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German Pages 219 [231] Year 2010
Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 60
Aus dem neuen pompejanischen Urkundenfund Gesammelte Aufsätze
Von Joseph Georg Wolf
Duncker & Humblot · Berlin
JOSEPH GEORG WOLF
Aus dem neuen pompejanischen Urkundenfund
Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Herausgegeben vom Institut für Rechtsgeschichte und geschichtliche Rechtsvergleichung der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br.
Neue Folge · Band 60
Aus dem neuen pompejanischen Urkundenfund Gesammelte Aufsätze
Von Joseph Georg Wolf
Duncker & Humblot · Berlin
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Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-6704 ISBN 978-3-428-13355-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Beim Bau der Autostrada Pompeji – Salerno stieß man im April 1959 auf der Gemarkung Murècine, im südlichen kaum erforschten Vorfeld der Vesuvstadt auf die Reste eines antiken Hauses. Wegen der fortgeschrittenen Straßenbauarbeiten konnte die Grabung nur einen kleinen Teil der großzügigen Hausanlage freilegen: ein Stück des Säulenhofs mit fünf anliegenden, luxuriös ausgestatteten Speiseräumen. In einem der Speiseräume legten die Ausgräber am 24. Juli einen Korb aus Flechtwerk frei, der bis zum Rand, sorgfältig gestapelt, mit Urkunden gefüllt war. Dieser Urkundenfund von Murècine ist der bedeutendste Fund römischer Prozeßund Geschäftsurkunden, der je gemacht worden ist. Seine einzigartige Bedeutung beruht auf der großen Zahl der gefundenen Urkunden, auf ihrem ungewöhnlich guten Erhaltungszustand und auf der Vielfalt der beurkundeten Gegenstände. Nach Herkunft und Alter gehören die neuen Urkunden zu den wichtigsten Zeugnissen der Geschäfts- und Prozeßpraxis im italischen Kernbereich des klassischen römischen Rechts. Beurkundet sind Darlehen, Bürgschaften und Sicherungsübereignungen; Verpfändungen und Pachtverträge über den Speicherraum der verpfändeten Waren; Protokolle über die öffentliche Ankündigung von Versteigerungen verfallener Sicherheiten; Ladungen vor den Gerichtsmagistrat, Protokolle über Eideszuschiebung im Prozeß, Vergleiche und auch die Ladung zu einem Schiedsgerichtstermin – all das und noch mehr ist Gegenstand der neuen Urkunden, oft im Kontext verwickelter und aufschlußreicher Details. Die Herausgabe der Urkunden ließ zunächst auf sich warten. Noch bevor die editio princeps 1980 beendet war, setzte eine lebhafte Interpretationsarbeit ein. Zu ihr gehören die Aufsätze, die überwiegend an entlegenem Orte veröffentlich sind und aus Anlaß einer neuen Edition der Urkunden hier gesammelt vorgelegt werden. Freiburg i. Br., im März 2010
Joseph Georg Wolf
Inhalt Der Seefrachtvertrag des Menelaos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Die Kondiktionen des C. Sulpicius Cinnamus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Graeca Leguntur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Der neue pompejanische Urkundenfund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
Die Streitbeilegung zwischen L. Faenius Eumenes und C. Sulpicius Faustus . . . . . . . . . . . .
62
Das sogenannte Ladungsvadimonium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Haftungsübernahme durch Auftrag? Eine Urkunde aus dem Jahre 48 n. Chr. . . . . . . . . . . .
86
Der neue pompejanische Urkundenfund. Zu Camodecas ,Edizione critica dell’archivio puteolano dei Sulpicii‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Die ,ÍáõëùôéκÞ‘ des Menelaos – Seedarlehen oder Seefrachtvertrag? . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Die tabellae der Titinia Antracis und die Bürgschaft des Epichares . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Eine Eidesdelation und eine Eidesleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Anhang Eine Empfangserklärung aus Herculaneum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
Nachweis der Erstveröffentlichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
Der Seefrachtvertrag des Menelaos Mario Lauria zum 20. Oktober 1979 I. Die Villa von Murecine Beim Bau der Autostrada Pompeji-Salerno stieß man im April 1959 auf der Gemarkung Murecine, im südlichen, kaum erforschten Vorfeld der Vesuvstadt, auf die Reste eines antiken Hauses.1 Der Ort, an dem der Plan der Grabungsleitung von Pompeji2 das bald wieder unter der Autobahntrasse verschüttete Anwesen lokalisiert, liegt fast in der Achse der Via Stabiana, einer von Nordwesten nach Südosten verlaufenden Hauptlinie des städtischen Straßennetzes, etwa 700 Meter vor der Porta di Stabia, in der Niederung des Sarnoflusses. Vermutlich verlief hier die Straße nach Stabiae, die dann bald den Fluß überquerte und schon beim ersten Meilenstein die Grenze der pompejanischen Feldmark erreichte und in das ehemals stabianische, seit Sulla aber zu Nuceria gehörende Gebiet übertrat. Der Sarno war in der Antike bis weit in das Landesinnere hinein schiffbar und für die Städte der fruchtbaren Ebene, die er durchfloß, ein wichtiger Handelsweg zum Meer. Seine Mündung, damals noch nahe der Stadt, diente Pompeji als Fluß- und Seehafen, und wie Fundstücke aus der Grabung von Murecine, nämlich zahlreiche Ruder, Schiffsplanken und ein großer Anker jetzt vermuten lassen, erstreckte sich dieser Hafenteil, der auch der Stapelplatz der Städte des Hinterlandes war, bis in die Nachbarschaft der Villa. Wegen der fortgeschrittenen Straßenbauarbeiten konnte die Grabung nur noch einen kleinen Teil der großzügigen Hausanlage freilegen: in der Hauptsache ein Stück des Säulenhofs mit fünf anliegenden Speiseräumen. Das Peristyl war von ungewöhnlichem Ausmaß, in seiner Anlage und Ausstattung aber nicht untypisch; die Vielzahl der Triklinen war dagegen durchaus eigenartig. Drei von ihnen lagen an der nördlichen Schmalseite des Säulenhofs, zwei, über Eck anschließend, an seiner nur zu diesem Teil ausgegrabenen Ostseite (so daß nicht ausgeschlossen ist, daß hier noch weitere folgten). Sie hatten alle den gleichen quadratischen Grundriß mit einer Seitenlänge von 4,50 Meter und waren alle in der gleichen Weise mit drei fest eingebauten Klinen und einem zentralen, ebenfalls eingebauten Tisch einge1 Olga Elia, Rend. Acc. Napoli 35 (1960) 29, und Boll. d’Arte 46 (1961) 200; Amadeo Maiuri, Rend. 36 (1961) 151. 2 Die Einsicht in den Plan verdanke ich, ebenso wie die Besichtigung der Urkunden, der Liebenswürdigkeit des Direktors der Grabungsleitung, Dr. De Caro.
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richtet; an ihrer vierten, gegen den Portikus offenen Seite waren Holzgatter angebracht, die sich wie Flügeltüren öffneten. Die Ausstattung war von großem Luxus: die Klinen und Tische waren mit Marmor verkleidet, die Fußböden mit Mosaik ausgelegt, die Wände mit Dekorationen und Bildern kostbar bemalt. Die Bemalung, die zu einem kleinen Teil abgelöst und erhalten werden konnte, stammt aus der vierten und letzten Stilepoche der pompejanischen Malerei. Von Olga Elia, der Ausgräberin, wurde sie, nach dem Zustand des Mauerwerks, in die allerletzten Jahre der Vesuvstadt datiert. Mit dieser Datierung korrespondiert eine weitere Beobachtung. Das schon genannte Schiffszubehör war merkwürdigerweise in einem der Speisezimmer abgelegt, und in mehreren anderen Räumen lagerte Baumaterial. So scheint es, als sei die Villa restauriert, als sei vielleicht, wie andernorts, erst jetzt der Schaden behoben worden, den sie durch das schwere Erdbeben des Jahres 62 erlitten haben mochte; und als seien diese Arbeiten noch nicht beendet gewesen, als am 24. August des Jahres 79 die endgültige Katastrophe über Pompeji und seine Schwesterstädte am Golf hereinbrach. Die Villa von Murecine war weder ein Gasthaus noch eine Herberge; ihre Einrichtungen waren die eines Privathauses; mit ihren vielen Speiseräumen kann sie aber kaum nur privaten Zwecken gedient haben. Diese noch nicht erklärte Eigentümlichkeit, aber auch die wirkungsvolle Weiträumigkeit des Anwesens, seine anspruchsvolle Ausstattung und seine Lage vor den Toren der Stadt in Hafen- und Küstennähe sichern der Grabung das besondere Interesse der Pompejiforschung. Denkwürdig und berühmt ist sie aber aus einem anderen Grund: ist sie durch einen bedeutenden Urkundenfund – ich zögere nicht zu sagen: durch den bedeutendsten Fund römischer Privat- und Prozeßrechtsurkunden, der je gemacht worden ist. II. Der Urkundenfund Am 24. und 25. Juli 1959 legten die Ausgräber in dem mittleren der drei Speisezimmer an der Nordseite des Peristyls, wo sie auch die Ruder und den Anker fanden, einen Korb aus Flechtwerk frei, der bis zum Rand mit Urkunden gefüllt war. Einen vergleichbaren Fund hatte es in Pompeji nur einmal gegeben.3 Das war im Juli 1875, als im Hause des Bankiers Lucius Caecilius Iucundus in den Überresten einer Holztruhe, in der sie aufbewahrt wurden, 153 Geschäftsurkunden geborgen werden konnten. Schon dieser Fund war ein großer Glücksfall. Denn die römische Urkunde bestand aus kleinen, rechteckigen Holztafeln, tabulae, die auf einer oder auf beiden Seiten bis auf einen schmalen Rand leicht ausgehoben und in dieser vertieften Fläche mit einer Art von Wachs überzogen waren. In das Wachs wurde mit einem Metallgriffel die Schrift eingeritzt. Zwei oder drei solcher präparierter Täfelchen wurden zu einem codex, nämlich mit einer Schnur derart miteinander verbunden, daß sie wie ein Buch gehandhabt werden konnten. 3
Mommsen, Ges. Schr. III, 221; Zangemeister, CIL 4 Suppl.
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Bei einem Diptychon etwa, das, wie der Name sagt, aus zwei Täfelchen bestand, waren die beiden Deckelseiten nicht präpariert, während die beiden Innenseiten, also die Seiten zwei und drei des codex, beschrieben und mit ihren erhabenen Rändern aufeinandergelegt werden konnten, ohne daß die Schrift verwischte. Um die Urkunde zu verschließen, wurden die Täfelchen quer zum Buchrücken mit einem Faden, dem linum, umwickelt, das auf der Rückseite der zweiten Tafel von einer etwa fingerbreiten Vertiefung aufgenommen wurde; in diesen sulcus setzten die Zeugen auf das linum ihre Siegel, so daß der Faden durchschnitten oder die Siegel erbrochen werden mußten, wenn man die Urkunde wieder öffnen wollte. Bei der Neigung des Römers, nicht nur über jedes Rechtsgeschäft, sondern über jeden Vorgang eine Urkunde zu errichten, dessen Beweis vielleicht einmal wichtig werden konnte, wird ein Archiv von tabulae ceratae zum gewöhnlichen Inventar jedes pompejanischen Hausstands gehört haben. Wo in der Katastrophe der Hausherr seine Urkunden nicht retten konnte, waren sie aber auch für uns verloren. In der niedergehenden Glut von Bimsstein und Asche mußten sich Wachs und Holz verzehren, ehe sie, völlig begraben, von jeder Luftzufuhr abgeschnitten wurden. Nur die Gunst besonderer Umstände konnte sie vor der Vernichtung bewahren. Im Haus des Caecilius Iucundus war es offenbar die Truhe, die das Gros der in ihr dicht gestapelten Tafeln vor der Zerstörung gerettet hat – freilich nur vor der völligen Zerstörung: denn das Wachs der Tafeln ist zerflossen und ihr Holz verkohlt und ihre Beschriftung nur in den Spuren lesbar, die der zu heftig eingedrückte Schreibgriffel im Holz selbst hinterlassen hat. Wirkungsvoller waren die Umstände, die in der Villa von Murecine das Urkundendepot vor der Vernichtung bewahrt haben. Im Verlauf der Katastrophe und wohl infolge der Erdbeben, die die Eruptionen des Vulkans begleiteten, brach Grundwasser in das Haus ein. In kurzer Zeit setzte sich in den Räumen eine Schlammschicht ab, die auch den Korb mit den Urkunden schützend einhüllte. In diesem Einschluß erhielten sich die Wachstafeln nahezu ohne organische Veränderungen, und der Geschicklichkeit neapolitanischer Konservatoren gelang es, die Täfelchen auch so vorzüglich zu präparieren, daß sie lesbar blieben. Unterdessen hat ihre Beschriftung jedoch an Deutlichkeit verloren, so daß heute die alsbald hergestellten Photographien die Grundlage ihrer Bearbeitung sind. III. Die Sichtung und Publikation der Urkunden Die Veröffentlichung der Tafeln ließ gleichwohl auf sich warten. Der erste pompejanische Urkundenfund von 1875 wurde von Giulio de Petra, dem damaligen Direktor des neapolitanischen Museums, binnen eines Jahres publiziert. Seine Arbeit fand das seltene Lob Mommsens, der die „rasche, sichere und knappe Veröffentlichung“ als ein Vorbild pries, „dem man wohl allgemeine Nachfolge wünschen möchte“. Für den Fund von 1959 blieb dieser Wunsch unerhört. Durch unglückliche Umstände verzögert, begann die Veröffentlichung der neuen pompejanischen Urkunden 1966; sie ist noch nicht abgeschlossen.
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Die Herausgeber sind Carlo Ciordano, Mitglied der Grabungsleitung von Pompeji, und Francesco Sbordone, Ordinarius für Klassische Philosophie an der Universität von Neapel; Publikationsort die ,Rendiconti della Accademia di Archeologia Lettere e Belle Arti di Napoli‘. Den Transkriptionen sind in aller Regel Abbildungen der Täfelchen oder Apographa der Texte beigefügt. Auch wenn das Raster des Drucks zu grob ist, um alle Details der Photographie wiederzugeben, gestatten die Abbildungen jedenfalls eine vorläufige Nachprüfung der Entzifferung, die bei jeder Erstpublikation von Kursivschrift unerläßlich ist. Selbst der nur gelegentliche, in jüngster Zeit allerdings häufigere Verzicht, der Umschrift eine Abbildung der Tafel beizufügen, ist darum bedauerlich. In acht Teilpublikationen liegen nach einer von dem Rechtshistoriker Lucio Bove vorgeschlagenen und jetzt von Sbordone übernommenen Zählung 69 Urkunden und Urkundenteile vor.4 Über die Gesamtzahl der gefundenen Tafeln läßt sich ein sicheres Bild noch nicht gewinnen. Olga Elia gab sie 1960 mit 300, der Konservator Selim Augusti 1966 mit etwa 200 an.5 Im neuen Inventarverzeichnis von Pompeji füllen die Täfelchen 137 Positionen (Nr. 14343 – 14479); hier aber sind nicht selten unter einer Inventarnummer zwei oder auch mehrere Tafelfragmente registriert. Die Soprintendenza alle Antichità in Neapel hat den Urkundenbefund mit 227 Photographien erfaßt (Negativ-Nr. 13510 – 13726).6 Auf einer Photographie sind oft mehrere Tafeln abgebildet, und viele Tafeln sind mehrfach photographiert; grundsätzlich scheinen nur die beschrifteten Seiten aufgenommen worden zu sein; etwa 50 Täfelchen, auf die sich 60 – 70 der 227 Photographien verteilen mögen, sind noch nicht veröffentlicht; da außerdem, wie ich feststellen konnte, die Serie nicht vollständig ist, gibt auch diese Zahl nur einen sehr groben Eindruck vom Umfang des Urkundenfundes. Ich schätze, daß sich nach genauer Durcharbeitung aller Täfelchen die Zahl der vollständig oder teilweise erhaltenen Urkunden, Diptycha und Triptycha, auf vielleicht 100 stellen wird. Die einzigartige Bedeutung des neuen Fundes beruht indessen nicht nur auf dem guten Erhaltungszustand einer so großen Zahl von Wachstäfelchen: sie beruht vor allem auf der Vielfalt der beurkundeten Gegenstände. IV. Die Handelsbank der Sulpizier Der glückliche Fund von 1875, im Hause des Caecilius Iucundus, hat uns keineswegs dessen Archiv, sondern nur eine bestimmte Abteilung seiner Geschäftspa4 Giordano, Rend. 41 (1966) 107; Sbordone und Giordano, Rend. 43 (1968) 195; Giordano, Rend. 45 (1970) 211; Sbordone, Rend. 46 (1971) 173; Giordano, Rend. 46 (1971) 183; Sbordone, Rend. 47 (1972) 307; Giordano, Rend. 47 (1972) 311; Sbordone, 51 (1976) 145. Lucio Bove, Appunti dal corso di papirologia giuridica (Napoli 1974) 11, und (Napoli 1976) 87. 5 Elia, Rend. 35 (1960) 31; Augusti, Archeologia (Paris) 12 (1966) 43. 6 Eine flüchtige Einsichtnahme gestattete mir freundlicherweise Anfang April dieses Jahres der Soprintendente, Prof. Fausto Zevi.
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piere, nämlich nichts als Quittungen beschert: eine kleine Zahl Quittungen der Gemeinde Pompeji über Pachtgelder für Grundstücke, die Iucundus von ihr gepachtet hatte; und eine große Zahl Quittungen, die von Geschäftspartnern ausgestellt worden sind, für deren Rechnung Iucundus Auktionen durchgeführt hatte. Ganz anders der neue Fund. Seine Tafeln zeigen die Praxis einer Vielzahl verschiedener Rechtsverträge und anderer Rechtsvorgänge: Darlehn, Bürgschaften und Sicherungsübereignungen; Verpfändungen von alexandrinischem Weizen, von Erbsen und Linsen; Pachtverträge über den Speicherraum dieser Waren; Protokolle über die öffentliche Ankündigung von Versteigerungen verfallener Sicherheiten, von Purpurstoffen etwa, die verpfändet, oder einer Sklavenfamilie, die zur Sicherung übereignet worden war; Ladungen vor den Gerichtsmagistrat, Protokolle über Eideszuschiebung im Prozeß, der Entwurf eines Prozeßdekrets mit der Ernennung eines Urteilsrichters und zwei Klagformeln auf certa pecunia; die Anberaumung einer Verhandlung vor dem Urteilsrichter; Befragungen vor Gericht über Erbrechte und Gewaltverhältnisse; Vergleiche und schließlich auch die Ladung zu einem Schiedsgerichtstermin – all das und noch mehr ist Gegenstand der neuen Tafeln, oft im Kontext verwickelter und aufschlußreicher Details. So vielfältig die beurkundeten Geschehnisse sind, so wenig ist diese Vielfalt durch den Zufall bestimmt. Sehe ich recht, so ergeben die Urkunden insgesamt ein deutliches Bild vom Alltagsbetrieb einer Darlehnsbank oder denn eines Handelsunternehmens, dessen Hauptgegenstand Bankgeschäfte waren. Dabei wäre es falsch, von einem Archiv zu sprechen; denn die Tafeln sind kein geordneter Beleg der Geschäftstätigkeit des Unternehmens, von dem sie Kunde geben; sie können nur eine zufällige Auswahl sein. Nach den Fundumständen möchte man glauben, daß sie als erneuerungsfähiges Schreibmaterial aufbewahrt wurden – eine Sparsamkeit allerdings, die zu dem Luxus der Villa von Murecine nicht recht paßte. Denn Triptycha und Diptycha waren Pfennigware, und selbst ein Dutzend von ihnen war noch ein geiziges Saturnaliengeschenk, über das Martial seinen Spott ergießt.7 Der Sitz des Unternehmens war indessen nicht die Villa, nicht Pompeji, sondern Puteoli, das heutige Puzzuoli, am Nordrand des Golfs, westlich von Neapel. Zu den Formalien der Urkunde gehörte die Angabe des Ortes und des Datums ihrer Errichtung, und soweit die Ortsangabe erhalten und lesbar ist, sind sämtliche Urkunden, mit Ausnahme eines noch nicht veröffentlichten Protokolls aus Capua, in Puteoli errichtet worden. Für ein Handelsunternehmen gab es kaum einen günstigeren Platz. Die Bucht von Puteoli, durch den Bergrücken des Posillipo gegen die Bai von Neapel abgesetzt, ist ein großer natürlicher Hafen und unter den wenigen an Italiens hafenarmen Küsten einer der vortrefflichsten; für Rom war er auch der nächste. Die griechische Stadt ist darum während des zweiten punischen Krieges von Rom in Besitz genommen und 194 v. Chr. als Bürgerkolonie eingerichtet worden. Mit dem Aufstieg der römischen Wirtschaft nach den hannibalischen Kriegen entwickelte sie sich rasch zu einem der ersten Handelsplätze der alten 7
Epigr. 7.53.
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Welt; noch vor dem Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. vergleicht sie der Dichter Lucilius mit dem glänzenden Delos.8 Trotz der großen Entfernung wurde sie Roms Haupthafen, und als Augustus die cura annonae übernahm, auch der Landeplatz der Getreideflotte. In der Geschichte der Stadt begann damit eine Periode besonderen Reichtums. In unseren Urkunden dokumentieren sich diese Verhältnisse ebenso unerwartet wie eindrucksvoll. Die vielen öffentlichen Baulichkeiten, die sie nennen und die wir erst durch sie kennenlernen, sind nach ihren Beinamen ausnahmslos Stiftungen und damit beredte Zeugnisse nicht nur der Baugeschichte, sondern auch des Wohlstands der Bürger dieser Stadt. Von bisher 45 Dokumenten kennen wir das Jahr ihrer Ausstellung, von vielen auch den Monat und den Tag. Die meisten verteilen sich auf die Jahre 35 – 55 n. Chr.; zwei stammen aus dem Jahre 61, eines aus dem Jahre 29. Die Protagonisten der beurkundeten Geschehnisse sind Sulpizier: Faustus, Cinnamus und Onirus. Während C. Sulpicius Onirus nur in den beiden Diptycha des Jahres 61 auftritt, begegnen C. Sulpicius Cinnamus und C. Sulpicius Faustus allenthalben: Cinnamus in bisher etwa 30, Faustus in etwa 20 Dokumenten. Seine Auftritte verteilen sich auf die Jahre 29 – 52, während Cinnamus nicht vor 43 erscheint, dann aber länger als Faustus, nämlich bis 55, seine Rolle spielt. Cinnamus war ein Freigelassener des Faustus: in einem Chirographum vom 31. Dezember 44 nennt Cinnamus den Faustus seinen Patron; eigenhändig quittiert er in dieser Urkunde, daß er eine Zahlung erhalten habe ,in debitum Fausti patroni mei‘ – ,auf eine Schuld, die gegenüber meinem Patron Faustus besteht‘.9 Der Name Cinnamus ist für Sklaven und Freigelassene mehrfach belegt und bedeutete soviel wie ,Zimtjunge‘. Eine Zeitlang gefiel es offenbar den Römern, den Sklaven, der das Amt des Hausverwalters oder Schatzmeisters besorgte, Cinnamus zu nennen: Kaiser Claudius hatte einen dispensator dieses Namens,10 am Hofe Trajans nahm dieselbe Funktion auch ein Cinnamus wahr;11 und was deutlicher als diese Nachrichten spricht: auch der Hausverwalter des Trimalchio in den Satiren des Petron heißt Cinnamus.12 Danach dürfen wir uns vorstellen, daß der Cinnamus unserer Urkunden, bevor Faustus ihn freiließ, dessen Hausverwalter war. Als er freigelassen wurde, übernahm er, wie es üblich war, das praenomen und nomen gentile seines Patrons und als cognomen seinen schmeichelhaften Sklavennamen. Die Urkunden geben keinen Aufschluß über die Funktion des Hauses, in dem sie gefunden worden sind. Olga Elias Annahme, daß die Villa von Murecine vielleicht der Sitz eines Handelsunternehmens oder einer Schiffahrtsgesellschaft geweLucilius 123 bei Paul. Fest. 122 M. Giordano, Rend. 46 (1971) 184; in der Zählung Boves Nr. 30. 10 CIL 6, 8822 / 3 / 4. 11 CIL 6, 8826. 12 Sat. 30. 8 9
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sen sei, bleibt eine Hypothese. Viele Kombinationen sind denkbar. Was Wahrscheinlichkeit beanspruchen kann, beschränkt sich jedoch auf die Vermutung, daß die Villa einem Sulpicius gehörte.
V. Der Seefrachtvertrag des Menelaos Nicht an allen Geschehnissen, die in den Urkunden festgehalten sind, ist ein Sulpicius beteiligt. Das gilt auch für den Seefrachtvertrag und die Bürgschaft, über die das Diptychon vom 11. April 38 errichtet worden ist. In anderen Fällen können wir erklären, wie die Tafeln unter die Geschäftspapiere der Sulpizier gekommen sind; für das Diptychon ist diese Frage nicht zu beantworten. Die Urkunde, der wir uns im einzelnen zuwenden wollen, fällt überhaupt aus dem Rahmen. Während alle anderen Tafeln in lateinischer Sprache abgefaßt sind, ist ihr Text zum Teil griechisch; und während die meisten der beurkundeten Vorgänge sich wiederholen, kommt ein Seefrachtvertrag in den Täfelchen nicht noch einmal vor; von allen Urkunden, schließlich, setzt sie unserem Verständnis den größten Widerstand entgegen. Tafel 1 (Pompeji Nr. 14354) mißt 134 x 92, Tafel 2 (Nr. 14355) 135 x 92 mm. Beide Tafeln sind nur auf einer Seite zur Beschriftung hergerichtet und, wie üblich, parallel zu ihren Langseiten beschrieben. Bei Tafel 1 ist der untere Rand zweimal perforiert, bei Tafel 2 dementsprechend der obere; hier waren die Tafeln zusammengebunden. Über die Mitte der Rückseite von Tafel 2 verläuft parallel zu den Schmalseiten ein sulcus, in dem deutliche Spuren von drei Siegeln zu sehen sind. Da der Text dreimal untersiegelt ist, steht zu vermuten, daß dieselben Personen auch den Verschlußfaden versiegelt haben. Wenn das Diptychon verschlossen worden ist, kann eine kurze Angabe seines Inhalts in Tintenschrift auf einer der Deckelseiten nicht gefehlt haben; Spuren einer solchen Beschriftung habe ich bei einer Besichtigung in Pompeji jedoch nicht entdecken können. 1. Die Lesung der Herausgeber Die Urkunde ist 1969 veröffentlicht worden; Sbordone hat den griechischen, Giordano den lateinischen Teil gelesen.13 Ihre Umschrift lautet: t. 1 p. 2 l.
1 2 3 4 5 6 7 8
13
^ÕðÜôùí ÌÜñêïõ \´Áêõëá \Éïõé Üíïõ êáM Ðïðëßïõ Íùíßïõ ãÝãñáϕá ðñN ôñéµí 6ðñéëßùí . 7ðéêáñðßáí ÌåíÝëáïò ÷ñ'íáé fϕ[η]ó[å ìéêôµò, mãñáøå äK ðåð['÷Wáé ðáñJ Ðñßìïõ Ðïðëßïõ \Áôôßïõ ÓåâÞñïõ äïýëïõ[[ëïõ]] äηíÜñé ÐÐÁ´.
Rend. 43 (1968) 3 – 12.
8
Der Seefrachtvertrag des Menelaos 9 10 11 12
t. 2 p. 3 l.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
ïOí 6ðùôßêη ôï¯ óϕñáëéóìï[¯] ìï[õ 6ããßáóá äï¯íáé 6êï[[õ]]ëïýWùò ôLñ 6ðùðßêη, \Éïõëßù ìηíß. 7ðéôÝïí ê(áM) ðÝðηã Ðåéñåéüí, å9ò êô'óéí ôµí ðñïãåãñáììÝíùí äηíáñßùí ÌÜñêïí ÂáñâÜôïí ÊÝëåñá. Q(intus) Aelius Romanus scripsi rogatu et mandatu M(arci) Barbati Celeris coram ipso quod is litteras nesciret eum sua fide iubere 900+900+1 denarios n(umeratos) q(ui) s(upra) s(cripti) sunt Primo P(ubli) Atti Seueri ser(uo) pro Menelauo; ire Pireium coram y iftae ita uti supra scriptum est.
Ich übertrage die Übersetzung der Herausgeber ins Deutsche: ,Unter den Konsuln Marcus Aquila Iulianus und Publius Nonius habe ich geschrieben am 3. Tag vor den Iden des April. Menelaos sagte, er schulde die Früchte gemischt, und schrieb, daß konsolidiert worden sind von Primus, dem Sklaven des Publius Attius Severus, 900 + 900 + 1 Denare. Mit Anbringung meines Siegels habe ich folglich garantiert zu geben, mit dreifacher Anbringung (des Siegels) im Monat Juli. Es ist ebenfalls festgesetzt, daß Marcus Barbatius Celer nach Piräus fahren soll, um in Besitz zu nehmen die oben geschriebenen Denare, die ihm gehören. Ich, Quintus Aelius Romanus, habe geschrieben im Auftrag und auf Verlangen des Marcus Barbatius Celer, in seiner Anwesenheit, weil er nicht schreiben kann, daß er durch Bürgschaft garantiert die Zahlung von 1 801 Denaren in bar, die oben geschrieben sind, dem Primus, dem Sklaven des Publius Attius Severus; er soll (übrigens) nach Piräus gehen in Gegenwart von . . . , so wie es oben geschrieben steht.‘ Sbordone selbst hat zu erklären versucht, wie dieser Text zu verstehen sei: Der Sklave Primus habe Menelaos ein Darlehn gewährt und Menelaos nicht nur den Empfang der Darlehnssumme, sondern vielmehr den eines Betrages von 1 801 Denaren quittiert, der sowohl das ihm ausgezahlte Kapital wie auch den vereinbarten Zins einschloß. Die Urkunde konstatiere die Erteilung dieser Quittung (,Menelaos . . . schrieb . . .‘) und außerdem eine Schulderklärung des Menelaos (,Menelaos sagte . . .‘), die mit ihrer eigenartigen Ausdrucksweise (,. . . die Früchte gemischt‘) das Kapital und den Zins meine. Sodann verbürge sich der immer noch anonyme Schreiber der Urkunde für die Schuld des Menelaos; die dreifache Siegelung, mit der er die Bürgschaft feierlich bekräftigt habe, sei die am Ende des Urkundentextes. Der ,wahre und eigentliche‘ Bürge, in dessen Auftrag der Schreiber nur gehandelt habe, sei jedoch M. Barbatius Celer. Wie die Urkunde weiterhin dokumentiere, sei nämlich für den Fall, daß Barbatius den Primus befriedigte, ausgemacht worden, daß er, Barbatius, nach Piräus reisen müsse, um wieder ,zu seinem Geld‘ zu kommen: um dort, von Menelaos, wegen seiner Regreßforderung befriedigt zu
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werden. Erst im lateinischen Urkundenteil gebe der Schreiber und Mandatar des Barbatius seinen Namen preis: Q. Aelius Romanus. Mit dem Urkundentext, wie die Herausgeber ihn lesen, hat sicher nicht nur der Jurist seine Schwierigkeiten. Ein Schreiber, der nicht sagt, wer er ist, soll zu Beweiszwecken zu Protokoll genommen haben: daß ein Menelaos bekannt habe zu schulden und zwar einem nicht genannten Gläubiger ,Früchte gemischt‘, daß er selbst einer Person, die er nicht nennt, einen Gegenstand, den er nicht bezeichnet, zu leisten garantiert habe, und zwar im Juli; daß ein M. Barbatius Celer nach Piräus reisen müsse, um zu seinem Geld zu kommen! Der bis auf den Schlußsatz klare lateinische Urkundenteil fördert den Zweifel, und Sbordones Interpretation ist kaum geeignet, das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Lesung zu festigen. Denn wie aus den ,gemischt geschuldeten Früchten‘ Zinsen und Kapital werden, aus dem Bürgen ein Mandatar und aus seiner dreifachen Siegelung die drei verschiedenen Siegel am Ende des Urkundentextes, ist nicht leicht zu durchschauen. 2. ,Cura secunda‘ Weiterhelfen konnte nur eine Kollation mit den Photographien der Tafeln. So wurde es unvermeidlich, das Geschäft der Entzifferung selbst in Angriff zu nehmen. Die cura secunda, die ich vorlege, hätte in dieser Form jedoch nicht durchgeführt werden können ohne die tägliche Ansprache mit vielfältiger Beratung, Belehrung und Kritik, die mir Ulrich Manthe, Assistent am rechtsgeschichtlichen Institut, gewährt hat. Bedeutende Förderung verdanke ich ebenso Prof. John A. Crook, Cambridge, der am 7. Dezember 1978 unsere erste den neuen pompejanischen Urkunden gewidmete Arbeitssitzung mit einem Vortrag über das griechischlateinische Diptychon eröffnet hat. In den letzten Tagen habe ich noch Vorschläge übernehmen können, die mir Prof. Crook und Prof. Sbordone zur Verbesserung meiner ihnen schon übersandten Lesung in Briefen unterbreitet haben.14 Es lag nahe, zuerst das Zahlzeichen am Ende von p. 2 l.8 zu identifizieren. Deutlich ist äηíáñéá zu lesen, bei dessen ä sich der Schreiber zunächst verschrieben hat. Auf äηíáñéá folgt dann aber kein Zahlzeichen, sondern, ebenso deutlich zu lesen, ÷éëéá (eintausend). Diese Wortkombination wiederholt sich am Anfang von p. 3 l. 2. Mit diesen Summenangaben des griechischen Urkundenteils korrespondiert die des lateinischen. Auch hier ist die Lesung ,900 + 900 + 1‘ verfehlt. In p. 3 l.7 folgt vielmehr auf das Zeichen für Denare, ein horizontal durchgestrichenes X, das Zahlzeichen für 1000; vor dem Münzzeichen steht eos. 14 Die cura secunda beruht auf den der ersten Lesung beigefügten Abbildungen (s. Anm. 13); den Photographien der Soprintendenza alle Antichità, in Neapel, die ich durch die Freundlichkeit des Soprintendente, Prof. Fausto Zevi, zur Veröffentlichung erhalten habe; und den hier abgedruckten Lichtbildern, die mir erst vor kurzem Dr. Carlo Giordano liebenswürdigerweise übersandt hat, und die den besten Erhaltungszustand der Wachstafeln wiedergeben.
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Der Seefrachtvertrag des Menelaos Es mußte auffallen, daß in der Jahresangabe zwar Marcus Aquila Iulianus, nicht aber auch sein Kollege Publius Nonius Asprenas mit vollem Namen genannt sein sollte. Tatsächlich hat die Urkunde in p. 2 l. 2 / 3, wo Sbordone ãåãñáϕá (ich habe geschrieben) liest, das vermißte cognomen Áóðñηíá – wie die übrigen Namen im Genitiv, gemäß der Präposition åðé, mit der die Urkunde beginnt. Anders als der Römer hatte der Grieche nur einen Namen. Wo es galt, sich genau zu bezeichnen, setzte er seinem Namen den seines Vaters hinzu und gab außerdem, an dritter Stelle, seine lokale Herkunft an. In Inschriften und Urkunden war das die übliche Praxis. Das Diptychon weicht nicht von ihr ab. In p. 2 l. 5, wo Sbordone ÷ñηíáé (mit der Ergänzung äïõíáé = leisten müssen) vorschlägt, steht in Wahrheit Åéñηíáéïõ, der Vatersname, wie gewöhnlich im Genitiv, und entsprechend im lateinischen Textteil, p. 3 l. 9, wo Giordano ire Pireium hat, Irenaei f. Doch damit nicht genug. In der Mitte von p. 2 l. 6 ist deutlich und mit nur geringer Abweichung von Sbordone åãñáøá zu lesen, so daß sich der Satz ergibt: ,Ich, Menelaos, Sohn des Irenäus. . . habe geschrieben‘. Zwischen dem Vatersnamen und dem Prädikat, p. 2 l. 5 / 6, war ich sicher, die Buchstabenfolge êåñá / ìêôηò auszumachen, und überzeugt, daß sie eine Wortbildung zu Êåñáìå¦ò oder Êåñáìßò, dem Namen eines attischen Demos, enthalte. Die attische Demosordnung war eine personale Gliederung der Bürgerschaft, die auf einer Einteilung des Staatsgebiets in Bezirke beruhte; jeder Polite war in einem Demos eingeschrieben. Während der Herkunftsort im allgemeinen durch das Ethnikon bezeichnet wurde, fügte der Athener seinem Namen das Demotikon bei. Für den Demos Êåñáìå¦ò ist in Inschriften nur das Demotikon 7ê ÊåñáìÝùí belegt. Andere übliche Formen könnten êåñáìåýò und êåñáìåéêüò gewesen sein. Da das Demotikon regelmäßig abgekürzt wurde, vermutete ich in der Buchstabenfolge zwei Abbreviaturen: êåñáìé und êôηò – ,dem Demos Kerameis angehörig, Steuermann‘. Diese kühne Hypothese ist jetzt durch die Beobachtung Prof. Sbordones hinfällig geworden, daß statt ê ohne weiteres auch η gelesen werden kann; einen Beleg sehe ich in Áóðñηíá. Das Nomen êåñáìéÞôηò ist aber eine geläufige, wegen des -éÞôηò gleichwohl interessante suffixiale Wortbildung, die die Zugehörigkeit zum Demos Kerameis ausdrückt; als Demotikon ist sie allerdings fast ohne Parallele und wohl nur darum gewählt, weil êåñáìåýò und êåñáìåéêüò schon ihre eigene Bedeutung haben, nämlich ,Töpfer‘ und ,den Töpfer betreffend‘. Bedürfte die Lesung einer Bestätigung, so lieferte sie wieder der lateinische Text: p. 3 l. 9 folgt auf den Vatersnamen Ceramietae, die latinisierte Form des Demotikons im Dativ.15 Kontrovers ist die Lesung des letzten Wortes in p. 2 l. 6, bei dessen erstem Buchstaben Menelaos sich korrigiert hat. Prof. Sbordones neuerlichen Vorschlag áðå÷ñù[ìηí (ich habe leihweise empfangen) kann ich auf der Photographie nicht verifizieren. Ich war vielmehr sicher, áðå÷ùìáå zu sehen, das aber, bei der eigenen Bedeutung des Mediums (ich enthalte mich), keinen Sinn macht. Prof. Crook liest jetzt áðå÷éí ìïé, und ich glaube, er hat recht. Der vorletzte Buchstabe ist zwar dem á der Schrift ähnlicher, als ihrem ï; bei den enormen Divergenzen in der Zeichnung vieler Buchstaben ist diese Abweichung aber kein zwingendes Kriterium. Das vermeintliche ù ist tatsächlich ein éí. Der Itazismus, 6ðÝ÷éí statt 6ðÝ÷åéí, liefert keinen Einwand. Der Infinitiv paßt vortrefflich und macht einen guten Sinn: ,Menelaos hat geschrieben, erhalten zu haben . . . Denare eintausend‘. ìïé in der Bedeutung ,für mich‘ wäre überflüssig, stört aber nicht.
15 Es ist nicht auszuschließen, aber doch wohl unwahrscheinlich, daß ìåñáìéÞôηò nicht das vermutete Demotikon ist, sondern ein Ethnikon, das die Herkunft aus dem kleinasiatischen Seestädtchen ÊÝñáìïò angibt.
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Entscheidend für das Verständnis der ganzen Urkunde war die Entzifferung des zweiten Wortes in p. 2 l.9. Der Vorschlag des Herausgebers ,mit Anbringung meines Siegels‘ war aus dem Spiel, sobald die Lesung von åê . . . åêóϕñáãéóìåíηò (aus . . . gesiegelter) feststand. Die Schriftzeichen zwischen diesen beiden Worten schienen dagegen unentzifferbar. Die Lösung kam schließlich aus England, Prof. Crook teilte sie in seinem Vortrag mit. Das Schlüsselwort war íáõëùôéêηò, die Bedeutung der ganzen Wortfolge mithin: ,aus gesiegeltem Seefrachtvertrag‘. Zu íáõëùôéêÞ ist óõããñáϕÞ (Vertrag) zu ergänzen, das auch in den gräko-ägyptischen Papyrusurkunden oft weggelassen wird. Ich schließe diesen Bericht mit der Erläuterung eines letzten streitigen Details. ,Ich, Menelaos, . . . habe geschrieben, daß ich erhalten habe von Primus . . . Denare eintausend aus . . . Naulotike, und sie werde ich zurückgeben gemäß der Naulotike‘ – so, im wesentlichen, lautet die Urkunde bis p. 2 l. 11; die letzten beiden Worte, ôη íáõëùôéêη, füllen die erste Hälfte dieser Zeile. Den Fortgang stellte ich mir zuletzt folgendermaßen vor: åé ðåðïéηìáé ðñïò åáõôïí. Unsicher in dieser Lesung sind åé und das å von åáõôïí statt des åé könnte allenfalls auch η gelesen werden; das å von åáõôïí, l. 12, ist fast eine Konjektur. Grammatikalische Bedenken wären unbegründet: in der Bedeutung ,selbst‘ steht +áõôüí auch bei der 1. Person, also statt 7ìáõôüí. Unsicher ist jedoch, ob diese Lesung Sinn macht und ob sie den Sinn macht, den ich ihr beilege. Meine Übersetzung ,wenn ich nach Hause zurückgekehrt bin‘, wörtlich: ,wenn ich gemacht habe zu mir‘, postuliert eine Verwendung von ðïéÝù, die nicht belegt ist. Der Korrekturvorschlag η ðåðïéηìáé ðñïò áõðïí, den mir Prof. Sbordone übersendet, vermeidet meine Schwierigkeiten; diese Lesung kommt ohne die Konjektur åáõðïí aus und schließt sich mit einfachem guten Sinn an das Vorausgehende an: ,gemäß der Naulotike, die ich mit ihm (Primus) abgeschlossen habe‘. Diese Vorteile haben allerdings ihren Preis. Die Lesung η vermehrt die Schreibformen dieses Buchstabens um eine weitere extreme Variante; der Vergleich mit dem benachbarten Schluß-η von íáõùôéêη, dem η in Áóðñηíá, p. 2 l. 3, und dem am Ende von p. 2 l. 7 vergegenwärtigt das Problem, entschärft es aber vielleicht auch. Außerdem ist der Ausfall des í nicht leicht zu erklären. Der auslautende dentale Nasal n wurde vor dem anlautenden labialen Verschlußlaut p wahrscheinlich m gesprochen; daß er gar nicht mehr gesprochen wurde, ist unwahrscheinlich. Die durchgehend korrekte Schreibweise erschwert auch die Annahme, Menelaos habe das í einfach vergessen. Die Bilanz der Schwierigkeiten beider Vorschläge fällt gleichwohl zugunsten des Gegenvorschlags von Prof. Sbordone aus; seine Korrektur ist darum zu übernehmen.
Die Interpretation der Urkunde muß nach all dem von folgendem Text ausgehen: t. 1 p. 2 l.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
\ÅðM 2ðÜôùí ÌÜñêïõ \Áêýëá \ÉïõëéÜíïõ êáM Ðïðëßïõ Íùíßïõ \ÁóðñÞíá ðñN ôñéµí å9äµí \Áðñéëßùí 7í Äéêáñ÷Þá. ÌåíÝëáïò Å9ñηíáßïõ ÊåñáìéÞôηò fãñáøá 6ðÝ÷éí ìïé ðáñJ Ðñßìïõ Ðïðëßïõ \Áôßïõ ÓåâÞñïõ äïýëïõ[[ëïõ]] äηíÜñéá ÷ßëéá 7ê íáõëùôéê'ò 7êóϕñáãéóìÝíηò, X êáM 6ðïäþóù 6êï[[õ]]ëïýWùò ô' íáõëùôéê', Z ðåðïßηìáé ðñNò á§ôüí. êáôÝóôηóá äK fíãõïí
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Der Seefrachtvertrag des Menelaos t. 2 p. 3 l.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
å9ò fêôéóéí ôµí ðñïãåãñáììÝíùí äηíáñßùí ÷éëßùí ÌÜñêïí ÂáñâÜôéïí ÊÝëåñá. Q. Aelius Romanus scripsi rogatu et mandatu M. Barbati Celeris coram ipso, quod is litteras nesciret, eum sua fide iubere eos ✳ (denarios) 1 q. s. s. sunt Primo P. Atti Severi ser. pro Menelauo Irenaei f. Ceramietae, ita uti supra scriptum es[t].
(p. 2 l. 1) Unter den Konsuln Marcus Aquila Iuli (2) anus und Publius Nonius As (3) prenas am dritten Tag vor den Iden (4) des April in Dicarchia. (5) Ich, Menelaus, Sohn des Irenäus, Kera (6) miëte, habe geschrieben, daß ich erhalten habe (7) von Primus, des Publius Attius Seve (8) rus Sklave, Denare eintausend (9) aus besiegeltem Seefrachtvertrag, (10) und sie werde ich zurückgeben gemäß (11) dem Seefrachtvertrag, den ich geschlossen habe mit (12) ihm. Ich habe bestellt als Bürgen (p. 3 l. 1) für die Zahlung der oben genannten (2) Drachmen eintausend den Marcus Bar (3) batius Celer. (4) Ich, Q. Aelius Romanus, habe geschrieben auf Bitten und (5) Auftrag des M. Barbatius Celer, vor ihm (6) selbst, weil er des Schreibens nicht mächtig ist, daß er (7) sich verbürgt wegen der Denare eintausend, die oben genannt sind, (8) dem Primus, des P. Attius Severus Sklave, für Menela (9) us, den Sohn des Irenäus, Keramiëten, so (10) wie oben geschrieben ist.
3. Die Auswertung der Urkunde Die Urkunde ist ihrer Form nach ein Chirographum. Während die testatio, die in Rom lange Zeit vorherrschende Urkundsform, objektiv, in der 3. Person, nämlich als Protokoll gefaßt wurde und ihre Beweiskraft allein der Mitwirkung von Zeugen verdankte, wurde das Chirographum vom Aussteller in subjektiver Formulierung – in der 1. Person – eigenhändig niedergeschrieben und machte durch die Handschrift gegen ihn Beweis. Um diese praktische Beurkundungsform auch dem Analphabeten zu eröffnen, wurde das Prinzip der Eigenhändigkeit allerdings durchbrochen. In unserem Diptychon ist die Erklärung des Menelaos ein reines Chirographum; M. Barbatius Celer dagegen, des Schreibens unkundig, bediente sich der Hilfe eines Dritten; er lieh sich gleichsam die Hand des Q. Aelius Romanus, dessen Niederschrift (rogatu et mandatu M. Barbati Celeris coram ipso) darum auch unmittelbar gegen ihn, Barbatius, wirkte. In Übereinstimmung mit den lateinischen Chirographa des Fundes steht das Datum vor dem Kontext; im Gegensatz zu ihnen außerdem der Ausstellungsort der Urkunde: åí Äéêáñ÷ηá. Vermutlich hat bei dieser Anordnung heimische Gewohnheit Menelaos den Griffel geführt.16
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Der alte griechische Name Puteolis war ÄéêáéÜñ÷åéá. Lateinisch Dicaearchia, erscheint er bei den Dichtern verkürzt zu Dicarchia und Dicarchis. In der Form Äéêáñ÷ηá ist er hier zum erstenmal belegt, wobei ihn die Urkunde für die Umgangssprache ausweist. Menelaos’ Chirographum enthält eine Bestätigung, ein Versprechen und eine bloße Mitteilung (von der wir zunächst absehen). Er bestätigt, von Primus, dem Sklaven des P. Attius Severus, tausend Denare erhalten zu haben, und er verspricht, diese Denare zurückzugeben. Er hat diese tausend Denare ,aus besiegelter Naulotike‘ erhalten, was nur heißen kann: aufgrund eines Seefrachtvertrags, über den eine von Zeugen versiegelte oder von den Kontrahenten untersiegelte Urkunde errichtet worden ist. Da er verspricht, diese tausend Denare zurückzugeben, kann er sie nicht als Entgelt, als Frachtlohn erhalten haben; das Rückgabeversprechen stellt vielmehr außer Zweifel, daß sie ihm zur Beförderung, daß sie ihm als Frachtgut überhändigt worden sind. Er verspricht, die tausend Denare nach Maßgabe der Naulotike zurückzugeben – was bedeutet, daß der Seefrachtvertrag regelte, wo, wann und wie die Rückgabe erfolgen sollte, und vielleicht auch, unter welchen Umständen sie nicht zu erfolgen brauchte. Schließlich erfahren wir noch, daß er diesen Vertrag mit Primus eingegangen ist, der ihm auch die tausend Denare übergeben hat.17 Primus, Sklave eines römischen Herrn, konnte von Rechts wegen nicht für sich selbst handeln. Rechte, die er erwarb, erwarb er ohne weiteres seinem Herrn, während Verpflichtungen, die er einging, diesen nur dann trafen, wenn er ihrer Begründung zugestimmt hatte. So wurde aus einem gegenseitigen Vertrag, den Primus einging, P. Attius ohne weiteres gegenüber dem Vertragspartner des Primus berechtigt, ihm verpflichtet aber nur dann, wenn die Vertragsschließung mit seinem Einverständnis erfolgt war. Im Regelfall lag dieses Einverständnis vor, und es ist hier natürlich zu unterstellen. Menelaos unterscheidet ersichtlich von der Vertragsschließung, die zurückliegt und in einer Urkunde dokumentiert ist, die Empfangsbestätigung und das Rückgabeversprechen, die jetzt, mit der Niederschrift, erfolgen. Die rechtliche Beurteilung dieser Vorgänge hat als erstes zu berücksichtigen, daß Menelaos als Keramiëte Athener und Primus der Sklave eines Römers war. In der alten Welt wurde nämlich ein jeder nach dem Recht des Gemeinwesens beurteilt, dem er angehörte. Dieses – Vgl. H. J. Wolff, Das Recht der griechischen Papyri Ägyptens, 2. Bd. (1978) 107, 110. Der Denar war eine Silbermünze von – in dieser Zeit – knapp 4 g Normgewicht; 25 Denare kamen auf einen Aureus von knapp 8 g Normgewicht; die 1000 Denare der Urkunde entsprachen mithin etwa 320 g Gold. – Im Jahre 38 n.Chr. war der Jahressold eines miles der Prätorianergarde 750 Denare, der eines centurio wahrscheinlich das Zehnfache, der eines einfachen Heeressoldaten, eines Legionärs, dagegen nur 225 Denare. – Zur Zeit unserer Urkunde kostete ein Morgen Weinland 250 Denare, ein des Weinbaus kundiger Sklave 2 000 Denare. Für 1 Denar bekam man etwa 7 Liter einfachen Tischweins oder etwa 1 modius (8.75 Liter) Korn. – Die gewöhnliche Rechnungsmünze war indessen der Sesterz (= 1/4 Denar). Die Verwendung des Denars deutet oft und so wohl auch hier auf Rechnung in Drachmen. 16 17
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in der Praxis freilich niemals streng beobachtete – Prinzip bedeutete etwa, daß aus einem Vertrag, den ein Römer und ein Athener geschlossen hatten, weder vor einem römischen noch vor einem attischen Gericht geklagt werden konnte, weil auf diesen Vertrag weder römisches noch attisches Recht anwendbar war. Das römische Recht überwandt diese Beschwernis des Rechtsverkehrs mit Nichtbürgern, indem es, spätestens seit dem 2. Jahrhundert v. Chr., einen Teil seiner Einrichtungen als ius gentium, als Allerweltsrecht, auch für Rechtsbeziehungen zwischen Bürgern und Peregrinen bestimmte. Der Seefrachtvertrag war im römischen Recht nicht wie der Kauf oder das Darlehn eine exklusive und ,benannte‘ Vertragsfigur, sondern ein Anwendungsfall der locatio conductio. Dieses Vertragsmuster war vielseitig verwendbar; sein Anwendungsfeld teilen wir heute in Miete und Pacht, Dienst- und Werkvertrag auf. Für den römischen Juristen waren diese verschiedenartigen Vertragsverhältnisse verschiedene Erscheinungsformen der locatio conductio, die sich durch ihre unterschiedliche Problematik voneinander abhoben. Der Seefrachtvertrag gehörte zum Bereich des Werkvertrags. Die locatio conductio wurde dem ius gentium zugerechnet, so daß die Rechtsbeziehung zwischen Menelaos und Attius im Streitfall nach den Regeln dieser Vertragsfigur beurteilt worden wäre. Diese Regeln sahen vor, daß der Vertrag durch formlose Vereinbarung zustande kam, sofern nur die Kontrahenten über die Leistung des Schiffers – welche Fracht er nach welchem Ort befördern sollte – und den Frachtlohn sich verständigten. Aus diesem Vertrag war dann der Schiffer ohne weiteres verpflichtet, das Frachtgut, das ihm natürlich übergeben werden mußte, gemäß der Verabredung zu befördern und am Bestimmungsort auszuliefern. Kam er dieser Verpflichtung nicht nach, mußte im Prozeß der Befrachter den Abschluß und Inhalt des Frachtvertrags und die Aushändigung des Frachtguts beweisen. P. Attius Severus sehen wir für diesen Fall gerüstet. Mit der ,gesiegelten‘ Urkunde über den Seefrachtvertrag konnte er die genaue Verpflichtung des Menelaos und mit unserer Urkunde die Übergabe des Frachtguts beweisen. Zugleich aber erkennen wir, daß die ausdrückliche Zusage der Rückgabe des Frachtguts nach römischem Recht bedeutungslos war; denn die Rückgabeverpflichtung ergab sich aus dem Seefrachtvertrag, und mit seinem Nachweis und dem der Aushändigung des Frachtguts war auch sie unter Beweis gestellt. Die ausdrückliche Zusage der Rückgabe des Frachtguts entspricht indessen dem Recht der griechischen Papyri Ägyptens.18 In allen íáõëùôéêáM óõããñáϕáß aus ptolemäischer und römischer Zeit bestätigt der Frachtunternehmer (íáýêëηñïò) oder der Kapitän des Schiffs (êíâåñíÞôηò) – wie in unserer Urkunde Menelaos – den Empfang des Frachtguts; und wie in unserer Urkunde folgt in den meisten Naulotikai auf diese Empfangsbestätigung das Versprechen, das Frachtgut an sei18 A. J. M. Meyer-Termeer, Die Haftung der Schiffer im griechischen und römischen Recht (1978) 75, 109 u. ö.
