festspiel während des Sozialistengesetzes entstanden ist. Die Arbeiter nahmen die Möglichkeit wahr zu bekennen, daß kein Ausnahmegesetz ihre Gesinnung ändern wird. Huttens Worte: „Den Bann ich achte gleich 'nem Gänseschnattern, und ewig kämpf' ich gegen Tyrannei, wer sie auch übe, Fürsten oder Pfaffen", sind an die Adresse des Fürsten Bismarck gerichtet. Huttens Lied in Wittichs Spiel hat nur entfernte Ähnlichkeit mit dem historischen „Ein neu Lied Herr Ulrichs von Hutten", es enthält verschlüsselt sozialdemokratische Forderungen. Wenn die Volksmenge am Schluß des Spiels die dritte Strophe von „Ein feste Burg ist unser Gott" singt: „Und wenn die Welt voll Teufel wär . . ." so werden die Mitglieder des Arbeitervereins das Gleichnishafte dieser Demonstration verstanden haben. Friedrich Engels hat dieses Lied die Marseillaise der Reformation genannt. Otto-Walsters „Grund- und Bodenfrage" gipfelte im Absingen der Arbeitermarseillaise: „Wohlan, wer Recht und Wahrheit achtet, zu unsrer Fahne steht zu Häuf". Unter Bismarcks Ausnahmegesetz durften die deutschen Arbeiter ihre Lieder nicht singen. Dennoch ist der Schluß des historischen Spiels identisch mit dem des älteren Agitationsstücks. Die Sprache des „Ulrich von Hutten" paßt sich dem 16. Jahrhundert an. Volkstümliche Sprechweise der Bauern und Handwerker wechselt mit der gehobeneren Huttens und der fahrenden Schüler, dementsprechend XXVII
steht neben ungebundener Rede, Knittelversen und unterbrochenen Reimpaaren der Volksdichtung der Blankvers des klassischen Dramas. Die Szene zwischen dem Bauern und den Landsknechten am Eingang des Stückes erinnert in sprachlichem Ausdruck und Atmosphäre an bestimmte Szenen aus Goethes „Götz von Berlichingen". Der Blankvers wird in allen Szenen verwendet, in denen Hutten auftritt. Sehr poetisch wirken die im Volksliedton eingestreuten Strophen der Trinkszene, in der die Landsknechte den gefüllten Helm kreisen lassen und jeden neuen Trunk mit einem Spruch würzen. Ebenso das zunftmäßige, heitere Zeremoniell, mit dem sich die Handwerksburschen begrüßen. Die dramatische Handlung, ausgehend vom Überfall der Landsknechte auf den Bauernhof und gipfelnd im streitbaren Zug nach Worms, wird durch das Auftreten immer neuer Personengruppen, die die verschiedenen Schichten des Volkes repräsentieren, sowie durch Streitgespräche vorangetrieben. Ein Kulminationspunkt der aufsteigenden Handlung ist die Auseinandersetzung über die Bedeutung der Wissenschaft im Leben des Volkes, die in ihrer Tendenz über die Problematik der Reformation hinausgeht und sich den Forderungen der Sozialdemokratie nähert. Den Höhepunkt bildet Huttens Auftreten gegen Tetzel.das in der Konsequenz bewirkt, daß der unbekannte Ritter als der in Acht und Bann getane Hutten erkannt wird. Die Spannung entsteht dadurch, daß die Menge zur Parteiergreifung für oder gegen Hutten gezwungen ist. Sie löst sich, indem Tetzel verjagt wird, die Landsknechte beschließen, an der Seite Sickingens zu kämpfen und die Menge nach Worms zieht. Um die Arbeiter in ihrem eigenen Kampf zu stärken, hat der Autor das revolutionäre Wollen Huttens in den Mittelpunkt gestellt, seine Niederlage und seinen einsamen Tod nicht einbezogen. Die Schwäche des Stückes beruht darin, daß die Bauern als die sozial am stärksten unterdrückte und damit am dringendsten an einer Veränderung der Verhältnisse interessierte Volksschicht gezeigt werden, aber gleichzeitig auch als die ideologisch am wenigsten entwickelte. Hutten ergreift Partei für die von den Landsknechten gequälten Bauern, sie selbst treten jedoch nicht in Aktion. XXVIII
Zu den wenigen Leuten, die auf der Seite Tetzeis stehen, gehören auch Bauern. Hier wird man an die dummen Bauern aus den Schwänken des Hans Sachs erinnert. Diese historisch fehlerhafte Einstellung Wittichs reflektiert die Unterschätzung der Bauernfrage durch die Sozialdemokratie der damaligen Zeit. Friedrich Bosses Schwank „Die Arbeiter und die Kunst" (1897) müssen wir von zwei Gesichtspunkten betrachten: von der künstlerischen Entwicklung seines Verfassers, der eine wichtige Rolle im frühen Arbeitertheater spielte, sowie vom Gegenstand, von der bereits eingangs bezeichneten Kunstdiskussion der Sozialdemokratie in der Mitte der neunziger Jahre. Friedrich Bosse hatte vorher schon sechs Stücke für Arbeiterbildungsvereine geschrieben. Von „Die Arbeitervereine haben doch eine Zukunft!" und „Der erste Mai" (beide 1890) über das Streikdrama „ I m K a m p f " (1892) führt eine gerade Linie zu „Die Arbeiter und die Kunst". Das letztgenannte Stück kann sogar in gewissem Sinne als Weiterführung des ersten bezeichnet werden. Der Personenkreis, hinter dem sich Bosse selbst mit seiner Familie, Freunden und Bekannten verbirgt, ist im wesentlichen identisch. Das Milieu einer Schusterwerkstatt hat der Autor, der den Beruf eines Malermeisters ausübte, vermutlich in Angleichung an den von ihm hochgeschätzten Hans Sachs gewählt, als dessen Nachfolger er sich im gewissen Sinne fühlte. Vom künstlerischen Standpunkt gab ihm das intime Werkstattmilieu bessere Möglichkeiten zur Erzeugung der gewünschten Gesprächsatmosphäre. „Die Arbeitervereine haben doch eine Zukunft!" wollte kurz vor Aufhebung des Sozialistengesetzes für den Arbeiterbildungsverein und die kulturellen und politischen Ziele der Sozialdemokratie werben. „Die Arbeiter und die Kunst" ist ein Zeugnis für die Weiterentwicklung der deutschen Sozialdemokratie in den neunziger Jahren. In den 1890 geschriebenen Stücken glaubte Bosse noch, das Proletariat könne seine Ziele nicht ohne Hilfe und Einfluß sympathisierender Bürgerlicher erreichen. In „Die Arbeiter und die Kunst" dagegen herrscht ein XXIX
selbstbewußter, überlegener Geist; die Arbeiter distanzieren sich von der Kunstrichtung der Bourgeoisie mit dem Ziel der Entwicklung einer proletarischen Kunst und Literatur. Schon in „Der erste Mai" traten die Arbeiter als Klasse mit präzisen politischen Forderungen in Erscheinung, allerdings ohne sich vom bürgerlichen Einfluß völlig freigemacht zu haben. In Bosses dramatischem Hauptwerk „Im Kampf" ist der Erfolg der Arbeiter kein Zugeständnis überal denkender Kapitalisten mehr, sondern das Ergebnis konsequenten proletarischen Kampfes, in dem bürgerliche Einflüsse strikt abgelehnt werden. Die künstlerischen Fortschritte zeigen sich im Zurücktreten der didaktischen Züge zugunsten einer gut aufgebauten und motivierten dramatischen Handlung sowie in einer differenzierten Kennzeichnung der Hauptfiguren. Diese ideologische und künstlerische Entwicklung hat sich günstig auf „Die Arbeiter und die Kunst" ausgewirkt. Bosse will mit seinem Stück zur Klärung des Problems Kunst und Proletariat beitragen, es ist also in der Hauptsache belehrender Natur. Dramatische Wirkung wird nicht nur durch die Zuspitzung des die Handlungsführung bedingenden Gesprächs erzeugt, sondern vor allem dadurch, daß die verschiedenen Meinungen zu Fragen der Literatur durch aus dem Leben gegriffene Personen vertreten werden. Wir erfahren nicht nur, wie die Sozialdemokratie zum Naturalismus stand, sondern lernen gleichzeitig typische Gestalten der Arbeiterbewegimg kennen: eine Leipziger Arbeiterfamilie der neunziger Jahre, einen Intellektuellen, der eine sozialdemokratische Zeitschrift herausgibt, und einen Arbeiterfunktionär. Kleine dramatische Effekte geben dem Stück Schwankcharakter. Eine komische Situation wird z. B. im 3. und 4. Auftritt erzeugt, als Frau Klaar und ihre muntere Tochter den Redakteur Willmers nicht erkennen und jener unfreiwillig recht drastische Meinungen über sein Blatt zu hören bekommt. Ferner wird die Handlung durch das sehr interessante Gespräch Klaars mit dem Redakteur Willmers und dem Funktionär Heine belebt. Hier prallen nicht nur drei verschiedene Meinungen, sondern auch drei ganz verschiedene Menschen aufeinander, XXX
von denen zwei dennoch durch gemeinsame Klassenzugehörigkeit verbunden sind. Die Lösung des Problems und damit der Handlung wollte Bosse am Schluß des Stückes durch die Heimkehr des jungen Klaar herbeiführen, der gewissermaßen die Schiedsrichterrolle spielen sollte. Dieser Schluß ist ihm nicht geglückt. Trotz der guten Ideen des Stückes bleibt am Ende das gleiche große Fragezeichen stehen, das er an der naturalistischen Dramatik beanstandete. Über die Kunstdiskussion hinaus erhält Bosses Stück seinen besonderen Akzent durch die positiven Frauengestalten, insbesondere durch die Gestalt der Frau Klaar. Damit erhält das frühe Arbeitertheater eine neue Note, die historisch bedingt ist. Nach dem Fall des Sozialistengesetzes hatten sich unter dem Einfluß Clara Zetkins erste Anfänge einer organisierten sozialistischen Frauenbewegung entwickelt. Auf dem Gothaer Parteitag von 1896 war die Frauenfrage offiziell von der Sozialdemokratischen Partei diskutiert worden. Frau Klaar ist klug und klassenbewußt, der Autor hat ihr deshalb in der Auseinandersetzung mit dem Naturalismus wesentliche Gegenargumente des Proletariats in den Mund gelegt. Durch materielle Sorgen etwas vergrämt und skeptisch geworden, wirkt sie dennoch kraftvoll wie eine echte Proletarierfrau, die sich nicht scheut, die Dinge bei ihrem Namen zu nennen, die nicht viel herumredet, sondern deutlich ihre Meinung sagt. „Wissen Sie," äußert sie gegenüber Willmers, dem Redakteur der „Zukunftsblume", „manchmal überkommt mich eine Wut, ich könnte gleich alles zermalmen!" Und dieser stellt nach einem Gespräch mit ihr fest: „Das ist aber eine Frau aus dem Volke, die kann einem ein Licht aufstecken! Da kann man ja bald in zwanzig Minuten mehr lernen, als wenn man ein ganzes Semester die Universität besucht! Das ist bald wie so ein bißchen Sturmluft, das tut dem schläfrigen Gehirn wirklich g u t ! " Meister Klaar, die mit verhaltenen Farben gemalte Mittelpunktfigur, wird als gewissenhafter, fleißiger Arbeiter und in Entbehrungen, Erfahrungen und auch durch Enttäuschungen gereifter Sozialdemokrat geschildert, der seine karge Freizeit mit Rat und Tat der Arbeiterbewegung XXXI
widmet. Seine Frau ist mit viel kräftigeren Strichen gezeichnet. Schon in der Sprechweise treten die individuellen Eigenschaften des Ehepaars hervor. Sie drückt sich anschaulich und derb aus, redet drauf los, wie es aus ihr herauswill, er wirkt dagegen sensibel und wägt seine Worte mit einer manchmal etwas müden Besonnenheit. Die Tochter Liesel, eine i6j ährige Fabrikarbeiterin, begeistert sich mit der ganzen Frische ihrer Jugend für Literatur und Kunst, deren Genuß ihr ein selbstverständliches Anrecht ist. Der Sohn Walter Klaar verkörpert die optimistische Haltung des politisch geschulten Arbeiters. Er ist in der Diskussion rücksichtsloser und schärfer als der Vater, dem er einmal sogar individualistische Anwandlungen vorwirft. Der Arbeiter Heine, der als einflußreiche Persönlichkeit innerhalb der Arbeiterbewegung bezeichnet wird, und Willmers, Schriftsteller und Redakteur der „Zukunftsblume", sind kritisch angelegte Charaktere. Ihre wichtigste Funktion in Bosses Agitationsstück besteht darin, extrem entgegengesetzte Ansichten zum Thema Kunst und Literatur zu äußern. In Bosses Stück wird ausgesagt, daß Themen wie Kunst und Volk, Literatur und Proletariat in letzter Zeit nur so in der Luft geschwirrt hätten. Anlaß zu dieser breiten Diskussion innerhalb der SPD waren zahlreiche Beschwerden über die Zeitschrift „Die Neue Welt", die jeweils in 200000 Exemplaren gratis der Parteipresse beigegeben wurde, also einen beträchtlichen Leserkreis hatte. Für den verantwortlichen Redakteur der „Neuen Welt", Edgar Steiger, war der Naturalismus mit seiner sozialen Thematik noch àie moderne Kunst, die er der Leserschaft seiner Zeitschrift imputieren wollte. Mit Recht entstand besonders große Empörung über den Abdruck zweier naturalistischer Romane, Hans Lands „Der neue Gott" und Wilhelm Hegelers „Mutter Bertha", die Steiger unbegreiflicherweise als lebenswahre Literatur bezeichnete. Die Diskussion griff auf die Presse über und wurde im Oktober 1896 schließlich in einer sich über zwei Tage erstreckenden Debatte auf dem Parteitag in Siebleben bei Gotha dahingehend beigelegt, daß Steiger versprach, in Zukunft die Auswahl der literarischen Beiträge für die „Neue Welt" gewissenhaften zu treffen. XXXII
Bosse kannte vermutlich die Diskussion in der „Leipziger Volkszeitung" sowie die Stellungnahme Mehrings in der „Neuen Zeit". Ein Vergleich mit dem Parteitagsprotokoll zeigt, daß er auch über die dort zu diesem Thema geführten Debatten informiert war. Mit Recht ist er auf Hans Land und Wilhelm Hegeler nicht eingegangen, sondern hat konkret nur an Ibsen und Hauptmann angeknüpft und im übrigen prinzipielle Dinge in den Mittelpunkt der Gespräche von „Die Arbeiter und die Kunst" gestellt. Willmers vertritt Ansichten Steigers, seine „Zukunftsblume" entspricht der „Neuen Welt". Steiger formulierte in der Parteitagsdebatte mit Anspielung auf die modernen Naturwissenschaften: „Das Mikroskop hat sozusagen uns eine neue Welt eröffnet, hat uns die moderne Kunst gegeben." Das entspricht den Äußerungen Willmers, die neue Kunst gebe sich redlich Mühe, alles Elend aus der ganzen Welt zusammenzutragen und mit „mikroskopischer Schärfe" bloßzulegen. Der Abgeordnete Molkenbuhr hielt Steiger entgegen: „Die Schilderung der Leiden eines Krüppels mag für einen Gesunden ein Kunstgenuß sein, nicht aber für den Krüppel, der dadurch noch mehr an seine Leiden erinnert wird. Der Arbeiter, der mit Not zu kämpfen hat, der in Zeiten der Arbeitslosigkeit schon zu einer gewissen Mißstimmung geneigt ist, kommt nicht zum Genuß der Kunst, wenn immer und immer nur die Not in den allerkrassesten Farben geschildert wird." Alle Delegierten stimmten darin überein, daß die Arbeiterpresse auf keinen Fall Tummelplatz bürgerlicher Literaturexperimente sein dürfe, daß, wie ein Bielefelder Delegierter formulierte, die Literatur so beschaffen sein müsse, daß sie den Arbeiter im Kampf aufrichtet. Dementsprechend stellt Frau Klaar in Bosses Stück drastisch fest, was die Arbeiter an der sogenannten neuen Kunst abstößt: „Ich habe an dem Elend in meiner Umgebung vollständig genug. Wenn man sich den ganzen Tag den Kopf zermartert hat, wie man es aus der Welt schaffen könnte, dann braucht man mir nicht abends (gemeint ist, wenn man nach des Tages Arbeit etwas lesen will, um neue Kraft zu schöpfen — U. M.) noch zu sagen: das ist menschliches Schicksal, Naturnotwendigkeit!" 3
Münchow, Dramatik I
XXXIII
Sie hat Ibsens „Gespenster" in der Freien Bühne gesehen und reagiert mit folgenden Worten darauf: ,,. . . mag er meinetwegen auch denen Strafpredigten halten, die sie verdient haben, aber warum sollen wir uns das bißchen Genuß noch verderben lassen, mit solchen gräulichen dunkeln Geschichten! Ich will meine Erholung, meine Erbauung haben." Mit solchen Worten will eine Frau Klaar nicht der Schönfärberei oder irgendwelchen Marlittiaden zum Munde reden, sie will nur ausdrücken, daß der Arbeiter eine Kunst braucht, die ihm in seinem Kampf hilft. Schiller strömt diese Kraft aus. Trotzdem braucht das Proletariat eine seinen Verhältnissen angepaßte Kunst. Sie weist auf die Worte ihres Mannes hin, das Proletariat müsse sich seine Kunst erst erobern. Es wird in Bosses Stück deutlich ausgesprochen, daß das Proletariat allein der Träger einer wirklich neuen Kunst sein kann. Das erinnert an den ersten Dichter des deutschen Proletariats, Georg Weerth, der schon 1845 den Ausdruck gebrauchte, der Arbeiter werde einst in den Stand gesetzt, „eine frische Literatur, eine neue, gewaltige Kunst durch die Welt zu führen." Walter Klaar spricht es aus, daß eine proletarische Kunst erst wirksam werden könne, wenn die Lebensverhältnisse sich grundlegend verändert haben, und das würde nur durch Klassenkampf möglich sein. Eine proletarische Kunst wird sich in dem Maße entwickeln und durchsetzen, wie sich der Klassenkampf verschärft und Boden gewinnt. An die Adresse von Willmers gerichtet, wird aufgezeigt, wie die neue Kunst aussehen müsse. „Hüllen Sie sich nicht in dunkles, mystisches, noch schillerndes Märchengewand." - „Stellen Sie sich mit uns in Reih und Glied, aber wühlen Sie nicht den Schmutz hinter uns und neben uns auf, sondern tragen Sie uns die Fahnen voran in Kampf und Streit." Damit ist formuliert, was man an der neuen bürgerlichen Kunst vermißt, aber wenig über das wirklich Neue der proletarischen Kunst. Der Zusammenhang von Klassenkampf und proletarischer Kunst ist das Höchste, was Bosse über ihre Merkmale auszusagen vermochte. Aber alles weitere bleibt im Dunkeln. Durch den Mund des alten Klaar teilt er mit, man könne die große Masse durch die Kunst nur aufXXXIV
rütteln, wenn gezeigt wird, „daß der Sohn des Volkes sich nie zu Boden drücken lassen darf, sondern unentwegt, trotz alledem sein großes Ideal, die endliche Menschenbefreiung durch den Menschen vor Augen behalten muß." Aber das sind allgemeine, wenn auch zweifellos sehr ernst gemeinte Wünsche, die außer der Notwendigkeit des Klassenkampfes keinen realen Hintergrund haben. Hiermit bezeichnen wir eine allgemeine Schwäche des frühen sozialistischen Agitationsstückes. „Die Arbeiter und die Kunst" enden zwar nicht wie „Demos und Liberias" in der Utopie, schließen aber ebensowenig den Weg der proletarischen Revolution und der Diktatur des Proletariats ein. Der alte Klaar will von seinem Sohn hören, auf welche Weise das Proletariat seine Kräfte gebrauchen lernen soll, und dieser antwortet ihm: „Wie anders als dadurch, daß wir uns über alles Kenntnis verschaffen und dann die Kenntnisse für unser eigenes Wohl verwerten. Volksbildung, genossenschaftliche Tätigkeit muß uns auf allen Gebieten vorwärts bringen." Diese Fehler und Schwächen sind wie in „Demos und Liberias" historisch bedingt bzw. reflektieren den ideologischen Entwicklungsstand der damaligen SPD. Das Erfurter Programm von 1891 hatte die Kritik Marx' und Engels' am Gothaer Programm im allgemeinen berücksichtigt, enthielt aber weder Hinweise auf das revolutionäre Kampfziel einer bürgerlich- demokratischen Republik, noch die direkte Forderung nach der Diktatur des Proletariats. Die deutsche Sozialdemokratie hatte zwar mit ihrer Hauptorientierung auf den parlamentarischen Kampf die Führung in der internationalen Arbeiterbewegung erhalten, aber diese Taktik war unzureichend, die Mehrheit der sozialdemokratischen Führung ließ eine so entscheidende Grundfrage des Klassenkampfes wie die Eroberung der Macht durch die Diktatur des Proletariats unbeachtet. Dieser Grundfehler trug nach dem Tode von Marx und Engels und dem Eintritt Deutschlands in die Periode des Imperialismus viel dazu bei, daß der Revisionismus sich in den Reihen der SPD ausdehnen konnte. Der Keim dieser Entwicklung ist bereits in dem völlig unzureichenden Schluß von „Die Arbeiter und die Kunst" und auch schon in der Gestalt des vom Autor 3*
XXXV
allerdings bewußt kritisch angelegten sozialdemokratischen Redakteurs kleinbürgerlicher Herkunft zu erkennen. Insofern ist das Stück, wie alle vorhergehenden, ein interessantes Zeitdokument. Über den oben aufgezeichneten agitatorischen und künstlerischen Wert hinaus ist Bosses Schwank auch im Hinblick auf die Weiterentwicklung des frühen Arbeitertheaters historisch interessant. Auf ihm liegen bereits Licht und Schatten der sich seit den goer Jahren immer weiter ausbreitenden Volksbühnenbewegung, die es den Arbeitern für billiges Geld ermöglichte, Dramen der Weltliteratur von Berufsschauspielern aufgeführt zu erleben. Trotz der in „Die Arbeiter und die K u n s t " enthaltenen richtigen Forderung, daß eine Literatur, die auf der Höhe der Zeit stehen will, vom Standpunkt des Arbeiters geschrieben sein muß, werden über bescheidene Andeutungen hinaus die Anfänge eines eigenständigen Arbeitertheaters nicht gewürdigt. Es war selbst Leuten wie Bosse nicht bewußt, daß die Arbeiterbewegung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits den Grundstein der von ihr angestrebten sozialistischen Literatur gelegt hatte. Die Ausbreitung der Volksbühnenbewegung und die kurzsichtige Kulturpolitik der SPD trugen in der Folge dazu bei, daß das Arbeitertheater immer mehr lediglich als Ersatz für das große Berufstheater gewertet wurde und nicht als Anfang einer sozialistischen Literaturbewegung. Jetzt ist es an der Zeit, auch diesem Beginn die rechte Würdigung zukommen zu lassen.
XXXVI
EIN SCHLINGEL EINE NATIONALÖKONOMISCH-SOZIALE
HUMORESKE
I N E I N E M AKT
von Jean Baptiste
von
Schweitzer
PERSONEN
Der Commerzienrath, Großfabrikant Dr. Fisch, Stadtökonom Roth, Arbeiter Johann, Diener beim Commerzienrath (Salon beim
Commerzienrath)
(Commerzienrath,
Johann.)
COMMERZIENRATH:
Johann, hole den Schlingel herauf! JOHANN:
Welchen Schlingel, Herr Commerzienrath? COMMERZIENRATH :
Frag' Er nicht so einfältig, den Schlingel, der den braven Arbeitern den Kopf verdreht, der theilen will. — Hole ihn! JOHANN:
Sofort, Herr Commerzienrath! (Will
gehen.)
COMMERZIENRATH :
Halt, Johann! Ist der Herr Dr. Fisch noch bei meiner Frau? JOHANN:
Jawohl, Herr Commerzienrath! COMMERZIENRATH :
Sage ihm, er soll nicht fortgehen, er soll bleiben. Ich könnte ihn nöthig haben. JOHANN:
Ganz wohl. (Ab.) (Der Commerzienrath geht unruhig auf und ab, zuweilen ein auf dem Tisch liegendes Zeitungsblatt in die Hand nehmend. Nach einer Pause erscheint der Arbeiter Roth.)
3
COMMERZIENRATH:
Setzen Siesich, junger Mann. Ich interessiere mich für Sie. ROTH:
Wie komme ich zu dieser Ehre, Herr Commerzienrath? CoMMERZIENATH:
Sie sind ein strebsamer junger Mann. Aber Sie befinden sich auf traurigen Irrwegen. ROTH:
Wie so? COMMERZIENRATH :
Sie haben sich einem berüchtigten Arbeiterverein angeschlossen, welcher die verwerflichsten Irrlehren verbreitet, ja Sie leiten sogar diesen Verein am hiesigen Platz. Mehr noch! Sie schicken sogenannte Arbeiterberichte und Arbeitereinsendungen an ein Blatt, welches ich aus Schonung für Sie nicht näher bezeichnen will. Sie stehen in unausgesetzter Verbindung mit diesem Schandblatt. Wagen Sie nicht, es zu leugnen; dies würde nur die äußerste Verstocktheit beweisen. ROTH:
Ich leugne es nicht. COMMERZIENRATH :
Wie, Sie leugnen es nicht einmal, Sie tragen Ihre Schande offen zur Schau? Wissen Sie, daß dies ein Zeichen äußerster Verderbniß ist? ROTH:
Aber, Herr Commerzienrath . . . COMMERZIENRATH
(einfallend):
Widersprechen Sie nicht, junger Mann, Sie verwickeln sich immer tiefer. Ich werde Ihnen wöchentlich einen halben Thaler mehr geben, wenn Sie von Ihren Irrwegen zurückkommen und sich ruhig verhalten. 4
ROTH:
Ich kann nicht. COMMERZIENRATH:
Ich will Ihnen sogar einen ganzen Thaler mehr geben. ROTH:
Ich kann nicht. COMMERZIENRATH:
Sie sind also verstockt. Gut! Ich werde Ihnen beweisen, daß Sie den Leuten Unsinn vorschwatzen in Ihren Versammlungen. Ich habe in der Zeitung lesen müssen, daß Sie wiederholt von „Ausbeutung der Arbeit durch das Kapital" gesprochen haben. Was verstehen Sie unter dieser dummen Redensart? ROTH:
Ich verstehe unter diesem Ausdruck, daß das Kapital von dem Arbeitsertrage, welcher von Rechtswegen der Arbeit zukömmt, den besten Theil an sich zieht. COMMERZIENRATH:
So? Ich werden Ihnen das Gegentheil beweisen. Ich habe Sie extra deswegen kommen lassen. ROTH:
Ich bin begierig, Herr Commerzienrath. COMMERZIENRATH:
Geben sie zu, daß die Arbeitskraft eine Waare ist, die sich wie jede andere auf dem Markte kauft und verkauft? ROTH:
Unter den heutigen Verhältnissen - j a ! COMMERZIENRATH:
Sehen Sie nicht ein, daß, wenn ich eine Waare auf dem Markte gekauft habe, ich berechtigt bin, sie beliebig zu verwenden? 5
ROTH:
JaCOMMERZIENRATH:
Daß also, wenn ich z. B. ein Pferd für einen Tag gemiethet, d. h. dessen Gebrauch für einen Tag gekauft habe, Niemand mir verwehren kann, den ganzen Tag über das Pferd zu benutzen? ROTH:
JaCOMMERZIENRATH (triumphirend) :
Sehen Sie also nicht ein, daß, wenn ich eine Arbeitskraft auf dem Markte um einen gewissen Lohn für acht Tage gekauft habe, es der Gerechtigkeit entspricht, daß ich sie die ganzen acht Tage über muß gebrauchen können? ROTH:
Nein. COMMERZIENRATH
(aufspringend)-.
Wie? Sie unterstehen sich? (Sich nein! Nehmen wir wieder Platz.
wieder setzend.)
Nein,
ROTH:
Ich bin noch gar nicht aufgestanden. COMMERZIENRATH:
Der Eifer für die gute Sache hat mich einen Augenblick hingerissen. Kommen wir auf unsern Gegenstand zurück. Welcher Unterschied soll sein zwischen einem Gaul und einem Arbeiter? Wer das Pferd, d. h. seine Kräfte, gemiethet hat, der hat ein Recht auf Verwendung der Kräfte; wer den Arbeiter, d. h. seine Arbeitskräfte, gemiethet hat, hat gleicherweise ein Recht auf Verwendung dieser Arbeitskraft. Sehen Sie das ein, Johann? JOHANN:
Sofort, Herr Commerzienrath. 6
COMMERZIENRATH:
Sehr gut, Johann! Dieser Johann ist doch ein äußerst intelligenter Mensch. Sie sind jetzt wohl auch einverstanden, lieber Herr Roth? ROTH:
Nein. COMMERZIENRATH:
Wie, noch nicht? Welcher Unterschied ist zwischen dem Gaul und dem Arbeiter? Ich frage, welcher Unterschied ist zwischen dem Gaul und dem Arbeiter? ROTH:
Ich werde der Sache schon auf den Leib rücken. COMMERZIENRATH:
Sprechen Sie! ROTH:
Sie kaufen für Ihre Fabrik Rohstoffe ein, Herr Commerzienrath, oder vielmehr der Herr Direktor kauft sie ein. Finden Sie-nicht, wenn Sie ihre Fabrikate verkaufen, daß sich im Erlös derselben das Geld, welches Sie für die Rohstoffe verausgabt haben, wiederersetzt? COMMERZIENRATH:
Natürlich! Verlangen Sie von mir, daß ich mit Verlust arbeite? ROTH:
„Arbeiten lasse", wollen Sie sagen. COMMERZIENRATH:
Machen Sie keine Redensarten, sondern antworten Sie. Arbeiter sind wir Alle. Verlangen Sie von mir, daß ich mit Verlust arbeite? ROTH:
Durchaus nicht. Ich will nur feststellen, daß das für Rohstoffe verausgabte Geld sich durch den Verkauf der
7
Fabrikate wieder ersetzt. Sie haben ferner, Herr Commerzienrath, in Ihrer Fabrik eine Menge von Arbeitsmitteln, z. B. Maschinen, Werkzeuge und dergl. Diese Arbeitsmittel nutzen sich durch ihren Gebrauch ab. Ersetzt sich nicht der durch die Abnutzung entstandene Schaden durch den Verkauf der Fabrikate? COMMERZIENRATH:
Versteht sich! Verlangen Sie von mir, daß meine Maschinen mit Schaden arbeiten? ROTH:
Ihre Maschinen „arbeiten" auch? COMMERZIENRATH:
Warum denn nicht? Arbeiter sind wir Alle. Aber fahren Sie fort. ROTH:
Sie haben auch Pferde für den Transport. Auch diese Pferde nutzen sich ab. Ersetzt sich im Verkauf der Fabrikate nicht allmälig auch der Werth der Pferde? COMMERZIENRATH:
Fragen Sie doch nicht so einfältig! Verlangen Sie von mir, daß meine Pferde mit Schaden arbeiten? ROTH:
Im Gegentheil! Arbeiter sind wir Alle; ich, die Maschinen, die Gäule, Sie . . . COMMERZIENRATH (einfallend) :
Machen Sie keine schlechten Witze, sondern fahren Sie fort ROTH:
Die Arbeitskräfte, welche sie brauchen, kaufen Sie gleichfalls ein; sie zahlen den Kaufpreis dafür im Lohne. Ersetzen sich die gezahlten Löhne durch den Verkauf der Fabrikate? 8
COMMERZIENRATH:
Natürlich! Wollen Sie denn durchaus, daß ich mit Verlust arbeite? ROTH:
Wie werd' ich das einem Collegen zumuthen? COMMERZIENRATH:
„Collegen"? Was fällt Ihnen ein! ROTH :
Sind Sie nicht auch „Arbeiter"? COMMERZIENRATH:
Was unterstehen Sie sich? ROTH:
Sagten Sie nicht selbst: „Arbeiter sind wir Alle"? COMMERZIENRATH:
Sie haben Recht. Ich vergesse es zuweilen. Fahren Sie fort. ROTH:
Also der Einkaufspreis sämmtlichen Materials, ferner der durch die Abnutzung der Arbeitsmittel, Gebäude u.s. w. erwachsene Schaden, endlich die gezahlten Löhne — das Alles ersetzt sich durch den Erlös beim Verkauf der Fabrikate? COMMERZIENRATH:
Allerdings. ROTH:
Das Rohmaterial, die Arbeitswerkzeuge, kurz alles, was Sie zur Fabrikation brauchen, haben Sie zu seinem Werthe angekauft und dieser Werth ersetzt sich im Verkaufspreise Ihrer Fabrikate? COMMERZIENRATH:
Ja. 9
ROTH :
Auch die Arbeitskraft Ihrer Arbeiter haben Sie wohl zu ihrem richtigen Werthe angekauft? COMMERZIENRATH:
Versteht sich. (Wichtig.) Der Preis der Arbeit wird durch ökonomische Gesetze geregelt; ich zahle den Lohn diesen Gesetzen gemäß. Wo wollen Sie denn eigentlich mit Ihren Fragen hinaus? ROTH:
Auch die Löhne ersetzen sich durch den Verkauf der Fabrikate. Alle Ihre Auslagen ersetzen sich also. Aber wenn alle Ihre Auslagen sich ersetzt haben — haben Sie dann nach Verkauf Ihrer Fabrikate keinen Gewinn mehr für sich übrig? COMMERZIENRATH:
Verlangen Sie denn, daß ich umsonst arbeite. Bin ich nicht Arbeiter wie Sie? Gebührt mir vielleicht nicht für meine geistige Leitung ebensogut ein Lohn, wie Ihnen für Ihre Handarbeit? ROTH:
Soviel ich weiß, besorgt Ihr Herr Direktor für 2000 Thaler jährlich die gesamte Leitung. COMMERZIENRATH:
Aber ich mußte ihn doch anstellen, muß ihn überwachen. ROTH:
Wie kommt es, daß Sie für diese Arbeit, die Ihnen täglich keine viertel Stunde wegnimmt, jährlich vielleicht 20000 Thaler beziehen, während ich, Ihr College, für meine täglich i4stündige nur 200 Thaler jährlich habe? COMMERZIENRATH:
Was geht denn das Sie an? Haben Sie mir nicht selbst Ihre Arbeitskraft um 4 Thaler wöchentlich verkauft? 10
ROTH:
Ohne Zweifel. Aber ich möchte Eines noch wissen. Wenn also Ihre Auslagen durch den Verkauf der Fabrikate gedeckt sind, so haben Sie noch einen Gewinn von 20000 Thaler jährlich übrig. Es ist also neu entstandener Werth da. Sie werden nicht behaupten wollen, daß dieser Ueberschuß, dieser neuentstandene Werth durch Ihre Beaufsichtigung des Herrn Direktors entstanden ist. Wie also ist er entstanden? Wo kommt er her? COMMERZIENRATH:
Fragen Sie kein einfältiges Zeug! ROTH:
Ich will wissen, wie dieser neue Werth entstanden ist. COMMERZIENRATH:
Ich sage Ihnen, Sie sollen kein einfältiges Zeug fragen. ROTH:
Wo kommt dieser neue Werth her? Wer hat ihn hervorgebracht ? COMMERZIENRATH :
Ich will nicht hoffen, daß Sie sich hier schlingelhaft aufführen wollen. ROTH:
Sie haben selbst diese Unterredung angefangen. Ich frage, wer hat den neuen Werth, den Sie in Gestalt von 20000 Thalern einziehen — wer hat ihn geschaffen? COMMERZIENRATH:
Ich glaube gar Sie wollen mich ärgern. ROTH:
Durchaus nicht! Sie sind Arbeiter wie ich und müssen sich auch für diese Fragen interessiren. COMMERZIENRATH:
Sie haben Recht; ich habe Sie kommen lassen, um Ihnen 11
Ihre Irrthümer, Ihre unmoralische Begriffsverwirrung nachzuweisen. ROTH:
So antworten Sie — wo kommt der neuentstandene Werth her; wer hat ihn geschaffen? COMMERZIENRATH:
Ja, wo kommt der neu entstandene Werth her? . . . Johann? JOHANN:
Zu Befehl, Herr Commerzienrath! COMMERZIENRATH:
Der Herr Dr. Fisch soll augenblicklich herkommen. JOHANN:
Sofort, Herr Commerzienrath. (Geht ab.) (Commerzienrath und Dr. Fisch mit Johann
Roth verharren eintritt.)
schweigend
bis
COMMERZIENRATH :
Gut, daß Sie da sind, lieber Doktor. Hier dieser junge Mensch ist — Sie wissen schon — der, von dem wir gesprochen haben. D R . FISCH (mit
strenger
Miene):
Und diesen Verworfenen finde ich bei Ihnen? COMMERZIENRATH :
Es ist ein strebsamer junger Mann, für den ich mich interessire, und den ich von seinen unmoralischen Irrthümern zurückzubringen wünsche. DR. FISCH:
Daran erkenne ich Ihr edles Herz. Seien Sie mir willkommen, junger Mann! COMMERZIENRATH :
Ich war gerade damit beschäftigt, ihm seine Irrthümer nachzuweisen. Es wäre mir ein Leichtes gewesen, seine 12
falschen Behauptungen zu widerlegen, aber ich wollte es Ihnen, dem Mann der Wissenschaft, überlassen. DR. FISCH:
Wir haben keinen höheren Wunsch, als unsere Wissenschaft im Interesse des Volkes zu verwenden. COMMERZIENRATH:
Daran erkenn ich Ihren vielgerühmten Edelmuth. ROTH:
Ich möchte bitten, zur Sache zu kommen. COMMERZIENRATH:
Ihr Wunsch ist gerechtfertigt. Sprechen Sie. ROTH:
Ich habe folgende Frage gestellt: Wenn Sie, Herr Commerzienrath, Fabrikate verkaufen, so finden Sie, daß alles verbrauchte Kapital, alle Auslagen sich im Verkaufspreise ersetzen. Sie finden aber überdies, daß Sie noch etwa 20000 Thaler im Jahre übrig haben. Es ist also ein neuer Werth entstanden. Wer hat diesen neuen Werth geschaffen; wo kommt er her? COMMERZIENRATH:
Ja, lieber Herr Doktor, wir möchten hören, wo dieser neue Werth herkommt. D R . FISCH:
Wie kann man einen Augenblick im Zweifel sein! Diese 20000 Thaler, Herr Commerzienrath, sind Ihr Entbehrungslohn. COMMERZIENRATH:
Wie heißt, Entbehrungslohn? D R . FISCH :
Der Lohn für Ihre Entsagung, für Ihre Entbehrungen. COMMERZIENRATH :
Ich, Entbehrungen? Machen Sie keine schlechten Witze, 4
Münchow, D r a m a t i k I
13
lieber Doktor. Wollen Sie meinem Kredit schaden, wenn Sie aussprengen, ich lege mir Entbehrungen auf? D R . FISCH :
Aber, ich begreife Sie nicht, Herr Commerzienrath. Das Kapital, mit welchem Sie arbeiten, wäre nicht vorhanden, wenn Sie sich nicht die Entsagung, die Entbehrung auferlegt hätten, dasselbe nicht zu konsumiren, sondern zu sparen. Ich hatte die Ehre, Ihnen die Lehre von Entbehrungslohn genau auseinander zu setzen — vorigen Montag Abend. — COMMERZIENRATH :
Montag Abend? Wo waren wir denn Montag Abend? JOHANN:
Bei Fräulein Metella. Der neue Champagner war gerade gekommen und . . . COMMERZIENRATH :
Still, Esel! Was mischt Er sich in eine wissenschaftliche Unterredung, von der Er nichts versteht? JOHANN:
Der Herr Commerzienrath haben gefragt. — COMMERZIENRATH :
Maul halten, sag' ich. D R . FISCH:
Montag Abend — wir hielten eine Konferenz über die soziale Frage und das Wohl der arbeitenden Klasse . . . COMMERZIENRATH :
Ganz recht! und bei dieser Gelegenheit — am Montag Abend hätten Sie von einem „Entbehrungslohn" gesprochen? D r . FISCH :
Ausführlich! Sie waren zufällig auf die Arbeiteragitationen zu sprechen gekommen und hatten Ihrer gerechten
H
Entrüstung über die Ausschweifung derselben Worte geliehen. COMMERZIENRATH:
Ich erinnere mich nicht das Geringste! D R . FISCH :
Mir unbegreiflich. COMMERZIENRATH:
Ich muß in bewußtlosem Zustande gewesen sein — aus Ermüdung! D R . FISCH :
Sie hatten jedenfalls viel studirt den Abend. Die große Anstrengung . . . COMMERZIENRATH:
Ganz recht! Aber fahren Sie fort, vom „Entbehrungslohn" zu sprechen. Die Sache ist noch nicht ganz klar. D R . FISCH :
Sehen Sie denn nicht ein, Herr Commerzienrath, daß es nur Ihrer Sparsamkeit, Ihrer Enthaltsamkeit zu danken ist, wenn das Kapital existiert, mit welchem Sie arbeiten, und durch welches so viele arme Arbeiter Beschäftigung und Nahrung und dadurch Unterkommen und Lebensglück finden? Bedenken Sie denn nicht, daß Sie Ihre Einnahmen, statt sie zu sparen, immer hätten verausgaben und verjubeln können. Der Kapitalprofit, den Sie beziehen, ist also nichts anderes, als der gerechte Lohn für ihre Entsagung als kapitalansammelnder Wohltäter der Menschheit; es ist, mit einem Wort, Ihr Entbehrungslohn. COMMERZIENRATH :
Die Sache beginnt mir einzuleuchten. D R . FISCH:
Nichts macht Ihrem Herzen mehr Ehre, als daß Sie selbst bisher Ihr Verdienst nicht genügend gewürdigt haben. 15
COMMERZIENRATH:
Vortrefflich, lieber Doktor! ROTH:
Erlauben Sie mir eine Frage, Herr Doktor! D R . FISCH :
Fragen Sie nur, junger Mann, ich bin ja da, um Sie von dem Wege des Irrthums und des Lasters auf den Pfad der Wahrheit und der Tugend zurückzuführen. ROTH:
Danke schön, Herr Doktor! Ich wollte nur Eines wissen. Sie sagen, der Herr Commerzienrath habe früher seine Einnahmen nicht verjubelt, sondern „gespart", und darum habe er jetzt so viel Kapital. Dies war der Sinn, nicht wahr? D R . FISCH :
Ganz recht. ROTH:
Wenn der Herr Commerzienrath von den 20000 Thalern, die er jährlich einnimmt, 10000 Thaler für sich verbraucht, wovon man doch ziemlich ohne „Entbehrungen" leben kann, so bleiben ihm 10000 Thaler zum „Sparen". Was wird aus diesen 10000 „gesparten" Thalern? D R . FISCH :
Sehr einfach! Der Herr Commerzienrath legt sie in seinem Geschäft an und dieselben tragen ihm einen entsprechenden weiteren Kapitalprofit ein. ROTH:
Vielleicht 1000 Thaler jährlich. D R . FISCH:
Mag sein. ROTH:
Also, Herr Doktor, besteht die ganze Verlegenheit des Herrn Commerzienraths darin, ob er jährlich 10000 16
Thaler mehr verjubeln oder ob er, wenn er dies nicht thut, in Zukunft außer den 10000 Thalern jährlich noch 1000 Thaler mehr einnehmen will. Kurz, seine Verlegenheit war von jeher und ist in fortwährend zunehmendem Maße auch in Zukunft diese, ob er Geld ,,verjubeln" oder ob er noch reicher werden will, als er ist. D R . FISCH :
Das heißt — in einem gewissen Sinn — beziehungsweise . . . ROTH:
Und dafür, daß ein Mensch in dieser Verlegenheit ist, bezieht er einen „Entbehrungslohn"? Welcher Entbehrungslohn gebührt dann uns, die wir uns oft in ganz anderen Verlegenheiten befinden — z. B. in der Verlegenheit, ob wir lieber hungern oder lieber frieren wollen. Wie groß muß dann unser „Entbehrungslohn" sein, Herr Doktor? D R . FISCH :
Vergessen Sie nicht, daß diese ökonomischen Verhältnisse auf ewigen und unwandelbaren Naturgesetzen beruhen. ROTH:
Es ist nicht wahr. Es sind Gesetze, welche das Vorhandensein der heutigen gesellschaftlichen Einrichtungen zur Voraussetzung haben und die mit diesen Einrichtungen wegfallen werden. D R . FISCH:
Sie scheuen sich ja nicht, die obersten Grundsätze unserer Wissenschaft zu leugnen. ROTH:
Ihrer Wissenschaft — ja, aber nicht der Wissenschaft überhaupt. — Ich habe noch eine Frage, Herr Doktor. D R . FISCH:
Was wollen Sie denn noch? Ich kann doch unmöglich alle Ihre unverständigen Fragen beantworten.