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nen Bestimmungsort zu befördern und dort herauszugeben. Im übrigen wird jedoch nicht, wie in unserem Chirographum, auf eine andere Urkunde verwiesen, sondern der gesamte Inhalt des Frachtvertrags in derselben Urkunde ausgeführt. In dieser scheinbar nur urkundentechnischen Abweichung dokumentiert sich in Wahrheit die unterschiedliche Gestaltung des Frachtvertrags im römischen und griechischen Recht. Während er nämlich nach römischem Recht durch die bloße Übereinkunft der Kontrahenten zustande kam, erforderte seine verbindliche Begründung nach griechischem Recht außer dem Konsens der Parteien die Übergabe des Frachtguts an den Frachtführer19. Nach griechischem Recht war darum die Empfangsbestätigung des Schiffers nicht nur, wie nach römischem Recht, eine Quittung, sondern vor allem die Beurkundung der erfolgten Vertragsschließung. Mit dem eigentümlichen Erfordernis dieser Vertragsschließung – der Ausfolgerung des Frachtguts an den Frachtführer – hängt offenbar zusammen, daß die Rückgabe des Frachtguts eigens versprochen und dieses Versprechen beurkundet wurde. Das Chirographum des Menelaos ist, wie wir jetzt sehen, ein hybrides Gebilde. Mit seiner Kombination von Empfangsbekenntnis und Rückgabeversprechen folgt es dem Muster der gräko-ägyptischen íáõëùôéêáß. Während aber diese Urkunden den Frachtvertrag selbst, seinen Abschluß und seinen Inhalt, bezeugen, setzt unser Chirographum einen bereits abgeschlossenen Frachtvertrag voraus. Menelaos’ Bestätigung, von Primus ,tausend Denare aus besiegeltem Frachtvertrag‘ erhalten zu haben, macht nur nach römischer Rechtsanschauung Sinn, weil nach griechischem Recht der Vertrag erst mit der Aushändigung der tausend Denare zustande kam; dagegen wäre sein Rückgabeversprechen allenfalls im Kontext einer griechischen íáõëùôéêÞ sinnvoll gewesen, denn nach römischem Recht ergab sich die Rückgabeverpflichtung schon aus dem ,besiegelten Frachtvertrag‘. Diese inneren Widersprüche änderten jedoch nichts an der Eignung der Urkunde, im Bedarfsfall den Beweis der Übergabe der tausend Denare zu liefern. Wir können uns vorstellen, daß sich Menelaos in dem Seefrachtvertrag verpflichtet hatte, die tausend Denare nach Delos zu befördern und dort einer Bank oder einem Geschäftspartner des Attius auszuhändigen, daß er sich mit der Aushändigung aber Zeit ließ und das Geld abredewidrig zunächst einmal für sich verwandte. In diesem Fall wird Attius daran gedacht haben, M. Barbatius Celer, der gewiß in Puteoli ansässig war, in Anspruch zu nehmen und notfalls zu verklagen. Wenn er zum Beweis der Bürgschaft auf unser Diptychon angewiesen war, wäre ihm von einer Klage jedoch abzuraten gewesen. Denn die Erklärung des Menelaos, er habe Barbatius als Bürgen gestellt, war ohne rechtliche Bedeutung, und das Chirographum des Barbatius, er verbürge sich für die Rückgabe der tausend Denare, war allein nicht ausreichend, den Abschluß eines Bürgschaftsvertrags mit Primus unter Beweis zu stellen. 19 Grundlegend H. J. Wolff, Zeitschr. d. Savigny-Stiftung f. Rechtsgesch., Romanistische Abt., 74 (1957) 61; weitere Hinweise bei Meyer-Termeer a. a. O. 75.
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Das Frachtgut wird dem Frachtführer nur zur Beförderung übergeben; er erwirbt darum keine Rechte an den übergebenen Gütern; und es versteht sich, daß er eben dieselben Güter abliefern muß, die ihm zur Beförderung übergeben worden sind. Von diesem Grundsatz sind wir bisher auch für die tausend Denare unserer Urkunde ausgegangen, und wirklich können sie Menelaos in einem versiegelten Säckchen lediglich zum Transport übergeben worden sein. Vorstellbar ist aber auch, daß die tausend Denare Menelaos übereignet wurden, und er nicht verpflichtet war, am Bestimmungsort dieselben Stücke abzuliefern, sondern nur dieselbe Summe auszahlen mußte. In diesem Fall war er berechtigt, das Geld einstweilen für sich zu verwenden und etwa aus dem Erlös der Reise oder aus vorhandenen eigenen Mitteln am Bestimmungsort zurückzuzahlen. Der Frachtvertrag hatte dann zugleich Darlehensfunktion, was sich auch auf den Haftungsmaßstab auswirken mußte. Wie die Bürgschaftsfrage können wir auch diese und noch andere Fragen hier nicht weiter verfolgen. Unsere Kenntnis vom römischen Recht schöpfen wir im wesentlichen aus den Fragmenten der gelehrten juristischen Literatur des 1. und 2. Jahrhunderts. Darum ist jedes Dokument kostbar, das einen Blick auf das Recht in seiner alltäglichen Anwendung gewährt. Das ist die große Bedeutung des noch lange nicht ausgeschöpften neuen pompejanischen Urkundenfundes. Der Frachtvertrag des Menelaos gehört zu seinen ergiebigsten Stücken.
Die Kondiktionen des C. Sulpicius Cinnamus I. Text, Datum und Art des Dokuments* 1. Die Edition Giordanos 1. Bei einer Notgrabung auf der Gemarkung Murecine, im küstennahen Weichbild des antiken Pompeji, wo man beim Bau der Autostrada PompejiSalerno auf die Reste eines ebenso eigenartigen wie ansehnlichen Hauses gestoßen war1, ist am 24. und 25. Juli 1959 eine noch unbekannte Zahl von Wachstafeln gefunden worden2. Unter diesen neuen pompejanischen Urkunden befin* Außer den üblichen werden folgende Abkürzungen verwendet: – Bethman-H. = M. A. v. Bethmann-Hollweg, Der römische Civilprozeß II (Bonn 1865). – Bove, Appunti 1974 = Lucio Bove, Appunti dal corso di papirologia giuridica. Anno accademico 1973 – 74, Parte speciale (Napoli 1974). – Bove, Appunti 1976 = Lucio Bove, Appunti dal corso di papirologia ed epigrafia giuridica. Anno accademico 1975 – 76, Parte speciale, I (Napoli 1976). – Jahr = Günther Jahr, Litis contestatio (Köln 1960). – Keller, Civilprozess = F. L. v. Keller, Der römische Civilprozess und die Actionen, 6. Ausgabe bearb. v. A. Wach (Leipzig 1883). – Keller, Litis Contestation = F. L. v. Keller, Ueber Litis Contestation und Urtheil nach classischem Römischen Recht (Zürich 1827). – Kunkel = Wolfgang Kunkel, Epigraphik und Geschichte des römischen Privatrechts, in: Vestgia, Band 17 [= Akten des VI. Internationalen Kongresses für Griechische und lateinische Epigraphik München 1972, 193 ff. München 1973]. – Rend. = Rendiconti della Accademia di Archeologia Lettere e Belle Arti Napoli. – Selb = Walter Selb, Formeln mit unbestimmter intentio iuris, Studien zum Formelaufbau, Teil I (Wien 1974). 1 Olga, Elia, Rend. 35 (1960), 29 ff., Bollettino d’Arte, 46 (1961), 200 ff.; Amedeo Maiuri, Rend. 36 (1961), 151 ff. 2 Über das Schicksal des einzigartigen Fundes ist aus den Publikationen (vgl. Bove, Appunti 1974, 3 ff.) keine völlige Klarheit zu gewinnen. Nicht wenige Stücke scheinen inzwischen zerstört oder verloren gegangen, von allen aber glücklicherweise Photographien vorhanden zu sein. Olga Elia, die Leiterin der Grabung, gibt in ihrem Bericht von 1960 (oben Anm. 1) die Zahl der gefundenen „Tabulae ceratae, trittici e dittici“ mit etwa 300 an; der Konservator Selim Augusti zählt sechs Jahre später etwa 200: Archeologia (Paris) 12, 1966, 43; Bove dagegen spricht in seinen Appunti von 1974, S. 2, von nur etwa 70 „documenti ritrovati e leggibili“. Wegen ihrer Lagerung in feuchtem Schlamm war der Erhaltungszustand der Tafeln vorzüglich, die Konservierung allerdings außerordentlich schwierig: Selim Augusti, a. a. O.: über seine Analyse der Schreibschicht: Rend. 37 (1962), 127 f. Die Edition der Urkunden ist ziemlich unübersichtlich. Die Herausgeber unterscheiden bisher in 7 Teilpublikationen 59 Dokumente: Triptycha, Diptycha und Einzelstücke: Giordano, Rend. 41 (1966), 107 ff. (12 Dokumente); Sbordone und Giordano, Rend. 43 (1968), 195 ff. (1.); Giordano,
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Die Kondiktionen des C. Sulpicius Cinnamus
den sich zwei Tafeln, die beide eine Prozeßformel enthalten. Wie ich die kargen Berichte der Bearbeiter verstehe, sind diese Tafeln nur auf einer Seite zum Schreiben hergerichtet und nur auf dieser Seite auch beschrieben. Dreizehn Jahre nach ihrer Entdeckung sind sie 1972 von Carlo Giordano als Nr. 6 und 7 einer Serie von insgesamt 19 Tafeln des denkwürdigen Fundes ediert worden3. In Giordanos Lesung lauten die Texte (nach Korrektur einer Reihe offenkundiger Versehen oder Druckfehler4): Tafel Nr. 6
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Tafel Nr. 7
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
(Si) (par)ret C. Marcium Sat(urninum) C. Sulpicio Cinnam(o) HS. ((I)) (d)are oportere q.(ua) (de) (re) (agit)ur C. Blossius Celadus (i)ude(x) C. Marcium Saturninum HS ((I)) (C.) Sulpicio Cinnam(o) (co)ndemnato Si non parret apsolvito iudicare iussit P. Cassius Priscus IIvir (actu)m Puteol(i)s [F]austo Cornelio Sul[la Feli]ce Q. Marcio Barea Sorano Cos. Ea res agetur de sponsione C. Blossius Celadus iudex esto si parret C. Marcium Satur(ninum) C. Sulpicio Cinnamo HS. ((I)) d(are) oportere q.(ua) d.(e) r.(e) agitur C. Blossius Celadus iudex C. Marcium Saturninum HS. ((I)) C. Sulpicio Cinnamo cond(em)nato si non parret apsolvito C. Blossius Celadus iudex est(o)
Rend. 45 (1970), 211 ff. (10); Sbordone, Rend. 46 (1971), 173 ff. (6); Giordano, Rend. 46 (1971), 183 ff. (19); Sbordone, Rend. 47 (1972), 307 ff. (1); Giordano, Rend. 47 (1972), 311 ff. (10). Eine von Sbordone, Bove und Giordano unterzeichnete Übersicht, Rend. 47 (1972), 317 f., zählt aber nur 56 Urkunden und Urkundenteile, weil sie dreimal je zwei unter verschiedenen Nummern publizierte Tafeln unter einer Nummer zusammenfaßt, nämlich unter den Nr. 15, 34 und 52. Die von Bove allein veranstaltete Übersicht, (Appunti 1974, 11 f. und Appunti 1976, 87 ff.) tut dasselbe fünfmal und kommt so auf 54 laufende Nummern. – Diese Zählung ist jetzt von Sbordone aufgenommen worden, der soeben, Rend. 51 (1976), 145 ff., neben Nachträgen und Korrekturen, weitere 15 Dokumente, S. 150 ff. Nr. 4 – 17 (!), veröffentlicht hat, so daß nach dieser Zählung nunmehr 69 Urkunden und Urkundenteile vorliegen. – Hinweise auf die Ausstellungsdaten, Gegenstände und Personen der Tafeln u. Anm. 15, 82 – 86. 3 Giordano, Rend. 46 (1971), 187 f. mit sehr guten Abbildungen. 4 Vgl. Kunkel, 208 Anm. 23; Bove, Appunti 1974, 84. Insbesondere stimme ich Kunkel zu, daß auf der Abbildung von 6. in Z. 4 von esto keine Spur zu sehen ist. Im übrigen bei Giordano, Nr. 6 Z. 10: ausgefallen; Z. 11: Borea für Barea; Nr. 7 Z. 6: Celadus und Z. 10: Celadux für Celadus. Die Texte sind unverändert übernommen: L’anneé épigraphique, 1973 Nr. 155 und 156; Selb 57; nur Text Nr. 7 Kaser, Labeo, 22 (1976), 21.
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2. Beide Tafeln bieten die Formel der actio certae creditae pecuniae. Sie ist in beiden Fällen für einen Prozeß zwischen C. Sulpicius Cinnamus und C. Marcius Saturninus eingerichtet; in beiden Fällen sieht sie C. Blossius Celadus als iudex vor. Nach Giordanos Lesung ist außerdem in beiden Tafeln die Klagsumme 10.000 Sesterzen. Die Tafeln sollen gleichwohl nicht zu ein und demselben Schriftstück gehört haben. Giordano bezeichnet sie als ,tavole residuali‘. Danach wären sie Teilstücke verschiedener codices gewesen, deren übrige Bestandteile nicht erhalten sind. Auch Kunkel5 hält sie für Einzelstücke. Sie hätten schon deshalb nicht zusammengehören können, weil die eine Tafel einen Zentimeter breiter sei als die andere. Außerdem kann sich Kunkel auf die Unterschiede in den Texten keinen Reim machen. Wir schauen uns diese Unterschiede an: In Nr. 6 ist die Formel nicht komplett; der Text beginnt mit der intentio; die Ernennung des Richters fehlt. Nr. 7 hat dagegen die Richterbestellung zweimal: an ihrem gewöhnlichen Platz unmittelbar vor der intentio (Z. 2) und, wie an die Formel noch einmal angehängt, nach der condemnatio, in der letzten Zeile des Textes. Außerdem fehlt in Nr. 6 die praescriptio, mit der in Nr. 7, der Formel vorgeschrieben, der Text beginnt. In Nr. 7 fehlt dagegen, was in Nr. 6 noch auf die Formel folgt: das Protokoll des Judikationsbefehls (Z. 8) und die Datierung mit Ort (Z. 9) und Konsuln (Z. 10 und 11). Wegen dieser Unterschiede vermutet Kunkel, daß die Tafeln bloße Entwürfe ein und derselben Prozeßformel seien; diese Entwürfe habe der Kläger Cinnamus, aus dessen Archiv sie stammten, vor oder während der Verhandlung vor dem Duumvir selbst angefertigt oder anfertigen lassen. Wenn die beiden Tafeln wirklich, wie diese Hypothese voraussetzt, Einzelstücke wären, müßte man sich wohl mit dieser oder einer ähnlichen Erklärung zufrieden geben. Die Prämisse trifft aber nicht zu; die beiden Tafeln sind weder Einzelstücke noch, wie Giordano meint, Teilstücke verschiedener codices; wie Lucio Bove6, aber wohl auch schon Oscar Onorato erkannt haben7, gehören sie vielmehr zu ein und demselben Schriftstück: sie sind, wie ich meine, die beiden Teile eines Diptychons.
A. a. O. 208 f. Appunti 1974, 82 f.: „prime due tabellae di un trittico (?)“. Zur Frage: Diptychon oder Triptychon siehe u. Anm. 42. 7 Onorato, der erste, aber bald verstorbene Bearbeiter des Fundes, hat jede Tafel signiert, und zwar die Tafeln, die nach seinem Urteil zu ein und demselben codex gehörten, mit derselben Buchstabenfolge: Tafel Nr. 7 mit AAF 1, Tafel Nr. 6 mit AAF 2. Daraus ergibt sich, daß sie nach seiner Ansicht in der durch die Ziffern bezeichneten Reihenfolge zu ein und demselben Kodex verbunden waren. 5 6
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2. ,Cura secunda‘ 1. Beide Tafeln sind derart perforiert, wie es die Verbindung zu einem codex erforderte. Diese Vorrichtung schließt nicht aus, daß sie als einfache Schreibtafeln benutzt worden sind; sie begründet aber zunächst die Vermutung, daß jede Tafel mit einer oder mehreren anderen Tafeln zu einem codex verbunden war. Nach ihrem äußeren Befund können sie auch Bestandteile desselben codex gewesen sein. Tafel Nr. 6 ist zweimal an der oberen, Tafel Nr. 7 zweimal an der unteren Kante durchbohrt. Zusammengebunden ergäben sie ein Diptychon, dessen Deckelseiten 1 und 4 die unbeschriebenen Rückseiten unserer Tafeln wären; nach der Beschriftung, die parallel zum Buchrücken verliefe, wäre die Textseite der Tafel Nr. 7 die Seite 2 dieses Diptychons und wäre die Textseite der Tafel Nr. 6 die Seite 3 dieses Diptychons. Die beiden Tafeln decken sich zwar nicht in ihren Ausmaßen; die Differenz ist in der Breite auch beträchtlich: Tafel Nr. 6 mißt 129 112, Tafel Nr. 7 dagegen nur 119 110 mm. Auf den Schmalseiten beider Tafeln ist der erhabene Rand mit etwa 10 mm jedoch so breit, daß trotz der Differenz von einem Zentimeter in den lichten und äußeren Breitenmaßen immer noch eine ausreichende, nämlich auf beiden Schmalseiten 5 mm tiefe Auflage der Ränder vorhanden ist, wenn man die Tafeln mit ihren Schreibseiten aufeinander legt8. Die Texte beider Tafeln sind in derselben stark stilisierten Kursive geschrieben. Die Beschriftung ist auf beiden Tafeln außerordentlich gleichmäßig, auf Tafel Nr. 6 mit 12 Zeilen allerdings erheblich dichter gegenüber Tafel Nr. 7 mit nur 10 Zeilen. Die Buchstabengröße differiert gleichwohl kaum oder gar nicht; auf Tafel Nr. 7 ist vielmehr der Zeilenabstand weiter, wodurch das Schriftbild insgesamt großzügiger und klarer wirkt. Da die Texte in der Schrift keine signifikanten Abweichungen zeigen, ist nicht auszuschließen, daß sie von derselben Hand geschrieben worden sind. Damit bleibt die Möglichkeit offen, daß unsere Tafeln ein und denselben codex gebildet haben. 2. Wenn wir davon ausgehen müssen, daß jede Tafel mit einer oder mehreren Tafeln zu einem codex verbunden war, dann ist auch zu vermuten, daß ihre Texte nur Fragmente sind, nämlich Teilstücke eines jeweils umfangreicheren Schriftsatzes, der sich auf mehrere Kodexseiten verteilte. Waren die Tafeln aber gar Bestandteile desselben Diptychons, dann müssen sich ihre Texte ergänzen. Tafel Nr. 6 bietet einen zusammenhängenden und sinnvollen, nach unserer Erwartung aber unvollständigen Text: jedenfalls ist die Formel nicht komplett, es fehlt die Richterbestellung. Der Text beginnt unvermittelt mit der intentio. Die fehlende Richterbestellung müßte also auf einer vorangehenden Tafel gestanden 8 Die Probe auf diese Überlegung liefert das interessante Triptychon über Speichermiete vom 2. Juli 37 (Giordano, Rend. 41 [1966], 248 Nr. 7; mit Korrekturen Bove, Rend. 44 [1969], 25 ff. = Labeo, 17 [1971], 131 ff. und Appunti 1976, 55; und wieder Giordano, Rend. 45 [1970], 229); die Maße seiner Tafeln sind 150 112, 156 120 und 145 120 mm.
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haben und dort die letzte Zeile gewesen sein. Aus der condemnatio wissen wir, daß als iudex ein C. Blossius Celadus fungieren sollte; danach können wir den Wortlaut der Richterbestellung rekonstruieren; sie muß gelautet haben: C. Blossius Celadus iudex esto. Tafel Nr. 7 bietet unter einer praescriptio (Z. 1) eine komplette Klagformel (Z. 2 bis 9) und endet mit der scheinbaren Wiederholung ihrer Richterbestellung. Der Wortlaut dieser Richterbestellung: C. Blossius Celadus iudex esto. Der Zusammenhang unserer Tafeln wird damit evident. In der Anordnung, in der sie sich nach ihrer äußeren Beschaffenheit zu einem Diptychon ergänzen, ergänzen sie sich auch zu einem plausiblen Schriftstück. In der umgekehrten Reihenfolge ihrer Numerierung ergeben sie einen geschlossenen, klar gegliederten Urkundentext: unter einer praescriptio zwei Prozeßformeln, beide eingerichtet für ein Verfahren zwischen denselben Parteien und vor demselben iudex; darauf das Protokoll über die Richter- und Formelerteilung durch den Duumvir; schließlich die Datierung. 3. Nach Giordanos Edition ist in beiden Prozeßformeln auch die Klagsumme dieselbe; in beiden Fällen sollen intentio und condemnatio auf 10.000 Sesterzen lauten. Diese Lesung ist unrichtig. In der Prozeßformel der Tafeln Nr. 7 folgt sowohl in der intentio (Z. 4) wie in der condemnatio (Z. 7) auf das Wertzeichen HS zunächst das Zahlzeichen für 5000: die rechte Hälfte eines senkrecht geteilten großen Phi, das 500 bedeutet, mit einem Haken in der Rundung, der die Verzehnfachung anzeigt9. Auf dieses Zahlzeichen folgt sodann, in der intentio wie in der condemnatio, ein auf drei Striche reduziertes m, das im Vergleich zu den Buchstaben des Worttextes deutlich kursiver geformt ist. Dieses dreistrichige m ist hundert Jahre später, in den transsilvanischen Wachstafeln, ganz geläufig10, hier dagegen noch nicht als Schrift-, sondern offenbar nur als Zahlzeichen verwendet11. Auf Tafel Nr. 6 begegnet es wieder in den Summenangaben der Formel: klar und deutlich in der intentio (Z. 2), nur mehr mühsam zu entziffern dagegen in der condemnatio (Z. 5). In der intentio folgen auf das Zahlzeichen für 5000 in additiver Reihung drei m; in der condemnatio gehen in subtraktiver Schreibweise dem Zahlzeichen für 10.000 zwei m voraus. Daraus ergibt sich, daß m für 1000 steht. Ein Triptychon aus demselben Fund bestätigt diese Lesung und Deutung12. In diesem Triptychon vom 15. September 39 schreibt C. Novius Eunus, daß er dem Insoweit zutreffend Bove, Appunti 1974, 84. Vgl. die von Zangemeister zusammengestellte Übersicht in CIL III, Tab. A. 11 Das Zeichen ist so klar zu lesen, daß seine Vernachlässigung durch den Herausgeber und die Bearbeiter irritieren könnte. 12 Giordano, Rend. 45 (1970), 218 Nr. 6, ergänzt von Sbordone, Rend. 45 (1970), 227, und insoweit wieder ediert von Giordano, Rend. 46 (1971), 196 (in der Zählung Boves: Nr. 18). S. indessen zunächst unten ,Nachträge‘, 2. 9
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kaiserlichen Sklaven Hesicus Euenianus ,sestertios mille ducentos quinquaginta nummos‘ schulde, und daß er ihm auch in einer Stipulation versprochen habe, ,eos HS mccl‘ zu zahlen13. Auf der Abbildung der scriptura exterior ist am Ende von Zeile 14 das Zahlzeichen m einwandfrei zu lesen. Die beiden Formeln unseres Diptychons lauten mithin nicht auf dieselbe Summe; vielmehr geht die erste Klage über 6000 und die zweite über 8000 Sesterzen. 4. Die Interpretation des Dokuments muß nach all dem folgenden Text zugrunde legen14: Seite 2 (Giordano Nr. 7)
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Seite 3 (Giordano Nr. 6)
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Es res agetur de sponsione C(aius) Blossius Celadus iudex esto si parret C(aium) Marcium Satu[rninum] C(aio) Sulpicio Cinnamo HS I)) m d: [are] oportere q(ua) d(e) r(e) agitur C(aius) Blossius Celadus iudex C(aium) Marcium Saturninum HS I)) m C(aio) Sulpicio Cinnamo cond[em]nato si non parret apsolvito C(aius) Blossius Celadus iudex esto [si par]ret C(aium) Marcium [Satur]ninum [C(aio)] Sulpicio Cinnam[o] HS I)) m m m [d]are oportere q(ua) [d(e) r(e) agi]tur C(aius) Blossius Celadus [i]udex [C(aium)] Marcium Satu[r]ninum [H : S: ] m m ((I)) [C(aio)] Sulpicio Cinnam[o con]demnato si non parret apsolvito iudicare iussit P(ublius) Cossinius Priscus IIvir [Actu]m Puteol[is]
9a 10 11
[F]austo Cornelio Sul[la Feli]ce [Q(uinto)] Marcio Barea Sorano Cos
3. Das Datum der Abfassung Das Diptychon stammt aus dem Jahre 52 n. Chr.15 Tag und Monat nennt die Datierung nicht. Die Konsulate erlauben jedoch, den Zeitpunkt, zu dem das Dipty13 So die von Giordano, Rend. 46 (1971), 197 (mit Abbildung), richtig gelesene Schreibweise der scriptura exterior. 14 S. indessen unten ,Nachträge‘, 1. 15 Soweit sie mit einer Jahresangabe versehen sind und das Datum lesbar ist, verteilen sich die bisher veröffentlichten Tafeln (siehe o. Anm. 2) auf die Jahre 35 bis 55; zwei stammen aus dem Jahre 61 (Giordano, Rend. 45 [1970], 223 ff. Nr. 9 und 10; in der Zählung Boves: Nr. 21 und 22); eine aus dem Jahre 29 (Sbordone, Rend. 51 [1976], 157 Nr. 11, ohne Photo-
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chon abgefaßt worden ist, erheblich einzugrenzen. Wie unter Claudius auch im privaten Gebrauch noch durchaus die Regel, sind unsere Tafeln nämlich nicht nach den später allein eponymen ordinarii, sondern nach den amtierenden Konsuln datiert16. Faustus Cornelius Sulla Felix, den seine Halbschwester Messalina zum Schwiegersohn des Claudius gemacht hatte, führte zwar das ganze Jahr die Fasces17 – es war das letzte Jahreskonsulat eines Privaten18; sein Kollege dagegen wechselte wiederholt. Zuerst war es L. Salvius Otho Titianus, der ältere Bruder des späteren Kaisers19; auf ihn folgte Q. Marcius Barea Soranus20, und er wiederum wurde von L. Salvidienus Rufus Salvianus abgelöst. Wie das Konsulatsjahr unter ihnen aufgeteilt war, wissen wir nicht. Eine andere Tafel aus dem Funde von Murecine datiert das Jahr noch am 6. Mai nach den Ordinarien21. Damit steht jedenfalls fest, daß die Fristen ungleich waren22, und es ist anzunehmen, daß Salvius Otho wie durch das Ordinariat so auch durch eine längere Amtszeit vor seinen Nachfolgern ausgezeichnet worden ist23. Andererseits ist durchaus unwahrscheinlich, daß er über den 1. Juli hinaus im Amt war24. Das Konsulat des Salvidienus ist erst für den 11. Dezember bezeugt25. Monatskonsulate waren im ersten Jahrhundert noch sehr selten und sind, wenn ich recht sehe, nur für kaiserliche ordinarii graphie; Bove, Nr. 62). Die von Sbordone, Rend. 51 (1976), 150 Nr. 4 (Bove, Nr. 55), veröffentlichte, aber nicht vollständig gelesene Tafel gehört zu der Urkunde vom 17. Februar 61 (Giordano, Rend. 45 [1970], 223 f. Nr. 9; Bove, Nr. 21). Ihr Verhältnis zu diesem Diptychon und das beider Dokumente zu dem vom 16. Februar 61 (Giordano, ebd. Nr. 10; Bove 22) ist noch zu bestimmen; hilfreich J. A. Crook, Zeitschr. für Papyrologie u. Epigraphik, 29 (1978), 234. 16 Vgl. Mommsen, Staatsrecht, 2, 91. Die Tafeln aus Murecine scheinen ausschließlich nach den jeweils fungierenden Konsuln, ordinarii oder suffecti, datiert zu sein, was nach den früheren pompejanischen Urkundenfunden allerdings nicht weiter überrascht. Auch die Quittungen aus dem Archiv des L. Caecilius Iucundus (CIL IV Suppl. I 3340), die, soweit das Datum lesbar, mit wenigen Ausnahmen in den Jahren 54 bis 59 ausgestellt sind (vgl. Zangemeister, CIL IV Suppl. I p. 417), datieren noch ganz überwiegend nach den zur Zeit ihrer Ausstellung amtierenden Konsuln (vgl. Zangemeister, ebd. p. 435). 17 Groag, RE, 4, 1522 s. v. ,Cornelius‘ Nr. 391. 18 Mommsen, Staatsrecht, 2, 84 Anm. 1, auch 83 Anm. 4. 19 Nagl, RE, 1 A 2031 s. v. ,Salvius‘ Nr. 19. 20 Henze, RE, 3, 12 s. v. ,Barea‘ Nr. 2. 21 Sbordone, Rend. 46 (1971), 181 Nr. 6 (in der Zählung Boves: Nr. 28). Eine weitere Urkunde des Fundes, Sbordone, ebd. 179 Nr. 4 (Bove Nr. 26), ist am 7. März 52 errichtet. Bisher war der jüngste epigraphische Beleg für die ordinarii des Jahres 52 vom 10. April: CIL IV 5512. 22 Was nicht weiter auffällig ist: Mommsen, Staatsrecht, 2, 84. 23 Über Rang und Ansehen seiner Familie: Nagl, RE, 1 A s. v. ,Salvius‘ Nr. 20, 17, 19. 24 Vgl. Mommsen, Staatsrecht, 2, 83 ff., und Degrassi, I fasti consolari dell’impero Romano (Roma 1952). Frontin, aquae 13, datiert die Vollendung der claudischen Wasserleitung am 1. August zwar unter Faustus Sulla und Salvius Otho; bei den Schriftstellern erscheinen aber durchweg die Ordinarien. Anders Sbordone, Rend. 46 (1971), 180. 25 CIL III, 2 p. 844 dipl. 1 = Dessau I 1986. Zum Folgenden vgl. wieder Mommsen, Staatsrecht, 2, 83 ff., und Degrassi, Fasti.
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belegt26. Die Verleihung des Amtes für zwei oder drei Monate27 ist dagegen wahrscheinlicher als für vier; viermonatige Konsulate sind zwar von Caligula verliehen worden28, unter Claudius aber nicht nachweisbar, und bei ungleichen Suffektkonsulaten dürfte auch das kürzere dem längeren gefolgt sein29. So spricht viel dafür, daß unser Diptychon nach dem 1. Juli und vor dem 1. November abgefaßt worden ist. Das Konsulat des Barea Soranus konnte bisher nur aus Tacitus erschlossen werden30. Darum könnte man besonders bedauern, daß die Datierung des Diptychons unvollständig ist. Gerade dieser Befund macht uns jedoch mit einem Detail der Urkundenpraxis bekannt. 4. Urkunde oder Urkundenentwurf? Die Datierung (S. 3 Zeile 9 bis 11) wird, wie üblich, mit actum eingeleitet, auf das zunächst die Ortsangabe Puteolis folgt. Actum Puteolis füllt die erste Hälfte von Zeile 9 aus; die zweite Zeilenhälfte und die ganze folgende Zeile 9a sind unbesetzt; erst in der übernächsten Zeile folgt dann der Name des ersten und in der letzten schließlich der des zweiten Konsuls. Aus dieser Anordnung ist ersichtlich, daß Tag und Monat nicht etwa vergessen worden sind: der Schreiber hat sie vielmehr ausgespart und den Raum für ihren Nachtrag offen gelassen; da der Urkundentext nicht umfangreich war, und er gut disponiert hatte, konnte er auch für die Tages- und Monatsangabe, wie für die anderen Elemente der Datierung, eine ganze Zeile vorsehen31. Die Datierung folgt unmittelbar auf den objektiv gefaßten Urkundentext. Das sie einleitende actum bezieht sich auf den Vorgang, den der Text berichtet. Das Bis zum Jahre 68 nur für Tiberius (a. 18) und Caligula (a. 39). Für November und Dezember 54 hatte Claudius, als er am 13. Oktober starb, die Konsuln noch nicht bestimmt (Suet. Claud. 46). Ein zweimonatiges Konsulat am Jahresende ist außerdem für 51 belegt: in diesem Jahr scheint Claudius die Fasces gegen allen Brauch über die volle Amtszeit geführt zu haben, während der zweite Konsul, wie im Jahre 52, zweimal wechselte. Eine ähnliche Konstellation sehen wir auch im Jahre 46: neben einem jährigen Konsulat wechselt der Kollege am 1. März und, nach einem offenbar irregulären Wechsel schon wenige Tage später, am 1. Juli und 1. Oktober. Amtswechsel sowohl am 1. Juli wie am 1. Oktober ist vor Claudius nur für das Jahr 31 überliefert. 28 In den Jahren 37 und 39 jeweils auf Anfang September. 29 Eine Ausnahme ist das Suffektkonsulat Caligulas vom 1. Juli bis 31. August 37; am 17. März hatte er den Thron bestiegen. 30 Ann. 12, 53, 2. Eine nicht edierte römische Inschrift soll allerdings das Konsulat für den 10. August bezeugen: Degrassi, Fasti, 14. 31 Gewöhnlich steht die Tages- und Monats- nach der Ortsangabe in derselben Zeile. Anders, nämlich wie in unserer Urkunde vorgesehen, etwa die testatio über ein vadimonium vom 25. Oktober 44 (Giordano, Rend. 41 [1966], 110 Nr. 1, und, mit zutreffender Kritik, Bove, Appunti 1974, 43); auch hier hatte der Schreiber genügend Raum zur Verfügung (vgl. das Apographum bei Giordano). 26 27
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ergänzte Datum hätte demnach bekundet, wo und wann der protokollierte Akt stattgefunden hat. Daß er stattgefunden hat, konnte erst beurkundet werden, nachdem er stattgefunden hatte; die Beurkundung konnte aber selbstverständlich vorbereitet werden. Die Aussparung von Tag und Monat erklärt sich darum plausibel mit der Annahme, daß unsere Tafeln für die Beurkundung der berichteten Formelerteilung hergerichtet worden waren: sie wurden abgefaßt, als ausgemacht war, wie das iudicium lauten und wer es wo erteilen würde, als aber noch offen war, wann oder ob es überhaupt erteilt werden würde. Bove hat angenommen, das Dekret sei tatsächlich ergangen und die Beurkundung auch erfolgt: er hält nämlich unsere Tafeln für die amtliche Ausfertigung des Dekrete, mit dem der Magistrat zum Abschluß der Verhandlung in iure das iudicium erteilte. Er vermutet, daß bei der ,Redaktion des Dokuments‘ die Einfügung von Tag und Monat in den vorbereiteten Text vergessen worden sei32. Ich glaube nicht, daß diese Vorstellungen zutreffen. Wer der Urheber der Tafeln war und zu welchem Zweck sie bestimmt waren, bedarf der weiteren Untersuchung. Daß aber die Beurkundung, für die sie hergerichtet waren, tatsächlich auch erfolgt sei, schließt dagegen schon folgende Beobachtung aus. Es liegt auf der Hand, daß die Tafeln auch mit vollständigem Datum keinen Beweis für die Erteilung der Klagformeln erbracht hätten. Die Einfügung von Tag und Monat allein hätte aus dem Schriftstück keine Urkunde gemacht; Beweiskraft hätte ihm vielmehr nur eine Beglaubigung verleihen können33. Von einer Beglaubigung aber, etwa einer subscriptio des Ausstellers oder einer Siegelung durch Zeugen, zeigen die Tafeln keine Spur. Bei unserem Diptychon haben wir es nicht mit einer Urkunde, sondern mit einem Urkundenentwurf zu tun. 5. Amtliche Ausfertigung oder private Zeugenurkunde? Versucht man die Art der Urkunde zu bestimmen, deren Entwurf die Tafeln enthalten, so ist zweckmäßig zunächst folgendes zu vergegenwärtigen: Niemand bezweifelt heute mehr, daß zum Abschluß des Verfahrens in iure der Prätor die formula dekretierte34, und daß also er es war, der in der Formel sprach; die WlasAppunti 1974, 82 ff. Mommsen, Ges. Schr. 3, 275 ff.; L. Mittels, Röm. Pr. 290 ff. 34 Jahr, 211 ff., 226 f. u. ö.; Kaser, RZ, 217 f. u. ö. Anders als Jahr, 206 ff. glaube ich allerdings, daß die ordinatio iudicii, die unter dieser Bezeichnung nur für das Spruchformelverfahren bekannt ist, nicht eine dem ,abschließenden endgültigen Dekret‘ vorausgehende Stellungnahme des Prätors zur Fassung des Streitprogramms, sondern vielmehr mit dem dareDekret identisch war; und weiter, daß dieses abschließende Dekret nicht in einen privaten, aber notwendigen Beurkundungsakt der Parteien (der litis contestatio Jahrs) gleichsam eingebettet war, nämlich nur erging, nachdem die Parteien durch Zeugenaufruf den Urkundsakt eingeleitet und damit ihre „endgültige Einlassung“, ihre „Unterwerfung unter die Formel“ 32 33
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saksche Lehre, daß in der Formel die Prozeßparteien den iudex bestellten und anwiesen, ist im Laufe des letzten Jahrzehnts endgültig überwunden worden35. In der Prozeßformel ernannte der Magistrat zunächst, im Imperativ der 3. Person den Richter (Titius iudex esto); an diesen Richter wandte er sich dann im folgenden unmittelbar: im Imperativ der 2. Person (condemnato; absoltivo) wies er ihn an, wie er verfahren und urteilen sollte36. Diese Einsetzung des Urteilsgerichts durch Bestellung und Instruktion des iudex hieß iudicium dare. Das Dekret nennen wir darum iudicium dare-Dekret. Nach Meinung vieler wurde dem Kläger eine schriftliche Ausfertigung des iudicium dare-Dekrets vom Magistrat behändigt37 und nach Lucio Bove sollen unsere Tafeln für diese These Beweis machen38. Die Tafeln enthalten jedoch weder die amtliche Ausfertigung eines iudicium dare-Dekrets, noch den Entwurf der amtlichen Ausfertigung eines solchen Dekrets. Was wir vor uns haben, ist der Entwurf einer privaten Zeugenurkunde. Die Tafeln verzeichnen den Wortlaut eines iudicium dare-Dekrets, wie es der Magistrat verkündet haben könnte. Die amtliche Ausfertigung dieses Dekrete hätte jedoch nicht unvermittelt mit dem Formeltext begonnen, sondern, wie wir es aus amtlichen Urkunden allein kennen, an den Anfang jedenfalls den Namen und die Amtsbezeichnung des dekretierenden Magistrats, vielleicht auch das Datum der Verkündung gestellt39. Darum kann das Diptychon nur der Entwurf einer privaten Urkunde gewesen sein, was allein auch den Fundumständen40 entspricht. unwiderruflich erklärt hatten. Abweichend von Kaser sehe ich auch keinen Grund zu der Annahme einer ,formlosen Unterwerfung‘ im Augenblick der Dekretserteilung (222; leicht modifiziert ZSS, 84 [1967], 45: als der Prätor „sich anschickte, sein Dekret als Ergebnis der Vorverhandlung zu formulieren“). Vgl. J. G. Wolf, Die litis contestatio im röm. Zivilprozeß (Karlsruhe 1968), 21 ff., 26 ff., 35 ff., wo die entschiedene Rückkehr zu der von Wlassak bekämpften Lehre Kellers vertreten wird; dazu ablehnend Kaser, Labeo, 15 (1969), 196 ff. 35 Dafür grundlegend das Buch von Jahr über die litis contestatio. 36 Jahr, 91 ff.; Kaser, RZ, 237 f. 37 Bethmann-H. 481 f.; Lenel, ZSS, 15 (1894) 399; J. G. Wolf, Lit. cont. 5 Anm. 16. An eine amtliche Ausfertigung des Dekrets denkt auch Mommsen, Staatsrecht, 1, 349. Dagegen Jahr, 37 ff., 49 f., 53 ff. – In der Diskussion über die ,Form der formula‘ wird nicht immer hinreichend deutlich unterschieden: von der amtlichen, nämlich durch den Magistrat selbst oder eine Hilfsperson vorgenommenen Niederschrift, dem ,Original‘ des Dekrets, die Behändigung einer schriftlichen Ausfertigung des Dekrets an den Kläger und von beidem die Schriftlichkeit des Dekrets als Erfordernis seiner Wirksamkeit. Zur Verwendung des Begriffs ,Konzept‘ u. Anm. 112. 38 Appunti 1974, 84 ff. Darüber hinaus glaubt Bove, daß die Urkunde, weil sie die Formel vollständig und wörtlich wiedergebe, nicht nur Beweiszwecken, sondern „a ben più importanti fini“ diente (86); gemeint ist offenbar eine für die Wirksamkeit des Dekrets „necessaria redazione scritta“ (78), wie sie zuletzt nachdrücklich A. Biscardi verfochten hat: Studi Biondi, 1 (1965), 647 ff.; Lezioni sul processo romano antico e classico (Torino 1968), 210 ff. 39 Diesem Muster folgen bekanntlich unterschiedslos Reskripte, Edikte, Episteln und Dekrete; vgl. etwa in FIRA I das Kapitel ,Edicta et decreta magistratuum et sacerdotum‘,
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Die Art der Urkunde, deren Entwurf wir sehen, wird durch den Satz ,iudicare iussit P. Cossinius Priscus IIvir‘ (S. 3 Z. 8) offenbar. Während das Dekret in wörtlicher Rede wiedergegeben wird, ist dieser Satz ein Bericht: Er berichtet, wer das voranstehende Dekret erlassen hat. Dadurch qualifiziert sich das Dokument als Entwurf einer testatio über den Erlaß des Dekrets, das im Wortlaut zitiert wird41. Nach der erwarteten Erteilung des Dekrets wäre das Datum ergänzt und die Richtigkeit der testatio von Zeugen durch Siegelung beglaubigt worden42. II. Die Auswertung des Dokuments 6. Der ,Judikationsbefehl‘ Die Auswertung des Dokuments kann an den Befund anknüpfen, der die Tafeln als Entwurf einer testatio ausweist: ich meine den Umstand, daß von den zunächst wörtlich wiedergegebenen formulae mit iudicare iussit berichtet wird, wer sie dekretiert hat. 301 – 332. Von den Dekreten römischer Magistrate, die wir inschriftlich besitzen, stehen die – in ,Verwaltungsverfahren‘ ergangenen – Urteile in Grenzstreitigkeiten dem iudicium dareDekret am nächsten; sie machen auch den größten Teil der inschriftlich auf uns gekommenen Beamtendekrete aus. Nachweise u. Anm. 107. 40 Vgl. bei Anm. 2 und u. Anm. 83. 41 Insofern wäre die beabsichtigte testatio etwa der Tab. Herculanensis LXXIX (La parola del passato, 10 [1955], 453 f.) vergleichbar, die berichtet: Ti. Crassius Firmus arbiter ex compromisso . . . sententiam dixit ita ut infra scriptum est, und darauf den Schiedsspruch im Wortlaut zitiert. Oder auch den Commentarii der Magistrate, von denen die vielleicht beste Anschauung die in Erz erhaltene Abschrift eines Urteils in einem Grenzstreit zweier sardinischer Gemeinden gibt, Bruns Nr. 71a (siehe u. Anm. 107, 118, 119, 121): Die Abschrift, die am 18. März 69 aus dem schon archivierten codex ansatus des Statthalters von Sardinien genommen wurde, beginnt: III idus Mart. L. Helvius Agrippa proconsul caussa cognita pronuntiavit und verzeichnet darauf im Wortlaut die Entscheidung. Die Abschrift war eine private von elf signatores besiegelte testatio. Ausführlicher Kommentar: Mommsen, Ges. Schr. 5, 325 ff. 42 Besondere Vorrichtungen für den Verschlußfaden, etwa Kerben oder Perforationen, lassen die Photographien nicht erkennen. Wie bei den Quittungsurkunden des L. Caecilius Iucundus wäre das linum einfach um die beiden Tafeln geschlungen und auf Seite 4 versiegelt worden. Leider gibt es keine nähere Beschreibung der Tafeln, so daß wir auch nicht wissen, ob Seite 4 die übliche, für die Siegel bestimmte Vertiefung hatte. Der Senatsbeschluß über Verschluß und Siegelung (PS 5.25.6) ist erst unter Nero (Suet. Nero, 17), vermutlich im Jahre 61 (Zangemeister, CIL IV Suppl. p. 278), ergangen und galt auch nur für die Tafeln, quae publici vel privati contractus scripturam continent. – Es ist nicht auszuschließen, daß unsere Tafeln nicht ein Diptychon bildeten, sondern, wie Bove erwägt (Appunti 1974, 82 f.), die ersten beiden Tafeln eines Triptychons waren. Die Quittungen des L. Caecilius Iucundus sind ganz überwiegend Triptycha, und die Rückseite ihrer 2. Tafel ist – anders als bei den siebenbürgischen Triptycha, ebenso aber wie bei unserem Dokument – nicht zum Schreiben hergerichtet. Da eine scriptura exterior entbehrlich war, scheint es mir – ohne daß viel darauf ankäme – richtiger, bei unseren Tafeln solange von einem Diptychon auszugehen, wie konkrete Hinweise auf ein Triptychon fehlen. Vielleicht kommt mit dem Fortgang der Publikation des Fundes eine dritte Tafel ans Licht.
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Eine besonders lästige Erfindung der Wlassakschen Prozeßlehre ist sein Judikationsbefehl43. Während für Keller und Bethmann-Hollweg der iudex selbstverständlich durch die Formel selbst ernannt und zu urteilen angewiesen wurde44, konstruierte Wlassak bekanntlich einen besonderen Urteilsbefehl45. Die Deutung der litis contestatio als vertragliche Streitbegründung durch die Prozeßparteien nötigte ihn, das iudicium dare-Dekret als eine der Streitbegründung vorausgehende bloße Genehmigung von Prozeßprogramm und Richter zu interpretieren; und diese Deutung wiederum zwang ihn, iudicium dare und iudicare iubere zu unterscheiden, nämlich dieses von jenem gleichsam abzulösen und als selbständige hoheitliche Anordnung an den Richter der Streitbegründung durch die Parteien folgen zu lassen. Wlassaks Litiskontestationslehre hat längst keine Verteidiger mehr. Wohl aber wird weiterhin gelehrt, daß der Magistrat den durch Dekret erteilten iudex noch eigens, nämlich durch einen besonderen an ihn gerichteten Judikationsbefehl zu urteilen anwies46. Diese Sicht der Dinge ist so wenig begründet, wie die Litiskontestationslehre selbst, in der sie ihren Ursprung hat. Günther Jahr47 hat in einer überzeugenden Beweisführung gerade die Identität von iudicium dare und iudicare iubere außer Zweifel und damit die Kellersche Einsicht wiederhergestellt, daß durch die formula „der Iudex ernannt und mit seiner Aufgabe befehlsweise bekannt gemacht wurde“48. Die Prozeßtafeln des C. Sulpicius Cinnamus zeigen uns nun, daß es tatsächlich so war. Die Klagformeln bestehen aus Anweisungen: iudex esto, condemnato, absolvito. Die Umschreibung dieser Anweisungen mit iudicare iubere ist der natürlichste Beweis, daß dieses iudicare iubere in eben den Imperativen der Prozeßformel steckt, daß durch sie also der iudex zugleich eingesetzt und angewiesen wurde, nach Maßgabe der Instruktion zu urteilen49. 43 M. Wlassak, Der Judikationsbefehl der röm. Prozesse (SBer. Ak. Wien, Phil.-hist. Klasse, 197. Bd., 4. Abh., 1921.), 4 ff. und passim; Konfessio in Jure und Defensionsverweigerung nach der Lex Rubria de Gallia Cisalpina (SBer. Bayer. Ak., Phil.-hist. Klasse, Heft 8, 1934), 84 ff. 44 Keller, Civilprocess, 112; Bethmann-H. 106. 45 Zustimmend etwa Lenel, ZSS, 43 (1922), 567 ff.; Giovanni Pugliese, Il processo civile romano, 2: il processo formulare, 1 (Milano 1963), 272 ff. 46 Kaser, RZ 222 f.: „Der ermittelte Richter . . . wird in jedem Fall den Parteien vom Magistrat durch Dekret erteilt. Außerdem erläßt der Magistrat an den Richter . . . den Urteilsbefehl.“ Wlassaks Annahme, der Judikationsbefehl sei dem dare-Dekret erst nachgefolgt, hält Kaser jedoch für „sachlich bedenklich“ (Anm. 53). Da nach seiner Lehre die Richterermittlung der Streiteinsetzung durch das dare iudicium-Dekret auch folgen konnte, sehe ich allerdings nicht, wie Kaser selbst dieser Annahme ausweichen könnte; denn ein Urteilsbefehl setzt ja wohl die Ermittlung des Richters voraus, und wo denn sie dem dare iudicium-Dekret nachgefolgt wäre, hätte ihm darum notwendig auch der Judikationsbefehl nachfolgen müssen. 47 Litis contestatio, 84 ff. 48 Keller, Civilprozess, 112.