17
COMMERZIENRATH:
Aber, lieber Doktor, bedenken Sie doch, daß wir diesen jungen Menschen hier haben, um ihn von seiner lasterhaften Begriffsverwirrung zu heilen und daß wir ihn also belehren müssen. DR. FISCH:
Natürlich, Herr Commerzienrath! Ich wollte Herrn Roth auch nur ersuchen, seine Fragen möglichst vernünftig zu stellen. Fragen Sie also, lieber Herr Roth! ROTH:
Sie haben die Frage, welche vorliegt, noch gar nicht beantwortet. Statt uns mitzutheilen, wie der neue Werth, um den es sich handelt, entsteht, haben Sie uns gesagt, auf welchen Vorwand hin der Herr Commerzienrath ihn an sich zieht. Ich frage Sie, wie eine Nachtmütze oder ein Wams entstanden ist, wer sie hervorgebracht hat, und Sie sagen mir, auf welchen Vorwand hin Jemand die bereits entstandenen Nachtmützen und Wämser wegnimmt. Ist das eine Antwort? Die 20000 Thaler, die der Herr Commerzienrath jährlich einnimmt, sind nur der Geldausdruck für den neuentstanden Werth, den er in seinen Fabrikaten verkauft. Mag er diesen neuentstandenen Werth zum Lohn für seine „Entbehrungen" bekommen, ich will es Ihnen einmal glauben. Aber sagen Sie mir doch jetzt gefälligst auch, wer jenen neuentstandenen Werth geschaffen hat. COMMERZIENRATH :
Der Herr Doktor hat Recht. Sie fragen zu einfältiges Zeug, lieber Roth. DR. FISCH:
Zu einfältig! ROTH:
Ich will Antwort auf meine Frage. COMMERZIENRATH :
Wollen Sie denn gar keine Vernunft annehmen, wenn ein 18
Mann der Wissenschaft Ihnen sagt, daß Sie dummes Zeug fragen? D R . FISCH:
Sie werden unmöglich, Herr Commerzienrath, einen so böswilligen Starrkopf länger in Ihrer Fabrik behalten können. Er geht darauf aus, alle Begriffe zu verwirren. Statt einzusehen, daß er Ihnen sein Brod verdankt. . . ROTH:
Antworten Sie mir, Herr Doktor, wer hat den neuen Werth hervorgebracht? DR. FISCH:
Wie können Sie da noch lange fragen. Jeder Werth entsteht durch das Zusammenwirken von Kapital und Arbeit. Also hat jenen neuen Werth theilweise die Arbeit, theilweise das Kapital hervorgebracht. COMMERZIENRATH :
Vortrefflich! ROTH:
Theilweise das Kapital? D R . FISCH:
Ja wohl! ROTH:
Untersuchen wir dies etwas näher! DR. FISCH:
Wozu? Die Sache ist von vornherein klar. COMMERZIENRATH :
Sonnenklar! Sie, der Sie Arbeit stellen, erhalten Ihren Antheil im Lohn; ich, der ich Kapital stelle, den meinen in Kapitalprofit. ROTH:
Bitte achtzugeben, Herr Doktor! Daß die Stoffe, aus welchen die Fabrikate, z. B. die Nachtmützen, gemacht 19
werden, keinen neuen Werth hervorbringen, werden Sie zugeben. Wenn aus Wolle Nachtmützen gemacht werden, so entsteht zwar neuer Werth durch die Arbeit, welche auf die Wolle verwandt wird und welche sie in Mützen umwandelt. Der ursprünglicheStoff selbst aber, die Wolle,bringt keinen neuen Werth hervor. Der in dem Arbeitsstoffe bereits vorhandene Werth erscheint vielmehr nur im vollendeten Produkte in seiner alten Höhe wieder; was an neuem, Werth vorhanden ist, ist dem Stoffe durch Arbeit zugesetzt. D R . FISCH :
Dies ist richtig. Aber . . . ROTH :
Weiß schon, Sie wollen auf die Arbeitsmittel, z. B . die Maschinen, Werkzeuge zu sprechen kommen. Diese ziehen die Naturkräfte zur Mitwirkung bei der Produktion heran. Die Arbeitskraft würde ohne diese Mitwirkung der Naturkräfte weit weniger leisten können. Hier also kann man sagen, das Kapital wirkt in der Produktion schaffend mit. D R . FISCH :
Vortrefflich, junger Mann. Ich sehe, daß Sie allmälig der echten Weisheit zugänglich werden. CoMMERZIENRATH:
Es ist ein vortrefflicher Mensch, dieser junge Roth. Man muß seinen Lohn erhöhen. ROTH:
Das Kapital wirkt also in der Produktion erzeugend mit. COMMERZIENRATH u n d D R . F I S C H :
Vortrefflich! Ein vorzüglicher Mensch! ROTH:
Aber, meine Herren . . . 20
D R . FISCH :
Wie, Sie haben ein Aber! Sollte ich mich in Ihnen geirrt haben? JOHANN (für
sich):
Er bekommt einen Rückfall. COMMERZIENRATH:
Das ist ja ein ganz verstockter Sünder. ROTH:
Ich sage also: das Kapital wirkt in der Produktion erzeugend mit. Allein die Frage ist: was dasselbe erzeugt. Die 20000 Thaler, die der Herr Commerzienrath jährlich einstreicht, sind, wie Niemand läugnen wird, ein Tauschwerth. Ist es so, Herr Doktor? D R . FISCH:
20000 Thaler sind ohne Zweifel ein Tauschwerth. ROTH:
Sogar bedeutend! Wenn also dieser Tauschwert ganz oder theilweise vom Kapital hervorgebracht wäre, so würde dies voraussetzen, daß das Kapital Tauschwerth hervorbringe. Allein dem ist nicht so: das Kapital bringt keinen Tauschwerth hervor. COMMERZIENRATH :
Oho! D R . FISCH :
Die Begriffsverwirrung dieses jungen Mannes ist in der That so groß, daß ich rathen möchte, die Unterredung abzubrechen. ROTH:
Mit nichten, Herr Doktor! Ich werde Ihnen beweisen, daß das Kapital keinen Tauschwerth hervorbringt. Eine Maschine ist in der Produktion darum verwendbar,.weil sie Naturkräfte zu Gunsten derselben in Bewegung setzt,
21
weil durch sie gewisse Eigenschaften in der Materie dazu benutzt werden, die Herstellung eines nützlichen Gegenstandes zu fördern: hierin besteht ihr Gebrauchswerth. D a sie sich allmählich abnutzt, also unbrauchbar wird, so geht ihr Tauschwerth in die neuen Produkte über; der Herr Commerzienrath wird sehr gut wissen, daß, sobald eine Maschine abgenutzt ist, ihr Ankaufspreis sich durch den Verkauf der Produkte, zu deren Herstellung sie mitgewirkt, vollständig ersetzt hat. D R . FISCH :
Ganz gut! Aber was folgt daraus? ROTH:
Nur Geduld! Der Ankaufspreis der Maschine ersetzt sich; so viel, aber auch nicht mehr. Nehmen wir an, daß es in Folge neuer Erfindungen möglich sei, dieselbe Maschine mit halb so viel Arbeit herzustellen — alle Arbeit eingerechnet, die irgendwie zu ihrer Herstellung nöthig ist —: so werden Sie zugeben, daß in Folge der Wirkung der freien Konkurrenz nunmehr die Maschine zum halben Preis wie bisher verkauft werden muß, also auch zum halben Preise angekauft werden kann. D R . FISCH:
Ganz gut! Aber was wollen Sie hiermit? ROTH:
Sie werden einsehen, daß dann die Maschine — wiederum in Folge der freien Konkurrenz — nur noch den halben Werth wie früher — allerdings wiederum ihren gesamten Werth, der aber jetzt nur halb so groß ist wie früher — auf die Fabrikate, zu deren Herstellung sie mitwirkt, überträgt. Der Herr Commerzienrath weiß sehr gut, daß wenn er nicht, sobald man mit billigeren Maschinen (oder Werkzeugen, was hier dasselbe ist) produziren könnte, entsprechend den Verkaufspreis seiner Produkte herabsetzen würde, seine Konkurrenten dies thäten und in Folge dessen seine eigenen theueren Waaren unverkauft blieben. 22
D E . FISCH :
Ganz richtig. Aber ersehen Sie gerade hieraus die Wohlthaten der freien Konkurrenz, welche von Ihren Gesinnungsgenossen so sehr angegriffen wird. ROTH:
Sie hätten vielleicht Recht, wenn nicht unter der Herrschaft dieser vielberühmten freien Konkurrenz auch die Waare „Arbeit" stände, woraus folgt, daß der Arbeiter seine Arbeitskraft gleichfalls so billig wie möglich losschlagen muß, d. h. zu einem Preise, daß er nur gerade fortvegetieren kann. Aber bleiben wir bei der Sache! Sehen Sie nicht ein, daß die Maschine zwar allmählig ihren eigenen Tauschwerth auf die Produkte, die Fabrikate, überträgt, daß sie aber keinen neuen Tauschwerth schafft? Nehmen Sie sogar an, dieselbe Maschine, die jetzt halb so viel kostet, leiste noch einmal so viel wie früher. Sie wissen sehr wohl , daß dann wiederum in Folge der freien Konkurrenz die Preise der Fabrikate entsprechend fallen müßten, woraus deutlich hervorgeht, daß es für die Tauschwerthfrage ganz gleichgültig ist, was die Maschine durch Heranziehung der Naturkräfte (d. h. im Gebiete des Gebrauchswerths) leistet; daß es vielmehr immer nur darauf ankommt, wie viel Tauschwerth in ihr selbst bereits enthalten ist, d. h. wie viel sie gekostet hat. Dieser ihr Tauschwerth wird in die neuen Fabrikate übertragen, ersetzt sich durch deren Verkauf. Ein neuer Tauschwerth aber wird durch die Tauschwerth-XJebertragung nicht geschaffen. COMMERZIENRATH:
Widerlegen Sie doch diesen Unsinn, lieber Doktor! D R . FISCH:
Bis hierher, Herr Commerzienrath, war die Ausführung nicht ganz falsch. COMMERZIENRATH :
Wie, Sie weigern sich, diesen Blödsinn zu widerlegen? Ich hoffe, daß wir Freunde bleiben können, Doktor! 23
D R . FISCH:
Um des Himmels willen, Herr Commerzienrath, verstehen Sie mich nicht falsch. Die Ausführung war nicht gerade unrichtig, aber sie beweist nichts. ROTH:
Das werden wir sehen. Fahren wir fort! Wenn der in den 20000 Thalem ausgedrückte Tauschwerth nicht durch die Maschinen und Werkzeuge oder die sonstigen Arbeitsmittel, also nicht durch das Kapital entstanden ist, so muß er einer anderen Quelle entflossen sein. COMMERZIENRATH :
Dummes Zeug! ROTH:
Wie Sie selbst vorhin erklärt haben, Herr Doktor, vollzieht sich die Produktion in der Zusammenwirkung von zwei Dingen: Kapital und Arbeit: Wenn nun feststeht, daß der neue Werth nicht vom Kapital geschaffen worden ist, wovon muß er denn geschaffen sein? D R . FISCH
(schweigt):
COMMERZIENRATH :
So reden Sie doch, Doktor! ROTH:
Antworten Sie! D R . FISCH :
In den primärsten Preisnormativevolutionen liegt indicirt, daß keine merx sich Exceptionellität vindiciren kann. Demgemäß ist für die merx Arbeit im Lohne das universell existente adäquate Aequivalent prästiert, alle Consequenzen sind daher irrelevant. ROTH:
Das habe ich nicht verstanden. COMMERZIENRATH :
Ich auch nicht. 24
DR. FISCH:
Ich will es wiederholen: Die primitivsten Normalevolutionen . . . ROTH:
Deutsch reden, Herr Doktor! D R . FISCH :
Sie zeigen nun Ihre gänzliche Unwissenheit, wenn Sie glauben, wir könnten die tiefsten und wichtigsten Sätze unserer Wissenschaft in der Sprache des gewöhnlichen Lebens und für Jeden verständlich wiedergeben. ROTH:
Ich verstehe. D R . FISCH :
Sie verstehen? ROTH:
Vollkommen. D R . FISCH :
Ich glaube, Sie erlauben sich ungehörige Redensarten. ROTH:
Was können Sie mehr verlangen, als daß ich verstehe, da doch nicht einmal der Herr Commerzienrath Sie gleich verstanden hat? COMMERZIENRATH :
Ich war zerstreut. Sie müssen Respekt haben vor der Wissenschaft. Sie werden sich doch nicht einbilden, daß man die tiefsten Erkenntnisse der Wissenschaft jedem ungebildeten Menschen mundgerecht machen kann? ROTH:
Ich sehe, Herr Commerzienrath, daß Sie inzwischen auch verstanden haben. Allein da Sie beide meine Frage nicht beantworten wollen, so gestatten Sie mir, daß ich 25
selbst es thue. Die 2oooo Thaler sind, Herr Commerzienrath, geschaffen durch die Arbeit Ihrer Arbeiter. COMMERZIENRATH:
Schimpfen Sie nicht auf bestehende Einrichtungen! ROTH:
Aber selbst wenn das Kapital Tauschwerth hervorbrächte, so könnte dies doch nur dadurch geschehen, daß Naturkräfte, die für Alle vorhanden sind, von den Kapitalisten in Privatpacht genommen werden und dadurch zu einer Bereicherungsquelle würden. In Wahrheit aber bringt das Kapital keinen Tauschwerth hervor, sondern eignet sich nur den von der Arbeit hervorgebrachten Tauschwerth an. COMMERZIENRATH I
Reden Sie nicht so viel vom Tauschwerth. D R . FISCH :
Brechen wir ab! ROTH:
Der heutige Zustand läßt sich also kurz bezeichnen. Dies ist das letzte Geheimniß der heutigen Gesellschaft: Diejenigen, welche im Besitz des Geldes, der Lebensmittel und der Arbeitswerkzeuge sind, die Kapitalisten, kaufen die Arbeitskraft der Besitzlosen wie jede andere Waare zu ihrem Herstellungspreise, d. h. zu demjenigen, was nöthig ist, um die Arbeiter gerade am Leben zu erhalten. Dies ist es, was den Kaufpreis der Waare Arbeitskraft, den Lohn, bestimmt! Allein die Waare Arbeitskraft, wenn sie von den Kapitalisten in Bewegung gesetzt wird, so daß sie Arbeit leistet, bringt durch ihre Arbeit einen höheren Werth hervor, als dafür im Kaufpreise, dem Lohn, entrichtet wird. Das Kapital wird also produktiv dadurch, daß es die Produktivität der Arbeit sich unterwirft. Der Unterschied zwischen der Leibeigenschaft des Mittelalters und der modernen Lohnarbeit ist einfach dieser: daß damals z . B . der Leibeigene je 3 Tage in der Woche für sich arbeiten konnte, 3 Tage für 26
seinen Herrn arbeiten mußte, während heutzutage, wenn z. B. der Arbeitstag 12 Stunden dauert, der Arbeiter vielleicht in den ersten 6 Stunden so viel Werth erzeugt als dem ihm zu zahlenden Lohn entspricht, also für sich arbeitet, während er in den 6 Stunden den Mehrwerth erzeugt, aus welchem der Zins und der Unternehmergewinn gebildet werden, also für Andere, für die Kapitalisten arbeitet. CoMMERZIENRATH:
Unerhört! Schämen Sie sich denn gar nicht, so etwas zu sagen? ROTH:
Und wenn nur wenigstens der Lohn immer für die nöthigen Bedürfnisse reichte! Aber wie oft müssen wir hungern! CoMMERZIENRATH:
Führen Sie keine aufreizenden Reden! ROTH:
Nicht meine Reden, der Zustand der Gesellschaft ist aufreizend. Die Arbeiterfrage ist zunächst eine Magenfrage. CoMMERZIENRATH:
Magenfrage? Entfesseln Sie die Bestie nicht! ROTH:
Haben Sie keinen Magen? CoMMERZIENRATH:
Dumme Frage! Warum soll ich keinen Magen haben? R O T H (für
sich):
Also selbst Bestie? COMMERZIENRATH:
Haben Sie etwas gesagt? ROTH:
Nur im Stillen für mich selbst. Kommen wir auf unsern Gegenstand zurück. 27
D R . FISCH:
Ich habe Sie bis jetzt ruhig sprechen lassen; jedoch nur darum, um Sie mit einem Schlage zu vernichten, um Ihnen mit Einem Male zu beweisen, in welche unsinnige und ruchlose Anschauungsweise Sie sich verirrt haben. Ich werden Ihnen eine Frage vorlegen. ROTH:
Fragen Sie! D R . FISCH :
Haben Sie noch nie davon gehört, daß ein Geschäft schlecht gehen, ja daß es mit Verlust arbeiten kann? ROTH:
O ja! COMMERZIENRATH :
Vortrefflich, lieber Doktor! D R . FISCH:
Sehen Sie nicht ein, daß Ihnen, so lange Sie beim Herrn Commerzienrath arbeiten, der Lohn gewiß ist, während dem Herrn Commerzienrath der Gewinn durchaus nicht gewiß ist, indem er sogar Verluste erleiden kann. Sehen Sie nicht ein, mit Einem Wort, daß, wenn der Herr Commerzienrath mehr verdient als Sie, dies nur ein Ersatz für sein Risiko ist? ROTH:
Ei, ei, Herr Doktor! Führen wir Sozialisten denn Krieg mit dem Herrn Commerzienrath oder sonst einer einzelnen Person? Führen wir nicht Krieg mit der heutigen Gesellschaft überhaupt und ihren Einrichtungen im Großen? Und wenn Sie die Gesellschaft in ihrer Gesammtheit betrachten, wenn Sie auf die eine Seite die gesammte besitzlose Arbeiterklasse stellen, auf die andere Seite die ganze Kapitalistenklasse: wollen Sie leugnen, daß die Arbeiterklasse immer in derselben Armuth bleibt, indem unter den heutigen Verhältnissen der Lohn immer den 28
nothdürftigsten Lebensunterhalt deckt und daß auf der andern Seite die Kapitalistenklasse in allen Annehmlichkeiten des Lebens schwelgt und trotzdem immer reicher wird, wie aus dem Steigen des sogenannten Nationalreichthums hervorgeht? Es ist richtig, daß mancher Unternehmer, ja sogar viele, zur Armuth herabsinken, aber Andere steigen unterdessen empor. Die Klasse der Kapitalisten in ihrer Gesammtheit wird von diesem Spiel nicht betroffen, sie hat kein Risiko. Dr. Fisch:
Aber für den Einzelnen ist das Risiko einmal da, also muß auch ein Kapitalgewinn, ein Ersatz dafür, eine ,,Risikoprämie" geboten werden. Roth:
Durchaus nicht! Das Risiko ist für den Einzelnen da, allerdings! Aber das beweist nur, daß man die Ursache dieses Mißstandes zu erforschen und dann die Ursache zu beseitigen hat. CoMMERZIENRATH:
Sie sind ja ein Umstürzler. Dr. Fisch :
Ein Communist! Roth:
Ich fürchte mich vor Worten noch lange nicht. COMMERZIENRATH:
Schimpfen Sie nicht unaufhörlich! Roth:
Die Ursache des Risikos ist die Planlosigkeit der Produktion im Großen. Während in jeder einzelnen Fabrik der Verschwendung von Kapital und Arbeit dadurch vorgebeugt wird, daß alle einzelnen Zweige der Fabrikation in Gemäßheit eines vorherigen wohlüberlegten Planes genau in einandergreifen, will man von einer solchen planmäßigen Einrichtung im Großen, durch die ganze Gesellschaft, 5
Münchow, Dramatik I
29
von einer „Organisation der Arbeit" nichts hören, obschon damit jeglicher Vergeudung von Kapital und Arbeit und dadurch dem Risiko ein Ende gemacht würde. Gerade aus dem Risiko ist die Nothwendigkeit einer Umgestaltung der Gesellschaft herzuleiten; einen Mißstand aber, wie das Risiko ist, für Rechtfertigung eines andern Mißstandes, wie die Ausbeutung durch das Kapital ist, geltend machen zu wollen, ist der Gipfel der Lächerlichkeit. COMMERZIENRATH:
Schweigen Sie! ROTH:
Und dabei habe ich noch nicht einmal gezeigt, wie auch wir Arbeiter unser Risiko in der Gesellschaft tragen, ohne dafür eine „Risikoprämie" zu beziehen. D R . FISCH:
Sie sehen, Herr Commerzienrath, daß dieser Verworfene allen Gründen der Wissenschaft unzugänglich bleibt. Angesichts solcher Verstocktheit werden Sie zu andern Maßregeln greifen müssen. COMMERZIENRATH :
Sprechen Sie, lieber Doktor! Ich bin im Interesse der guten Sache zu Allem bereit. D R . FISCH :
Ich wende mich an Ihr edles, menschenfreundliches Herz. Sie sind es Ihren Arbeitern schuldig, diesen Menschen, der sie zu verwirren und zu entsittlichen sucht, aus ihrer Nähe zu entfernen. COMMERZIENRATH (steht
auf;
großartig):
Arbeiter Roth! Sie sind aus meiner Fabrik entlassen! ROTH:
Das hätten Sie kürzer machen können, Herr Commerzienrath. 30
COMMERZIENRATH:
Entfernen Sie sich! ROTH:
Ich gehe und lasse Sie mit Ihrem Trabanten, dem „Manne der Wissenschaft" allein. Er mag Ihnen die Geschichte vom Entbehrungslohn noch einmal auseinandersetzen. COMMERZIENRATH u n d D R . F I S C H :
Hinaus Schlingel! (Roth ab.) D R . FISCH :
Dieser Schlingel ist doch ein Flegel ohne Gleichen. JOHANN:
Ich sollte Sie daran erinnern, daß Fräulein Metella . . . COMMERZIENRATH :
Hinaus, Esel! (Johann
ab.)
(Commerzienrath
und Dr. Fisch
allein.)
COMMERZIENRATH :
Lieber Doktor! Ich habe erkannt, daß Sie ein Denker sind. Man muß eine Nationalsubskription für Sie eröffnen — wenigstens vorläufig in hiesiger Stadt. Ich zeichne 100 Thaler — oder wenigsten 50. DR. FISCH:
Sie machen mich glücklich. COMMERZIENRATH :
Ich werde im „Consum = und Rohstoff = Verein" die nöthigen Anstalten treffen, damit es heißt: Die Arbeiter sind ihren Lehrern dankbar. DR. FISCH:
Im Interesse der Arbeiter werde ich eine solche Belohnung annehmen. 5*
31
COMMERZIENRATH:
Apropos. Kommen Sie heute zur schönen Metella? Sie erwartet mich. D r . Fisch:
Soll ich die dicke Hulda mitbringen? COMMERZIENRATH:
Bringen Sie das dicke Schwein mit. Wir können zugleich bei einem Glase Wein besprechen, wie wir der unter den Arbeitern grasirenden Pest sozialistischer Irrlehren ein Ende machen. Ich verlasse mich auf Sie. D r . Fisch:
Ich weiß, was meines Amtes ist. COMMERZIENRATH:
Leben Sie wohl, lieber Doktor, ich sehe auf's Neue, daß sie ein Denker sind.
32
EIN VERUNGLÜCKTER AGITATOR oder
DIE GRUND- UND BODENFRAGE L U S T S P I E L IN Z W E I A K T E N
von August
Otto-W alster
PERSONEN
Georg ) > zwei junge Gelehrte Franz J Der Dorfschulze Dessen Frau Leonore, beider Tochter Der Pastor Der Rittergutspächter Der Wirth Der Gensd'arm Daschner Ein Schmiedegeselle Der Assessor Der Registrator
I. Act (Die Scene stellt einen freien Dorfplatz mit dem im Hintergrunde und einigen Bäumen dar.)
Wirihshaus
1. Scene (Georg und Franz etwas burschikos gekleidet, treten von der Seite auf und bleiben anfangs nahe derselben stehen.) GEORG:
O sieh', Franz, welch hübsches Plätzchen und ein nettes Dörfchen, wo glückliche Menschen leben könnten, wenn sie glücklich sein wollten. FRANZ:
In der That, der Ort ist hübsch, und ich wünschte, ich könnte hier ruhige Tage verleben. Aber wo mag der Hof des Rittergutes sein? GEORG:
Das wird uns hier jedes Kind sagen können. Aber leider ist kein Kind hier zur Zeit. Doch ja, sieh', da kommt sogar ein schönes Kind.
2. Scene (Die vorigen (Georg, Franz) und Leonore. Leonore tritt von der anderen Seite auf und will rasch über die Bühne schreiten, bleibt aber bei dem Anrufe Georg's stehen.)
35
GEORG (auf Leonore
zueilend):
Sie allerliebstes, hübsches Kind, warten Sie doch einen Augenblick! LEONORE:
Hailoh, was wünscht der Herr. GEORG (ein wenig verwirrt) :
Sagen Sie, sind Sie wohl hier in der Gegend bekannt? LEONORE
(lachend)'.
Nun freilich bin ich in dieser Gegend bekannt und auch hier zu Hause. Ich denke, das könnte der Herr sehen, ohne erst zu fragen. GEORG:
Na, na, nur nicht gleich schelten. Man kann doch nicht gleich jedem hübschen Mädchen ansehen, wohin es gehört, obwohl man sich's wohl vorstellen kann, daß so ein Mädchen von Deinem Aussehen nicht in solchem Anzüge so weit von Hause weggeht. Aber weißt Du, herzallerliebstes Kind, daß Du mir ganz außerordentlich gefällst? Ja, ich kann Dir sagen, daß ich mich bereits mit Haut und Haaren in Dich verliebt habe. Glaubst Du mir das? LEONORE :
O ja, das glaub' ich schon, sonst würde mich der Herr nicht so gleich mit ,,Du" anreden; Sie denken, Unsereins wird's nicht übel nehmen; und ich nehme es Ihnen auch wirklich nicht übel, weil ich denke, der Herr versteht's nicht besser. Aber jetzt, bitte, lassen Sie mich weiter gehen, denn ich habe heute zum Sonnabend Nachmittag noch alle Hände voll zu thun. — GEORG:
Gut, ich will Dich nicht aufhalten. Aber bevor Du gehst, sagst Du uns wohl, wo die Tochter des Rittergutspächters hier im Dorfe wohnt? LEONORE
(lachend):
Die Tochter des Rittergutspächters? Wo die wohnt? 36
GEORG:
Ja, ja, warum lachst du? LEONORE:
Na, schön, die wohnt, wie sich's die Herren wohl denken können, im Rittergute, auf dem Hofe. Aber zu Hause ist sie nicht. GEORG:
Nicht? Das ist ja eine sehr schlimme Nachricht für meinen Freund. LEONORE:
So? Da ist Ihr Freund wohl ein Anbeter von ihr? GEORG:
Anbeter! welch' himmlisches Wort! Ja, wenn die Rittergutspächterstochter - hu, welch athemverschlingender Titel — so hübsch aussieht, wie Du, dann kann ich es auch begreifen, daß man sie anbeten kann, denn ich muß offen gestehen, daß ich Dich, du allerliebstes Kind, auf der Stelle anbeten könnte, vorausgesetzt, daß Du mir's erlaubst? LEONORE :
Thue sich der Herr da gar keinen Zwang an. Aber nun lassen Sie mich auch gehen. GEORG:
O, das kann nicht gehen. Zum Anbeten gehören doch wenigstens zwei Personen, eine, welche da anbetet, und eine, welche sich anbeten läßt. LEONORE :
Gut, ich lasse ja auch den Herrn anbeten, so viel er will, aber nun lasse er mich auch, nämlich gehen. GEORG
(pathetisch):
Ich Dich lassen? Du denkst nicht daran! Wie sagt Mortimer in Schiller's Maria Stuart? 37
Der ist ein Rasender, der nicht das Glück Festhält in unauflöslicher Umarmung, Wenn es ein Gott in seine Hand gegeben! (Beim Declamiren dieser Verse Leib fassen, wird aber energisch
will er Leonoren zurückgewiesen.)
um
den
LEONORE :
Rühren Sie mich nicht an und halten Sie mich auch nicht länger auf, sonst ruf' ich meinen Vater, und der macht nicht viel Umstände mit solcher Herren Muthwillen, sondern arretiert sie auf der Stelle. GEORG:
Ist das so? Dein Vater ist wohl ein sehr gestrenger Herr, vielleicht der Polizeipräsident oder gar der Nachtwächter im Orte? LEONORE :
Spassen Sie nicht, mein Vater ist der Ortsschultze, wenn Sie's wissen wollen. GEORG:
Wie! Also die leibhaftige Obrigkeit? Und ich Unglückseliger habe den Respect so außer Auge gesetzt, daß ich Sie mit „Du" anredete. Also, mein verehrtes Fräulein . . . ? LEONORE:
Ich bin auch kein Fräulein, solcher Titel kommt nur Ritterguts Hannah und Adelgunden, der Pfarrerstochter, zu. GEORG:
Ist das so? Und wie nennt man Dich denn? LEONORE:
Man nennt mich Schulzen's Leonore. GEORG:
O Leonore! Das ist ein romantischer Name. Sie kennen doch wohl den Anfang von Bürger's berühmtester Ballade: „Leonore fuhr um's Morgenroth!" 38
LEONORE :
Was sagen Sie? Eine Leonore, die um's Morgenroth gefahren? das ist wirklich etwas Spassiges. GEORG:
O, das ist nur abgekürzte Redeweise, Bürger will damit sagen, um die Zeit des Morgenrothes. LEONORE :
Ach was? D a sagen Sie doch ja Ihrem Bürger, er möchte sich ein andermal deutlicher ausdrücken, damit ihn die Leute gleich ordentlich verstehen können. GEORG:
Gut, ich werde es ihm ausrichten, wenn ich einmal im Himmel oder in der Hölle mit ihm zusammentreffen werde. Denn Sie müssen wissen, allerliebste Leonore, daß der Dichter schon längst gestorben war, ehe eines von uns Beiden die Welt mit seinem Besuche beehrte. Und nun sagen Sie mir doch, wo Sie jetzt hingehen, wollen Sie? LEONORE:
Ich gehe auf unsern Acker. GEORG:
Könnten Sie mich da nicht als Hülfsarbeiter gebrauchen? LEONORE:
Sie? 0 Sie würden was schönes arbeiten, und eher die Leute von der Arbeit abhalten. Sie sind gewiß ein Comödiant. GEORG (zurückfahrend und dann sich schnell besinnend): Ich? (Lachend.) Ja freilich, ich bin Alles, was Sie wollen. LEONORE:
Ja? Da wollen Sie wohl in unserem Gasthofe spielen? GEORG:
Nun, wir wollten eigentlich hier nicht spielen, aber wenn Sie ein solches Schauspiel lieben und mir versprechen
39
wollen, zu kommen, dann spiele ich Ihnen auch etwas Schönes. LEONORE:
O ja, ich komme, denn ich sehe mir gern einmal so eine Schnurre an. Meine Eltern und mein Bruder kommen auch, wir nehmen Alle den ersten Platz, und unsre Arbeitsleute sehen auch gern einmal ein Stück. GEORG:
O, dann sind ja die Tageskosten schon halb und halb gedeckt. LEONORE:
Wie viel kostet bei Ihnen ein Platz? GEORG:
O, wir machen es billig. Einen halben Thaler den ersten. einer Viertelthaler den zweiten. LEONORE:
Ach, das ist ja ein Heidengeld. Dafür muß Einer von unseren Arbeitern von früh 5 Uhr bis Abends 8 Uhr arbeiten. Nein, da lassen Sie's lieber sein; denn Sie würden schlechte Geschäfte machen. Pastor's gehen niemals in eine Comödie, Rittergutspächters werden auch nicht gehen, weil Fräulein Hannah in der Stadt ist und erst nächsten Montag wiederkommt. Für uns aber ist der erste Platz zu theuer, und auf einen schlechteren gehen wir nicht. GEORG:
Ja, wenn das so ist, dann muß ich freilich zu herabgesetzten Preißen spielen. Was meinen Sie zu einem Viertelthaler für den ersten Platz und so weiter? LEONORE:
Gut, Sie können sagen zwei Plätze für einen Viertelthaler, das ist genug Geld für eine Comödie. GEORG:
Ganz wie Sie denken, ich werde Ihrem Rathe folgen. Aber kommen Sie auch bestimmt? 40
LEONORE:
Ja, ich verspreche es Ihnen. GEORG:
Die Hand darauf! LEONORE:
Hier ist sie. (Georg hält ihre Hand fest, sie entreißt sie ihm.) Na, denkt der Herr vielleicht, ich schenkte ihm meine Hand, daß er sie festhält? GEORG:
Ich dachte, es wäre das Beste. LEONORE:
Was? GEORG:
Daß Sie mir ihre Hand schenken. LEONORE:
0 gehen Sie, Sie . . . Sie Comödiant. (Eilt
schnell
ab.)
3. Scene (Georg und Franz.
)
GEORG (ihr nachsehend)
:
O sieh, Franz, wie sie dahinschwebt, ist sie nicht eine Fee, die ein bößer Zauber in eine Bäuerin verwandelte, ohne ihr doch etwas von ihrer Schönheit nehmen zu können? FRANZ:
Georg, Georg, zu was für Geschichten läßt Du Dich hinreißen ! GEORG:
O, ich laß' mich hinreißen, wohin sie will. Sahst Du je ein hübscheres braunes Mädchen mit Augen, die prächtiger 41
leuchteten, mit rosigeren Wangen, blühenderen Lippen. Sah'st Du den schlanken Wuchs, die netten Füßchen in den groben Knöchelschuhen? FRANZ:
O weh, o weh, ich glaube gar, du bist verhebt in sie. GEORG:
Ja Franz, ich denke, es ist so; Gott sei Dank. Ich fühlte mich noch nie so froh und glücklich, so aufgelegt zu irgend welcher Dummheit. Ich bin des trockenen Tones nun endlich satt, muß wieder einmal leben, lieben, toben. Höre Franz, mir steigt einleuchtender Gedanke auf. Sieh, Deine langweilige Cousine . . . o, entschuldige mich, ich kenne sie nicht, ich sage nur so, weil die Cousinen in der Regel sehr langweilig sind - also — ist Deine Cousine schön ? FRANZ:
Welche Frage! GEORG:
Du hast Recht, wenn sie nicht schön wäre, würdest Du sie nicht in diesem Neste aufsuchen. Also: Deine schöne Cousine wird erst zum Montage wiederkommen, und Du würdest Dich inzwischen schrecklich langweilen, was mir ja auch passirt wäre, hätte ich mich im Gasthofe allein befunden. Statt unsere Zeit so zu verschwenden, wollen wir uns amüsiren. Ich weiß nun, wie wir das zu machen haben. Wir werden ihren Spuren folgen, mit ihr Heu machen, Kartoffeln aushacken, Krautblätter pflücken, was gerade vorkommt, hauptsächlich aber sie so unterhalten, daß sie ohne meine Gesellschaft gar nicht mehr leben kann. Und ich hoffe, Du wirst mich nicht allein lassen, denn von Dir kann ich singen: ,,Du warst in Freud' und Leiden mein Gefährte!" FRANZ:
Aber Georg bedenke doch . . . GEORG:
Kein Bedenken, Freund, wenn es gilt, eine Freundespflicht zu erfüllen. Ich verspreche Dir heilig und theuer, 42
Dir in allen guten und ernsten Dingen zu folgen, wie immer bis jetzt, aber wenn ich einmal aufleben, einmal über die Schnur hauen will, dann mußt Du mir auch gerecht werden. Willst Du. FRANZ:
Ja, gut, ich kenne das! Wenn Dir's so paßt, willst Du ausnahmsweise einmal ein vernünftiger Mensch sein, aber so oft Dich die Lust anwandelt, toll zu sein, soll ich mittollen? Ist's nicht so? GEORG :
Ja, so ist's. Höre! Das ist einfache Gerechtigkeit und, Franz, Du kommst dabei am besten weg. Denn sieh', ernst kann Jedermann sein, das ist gar keine Kunst, aber heiter zu sein , so oft wie möglich, das ist die Kunst zu leben. Und nun siehe einmal an, zu was für einen Pedanten und Philister mich Deine Vorstellungen machen. Stelle ich Dir da lang und breit vor, daß Du mir nachgeben sollst, und ich kenne Dich doch nicht seit heute, weiß doch, daß Du es stets für Deine heilige Pflicht erachtest, mir einen ganzen Tragkorb von Bedenken auszukramen, um schließlich doch mit mir durch Dick und Dünn zu gehen. Und paß' auf, diesmal geht Dir's gerade so. Man muß seinen Mitmenschen Alles zu Liebe thun können, dann ist man der beste Socialist! FRANZ (nach der Seite deutend) :
Schweig' doch, oder rede leise! Sieh' der Mann hier horcht uns schon lange zu. 4. Scene (Franz, Georg, ein
Schmiedegeselle.)
GEORG (erst zu Franz und dann gleich zum Gesellen) :
Du hast Recht, ich vergaß, daß wir hier in einem Dorfe. He da, mein Freund, wo ist der Gasthof hier? SCHMIED:
Gehen Sie nur getrost mit mir, er ist gerade hier, sehen Sie nicht?
43
GEORG :
O, Sie gehen auch dahin? Arbeiten Sie hier? SCHMIED:
Ja, ich bin der Gehülfe des Schmieds. GEORG:
Haben wohl nicht viel zu thun hier? SCHMIED :
0, an Arbeit fehlt's nicht, namentlich in dieser Jahreszeit. GEORG:
Ich meinte so, weil sie am hellen, lichten Tage in's Wirthshaus gehen. SCHMIED :
Das gefällt Ihnen nicht? Aber der Teufel halte es aus. Abends kommen die Bauern vom Felde und bringen uns das schadhaft gewordene Zeug, welches sie womöglich zum anderen Morgen früh 4 Uhr wieder abholen wollen zu ihrer neuen Tagesarbeit. Da heißt's Abends spät noch „schanzen" und wieder vor'm Morgengrauen anfangen. Der Meister schläft eine Stunde, vielleicht auch zwei Stunden, nachher gibt's eine Freistunde auch wohl für mich. GEORG:
O, dann haben Sie nicht um Arbeit zu sorgen. Hoffentlich verdienen Sie da auch etwas Ordentliches. SCHMIED :
Ja, wenn der Lohn so reichlich wäre, wie die Arbeit. Aber da hapert's, da liegt der Hase im Pfeffer. Mein Meister zahlt nicht viel, weil er nicht viel bekommt, das sieht Unsereins ganz gut ein. Die Getreide- und Kartoffelpreise sind zwar ziemlich hoch, aber trotzdem liegt der Landmann im Hungerbett. GEORG:
O, ich weiß, wie das zugeht. Auf den Markt, wohin er das Getreide bringt, kommt auch anderes, welches anders44
wo billiger erzeugt werden konnte, weil dort der Grund und Boden und die Arbeitskräfte billiger sind, oder weil mit Maschinen gearbeitet wurde, wie es bei größeren Gütercomplexen geschieht. SCHMIED :
Ja, so mag's wohl sein, wie Sie sagen. Aber sagen Sie einmal im Vertrauen, sind Sie nicht ein Socialdemokrat, der Reden halten kann? GEORG :
Ich? Ja; wie haben Sie mir das angesehen? SCHMIED :
Nun, man hört es Einem gleich an. Ach hören Sie, könnten Sie uns nicht vielleicht einen Vortrag halten? Wir sind in einer schlimmen Verlegenheit wegen eines Redners. Sehen Sie, wir sind ihrer 20 Mann, zwei Schneider, der Schuhmacher vom Oberndprf, der Stellmacher, die Mühlknappen, drei Maurer, zwei Zimmerleute, der Brauknecht, ein Paar Waldarbeiter und ich und mein Meister, wir sympathisiren zusammen und halten auch den „Vorwärts", die Arbeiterstimme und Einiges. Die Bauern aber sehen jeden Socialdemokraten oder Communisten für ein schreckliches Ungethüm an, und um ihnen nun den Staar zu stechen und ihnen begreiflich zu machen, daß sie selbst auch alle Ursache haben, sich der Bewegung anzuschließen, hatten wir nach einem Redner geschrieben, der uns zusagte. Darauf haben wir eine Versammlung beim Gerichte und im Localanzeiger angekündigt; ich wollte soeben auch die Placate ausfüllen und anschlagen, als uns plötzlich unser Agitator eingetretene Hindernisse schreibt. So sitzen wir in der Patsche, und man wird uns schändlich verhöhnen, wenn Sie uns nicht helfen. Und wir versprechen uns viel Gutes von einer Versammlung für unsere gute und gerechte Sache. GEORG:
Gut, mein Freund, Ihnen soll geholfen werden. F R A N Z (ihn anstoßend,
leise) :
Aber Georg, bist du toll? Was willst Du thun? Bedenke... 6
Münchow, Dramatik I
45
GEORG:
Ja, ganz wahr; gut, daß Du mich erinnerst. (Zum Schmied.) Hören Sie, lieber Herr, eben erinnert mich mein Freund, daß es Ihnen vielleicht an einem erfahrenen Präsidenten fehlen möchte, und der ist sehr nöthig bei einer ersten Versammlungsschlacht. SCHMIED :
Ja, das war auch unsere Sorge. Zwar wäre ich nöthigenfalls an die Kreide gegangen . . . GEORG:
Sie müssen so wie so die Versammlung eröffnen und den Präsidenten vorschlagen. SCHMIED:
Ja, das thu' ich mit der größten Freude. Aber nun möchte ich Sie auch um ihren Namen bitten. GEORG:
Mein Name ist Müller von Eisberg, Jedermann kennt ihn; und mein Freund Richter stammt aus meinem Ort. SCHMIED:
Schön, schön; ach, ich weiß mich vor Freuden kaum zu fassen. Darf ich die Herren vielleicht zu einem Glase Bier einladen? GEORG:
Jetzt nicht, mein Freund, wir müssen uns bis zur Versammlung ganz fremd bleiben, damit die Gegner nicht Lunte riechen. SCHMIED:
Das ist recht, in solchen Zeiten muß man den Schlauen spielen. Also Herr Müller und Herr Richter aus Eisberg. Ist das Eisberg weit von hier? GEORG:
O ziemlich weit, ein hundert Meilen von hier im Westen. 46
Schmied : So was? Nun, das wird desto mehr Aufsehen machen. Also adieu für jetzt. Ich weiß mich vor Freuden kaum zu fassen, daß sich alles noch so glücklich trifft. Viel Vergnügen einstweilen. (Schmied geht ab und kehrt schnell
zurück.)