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7. Die Richterbestellung Ist die Prozeßformel selbst der Urteilsbefehl, dann gehört zur Formel notwendig die Richterklausel 50. 1. Diese Auffassung ist nicht ohne Konkurrenz. Kaser51 stellt ihr die These entgegen, daß die Richterermittlung der litis contestatio nachfolgen, das Urteilsgericht nämlich auch ohne Richterbestellung eingesetzt, mit anderen Worten: der Magistrat durchaus ein richterloses iudicium dekretieren konnte; in diesem Fall sei für die Richterermittlung ein zweiter Termin anberaumt und in einem zweiten Dekret der amtliche Richter erteilt worden52. Die Möglichkeit dieser nicht bezeugten Verfahrensgestaltung wird einer PaulusStelle entnommen53. Ihr Thema ist das ius domum revocandi der Legaten54. Sie berichtet, daß gegen einen legatus provincialis ausnahmsweise, wenn die Verjährung der Klage drohte, in Rom vorgegangen, der Prozeß hier jedoch nur bis zur litis contestatio gebracht werden konnte; der Prätor, so sagt nämlich Paulus, muß in diesem Fall das iudicium erteilen: ut lis contestetur ita, ut in provinciam transferatur. Die litis translatio in provinciam war wieder eine Ausnahme; der Regel nach mußte das iudicium da, wo es einmal akzeptiert worden war, auch durchgeführt werden55. Wie die regelwidrige litis translatio bewerkstelligt wurde, und das ist hier der Punkt des Interesses, wissen wir nicht56. Lenel nahm an57: durch „Verweisung der Richterwahl an das Tribunal des Provinzialstatthalters“ 58. Darum galt ihm die Stelle als Beweis für eine litis contestatio „ohne gleichzeitige Bezeichnung des Judex“59 – wobei er freilich, in der Gefolgschaft Wlassaks, im iudicium dare 49 Kunkel freilich erwägt (207 f.), den Satz ,iudicare iussit P. Cassius Priscus IIvir‘ als eine Bestätigung der Lehre Wlassaks aufzufassen. 50 Keller, Civilprocess, 112, 201; Bethmann-H. 106, 454, 461; P. F. Girard, Manuel élémentaire de droit romain, 7. Aufl. (1924), 1074; Pugliese (o. Anm. 45), 238 ff. und Studi Solazzi (Napoli 1948), 404 ff.; Jahr, 85, 90 u. ö.; J. G. Wolf, Lit. cont. 5 f. 51 RZ, 215 ff., 222 f. und ZSS, 84 (1967), 41 ff. 52 Kaser stellt sich vor (223 Anm. 54), daß der Magistrat in diesem zweiten Dekret „die nun vervollständigte Formel zugrunde legte“. Der Prätor hätte demnach zunächst das iudicium ohne eine Richterbestellung und später dasselbe iudicium noch einmal mit der Richterbestellung dekretiert. 53 Paulus 17 ad Plautium, D. 5, 1, 28, 4: Sed et si dies actionis exitura erit, causa cognita adversus eum (sc. legatum) iudicium praetor dare debet, ut lis contestetur ita, ut in provinciam transferatur. 54 Über dieses Privileg etwa Bethmann-H. 123 f.; Kipp, RE, 7, 58 f. s. v. ,Forum‘; Kaser, RZ, 181 f. 55 Marcellus 1 dig. D. 5, 1, 30: Ubi acceptum est semel iudicium, ibi et finem accipere debet. Die Regel ist angewandt Iav. 15 ex Cassio, D. 5, 1, 34. 56 Keller, Litis Contestation, 48; Bethmann-H. 461 Anm. 33. 57 ZSS 43 (1922), 570 ff. gegen Wlassak, Judikationsbefehl (o. Anm. 43), 102 ff. 58 A. a. O. 572.
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des Prätors die bloße Genehmigung des Streitprogramms erblickte, in der darauf folgenden litis contestatio dessen Vereinbarung durch die Parteien und in der Formel „die von ihnen ausgehende Instruktion an den Judex“60. Eine Verweisung der Richterbestellung war auch schon von Keller erwogen worden61. So wenig wie Lenel zog er in Betracht, daß der Prätor in Rom einen Judex einsetzte, der dann, um seines Amtes zu walten, den Parteien in die Provinz folgen mußte62; und auch nach seiner Meinung konnte der Prätor „nicht geradezu einen Judex in der Provinz ernennen“. Wohl aber hielt er es für möglich, daß der Prätor in der Formel selbst „die künftige Ernennung des Judex dem betreffenden Provinzial-Magistrat anheim gestellt“ und etwa dekretiert habe: ,Iudex esto quem Tiitus Propraetor dabit‘. Keller wollte diese Erwägung „als bloße Möglichkeit“ verstanden wissen. Aber auch wenn sie mehr als eine denkbare Möglichkeit sein sollte: als unbeweisbare Erklärung einer Ausnahmeerscheinung ist sie allemal kein tragfähiges Fundament für eine allgemeine These63. 2. Ein iudicium dare ohne Richterbestellung ist vielmehr prinzipiell unwahrscheinlich. Der Angelpunkt des zweigeteilten Prozesses war die Einsetzung des iudex. Als das konstante und sich stets gleiche Element stand sie in der Praxis des gewöhnlichen Prozeßablaufs zwar im Schatten der gestaltungsbedürftigen Urteilsanweisung: nach der Struktur des Verfahrens war die Instruktion des iudex gegenüber seiner Bestellung aber sekundär. Dieses Verhältnis von Bestellung und Instruktion des Urteilsrichters kommt auch im Formelaufbau und in der Formelfassung zum Ausdruck. Die Imperative in der 2. Person, condemnato und absolvito, setzen nämlich einen konkreten Adressaten, und das heißt: den vorweg, in der Richterklausel, ernannten iudex voraus. Dieses einfache Argument gegen das Konzept der ,richterlosen Formel‘ wird durch 59 A. a. O. 570. So auch schon ZSS, 24 (1903), 338 f., dort zur Verteidigung der Wlassakschen Litiskontestationslehre gegen Hölder, ebd. 197 ff., insb. 227. 60 A. a. O. 567 f. Nach Lenel hätten wir uns also vorzustellen, daß hier die Parteien nur die Instruktion vereinbart und nicht zugleich einen Judex bezeichnet haben; daß außerdem der an den Judex gerichtete Urteilsbefehl des Prätors entfallen sei, gemäß dieser Instruktion zu verfahren; und daß statt dessen der Prätor den Prozeß an den Provinzialstatthalter verwiesen habe, der dann zu seiner Zeit dem hier gewählten Judex den Judikationsbefehl erteilte. – Lenels Argumentation, daß auch im Legisaktionenverfahren „die Richterwahl von der Einigung über das Prozeßformular“ getrennt gewesen sei (571), verkennt die Zusammenhänge: Die formula ist nicht an die Stelle der Spruchformeln getreten, die im Formularprozeß vielmehr ersatzlos fortgefallen sind; die formula ist an den iudex gerichtet, der durch sie eingesetzt und instruiert wird – und an dieser Instruktion kann es auch bei der datio iudicis des zweigeteilten Legisaktionenverfahrens nicht gefehlt haben. Es ist ein anderer, von Lenel nicht unterschiedener Aspekt, daß diese Instruktion allerdings durch die Spruchformeln mehr oder weniger vorgegeben war – im Prinzip aber wieder nicht anders als im Formularverfahren durch die formlosen Anträge der Prozeßparteien. 61 Litis Contestation, 44 ff. – von Lenel, ZSS, 24 (1903), 338 Anm. 2, nicht zutreffend gewürdigt. 62 Was später Wlassak vertrat, Judikationsbefehl (o. Anm. 43), 102 ff. 63 Eine andere Interpretation bei Pugliese (o. Anm. 45), 251 f.
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unsere Tafeln überraschend bekräftigt. Gegen alle bisherige Vermutung belehrt uns der Urkundenentwurf, daß der Name des Urteilsrichters auch in die condemnatio eingerückt wurde (S. 2 Z. 6 und S. 3 Z. 4). Kein Zweifel also: zum iudicium gehörte notwendig der iudex. Dieses Prinzip wird in den Tafeln noch auf andere Weise deutlich. Die beiden Prozeßformeln, die sie enthalten, sind bis auf die Klagsummen identisch. Ein sachlicher Zusammenhang zwischen ihnen besteht aber nicht. Ihre prozessualische Verbindung ist vielmehr willkürlich; sie besteht darin, daß der Duumvir die beiden Klagen zur Erleichterung und Vereinfachung der Prozesse demselben iudex überweist64. Dabei ist jedoch bemerkenswert, daß er den iudex nicht ein für allemal bestellt und dann über seine zweifache Aufgabe in zwei Urteilsanweisungen instruiert. Blossius Celadus wird vielmehr für jede Klage besonders bestellt; wie die erste Formel (S. 2 Z. 2) beginnt auch die zweite (Z. 10) wieder mit der Richterernennung: ,C. Blossius Celadus iudex esto‘. Das Fazit: eine Formel ohne Richterklausel gab es grundsätzlich nicht. Richterbestellung und Richterinstruktion gehörten untrennbar zusammen; sie waren die beiden Seiten ein und derselben Sache: der Einsetzung des Urteilsgerichts65. 8. Die ,praescriptio‘ 1. Anders als die Richterernennung wird die praescriptio nicht wiederholt. ,Ea res agetur de sponsione‘ gilt offenbar für beide Kondiktionsprozesse. Diese Annahme entspricht nicht nur dem äußeren Textbild; sie ist unabweisbar, wenn man nicht glauben will, daß von den beiden bis auf die Klagsummen gleichlautenden und im selben Dekret verfügten Kondiktionen nur die eine mit der Angabe des Klaggrunds versehen worden sein soll. Gilt ,Ea res agetur de sponsione‘ aber für beide Klagen, dann zeigen die Tafeln, daß die praescriptio, im Gegensatz zur Richterklausel, nicht zur formula gehörte66. 64 Vgl. Bethmann-H. 463 f. Bei einer Klagverbindung bestimmte sich die Zuständigkeit nach dem Streitwert der einzelnen Klagen: Gai 1 ed. prov. D. 2, 1, 11 pr. Für die Zuständigkeit der puteolanischen (und vielleicht italischen) Munizipalgerichtsbarkeit der frühen Kaiserzeit ergeben die Tafeln nur, daß bei Klagen auf certa credita pecunia die Streitwertgrenze nicht unter 8000 Sesterzen lag. S. indessen unten ,Nachträge‘, 1. Ausführliche Behandlung der Zuständigkeiten jetzt bei W. Simshäuser, Iuridici und Munizipalgerichtsbarkeit in Italien (München 1973), 186 ff., insb. 195 ff. 65 So schon in aller, durch Wlassak provozierten Deutlichkeit Hölder, ZSS 24 (1903) 227: „Daß der Prätor iudicium dat, ist identisch damit, daß er iudicem dat. Er bestellt das bestimmte iudicium als ein durch den bestimmten iudex zu erledigendes oder, was dasselbe ist, den bestimmten iudex als einen zur Erledigung des bestimmten iudicium berufenen“; Jahr, 24, 84 ff., insb. 89 ff., 104 u. ö.; J. G. Wolf, Lit. cont. 4 ff. Daß man in einem Ausnahmefall wie dem der Paulus-Stelle D. 5,1, 28, 4 von dem Grundsatz abweichen mochte, schließe ich nicht aus. 66 Daß die praescriptio auf ,de sponsione‘ und nicht ,de sponsionibus‘ lautet, steht dem nicht entgegen. Die Frage erledigt sich einfach mit der Annahme, daß sie ohne Berücksichti-
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Die gajanischen Beispiele von Präskriptionen lauten alle auf ,Ea res agatur‘67. Der Konjunktiv agatur hat imperativische Bedeutung. Befehle wurden häufig aber auch durch das Futur ausgedrückt; die Form ,Ea res agetur‘ kann darum Zweifel, ob der Satz wirklich eine praescriptio sei, nicht begründen68. Überraschender ist ihre Plazierung. Erst vor kurzem hat Walter Selb aus Gaius herausgelesen, daß die praescriptio nicht, wie die herkömmliche Vorstellung will69, zwischen Richterklausel und Urteilsanweisung eingerückt, sondern der Richterernennung vorangestellt wurde70. Die Tafeln bestätigen diese These. Sie bezeugen damit zugleich die Verläßlichkeit und Präzision der gajanischen Darstellung und beglaubigen darüber hinaus die Formellehre der Institutionen für einen Zeitraum von mehr als hundert Jahren. Wo Gaius den Terminus praescriptiones erläutert, sagt er klar und deutlich, daß sie ante formulas praescribuntur (4, 132); von der praescriptio in der proponierten Formel der actio ex stipulatu, daß sie inserta sit formulae loco demonstrationis (4, 136); und an einer dritten Stelle nach der wörtlichen Wiedergabe einer praescriptio: deinde formula subicitur (4, 137). Ebenso eindeutige Formulierungen stellen wiederholt klar, daß die formula mit der Richterklausel begann (4, 37, 46, 47 u. ö.). So ergibt sich ohne weiteres aus Gaius, daß die praescriptio der Richterernennung vorangestellt wurde und zur formula selbst nicht gehörte71. Dieser hart begrenzte Begriff der formula ist vermutlich durch ihre Frühgeschichte im Legisaktionenprozeß geprägt. Die praescriptio war die Erfindung, das Streitprogramm zu modifizieren, ohne die Formel selbst zu verändern. Als Mittel der Programmgestaltung unterschied sie sich qualitativ nicht von einem Formelteil. So mußte sie selbstverständlich zusammen mit der Formel dekretiert werden. Weil sie aber nicht ein Teil der Formel selbst war, konnte sie allerdings, wie unsere Tafeln zeigen, bei der Verbindung zweier Formeln in einem Dekret beiden als eine ihnen gemeinsame praescriptio vorangestellt werden. 2. Eine praescriptio von der Art ,Ea res agetur de sponsione‘ war bisher nicht bekannt. Ihr am nächsten stehen die Beispiele, die Gaius für seine Kategorie der ,pro actore‘ geschaffenen Präskriptionen anführt72. Wir vergegenwärtigen uns ihre Funktion, um das Verständnis der neuen praescriptio zu erleichtern. gung der Klagverbindung in ihrem formularen Wortlaut eingesetzt worden ist. Sie darum gar für eine bloße Überschrift zu halten, geht aus vielen Gründen nicht an, weder im Hinblick auf die überlieferten Präskriptionen noch auf die Funktion, die ihr zukommt. 67 Gai 4, 131, 131a, 133, 137; in 137 liest der Veronensis allerdings agetur, was von den Herausgebern aber wohl zu Recht in agatur korrigiert wird. 68 Außerdem lesen wir auch bei Cic., fin. 2, 1, 3: oratio praescribere primum debet, ut quibusdam in formulis: ,ea res agetur‘. Vgl. auch Selb, 58. 69 Kaser, RZ, 245. 70 Selb, 24 f. 71 Selb, 24. 72 Gai 4, 130 ff. Dazu Keller, Litis Contestation, 252 ff., 510 ff., 526 ff. und Civilprocess, 203 ff.
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Wer aus einer Rentenstipulation mit der condictio incerti73 die fälligen Raten einklagte, war gut beraten, der Formel voranstellen zu lassen: ,Ea res agatur, cuius rei dies fuit‘. Tat er das nicht, verlor er mit der Streitbegründung alle noch nicht fälligen Zahlungen; dann nämlich wurde das gesamte durch die Stipulation begründete Forderungsverhältnis in iudicium deduziert und die Klage aus diesem Forderungsverhältnis ein für allemal verbraucht. Ähnlich das zweite Beispiel: Der Käufer eines Grundstücks, der einstweilen nur auf Manzipation und nicht zugleich auf Übergabe klagte, mußte der actio empti präskribieren lassen: ,Ea res agatur de fundo mancipando‘; geschah das nicht, wurde das gesamte durch den Kauf begründete Forderungsverhältnis in iudicium deduziert und die das gesamte Forderungsverhältnis umfassende actio empti konsumiert; zu einem späteren Zeitpunkt mit der actio empti etwa auf Übergabe des Grundstücke zu klagen, war dann ausgeschlossen. In beiden Fällen umfaßte das Forderungsverhältnis, aus dem geklagt wurde, mehrere Leistungen: im Fall der Rentenstipulation eine unbestimmte Anzahl von Geldleistungen, die sukzessive fällig wurden; im Fall des Grundstückskaufs eine ebenfalls grundsätzlich offene Zahl aber ungleichartiger Leistungen, von denen Gaius Manzipation und Übergabe nennt74. Diese einzelnen Leistungspflichten waren nicht mit eigenen Klagen ausgestattet; mit einer Klage ausgestattet war vielmehr nur das Schuldverhältnis, dem sie entsprangen; nur mit dieser Klage konnten sie verfolgt werden – und zwar jede einzelne Leistungspflicht gleichermaßen, weil diese Klage das ganze Schuldverhältnis abdeckte. Es war diese pauschale Zuständigkeit der condictio incerti für alle Leistungen aus der Rentenobligation und der actio empti für alle Leistungspflichten des Verkäufers, die bewirkte, daß mit der Erteilung dieser Klagen jeweils das gesamte Forderungsverhältnis in iudicium deduziert wurde und damit die Klagen selbst ein für allemal verbraucht waren. Aus diesem für die Prozeß- und Formelgeschichte aufschlußreichen Dilemma befreite, wie ein Kunstgriff, die praescriptio. Die Konsumptionswirkung der condictio incerti begrenzte der Prätor auf die begehrten fälligen Leistungen, indem er in seinem iudicium dare-Dekret vorweg einfach verfügte, daß der Prozeß allein über das Fällige stattfinde: ,Ea res agatur cuius rei dies fuit‘. Und indem er bei Erteilung der actio empti vorweg ,Ea res agatur de fundo mancipando‘ anordnete, beschränkte er deren Konsumptionswirkung auf die Verpflichtung des Verkäufers zur Manzipation. Dort war die praktische Konsequenz, daß dem Gläubiger mit den künftigen Leistungen die condictio incerti, hier, daß dem Käufer mit allen weiteren Ansprüchen aus dem Kauf die actio empti erhalten blieb. 73 Mißverständlich Selb, 30. Gaius bringt in 4, 131 nicht „zunächst das Beispiel eines certum“; bei der condictio auf certa pecunia stellt sich das verhandelte Problem nicht; das Versprechen, certa pecunia jährlich oder monatlich zu entrichten, ist eine stipulatio incerta, aus der nur mit der condictio incerti geklagt werden kann: Pomp. D. 45, 1, 16, 1; Keller, Litis Contestation, 514 Anm. 4; J. G. Wolf, Causa stipulationis, 198 mit Ann. 31. 74 Weitere Anwendungen lassen sich leicht vorstellen, vgl. Keller, Litis Contestation, 528 f.
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Die beiden Beispiele demonstrieren eine Anwendung der praescriptio, die auf Klagen mit unbestimmter intentio beschränkt war: auf die condictio incerti75 und die Schuldklagen, deren intentio auf ,quidquid . . . dare facere oportet‘ lautete76. 3. In den Tafeln des Cinnamus steht die praescriptio aber über Kondiktionen auf certa pecunia. Anders als die Klagen mit unbestimmter intentio definieren diese Klagen, mit der Angabe der Schuldsumme, das konkrete Begehren des Klägers. Was sie dagegen offen lassen, ist der Schuldgrund77 – und eben den Schuldgrund 75 Ihr Nachweis bei J. G. Wolf, Causa stipulationis, 193 ff. Sollte man dieser Darstellung, wie Selb, 30 ff. meint, die Ansicht entnehmen können, die condictio incerti vertrage keine praescriptio, so hätte ich mich mißverständlich ausgedrückt; vgl. aber S. 201 Anm. 43. Nach wie vor vertraue ich allerdings der Überlieferung (Gai 4, 41 und 131), daß diese condictio in ihrer intentio ,Quidquid paret . . . oportere‘, anders als die Formeln mit demonstratio, ein ob eam rem nicht führte. Ich glaube auch nicht, daß man diesen Hinweis einschob, wenn der Formel eine praescriptio vorangestellt wurde. Da sie vor die Richterklausel geschrieben wurde, hätte ein ob eam rem in der intentio einen Zusammenhang gar nicht herstellen können. Ich sehe aber auch keinen möglichen Begründungszusammenhang zwischen einer Anweisung ,Ea res agatur cuius rei dies fuit‘ oder ,Ea res agetur de sponsione‘ und der intentio ,Quidquid paret . . . dare facere oportere‘ – hier so wenig wie bei der Kaufklage zwischen der praescriptio ,Ea res agatur de fundo mancipando‘ und der intentio ,quidquid ob eam rem . . . dare facere oportet ex fide bona‘. Weiterhin ist mir zweifelhaft, ob die Gai 4, 137 überlieferten Präskriptionen in Verbindung mit der Formel in 4, 136 den Rückschluß auf eine praescriptio ,Ea res agatur quod AsAs NoNo incertum stipulates est‘ zulassen (Selb, 45 f.; Kaser, Labeo, 22 [1976], 13); denn diese Präskriptionen sind auf Bürgschaftsklagen gemünzt und ihr besonderer Zweck ist die Begrenzung der Klagen auf die fälligen Leistungen; darum wäre zu prüfen, ob nicht eben dieser Zweck oder etwa schon die ,Akzessorietät‘ der Bürgschaften die Angabe des Bürgschaftsverhältnisses erforderte. Trotz dieser Einwände bleibt das von Selb gezeichnete Entwicklungsbild (47 ff.) anziehend. Seine stärkste Stütze wäre die zuerst von Arangio-Ruiz befundene Unlogik der Formeln mit demonstratio (9 ff.); aber diese Annahme ist keineswegs stringent (Kaser, 10 mit Nachw. in Anm. 13). Ich kann auch nicht so viel Zuversicht in die Systematik der Noten des Valerius Probus setzen (Selb, 20 f. und passim). Ohnehin ist jedoch wahrscheinlich, daß die Formeln mit demonstratio (nach dem Muster: ,Quod . . . emit, quidquid . . . oportet, eius . . . condemnato; si non paret absolvito‘) aus der condictio incerti (,Quidquid paret . . . oportere, eius . . . condemnato; si non paret absolvito‘) gleichsam abgeleitet und als Spezifikationen dieser allgemeinen Schuldklage – spezifiziert durch ihre demonstrationes – aufzufassen sind. Und dann ist durchaus erwägenswert, ob die Demonstrationen in die Formeln eingegliederte Präskriptionen sind und wir mit einer Entwicklungsphase rechnen müssen, in der die Kondiktionen als allgemeine Schuldklagen jeweils im Prozeß durch Präskriptionen auf bestimmte Schuldtatbestände eingegrenzt wurden (vgl. Selb, 45, 50). 76 Die Wahl der beiden Beispiele ist also nicht zufällig: vielmehr decken sie den gesamten Anwendungsbereich dieser den Prozeß auf das Fällige oder speziell Gewünschte beschränkenden praescriptio und belegen damit auch hier eine durchdachte Disposition der Darstellung. 77 Stipulation oder Darlehen oder Litteralkontrakt. Ebenso wird von Klaggrund oder causa agendi gesprochen, und bei den Kondiktionen, weil sie die causa agendi nicht bezeichnen, bekanntlich von ,abstrakten‘ Klagen. Die mir von Selb, 34 zugeschriebene Grenzziehung habe ich, wenn ich nichts übersehe, nicht vertreten. Anders als Selb, 40 f. sehe ich allerdings in der „Angabe einer causa“ eine (nicht unbedingt ausreichende) „Individualisierung des Streitgegenstandes“: ein ex testamento in der intentio wäre „die Angabe einer causa“ und diente der „Individualisierung“. Vgl. etwa Bethmann-H. 498 f.
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sehen wir hier durch die praescriptio festgelegt78. ,Ea res agetur de sponsione‘ beschränkte die beiden Kondiktionsprozesse des Cinnamus auf Stipulation. Diese Beschränkung wirkte in zwei für die weitere Betrachtung zweckmäßig zu unterscheidende Richtungen. Einmal bedeutete sie, daß Cinnamus die erhobenen Forderungen über 6000 und 8000 Sesterzen aus Stipulation begründen und beweisen mußte; und zum andern, daß durch das iudicium dare-Dekret zwei Stipulationsforderungen über 6000 und 8000 Sesterzen in iudicium deduziert wurden. 4. Mit der actio certae creditae pecuniae konnten Ansprüche aus Darlehen, Litteralkontrakt und Stipulation, aber auch aus Diebstahl und ,rechtsgrundloser Vorenthaltung‘ verfolgt werden. Da die Formel den Schuldgrund nicht benannte, stand es dem Kläger im Urteilsverfahren frei, sein Begehren nach seiner Wahl aus Darlehen oder Litteralkontrakt oder Stipulation zu begründen und zu beweisen. Diese Beliebigkeit wurde durch die Beschränkung des Urteilsverfahrens auf einen der möglichen Verpflichtungsgründe aufgehoben; war dieser Verpflichtungsgrund etwa ,Stipulation‘, dann konnte der Kläger sein Begehren nur aus Stipulation rechtfertigen. Aus Ciceros Rede pro Roscio comoedo geht hervor, daß man sich der Möglichkeit nicht unter allen Umständen bediente, durch eine praescriptio den Kondiktionsprozeß auf einen bestimmten Verpflichtungsgrund festzulegen79. Ob eine solche Einschränkung von Bedeutung war, hing von den weiteren Rechtsbeziehungen der Streitparteien ab. (a) Verfolgte der Kondiktionskläger eine Forderung über 10.000 Sesterzen, dann war die ausdrückliche Festlegung des Urteilsverfahrens auf den Verpflichtungsgrund, nehmen wir wieder an: Stipulation, tatsächlich ohne besondere Wirkung, wenn ihm gegen den Beklagten keine weitere, mit der condictio certi einzuklagende Forderung über 10.000 Sesterzen zustand. Der Kläger hatte in diesem Fall gar keine andere Wahl, als das decem milia dare oportere der Formel aus Stipulation zu begründen und zu beweisen. Eine praescriptio, die das Verfahren auf Stipulation beschränkte, hätte ihn nur auf die Begründung und Beweisführung festgelegt, die ihm ohnehin allein zu Gebote stand, und ihm allenfalls ein Plädoyer à la Ciceros Rede pro Roscio erspart80. Ebensowenig war sie erforderlich, um die Konsumptionswirkung der condictio zu beschränken. Hatte der Kläger gegen den Beklagten nur eine Forderung über 10.000 Sesterzen (und zwar gleichviel, ob diese Forderung seine einzige gegen den Beklagten überhaupt war, oder eine von mehreren über unterschiedliche Beträge), dann grenzte schon die Klagsumme die condictio so weit ein, daß sie nur auf diese Forderung zutraf; weil schon nach der Klag78 Von Kaser schon Iura, 10 (1959), 265 f. erwogen; Bedenken bei J. G. Wolf, Causa stipulationis, 200 Anm. 43. 79 Sonst wäre Ciceros Argumentation §§ 13 f. nicht möglich gewesen. Vgl. etwa Kaser (wie Anm. 78); G. Provera, La pluris petitio nel processo romano 1: La procedura formulare (Torino 1958), 81 Anm. 90. 80 Vgl. etwas Wieacker, Cicero als Advokat (Berlin 1965), 12 ff.
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summe nur sie in Betracht kam, wurde sie in iudicium deduziert. Eine praescriptio, die das Urteilsverfahren auf den Schuldgrund der Forderung festlegte, hätte hier die condictio über das Erforderliche hinaus individualisiert. (b) Anders wenn dem Kläger gegen den Beklagten zwei Forderungen über je 10.000 Sesterzen aus verschiedenen Schuldgründen, nehmen wir an: aus Stipulation und Litteralkontrakt, zustanden. Klagte er in diesem Fall auf Zahlung von 10.000 Sesterzen, ohne daß eine praescriptio das Urteilsverfahren auf den einen oder anderen Verpflichtungsgrund beschränkte, dann erlaubte ihm die Klagformel, sein Begehren mit der einen oder der anderen Forderung zu rechtfertigen. Da das decem milia dare oportere der condictio auf beide Forderungen gleichermaßen zutraf, konnte ihm nicht verwehrt sein, etwa den Litteralkontrakt geltend zu machen, wenn ihm der zunächst versuchte Nachweis der Stipulationsforderung mißlungen war. Diese Möglichkeit, die wir aus der condictio selbst ableiten müssen, nämlich das Klagbegehren mit der einen oder der anderen Forderung zu rechtfertigen, bedeutet notwendig, daß mit der Erteilung der condictio auch beide Forderungen in das Verfahren eingeführt wurden. Die Kehrseite der Option des Klägers war also der Nachteil, daß durch die eine Klage beide Forderungen konsumiert wurden. Heute wissen wir, wie diesem Nachteil gesteuert werden konnte: durch eine praescriptio von der Art ,Ea res agetur de sponsione‘81. (c) Es war sicher nicht alltäglich, daß dem Kläger gegen den Beklagten aus verschiedenen Schuldgründen zwei Forderungen desselben Betrags zustanden. Bei der vielfachen Verwendung der Stipulation kam es dann wohl noch häufiger vor, daß auch der Schuldgrund der gleiche, nämlich beide Forderungen Stipulationsforderungen waren. Um in diesem Fall die Konsumption auf eine der beiden Forderungen zu beschränken, reichte die Eingrenzung der condictio allein auf Stipulation nicht aus. Es ist aber gut vorstellbar, daß hier die praescriptio, um ihrem Zweck zu genügen, mit einem weiteren, die beiden Forderungen unterscheidenden Zusatz erging. 5. Was die praescriptio der Cinnamus-Klagen bewirken sollte, ist den Tafeln selbst nicht zu entnehmen. Das Wort sponsio ist vielleicht ein Kriterium für ein hohes Alter der praescriptio; sein Gebrauch gestattet aber keinen Rückschluß auf die Funktion oder den Kontext der Stipulationsforderungen, die Cinnamus verfolgte82. Eine tragfähige Vermutung ihrer Zweckbestimmung wird jedoch durch folgende Beobachtungen begründet. Vgl. Kunkel, 207. Arangio-Ruiz, Bull, 65 (1962), 193 ff., hat zwar gezeigt, daß in der gesamten Literatur von den Komikern bis zum Ende des 2. Jhs. n. Chr., mit vielleicht einer Ausnahme (205 f.: Val. Max. 6, 5, 4), mit sponsio ausschließlich Stipulationsversprechen bezeichnet werden, die prozessualen Zwecken dienen (Zusammenfassung 210), wie die präjudiziellen oder pönalen Summenversprechen der Interdikten- und Feststellungsverfahren oder die Stipulationen dimidiae oder tertiae partis bei der actio de pecunia constituta und der condictio certae pecuniae. Bei der Verwendung des Wortes in der praescriptio über Kondiktionen auf certa pecunia ist jedoch auch die Terminologie des Spruchformelverfahrens mit seinem Sponsionsprozeß per 81 82
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(a) Die Bedeutung des neuen Urkundenfundes beruht auf der Vielfalt der beurkundeten Gegenstände83. Diese Vielfalt ist offenbar nicht durch den Zufall bestimmt. Sehe ich richtig, so ergeben die Urkunden insgesamt ein deutliches Bild vom Alltagsbetrieb eines Kreditinstituts. Ich glaube, daß C. Sulpicius Cinnamus gemeinsam mit seinem Patron C. Sulpicius Faustus – dem anderen Hauptakteur der beurkundeten Geschehnisse84 – in Puteoli eine Darlehensbank, jedenfalls aber ein Handelsunternehmen betrieben hat, dessen Hauptgegenstand Bankiergeschäfte waren85. Unter den beurkundeten Rechtsgeschäften ist das Darlehen auch das häuiudicis postulationem (Gai 4, 17a) zu berücksichtigen und darum eine Einschränkung seiner Bedeutung nach dem gewöhnlichen Gebrauch nicht zulässig. 83 Während der glückliche Fund von 1875, im Hause des Caecilius Iucundus, uns nichts als Quittungen beschert hat, geben die Tafeln des neuen Fundes ein überaus farbenreiches Bild aus dem Geschäftsleben eines puteolanischen Unternehmens: Darlehen, Bürgschaften und Sicherungsübereignungen, Pachtverträge über den Lagerraum verpfändeter Ware, Testationen über die öffentliche Ankündigung der Versteigerung verpfändeter Purpurstoffe und zur Sicherung übereigneter Sklaven, eine Art Kreditauftrag, viele Ladungsvadimonia (auch mit Angabe der beabsichtigten Klage: ex empto und ex vendito), Befragungen in iure über Erbrechte und Gewaltverhältnisse, mehrere Vergleiche und auch die Ladung zu einem Schiedsgerichtstermin – all das ist Gegenstand der neuen Tafeln, oft im Kontext verwickelter und aufschlußreicher Details. Bei diesen neuen Tafeln darf nicht, wie bei den Quittungsurkunden des Caecilius Iucundus, von einem Archiv (Kunkel, 209) gesprochen werden; sie sind kein geordneter Beleg der Geschäftstätigkeit des Unternehmens, von dem sie Kunde geben; sie wurden – vielleicht nur als erneuerungsfähiges Schreibmaterial – im Obergeschoß der suburbanen Villa in einem Korb aus Flechtwerk aufbewahrt, der bei der Katastrophe in einen der fünf (!) freigelegten, luxuriös ausgestatteten Speiseräume herabgestürzt ist. 84 In einem Chirographum vom 31. Dezember 44 (Giordano, Rend. 46 [1971], 184; Bove Nr. 30) nennt Cinnamus den Faustus seinen Patron. Eine Zeitlang gefiel es offenbar den Römern, den Sklaven, der das Amt des Hausverwalters oder Schatzmeisters besorgte, Cinnamus, ,Zimtjunge‘, zu nennen. Claudius hatte einen dispensator dieses Namens; am Hofe Trajans nahm diese Funktion auch ein Cinnamus wahr; und was deutlicher als diese Nachrichten spricht: auch der Hausverwalter des Trimalchio in den Satiren des Petron ist ein Cinnamus. Danach dürfen wir uns vorstellen, daß der Cinnamus unserer Urkunden, bevor Faustus ihn freiließ, dessen Hausverwalter war. – Cinnamus begegnet in den Urkunden auch nicht vor dem Jahre 43, dann aber bis zum Jahre 55, während Faustus von 29 bis 52 fungiert. In den Urkunden vom 16. und 17. Februar 61 ist ein C. Sulpicius Onirius der Gläubiger. Aber nicht in allen Tafeln treffen wir einen Sulpicius an. Manchmal ergibt sich die Beziehung zu dem Handelsunternehmen der Sulpizier über andere Urkunden, so zum Beispiel für die Darlehensgeschäfte vom 28. Juni und 2. Juli 37 (Giordano, Rend. 45 [1970], 213 und 215; Bove Nr. 15 und 16) aus den Urkunden vom 29. August 38 und 15. September 39 (Giordano, ebd. 217 und 218; Bove, Nr. 17 und 18). Ohne eine erkennbare Beziehung ist die interessante Urkunde vom 11. April 38 (Sbordone und Giordano, Rend, 43 [1968), 3 ff., mit völlig verfehlter Lesung), die zwei Chirographa enthält: das eine, in Griechisch, über 1000 Denare, ausgestellt von ,Menelaos, Sohn des Eirenaios, aus dem Demos Kerameis‘; das andere, in lateinisch, über eine Bürgschaft wegen dieser 1000 Denare „pro Menelauo Irenaei f. Ceramietae“, ausgestellt durch eine dritte Hand von M. Barbatius Celer. Die seltene Zählung in Denaren, im Fund selbst, ohne Parallele, deutet auf Rechnung in Drachmen hin. 85 In zwei der ältesten Tafeln, nämlich aus den Jahren 29 und 35 (Sbordone, Rend. 51 [1976], 157 und 153; in der von Sbordone fortgesetzten Zählung Boves: Nr. 62 und 58), und in einer dritten, deren Jahresangabe von Sbordone nicht gelesen worden ist und auf dem
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figste86. Die Darlehensurkunden sind ausnahmslos Chirographa und nach einem festen, dreigliedrigen Muster aufgebaut. Der Schuldner erklärt eigenhändig, erstens, daß er von C. Sulpicius Cinnamus 10.000 Sesterzen als Darlehen empfangen; zweitens, daß er Cinnamus diese Summe schulde; und drittens, daß er ihm diesen Betrag in einer Stipulation versprochen habe87. Der gesamte Befund legt die Vermutung nahe, daß Cinnamus mit den Kondiktionen unserer Tafeln aus solchen Darlehensurkunden klagte. (b) Aus den Juristenschriften ist uns geläufig, daß der Darlehensnehmer die Rückzahlung der Valuta regelmäßig in einer Stipulation versprach, obwohl das mutuum ohne weiteres zur Rückzahlung verpflichtete88. Wie sich die nummeratio credendi causa zur stipulatio oder denn die Ansprüche aus dem mutuum und der stipulatio zueinander verhielten, hat die römische Jurisprudenz dauernd beschäftigt. Weder die Geschichte noch die Dogmatik ihrer verschiedenen Lösungen ist völlig geklärt89. Soviel allerdings ist deutlich: Pomponius und spätere haben eine selbständige Verpflichtungswirkung der nummeratio abgelehnt90, andere ein Darabgedruckten Lichtbild auch nicht ohne weiteres gelesen werden kann (ebd. 152, Bove Nr. 57), soll Faustus als mercator bezeichnet werden. 86 Ich zähle etwa 15 Darlehensurkunden. 87 Als Beispiel gebe ich das besonders gut erhaltene Chirographum vom 13. März 40 (Giordano, Rend. 41 [1966] 118 und 46 [1971] 196, hier mit Lichtbild; Bove Nr. 8), gelesen nach der Abbildung mit geringen Abweichungen von Giordano in Z. 6, 9, 10, 11: 1 C. Laecanio Basso Q. Terentio Cullione Cos. 2 III idus Martias 3 L. Marius Didae l. Iucundus scripsi 4 me accepisse et debere C. Sulpicio 5 Fausto s[es]tertia viginti millia 6 num[mum] quae ab eo m[utu]a 7 et numerata accepi eaque se8 stertia viginti millia nummum 9 q.s.s. sunt proba recte dari 10 stipulatus est C. Sulpicius Faus[tu]s 11 spopondi ego . L. Marcus Iucundus In allem Wesentlichen – Empfangsbekenntnis, Schuldbekenntnis, Stipulation – übereinstimmend die transsilvanische Zeugenurkunde vom 20. Oktober 162 (Bruns Nr. 153.2 = Fira III Nr. 122 = CIL III 934); ohne Schuldbekenntnis sowohl das in auditorio Aemilii Papiniani praefecti praetorio, also nach 205 und wohl vor Frühjahr 208, verlesene Chirographum (Paul. 3 quaest. D. 12, 1, 40), wie auch die nicht näher datierbare objektiv gefaßte Bekenntnisurkunde des Flavius Candidus (Paul. 3 quaest. D. 45, 1, 126, 2). 88 Die wichtigste Literatur zu dieser viel behandelten gewöhnlich als ,Stipulationsdarlehen‘ bezeichneten Erscheinung bei Kaser, Eranion Maridakis, 1 (1963), 155 Anm. 1, und P. Apathy, Animus novandi (Wien 1975), 47 Anm. 1. Quellenbelege besonders bei D’Ors, Atti Verona, 3 (1951), 285 ff.; das bekannteste Zeugnis: Gai 4, 116a. 89 Förderlich jetzt aber Apathy (o. Anm. 88), 47 ff. Die Schlüsse allerdings, die er aus Bruns Nr. 153.2, Paul. 3 quaest. D. 12, 1, 40 und D. 45, 1, 126, 2 (vgl. o. Anm. 87 i. f.) auf den Wortlaut der beurkundeten Stipulationen zieht, und ebenso deren dogmatische Kategorisierung sind nicht methodisch begründet.
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lehen offenbar entstehen, die Stipulation den Anspruch aus dem mutuum aber novieren lassen91. Eine dritte Lösung belegen nun, für die Mitte des ersten Jahrhunderts, die Cinnamus-Tafeln: Die Eingrenzung der Kondiktionsprozesse auf Stipulation läßt den Schluß zu, daß Cinnamus – im Prinzip – sein Klagbegehren wie aus stipulatio so auch aus mutuum rechtfertigen konnte, der beklagte Darlehensnehmer, Marcius Saturninus, mithin aus beiden Rechtsgeschäften zur Rückzahlung der Darlehensvaluta verpflichtet war. (c) Ein Kondiktionsprozeß ohne praescriptio hätte darum folgenden Verlauf nehmen können: Mißlang dem Darlehensgeber die Rechtfertigung seines Klagbegehrens aus Stipulation, weil vielleicht der Darlehensnehmer noch minderjährig war und das Stipulationsversprechen sine tutoris auctoritate geleistet hatte92, konnte er ohne weiteres dazu übergehen, die erhobene Forderung aus mutuum zu begründen und zu beweisen; mißlang auch diese Rechtfertigung, weil der Pupill auch das Darlehen ohne die auctoritas des Vormunds vereinbart hatte, dann blieb dem Kläger immer noch die Möglichkeit, mit dem Nachweis der numeratio das decem milia dare oportere auf ,rechtsgrundlose Vorenthaltung‘ zu stützen93. Wie ein solcher Kondiktionsprozeß aber auch ausgehen mochte: daß der Kläger den Beklagten nicht noch einmal auf Rückzahlung in Anspruch nehmen konnte, ist evident; mit der einschränkungslosen Erteilung der condictio wurden alle Ansprüche auf Rückzahlung der Darlehensvaluta in das Verfahren eingeführt. Anders wenn, wie in den Cinnamus-Tafeln, eine praescriptio das Verfahren auf Stipulation festlegte. Damit war einerseits die Rechtfertigung des Klagbegehrens auf den Nachweis der Stipulationsverpflichtung des Darlehensnehmers beschränkt, andererseits aber auch nur diese Stipulationsverpflichtung in den Prozeß deduziert. Ging dieser Prozeß verloren, konnte der Darlehensgeber die condictio erneut anstrengen und sein Begehren nunmehr aus mutuum zu rechtfertigen versuchen. War dieser zweite Kondiktionsprozeß auf mutuum eingegrenzt94, und kam der Kläger auch jetzt nicht zum Ziel, blieb ihm noch die condictio aus ,rechtsgrundloser Vorenthaltung‘95, die jetzt, nachdem die Vertragsklagen gescheitert waren, zum Erfolg 90 Pomp. 24 Sab. D. 46, 2, 7; Paul. 3 quaest. D. 45, 1, 126, 2; Ulp. 46 Sab. D. 46, 2, 6, 1 und 20 ed. D. 12, 1, 9, 5. War die Stipulation unwirksam, weil der Darlehensgeber die Rückzahlung an einen Dritten stipuliert oder weil der Darlehensnehmer ein Pupill war und ohne auctoritas seines Vormunds die Rückzahlung promittiert hatte, dann blieb nach Ulpian dem Darlehensgeber die „condictio ex numeratione“ (D. 12, 1, 9, 4 und 5); da in 9, 4 der Bezug auf das Doppelvertragskonzept (quasi – potui) tribonianisch zu sein scheint, ist aber der Schluß nicht zwingend, Ulpian habe bei unwirksamer Stipulation ein mutuum angenommen. Ich glaube auch nicht, daß man D. 45, 1, 126, 2 entnehmen muß, Paulus habe die Rückforderung der Valuta überhaupt ausgeschlossen. 91 Bei Pomp. 24 Sab. D. 46, 2, 7 und wohl Iul. 52 dig. D. 45, 3, 1, 2; vgl. Apathy (o. Anm. 88), 54 ff. 92 Vgl. etwa Ulp. 26 ed. D. 12, 1, 9, 5. 93 Ebenso Kaser, Labeo, 22 (1976), 23. 94 Wie wir uns jetzt vorstellen können: durch eine praescriptio ,Ea res agetur de mutuo‘. 95 Ebenso wieder Kaser, Labeo, 22 (1976), 23 f.
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führen konnte. Hatte der Kläger dagegen im ersten Anlauf, mit der condictio aus Stipulation, obsiegt, dann war selbstverständlich ausgeschlossen, daß er noch ein zweites Mal, nun aus mutuum, auf Rückzahlung der Darlehensvaluta klagen konnte. Ob dieser Ausschluß unter dem Gesichtspunkt der eadem res oder nach einem anderen Kriterium erfolgte, kann hier dahinstehen96. (d) Die Bilanz dieses Vergleichs ist überraschend. Wir nahmen an, daß Cinnamus mit den Kondiktionen unserer Tafeln auf Rückzahlung von Darlehen klagte, und daß er sich dabei auf Urkunden stützte, die ihm den Beweis sicherten für die numeratio der Valuta, die Vereinbarung eines mutuum in Höhe dieser Valuta und den Abschluß einer Stipulation über denselben Betrag. Unter dieser angenommenen Voraussetzung erweist sich die praescriptio ,Ea res agetur de sponsione‘ allenfalls für den Beklagten von Vorteil: die Beschränkung der Kondiktionsprozesse auf Stipulation konnte ihm, wie wir sahen, einen Aufschub der Verurteilung bringen. Mit dieser Wirkung diente sie aber nicht der Wahrung seiner Rechte, schützte sie ihn nicht, wie etwa eine exceptio doli, vor einer ungerechtfertigten Verurteilung. Darum wird der Gerichtsmagistrat die praescriptio allenfalls verfügt haben, wenn auch der Kläger einverstanden war. Sein Einverständnis war aber durchaus unwahrscheinlich. Denn für Cinnamus scheint die praescriptio nur nachteilig gewesen zu sein. Ein Anspruchsverlust, vor dem die Eingrenzung des Verfahrens hätte bewahren können, drohte nicht. Die Eingrenzung der Prozesse auf Stipulation beschränkte ihn nur in der Rechtfertigung seines Klagbegehrens und nötigte ihn bei Prozeßverlust, im nächsten Amtsjahr die Klage noch einmal97, bei erneutem Verlust gar ein drittes Mal anzustellen, um sein Begehren aus mutuum, schließlich aus ,rechtsgrundloser Vorenthaltung‘ rechtfertigen zu können. Sie verdreifachte also das Risiko des Klägers, den Prozeß zu verlieren und mit dem Prozeß, aus der sponsio tertiae partis, auch den Strafzuschlag in Höhe eines Drittels der Klagsumme. Sein Einverständnis mit der Eingrenzung des Verfahrens auf Stipulation wird allenfalls unter einer weiteren Voraussetzung verständlich. Zwei Darlehensurkunden vom 28. Juni und 2. Juli 37 dokumentieren zugleich die Verpfändung von großen Posten Weizen, Hülsenfrüchten und Wein zur Sicherung des Rückzahlungsanspruchs98; eine Urkunde vom 3. Oktober 45 eine Bürgschaft und das Gelöbnis des Bürgen, für den Darlehensschuldner in diesem Jahr noch bei keinem Dritten ge96 Ich glaube nicht, daß der erneuten condictio die exceptio rei iudicatae entgegenstand: sie hätte ihr dann auch entgegenstehen müssen, wenn der Kläger im ersten Anlauf, mit der condictio aus Stipulation, unterlegen war. Hatte er obsiegt, scheiterte die condictio aus mutuum vermutlich an einer exceptio doli. 97 Im selben Amtsjahr dürfte ihr die exceptio rei residuae entgegengestanden haben, obgleich diese exceptio auf Klagen mit verschiedenen Klagzielen gemünzt war: Gai 4, 122; dazu Bethmann-H. 403 f. und jetzt, mit Literaturreferat, Giuseppina Sacconi, La ,pluris petitio‘ nel processo formulare, (Milano 1977), 236 ff. 98 Giordano, Rend. 45 (1970) 213 ff. und 215 f. = Bove Nr. 15 und Nr. 16. Dazu J. A. Crook, Zeitschr. für Papyrologie u. Epigraphik, 29 (1978), 234 ff.
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bürgt zu haben99; eine vierte vom 15. September 39 das zusätzliche Versprechen des Schuldners selbst, für jeden Tag verspäteter Rückgewähr eine poena von 20 Sesterzen zu zahlen100; in keiner Darlehensurkunde des Fundes aber ist von einer Gegenleistung des Schuldners, ist von Zinsen die Rede101. Gleichwohl wird man nicht glauben wollen, daß die Kaufleute oder Bankiers Cinnamus und Faustus ihr Geld ohne Gegenleistung ausgeliehen haben, daß die Darlehen über drei- und zehn- und zwanzigtausend Sesterzen ohne Ausnahme zinslos gewährt worden sind. Darum liegt die Vermutung nahe, daß die Zinszahlung schon bei der Gewährung des Darlehens erfolgte102. Waren die Zinsen aber im voraus zu entrichten, so ist gut denkbar, daß sie bei der Auszahlung des Kapitals abgezogen und einbehalten wurden. Dann aber schuldete der Darlehensnehmer ex mutuo nur die Rückzahlung des tatsächlich ausgehändigten Betrags: Die condictio auf die volle Darlehenssumme war nur aus Stipulation, nicht auch ex mutuo gerechtfertigt und mußte, auf mutuum gestützt, wegen pluris petitio abgewiesen werden. Bei diesem Sachverhalt scheint die praescriptio ,Ea res agetur de sponsione‘ für Cinnamus nicht von Nachteil gewesen zu sein; mit der Beschränkung auf Stipulation hätte sie die Urteilsverfahren nur auf den Verpflichtungsgrund eingegrenzt, der allein das Klagbegehren rechtfertigte. Wirklich befriedigen kann diese Hypothese jedoch nicht. In der Urkunde bekannte der Schuldner, den vollen Darlehensbetrag empfangen zu haben; daß ihm im Prozeß der Gegenbeweis gelang, brauchte der Kläger kaum zu fürchten. War dem Darlehensgeber daran gelegen, daß ihm die Rückzahlung der vollen Darlehenssumme auch ex mutuo geschuldet wurde, dann verbat es sich nur, den Zinsbetrag einzubehalten; zahlte er den vollen Betrag aus und der Darlehensnehmer im nächsten Augenblick aus diesem Betrag die Zinsen103, dann war die condictio auf die volle Darlehenssumme auch ex mutuo begründet. Und schließlich: die Entrichtung der Zinsen schon bei der Darlehensgewährung wäre glaubhafter, wenn die Rückzahlung der Valuta stets auf einen bestimmten Tag versprochen wäre; das aber ist nur zweimal der Fall104. So bleibt das Fazit unbefriedigend: Soweit unsere Kenntnis des römischen Prozeßrechts reicht, ist – immer unter der angenommenen Voraussetzung, daß Cinna99 Giordano, Rend. 47 (1972), 314 f. = Bove Nr. 52. Ebenso mit Bürgschaft das an einem 20. April ausgestellte Chirographum des P. Urvinus Zosimus: Giordano, ebd. 312 f. = Bove Nr. 48. Vgl. Bruns Nr. 153.2. 100 Bei einem Kapital von 1250 Seeterzen: Giordano, Rend. 45 (1970), 218 f., Sbordone, ebd. 227, und wieder Giordano, Rend. 46 (1971), 197 = Bove Nr. 18. Vgl. Paul 3 quaest. D. 12, 1, 40 und D. 45, 126, 2. 101 Anders in der transsilvanischen Darlehensurkunde Bruns Nr. 153.2. 102 Vgl. Scaev 28 dig. D. 45, 1, 122 pr. 103 Wie offenbar bei Scaevola (o. Anm. 102). 104 In der Urkunde vom 15. September 39 (o. Anm. 100) wird die Rückzahlung auf den 1. November 39 versprochen, in der anderen (Sbordone, Rend. 46 [1971], 179 f. = Bove Nr. 26) am 7. März 52 auf den 30. Juni 52.