Halt, der Tausend, beinahe hätte ich vergessen zu sagen, daß wir für die Kosten Nachtlager und Essen und Trinken selbstverständlich einstehen. Denn wir thun Alles, was wir können, für die Arbeitersache. Georg: Das ist Recht. Also auf Wiedersehen! Schmied: Ja, spätestens morgen bis zur Versammlung. (Schmied
ab.)
5. Scene (Franz und Georg.)
Georg: Das nenne ich Begeisterung; diese Leute werden es weit bringen. Na, ich werde das Meine thun. Wenn ich auch gerade nicht viel Kenntniß von der Sache habe, bin ich doch oft genug aus Neugierde in Arbeiterversammlungen gegangen, um zu wissen, wie man zu denken und zu reden pflegt. Sieh', da geht der Mann schon wieder fort, es läßt ihm keine Ruhe — (Der Schmied kommt aus dem Wirtshaus und geht, mit der Hand nach den Beiden grüßend ab.)
Adieu, adieu, auf Wiedersehen. Paß' auf, paß' auf, in einigen Minuten werden wir Placate anschlagen sehen. Siehst Du, Franz, bei der Gelegenheit komme ich um den Comödianten herum, wie ich's gar nicht besser wünschen kann. Ich werde ihr sagen, daß dieß die Vorstellung 6*
47
ist, die wir zu geben pflegen, und ich hätte sie nur damit überraschen wollen. Aber was ist mit Dir, warum redest Du nicht? FRANZ:
Nein, sage mir um Alles in der Welt, was bist Du für ein Mensch! Georg, mir graut vor Dir, welcher Schadthat wärst Du jetzt nicht mehr für fähig zu halten! GEORG:
Keiner, ich gestehe es zu. Bist Du böß? FRANZ:
Und mich willst Du auch noch hineinziehn? GEORG:
Ei gewiß, willst Du Dich vielleicht inzwischen langweilen und mich in der Patsche lassen? FRANZ :
Hast Du nicht die Wahl? GEORG:
Habe ich noch eine Wahl! Die Versammlung ist angezeigt. Soll ich das Vertrauen der armen Leute täuschen? FRANZ:
Was geht's Dich an? Und übrigens wirst Du Dich, uns und die Leute schauderhaft blamiren. GEORG:
Oho, was so ein Schneider, Schuhmacher, Tischlergesell oder Cigarrenmacher zu Stande bringt, sollte ich nicht können ? FRANZ:
Diese Leute wissen, was sie wollen und sind überzeugt von der Gerechtigkeit ihrer Sache. GEORG:
Nun, ich weiß auch, was sie wollen, die Leute wollen theilen. Sie haben auch, im Grunde genommen, gar nicht 48
so Unrecht. Denn wie einstmals die R i t t e r des Landes die Ackerbauer zu ihren Leibeigenen machten und sich den Grund und Boden anmaßten, und die Ackerleute jahrhundertelang ausbeuteten und durch gewaltthätigen R a u b ihr Vermögen herstellten, so haben die modernen Geldbeutelritter ihr, dunkler A b s t a m m u n g entsprungenes, Vermögen in Fabriken und Maschinen angelegt und dadurch die ehemals selbständigen Kleinmeister zu Lohnsklaven gemacht, die man eben auch ausbeutet. FRANZ:
Georg, Georg, w a s muß ich hören! D u sprichst gerade so, wie ein rother Socialdemokrat. GEORG:
H e i ! ! Spreche ich so? (Klatscht vor Freuden in die Hände.) N u n , da siehst D u auch, daß ich es k a n n und d a ß wir u n s nicht blamiren werden. Uebrigens k o m m t j a auch mein wissenschaftlicher Name nicht in Gefahr. Denn Müller heißt die halbe Bevölkerung in Deutschland, und der Ort Eisberg existiert wahrscheinlich gar nicht auf der L a n d k a r t e . Und sieh; da schlägt der Mann wirklich schon das P l a k a t an, laß uns sehen: N ä c h s t e n Sonntag, Nachmittag 3 Uhr, Große Volksversammlung i m Saale des Gasthofs zu Grünhain. Tagesordnung: Die soziale Lage der Landbevölkerung und die Lösung der Grund- und Bodenfrage. R e f e r e n t : Hr. Müller aus Eisberg. H e i wie prächtig! Ich werde den Müller aus Eisberg berühmt machen. A b e r jetzt komm', wir wollen auch etwas Zeit zur Lösung der Magenfrage bei uns verwenden, denn ich habe einen ganz kannibalischen Hunger bekommen. N a c h dem Essen aber gehen wir in die Felder, u m die Grund- und Bodenfrage z u studiren. V o r w ä r t s Freund, bei vollem Magen hast D u weniger Bedenken u n d mehr Courage. (Zieht Franz mit sichfort in' s Wirthshaus.) 6. Scene (Der Schulze und der Rittergutspächter treten auf.)
49
R.-PÄCHTER:
Nein, kommt einmal her, Schulze. Seht Ihr dieses Plakat? Das sind mir schöne Geschichten, die in unserem Dorfe passiren. SCHULZE :
In der That, unerhört. So eine Frechheit ist mir noch gar nicht vorgekommen. R.-PÄCHTER:
Ich hoffe, Ihr werdet die Plakate sofort heruntereiße lassen. SCHULZE :
Ich wollte schon dem Nachtwächter Instruktionen geben, aber was hilfts? Es steht schon im Localanzeiger, und das ganze Dorf weiß es. R.-PÄCHTER:
Könnt Ihr die Strolche nicht arretiren? SCHULZE :
Ich fürchte mich nur vor dem Geschrei. Und wenn nun die Leute vom Amt Erlaubniß haben? R.-PÄCHTER :
Wie? Erlaubniß? Das Amt wird sich doch nicht vom Teufel reiten lassen? SCHULZE:
Es wäre am Ende besser, wenn wir mit dem Pastor Rücksprache nähmen. R.-PÄCHTER :
Offen gestanden, ich habe nicht gern mit den Pfaffen zu thun, aber wenn Ihr meint? In solchen Sachen hat der Pastor einen klugen Kopf. SCHULZE :
Den hat er, er kennt sich aus. Wartet, ich will mich ein wenig sauber machen. Paßt auf, der Pastor wird schon ein Mittelchen finden.
50
R.-PÄCHTER:
Wir wollen's hoffen. Wenn aber Alles fehlt, dann werde ich meine Knechte anmarschiren lassen. Das fehlte mir gerade noch, daß solche Strolche hierher kommen, um den Arbeitsleuten die Köpfe zu verrücken, wo man so wie so schwer auskommt. Gott, sind das Zeiten! Früher wagte keiner von den Cujons zu mucksen, denn er wußte, daß es etwas hinter die Ohren setzte, heute möchte man so einen ruppigen Jungen von 17, 18 Jahren schon per Sie anreden. Arme und Beine schlage ich den Hallunken entzwei, wenn sie's Maul aufthun. Theilen wollen sie, und wenn man ihnen heute ein Stück Feld zutheilen wollte, wüßten sie nicht, was sie damit anfangen sollen. Arbeitsscheue Subjekte sind's, die trotzdem gut leben wollen. SCHULZE :
Ihr habt Recht, sehr recht, aber seht, da kommt der Pastor, gerade zur rechten Zeit. Guten Abend, Herr Pastor, eben wollten wir zu Ihnen.
7. Scene (Der Pastor.
Der Schulze.
Der
R.-Pächter.)
PASTOR :
Gott sei mit Euch, werthe Herren. Was geht hier vor? SCHULZE :
O, Herr Pastor, muß mir so etwas in meinem Orte passiren! R.-PÄCHTER:
Ja, Herr Pastor, es ist in der That unerhört, ein förmliches Attentat auf Ordnung und Gesetz. Aber ich will diesen Wühlern schon den Spaß versalzen. PASTOR:
Nur ruhig, nur besonnen, keine Überstürzung, keine Gewaltthat. Bleiben wir in den Schranken der Gesetzlichkeit ; die Dinge wollen mit Klugheit behandelt werden.
51
Es ist schwer, den Ochsen bei den Hörnern zu fassen, man thut besser, wenn man ihm mit Klugheit den Weg verlegt. Das thun wir am Besten, wenn wir mit dem Wirthe vertrauliche Rücksprache nehmen. Der gehört doch auch zu den Honoratioren, zu den Besitzenden, und er wird deßhalb einsehen, daß er zu uns halten muß und nicht zugeben darf, daß solche Theiler ihre gemeinschädlichen Ideen in seinem Lokale predigen. Sie müssen ihm sagen, daß er dadurch die besseren Leute im Dorfe vor den Kopf stößt und daß ihm ja das Amt auch mit Concessionen für Tanzmusik, mit der Feierabendstunde und dergleichen manche Verdrießlichkeit bereiten kann. Im Nothfalle kann man ja auch den Saal zu etwas Anderem bestellen und einige Thaler dafür bieten, wogegen jene armen Schlucker nichts einzusetzen haben. SCHULZE:
J a , Sie haben Recht, Herr Pastor. Im Guten geht Alles. Ich will gleich einmal zum Wirth hinein. (Schulze ab.) R.-PÄCHTER:
Man muß es Ihnen lassen, Herr Pastor, Sie finden immer einen Weg. PASTOR:
So würden Sie, wenn Sie das Wort Gottes nicht so geringschätzten. R.-PÄCHTER:
Sie müssen entschuldigen, Herr Pastor, Unsereins hat so wenig Zeit. PASTOR:
Für seinen Gott und die Kirche sollte Jeder Zeit haben. Ich wünsche Ihnen gute Besserung, Herr Rittergutspächter. (Pastor ab.) R.-PÄCHTER:
J a , geh' hin, Du siehst auch mehr auf's weltliche Geld, als auf's himmlische Brod. Du siehst auf die Kundschaft. Na gut, man braucht Dich auch manchmal. Aha, da bringt der Schulze den Wirth gleich mit heraus. 52
8. Scene (Wirth,
Schulze
und
R.-Pächter.)
R.-PÄCHTER :
Ei, Freund Wirth, was ist mit Euch los, daß Ihr solche Geschichten in Eurem Gasthof wollt passiren lassen? Ihr, ein Mann von gutem Einkommen. Ich hoffe, Ihr werdet das zu redressiren wissen? WIRTH :
Es ist mir eine höchst fatale Geschichte, höchst fatal. Aber was soll ich nun thun? Ich nehme gar nicht gern mein Wort zurück, und außerdem sind es ganz anständige Leute, und die Andern im Dorfe stehen hinter ihnen, die kann ich auch nicht vor den Kopf stoßen. Ich kann von Euch allein nicht leben, die Honoratioren machen ihre Festlichkeiten zu Hause ab, aber bei mir verzehrt auch der Aermste seine Paar Pfennige. R.-PÄCHTER :
Aber Sie gehören doch zur besseren Gesellschaft und Sie müssen wissen, daß Alle, die etwas haben, auf unserer Seite stehen. Und nun, machen wir die Sache kurz. Hier will ich Ihnen drei blanke Thaler für Ihren Saal auf Sonntag Nachmittag geben. So viel können Ihnen diese armen Schlucker nicht einbringen. Meine Leute sollen morgen ein Tänzchen in Ihrem Saale haben. Ein Fäßchen Bier spende ich extra. Ich will einmal nobel sein. He, was sagt Ihr dazu? Ihr könnt ja zur Ausflucht noch sagen, daß ich als alter Kunde den Saal vor einigen Wochen bestellt und daß Ihr nicht daran gedacht hättet. WIRTH :
Na, da warten Sie einmal hier. Es ist zwar sehr fatal, aber wenn sich's machen läßt, daß sie nicht zu viel schreien und spektakeln, so nehme ich Eure drei Thaler. Wartet ein Weilchen, ich bin gleich wieder da. (Wirthab.) R.-PÄCHTER:
Ich denke, die drei Thaler haben gezogen. 53
SCHULZE:
Wir wollen's hoffen. Ich begreife den Gastwirth nicht. Ist so ein ordentlicher Mann und läßt sich auf solche Geschichten ein. R.-PÄCHTER :
Weil er den Hals nicht voll genug bekommen kann. Ich denke, er kann zufrieden sein mit dem, was wir ihm zukommen lassen. Er soll mir nur keine Geschichten machen. Aha, da kommt er schon wieder. Ich denke, es werden meine drei Thaler gezogen haben. WLRTH (zurückkommend
):
Ich muß sagen, es ist mir sehr fatal, aber es wird nicht anders gehen. Zwar der Eine hätte es gut sein lassen, aber der Andere schrie gleich: Das ist eine Niederträchtigkeit; da wollen ein Paar Philister ihren Mitmenschen das Versammlungsrecht verkümmern. Nun gehe ich gerade erst recht nicht davon ab. Sie müssen, Herr Wirth, begreifen, daß Ihre Wirthschaft je besser in Gang kommt, je besser sich das Loos der Arbeiter gestaltet, denn dann können die fleißigen Arbeiter auch etwas mehr aufgehen lassen, was ihnen für ihre schwere Arbeit auch sehr zu gönnen. Wohinaus die Dickbäuche aber wollen, das wissen Sie auch. Herr Wirth, die denken: selber essen macht fett. Wenn's nach Denen ginge, könnte bald kein Arbeiter mehr ein Glas Bier bei Ihnen trinken. So sagte er, und als ich ihm von den drei Thalern sprach, die Sie mir geben wollen, um die Versammlung zu hindern, rief er: so gebe ich 20 Thaler für den Saal, damit die Versammlung trotzdem stattfinden kann. Und so gab er mir die 20 Thaler hier. Ja, er sagte auch noch, wenn ich nun trotzdem den Saal nicht lassen wollte, würden sie die Versammlung im Freien abhalten und ihr Bier im Oberndorfe holen. Wie gesagt, es ist mir sehr fatal, aber Ihr seht nun wohl selbst ein, daß ich nicht anders kann. R.-PÄCHTER:
Na, so wünsche ich nur, sie schlügen Euch morgen die Tische und Stühle in hundert Millionen Granatstücke und hauten Euch Eure eigenen Bierseidel um den Kopf.
54
WlRTH: Es ist mir sehr fatal.
(Wirthab.)
9. Scene (R -Pächter,
Schulze,
Ein
Gensd'arm.)
GENSD'ARM :
Guten Abend, Herr Schulze. Hier habe ich noch spät an Euch eine Bestellung erhalten, es wird wohl wegen der Volksversammlung morgen Nachmittag sein. Es wird Euch besonders anempfohlen, rechtzeitig zur Stelle zu sein, um Excessen und sonstigen Ordnungswidrigkeiten entgegenzutreten. R.-PÄCHTER :
Nein, es ist ein wahrer Skandal, daß die Regierung solchen Unfug gestattet. Wozu brauchen diese Menschen sich zu versammeln, arbeiten sollen sie, das ist genug. Aber in den Versammlungen werden den Leuten alberne Dinge in den Kopf gesetzt von Menschenrechten, Menschenwürde und anderm Unsinn, als wenn so ein Arbeiter Menschenwürde brauchte. SCHULZE :
Na, seien Sie nur zufrieden, Rittergutspächter, wir werden den Leuten schon aufpassen. Vielleicht kommt auch Einer vom Amte heraus. GENSD'ARM:
Ja, freilich, unser neuer Assessor sagte mir, er wollte selbst nach dem Rechten sehen, und er bestellte mich und auch den Amtsschreiber. Na, der neue Assessor hat Haare auf den Zähnen. SCHULZE :
Na, was hat's denn da für Noth. Bei der ersten Gelegenheit, wo so ein Schwerenöther sich vergaloppirt — und das bleibt gar nicht aus — wird so einem Burschen das Wort entzogen. So bald er warm wird, klingt es auch
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schon wie Aufreizung, und dann wird er zur Strafe gezogen. Bleibt er aber ruhig, so macht er keinen Eindruck und ist unschädlich. Ja, unser neuer Assessor versteht's Geschäft, der hat schon Manchen nach Numero Sicher gebracht. R.-PÄCHTER :
Darin liegt wenigstens Musik, Schulze. Herr Gensd'arm, Sie sind mein Gast heute Abend, Schulze, Ihr auch. Bei einem Glase Wein können wir sehen, ob wir nicht noch das oder jene ausdüfteln, um den Leuten das Handwerk gründlich zu verleiden, denn wir sind doch die Säulen der göttlichen Weltordnung. (Alle drei ab.)
10. Scene (Franz und Georg aus dem Gasthof
kommend.)
GEORG:
So, die Magenfrage ist gelöst, nun laß uns nach den Feldern ausfliegen. FRANZ:
So spät, wo denkst Du hin? GEORG:
Ei, wir müssen ihren Spuren folgen. FRANZ:
Ich denke, wir finden sie hier leichter, denn es ist Sonnabend, da kommen die Leute zeitig zurück. GEORG:
Wahrhaftig, diesmal hast Du Recht. Und richtig, da kommt sie schon den Weg herauf. Sieh! diese schlanke, anmuthige Gestalt mit dem Strohhütchen auf dem braunen Haar.
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I i . Scene (Franz, Georg, Leonore.) GEORG (auf sie zu eilend.) :
Grüß Gott, Du schönes Kind (declamirend) : Wo warst Du, welches Gottes Macht entrückte Dich meiner Nähe, verbarg Dich diese lange Zeit? Dich hab' ich gesucht, nach Dir geforschet, wachend, träumend Warst Du des Herzens einziges Gefühl! LEONORE
(lachend):
Ach, da ist ja der Herr Comödiant wieder. GEORG:
Ja, da bin ich wieder und glücklich, Sie zu sehen. LEONORE :
Ja, sagen Sie einmal im Ernst, sind Sie auch wirklich so ein Schauspieler, oder sind Sie nicht etwa so ein herumziehender Volksredner, wie morgen Einer hier am Orte sprechen will. Oder sind Sie wohl gar derselbe? GEORG:
Derselbe, ganz derselbe, um Ihnen die Wahrheit zu sagen, liebreizende Leonore. LEONORE:
Na, dann gehen Sie aber flugs weiter, denn mit solchen Leuten mag man hier nichts zu thun haben, die faulenzend im Lande herumziehen, den Leuten die Köpfe verrückt machen, daß sie nicht mehr arbeiten und im Gegentheil noch mehr verdienen wollen, daß sie ihre Arbeit einstellen und ihre Familien Noth leiden lassen, während diese Aufwiegler sich von den sauer erworbenen Arbeiterpfennigen ein Gutes thun und Alles vertrinken. GEORG:
Aber, meine Beste, wer hat Ihnen denn das dumme Zeug erzählt? 57
LEONORE:
Das hat mir der Vater gesagt, und der Pastor predigt's und in der Zeitung steht's auch so, daß man sich wundert, wie nicht die Regierung ein Einsehen hat und die Leute einsteckt. GEORG:
Nun, was Ihren Vater anbelangt, so versteht er gerade so viel wie Sie, nämlich gar nichts. Er glaubt es so, weil er's in seinem Amtsblatte so liest. LEONORE:
Aber es steht ja auch gedruckt? GEORG:
Nun ja, das Papier ist geduldig, das läßt sich aufdrucken, was man will. Und was den Pastor anbelangt, so ärgert sich der, daß andere Leute auch Reden halten und manchmal bessere, als er sie zu Tage fördern kann. LEONORE:
Das kann sein, denn unser ehrwürdiger Pastor ist manchmal langweilig zum Sterben. GEORG:
Bloß manchmal? LEONORE:
Ja, weil ich bloß manchmal in die Kirche gehe. GEORG:
Damit Sie sehen, Beste, daß das ganz anders sich verhält, will ich Ihnen bloß sagen, daß ich heute für den Saal 20 Thaler bezahlt habe und nun gar kein Eintrittsgeld nehmen werde, weder für den ersten noch für den zweiten Platz. LEONORE:
20 Thaler? Ach gehen Sie. Für den bloßen Saal?
58
GEORG:
Für den bloßen Saal. Der Wirth hätte ihn uns umsonst gegeben, aber da sind ein Paar Angstmichel gekommen, die wollten die Versammlung hintertreiben und den Saal für drei Thaler miethen. LEONORE :
So was. Können Sie denn so viel Geld weggeben? Wie verdienen Sie denn Ihr Leben? GEORG:
Nun, ich habe etwas Ordentliches gelernt, so daß ich mir damit mein Leben schon fristen kann, zudem habe ich auch einiges Vermögen von meiner Tante ererbt, und meine Eltern werden mir auch einmal ein hübsches Sümmchen hinterlassen. LEONORE :
Was haben Sie denn gelernt? GEORG:
Ei, ich war auf der Universität. LEONORE:
Ach so, also ein Gelehrter, wie unser Herr Pastor? GEORG:
Ja, und vielleicht noch etwas mehr. LEONORE:
Könnten Sie denn da nicht eine andere Stellung einnehmen? GEORG:
Als wie die hier? Gewiß mein schönstes Kind, ich thue das hier auch nur aus Vergnügen, zur Abwechslung einmal. LEONORE:
Das ist ja anders, als mir's gesagt wurde. Aber wollen Sie nicht die Familie abschaffen, so daß Niemand mehr
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heiratet und Niemand sich um Frau und Kind bekümmert? GEORG:
Wenn Niemand heirathet, hat er auch weder Weib noch Kind, um die er sich bekümmern kann. Wenn ich aber ein so liebes herziges Weib bekäme, wie Sie sind, meine liebenswürdige Eleonore, und dieses geliebte Weib brächte mir herzige Kinder, so würde ich mich um nichts mehr, als um sie bekümmern. LEONORE :
Aber warum schreiben dann die Leute solches Zeug? GEORG:
Weil die Leute, die jetzt in der Wolle sitzen, kein Herz für ihre armen leidenden Mitmenschen besitzen und immer behaupten, es müßte so sein und bleiben, wie es jetzt immer gewesen. Und die Armen und Elenden sollen ihre Armuth und ihr Elend als eine Fügung des Himmels ansehen und gar nicht nach Verbesserung streben, auch Niemanden anhören, der ihnen Mittel und Wege dazu angibt. LEONORE:
Das ist sehr schlecht von den Leuten. Ich bin dafür, daß es allen Leuten gut gehen soll, weil es Einen betrübt, wenn man so viel Elend und unverschuldetes Unglück sieht. GEORG:
Das ist nur ein Beweis, daß Sie auch ein kleiner Sozialdemokrat sind, wie man es von einem so guten und hübschen Mädchen gar nicht anders erwarten kann. Werden Sie denn nun auch morgen zu meiner Rede kommen, wie Sie es mir schon versprochen haben? LEONORE:
Ja, gewiß, das muß ich unbedingt hören. Der Vater wird zwar sehr schelten, aber das soll ihm nichts helfen. Ich folge sonst seinen Weisungen immer, aber er weiß auch, daß ich in gewissen Dingen meinen Kopf für mich habe, und wenn das der Fall ist — 60
GEORG:
Muß er Ihnen folgen? LEONORE :
Ja, das sieht er ein. GEORG:
Himmlisch, reizend, wie Sie das sagen. Ach, was für Gewalt ich mir anthun muß, Sie nicht auf der Stelle zu umarmen! LEONORE :
Na schön, hier auf dem Markte. Nein, jetzt gehen Sie aber, die Leute gucken sich alle die Augen nach uns aus. Halten Sie sich aber tapfer! GEORG:
O das werde ich, wenn ich Sie sehe. Bekomme ich denn nicht wenigstens ein Händchen? LEONORE :
Da haben Sie's, aber nun Adieu. (Sie reicht Georg die Hand, der sie hastig an sich zieht und ihr mit überraschender
Schnelligkeit
einen Kuß
auf die
Lippen
drückt.) LEONORE
(ihn kräftig
zurückstoßend):
Ach, welche Unart, hier vor aller Welt.
(Sie läuft schnell
ab.) FRANZ:
O Georg, Georg, was für Streiche! Du bist ganz von der Kette los. Komm mit herein, die Leute bleiben stehen. GEORG:
Ja, sieh, dort muß sie wohnen, welch' prächtiges Kind. (Singend
und eine Kußhand
nachwerfend:)
„Gute Nacht, Du mein herziges Lieb!" (Beide
a.b. Der Vorhang
(Ende
des 1.
7
fällt.)
Akts.)
Münchow, Dramatik I
61
II. Akt (Die Bühne stellt eine Rednertribüne dar, von welcher man rechts auf eine ziemlich gleich hohe Zuhörertribüne gelangen kann, die sich in den Zuschauerraum hineinzieht. Auf der Bühne sieht man einen Tisch breit vor dem Publikum für das Büreau und einen kleineren quer zur Seite für die Amtspersonen.)
l. Scene (Georg und Franz
treten
auf.)
GEORG:
Also hier soll die Schlacht geschlagen werden. Es ist immer gut, wenn man sich das Terrain vorher etwas genauer ansieht. Hier wirst Du Platz nehmen mit aller Dir angeborenen Würde, dort das verehrliche Amt nebst Gensd'arm und dort zur Rechten meine Königin. FRANZ:
Sieh' nur gleich nach einem Loche, welches der Zimmermann gelassen, für den Fall, daß es schief geht, wie ich erwarte. GEORG:
0 , ich denke nicht daran, denn Franz, ich muß ja siegen. Aber sieh, wer kommt denn da? (In die Coulissen rufend:) Heda, mein Herr, suchen Sie vielleicht uns?
2. Scene (Franz,
Georg. Daschner
tritt
auf.)
DASCHNER:
O Sie entschuldigen, meine Herren, ich hörte, daß heute Nachmittag eine Volksversammlung hier abgehalten werden sollte mit der Tagesordnung: „Die Grundund Bodenfrage". Man sagte mir, der Referent, Herr 62
Müller von Eisberg, sei bereits oben. Ist das vielleicht Einer von Ihnen? GEORG:
Zu dienen, mein Herr, ich bin es. DASCHNER:
Freut mich ganz außerordentlich. Ich interessire mich auch sehr für die Sache und möchte wohl wissen, von welchem Standpunkt sie die Frage auffassen. GEORG:
Ich? von welchem Standpunkte? Vom sozialdemokratischen natürlich. DASCHNER :
Ach, Sie sind auch Sozialdemokrat ? GEORG:
J a wohl, haben Sie vielleicht etwas dagegen? DASCHNER:
O, was Sie denken, da ich ja selbst Sozialdemokrat bin. GEORG:
O so! und da wollen Sie der Versammlung wohl auch beiwohnen? DASCHNER :
Gewiß, da mich einmal mein Weg hierher gebracht hat. GEORG:
Und sich vielleicht auch an der Debatte betheiligen? DASCHNER :
Ja, ich denke wohl, da Sie schwerlich diese wichtige Frage von allen Seiten so beleuchten werden, daß nicht der eine oder andere Punkt noch weiterer Erörterung bedürfte. 7*
63
GEORG:
Das kann wohl sein, denn ich bin übrigens noch einNeuling. DASCHNER:
So dachte ich mir's gleich, denn ich entsinne mich nicht, Ihren Namen früher gehört zu haben. Nun, ich will Ihnen nur wünschen, daß Sie glücklich mit Ihrem Thema fertig werden; es ist nicht so leicht, wie Sie denken. GEORG:
Ach, was Sie sagen, bei uns können's die gewöhnlichsten Arbeiter. DASCHNER :
Sie sagen gewöhnlichsten Arbeiter? Was nennen Sie denn ungewöhnliche? Stoßen Sie sich daran, daß diese Leute meist ein Handwerk gelernt haben, davon leben müssen und das allgemeine Loos ihrer Standesgenossen theilen? Nun, ich kann Ihnen sagen, daß viel Energie, Lernbegier, Gedächtnißkraft und Schlagfertigkeit dazu gehört, bis man es dahin bringt, einen leidlich guten Vortrag halten zu können und auch im Stande zu sein, alle Fragen, Einwürfe und Entgegnungen zu beantworten. Und dabei ist es ein höchst mühseliges, gefahrvolles und großen Opfermuth voraussetzendes Unternehmen, seine Mitmenschen über ihre Klassenlage, über die Ursache ihrer Leiden, sowie über die Wege zur Abhülfe zu belehren und das Evangelium des armen Mannes zu predigen, was nöthig geworden, seitdem die Geistlichen aufgehört haben, die natürlichen Anwälte der Armen gegen die Reichen zu sein. O, glauben Sie mir, werther Herr, es gibt schwerlich einen schwierigeren, mühseligeren und gefahrvolleren Beruf, als den, die Sache der Unterdrückten zu verfechten. Sollten Sie es öfter versuchen, werden Sie es bald an sich selbst erfahren. Inzwischen entschuldigen Sie die Störung. (Daschner ab.) GEORG (ihm
nachsehend):
Der Tausend, ich glaube, das war ein wirklicher Agitator. O weh, ich bekomme eine kleine Ahnung, daß die Sache schief ablaufen könnte.
64
FRANZ:
Nun ja, auf meine Warnungen willst Du niemals hören. Aber noch ist es Zeit, spurlos zu verduften. Wollen wir den jungen Mann bitten, an Deiner Stelle zu sprechen? GEORG:
Nein, nein, was sollte Leonore von mir denken, daß ich mir nicht einmal getraute, eine Rede zu halten? Besiegelt ist's; wie jene spartanische Mutter ruf ich aus: „Mit dem Schilde, oder auf dem Schilde". Auch Patroklus mußte sterben, d. h. es sind noch viel bessere Männer als ich auf dem Platze geblieben. Aber sieh, bereits sammelt sich Publikum, treten wir bei Seite, bis das Schicksal ruft.
3. Scene (Auf der Planke rechts von der Bühne erscheint der Ritterguthspächter, der Dorfschulze mit Frau und Leonore. Auf der Bühne der Assessor, der Registrator und der Gensd'arm. Letztere Beide mit Folianten unter'm Arm.) R.-PÄCHTER:
Ja, Schulze, hier wollen wir Platz und die Kujons gleich in die Flanke nehmen. SCHULZE :
Lorchen, laß' mich dort vor, setz' dich nicht so nahe hin. Von diesen Straßenräubern, diesen Sozinaldemokranaten ist Alles zu erwarten. ASSESSOR :
Kommen Sie hierher, Registrator, und Sie auch Gensd'arm, im Namen des Gesetzes nehmen wir von diesem Tische Besitz. REGISTRATOR (sehr
kurzsichtig):
Ganz nach Instruktion. (Setzt sich an den
Präsidententisch.)
65
GENSD'ARM:
Zu Befehl. ASSESSOR:
Hailoh, Registrator, hierher. Sie wollen doch nicht den Vorsitzenden der Volksversammlung machen? REGISTRATOR
(aufspringend):
Nach Instruktion! Behüte Gott! ASSESSOR:
Haben Sie die Gesetzbücher mitgebracht, das Vereinsund Versammlungsrecht und das Strafgesetzbuch? REGISTRATOR
(das Buch
vorlegend):
Nach Instruktion! GENSD'ARM
(desgl.):
Zu Befehl! ASSESSOR (das Buch aufschlagend)
:
Die Kerle werden dadurch gleich gehörig in Respekt gesetzt vor der Autorität des Gesetzes. Aber was ist denn das? Gesetzmaßregeln gegen das Umsichgreifen der Maul- und Klauenseuche unter dem Rindvieh, nebst Ausführungsverordnung ? REGISTRATOR (mit der Nase in's Buch stoßend)
:
Da hab' ich mich vergriffen nach Instruktion. ASSESSOR
(das
andere
Buch
aufschlagend)
:
Das ist aber zu dumm, Gensd'arm, Sie brachten die Kreisphysikal - Verordnung wegen Vorkommens von tollen Hunden. GENSD'ARM:
Das ist zu dumm, zu Befehl . . . ich wollte sagen, zu Befehl, zu dumm. 66
ASSESSOR:
Nun, laßt es gut sein, wir haben, Gott sei Dank, die Landesgesetze im Kopfe. Schreiben Sie genau Alles nieder, Registrator, in's Protokoll, und Sie, Gend'arm, passen Sie scharf auf, Sie müssen es beschwören. REGISTRATOR :
Ich werde das Protokoll schreiben, nach Instruktion. GENSD'ARM:
Und ich werde es beschwören, zu Befehl.
4. Scene (Die (Der
Vorigen.) Schmied
steigt vom Saal auf die Bühne
dem Präsidentenstuhl,
wo er die Klingel
und geht
rührt.
nach
Allgemeines
Gemurmel.) ASSESSOR
(aufstehend)-.
Halt, wer sind Sie? SCHMIED:
Ich bin der Einberufer, Schmiedegeselle Sommer. ASSESSOR:
Können Sie das beweisen, Sie müssen sich legitimiren können. REGISTRATOR
(aufstehend):
Ja, wohl, legitimiren, hier im Gesetz steht's, nach Instruktion. GENSD'ARM
(aufstehend):
Legitimiren allemal, zu Befehl! SCHMIED:
Da sitzt der Schulze, der kennt mich schon, 67
ASSESSOR:
Ist das so, Herr Schulze? SCHULZE:
Ja, das ist er allemal, der größte Wühler und Demokrat im ganzen Dorfe. A S S E S S O R (geht an seinen
Platz):
Nun, dann ist's in der Ordnung, fangen Sie an. REGISTRATOR
(gleichfalls):
Nach Instruktion. GENSD'ARM
(desgleichen):
Zu Befehl. S C H M I E D (klingelt,
worauf allgemeine
Stille
eintritt) :
Geehrte Versammlung! Als Einberufer der Versammlung... so eröffne ich dieselbe und danke für Ihren zahlreichen Besuch. Bitte, machen Sie Vorschläge für einen Präsidenten ! Stimmen
(von links,
wo Georg und Franz
stehen) :
Richter! Richter! R . - P Ä T C H T E R u n d SCHULZE :
Nein, nein, wer ist Richter? (Ziemlicher
Tumult,
der sich nach und nach
legt.)
SCHMIED:
Es ist Herr Richter vorgeschlagen; wer dagegen ist, daß Herr Richter als Vorsitzender fungire, den bitte ich, die Hand zu erheben. (R.-Pächter,
Schulze,
nebst Anderen
erheben die
Hand.)
SCHMIED:
Die große Majorität ist für Herrn Richter und . . . R . - P Ä C H T E R , SCHULZE u n d A n d e r e
Nein, nein, Schwindel! Betrug!
68
rechts:
(Großer,
anhaltender
Tumult,
von Georg vorwärts gestoßen, dem Präsidententisch
der zunimmt,
während
auf die Bühne
steigt und
Franz, nach
geht.)
R.-PÄCHTER, SCHULZE und Andere rechts:
Runter! runter! D ASCHNER und winkt,
(schwingt
sich
vom Centrum
aus auf die
Bühne
worauf es nach und nach still wird) :
Werthe Versammlung! Wir, die wir hier parteilos in der Mitte des Saales uns befanden, konnten deutlich sehen, wie nur auf jener Seite (nach rechts deutend) sich einige Hände gegen den vorgeschlagenen Präsidenten erhoben; das war noch lange kein Dritttheil der Versammlung. Folglich ist Herr Richter mit großer Majorität gewählt, und die Herren, die dagegen sind, müssen sich dem wohl fügen, oder den Saal verlassen. Das wilde Schreien kann doch nicht geduldet werden, denn wir sind gekommen, etwas zu hören. (Bravo
auf der Linken,
R.-PÄCHTER
leises Murren
auf der
Rechten.)
(halblaut):
Und ich sage, es ist Schwindel. F R A N Z (die Glocke
läutend)'.
Ich danke Ihnen recht sehr, meine geehrten Herren, für das ehrende Zutrauen, welches Sie mir geschenkt. Auf der Tagesordnung steht: „Die soziale Lage der Landbevölkerung und die Lösung der Grund- und Bodenfrage". Als Referent ist Herr Lind. . . Herr Müller von Eisberg erschienen, und indem ich die Versammlung einlade, dem Referenten aufmerksam oder wenigstens ohne Störung zuzuhören, etwaige Einwendungen aber erst nach Schluß seiner Rede vorzubringen, ertheile ich demselben das Wort. Herr Müller, Sie haben das Wort. G E O R G (zögernd
auf die Bühne
steigend, für
sich) :
Jetzt geht's los. Aber wo ist sie? Ach, da sitzt sie, mir ganz nahe! guten Tag, holder Engel! wie sie prächtig aussieht. Sei mir gegrüßt! 69
(Er zum
wirft einen
flüchtigen
Handkuß
hin und spricht
dann
Publikum.)
Meine Herren, es ist heute ein Thema zu behandeln, welches nicht allen Leuten in den Streifen paßt. Diejenigen, welche etwas besitzen, geben es nicht gerne her, das ist eine alte Geschichte. Wenn aber etwas zum Nutzen der Gesammtheit nothwendig geworden, muß sich auch Jeder fügen. Und sehen Sie, meine Herren, der Grundbesitz ist eigentlich ein Unsinn, das Kapital, das ist erarbeitet und erworben, aber der Grund und Boden kann eigentlich weder ver- noch gekauft werden, weil ihn Niemand erwarb, da ihn Niemand schuf, und also wohl ein Benutzungs-, aber nie ein Eigenthumsrecht zugestanden werden kann. Und da nun gewissermaßen von Geburt aus ein Jeder Anrecht darauf hat, ein Stückchen Land zu besitzen und es schlechterdings kein Mensch einsehen kann, warum gerade Hinz und Kunz Grund und Boden besitzen sollen, Peter und Jakob aber nicht, so wird es nicht eher Friede im Staate geben, als bis Jeder, der im Staate lebt, den auf ihn fallenden Theil von Grund und Boden eingeräumt bekommt. Ja, wenn Grund und Boden noch etwas wäre, was behebig vermehrt werden kann, so daß bei wachsender Bevölkerungszahl jedem neuhinzukommenden Staatsbürger ein neues Stück gegeben werden könnte, da möchte die Sache gehen. Aber die Oberfläche der Erde gibt ein streng festgesetztes Maß von Landfläche, und innerhalb der Staaten ist erst recht an keine Vermehrung zu denken. Was bleibt also schließlich übrig? Es muß von Zeit zuZeit eine Neutheilung eintreten, damit Jedem sein Recht wird. Wenn die jetzigen Besitzer sich dadurch benachtheiligt glauben, mögen sie sich doch einmal vorstellen, wie ihnen zu Muthe wäre, wenn sie zu denen gehörten, die gar kein Land bekommen, weil Andere zuviel davon haben. Und also muß um des allgemeinen Landfriedens willen zu einer Neutheilung geschritten werden; geschieht es jetzt nicht in Güte, wird es bald mit Gewalt geschehen. R.-PÄCHTER, SCHULZE und Andere rechts:
Da haben wir's: Theiler, Theiler, Communismus, Communismus! 70
ASSESSOR
(aufspringend):
Herr Vorsitzender! Herr Vorsitzender! ich beantrage im Namen des Staates und des Gesetzes, daß dem Redner das Wort entzogen wird, weil er aufreizt. (Bravo
rechts, Murren
REGISTRATOR
links.)
(desgleichen)-.
Nach Instruktion! GENSD'ARM (desgleichen)
:
Zu Befehl! FRANZ :
Ich kann zwar nicht finden, daß der Redner aufgereizt habe, aber ich entziehe ihm dem Antrage gemäß das Wort, indem ich zugleich mein Bedauern darüber ausspreche, daß man von Amtswegen vom Vorsitzenden so etwas verlangt. ASSESSOR
(drohend)-.
Was sagt er da? REGISTRATOR
(drohend):
Nach Instruktion? GENSD'ARM:
Zu Befehl? GEORG (abtretend)
:
Das ist mir nämlich sehr angenehm, denn gerade war ich mit meinem Latein fix und alle. FRANZ:
Wünscht jetzt vielleicht Jemand aus dem Publikum das Wort über den Gegenstand der Tagesordnung? DASCHNER (vom
Publikum
aus) -.