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mus aus ,Stipulationsdarlehen‘ klagte – ein plausibler Grund für die Eingrenzung des Verfahrens auf Stipulation nicht ersichtlich. Es bleibt nur die Erklärung, daß es vielleicht üblich war, die condictio auf Rückzahlung eines Darlehens auf Stipulation zu beschränken. 9. Das Dekret und die Zeugenurkunde Nach den Erörterungen über die Identität von Prozeßformel und Urteilsbefehl, über die Richterbestellung als Teil der Prozeßformel und zuletzt über die praescriptio erinnern wir uns wieder, daß die Tafeln nur der Entwurf einer Urkunde sind105, und zwar der Entwurf einer privaten Zeugenurkunde, die über den Erlaß des verzeichneten iudicium dare-Dekrets errichtet werden sollte106. Der Funktion dieser Urkunde im Prozeßablauf gilt der letzte Abschnitt dieser Bemerkungen. 1. Inschriften107 und literarische Nachrichten108 lassen den sicheren Schluß zu, daß der Magistrat das iudicium dare-Dekret mündlich verkündete und mit der Verkündung das Dekret wirksam war109. Ebenso wenig kann allerdings zweifelhaft sein, daß er das Dekret, so wie er es erließ, selbst oder durch die Hand einer Hilfsperson, auch schriftlich aufzeichnete. Die condictio unserer Tafeln ist das denkbar einfachste Beispiel einer Formel; alle anderen Klagformeln waren umfangreicher, viele um ein Mehrfaches. Doch schon die einfachste Formel konnte im konkreten Fall durch Zusätze verschiedenster Art kompliziert und unübersichtlich werden. Und da es auf jedes Wort ankam, jedes Wort nämlich seine besondere technische Bedeutung hatte, ist es selbstverständlich, daß die Formel schriftlich konzipiert werden mußte110. Dazu paßt es, wenn die Lex Rubria den Munizipalmagistrat anweist, Sorge zu tragen, daß nicht die Blankettnamen der Musterformeln in sein Dekret übernommen werden111. Siehe o. § 4. Siehe o. § 5. 107 Bruns Nr. 71a = Fira I Nr. 59 = CIL. X 7852 = Dessau 5947 = Mommsen, Ges. Schr. 5, 326 ff. (69 n. Chr.): . . .L. Helvius Agrippa . . . pronuntiavit (vgl. Anm. 41, 119, 120, 122); Agrippa rekapituliert in der Darstellung des Sachverhalts die in diesem Rechtshandel schon ergangenen Bescheide seiner Vorgänger; dabei spricht auch er immer von pronuntiare (Z. 6, 8, 15). – Bruns Nr. 186 = CIL II 4125 = Mommsen, Ges. Schr. 1, 378 (193 n. Chr.): . . .L. Novius Rufus . . . decretum ex tilia recitavit (vgl. bei Anm. 113). – CIL. III 567 (unter Trajan; siehe u. Anm. 116). – CIL III 586 = Dessau 5947a (unter Hadrian; siehe u. Anm. 116). – Vgl. auch Bruns Nr. 82 .= Fira I Nr. 75 = CIL IX 5420 (82 n. Chr.), eingerückt in eine epistula das Protokoll eines Dekrets: . . . Domitianus . . . pronuntiavi quod suscriptum est. 108 Gai 4, 160; Ulp. D. 3, 1, 1, 3. 109 Bethmann-H. 360 (siehe u. Anm. 112); v. Premerstein, RE, 4, 753 Z. 48 s. v. ,Commentarii‘; Hesky, RE, 4, 2294 s. v. ,Decretum‘; Jahr, 46; Kaser, RZ, 222 Anm. 48, 237. 110 Bethmann-H. 360; Kaser, RZ 237; J. G. Wolf, Lit. cont. 5 Anm. 16. 111 Bruns Nr. 16 = tab. I 46 ff. 105 106
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Die Aufzeichnung des Dekrets hatte aber offenbar nicht nur die Qualität eines Konzepts112. Im Jahre 193 n. Chr. urteilte der kaiserliche Legat und Statthalter von Hispania citerior L. Novius Rufus in einem Grenzstreit zwischen einer Dorfschaft und einer Gutsbesitzerin113. Sein Urteil ist auf einem Stein erhalten. Der Stein berichtet: Rufus cum consilio collocutus decretum ex tilia recitavit: ,Nach Beratung mit seinem Konsilium hat Rufus das Dekret aus den Lindenholztafeln 114 verlesen‘. Hätte die Aufzeichnung des Dekrets nur als Konzept gedient115, würde sie der Stein wohl nicht erwähnen116. Der Schluß auf das iudicium dare-Dekret liegt nahe, ist aber nicht zwingend. 112 Der Gebrauch dieses Begriffs ist mißverständlich. Ich verstehe hier unter Konzept den Entwurf, der aus praktischen, mnemotechnischen Gründen errichtet wurde, von Rechts wegen aber ebenso gut unterbleiben konnte. Damit schließe ich nicht aus, daß eine als Konzept gedachte Niederschrift schließlich als ,Original‘ (siehe o. Anm. 37) verwendet wurde. Mommsen, Strafrecht, 447 f., spricht davon, daß für das Urteil „in der Kaiserzeit Verlesung nach dem Concept durch den Magistrat selbst vorgeschrieben“ war; ebenso E. Weiss, ZSS 33 (1912) 221. Bethmann-H. 360: „Das Interdict wird wie alle prätorischen Decrete mündlich erlassen, aber umso mehr nach einem schriftlichen Concept (periculum), als seine Fassung sehr mannigfaltig . . . war“; 194: „Rechtssprüche . . . gab der Magistrat mündlich zu Protokoll, wenn er sie auch zuvor schriftlich concipirt hatte“; 146 lesen wir dann aber, daß die scribae „auch die Concepte magistratischer Decrete (pericula magistratuum) abzufassen und aufzubewahren hatten“, was denn doch wohl heißt, daß die Konzepte nicht bloße Entwürfe waren. 113 Bruns Nr. 186 (vgl. o. Anm. 107). 114 Lindenholz wurde wegen seiner Weichheit bevorzugt auch zu Schreibtafeln verarbeitet; Nachweise bei Steier, RE 5, Suppl. 597 Z. 27 s. v. ,Linde‘. 115 Jahr, 47 Anm. 19. Er stellt sich vor, daß bei der Anfertigung der Konzepte „bewährte Muster verwendet“ wurden, „deren Ergänzung durch Einsetzung der im konkreten Fall zu verwendenden Namen leicht möglich war und beim Ablesen des Musters vorgenommen werden konnte, ohne daß deshalb das ganze Dekret auf den konkreten Fall zurechtgeschrieben werden mußte“ (47). Ich finde diese Vorstellung unklar und kann sie auch mit dem angeführten „Beispiel der Benutzung eines Konzepts“ (47 Anm. 19), nämlich dem Dekret des L. Novius Rufus, von dem immerhin die ersten Worte durchaus individueller Entscheidungsgründe erhalten sind, nicht in Verbindung bringen. 116 Tatsächlich ist ex tabellis (tabella) recitavit (recitata) eine stehende Wendung in den Protokollen magistratischer Dekrete jurisdiktionellen Inhalts: Urteil des C. Avidius Nigrinus (Vater oder Sohn) unter Trajan in einem Grenzstreit zwischen Delphi und zwei Nachbargemeinden, CIL III 567: C. Avidio Nigrino legato Augusti pro praetore decreta ex tabellis recitata VI idus Octobris Eleusine. – Urteil des Statthalters von Makedonien unter Hadrian in einem Grenzstreit zwischen den Städten Lamia und Hypata, CIL III 586: Q. Gellio Sentio Augurino proconsule decreta ex tabellis recitata Kalendis Martis. Dieselbe Formel verwendet das Protokoll eines Strafurteils, das der Prokonsul von Afrika P. Vigellius Saturninus am 17. Juli 180 in Karthago in einem Christenprozeß gefällt hat: Saturninus proconsul decretum ex tabella recitavit (Giuliana Lanata, Gli atti dei martiri come dokumenti processuali [Milano 1973], 137 ff. Nr. 5 § 14). Zwischen 254 und 256 verordneten Valerian und Gallien (CL. 7, 44, 1): Arbitri nulla sententia est, quam scriptam edidit litigatoribus, non ipse recitavit. Bei Tertullian 2, 20 ist ,de tabella recitata‘ der Urteilsspruch, aber schon Sueton schreibt von Claudius (15, 3): ita ex tabella pronuntiasse creditur. Diese Zeugnisse lassen schon für das erste Jahrhundert n. Chr. vermuten, daß jedenfalls die Dekrete, die ihrem Inhalte nach Urteile waren, vor ihrer Verkündung niedergeschrieben werden mußten. Vgl. E. Weiss, ZSS 33 (1912), 221.
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Größeres Gewicht hat darum, wie oft bemerkt, der Name der praescriptio117. Diese Bezeichnung setzt voraus, daß die schriftliche Abfassung der Formel völlig selbstverständlich war, und sie schließt aus, daß diese schriftliche Abfassung nur aus mnemotechnischen Gründen erfolgte. Denn daß eine Klausel darum praescriptio genannt worden wäre, weil der Prätor sie nur im Konzept des iudicium dareDekrets ,voranschrieb‘, wird man nicht leicht annehmen wollen. So kommen wir zu dem Zwischenergebnis, daß der Prätor das iudicium dareDekret mündlich verkündete und mit der Verkündung das Dekret wirksam war; daß er die Formel aber auch schriftlich aufzeichnete, und daß diese schriftliche Fassung nicht nur das Konzept seines Dekrets war. 2. Die Magistrate führten über ihre Amtstätigkeit Protokoll118. Ihre commentarii verzeichneten jede Entscheidung im Wortlaut119, und wer den Beweis einer ergangenen Entscheidung erbringen wollte, konnte sie aus den commentarii abschreiben und die Abschrift von privaten Zeugen beglaubigen lassen120. Es ist darum gut 117 Gai 4, 132. Biscardi, Studi Biondi, 1 (1965), 660; Kaser, RZ 237; J. G. Wolf, Lit. cont. 5, Anm. 16. 118 Kubitschek, RE, 1, 285 ff. s. v. ,Acta‘; Kornemann, RE, 4, 1957 ff. s. v. ,Tabulae publicae‘; vor allem (und im folgenden nur mit dem Namen zitiert) v. Premerstein, RE, 4, 726 ff. s. v. ,Commentarii‘: C. magistratuum 731, Ursprung und Verbreitung 746, Gegenstand und Zweck 747, Verhältnis zu den acta 748. Anlage 751, Form der Protokollierung 753, rechtlicher Charakter 753, Aufbewahrung 755. 119 v. Premerstein, 747 ff., 751 ff. Der anschaulichste Beleg ist das Dekret des L. Helvius Agrippa, Bruns Nr. 71a (siehe o. Anm. 41, 107, 119, 120, 122); die von ihm angeführten Zwischenbescheide seiner Vorgänger müssen auch nach den Amtstagebüchern zitiert sein. Dagegen vermutet Jahr, „daß der codex eines Prätors für die vor ihm verhandelten Zivilsachen nicht mehr angab als die Namen der Parteien und das Ergebnis der Verhandlung, dieses im Normalfall in aller Kürze“ (47); sein Argument gegen die Beweiskraft der Abschriften aus den Amtstagebüchern allerdings anderer Magistrate: „die große Zahl der einem städtischen Prätor obliegenden Amtsgeschäfte“ (46). Erheblich überbetont wird von ihm auch der private Charakter der tabulae publicae (44 ff.). Wenn die commentarii nicht von Hilfsbeamten, sondern von Privatgesinde des Magistrats geführt wurden, sein persönliches Eigentum waren und auch nach Ablauf der Amtszeit in seinem Besitz blieben: so war das eine Frage der Organisation der Staatsverwaltung, das Amtstagebuch darum aber nicht seine private Angelegenheit, die er nach Beblieben lassen oder betreiben konnte. Übrigens wurde im Jahre 69 der codex ansatus des Agrippa zur Abschriftnahme von einem scriba quaestorius vorgelegt. 120 v. Premerstein, 754, 757. Abgeschrieben aus den commentarii des Magistrats sind nicht nur die Dekrete des Helvius Agrippa (o. Anm. 41, 107, 119, 122) und des Novius Rufus (o. Anm. 107, 113), sondern auch die des Avidius Nigrinus und des Gellius Sentius Augurinus (beide o. Anm. 116); wie beim Dekret des Agrippa wird in diesen beiden Abschriften zwar der Tag, nicht aber das Jahr der Verkündung genannt, was sich einfach daraus erklärt, daß im Kontext des Amtstagebuchs die Jahresangabe natürlich nicht für jeden Amtsakt wiederholt wurde (vgl. Mommsen, Ges. Schr. 5, 333). – In dem griechischen, aus dem Lateinischen übersetzten Schreiben der Konsuln des Jahres 73 v. Chr. an die Oropier sind das Dekret der Konsuln und die Liste der Beisitzer, wie das Dokument selbst bezeugt (Z. 31, 58), außerdem aber wohl auch das Verhandlungsprotokoll und die Auszüge aus den in der Verhandlung vorgelegten Urkunden den commentarii der Konsuln entnommen, der Senatsbeschluß sicher den Senatsakten: Bruns Nr. 42 = Mommsen, Ges. Schr. 5, 495 ff. mit Kommentar. – Schließlich
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denkbar, daß die schriftliche Fassung der Formel als Protokoll des verkündeten Dekrets den commentarii des Magistrats einverleibt wurde121. Ebensogut ist aber denkbar, daß sie – oder auch ein zweites Exemplar – als amtliche Ausfertigung des Dekrets dem Kläger behändigt wurde122. Das iudicium dare-Dekret war nämlich seiner Funktion und seinem Inhalte nach dazu bestimmt, dem iudex überbracht zu werden, den es einsetzte und dessen Aufgabe es definierte123. Wir können jedoch nicht unterstellen, daß dem iudex das Dekret in einer amtlichen Ausfertigung überbracht werden mußte. Sicher ist nur, daß ihm das Dekret in ist hier noch der Abschrift vom 13. Juni 114 n. Chr. aus den schon archivierten vorjährigen commentarii der Munizipalmagistrate von Caere zu gedenken, die auf einem Marmor erhalten ist und über die Schenkung eines Freigelassenen und was mit ihr zusammenhängt berichtet: CIL XI 3614 = Dessau 5918a, dazu v. Premerstein, 745; Wenger, Quellen 390 f. – All diese Inschriften bezeugen eine ebenso ausführliche wie sorgfältige Aufzeichnung aller Amtsvorgänge. Für die Jurisdiktion der stadtrömischen und städtischen Magistrate eine Ausnahme anzunehmen, gibt es keinerlei Berechtigung. 121 Dafür v. Premerstein, 751, 753, 754. Für diese Verfahrensweise könnte vielleicht auch die Abschrift aus dem codex ansatus des L. Helvius Agrippa (vgl. Anm. 41, 107, 119, 120, 122) angeführt werden: Der codex ansatus war mit einer Handhabe, einem Griff oder Henkel, zum Tragen versehen. (Auf dem linken der beiden heute in der Curia Iulia aufgestellten Plutei Traiani trägt in der nach links gewendeten Personengruppe die vierte Figur in der vorderen Reihe in der linken Hand einen kleinen codex ansatus, vgl. H. Jordan, Jahresber. üb. d. Fortschr. d. class. Alterthumsw. 1. Jahrg. [1873], 2. Bd. 733 und 2. u. 3. Jahrg. [1874 / 5] 4. Bd. 176; Topographie der Stadt Rom im Altertum, 1, 2 [1885], 219 ff. Abbildungen: etwa Ernest Nash, Bildlexikon zur Topographie des antiken Rom [1962], 2, 176 Fot 6458; R. Bianchi-Bandinelli, Rom, Das Zentrum der Macht [München 1970], S. 255 Abb. 283.) Der codex ansatus des Prokonsuls könnte das ihm stets nachgetragene Schreibbuch gewesen sein. Der ansatus aber, aus dem die Abschrift genommen wurde, war als ,tabula V c VIII et VIIII et X‘ archiviert. (Zur Auflösung dieser Angabe vgl. Mommsen, Ges. Schr. 5, 342, 506, und bei Bruns 241 Anm. 2; v. Premerstein, 749.) 122 Für diese verbreitete Annahme, vgl. o. Anm. 37, gibt es keinen Beleg. Durch die Möglichkeit, aus den Amtstagebüchern Abschrift zu nehmen, wird sie nicht ausgeschlossen. Sie verlöre allerdings an Wahrscheinlichkeit, wenn die Entscheidung des Agrippa (o. Anm. 41, 107, 119, 120, 121), von der am 18. März 69 Abschrift genommen wurde, erst am 13. März 69 ergangen war. Für dieses Entscheidungsdatum Mommsen, CIL X p. 813; Staatsrecht, 1, 348 Anm. 2 und 349 Anm. 2; Ges. Schr. 5, 504 Anm. 3. H. G. Pflaum, Les procurateurs équestres (Paris 1950), 43 Anm. 7: die Jahreszahl 69 muß sich (auch) auf die Entscheidung beziehen, denn in: Les carrières procuratoriennes équestres, 3 (Paris 1961), 1044 gibt Pflaum dem Prokurator M. Iuventius Rixa das Amtsjahr 67, und er war der Vor-Vorgänger des Agrippa. Ursprünglich hatte Mommsen für die Entscheidung den 13. März 68 angenommen: Ges. Schr. 5, 333. Daran halten fest: De Ruggiero, L’arbitrato pubblico (Roma 1893, Neudr. 1971), 220, 355; v. Premerstein, 733 Z. 61; Kornemann, RE, 2, A 851 s. v. ,Scriba‘; Wenger, Quellen 415. Die Datierung hängt zusammen mit der Frage, wo der scriba quaestorus, der den codex ansatus zur Abschriftnahme vorlegte, tätig war, in Rom oder in Sardinien; sie ist nicht zu entscheiden, vgl. Mommsen, Staatsrecht, 1, 348; Kornemann, a. a. O. Ich glaube, daß die schon erfolgte Archivierung des codex entschieden für den 13. März 68 spricht – womit offen bleibt, wo der codex aufbewahrt wurde. 123 Kaser, RZ, 237.
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einer Form überbracht werden mußte, die weder an seiner Einsetzung noch am Inhalt seines Auftrages Zweifel zuließ124. Dazu war aber nicht unbedingt eine amtliche Ausfertigung des Dekrets erforderlich; vielmehr genügte auch eine private Zeugenurkunde125. Hier, endlich, kommen wir zu unserem Dokument zurück. 3. Mit der Urkunde, deren Entwurf wir sehen, hätte der Kläger Cinnamus dem iudex Blossius Celadus das Dekret in einer Form überbringen können, die weder an seiner Ernennung noch am Inhalt seines Auftrags Zweifel zuließ. Die Vorbereitung dieser testatio läßt also darauf schließen, daß Cinnamus die Behändigung einer Urkunde über die Bestellung des Urteilsgerichts nicht erwartete. Die Prozeßtafeln des Cinnamus sprechen darum gegen eine amtliche Ausfertigung des iudicium dare-Dekrets. Das Entwurf gebliebene Dokument vergegenwärtigt uns ein Stück praktischen Rechtslebens. Wir sehen, wie der Kläger für die Beurkundung des Dekrets, das er beantragen wollte, vorbereitet war. Wir schließen daraus, daß er mit dem Beklagten alles Notwendige verabredet und auch die Bereitschaft des vorgesehenen iudex erkundet hatte. Gleichwohl mochte es geschehen, daß der Magistrat die Formel doch nicht so erteilte, wie der Kläger es erwartet hatte; oder es mochte auch geschehen, daß der Beklagte im letzten Augenblick zahlte oder in iure seine Schuld anerkannte. Dann wurde der Urkundenentwurf, den der Kläger vorbereitet hatte, unbrauchbar oder gegenstandslos. Es muß ein solcher Ausnahmefall gewesen sein, dem wir die Erhaltung dieser Tafeln verdanken.
Nachträge 1. Der Freundlichkeit Prof. Fausto Zevis, des Soprintendente alle Antichità delle Provincie di Napoli e Caserta, verdanke ich inzwischen die Originalphotographien des Diptychons (A-Pompei-Neg. n. 13 634 und 13 635: Seite 2; Neg. n. 13 587 und 124 125
Jahr, 29. Vgl. Jahr, 54, 56.
Nr. 1 Nr. 7 Nr. 8 Nr. 13 Nr. 15 Nr. 16 Nr. 17 Nr. 18 Nr. 21 Nr. 22
Verzeichnis der angeführten Neuen Pompejanischen Urkunden (nach der Zählung Boves, vgl. Anm. 2) Anm. 31 Nr. 26 Anm. 21, 104 Anm. 8 Nr. 28 Anm. 21 Anm. 87 Nr. 30 Anm. 84 Anm. 84 Nr. 48 Anm. 99 Anm. 84, 98 Nr. 52 Anm. 99 Anm. 84, 98 Nr. 55 Anm. 15 Anm. 84 Nr. 57 Anm. 85 Anm. 12, 84, 100, 104 Nr. 58 Anm. 85 Anm. 15 Nr. 62 Anm. 15, 85 Anm. 15
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13 588: Seite 3). Ihrer Wiedergabe im Druck (Rend. 56 [1971], nach 192 Tav. VII und VI) sind sie nicht nur an Schärfe überlegen: sie verzeichnen auch viele Details, die im Druck verloren sind. Bei der Fahnenkorrektur ist die ,Cura secunda‘ nach den Originalphotographien verbessert worden; die wichtigste Korrektur war der Name des Duumvir, Seite 3 Zeile 8: statt Cassius ist deutlich Cossinius zu lesen – ein für Puteoli schon mehrfach belegtes Gentile (vgl. CIL X). Eine wichtige Ergänzung, deren Berücksichtigung in der ,Cura secunda‘ das Verständnis des Kommentars gestört hätte, ist hier jedoch nachzutragen. In der zweiten Formel (Seite 3) ist sowohl in der intentio vor den Zahlzeichen I)) m m m (Zeile 2) wie in der condemnatio vor den Zahlzeichen m m ((I)) (Zeile 5) ein weiteres zu lesen, und zwar hier wie dort das Zeichen für 10 000, das große Phi mit einem Haken in jeder Rundung. In Zeile 5 sind die beiden Haken und die unteren Teile des senkrecht verlaufenden Mittelstrichs und der beiden Bogenstriche einwandfrei erhalten, in Zeile 2 der Mittelstrich und die rechte Hälfte des Zeichens, während die linke mit der Schreibschicht ausgebrochen ist. Die zweite Formel des Diptychons lautet mithin nicht auf 8000, sondern auf 18 000 Sesterzen. Damit erweitern die Tafeln in einem wesentlichen Punkt auch unser Wissen über die Zuständigkeit der Munizipalgerichte in der frühen Kaiserzeit. 2. Beim Studium weiterer Tafeln des Fundes von Murecine hat sich ergeben, daß die Beschreibung des Zahlzeichens für 100 als ,dreistrichiges m‘ (oben nach Anm. 9) unzutreffend ist; das Zeichen hat mit dem Buchstaben m nichts zu tun. Vielmehr läßt sich, insbesondere anhand noch nicht veröffentlichter Tafeln, verfolgen, daß dieses Zeichen die tüchtigere oder abgeschliffene Version der Figur ist, die gewöhnlich mit unserem Zeichen für ,unendlich‘, nämlich als waagerecht liegende 8 wiedergegeben wird. Damit ist vollends jeder Zweifel an der Bedeutung dieses Zahlzeichens ausgeschlossen.
Graeca Leguntur Mit einer Serie von Frustula Pompeiana hat Francesco Sbordone die editio princeps des neuen pompejanischen Urkundenfundes soeben beendet.1 Er beschließt diese Nachlese mit einer besonderen Überraschung: einer zweiten „tavoletta greca“.2 In Sbordones Umschrift lautet das Fragment:
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1
.ρïõùí ôá¦ò âéäÝ]äåêåí κõéíù. é êïììùρïôáé Ðïðëßù ùí ôµé öéäßá. éïjê åjïρêïíóïϕßáò äõì éóéí åßò áí
1 Rendiconti della Accademia di Archeologia Lettere e Belle Arti Napoli – Rend. – 53 (1978; erschienen 1980) 249 – 269 mit 3 Tafeln. Ergänzungen und Nachträge bei Addolorata Landi, Atti della Accademia Pontaniana 29 (1980) 175 – 198 mit 21 Tafeln. Sbordones Frustula beginnen mit T. P. 70 und schließen mit T. P. 134 (zur Zählung vgl. Bove a. a. O. 16 ff.); Landi setzt die Reihe fort bis T. P. 141, veröffentlicht aber außerdem noch 6 ,Addenda‘ und 7 ,Atramenta‘. Bei beiden ist die Behandlung der Dinge leider unbefriedigend. Die Lesungen sind weithin, oft bis zur völligen Entstellung der Texte, unrichtig und viele Stücke schon von Carlo Giordano oder Sbordone selbst in früheren Serien der editio princeps publiziert worden; außerdem ist den Herausgebern entgangen, daß sie in eben derselben Abhandlung manche Tafel zwei- und gelegentlich auch dreimal edieren (so ist etwa bei Sbordone T. P. 81 = T. P. 130 oder T. P. 71 = T. P. 122 = T. P. 132 oder bei Landi ,Atramentum 5‘ [Tav. XI] = ,Atramentum 6 lato sinistro‘ [Tav. XII]). Ich kann hier nur eine Einzelheit mitteilen: Die von Landi als ,Addendum a tab. 79‘ (S. 193) publizierte Seite 3 eines Diptychons (Photo der Soprintendenza alle Antichità in Neapel: Pompei A 13 670) gehört nicht zu T. P. 79 und lautet in Wirklichkeit: ACTUM CAPUAE IIII K SEPT / T AXIO T MUSSIDIO / POLLIANO COS. T. P. 79 ist die Seite 3 eines Di- oder Triptychons mit der zweiten Hälfte der scriptura interior (Photo Pompei A 13 699, 14 719, 14 729, 14 739). Die letzten drei Zeilen des von Sbordone, Rend. 53 (1978) 252, auch im übrigen unrichtig gelesenen Textes lauten tatsächlich: ACTUM CAPUAE / VI K SEPT T AXIO T MUSSIDIO / POLLIANO COS. Dazu schon W. Eck, ZPE 42 (1981) 252 f. – Über den Urkundenfund, seine Dokumentation und Publikation unterrichten L. Bove, Documenti processuali dalle Tabulae Pompeianae di Murecine (1979) 1 – 20, und, mit Ergänzungen, in seiner Rez. dieses Buches, U. Manthe, Gnomon 53 (1981) 150 – 161; außerdem, durch einen vorläufigen Überblick, J. G. Wolf, SDHI 45 (1979) 142 Anm. 2, 165 Anm. 83, und Freiburger Universitätsblätter, Heft 65 (Oktober 1979) 23 – 28. 2 Rend. 53 (1978) 269: T. P. 134. Die erste, T. P. 13, ist ein Diptychon vom 11. April 38: F. Sbordone / C. Giordano, Rend. 43 (1968) 3 – 12 mit Abb. Mit völlig anderer Lesung, J. G. Wolf, Freiburger Universitätsblätter, Heft 65 (Oktober 1979) 28 – 36 mit Abb.
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Zur Erklärung dieses Textes sagt der Herausgeber nichts. Der Versuch, dem Textstück einen Sinn abzugewinnen, wäre allerdings auch vertane Mühe gewesen. Denn sehe ich recht, so ist die Erste Lesung nur zum Teil geglückt. Es geht um die rechte Hälfte der dritten Seite eines Di- oder Triptychons.3 Nach der photographischen Dokumentation des Fundes bei der Soprintendenza alle Antichità in Neapel4 ist von dieser Urkunde nur die rechte Hälfte der zweiten Tafel erhalten und von diesem Bruchstück nur die Vorderseite photographisch aufgenommen worden.5 Die Rückseite dieser Tafelhälfte war die vierte Seite der Urkunde, und der Verzicht auf ihre Dokumentation läßt darauf schließen, daß sie, wie die vierte Seite aller Urkunden des Fundes, nicht mit Wachs präpariert, und daß eine Beschriftung mit Tinte nicht erkennbar war. Die dokumentierte Vorderseite ist am oberen Tafelrand durchbohrt. Durch diese und eine zweite Perforation in der linken, nicht erhaltenen Tafelhälfte verliefen die Fäden, mit denen die zwei oder drei Tafeln der Urkunde zusammengebunden waren. Der untere Tafelrand ist abgebrochen und mit ihm eine erhebliche Ecke der Schreibfläche. Die Seite war in neun, möglicherweise zehn Zeilen vollständig oder nahezu vollständig beschrieben. Der Text war offenbar die Fortsetzung der scriptura interior, die auf Seite 2 der Urkunde begann. Die Schrift ist, verglichen mit der des Diptychons vom 11. April 386, äußerst diszipliniert, fast kalligraphisch klar; auf unserem Tafelstück ist sie auch überwiegend gut erhalten. Auf der Photographie, von der Sbordone einen guten Abdruck gibt,7 lese ich die nachstehenden Buchstabenfolgen: 3
1 2 3 4 5 6 7 8 9
. . . . . . . . . . . .] ÅÑÏÕÙÄÇÂÇÂÉ . . . . . . . . . . . .] ÄÅÅÌÊÕÉÍ . . . . . . . . . . . .] .ÊÏÄ . ÌÅÙÑÏ . . . . . . . . . . . .] .ÅÄ. É. ÐÏÐËÉÙ . . . . . . . . . . . .] . .×ÙÉÖÉÄÇÉ . . . . . . . . . . . .] .Ô. É. ÅÔÓÉÊÏÔ . . . . . . . . . . . .] .ÊÅ. .Ó. ÏÕÌ . . . . . . . . . . . . . . . .] .ÅÔÌÅÑ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .]Á . Í
Aus diesen Buchstabenfolgen ergeben sich aber keine griechischen Wörter: sie gehören ersichtlich zu einem lateinischen Text.8 Soweit ich sehe, folgte das Schrift3 Daß wir es mit der fünften Seite eines Triptychons zu tun haben, schließe ich nach dem Text aus. 4 Soprintendente Prof. Fausto Zevi und Dr. Luigi D’Amore danke ich erneut für alles Entgegenkommen, das sie mir liebenswürdig und großzügig erwiesen haben. 5 Photo Pompei A 13 662. 6 Siehe oben Anm. 2. 7 Rend. 53 (1978) Tav. III Fig. 6 nach S. 256. 8 Der Bestand an lateinischen, in griechischen Buchstaben geschriebenen Geschäftsurkunden ist nicht sehr groß; siehe etwa die scriptura exterior einer Kaufurkunde vom 2. Oktober
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stück keinem uns bekannten Formular. Da ich auch seinen Gegenstand nicht zu erkennen vermag, bleibt die Lesung einiger nicht so gut erhaltener Buchstaben und infolgedessen die Auflösung der Zeilen 3 und 6 ungewiß. Ergänzungen sind kaum möglich, nur ÊÕÉÍêõå(Z. 2 / 3) ist so gut wie sicher. Mit diesen Einschränkungen schlage ich folgenden Text vor: 3
1 2 3 4 5 6 7 8 9
. . . . . . . . . . ó] ÅÑÏÕÙ ÄÇÂÇÂÉ . . . . . . . . . . . .] ÄÅÊÅÌ ÊÕÉÍ êõå . . . . . . . .] .ÊÏÄ. ÌÅÙ ÑÏ ãáôïõ. . . . . .] .ÅÄ. É. ÐÏÐËÉÙ . . . . . . . . . . . .] . .×ÙÉ ÖÉÄÇÉ . . . . . . . . . . . .] .Ô. É. ÓÉ ÊÏÔ . . . . . . . . . . . .] .ÊÅ . . Ó. ÏÕÌ . . . . . . . . . . . . . . . .] .ET MEP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .]A. N
In lateinischer Schrift ergibt sich dieses Bild: 3
. . . . . . . . . . . .]s]ERVO DEBEBI . . . . . . . . . . . .] DECEM QUIN que. . . . . . . . ] .COD. MEO RO gatu . . . . . . . ] .ED. I. PUBLIO . . . . . . . . . . . .] . .CHO FIDEI . . . . . . . . . . . .] T. I. ET SI COT . . . . . . . . . . . .] .CE..SUM . . . . . . . . . . . . . . . .] .ET MER . . . . . . . . . . . . . . . . . . .] A. N
Die Orthographie ist ohne Überraschungen; die Verwendung der griechischen Schriftzeichen folgt den Regeln, wie sie seit den Untersuchungen Dittenbergers und Eckingers bekannt sind.9 DEBEBI (Z. 1) ist Teil einer Form des Futur I von debere; die beiden e sind lang und werden durch Eta wiedergegeben. Die Ergänzung von ERVO (Z. 1) zu sERVO liegt nahe10 (und wohl auch näher als die zu einem seltenen Kognomen wie Cervus11) und macht vor jeder Form von debere, die in Betracht kommt, Sinn. Das kurze e in sERVO und wo immer sonst nachprüfbar, nämlich in DECEM (Z. 2), MEO (Z. 3) und MER- (Z. 8), wird durch Epsilon vertreten. Dieser Befund schließt eine andere Verwendung von Eta und Epsilon nicht aus; er begründet aber die Ver156 (?): FIRA III Nr. 134, und aus dem Archiv des L. Caecilius Iucundus die fragmentarisch erhaltene Außenschrift einer Quittungsurkunde vom 7. April 57: CIL IV 3340 Nr. XXXII = FIRA III Nr. 129d. 9 W. Dittenberger, Hermes 6 (1872) 129 – 155 und 280 – 313; Th. Eckinger, Die Orthographie lateinischer Wörter in griechischen Inschriften (1893; Diss. Zürich). 10 Viele Urkunden des Fundes dokumentieren die Beteiligung von Sklaven am rechtsgeschäftlichen Verkehr. 11 Nach I. Kajanto, The Latin Cognomina (1965) 327, nur CIL II 5922, 6090, III 5274 und VI 4905.
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mutung, daß der Schreiber durchweg langes e durch Eta und kurzes e durch Epsilon wiedergegeben hat.12 Aus dieser Vermutung folgt eine Reihe von Hypothesen. ÖÉÄÇÉ = FIDEI (Z. 5) kann wegen seines langen e weder Genitiv noch Dativ sein und darum weder zu der Klausel fidei fiduciae causa noch zu einer Form oder Ableitung von fideicommittere gehört haben; fidei fiduciae causa verlangte auch ein Prädikat13 für das in Zeile 6 kein Raum wäre. FIDEI paßt vielmehr nur zu einer Form oder einem Derivat von fideiubere. Ganz entsprechend beschränkt das kurze e in den Buchstabenfolgen EDI (Z. 4) und ET(Z. 6 und Z. 7) die Kombinationsmöglichkeiten. 14 So ist in Zeile 4 der Infinitiv credi oder cedi oder ein Dativ wie heredi auszuschließen oder in Zeile 6 eine Verbform auf -tiet. MER- (Z. 8) ist wahrscheinlich die erste Silbe einer Form von merces oder merx.15 Für langes o verwendete der Schreiber stets Omega, nämlich sowohl in sERVO (Z. 1) wie in MEO (Z. 3) und PUBLIO (Z. 4).16 Dem Pränomen Publius folgten gewiß Gentil- und Kognomen. ×ÙÉ (Z. 5) halte ich für die Schlußsilbe des Beinamens: eines griechischen Namens auf -÷ïò17, wie das Pränomen im Dativ, von dem griechischen Schreiber aber in seiner Muttersprache flektiert und mit dem beigeschriebenen Iota versehen. Nach den Untersuchungen Dittenbergers und Eckingers ist kurzes u ursprünglich durch Omikron dargestellt und diese Schreibweise erst seit der augusteischen Zeit allmählich durch Omikron-Ypsilon verdrängt worden.18 Ein frühes Beispiel dieser Umstellung ist das Monumentum Ancyranum.19 Unsere Urkunde ist nur wenig jünger als dessen griechischer Text; sie wird, in Puteoli, zwischen 30 und 60 n. Chr. errichtet worden sein20, aber auch ihr Schreiber folgte schon der neuen Übung. In 12 Was der Norm entsprach und auch der üblichen Wiedergabe von Eta und Epsylon durch lat. langes und kurzes e: M. Leumann, Lateinische Laut- und Formenlehre (Neuausgabe 1977) 19, 74 f. Anders aber der Schreiber von FIRA III Nr. 134: zwar ersetzte er das lange e in octobres und me durch Eta und das kurze e in sextum, pretium und puella durch Epsylon; durch Epsylon aber auch das lange e in accepisse, denarius und vendidi. 13 Vgl. T. P. 22 vom 16. Febr. 61 (Giordano, Rend. 45 [1970] 225 Nr. 10), T. P. 21 vom 22. Febr. 61 (Giordano, Rend. 45 [1970] 223 Nr. 9), auch T. P. 19 vom 5. Okt. 51 (Giordano, Rend. 45 [1970] 221 Nr. 7). 14 Statt ÅÄ É könnte auch EAI = EAE zu lesen sein. . . . . . . 15 MER- erinnert an die stehende Klausel mercede minus der pompejanischen Quittungstafeln, etwa FIRA III Nr. 128b, c; Nr. 129a, b, c, d; auch an diducta mercede in T. P. 27 (Sbordone, Rend. 46 [1971] 180 Nr. 5). Für eine Auktion, mit der die Urkunde zusammenhängen könnte, gibt es aber keinen Anhalt. 16 Was wieder der Norm entsprach. Ohne Abweichung der Schreiber von FIRA III Nr. 134. 17 Möglicherweise ist ÏÍ×ÙÉ zu lesen, so daß der Beiname Êïí÷ïò gewesen sein . . könnte. 18 Dittenberger 282 ff.; leicht einschränkend Eckinger 58 ff. 19 Dittenberger 284.
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der Buchstabenfolge ÓÏÕÌ (Z. 7) kann OY nämlich nur für u stehen. Alter Übung folgte er dagegen, wenn er, wie in óÅÑÏÕÙ = sERVO, auch den Halbvokal v durch Omikron-Ypsilon wiedergab.21 Die Verwendung von Omikron-Ypsilon für u läßt vermuten, daß Omikron für kurzes o steht. Diese Annahme hätte größeres Gewicht, wenn die Lesung von ÊÏÄ. = COD. (Z. 3) gewiß wäre; wir hätten dann einen sicheren Beleg für diese Schreibweise, weil ebenso wie in quod auch in der vulgärlateinischen Form cod22 das o kurz ist. Statt ÊÏÄ. könnte KOA. = QUA. 23 gelesen werden, was mir aber nicht besser in den Kontext zu passen scheint. Bleibt es aber bei der Vermutung, daß Omikron für kurzes o steht, so kann in Zeile 3 MEÙPO nicht zu MEORUm aufgelöst und ergänzt werden; vielmehr ist MEO RO zu lesen und wahrscheinlich zu MEO ROgatu zu ergänzen. Und am Ende von Zeile 6 ist dann nicht SICUT die richtige Umschrift, sondern vielmehr SI COT. COT bietet allerdings kaum Ergänzungsmöglichkeiten. Vermutlich hat denn auch hier der vulgärlateinische Lautwandel von quo- zu co- auf die Orthographie durchgeschlagen und ist COT = quot.24 Leichter als in der lateinischen setzte sich die vulgäre Aussprache natürlich bei griechischer Schreibung durch. Von der Schreibweise Omikron für kurzes o ist auch ÐÏÐËÉÙ (Z. 4) keine Ausnahme. Denn ÐÏÐËÉÙ ist nicht eigentlich die Wiedergabe von PUBLIO (mit übrigens gedehnter erster Silbe). Die ältere, bis in das erste Jahrhundert v. Chr. gebräuchliche Form des Namens war Poplius und seine danach gebildete und immer gebräuchlich gebliebene griechische Form ÐÏÐËÉÏÓ.25 Wie das Monumentum Ancyranum an ihr festhielt26, so bediente sich der ihm vertrauten Namensform auch der Schreiber unserer Urkunde. Die Wiedergabe von qui in griechischen Buchstaben ist vielfältig.27 Die älteste ist êïé in der Umschrift des Namens Quintus, dem bei weitem häufigsten Beleg für 20 Die älteste datierte Urkunde des Fundes ist vom 14. Juli 29, die jüngste vom 22. Febr. 61. Soweit ersichtlich sind, mit zwei Ausnahmen, alle Urkunden in Puteoli errichtet worden; die Ausnahmen sind die beiden oben in Anm. 1 angeführten Urkunden aus Capua. 21 Dittenberger 302 ff.; Eckinger 82 ff. Zum Folgenden siehe auch den Nachtrag in Anm. 33. 22 Vgl. Leumann 137; V. V. Väänänen, Le Latin vulgaire des inscriptions pompéiennes (3. Auflage 1966) 55, 70; E. Kieckers, Historische lateinische Grammatik, 1. Teil: Lautlehre (1931, Neudruck 1965) 118. Auch R. Kühner / F. Holzweissig, Ausführliche Grammatik der lat. Sprache, 1. Teil (2. Auf 1. 1912, Neudruck 1966) 32. Noch eine andere Urkunde des Fundes dokumentiert den Lautwandel: im Index der testatio vom 28. April 35 über eine interrogatio in iure (Sbordone, Rend. 51 [1976] 158) haben wir: ex cota parte heres esset, im Corpus der Urkunden dagegen die hochlateinische Schreibweise: quota ex parte. 23 Vgl. Eckinger 121. 24 Kieckers 118 mit Verweis auf CIL III 2107 = D 7236. Wenn auch in Zeile 3 ÊÏÄ = . quod zu lesen ist, schließe ich hier COT = quod aus. 25 Dittenberger 287 ff.; Eckinger 62; Leumann 103. 26 Dittenberger 284 sieht darin eine Ausnahme von der im übrigen konsequenten Wiedergabe von u durch Omikron-Ypsilon.
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die Wiedergabe von qui, hat sie sich, und zwar in der Schreibung Êïéíôïò, bis in das 3. Jahrhundert n. Chr. erhalten. Von den jüngeren Formen der Wiedergabe von qui mit langem i28 und, was sich in den Belegen weithin deckt, qui vor n, ist jedoch keine Schreibung häufiger dokumentiert als êõé.29 Unser KYIN (Z. 2) ist allerdings den frühesten Belegen zuzurechnen. Die Ergänzung zu KYINêõå = QUINque bietet sich an, auch wenn DECEM QUINque, ohne Verknüpfung durch et, bisher ohne Beispiel ist.30 An Ende von Zeile 9 könnten A. N die beiden letzten Buchstaben des abgekürzten Monatsnamens Januar sein; in Zeile 10 wären dann die Namen der Konsuln gefolgt. Die Urkunde war, wenn die Entzifferung und Lesung MEO ROgatu (Z. 3) zutrifft, in der ersten Person stilisiert und also ein Chirographum. Besonders auffallend und ohne Parallele in einer anderen Urkunde des Fundes ist das Futur von debere in Zeile 1, wie immer die Personalendung lautete. Es erinnert an die transsilvanischen locationes operarum31, die mit debebit zum Ausdruck bringen, was nach der Vereinbarung der Kontrahenten geschehen soll. So heißt es in der Urkunde vom 20. Mai 16432: ,Mercedem per tempora accipere debebit. Suas operas valentes edere debebit conductori supra scripto. Quod si invito conductore recedere aut cessare voluerit, dare debebit in dies singulos HS V numeratos . . . Quodsi fluor impedierit, pro rata computare debebit.‘ Eine weitere Übereinstimmung ist nicht ausgeschlossen: Wie in diesen Dienstverträgen war vielleicht auch in unserer Urkunde von merces (Z. 8 / 9) die Rede. Die Möglichkeit dieser Parallelen ist indessen auch für die vorsichtigste Hypothese noch kein tragfähiges Fundament. Die Zahl DECEM QUINque (Z. 2 / 3) gehörte vermutlich zu einer Geldsummenangabe, auf die sich das in Zeile 3 folgende COD. aber nicht oder doch jedenfalls nicht unmittelbar bezogen haben kann. Die vermutete Bürgschaft (Z. 5 / 6) ist entweder von Publius selbst oder von einem Dritten ihm geleistet worden.33 Eckinger 122 ff. Dittenberger 299 ff. 29 Vgl. die Tabelle bei Eckinger 124. 30 Aus den Schriftstellern kennen wir aber die Nebenformen decem tria, decem quattuor, decem septem usw.: Kühner / Holzweissig 640. Außerdem CIL VI 1261a: decem duae; CIL V 4370: decem novem. Aus dem neuen Fund T. P. 48 (Giordano, Rend. 47 [1972] 313): decem dua (nicht: duo). 31 Bruns, Fontes iuris Romani antiqui (7. Aufl. 1909) Nr. 165, 1 – 3; FIRA III Nr. 150a, b. 32 Bruns Nr. 165, 1; FIRA III Nr. 150a. 33 Nachtrag: Prof. Timothy Renner, Upper Montclair, N. J., verdanke ich die Anregung, Zeile 3 / 4 statt ÊÏÄ. ÌÅÙ ÑÏãáôïõ (siehe Anm. 21) KOA . M ÅÙÑÏì = QUA . M EORUm zu lesen. Dieser glückliche Vorschlag eröffnet weitere Überlegungen. Wegen des Omikron schließe ich zwar – wie schon ÌÅÑì = MEORUm – ÅÙÑÏì = EORUm aus. ÅÙ PO könnte aber zu ÅÙ ÑÏãáíôå = EO ROgante und dann auch ÅÄ. É. zu äÅ. Ä. É = dEDI ergänzt werden. QUA. M kann sich allerdings eben so wenig wie COD . auf die Summenangabe bezogen haben. Prof. Renner zieht darum ein vorausgehendes oder auch nur gedachtes summa in Erwägung. 27 28
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Solange der Gegenstand der Urkunde nicht erkannt ist, bleibt der rechtshistorische Ertrag des Fragments gering; größere Bedeutung wird ihm allemal das philologische und sozialgeschichtliche Interesse abgewinnen können.
Der neue pompejanische Urkundenfund Beim Bau der Autostrada Pompeji-Salerno stieß man im April 1959 auf der Gemarkung Murécine, im südlichen, kaum erforschten Vorfeld der Vesuvstadt, auf die Reste eines antiken Hauses. Wegen der fortgeschrittenen Straßenbauarbeiten konnte die Notgrabung nur noch einen kleinen Teil der großzügigen Hausanlage freilegen: in der Hauptsache ein Stück des Säulenhofs mit fünf anliegenden Speiseräumen. In einem der Speiseräume fanden die Ausgräber am 24. und 25. Juli 1959 einen Weidenkorb, der randhoch mit Urkunden gefüllt war. Einen vergleichbaren Fund hatte es in Pompeji nur einmal gegeben. Das war im Juli 1875, als im Hause des Bankiers Lucius Caecilius Iucundus 153 Geschäftsurkunden geborgen werden konnten. Schon dieser Fund war ein großer Glücksfall. Denn die römische Urkunde bestand aus kleinen, rechteckigen Holztafeln, tabulae, die auf einer oder auf beiden Seiten bis auf einen schmalen Rand leicht ausgehoben und in dieser vertieften Fläche mit einer Art von Wachs überzogen waren. In das Wachs wurde mit einem Metallgriffel die Schrift eingeritzt. Zwei oder drei solcher präparierter Täfelchen wurden zu einem codex, nämlich mit einer Schnur derart miteinander verbunden, daß sie wie ein Buch gehandhabt werden konnten. Bei einem Diptychon etwa, das, wie der Name sagt, aus zwei Täfelchen bestand, waren die beiden Deckelseiten nicht präpariert, während die beiden Innenseiten, also die Seiten 2 und 3 des codex, beschrieben und mit ihren erhabenen Rändern aufeinandergelegt werden konnten, ohne daß die Schrift verwischte. Um die Urkunde zu verschließen, wurden die Täfelchen quer zum Buchrücken mit einem Faden umwickelt, der auf der Rückseite der 2. Tafel von einer etwa fingerbreiten Vertiefung aufgenommen wurde; in diesen sulcus setzten die Zeugen auf den Faden ihre Siegel, so daß der Faden durchschnitten oder die Siegel erbrochen werden mußten, wenn man die Urkunde wieder öffnen wollte. Das Urkundenarchiv gehörte zur gewöhnlichen Ausstattung des römischen Hauses. In der Katastrophe der Vesuvstadt konnte aber nur die Gunst besonderer Umstände die tabulae ceratae vor der Vernichtung bewahren. In Murecine war es eine dichte Schlammschicht, die, vielleicht infolge der Erdbeben, die die Eruptionen des Vulkans begleiteten, das Haus alsbald überflutete und den Korb mit den Urkunden schützend einhüllte. In der nassen Schlammschicht, wohl unter Luftabschluß, haben sich die Wachstafeln vorzüglich, nahezu ohne organische Veränderungen, erhalten. Die ersten Angaben über die Zahl der geborgenen Täfelchen gehen auseinander. Im Inventarverzeichnis des Museums von Pompeji, wo sie aufbewahrt werden, füllen sie 137 Positionen. Viele Nummern sind jedoch mehrfach belegt. Am 13. No-
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vember 1979 waren 260 Stücke vorhanden. Diese Zahl besagt jedoch nicht sehr viel; sie gibt nur eine grobe Quantitätsvorstellung. Denn viele Stücke sind Fragmente, und der Zustand der Täfelchen und die Art ihrer Aufbewahrung lassen vermuten, daß nicht wenige erst nach der Ausgrabung zerbrochen sind. Für die Lesung und Rekonstruktion der Urkunden haben die Originale so gut wie keinen Wert mehr. Sie sind ausgetrocknet und mit der Austrocknung geschrumpft und haben mit ihrer ursprünglichen Form ihre Beschriftung oder doch deren Lesbarkeit fast völlig verloren. Die Bearbeitung der Urkunden steht heute allein auf den Photographien, die alsbald nach der Entdeckung angefertigt worden sind. Die Soprintendenza alle Antichità in Neapel hat den Fund in zwei Serien mit insgesamt 311 vorzüglichen Aufnahmen erfaßt. Diese Dokumentation ist jedoch nicht vollständig; einige der inzwischen veröffentlichten Täfelchen sind nicht in ihr vertreten. Die Veröffentlichung der neuen pompejanischen Urkunden hat 1967 begonnen und ist 1980 beendet worden. Die Herausgeber sind Carlo Giordano und Francesco Sbordone. In den ,Rendiconti della Accademia di Archeologia, Lettere e Belle Arti di Napoli‘ haben sie in neun Teilpublikationen die meisten Täfelchen veröffentlicht. Eine Nachlese hat Addolorata Landi in den ,Atti dell’Accademia Pontaniana‘ ediert. Die editio princeps zählt 159 Urkunden und Urkundenteile. Die cura secunda der Täfelchen, die zum Teil das Ergebnis gemeinsamer Sitzungen mit Prof. John A. Crook (Cambridge) und Dr. U. Manthe (Freiburg) ist, hat die Lesungen Giordanos und Sbordones in großem Umfang bestätigt. Die Abweichungen beschränken sich jedoch nicht auf Details, auf Kalenderdaten etwa, Namen, Geldbeträge oder einzelne Wörter hier und dort; von vielen Urkunden gibt die Zweite Lesung ein durchaus anderes Bild. Die Edition, die ich vorbereite und die unter dem Titel ,Tabulae Pompeianae Novae‘ erscheinen soll, zählt 136 Urkunden und Urkundenteile, 23 weniger als die editio princeps. Die Hauptursache dieser Differenz liegt darin, daß Sbordone und Landi viele Stücke zwei- und dreimal ediert haben, und zwar in so unterschiedlichen Lesungen, daß ihnen selbst die Wiederholung nicht aufgefallen ist. Von 91 meiner 136 Urkunden ist entweder der Text vollständig oder doch so viel erhalten, daß der Gegenstand der Beurkundung ersichtlich ist oder das Thema bestimmt und die Urkunde benannt werden kann. Die 45 ,unbenannten‘ Urkundenteile sind zum Teil, aber keineswegs durchweg unergiebig. Die Urkunden des Fundes decken einen Zeitraum von 32 Jahren: die älteste ist vom 14. Juli 29, die jüngste vom 22. Februar 61. Der Ort, an dem sie errichtet worden sind, ist nicht der Fundort Pompeji; soweit die Ortsangabe erhalten und lesbar, ist Ausstellungsort fast aller Urkunden Puteoli, das heutige Pozzuoli, westlich von Neapel, am Nordrand des Golfs. Puteoli war bis in die zweite Hälfte des Jahrhunderts der Hafen Roms, und gerade in den Jahren unserer Urkunden einer der ersten Handelsplätze der alten Welt. Zwei Urkunden sind in Capua ausgestellt.
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Der Fund von 1875, im Hause des Caecilius Iucundus, hat uns eine bestimmte Abteilung seiner Geschäftspapiere, nämlich nichts als Quittungen beschert. Ganz anders der neue Fund. Seine besondere Bedeutung beruht auf der großen Zahl und dem guten Erhaltungszustand der Urkunden; doch mehr noch als auf Zahl und Befund der Urkunden beruht sie auf der Vielfalt der beurkundeten Gegenstände. 38 Urkunden zähle ich, die Gerichts- und Schiedsgerichtsverfahren betreffen. Ladungen nach Puteoli und Rom gehören dazu, Urkunden über Eideszuschiebung und Eidesleistung, über Befragungen vor dem Gerichtsmagistrat nach Erbenstellung oder Herrschaftsverhältnissen. Glanzstücke sind die Urkunden über eine Richtervereinbarung, das Prozeßdekret eines Munizipalmagistrats von Puteoli und eine Streitbeilegung. Das Gros der Urkunden geht über Verträge und andere rechtlich bedeutsame Akte des Geschäftsverkehrs. Unter den Rechtsgeschäften ist das Darlehen das häufigste. Oft ist es von einem Sicherungsgeschäft begleitet, einer Bürgschaft oder Verpfändung. Mit den Verpfändungen stehen Mietverträge über Speicherraum in Zusammenhang, in dem das verpfändete Gut, Weizen und Hülsenfrüchte, eingelagert ist. Neben den Darlehensverträgen, den Bürgschaften, Verpfändungen und Speichermieten stehen Schuld- und Saldoanerkenntnisse, Quittungen und Gewährschaftsstipulationen. Zwölf Urkunden schließlich haben mit der Versteigerung verfallener Sicherungen zu tun, von Purpurstoffen, Grundstücken und Sklaven, die verpfändet oder zur Sicherung übereignet worden waren. So vielfältig die beurkundeten Geschehnisse sind, so wenig ist diese Vielfalt durch den Zufall bestimmt. Sehe ich recht, so beschreiben die Urkunden den Wirkungsbereich einer Darlehens- oder vielleicht Handelsbank. Sie sind offenbar eine zufällige Auswahl aus dem Archiv dieser Bank. Die Protagonisten der beurkundeten Geschehnisse sind Sulpizier. Am häufigsten tritt C. Sulpicius Cinnamus auf. Er erscheint zum ersten Male im Jahre 42 und war der Freigelassene seines Kompagnons C. Sulpicius Faustus. Dieser Faustus fungiert in den Urkunden seit dem Jahre 35, während in den ältesten Tafeln ein C. Sulpicius Faustus Maior die Geschäfte der Bank führt. Er war vermutlich ein älterer Verwandter, vielleicht der Vater des Faustus und vielleicht auch der Gründer des Bankhauses. Ein vierter Sulpicius ist Onirus, den wir aber nur in den jüngsten Urkunden aus dem Jahre 61 kennenlernen. Für das Jahr 48 wissen wir, daß in den Geschäften des Bankhauses neben Faustus und Cinnamus auch vier Sklaven tätig waren. Die Geschäftswelt, die uns in den Urkunden entgegentritt, ist eine Gesellschaft von Freigelassenen. Von den neunzig römischen Bürgern, die mit Namen und Beinamen auftreten, sind zwar nur acht ausdrücklich als liberti bezeugt. Kaum weniger verläßlich als das ausdrückliche Zeugnis bekundet aber oft schon das cognomen den Status: Attimetus, Agathopus oder Epaphroditus, Isochrysus, Onesimus oder Plistus, Anthus, Thallus, Agathemer oder Hermeros – nur ein Freigelassener, nicht aber ein Freigeborener konnte so heißen.
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In vielen Urkunden werden Gebäude und Örtlichkeiten genannt. Zum Gang vor den Gerichtsmagistrat wird in Puteoli gewöhnlich auf das Forum ante aram Augusti Hordionianam geladen; Schiedsgerichtssitzungen finden im Chalcidicum Hordionianum oder Octavianum statt; Auktionen werden auf dem Forum vor dem Chalcidicum Caesonianum durchgeführt, ihre Ankündigung dagegen in der porticus Augusti Sextiana ausgehängt. Von all dem war bisher nichts bekannt, so daß die Auswertung des Urkundenfundes auch für die Topographie und für die Bauund Sozialgeschichte Puteolis neue Einsichten verspricht. Die Urkunden sind im allgemeinen in ordentlichem Standardlatein abgefaßt. Eine Ausnahme machen nur die Chirographa des C. Novius Eunus. Wir besitzen vier von seiner Hand, zwei Darlehen mit Verpfändungen und zwei Schuldanerkenntnisse mit Zahlungsversprechen. Dieser C. Novius Eunus schrieb wie er sprach: ein kräftiges Vulgärlatein. Er sagte nicht sumpsi, sondern suppsi, nicht spopondi, sondern spepodi, und er schwur per Iobe Optumm Maxumu. Da er seine Schwäche kannte und ehrgeizig war und richtig schreiben wollte, fabrizierte er auch die schönsten Hyperkritizismen: Während er für den Diphthong ae, etwa in Caesar oder quae, im allgemeinen e schreibt, will er es bei petierit aber wissen und schreibt petiaerit (so wie man in Köln gelegentlich ,Gesus‘ hören kann, weil ,Gott‘ auf Kölsch ,Jott‘ ist). Die Eunus-Urkunden geben für viele vulgärlateinische Bildungen eine neue und präzise Zeitmarke. Sie zeigen uns aber auch, was in dem Milieu unserer Urkunden die Umgangssprache war. Denn daß Cinnamus und Faustus, anders als Eunus ,nach der Schrift‘ sprachen, ist nicht anzunehmen; sie hatten nur gelernt, richtig zu schreiben. Viel interessantes Material bieten die neuen Urkunden auch für prosopographische Untersuchungen. Es wäre reizvoll, die Geschichte des Hesychus zu erzählen, der ein Sklave des Euenus war, eines Freigelassenen des Tiberius; wie Euenus selbst einmal durch Erbgang dem Kaiser Tiberius zugefallen war, so geriet Hesychus mit dem Nachlaß des Euenus in den Besitz des Caligula. Ich möchte diesen Bericht jedoch beenden mit der Wiedergabe und Erläuterung einer Urkunde. Die Abbildung zeigt die 5. Seite eines Triptychons. Sie trägt die sogenannte scriptura exterior, die Außenschrift, eine Wiederholung des eigentlichen Urkundentextes, der auf Seite 2 und 3 stand. Während die beiden ersten Tafeln aufeinandergebunden wurden und damit die scriptura interior auf Seite 2 und 3 verschlossen wurde, blieb die dritte Tafel offen, so daß sie jederzeit aufgeklappt und, dank der Außenschrift, vom Inhalt der Urkunde Kenntnis genommen werden konnte. Die editio princeps dieser Urkunde, von Sbordone besorgt (Rend. 51 [1976] 166), lautet: 1 2 3 4 5 6
C. Laecanio Basso Q. Teren[ti]o Cull[ione] Cos. . . . . . . . . Idi[bus] Ma[is] . . . . . . . . .............................. .................................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .[in] [praedis] Lepidian[is] primis Barbatianis superiorib[u]s
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[libellus] adfixus [fu]it medianu[s] in qu[o] . . . . . . chirographum scripsi me itu[rum] R[omam] . . . . . . . . . . . . si Idibus Mais primis ea HS 1. 500 q(uae) s(upra) s(ripta) s(unt) non satisue fecere, tum deceat . . . . . . . . . . . . sub [p]raecone de condicione . . . . . . . . . . . . [q]uo magis quod superest quo minoris unierit triti[cum] utique id triticum quo de agitur ab omni periculo esset meo he[re]disue mei, haec mihi tecum ita conuenerunt pactusque sum. Act[u]m Puteolis.
Die cura secunda der Urkunde lautet mit den durch sie möglich gewordenen Ergänzungen: 5
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
CLAECANIO BASSO Q TERENTIO CULLEONE COS IDIbUS MARtis 15. März 40 L MARius didae l iucundus SCRipsi me dedisse c sulpicio Fausto pignoris nomine tritiCi aleXAndrini modium de CEM millia plus minus QUAE SUnt POSITA IN domiti AE LEPIDAE prAEdis BARBATiANiS sUPERIORIBUS horreo XX OB HS VIGiNTI MILLiA NUMMUm quae per chiro GRAPHUM SCRIPSI ME . . . . . . . . . . . . SIIDIBUS MAIS PRIMIS EA HS CCI ccIOOQSSSNONDEDero Solvero 15. Mai 40 SATISVE FECERO TUM LICEAT tiBI ID TRITICUm quo de agitur SUB pRAECONE DE CONDICIONE . . . . . . . . . . . vendere si pluris venierit OMNE QUOD SUPERESSEt REDDAs mihi he redive meo si QUO MINORIS VENIERIT . . . . . . . . REDDaM TIBI HeREDIVE TUO UTIQUE ID TRITICUM QUO DE AGITUR OMNI PERICULO ESSET MEO HEreDISVE MEI HAEC MIHI TECUM ITA CONVENERUNT PACTUSQUE SUM ACTUM PUTEOLIS
Die Urkunde ist ihrer Form nach ein Chirographum: vom Aussteller in subjektiver Formulierung, in der ersten Person, eigenhändig niedergeschrieben, machte sie durch die Handschrift gegen ihn Beweis. Der Gegenstand der Urkunde ist eine Pfandbestellung. Aussteller und Pfandschuldner ist L. Marius Iucundus, ein Freigelassener des L. Marius Dida, der nach seinem cognomen Dida selbst ein Freigelassener war. Unter dem 15. März 40 bekennt L. Marius Iucundus, daß er C. Sulpicius Faustus 10 000 modii alexandrinischen Weizens verpfändet hat; der Weizen sei eingelagert im Kornspeicher XX auf den oberen barbatianischen Grundstücken der Domitia Lepida; verpfändet sei der Weizen für 20 000 Sesterzen, die zu schulden er in einem anderen Chirographum bekannt habe (Z. 3 – 8). Die gesicherte Schuld war eine Darlehensschuld: zwei Tage vorher, am 13. März 40, hatte Iucundus bei Faustus 20 000 Sesterzen aufgenommen; das Chirographum, das er über die Darlehensgewährung ausgestellt hat und in der Verpfändungsurkunde erwähnt, ist erhalten. Der modius war ein Hohlmaß von 8,75 l,
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auf das etwa 6,8 kg Weizen gingen; die verpfändete Menge betrug danach ungefähr 68 t. Der Importeur in Puteoli wird in diesen Jahren für alexandrinischen Weizen etwa 3 Sesterzen für den modius haben zahlen müssen. Die Pfanddeckung war mithin mehr als ausreichend. Der Speicher, in dem der Weizen lagerte, war nach seiner Beschreibung nicht Bestandteil des Grundstücks, auf dem er sich befand. Er befand sich in praedis Domitiae Lepidae Barbatianis. Hier erfahren wir nebenbei, daß Domitia Lepida, die Großnichte des Augustus und Mutter der Messalina, in Puteoli begütert war. Nur von ihr kann die Rede sein: die Mutter der Messalina war nämlich in erster Ehe mit Messalla Barbatus verheiratet, der ihr offenbar die puteolanischen praedia vermacht hat. Im zweiten Teil der Urkunde (Z. 9 – 16) bezeugt L. Marius Iucundus Abreden über die Verwertung des Pfandes und über die Gefahrtragung. Wenn er bis zum 15. Mai die Schuld nicht bezahlt oder den Gläubiger in anderer Weise befriedigt haben werde, so sollte diesem gestattet sein, den Weizen sub praecone, d. h. in öffentlicher Versteigerung zu verkaufen (Z. 9 – 11). Die Bedeutung von de condicione (Z. 11) ist noch nicht gesichert. Möglicherweise wurde mit der Klausel der freihändige Verkauf bezeichnet. Faustus wäre dann befugt gewesen, den Weizen öffentlich zu versteigern oder freihändig zu verkaufen (DE CONDICIONE müßte in diesem Fall zu DE CONDICIONEve ergänzt werden). Das römische pignus war in älterer Zeit ein Verfallpfand: die Pfandsache verfiel dem Gläubiger, der nicht befriedigt wurde, zu eigen. Der Pfandverfall wurde durch den Pfandverkauf verdrängt, der indessen besonders, wie auch unsere Urkunde zeigt, ausbedungen werden mußte: Der Pfandgläubiger wurde zur Veräußerung der Pfandsache ermächtigt (Z. 10 / 11), und zur Vermeidung der eigentlichen Nachteile des Pfandverfalls wurde vereinbart, daß ein Mehrerlös an den Schuldner herauszugeben sei, und daß bei nicht ausreichendem Verkaufserlös der Schuldner die Differenz zahlen werde (Z. 12 – 14). Schließlich war vereinbart worden, daß die Gefahr des zufälligen Untergangs der Pfandsache Iucundus (oder seinen Erben) treffen sollte (Z. 14 – 16). Zur Bestellung des Pfandrechts war nicht erforderlich, daß der Eigentümer die Sache dem Gläubiger übergab; das Pfandrecht konnte auch besitzlos bestellt werden. Faustus hat jedoch die andere Möglichkeit vorgezogen, er hat sich von Iucundus den Weizen übergeben lassen: nur unter dieser Voraussetzung ist die Vereinbarung über die Gefahrtragung sinnvoll. Um den Besitz an der Pfandsache erwerben zu können, mußte Faustus aber den Speicherraum, in dem der Weizen lagerte, selbst anmieten. Von einer anderen Verpfändung eingelagerten Weizens ist uns auch dieser Mietvertrag erhalten. Wir können darum sicher sein, daß Faustus, um den Besitz an den ihm verpfändeten 10 000 modii Weizen zu erwerben, am selben oder am nächsten Tag das horreum XX angemietet hat.* * In der Zählung der Urkunden durch L. Bove (zuletzt: Documenti processuali dalle Tabulae Pompeianae di Murecine [1979] 17 ff.) hat diese Urkunde die Nummer TP 69; in meiner Edition wird sie zufällig unter derselben Nummer, nämlich als TPN 69 geführt werden.
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Unsere Kenntnis vom römischen Recht schöpfen wir im wesentlichen aus den Fragmenten der gelehrten juristischen Literatur des 1. und 2. Jahrhunderts. Die neuen pompejanischen Urkunden gewähren zum ersten Mal einen weiten Blick auf das Recht in seiner alltäglichen Anwendung. Darin liegt ihre große Bedeutung für die Rechtsgeschichte. Reichen Ertrag bringen sie aber auch für die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, und auch das philologische Interesse wird sie ergiebig finden.
Die Streitbeilegung zwischen L. Faenius Eumenes und C. Sulpicius Faustus I. In der vorletzten Serie1 der editio princeps des neuen pompejanischen Urkundenfundes2 hat Francesco Sbordone sechs Urkundenteile als Tabula Pompeiana 66 veröffentlicht3, weil Oscar Onorato, der erste Bearbeiter des Fundes, ihre Photographien mit derselben Sigle versehen hatte. In der Umschrift Sbordones machen die Urkundentexte jedoch alle keinen rechten Sinn, und es bleibt auch ungeklärt, wie und ob sie überhaupt zueinander gehören. Tatsächlich gehören sie zu drei verschiedenen Urkunden, die miteinander in keinem besonderen Zusammenhang stehen4: T. P. 66d ist die scriptura exterior eines Triptychons vom 20. August 485; T. P. 66 f. das Ende der Außenschrift in Tinte auf der ersten Seite der nur zur Hälfte erhaltenen ersten Tafel eines Diptychons vom 28. Februar 446 und T. P. 66e der Beginn der scriptura interior auf der Rückseite eben dieser Tafel, der Seite 2 mithin dieses Diptychons7. Das Triptychon enthielt ein Empfangsbekenntnis des C. Sulpicius 1 Rendiconti delle Accademia di Archeologia Lettere e Belle Arti Napoli [= Rend.] 51 [1976] 145 – 168. 2 Über den Urkundenfund seiner Dokumentation und Publikation unterrichten L. Bove, Documenti processuali dalle Tabulae Pompeianae di Murecine [= Documenti] (1979) 1 – 20, und, mit Ergänzungen, in seiner Rez. dieses Buches, U. Manthe, in Gnomon 53 (1981) 150 – 161; außerdem, durch einen vorläufigen Überblick, J. G. Wolf, in SDHI 45 (1979) 142 Anm. 2, 165 Anm. 83, und Freiburger Universitätsblätter, Heft 65 (Oktober 1979) 23 – 28. Die Edition scheint nunmehr abgeschossen zu sein: Sbordone, Rend. 53 (1978; erschienen 1980) 249 – 269 mit 3 Tafeln; Addolorata Landi, Atti della Accademia Pontaniana [= Atti] 29 (1980) 175 – 198 mit 21 Tafeln. Sbordones Beitrag beginnt mit T. P. 70 und schließt mit T. P. 134 (zur Zählung vgl. Bove, documenti 16 ff.); Landi setzt die Reihe fort bis T. P. 141, veröffentlicht aber außerdem noch 6 ,Addenda‘ und 7 ,Atramenta‘. Bei beiden ist die Behandlung der Dinge leider unbefriedigend; vgl. vorläufig J. G. Wolf, in Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 45 (1982) 245 ff. und unten Anm. 5 und 7. 3 Rend. 51 (1976) 160 – 165. 4 Die Vermutungen bei Bove, Documenti 68, sind darum unbegründet. 5 Die Tafel ist inzwischen – unerkannt – von A. Landi, Atti 29 (1980) 196, als. T. P. 138 noch einmal ediert worden, hier mit einer Abbildung: Tav. XVIII Tab. 138. Beide Editionen sind vom Original gleich weit entfernt. 6 Zu diesen Datum vgl. Manthe, Gnomon 53 (1981) 154: das Jahr 44 war ein Schaltjahr. 7 Vgl. schon Manthe, Gnomon 53 (1981) 154 f. Auch T. P. 66 f. und e sind inzwischen – unerkannt – von Sbordone selbst, Rend. 53 (1978) 251, als T. P. 76 noch einmal ediert worden. Hier sind die beiden Texte zwar richtig als recto (= T. P. 66 f.) und verso (= T. P. 66e) ein
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Faustus; das Diptychon, nach dem wenigen, was erhalten und lesbar ist, jedenfalls die Übernahme einer Bürgschaft in der Form der fideiussio mit Zustimmung eines Vormunds. Die Texte T. P. 66a, b und c schließlich gehören zu einer Urkunde vom 4. September 48. Ihre Wiederherstellung und Erklärung ist die Absicht dieser Cesare Sanfilippo gewidmeten Abhandlung.
II. 1. In der Umschrift und mit den Ergänzungen Sbordones lauten sie8: T. P. 66a
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
T. P. 66b
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
T. P. 66c
1 2 3 4
[L. Uital]lio M. Uipstano Gallo Cos. [Vadimonium factum L. Filenio Eumeni] [in foro A]ugusti ante [statuam C. Senti Saturnini] triumphalem hora tertia. [C. Sulpicius Faustus L. Filenium] Eumenem rogauit: se co[ra]m pr[aetore acturum] aut cum sponsore eius acturum aut [in] forum e[xi]turum exacturumque quo die singulariter factum erit: quanti emerent, tant[am] pecuniam dari stipulatus est C. Sulpicius Faustus, quod[que C.] Sulpicius Faustus eo nomine [stipulatus est], spopondit L. Filenius Eumen[es], quodque C. Sulpicius Faustus eo nomine q[u]o argent . . . . . . . . . . . [cen]tum [emeret], interrogante . . . . . . . . act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [p]actionem facere. Actum Puteolis. Uitellio Messala Uistano Gallo Cos. . . . [Id]us Septembres L. Faenius Eumenes scri[p]si[t] conciente secum C. Sulpicio Fausto s[e] [spon]sorem uenire, caussa quae mihi [de] ea re ultro citro cognito . Respondit [se adi]re vadimonium quod Sulpici [Fausti] cognitorem eo nomine haberet . . . . . . . . II . C. Sulpicius Faustus eo nomine [stipulatus est], spopondit acceptam pecunia[m] . . . . . . . . . . . . Filenius Eumenes serus . . . . . . . . heredes cum famil[iari]bus L. Uitellio M. Messala Uipstano Gallo Cos. III Non(as) Sept[embres] L. Filenius Eumenes scripsi mihi conuenisse cum C. Sulpicio Fausto finiendae contruersi-
und derselben Tafel erkannt, ihre Lesung ist aber wieder verfehlt. T. P. 76 ist schon bei Bove, Documenti 133, abgedruckt wo S. 70 allerdings auch die ebenso verfehlte Lesung T. P.. 66 f. wiedergegeben und als Index eines Vadimoniums gedeutet wird; dazu Manthe, a. a. O. 8 Rend. 51 (1976) 161 – 163.
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[a]e causa, qua[e] mihi cum eo est, qua de re ultro citro cognitores a nobis dati sunt IV Id(us) Nouembr(es) primas. de eo quod C. Sulpicius Faustus solus, a cognitore meo Romae probe dies sex dati sunt et quod is C. Sulpicius Faustus eo nomine contra iudicatum solus soli L. Filenio Eumeni, iussi dilationem ei facere iusta[m]. Sulpicius Faustus scripsi me conuenire quod uice iuris nouata obligatione iurium. Id(ibus) Nouembrib[us] primis Romae in foro Aug(usti) ante statuam Cn. Senti Sat[urnini tr]iumphalem hora tertia.
Diesen Texten ist kein Sinn abzugewinnen: hier und dort ist eine Zeile, ist auch ein Satz verständlich; einer kohärenten Interpretation ist aber keines der drei Textstücke zugänglich9. Die Vermutung lag daher nahe, daß die Entzifferung doch nicht ganz gelungen und eine erneute Lesung angebracht sei. Prof. Sbordone überließ mir liebenswürdigerweise eine Photographie der Tafel T. P. 66a, von der in der Photothek der Soprintendenza alle Antichità delle Province di Napoli e Caserta in Neapel keine Aufnahme vorhanden ist10. Seine Vorlage von T. P. 66b konnte dagegen in den Photographien 13 704 und 14 721, die von T. P. 66c in den Photographien 13 695 und 14 740 der Soprintendenza wiedererkannt werden11. 2. Sbordones Photo von T. P. 66c war von Onorato mit dem einer anderen Tafel in einer Weise zusammengeheftet worden, die erkennen ließ, daß er auf dieser zweiten Tafel die Fortsetzung des Textes von T. P. 66c las12. Sbordone hat seinerzeit von einer Veröffentlichung dieser anderen Tafel abgesehen, weil er sie bis auf wenige Buchstaben unleserlich fand, ihre Edition jetzt aber, als T. P. 113, nachgeholt13. Die Beschriftung dieser Tafel, die durch die Photographien 13 638, 13 659 und 14 693 dokumentiert wird, ist in der Tat stark verwischt. Was Sbordone entziffert hat, ist dies: T. P. 113
1 2 3 4 5 6 7 8
. . . . . . illuc aut acqua uadere[t] . . . . . . quia quid esset si ad . . . . . . . . . . . . modo aut fide sua isast q antiquam primis . . . . . . . . . . . .
Zu T. P. 66b allerdings Bove, Documenti 69 f.; dazu Manthe, Gnomon 53 (1981) 154. Prof. Fausto Zevi, seinerzeit Soprintendente alle Antichità delle Provincie di Napoli e Caserta, und Dr. Luigi D’Amore danke ich auch hier für ihre liebenswürdige und großzügig gewährte Hilfe. 11 Veröffentlicht ist bisher eine Abbildung von T. P. 66b, und zwar das Photo 13 704: Sbordone, Rend. 51 (1976) nach 168 Tav. XII Fig. 18. 12 Sbordone, Rend. 51 (1976) 163. 13 Rend. 53 (1978) 262 f. 9
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aprilibus . . . . . . . . . . . fecisse . . . . . . . . . . . . Actum . . . . . .
Diese Lesung läßt den von Onorato durch seine Montage der Photographien angezeigten Zusammenhang von T. P. 113 und T. P. 66c nicht erkennen. Seine Ansicht war gleichwohl zutreffend: durch die cura secunda der Täfelchen wird sie glänzend bestätigt. 3. Die erneute Lesung ergibt nämlich, daß T. P. 66a, 66b, 66c und 113 die vier Seiten eines Diptychons sind: T. P. 66c und 113 sind die beiden mit Wachs präparierten Innenseiten 2 und 3, T. P. 66a und 66b die beiden nicht präparierten Augenseiten 1 und 4. Die Maße des Diptychons sind etwa 14x12 cm. Beide Täfelchen sind an einer Längsseite zweimal durchbohrt; hier waren sie mit Fäden so zusammengebunden, daß die präparierten Seiten die Innenseiten des codex waren. Die Beschriftung von pag. 2 und 3 verläuft wie gewöhnlich parallel zu den Längsseiten der Täfelchen und ist so angeordnet, daß die Perforationen auf pag. 2 durch den unteren und auf pag. 3 durch den oberen Tafelrand gehen. Dementsprechend erscheinen sie auf pag. 1 an der oberen und auf pag. 4 an der unteren Längskante. Die Außenseite 4 ist senkrecht zu den Längsseiten durch einen etwa 2 cm breiten sulcus in zwei gleiche Hälften geteilt. Die linke Hälfte ist mit dem ersten Teil der scriptura exterior ausgefüllt. Diese ist in Tinte geschrieben und verläuft, anders als die Innenschrift, senkrecht zu den Längsseiten. Sie beginnt am sulcus, geht bis zur linken Seitenkante und wird auf Seite 1, in derselben Schreibrichtung, fortgesetzt. Auf Seite 1 beginnt der Text an der linken Seitenkante14, füllt die ganze linke Tafelhälfte und endet mit den beiden letzten Zeilen in der rechten Hälfte. Die Teilung in eine linke und eine rechte Hälfte wird durch einen größeren, dem sulcus auf pag. 4 entsprechenden Abstand zwischen der vorletzten und drittvorletzten Zeile der Außenschrift und außerdem durch Einkerbungen der oberen und unteren Längskante markiert. Diese Einkerbungen hat der Faden hinterlassen, mit dem das Diptychon umwickelt und verschlossen war. Er verlief zwischen der vorletzten und drittvorletzten Zeile und auf pag. 4 durch den sulcus, wo er verknotet und durch die Siegel der Zeugen (und vielleicht auch der am beurkundeten Geschäft Beteiligten) fest mit der Tafel verbunden war. Die Siegel haben keine auf den Photographien sichtbare Spuren hinterlassen; die ihnen in der rechten Hälfte von pag. 4 beigeschriebenen Namen der Siegler sind dagegen in einzelnen Schriftzügen noch zu erkennen, aber nicht mehr zu lesen. Die Außenschrift ist ziemlich gut, aber nicht vollständig erhalten, die Innenschrift mit Lücken und im ganzen schlechter, ihr zweiter Teil auf pag. 3 allerdings besonders schlecht. Die Entzifferung und Wiederherstellung des Urkundentextes wurde durch die Möglichkeit des Vergleichs der beiden Redaktionen erleichtert15. Sie lauten: 14 Zur Fortsetzung der Außenschrift wurde das Diptychon mithin nicht wie eine Buchseite umgedreht, sondern – um den sulcus als Achse – gekippt.
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l vitellio l MESSaLLA VIPSTANO GALLO COS PR NON SEPT 4 Sept. 48 L fAENIUS EUMENES SCRIPSI MIHI CONVENISSE CUM C SULPICIO FAUSTO FINIENDAE CONTROVERSI aE CAUSSA QUAE MIHI CUM EO EST QUA DE RE ULTRO CITRO COGNITORES A NOBIS DATI SUNT ME ID VADIMO NIUM QUOD SULpicIUS fausTUS CUM COGNITORE MEO ROMAE HABEReT remitTERE ET QUOD IS C SULPICIUS FAUSTUS eo nomine IUDICATUM SOLVI SATIS DEDIT ACCEPTAM STIPULATIONEM EI FACERE IDEO SI SULPICIUS faustus vadiMONIUM QUOD EI CUM L FaENIO THALLO COGNITORE MEO K NOVEMBR I Nov. 48 PRIMIS ROMAE IN FORO AUG ANTE STATUAM CN SENTI SATURNINI TRIUMPHALEM HORA TERTIA .
.
.
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hs . . . . . . MILia . . . . . . . . . . . . desERUeRIT neminem Ex EA cAUSSa CUM c sulPiCIO FAUSTO RO AUT CUM SPonSORE EIUS ACTURUM AUT A QUO EORUM petiturum EXACTURUMQUE QUID ESSET SI AD versus EA QUID fACTUM EriT QUANTI EA RES ERIT tANTAM pecuniam daRI STIPULATUS EST C sulpicius faustus SPEPONDI L faenius eumeNES QUodQue c sulpiciUS fAUSTUS Eo noMINE QUO DE Agitur iudicatuM SOLVI SATIS DEDIT IN TERROgANTe EO me ei ACCEptAM STIPU LATIONEM FECISSE ACT PUTIOLLIS
scriptura exterior 1
4
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
L VItELLIO MESSALLA VIPstANO GALLO COS pr noNAS SEPTEMBRES L FAENIUS EUMENES SCRI psi mihi CONVENISSE CUM C SULPICIO FAUSTO finiendae CONTROVERSIAE CAUSSA QUAE MIHI cum eo est qDR ULTRO CITRO COGNITORES AB NOBIS dati sund mE ID VADIMONIUM QUOD SULPiCiUS faustus cum COGNITORE MEO ROMAE HABERET remittere et quoD IS C SULPICIUS FAUSTUS EO NOMINE iudicatum solvi satIS DEDIT ACCEPTAM STIPULATIO nem ei facere IDEO SI SULPICIUS FaUS tus vadimonium qUOD EI CUM L fAENio tHalLO | | | |
4 Sept. 48
Die Streitbeilegung zwischen L. Faenius Eumenes und C. Sulpicius Faustus r
4
.................... .................... .................... .................... .................... ....................
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COgnitore mEO K Novembribus primis romae I Nov. 48 in foro auGUSTO ANTE Statuam cn senti saturnini TRIUMPHALEM HORA TERTIA HS . . . . . . . . deseruerit NEMINEM EX EA CAUSSA CUM C SULPICIO FAusto reo AUT CUM SPONSORE EIUS ACTURUM AUT a quo EORUM PETITURUM EXACTURUMQUE QUID eSSE SI ADVERSUS EA FACTUM ERIT QUANTI EA RES ERIT TANTam PECUNIAM DARI STIPULATUS EST C SULPICIUS FAUSTUS SPEPONDI L FAENIUS EumeNes QUODQUE C SULPICIUS faustus eo noMInE QUO DE AGITUR iUDICATUM solvi satis dediT INTERROGANTE EO ME EI ACCEptam stipulATIONeM FACERE ACTUM PUTEOLIS
Die wenigen Abkürzungen sind ohne weiteres verständlich: 2 l. 2 PRidie NONas SEPTembres; l. 13 Kalendis NOVEMRibus; l. 14 AUGusto; 3 l. 13 ACTum. 4 l. 2 pridie; l. 5 qua De Re. 1 l. 1 Kalendis. Innen- und Außenschrift weichen mehrfach voneinander ab. Die Schlußklausel lautet in der Außenschrift ACTUM PUTEOLIS, in der Innenschrift dagegen ACT PUTIOLLIS. PUTEOLIS ist die korrekte Schreibung, PUTIOLLIS eine bisher nicht bekannte vulgärlateinische Form16. Sie belegt die Lautentwicklung des postkonsonantischen – eo – zu – jo –, die eine Erscheinung des Jotazismus ist17. Mit diesem Lautwandel verschob sich der 15 Meine Lesung ist schon in der Beilage zu einem Vortrag veröffentlicht worden, den ich am 2. Oktober 1980 auf dem 23. Deutschen Rechtshistorikertrag in Augsburg gehalten habe, und hat alsbald auch die freundliche Zustimmung von Prof. Sbordone gefunden. 16 Zu der älteren Doppelschreibung in CAUSSA (2 l. 5, 3 l. 2, 4 l. 4 und 1 l. 4) vgl. etwa M. Leumann, Lateinische Laut- und Formellehre (1977) 180 f.; E. Kieckers, Historische lateinische Grammatik (1931, Nachdruck 1965) I 115, 160. Zu der altlateinischen e-Reduplikation in SPEPONDI (3. l. 7 und 1 l. 9) Leumann 586; Kieckers II 186 f. 17 Da die lateinische Schrift kein eigenes Zeichen für das Konsonantische i (= j) besitzt, ist dieser Schluß allerdings nicht zwingend. Die Annahme wird aber durch vier andere Urkunden des Fundes gestützt, die PUTOLIS haben: T. P. 15 vom 28. 6. 37, T. P. 16 vom 2. 7. 37, T. P. 17 vom 29. 8. 38 und T. P. 18 vom 5. 9. 39. Der Ausfall des i ist ohne den Lautwandel nicht denkbar und setzt die Palatalisierung des vorausgehenden t zu tj voraus, in der sich schon das heutige Pozzuoli ankündigt. Zu der Lautentwicklung vgl. Leumann 46, 129 f.;
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Akzent von e auf o18. Infolgedessen mußte die kurze Silbe tjo, um als Paenultima den Ton tragen zu können, gelängt werden. Dies könnte hier nicht durch Dehnung des Vokals, sondern durch Gemination des l geschehen sein19. Die unterschiedliche Schreibung der Schlußklausel in den beiden Redaktionen nötigt zu dem Schluß, daß Innen- und Außenschrift, wie in anderen Urkunden des Fundes, von verschiedenen Personen geschrieben worden sind. Unter dieser Voraussetzung sind auch die übrigen Abweichungen leicht zu erklären. neminem . . . ACTURUM . . . ESSET (3 l. 2 – 4) statt ESSE, wie in der Außenschrift (1 l. 6), beruht wahrscheinlich auf einem Hörfehler des Schreibers, dem der Text diktiert wurde. EI ACCEptam stipulATIONeM FACERE (1 l. 12) statt FECISSE, wie in der Innenschrift (3 l. 12), ist offensichtlich durch das im Urkundentext vorausgehende ACCEPTAM STIPULATIOnem ei facere (4 l. 9 – 10) verursacht. A NOBIS (2 l. 6) ist so richtig wie AB NOBIS (4 l. 5) und SI ADversus EA QUID fACTUM EriT (3 l. 4 – 5) war ebenso üblich wie SI ADVERSUS EA FACTUM ERIT (1 l. 7). Ein Schreiberversehen ist RO (3 l. 2): das Formular hatte offenbar reo (wie ich darum die Außenschrift 1 l. 4 ergänze). Auch in den Juristen bezeichnet reus den Hauptschuldner im Gegensatz zum Bürgen20. Die Ergänzungen ME ID VADIMONIUM . . . remitTERE (2 l. 8 und 4 l. 8)21 und SI . . . vadiMONIUM . . . des ERUeRIT (3 l. 1 und 1 l. 3)22 werden durch den Kontext gefordert und durch die Interpretation der Urkunde erläutert.
III. 1. Die Kontrahenten der Streitbeilegung sind L. Faenius Eumenes und C. Sulpicius Faustus. L. Faenius Eumenes und sein Kognitor L. Faenius Thallus gehörten möglicherweise zu den Faenii thurarii23, einer Gruppe von Freigelassenen24 eines L. Faenius Kieckers I 88; V. Väänäen, Le Latin vulgaire des inscriptios pompéiennes (3. Aufl. 1966) 36 f. 18 Leumann 243. 19 Bei Dehnung des Vokals wäre die Doppelschreibung nicht berechtigt. Sie ist allerdings nur durch unsere Urkunde belegt, während die anderen von der korrekten Schreibung abweichenden Formen, die in den neuen Urkunden begegnen, die Gemination des l nicht haben: PUTELIS, PUTIOLIS, PUTOLIS. 20 Labeo bei Ulpian D. 4. 2. 14.6; Celsus D. 17. 1. 50 pr.; Julian bei Ulpian D. 34.3.5 pr., D. 34. 3. 10, D. 46.1.5; Marcellus D. 46. 1. 38 pr.; Papinian D. 46. 1. 49.2 u. ö. 21 Vadimonium remittere ist nicht belegt, wohl aber poenam, pignus, debitum, obligationem remittere: Heumann-Seckel s. v. remittere Ziff. 3. 22 Vadimonium deserere: Cic. Quinct. 48, 51, 57, 85; Sen. benef. 4.39.4. Vgl. auch Ulpian D. 2.11.4.4; Paulus D. 2.11.5.1, D 2. 8. 16. 23 So jetzt J. H. D’Arms, Commerce and Social Standing in Ancient Rom (1981) 168, für Eumenes, der ihm aus dem Vadimonium T. P. 32 bekannt war (die richtige Lesung des
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oder seines Hauses25, die den gewinnträchtigen Salben- und Weihrauchhandel betrieben. Sie sind durch Inschriften nachgewiesen in Rom26 und seiner kleinen Nachbarstadt Bovillae an der Via Appia27, für Lugdunum28, auf Ischia29 und in Puteoli30. C. Sulpicius Faustus ist einer der Protagonisten der neuen Urkunden. Er war Bankier, denn sehe ich recht, so beschreiben die Urkunden den Wirkungsbereich einer Darlehens- oder vielleicht Handelsbank. Faustus betrieb die Bank nicht allein. Bei dem Namen C. Sulpicius Faustus hat Sbordone mehrfach die Beischrift mator gelesen und mit mercator aufgelöst31; sein mator ist aber in Wahrheit überall ein maior. Faustus Maior war vermutlich ein älterer Verwandter, vielleicht der Vater des Faustus und vielleicht auch der Gründer des Bankhauses. Denn er begegnet uns nur in den ältesten Urkunden des Fundes aus den Jahren 29 und 35. Im Jahre 35 fungierte auch schon der jüngere Faustus, während der dritte und meistgenannte Sulpizier, C. Sulpicius Cinnamus, erst im Jahre 42 erscheint; er war ein Freigelassener des Faustus. Ein vierter Sulpicius ist Onirus, den wir aber erst in den jüngsten Urkunden aus dem Jahre 61 kennenlernen. Zwischendurch, im Jahre 51, tritt einmal, als Prokurator des Cinnamus, auch ein C. Sulpicius Eutychus auf32. Im Jahre 48, aus dem auch unsere Urkunde stammt, waren in den Geschäften des Bankhauses neben Faustus und Cinnamus noch vier Sklaven tätig33. Namens schon bei Manthe, Gnomon 53 [1981] 153); Thallus erscheint nur in unserer Urkunde und hier auch erst in deren cura secunda. 24 Eumenes und Thallus werden, mit der größten Wahrscheinlichkeit, durch eben ihre Kognomen als Freigelassene ausgewiesen. Dasselbe gilt für die meisten Faenii thurarii; nur der thurarius Puteolanus wird auch ausdrücklich als libertus bezeichnet: s. unten Anm. 30. 25 D’Arms 168, 169 bringt sie mit L. Faenius Rufus in Zusammenhang, der 55 praefectus annonae und 62 praefectus praetorio wurde: Stein, RE VI 1963 und PIR2 F 102. 26 CIL VI 5680: L. Faenius Primus; 9932: L. Faenius Favor. 27 L. Faenius Polybius und L. Faenius Celadus: der Epitaph ist abgebildet bei D’Arms fig. 25 vor S. 77. 28 CIL VI 9998 = D. 7611: L. Faenius Telesphorus unguentarius Lugdunensis; der Stein ist in Rom gefunden worden. 29 CIL X 6802: L. Faenius Ursio. 30 CIL X 1962 = D. 7615: L. Faenius L. f. Alexander. Über den vicus turarius und die Salben und Parfümfabrikation in Puteoli zuletzt G. Camodeca, in Puteoli 1 (1977) 65 f. und 3 (1979) 24 f. 31 Rend. 51 (1976) 145 ff.: T. P. 57 (ohne Jahresangabe); T. P. 58 aus dem Jahre 35; T. P. 62 vom 14. Juli 29. – T. P. 62 ist, unbemerkt, noch einmal in abweichenderer, schlechterer Lesung als T. P. 136 veröffentlicht worden von A. Landi, Atti dell’Accademia Pontaniana 29 (1980) 195. Die Abbildung Tav. XV gehört nicht zu T. P. 136 = T. P. 62; sie zeigt vielmehr die noch nicht veröffentlichte Außenschrift eines Triptychons vom gleichen Tag über ein Geschäft zwischen denselben Kontrahenten. 32 T. P. 39 vom 30. Oktober 51. Cinnamus hatte an diesem Tag an anderer Stelle auf dem Forum von Puteoli zu tun; er mußte einen Vadimoniumstermin wahrnehmen: T. P. 56, zweiter Text, nach meiner Lesung auch vom 30. Oktober 51.
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2. L. Faenius Eumenes hatte mit C. Sulpicius Faustus einen oder mehrere Kaufverträge geschlossen. Darüber war es zum Streit gekommen und Faenius Eumenes willens, vor Gericht zu gehen. Ein Vadimonium wurde vereinbart34: Faustus versprach, sich am 2. Juli 48 für den Gang vor den Duumvir zu stellen; vor der ara Augusti Hordioniana auf dem Forum von Puteoli wollte er sich zur dritten Stunde einfinden35. Eumenes hatte angekündigt, daß er die actio ex empto beantragen werde36. Was aus diesem Termin geworden ist, wissen wir nicht; offenbar sind die Kontrahenten aber zu keinem Ende gekommen. Denn am folgenden Tag, am 3. Juli 48, vereinbarten sie ein zweites Vadimonium, das auf den 5. Juli gestellt war; wieder wollte man sich auf dem Forum vor der ara Augusti Hordioniana zur dritten Stunde treffen37. Diesmal hatte Eumenes zwei Klagen angekündigt: was die eine
33 Eros, Titianus und Martialis; der Name des vierten ist nicht lesbar: T. P. 45, nach meiner Lesung (bisher nur veröffentlicht in der oben Anm. 15 genannten Beilage) vom 6. Oktober 48. 34 T. P. 32 (cura secunda): 2 1 VADIMONIUM FACTUM C SULPICIO 3 FAUSTO IN VI N IUL PRIM 2 Juli 4 PUT IN FORO ANTE ARAM 5 HORD HORA TERTIA 6 HS ICCC, ACTURUS EX 7 EMPTO DARI STIPULATUS 8 EST L FAENIUS EUME 9 NES SPOPONDIT C SULPI Das Ausstellungsdatum ist nicht erhalten. Der Zusammenhang sowohl mit unserer Urkunde wie mit T. P. 41 (unten Anm. 37) deutet jedoch auf das Jahr 48. 35 Der neueren von V. Arangio-Ruiz begründeten (La parola del passato 3 [1948] 129 ff..; BIDR 62 [1959] 226 ff.) inzwischen vielfach übernommenen (vgl. etwa M. Kaser, Das römische Zivilprozeßrecht [1966] 167 f.) Vadimoniuslehre kann ich nicht folgen. Sie beruht auf einem leider auch von Ferrari (Labeo 4 [1958] 172 ff.), A.-J. Boyé (Mélanges Lévy-Bruhl [1959] 33 ff.; Synteleia Arangio-Ruiz [1964] II 999 ff.) und L. Bove (Documenti 21 ff.) nicht aufgeklärten Mißverständnis der herkulanensischen Vadimoniumsurkunden (die des neuen Fundes folgen demselben Formular). In der Urkundenklausel ,Vadimonium factum Numerio Negidio‘ ist nicht, wie Arangio-Ruiz wollte, die handelnde Person der (nicht genannte) Kläger; sie besagt nicht, daß der Kläger dem Beklagten ein Vadimonium auferlegt hat. Die Klausel verwendet vielmehr, wie Gaius 4.184, den sogenannten Dativus auctoris und besagt darum, daß ein Vadimonium von Numerius Negidius geleistet worden ist. Damit bleibt es auch bei dem herkömmlichen Verständnis von Gaius 4.184. Ich komme an anderem Orte ausführlicher auf das Vadimonium zurück. 36 Er hatte damit der Editionspflicht genügt (Kaser, Zivilprozeßrecht 162 f.), was mit der Klausel ,-acturus ex empto‘ protokolliert worden war. 37 T. P. 41 (Cura secunda) 2 1 VADIMONIUM FACTUM C SULPICIO 2 FAUSTO III NON IUl PRI PUTEOLIS 5 Juli 3 IN FORO ANTE ARAM HORDIONIANAM 4 HORA TERTIA HS L MAIORIS 5 SUMMAE REM IN IUDICIUM 6 DEDUcturus et hs i dEPOSITI 7 ANULi arrae nOMINE
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anging, testiert die Vadimoniumsurkunde seine Erklärung, daß er auf Zahlung einer Summe Geldes von mehr als 50 Sesterzen zu klagen gedenke38; was die andere betraf, daß es um einen als Arrha hinterlegten Ring gehen werde. Ob die beiden Klagen am 5. Juli 48 in Puteoli anhängig wurden, wissen wir wieder nicht. Der Streit ging jedenfalls weiter. Demnächst sollte in Rom, vor dem Prätor, prozessiert werden. Vielleicht hatte man sich auf den stadtrömischen Magistrat geeinigt; vielleicht überstieg die alte oder die neue Sache die Zuständigkeit des Munizipalgerichts39: am 1. November wollte man vor dem Prätor verhandeln. Das Vadimonium war schon verabredet40, als man zu besserer Einsicht kam: Am 4. September 48 legten L. Faenius Eumenes und C. Sulpicius Faustus den Streit bei. Die Gründe kennen wir nicht; möglicherweise hatte man sich verglichen, vielleicht hatte Faustus, vielleicht Eumenes nachgegeben. Für den Prozeß in Rom waren indessen verschiedene Vorkehrungen getroffen worden, die Faustus belasteten. Um sie aufzuheben oder unschädlich zu machen, bedurfte es besonderer Abmachungen. Sie sind der Gegenstand unserer Urkunde. 3. Der Urkundentext ist ein Chirographum des L. Faenius Eumenes. Er gliedert sich in zwei Abschnitte; der erste (ich zitiere nach der scriptura interior) umfaßt auf Seite 2 den Text von Zeile 3 bis Zeile 10; der zweite Abschnitt, mit ideo angeschlossen, alles übrige auf Seite 2 und 3. Der erste Abschnitt dokumentiert eine conventio zwischen Eumenes und Faustus: ,L. Faenius Eumenes scripsi mihi convenisse cum C. Sulpicio Fausto‘; der zweite Abschnitt den Vollzug dieser Vereinbarung. v f c SULPICio FAUSTO IN iii nonAS iulias PRIMAS pUTEOLIS IN FORO aNTE ARAM aUG HORDIONIAnam 4 HORA TERTIA hs l MAIORIS SuM 5 MAE REI IN iudiciuM DEDUCTURUS 6 ET hs I DepoSITI ANULI ARRAE 7 NOMINe stiPUL EST L FaenIUS 8 EUMENES SpO C SULPICIuS FAuSTUS 9 ACT PUTEOL V NOn IUL 3 Juli 48 10 L VITELLIO L mesSALLA POBLICOLA COS 38 Das REM der scriptura interior (2 l. 5) ist dem REI der scriptura exterior (5 l. 5) vorzuziehen: vgl. Manthe, Gnomon 53 (1981) 156. 39 Im ersten Vadimonium (oben Anm. 34) betrug die poena, die Faustus für den Fall, daß er das Gestellungsversprechen nicht einhielt, versprochen hatte, immerhin 50 000 Sesterzen. Da die Bestimmungen des Edikts über die summa vadimonii (Gai 4.186) nicht für das außergerichtliche, in freier Vereinbarung getroffene Vadimonium galten, wird hier die poena in der Regel dem Streitwert entsprochen haben. Wir kennen jedoch nicht die allgemeine Streitwertgrenze, die in der frühen Kaiserzeit für die Munizipalgerichte galt: W. Simshäuser, Iuridici und Munizipalgerichtsbarkeit in Italien (1973) 195 ff. 40 Es wird in unserer Urkunde ausführlich zitiert (2 l. 12 – 3 l. 1); die summa vadimonii ist leider nicht lesbar. Das Vadimonium war cum satisdatione, nämlich durch einen Bürgen gesichert; dazu unten nach Anm. 49. 5
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(a) Ziel der Vereinbarung ist die Beilegung des Rechtsstreits zwischen den Kontrahenten: ,finiendae controversiae causa quae mihi cum eo est‘ (2 l. 4 / 5). In diesem Rechtsstreit haben beide Seiten einen Kognitor bestellt: ,qua de re ultro citro cognitores dati sunt‘ (2 l. 5 / 6)41. Diese Mitteilung ist für das Verständnis der Maßnahmen von Belang, die zum Zwecke der Streitbeilegung vereinbart worden sind; sie werden jetzt aufgeführt. Eumenes und Faustus haben erstens vereinbart, daß Eumenes auf ein Vadimonium verzichtet, das sein Kognitor mit Faustus abgeschlossen hat: ,convenisse . . . me id vadimonium quod Sulpicius Faustus cum cognitore meo Romane haberet remittere‘ (2 l. 6 / 8). Zweitens haben sie vereinbart, daß Eumenes die cautio iudicatum solvi erläßt, die Faustus ihm geleistet hat: ,convenisse . . . me . . . quod is C. Sulpicius Faustus eo nomine iudicatum solvi satis dedit acceptam stipulationem ei facere‘ (2 l. 8 / 10). Fragen wir sofort, warum Faustus die cautio iudicatum solvi übernommen hat, so werden wir von Gaius (4.101) dahin belehrt, daß der Beklagte, der einen Kognitor bestellte, dieses Versprechen leisten mußte; die Übernahme der cautio gehörte zur ordnungsgemäßen Defension: verweigerte sie der Beklagte, war der bestellte Kognitor kein idoneus defensor. Mit der cautio iudicatum solvi machte sich der Beklagte dem Kläger verbindlich für gehörige Prozeßführung, Erfüllung der Urteilsschuld und de dolo malo42. Ihre Übernahme war unerläßlich, weil der Kognitor sozusagen an die Stelle des Beklagten trat43: er wurde Prozeßpartei, auf seinen Namen wurde die condemnatio der Klagformel geschrieben (Gai 4.86 f.), und wurde er verurteilt, so schuldete er die Urteilssumme; nur die cautio bewirkte, daß die actio iudicati gegen den Kognitor verweigert und auf den Beklagten übertragen wurde44. Das Versprechen allein genügte allerdings nicht. Wie die meisten prätorischen Stipulationen war die cautio iudicatum solvi eine satisdatio (Gai 4.101): das Versprechen mußte durch einen Bürgen gesichert werden. Auch das war in unserem Fall geschehen; mit technischer Genauigkeit berichtet nämlich das Chirographum, daß C. Sulpicius Faustus ,iudicatum solvi satis dedit‘ (2 l. 8 / 10). (b) Mit der conventio allein war Faustus nicht geholfen; sie berührte weder den Bestand der cautio noch den des Vadimoniums. Faustus konnte nur dann sicher sein, aus diesen Verpflichtungen keinen Schaden davonzutragen, wenn das Vereinbarte auch durchgeführt wurde. Und das war geschehen. Die Aufhebung der cautio iudicatum solvi war unproblematisch. Eumenes hat die Stipulationsverpflichtung in der gehörigen Form, durch Akzeptilation, erlassen und damit aus der Welt geschafft. Mit dem Bekenntnis dieses Erlasses (3 l. 9 / 12) schließt das Chirographum: ,interrogante eo me ei acceptam stipulationem fecisse‘. Ultro citro drückt die Reziprozität aus; vgl. etwa Caes. b. civ. 1.20.4. Lenel, Das Ediktum perpetuum (3. Aufl. 1927) 530 ff.; Kaser, Zivilprozeßrecht 210 f. 43 So vom Kognitor des Klägers: Gai 4.97; Kaser, Zivilprozeßrecht 152 ff. 44 F. L. v. Keller, Der römische Civilprocess und die Actionen, 6. Ausgabe bearb. v. Adolf Wach (1883) 289; Kaser, Zivilprozeßrecht 210. 41 42
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Wie dagegen konnte Eumenes das Vadimonium ,zurücknehmen‘, mit dem Faustus beschwert war? Die Schwierigkeit war darin begründet, daß nicht Eumenes das Vadimonium abgeschlossen hatte. Faustus hatte seine Gestellung dem Kognitor des Eumenes, L. Faenius Thallus, versprochen: am 1. November 48, auf dem Augustusforum in Rom, vor dem Standbild des Cn. Sentius Saturninus, zur dritten Stunde; und für den Fall, daß er sich nicht einfände, die Zahlung einer Summe Geldes (2 l. 12 – 3 l. 1)45. Thallus hätte die Stipulation ohne weiteres erlassen können, Eumenes konnte es nicht; und sie verfiel, wenn Faustus sich nicht am 1. November in Rom, auf dem Augustusforum, an der vereinbarten Stelle, einfand. Eine direkte Lösung zwischen Eumenes und Faustus gab es also nicht: das Vadimonium konnten sie nicht aus der Welt schaffen. Wenn das Vadimonium verfiel, mußte Faustus gewärtigen, daß ihn Faenius Thallus mit der actio certae creditae pecuniae auf Zahlung der stipulierten poena verklagte. Da Eumenes das Vadimonium nicht aufheben konnte, blieb ihm nur die Möglichkeit, Faustus vor dieser Gefahr zu sichern. Aber auch das war nur mittelbar möglich. Eumenes hatte es nicht in der Hand, die Klage zu verhindern, und auch das Versprechen, daß Thallus ihn nicht verklagen werde, hätte keinen Bestand gehabt; es wäre an der Regel nemo alienum factum promittendo obligatur gescheitert46. Wo Ulpian diese Fragen für die stipulatio habere licere erörtert, gibt er den allgemeinen Ratschlag: At si quis velit factum alienum promittere, poenam vel quanti ea res sit potest promittere47. Eumenes und Faustus waren 150 Jahre früher nicht anders beraten. Für den Fall, daß Faustus, wie vorgesehen, das Vadimonium nicht befolgte (,si Sulpicius Faustus vadimonium . . . deseruerit‘: 2 l. 12 – 3 l. 1), versprach ihm Eumenes in einer Stipulation, daß ihn niemand ex ea caussa verklagen, und wenn es doch geschehen sollte, er ihn schadlos halten werde (,si adversus ea quid factum erit, quanti ea res erit, tantam pecuniam dari‘: 3 l. 4 / 6)48. Eumenes versprach Faustus, daß niemand ihn verklagen werde. Dieser Wortlaut ist darum auffällig, weil man annehmen möchte, daß Faustus überhaupt nur von Thallus hätte in Anspruch genommen werden können. Der Ausdruck ist jedoch technisch, und seine Bedeutung geht in eine andere Richtung; sie wird von Ulpian im selben Zusammenhang erläutert: Si nemo controversiam faciat, hoc est neque ipse reus neque heredes eius heredumve successores49. 45 Faustus selbst und nicht der von ihm bestellte Kognitor hatte also das Vadimonium versprochen. Das bedeutete, daß auch er das Vadimonium einlösen mußte, der Vadimoniumstermin also nicht von seinem Kognitor wahrgenommen werden konnte. Vor dem Prätor hätte der Kognitor dann allerdings fungieren können. 46 D. 45. 1. 38 pr. Ulp. 49 Sab.; vgl. auch D. eod. 50 pr. Ulp. 50 ed. und D. eod. 83 pr. Paul. 72 ed. Zu diesen Stellen zuletzt M. Kaser, in ZSS 90 (1973) 192 ff., 200 f. 47 D. 45. 1. 38.2. 48 Die Stipulationsklausel ,quanti ea res erit‘ untersucht M. Kaser in dem schon angeführten Aufsatz in ZSS. 90 (1973) 184 ff. Das Eigentümliche der Stipulation unserer Urkunde liegt darin, daß das stipulierte non facere überhaupt nur von einer bestimmten dritten Person (oder ihren Erben) erbracht werden kann.