Ich bitte um's Wort! FRANZ:
Sie haben es, bitte, kommen Sie nur hier herauf! 71
DASCHNER (nachdem er die Bühne
bestiegen) :
Geehrte Versammlung! Das, was Ihnen der Redner vorgetragen hat, ist nicht im Sinne der Sozialdemokratie gesprochen, wie Sie etwa meinen könnten, sondern nur persönliche Ansicht des Redners. Wahr ist es, daß Grund und Boden schon deshalb nicht verkauft werden sollte, weil ihn die Natur, nicht Menschenhand geschaffen hat; er kann oder soll auch deswegen nicht gekauft oder verkauft werden, weil es Unsinn ist, das Wenigen in Besitz zu geben, worauf Alle leben und wandeln und woraus Alle ihre nothwendigstenLebensbedürfnisse ziehen müssen. Grundfalsch aber war es vom Redner, eine Theilung anzuempfehlen, die immer wieder zu neuen Theilungen führen müßte. Nein, das, was seiner ureigensten Natur und Bedeutung nach nicht käuflich sein sollte, das soll auch nicht getheilt werden, sondern muß Staats- oder Gesellschaftseigenthum sein und bleiben. Dann wird man auch im Stande sein, Grund und Boden nach allgemeinen vernünftigen, dem Fortschritt der Wissenschaft unterliegenden Regeln zu bebauen und Leute dazu verwenden, die hierzu Neigung, Fähigkeit und Beruf besitzen. Wohin der Privatbesitz an Grund und Boden führt, das sehen wir schon an den anormalen Witterungs-Erscheinungen, an dem Austrocknen der Quellen und Flüsse, herbeigeführt durch das unsinnige und planlose Ausroden der Wälder. Ich habe hier eine Broschüre von Wilhelm Liebknecht, betitelt: Die Grund- und Bodenfrage. Darin ist nachgewiesen, daß jede Vertheilung des Grundes schädlich wirken muß. In England zum Beispiel sind die ausgedehnten Ländereien Besitzthum weniger Menschen, welche dieselben Pächtern übergeben. Da zieht zuerst der Besitzer ohne alle Arbeit fürstliche Einkünfte heraus, dann macht der Pächter sein Geschäft. Was dann noch für die eigentlichen Arbeiter übrig bleibt, können Sie sich selbst vorstellen: Dieselben leben größtentheils in der allererbärmlichsten Noth. In Frankreich hingegen ist das Land in lauter kleine Parzellen getheilt, der Bauer so arm, daß es ihm an dem 72
nöthigen Betriebskapital fehlt, den Boden zu kultiviren. Aber selbst wenn er imStande wäre, sich Maschinen anzuschaffen, würde er dieselben auf so kleinem Gebiete gar nicht ausnützen können. In Deutschland hält die Theilung des Landes noch die Mitte zwischen England und Frankreich. Aber dadurch, daß täglich mehr Maschinen in Anwendung kommen, täglich Verbesserungen stattfinden, muß auch hier der Kleinbauer zu Grunde gehen, wie es schon seit Langem in England der Fall ist. Er theilt das Schicksal mit dem Kleinhandwerker. Die Mittelklasse verschwindet eben, und ihre Glieder, welche jetzt noch am meisten gegen die Sozialdemokraten wüthen, lächerlicherweise in den Großkapitalisten ihre Freunde, in den Arbeitern ihre Feinde erblicken, werden von ersteren mit Gewalt in die Reihen des Proletariats gedrängt. Das sind die Wirkungen des modernen Wirthschaftssystems! Und weil wir Sozialdemokraten die Ursachen erkannt haben, weil wir dem allgemeinen Volkselend vorbeugen wollen, verlangen wir, daß Grund und Boden Gemeingut werden. Und kein Umsturz der natürlichen Verhältnisse ist dies zu nennen, wie uns die Volksfeinde entgegenhalten, nein, im Gegentheil, die natürlichen Verhältnisse würden nur wiederhergestellt und das Recht nicht länger mit Füßen getreten werden. Ursprünglich war ja auch hier in unserem Deutschland Grund und Boden Gemeingut, und die Landbauern waren nur die Pächter der Lehnshalter, bis auf einmal Leute kamen, welche mit dem Schwerte in der Hand sich den Boden gewaltsam anmaßten, jene Raubritter. . . ASSESSOR
(aufspringend):
Nein, das übersteigt wirklich alle Grenzen. REGISTRATOR
(desgleichen):
Nach Instruktion. GENSD'ARM (desgleichen)
:
Zu Befehl! ASSESSOR :
Herr Vorsitzender, ich verlange, daß dem Redner das Wort sofort entzogen wird wegen aufreizender Schmähung. 73
GEORG (wieder
vortretend):
Was Schmähung? Aufreizung? Wahrheit ist es, blanke, pure Wahrheit; die Raubritter haben nicht blos den Grund und Boden geraubt, sondern auch die freien Bodenbebauer zu Leibeigenen gemacht. Und wenn Sie das noch nicht wissen, Herr Assessor, so stecken Sie lieber Ihre Nase in ein Geschichtsbuch, ehe sie gehen, eine Volksversammlung zu chicaniren. ASSESSOR:
Wie? was? was unterstehen Sie sich? Sie haben übrigens das Wort gar nicht. GEORG:
Nun, das ist sehr gut, so kann mir's auch nicht von Ihnen entzogen werden. ASSESSOR:
Welch eine Sprache erdreisten Sie sich! GEORG:
Die Sprache der Wahrheit. ASSESSOR:
Herr, wissen Sie, wer ich bin? GEORG:
Nun jedenfalls nichts Gescheutes! (Furchtbarer Tumult rechts und links. Der Rittergutspächter, der Schulze drängen, Letzterer gefolgt von Frau und Tochter auf die Bühne-, Georg zieht sich nach der anderen Seite, Leonore folgt ihm langsam dahin.) R.-PÄCHTER:
Ich verlange, daß diese Strolche arretirt werden! FRANZ:
Wer ist denn hier Strolch, Herr Onkel? 74
R.-PÄCHTER:
Was der Teufel! Du Franz? Nein, da hört Alles auf! Wie du dich aber auch in den drei Jahren verändert hast mit deinem Barte. Aber sag' um Gotteswillen.. . (Sprechen
leise weiter,
GEORG (auf ziehend):
Leonore
indem zueilend,
sie hinter
gehen.)
und sie in den
Vordergrund
O, da ist ja mein Schutzengel. Nicht wahr, Du kommst mich zu schützen, kleine wunderniedliche Sozialdemokratin, die du bist? Habe ich meine Sache nicht gut gemacht? LEONORE:
Ach, Sie Unart, lassen Sie mich doch gehen! GEORG:
Eine Unart bin ich, aber das kommt blos daher, weil ich mich ganz sterblich in Dich verhebt habe. Und wenn man verliebt ist, das weißt Du, oder vielleicht weißt Du's nicht, so ist man ein bischen toll. Frau
SCHULZIN
(herbeitretend):
Jesus, mein Christus, der Sozialdemokrat macht unserer Leonore eine Liebeserklärung und nennt sie sogar Du. Komm doch einmal her, Mann, und arretire den Menschen auf der Stelle. GEORG:
Wie? arretiren? weil man eine Liebeserklärung macht? Das wäre der seltsamste Grund zu einer Verhaftung. Nicht wahr, theuerste Leonore, das duldest Du nicht, daß ich hier vor Deinen Augen arretirt werde? SCHULZE
(herbeieilend)-.
He? was ist hier los? Was haben Sie mit meiner Tochter zu thun, Sie Vagabund? (Georg will auf ihn los, Leonore
stellt sich
dazwischen.) 75
LEONORE :
Vater, du kennst ja den Herrn gar nicht, warum willst Du ihn schimpfen? SCHULZE :
So? Du kennst ihn wohl aber! LEONORE:
Ja, lieber Vater. SCHULZE:
Ja, ja? nein, da hört Alles auf. LEONORE :
Und ich wollte Dich bitten, ihn zu unserem Abendbrode heute einzuladen. SCHULZE:
Das Mädel ist besessen. Einen Sozialdemokraten bei mir im Hause, bei mir, dem Schulzen, zum Abendbrod! Es ist schrecklich! F r a u SCHULZIN :
Und das Schrecklichste ist, daß der Vater dem unbedachten Kinde Alles zu Willen thut. GENSD'ARM (an Georg herantretend)
:
He! Musje, kommen Sie einmal mit, daß wir Ihre Pers ö n l i c h k e i t f e s t s t e l l e n . (Faßt schüttelt.)
Georg beim Arm,
der ihn
ab-
GEORG:
Merken Sie sich, Gensd'arm, daß Sie nicht eher Hand an Jemanden legen dürfen, als bis Sie gesehen, daß Ihrer Aufforderung nicht Folge geleistet wird. Im Uebrigen sagen Sie dem Herrn Assessor, er solle sich seine Brille stärker nehmen. Ich bin der Dr. Lindner, sein leibhaftiger Bruder. ASSESSOR
(herbeitretend):
Wie Georg, Du bist's? Zwar Deine Stimme kam mir sehr bekanntvor, aber wie konnte ich ahnen, daß Du nach mehr76
jähriger Abwesenheit auf der Universität, statt zu den Deinen zu eilen, solche Dummheiten machen würdest! Ein Mensch von 23 Jahren! Ein Studirter! Georg: Ach, sei still, Theodor, Du bist der Klügste auch nicht. Wie kann man eine Volksversammlung überwachen wollen, wenn man nicht einmal seinen eigenen Bruder auf fünf Schritt Entfernung auf der Rednertribüne erkennen kann. Uebrigens mache ich nicht bloß dumme Streiche. Siehe Dir einmal dieses reizende Mädchen hier an. In diese habe ich mich verliebt, und keine andere wird meine Frau Doctorin, wenn sie will, und bei ihr wollen wir unser Abendbrod einnehmen, wenn der Herr Schulze so gütig sein sollte, seine Einladung auch auf Dich zu erstrecken. Schulze: Wird mir eine besondere Ehre sein. Georg: Franz ist nun doch dem Rittergute verfallen. Und nun handelt sich's nur noch um den Mann, der heute in diesem Saale von uns Allen das Vernünftigste gesprochen. (In's
Publikum
links
rufend:)
He, Freund, wohin? Daschner : Mit meinen Arbeitsbrüdern! Die Sozialdemokraten im Publikum links haben sich inzwischen geschart und stimmen mit kräftigem Tone die Arbeitermarseillaise an: Wohlan, wer Recht und Wahrheit achtet, Zu Uns'rer Fahne steht zu Häuf' etc. (Der Vorhang fällt.)
8
Münchow, Dramatik T
77
DEMOS UND LIBERTAS 1 oder
DER ENTLARVTE BETRÜGER E I N L I E B E S D R A M A IN Z W E I
AKTEN
Auszuschalten brav die Argen, Ist durchaus nicht tadelhaft, Sondern Lob ist das des Guten, Ueberlegt man es genau. Aristhophanes.
l Demos (griechisch) heißt Volk; Libertas (lateinisch) F r e i h e i t ; die zwei anderen Personen: Scientia (lateinisch) Wissenschaft; Parasitus (lateinisch) Schmarotzer.—
PERSONEN
Demos, ein Arbeiter Scientia, eine edle Frau Liberias, ihre Tochter Parasitus, ein Hallunke
Erster Akt (Vor dem Hause der Scientia. Dasselbe erhebt sich im Hintergrunde in antikem Stil auf einem Unterbau von mehreren Stufen. XJeber der Thüre sieht man folgende Inschrift: „Kommst du, verstohlen die Mysterien zu ergründen, Dann ziehe nur hinweg, du hast noch nicht erkannt-, Kommst du, der Menschheit meine Lehren zu verkünden. Tritt ein, du bist als ächter Jünger mir gesandt.") Erste Scene PARASITUS (eine kurze Figur mit riesigem Schmeerbauch, Schmalzgesicht und Kupfernase. Er steckt in einem modernen A nzug aus schwarzem Frack und Beinkleid, weißer Weste, Cylinderhut bestehend, und ist mit Uhren, Ketten, Berloques Medaillons etc. reich behängt. Die Finger sind mit Ringen übersät, die Brust mit allerlei riesigen, den verschiedensten Thierarten angehörigen Orden bedeckt. In der Mitte hängt ihm an einem mächtig breiten um den Hals geschlungenen Seidenbande der große Schafskopforden herunter, baumelt ihm aber in der Hitze des Gesprächs oft auf dem Rücken. Aus den beiden hinteren Fracktaschen guckt ihm je eine Champagnerflasche hervor. Mit einem buntseidenen Taschentuch fächelt er sich häufig Luft zu, dabei beständig pustend und fauchend. Von Zeit zu Zeit thut er einen kräftigen Zug aus einer der Flaschen. Es bleibt überdies jeder einzelnen Regie überlassen, ihm die Maske irgendeines lokalen ,,Parasitus" zu geben); DEMOS (ein schlanker junger Mann in moderner Arbeitertracht mit blauer Bluse, treten im Gespräch begriffen, von der Seite auf.) 1 Sprich: Berlock, kleine Zierrathen, die an die Uhrkette etc. gehängt werden. — 8l
PARASITUS :
Kurz, Demos, das sind keine Connaissancen 1 Für dich. Hochmüth'ge Weiber sind's, die oben Hinaus nur immer möchten und die sicher Verschied'nes unsinniges Zeug dir in Den Kopf noch setzen werden. Die Mama, Pass' auf, erklärt dir eines schönen Tages, D u dürftest ja nicht etwa glauben, daß Das liebe Töchterchen dem ersten Besten So ohne Weiteres an den Hals geworfen Würd'. Wolltest du sie wirklich heimführen, Dann müßtest du vorher dir sie erringen, Dich ihrer würdig zeigen durch die That. Vor Allem müßtest du, aufraffend dich Aus deinem dumpfen Gleichmuthe, das Joch Der schmachvoll knechtischen Verhältnisse, Das du nur allzu lange schon getragen, Entschlossen von dir werfen und so zeigen, D a ß du dein eig'ner Herr sein willst und kannst. Mit einem Wort, sie werden so lang' dich Mit allerlei verderblichen Irrlehren Umstricken, und so lang', so lange gegen A l l ' deine guten, alten Freunde dich Verhetzen, bis du mit den altgewohnten, Bewährten, sicheren Verhältnissen, In denen deine Väter und Urväter Schon gottselig und froh gelebt und Gestorben, unzufrieden und dadurch Natürlich auch für alle Zeit unglücklich Wirst. D u siehst nicht die gräßlichen Gefahren, Die dir hier droh'n, denn du bist ungebildet. Doch ich — ich habe Bildung (trinkt verstohlen) und durchDeshalb ihre verführerischen Künste. [ blick' Drum folge mir, mein Junge, und geh' du Den beiden künftig aus dem Wege. DEMOS :
Ihr Mögt Recht wohl haben, Herr. Ich taug' zu den 1 Bekanntschaften. 82
Vornehmen Damen nicht. (Blickt sinnend vor sich hin.) Und
doch — weis' ich Das Urtheil And'rer von mir ab und frag' Ich nur (Jen eig'nen schlichten Sinn, dann ist Es mir, als dürft' ich nimmer, nimmer von Dem holden Mädchen lassen, als gehörten Wir Beiden zu einander, als lag' all Mein Heil, all' meine Zukunft nür bei ihr, Als hätt' bisher ich nur geträumt und würde Durch sie nun erst zu wahrem Leben und Zu schönerm Menschenthum erwachen. Und Dann komm' ich selbst mir so erbärmlich vor, Daß feigen Sinns ich ihr entsagen will, Weil Hindernisse zwischen uns sich thürmen, Statt daß ich muthig Allem Kampf ankünde, Was zwischen mich sich dränget und mein Glück. Ist es denn nicht des Menschen schönstes Recht, Nach dem zu streben, was beglücket und Erhebt, veredelt? PARASITUS :
Dummkopf, du! Da sieht Man, wie das Gift der unheilschwangern Lehren Das Hirn dir schon umnebelt hat! Als ob Es überhaupt in diesem Jammerthal — (trinkt verstohlen) Sich darum handelte, glücklich zu sein! Ja wisse nur: Dergleichen Meinungen Verbreiten, ist verbrecherische Thorheit, Von hoher Stelle ward das jüngst erklärt. Fürwahr, um wieviel preisenswerther handelt Der, der's versteht, recht vielen, vielen Menschen Die janua vitae 1 zu eröffnen! (Macht
die Geste des Gurgelabschneidens.)
Traun,
Mit Recht nur liegen wir vor solchen großen, Genialen Männern voll Bewund'rung auf Dem Bauche! (Bückt sich, Arme und Beine von sich streckend, bis zur n ieder.)
Erde
1 Lateinisch: die Pforte des Lebens, d. h. des sog. ewigen Lebens, also des „Himmels" oder der „Hölle".
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Drüben, dort, im Jenseits, ja, Da kannst du glücklich sein, soviel du willst, Das kost't mich nichts — (sich rasch verbessernd) ich meine — solches ist Uns ja verheißen durch (Mit frommem Händefalten und A ugenverdrehen.) die heilige
Religion! Doch hier — wo kämen wir Wohl hin, wenn Jeder glücklich sein wollte! Ein allgemeiner Weltzusammensturz War' die geringste Folge! Immer muß Und wird — so will's die weise Vorsehung, Die mir per Post darüber sehr genaue Und zuverläss'ge Nachricht einsandte — Es solche geben, welche mit den Gaben Des ird'schen Glücks nun einmal spärlicher Bedacht sind, und die drum ihr einzig Heil Nur in der Unterordnung finden und im Gehorsam gegen die Bevorzugtem. Selbst wenn, dem Rathe jenes Weibes nach, Es dir geläng', der Bande aller Zucht Und altehrwürd'gen Ordnung so dich zu Entschlagen, daß aus meinem Dienst du träfst, Dein eig'nes Unglück wär's, ich schwör's dir zu, So wahr ich ehrlich bin! Du taugst gar nicht Dazu, dein eiglner Herr zu sein, zu steh'n Auf eig'nen Füßen, denn du bist ja viel Zu dumm und roh und ungebildet. — Sieh Mein Junge, ach, ich mein' es ja so gut Mit dir — (Fällt Demos gerührt thuend um den Hals, dreht ihm aber hinterm Rücken verschmitzt lachend eine Nase.)
und habe nichts im Sinne als Dein Wohl! Doch überdenke ich mir all' Das Ungemach, das sicher dir bevorsteht, Falls Du jener Sirene Lockungen Nicht widerstehen kannst, dann wird mir, ach! ( Weinerlich.) Ganz windelweich um's Herz! (Wischt sich mit der Hand eine Thräne aus dem Auge und wirft sie dann weg.)
Damit du aber Nicht etwa denkst, ich löge dir was vor, Lies diese Zeitungen hier 84
(Packt aus den Taschen verschiedene reaktionäre Blätter, wie Volkszeitung, Kölnische Zeitung, Nationalzeitung, Norddeutsche Allgemeine, Germania, Kreuzzeitung etc. etc. heraus, faltet eines nach dem andern auseinander und steckt sie Demos in die Hände.)
so — all' das, Was ich soebendir gesagt und wie Gefährlich jene beiden Weiber sind — Das findest du da schwarz auf weiß gedruckt! Ja, ja! Und Alle, Alle schreiben sie „Aus reiner Ueberzeugung" — (nach dem Zuschauerraum blickend) halt, wer lacht Da dort? Ich glaube gar, dort hinten sitzen Mehrere, die diese „amtliche" Erklärung gar noch zu bezweifeln wagen? Nehmt euch in Acht, ihr Reichsfeinde! Ihr stellt Damit den großen Unbegreiflichen — (Beugt sich nach Eunuchenart, mit auf der Brust Händen, tief auf die Erde nieder.)
gekreuzten
La Allah eil Allah! 1 — als „bewußten Lügner" Hin, Ihr beleidigt ihn also und habt Darum begründetste Aussicht auf — Numero Sicher! (Für sich) So wie ich hier fertig Bin, zeig' ich's an, daß sie gelacht haben. (Sich vergnügt die Hände
reibend.)
Das hübsche Denunziatiönchen bringt Mir sicher wiederum was ein, baar Geld, Ein Titelchen, ein Ordenchen oder so was. (Hier sucht er seinen großen Schafskopforden, kann ihn nicht finden, da er ihm am Rücken herunterhängt, dreht sich, ihn suchend, beständig im Kreise, Demos reicht ihm den Orden endlich und Parasitus zeigt ihn mit stolzer Miene dem Publikum. Dann zu Demos, der inzwischen eifrig in den Zeitungen gelesen, fortfahrend:)
Nun, steht's da, oder nicht? He? Aber auch Verschied'ne Bücher, hab' ich hier für dich, 1 Arabisch: Gott ist Gott. — 85
(Holt aus den Taschen mehrere Bücher hervor und drängt sie Demos auf.)
Verfaßt von dem gefeierten Scultetus 1 Und anderen dergleichen großen Geistern, Darin dieselben Grundsätze mit so Viel Schafsinn — Pardon, Scharfsinn, mein' ich, Die einzig wahren nachgewiesen sind, daß Dem Leser es schier unbegreiflich wird, Wie überhaupt es and're Meinungen Noch geben kann. All' diese Sachen lies Recht fleißig, hörst du, ich leg' dir das sehr An's Herz; das bändigt deinen rohen Geist Und lehrt dich Sparsamkeit und Ordnung, Fleiß und Mäßigkeit.
als
(säuft gewaltig) DEMOS (noch, immer in den Zeitungen lesend, halb für sich) :
Wahrhaftig, schwarz auf weiß Steht's hier gedruckt! Und da es schwarz auf weiß Gedruckt steht, muß es unbedingt auch wahr sein. (Mit
Wehmut.)
So hätt'st du nur dein Spiel mit mir getrieben, 0 Liberias? So wär' es Täuschung nur, Zu denken, daß du wahr, uneigennützig Mich liebst und daß an deiner Seite eine Bessere Zukunft mir entgegenwinkt ? So war' es ewig, ewig mir verboten, Den Pfad des Glückes und der Liebe zu Betreten, Schmerz und Trübsal ewig zu Genossen mir bestimmt? Fahr', Hoffnung, wohl Mir ziemt fortan nur eins: Mich willig in Mein Schicksal zu ergeben! PARASITUS (Demos auf die Schulter
klopfend):
Brav, mein Junge, So gefällst du mir! Nur immer hübsch Mit den Verhältnissen gerechnet und 1 Latein, für Schulze. 86
All' den unausführbaren Utopien Entsaget. Damit du jedoch in deinen So löblichen und guten Vorsätzen Durch ihrer bösen Künste Macht nicht etwa Wiederum wankend wirst, verlass' den Ort Hier jetzt, wo du ihr leicht begegnen könntest, Und geh' nach Haus zur Arbeit. Die treibt dir Am sichersten die müssigen Gedanken aus. Ohn'hin sind alle deine Leistungen In letzter Zeit so schlecht geworden, daß, Wenn's so noch lange weiter geht, ich bald An dir zum armen Manne werd'. Ich will hier Indeß für dich der Müh' mich unterzieh'n, es Den stolzen Weibern kund zu thun, daß du Von ihnen ferner nichts mehr wissen magst, Weil ihre höll'schen Umsturzpläne du Durchschauet hast. Hoho, was die da wohl Für Augen machen werden! Ihr erst' Wort, Ich weiß, wird sein: Der Rath, der könnt' ihm nur Von Parasitus kommen. So genau Isti ihnen es bekannt, wie sehr ich um Den Heil besorgt bin! Aber gehe jetzt, Mein Junge, geh' zur Arbeit, gehe! (Drängt Demos, ihm die Wangen streichelnd,
hinaus.)
DEMOS (in die Lektüre der Zeitungen und Bücher, mit denen er bepackt ist, vertieft, im Abgehen, kopfschüttelnd) :
Schwarz Auf weiß gedruckt! (Ab.)
Zweite Scene (Parasitus
allein)
PARASITUS (Zurückkommend, wischt sich den Schweiß von der Stirn. Im Laufe dieser Scene holt er eine Pastete oder dergleichen hervor und ißt mit großem Eifer daran, so daß er stets mit vollem Munde spricht):
Uff, uff, war das ein saures Stück Arbeit! J a , beim Teufel, gar schwer wird
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Es Einem heutzutag, das Pack im Zaum Zu halten! Murrend nur und knurrend beugt sich's Dem Joch, das unsre Ueberlegenheit Ihm auferlegt, und unaufhörlich gilt's, Jenen verdammten Höllengeist bekämpfen, Der doch nicht auszurotten ist, ja immer Verwegener und immer droh'nder nur Das Haupt erhebt. Ich glaub', sie nennen ihn: Gesunder Menschenwitz. Der Henker hol' Das Ding! — Am besten gängl' ich jetzt den Tölpel Mit dem gedruckten Zeug, das mir die Schmierer Zusammenstoppeln. Sie erpressen mir Ein schweres Geld, die Schufte, das ist wahr, Doch komm' ich dabei reichlich auf die Kosten. Was in den Blättern und den Büchern er Gedruckt sieht, daran glaubt er auch, als stünd's Im heil'gen Evangelium. (Betheuernd.) Es ist Auch wirklich ganz so wahr, auf Ehre! — He! Die Liebelei d a m i t der Dirne drüben, ( Weist nach demHause.)
Die macht mir höchlich bang. Bekommen sich Die Beiden, dann bin ich verloren. Mutter Und Tochter öffnen ihm die blöden Augen So gründlich dann, daß er schnurstraks mich drauf Zum Teufel jaget. Und — wo nehm' ich meinen Entbehrungslohn dann her, he? (Streicht sich mit ängstlicher Miene den Bauch die Flasche liebkosend an die Brust.)
und
Oder er Behandelt mich vollends nach den Verdiensten, Die ich um ihn mir hab' erworben und — (Macht
die Geste des
Kopfabhackens.)
Brr! Oder gar — das Schrecklichste von Allem — Er zwingt am End' mich — selbst zu arbeiten! Haarsträubender Gedanke das! Drum sei Dem nun für immer vorgebeugt! Mein muß Das süße Püppchen werden, Tropf, nicht dein! Dergleichen ist für dich wahrhaftig viel Zu gut und wir verstehen uns weit besser Darauf. Doch frisch an's Werk nun! 88
drückt
(Geht, die deutsche National-Hymne: ,,Hirsch in der Tanzstunde" vor sich hinträllernd und dazu lustig kankanierend, nach dem Hintergrund und klopft an der Thür des Hauses der Scientia an.) Seid Ihr wohl Z u sprechen, F r a u Scientia? (Horcht.)
D r i t t e Scene (Parasitus. Scientia. Eine ernste Fr scheinung in antikem Gewand von weißer Farbe. Tritt nach einer Pause aus der Thüre). SCIENTIA :
Wer ruft N a c h mir? PARASITUS :
I c h bin's, der reiche Parasitus. Ihr h a b e t doch ein Viertelstündchen f ü r Mich übrig, wie? (Beide gehen während dieser Worte nach dem
Vordergrunde.)
E s soll auch E u e r Schaden N i c h t sein, da — nehmt. (Holt aus der Westentasche ein Goldstück hervor und reicht es ihr herablassend.) ich weiß, Ihr könnt es brauchen, U n d ich protegire gerne die B e r ü h m t e n L e u t e . N u n ich hab's j a , G o t t Sei D a n k , ich h a b ' es j a ! (Schüttelt mit Goldstücken in den
Taschen.)
SCIENTIA (mit verächtlichem Blick) : B e h a l t e nur Dein G e l d ! 89
PARASITOS (sieht sie groß an)
So? Auch gut! (Steckt das Goldstück rasch wieder ein.)
Nun, wie geht's Euch sonst Denn, he? SCIENTIA :
Wie anders kann's Scientia Ergeh'n als schlecht, wo du gebietest! PARASITOS:
Also Noch immer denn die alte Feindschaft! Wodurch Ich sie um Euch verdient — bei meiner Bildung Sei es geschworen! — mir ist's nicht bewußt. Schrei' ich nicht immerfort nach Bildung, nach Mehr Bildung? Stehe ich nicht immerfort Im Kampf für die Kultur? Ja, sende ich Nicht jetzt gar eigens wohlbezahlte Boten Aus, die üb'rall hin Euern Ruhm verkünden? Sagt, was verlangt Ihr mehr noch? SCIENTIA:
Du vergissest, So scheint's, zu wem du sprichst. Die Welt magst du Mit deinen hohlen, lügnerischen Phrasen, Bei welchen ich nur Eins bewundere: Die eh'rne Stirn, mit welcher du sie immer Und immer wieder vorzubringen weißt Wohl jetzt noch täuschen — (mißt ihn verächtlich) aber mich? - Wohl führst Du ewig „Bildung" und „Kultur" im Munde, Wohl schickst du deine Bildungsprediger Hinaus — doch was du unter jenen Worten Verstehst, und was in deinen Schulen und Durch deine Sendlinge du lehren lassest, Weit mehr ist's danach angethan, dem Sinn Der Menschen mich nur vollends zu entfremden, Als Ehr' und Anseh'n mir bei ihnen zu Verleihen. Denn kein ander Ziel verfolgst au 90
Bei deinem gar so menschenfreundlichen Gebahren, als die Geister alle nur Nach deinem. Sinn zu drillen, daß gleich Jeder Von Kindesbeinen an hübsch einseh'n lerne, Wie er auf dieser Welt im Grunde ja Nur einen Zweck hat: dich zu nähren! (Parasitus
ißt grade mit vollem
Munde.)
Ja Wahrhaftig, weit, weit höher schätz' ich mir den Natürlichen, geraden Mutterwitz, Wie ihn ein Jeder auf die Welt mitbringt, Und der die Dinge so zeigt, wie sie sind. Als deine „Bildung", die gewaltsam jenen Nur unterdrückt und jegliches gesunde Urtheil vernichtet. Jene Wenigen Jedoch, die dir zum Trotz die goldne Saat Der Wahrheit auszusäen streben, die Von dir sich nicht erkaufen lassen, treu Unwandelbar zu meinem Banner steh'n — Für die hast du Verfolgung nur, Verbannung, Elend und Kerker und — wenn's gut kommt — Kugeln! PARASITUS :
Ah, Ihr meinet jene Schreier, jene Wühler, Und jene höchst gefährlichen Subjekte, Die gern das Oberste zu unterst kehren möchten! Verführer sind es, Unruhstifter und Aufwiegler, die man gar nicht streng genug Behandeln kann. Schon neulich wollte ich Meine Ukase gegen sie verschärfen, Doch ließ ich es aus ganz besondrer Gnade — Oder vielmehr, (vertraulich) es bleibt doch unter uns, Weil es zu kurze Zeit nur noch bis zu den allgemeinen Wahlen war, zu welchen ich mich dem Pöbel gerne liberal Zu zeigen pflege — vorläufig noch bei den alten — ach, so milden! — Paragraphen. Doch laßt das nur vorbei sein! Fertig hab' Ich's schon, das neue, passend're Gesetz. Es ist zwar nur ganz kurz und klingt auch 91
Sehr einiach — aber — wirken wird es und Die Wühler still machen für alle Zeit U n d Ewigkeit. Doch hört nur selbst. (Holt aus der Tasche eine Rolle hervor.) Nein, das Ist das Gesetz über K o n t r a k t b r u c h , das K o m m t auch noch dran. (Holt eine andre Rolle hervor.) Dies hier ist das über Den K a u f der Eisenbahnen. Ein gar fein Geschäftchen wird das werden, ei! (Schmunzelt hervor.)
vergnügt. Dann holt er wieder eine andre Rolle
D a s ist D a s letzte Militärgesetz. Ho, lauter Gar prächt'ge Sächelchen! (Wieder eine Und das? D a s ist Die nächste Kriegserklärung.
andre.)
(Den Finger auf den Mund legend, zu Scientia.) P s t ! Sie dürfen J e t z t noch nichts merken! E s ist leider noch Nicht ganz so weit. D o c h steht das liebe Kriegchen Jeden Moment „ i n S i c h t " . E s läuft ja ohn'hin J e t z t so viel überflüss'ges, hungriges Gesindel in der W e l t herum, daß es Zeit wird, 'mal wieder gründlich aufzuräumen. A u c h wird, solange wir nicht Krieg gehabt, Mit den Geschäften es nicht besser; die Ganze ehrbare K r ä m e r z u n f t sagt's jetzt schon! (Holt wieder eine andre Rolle hervor.) Doch halt — hier h a b ' ich's endlich! P a ß t nun wohl a u f : (Entfaltet die Rolle und liest mit erhobener Stimme.) Wir, Parasit von Dummheits Gnaden und So weiter. Einziger A r t i k e l : „ W e r D a s Maul aufmacht, wird a u f g e h ä n g t . " (Mit stolzer Miene zu
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Scientia.)
Nun, nun? Was sagt Ihr dazu, he? Bekommt Ihr nicht Respekt vor meiner Staatsweisheit? Es ist Aber auch sehr von Nöthen, daß man gegen Die Kerle seinen ganzen Witz zusammennimmt. Denn grauenvoll, haarsträubend, scheußlich sind All' ihre Absichten. Vor nichts, vor gar Nichts schrecken sie zurück. (Anden Fingern herzählend.)
Das Eigenthum, Familie, Ehe, Vaterland und Glauben Und Sittlichkeit — der ganze heil'ge Kram Ist ihnen Wurst und soll verrunjeniret Werden. Kurz, diese ganze herrliche Welt, An der ich meinerseits wahrhaftig gar Nichts auszusetzen find' — (Trinkt
verstohlen und drückt dann die Flasche an's
Herz.)
Die wollen sie In Trümmer schlagen und an ihrer Statt Das wilde Chaos setzen. Fürchterlich! (Pathetisch.) Doch, Gott sei Dank, noch, noch bin ich da! Ich Verteid'ge die Moral 1 (Wirft sich mächtig in die
Brust.)
SCIENTIA :
Vortrefflich, du Verteidigst die Moral! Du, der zahllose Maitressen unterhält, die alle dich Für baare Zahlung lieben müssen — du, Der seinen eklen Lüsten zu genügen, Verlass'ne, unglückliche junge Wesen In aller Welt aufkaufen läßt — aufkaufen, So wie man Waaren kaufet — du, in dessen Eigenen Kreisen man's in der Moral So herrlich weit gebracht hat, daß bei euch Die reine Liebe zweier Menschen, daß Die Treue in der Ehe, wirkliches, Auf gegenseit'ger Achtung ruhendes Familienleben Dinge sind, die kaum Man noch antrifft und die ihr höchstens nur Belachet — du vertheidigst die Moral! Du braver, braver Mann! 9 Münchow, Dramatik 1
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PARASITUS (Hat diese Worte mit steigendem Mißbehagen angehört und durch beständiges Räuspern, Husten, Schreien, Singen zu übertönen versucht, und nimmt jetzt eine salbungsvolle, sittlich entrüstete Miene an, dabei die Augen verschämt zu Boden schlagend.) :
Oh pfui! Oh p f u i ! Wie unsittlich seid Ihr! Ich fühl', wie ich Vor zücht'ger Scham erröth'. Wer wird denn über Dergleichen Dinge sprechen! Und dazu noch So coram populo 1 , vor diesen neid'schen Und rohen Massen, (auf das Publikum weisend) die sich gar noch freu'n, Wenn man uns Bessersituirte und Gebildete herabwürdigt. O h ! A h ! Wie unanständig! W i e gesellschaftsfeindlich! Ah! Oh! SCIENTIA:
Ja, ja, wenn man das auszusprechen Sich unterfängt, was du begehst, wenn man Dein saub'res Bild dir vor die Augen stellt, Dann weißt du immer Zeter gleich zu schreien Über Unsittlichkeit und Anfeindung. 0 über diese unsittlichen L e u t e ! PARASITUS (rasch
abbrechend):
Doch ich vergess' ja ganz, weshalb zu E u c h Ich eigentlich gekommen. Demos — SCIENTIA
(lebhaft):
Was Ist es mit ihm? PARASITUS :
E r b a t mich, E u c h zu sagen — (zögerndj SCIENTIA :
Nun, nun — 1 Lateinisch: in Gegenwart des Volkes, vor den Leuten.
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PARASITUS :
Er sei zu der Erkenntniß jetzt Gekommen, daß — er Eure Tochter doch Nicht lieben könne und deshalb für immer Ihr nun entsage. SCIENTIA:
Ah! So hätt'st du glücklich Es denn so weit gebracht! So hätt'st du glücklich So lang gelogen und verleumdet und Mit Schmutz beworfen, bist du den nur allzu Leichtgläubigen uns ganz entfremdet — uns, Den Einzigen, die's treu und redlich mit Ihm meinen und die eben deshalb dir Verhaßt sind. O, so freu' dich deines Siegs! PARASITUS :
Ich hätte das gethan? Du meine Güte! Ich sollte fähig sein, Jemanden zu Verleumden und mit Schmutz zu werfen? Ihr thut Mir da gar schweres Unrecht, Frau Scientia! (Wischt
sich, gerürt thuend die Augen
mit dem
Aermel.)
Au controlleur 1 — ich bat ihn inständig, Von diesem Schritte abzustehn, und stellt' Ihm vor, wie glücklich er sich preisen könnte, 'nen Schatz, wie Eure Tochter, dereinst sein Zu nennen. Doch umsonst — hartnäckig blieb Er nur bei seinem Willen I Er ist eben — Ich kenne ihn viel zu genau! — nicht fähig, Den hohen Werth der Liberias zu schätzen, Und er wird's nie sein. Am wohlsten fühlt Er sich in seiner jetz'gen niedern Stellung, Und jeglicher Gedanke einer Aenderung Ist seinem trägen Sinn ein Greu'l. Das ist Die wahre Ursach' seiner Absage, Nicht aber jene Handlungen, die Ihr
(mit gekränkter
Miene)
1 Sinnlos und inkorrekt, ein Fehler, der h ä u f i g v o n U n g e bildeten
g e m a c h t w i r d ; soll heißen au contraire,
franz:
i m Gegentheil. 9*
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So schnöde mir habt angedichtet. Welches Int'resse sollte ich auch haben — SCIENTIA:
Welches Int'resse, fragst du? Du willst selber sie Zu deiner Dirne haben! Und vor Allem Steht hier das theuerste Int'resse ja Mit auf dem Spiele, das es für dich gibt: Das deines Geldsackes! Du weißt nur zu Wohl, daß, wenn er und Liberias erst eins Geworden, es mit all' der Ausbeutung, All' dem Betrug, den du so schamlos jetzt An ihm verübst, für immer dann vorbei Ist. PARASITUS :
Ausbeutung? Betrug? Wie? (Mit der
professorhaft
pedantischen
Fingergeberden
Stimme.)
Permittiret 1 , Daß ich Euch allhier einen schweren error 2 In Sachen Cameralia 3 indizire 4 . Ihr definiret 5 die Kategorie 6 der Rationes 7 zwischen mir und Demos in Dem modus,8 als wie concrescirte9 sich In mir gewissermaßen — quasi10 — das Subjektum 11 , das exspoliiret 12 doch 1 Permittiren, erlauben; 2 error (lat.) Irrthum; 3 Cameralia, Volkswirtschaft; 4 indiziren, angeben; 5 definiren, bestimmen, erklären; 6 Kategorie, allgemeiner Grundbegriff: 7 rationes, die Gründe; 8 modus, A r t und Weise; 9 sich concresciren, sich verdichten; 10 quasi, gewissermaßen; n
Subjektum, die handelnde Person;
12 exspoliiren, ausplündern; 96
und
näseln-
In Demos aber das Objektum, 1 das Exspoliiret wird. Doch Ihr proficicirt2 hier Von einer Hypothesis, 3 welche ich Ganz eminent4 heterodox 5 zu nennen Mich nicht entschlagen können wohl zu dürfen Vermeine. Welche zureichenden Gründe Ich dafür habe, dies will ich Euch sogleich Vordemonstriren, expliziren und Analysiren 6 , muß aber jedoch Eodem tempore 7 commenmoriren8, Daß Ihr dies selbige Propositum9 auf's Subtilste 10 wie Imperturbabelste 11 Und Wurzelhaft'ste dissertiret12 finden Könnt in meinem berühmten, großen und Sehr dicken Opus 13 von sechs hundert fünf Und achtzig paginis 14 in groß Oktav, Wobei nicht weniger als sieben hundert Und drei und sechzig überaus gelahrte Notizen — annotationes 15 — in Denen enthalten sind neun hundert neun Und neunzig ganz verschiedene Citate! — Also: Ihr concludiret16, da Demos Diejenige Substanz quasi in sich Concorporiret17, welche die labores 18 1 O b j e k t u m , die leidende Person; 2 proficisciren, ausgehen; 3 Hypothesis, Vorraussetzung; 4 eminent, hervorragend; 5 heterodox, irrgläubig, ketzerisch; 6 analysiren, zerlegen, erläutern 7 eodem tempore, gleichzeitig; 8 commemoriren, erinnern; 9 Propositum, Thema, Hauptsatz; 10 subtil, fein, scharfsinnig; n
imperturbabel, unerschütterlich, unverfroren;
12 dissertiren, erörtern; 13 opus, W e r k ; 14 paginis, Seiten; 15 annotationes, Anmerkungen; 16 concludiren, schließen, schlußfolgern; 17 concorporiren, verkörpern; 18 labores, Arbeiten;
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De facto 1 exsecuiret 2 — pertinire3 Ihm ein Causalnexus 4 damit de jure 5 Das illibate 6 ; undiminuirte7 Produktum 8 seiner 9 operae, id est 10 Die zu der sogenannten Werthgallerte Zusamm'ngeronn'ne Arbeit. Prima specie 11 , Da respondirt 12 wohl diese These 13 dem Realen 14 Sein dieser relationes 15 . Jedoch Ihr obliviret 16 in diesem Exemplum 17 die von höchster gravitas Seiende Formel, daß die Größe der Necessität 18 des Parasitus .zur Produktion der merces 19 gleich ist ja Der Größe der Necessität des Demos Zu der Produktion der merces plus 20 SciENTIA (sich die Ohren
zuhaltend):
Halt ein! Und diese sinnverwirrenden Salbaderei'n willst du mit meinem Namen Benennen? Ich verwahre mich dagegen Auf das Entschiedenste I Mit all' dem Wortschwall 1 2 3 4 5 6 7 8 g 10 II 12 13 14 15 16 17 18 19 20
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de facto, t h a t s ä c h l i c h ; exsecuiren, a u s f ü h r e n ; pertiniren, betreffen, angehören; Causalnexus, ursächlicher Z u s a m m e n h a n g ; de jure, rechtlich; illibat, u n v e r s e h r t ; undiminuirt, u n v e r m i n d e r t ; Produktum, Erzeugniß; operae, der A r b e i t ; id est, das ist; p r i m a specie, auf den ersten B l i c k ; respondiren, entsprechen; These, S a t z ; real, w i r k l i c h ; rationes, B e z i e h u n g e n ; obliviren, vergessen; E x e m p l u m , Beispiel; Necessität, N o t h w e n d i g k e i t ; merces, L o h n ; plus, mehr.
Wollt'st du wahrscheinlich zu verstehen geben, Daß tiu zu der Hervorbringung der Güter Ganz ebenso nothwendig bist wie Demos. (Parasitus nickt bejahend)
Nun- und worin besteht diese Nothwendigkeit? PARASITUS :
Sehr einfach — simplex 1 — Er exsecuirt 2 Die rohe, körperliche Arbeit — id Est labor corporeus et vulgaris 3 Und ich — SCIENTIA:
Nun wohl — und du? PARASITUS (wieder mit seiner gewöhnlichen Stimme) :
Und ich besorg' Die geistige.Arbeit. (Setzt, bevor er diese Worte noch recht beendet hat, die Flasche an den Mund und trinkt, Scientia den Rücken zuwendend, mit weit zurückgebeugtem Kopfe und in mächtigen Zügen eine ganz geraume Weile. Dann:) So ergänzen wir
Uns gegenseitig, und das nennt man dann Interessenharmonie. (Zum Publikum.) Verstanden? SCIENTIA :
Also Wär's auch gar kein Betrug gewesen, als du Jüngst wieder jene bunten Bilderbogen Ihm marktschrei'risch für werthvollen Besitz Ausgabst und ihm damit die schwer genug Erworbenen Ersparnisse ablocktest? PARASITUS (macht die bekannte Cirkelbewegung hohlen Hand nach der Tasche hin) :
mit der
1 Einfach. 2 Führt aus. 3 Lateinisch: Das ist körperliche und gemeine Arbeit, 99
Ach so, ach so — Ihr meinet die Geschichte Wohl mit der Allgemeinen deutschen ReichsKrach-Aktien-Gesellschaft? Bitte sehr — Es ging da alles höchst „korrekt" zu. Fragt Nur unsre öffentlichen Ankläger! (Steckt mit Börsianermanier die Daumen und den Hut in den Nacken.)
oben in die
Weste
Wie haißt? Wer kann mer was bewaisen, he? Bei Gott im Himmel, Niemand kann mer nischt Bewaisen! Einige Kleine haben sie Jetzt, nach fünf Jahren, bischen angefaßt. Und warüm? Darüm, weil mer muß den Pöbel, Was gar ein grausiges Geschrei macht. Bischen beschwichtigen. Trotzdem wär's, bei Gott, Doch nicht geschehen, wenn nicht gewisse Leut', Was Actien haben, jetzt sehr wütend wären Uber die Börse nebbich, weil die Course So schlecht stehn — nebbich. Nu, das muß man schon Mitnehmen. Undank ist der Welt Lohn. Aber — Im großen Ganzen? da steh' ich so rein Und so „intakt" da — unberufen — SCIENTIA :
Sehr Begreiflich! - Da du's selber bist, der die Gesetze fabricirt - natürlich so Stets fabricirt, wie du sie eben brauchst, Da ferner du stets deine reichbezahlten, Erfahr'nen Rechtsverdreher an der Seite Hatt'st, und da endlich in den Fällen selbst, Wo du trotz alldem das Gesetz verletztest, Das Zuchthaus mit dem Aermel streiftest, Wie du's ja selbst genannt, Frau Themis, deine Gefäll'ge Dienerin, die blinden Augen Freundschaftlichst nur noch fester zudrückte — Was Wunder, wenn aus solchem dreifachen Triftigen Grund du stets durchaus „correkt" Gehandelt hast und du „intakt" dastehst! Doch du hast Recht — betrüge, lüge, stiehl Und beute aus, so lang es eben geht, 100
Das heißt so lange Demos sich's gefallen Läßt. Aber wiss' es: All mein Können setz' Ich dran, mein rastlos Streben soll es sein, Daß die Verbindung, die du so sehr fürchtest, Die ich jedoch so sehnlich wünsche, trotz All deiner Ränke doch zu Stande kommt Und bald zu Stande kommt. Von jeher stand's für Mich fest, daß Liberias und Demos einst Zu einem Paar vereinigt werden müssen, Und alles, was bisher ich that, es wär' Umsonst gethan, und alles was bisher Ich schuf, es wär' umsonst geschaffen, wenn Dies eine große Werk mir nicht gelänge, Das meines Daseins höchstes, schönstes Ziel ist. Und daß dann Demos jene Lügenketten, Die Du, scheinbar so fest, um ihn geschlagen. Machtvoll zersprengt und deiner Herrschaft, dem Eklen Gemisch von Trug und von Gewalt, Ein rasches Ende macht — deß sei gewiß I PARASITUS
(schreit):
Hai Das sind hochverrätherische Reden! Ich löse die Versammlung auf! (Wackelt
schreiend und sich die Ohren zuhaltend
hinaus.)
(Ab.)
Vierte Scene (Scientia
allein.)
SCIENTIA:
0, geh' Nur hin, du Thor! Weil dein kurzsicht'ger Vortheil Dich an das Heute fesselt, möchtest du Der Welt ein 'Stehe still!' gebieten, auf Daß nie ein Morgen komme, und dünkst dich Gar schlau, gehst du nur recht drauf aus. Mit allerlei armsel'gen Bubenstreichen dem Verhaßten Morgen seine Ankunft zu Verwehren. Dir hat Klio ganz umsonst 101
Ihr großes Buch geschrieben, drinnen du Auf jeder Seite finden kannst, wohin Es jene schließlich immer noch gebracht, Die so wie du gethan. Du willst aus der Vergangenheit nicht lernen; die dich auf Den Weg des Friedens führen müßt' und forderst In thörichter Verblendung frech zum Kampf Heraus. Wohlan, es sei! Lass' uns doch seh'n, Wem diesmal schließlich wohl der Sieg verbleibt: Der Menschheit, ja des Weltalls ewigen, Unwiderstehbaren Gesetzen der Entwicklung, der Veredelung und des Fortschrittes, oder — deinen Finten! (Geht nach ihrem Hause. (Der
Ab.) Vorhang
fällt.)
Zweiter Akt (Atrium1 im Hause der Scientia. Im Vordergrunde Tisch und Stühle im entsprechenden Stil. Man kann rings an den Wänden die Büsten verstorbener Revolutionsmänner und verstorbener, freiheitlich gesinnter Männer der Wissenschaft aufstellen. Die Auswahl bleibt jeder einzelnen Regie überlassen, doch sorge man dafür, daß unter jeder Büste der Name deutlich lesbar ist.)
Erste Scene (Scientia.
Demos.)
SciENTIA (führt Demos bei der Hand zur Thür herein, ihr nur widerstrebend folgt) :
Nein, Du mußt mich hören, Demos! DEMOS :
Laßt mich, Frau Scientia! Ich bin sehr müde und Muß morgen wieder früh zur Arbeit. 1 Vorsaal der altrömischen Häuser. 102
der
SCIENTIA:
Wie er's Versteht, dich hübsch im immer gleichen Trott Der Arbeit zu erhalten, daß du ja Nicht etwa zum Bewußtsein deiner selbst kommst. DEMOS :
Mit solchen Worten wollt Ihr eben nur Die Unzufriedenheit, den Klassenhaß in mir erwecken. Eben las ich's in Der „Volkszeitung". SCIENTIA :
Sind das die Truppen, die Er gegen mich in's Feld zu stellen hat? Das heißet ja schon halb kapituliert! Ich Werd' nicht, wie er und seine Söldlinge Es thun, mit leeren Phrasen dich umgaukeln. Dies Auskunftsmittel einer schwachen Sache Ist meines nicht. Die Thatsachen und nur Die Thatsachen, so wünsche ich, sollen Dein Urtheil lenken. O, möchtest du doch In allen Dingen die Erfahrung nur Dir Führerin sein lassen und all' Denen Auf's höchlichste mißtrauen, die dich in Das Nebelreich der Phrase führen wollen Und urtheilsloses Glauben von dir fordern! Es wäre dir zum Heil. — Doch höre nun: Indeß er dich vor meiner Tochter warnt, Erhebt er selbst ein frech' Gelüst zu ihr. Stets zudringlicher wird sein Werben nur Und immer schamloser sein Auftreten. Nicht mehr genügt es ihm jetzt, daß er zur Gefang'nen sie gemacht — sie soll nun ganz Sein eigen, sein Sklavin werden und Damit, so rechnet er, für immer dir Verloren sein. Ohnmächtig mußte ich Bisher all' dieser Schmach nur zusehn. Ist Ja Libertas der frechen Willkür und Tyrann'sehen Laune jedes ersten besten Verrückt geword'nen Schurken ausgesetzt, 103
So lange sie dein starker Arm nicht schützt Und schirmt — D E M O S (der diese Worte mit wachsender Spannung
angehört):
Was sagt Ihr, Frau Scientia? War's möglich, wie? Indessen er mir sie Als alles Schlechten Inbegriff hinstellt, Mich nicht genug vor ihr zu warnen weiß, Sollt' selber er —? Täuschet Ihr Euch auch nicht, Frau Scientia? SCIENTIA:
Ich sage nichts als: Sieh' Und urtheil' selbst. Gewiß wird er heut hier Erscheinen, um sich von dem Eindrucke, Den deine Absage auf Liberias Hervorgebracht, zu überzeugen, die, So hofft' er sicher, seinen eignen Wünschen Sie wohl gefügiger gemacht. Drum wird Er's, täusch' ich mich nicht, heut zur offenen Erklärung kommen lassen. Nutze nun — Dies ist mein Rath — diese Gelegenheit Und lern' ihn endlich kennen. DEMOS
(gepreßt):
Wohl, ich will Ihn kennen lernen! — Aber saget mir, Wie ich's beginne? S C I E N T I A (nach einer Seitenthür
weisend):
Folge mir in jenes Gemach. Es ist der Lehrsaal, allwo sich der enge Cirkel meiner Jüngerschaft Stets zu vereinen pfleget. Neu ist dir Der Ort und fremdartig, denn nie betrafst Du ihn bisher, Dank Parasitus, deinem Herrn, der dich meinem Haus stets fernehielt. Doch lassest du dich nur die Mühe nicht Verdrießen, wird dir dort zur sicheren Erkenntniß kommen, was zu deinem Nachtheil Nur allzulange unbekannt dir blieb; Von jenem Ort nämlich kannst du sein Treiben 104
Genau beobachten und so denn auch Nach seinem wahren Wesen ihn erkennen. Doch eins versprich mir: daß du dich durch nichts Zu übereiltem Thun verleiten läss'st. Erkenn' vorerst die Sachlage genau Und klar, erfüll' dich vorerst gänzlich mit Dem Hasse dessen, den du heute noch Für den von einer gnäd'gen Gottheit dir Beschiedenen Gebieter und zugleich Für deinen wohlmeinenden Gönner hältst, Und dann erst handle. So nur darfst du hoffen, Dich seinem unglücksel'gen Einflüsse Auch dauernd zu entziehen und für immer Dich von ihm zu erlösen. DEMOS (drückt
ihr dankend die
Hand)'.
Ihr habt Recht, O edle Frau! Doch kommt jetzt, kommt! (Beide gehen durch eine Seitenthür a.b.)
Zweite Scene (Libertas
allein.)
LLBERTAS (Eine jugendliche Erscheinung in antikem Gewand von rother Farbe. Sie trägt die phrygische Mütze auf dem Kopfe. Tritt nach einer kurzen Pause aus einer gegenüberliegenden Seitenthür, geht langsam, in Gedanken vertieft, zum Tisch hin, setzt sich da nieder und blickt, den Kopf in die Hand gestützt, träumerisch vor sich hin. Dann) :
Verlassen! Von ihm verlassen, der mir Alles ist! — Doch sicherlich — nicht sein Entschluß war das; Nur meiner Feinde elendes Getriebe Muß ich darin erkennen. Daß er, allZu gläubig, ihren lügnerischen Worten Vertraute, das, ja das nur trennt uns jetzt. — Wie sie nicht müde werden, mich zu schmäh'n, zu Verfolgen! Ich war' wild und leidenschaftlich, Voll Rachgier, blutgierig, erzählen sie, 105
Und haßt' die Menschen! Ich, ich deren Herz Kein glühender Verlangen kennet, als Nur aller Menschen Glück zu seh'n! Wohl wahr, Ich hasse auch: Ich hass' die Tyrannei, Ich hasse den Betrug, ob er in ird'sches, Ob er in himmlisches Gewand sich kleide, Ich hasse alle die, die pochend auf Erlog'nes Recht vom Schweiße Anderer Sich nähren — ja, sie Alle hass' ich! — Aber Ist Hassenwerthes hassen hassenswerth? Als ob nicht der nur wüßt', was Liebe ist, Der auch zu hassen weiß, wo Haß allein Am Orte! — Doch — was klage ich — (die A ugen auf den Zuschauerraum gerichtet, mit Wärme) g e w i ß ,
Gewiß, nicht lange währt es mehr und du Durchblickst das frevle Spiel, das sie mit dir, Mein Demos, treiben. Dann wirst zornerglühend Du sie von dir abschütteln, alle die Schmarotzerischen Freunde, die sich so Geschäftig um dich drängen, weil sie alle Von deiner Arbeit leben — und wirst dann In neuentflammter Lieb' zu deiner Libertas Dich wenden, um mit ihr vereint, bess're Und glücklichere Tage zu beginnen! (Blickt wieder sinnend vor sich
hin)
Dritte Scene (Die
Vorige.
Parasitus.)
(Parasitus steckt nach einer Pause den Kopf zur Thür herein. Nachdem er sich überzeugt, daß außer Libertas Niemand im Zimmer, huscht er leise herein. Beim Anblick der aufgestellten Büsten macht er gegen jede derselben wüthende Grimassen und drohende Geberden. Dann geht er auf den Fußspitzen bis dicht an Libertas.) PARASITUS (mit täppischer
Galanterie):
Schön' Guten Abend, Jungfer Libertas! LIBERTAS (erschreckt auffahrend) :
Wer ist das? - Ihr! Was wollt Ihr hier? 106
PARASITUS :
Nun, nun — nur nicht so ängstlich, schönes Kind! (Halb drohend.) An wen habt Ihr da just gedacht? Mir ahnt, Ich weiß es wohl! LIBERTAS:
Was kümmert's Euch! Genügt's Euch Nicht mehr, daß Ihr all' meine Handlungen, Daß jedes meiner Worte, sei's gesprochen, Sei es geschrieben, Ihr bespionirt, Sie nach Belieben unterdrückt, verbietet, Ja, zu dem Zweck sogar das Briefgeheimniß Frech mißachtet — soll der Gedanke selbst Nun auch vor Euch und Euren Schergen nicht Mehr sicher sein? PARASITUS (für
sich):
Das kommt noch, wart's nur ab! (Laut.) Ha, seht Ihr wohl, wie ich's errathen hab'! Daß Ihr so zornig thut, bestätigt mir Es just. Wenn ich nur wüßte, was Euch an Dem Kerl doch gar so sehr gefällt. Glaubt mir, dem Realpolitiker und Praktiker: Dieses Gesindel ist zu nichts anderm da, Als um für uns, die höh're Menschenart, Zu rackern, uns des Lebens Mühe zu Erleichtern. Jeglicher Versuch, den Ihr Wohl unternehmen mögt, was Anderes Aus der Kanaille zu machen, sie gar zu Euch Emporzuheben, ist umsonst, ja ganz Und gar umsonst. Es sind ja wohl auch so Zu sagen Menschen — mein Gott, ja, ja, aber — 'ne ganz, ganz and're Sorte, als wie uns'reins. (Schlägt sich selbstbewußt auf den Bauch.
Dann:)
Nein, nein, glaubt mir, das ist kein Mann für Euch. Ihr seht ja, wie er Eure Lieb' Euch lohnt Mit Gleichgiltigkeit, Undank, Roheit nur. Hm, Ich möcht' einen weit vernünftigeren Und praktischeren Vorschlag machen — hm, hm, — (Sieht sie zögernd von der Seite an,
dann:)
107
Nehmt mich zu Euerem Galan! Da wißt Ihr Doch, was Ihr habt! Das sollt' ein Leben werden, Als wie im Himmel, sag' ich Euch! Ihr nehmt Statt Eures proletar'schen: Libertas Den stolzen Namen Privilegia an, Und dann geht's an ein duke Jubilum: In marmornen Palästen wohnen wir Und tausend Sklaven stehn auf unsern Wink Bereit. Wir ruhen nur auf Sammt und Seide Und kleiden uns in Gold und Edelstein. Kein Tag verstreichet ohne Festgelag', Bei dem die Tafel ächzt unter der Last Der auserles'nen Speisen und Champagner In Strömen fließet! Und — der Tölpel muß Dann doppelt, dreifach arbeiten: für mich — (Will Libertas, zärtlich thuend,
umfassen.)
und meine Privilegia! Nun wollt' Ihr, sagt? LIBERTAS (stößt ihn kräftig von sich, so daß er verdutzt zurücktaumelt) :
Nicht weiter Elender! Zu lang Schon hör' ich deine frechen Reden an! Nur Zu wohl begreif' ich's nun, weshalb du mit Solch' blinder Wuth aus Demos Herzen mich Zu reißen suchst! O hör's, mein Demos, hör's: Nur darum trennt von deiner Libertas Man dich, um desto unbeschränkter nur Und ungestrafter sie der eigenen Begier dienstbar zu machen! — Meinen Namen Soll ich verleugnen, wagst du zu verlangen, Den Namen, den mit Stolz ich trag' und den Die besten Geister aller Zeiten priesen Als die Bezeichnung all' des Höchsten, was Das Menschenherz erfüllen, Menschensinn Erstreben kann — um jenen anderen Dafür mir anzueignen, welcher mich Zu deiner Metze brandmarkt? O, daran Erkenne ich dich! - (Mit Hoheit.) Wisse es: Demos Gehör' ich oder Niemandem. Ich bin 108
Nur ich, vereint mit ihm. An seiner Seite Will ich viel lieber Kampf und Stürmen trotzen. Müh' und Gefahr erdulden, als mit dir Im Ueberflusse schwelgen — ja, mit dir, In dessen Näh', wo Korruption und Knechtschaft Und Lug nur wohnen, Libertas, die ächte, Die wahre Libertas nie weilen kann, Nie, niemals weilen wird! Verlass' mich nun! (Weist nach der Thüre.) PARASITUS :
Ei, singt das Jüngferchen aus dieser Tonart? Dann müssen wir wohl and're Saiten aufziehn! (Holt aus der Tasche ein großes, weißes Tuch hervor, auf welchem mit großen Lettern die Worte: „Satory, NeuKaledonien, Plötzensee, Hubertusburg" etc. etc. gedruckt stehen, und ballt es dann zusammen.) Hier , dieser Knebel da, siehst du, der lehr' Dich, minder große Worte machen und Mir, deinem Herrn, auch hübsch zu Willen sein! (Umfaßt sie und will sie knebeln.) LIBERTAS (sich wehrend): Zu Hülfe ¡ H e l f t !
Vierte Scene Die Vorigen. Demos (der während der letzten Vorgänge bereits in der offenen Thür gestanden und von Scientia nur mühsam zurückgehalten wurde, stürzt jetzt hervor). Scientia (folgt ihm langsamer). DEMOS :
Zurück da, Bube! (Faßt Parasitus beim Kragen und schleudert ihn ohne Anstrengung weit weg, wobei sich Parasitus ziemlich unsanft auf den Boden niedersetzt. Libertas eilt indeß zur Mutter.) 10
Münchow, D r a m a t i k I
109
PARASITUS (glotzt Demos eine Weile mit offenem Munde an, besinnt sich dann plötzlich, springt auf und schreit, im Kreise herumlaufend und mit beiden Händen die schmerzende Stelle haltend) :
Hah! Hah! Das ist Aufruhr, ist Revolution! (Schreit zum Fenster hinaus.)
Zu Hülfe! Polizei, Gensdarmen und Soldaten, kommt herbei, denn die Gesellschaft, Die Sittlichkeit ist in Gefahr! Herbei, Herbei und laßt die Flinte schießen und Den Säbel hauen! Auch vergeßt mir die Gezogenen Kanonen nicht! Herbei, Herbei, herbei! SCIENTIA:
Du rufst umsonst! Die dir Zu Hülfe eilen sollen, weigern sich, Von mir über dich aufgeklärt, deinem Verruchten Treiben ferner ihren Arm Zu leih'n und haben sich mit Demos fortan Für eins erklärt. Die Flinte schießt nicht mehr, Der Säbel haut nicht mehr! PARASITUS (knickt bei diesen Worten
zusammen):
O Holl' und Teufel, D a n n ist es aus m i t m i r ! (Auf Händen.)
den Knieen
mit
Sei gnädig, Demos, Und mach' es kurz mit mir! Ich weiß ja, du Bist großmüthig, vergiss'st leicht die Unbilden, Die man dir zugefügt. Ich habe dich Im Moderduft der Kerker schmachten lassen, Nach den entfernt'sten Enden des Planeten Habe ich dich geschleppt, so wie du nur Nicht zu gehorchen wagtest. Kein Ort war mir Dann weit genug: In gifterfüllten Landstrichen, Auf unwirthbaren Eilanden, unter Der Tropen Sonnenbrand so gut wie in Sibiriens düstern Schneegefilden, wo 110
erhobenen
Fast ew'ger Winter nachtet, ließ ich dich Gefangen halten, martern! Willst du mich All' das jetzt selbst erdulden lassen? Oder — Soll ich gar selbst nun — (zusammenschaudernd) Brr! im Sklavendienst der Fabriken langsam hinsiechen? (In tödtlichster Angst,
mit kreischender
Stimme.)
O sei Barmherzig, Demos, mach' es kurz mit mir Und Schlacht' mich ab! (Drückt ihm ein Messer Hals dar.)
in die Hand
und bietet ihm
den
DEMOS :
Elender Wicht! Weil er Sich selber stets so gerne an den Qualen Der Unterjochten weidete und in Dem Blute der Besiegten wälzte und im Bewußtsein der Verbrechen all', die er An mir beging, ist es ihm selbstverständlich, Daß ich die erste Stunde meiner Macht Da zu benutze, fürchterliche Rache A n i h m z u n e h m e n . (Das
Messer weit von sich
werfend.)
Ich soll mich mit deinem Schmutzigen Blut besudeln? Viel zu mächtig, Seit ich mich selber fand, als daß ich irgend Wen, oder irgend was zu fürchten hätte, Kann ich dich ruhig leben lassen und Deiner ohnmächt'gen Feindschaft lachen! Dies Sei deine Strafe nur: Verschwind' so rasch Als möglich aus der menschlichen Gemeinschaft, Um Bessern Platz zumachen — in der That, Es wird der erste Dienst sein, den du ihr Erweisest! Hebe dich hinweg! (Weist gebieterisch nach der Thür.) PARASITUS (springt
rasch auf, bei Seite.) : O, o,
Der schwachmüthige Esel!
(Nimmt
seinen Hut und
will
gehen.)
10*
111
DEMOS : Aber halt. Noch einen Augenblick, beliebt's! Deinen Verruchten Lügenkram nimm auch nur wieder Mit. (Holt alle die Bücher und Zeitungen, die ihm Parasitus im ersten Akt gegeben, aus den Taschen hervor und wirft sie Parasitus einzeln vor die Füße.) Da, da, da! PARASITUS (sie vorn Boden auflesend,
halb für
sich):
Von diesen Hunden lass' Ich mir mein Geld zurückgeben! (Dem Publikum ein Buch weisend, auf dessen Deckel mit sichtbaren Lettern der Name Scultetus gedruckt steht.) Weh, weh', Hier diesem Rindvieh gab ich baare fünf Und vierzig tausend Thaler! Und wofür? (Stülpt
sich wüthend den Hut auf den
Kopf.)
Adieu! (Kehrt im Abgehen begriffen, nochmals
um.)
Doch was ich gleich noch sagen wollte — (Zu Demos und
Libertas.)
Wenn euch einmal zu wohl sein sollt', dann ruft Nur mich! (Demos weist strenge nach der Thüre, Parasitus rennt, mit den Büchern und Zeitungen bepackt, in weiten Schritten hinaus. Ab.) DEMOS (wendet sich zu Libertas,
ihr die Hände
streckend.) : O theurer Engel, kannst du mir Verzeih'n, daß ich dir deine treue Lieb' So schlecht gedankt?
112
entgegen-
LIBERTAS (reicht ihm die Hand,
innig):
Ich wüßt' es ja, mein Demos, daß Das Ende seines Truges auch das Ende Unserer Trennung sein wird! PARASITUS (steckt den Kopf zur Thür herein) :
Draußen vor Der Thüre steht das ganze Heer meiner Reptilien. Sie wollen alle, schwören Sie, wüth'nde Demokraten werden, Wenn du sie nur hochgnädigst füttern willst. DEMOS :
Hinaus mit dem Geschmeiß! In meinem Staat ist Kein Platz dafür! PARASITUS :
Dann schlagen sie sich In die Abruzzen! (Verschwindet
rasch
Fünfte Scene (Die
Vorigen ohne
DEMOS (ZU
wieder.)
Parasitus.)
Scientia):
Bin ich nun ihrer werth, O hohe Frau? SCIENTIA:
DU ward'st es, Demos, in Dem Augenblick, da du von Jenem dich Hast losgesagt. (Legt die Hände der Beiden DEMOS (Libertas
ineinander.)
zärtlich umarmend) :
Geliebte Libertas! Nichts trenne uns fortan!
113
LIBERTAS :
Mein theurer Demos! Auf ewig dein! SCIENTIA:
So nehmt denn meinen Segen, Geliebte Kinder! (Beide knieen Hand in Hand vor ihr nieder)
Ihr, die Eigensucht Und L u g zu trennen strebten, seid für immer nun Vereint. Ein hehrer Augenblick ist dies — Wohl werth, den schönsten Tagen beigezählt Z u werden, die die Menschheit je erblickt H a t . Ein Geschlecht seh' ich aus diesem Bund Hervorgehen, so reich an Wohlfahrt, Glück Und schöner Menschlichkeit, wie nie noch eins Gelebet. Dort wird nicht in sinnlos blind Wüthendem Daseinskrieg der Mensch dem Menschen Feindlich gegenüberstehen — nein, erleuchtet V o n der erhabenen Erkenntniß, um Wie viel vereintes Wirken besser, nützlicher A l s Krieg, wird dies Geschlecht ein Bund V o n Brüdern sein und die Gemeinsamkeit D e r Grundstein seiner Ordnung. — Nicht darin W i r d man sein Brot dort suchen, es den Andern V o m Munde wegzureißen und stets der A m meisten — überreichlich — haben, der Darauf am besten sich versteht; nicht hier Die ungeheure Mehrzahl unter Bergen V o n Elend und von Jammer schmachten, damit Dort eine kleine Schaar in übermüth'ger Entartender Verschwendung prassen könne, Nein — in der Arbeit segensreichem Wirken Wird mit vereinten Kräften man der Erde Die unerschöpfbaren Reichthümer — uns Heut'gen Noch so sehr unerkannt! — in immer vollerm Und reicherm Maß abzugewinnen streben, Kein arm, kein reich, nicht Herr, nicht Knecht dort kennen,
114
Doch dafür Jeder seinen Platz finden Am überreichen Tische der Natur. Nicht finst'rer, wahnwitz'ger Despoten Willkür, Nicht ausbeutender Kasten dieb'scher Vortheil, Künstlich verdeckt vielleicht durch das Gerede 'nes Haufens zungenfertiger und zu Jeglicher Niedertracht käuflicher Schwätzer Wird dort befehlen, was Gesetz ist; auch Nicht feile, vorurtheilserfüllte Richter In unumstoßbar'm Urtheil nach Belieben Das Recht in Unrecht und Unrecht in Recht Verdreh'n - nein, die Gesammtheit selbst, sie wird In offnem Rath beschließen, was ihr frommt, Was nicht, und Jeglicher wird sicher sein, Sein gutes Recht allzeit zu finden, thut Es Noth, vor offener Gemeine. — Nicht Mit unsinnigem Glaubenswust wird man Den Sinn der Jugend dort erfüllen, nicht mit Berechnung sie zu urtheilsunfäh'gen Maschinen, zu gefüg'gem Sklavensinn, Zu dürren Ichlingsseelen aufzieh'n — nein, an Des Wissens reinem, ungetrübten Quell, Zu ihm wird man die jungen Geister führen Und in die Herzen frühzeitig den Sinn Für alles Gute, Schöne, Große säen, Auf daß ein Jeder einst mit freudiger Begeist'rung seinen Mann stehe im Dienst Des großen Ganzen. — Nicht des Goldes so Verderbensvolle Macht, nicht knechtender Verhältnisse eiserner Zwang wird Mann Und Weib dort aneinander binden, so Verhaßte Fesseln schmiedend, die Familie An ihrer Wurzel gleich vergiftend, auch Nicht Armuth und Verlassenheit das Weib der schmachvollsten Entweihung ausliefern — nein Die Liebe nur, sie, die Veredlerin der Menschen, Wird zwischen Menschen traute Bande knüpfen Und unter ihrer süßen Herrschaft der Familie Heiligthum zur Wahrheit werden . Und wie im kleinsten menschlichen Verein H5
Die Lieb' allein das Scepter führen wird, So auch zwischen den größten. Nicht werden Die Nationen auf den Wink ihrer Tyrannen auf einander losstürzen. Um sich gleich wilden Thieren zu zerfleischen — Nein — nur zu fröhlichen Verbrüd'rungsfesten, So werden sie einand' sich nähern, sich befreunden. Erkennen, wie nicht ihr, nur ihrer Zwingherrn Vortheil sie trennte, niederreißen all' Die Schranken, die bisher sie schieden, aufgeh'nd Allmählich so zu einem einzigen Und großen, allumfassenden Verein. Und Frieden, Frieden, Frieden wird dann herrschen Auf Erden! — So wird dies Geschlecht auf offner Und nie gehemmter, lebensfroher Bahn Emporstreben zu immer höheren Und immer reinem Höh'n des Menschenthums. Und in den spät'sten Zeiten noch wird man Ihn preisen, jenen großen, schönen Tag, Da ihr zum ew'gen Bunde euch gefunden. Heil euch, Heil euch, Demos und Liberias! (Während dieser Rede kann, indem sieh die Dekoration des Hintergrundes hebt, in Form einer Erscheinung, ein lebendes Bild sichtbar werden, die kommunistische Gesellschaft darstellend. Eine Gruppe an einer Maschine thätiger und einander geschickt fördernder Arbeitsgenossen und -genossinnen deute die kommunistische Arbeit an. Eine zweite Gruppe, in welcher Männer und Frauen einem Redner gespannt zuhören, indeß zwei von ihnen die Stimmurnen bereit halten, deute die gesetzgebende und rechtsprechende Volksversammlung an. Eine dritte Gruppe, in welcher Knaben und Mädchen, im Halbkreis stehend, den Worten des Unterrichtenden lauschen, der, mit der einen Hand ein Kruzifix von sich weisend, mit der andern den Schülern ein offenes Buch entgegenhält, in welchem, dem Publikum sichtbar, die Worte ,,Wissenschaft — nicht Glauben!" zu lesen sind, deute den Jugendunterricht im Volksstaat an. Eine vierte Gruppe, in welcher eine junge Mutter, von ihrem Gatten zärtlich umhalst, ihr Kind auf den Knieen schaukelt, indeß daneben ein junger Mann um die Liebe des schüchtern vor ihm stehenden Mädchens wirbt, deute Familie und Ehe im Volksstaat an. Eine 116
fünfte Gruppe endlich, in welcher sich Franzose, Brite, Deutscher, Italiener, Slawe etc. über zerbrochene Waffen hinweg die Hände reichen, die Verbrüderung der Nationen in der kommunistischen Gesellschaft. Die vier letzten Gruppen umgeben die erste an den vier Seiten derart, daß alle zu einem harmonischen Ganzen vereint bleiben. Darüber weht ein mächtiges rothes Banner.) (Der Vorhang fällt
langsam.)
117
ULRICH VON HUTTEN EIN GESCHICHTLICHES SPIEL
von Manfred
Wittich
PERSONEN
Ulrich von Hütte: Barthel Lorenz Veit
Landsknechte
Der lange Probst Paulus Schäfer Klein Nickel
fahrende Schüler
Peter Stoyck Valentin Smyd Matthias Tyle
wandernde Schuhknechte
Johannes Tezel, Ablaßprediger, Inquisitor hereticae pravitatis Michel, erster Bauer Kunz, zweiter Bauer Bäuerin Künzel, Bauernbursche Volk Zeit: April
1521
Ort: Ein Dorf, ein paar
Tagsreisen
von Worms
entfernt
(Bauernwirtshaus, Stühle,
Spuren von Plünderung
tragend, 2 Tische,
Bänke,
Bauernbursche,
vor der Thür sitzend, dann der
Bauer,
Landsknechte.) DER
BAUER:
Künzel! Künzell mach's Tor zu! Gartende Landsknecht kommen! Und die Sippe läßt nix liegen denn glühend Eisen und Mühlstein'! — Mach' doch Maulaff! — Ach Gott, da hau'n sie schon der Zaun zusammen! — Und jetzt — jetzt ist's zu spät . . . Jetzt geht's in den Stall! — Gott Gnade unsern Hühnern und Gänsen und der Kuh! . . . Und Du, verzagter Galgenschwengel, Du Dillendapp bist dran schuld! Warum schläfst und träumst, wenn man Dir zuruft! (schlägt
ihn)
Na wart, wenn das Gewitter vorüber ist! Dein Brot ist dir gebacken! D E R BURSCH KÜNZEL:
Auweh! Auweh! Jesses, Marie und Josef! Bauer, Bauer! laßt mich aus! (reißt sich los und rennt fort) BARTHEL : (tritt auf den Bauer zu, dieser will
fliehen)
He Bauer! Halt! Steh', oder ich schlag' Dir den Schädel ein, Du Kuhhäuter! — Willst bleiben? Wart' wir werden Dir das Laufen abgewöhnen, Halunke! (ruft hinter die
Kulissen)
Lorenz! Veit! Helft mit den Schuft binden! 121
BAUER:
Erbarmen, Herr! Erbarmen! Was wollt Ihr denn von mir? Ach, ich hab' selbst nix mehr! 's sind schon andere dagewesen, und es ist gar nix mehr in Bänken! LORENZ :
Halts Maul, Du Molkendrämel, bis Du gefragt wirst! Was da ist, werden wir schon finden! Jetzt horch fein auf, was ich Dir sag', Bauer! Ich hab' 'ne Frag' im Vertrauen ! — Mann, wo hasts Geld? (Packt
ihn an der Kehle
schüttelt
ihn.)
BAUER :
Ach gewiß und wahrhaftig, ich hab' keins mehr, kein einzigs! Bei der Mutter Gottes, Herr Landsknecht! LORENZ:
Bist ein lügender Hund, Bauer! Jetzt red', sonst geht Dir's schlimm! BAUER :
Ach Herr, ich kann nix sagen; ich hab' gewiß und wahrhaftig kein einzigen Heller mehr! BARTHEL:
Lorenz hol ein Trichter und schlepp Wasser her, wir wollen dem Vögelchen das Singen beibringen! Und Du, Veit, schau aus, was noch da ist, das wir brauchen können. BAUER :
A c h , gnädger Herr, Erbarmen! Erbarmen! BARTHEL :
Halts Maul, wenn du nit gestehen willst, wo's Geld ist! (Lorenz Stricke. Bauer
bringt Eine
einen
Bank
Eimer
mit
Wasser,
Trichter
und
wird herbeigebracht, auf welcher man den
während des Folgenden
hinlegt und
anbindet.)
So, mein feins Bürschlein, jetzt woll'n wir Dir ein Landsknechtssüpplein einflößen, daran du denken sollst Dein 122
Lebelang! — Einen Löffel braucht's gar nit; sperrs Maul auf, Hund! (Zwingt dem Widerstrebenden
den Trichter
in den
Mund.)
Nun gieß auf, Lorenz, daß es nur so eine Art hat. (Bauer aus.)
gurgelt
und schnauft
und stößt unartikulierte
Töne
Nun willst beichten? — Lass' ab mit Gießen, Bruder. — Wo hast's Geld, Bauer? BAUER:
Ach Erbarmen! — Ich hab' — bei Gott's Kreuz und Wunden! — keinen roten Heller! BARTHEL :
He Lorenz! Gieß von Frischen auf; er ist noch nit mürb. — Und siehst, Halunk, wenn das nit hilft, werden wir andere Saiten aufziehen! Wir stechen Dir ein Loch in Deine Lästerzunge, ziehen Dir ein Bindfaden durch und fiedeln Dir eins auf, daß Du die heiligen Englein im Himmel singen hörst! (Bauer
schreit dumpf
daß er reden
und gibt durch Zeichen
zu
verstehen,
will.)
Nun, willst Du endlich gestehen? BAUER :
Ach j a ! Erbarmen! Mein Leib! Mein Leib! Wir sind schon gebrandschatzet worden! Ach Gott! Ach Gott! Nur noch ein irdenes Häfelein mit 'nen paar Silberpfennigen ist drinnen — unter dem Herd vergraben ! BARTHEL :
Geh' mit dem Kerl hinein und hols, Lorenz. Ich seh' dort Einen kommen, drum will ich hier warten und sehn, was es für Einer ist. (Der
dritte Landsknecht,
Veit,
tritt wieder
auf mit
Beute
beladen.)
123
- Hast was gefangen, Veit? (Bauer wird losgemacht und geht mit dem zweiten ins Haus.)
Landsknecht
VEIT:
Nit viel, Bruder! Eier, Brot, einen mageren Hahnen und eine dürre Gans und dies Fäßlein, das ist alles. Was nit niet- und nagelfest war, haben andere schon fortgeschleppt. LORENZ: (kommt mit einem irdenen
Topf)
's hat seine Richtigkeit. Aber klimperwenig ist drinn in dem Scherben! BARTHEL:
Heb's auf, wollen's dann teilen oder ausspielen; jetzt wollen wir sehen, was in dem Fäßlein ist. Trag' den Klostervogel und den Hahnen 'nein ins Haus; die Bauersfrau soll sie uns braten. Ist immer besser wie gar nix! Landsknecht müssen einen guten Magen haben, können eiserne Radnägel verdauen, käuen was sie kriegen! Heut soll's uns mal wohler werden! VEIT: (Geht ab, wirft die Vögel in den Hausflur sie zu braten und kehrt wieder zurück.)
mit dem
Befehle,
Jetzt wollen wir doch einmal sehen, was in dem F a ß ist! - Ho! ho! Das ist ja Wein! Kommt Brüder, laßt uns Eins zechen! Becher sind auch da; die hab' ich mitgebracht im Korbe. Eingeschenkt! Und nun wollen wir fröhlich und vergnügt sein. BARTHEL:
Und wem gilt unser Trunk? VEIT:
Hoch lebe Jörg von Frundsberg, aller Landsknecht lieber Vater! 124
A L L E DREI :
Hoch Jörg von Fundsberg! Hoch der liebe Vater aller Landsknecht. (Ein Ritter, Hutten ist inzwischen herangekommen, an einen Baum und sieht dem Zechen zu.)
lehnt sich
BARTHEL:
Den Jörg von Frundsberg muß man wahrlich loben, Der ist ein Mann von echtem Schrot und Korn! Der stößt mit einem Finger Dir zu Boden Den stärksten Mann, den Du nur finden magst, Und hält mit seiner Faust im vollen Lauf Ein Roß Dir auf! Und mit der ries'gen Schulter Schiebt er ein Stückgeschütz mit Spaß beiseite! LORENZ:
Doch wir, des edlen Frundsberg wackre Söhne Und lieben Kindlein, wie er selbst uns nennt. Auch wir sind nicht von Stroh! - Laßt jetzt die Becher! Was sollen uns die lump'gen Finkennäpfe! Laßt jetzt als Willekomm den Helm umgeh'n! VEIT: (zum
Ersten)
Stimm an, Du bist ja doch von uns der Aelteste! (Der Stahlhelm eines der Landsknechte wird mit Wein gefüllt und kreist, indem jeder vorm Trinken einen Vers singt.) BARTHEL :
Hei, schenket mir im Helme ein! Das ist des Landsknecht Becher! Er ist nicht seicht und, traun, nicht klein, Das freut den wack'ren Zecher. Er schützte mich zu tausendmal Vor Kolben, Schwert und Spießen; Er dient mir jetzt als Trinkpokal Und in der Nacht als Kissen. (Trinkt
und gibt den Helm
11 Müncbow, Dramatik I
weiter.)
125
LORENZ:
Zu Trier traf ihn jüngst ein Speer, Bin fast ins Gras gesunken. Ja, war er durch, hätt' nimmermehr Ein Tröpfelchen getrunken! Doch kams nicht so! Ich danke Dir, Du treue Pickelhaube! Der Welsche büßte bald dafür und röchelte im Staube. (Trinkt
und gibt den Helm weiter )
VEIT :
— Nun tröst' ihn Gott! Schenkt ein! Schenkt ein! Mein Krug hat tiefe Wunden, Doch hält er noch den deutschen Wein, Und soll mir oft noch munden! Schenkt ein! Schenkt ein! Schenkt ein! Schenkt ein! Mein Krug hat tiefe Wunden, Doch hält er noch den deutschen Wein, Und soll mir oft noch munden! (Trinkt.) A L L E DREI :
Schenkt ein! Schenkt ein! Schenkt ein! Schenkt ein! Mein Krug hat tiefe Wunden, Doch hält er noch den deutschen Wein, Und soll mir oft noch munden! (Wirtin trägt das Essen auf, bleibt stehen und wischt sich die Augen; Hutten ist während des Gesanges auf sie zugegangen.) HUTTEN :
Was ist Euch, Mutter? Warum weint Ihr denn? WIRTIN : (will nicht reden, zieht ihn
beiseite)
Gehört Ihr nicht zu denen? 126
HUTTEN :
Nein; warum? WIRTIN :
Sie nahmen uns den letzten Groschen weg, Den andere uns noch gelassen hatten. HUTTEN : (zu den
Landsknechten)
Was hör' ich hier? Ist's wahr, daß Ihr geplündert Und dieses Bauern Geld gestohlen habt? BARTHEL:
Oho, Herr Ritter, was geht Euch das an? HUTTEN:
Was mich das angeht, will ich gleich Dich lehren! (Zieht
den Degen und geht auf ihn
los.)
Jetzt gebt den Raub den Bauersleuten wieder! LORENZ:
Hoho, was schwätzt Ihr da! Der Kaiser hat Befohlen, daß der Bauer uns den Pfennig Zum Unterhalte reiche. HUTTEN :
Doch gewiß Nahmt Ihr hier mehr als Zehrung auf den Weg. VEIT:
Was ktimmerts's Euch? Laßt uns doch ungeschoren! HUTTEN :
Wie? Wollt Ihr nicht? Seid Ihr denn Diebe Und Räuber? BARTHEL:
Hütet Euer Maul, Herr Ritter! II«
127
HUTTEN:
Zieh', Schurke, wenn Du Mut hast! BARTHEL:
H a ! Das will ich! (Sie fechten,
Hutten schlägt ihm den Degen aus der
Hand.)
Beim Teufel! führt Ihr eine scharfe Klinge! HUTTEN :
Die schlechte Sache lähmte Dir die Hand! Schämt Euch ins Herz! Wollt Ihr nicht ehrlich fechten? Zieht lieber Ihr als Dieb' und Räuber um Durch Euer Vaterland! (blickt nach der Kulisse
während die beiden anderen
ziehen und auf Hutten
eindringen)
blank-
Ha, dort kommt Hilfe! Fahrende Schüler sind's, wie's scheint. — Herbei! Kommt schnell herbei und helft der guten Sache! LORENZ: (zerknirscht)
Herr Ritter laßt es sein! — Wir geben ja, Was wir genommen wieder her! — Ich selbst Bin eines Bauern Sohn! Mich reut es jetzt. Doch sagt, was soll der arme Landsknecht beißen, Wenn man ihn abdankt und kein anderer Herr Zu Felde zieht, um sein sich zu bedienen? Und Hammer sein ist besser als der Ambos! (Zu den
Bauersleuten)
HUTTEN :
Gebt her, was Ihr hier nahmt und zahlt dazu, Was Ihr verzehrt; dann rat' ich Euch vielleicht, Wie Ihr mit Ehren Euren Sold verdient! Gefällt's? 128
LORENZ:
Wir wollen! (Zu
den
Bauersleuten)
Hier ist Euer Topf, Noch unversehrt liegt jeder Heller drin. HUTTEN :
Da, Mutter, nehmt was Euer ist! - Doch Ihr Bezahlt nun auch, was Ihr verzehrt, denn sonst Verfahren wir mit Euch wies Recht mit Räubern. (Zu den Schülern
gewendet)
Ihr Herren steht mir sicher doch zur Seite! (Die fahrenden BAUER und
Schüler geben Zeichen
der
Zustimmung.)
BÄUERIN:
Dank Euch, gestrenger Herr, für Eure Güte! HUTTEN :
Wer Friede hält, der soll auch Friede haben. Wo blieben wir, wenn nicht der Bauer war? (Die
Landsknechte
beraten sich.)