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Das Vadimonium war cum satisdatione, nämlich durch einen Sponsionsbürgen gesichert. Das müssen wir annehmen, weil Eumenes zugesichert hat, daß aus dem vadimonium desertum niemand ,C. Sulpicius Faustus, den Hauptschuldner, oder seinen Bürgen‘ (3 l. 2 / 3) verklagen werde50. Mit diesem Schluß könnte man zögern, weil die Bürgschaft im übrigen nicht erwähnt wird. Die außerordentliche Präzision, mit der das Chirographum abgefaßt ist, verbietet jedoch, die Hinweise auf den Bürgen für ungedeckte Formularklauseln zu halten; eine strenge Interpretation, wie sie der konzentrierte Text fordert, muß vielmehr zugestehen, daß in der Streitbeilegung eine Bürgensicherung nur an dieser Stelle zu berücksichtigen und ihre Erwähnung an anderem Orte, etwa schon in der conventio, für das Verständnis der Zusammenhänge nicht erforderlich war. Soweit die Urkunde das Vadimonium wiedergibt (2 l. 12 – 3 l. 1), entspricht es in jedem Detail dem Formular, dem sowohl die herkulanensischen51 wie die zahlreichen Vadimoniumsurkunden des neuen Fundes52 ausnahmslos folgen53. Diese Übereinstimmung spricht zunächst dafür, daß, wie wir von all den anderen annehmen, auch das Vadimonium, das Faustus und Thallus abgeschlossen haben, außergerichtlich und freiwillig, zur Vorbereitung des ersten Gangs vor den Gerichtsmagistrat vereinbart worden ist. Das außergerichtliche Vadimonium konnte ohne weiteres durch eine Bürgschaft gesichert werden. Da sein Abschluß aber im Belieben der Kontrahenten stand, wird eine Bürgenstellung die Ausnahme gewesen sein, und wirklich enthält keine der herkulanensischen und keine der 15 neuen Vadimoniumsurkunden auch nur einen Hinweis auf eine Bürgensicherung. Das gerichtliche, vom Magistrat erzwingbare Vadimonium54, das der Vertagung55 oder der Verweisung des Rechtsstreits nach Rom56 diente, mußte dagegen in bestimmten Fällen, die im Edikt geregelt waren, cum satisdatione abgeschlossen werden. So war die Bürgenstellung für die Vadimonien der Prozeßvertreter vorgeschrieben57. Möglicherweise fiel auch das Vadimonium, das Faustus und Thallus vereinbart haben, unter die Vorschrift. Vielleicht diente es der Überleitung eines 49 D. 45. 1. 38.2. Die Erläuterung zielt offenbar auf den formularen Ausdruck. Die Interpolationsannahmen sind unbegründet; M. Kaser, in ZSS. 90 (1973) 194 Anm. 58. 50 Oder ,a quo eorum‘ etwas fordern oder eintreiben werde (3 l. 3 / 4). Zu der bekannten Trias actio petitio persecutio die hier leicht variiert wird, zuletzt eingehend F. Sturm, Stipulatio Aquiliana (1972) 146 ff. 51 G. Pugliese Carratelli, La parola del Passato 3 (1948) 168 ff.: T. H. 13, 14, 15; V. Arangio-Ruiz, BIDR. 62 (1959) 226 ff.: T. H. 14 und 15. 52 Siehe vorerst L. Bove, Documenti 21 ff., und dazu immer U. Manthe, Gnomon 53 (1981) 152 ff. 53 Vgl. insb. die auf Rom gestellten Vadimonien T. P. 3, 4 und 33. 54 M. Kaser, Zivilprozeßrecht 167 ff. 55 Lenel, Edictum 80 ff. 56 Lenel, Edictum 55 f. 57 Paul. D. 50. 17. 110.1; Lenel, Edictum 81 Anm. 4. Die anderen Fälle sind nicht überliefert und nicht zu erschließen.
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Verfahrens von Puteoli nach Rom, weil die Streitsache, die Faenius oder Thallus vor den Duumvir gebracht hatte, der Munizipaljurisdiktion entzogen war58. Es wäre dann das einzige gerichtliche Vadimonium, von dem die neuen pompejanischen Tafeln Kunde geben.
58 Zur Bürgenstellung beim vadimonium Romam faciendum M. Kaser, Zivilprozeßrecht 170 Anm. 35.
Das sogenannte Ladungsvadimonium I. Vorbemerkungen über den römischen Zivilprozeß Das ordentliche Gerichtsverfahren des klassischen römischen Rechts war der Formularprozeß1. Diese Verfahrensform hatte sich noch im 3. vorchr. Jh. aus dem Legisaktionen- oder Spruchformelprozeß entwickelt, die ältere Prozeßform endgültig aber erst in augusteischer Zeit von der Gerichtsbühne des Prätors verdrängt. Beide Prozeßformen kennzeichnete die Teilung des Verfahrens in zwei nach Zeit und Ort getrennte Abschnitte: den prozeßeinleitenden in iure, vor dem Prätor, und den apud iudicem, einem Geschworenen, den der Magistrat ernannte und anwies, nach Maßgabe seiner Instruktion den Beklagten zu verurteilen oder loszusprechen. Diese Teilung des Verfahrens zwischen Magistrat und privatem Urteilsrichter war nicht ursprünglich, aber frühzeitig vollzogen worden. Schon die XII Tafeln kannten eine legis actio per iudicis arbitrive postulationem (Gai 4, 17a); die wenig jüngere Klagart per condictionem war so benannt, weil sie vorsah, daß der Kläger dem Beklagten einen Termin iudicis capiendi causa „kondizierte“, d. h. ansagte (Gai 4, 17b); und es ist nicht unwahrscheinlich, daß nach diesen Vorbildern auch für die älteren Klagarten des Spruchformelverfahrens die Zweiteilung wo nicht verbindlich, so doch üblich wurde. Dem Schriftformelverfahren war sie von Anfang an eigen. Eine zweite Eigentümlichkeit des römischen Prozesses war die Notwendigkeit der tätigen Mitwirkung des Beklagten bei der Einleitung des Verfahrens vor dem Prätor. Verweigerte sie nämlich der Beklagte, so wurde nicht etwa ein Versäumnisverfahren gegen ihn durchgeführt; vielmehr kam es überhaupt nicht zur Einsetzung eines Urteilsgerichts und damit auch nicht zu einem Urteil. Im älteren Prozeß erforderte die Streitbegründung den Austausch von Spruchformeln. Nicht so augenfällig war die Notwendigkeit der Mitwirkung des Beklagten bei der Streitbefestigung im Formularprozeß. Denn das Formularverfahren hatte den altertümlichen Formalismus der Spruchformeln abgestoßen. Das Verfahren in iure vollzog sich jetzt in formloser Verhandlung über das Streitprogramm, das der Prätor als Instruk1 Neuere Gesamtdarstellungen: M. Kaser, Das römische Zivilprozeßrecht, München 1966, 107 – 338 mit weit. Hinweisen 15 f.; G. Pugliese, Il processo formulare romano II, Milano 1963; L. Wenger, Institutionen des römischen Zivilprozeßrechts, München 1925, 76 – 245. Aus der älteren Literatur: M. A. von Bethmann-Hollweg, Der römische Civilprozeß II, Bonn 1865; F. L. von Keller, Der römische Civilprozeß und die Aktionen, 6. Aufl. bearb. von A. Wach, Leipzig 1883, 110 – 371. Das Folgende nach J. G. Wolf, Die litis contestatio im römischen Zivilprozeß, Karlsruhe 1968, 4 ff., 39 ff.
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tion für den iudex in der sogenannten formula schriftlich niederlegte. Verbunden mit der Ernennung des iudex war diese formula der Gegenstand des Dekrets, mit dem am Ende des ersten Verfahrensabschnitts der Prätor das Urteilsgericht einsetzte. Das Urteilsgericht hieß iudicium; seine Einsetzung, in der Terminologie des Spruchformelverfahrens iudicem dare, war im Formularprozeß iudicium dare.
II. Die Funktion des Vadimoniums Den Gegner vor Gericht zu bringen, war Sache des Klägers; das Instrument die in ius vocatio2. Die Ladung mußte mündlich erklärt werden, der Geladene auf der Stelle vor Gericht folgen. In der Frühzeit geschah sie vermutlich in förmlicher Rede3; und nach Zwölftafelrecht durfte der Verfolger den widerstrebenden Gegner mit Gewalt vor den Magistrat bringen. Im 1. nachchr. Jh. war diese erlaubte Eigenmacht jedoch längst abgelöst; jetzt war es der Prätor, der durch mittelbaren Zwang die Ladung erleichterte und sicherstellte, daß der Geladene vor Gericht folgt: Wer sich der Ladung fraudationis causa entzog oder wer, vor Gericht „gerufen“, der Ladung nicht folgte und auch nicht von einem anderen verteidigt wurde, mußte gewärtigen, daß sein Vermögen vom Prätor beschlagnahmt und dem Verfolger zur Liquidation und Befriedigung aller Gläubiger überwiesen wurde4. In ihrer Wirkung ist sich die in ius vocatio dagegen stets gleich geblieben. Sie war immer nur geeignet, den Gegner mit sofortiger Folgepflicht zu laden5: eine Ladung auf einen künftigen Zeitpunkt ließ sie nicht zu. Mit diesem Zwang zu sofortiger Folge schloß sie für Kläger und Beklagten eine Vorplanung aus6 und war eigentlich nur verwendbar, wenn die Gerichtsstätte nicht fern und der Magistrat zur Verfügung war. Wegen dieser Nachteile der in ius vocatio war es frühzeitig feste Übung geworden, daß Kläger und Beklagter ein vadimonium vereinbarten7: Kamen sie überein, Kaser, RZ 163 ff.; Pugliese II 370 ff.; O. Lenel, Das Edictum Perpetuum3, Leipzig 1927, 65 ff.; eigenwillig O. Behrends, Des Zwölftafelprozeß, Göttingen 1974, 11 ff. 3 Kaser, RZ 48; Keller 229 Anm. 524a. Gegen certa verba: Pugliese I 255; Bethmann-H. I 105. Plautus und Terenz belegen für ihre Zeit allerdings schon die freie Wortwahl: P. Witt, SDHI 37 (1971) 227 ff. 4 Der Verfolger konnte die Beschlagnahme beantragen im einen Fall nach der Ediktsklausel Qui fraudationis causa latitabit, im anderen nach der Klausel Qui absens iudicio defensus non fuerit: Lenel, EP 415 f.; Kaser, RZ 163 ff.; Pugliese II 374 ff. Gegen den Geladenen, der nicht folgte und auch keinen vindex (s. Anm. 5) stellte, verhieß der Prätor außerdem eine Strafklage: Lenel, EP 71. 5 Der sofortigen Folgepflicht konnte sich der Geladene allerdings dadurch entziehen, daß er einen vindex stellte. Der vindex stand dem Kläger dafür ein, daß der in ius vocatus an einem späteren, vom Prätor dekretierten Termin in iure erschien: Kaser, RZ 165 f.; Pugliese II 383 ff.; Lenel, EP 65 ff. 6 Pugliese II 401; Bethmann-H. II 198 f. 2
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wo und wann sich der Beklagte für den Gang vor den Prätor stellen sollte, so versprach der Beklagte die Gestellung in einer Stipulation; in aller Regel machte er sich außerdem verbindlich, wenn er nicht erschiene, eine Strafe zu zahlen8. Das Muster dieser außergerichtlichen, im Vorfeld des Verfahrens in freier Vereinbarung getroffenen Regelung war das unter prätorischem Zwang von den Streitparteien in iure vereinbarte vadimonium, wie es sich für den Fall entwickelt hatte, daß die Verhandlung vor dem Prätor vertagt werden mußte9. In älterer Zeit10 mußte nämlich der in ius vocatus, wenn das Verfahren in iure nicht in einem Termin beendet werden konnte und er nicht vom Kläger in Haft genommen werden wollte, einen oder mehrere ,Bürgen‘ beibringen, die dem Kläger sein Wiedererscheinen versprachen. Der Gestellungsbürge hieß vas11 und nach ihm die Haftung, die er übernahm, vadimonium12. Der vas haftete dem Kläger, 7 Kaser, RZ 170; Pugliese I 268 ff., II 401 ff.; Bethmann-H. II 198 ff.; Steinwenter, RE 7A (1948) 2057; A. Fliniaux, Le vadimonium, Paris 1908, 104 ff. 8 S. u. nach Anm. 31. 9 GAI 4, 184 ff.; Pap 2 quaest D. 45. 1. 115 pr.: Ita stipulatus sum: ,te sisti certo loco: si non steteris, quinquaginta aureos dari spondes?‘ si dies in stipulatione per errorem omissus fuerit . . . S. außerdem: Ulp 77 ad ed D. 45. 1. 81 pr. (huic stipulationi wahrscheinlich itp. für vadimonio); Ulp 47 ad Sab D. 2.5.3 (in iudicio sisti itp. für vadimonium); Cels 26 dig D. 45. 1. 97 pr.; Paul 3 quaest D. 45. 1. 126.3; Nerat 2 membra D. 2. 11. 14 – Lenel, EP 80 ff., 515; Steinwenter, RE 7A (1948) 2058; Fliniaux 62 ff. Die klare Konzeption eines, in aller Regel, doppelten Versprechens: nämlich der Gestellung und einer poena, ist unter dem Einfluß einer neuen, von Arangio-Ruiz entwickelten Vadimoniumslehre verwischt bei Kaser, RZ 68, insb. Anm. 8; Pugliese II 402; dazu u. nach Anm. 35. – Von Gerichts wegen verfügt (Val. Prob. 6,63) wurde das Vadimonium außerdem bei ,Verweisung‘: Der Prätor verlangte von dem Geladenen, der ein ius domum revocandi geltend machen konnte (Ulp 3 ad ed D. 5.1.2.3; Kaser, RZ 182; Pugliese II 157), seine Gestellung an seinem Wohnsitz zu versprechen: D. 5.1.2.6 (cavere in iudicio sisti itp. für vadimonium facere); Fliniaux 49 f. Andererseits dekretierte der Munizipalmagistrat dem Geladenen, ein Vadimonium Romam zu versprechen (Lex Rubria [CIL I 205] cap. 21 i. f.), wenn die Streitsache seiner Jurisdiktion entzogen oder wenn er unzuständig war und die Parteien sich seiner Gerichtsbarkeit auch nicht unterwerfen wollten: Kaser, RZ 170; Lenel, EP 55 f.; Fliniaux 114 ff. Der Magistrat erzwang die Vadimoniumsleistung bei Vertagung und Verweisung allerdings nur dann, wenn der Widersacher in ius vocatus fuerit (Gai 4, 184). Der in ins voraus mußte auch der Ladung vor einen unzuständigen Jurisdiktionsmagistrat folgen (Paul I ad ed D. 2.5.2 pr.; Ulp 5 ad ed D. 5.1.5). In Italien war darum die Ladung vor den Munizipalmagistrat das gegebene Mittel, dem Klaggegner, wenn die Streitsache vor den Prätor gehörte, ein Vadimonium ,nach Rom‘ abzunötigen; vgl. Fliniaux 116 f. Angesichts gerade dieser Möglichkeit wird sich der Verfolgte jedoch regelmäßig zu einem außergerichtlichen Vadimonium verstanden haben. 10 Kaser, RZ 51; Pugliese I 266 f.; Steinwenter, RE 7A (1948), 2055 f.; Fliniaux 1 ff.; wieder eigenwillig O. Behrends (o. Anm. 2) 51 ff. u. ö. 11 Die germanischen und litauischen Parallelen (Walde-Hofmann, Lat. etymologisches Wörterbuch II, Heidelberg 1972, 735 f.) ergeben kaum mehr als eine gemeinsame indoeuropäische Grundbedeutung ,Garantie‘. 12 Vgl. patri-monium, matri-monium und testi-monium. Damit gehören alle von Personalsubstantiven mit -monium gebildeten Abstrakta der Rechtssprache an. Testimonium wird bei Gell. 15. 13. 11 schon für die Zwölftafeln (T. 8,22) belegt.
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wenn er den Beklagten nicht stellte, persönlich, konnte aber seine Haftung durch eine Geldzahlung ablösen. Dies führte dazu, daß er bei der Haftungsübernahme neben der Gestellung des Beklagten eine Strafsumme für den Fall versprach, daß die Gestellung nicht erfolgte. Die Bezeichnung vadimonium blieb dem Geschäft, als in jüngerer Zeit der Prätor, wenn die Verhandlung vertagt werden mußte, auf die Gestellungsbürgschaft eines vas verzichtete und genügen ließ, daß der Beklagte selbst seine Gestellung zum neuen Termin, und für den Fall, daß er nicht erschiene, auch eine poena dem Kläger versprach. Der Formularprozeß hat das vadimonium nur in dieser jüngeren Form gekannt; sie ist in den Bestimmungen des prätorischen Edikts vorausgesetzte13, und sie war auch die Vorlage für das sogenannte Ladungsvadimonium14. Seit den ersten modernen Darstellungen des römischen Gerichtsverfahrens gilt die Meinung, das ,Ladungsvadimonium‘ sei an die Stelle der in ius vocatio getreten; wo es vereinbart wurde, habe es statt ihrer gewährleisten sollen, daß der Verfolgte vor dem Gerichtsmagistrat erscheine15. Zweifel an dieser Vorstellung hätten schon die Vadimoniumsurkunden aus Herkulaneum begründen müssen16; nach dem neuen Urkundenfund von Pompeji ist ihre Revision überfällig17. Mit dem vadimonium nahm der Verfolger nicht die Verpflichtung auf sich, „vor dem Gerichtsmagistrat“18 zu erscheinen. Die Urkunden belegen ausnahmslos, daß Lenel, EP 515. So oder ,Zitationsvadimonium‘ wird häufig und, wie wir jetzt sehen, zu Unrecht das außergerichtliche zur Unterscheidung vom gerichtlichen ,Vertagungs-‘ oder ,Dilationsvadimonium‘ genannt. 15 Statt aller: Keller 238; Bethmann-H. 198 f.; Wenger (o. Anm. 1) 94; Pugliese I 268, II 401; Kaser, RZ 170; Fliniaux 42, 62 f., 104 ff. u. ö.; Steinwenter, RE 7A (1948), 2057; A. Berger, Encyclopedic Dictionary of Roman Law, Philadelphia 1953, Vadimonium facere adversario; J. M. Kelly, Roman Litigation, Oxford 1966, 6; O. Behrends (o. Anm. 2) 19; Q. Horatius Flaccus, Satiren, erklärt von A. Kiessling, 6. Aufl. erneuert v. R. Heinze (1957), . . . 149; Oxford Latin Dictionary (1968 – 81) s. v. vadimonium. 16 TH 6 (PP 1 [1946] 379 ff.), TH 13, 14 u. 15 (PP 3 [1948] 165 ff.). Die Protagonisten der Diskussion stellen sie auch da nicht in Frage, wo sie auf den Gestellungsort eingehen: V. Arangio-Ruiz, PP 3 (1948) 135 – 142; G. Ferrari, Labeo 4 (1958) 172 – 184; A. J. Boyé, Mél. Lévy-Bruhl, Paris 1959, 29 – 41; V. Arangio-Ruiz, BIDR 62 (1959) 226 – 234; A. J. Boyé, Synteleia Arangio-Ruiz II, Napoli 1964, 999 – 1007; L. Bove, Documenti processuali dalle Tabulae Pompeianae di Murecine, Napoli 1979, 30 – 36, 63, und U. Manthe, Gnomon 53 (1981) 155 – 158 (beide auch schon zu den neuen Vadimoniumsurkunden). Im übrigen ist die herkömmliche Vorstellung auch nicht mit den Quellen (Kaser, RZ 170 Anm. 37) vereinbar, auf die sie sich stützt; s. u. Anm. 28. 17 Über den Fund, seine Dokumentation und Publikation unterrichten L. Bove (Anm. 16) 1 ff. und, mit Ergänzungen, in seiner Rez. dieses Buches, U. Manthe, Gnomon 53 (1981) 150 ff.; außerdem, durch einen vorläufigen Überblick, J. G. Wolf, SDHI 45 (1979)142 Anm. 2, 165 Anm. 83; Freiburger Universitätsblätter 65 (Oktober 1979) 23 ff.; nach der erneuten Lesung aller Urkunden: Beilage zum Jahresbericht 1982 der Gerda Henkel Stiftung, 1983; vgl. außerdem Studi Sanfilippo VI, Napoli 1985, 769 ff. Anm. 2. Unter den Urkunden sind 15 Vadimonien und 6 Gestellungen; nur in 2 Gestellungsurkunden ist des Gestellungsort nicht erhalten. 13 14
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der Verfolgte vielmehr versprach, an einem bestimmten Tag, zu einer bestimmten Stunde, an einem genau bezeichneten Ort unweit der Gerichtsstätte sich einzufinden. In den fünfzehn Vadimoniumsurkunden des neuen Fundes ist der Gestellungsort zwölfmal in Puteoli, dreimal in Rom. Eine Streitbeilegung vom 4. September 4819 berichtet uns von einem vierten auf Rom gerichteten vadimonium, und eine testatio sistendi vom 31. Januar 4020 geht über eine Gestellung in Rom. Wie in den drei auch auf Rom gerichteten Vadimonien aus Herkulaneum ist der vereinbarte Treffpunkt immer in foro Augusto: und zwar, in den herkulanensischen Urkunden, je einmal ante signum Dianae Luciferae ad columnam (TH 6), ante tribunal praetoris urbani (TH 14) und ante aedem Martis Ultoris (TH 15); in den neuen pompejanischen dreimal ante statuam Cn Senti Saturnini triumphalem21 und je einmal ante aram Martis Ultoris proxume gradus22 und ante statuam Gra . . . ad columnam quartam proxume gradus23. Alle diese Vereinbarungen setzen offenbar voraus, was TH 14 für den Stadtprätor bezeugt: daß der Gerichtsmagistrat, vor dem die Kontrahenten der Vadimonien den Prozeß begründen wollten, sein Amt auf dem Augustusforum ausübte24. In den zwölf auf Puteoli gerichteten Vadimonien25 und den drei Urkunden über Gestellungen in Puteoli26 ist der Gestellungsort immer in foro und dort, mit zwei Ausnahmen, ante Kaser, RZ 167. J. G. Wolf, Studi Sanfilippo VI, Napoli 1985, 776 f. 20 TP 84 = TP 102: Sbordone, RNap 53 (1978) 255 u. 259; beide Lesungen sind verfehlt. Die cura secunda [demnächst Tabula Pompeiana Nova – TPN – 19] lautet: 1 c la]ECANiO BASSO COS 5 . . . a]d columNAM QUAR 2 q t]erentio pR K FEBR 6 tam pro]xUME GRADUS 3 rom]AE IN FORO AUGUSTO 7 hora n]ONA C 4 ante] stATUAM GRA . . . I 21 TP 3: Giordano, RNap 41 (1966) 113 Nr. 3 [= TPN 13); TP 4: Giordano, RNap 41 (1966) 113 Nr. 4 [= TPN 14]; und das Vadimonium, von dem die Streitbeilegung (s. Anm. 19) berichtet [= TPN 32]. 22 TP 33: Giordano, RNap 46 (1971) 186 Nr. 5, mit unrichtiger Ergänzung, s. Manthe, Gnomon 53 (1981) 153 [= TPN 15]. 23 TP 84 = TP 102: s. Anm. 20. 24 Das Augustusforum diente mit seinen Baulichkeiten in den ersten Jahrhunderten n. Chr. offenbar ausschließlich der Gerichtsbarkeit (anschaulich etwa Martial 7,51). Nach Sueton (Aug. 29,1) war das Forum für publica iudicia und sortiones iudicum vorgesehen. Die topographische Lit. und Abb. bei E. Nash, Bildlexikon zur Topographie des antiken Rom I, Tübingen 1961, 401 ff.; seitdem insb. P. Zanker, Forum Augustum, Tübingen 1969, mit Plänen und Abb.; F. Coarelli, Guida Archeologica di Roma, Verona 1974, 107 f. mit Abb.; die literarischen Quellen bei Iosephus Lugli, Fontes ad topographiam veteris urbis Romae pertinentes VI 1, lib. 16, Romae 1965, 15 – 37. 25 TP 1: Giordano, RNap 41 (1966) 110 ff. Nr. 1 [= TPN 1]; TP 41; Giordano, RNap 46 (1971) 192 f. Nr. 14, Sbordone, RNap 51 (1976) 148 f. Nr. 3 [= TPN 2]; TP 70: Sbordone, RNap 53 (1978) 249, u. TP 139: Landi, Atti Acc. Pontaniana 29 (1980) 196 [= TPN 3]; TP 2: Giordano, RNap 41 (1966) 112 Nr. 2 u. RNap 46 (1971) 196 [= TPN 4]; TP 32: Giordano, RNap 46 (1971) 185 Nr. 4, Landi, a. a. O. 192 [= TPN 5]; TP 36: Giordano, RNap 46 (1971) 18 19
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aram Augusti Hordionianam; die eine Ausnahme ist ein Vadimonium, das die Gestellung vor der curia der basilica Augusti Anniana vorsah, die andere eine testatio über eine Gestellung ante aram Augusti Suettianam27. Dieser Befund läßt wieder nur den Schluß zu, daß die Gerichtsstätte unweit dieser Gestellungsorte war, und das heißt hier: daß der städtische Gerichtsmagistrat seine Gerichtsbarkeit in einem der öffentlichen Gebäude auf dem Forum der Stadt ausübte28.
Erschien der Verfolgte zur festgesetzten Zeit am vorbestimmten Ort, so hatte er das vadimonium eingelöst. Er mochte dann mit dem Kläger ohne weiteres vor den Prätor gehen: aus dem vadimonium verpflichtet, ihm in ius zu folgen, war er nicht. Der Kläger konnte ihm diese Folge jedoch augenblicklich zur Pflicht machen, indem er ihn jetzt vor Gericht lud29. Unter den jetzt gegebenen Umständen war die in ius vocatio mit ihrer Verpflichtung zu sofortiger Folge durchaus praktisch; die Lage, in der sich die Beteiligten befanden, erfüllte genau die Bedingungen, unter denen sie verwendbar und ihre Verwendung auch angemessen war: die Gerichtsstätte war in nächster Nähe, der Magistrat verfügbar und der Verfolgte, wie der Kläger, auf die Verhandlung vorbereitet. Mit dem vadimonium hatten die Widersacher selbst diese Bedingungen einverständlich und planvoll herbeigeführt. Entgegen der geläufigen Vorstellung war das vadimonium mithin keine Form der Prozeßeinleitung, und entgegen der herkömmlichen Auffassung hat es die in ius vocatio nicht abgelöst; richtig ist vielmehr, daß es die Verwendbarkeit des Zwölftafelgeschäfts unter allen Veränderungen, die Rom und Italien erfuhren, bis 189 Nr. 9 [= TPN 6]; TP 106: Sbordone, RNap 53 (1978) 260 [= TPN 7]; TP 11: Giordano, RNap 41 (1966) 119 Nr. 11 [= TPN 8]; TP 12: Giordano, RNap 41 (1966) 120 Nr. 12 [= TPN 9); TP 38: Giordano, RNap 46 (1971) 190 Nr. 11 [= TPN 10]; TP 42 = TP 93: Giordano, RNap 46 (1971) 193 Nr. 16, Sbordone, RNap 53 (1978) 257 [= TPN 11]; TP 116: Sbordone, RNap 53 (1978) 263 [= TPN 12]. 26 TP 56 (1. Text): Sbordone, RNap 51 (1976) 151 Nr. 5 [= TPN 16]; TP 56 (2. Text): Sbordone a. a. O. [= TPN 17]; TP 101: Sbordone, RNap 53 (1978) 259 [= TPN 18]. 27 TP 116 (Anm. 25 i. f.) und TP 101 (Anm. 26). 28 Auch P. Quinctius hatte sich nicht verpflichtet, in iure zu erscheinen; in seinem berühmten, von ihm nicht eingehaltenen Vadimonium hatte er vielmehr versprochen, sich am 20. Februar 83 v. Chr. ad tabulam Sextiam zu stellen (Cic. Quinct. 25), bei einer Gedächtnistafel oder einem ,Bildstock‘ (Oxf. Lat. Dict. s. v. tabula 2b; anders Arangio-Ruiz, Marco Tullio Cicerone, Le orazioni per Publio Quinzio etc., 1964, 52: davanti all’albo di Sestio; s. auch 33 Anm. 11), vermutlich auf dem Forum oder in dessen nächster Nähe. – Ebensowenig ging das Vadimonium des Schwätzers in Horaz’ Satire I, 9 auf Gestellung in iure; er hatte vielmehr versprochen ad Vestae (aedem) sich einzufinden (I, 9, 35 – 37), einem kleinen Rundtempel am östlichen Ende des Forums in unmittelbarer Nähe des puteal Libonis, bei dem damals der Prätor sein Tribunal hatte; später (74 – 77) wurde er dann von seinem Widersacher in ius voziert und auf der Stelle mitgenommen (zu in ius rapere s. P. Witt, In ius vocare bei Plautus und Terenz, Diss. Freiburg 1971, 131 ff.). 29 Das war offenbar der übliche Gang der Dinge; Cic. Quinct. 61: Debere tibi dicis Quinctium, procurator negat; vadari vis, promittit; in ius vocas, sequitur; iudicium postulas, non recusat. Bei Vertagung erzwang der Magistrat das Vadimonium auch nur dann, wenn der Widersacher in ius voziert worden war (Gai 4, 184).
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an das Ende der ersten Kaiserzeit, nämlich solange erhalten und gesichert hat, wie der Formularprozeß in Geltung war30.
III. Die Vadimoniumsurkunden Die Urkunden aus Herkulaneum wie aus Pompeji folgen ausnahmslos demselben Formular, das sich aus dem Vergleich ihrer Texte ohne weiteres gewinnen läßt31. Ich gebe ihm folgenden Wortlaut: 1 2 3 4 5 6 7
Vadimonium factum Numerio Negidio in Kalendas Ianuarias primas Puteolis in foro ante aram Augusti Hordionianam hora tertia; HS M dari stipulatus est Aulus Agerius spopondit Numerius Negidius. Actum Puteolis
30 Die detaillierte Regelung der in ius vocatio im hadrianischen Edikt (Lenel, EP 65 ff.) und noch deren ausführliche Behandlung in den spätklassischen Kommentarwerken (Paul: Lenel, Pal. I 974 f.; Ulp: Pal. II 435) entsprachen darum durchaus aktuellem Bedürfnis. Auch die Interpretation von Ciceros Rede pro Quinctio aus dem Jahre 81 v. Chr. ist bisher davon ausgegangen, daß das Vadimonium eine Form der Prozeßeinleitung gewesen und an die Stelle der in ius vocatio getreten sei, und daß es wie diese den Beklagten verpflichtete, in iure zu erscheinen – obwohl die Rede selbst diese Annahme widerlegt (o. Anm. 28). Das Vermögen des P. Quinctius ist zugunsten seines Widersachers Sex. Naevius am 20. Februar 83 v. Chr. beschlagnahmt worden aufgrund der Ediktsklausel Qui fraudationis causa latitabit (s. o. Anm. 4) – und nicht, wie die meisten glauben, aufgrund der, auch umstrittenen, Klausel Qui absens iudicio defensus non fuerit (Lenel, EP 415; J. G. Wolf, Lit. cont. 14 mit Anm. 44). Denn dieser Tatbestand war nicht gegeben; absens bedeutete Abwesenheit in iure (Lenel, EP 414; Kaser, RZ 164 Anm. 24; anders Pugliese II 376), und in iure zu erscheinen, war Quinctius nicht verpflichtet, weil er nicht in ius voziert worden war, in seinem Vadimonium hatte er versprochen, sich ad tabulam Sextiam zu stellen (s. o. Anm. 28). Die Vermögensbeschlagnahme wäre aufgehoben worden oder hinfällig gewesen, wenn vor Ablauf der Proskriptionsfrist von 30 Tagen die Defension durch Quinctius selbst oder einen Dritten aufgenommen worden wäre. Quinctius war in Gallien; Sex. Alfenus wollte darum für ihn eintreten; die Verhandlung vor dem Prätor scheiterte aber: Alfenus erklärte sich zwar bereit, das iudicium anzunehmen, weigerte sich jedoch, die übliche cautio iudicatum solvi des Prozeßvertreters zu leisten. Cicero mußte darum, wollte er den Prozeß für sich entscheiden, das Gericht überzeugen, daß gleichwohl defensum esse iudicio absentem Quinctium (Quinct. 60 ff.). Die Möglichkeit, die Aufhebung der missio in bona durch Defension zu erwirken, hat mit einer Verheißung der missio in bona gegen den, der absens iudicio defensus non fuerit, grundsätzlich nichts zu tun; sie könnten aber, wenn es das Absenten-Edikt wirklich gab, von Cicero kontaminiert worden sein, was sich darum angeboten hätte, weil Quinctius absens war und seine Defension durch einen Dritten erfolgen mußte. Zu diesem Teil der Rede (60 ff.) vgl. J. G. Wolf, Lit. cont. 12 – 20. 31 Dasselbe Formular liegt auch den herkulanensischen Vadimoniumsurkunden TH 6, 13, 14 u. 15 zugrunde; vgl. Bove (o. Anm. 16) 62 ff. Zu dem 1875 im Hause des L. Caecilius Iucundus gefundenen Vadimonium (CIL IV Suppl. 1 Nr. 33) s. jetzt Arangio-Ruiz, PP 3 (1948) 136.
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Kalendis Decembribus . . . . . . . . . . . . cos.
In der Form des Protokolls verzeichnen die Urkunden ersichtlich zwei Akte: das eigentliche Vadimonium (Z. 1 – 4) und das Strafversprechen (Z. 5 u. 6). Das eigentliche Vadimonium war das Gestellungsversprechen des Beklagten. Vadimonium factum Numerio Negidio war die technische Ausdrucksweise für seinen Vollzug: es besagte, daß Numerius Negidius in einer Stipulation seine Gestellung versprochen hatte für den Tag, den Ort und die Stunde, die in den folgenden Klauseln (Z. 2 – 4) angegeben waren. Wer der Verfolger und Kontrahent des Vadimoniums war, ergab sich aus der testatio des Strafversprechens. Daß die Stipulation ein bedingtes Strafversprechen war, ergab sich wiederum aus ihrer Verbindung mit dem Vadimonium32. Das Formular war darum nur brauchbar, wenn mit dem Gestellungs- ein Strafversprechen verbunden wurde. Seine ausnahmslose Verwendung in allen, auch den herkulanensischen Vadimoniumsurkunden zeigt an, daß diese Verbindung durchaus die Regel war. Aus den Juristen wissen wir, daß die Doppelstipulation auch bei Vertagung regelmäßig vereinbart wurde33. Die Praxis des erzwingbaren gerichtlichen und des freiwilligen außergerichtlichen Vadimoniums folgte mithin einem einheitlichen Konzept34. Anders ist das Formular von Arangio-Ruiz verstanden worden35. Nach seiner Auslegung bedeutet Vadimonium factum Numerio Negidio nicht, daß der Verfolgte seine Gestellung vertraglich versprochen hat; der Ausdruck bezeichne vielmehr „un’ ingiunzione unilaterale dell’attore al convenuto“36. Die Vadimoniumsurkunden belehrten uns darum, daß entgegen der herkömmlichen und allgemeinen Auffassung das Vadimonium nicht ein Gestellungsversprechen gewesen sei und auch kein anderer Vertrag, sondern ein einseitiger Rechtsakt des Klägers: befehlsweise habe er den Verfolgten verpflichtet, sich zu stellen. Das ganze in den Urkunden berichtete Geschehen sei von folgendem Typus gewesen: Der Kläger habe sich an den Beklagten mit den Worten gewandt: Vadimonium tibi facio in diem . . . locum . . . horam: HS M dari spondesne?, und der Beklagte darauf geantwortet: Spondeo37. Diese Auslegung hat vielfache Zustimmung gefunden38. Sie ist jedoch nicht haltbar39. Vgl. Arangio-Ruiz, PP 3 (1948) 137 f. S. o. Anm. 9. 34 Davon wird durchweg auch ausgegangen, s. nur Fliniaux 37 ff., 104 ff.; Steinwenter, RE 7A (1948), 2056 ff. Ich vermute darum, daß auch das gerichtliche Vertagungs- und Verweisungsvadimonium den Vadimoniumsschuldner nicht verpflichtete, zum neuen Termin in iure zu erscheinen. Vielleicht war sogar das in der Streitbeilegung vom 4. September 48 [demnächst TPN 32] berichtete Vadimonium, weil die Streitsache vor den Prätor gehörte, vom Magistrat in Puteoli angeordnet worden: J. G. Wolf, Studi Sanfilippo VI, Napoli 1985, 788. 35 PP 3 (1948) 137 ff.; BIDR 62 (1959) 230 ff. 36 PP 3 (1948) 138; BIDR 62 (1959) 230. 37 PP 3 (1948) 138. 32 33
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Gaius behandelt in seinen Institutionen nur das im Edikt vorgesehene erzwingbare Vertagungsvadimonium. Das Vertagungsvadimonium unterschied sich von dem außergerichtlichen unserer Urkunden nach Anlaß und Zweck, nicht aber in seiner Struktur. Aus diesem Grunde bewährt sich die Gaius-Stelle auch als Schlüssel zum Verständnis des Urkundenformulars. Sie lautet (4,184): Cum autem in ius vocatus fuerit aduersarius neque eo die finiri potuerit negotium, uadimonium ei faciendum est, id est ut promittat se certo die sisti.
Dieser Text berichtet, daß der Klaggegner, der in ius voziert worden ist, wenn die Verhandlung nicht am selben Tag beendet werden kann, ein Vadimonium leisten muß, und definiert vadimonium facere als das Versprechen des Klaggegners, sich an einem bestimmten Tag zu stellen. Bei diesem Verständnis führt die GaiusStelle ohne weiteres zu unserer Auslegung von Vadimonium factum Numerio Negidio. Nach Arangio-Ruiz haben dagegen die Vadimoniumsurkunden das herkömmliche Verständnis der Gaius-Stelle als falsch erwiesen. Wie in der Urkundenklausel Vadimonium factum Numerio Negidio sei auch bei Gaius die handelnde Person nicht der Klaggegner, der adversarius, sondern der Kläger; Gaius sei dahin zu verstehen, daß der Kläger dem Beklagten ein Vadimonium auferlegen muß, und id est ut promittat se certo die sisti gebe keine Definition, sondern bezeichne den mit dem Vadimonium verfolgten Zweck40. Diese Kritik hat zutreffend beobachtet, daß Gaius dieselbe Ausdrucksweise verwendet wie das Formular. Sie verkennt jedoch dessen grammatische Konstruktion 38 Zum Teil allerdings mit modifizierten, nicht immer schlüssigen Vorstellungen über die (bindende? verpflichtende?) Wirkung der „ingiunzione unilaterale“ oder ,einseitigen Ansage‘: Kaser, RZ 167 f., insb. 168 Anm. 8, bestätigend ZSS 90 (1973) 207 Anm. 211; Pugliese II 402 f.; A. Berger, Encyclopedic Dictionary of Roman Law, Philadelphia 1953, s. v. Vadimonium facere adversario; Y. Bongert, Varia I, Paris 1952, 168 Anm. 1; Luzatto, St. Donati, 1954, 33 ff.; J. Coudert, Recherches sur les stipulations et les promesses pour autrui, Nancy 1957, 161 f.; Kunkel, Vestigia 17 (1973) 211 f.; R. Knütel, Stipulatio poenae, KölnWien 1976, 73; U. Manthe, Gnomon 53 (1981) 157 f.; C. St. Tomulescu, Rida 17 (1970) 329 ff., hält das Vadimonium der Urkunden für eine „nicht verpflichtende Einladung“, die von einer stipulatio poenae begleitet wurde. 39 Gegen Arangio-Ruiz haben Stellung genommen: G. Ferrari, Labeo 4 (1958) 172 – 184; nachdrücklich, aber nicht ohne Zugeständnisse A. J. Boyé, Mél. Lévy-Bruhl, Paris 1959, 29 – 41 u. Synteleia Arangio-Ruiz II, Napoli 1964, 999 – 1007; vielleicht auch Bove (o. Anm. 16) 33 ff., 63. Nach Ferrari ist das Strafversprechen (Z. 2 – 6) das Vadimonium, Vadimonium facto Numerio Negidio (Z. 1) nur die Überschrift der testatio. Nach Boyé sind die Urkunden zu verstehen, als lauteten sie: Vadimonium factum Numerio Negidio in (diem) (locum) (horam) ,Se sisti et nisi steterit‘ HS M dari stipulatus est Aulus Agerius, spopondit Numerius Negidius; vgl. Synteleia II 1001. Bove verzichtet auf eine „esegesi grammaticale“. Nach seiner Vorstellung von der Struktur des Vadimoniums (35) dürfte er in den Urkunden nur die ,sekundäre‘ Strafstipulation belegt finden; denn Vadimonium factum Numerio Negidio hält er für die „specificazione dell’invito rivolto al convenuto“ (63). 40 PP 3 (1948) 138. Ausdrücklich zustimmend: Kaser, Pugliese, Knütel (Anm. 38); Boyé (Anm. 39) 36; Bove 35.
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und verwirft darum zu Unrecht die herkömmliche Auslegung der Gaius-Stelle. Wie regelmäßig beim Gerundiv steht nicht selten auch beim Passiv und hier besonders gern bei den Formen des Perfektstammes die tätige Person im Dativ41. Einen der frühesten Belege dieser Ausdrucksweise bietet die Formularsprache mit der beim Kauf seit alters gebräuchlichen vom Käufer gesprochenen Abschlußform: estne mihi fundus emptus42 Diesen sogenannten Dativus auctoris, eine Spielart des Dativus commodi, verwendet auch die Klausel Vadimonium factum Numerio Negidio; sie besagt darum, daß ein Vadimonium von Numerius Negidius geleistet worden ist, und entspricht damit dem Bericht des Gaius, daß der Klaggegner das Vadimonium ,macht‘. Nur diese Zuordnung ist auch mit der Bildung und Bedeutung des Wortes vadi-monium vereinbar, und nur sie bewahrt auch dem erklärenden id est ut promittat se certo die sisti seinen verständigen Sinn als Definition von vadimonium facere43.
Statt a c. abl. Kühner-Stegmann, Ausführliche Grammatik der lat. Sprache, Satzlehre I4, Darmstadt 1962, 324 f.; Hofmann-Szantyr, Lat. Syntax u. Stilistik, München 1965, 96 f. 42 Varro rust. 2,2,5; Plaut. Epid. 471; Ulp. 28 ad Sab D 18.1.7.2; Paul 33 ad ed D 18. 1. 34.6. 43 Fliniaux 43; unrichtig Kaser, RZ 167 Anm. 6. 41
Haftungsübernahme durch Auftrag? Eine Urkunde aus dem Jahre 48 n. Chr. I. Zur Einführung Das Mandat verpflichtete den Beauftragten zur unentgeltlichen Besorgung des übernommenen Geschäfts; für seine Aufwendungen schuldete ihm der Auftraggeber jedoch Ersatz.1 Wegen dieser beiden Eigenheiten konnte das Mandat auch zu Sicherungszwecken verwendet werden. Seine erfolgreichste Anwendung als Sicherungsgeschäft war der Kreditauftrag.2 Die Verbindlichkeit des Kreditauftrags hat sich jedoch erst spät durchgesetzt.3 Ihrer Anerkennung stand noch zu Beginn der klassischen Jurisprudenz entgegen, daß der Auftrag nicht im Interesse des Beauftragten liegen durfte. Zwar blieb es immer dabei, daß die Besorgung des übernommenen Geschäfts nicht ausschließlich das Interesse des Beauftragten sein durfte. Wer pecunia otiosa auf Rat eines Dritten zinsbringend auslieh, konnte sich bei dem Ratgeber nicht schadlos halten, wenn er das Geld verlor; die Geldanlage war allein in seinem Interesse, der Ratschlag darum kein Auftrag.4 Diese Schranke stand nie zu Diskussion. Lange Zeit in Frage stand vielmehr die Verbindlichkeit des Auftrags, einer bestimmten Person ein verzinsliches Darlehen zu gewähren. Servius hat sie abgelehnt und damit ihre Anerkennung offenbar auf Jahrzehnte hinausgeschoben: ob man allgemein gebeten werde, sein Geld verzinslich auszuleihen, oder gebeten werde, es Titius verzinslich auszuleihen, mache keinen Unterschied.5 Für Servius war demnach entscheidend, daß die zinsbringende Anlage des Geldes im einen wie im anderen Fall im Interesse des beauftragten Darlehensgebers lag. Erst mit Sabinus gewann die Gegenmeinung die Oberhand. Sie gewann sie mit dem Argument, daß der Beauftragte ohne den Auftrag Titius kein Darlehen gewährt hätte.6 In dieser Argumentation ist nicht mehr das Interesse des Beauftrag1 Vgl. etwa Kaser, RP I 577 ff. – Literaturnachweise zum mandatum ebd. 577 A. 2 und II 603; Kunkel / Honsell, RP 335 A. 1. 2 Kaser, RP I 666 und 578. Neuere Lit. bei Kunkel / Honsell, RP 337 A. 17. Außerdem M. Marone, Istituzioni di diritto Romano (1989) 765 ff. 3 Gai 3.156. Dazu etwa Arangio-Ruiz, Il mandato in diritto Romano (1949) 119 ff. 4 Gai 3.156: Nam si tua gratia tibi mandem, supervacuum est mandatum; quod enim tu tua gratia facturus sis, id de tua sententia, non ex meo mandato facere debes. 5 Gai 3.156: Servius negavit: non magis hoc casu obligationem consistere putavit quam si generaliter alicui mandetur, uti pecuniam suam faeneraret. 6 Gai 3.156: sequimur Sabini opinionem contra sentientis, quia non aliter Titio credidisses, quam si tibi mandatum esset. – Arangio-Ruiz’ Kritik an Servius und Sabinus,
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ten das (negative, die Verbindlichkeit des Kreditauftrags ausschließende) Kriterium. Nach Sabinus spielt für die Verbindlichkeit des Auftrags keine Rolle, ob das übernommene Geschäft für den Beauftragten von Vorteil ist. Für Sabinus ist vielmehr entscheidend, daß der Beauftragte das Darlehen einer bestimmten Person gewähren soll: daß er nicht nach Gutdünken verfahren kann, in seiner Disposition also nicht frei und demnach ein Interesse des Auftraggebers im Spiel ist.7 Wie Gaius berichtet, war die Verbindlichkeit des Kreditauftrags zu seiner Zeit geltendes Recht.8 Aus den Digesten wissen wir, daß auch schon Julian9 und Celsus10 Sabinus folgten. Jetzt zeigt uns eine Urkunde aus dem neuen pompejanischen Urkundenfund11, daß sich die Verbindlichkeit des Kreditauftrags schon zu Sabinus’ Lebzeiten12 allgemein durchgesetzt hat: denn nur unter dieser Voraussetzung läßt (A. 3) 122 f., kann ich nicht teilen. Bei ihrer Kontroverse kommt es nicht auf die konkreten individuellen Absichten des Auftraggebers an; es geht vielmehr um die forma mandati (Celsus D 17. 1. 48.2), um objektive Kriterien des mandatum. 7 Vgl. de Zulueta, The Institutes of Gaius, Part II, Commentary (1952) 183. – Nach Meinung vieler hat Sabinus dagegen nur eine Ausnahme von der Unverbindlichkeit des Mandats tua gratia anerkannt: u. a. Bortolucci, Bull. 27 (1914) 161; Rabel, Grundzüge des römischen Privatrechts (1915, Neudr. 1955) 112 f.; Arangio-Ruiz (A. 3) 123. 8 Gai 3.156: sequimur Sabini opinionem. 9 D 46. 1. 13 Iul 14 dig (= D 17. 1. 27.5 Gai 9 ed pr, nur um wenige Worte verkürzt). 10 In D 17. 1. 48.1 u. 2 (7 dig) tastet Celsus die forma mandati aus. Der springende Punkt ist in beiden Fällen, daß der Beauftragte nicht Titius ein Darlehen gewähren, sondern den Darlehensnehmer selbst auswählen soll. Wenn nur vereinbart ist, daß der Auftraggeber die Gefahr tragen wird, liegt das Geschäft extra mandati formam – wie der Auftrag, daß sich (!) der Beauftragte irgendein Grundstück kaufen soll (§ 2); soll aber der Beauftragte das mutuum für Rechnung des Auftraggebers abschließen und ihm den Anspruch abtreten, so daß Gefahr und Vorteil den Auftraggeber treffen, liegt nach Celsus’ Entscheidung (puto) das Geschäft intra mandati formam (§ 1): obwohl der Beauftragte den Darlehensnehmer selbst auswählen soll, liegt die Gewährung des Darlehens im Interesse des Auftraggebers. 11 Über den Fund, seine Dokumentation und Publikation unterrichten: ausführlich L. Bove, Documenti processuali dalle Tabulae Pompeianae di Murécine (1979) 1 – 20; Nachträge und Ergänzungen: L. Bove, Documenti di operazioni finanziarie dall’archivio dei Sulpici. Tabulae Pompeianae di Murécine (1984) 167 – 174; mit einem vorläufigen Überblick J. G. Wolf, SDHI 45 (1979) 142 A. 2, 165 A. 83; FUB 65 (Oktober 1979) 23 – 26; Beilage zum Jahresbericht 1982 der Gerda Henkel Stiftung (1983) 43 – 45. Über das eigenartige Gebäude, in dem die Urkunden gefunden worden sind, und die Fundumstände: M. Pagano, RAAN 58 (1983) 325 – 361. – Inzwischen sind viele Urkunden, zum Teil mehrfach, neu ediert worden: G. Camodeca, Puteoli 6 (1982) 3 – 53, 7 / 8 (1984) 3 – 69, 9 / 10 (1986) 3 – 40, 12 / 13 (1988 / 89) 3 – 63 mit ,Indice delle TP. riedite‘; J. G. Wolf, locis cit.; ZPE 45 (1982) 245 – 253; Studi Sanfilippo 6 (1985) 769 – 788; J. G. Wolf / J. A. Crook, Rechtsurkunden in Vulgärlatein aus den Jahren 37 – 39 n.Chr., Abh. Heidelb. Akad., Phil.-hist.Kl. (1989) 3. Abh. – Die neuen Urkunden werden mit der Sigle TP und der Nummer der Erstausgabe zitiert (also etwa TP 1; das Zitat TP 81 = 130 bedeutet, daß die Urkunde irrtümlich zweimal ediert worden ist; das Zitat TP 70 + 139, daß verschiedene Teile derselben Urkunde unter verschiedenen Nummern ediert worden sind). Eine Übersicht der Fundstellen von TP 1 bis 89 gibt Bove (1979) 16 ff. und (1984) 167 ff. F. Sbordone, RAAN 53 (1978; erschienen 1979) 256 – 269: TP 90 bis 134. A. Landi, Atti della Accademia Pontaniana 29 (1980) 175 – 198, setzt die Reihe bis TP 141 fort, veröffentlicht aber außerdem noch 6 ,Addenda‘ und 7 ,Atramenta‘. Eine Gesamtausgabe
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sich erklären, daß im Jahre 48 n. Chr. ein Bankhaus in Puteoli zum Zwecke der Haftungsübernahme ein mandatum vereinbart hat.