BARTHEL :
Es sei! — Jedoch was wolltet Ihr uns raten ? HUTTEN:
Zieht mit nach Worms! Dort weilt ein Freund von mir, Ein mächtger Hauptmann, den Ihr alle kennt Und ehrt gewiß; ich will Euch ihm empfehlen. Habt Ihr Paßporten? A L L E DREI LANDSKNECHTE:
JaHUTTEN:
So zeigt sie ihm; 129
Und wenn Ihr, wie es scheint, recht tüchtig seid Und kriegsgewohnt, so wirbt er Euch gewiß. VEIT:
Sagt an, wer ist der Freund, von dem Ihr redet? HUTTEN :
Der Pfaffenfeind Franciscus von Sickingen. BARTHEL:
Hallo! — Wir sind die Euren! LORENZ:
Bauer, komm! Wir zahlen Dir, was vorhin wir genommen! VEIT:
Setzt Euch zu uns, Herr Ritter und Ihr Herren! (A lle setzen sich zusammen, nachdem beide Tische gerückt sind.)
zusammen-
BAUER:
Dank! tausend Dank! Nun will ich einmal sehen Ob denn nicht doch noch was im Keller ist! LORENZ :
Spitzbube Du, das dacht' ich mir schon lange! HUTTEN:
Wohin führt Euer Weg, Ihr Herrn Studenten? Das seid Ihr doch, wenn mich nicht alles trügt. LANGER PROBST:
So ist es, werter Ritter, und wir reisen Nach Worms, zu hören, wie die neue Lehre Vor Deutschlands Herrn und Fürsten wird besteh'n! (zum
Bauer)
Schaff' uns zu trinken! Becher her! Wir zahlen! 130
HUTTEN :
Wir zieh'n zusammen! - Doch, Glück auf zur Reise! Ich bring's Euch zu! PAULUS SCHÄFER :
Wir danken gern Euch, Herr, Und dies auf Euer Wohl! HUTTEN :
Und nun ein Lied! Ich hört' von fern Euch singen. Stimmt eins an! FAHRENDE SCHÜLER: (singen
alle
drei)
Mihi est propositum In taberna mori . . . HUTTEN :
Halt' ein! Ich selbst verehr' die Wissenschaften, Ich selbst schrieb manches Buch lateinisch schon. Doch hab' ich jetzt zum Deutschen mich gewendet, Daß alles Volk versteht was einer schreibt. So singt auch Ihr in deutschen Landen deutsch! LANGER P R O B S T :
So sei es denn! Der Wunsch soll Euch geraten! A L L E D R E I FAHRENDEN S C H Ü L E R :
Mein Begehr und Willen ist: In der Kneipe sterben! Nah' den Lippen sei der Wein, Eh' sie sich entfärben. Und der Englein Sterbechor Möge für mich werben: Laß den wackern Zechkumpan, Herr, Dein Reich ererben! Nur beim vollen Becher flammt Auf des Geistes Leuchte, Von der Erde hebt das Herz
Sich, das nektarfeuchte! Doch beim Wirt ein frischer Trunk Stets mir besser deuchte, Als im Kloster, wo den Geist Wasser uns verscheuchte. Leib und Leben laßt dem Wein Uns, dem guten, weihen, Sintemal er innerlich Schafft ein gut Gedeihen! Bringt man uns nur Wein genug, Wann wir darum schreien, Woll'n in Deinem Himmel wir, Herr, Dich benedeien. Für die Kirche nicht so sehr Ist mein Herz erglommen, Doch die Kneipe war mir stets, Bleibt mir stets willkommen, Bis dereinst die Englein nah'n, Bis mein Ohr vernommen Ihren Lust'gen-Bruder-Gruß: Ew'ge Ruh' den Frommen! HUTTEN :
So ist es Recht! mag Euch nur niemals rosten Der ungebroch'ne, frohe Jugendmut; Denn unsre Zeit bedarf der Lebensfreude Und vieler frohgemuter, tüchtger Männer! Mag auch der Most recht wild zuweilen schäumen, So gibt er dann doch um so stärkeren Wein. — Jetzt schäumt's bei uns an allen Eck' und Enden, Es gährt und kocht und brodelt übermächtig! Ist eine große Zeit, in der wir leben! O, möchte sie uns alle wachsam finden! Denn zu entbehren ist kein einzger Mann, Der sich im Schweiß des Angesichts bemüht Zu schaffen für das allgemeine Beste! LANGER PROBST:
Verzeiht mir, Herr, Ihr seid wohl ein Gelehrter! Eu'r Wort in Ehren, wend' ich dennoch ein: 132
Ich kann die Zeit so lustig grad' nicht finden, Wo alles zweifelt, leugnet und verneint. P A U L U S SCHÄFER :
Hört nicht auf ihn! Er ist ein Romanist, Er möchte, alles blieb beim alten stehn, Und speit sofort Euch Schwefel, Pech und Feuei Wenn er ein Wort hört von dem neuen Geist, Der seine Flügel heute mächtig regt. K L E I N NICKEL :
Herr, hört sie beide nicht! Es sind ja Eifrer, Sie mischen sich in der Parteien Kampf, Um den die Wissenschaft sich doch nicht kümmert! Was geht das Treiben dieser Welt uns an? HUTTEN :
Was sprecht Ihr da? Das kann ich nicht begreifen 1 Wohl ist die Wissenschaft von dieser Welt! Wohl hat sie um die Erde sich zu kümmern! Wohl geht auch sie des Volkes Leben an! Sie soll nicht bloß in enger Klosterzelle Und im Museum des Gelehrten wohnen; Sie muß ans helle Tageslicht heraus Und auf den offnen Markt! Zum Volke reden! Sie ist nicht da, daß wen'ge sie genießen Und sie der Menge neidisch vorenthalten, Weil sie sich besser als die andern dünken; Nein, nein! Die Wahrheit ist für alle wahr Und nicht nur Eigentum der Auserwählten! Das eben wird der Segen unsrer Zeit, Daß ihre Quellen hell am Tage fließen. P A U L U S SCHÄFER :
Ich dank Euch, Herr, das mein' ich ebenso. Wer neidisch seines Geistes Pfund vergräbt, Gleicht mir dem Filz, der bei verschlossnen Türen Mit seinem schnöden Mammon geil liebäugelt Und kaum sich traut, ihn selber zu genießen! Er ist ein Dieb an dem gemeinen Gut! 133
KLEIN NICKEL:
Die Wissenschaft ist kein gemeines Gut! LANGER P R O B S T :
Darin geb' ich Dir recht. Das Volk soll glauben. Und unsre Pflicht ist, das nur zu verkünden. Was unsre heilige Kirche uns befiehlt. HUTTEN :
Habt Ihr gehört, daß auch das Salz der Erde Zuweilen dumpf wird? LANGER P R O B S T : (macht eine abwehrende
Bewegung,
will
reden)
HUTTEN :
Hört mich ruhig an. Glaubt Ihr, daß Wissenschaft stets vorwärts schreitet? LANGER PROBST :
Warum nicht; weil wir immer mehr erfahren. HUTTEN:
Und wenn wir das Erfahrne allen andern Geheimnisvoll verbergen und für uns allein Zurückbehalten, was wird daraus folgen? LANGER PROBST :
Wir werden klüger als die andern sein Und unsre Klugheit nützen! HUTTEN : (lächelnd)
Doch, wenn nun Das, was wir Klugheit nennen, allen andern, Die wir darum betrogen, Torheit ist, Ja Ketzerei, was dann? 134
LANGER PROBST :
Wir werden sie Belehren und allmählich überzeugen. HUTTEN :
Wenn sie uns glaubenswütig nicht alsbald, Noch eh' es uns gelang, sie zu gewinnen, Zum Schweigen bringen auf dem Scheiterhaufen. BARTHEL :
Bei Gott, der Herr hat recht! Ich denke mir, Daß darum Jesus Christus ward gekreuzigt, Weil seine Lehre weiser war als die Bis dahin ward gelehret dem Judenvolk Von seinen Schriftgelehrten, seinen Priestern Und Pharisäern, oder wie sie heißen. MEHRERE
STIMMEN:
Jawohl! Gewiß! So ist es! So, nur so! P A U L U S SCHÄFER :
Herr, jetzo fürcht' ich Schlimmes auch für Luther, Des Doktors Schriften hat man schon verbrannt, In Bann kommt, wer sie liest und weiter gibt! So wird's ihm selber wohl noch gehn, der jetzt, Nach Worms bestellt, sich dort rechtfert'gen soll. Ich sorg', es ist aufs Brennen abgesehn! HUTTEN:
Das soll ihm wahrlich nicht gescheh'n. Da mögen Die Romanisten noch so hitzig tun! Spürt Ihr's denn nicht? Jetzt weht der Freiheit Luft! (Zum
zweiten
Schüler)
Doch davon später. Hört, ich hab' 'ne Bitte, Helft mir mit Euren Schreibgeräten, Freund. Ich muß ein Brieflein schreiben, und hier ist Nicht Pergament, noch Feder, noch Papier! Kommt mit ins Haus.
135
(Zu den
Landsknechten)
Wir seh'n uns wieder, Herren, Nachmittag brechen wir dann auf nach Worms! (Ab mit dem zweiten
Schüler.)
BARTHEL:
So sei's, Herr Ritter. — Und was tun wir nun? LORENZ:
Laßt uns mit Würfelspiel die Zeit verkürzen. VEIT:
So lob' ich mir's! Kommt mit! Der Wald ist kühl.
(Drei Landsknechte ab. — Zwei Schüler bleiben. — Zwei Handwerksburschen kommen singend von rechts. Der Bauer trägt ihnen Tisch und Stühle zu, immer singend, nehmen sie Platz. Es wird Getränk gebracht.) HANDWERKSBURSCHEN :
Es es es und es Es ist 'ne harte Nuß, Daß daß daß und daß Ich aus dem Städtchen muß. Was Liebliches kaum hatt' ich dort Mir angeschafft, da mußt' ich fort Und muß den Schatz verlieren, Marschieren. Da da da und da Da liegt das alte Nest! Wohl wohl wohl und wohl Ist mir darin gewest! Die Woche wurde brav geschanzt, Doch jeden Sonntag flott getanzt, Wir waren meine Seele Fidele. (Ein dritter Handwerksbursche kommt von links, sowie er die beiden ersten Handwerksburschen bemerkt, gibt er Zeichen freudigen Erstaunens, bleibt stehen und fällt, mit seinem Stocke taktschlagend, in den Gesang ein.) 136
A L L E DREI SINGEN:
So so so und so So geht es in der Welt Fort fort fort und fort Vom Ort, wo's uns gefällt. Und ist kein Nest so schlecht und klein, Warst Du ein Wochner viere drein, Da dünket Dich das Scheiden Ein Leiden. Nun nun nun und nun Leb wohl, mein Bruderherz! Es es es und es Gibt Meister allerwärts, Dazu auch Meisters Töchterlein Und eines, gut Bier oder Wein; Will alles mir probieren, Marschieren. P E T E R STOYCK :
Schau, Bruder, schau, 's ist einer von der Zunft! Weist er sich aus, so kann er mit uns trinken. V A L E N T I N SMYD :
Hast recht, er kommt grad's Weges auf uns zu. Ich mein', 's ist einer von den Unsern! Hör'n wir! MATTHIAS T Y L E : (tritt
nah an den Tisch
der beiden
anderen)
Also mit Gunst! Gott ehr' das Handwerk! P E T E R STOYCK :
Also mit Gunst! Ist ein fremder Schuhsuter vorhanden? MATTHIAS T Y L E :
Also mit Gunst! Ich versehe es mir. P E T E R STOYCK:
Also mit Gunst!
Sei willkommen von wegen des Handwerks! 137
MATTHIAS T Y L E :
Also mit Gunst! Die ztinftgen Meister und Gesellen in den ausländischen und Reichsstädten, sie lassen freundlich grüßen von wegen des Handwerks I PETER STOYCK :
Also mit Gunst! Dafür sollt Ihr und sie Dank haben. MATTHIAS T Y L E :
Also mit Gunst! Ich sage wieder Dank. (Die beiden schütteln dem Fremden die
Hand.)
PETER STOYCK :
Also mit Gunst! Was ist Dir von günstigen Meistern und Gesellen von der ersten bis zur letzten Werkstatt anvertraut, anbefohlen und mitgegeben worden? MATTHIAS T Y L E :
Also mit Gunst! Mir ist dermalen von großgünstigen Meistern und Gesellen anvertraut, anbefohlen und mitgegeben worden, ich soll ziehen über grüne Heide, über Weg, über Steg, über Berg, über Tal, über Wasser, über Land, allwo mich der Wind hat hingesandt, soll ich grüßen Meister und Gesellen, wo das Handwerk der Schuhmacher ehrlich und redlich ist. Wo es aber nicht ehrlich und redlich ist, soll ich nehmen Geld und Geldeswert und soll dasselbe ehrlich und redlich machen helfen, wo es ehrlich und redlich zu machen taugt, soll ich nehmen meinen Degen an meine Seite, mein Felleisen auf meine Achsel und soll ziehen meine Straßen und soll dasselbe sein lassen, wie es vor meiner und Deiner und anderer ehrlicher Meister und Gesellen Zeit gewesen ist. PETER STOYCK :
Also mit Gunst! Will ich Dich gefragt haben, wie willst Du demselben ferner nachkommen? MATTHIAS T Y L E :
Also mit Gunst! Ich bin willens und hoffe demselben
138
noch ferner nachzukommen, wie es einem ehrlichen Gesellen wohl ansteht. PETER STOYCK :
Also mit Gunst! So reich ich dir den Willkommtrunk! (Trinkt
ihm
zu.)
MATTHIAS T Y L E :
Also mit Gunst! So bring ich's Euch! Ein ehrlich und löblich Schuhmacherhandwerk soll leben und alle zünftigen und großgünstigen Meister und Gesellen und Jünger auch daneben! (Trinkt.) VALENTIN SMYD :
Ja ja, 's ist alles wohl im Lote! Bruder! Komm setz' Dich her zu uns! Bist unsres Zeichens, Gehörst uns zu, gleich wie ein Schuh zum andern. Wo kommst Du her? MATTHIAS T Y L E :
Ich komm' von Nürnberg her. PETER
STOYCK:
Warum gingst Du dort weg? Man rühmt mir doch Die Stadt vor andern übers Bohnenlied! MATTHIAS T Y L E :
Hm! Hat sich was! Das Handwerk ist geschlossen! 's ist alles übersetzt und Arbeit klamm. Gönnt einer kaum dem andern 's täglich Brot. Ja, ja, das Handwerk hat schon lang nit mehr Den gold'nen Boden, den man daran rühmt. Die gute Arbeit zahlt sich nit mehr aus; Wohlfeil und schlecht ist heut die Losung. Und daß Ihr's wißt, das sag' nit ich allein Und nur Gesellen, die aufsässig sind, Nein, nein, es sagt's der beste Meister, den Es je auf Erden gab: Hans Sachs zu Nürnberg.
139
Der Innung sagt er's bei der Morgensprache Und öffentlich verkündet's mancher Spruch, Den er dem Volke vorspricht und dem Rat. PETER STOYCK :
Ja ja, ich hörte auch von ihm! VALENTIN SMYD :
Und ich Desgleichen. Laßt den wackren Meister leben! Hoch dem Hans Sachs! ALLE DREI:
Hoch lebe Meister Sachs! MATTHIAS T Y L E :
Und wohin führt Euch Eure Straße, Brüder? PETER STOYCK :
Wir zieh'n nach Worms. Dort sammelt sich viel Volks Von Herren und von Fürsten, Rittern, Pfaffen, Von Städteherrn und Ständen und dergleichen; Vielleicht ist dort noch ein Geschäft zu machen. VALENTIN SMYD :
Wollt' sich der Reichstag doch einmal befassen Mit dem gemeinen Volk und seinem Wohl! Da streiten sich Herzöge, Fürsten, Aebte, Bischöfe, Kardinäle, Städteherrn Um ihren eignen Vorteil hin und her; — Doch an den armen Handwerksmann, den Bauern Denkt keiner dieser Herrn! MATTHIAS T Y L E :
Gott sei's geklagt! Was wissen die, wo uns die Schuhe drücken. LANGER PROBST :
He, Bruder, hörst Du, was die Knoten schwätzen? — Es ist ein Schwarmgeist in das Volk gefahren, D a ß man die Deutschen nicht mehr wieder kennt. 140
KLEIN NICKEL:
Was mögen's denn für Kunden sein? LANGER PROBST :
'Sind Schuster! Pechhengste, Ritter sind's von Pfriem und Draht. (Beide
lachen
laut.)
PETER STOYCK :
Was haben denn die Federfuchser dort? Die Köpfe stecken sie beisammen, zischeln Und machen sich wohl lustig über uns! V A L E N T I N SCHMYD :
Das soll'n sie bleiben lassen! MATTHIAS T Y L E :
Schreiberseelen! Sucht Ihr wohl Händel? Habt Ihr ein Gewerb, So können wir mit unsern Stöcken dienen! LANGER PROBST :
Was unterfangt Ihr Euch? Juckt Euch die Haut? Wollt Ihr auf Euer Eselsfell etwa Geschrieben haben einen Stammbuchvers? (Handwerksburschen stehen auf und angreifen, diese ziehen vom Leder.)
wollen die
Fahrenden
PAULUS SCHÄFER : (kommt
zurück,
zu den fahrenden
Schülern
gewendet)
Hailoh! Was gibt's hier? Wollt Ihr Ruhe halten! KLEIN NICKEL:
Die Knoten werden frech und schimpfen uns. PETER S T O Y C K :
Erst machtet Ihr Euch lustig über uns! PAULUS SCHÄFER:
Was soll der Streit? Laßt uns doch Frieden halten! 12 MQnchow, Dramatik I
141
LANGER PROBST:
A c h was, wir steh'n jetzt gleich. PAULUS SCHÄFER : (fährt mit dem Degen zwischen die zwei Fahrenden stöckeschwingenden Handwerksburschen)
und die
Friede sag' ich! HUTTEN : (kommt
dazu)
Schon wieder Krieg und Waffen? Was soll das? LANGER PROBST: (zum
dritten)
Jetzt ist's ein ungleich Spiel! Dei tolle Ritter Und unser Freund hier halten's mit den Knoten. HUTTEN :
Was muß ich hören? Warum schmäht Ihr mir Die fleißgen Leute vom Handwerkerstand! Ist das Humanitas, Ihr Herrn Gelehrten? Ein Knoten ist, wer knotig sich benimmt. Wer Händel sucht und erst den Frieden bricht! (Handwerksburschen setzen sich achselzuckend wieder an ihren Tisch; auch die fahrenden Schüler nehmen wieder Platz.) HUTTEN : (zwischen beiden Gruppen
stehend zum
Publikum)
Mir ahnt es schon, noch lange leider währt's Eh' alles sich zu einem Zwecke fügt, Wo allen Tuns und Handelns Mittelpunkt Und Angel ist der allgemeine Nutz. Jetzt rafft und raubt ein jeder nur für sich, Wenn's hoch kommt, etwa noch für seinesgleichen. Zerrissen ist in Kasten und in Gilden, Die nur das Ihre suchen, heut die Welt! — 142
Wo glüht die allgemeine Liebesflamme, Die einst der Nazarener predigte? TEZEL :
(mit Kasten
und Ablaßbrief bündeln, hinter ihm
Volk)
Kauft Ablaß! kauft und sorget für die Seele, Die sonst im Höllenfeuer brennen muß! Ihr Leute, kauft! es ist ein gutes Werk! Kauft, immer kauft! ein bess'res gibt es nicht. Das Geld, es dient zum Kampfe wider Heiden Und Türken und der Kirche grimme Feinde! Kauft, Leute, kauft! Von Euren schweren Sünden Seid Ihr für schlechtes Geld auf einmal frei. HUTTEN :
(bei
Seite)
Was ist das für ein Unfug? Hat kein Ende Das Zehnten und das Schinden unsres Volks? Mein Reich ist nicht von dieser Welt! So sprach Dereinst der Herr! Gib, was Du hast, den Armen. TEZEL :
(zu den Handwerksburschen, Kasten stellt)
auf deren Tisch
er
seinen
Macht Platz, Ihr Leute, laßt mich meinen Kasten Herstellen auf den Tisch. - Kauft Ablaß, kauft! (Die Handwerskbursehen stehen auf.)
„Sobald das Geld im Kasten klingt. Die Seele in den Himmel springt!" Ihr guten Christenleute woll't vernehmen, Wie Ihr der Seele Wohl beraten könnt, Und Eurer Sünden Last abwälzen mögt. Kauft Ablaß, kauft! Gebt Euer Letztes her! Und rettet so aus Fegefeuerflammen Die armen sündgen Seelen! Kaufet! kauft! (Man drängt sich um den Tisch, auf dem der Kasten und mehrere Bündel von A blaßzetteln liegen.)
Tezels
143
ERSTER B A U E R :
He, Kunz, was meinst, das wär' ein gut' Geschäft! Er sagt, die Zettel gelten grad soviel. Wie wenn man viele Paternoster sprach' Und Fasten übt' und sich sein Fleisch kasteit'! ZWEITER B A U E R :
Nun ja; ich hab 'ne Kuh verkauft, das Geld Sollt' meine Hütte wieder flicken helfen, In die der Wind und Regen schrecklich eindringt. Fast reut's mich doch, den Pfenngwert fahren lassen! ERSTER BAUER :
Doch denk' nur an die ewige Verdammnis Und an die Qualen in der Hölle Schlund! ZWEITER BAUER :
Da hast Du recht! — So mag der Pfennig springen! (Kaufen
Zettel.)
HUTTEN :
Ehrwürdiger Herr! Vergönnt mir eine Frage. TEZEL:
So sprich, mein Sohn. HUTTEN :
Kann ich Verzeihung auch Erlangen für 'ne Sündentat, die ich Bis jetzt noch nicht beging? — Gar schwach ist ja Das Fleisch des Menschen und grad unsereins — Ihr seht es ja, daß ich ein Kriegsmann bin — Kommt leichtlich in Versuchung. TEZEL:
Ganz gewiß. Mein Sohn, wenn Du die Buße bar bezahlst, So gibt Dir dies geweihete Papier Die Unschuld wieder; doch ein Pfund Von Silberpfenngen mußt Du erst bezahlen. 144
HUTTEN :
Hier ist das Geld; — vielleicht ist's auch noch mehr! Nun bin ich also quitt und ledig schon Der Schuld, damit ich mich belasten werde? TEZEL:
So ledig aller Schuld erkenne Dich, Wie Du nur magst! Schau her, mein Sohn! Geschrieben steht (lesend)
„Ich stelle Dich nun her Zur Unschuld und Zur Reinheit ganz wie Du Gewesen einst, da du getauft wardst, So daß für Dich beim Tode fest verschlossen Der Strafe Pforten sind, des Paradieses Tor Tut sich Dir auf, daß Du zu ew'ger Freude In'n Himmel gehest ein!" — So steht es hier. HÜTTEN:
So, so, das war nun abgetan! — Ihr Freunde! Nun haltet mir den Burschen einmal fest! Her mit dem Kasten! — 's ist ein bißchen Raub, Wozu mein schwaches Fleisch mich jetzt verführt! (Barthel
und Paulus
Schäfer fassen
Tezel.)
TEZEL:
Verfluchte Ketzerbrut! Helft, Leute, mir! 's ist Kirchenraub, 's ist heiliges Gut, was er Mit Tücken und Verrat mir stehlen will! HUTTEN :
Schweig' still, mein frommer Herr, geschrieben steht: „Zur Unschuld und zur Reinheit ganz wie ich Gewesen bin, da ich getauft ward, Bin ich nun hergestellet!" So die Quittung! Das Pfund von Silberpfenngen hast Du ja. TEZEL:
Fluch über Dich, Du Räuber! dreimal Fluch! 145
HUTTEN :
Nun schweig, Du Schurke! Sagtest Du nicht selbst, Daß ich von künftger Sünde frei mich kaufte? Ihr habt's gehört! Sprach er nicht so? MEHRERE STIMMEN :
Ja! Ja! TEZEL :
Du Satan Du! Elender, diebscher Achan! Du Kind der Rotte Korah! Erde, tu' Dich auf! Verschlinge diesen Frevler! Falle doch Vom Himmel Pech und Schwefel über ihn! BARTHEL:
Schweig still und schilt nicht diesen Herrn! Du magst Die Suppe essen, die Du eingebrockt. E I N BAUER :
He, Bruder, dulden wir, daß dieser Ritter Den heiigen Mann beraubt? E I N ANDRER BAUER :
's ist wahrlich doch 'ne Sünde! — He, laßt los den frommen Pater! Helft ihm! (Bauern
drängen
und suchen
Tezel zu
befreien.)
HUTTEN :
Abwarten! Halt! Vernehmt mich erst Und höret an, wer dieser Vogel ist! Der Tezel ist es aus dem Meißner Land. Zu Innsbruck trieb er frechen Ehebruch; Man wollt ertränken ihn, da mischt sich ein Kursachsen, setzt zu Leipzig ihn in Haft, Und gänzlich frei sprach ihn der heiige Vater, Leo, der Zehnte zubenannt. Der Gauch Soll jetzt bei uns den Inquisitor spielen 1 — 146
VERSCHIEDENE STIMMEN :
Oho! - Hört! Hört! TEZEL :
Das ist nicht wahr! Das sind erstunkene Lügen! HUTTEN :
Und nun macht fort mit ihm! — Ihr aber hört, Ihr, denen er dies Geld erst abgelistet, Was er in Euren Gau'n zusammengeraubt: Euch geb' ich's hin, denn Euch gehört es j a ! (Wirft
das Geld unter die Leute,
diese heben es
auf.)
MEHRERE STIMMEN :
Hei! Hei! — Greift zu! Das ist ein Festtag heut'! Dank, Herr! — Das war gerechtes Strafgericht! HUTTEN :
'ne Sünd und Schand, die Glaubenslotterie Des großen schlauen Handelsmanns im Süden! Er sitzt in Rom, braucht heidenmäßig Geld Und brandschatzt und bewuchert unser Land, Daß es zum Gotterbarmen ist! Mein Volk, Mein armes deutsches Volk, wie lange noch Willst Du in solcher Geistesknechtschaft schmachten! Die Wechslerbude wäre nun einstweilen Geschlossen! Nehmt die Zettel hier, und fort Ins Feuer mit dem Zeug! — Drei Dinge sind's, Die Rom mit großem Zorn und Wut erfüllen: Reformation, ein allgemein Konzil, Und daß die Deutschen endlich sehend werden! Drei Dinge sind's, die Deutschland blind erhalten: Der Fürsten Stumpfsinn und der Wissenschaften Verfall und — unsres Volkes Aberglaube! TEZEL : (reißt
sich los, stürzt auf Hutten
zu)
H a ! Seh ich recht? Ist das der Hutten nicht? Der Pfaffenfresser, dieser Antichrist; 147
Der Hutten, den der Papst in Bann getan? (Bewegung unter der Menge, die sich jetzt in zwei Lager teilt. Um Hutten stellen sich auf: erster Landsknecht, zweiter fahrender Schüler und die Handwerksburschen; um Tezel auf der andern Seite: die beiden anderen Landsknechte und fahrenden Schüler, außerdem Bauern.) MEHRERE STIMMEN :
Der Hutten! Hört! Der Ritter Ulrich Hutten! TEZEL :
Der Ulrich Hutten ist's! (Die Personen die Hand.)
in Huttens
Umgebung drücken diesem
freudig
HUTTEN :
Jawohl, er ist's! Noch lebt er, trotz der alten giftgen Schlange, Die zischend gegen ihn ihr Haupt erhebt. TEZEL :
Ergreift ihn, Leute! (Bewegung. Die Personen um Hutten herum Waffen; die Leute Tezels weichen zurück.)
ziehen
BARTHEL:
Untersteht Euch nicht! HUTTEN:
Bemüht Euch nicht, Ihr Freunde! Laßt es sein. Ich bleibe frei, weil ich den Tod nicht fürchte. Auch wird man nimmermehr von Hutten hören, Daß einem fremden König er gedient, Sich gar dem Papste dienstbar hat gemacht! Und weil die Wahrheit ich nicht lassen kann, Meid' ich die Städte, bleibe frei verborgen, Wenn frei bei Menschen ich nicht wohnen kann. BARTHEL:
Nehmt Euch in Acht und seid auf Eurer Hut, Herr Ritter, daß nichts Schlimmres Euch begegnet. 148
ihre
Dem Volk ist nicht zu trau'n! Der schickt 'nen Meuchler Und gibt ihm Ablaß dann dafür; und Ihr (Schnalzt mit den Fingern.) HUTTEN :
Ja, sterben kann ich, aber Knecht nicht sein! Und deutsches Volk soll nicht geknechtet werden! Den Bann ich achte gleich 'nem Gänseschnattern Und ewig kämpf' ich gegen Tyrannei, Wer sie auch übe, Fürsten oder Pfaffen! PAULUS SCHÄFER :
Ich zittr' um Euch und um den Doktor Luther. HUTTEN :
Und wenn der Luther und der Hutten fällt, 's gibt mehr als einen Luther, einen Hutten! — O könnt ich meinen Willen, meinen Geist Ergießen ins gesamte deutsche Volk, D a ß alle nur daständen wie ein Mann Als Freiheitskämpfer, Kämpfer für die Wahrheit! (Bewegung unter der Umgebung Huttens.) PAULUS SCHÄFER :
0 wackrer Herr, es denken viele Tausend Wie Ihr jetzt sprecht! — Ich selber las 'nen Spruch, Den Ihr geschrieben für das deutsche Volk, Der mich für immer hat für Euch gewonnen. Ich segne mir den heutgen Tag des Heils, Da meine Augen Euch von Angesicht Zu Angesicht geschaut! O wüßt' ich doch Den feinen Spruch! Es hieß darin am Ende Mit Eurem Wappenspruch: Ich hab's gewagt. HUTTEN :
Wohlan, so mögt Ihr ihn von mir vernehmen! (Vortretend, mit erhobener Stimme.) Die Wahrheit ist von Neuem gebor'n, Betrug hat seinen Schein verlor'n. 149
Ja, sag ich, Wahrheit war verdrückt, Ist wieder nun hervorgerückt. Ach, fromme Deutsche, habt ein Rat, Da's nun so weit gegangen hat, Daß 's geh' nit wieder hinter sich, Mit Treuen hab's gefördert ich Und gehr des weiter kein Genieß, Denn wo mir g'schieht deshalb Verdrieß, Daß man mit Hilf' mich nit verlaß! So will ich Euch geloben, daß Von Wahrheit ich will nimmer lahn! Das soll mir zwingen ab kein Mann, Mich soll nicht schrecken Schwert noch Wehr, Kein Bann, kein Acht, wie fest und sehr Man mich damit zu schrecken meint! Wie wohl mein fromme Mutter weint, Daß ich die Sach h ä t t ' g'fangen an, Trost sie der Himmel, es muß gahn! Den stolzen Adel ich beruf', Ihr reichen Städt, Euch werfet uf, Wir wollen's halten ins Gemein Laßt doch nicht streiten mich allein, Erbarmt Euch übers Vaterland! Ihr werten Deutschen, regt die Hand. Jetzt ist die Zeit zu heben an Um Freiheit kriegen, greift es an! Die Lügen woll'n wir tilgen ab, Auf das ein Licht die Wahrheit hab'. Nicht Ritter und nicht Städt allein, Karsthans, der Baur, muß auch mit sein! Und alles zu gemeinem Nutz Geschehen soll, und Widertrutz Tun wir jeglicher Tyrannei, Daß deutsches Volk werd wieder frei! Ich hab's
gewagt!
VIELE STIMMEN :
(jubelnde
Bewegung)
Ich hab's gewagt! Ich hab's gewagt!
150
BARTHEL :
Ein Hoch dem Herrn Ulrich von Hutten, dem Bannerträger gemeiner deutscher Freiheit! (Tezel und die wenigen Leute seiner Umgebung sich langsam mit Geberden des Unwillens und der
entfernen Drohung.)
HUTTEN :
Dank Euch, Ihr Freunde! Dank! Doch laßt das Jubeln! Gilts einem nur, was hilft's dem ganzen Volke! Gebt Euch! Und gebt den Jubel in der Tat! Die ernste Tat ist heilig. Schließt Euch treu Zusammen, dem gemeinen Nutz zu Heil! Des Einen Lust sei nicht des Andern Qual, Des Einen Engel nicht des Andern Teufel, Des Einen Brot sei nicht des Andern Hunger, Des Einen Leben nicht des Andern Tod! . . . Und nun, Ihr Freunde, auf! Mit mir nach Worms! BARTHEL :
Wir gehen mit Euch zum Ritter von Sickingen. (Alle drängen sich die Szene verläßt.) (Gesang
der
um Hutten,
der, ihnen
voranschreitend,
Menge)
Und wenn die Welt voll Teufel war Und wollt uns gar verschlingen, So fürchten wir uns nit so sehr, Es soll uns doch gelingen! (Der
Vorhang
fällt.)
151
DIE ARBEITER UND DIE KUNST SCHWANK I N E I N E M A K T
von Friedrich
Bosse
PERSONEN
Klaar, Schuhmachermeister und Vorsitzender eines Arbeiter-Bildungsvereins (50 Jahre) Seine Ehefrau (40—45 Jahre) Liesel, beider Tochter (16 Jahre) Walter, beider Sohn (21 Jahre) Willmers, Schriftsteller und Redakteur der Zukunftsblume (22—25 Jahre) Heine, Arbeiter (30 Jahre) Ort der Handlung: Wohnung von Klaar Zeit: Gegenwart
ANMERKUNG:
Vorliegendes habe ich einen Schwank genannt; wer darunter eine lustige, tolle Handlung sucht, wird seine Rechnung nicht finden. Meine Absicht war: Meinungen und Erscheinungen der Gegenwart innerhalb der Arbeiterwelt so zusammenzustellen, daß eine heitere Stimmung in dem Hörer erhalten bleibt, aber doch auch, in diesem harmlosen Gewände, zum Nachdenken veranlaßt über das, was zu unterstützen und was zu bekämpfen ist. Sollte das gelingen, wäre mein Zweck erreicht. Der Verfasser
Erster Auftritt (Ein einfaches Zimmer mit einer Mittel- und einer Seitenthür, in einem Winkel des Zimmers einen Tisch und einige Stühle, auf dem Tische liegen einige Zeitungen, an der Wand steht ein Bücherbrett mit einigen Büchern, größtenteils ungebunden. An der Wand sind einige Bilder, Kunstbeilagen aus dem Wahren Jakob, befestigt. In dem anderen Winkel des Zimmers befindet sich ein Schuhmachertisch mit einem Arbeitssitz.) KLAAR (Ein älterer Mann, Bart und Haare fangen an zu ergrauen, hat seine Schürze abgelegt, zieht einen Rock an und ist beschäftigt, ein paar neue Schuhe einzupacken. Nachdem er damit fertig, faltet er sorgfältig ein auf dem Tisch liegendes Manuskript zusammen und steckt es in die Tasche.) Frau Klaar: (um einige Jahre jünger, das Gesicht etwas vergrämt, ist mit einer Handarbeit beschäftigt und sieht dem Thun ihres Mannes gelegentlich zu) Also doch, du willst wirklich die Geschichte noch einmal versuchen? Klaar: Was soll sonst werden, wenn ich es nicht mache, wird ja doch nichts daraus, und es muß heraus, gründlich muß es gesagt werden! Frau Klaar: Aber ich bitte dich, ist denn die ganze Geschichte nur so eilig? Morgen kommt der Junge, du hast selber gesagt, der hat was gelernt, laß es doch nur noch so lange liegen! 155
KLAAR:
Fehlte gerade noch, daß ich auf den wartete! Weißt ja ganz genau, wie es steht, es muß vorwärts gehen! — Aber sag mal, haben wir denn nicht noch ein paar Groschen übrig, so ein paar Blumen würden doch den Jungen auch freuen! FRAU KLAAR :
Wollen mal sehen, wie weit es reicht! Sag nur, willst du das Ding da wirklich in die Druckerei tragen? KLAAR :
Wie kannst du da nun noch fragen, sagst ja selbst, es ist ganz nett! FRAU KLAAR:
Aber wenn du nur einsehen wolltest, daß das Nettsein gar nicht genügt. Heutigen Tages muß es packen, wenn eine Sache Erfolg haben soll! KLAAR:
Hast gut reden! Wenn es packt, wird man wieder gepackt, jedes Wort möchte man auf die Goldwaage legen! FRAU KLAAR:
Eben darum laß es doch liegen, sorge für dein täglich Brot, statt daß du dich mit solchem Unsinn abgiebst! Kümmere dich nicht um ungelegte Eier! KLAAR: (wirft sein Paket mit den Schuhen heftig auf den Tisch; ärgerlich)
recht
Unsinn? Frau das sagst du mir, Unsinn! Du, die doch früher so viel Freude an der Sache gefunden hat! FRAU KLAAR:
Du lieber Himmel, woran hat man seine Freude nicht einmal gehabt! Aber brauchst dich nicht so zu ereifern; sag mir mal, was dir nun dein ganzes Gethue genützt 156
hat? Nichts hast du, nichts bist du und einen Gesellen kannst du dir auch nicht mal mehr halten! KLAAR:
Mir das jetzt vorzuwerfen, das ist unrecht von dir! Du weißt, ich habe mich redlich gemüht, was kann ich für die technische Entwicklung, wer läßt denn heute noch Schuhe machen? Wer kein Geld hat oder nicht bezahlen will! Die paar reichen Leute machen das Kraut nicht fett, kommen auch nicht zu mir, ich habe dir ja schon immer gesagt, einen Laden müßten wir haben, wenn wir mit der Zeit fort wollen! FRAU KLAAR :
Sollte mir einfallen, mit so einer Schacherei mich noch auf meine alten Tage placken! KLAAR:
Nun, dann mach mir wenigstens keine Vorwürfe! Es ist ja wahr, große Erfolge haben wir nicht errungen, aber manche schöne Stunde haben wir auch verlebt und haben uns auch immer ganz wacker durchs Leben geschlagen! Ein bißchen hat die Thätigkeit im Verein auch genützt es ist manches Wort auf guten Boden gefallen! FRAU K L A A R :
Guter Boden! Du lieber Himmel, den möchte ich sehen! Wenn du so sprichst, na, Mann, nimm es mir nicht übel, aber da kommt mir doch manchmal der Gedanke . . . (sie lacht)
Na, ich will es lieber nicht sagen! KLAAR:
Was hast denn wieder? Nur heraus damit! FRAU KLAAR:
Will es lieber für mich behalten, es ist doch ein bißchen putzig! KLAAR:
Ach, was soll denn das sein, sag es doch! 13
Münchow, Dramatik I
157
FRAU KLAAR:
Darfst aber nicht böse werden. KLAAR:
Ich bitte dich, wir sind doch keine Kinder! FRAU KLAAR:
Es ist aber bittere, bittere Wahrheit. KLAAR:
Na, das wird sich ja zeigen, mach schnell, ich muß fort! FRAU KLAAR :
Wenn du denn durchaus willst! Siehste, ich glaube, du bist (recht
langsam)
ein etwas gutmütiger, dummer E s e l . . . (Klaar
will
auffahren.)
Nur ruhig Blut, hast doch selber gesagt, könntest die Wahrheit vertragen. Siehste, so ein gutmütiges Vieh, das schleppt und schleppt auch immer, kümmert sich gar nicht darum, für wen es schleppt und was es schleppt, es ist eben froh, wenn es schleppen kann, dann ist es schon zufrieden. KLAAR :
Du willst doch nicht etwa sagen, daß ich gedankenlos arbeite? FRAU KLAAR:
Behüte! Das fällt mir nicht ein. Aber nutzlos für dich und uns. Kommst mir immer so vor, als wenn du den Zug verpaßt hättest, alle anderen waren schneller wie du. Man sieht nichts von deiner Thätigkeit. KLAAR:
Hast recht, man sieht nichts! Das müßte ja schön sein, wenn man die Früchte der Volksbildung und der Volksaufklärung so mit Scheffeln messen könnte, oder noch besser, wenn sie wie die Aepfel auf den Bäumen wüchsen, 158
wo jeder sich sein Teil so herunter langen könnte. Hast recht, dann würde es anders aussehen, dann kämen alle die vorsichtigen, klugen Herren und wollten auch mitthun. Aber so! . . . Da hast du recht, es ist nichts zu holen.. . Frau K l a a r : Aber hübsch müßte das doch sein — so sieht man nichts und hat auch nichts — und die, für die es gemacht wird haben auch keinen Spaß daran. — Klaar: Aber rede doch nicht so! Der Bildungsverein ist der einzige Ort, von wo aus Gemütsbildung, geistige Entwicklung gefördert werden kann. Denke 'mal, jetzt diese neue Strömung für Kunst und Litteratur, die findet wieder ihren Stützpunkt im Bildungsverein! Die Fahne muß hoch gehalten werden! Darum muß auch meine Schrift gedruckt werden. Frau K l a a s : Halt man hoch, was nicht mehr zu halten ist! Was ist das mit der Kunst und was du da noch sagst? Klaar: Du weißt doch vom Parteitag von der Kunst und das Volk, Litteratur und Proletariat? Das schwirrt in letzter Zeit nur so in der Luft. Frau K l a a r : Mumpitz, laß es man schwirren. Nicht 'mal eine ordentliche Abendunterhaltung bringt ihr mehr zusammen. Das verstehen sie ja in der Guten Quelle besser. Klaar: Aber ich bitte dich, solche Vergleiche anzustellen. Außerdem weißt du doch, welche Schwierigkeiten sich entgegen stellen. Keinen ordentlichen Saal, hohe Gebühren für so ein bißchen Theaterspielen und was noch sonst alles der Entwicklung entgegensteht. »3*
159
FRAU KLAAR:
Das ist es ja gerade, was ich sage, durch so paar Unannehmlichkeiten lassen sich die Menschen gleich zurückhalten, statt nun erst recht zu zeigen, was sie könnten. Geh weg, es ist mit allem nichts! Gestehe es nur, du bist auch nicht mehr zufrieden. KLAAR:
Zufrieden, zufrieden! Was heißt zufrieden? Unzufriedenheit ist die Mutter der Entwicklung. FRAU KLAAR :
Es gab aber 'mal eine Zeit, da hattest du große Hoffnungen, da sähest du in dem Bildungsverein gleichsam den Grundstein einer neuen gesellschaftlichen Entwicklung. KLAAR:
Das thue ich heute noch! (Zeigt
auf das
Manuskript.)
Hier ist alles klipp und klar auseinandergesetzt, wie es werden muß. Moses ist auch in der Wüste gestorben, die Juden sind doch nach Kanaan gekommen. Die Arbeiterbewegungwird auch neue gesellschaftliche Formen hervorrufen, mögen auch die Anfänge zu Grunde gehen, mag es auch aussehen, wie wenn einer den anderen fressen wollte, doch wir verschwätzen hier die Zeit und haben auch wichtigeres zu thun. Wirst schon noch sehen, was da wird, leb' wohl! (Ab
durch die
Mittelthür.)
FRAU KLAAR: (ihm
nachrufend)
Jedenfalls nicht viel! . . . Was sich so ein Mann nur erst in den Kopf gesetzt hat, davon bringen ihn keine zehn Pferde ab. Man sollte denken, er würde nun bald klug, er ist doch längst 40 Jahre alt gewesen, aber keine Spur . . . Wenn ich nur wüßte, wie ich ihn kurieren könnte. Die Litteratur und die dramatische Kunst, das sind nun be160
sonders seine Steckenpferde, er bildet sich nämlich ein, auch so ein Hans Sachs zu sein. Wie manches schöne Kleid hätte ich mir schon dafür kaufen können, was diese Schwarten gekostet haben. (Sie zeigt auf die
Bücher.)
Vollends jetzt; er sagt nämlich, das Proletariat müßte sich eine neue Kunst erobern, es käme eine ganz neue Zeit! Möchte wissen, wie sie das anfangen wollen, na und diese neue Zeit kann sich erst recht begraben lassen. Einer hetzt den anderen . . . Wenn ich ihm nur diese Geschichten aus dem Kopfe treiben könnte, sie nehmen nämlich eine Masse Zeit weg und Geld kosten sie auch.
Zweiter A u f t r i t t (Frau
Klaar.
Hesel.)
LIESEL: (tritt schnell durch die Mittelthür aus der
ein, sie kommt von der Arbeit
Fabrik)
Guten Abend, Mutterchen, was erzählst du dir denn hier so ganz allein, siehst recht bekümmert aus. Hast du dich geärgert? FRAU KLAAR:
Guten Abend, Kind, hast du Feierabend? LIESEL:
Ja, Mutterle, aber sag doch, was ist denn mit dir? FRAU KLAAR:
Ach, der Vater ärgert mich, er ist nicht von seinen Vereinsgeschichten abzubringen. LIESEL:
Aber Mutter, laß doch den Vater, du weißt doch, er hängt nun 'mal so daran, er hofft auch immer noch etwas vorwärtszubringen! Schließlich ist es doch auch ein gutes Werk. 161
FRAU K L A A R :
Wenn es was nützte, wäre die Sache anders, aber so . . . LIESEL:
Aber Mutter, ich dächte doch . . . (Sie hat ihre Sachen abgelegt und dabei eine Zeitschrift dem Tisch entdeckt; schnell will sie sich darüber stürzen
auf )
Das ist ja die neueste Nummer. FRAU K L A A R : (abwehrend)
Hand weg, sage ich dir! Rühre mir das Ding nicht an! LIESEL :
Warum denn nur nicht? Das ist doch für die Familie geschrieben, ich gehöre doch auch zur Familie! FRAU K L A A R :
Schönes Familienblatt! Fehlte mir gerade noch, daß die feinen modernen Herren Schriftsteller ihre Schreibereien in die Arbeiterfamilien ablagerten; richten da so schon genug Unheil an! LIESEL:
Aber, Mutter, ereifere dich doch nicht! Vater hat gesagt, die Wahrheit schrieben sie schon, wenn es auch nicht schön wäre. FRAU K L A A R :
Papperlapapp! Mußt den Tag über schlechtes Zeug reinschlucken, brauchst abends nicht noch diese trübseligen Geschichten zu lesen! . . . Wenn du nicht weißt, was du thun sollst, nimm den Strickstrumpf. LIESEL:
Schon wieder knaupeln. Habe den ganzen Tag mit den Fingern geknaupelt. Erzählen kann man sich den ganzen Tag auch kein Wort, und abends soll man noch nicht 'mal lesen; es ist ein schreckliches Leben! 162
FRAU K L A A R : (spöttisch)
Armes Tierchen, bist zu bedauern, was du für Not hast! Wer verwehrt dir denn das Lesen? Nur das Zeug nicht! LIESEL:
Anderes kommt doch nicht in das Haus. Aber ich weiß mir zu helfen, ich hole mir mal was aus der Leihbibliothek, wie das Fräulein da unten, eine Treppe; die hat immer den ganzen Arm voll. FRAU KLAAR :
Das ist nichts für arme Leute. LIESEL:
Dann kaufe ich mir nächsten Sonntag so ein schönes rotes Heft, das kostet blos 10 Pfennige und da stehen ganz schöne Geschichten drin. FRAU K L A A R :
Unterstehe es dir! LIESEL:
Sag mir nur, was ich machen soll! Alte Bücher soll ich nicht lesen, das heißt die verkleistern das Gehirn, die neuen sind nicht für junge Mädchen geschrieben. Ich lasse mir das nicht mehr gefallen, ich bin kein Kind mehr, ich habe auch ein Recht! FRAU K L A A R :
Gewöhne dir nur nicht solche alberne Sprache an. Wir sind arm und haben gar kein Recht. Recht hat nur der, der Geld hat; der kann sich auch Bücher kaufen, für den werden sie geschrieben, aber wir müssen nehmen, wie wir sie kriegen. Laß es aber gut sein, wir haben was anderes zu thun, als uns über solche Sache zu grämen. Gehe, kannst mir noch einiges einkaufen. Der Walter kommt morgen wirklich! 163
LIESEL : (jubelnd)
Ist es wahr? Na, Mutter, der wird mir gewiß sagen, ob es wahr, daß die Reichen nur allein ein Recht haben. Wir werden uns schon noch unser Teil verschaffen; na, und den Schriftstellern, die da immer bloß für reiche Leute schreiben, denen werden wir es auch noch stecken! FRAU K L A A R :
Da kannst du lange warten; die nehmen sich schon vor uns in acht. Nun gehe aber schnell, draußen steht der Korb, das Geld liegt schon dabei, weißt ja, was wir brauchen! . . . LIESEL :
Ich werde es besorgen, Mutterle, ich komme bald wieder. (Schnell
ab.)
FRAU K L A A R :
Es ist eine Blitzkröte, das Mädel! Sie hat nicht so unrecht, aber man darf ihr nicht recht geben, sonst ist es gleich gar nicht mehr auszuhalten. Was sie für Einfälle hat, immer an die rechte Schmiede will sie gehen! Glaube selber, wenn man mal Gelegenheit hätte, so einem Kerl, so einem Schriftsteller das so recht auseinanderzusetzen, was es auf sich hat, einem solches Zeug in das Haus zu schicken; die müßten keinen Kopf haben, wenn sie das nicht einsehen wollten, was sie damit anrichten. (Es
klopft.)
Herein!
Dritter Auftritt (Es tritt ein elegant gekleideter junger Mann ein. Kleidung und Haltung etwas selbstbewußt und stutzerhaft. Er verneigt sich höflich.)
164
WlLLMERS :
Guten Abend! Habe ich die Ehre, Frau Klaar? FRAU RLAAR:
Ja, ja, so ist mein Name! WlLLMERS :
Ist mir höchst angenehm. Könnte -ich nicht auch die Ehre haben, Ihrem Herrn Gemahl meine Aufwartung zu machen? FRAU KLAAR:
Bedaure, mein Mann ist nicht daheim. WILLMERS :
O, wie schade! Gerade auf unsere heutige Besprechung hatte ich so große Hoffnung gesetzt. FRAU KLAAR:
Große Hoffnungen auf eine Besprechung mit meinem Mann? Das wird wohl ein Irrtum sein. Mein Alter hat keine Zeit für große Hoffnungen! WlLLMERS:
Bitte, gnädige Frau, Sie dürfen mich nicht mißverstehen! Ich kenne Ihren Mann als vorzüglichen Charakter; er ist mir auch noch sehr warm empfohlen als ein Mann, der wohl helfen kann, eine ausgezeichnete, großartige Idee mit durchzuführen. FRAU KLAAR:
Na, hören Sie mal, mit großen Ideen, damit lassen Sie gefälligst meinen Mann in Ruhe, der hat schon selbst sehr stark an solchen Dingen gelitten. Uebrigens lassen Sie man ihr Gefasel, ich bin durchaus keine gnädige Frau! Ganz und gar nicht! WILLMERS: (beiseite)
Das scheint mir so! (Laut.) 165
Aber sagen Sie mir doch, wann könnte ich denn den Herrn Klaar sprechen? FRAU KLAAR :
Der wird keine Ewigkeit bleiben. (Sie bietet ihm einen Stuhl
an.)
Aber, wenn ich Sie gefälligst bitten darf, dann lassen Sie ihn mit den großen Hoffnungen und den großen Ideen in Ruhe! WILLMERS :
Aber, ich bitte Sie, warum? FRAU KLAAR :
Die haben noch keinen fett gemacht; mein Alter ist dabei ganz auf den Hund gekommen. WILLMERS :
Das ist ein ganz anderes Ding, ob so eine Idee aus dem Gehirn eines Schusters hervorgeht oder so eines Mannes wie ich bin. Mit etwas akademischer Bildung kann man der Masse imponieren. Sie sollen sehen, Ihr Mann wird berühmt, wenn er gemeinsam mit mir an einer großen öffentlichen, für das Gemeinwohl notwendigen Sache arbeitet. FRAU KLAAR : ( pikiert)
Ich sage es Ihnen ja, lassen Sie man den Schuster Klaar aus dem Spiel, holen Sie sich nur Ihre Lorbeeren ganz allein. Aber mag es Ihnen mein Mann selber sagen, ich will nicht vorgreifen. Nehmen sie man gefälligst Platz! (Er setzt sich, sieht die auf dem Tische
liegende
Zeitschrift.)
WILLMERS :
Sieh, da ist ja auch die Zukunftsblume! Nicht wahr, das ist ein famoses Blatt. So eine rechte Kulturträgerin, die Botin einer neuen Kunst- und Weltanschauung! Frau 166
Klaar, Sie sind doch gewiß auch eifrige Leserin dieser neuen Schrift? FRAU K L A A R :
Wenn ich da ja sagen wollte, müßte ich Sie belügen. Ein paarmal angesehen jabe ich sie ja; hernach habe ich sie auch gelesen, um zu sehen, was man uns denn eigentlich zumutet, aber begeistert bin ich ganz und gar nicht. Wenn es nach mir ginge, käme sie nicht in das Haus. WILLMERS :
Das verstehe ich nicht. Man giebt sich doch redlich Mühe, alles Elend aus der ganzen Welt zusammenzutragen, es bloßzulegen und mit mikroskopischer Schärfe, man möchte fast sagen mit Röntgenstrahlen, nach den Ursachen zu spüren. FRAU K L A A R :
Gehen Sie mit Ihrem Krimskrams! Röntgenstrahlen! Du lieber Himmel, ich habe an dem Elend in meiner Umgebung vollständig genug. Wenn man sich den ganzen Tag den Kopf zermartert hat, wie man das aus der Welt schaffen könnte, dann braucht man mir nicht abends noch zu sagen: Das ist menschliches Schicksal, Naturnotwendigkeit! Ich kenne Sie nicht, weiß auch nicht, was Sie von mir denken, aber sagen Sie mir nur mal, warum soll man so einem anderen Menschen die Gedanken nachspionieren? WILLMERS :
Darin beruht die ganze künftige Entwicklung, daß einer den anderen verstehen lernt. Und diese neuen moralischen Anschauungen, die dann zum Ausdruck kommen! FRAU K L A A R :
Ich danke schön, dafür mag uns der Himmel behüten, das wird eine schöne Klatscherei werden, man ist ja jetzt schon vor seinem besten Freund nicht mehr sicher! WILLMERS :
(lächelt)
167
Bitte, liebe Frau, Sie zeigen da eine ganz eigentümliche praktische Seite, Sie gehen etwas zu sehr in die heutige Wirklichkeit über. FRAU K L A A R :
Das bin ich gewöhnt, die Begeisterung ist mir längst ausgetrieben, übrigens soll uns doch die Schreiberei die Wirklichkeit zeigen, da muß man es auch wirklich anfassen. WILLMERS :
Sie haben recht, Sie fangen an mir zu gefallen! Sie besuchen wohl oft das Theater? FRAU K L A A R :
Putzige Frage, als wenn unsereiner weiter nichts zu thun hätte. WILLMERS:
Das glaube ich ja schon, der Mensch gönnt sich aber doch auch 'mal eine Erholung, einen Genuß. FRAU K L A A R :
J a das ist nun so eine eigne Sache; gewöhnlich wenn man sich 'mal erholen könnte, dann hat man kein Geld! Na und wenn nun gerade das 'mal so günstig fällt, daß man 30 oder 50 Pfennige anlegen kann, und sie haben dann gerade so ein Stück von Schiller oder so was gespielt na dann hat es mir auch gefallen. Daß muß man ja sagen, wenn sie so recht schön spielen und man nicht so sehr gequetscht wird; das wissen Sie ja wohl, daß man für seine 50 Pfennige manchmal noch geschmort wird, nun, wenn das nicht gerade der Fall ist, dann fühlt man sich gehoben. WILLMERS :
Sie sagen bei Schillerschen Stücken, haben Sie denn auch schon was anderes gesehen? FRAU K L A A R :
Nu freilich! Wie die Modernen hier waren, hat mein Alter keine Ruhe gelassen, wir mußten hin, und was haben wir 168
gesehen? Die Gespenster! Acht Tage lang habe ich nicht schlafen können. WILLMERS :
Ja, das ist aber doch eins der bedeutendsten Werke von Ibsen, dem größten Dramatiker der Gegenwart. FRAU KLAAR:
Das mag er meinetwegen bleiben, aber mit dem Zeug soll man uns in Ruhe lassen; mag er meinetwegen auch denen Strafpredigten halten, die sie verdient haben; aber warum sollen wir uns das bißchen Genuß noch verderben lassen, mit solchen gräulichen dunkeln Geschichten! Ich will meine Erholung, meine Erbauung haben, sonst schmeiß ich mein Geld weg. WILLMERS :
Aber das können Sie billiger haben, da gehen Sie doch in die Kirche. FRAU K L A A R :
Sie wollen mich wohl veralbern? WILLMERS :
Ich bitte Sie! Aber da fällt mir ein, Sie gehören der freien Gemeinde an, nun da werden ja besondere Erbauungen abgehalten. FRAU KLAAR : (spöttisch)
Sehen Sie mal an, worüber Sie nicht alles unterrichtet sind, aber da sind Sie doch schief gewickelt, wenn Sie glauben, das wäre was für mich. Das ist mir alles viel zu nüchtern, das kann mich nicht erwärmen. Da lobe ich mir noch die Katholischen, da hört und sieht man wenigstens was. WILLMERS :
Ei, ei, ich hätte nicht gedacht, so etwas aus Ihrem Munde zu hören, Sie sind wohl heute besonders schlechter Laune? 169
FRAU K L AAR:
Laune giebt es bei mir überhaupt nicht, das ist wohl ein Ding, was sich vornehme Damen leisten können, aber wissen Sie, bei mir ist das reine Natur. (Sie geht im Eifer und kommt an den
scharf auf ihn ein, er will rückwärts
gehen
Tisch.)
Wissen Sie, manchmal überkommt mich eine Wut, ich könnte das ganze Menschengeschlecht erdrücken, ich könnte gleich alles zermalmen! WILLMERS:
Ich begreife nicht, wie Sie die Welt so schlimm ansehen können. FRAU KLAAR :
Das gefällt Ihnen wohl nicht? Ja, ja, es gab mal eine Zeit, wo ich alles herrlich und schön fand, da dachte ich, man brauchte nur zu wollen und alle Guten und Gleichgesinnten kämen zusammen. WILLMERS :
Nun so war es natürlich nicht? FRAU KLAAR: (lacht
spöttisch)
Nein, das war es auch nicht! Im Munde, da hat jeder die herrlichsten Grundsätze, aber wenn die Menschen Geld verdienen können, dann ist alles zum Teufel. Es ist nun einmal so und wer da nicht mitmacht, der wird für einen Einfaltspinsel gehalten. WILLMERS :
Da bin ich doch noch anderer Meinung. Mit einem konsequent durchgeführten guten Beispiel muß man Eindruck machen, Erfolge erzielen. FRAU KLAAR:
Versuchen Sie es nur 'mal! Sie werden bald sehen, wer Einfluß bei der großen Masse erringen will, der muß es 170
verstehen, jedem etwas angenehmes zu sagen. Um Gotteswillen versuchen Sie es aber nicht, ihre eigenen Gedanken zu haben, oder gar die Wahrheit zu sagen, dann ist es gleich alle! Doch, ich will Sie nicht stören, Sie haben ja noch große Hoffnungen und große Ideen, da kann es ja nicht fehlen! Da lassen Sie sich ja auch nicht von mir alten Frau stören! Machen Sie sich's nur bequem, ich habe noch allerlei in der Wirtschaft zu besorgen. WILLMERS :
Bitte, bitte, lassen Sie sich durchaus nicht stören! FRAU K L A A R :
Mein Mann muß ja auch jede Minute kommen. Also entschuldigen Sie mich. (Durch die Seitenthür ab.) WILLMERS : (allein)
Hm, das muß man sagen, das ist aber eine Frau aus dem Volke, die kann einem ein Licht aufstecken! Da kann man ja bald in zwanzig Minuten mehr lernen, als wenn man ein ganzes Semester die Universität besucht! Das ist bald wie so ein bißchen Sturmluft, das thut dem schläfrigen Gehirn wirklich gut! Auf meine Zukunftsblüten ist sie allerdings schlecht zu sprechen! . . . Hm, (er sieht sich im Zimmer
um)
hm, wo soll aber auch bei solchen Leuten das Kunstverständnisherkommen, das ist ja alles schrecklich öde und leer! Ja doch, hier zeigt sich ein gewisses Kunstbedürfnis. (er tritt näher an die Wand, um die Bilder
besichtigen zu
können)
Da wäre wohl noch zu untersuchen, ob nicht diesen Leuten die Befriedigung ihres Kunstbedürfnisses mehr Opfer auferlegt, als manchem Geldprotzen, (Während der letzten Worte tritt Liesel in das Zimmer, sie hat eine Kapuze auf dem Kopfe und ein Körbchen am Arm.
171
Sie sieht sich im Zimmer gehen.)
um und will dann schnell
zurück-
Vierter A u f t r i t t LIESEL : (etwas
erschreckt)
Entschuldigen Sie, mein Herr, ich dachte die Mutter wäre hier. WILLMERS :
Bitte, mein Fräulein, die Schuld ist auf meiner Seite, ich bin in das Heiligtum Ihrer Familie gedrungen! Ich habe doch die Ehre, Fräulein Klaar? LIESEL : (etwas
verlegen)
Ja, Liesel Klaar ist mein Name. WILLMERS : (nimmt einen Klemmer betrachten)
aus der Tasche, um sie etwas keck zu
Allerliebst, wirklich! Ja, mein Fräulein, ich warte auf Ihren Vater! LIESEL : (keck und
frisch)
Da lassen Sie sich nur die Zeit nicht lang werden! WILLMERS :
Wollen Sie mir sie nicht verkürzen helfen! LIESEL:
Bedaure, muß meiner Mutter helfen! Hier, sehen Sie sich dieses abscheuliche Blatt derweilen ein bißchen an! (Schiebt
172
ihm die Zeitschrift
zu.)
WlLLMERS: (erstaunt)
Aber Fräulein, was sagen Sie von dem Blatte, abscheulich? LIESEL:
Je nun, was geht das Sie an? WlLLMERS:
Weil . . . weil ich mich sehr für das Blatt interessiere. LIESEL:
Das paßt sich ja recht schön, sagen Sie mir nur 'mal, wie man so ein Blatt nennen soll, was sich so gewissermaßen in alle Familien drängt, und hinterher darf man es nicht einmal lesen? WILLMERS :
Sie dürfen nicht, aber warum denn nur nicht! LIESEL:
Weil es die Mutter verboten hat, und mir gefällt es auch gar nicht. WILLMERS :
Das ist doch ganz merkwürdig, warum denn nur nicht? LIESEL:
Thun sie doch nur nicht so. Wenn Sie es kennen, wissen Sie ja auch, daß es kein Blatt für junge Mädchen ist. Wissen Sie, ich habe es in der Volkszeitung gelesen, der Redakteur, Willmers heißt er, der hat selber gesagt, er schreibe nicht für Backfische. Als ob wir nicht auch was lesen wollten. Wissen Sie, wenn ich diesem Menschen 'mal begegnete, ich weiß nicht, was ich thäte, ich könnte ihm gleich die Augen auskratzen. WILLMERS:
Thun Sie das lieber nicht. Das wird er wohl ein wenig anders gesagt haben, als wie Sie es aufgefaßt haben. 14 MQnchow, Dramatik I
173
LIESEL:
Wenn er so ungezogen ist wie Sie, gewiß nicht, übrigens danke ich für so eine Gesellschaft. (Sie macht einen etwas höhnischen
Knix
und geht
ab.)
WLLLMERS: ( allein)
Wenn das so fort geht, kann man sich wirklich nicht beklagen, daß man nicht die Meinungen gründlich zu hören bekommt. Uebrigens ein nettes Ding, von der Kultur auch noch unverdorben, aber wie lange wird es dauern, und der Fabrikstaub hat die ganze Herrlichkeit zerfressen. (Er sieht nach der
Uhr.)
Hm, der Alte scheint aber doch ziemlich lange auf sich warten zu lassen, was macht man nur, man kann doch hier nicht so fortgehen wie die Katze vom Taubenschlag. Dumme Geschichten das. Doch halt, jetzt höre ich jemand kommen.
Fünfter Auftritt (WHimers.
Klaar.)
WlLLMERS:
Na endlich, ei, ei, ich habe schon ein tüchtiges Stück auf Sie gewartet! KLAAR:
Das thut mir wirklich sehr leid, aber wenn man Arbeit fortträgt und Geld haben will, sind die Wege immer ein bißchen lang, dann konnte ich auch nicht wissen — WILLMERS :
Lassen Sie sich deshalb keine grauen Haare wachsen, ich hätte ja wiederkommen können, aber meine Sache leidet nicht viel Aufschub. Sie wollen nächstens ein großes Fest im Bildungsverein feiern? 174
K l a a r :
Der Plan bestand, aber . . . W i l l m e r s
:
Nun? K l a a r :
Nichts mehr davon, wir wollen ihn fallen lassen 1 W i l l m e r s
:
Fallen lassen, warum das? K l a a r :
Die Zeit der Feste ist vorüber, namentlich für uns wird es zur Unmöglichkeit, noch Feste zu feiern, die Sinn und Herz aus der Alltäglichkeit heben können. Alle schönen, größeren Lokale in der Stadt sind den Arbeitern verschlossen, sobald sie ihre eigenen Wege gehen und sich nicht an dem Gängelband des Geldsacks führen lassen wollen. Ein freier, schöner Gedanke darf nicht ausgesprochen werden, er könnte Unfug anrichten. Leider, leider findet sich das Volk nur zu gut in die Geschichte und wird zur Fadheit und Flachheit erzogen. W i l l m e r s
:
Da muß man eingreifen, da muß geholfen werden. K l a a r :
Wer soll das thun? W i l l m e r s
:
Ich bin deshalb gekommen. Ja, alter Freund, unsere Ansichten über Kunst und Kunstbetreuungen mögen etwas auseinandergehen. Indessen hoffe ich, wir werden uns schnell verständigen. K l a a r :
Ich verstehe nicht recht; wenn Sie sich nur der Schwierigkeiten bewußt sind? W i l l m e r s
:
Schwierigkeiten gibt es für mich überhaupt nicht. Wie 1
4*
175
haben Sie die Leute in Ihrem Verein bisher z. B. für die dramatische Kunst interessiert, was ist geschehen? KLAAR:
Nun, wir haben Vorträge über Litteratur abhalten lassen, dann und wann haben auch unsere dramatischen Abteilungen eine Aufführung veranstaltet. WILLMERS :
Ganz falscher Weg, was wollen Sie denn mit so einer Dilettantenaufführung? Unsinn! KLAAR:
(zuckt die
Achseln)
Jeder kann nur das bieten, wozu die Mittel reichen. Uebrigens halte ich es auch für den praktischsten Weg, die Leute für wirklich praktische Thätigkeit zu gewinnen. WILLMERS :
Unsinn! Durch großartige Darstellung der besten Meisterwerke der Litteratur muß die Masse interessiert, gewonnen werden. Wir wollen dem Volk die Kunst erobern, Sie müssen mir helfen, es giebt einen großartigen Triumph. KLAAR:
(nachdenklich)
Hm, hm, wissen Sie denn so bestimmt, daß das Volk wirklich so großes Verlangen nach der Kunst trägt? WILLMERS :
Nun, ich dächte doch. Wer füllt die Galerien der Theater, wer kämpft einen förmlichen Kampf um einen günstigen Platz? KLAAR:
Was soll es auch, so lange wir nicht durch die Kunst die große Masse aufrütteln können, wenn wir nicht zeigen können, daß der Sohn des Volkes sich nie zu Boden drücken 176
lassen darf, sondern unentwegt, trotz alledem sein großes Ideal, die endliche Menschenbefreiung durch den Menschen vor Augen behalten muß. WILLMERS :
Ganz meine Meinung, das soll geschehen. KLAAR:
Aber geeignete Werke? WILLMERS :
Nichts leichter als das, wir haben einen Hauptmann, einen Halbe, einen Flaischlen, und wie sie alle heißen. Die Sachen sind von weittragender, großartiger Bedeutung. KLAAR:
Mag sein, für die bürgerliche Welt. Aber für Arbeiter? — WILLMERS :
Nun, Sie sind doch nicht gar Gegner der modernen Richtung? KLAAR:
Behüte, verkennen Sie mich nicht I Im Gegenteil freue ich mich der großen Bewegung der Litteratur. Wo sich was bewegt, muß Gärung vorhanden sein, nach Gärung muß Klärung folgen. WILLMERS :
Gut, gut! Wir werden eins! Wir werden alle dem Alten den Krieg erklären, ein neues großartiges Geistesleben werden wir innerhalb der Arbeiterschaft anregen! Hören Sie, wir engagieren eine große Schauspielertruppe, die muß dem Proletariat die großen Werke der modernen Litteratur vorführen. Na, was sagen Sie zu solchem Gedanken? Großartig, nicht wahr? KLAAR:
(kühl) Hm, ja. Großartig! 177
WLLLMERS: (begeistert)
Nicht wahr? Ja ja, mir werden die Arbeiter eine neue Kunst verdanken. Das Repertoire ist fertig. Ibsen, Hauptmann, Halbe, sie kommen zuerst zum Wort. Ich werde arbeiten wie ein Pferd, die Regie übernehme ich, die Schauspieler übe ich ein. Denken Sie nur, den großartigen Gedanken, der Arbeiterpartei eine neue Kunst zu bringen. Das ist noch niemals dagewesen in der Welt, begreifen Sie das? KLAAR: (etwas
nüchtern)
Hm, mit der Ausführung wird es wohl noch etwas hapern. Ich fürchte, wenn die Arbeiter die moderne Litteratur richtig kennen lernen, werden sie gar nicht so sehr begeistert sein. WLLLMERS:
Waaas . . . Nicht von einem Ibsen, einem Hauptmann, einem Halbe begeistert? Denken Sie doch nur an Hauptmanns Weber, mit welch zwingender Logik wird da in dem Zuhörer der Gedanke erweckt, so kann es nicht weiter gehen, es muß anders werden. KLAAR:
Das ist es ja gerade, der Gedanke sitzt schon in der Brust jedes aufgeklärten Arbeiters fest, aber das Wie bleibt die Frage! Nein, nein, da lobe ich mir doch meinen Schiller, der zeigt es wenigstens noch, wie man, wenn die Bedrückung zu groß wird, mit Tyrannen umgehen muß. WILLMERS :
Ach was, nichts als ideale Phrasen, hohles Pathos. Nein nein, Sie haben selbst noch keine richtige Vorstellung von den Modernen. Sie sollen 'mal sehen, wenn ich die Sache leite! Bis in die äußerste Fußspitze sollen Sie erschüttert werden. 178
KLAAR:
Man könnte es ja 'mal versuchen, aber die praktische Ausführung, wie denken Sie sich denn die? WILLMERS :
(sehr schnell)
Natürlich behalte ich die ganze Leitung in meinen Händen, Sie übernehmen, einen großen Saal zu mieten, Theater werden wir doch nicht bekommen, Sie werden die Arbeiter für die Sache interessieren, und dann wird es gehen. KLAAR:
(kratzt sich etwas verlegen hinter den Ohren)
Ja, aber . . . WILLMERS :
(etwas
ungeduldig)
Was denn nun noch aber? . . . KLAAR:
Geld, wo kriegen wir Geld her, ich habe nichts! WILLMERS :
(wird verdutzt)
Ja, ich auch nicht, schlimmsten Falles muß die Partei einspringen; das müssen Sie vermitteln. KLAAR:
(schüttelt mit dem
Kopfe)
Da werden Sie sich wohl verrechnen. WILLMERS :
Na, wenn alles nicht geht, dann kenne ich noch einen, der einen kennt, dessen Freund kennt einen, der Geld hat und gerne Schauspieldirektor werden oder sich wenigstens als Kunstmäcen aufspielen möchte; lassen wir ihm 179
das Vergnügen, seine überflüssigen Summen an den Mann zu bringen; natürlich behalte ich alles in der Hand. KLAAR:
Dann müssen wir aber doch eine Berechnung aufstellen, wieviel wir brauchen, was wir einnehmen könnten usw. WILLMERS :
Sonderbare Gedanken! Mit so etwas giebt man sich in der Kunst nicht ab, wir erregen Begeisterung, von Begeisterung muß alles getragen, durch Begeisterung alles durchdrungen werden. (Es
klopft.)
KLAAR:
Verkennen Sie nicht die verschiedenen Strömungen innerhalb der Arbeiterschaft. Entschuldigen Sie einen Augenblick. (Er geht nach der Thür, um zu öffnen.)
Sechster Auftritt (Die Vorigen.
Heine.)
HEINE :
Guten Abend! Ich störe wohl. (Die beiden erwidern den
Gruß).
KLAAR:
Behüte! Im Gegenteil, du kommst wie gerufen! Kennst du den Herrn Willmers schon, den neuen Redakteur von der Zukunftsblume? HEINE :
Nein! KLAAR:
Da stelle ich dir den Herrn vor, das ist Herr Heine, eine sehr einflußreiche Persönlichkeit innerhalb der Arbeiterwelt. 180
WLLLMERS:
Das ist ein ganz vorzügliches Zusammentreffen, soeben habe ich dem Herrn Klaar meine großartigen Pläne auseinandergelegt. Man wird nicht umhin können, mich künftig als den Lassalle der Kunst zu bezeichnen, ein ganz neuer Wendepunkt muß eintreten. HEINE:
Sehen Sie 'mal an, das paßt sich ja ganz ausgezeichnet, ich komme nämlich auch in so einer Kunstangelegenheit! KLAAR :
(verwundert)
Du? . . . HEINE:
Ja, ich! Unser Pulver geht auf die Neige. KLAAR:
Nun, und was soll das! HEINE :
Euere Sänger, Turner und Dramatiker, die haben sich doch gewiß auf euer Stiftungsfest vorbereitet, die ganze Geschichte muß vorher 'mal aufgeführt werden, das giebt ein Fest, wir kriegen Geld, dann könnt ihr machen, was ihr wollt! WILLMERS :
Was, Sie wollen durch solche Veranstaltungen Geld verdienen? HEINE :
Na, wundert Sie das so sehr? Wer macht denn heutigen Tages noch etwas, wenn nichts dabei herausgeschlagen wird? Die Zeiten sind längst vorbei! Na, wir haben auch ein großartiges, ausgezeichnetes Programm, Herr Willmers, wenn Sie noch ein übriges dabei thun wollten! — WILLMERS :
Ich? Was soll ich dabei thun? 181
HEINE :
(er holt ein Programm aus der Tasche, übergiebt es WHimers)
Na, das will ich Ihnen gleich sagen! Sehen Sie, unser Programm umfaßt 29 Nummern, Mitwirkung eines originellen, Schönheitsverwandlungs-Ensembles; jugendliche Miniatur-Virtuosen, auch sonstige allerlei berühmte Kräfte haben ihre Mitwirkung zugesagt. WILLMERS :
Aber ich bitte Sie, woher haben Sie denn alle die Kräfte? HEINE :
(äußerst
selbstgefällig)
Nicht wahr, da staunen Sie? Ja, ja, das Schönheitsverwandlungs-Ensemble, das sind einige jugendliche, leidlich hübsche Arbeiterinnen, die sich so a la Barrison eingeübt haben, na, die können es ja noch weit bringen, wenn Sie so fort machen. . . Die'Miniatur-Virtuosen sind kleine Jungens, denen hat ihr Lehrer ein Stück eingeübt, das spielen sie bei jeder Gelegenheit, z. B. Andreas Hofers Tod, ich sage Ihnen, das giebt eine großartige Wirkung, eben spielt die Geige so recht zarte, weiche Töne, auf einmal bums, bums, knallt man hinter der Bühne mit dem Pistol dazwischen — großartige Wirkung sage ich Ihnen. Die Sänger singen: Krönt den Tag oder was sie sonst gerade können, hernach dann noch den Sozialistenmarsch, dazwischen kommen ein paar komische Duetts oder Couplets: Eine halbe Stunde vor der Hochzeit, der Gemüsehändler Krause oder sonst so was ähnliches, na, und wenn die Turner darnach dazwischen so ein paar halsbrecherische Kunststücke machen oder gar noch einen komischen Reigen tanzen, dann ist die Begeisterung groß! Nun kommt aber noch die Hauptsache, ein fünfaktiges Drama, und nun dachte ich, damit die Leute nun nicht hernach gleich fortrennen, die Wirte werden dadurch etwas milder gestimmt, wenn die Gäste noch ein bißchen sitzen bleiben, wenn Sie dann noch einen Vortrag halten wollen, über die Kunst und die Arbeiter, dann wäre das Gebäude gekrönt. Der Krystallpalast 182
müßte sich verstecken, die sollten 'mal versuchen den Leuten so etwas für 20 Pfennige zu bieten. WILLMERS :
Wirklich! Ich bewundere Ihre Findigkeit! Jedoch, was meine Person betrifft, muß ich Ihr ebenso eigentümliches als ehrenvolles Anerbieten ablehnen. HEINE : (
enttäuscht)
Das ist schade! WILLMERS :
Im übrigen glaube ich, es ist auch den Leuten etwas zu viel zugemutet. HEINE :
Da kommen Sie schön an! Die wollen was haben für ihr Geld. Na, wenn es nicht mit dem Vortrag geht, wie wäre es dann mit einem Gedicht, so mitten drinnen, vielleicht nach so einem Couplet, ein Gedicht von Henckell oder Freiligrath? WILLMERS :
Es ist für dieses Mal wohl das beste, Sie sehen von meiner Mitwirkung ab. Das ganze macht doch mehr den Eindruck von Tingeltangel! HEINE :
Was schadet denn das? Wenn es nur den Leuten gefällt. Ich denke, Sie wollen die Leute für die Kunst begeistern? Da werden Sie wohl nicht gleich wieder so eine schöne Gelegenheit finden, so viel verschiedenes kunstsinniges Publikum beieinander zu finden. Nein, nein, da hätten Sie mal zeigen können, was Sie leisten können. KLAAR :
Du hast doch das ganz falsch aufgefaßt. Herr Willmers ist doch nicht selber Künstler. Er will uns nur gute, große 183
Theatervorstellungen vermitteln; er will uns mit der höheren Kunst bekannt machen. HEINE :
Ja so, das soll was kosten? WILLMERS :
Ganz ohne Kosten wird es wohl nicht abgehen. Ich dächte, so ein geringes Opfer von 50 Pfennigen per Monat und Vorstellung wird wohl ein jeder bezahlen können. HEINE :
Da werden Sie sich wohl schneiden! Im übrigen brauchen wir unser Geld auch für andere Zwecke. Da müssen Sie zu reicheren Leuten gehen; wir Arbeiter haben für solche Geschichten kein Geld übrig. KLAAR:
Nun, wenn die Sache richtig angefaßt würde, müßte es gehen! HEINE:
Natürlich! Gerade wie mit dem Bildungsverein! Ihr habt uns wohl noch nicht genug weggenommen? Nun fangt Ihr noch was Neues an! KLAAR:
Aber ich bitte dich, willst du denn jede geistige Bewegung totmachen. Das Volk braucht geistige Nahrung! HEINE :
Für was haben wir denn unsere Presse, unsere Schriften? Lest doch die Parlamentsberichte, das ist die Hauptsache für einen ordentlichen Arbeiter! Allen anderen Mumpitz macht man höchstens 'mal mit, wenn was zu verdienen ist. Na, Klaar, ich brauche dir das nicht noch lange zu wiederholen. Du kennst mich ja, über alles andere weißt du Bescheid! Also, ich empfehle mich, meine Herren! (Ab.)
184
Siebenter Auftritt (Willmers.
Klaar.)
WlLLMERS: Das ist auch ein Arbeiter? KLAAR:
Und wahrlich nicht der schlechteste! Hören Sie nicht aus seinen Worten, er ist nur mit ganzer Seele darauf bedacht, die politische Macht der Klasse zu heben. WILLMERS:
Dabei will er die Kunst an seinen niedrigen, schmutzigen Karren spannen. Nichts als schnöde Jagd nach dem Mammon, hüben wie drüben. KLAAR:
Die Notwendigkeit tödtet alle anderen Empfindungen. Und dann bitte ich Sie, das Verständnis muß doch erst geweckt werden! WILLMERS : (sehr ernüchtert,
gleichsam
Katzenjammerstimmung)
Das also ist das wissendurstige, das kunsthungrige Volk? Pfui! Eine schnödere Abweisung hätte ich auch beim größten Geldprotz nicht erfahren. KLAAR:
Aber nehmen Sie doch Vernunft an, niemand kann über sein Verständnis. WILLMERS :
0 , ich Thor. Ich dachte, man brauchte nur zu wollen, man würde mich mit offenen Armen, mit Jubel empfangen. KLAAR:
Das ist Ihr Fehler, das ist auch Mangel an Verständnis. Wie manches ist schon mit Jubel begonnen worden und schnöde im Sande verlaufen. 185
WLLLMERS:
Aber mich kann es rasend machen, wenn ich daran denke, was für öder Blödsinn dem Volke als geistige Nahrung geboten wird; und dann wird man noch überall, wo man bessern, helfen will, schnöde abgewiesen. KLAAR:
Aber beruhigen Sie sich doch, überlegen Sie sich doch nur, was und wer die Schuld trägt. WILLMERS :
Dieser elende, blöde Haufen, der nicht einmal den Mut hat zuzugreifen, selbst dann, wenn man sein bestes will. KLAAR:
Halt! Keine Beleidigung! WILLMERS :
Wie soll ich mich anders ausdrücken? KLAAR:
Sie sind aber auf falscher Fährte! Versuchen Sie es nur einmal wie wir es müssen, von morgens früh bis abends spät sich für das notwendigste abzurackern. Wenn man dann einmal denkt, jetzt hat man einen Ausweg gefunden, der ewigen Fuchtel, dem Druck zu entgehen, gleich wird man um ein halbes Jahrhundert zurückgeschleudert, mit List und mit Gewalt wird gearbeitet, um uns den Bissen vor dem Munde wegzureißen! Sehen Sie, wenn Sie sich das alles so recht überlegen, dann brauchen Sie sich gar nicht so sehr zu wundern, wenn Sie nicht lauter offene Köpfe vorfinden. WILLMERS :
Da sieht man ja aber gar keinen Ausweg, das giebt eine endlos nie zu überbrückende Kluft innerhalb unseres Volkes, unserer eigenen Nation! KLAAR:
Wohl möglich, wenn es so fortgeht, daß es mal eines 186
Tages heißen wird: Wer ist der Stärkere? Wer kann es wissen, wie es ausgeht! (Ein junger Mann hat langsam die Thür aufgemacht und die letzten Worte in der Thür gehört und legt jetzt plötzlich die Hände auf des Vaters Schultern.)
Achter A u f t r i t t (Die
Vorigen.
Walter.)
WALTER :
Wird sich zeigen, Vater, vor allem den Mut nicht verlieren ! KLAAR:
Walter, du! Woher jetzt, was bedeutet das? WALTER :
Nicht viel, lieber Vater, als daß ich einen Tag früher gekommen, als ich bestimmt hatte. Also guten Abend liebes Papachen, entschuldige, daß ich dich überrascht habe, und entschuldigen Sie, verehrter Herr, daß ich in die Unterhaltung geplatzt bin. KLAAR:
Es ist nämlich mein Sohn Walter, der in der Fremde war und den wir morgen erwarteten. WALTER :
Und heute schon gekommen ist. Ja, ja, wir Jungen sind rasch. WILLMERS :
Das ist mir sehr angenehm, indessen möchte ich die erste Freude des Wiedersehens doch nicht stören. WALTER:
Wenn Sie weiter keine Schmerzen haben, die Sache ist bald abgemacht, entschuldigen Sie nur ein paar Minuten (geht an die Thür und ruft)
187
Mutter, Liesel! (nach kurzer Pause kommen beide schnell
herein)
LIESEL, FRAU KLAAR : (zugleich)
Walter! Du? WALTER :
Nicht wahr, das nenne ich eine Ueberraschung! (reicht beiden die (Willmers möchte.)
Hände)
macht zu Klaar die Gebärde, daß er sich
entfernen
KLAAR:
Nicht doch, warten Sie nur ein paar Minuten, hören Sie nur mal, ob der Walter keinen Ausweg in unserer Angelegenheit weiß. FRAU KLAAR :
Kaum ist er im Haus, da soll wohl der Streit schon wieder losgehen. WALTER :
Mutterle, beruhige dich nur, es wird nicht so schlimm werden. Aber Vater, du hast wohl dem Herrn meinen Namen genannt? Aber mit wem habe ich denn die Ehre? KLAAR:
Ach so, das hatte ich in der Eile ganz vergessen, das ist unser vorzügücher Redakteur der Zukunftsblume, Herr Willmers. FRAU KLAAR : (erschreckt)
Was, der? 188
LIESEL : (für
sich)
O weh! Dem habe ich es aber gesteckt! WILLMERS : (lächelt
über die Verlegenheit
der
Frauen)
Nicht wahr, das hätten Sie vorhin nicht gedacht? FRAU KLAAR :
Nun, schade war es nicht, verdient haben Sie schon, was ich Ihnen gesagt habe. Aber ich will Ihnen was sagen, nehmen Sie noch ein bißchen Platz, da will ich nur wenigstens einen frischen Trunk holen. Der Junge wird auch durstig sein. (ab) (Liesel
will hinterher gehen,
Willmers
hält sie
fest.)