II. Die Urkunde (TP 45) 1. Typus Die Urkunde ist ein Triptychon und mit allen drei Tafeln erhalten. Photographisch dokumentiert sind allerdings nur die Seiten 2, 3 und 5.13 Die Seiten 2 und 3 tragen die Innenschrift, die Seite 5 trägt die Außenschrift. Die Innenschrift ist nahezu vollständig, die Außenschrift etwa zur Hälfte erhalten. Dem Typus nach ist die Urkunde ein Chirographum.14 Darum ist anzunehmen, daß die Innenschrift vom Aussteller der Urkunde eigenhändig geschrieben worden ist; wie üblich hat er sie auch untersiegelt. Die Außenschrift stammt von anderer Hand. Im Text der Urkunde verwendet nur die Innenschrift Abkürzungen. 2. Text Die Urkunde ist zuerst von Francesco Sbordone veröffentlicht worden.15 Die erneute Lesung hat folgenden Text ergeben16: 2
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l vitELLIO FiLio l VIPSTANO POPLICOLA COS PR NON . . . . . . . . . . . . C IULIUS PRUDenS SCRIPSI ME ROGASSE C SULpiCIUM CINNAMUM EIQUE MANDASSE UTI QUantam CuMQUe pECUNIAM IS AUT EROS AUT . . . .
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unter dem Titel ,Tabulae Pompeianae Novae’‘ (TPN) ist in Vorbereitung. Die TPN-Nummer wird hier schon hinzugefügt. 12 Sabinus hat bekanntlich noch unter Nero geschrieben: Gai 2.218. 13 Durch die Photographien der „Soprintendenza alle Antichità delle Province di Napoli e Caserta – NAPOLI“: Seite 2: Photo 13 525 und 13 558; Seite 3: Photo 13 515; Seite 5: Photo 13 568 und 13 631. 14 Zum Folgenden vgl. Wolf-Crook (A. 11) 12 f. 15 RAAN 47 (1972, erschienen 1973) 307 ff. Abgedruckt: AnnEpigr 1974 Nr. 277. Sie hat die Sigle TP 45 [TPN 88], vgl. Bove, Documenti di operazioni finanziarie dall’archivio dei Sulpici (1984) 170, 168. 16 Der neue Text ist weithin das Ergebnis gemeinsamer Sitzungen mit Prof. J. A. Crook (Cambridge) und Prof. U. Manthe (Passau, damals Freiburg). Die Verantwortung für die Edition liegt jedoch uneingeschränkt bei mir. Die Innenschrift der Urkunde ist in nahezu gleicher Lesung provisorisch schon in der Beilage zu einem Vortrag veröffentlicht, den ich am 2. 10. 1980 auf dem 23. Deutschen Rechtshistorikertag in Augsburg gehalten habe. Die Revision des Datums (dort: 6. Okt. 48) ist veranlaßt durch Camodeca, Puteoli 6 (1982) 13 ff., insb. 17 A. 61.
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AUT TITIANUS AUT MARTIALIS SER EIUS AUT C SUlPiCIUs FAUSTUS aLIUSVE QUIS IUSSU ROGATU MANDATUve CUIUS EORUM SEMEL SAEPIUSVE SUAVI L MEO AUT HYGINO SER MEO ALIVE CUI IUSSU CUIUS EORUM Dedisset crEDIDISSET AUT PRO QUO EORUM PROMISISSET SPOPONdisset FIDEVE SUA ESSE IUSSISSET ALIOVE QUO NOmine oBLIGATUS ESSET QUANTAQUE EA PECUNIA erit quae ITA DATA CREDITAVE CUIUSVE pecUNIAE OBLIGATIO QUOQUE NOMINE ITA UTI supra CONPREHENSUM EST FACTA ERIT T P D dolumQUE MALUM HUIC REI PROMISSIONIQUe ABESSE AFUTURUMQUE ESSE A ME HEREDEQUE MEO ET AB IS OMNIBUS AD QuOS EA RES Q D A PERTINET CUI REI ITA DOLUS MALUS NON ABEST NON ABERIT QUANTI EA RES ERIT TANTAM PECUNIAM DARI HAEC SIC RECTE DARI FIERIQUE STIPULATUS EST C SULPICIUS CINNAMUS SPOPOnDI C IULIUS PRUDENS ACTUM pUTeolis l viteLLio L vIPSTANO POPLIcoLA cos pr non . . . c iulius prudens a. 48 scripsi me roGASSE C SULPICIuM cinnamum eique MANdAsse uti quantam cumQuE PECUNIAM is AUT Eros aut . . . aut titianus aut martialis SERvi EIUS AUT C SULPIcius faustus aliusve quis iussu rogatu manda TUVE CUIUS EORUM semel saepiusve suavi liberto meo aut HYGINO SERVo MEO ALIVE CUEI IUSSU CUius eoRum dedisset credidissET AUT PRO QUo EORUM PROMISISSET SPOPOndisset fideve sua esse iussisSET ALIOVE QUO NOMINE OBLIGATUS esset quantaQue ea PECUNIA ERIT QUAE ITA DATA CREDITAve cuiusVE pECUNIAE OblIGATIO QUOQUE NoMINE ITA UTI SUpra coNPReheNSUM EST FACtA ERIT tANTAM PECUNiAm dari DOLUMQUE MALUM huic REI proMISSIONIQUe Abesse AfutURUMQUE ESSE A ME heredeQUE MEO et AB IS OMNIBUS AD QUOS EA RES Qua De AGITUR PERTINet cueI REI itA DOLUS MALUS NON ABest nON ABERit quanti ea RES erit TANTAM PECUNIAM DARI haec SIC RECte dari fieriQue StipUlATus eST C SULPICIUS cinnAMuS SPOPOndi c iulius prudENS ACT puteOLIS
3. Satzbau Für einen Urkundentext ist der Satzbau ungewöhnlich kompliziert. Der Text besteht aus zwei Perioden. Die erste beginnt mit C. IULIUS PRUDENS SCRIPSI (2.3) und endet mit OBLIGATUS ESSET (2.12); die zweite umfaßt den Text von QUANTAQUE EA PECUNIA (2.12) bis SPOPONDI C. IULIUS PRUDENS (3.6); sie sind weder in der Innen- noch in der Außenschrift gegeneinander abgesetzt.
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In der ersten Periode ist das Prädikat des (einzigen) Hauptsatzes SCRIPSI, von SCRIPSI abhängig ME ROGASSE . . ... EIQUE MANDASSE (2.3 / 4). Von MANDASSE ist wiederum der mit UTI (2.4) eingeleitete Nebensatz abhängig. Dieser finale Objektsatz ist verstümmelt: Prädikat und Objekt des UTI-Satzes fehlen in Innen- und Außenschrift. Die Abkürzungen T P D (2.15) können nicht für den UTI-Satz in Anspruch genommen werden. T P stehen zwar für Tantam Pecuniam; das belegt die Außenschrift (5.11). Und tantam pecuniam lautete auch das Objekt des UTI-Satzes; das wissen wir aus dem ihm untergeordneten Relativsatz QUANTAM CUMQUE PECUNIAM . . . OBLIGATUS ESSET (2.4 – 2.12). Aber UTI fordert zwingend ein Prädikat im Konjunktiv17; und in der Abkürzungssequenz T P D kann D nicht mit daret aufgelöst werden: nach Tantam Pecuniam Daret wäre (das vorangestellte) QUANTAQUE EA PECUNIA ERIT (2.12 / 13 und 5.8) keinesfalls möglich; statt ERIT müßte futura esset oder esset stehen.18 ERIT verlangt im übergeordneten Satz ein Haupttempus. Darum ist T P D mit Tantam Pecuniam Dari aufzulösen; es ist von STIPULATUS EST . . . SPOPONDI (3.5 / 6) abhängig. Wenn Objekt des UTI-Satzes tantam pecuniam war, kommt als Prädikat kaum ein anderes Wort als daret in Betracht. Die juristische Analyse der Urkunde wird ergeben, daß Prudens in der Stipulation, die der zweite Satz bezeugt, Cinnamus eben das verspricht, was er ihm aus dem Mandat schuldig werden kann.19 Er verspricht ihm in der Stipulation TANTAM PECUNIAM DARI.20 Wenn demnach auch seine Regreßverpflichtung aus dem Mandat auf tantam pecuniam dari ging, liegt nahe, daß er seinerseits Cinnamus mit bestimmten Maßgaben (die der Relativsatz QUANTAM CUMQUE PECUNIAM . . . OBLIGATUS ESSET [2.4 – 2.12] festlegt) beauftragt hat, UTI . . . tantam pecuniam daret. Nur ein so kurzer Satz konnte bei der Abschrift oder beim Diktat auch leicht übersehen werden. Der von MANDASSE abhängige finale Objektsatz lautete also vermutlich UTI tantam pecuniam daret. In diesen Satz war nach UTI der umfangreiche Relativsatz QUANTAM CUMQUE PECUNIAM . . . OBLIGATUS ESSET (2.4 – 2.12) eingeschoben, so daß tantam pecuniam daret am Ende der Periode nachhinkte21 – und 17 Vgl. etwa Ulp D 17.1.8.6 (mandavi tibi, ut fundum emeres; mandavi, ut negotia gereres), 10 (tibi mandavi, ut hominem emeres); 12.5 (si filio familias mandavi, ut solveret); Gai D eod. 13 (mandavi tibi, ut emeres fundum); Afr D eod. 34.1 (mandavi tibi, ut praedium emeres); Nerat D eod. 35 (mandavi tibi ut emeres). Vgl. etwa auch Kühner-Stegmann (A. 18) 180. 18 J. B. Hofmann / A. Szantyr, Lateinische Syntax und Stilistik (1972) 550; R. Kühner / C. Stegmann, Ausführliche Grammatik der lateinischen Sprache. Satzlehre (4. Aufl. 1962) II 175. 19 Siehe u. nach A. 60. 20 Siehe soeben im Text. 21 Der Relativsatz wurde trotz seiner Länge und Umständlichkeit in den einfachen UTISatz vor Objekt und Prädikat eingeschoben, weil er zeitlich Früheres (DEDISSET CREDIDISSET etc.) zum Ausdruck bringt.
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wohl aus diesem Grunde bei der Übertragung des Urkundentextes aus der Vorlage in die Tafeln22 verlorengegangen ist.23 Der Aufbau der zweiten Periode ist einfacher. Von STIPULATUS EST . . . SPOPONDI (3.5 / 6) sind vier gleichgeordnete AcI-Sätze abhängig: TANTAM PECUNIAM DARI (2.15); DOLUMQUE MALUM ABESSE AFUTURUMQUE ESSE (2.16 / 3.1); TANTAM PECUNIAM DARI (3.4); HAEC DARI FIERIQUE (3.5). Die ersten drei werden ihrerseits durch nachgeordnete Sätze ergänzt. Dem ersten AcI (2.15) ist die umfangreiche Ergänzung QUANTAQUE . . . FACTA ERIT (2.12 – 2.15) vorangestellt, weil sie aufgreift, was gerade, in der ersten Periode, definiert worden ist. 4. Synonymenhäufung Neben dem komplizierten Satzbau ist die mehrfache Häufung von parallelen und synonymen Begriffen auffallend: ROGASSE (ET) MANDASSE (2.3 / 4); IUSSU ROGATU MANDATUVE (2.7); DEDISSET CREDIDISSET (2.10). DATA CREDITAVE (2.13); REI PROMISSIONIQUE (2.16). Die Synonymenhäufung, von der die juristische Fachsprache den größten Gebrauch macht, hat ihren Ursprung in der Ritualsprache.24 Dort geschah sie aus Vorsicht: man fürchtete mit dem einen Wort den verfolgten Zweck zu verfehlen und setzte darum ein zweites von gleicher oder ähnlicher Bedeutung hinzu. In der Gesetzes- und Formularsprache, wo die Synonymenhäufung schnell zunahm und viele Wortverbindungen bald formelhaft wurden, diente sie der Deutlichkeit und Unmißverständlichkeit. Die Wortverbindungen unserer Urkunde sind formelhaft und typisiert.25 Zwei von ihnen werden in den neuen Urkunden je noch einmal verwendet: rogare et mandare26 Vgl. dazu Wolf-Crook (A. 11) 13 f. Die Formula Baetica (Bruns 334 f. Nr. 135; FIRA III 295 ff. Nr. 92) hat einen Satz von vergleichbarem Aufbau, der aber auch noch andere Parallelen mit dem unserer Urkunde zeigt. Das Formular aus Spanien, das dem 1. oder 2. Jh. zugeschrieben wird, sieht in seinem ersten Teil die fiduziarische Manzipation eines Grundstücks und eines Sklaven vor und danach folgende Abrede: 6 Pactum comventum factum est inter Damam L. Titi servum et L. Baianium 7 quam pecuniam L. Baianio dedit dederit credidit crediderit ex 8 pensumve tulit tulerit sive quid pro eo promisit promiserit 9 spopondit fideve quid sua esse iussit iusserit usque eo is fundus 10 eaque mancipia fiduciae essent, donec ea omnis pecunia fides 11 ve [persoluta] L. Titi soluta liberataque esset . . . Zu der Konjektur in Z. 11 siehe die Ausgaben. Ausführliche Erläuterung: H. Degenkolb, ZRG 9 (1870) 117 – 179, 407 – 409. Weitere Literatur insb. bei L. Wenger, Die Quellen des röm. Rechts (1953) 757 A. 255. 24 Vgl. W. Kalb, Das Juristenlatein (1888, Neudruck 1961) 37 ff.; Hofmann / Szantyr (A. 18) 784 ff.; Kühner / Stegmann (A. 18) 567 f. 25 Die Häufung REI PROMISSIONIQUE gehört zu der hier (2.16 – 3.2) im ganzen übernommenen clausula doli: Pap D 45. 1. 121 pr. 22 23
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und dare credere.27 Auch andere Verbindungen kommen vor28, aber immer nur vereinzelt. Ihre zahlreiche Verwendung in unserer Urkunde könnte damit zusammenhängen, daß sie nicht (wie die meisten des neuen Fundes) einem festen Formular folgt, das seine typisierte Bedeutung hat, sondern für den konkreten Fall entworfen werden mußte.29 26 TP 133 [TPN 112] vom 11. Jan. 49. Die ersten Zeilen des Fragments lauten in meiner Lesung: 5 1 C POM . P . EIO GALLO Q[ ve]RANIO COS III IDUS IAN 2 PURGIAS ALEXANDRI f .[ . . . . . . ] U . S SCRIPSI ME ROGASSE C 3 SULPICIUM CINNAM ...... . um [eique ma]NDASSE . Die Erteilung eines Auftrags war nicht an den Gebrauch eines bestimmten Worts gebunden; das sagt ausdrücklich Paul D 17.1.1.2: Item sive ,rogo‘ sive ,volo‘ sive ,mando‘ sive alio quocumque verbo scriperit, mandati actio est. Die Juristen verwenden indessen durchweg mandare. ,Peto et mando‘ hat ein Brief, den Scaev D 17. 1. 62.1, ,rogo‘ ein Brief, den Ulp D 17.1. 12. 12 zitiert; dort liegt ein Mandat vor, hier dagegen nicht. Rogare verwenden die Juristen eher, wo ein Mandat typischerweise ausgeschlossen ist: Ulp D 12. 1. 11 pr. (Rogasti me, ut tibi pecuniam crederem) oder Ulp D 19. 5. 19 pr. (Rogasti me, ut tibi nummos mutuos darem) oder Cels D 12. 1. 32. Technischer Kunstausdruck ist rogare (gewöhnlich mit Infinitiv) dagegen für die Anordnung eines Fideikommisses; vgl. Kalb (A. 24) 58. Die Häufung IUSSU ROGATU MANDATUVE (2.7) hat nicht die Bedeutung der (vertraglichen) Auftragserteilung, sondern die der Aufforderung und Bitte, die zugleich ermächtigt oder eine Zurechnung begründet. Für ROGASSE (ET) MANDASSE (2.3 / 4) kommt dagegen eine andere Bedeutung als (vertraglich) ,beauftragen‘ nicht in Betracht. 27 Die Urkunde (Photo 13 720) ist erst von Camodeca, Puteoli 9 / 10 (1985 / 86) 28 ff., ediert worden (und daher ohne TP-Nummer); sie lautet in seiner Lesung: 2 1 c SulPICIUS CINNAMus ni 2 cErOTI COLONORUM COloniae 3 PUTEOL SER aRCARIO HS . . . 4 PER CHIROGRAPhum HAC 5 dIE DEDIT CREDIDIT . . . Das in Zeile 4 erwähnte Chirographum ist wahrscheinlich die Darlehensurkunde TP 26 [TPN 41] vom 7. März 52. – Das Asyndeton DEDIT CREDIDIT war schon aus der Formula Baetica, Zeile 7, bekannt (s. oben A. 23), ist dort allerdings nicht immer als solches erkannt worden; vgl. H. Degenkolb, ZRG 9 (1870) 135, zutreffend aber R. M. Thilo, Der Codex accepti et expensi im Römischen Recht (1980) 286 A. 26. Dare credere (2.10) oder dare crede reve (2.13) entspricht mutuam pecuniam dare oder pecuniam credere. Die Partikel ve wird in kopulativer Bedeutung promiscue mit que und et gerade bei Synonymenhäufungen gebraucht, vgl. die Beispiele in A.26 und 28. Die Verbindung dare credere leistet eine genaue Begrenzung der Bedeutungsfelder von dare und credere, denn auch credere deckt bekanntlich mehr als dare credere, vgl. Paul D 12.1.2.3,5. Andere Verbindungen mit dare bei S. Preuss, De bimembris dissoluti apud scriptores Romanos usu sollemni (Edenkoben 1881) 39 f., 99. 28 PIGNORIBUS ARABONISVE: TP 15 [TPN 43] 2.13 (dazu Wolf-Crook [A. 11] 18 A. 57). – ACTIOnIBUS petitionibus PERSeCUTioNIBUSQUE: TP 58 [TPN 28] 2.5 / 6. – PETITURUM EXACTURUMQUE: TP 66 [TPN 32] 1.6 (J. G. Wolf, Studi Sanfilippo 6 [1985] 776 f.; mit verbesserter Lesung Camodeca, Puteoli 12 / 13 [1988 / 89] 43 f.). – (SCRIPSI) ROGATU ET MANDATU: TP 13 [TPN 68] 3.4 (J. G. Wolf, FUB 65 [Oktober 1979] 33). 29 Natürlich unter Verwendung stehender Klauseln, wie der beiden partes cautionis 2.16. – 3.2 (vgl. Pap D 45. 1. 121 pr.) und 3.3 – 4 (vgl. Ulp D 45.1. 38. 13), und mit Anlehnung an ähnliche Formulare, wie die Formula Baetica zeigt (s. oben A. 23).
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5. Übersetzung Ich komme schließlich zu folgender Übersetzung: (2.1) Unter den Konsuln L. Vitellius Sohn und L. Vipstanus Poplicola (2) am Tag vor den Nonen . . .. (3) Ich, C. Iulius Prudens, habe geschrieben, daß ich gebeten habe C. Sulpicius (4) Cinnamus und ihm aufgetragen habe, daß , wie viel (5) Geld auch immer er oder Eros oder . . .. (6) oder Titianus oder Martialis, seine Sklaven, oder C. Sulpicius (7) Faustus oder ein anderer auf Geheiß, Bitte oder Auftrag (8) eines von ihnen einmal oder öfters Suavis, meinem Freigelassenen, oder (9) Hyginus, meinem Sklaven, oder einem anderen auf Geheiß eines von ihnen (10) gezahlt, kreditiert oder für einen von ihnen promittiert, spondiert (11) oder auf seine Treue genommen oder aus einem anderen (12) Grunde (zu zahlen) sich verpflichtet haben wird. Und wie viel dieses Geld (13) sein wird, das also gezahlt oder kreditiert oder dessent(14)wegen auch eine Verpflichtung derart, wie (15) oben ausgeführt ist, begründet sein wird, daß so viel Geld gezahlt wird; (16) und daß Arglist dieser Sache und diesem Versprechen (3.1) fern ist und fern sein wird meinerseits und seitens meines Erben (2) und all derer, auf die sich diese Sache, um die es geht, erstreckt; (3) so aber dieser Sache Arglist nicht fern ist, nicht fern sein wird, (4) wie viel das Interesse betragen wird30, daß so viel Geld gezahlt wird; (5) daß all dieses so ganz in gehöriger Weise gezahlt wird und geschieht: hat sich versprechen lassen (6) C. Sulpicius Cinnamus, habe ich, C. Iulius Prudens, versprochen. (7) Geschehen in Puteoli. III. Der Inhalt der Urkunde 1. Die Personen Der Aussteller des Chirographum ist C. Iulius Prudens. Den Vertrag, den er bezeugt, hat er mit C. Sulpicius Cinnamus abgeschlossen. Cinnamus ist einer der Protagonisten der neuen Urkunden: er gehört zum Bankhaus der Sulpizier in Puteoli31, aus dessen Archiv die Urkunden des neuen Fundes stammen. Die älteste Urkunde ist aus dem Jahre 26 n. Chr.32 Cinnamus tritt zum ersten Mal im Jahre 42 in Erscheinung.33 Er ist der Freigelassene seines Seniorpartners C. Sulpicius Faustus34, der seit der Mitte der 30er Jahre in den Geschäften 30
Zu dieser Übersetzung von QUANTI EA RES ERIT s. Kaser, Quanti ea res est (1935)
209. Vgl. J. G. Wolf, Studi Sanfilippo 6 (1985) 780 f. TP 57 [TPN 83]: Camodeca, Puteoli 7 / 8 (1983 / 84) 17. 33 TP 5 = 107 = 111 [TPN 50] vom 20. März 42: Camodeca, Puteoli 12 / 13 (1988 / 89) 16. 34 TP 30 [TPN 62] vom 31. Dez. 47. Camodeca, Puteoli 9 / 10 (1985 / 86) 18 ff., schließt aus dieser Urkunde, daß Cinnamus libertus procurator seines Patrons war. Dort auch weitere Vermutungen über die Sulpizier aufgrund der Grabinschrift Eph.Ep VIII 451. 31 32
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des Bankhauses auftritt. Unserer Urkunde entnehmen wir, daß im Jahre 48 in den Geschäften des Bankhauses neben Cinnamus und Faustus noch vier Sklaven des Cinnamus tätig sind: Eros, Titianus, Martialis, der Name des vierten ist nicht lesbar. Auch C. Iulius Prudens ist Geschäftsmann, und auch er betreibt sein Geschäft nicht allein. Nach unserer Urkunde hatte er zwei Gehilfen: seinen Freigelassenen Suavis und den Sklaven Hyginus. Die Geschäftsbeziehung zwischen Prudens und dem Bankhaus erstreckte sich über mehrere Jahre. Sie endete vermutlich im Jahre 55. In diesem Jahr sehen wir nämlich Cinnamus und Prudens im Streit: im Februar 55 bereitet Cinnamus mit einer interrogatio in iure einen Kreditprozeß gegen Prudens vor, der in Rom stattfinden soll35; Ende 55 haben sie sich offenbar auf ein privates Schiedsverfahren verständigt.36 Den Beginn ihrer Geschäftsbeziehung könnte unsere Urkunde aus dem Jahre 48 markieren. Denn mit dem Vertragswerk, das sie dokumentiert, wollten Cinnamus und Prudens eine Haftungsregelung für eine dauernde Geschäftsbeziehung treffen. 2. Die Absichten der Kontrahenten Die Geschäfte, die in Aussicht genommen wurden, waren Darlehen und Bürgschaften: Darlehen, die das Bankhaus C. Iulius Prudens oder seinen Gehilfen gewährte, Bürgschaften, die es für sie bei Dritten übernahm. Bürgschaften waren erforderlich, wo Prudens und seine Gehilfen bei Dritten Kredit in Anspruch nahmen. Mit Bürgschaften konnte darum das Bankhaus seinem Kunden Kredit verschaffen, ohne (zunächst) eigenes Kapital einzusetzen. Darlehen und Bürgschaften sind mithin ein klar profiliertes Programm.37 Man ging davon aus, daß diese Geschäfte auf Seiten der Bank von Cinnamus, seinem Seniorpartner Faustus und den vier in der Urkunde namentlich genannten Sklaven des Cinnamus getätigt werden könnten. Als deren Kontrahenten auf Seiten des Prudens kamen außer ihm selbst sein Freigelassener Suavis und sein Sklave Hyginus in Betracht. Man schloß aber nicht aus, daß sich auf der einen oder anderen Seite der Stab veränderte38, und traf für diesen Fall Vorsorge.39 35 TP 25 [TPN 26] vom 5. Febr. 55, Korrekturen bei Camodeca, Puteoli 6 (1982) 51. Die interrogatio behandelt Bove, Documenti processuali (A. 11) 91 ff. 36 TP 23 + 51 [TPN 34] vom 14. Dez. 55 (Dokumentation: Seite 2: Photo 13 511, 13 531; Seite 3: Photo 13 613; Seite 5: Photo 13 550; Seite 6: Apographum Onorato in RAAN 46 [(1971, erschienen 1972)] Tav. III nach S. 176). 37 Dasselbe Programm, erweitert um die Litteralobligation, sehen wir im pactum fiduciae der Formula Baetica, Zeile 7 – 9 (s. oben A.23). Vgl. außerdem die Legate in Scaev D 34. 3. 28.6 und 31.4. 38 Daß er das während der Geschäftsbeziehung auf beiden Seiten wirklich tat, entnehmen wir anderen Urkunden: Am 30. Oktober 51 tritt in einem Auktionstermin als Prokurator des
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Da es keine Stellvertretung gab, konnten durch Rechtsgeschäft prinzipiell nur die Vertragsparteien selbst sich verpflichten. Sklaven konnten auch das nicht. Waren sie allerdings ermächtigt, haftete aus ihren Verpflichtungsgeschäften ihr Dominus. Da sie ihm andererseits die Ansprüche aus den Verträgen, die sie schlossen, unmittelbar und ohne weiteres erwarben, konnten sie wie Stellvertreter fungieren.40 Hyginus konnte mithin Prudens ,vertreten‘, Suavis dagegen nicht. Nahm Prudens bei den Sulpiziern ein Darlehen auf, so haftete er mit der actio certae creditae pecuniae auf Rückzahlung der Valuta, und natürlich haftete er selbst; hatte er mit Cinnamus oder einem der Sklaven des Cinnamus41 kontrahiert, war er der Schuldner des Cinnamus; hatte er das mutuum mit Faustus abgeschlossen, war er dessen Schuldner. Nahm nicht Prudens, sondern, mit seinem Einverständnis, sein Sklave Hyginus das Darlehen auf, war die Haftungslage nicht anders: Prudens haftete aus dem Darlehensgeschäft seines Sklaven Hyginus entweder Cinnamus, wenn Hyginus mit ihm oder mit einem seiner Sklaven kontrahiert hatte; oder er haftete Faustus, wenn Faustus der Kontrahent war; er haftete in diesem Fall mit der zur actio quod iussu abgeänderten actio certae creditae pecuniae.42Anders dagegen, wenn sein Freigelassener Suavis das Darlehen aufnahm. Nur er, Suavis, haftete dann, und Cinnamus oder Faustus hatten keinerlei Möglichkeit, gegen seinen Prinzipal Prudens vorzugehen. Entsprechend, nur ein wenig komplizierter lagen die Dinge, wenn die Bankleute für Prudens, Hyginus oder Suavis bürgten. Sie taten das natürlich nur auf Anforderung, wenn sie dazu beauftragt wurden. Wurden sie dann aus der Bürgschaft in Anspruch genommen, konnten sie sich aufgrund des Mandats schadlos halten, Cinnamus oder Faustus bei Prudens oder Suavis. Dazu hatten sie die actio mandati contraria43, wenn sie selbst oder die Sklaven des Cinnamus für Prudens oder Suavis gebürgt hatten; hatten sie oder die Sklaven für Hyginus gebürgt, stand ihnen die actio quod iussu zu Gebote. Wenn bei dieser Rechtslage Hyginus und Suavis im Rahmen der vorgesehenen Geschäftsbeziehung tätig werden sollten, mußte dem Bankhaus an zweierlei geleCinnamus ein C. Sulpicius Eutychus auf (TP 39 [TPN 78]); Cinnamus mußte an diesem Tage einen Vadimoniumstermin wahrnehmen (TP 56bis [TPN 17]: Photo 13650; jetzt Camodeca, Puteoli 7 / 8 [1983 / 84] 60). Und aus der interrogatio in iure am 5. Februar 55 (s. oben A. 35) ergibt sich, daß auf Seiten des Prudens neben Hyginus auch sein Sklave Hermes Geschäfte mit dem Bankhaus getätigt hat. 39 Daß bei der Öffnung der Personenkreise über die namentlich Genannten hinaus (aLIUSVE QUIS IUSSU ROGATU MANDATUve CUIUS EORUM [2.7 / 8] und ALIVE CUI IUSSU CUIUS EORUM [2.9]) an beliebige Dritte gedacht war, ist ganz unwahrscheinlich. 40 Zu diesen Fragen s. etwa Kaser, RP I 260 ff. 41 Wobei wir hier und sonst unterstellen, daß sie von Cinnamus ermächtigt waren, über die Darlehensvaluta zu verfügen. 42 Kaser, RP I 608; Lenel, EP 278. 43 Kaser, RP I 580; Lenel, EP 295 ff., und andere nehmen für den Rückgriff des Bürgen eine besondere in factum konzipierte Formel der actio contraria an.
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gen sein: einmal daran, daß Prudens die Ermächtigung seines Sklaven Hyginus zu den vorgesehenen Geschäften gegenüber allen erklärte, die als Kontrahenten in Betracht kamen44; und zum anderen, daß er durch Rechtsgeschäft eine Haftung für die Verbindlichkeiten seines Freigelassenen Suavis übernahm. Das Ziel des Vertrags, dessen Abschluß unsere Urkunde bezeugt, geht indessen darüber hinaus. Mit diesem Vertrag wollten die Kontrahenten nicht nur die Haftungsfrage regeln – sie wollten sie für Sklave und Freigelassenen auch einheitlich regeln; und zugleich wollten sie, auf der Seite der Bank, die Berechtigung gegenüber Prudens in einer Hand, der des Cinnamus, zusammenfassen. Wir gehen ins Einzelne. 3. Das Mandat (a) Der Vertrag besteht aus zwei Teilen, die äußerlich durch die Textgestaltung gegeneinander abgesetzt sind; jedem der beiden Teile entspricht ein Satz. Im ersten Satz bezeugt Prudens ein mandatum, das er Cinnamus erteilt hat; im zweiten ein Stipulationsversprechen, das er Cinnamus geleistet hat. Wir beginnen mit dem Mandatsteil. Prudens erklärt, er habe Cinnamus den Auftrag erteilt, Geld zu zahlen.45 Cinnamus soll soviel Geld zahlen, wie er selbst oder einer seiner namentlich genannten Sklaven oder sein Seniorpartner Faustus (oder, schließlich, auf Geheiß einer dieser Personen, ein Dritter46) darlehensweise gezahlt47 oder sicherungshalber, in einem Bürgschafts- oder Garantievertrag48, versprochen haben wird: darlehensweise gezahlt an Suavis, den Freigelassenen, oder Hyginus, den Sklaven des Prudens (oder an eine von ihnen ermächtigte Person) – oder sicherungshalber versprochen für Suavis oder Hyginus (oder für eine von ihnen ermächtigte Person). 44 Das iussum mußte der Dominus gegenüber dem Kontrahenten des Sklaven erklären: Kaser, RP I 608. 45 UTI (2.4) tantam pecuniam daret. Zur Erinnerung: dieser Teil des Urkundentextes ist ergänzt: o. bei und nach A. 17. 46 Diese Dritten auf der Seite des Bankhauses und auf der seines Kunden Prudens (vgl. oben bei A. 38 u. 39) können ohne Nachteil für das Verständnis der Urkunde zur Entlastung der Darstellung vernachlässigt werden. – Zu IUSSU ROGATU MANDATUVE (2.7) siehe oben A. 26. In 2.9 genügt dem Kautelarexperten statt der Synonymenhäufung ein einfaches IUSSU. 47 Dedisset crEDIDISSET (2.10): vgl. oben A. 27. Die Formula Baetica, Zeile 7 / 8 (s. oben A. 23), stellt neben dare credere : expensum ferre, neben die tatsächliche die „fiktive Auszahlung“ (Kaser, RP I 544). Zur Litteralobligation vgl. vor allem Thilo (A. 27) 276 ff., insb. 285 ff. 48 Bürgschaftsvertrag : PROMISISSET SPOPONdisset FIDEVE SUA ESSE IUSSISSET (2.10 / 11). Wie in der Formula Baetica, Zeile 8 (s. oben A. 23), entspricht promittere dem fidepromittere bei Gai 3.116; vgl. Arangio-Ruiz, FIRA III 296 A. 7. Zu den drei Bürgschaftstypen s. etwa Kaser, RP I 661 ff. – ,Garantievertrag‘ nenne ich hier die Verpflichtung, die auch sicherungshalber, aber nicht in der Form einer Bürgschaft, sondern alio quo nomine (2.11 / 12) eingegangen wird.
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Wir machen uns sofort ganz klar: der Auftrag, den Prudens Cinnamus erteilt hat, ist kein Kredit- und kein Bürgschaftsauftrag, er geht nicht auf Darlehensgewährung und nicht auf Bürgschaftsleistung; der Auftrag ist vielmehr ein Zahlungsauftrag. Dieser Zahlungsauftrag umfaßt eine Vielzahl von Einzelleistungen. Diese Einzelleistungen sind nicht bestimmt, genau definiert sind aber ihre Voraussetzungen: sie hängen von den in Aussicht genommenen Darlehns- und Sicherungsgeschäften ab. Eine Zahlung soll stets dann erfolgen, wenn von den genannten Personen eines der definierten Geschäfte vorgenommen worden ist. Und es ist dann auch dieses Darlehens- oder Sicherungsgeschäft, durch das sowohl der Betrag der Zahlung wie ihr Empfänger bestimmt werden. Die Ausführung eines Auftrags folgt seiner Erteilung zeitlich nach; das liegt in der Natur der Sache und soll hier auch nicht anders sein. Cinnamus kann den Zahlungsauftrag jedoch erst dann ausführen, wenn vorher eines der in Aussicht genommenen Geschäfte abgeschlossen worden ist49; der Auftrag ist also bedingt durch den Abschluß eines dieser Geschäfte. Wie funktionierte dieser Mechanismus im einzelnen Fall? Wir greifen den Fall heraus, daß Cinnamus selbst tätig wird; wir nehmen an, daß er dem Freigelassenen Suavis ein Darlehen gewährt. Mit der Darlehensgewährung tritt die Bedingung ein, unter der Cinnamus aus dem Auftrag verpflichtet sein soll zu zahlen. Jetzt, nachdem er Suavis das Darlehen gewährt hat, soll er Suavis soviel zahlen, wie er ihm als Darlehen gezahlt hat. Der Auftrag läßt Cinnamus freie Hand: es bleibt seiner Entscheidung überlassen, ob er Suavis ein Darlehen gewährt. Wenn er aber, nach seiner freien Entscheidung, Suavis ein Darlehen von 10 000 Sesterzen gewährt hat, dann – so der Auftrag – soll er 10 000 Sesterzen an Suavis zahlen. (b) Es liegt auf der Hand, daß dieser Auftrag keine rechtliche Wirkung hatte. Zu tun, was schon getan ist, konnte nicht Gegenstand eines mandatum sein.50 Das mandatum war aber auch darum unwirksam, weil Cinnamus gar nicht gebunden war. Er war nicht gebunden, weil es ja in seinem Belieben stand, die Bedingung, unter der er zahlen sollte, herbeizuführen.51 Dieser Gesichtspunkt gilt, soweit Cinnamus selbst tätig wird: soweit er selbst Suavis oder Hyginus ein Darlehen gewährt oder für sie eine Bürgschaft übernimmt. Der Gesichtspunkt gilt aber auch, soweit seine Sklaven tätig werden. Ohne das Ein49 Dieses Zeitverhältnis wird eindeutig durch die Konj. Plqpf. (2.10 – 12) ausgedrückt. Die Modus- und Tempusgebung ist in der ganzen Urkunde ohne Ausnahme korrekt. 50 Vgl. Pap bei Ulp D 17.1. 12. 14. Dort wird ein mandatum pecuniae credendae erteilt, nachdem das Darlehen gewährt worden ist; nach unserem Vertrag soll das mandatum pecuniae dandae wirksam werden, wenn das Darlehen gewährt und das heißt: wenn die Darlehensvaluta gezahlt wird. Das macht rechtlich keinen Unterschied. 51 Vgl. Kaser, RP I 254 A. 14.
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verständnis ihres Dominus können sie die Darlehensvaluta nicht übereignen52 und darum kein wirksames mutuum vereinbaren; und ohne sein iussum ist die Bürgschaft, die sie für Suavis oder Hyginus leisten, wirkungslos.53 Da Einverständnis und iussum in Cinnamus’ Belieben stehen, ist der Auftrag, der ihm Prudens erteilt hat, auch insoweit ohne Bindung und darum nichtig, wie er von Geschäften seiner Sklaven abhängt. Von Cinnamus hing es dagegen nicht ab, ob Faustus in der Geschäftsbeziehung mit Prudens tätig wurde und Suavis oder Hyginus wirksam ein Darlehen gewährte oder für sie wirksam eine Bürgschaft übernahm; was Faustus’ Geschäfte anging, stand der Auftrag unter einer echten Bedingung. Gewährte er Suavis oder Hyginus ein Darlehen, so trat damit die Bedingung ein, von der das mandatum abhing – mit der Bedingung aber auch das Hindernis, das in diesem Fall der Wirksamkeit des Mandats im Wege stand: Die Darlehensgewährung verlangte die Auszahlung der Valuta. Beim Abschluß des mutuum hatte Faustus mithin schon gezahlt, was Cinnamus aus dem Auftrag verpflichtet sein sollte zu zahlen.54 Rechtliche Wirkung entfaltete das mandatum nur in einer einzigen der vorgezeichneten Kombinationen: wenn sich Faustus für Suavis oder Hyginus verbürgte oder in anderer Weise verpflichtete. Nimmt Suavis bei einem Dritten ein Darlehen von 10 000 Sesterzen auf und verbürgt sich Faustus für ihn etwa durch fideiussio, dann tritt damit die Bedingung ein, unter der Cinnamus aus dem mandatum des Prudens zu zahlen verpflichtet ist. Zahlt Faustus seine Bürgenschuld gleichwohl selbst, so entfällt Cinnamus’ Verpflichtung aus dem Mandat und mit ihr dann auch die Möglichkeit, für die Aufwendungen des Bankhauses (die hier durch Faustus erbracht worden sind) Prudens verantwortlich zu machen. Nur wenn sich Cinnamus in das Geschäft des Faustus einmischt und die Bürgenschuld des Faustus auftragsgemäß zahlt, funktioniert der Mechanismus: haftet Prudens aus dem Mandat für die Aufwendungen, die das Bankhaus (jetzt durch Cinnamus) für Prudens’ Gehilfen Suavis gemacht hat. Eine Haftungsübernahme im technischen Sinne ist das freilich nicht. Wenn Faustus für Suavis bürgt, dann haftet ihm Suavis mit der actio mandati contraria auf Ersatz seiner Aufwendungen. Diese Haftung wird von Prudens nicht übernommen. Sie wird vielmehr von ihm ersetzt durch eine andere, eigene Regreßhaftung gegenüber Cinnamus: indem er Cinnamus beauftragt, macht er sich selbst regreßpflichtig, verhindert aber zugleich, daß ein Regreßanspruch des Faustus gegen Suavis entsteht. (c) Hier, wo die Vertragsgestaltung bewirkt, was sie bewirken soll, wird auch ihr Konzept deutlich. Wenn Cinnamus oder ein anderer Repräsentant des Bankhauses 52 53 54
Vgl. Kaser, RP I 286, 267. Vgl. Kaser, RP I 287. Vgl. oben A. 50.
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Suavis oder Hyginus ein Darlehen gewährte oder für sie gebürgt hatte, sollte ihr Prinzipal Prudens in Anspruch genommen werden können; und zwar sollte er nicht von Fall zu Fall dem Vertragspartner seines Gehilfen haften, sondern wegen aller Verpflichtungen seiner Gehilfen einem Mitglied des Bankhauses, nämlich Cinnamus, verantwortlich sein. Der Kautelarjurist, der von den Kontrahenten zu Rate gezogen wurde, glaubte, daß dieses Ziel mit Hilfe des Mandats erreicht werden könnte; er wollte die gewünschte Haftung des Prudens in der Form der Regreßpflicht des Auftraggebers begründen. Vermutlich hat ihn der Kreditauftrag55 auf diesen Gedanken gebracht. Wie die Auszahlung der Darlehensvaluta war auch die Leistung des Bürgen, der aus der Bürgschaft in Anspruch genommen wurde, eine ,Aufwendung‘. Dieser zutreffenden Beobachtung folgte dann der Fehlschluß, daß Prudens, um die gewünschte Haftung zu begründen, Cinnamus nur beauftragen müßte, die Darlehensvaluta oder die Bürgschaftsschuld zu zahlen – wann immer Cinnamus selbst oder einer seiner Sklaven oder Faustus mit Suavis oder Hyginus ein mutuum vereinbaren oder für den einen oder anderen eine Bürgschaft übernehmen sollte. Dabei wurden die Grenzen des Vertragstyps nicht bedacht: zu tun, was schon getan ist, kann nicht Gegenstand eines Auftrags sein. Und ebensowenig wurde bedacht, daß der Auftrag durch die vorgesehenen Darlehens- und Sicherungsgeschäfte bedingt war und schon an diesen Bedingungen scheitern mußte, soweit es in Cinnamus’ Belieben stand, sie herbeizuführen. Nur wenn sich Faustus für Suavis oder Hyginus verbürgt und, wie es der Auftrag vorsah, Cinnamus den Gläubiger befriedigt hatte, haftete ihm Prudens mit der actio mandati contraria auf Ersatz seiner Aufwendungen. In allen anderen Fällen verfehlte der Auftrag seinen Zweck. 4. Die Stipulation Neben dem Mandat haben Cinnamus und Prudens eine Stipulation vereinbart, die im zweiten Teil der Urkunde dokumentiert wird.56 Sie besteht aus vier Klauseln. Einer individuellen Vereinbarung57 folgen drei Standardklauseln. Die beiden ersten sollen den Gläubiger gegen dolus malus des Schuldners, seiner Erben und all derer schützen, die für ihn tätig sind58, während die dritte keine selbständige Bedeutung hat.59 Diese Standardklauseln sind für unser Thema ohne Interesse. Anders die individuelle Vereinbarung. Darin verspricht Prudens, Cinnamus soviel zu Siehe o. nach A. 2. 2.12 – 3.6. Siehe o. nach A. 23. 57 2.12 – 15. 58 2.16 – 3.2 und 3.3 – 4. Unsere Urkunde ist jetzt der bei weitem früheste Beleg für beide Klauseln, vgl. H. Coing, Festschrift Schulz (1951) I 110 ff. Über das Verhältnis der beiden Klauseln zueinander Ulp D 45.1. 38. 13 und Ven D 46. 7. 19.1; dazu etwa Kaser (A. 30) 206; Coing 112 f.; R. Knütel, Stipulatio poena (1976) 286. 59 3.5. Dieselbe Klausel etwa auch in der Donatio Statiae Irenes von 252 n. Chr. (Bruns 335 Nr. 137 Z. 21 / 22; FIRA III 301 ff. Nr. 95), Zeile 21 / 22. 55 56
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zahlen, wie das Bankhaus, nämlich Cinnamus selbst, seine Sklaven und Faustus an Suavis und Hyginus ausleihen oder für sie in Bürgschaften versprechen werden. An der Wirksamkeit dieser Stipulation ist nicht zu zweifeln, und nur weniges ist erklärungsbedürftig. (a) Wie verhält sich dieses Stipulationsversprechen zum Mandat? Aus den Juristenschriften und zahlreichen Darlehensurkunden, auch des neuen Fundes, ist uns geläufig, daß sich der Darlehensgeber vom Darlehensnehmer in einer Stipulation die Zahlung der Summe versprechen ließ, die er dem Darlehensnehmer als Darlehen gezahlt hat, obwohl das mutuum den Darlehensnehmer ohne weiteres zur Rückzahlung der Darlehensvaluta verpflichtete.60 Hier läßt sich der Beauftragte Cinnamus vom Auftraggeber Prudens in einer Stipulation die Zahlung der Summen versprechen, die er im Auftrag des Prudens zahlen soll, obwohl der Auftrag den Auftraggeber ohne weiteres zum Ersatz der aufgewandten Beträge verpflichtete. Es liegt auf der Hand, daß die beiden Stipulationen demselben Schema folgen. In einem entscheidenden Punkt gehen sie aber auseinander. Der Darlehensgeber läßt sich vom Darlehensnehmer die Zahlung der nummi versprechen, die er ihm als Darlehensvaluta gezahlt hat.61 Cinnamus dagegen läßt sich von Prudens nicht ,soviel Geld‘ versprechen, wie er in Ausführung des Auftrags gezahlt haben wird, sondern die Posten, die er zahlen soll. Während also der Darlehensgeber stipuliert, was ihm aus dem mutuum auf jeden Fall geschuldet wird, stipuliert Cinnamus ,soviel Geld‘, wie ihm aus dem Auftrag nur dann geschuldet wird, wenn er ihn ausführt. Aus der Stipulation wird er folglich auch dann berechtigt, wenn er den Auftrag nicht ausführt oder nicht ausführen kann – etwa deshalb, weil man nicht zahlen kann, was man selbst oder andere schon gezahlt haben oder weil der Auftrag aus anderem Grunde nichtig ist. Das Stipulationsversprechen ist also nicht an das Mandat gekoppelt, sondern an die Darlehen, die die Bankleute den Gehilfen des Prudens gewähren, und an die Bürgschaften, die sie für sie eingehen: Prudens verspricht Cinnamus, ihm so viel zu zahlen, wie Cinnamus selbst, seine vier Sklaven und Faustus den Gehilfen des Prudens, Suavis und Hyginus, an Darlehen gewähren oder durch Bürgschaften für sie an Verpflichtungen übernehmen werden. Was den Kontrahenten mit Hilfe des Mandats nicht gelingt, gelingt ihnen ohne weiteres durch die Stipulation: für die Verbindlichkeiten seiner Gehilfen gegenüber dem Bankhaus eine Haftung des Prudens gegenüber Cinnamus zu begründen. Es wäre müßig zu überlegen, wie der Vgl. J. G. Wolf, SDHI 45 (1979) 167; Wolf / Crook (A. 11) 18. Vgl. etwa TP 15 (TPN 43) oder TP 16 (TPN 44) bei Wolf / Crook (A. 11) 26 f. und 28. Das Formular, dem diese beiden Urkunden folgen, lautete: L. Titius scripsi me accepisse mutua ab Q. Seio et debere ei sestertia . . . et ea sestertia . . . proba recte dari stipulatus est Q. Seius spopondi L. Titius. 60 61
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Kautelarjurist, den unsere Kontrahenten konsultiert haben, seine Lösung einschätzte, ob er selbst an der Wirksamkeit des Mandats zweifelte (ob damit vielleicht sogar der Textausfall zusammenhängt), oder ob er doch annahm, daß sich die Verpflichtung aus der Stipulation mit der aus dem Mandat deckte. Andere Fragen liegen näher. (b) Wie das Mandat war auch das Stipulationsversprechen nicht auf eine bestimmte Zeit begrenzt. Das bedeutete in der Praxis, daß es für die Dauer der Geschäftsbeziehung abgeschlossen worden war. Die Kontrahenten gingen davon aus, daß man bei andauernder Geschäftsbeziehung nicht vor Gericht ging; daß die Geschäftsbeziehung aber beendet war, wenn es zur Klage kam. Worauf richtete sie sich, wenn sie denn erhoben wurde? Nach dem Wortlaut der Stipulation richtete sich die Klage auf die Summe aller Darlehen, die das Bankhaus bis zum Zeitpunkt der Klagerhebung an Suavis oder Hyginus ausgezahlt hat, und die Summe aller Bürgschaften, die Cinnamus, seine Sklaven und Faustus bis zur Klagerhebung für Suavis und Hyginus übernommen haben. Es versteht sich, daß Prudens in diese Summe aber nur dann verurteilt werden durfte, wenn kein Darlehen zurückgezahlt worden war und alle Bürgschaften von der Bank bedient werden mußten. Wie wurde diese Korrektur erreicht? Hier ist zwischen Darlehen und Bürgschaften zu unterscheiden. Die Bürgschaftsposten, die auf die eine oder andere Weise erledigt waren, konnten nur ope exceptionis berücksichtigt werden. Die exceptio doli verpflichtete den iudex, die Urteilssumme nach Maßgabe der Zweckbestimmung des Versprechens zu regulieren62, und die Zweckbestimmung der Stipulation war ersichtlich, das Bankhaus schadlos zu halten, wenn es bei den vorgesehenen Bürgschaften für Suavis und Hyginus Ausfälle erlitt. Soweit es keine Ausfälle hatte, weil es aus den eingegangenen Bürgschaften nicht in Anspruch genommen worden war oder seine Auslagen ersetzt worden waren, mußten diese Posten aufgrund der exceptio doli von der versprochenen und geschuldeten Summe abgezogen werden. Bei den Darlehen ist die Rechtslage komplex und nicht eindeutig. Sie hing sowohl von der Novationswirkung der Stipulation wie vom Status der Personen ab, die am Vertragsschluß beteiligt waren. Prudens verspricht Cinnamus ,soviel Geld‘, wie Cinnamus, seine Sklaven und Faustus an Suavis und Hyginus ausleihen werden. Nehmen wir an, Cinnamus gewährt Suavis ein Darlehen von 10 000 Sesterzen. Aus dem mutuum steht ihm dann gegen Suavis ein Anspruch auf Rückzahlung von 10 000 Sesterzen zu. In der Stipulation hat ihm Prudens die Zahlung genau der Summe versprochen, die er Suavis als Darlehen gewähren wird. Die Stipulation ist folglich durch das Darlehen bedingt. Mit seinem Abschluß tritt die Bedingung ein. Damit erwirbt Cinnamus gegen Prudens aus der Stipulation einen Anspruch auf Zahlung jener 10 000 Sesterzen, die er Suavis als Darlehen gewährt hat. 62
J. G. Wolf, Causa stipulationis (1970) 77 ff.
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Unterstellen wir, daß der Rückzahlungsanspruch aus dem Darlehen gegen Suavis durch die Stipulation noviert wird, so tilgt die Rückzahlung der 10 000 Sesterzen die Stipulationsschuld. Um die Rückzahlung gegen die Klage aus der Stipulation geltend zu machen, bedarf es dann keiner exceptio doli. Hat die Stipulation dagegen keine Novationswirkung, so daß der Anspruch aus dem Darlehen gegen Suavis bestehen bleibt, und wird das Darlehen zurückgezahlt, so kann die Zahlung gegen die Klage aus der Stipulation, wie in den Bürgschaftsfällen, nur mit Hilfe der exceptio doli geltend gemacht werden. Ob indessen die Stipulation Novationswirkung hatte, wissen wir nicht. Wir können auch nicht ausschließen, daß die Rechtslage anders beurteilt wurde, wenn Cinnamus das mutuum nicht mit Suavis, sondern mit Hyginus vereinbarte und deshalb Prudens, mit der actio quod iussu, auch aus dem Darlehen haftete. Auch wenn nicht Cinnamus selbst, sondern einer seiner Sklaven das Darlehen gewährte, bleibt offen, ob Novation eintrat oder nicht. Und dasselbe gilt schließlich, wenn Faustus der Darlehensgeber war und Hyginus sein Kontrahent.63 Nur in einem Fall ist die Rechtslage klar: Gewährte Faustus das Darlehen Suavis, steht fest, daß Novation nicht in Betracht kam: Faustus konnte seine Forderung gegen Suavis aus dem mutuum nicht – auch nicht mit seinem Einverständnis – dadurch verlieren, daß Prudens die Zahlung desselben Schuldbetrages Cinnamus versprach. Zahlte Suavis das Darlehen ordnungsgemäß an Faustus zurück, konnte Prudens, wenn er von Cinnamus aus der Stipulation verklagt wurde, die Rückzahlung wieder nur ope exceptionis geltend machen. IV. Schluß Unsere Urkunde ist ein besonders frühes Dokument aus dem Kernbereich des römischen Rechts. Sie gibt unmittelbar Einblick in die Kautelarpraxis. Die meisten anderen Urkunden auch des neuen Fundes folgen ausgefeilten Formularen; ihre Gegenstände sind einfache typisierte Verträge des alltäglichen Rechtsverkehrs. Ganz anders der Vertrag unserer Urkunde. Zu regeln war die Haftungsfrage in einer auf Dauer angelegten Geschäftsbeziehung zwischen dem Bankhaus der Sulpizier und dem Unternehmer C. Iulius Prudens: Prudens sollte für alle Verpflichtungen seiner beiden Gehilfen einem der Bankiers verantwortlich sein. Eine besondere vertragliche Regelung war erforderlich, weil es eine allgemeine Stellvertretung nicht gab. Die Aufgabe war umso schwieriger, als auch auf der Seite der Bank mehrere Personen von verschiedenem Status tätig und außerdem Geschäfte verschiedener Art vorgesehen waren. Die Lösung ist denn auch mißglückt; ihre Schwächen sind eklatant. Sie verkennt die Grenzen des Vertragstyps Mandat und überschätzt darum seine Leistungsfähig63 Wenn in diesem Fall die Rückzahlungsforderung des Faustus durch die Stipulation noviert wurde, dann freilich nicht ohne Faustus’ Einverständnis.