WILLMERS :
Aber Sie, mein Fräulein, wollen Sie nicht Ihren grausamen Versuch ausführen, jetzt hätten Sie die beste Gelegenheit dazu. LIESEL :
Dieses Mal mögen Sie noch laufen. Hoffentlich bessern Sie sich und sprechen nicht wieder so gering von den Backfischen. (macht
einen
lustigen
Knix
und
verschwindet)
KLAAR:
Aber ich verstehe nicht, was soll denn das? WILLMERS :
Nichts weiter, man hat mir unverhohlen die Meinung über die Zukunftsblume gesagt. Das ist alles; aber ich bin selbst dem kleinen Fräulein dankbar. WALTER :
Auch ein höchst seltener Fall, daß ein Schriftsteller seinem Kritiker dankbar ist. i; Münchow, Dramatik I
189
WLLLMERS:
Warum denn nicht, man ist doch nicht unfehlbar und trifft doch trotz dem besten Willen nicht immer das Richtige. KLAAR:
Bravo, Herr Willmers! So gefallen Sie mir! Ich glaube doch, wenn wir Hand in Hand gingen, brächten wir auch noch was miteinander fertig. WALTER :
Aha! Vater, das ist wohl mal wieder so eine alte idealistische Anwandlung von wegen Kunst und Arbeit? WILLMERS :
Ihr Vater hat recht, das ist die Brücke der Zukunft über vorhandene Gegensätze, auf dieser Brücke wird die neue Kunst stehen. WALTER :
Schwankender Grund! Träumen Sie doch nicht von solchen Dingen, Gegensätze werden niemals ausgeglichen, höchstens ausgekämpft, jetzt heißt es, die Waffen geschärft. KLAAR:
Wäre wirklich neugierig, wie das in unserem pickelhaubengesegneten Polizeizeitalter möglich sein sollte. WALTER :
Die Waffen zu führen, hast du mich selbst gelehrt; sie heißen: Volkserziehung, Volksaufklärung, Volksorganisation ! KLAAR:
Also doch immer noch die alten Schlagwörter; zuletzt glaube ich doch, die Menschheit dreht sich im Kreise wie ein Hund, der sich in den Schwanz gebissen. WALTER :
Habe keine Angst, vorwärts geht es trotz alledem! Die alten Worte finden neuen Grund. Wir suchen unsere 190
Aufklärung nicht mehr in den Wolken. Nein, jeder einzelne Mensch soll zur Erkenntnis seines Wertes gebracht werden, er muß seine Kraft erkennen, die in ihm wohnt, er muß einsehen lernen, was er erreichen kann, wenn er sich mit seinen Nebenmenschen verbündet, er muß lernen, Gold und Goldeswert zu verachten, insoweit es nicht zur Erhaltung seines Lebens notwendig ist. Uebertriebene Genußsucht sind neben vielen andern die wahren Sklavenketten der Menschheit! Das sind meine Grundsätze für Volkserziehung und Volksaufklärung! WILLMERS :
Wo bleibt da die Kunst! WALTER : (zuckt
die
Achsel)
Wo des Volkes Wohlfahrt wächst, da wird auch die Kunst gedeihen! Aber in einer Zeit, wo das Aussprechen der Wahrheit als grober Unfug bestraft werden kann, da kann die hehre, göttliche nicht gedeihen; aber fühlen Sie sich dennoch als ihr Priester, so nehmen Sie doch das Märtyrerlos, was den Freunden der Menschheit stets beschieden war, auf sich! Hüllen Sie sich aber nicht in dunkles, mystisches, noch schillerndes Märchengewand; schielen Sie nicht nach Fürstengunst, nach ihren Preisen. Niemals können Sie auf solchen Wegen das Volk zum Genuß einer Kunst führen. WILLMERS :
Also eine Absage in aller Form? WALTER:
Behüte, wir können Männer, wie Sie, wohl brauchen, stellen Sie sich mit uns in Reih' und Glied, aber wühlen Sie nicht den Schmutz hinter uns und neben uns auf, sondern tragen Sie uns die Fahne voran in Kampf und Streit. WILLMERS : (schüttelt
den
Kopf)
Die Kunst kann nur auf dem realen Boden gedeihen! 191
WALTER :
Ganz einverstanden, den Boden wollen wir schaffen durch bessere Lebensbedingungen, nur wenn wir die erringen, kann die Kunst gedeihen. K L AAR:
O weh! Dann werden wir nie eine Kunst haben. Die Lebensbedingungen werden täglich schlechter. WALTER :
Lernen wir nur unsere Kräfte gebrauchen, unsere Zukunft liegt einzig und allein in dem richtigen Gebrauch der Kräfte, der einzelne fällt, das Ganze wird siegen! Jeder an seinen Platz, einer muß den anderen stützen! WILLMERS :
Wenn Sie das so meinen, da möchte ich wohl dabei sein, hier haben Sie meine Hand (reicht ihm die
Hand).
WALTER: (ergreift
dieselbe)
Danke! Doch Vater, du, was stehst du so sinnend da? KLAAR:
Selbstverständlich bin ich dabei, so lange mich meine alten Knochen tragen. Aber sag, mein Junge, wie meinst du denn, daß wir unsere Kräfte gebrauchen lernen sollen? WALTER :
Wie anders, als dadurch, daß wir uns über alles Kenntnis verschaffen und dann die Kenntnisse für unser eigenes Wohl verwerten. Volksbildung, genossenschaftliche Thätigkeit muß uns auf allen Gebieten vorwärts bringen. KLAAR:
Meinst du wirklich, ist das so? WALTER: .
Ich begreife nicht, daß du zweifeln kannst! 192
KLAAR:
Weil das gerade ist, was ich für recht halte, ich habe eine Schrift darüber eben in die Druckerei getragen. WALTER : (reicht ihm die
Hand)
Dann wünsch ich viel Glück. WILLMERS (ebenso):
Nun, ich auch! (In diesem Augenblicke tritt Frau Klaar ein mit einem mit Gläsern und einigen Bierflaschen.)
Teller
FRAU K L A A R :
Nun, was ist denn das, die neue Zeit bricht wohl schon an, die Männer sind einig und haben nicht einmal getrunken! Nun kann ich wieder gehen. (Liesel
tritt mit einigen Brötchen auf dem Teller
ein.)
WILLMERS :
Nicht doch, Frau Klaar, auch die Frauen gehören zum Bund, flechten sie auch nicht immer himmlische Rosen in das irdische Leben, so sorgt doch die Zunge, daß die trägen Geister gelegentlich erfrischt werden. FRAU K L A A R :
Möchte aber auch die Wirtschaft sehen, wenn man nicht immer 'mal dazwischen führe. KLAAR:
Na, Mutter, laß es gut sein, leben wir auch in einer Welt voll Gegensätze und sieht es manchmal auch recht bunt aus, vorwärts geht es trotz alledem! Denn die Jungen setzen ein, wo die Alten aufgehört!
193
BIOGRAPHIEN
Schweitzer, Jean Baptiste von, wurde am 12. Juli i , j in Frankfurt am Main als Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns geboren. Er besuchte des Jesuitenlyzeum in Aschaffenburg, studierte in Berlin und Heidelberg die Rechtswissenschaften und erwarb 1855 den Doktorgrad. Als wenig beschäftigter Anwalt seiner Vaterstadt begann er sich schriftstellerisch zu betätigen. Schon im Jahre 1858 veröffentlichte er mehrere historische Dramen, u. a. ein Lustspiel („Alkibiades"), eine dramatische Form, die er sehr geschickt handhaben lernte. Gleichzeitig wandte er sich dem politischen Leben zu. In den Jahren 1861 und 1862 agitierte er zunächst für den Nationalverein, eine großbürgerliche, in ihrer Grundhaltung antidemokratische Organisation, von der damals nationale Impulse auf breite Kreise der Bevölkerung ausgingen, weil sie die Wiedereinführung der Reichsverfassung von 1849 forderte. Die preußische Linie des Nationalvereins entsprach der Einstellung der Lassalleaner, mit denen Schweitzer bald zu sympathisieren begann. Im Jahre 1863 veröffentlichte er den Roman „Lucinde oder Kapital und Arbeit", den er Lassalle widmete. Franz Mehring bezeichnete dieses Werk als formales Ungeheuer, in dem sich abenteuerliche Romantik mit sozialpolitischen Erörterungen der Arbeiterfrage, breite Auszüge aus Lassalles Agitationsschriften mit Schilderungen aus den französischen Revolutionskämpfen vermischten und in dem die satirischen Schilderungen vom Leben und Treiben im Nationalverein das Beste waren. Im gleichen Jahre wurde er auf persönlichen Wunsch Lassalles als Mitglied in den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) aufgenommen. Ferdinand Lassalle starb am 31. August 1864, Schweitzer wurde sein
195
Nachfolger. Ab 1864 war er alleiniger Herausgeber des Parteiorgans „Social-Demokrat". 1867 wurde er Präsident des ADAV, den er nach diktatorischen und streng zentralistischen Prinzipien führte. Marx, Engels und Liebknecht, die sich nach Lassalles Tod bemüht hatten, den ADAV in eine wirkliche Arbeiterpartei umzuwandeln, stellten nach einiger Zeit ihre Mitarbeit am „Social-Demokrat" ein und bekämpften Schweitzer, der 1865 angefangen hatte, mit Bismarck zu paktieren. Der ADAV, dessen Mitgliederzahl stark angewachsen war, hatte zwar viele Arbeiter dem direkten politischen Einfluß der Bourgeoisie entzogen —, andererseits aber bildeten der Bonapartismus Schweitzers, sein zweideutiges Verhalten gegenüber der herrschenden Klasse und viele ideologische Mängel ein gefährliches Hemmnis für die revolutionäre Entwicklung des Proletariats. In den Jahren 1867 und 1868 gab es eine Periode der versuchsweisen Annäherung zwischen Lassalleanern und revolutionären Sozialdemokraten. Als im Jahre 1867 der erste Band des „Kapital" von Marx erschien, war Schweitzer einer der ersten, der, vermutlich aus taktischen Gründen, um nicht isoliert zu werden, das epochemachende Werk ausführlich würdigte. Marx schrieb am 23. 3. 1868 an Engels:, .Welches immer die Nebenmotive des Schweitzer sein mögen (z. B. um die alte Hatzfeld zu ärgern etc.), eins muß man ihm lassen. Obgleich er hier unddamistake macht, er hat die Sache geochst und weiß, wo die Schwerpunkte liegen." (M. E. Briefwechsel, Bd. 4, Bln. 1950, S. 39). In einer Artikelserie, die sich über zwölf Nummern des „Social-Demokrat" hinzog, unterrichtete Schweitzer die mehr als 3000 Abonnenten über die entscheidenden Gedankengänge und Ergebnisse des „Kapital". Zur gleichen Zeit schrieb er für die sozialdemokratischen Arbeiter den Schwank „Ein Schlingel". Bald danach erfaßte er den Einakter „Eine Gans," in dem es um die politische Aufklärung der Frau geht. Ein Zusammengehen mit Schweitzer war dennoch unmöglich. Der wachsende Einfluß Bebels und Liebknechts auf die deutsche Arbeiterklasse und damit der Einfluß des Marxismus und der I. Internationale trieb die Herausbildung einer revolutionären Arbeiterpartei voran und 196
beschleunigte die ideologische Zerschlagung des Lassalleanismus. Das Jahr 1869, die Gründung der „Sozialdemokratischen Arbeiterpartei" in Eisenach, brachte die Trennung von den Lasselleanern. Das wachsende Klassenbewußtsein bewirkte schließlich auch, daß die Mitglieder des A D A V sich energisch gegen den mit dem Charakter der Arbeiterbewegung unvereinbaren Personenkult wandten und Schweitzer 1871 das Vertrauen entzogen. Damit war seine politische Laufbahn beendet. In den nächsten und letzten vier Jahren seines Lebens wurde Jean Baptiste von Schweitzer ein erfolgreicher Lustspieldichter. Von 1872 bis 1875 sind vierzehn verschiedene Lustspiele, Schwänke und Possen Schweitzers in den Berliner Theatern gespielt worden. Einige seien hier genannt: „Unser großer Mitbürger" (1872), „ E i n Staatsgeheimnis" (1874), „Die Darwinianer" (1874) und „Großstädtisch" (1875). Keins der Stücke enthält noch wesentliche Gesellschaftskritik, keins hatte ein längeres Leben. „Unser großer Mitbürger", in dem Schweitzer die Agitatoren des A D A V , also seine eigenen Kampfgefährten von gestern, verspottete, hat traurigen Ruhm erhalten durch die Empörung, die es bei den deutschen Arbeitern auslöste. Schweitzer starb am 28. Juli 1875 in Giesbach in der Schweiz an einer Lungenkrankheit. Otto-Walster, August, wurde 1834 in Dresden geboren. E r studierte Philologie, erwarb den Doktorgrad und betätigte sich seitdem als Schrifststeller und Journalist. E r kam ursprünglich von der Volkspartei her, die nach den Worten Wilhelm Liebknechts „ein aus den ungleichartigsten Elementen bestehendes Conglomérat, zusammengekittet durch Preußenhaß" war. Die Kenntnisse über seinen Lebenslauf sind unvollständig. Wir wissen, daß er in Dresden Mitarbeiter der Zeitschrift „Saxonia" und später in Leipzig Redakteur der „Leipziger Abendpost" war. In Dresden erschien während dieser Zeit sein erstes Drama „Die Tempelritter" (1860) und in Leipzig seine Erzählungen „ K r a n k e Herzen" (1864). Im Jahre 1865 agitierte Otto-Walster mit der Broschüre „ E i n Ostergruß an die deutschen Arbeiter" für den A D A V . Während des Deutschen Krieges von 1866 vertrat er 197
im Gegensatz zu Schweitzers propreußischer Haltung als Redakteur der „Nassauischen Landeszeitung" den Standpunkt der Einigung Deutschlands in einer demokratischen Staatsform. Nach der Annektion HessenNassaus durch Preußen des Landes verwiesen, ging er nach Braunschweig. Dort gewann er Kontakt zu dem sozialdemokratischen Buchhändler und Politiker Wilhelm Bracke, der später mehrere seiner Arbeiten verlegte. In Braunschweig kandidierte er auch 1867 als Vertreter des ADAV für den Norddeutschen Reichstag. Er wandte sich jedoch immer mehr vom Lassalleanismus ab und wurde einer der bekanntesten Schriftsteller der Eisenacher Partei. Otto-Walster lebte 1869 in Dresden, wo er die örtliche Parteiorganisation der „Sozialdemokratischen Arbeiterpartei" gründete und die erste Dresdener Arbeiterzeitung den „Dresdener Volksboten" ins Leben rief. 1875 war er Redakteur des „Crimmitschauer Bürger- und Bauernfreund". All diese Jahre hindurch war er als sozialdemokratischer Publizist und Versammlungsredner vielen polizeilichen Verfolgungen ausgesetzt. Bis einschließlich 1875 wurden fünfundzwanzig Gefängnisstrafen über ihn verhängt. Im Jahre 1876 emigrierte er in die USA. Bis 1875 hatte Otto-Walster mehrere Romane, Erzählungen, Dramen und einen Gedichtband veröffentlicht, u. a. den umfangreichen Roman „Am Webstuhl der Zeit" (1873), den historischen Roman „Braunschweiger Tage" (1874), einen Band Erzählungen „Allerhand Proletarier" (1874), das Lustspiel „Der verunglückte Agitator oder Die Grund- und Bodenfrage" (1874) und das historische Trauerspiel „Rienzi" (1875). In den USA arbeitete Otto-Walster weiterhin für die deutsche Presse. Er war während seiner Emigration für den New Yorker „Sozial-Demokrat" und für die „Volksstimme des Westens" in St. Louis tätig. In diesen Jahren entstanden u. a. die Erzählungen „Strike" (1877), die Skizzen „Amerikanische Geschäftsleute" (1877), „Aus einem New Yorker Heiratsbüro" (1877), „DeutscheTramps in Amerika" (1879), uncL „Der Fürst des Geldes und der König der Tramps" (1880), Sozialer Roman aus den neuesten Tagen der großen Republik. 198
Nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes kehrte er nach Deutschland zurück. In den folgenden Jahren druckte die „Sächsische Arbeiter Zeitung" mehrere seiner Erzählungen sowie seinen großen historischen Roman in ihrem Feuilleton ab, um sie den breiten Massen der arbeitenden Bevölkerung zugänglich zu machen. OttoWalster ist 1898 in seiner Geburtsstadt Dresden gestorben. Wittich, Manfred, wurde am 5. Februar 1851 in dem thüringischen Städtchen Greiz als Sohn eines Malers und Hofphotographen geboren. Seine Mutter entstammte einer angesehenen Weimarer Familie und hatte in ihrer Kindheit noch Goethe gekannt. Manfred Wittich besuchte die Volksschule seines Heimatortes, wegen guter Begabung wurde er 1862 auf das Realgymnasium in Zittau geschickt. Nachdem er 1872 in Schleiz das Abitur bestanden hatte, ging er nach Leipzig, um Geschichte und Germanistik zu studieren. Sein Lehrer war der bekannte Fortsetzer des Grimmschen Wörterbuchs Professor Rudolf Hildebrandt, der in ihm die Liebe zur Volksdichtung weckte. Schon als Student begann Wittich für die S P D zu arbeiten. 1874 kam er in Leipzig mit Julius Motteier, Wilhelm Liebknecht und August Bebel zusammen. Liebknecht wirkte auf ihn ein, dem akademischen Stil zu entsagen und in einer Weise zu schreiben, die für den Arbeiter verständlich war. Da Wittich wegen seiner politischen Betätigung die Staatslaufbahn versperrt war, arbeitete er nach Beendigung seines Studiums von 1878 bis 1884 als Privatlehrer in Dresden. Dann ging er nach Leipzig zurück, wo er sich seitdem ausschließlich schriftstellerischer und agitatorischer Tätigkeit für die S P D widmete, und er hielt so z. B. in sächsischen Arbeiterbildungsvereinen zahlreiche Vorträge über Geschichte, Literatur und Kunst. 1887 schrieb er für den Leipziger Arbeiterbildungsverein das Stück „Ulrich von Hutten", das auch in Dresden mit Erfolg aufgeführt wurde. Als 1888 das sozialdemokratische Unterhaltungsblatt „Die Neue W e l t " vorübergehend das Erscheinen einstellte, gründete Wittich zusammen mit seinem Freunde Emanuel 199
Wurm die Zeitschrift „Volksfreund", deren Beilage „Die Kunsthalle" er ganz allein betreute. „Die Neue Welt" konnte 1889 wieder erscheinen, was nun den „Volksfreund" eingehen ließ. Wittich schrieb im gleichen Jahr für die von Wilhelm Liebknecht herausgegebene „Volksbibliothek des gesamten menschlichen Wissens" die „Geschichte der älteren deutschen Literatur". In der Einleitung zu dieser ersten für das arbeitende Volk geschriebenen Literaturgeschichte forderte er: „Die Begriffsbestimmung der deutschen Literatur bedarf einer Erweiterung. Es gibt Kunstwerke des Volkes, die nicht geschrieben werden, ehe sich gelehrte Sammler ihrer bemächtigen, die Volkslieder, die als Zeugnisse der künstlerischen Fähigkeit eines Volkes auf dem Gebiet der sprachlichen Darstellung aber doch die größte Beachtung beanspruchen dürfen". In den Jahren 1890 bis 1894 war Wittich Redakteur des Leipziger Parteiorgans „Der Wähler", was ihm mehrere Pressprozesse und Freiheitsstrafen einbrachte. 1892 veröffentlichte er eine Sammlung seiner beliebten „Gelegenheitsgedichte und Prologe für Arbeiterfeste", die nach zwei Jahren eine Neuauflage erlebten. 1894 erschien auch seine Broschüre „Hans Sachs, ein Erinnerungsblatt für das arbeitende Volk zur 400. Geburtstagsfeier des Volksdichters". Als 1894 „Der Wähler" in die „Leipziger Volkszeitung" umgewandelt wurde, trat Wittich wegen Meinungsverschiedenheiten mit Bruno Schönlank aus der Redaktion aus. In den weiteren Jahren litt er unter großen finanziellen Schwierigkeiten und schwerer Krankheit. Er starb nach einer letzten Agitationsreise am 8. August 1902. 1901 war noch sein Buch „Die Kunst der Rede" herausgekommen, eine volkstümliche Sprach- und Redelehre, die praktische Anweisungen geben wollte, „wie sich ein Kind des Volkes die geistige Unbefangenheit und formale Fähigkeit zu öffentlichen Reden aneignen kann". Wittich war der Ansicht, daß der geübte und geschulte Redner nicht so leicht Formulierungen spontaner Art gebrauchen würde, die ihm unter den damaligen Verhältnissen Lockspitzeln und Polizisten gegenüber zum Fallstrick werden konnten. 200
Im Vorwort des 1903 neu aufgelegten Bandes berichtet der Herausgeber: „Tausende haben Manfred Wittich zu Grabe geleitet, ein Granitblock wird bald seine Grabstätte schmücken." Außer den erwähnten Werken hat Wittich in mehreren führenden Blättern der Sozialdemokratischen Partei, u. a. im „Vorwärts" und in „Die Neue Welt" zahlreiche Artikel, Essays und Kritiken veröffentlicht. Nach seinem Tode im Jahre 1904, gab Anna Wittich aus dem Nachlaß ihres Mannes „Lieder eines fahrenden Schülers" heraus und Rudolf Lavant schrieb das Vorwort zu diesen Gedichten des Freundes. Bosse, Friedrich, (Pseudonym Heinrich Friedrich), wurde am 14. Januar 1848 in Hessen (Braunschweig) als Sohn eines Stellmachers geboren. Wir wissen von seiner Jugend nicht viel mehr, als daß er die Baugewerkschule in Holzminden besuchte, dann aber das Malerhandwerk erlernte. Bosse ließ sich als Malermeister in Leipzig nieder, der klassischen Stätte der Arbeiterbildungsbestrebungen und durch das Wirken von Männern wie Wilhelm Liebknecht und August Bebel das geistige Zentrum der deutschen Sozialdemokratie. Über den 1865 von Bebel gegründeten Leipziger Arbeiterbildungsverein kam Friedrich Bosse zur SPD. Seine Entwicklung und sein Schaffen waren untrennbar mit diesem Verein verbunden. Der Leipziger Arbeiterbildungsverein, der durch seinen klassenbewußten Standpunkt vorbildlich für den gesamten Verband der deutschen Arbeitervereine war, wurde nach dem Erlaß des Bismarckschen Ausnahmegesetzes gegen die Sozialdemokratie Ende 1878 als einer der ersten Arbeitervereine verboten und aufgelöst. Schon im Februai 1879 wurde im Zuge der Umorganisierung der von nun an illegalen Leipziger Parteiorganisation ein neuer sozialdemokratischer Verein gegründet, der sich als unpolitischer „Fortbildungsverein für Arbeiter" tarnte. Friedrich Bosse wurde zunächst zum zweiten Vorsitzenden gewählt. Im Juni 1881, als der Belagerungszustand über Leipzig verhängt und viele Sozialdemokraten ausgewiesen wurden, übernahm Bosse das Amt des ersten Vorsitzenden. 201
Diese Wahl wurde entscheidend für sein weiteres Leben. Seine besondere Fürsorge galt der Entwicklung einer dramatischen Abteilung des Arbeitervereins und er wurde zum Begründer des ersten Arbeitertheaters in Leipzig, .wobei sein Enthusiasmus ihn manchmal verleitete, die kulturelle Arbeit als Mittel des Klassenkampfes zu überschätzen. Noch während der Dauer des Sozialistengesetzes begann Bosse unter dem Pseudonym Heinrich Friedrich Agitationsstücke zu schreiben. Sie entstanden aus der Notwendigkeit des politischen Kampfes und waren zunächst als Ersatz für die polizeilich verbotenen Festansprachen gedacht, doch im Laufe der Zeit wurden diese Stücke zum festen Bestandteil der alljährlichen Stiftungsfeste des Arbeitervereins. Seine ersten Stücke waren „Die Alten und die Neuen" (1888) und „Unsere Ideale" (1889). Zum 1 1 . Stiftungsfest des Vereins, im Februar 1890, wurde das Agitationsstück „Die Arbeitervereine haben doch eine Zukunft" aufgeführt, in dem deutlich wurde, daß sich die Fesseln des Sozialistengesetzes lösten. Jetzt konnte der Autor auch aus seiner Anonymität heraustreten und er wurde von den Arbeitern stürmisch gefeiert. Zum 1. Mai 1890 schrieb Bosse das Zeitstück „Der erste Mai", in dem er den Beschluß des Pariser Sozialistenkongresses propagierte, der den 1. Mai zum internationalen Kampftag des Proletariats erhob. Den Höhepunkt seines Schaffens erreichte er mit dem vieraktigen Streikdrama „ I m Kampf" (1892). Es folgten u. a. die Agitationsstücke „Verschiedene Weltanschauungen" (1893), „Der Traum eines Arbeiters" (1895), „DieArbeiter und die Kunst" (1897) und „Ein Blick in die Zukunft" (1898). Von 1899 bis 1902 gab Bosse die Zeitschrift „Sturmglocken, Organ für sozialdemokratische Arbeit auf dem Gebiet der freien Volksbildung" heraus, an der auch Wittich mitarbeitete. Zum 25. Stiftnugsfest des Vereins verfaßte er eine Festschrift „Der Arbeiterverein Leipzig, seine Entstehung und seine Entwicklung" (1904). Er schrieb auch noch einige Stücke, „Das Volk erwacht" (1904) sowie die ländliche Komödie „Die Sozialdemo202
kraten kommen", die postum von einem Leipziger Theaterverlag herausgebracht wurde. Das anstrengende und entbehrungsreiche Leben hatte Bosses Gesundheit geschwächt, er starb am 28. Oktober 1909 in Leipzig.
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Anmerkungen
Die Wiedergabe der dramatischen Texte entspricht den Vorlagen. Unterschiede in der Schreibweise wurden nicht beseitigt. Korrekturen wurden nur bei offensichtlichen Druckfehlern vorgenommen. J. B. v. Schweitzer, Ein Schlingel Das Stück wurde 1867 im „Social-Demokrat" veröffentlicht. Unserm T e x t liegt eine Ausgabe aus dem Jahre 1876 zugrunde, die als Nr. 1 der Reihe „Sozialistische Theaterstücke" im Verlag der Volksbuchhandlung (J. Franz) in Zürich erschien. Im Arbeitertheaterverlag R. Lipinski, Leipzig, erschien „ E i n Schlingel" als Nr. 15 der Reihe „Arbeiterbühne" im Jahre 1914 als „neu bearbeitet" gekennzeichnet in 3. Auflage. . . . Arbeiterverein Gemeint ist der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein ( A D A V ) , der am 23. Mai 1863 in Leipzig gegründet wurde. . . . Schandblatt Der „Social-Demokrat", das Organ des ADAV. . . . Arbeiter sind wir alle Eine Phrase, die von der Bourgeoisie immer wieder benutzt wurde und noch heute benutzt wird, u m den Kampf der Arbeiterklasse zu beeinträchtigen. . . . Entbehrungslohn Ein Begriff der sog. Abstinenztheorie, mit der sich K a r l Marx u. a. im 1. Band von „ D a s K a p i t a l " auseinandergesetzt hat. Sie interpretiert die A k k u m u l a tion des Kapitals durch den Unternehmer als „ E n t s a g u n g " seines Genußtriebes. Vertreter dieser Theorie sind u. a. der englische Vulgärökonom Nassau William Senior (1790— 1864) und der belgische Ökonom Gustave de Molinary (1819—1912). Marx bezeichnete Senior als einen der „offiziellen ökonomischen Wortführer der Bourgeoisie". E r hatte 1835 angekündigt: „ I c h ersetze das W o r t Kapital, als Produktionsmittel betrachtet, durch das W o r t A b 204
stinenz (Enthaltung)." (Karl Marx, Das Kapital, 1. B a n d , Berlin 1959, Seite 623). A u c h Molinary verkündete die These von der „Entbehrung, die sich der Kapitalist auferlegt, indem er seine Produktionmittel an den Arbeiter verleiht, statt ihren W e r t seinem eignen Gebrauch zu widmen, indem er sie in nützliche oder angenehme Gegenstände verwandelt". (Ebd. Seite 617). . . . Verlegenheit des Herrn Commerzienraths Hier haben wir ein Beispiel, wie eng sich Schweitzer an K a r l Marx gehalten hat. Der These des französischen Ökonomen Jean Gustave Seneuil (1813—1892), die einfache,, Erhaltung eines Kapitals erheischt beständige Kraftanstrengung, um der Versuchung zu widerstehen, es aufzuessen", fügte Marx hinzu: „ D i e einfache Humanität gebeut also offenbar, den Kapitalisten von Martyrium und Versuchung zu erlösen, in derselben Weise wie der georgische Sklavenhalter jüngst durch A b schaffung der Sklaverei von dem schmerzlichen Dilemma erlöst ward, ob das dem Negersklaven ausgepeitschte Mehrprodukt ganz in Champagner zu verjubeln oder auch teilweise in mehr Neger und mehr Land zurückzuverwandeln sei", (ebd. Seite 624) Schweitzer hat diese treffende ironische Bemerkung von K a r l Marx in etwas abgewandelter Form dem Arbeiter R o t h in den Mund gelegt, eine Methode, die er im „Schlingel" öfter verwandte. . . . Consum und Rohstoff-Verein W i r k t hier wie eine Anspielung auf Eugen Richter (1838—1906), den Führer der sog. Fortschrittspartei, der im Interesse der Bourgeoisie wie Franz Schulze — Delitzsch (1808—1883) das Proletariat in Konsumvereinen zusammenfassen wollte, um sie v o m nach ihrer Ansicht die Leistungsfähigkeit des deutschen Arbeiters verderbenden Klassenkampf zu retten. Richter und Schulze-Delitzsch waren auch Gegner Lassalles. Vert r a t dieser den falschen Standpunkt, die ökonomische L a g e des Proletariats könne im Kapitalismus durch Staatshilfe verbessert werden, so machten sich Richter und Schulze-Delitzsch lächerlich, indem sie behaupteten, weder Klassenkampf noch Staatshilfe seien notwendig, wenn die Arbeiter in den Konsumvereinen sparen lernten. A. Otto-Walster. Der verunglückte Agitator oder Die Grund- und Bodenfrage Zuerst veröffentlicht in „Volkskalender für 1875", Braunschweig 1874. Unserm T e x t liegt die Buchausgabe des Jahres 1877, veranstaltet von der „Volksstimme des W e s t e n s " , St. Louis, zugrunde. Nach einem Vermerk auf dem Titel16
Münchow, Dramatik I
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blatt dieser Ausgabe ist das Stück am 18. Februar 1877 von der New Yorker Arbeiterbühne aufgeführt worden. Die I. Internationale und ihr oberstes Organ, der jährlich zusammentretende Kongreß, dessen Beschlüsse für alle Sektionen und Mitglieder verbindlich waren, hatte im September 1868 in Brüssel und ein J a h r später in Basel in harter Auseinandersetzung mit den Proudhonisten über die Stellung der Sozialisten zur Grund- und Bodenfrage diskutiert. Die sich auf den Brüsseler Beschluß stützenden Basler Beschlüsse vom 10. 6. 1869 lauteten: 1. Der Kongreß erklärt, daß die Gesellschaft das Recht hat, das individuelle Eigentum afl Grund und Boden abzuschaffen und den Grund und Boden in Gemeineigentum zu verwandeln. 2. Der Kongreß erklärt, daß es im Interesse der Gesellschaft notwendig ist, den Grund und Boden in Gemeineigentum zu verwandeln. Die Mehrheit der Delegierten, darunter auch die deutschen Vertreter Wilhelm Liebknecht und Samuel Spier, stimmten diesen Beschlüssen zu. Nach Deutschland zurückgekehrt, nahm Liebknecht zunächst eine unklare Haltung ein. Als die süddeutschen Demokraten in den Basler Beschlüssen eine Gefahr für ihre bäuerlichen Anhänger zu sehen glaubten, erklärte Liebknecht im „Demokratischen Wochenblatt", daß die Sozialdemokratische Arbeiterpartei nicht an die Basier Beschlüsse gebunden sei. Die Partei selbst aber machte den Rückzug Liebknechts nicht mit. August Bebel begann sofort, die Beschlüsse auf seinen Agitationsreisen und in seinen Artikeln für die Parteipresse zu propagieren. Liebknecht folgte schließlich seinem Beispiel mit eignen Vorträgen zur Grund- und Bodenfrage. Der umfassendste war der am 12. März 1870 in Meerane gehaltene Vortrag „ Z u r Grund- und Bodenfrage", der die Grundlage seiner gleichnamigen, weitverbreiteten Broschüre wurde, die 1874 und 1876 im Verlag der Leipziger Genossenschaftsbuchdruckerei erschien. Zwei Monate nach Liebknechts Rede in Meerane hatten die Eisenacher auf ihrem Stuttgarter Kongreß auf Antrag Bebels die Basler Beschlüsse zu ihrem eigenen Parteibeschluß erhoben. Damit war ein klarer, revolutionärer Standpunkt zur Grund- und Bodenfrage errungen. Eindeutig verlangten die Eisenacher in ihrem Beschluß „ V e r wandlung des Grund und Bodens in Gemeineigentum und seine Bewirtschaftung durch Genossenschaften". Dafür war Liebknecht schon in Meerane eingetreten. Zur gleichen
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Zeit hatte er aber versucht, die Wirkung dieser Forderung abzuschwächen, u. a. mit den Worten: „Die Basler Beschlüsse sind wesentlich theoretischer, programmatischer Natur und haben keinen unmittelbaren praktischen Charakter." Diese Formulierung ist auch in die Broschüre übernommen worden, die Otto-Walster für sein Agitationsstück benutzt hat und die er seinen Agitator Daschner direkt zitieren läßt. Während Otto-Walster jedoch die Beschreibung der ländlichen Verhältnisse in England, Frankreich und Deutschland von Liebknecht übernommen hat, bringt er den Parteibeschluß ohne jede Einschränkung. Demos und Liberias oder Der entlarvte Betrüger Dieses Agitationsstück wurde veröffentlicht in „Die Neue Welt", Illustriertes Unterhaltungsblatt für das Volk, Herausgegeben von Bruno Geiser, Band I, Nr. 29 und 30, Seite 265— 268 und 275—280, Leipzig 1876. Der Name des Verfassers ist nicht genannt. Der Herausgeber war der Schwiegersohn Wilhelm Liebknechts. . . . Scultetus (Schulze) Vermutlich Anspielung auf SchulzeDelitzsch, der „zum Wohle des Volkes" sehr viele Broschüren kleinbürgerlicher Propaganda schrieb. Er war seit 1867 Abgeordneter der Fortschrittspartei im Reichstag. Seine gesammelten Schriften und Reden umfassen fünf Bände. . . ., .Hirsch in der Tanzstunde" Anspielung auf das zeitgenössische Couplet von A. Alexander „Itzig Hirsch in der Tanzstunde", erschienen in A. Kühling's Album für Solo-Scenen, Nr. 10, Berlin 1875/76. . . . Gesetz über Kontraktbuch Das letzte Militärgesetz Anspielung auf bekannte Gesetzesvorlagen Bismarcks, Franz Mehring schrieb dazu: „In den ersten fünf Jahren des neuen Reiches hatten sich die besitzenden Klassen, da sie das Kreuz besaßen, reichlich mit Gesetzen zur Förderung ihrer Klasseninteressen gesegnet" (F. Mehring, Geschichte, der Sozialdemokratie, II. Teil, Berlin i960, Seite 461) Das Kontraktbruchgesetz war bereits als Ausnahmegesetz gegen das Proletariat gedacht. . . . Volkszeitung Berliner Organ der Fortschrittspartei, wurde in den siebziger Jahren von den Arbeitern noch viel gelesen, da es vorgab, die Angelegenheiten des Volkes zu vertreten. Zuerst setzte es sich auch für Lohnforderungen ein, bald aber kämpfte es im Interesse der Unternehmer für „Arbeitsfrieden" und Klassenversöhnung. 16*
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. . . sogar das Briefgeheimnis frech mißachtet Diese und ähnliche Bemerkungen sind Anspielungen auf die Praktiken der Ä r a des berüchtigten Staatsanwalts Tessendorf, der ab 1874 in der Arbeiterklasse wütete. Bis 1876 fielen rund 1000 Prozesse gegen Sozialdemokraten auf sein Konto. . . . Satory, Neu-Kaledonien, Plötzensee, Hubertusburg Satory, Höhenzug bei Versailles, wo die letzten Massenexekutionen der Kommunarden vorgenommen wurden. Neu-Kaledonien, ehemalige französische Sträflingskolonie im Stillen Ozean zwischen Neuguinea und Neuseeland. Plötzensee, Berliner Strafgefängnis. In Hubertusburg, einem ehemaligen Jagdschloß Augusts des Starken, im heutigen Kreis Oschatz gelegen, wurden ab März 1872 im Anschluß an den Leipziger Hochverratsprozeß August Bebel und Wilhelm Liebknecht für zwei Jahre gefangen gehalten, weil sie im Reichstag für die Pariser Kommune und gegen die Bismarcksche Reichsgründung gesprochen hatten. Seit 1953 befindet sich in der Hubertusburg, die heute als Krankenhaus benutzt wird, eine Bebel-Liebknecht-Gedenkstätte. M. Wittich, Ulrich von Hutten Das Stück wurde am 31. Oktober 1887 zum erstenmal im Fortbildungsverein für Arbeiter zu Leipzig aufgeführt. Eine Wiederaufführung in Leipzig und Dresden erfolgte noch im gleichen Jahr. Seitdem m u ß es oft in Arbeitervereinen gespielt worden sein. N a c h Angaben Friedrich Bosses in „ D e r Arbeiterverein Leipzig, seine Entstehung und seine E n t w i c k l u n g " (1904), ist das Stück zu Lebzeiten Wittichs schon in drei Auflagen erschienen. Unserem T e x t liegt eine Ausgabe des Verlages der Buchhandlung Vorwärts, P a u l Singer G m b H zugrunde, die 1911 als Nr. 15 der Reihe „Sozialistische Theaterstücke" erschien. Der historische Ulrich von Hutten (1488—1523) stammte aus altem fränkischen Geschlecht. E r floh aus der Klosterschule in Fulda, studierte an den Universitäten Köln, Greifswald und E r f u r t und führte ein wechselvolles und entbehrungsreiches Wanderleben. E r war ein streitbarer Geist, leidenschaftlicher Patriot und Pfafienfeind, K a m p f genosse Luthers und Freund Sickingens und Zwingiis. E r beteiligte sich an dem „Dunkelmännerstreit" der Humanisten gegen die scholastische Geistlichkeit und w a r der politisch aggressivste Mitautor der berühmten „ D u n k e l männerbriefe" (1515—1517). In seinen politisch-satirischen „ E p i g r a m m e n " (1513) setzte er sich, damals noch 208
an die Adresse Kaiser Maximilians gerichtet, für ein einiges deutsches Imperium ein. In seinen satirischen und zeitkritischen Dialogen (1517—1519), die weit verbreitet und mehrfach gedruckt wurden, kämpfte er u. a. gegen Herzog Ulrich von Württemberg als den T y p des unmenschlichen Tyrannen, gegen das Hofleben und gegen den Klerus. Sein größter Feind war der Papst in Rom, den er als Unterdrücker der deutschen Freiheit bezeichnete. A b 1520 verfaßte Hutten entgegen den herrschenden Gepflogenheiten seine Schriften in deutscher Sprache. So konnte sein,,Gesprächsbüchlein" (1521) zu einem bedeutenden Wegbereiter der Reformation werden. Sein bekanntes Gedicht „ I c h habs gewagt mit Sinnen" („Ein neu Lied Herr Ulrichs von H u t t e n " ) stammt ebenfalls aus dem Jahre 1521. Nach der Niederlage des Reichsritteraufstandes floh Hutten in die Schweiz, wo ihm Erasmus von Rotterdam, der sich im Gegensatz zu Hutten aus den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen seiner Zeit heraushielt, das A s y l verwehrte. Hutten starb vereinsamt auf der Insel Ufenau im Züricher See. Der historische Hutten hat sich um die erste Formung eines deutschen Nationalgefühls verdient gemacht sowie um die Gewinnung eines der gesellschaftlichen Entwicklung dienenden wissenschaftlichen Weltbildes. Als Vertreter des ritterlichen Standes ist es ihm jedoch nicht gelungen, sein subjektives Vorurteil gegen Bürger und Bauern zu überwinden. F. Bosse, Die Arbeiter und die Kunst Das Stück wurde zum 18. Stiftungsfest des Arbeitervereins Leipzig geschrieben und 1897 unter dem Pseudonym Heinrich Friedrich im Selbstverlag von F. Bosse, Leipzig, Weststraße 27 veröffentlicht. Unser T e x t folgt dieser Erstausgabe. . . . Die Gespenster Anspielung auf das Drama Henrik Ibsens (1828—1906) „Gespenster" (1881), mit dessen Aufführung 1889 die „ F r e i e B ü h n e " eröffnet wurde. In den Gesellschaftsdramen Ibsens „Stützen der Gesellschaft" (1877), „ N o r a oder Ein Puppenheim" (1879) „Gespenster" (1881), „ E i n Volksfeind" (1882), „ D i e W i l d e n t e " (1884) und „ R o s m e r s h o l m " (1886) war der Naturalismus im D r a m a zuerst ausgebildet worden. In den „Gespenstern" wie in den andern genannten Stücken schildert Ibsen den moralischen Verfall der bürgerlichen Gesellschaft und die Fragwürdigkeit der bürgerlichen Ehe. 209
. . . Volkszeitung Gemeint ist hier die sozialdemokratische „Leipziger Volkszeitung". . . . einen Hauptmann Gerhart Hauptmann (1862—1946) war der bedeutendste Dichter, der aus der literarischen Strömung des deutschen Naturalismus hervorging. Er wurde mit einer Reihe sozialkritischer und volksverbundener Dramen zum größten und international anerkannten Dramatiker seiner Zeit. Sein außerordentlich umfangreiches und vielseitiges Werk enthält neben aus dem Leben gegriffenen auch traumverlorene und unrealistische Dramen, daneben bedeutende Erzählungen, Versepen und Lyrik. . . . einen Halbe Max Halbe (1865—1944), bürgerlicher Dramatiker und Erzähler, kam vom Naturalismus und mündete in die kleinbürgerlich nationalistische „Heimatkunst". Am bekanntesten war sein Drama „Jugend" (1893)-
. . . einen Flaischlen Cäsar Flaischlen (1864—1920), kleinbürgerlicher Lyriker, der um die Jahrhundertwende auch Dramen und einen Roman schrieb. Er kam vom Naturalismus, wurde aber dann bekannt als Autor gefühlsseliger, den Alltag platt harmonisierender Gedichte. . . . Henckell Karl Henckell (1864—1929), bürgerlicher Schriftsteller, Naturalist, der sich zunächst an der aggressiven politischen Lyrik des Vormärz schulte, ein Sänger des Proletariats sowie ein Prophet der sozialen Revolution. Einige seiner Bücher wurden deshalb unter dem Sozialistengesetz verboten. Verdienstvoll war die Herausgabe der Anthologie „Buch der Freiheit", die in der Arbeiterbewegung weite Verbreitung fand. Aber schon in den neunziger Jahren wendete er sich von seinem eignen politischen Bekenntnis ab und erstarrte seitdem in einem weitabgewandten Individualismus, der sich negativ auf die künstlerische Qualität seiner Gedichte auswirkte. . . . Freiligrath Ferdinand Freiligrath (1810—1876), bedeutendster bürgerlich demokratischer Lyriker der Revolution von 1848. Er war mit Karl Marx befreundet und Mitglied des „Bundes der Kommunisten". Seine 1848 geschaffenen kraftvollen Gedichte bilden den Höhepunkt seines Schaffens, sie fanden starken Widerhall im Volk und verschafften ihm den Titel, .Trompeter der Revolution''.
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A L S N Ä C H S T E BÄNDE F O L G E N
Minna Kautsky. Auswahl aus ihrem Werk Aus den Anfängen der sozialistischen Dramatik II Der Lyriker Rudolf Lavant
Berichtigung Auf Seite 120 darf die obere Klammer nur die Personen Barthel, Lorenz und Veit umschließen.
2119/III Münchow, Aus den Anfängen der sozialistischen Dramatik I