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keit, und auch die vertragsvernichtende Wirkung der Potestativbedingung beachtet sie nicht.64 Andererseits zeigt sie eindrucksvoll, wie schnell die Kautelarpraxis eine neue Entwicklung aufgriff und den neuen Ansatz, Haftungsübernahme durch Auftrag, bei verwandten Problemen ausprobierte. Denn es muß der Kreditauftrag gewesen sein, der unseren Kautelarjuristen auf den Gedanken brachte, seine Aufgabe mit Hilfe des Mandats zu lösen, und die Verbindlichkeit des Kreditauftrags hatte sich gerade erst durchgesetzt.
64 Ähnlich vermutet D. Nörr, Eranion Maridakis (1963) 203 ff., insb. 219 ff., eine ,kautelarjuristische Fehlleistung‘ in dem Ofilius-Fall bei Ulpian D 44.4.4.6; dort soll sich der Jurist „über die Reichweite des Zessionsformulars nicht im klaren“ (223) gewesen sein. Siehe aber auch W. D. Gehrig, Kognitur und Prokuratur in rem suam als Zessionsformen des klass. röm. Rechts (1963) 43 ff., und A. Wacke, RIDA 17 (1970) 345 ff.
Der neue pompejanische Urkundenfund. Zu Camodecas ,Edizione critica dell’archivio puteolano dei Sulpicii‘* I. 1. Der Urkundenfund von Murecine ist der bedeutendste Fund römischer Privatund Prozeßrechtsurkunden, der je gemacht worden ist. Seine einzigartige Bedeutung beruht auf der großen Zahl der gefundenen Urkunden, auf ihrem ungewöhnlich guten Erhaltungszustand und auf der Vielfalt der beurkundeten Gegenstände. Nach Herkunft und Alter gehören die neuen Urkunden zu den wichtigsten Zeugnissen der Geschäfts- und Prozeßpraxis im italischen Kernbereich des klassischen römischen Rechts. Die Bedeutung des Urkundenfundes hat sich schnell verbreitet. Dazu haben die frühen Monographien von Lucio Bove1 viel, hat das meiste freilich Camodeca selbst durch seine zahlreichen vorbereitenden Publikationen beigetragen. Seit seiner Ankündigung einer „Riedizione dell’archivio dei Sulpicii“ im Jahre 19842 hat er über den Fortgang seiner Arbeiten kontinuierlich berichtet3. Auch die zusam* Giuseppe Camodeca, Tabulae Pompeianae Sulpiciorum, Edizione critica dell’archivio puteolano dei Sulpicii (= VETERA 12, Ricerche di storia epigrafia e antichità). Edizioni Quasar, Roma 1999. 2 Bände, S. 3 – 437 und VII, S. 439 – 685, 1 Lageplan. Lit. 370 000. 1 Documenti processuali dalle Tabulae Pompeianae di Murecine, Napoli, 1979 (dazu U. Manthe, Gnomon 53 [1981] 150 – 161); Documenti di operazioni finanziarie dall’archivio dei Sulpici, Napoli, 1984. 2 Per una riedizione dell’archivio puteolano dei Sulpicii, I. Le TP. 67 e 68, II. Nuovi documenti processuali, in Puteoli 6 (1982, ersch. 1984) 3 – 53: der I. Teil auch in Sodalitas. Scr. Guarino, Napoli, 1984, Bd. 5, 2191 – 2207, der II. Teil, leicht überarbeitet, auch in Labeo 33 (1987) 24 – 47. 3 Per una riedizione dell’archivio puteolano dei Sulpicii, III. Emptiones con stipulatio duplae (TP. 98, 57, 103), IV. I documenti vadimoniali (TPSulp. 1 – 21), in Puteoli 7 – 8 (1983 – 84, ersch. 1985) 3 – 69: der III. Teil auch in Labeo 33 (1987) 167 – 185. – Per una riedizione dell’archivio puteolano dei Sulpicii, V. TP. 61, TP. 30, TP. 65, TP. inv. 14370, TP. 22.4, TP. 21.4, in Puteoli 9 – 10 (1985 – 86, ersch. 1987) 3 – 40. – I consoli del 55 – 56 e un nuovo collega di Seneca nel consolato: P. Cornelius Dolabella (TP. 75 [= 140] + 135), in ZPE 63 (1986) 201 – 215. – Una nuova fonte sulla topografia del foro di Augusto (TPSulp. 19 = TP. 84 = 102), in Athenaeum 64 (1986) 505 – 508. – Per una riedizione dell’archivio puteolano dei Sulpicii, VI. Il dossier di Euplia da Milo e i nomina arcaria, VII. La TP. 66, in Puteoli 12 – 13 (1988 – 89, ersch. 1990) 3 – 63. – Puteoli porto annonario e il commercio del grano in età imperiale [Appendice: TPSulp. 51, 52, 45, 53, 46, 79], in Le ravitaillement en blé de Rome et des centres urbains des débuts de la République jusqu’au Haut-Empire. Actes du colloque
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menfassende Darstellung, die er mit seinem Buch ,L’archivio puteolano dei Sulpicii‘ von 1992 vorgelegt hat4, war nur eine Zwischenstation auf dem Wege, dessen Ziel nun erreicht ist: die edizione critica aller Urkunden aus dem Archiv der Sulpicii. Der hohe Standard und die stetige Folge der vorausgegangenen Einzeleditionen hat das wissenschaftliche Ansehen des Autors schnell begründet und an seine Person die Erwartung einer verläßlichen Gesamtedition geknüpft. Diese Erwartung ist eindrucksvoll erfüllt worden. Kennen wir die Täfelchen von Murecine inzwischen auch Stück für Stück: zur vollen Anschauung bringt uns ihre Bedeutung erst das jetzt vorliegende fertige Opus5. Zum ersten Mal sehen wir die Urkunden in ihrer Gesamtheit. 127 Dokumente zählt die Edition. Vergleichbar sind allenfalls die Bestände aus dem Archiv des Caecilius Iucundus und aus den Funden in Herkulaneum. Im Hause des pompejanischen Bankiers konnten 1875 die verkohlten Reste von 153 Geschäftsurkunden geborgen werden; in Herkulaneum in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in verschiedenen Privathäusern die Überreste von etwa 100 Dokumenten. Der Fund im Hause des Caecilius Iucundus hat uns indessen nichts als Quittungen beschert. Die Urkunden aus Herkulaneum haben zwar Verschiedenes zum Gegenstand, aber nur von wenigen ist der Textteil gut erhalten6. Ungleich ergiebiger als diese Funde, und ich übertreibe nicht, wenn ich sage: als der Gesamtbestand aus allen älteren Funden römischer Urkunden ist das Archiv der Sulpizier. 2. Die zweibändige (durchgehend paginierte) Ausgabe ist übersichtlich organisiert. Sie umfaßt vier Teile. Der Erste Band enthält mit den ersten drei Teilen (,Introduzione‘ – ,Edizione critica‘ – ,Indici‘) das eigentliche Editionswerk, der Zweite Band mit dem Vierten Teil (,Fotografie ed apografi‘) eine lückenlose Dokumentation der Urkunden und ihrer Lesungen. Das Herzstück des Ganzen ist der Zweite Teil: auf 22 Kapitel verteilt, enthält er die Urkundentexte, die alle mit einem ,kritischen Apparat‘ ausgestattet und meistens auch mit einem vorwiegend juristischen Kommentar versehen sind. 3. Der Erste und Zweite Teil, die ,Introduzione‘ (I 7 – 43) und die ,Edizione critica‘ (I 45 – 240), sind weithin aus den Vorarbeiten komponiert. Der aus ihnen übernommene Text – Einführungen, Analysen, Kommentare – ist durchweg redaktionell international de Naples 1991, Naples-Rome, 1994, 103 – 128. – Nuovi documenti dell’archivio puteolano dei Sulpicii, in SDHI 61 (1995) 693 – 705. 4 Im Folgenden mit L’archivio zitiert. 5 Im Folgenden mit Edizione zitiert. 6 Camodeca hat sich inzwischen den Tabulae Herculanenses zugewandt und bereitet eine Gesamtausgabe auch dieses Bestandes vor: Per una riedizione delle Tabulae Herculanenses I (riguardante TH 42 e TH 52+90.5+ined.) in Cronache Ercolanesi 23 (1993) 109 – 119; Per una riedizione delle Tabulae Herculanenses II, I nomina arcaria TH 70+71 e TH 74, in OSTRAKA Rivista di antichità II 2 (1993) 197 – 209; Per una riedizione delle Tabulae Herculanenses III, TH 77+78+80+53+92 del 26 gennaio 69, in Cronache Ercolanesi 24 (1994) 137 – 146; La ricostruzione dell’Élite municipale ercolanese degli anni 50 – 70: problemi di metodo e risultati preliminari, in Cahiers Glotz 7 (1996) 167 – 178.
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überarbeitet, weithin wörtliche Übernahme im Ersten Teil allerdings die Regel und auch im Zweiten Teil nicht zu übersehen. Kürzungen und Auslassungen sind häufiger als Zusätze, sachliche Änderungen gegenüber der Vorveröffentlichung nicht selten, meistens aber von marginaler Bedeutung. Das Buch von 1992, ,L’archivio puteolano dei Sulpicii‘, hat den größten Anteil an der Kompilation. Da dieses Buch seinerseits aus früheren Veröffentlichungen zusammengestellt ist7, sind große Partien der Gesamtedition eine Art dritter Auflage. Einige Beispiele: Der ,Introduzione‘ in L’archivio von 1992 (S. 3 – 22) entsprechen in der ,Introduzione‘ der Gesamtedition die Abschnitte 1, 2, 3, 4 und 7 (S. 11 – 21 und 31 – 36); in den Anmerkungen (siehe etwa 7, 8 oder 18) ist die Literatur allenthalben nachgetragen, aber nur im 3. Abschnitt ,La documentazione e la reale consistenza dell’archivio: foto ed originali‘ auch der Haupttext gegenüber der Vorlage spürbar verändert, nämlich um neue Daten und Berechnungen erweitert. Der 5. Abschnitt ,I C. Sulpicii, proprietarii dell’archivio: status sociale e attività professionale di banchieri‘ folgt in seiner ersten Hälfte auf den Seiten 22 bis 24 fast unverändert den Seiten 26 bis 29 von L’archivio, die ihrerseits wörtlich aus Puteoli 9 – 10 (1985 – 86) 21 – 24 übernommen worden sind; die zweite Hälfte des 5. Abschnitts (S. 24, letzter Absatz, bis 26) war noch nicht veröffentlicht. – Die Einführung des Kapitels ,I. Vadimonia – Testationes sistendi‘, S. 49 – 53, ist mit deutlichen Kürzungen, wenigen Zusätzen, leichten Veränderungen und einer Umstellung (,Forma dei documenti‘) aus L’archivio 37 – 56, dessen Text wiederum fast unverändert (nur mit einer erweiterten Neufassung des Abschnitts ,Forma dei documenti‘, S. 39 – 42) aus Puteoli 7 – 8 (1983 – 84, ersch. 1985) 26 – 39 übernommen. – Außerdem vgl. etwa zu S. 59: L’archivio 63 / 4, und dazu wiederum Puteoli 6 (1982, ersch. 1984) 23, 25, 27; zu S. 115 / 6: L’archivio 144 – 150; zu S. 117: L’archivio 156 – 158; zu S. 133 / 4: L’archivio 171 – 177, und dazu wiederum Puteoli 9 – 10 (1985 – 86, ersch. 1987) 12 – 16; zu S. 140 / 1: ,Puteoli porto annonario etc.‘ (s. A. 3) 104 / 5; zu S. 144: L’archivio 190 / 1; zu 145 / 6: L’archivio 168, 177; zu S. 151: L’archivio 214 / 5, 221; zu S. 156 / 7: L’archivio 213 / 4, 217; zu S. 158: L’archivio 224 – 228; zu S. 171: L’archivio 25; oder zu S. 211 / 2: SDHI 61 (1995) 696 – 700.
Gegen dieses Kompositionsverfahren ist nichts einzuwenden. Camodeca unterläßt es aber, uns über seine Praxis gehörig ins Bild zu setzen. So bleibt vor allem ungeklärt, wie sich die Gesamtedition zu den Vorveröffentlichungen verhält – was umso auffälliger ist, als punktuell immer wieder auf sie Bezug genommen wird8. Für die Urkunden selbst (und ihre ,kritischen Apparate‘) kann nicht zweifelhaft sein, daß mit der ,Edizione critica‘ alle früheren Editionen Camodecas überholt sind. Was aber gilt für die ,Introduzione‘ und, im Zweiten Teil, für die erläuternden Einführungen in immerhin 10 der 22 Kapitel und für die regelmäßigen Kommentare zu den einzelnen Urkunden? Verweise fehlen oder sind nicht hilfreich. Die 7 L’archivio 2: „Il presente volume, dove sono confluiti rivisti e per lo più profondamente rielaborati quasi tutti i miei precedenti lavori in argomento“; konkrete Hinweise sind nicht leicht zu finden, offenbar aber vorhanden, s. S. 57 am Ende der ,Abbreviazioni‘. Außerdem Editio 16 A. 18: „in questo libro sono confluiti anche buona parte dei risultati editi nei miei precedenti articoli“. 8 So verweist etwa der Kommentar zu TPSulp. 4 auf S. 59 mit dem ersten Absatz „sulla data consulare“ auf L’archivio 63, verschweigt aber, daß die beiden folgenden Absätze von eben dort (63 / 4), redaktionell überarbeitet, übernommen sind.
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,Introduzione‘ nennt ihre Vorlage nicht. Bei den einzelnen Urkunden werden zwar unter den früheren Editionen auch Camodecas eigene aufgeführt, und in der Regel führt dieses Zitat auch zu den Kommentaren der Vorveröffentlichung; ob sie aber durch die Gesamtedition überholt sind, wird damit nicht entschieden.
II. 1. Die ,Introduzione‘ beginnt mit der Fundgeschichte (11 – 13). Sie ist oft erzählt worden und braucht hier nicht wiederholt zu werden. Das großzügig ausgelegte und durch die Vielzahl seiner Triklinien eigentümliche Haus, in dem die Urkunden gefunden wurden, war vermutlich der Sitz eines collegium9. Es war in jüngster Zeit aufwendig restauriert worden. Als am 24. August des Jahres 79 die Katastrophe über Pompeji hereinbrach, waren die Arbeiten offenbar auch noch nicht abgeschlossen. Jedenfalls war das Gebäude noch nicht wieder in Gebrauch genommen, es fehlte noch jeder Hausrat und die Triklinien wurden noch als Lagerräume benutzt. In einem von ihnen war neben Schiffsplanken, einer größeren Anzahl von Rudern und einem eisernen Anker der Weidenkorb („di forma ellittica con pareti verticali e due manici, in perfetto stato di conservazione“) mit den Täfelchen („in perfetto ordine, l’una sull’altra“) abgestellt10. In der Schlammschicht, die noch im Verlauf der Katastrophe das Haus überflutet haben muß, haben sich die tabulae ceratae nahezu ohne organische Veränderungen erhalten. Sie in diesem Zustand „di freschezza“ (13) zu konservieren, fehlte der damals zuständigen ,Soprintendenza alle Antichità delle Province di Napoli e Caserta‘ in Neapel die Erfahrung. Sie tat das Beste, was sie unter diesen Umständen tun konnte: sie dokumentierte den Fund und erfaßte ihn mit insgesamt 302 vorzüglichen Photographien (Neg.n. A 13510 – 13726 und 14670 – 14754)11. 2. Diese Dokumentation war indessen nicht vollständig (16 ff.). Schon anhand der Photographien war leicht festzustellen, daß sie jedenfalls insofern nicht vollständig war, als fast regelmäßig die Seite 1 und häufig die Seite 4 nicht aufgenom9 Über Lage, Ausstattung und Nutzung des Hauses s. schon J. G. Wolf, Freiburger Universitäts-Blätter (FUB) 65 (1979) 23 / 4; seitdem ex professo M. Pagano, RAAN 58 (1983, ersch. 1985) 325 – 361. 10 Pagano 344. 11 Von diesen Inventarnummern der Negative zu unterscheiden sind die Inventarnummern der Originale. Inzwischen ist der Urkundenbestand in Kompetenz und Obhut der (neu eingerichteten) ,Soprintendenza Archeologica di Pompei‘ (SAP) übergegangen, die sowohl die Originale wie auch die Negative neu inventarisiert hat. Die alten, neapolitanischen Nummern werden jetzt mit der Sigle SAN, die neuen, pompejanischen mit der Sigle SAP zitiert. Camodeca verwendet in der Beschreibung der einzelnen Urkunde die alten, neapolitanischen Nummern allerdings ohne die Sigle SAN und gibt I 423 – 429 eine Konkordanz der alten SANNummern der Negative einerseits und der neuen SAP-Nummern sowohl der Originale wie der Negative andererseits, und I 430 / 1 eine Konkordanz der neuen SAP-Nummern der Originale und der Nummern seiner Zählung der Urkunden, also der TPSulp.-Nummern.
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men waren12. Den Originalen war inzwischen kaum noch etwas abzugewinnen. Ausgetrocknet und mit der Austrocknung geschrumpft, hatten sie ihre ursprüngliche Form und mit ihr die Beschriftung oder doch deren Lesbarkeit fast völlig verloren13. Camodeca hat es sich gleichwohl nicht nehmen lassen, mit Geduld und Hingabe das gesamte Material zu sichten. Er hat Stück für Stück angeschaut und tatsächlich einen Großteil der Originale, etwa 100 Täfelchen, den Photographien zuordnen und die photographische Dokumentation von fast 30 Seiten nachholen können. Die Gesamtzahl der gefundenen Täfelchen wurde 1960 von Olga Elia, der Ausgräberin, mit 300, 1966 von Selim Agusti, dem Konservator, mit 200 angegeben. Für sicher gilt, daß der Fund nicht mit all seinen Stücken erhalten werden konnte. Eine genauere Vorstellung von den Verlusten, die das ,Archiv der Sulpizier‘ nach seiner Entdeckung erlitten hat, ist jedoch kaum zu gewinnen. Von den 127 Urkunden, die jetzt Camodeca nachweist, sind nur 25 vollständig erhalten, d. h. Diptycha mit ihren beiden, Triptycha mit allen drei Täfelchen; 55 mal fehlt Tafel I, 61 mal Tafel II, mindestens 25 mal Tafel III. Für die 127 Urkunden weist der „Prospetto delle pagine superstiti“ (41 – 43) 173 Täfelchen aus, so daß sie insgesamt aus mindestens 314 Täfelchen bestanden haben müssen. Camodeca rechnet mit etwa 350 (19 i.f.), von denen heute für den Fund allenfalls 185 nachzuweisen seien (17 i.f.). Für die Erklärung der Differenz zieht er auch in Betracht, daß schon im Zeitpunkt der Katastrophe das ,Archiv‘ nicht mehr vollständig war. Ich glaube, daß man hier weiter gehen könnte. Mit erlaubter Ungenauigkeit bezeichnen wir die Gesamtheit der Urkunden von Murecine als das ,Archiv der Sulpizier‘. Richtig ist, daß sie offenbar aus dem Archiv des Bankhauses stammen und wohl eine zufällige14, vielleicht repräsentative, jedenfalls aber eine Auswahl sind, deren Kriterien wir nicht kennen (19 i.f.). Der Sitz der Bank war Puteoli. Wie die Urkunden nach Pompeji, an ihren Fundort gelangten, wissen wir auch nicht. Wenn von den ausgewählten, sagen wir 130 Urkunden nur 25 vollständig und überhaupt nur die Hälfte ihrer Täfelchen erhalten sind, dann müssen die Diptycha und Triptycha, als Beweismittel natürlich obsolet, in Puteoli oder in Pompeji auseinandergenommen und müssen viele Täfelchen ausgesondert worden sein, bevor die übrigen in dem Weidenkorb gestapelt wurden. 12 An der Tabelle der ,erhaltenen‘, aber, weil nicht dokumentiert, ,verlorenen‘Seiten (Tav. II: I 41 – 43), läßt sich ablesen, daß von 72 Urkunden, Diptycha und Triptycha, die Tafel I erhalten und von allen 72 Tafeln zwar die Seite 2 dokumentiert ist, aber nur von 17 Tafeln auch die Seite 1; und daß von 65 Urkunden, Diptycha und Triptycha, die Tafel II erhalten, daß aber nur von 34 Tafeln beide Seiten, also Seite 3 und 4, dokumentiert sind, dagegen von 26 Tafeln nur Seite 3 und von 5 Tafeln nur Seite 4. Die Tabelle schließt die Seiten ein, deren Dokumentation Camodeca nachholen konnte. 13 In diesem Zustand waren sie schon, als mir am 13. November 1979 gestattet wurde, gemeinsam mit Ulrich Manthe einen Tag lang die Originale in Augenschein zu nehmen, s. J. G. Wolf, ,Beilage zum Jahresbericht 1982 der Gerda Henkel Stiftung‘ (Düsseldorf 1983) 43 / 4. 14 FUB 65 (1979) 26.
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Diese Selektion kann durch äußere Umstände veranlaßt worden sein, etwa die Größe des Korbes, was aber nicht ausschließt, daß sie nach bestimmten Gesichtspunkten erfolgte. Darum wäre zu untersuchen, ob sich in der erhaltenen Auswahl Muster abzeichnen. Wir sehen etwa, daß 10 Triptycha vollständig, also mit allen drei Täfelchen erhalten sind15; von 6 Triptycha nur die Tafeln I und II, aber mit dem vollständigen Urkundentext, der scriptura interior, auf den Seiten 2 und 3; und von 22 weiteren Triptycha nur die Tafel III – mit dem stets jedoch auch vollständigen Urkundentext, der scriptura exterior, auf Seite 5. Das scheint System zu haben. Dem steht allerdings gegenüber, daß nach Camodecas ,Prospetto‘ von schließlich 19 Triptycha nur die Tafel II erhalten ist, worauf sich kein Reim machen läßt; diese tabulae müßten erneut untersucht werden. 3. Der 4. Abschnitt der ,Introduzione‘ berichtet über ,Datazione e protagonisti degli atti‘ (20 / 1). Bei 78 der 127 Urkunden verzeichnet Camodeca das Datum ihrer Ausstellung. Ganz überwiegend ist es gut erhalten und einwandfrei zu lesen. Die Ausnahmen sind aber nicht unbedeutend. TPSulp. 42, eine Kaufurkunde, soll am 18. März 26 errichtet worden sein; das Triptychon wäre danach die älteste Urkunde des Fundes. Camodeca liest zwar 13 von den 36 Buchstaben, die für die Rekonstruktion der Eponyme erforderlich sind; schon hier kann ich ihm nicht ganz folgen; von diesen 13 Buchstaben sind aber nach seinem eigenen Urteil 12 „lettere mal conservate e di dubbia lettura“. Ähnlich in TPSulp. 16, einer testatio Puteolis sistendi: hier wird gegen Sueton (Vesp. 4.3) und gegen das Zeugnis einer anderen Urkunde des Archivs, TPSulp. 87, auf der Basis von 6 „lettere mal conservate e di dubbia lettura“ und einem einzigen sicher gelesenen Buchstaben der zweite Eponym rekonstruiert. So vielfältig und kenntnisreich Camodeca die Konsularfasten bereichert hat16: diese Ergänzungen haben mich nicht überzeugt. Wenn TPSulp. 42 nicht die älteste Urkunde des Archivs ist, dann beginnt dessen Geschichte mit TPSulp. 66, einem Schuldanerkenntnis vom 14. Juli 29. Die jüngste Urkunde, TPSulp. 91, eine testatio adfixi libelli de fiducia vendunda, ist am 22. Februar 61 errichtet worden17. Die meisten Urkunden verteilen sich jedoch auf die zwei Jahrzehnte von 35 bis 55, auf die Regierungszeit der Kaiser Caligula und Claudius. Mit ihrer präzisen Datierung sind die Urkunden unmittelbar relevant für die Chronologie dieser Epoche und wegen der gerade in diesen Jahrzehnten steigenden Zahl von Suffektkonsulaten kaum weniger für ihre politische Geschichte. Verzeichnisse der ,Consules‘ (I 243 / 4) und der ,Datazioni Consolari‘ (I 245 – 249) erschließen diesen Überlieferungswert der Urkunden zuverlässig. 15 Was hier und im Folgenden nicht heißt, daß die erhaltenen Täfelchen auch mit beiden Seiten photographisch dokumentiert sind. 16 Besonders zu den Jahren 48 (aufgrund von TPSulp. 27 u. a.) und 55 (aufgrund von TPSulp. 35): Puteoli 6 (1982) 13 – 21; Novità sui fasti consolari dalle tavolette cerate della Campania, in Epigrafia. Actes Coll. intern. Mém. A. Degrassi, Rome 27 / 28. 5. 1988 (Rome 1991) 45 – 74; I consoli del 55 – 56 e un nuovo collega di Seneca nel consolato: P. Cornelius Dolabella, in ZPE 63 (1986) 201 – 215. 17 Die Datierung von TPSulp. 93 auf den 28. Februar 61 ist eine Hypothese.
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4. Die Protagonisten der beurkundeten Geschehnisse sind C. Sulpicii: Camodeca nennt Faustus, Cinnamus und Onirus. Ohne zureichenden Grund schließt er die Möglichkeit aus, daß C. Sulpicius Faustus Maior, der in den ältesten Urkunden des Archivs, zuletzt im Januar oder Februar 35, in verschiedenen Rollen fungiert18, ein vierter Sulpizier war: Faustus habe sich mit dem Appellativ maior von einem gleichnamigen Faustus minor unterscheiden wollen. Warum aber soll dieser minor nicht der Faustus sein, der seit März 34 ohne Distinktiv in den Urkunden erscheint? Der dritte und meistgenannte Sulpizier, Cinnamus, betritt erst im März 42 die Szene. Faustus sehen wir 17 Jahre, Cinnamus 14 Jahre im Geschäft, Onirus dagegen nur einen kurzen Augenblick: Faustus begegnet zuletzt im Mai 52, Cinnamus im März 56, Onirus erst und nur im Februar 61, in den jüngsten Urkunden des Archivs. Einmal, am 30. Oktober 51, tritt ein C. Sulpicius Eutychus in Erscheinung (23): als Prokurator des Cinnamus, der an diesem Tag einen Vadimoniumstermin wahrnehmen mußte19. Im Jahre 48 sind in den Geschäften des Bankhauses neben Faustus und Cinnamus noch vier Sklaven des Cinnamus tätig20. Nach Herkunft und Profession sind die Sulpizier der neuen Urkunden niederen Standes: so jedenfalls sieht es in den herkömmlichen Kategorien auch Camodeca (22 – 26). Tatsächlich gehören sie zur Schicht der Freigelassenen. Cinnamus ist nach eigenem Bekunden ein Freigelassener des Faustus21 und Faustus nach einer glücklichen Beobachtung Camodecas offenbar der Sohn eines Freigelassenen namens C. Sulpicius Heraclida; Heraclidas Patron war ein C. Sulpicius Hyginus, nach seinem Cognomen ebenfalls kein Freigeborener22, ursprünglich vielleicht der Sklave eines C. Sulpicius Galba aus der senatorischen gens der Sulpicii Galbae. In einer Quittung vom 31. Dezember 47 (TPSulp. 72) erklärt Cinnamus, daß er in debitum Fausti patroni mei 30000 Sesterzen erhalten habe, und ähnlich in einer zweiten Quittung, vielleicht aus dem Jahre 51, einen größeren Betrag ex debito Fausti patroni mei (TPSulp. 74). Nach Camodeca belegen diese beiden Chirographa, daß Cinnamus, der offenbar gegen 52 Faustus in der Geschäftsführung gefolgt sei, bis dahin als dessen procurator fungiert habe. Der Rechtssatz, daß der Schuldner durch Leistung an den procurator des Gläubigers ohne weiteres frei werde (D 12.6.6.2), kann dafür aber kaum angeführt werden; die Klausel war auch dann angebracht, wenn der Gläubiger die Leistung an seinen libertus eigens genehmigen 18 Als Käufer in TPSulp. 42, als Gläubiger eines Schuldanerkenntnisses in TPSulp. 66 und zuletzt als Vertragspartei einer conventio de iudice addicendo in TPSulp. 22. 19 TPSulp. 87 und 16; vgl. J. G. Wolf, Aus dem neuen pompejanischen Urkundenfund: Die Streitbeilegung zwischen L. Faenius Eumenes und C. Sulpicius Faustus, in Studi Sanfilippo 6 (1985) 780. 20 TPSulp 48; vgl. J. G. Wolf, Haftungsübernahme durch Auftrag? Eine Urkunde aus dem Jahre 48 n. Chr., in D. Nörr / S. Nishimura (Eds.), Mandatum und Verwandtes (1993) 82. 21 TPSulp. 72 und 74; auch zu seinem Namen schon FUB 65 (1979) 27. 22 Das ergibt sich aus der von Camodeca beigebrachten Grabinschrift Eph.Ep. VIII 451, die S. 23 abgebildet ist und deren Wortlaut S. 22 A. 46 wiedergegeben wird. Onirus könnte Faustus’ in der Inschrift genannter jüngerer Bruder, könnte aber auch sein Sohn sein (25).
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mußte. Außerdem besagt sie nicht, daß Cinnamus als libertus procurator die Leistung angenommen hat: Wo er als Prokurator handelte, erklärte er, daß er als Prokurator handelt (TPSulp. 105), und dasselbe tat Eutychus, als er für Cinnamus auftrat (TPSulp. 87). Mit dem Vertrag, den im Jahre 48 Cinnamus und C. Iulius Prudens schlossen (TPSulp. 48), wollten die Kontrahenten nicht nur erreichen, daß Prudens aus den Geschäften seiner Gehilfen mit Cinnamus oder Faustus oder einem anderen Repräsentanten des Bankhauses haftete, sondern auch regeln, daß er immer nur Cinnamus, verantwortlich sein sollte23. Das spricht nicht für dessen Stellung als Prokurator. Und warum soll Faustus seinen libertus Cinnamus auch nicht längst, vielleicht sogar von vornherein als Kompagnon eingesetzt haben? Weitere Überlegungen müssen vor allem die Bedeutung der Klausel ex debito Fausti patroni mei klären. 5. Die Gesellschaft, die uns in den Urkunden entgegentritt, ist weithin eine Gesellschaft von Freigelassenen (26 – 31). Griechische cognomina überwiegen deutlich und die große Mehrheit der lateinischen ist „di tipo servile“. Die familia Caesaris ist wiederholt präsent und gibt mit den Namensformeln ihrer servi und liberti Aufschluß über die innere Struktur der domus Augusta24. Camodecas intensive Analysen der Namenswelt des puteolanischen Archivs sind eindrucksvoll sowohl durch ihr akribisches Verfahren wie durch ihre differenzierten Resultate. Vollständige Verzeichnisse geben der sozialgeschichtlichen Forschung alle ,Nomina‘ (I 250 – 255) und ,Cognomina‘ (I 256 – 262) des Archivs übersichtlich an die Hand. Der Name Cinnamus ist für Sklaven und Freigelassene mehrfach belegt25. Er bedeutete soviel wie ,Zimtjunge‘ und war offenbar eine Anspielung auf die Hautfarbe seines Trägers. Kaiser Claudius hatte einen dispensator dieses Namens; am Hofe Trajans nahm dieselbe Funktion auch ein Cinnamus wahr; der Hausverwalter des Trimalchio in den Satiren des Petron heißt Cinnamus; und es liegt nahe, daß auch der Cinnamus der neuen Urkunden, bevor Faustus ihn freiließ, in dessen Haus diese Vertrauensstellung einnahm. Nach Stand und Gewerbe könnten unsere Bankiers ohne weiteres an der Tafel des Trimalchio, ihres Zeitgenossen und Mitbürgers, Platz genommen haben; große Reichtümer wie er aber haben sie mit ihren Geschäften sicher nicht aufhäufen können. 6. Die Bank der Sulpizier ist keine Großbank. Im Jahre 48 sind, wie gesagt, in den Geschäften des Bankhauses neben Faustus und Cinnamus noch vier Sklaven tätig. Von etwa 25 Darlehen, Schuldanerkenntnissen und Apochae kennen wir die gewährten, anerkannten und quittierten Summen. Sie gehen nur ausnahmsweise Edizione 130 / 1; Haftungsübernahme (A. 20) 83 ff. Am Beispiel des Hesychus C. Caesaris Augusti Germanici servus Euenianus (TPSulp. 67 u. 68) erklärt in J. G. Wolf / J. A. Crook, ,Rechtsurkunden‘ in Vulgärlatein (1989) 15 ff. Insgesamt belegen die neuen Urkunden vier oder fünf agnomina: gemessen an der überhaupt bekannten Zahl erstaunlich viele. 25 Das Folgende mit Nachweisen schon FUB 65 (1979) 27. 23 24
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über 20 000 Sesterzen hinaus und belaufen sich häufig auf ausgesprochen geringe Summen. Faustus und Cinnamus leihen je einmal 20 000 Sesterzen aus (TPSulp. 53, 54), Faustus am 13. März 40, Cinnamus am 3. Oktober 45; einer von ihnen im Herbst 45 ex arca 30 000 (TPSulp. 63). Am 4. Dezember 47 quittiert Cinnamus die Zahlung von 30 000 Sesterzen auf eine Forderung seines Patrons von 50 000 (TPSulp. 72). Im Oktober 51 ist Cinnamus’ Schuldner Suavis mit einer Zahlung von 26 000 Sesterzen in Verzug (TPSulp. 85). Ebenfalls im Jahre 51 soll Cinnamus 130 000 Sesterzen quittiert haben; davon seien 80 000 ihm selbst, 50 000 Faustus geschuldet worden (TPSulp. 74). Von diesem Triptychon ist nur die Tafel III, von der scriptura exterior auf Seite 5 nur hier und dort ein Wort erhalten; quinquaginta ist sicher zu lesen; ebenso ist ginta zu lesen, das Camodeca zu [centum tri]ginta ergänzt, weil er in der ausgelaufenen Tintenschrift auf Seite 6 das Zahlzeichen C deutlich, und immerhin auch noch die Zeichen XXX erkennt. Ich habe mich nicht von dieser Lesung überzeugen können. Gesichert ist dagegen ein Schuldanerkenntnis über 94 000 Sesterzen vom 2. Mai 51 (TPSulp. 69). Hier allerdings sehen wir Cinnamus auf der Schuldnerseite und als Gläubiger einen Sklaven des Kaisers, Phosphorus Ti. Claudi Caesaris Augusti servus Lepidianus26, dem Cinnamus auch die Rückzahlung für den 13. Juni verspricht. Zwei Fragmente eines größeren Codex27 enthalten Eintragungen über Zahlungsvorgänge, das eine (TPSulp. 94) unter dem 6. Juni 42 den Vermerk: Eunuo Amaranti Ti. Claudi Caesaris Augusti Germanici servo Hyacinthiani vicario HS ICCC das andere (TPSulp. 95) zunächst: Eunuo Amaranthi vicario HS ICCC , und daran anschließend unter dem 9. Juli 42: Thallo Phori vicario HS CCICC CCICC ICC . Camodeca denkt eher an Auszahlungen credendi causa (205); besser ins Bild passen Zahlungen solvendi causa. Sie passen nicht nur besser zu dem Schuldanerkenntnis vom 2. Mai 51: Daß Bankiers wie Cinnamus und Faustus der ,öffentlichen Hand‘, dem Fiskus, Darlehen gewährten28, wäre schon erstaunlich; daß sie ihm Darlehen dieser Größenordnung, von 50 000 und 25 000 Sesterzen, gewährten, ist so gut wie ausgeschlossen. Umgekehrt wird ein Reim daraus. Tiberius hat in einem Augenblick großer Geldknappheit, um den Kredit wiederherzustellen, 100 Millionen Sesterzen eingesetzt, die per mensas, also durch Banken, ausgeliehen wurden29. Zur Sicherung der Getreideversorgung und Regulierung des Marktes hat die cura annonae ähnliche Wege eingeschlagen. In diese Richtung müßten die weiteren Überlegungen gehen.
Zur Struktur der Namensklausel vgl. ,Rechtsurkunden‘ (o. A. 24) 15 ff. Camodeca vermutet (205): eines codex rationum, wie ihn R. M. Thilo beschreibt, Der Codex accepti et expensi im Römischen Recht (Göttingen 1980) insb. 244 ff. 28 Daß auch Phorus, für den hier sein vicarius Thallus handelte, ein kaiserlicher Sklave war und zur domus Augusta gehörte, ist allerdings nicht gesagt. 29 Tac. 6.17.3. 26 27
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7. Ausführlich untersucht Camodeca das Verhältnis von Diptycha zu Triptycha im Vergleich mit den Urkundenbeständen von Pompeji und Herkulaneum (31 – 36). Wegen der unvollständigen photographischen Dokumentation des neuen Fundes konnte er die Anteile der beiden Urkundenformen am Archiv der Sulpizier nur durch Autopsie der Täfelchen selbst und ihre Zuordnung zu den Photographien ermitteln. Sein Kriterium ist der sulcus auf der (gewöhnlich nicht präparierten) Rückseite der zweiten Tafel, in den bekanntlich die Zeugen ihre Siegel auf den Verschlußfaden setzten, so daß diese nicht auf der Fläche aufsaßen, sondern in der Fläche der Rückseite gleichsam verschwanden30. Nach Camodecas überraschender Beobachtung hatte diesen sulcus nur das Triptychon. Hier bewirkte der sulcus, daß die dritte Tafel auf der zweiten plan aufliegen konnte, ohne daß die Schreibschicht der Seite 5 von den Siegeln auf Seite 4 berührt und die scriptura exterior beschädigt wurde. Beim Diptychon hätte man den sulcus umso eher erwartet, als die Siegel auf der Außenseite der Urkunde ungeschützt waren und leicht abgestoßen werden konnten, außerdem die Aufbewahrung der Urkunden im praktischen Stapel behinderten, wenn nicht ausschloß. Durch den sulcus wurde allerdings die Stabilität der ohnehin dünnen Täfelchen erheblich geschwächt; sie brachen leichter entzwei. Vielleicht wurden aus diesem Grunde die mit einem sulcus hergerichteten Tafeln nur im Verbund mit einer dritten Tafel verwendet. Die mühsame Autopsie der Originale, durch die Camodeca immerhin aber 94 der 127 Urkunden der einen oder der anderen Form zuordnen konnte, ergab mit 27% einen ungleich höheren Anteil von Diptycha als in den beiden anderen Beständen, in denen sie etwa 7% ausmachen (34). Da diese Bestände im ganzen jünger sind als das puteolanische Archiv, sieht Camodeca die Erklärung des Befundes in einer Änderung der Gewohnheiten: die schon in den dreißiger und vierziger Jahren bevorzugte Verwendung des Triptychon habe sich in den fünfziger Jahren weiter durchgesetzt und seit dem Beginn der sechziger Jahre das Diptychon völlig verdrängt. Wenn wir die Vor- und Nachteile des sulcus richtig beschrieben haben, hätten wir auch eine plausible Erklärung für diese Entwicklung. 8. Der letzte Abschnitt der ,Introduzione‘ (36 – 40) gibt unter der Überschrift ,Redazione e scrittura delle tavolette dell’archivio‘ genaue Auskunft über die Siegelung der testationes und chirographa31, über die signatores, ihre Zahl, ihren Stand und ihr Geschlecht, und über die regelmäßige Untersiegelung des chirographum durch den Aussteller. Wir erfahren, daß die Urkunden auch nach ihren Maßen verschieden sind, diese aber offenbar einer Norm folgten, so daß drei Formate unterschieden werden können. Soweit ersichtlich werden in den meisten Urkunden die Worte, wie üblich, durch Punkte, die auf halber Höhe gesetzt werden, gegeneinander abgegrenzt32. Die I longa ist noch außerordentlich häufig, Zur Technik der Urkunden s. etwa ,Rechtsurkunden‘ (o. A. 24) 10 ff. Zu ihrer unterschiedlichen Funktion bei Protokollen und chirographa s. etwa ,Rechtsurkunden‘ (o. A. 24) 12 f. 30 31
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während der Apex erwartungsgemäß selten benutzt wird. Für den Halbvokal v wird vereinzelt das von Claudius eingeführte und bald wieder vergessene ,umgekehrte Digamma‘ verwendet (39). Während Indices die Maße der Urkunden (I 432 – 437), die ,Parole con apices‘ (I 410 – 411) und die ,Parole con I longae‘ (I 412 – 420) verläßlich auflisten, sind die besonderen Schreibweisen und Wortformen nicht in einem eigenen Index erfaßt; sie werden vielmehr in den ,kritischen Apparaten‘ zu den einzelnen Urkunden angezeigt und erläutert. Im allgemeinen folgen die Urkunden von Murecine vorgegebenen Formularen und sind durchweg in ordentlichem Standardlatein geschrieben33. An Ausnahmen fehlt es aber nicht. Sie sind eine Eigentümlichkeit vor allem der chirographa des C. Novius Eunus (TPSulp. 51; 52; 67; 68) und des Diognetus (TPSulp. 45) aus den Jahren 37 bis 39, jener ein Freigelassener, dieser ein Sklave des C. Novius Cypaerus. Sie schrieben, wie sie sprachen: ein kräftiges Vulgärlatein34. Ihre chirographa geben damit für viele vulgärlateinische Bildungen eine neue und präzise Zeitmarke. Vielleicht zeigen sie aber auch, was im Milieu der Sulpizier die Umgangssprache war. Denn daß Cinnamus und Faustus, anders als Eunus und Diognetus, ,nach der Schrift‘ sprachen, ist eher unwahrscheinlich; sie hatten nur gelernt, richtig zu schreiben. Die Texte sind durchweg in einer standardisierten Kursive geschrieben und ganz überwiegend auch klar und deutlich. Bei den testationes und den Außenschriften der chirographa ist diese Disziplin vielleicht nicht verwunderlich; sie sind wenn nicht von Berufsschreibern, so jedenfalls von schreibgewandten Personen geschrieben. Wir beobachten sie aber auch bei den Innenschriften der chirographa, die nach ihrer Definition von der Hand des Ausstellers sind. Die Schriften können durchaus individuell geprägt sein, aber die Bandbreite der persönlichen Schriftgestaltung ist ungleich schmaler als heutzutage. Die chirographa des C. Novius Eunus etwa zeigen eine klare, gut lesbare Schrift, deutlich anders aber als die ebenso eigentümliche des Diognetus. Bemerkenswert ist schließlich der Stand der Alphabetisierung (40). Nur 5 von 30 chirographa sind nicht von der Hand dessen, gegen den sie Beweis machen sollen, und nur drei mit der ausdrücklichen Erklärung, daß er schreibunkundig sei (TPSulp. 46; 78; 98)35.
32 Diese Leseerleichterung ist typisch für juristische, insbesondere Gesetzesinschriften, und seit alters üblich: M. Leumann, Lateinische Laut- und Formenlehre (München 1977, Neuausgabe der 5. Aufl. 1926 – 28) 23. Zu leserfreundlicher Textgestaltung jetzt besonders W. Raible, Zur Entwicklung von Alphabetschrift-Systemen (Heidelberg 1991) 19 ff. (SB Heid. Ak., Phil.-hist. Kl., 1991, Bericht 1). 33 ,Rechtsurkunden‘ (o. A. 24) 13 f. 34 Ein ,Verzeichnis der besonderen Schreibweisen und Wortformen‘ (und auch eine deutsche Übersetzung) dieser Urkunden in ,Rechtsurkunden‘ (o. A. 24) 44 ff., 39 ff. 35 Die Klausel quod is negaret se litteras scire fehlt in TPSulp. 45 und 82; dort schreibt Diognetus nur iussu domini mei Cypaeri coram ipso, hier Epaphroditus rogatu et mandatu
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9. Das gesamte Vokabular der Urkunden ist, computergestützt, in alphabetisch angelegten Indices aufgelistet. Sie folgen dem Muster des Corpus Inscriptionum Latinarum und verzeichnen die Lemmata nicht nur in ihrem Kontext, sondern auch mit allen textkritischen Zeichen. Konsequent enthalten sie auch die Namen und Zahlwörter, die überdies in eigenen Registern (,Nomina‘ I 250 – 255; ,Cognomina 256 – 262; ’Forme numerali‘ 399 – 404) erfaßt sind. Von den ,Lemmi latini‘ (263 – 394) sind zweckmäßig sowohl die ,Lemmi greci‘ (405 – 407) wie die ,Lemmi latini . . . scritti in caratteri greci‘ (408 – 409) getrennt.
III. 1. Die ,Parte seconda‘ mit der ,Edizione critica‘ umfaßt 195 Seiten. Die 127 Urkunden des ,Archivs‘ sind ratione materiae auf 22 Sektionen verteilt, deren Titel den Gegenstand der Urkunden benennen. Sie lauten: I. Vadimonia. Testationes sistendi. – II. Conventio de iudice addicendo. – III. Interrogationes in iure. – IV. Conventio finiendae controversiae. – V. Iusiurandum in iure. – VI. Formulae. Actio ex sponsione tertiae partis; actio certae creditae pecuniae. – VII. Intertium. – VIII. Iudicium arbitrale ex compromisso. – IX. Testationes exhibitionis. – X. Emptiones cum stipulatione duplae. – XI. Locationes. – XII. Mandata. – XIII. Mutua cum stipulatione. – XIV. Nomina arcaria. – XV. Pecunia debita in stipulatum deducta. – XVI. Apochae. – XVII. Pecunia accepta 7κ íáõëùôéκ'ò cum fideiussione. – XVIII. Datio pignoris cum pactione de pignore vendendo. – XIX. Epistula de mercibus accipiendis. – XX. Auctiones. – XXI. Rationum fragmenta. – XXII. Negotia incerta et fragmenta.
41 Urkunden entfallen auf die Sektionen I. bis IX. und betreffen Gerichts- oder Schiedsgerichtsverfahren, 54 auf die Sektionen X. bis XXI. und sind dem materiellen Recht zuzuordnen, 32 können nicht identifiziert werden und sind unter der letzten Rubrik zusammengestellt. Die Ordnung ratione materiae ist sinnvoll und vernünftig und praktisch ohne Alternative, auch wenn sie in Kauf nehmen muß, daß gelegentlich Urkunden, die nach dem Lebenssachverhalt zusammengehören, unter verschiedenen Rubriken eingestellt werden müssen36. seiner Freigelassenen Erotis und coram ipsa. Nach Camodecas Beobachtung (188) lassen Frauen ihre chirographa stets von anderer Hand schreiben. Der Sklave schreibt iussu domini, der Freie dagegen rogatu et mandatu des Erklärenden. In TPSulp. 78 schreibt Romanus für Celer, quod is litteras nesciret – und nicht, wie üblich, quod is negaret se litteras scire. – TPSulp. 58 ist offenbar ein ,eigenes‘ chirographum des Sklaven Pyramus und gehört darum, entgegen Camodeca, nicht hierher. Zu ,Analphabeten als Parteien bei der Abfassung von Geschäftsurkunden‘ vgl. J. M. Fröschl, SZ 104 (1987) 136 ff. 36 Ein Dossier bilden etwa die chirographa von C. Novius Eunus und Diognetus TPSulp. 51, 52, 45, 67, 68; die Urkunden um A. Castricius Isochrysus TPSulp. 22, 23, 24; die Vadimonien und die Streitbeilegung von L. Faenius Eumenes und C. Sulpicius Faustus TPSulp. 2, 3, 27; oder die chirographa des L. Marius Iucundus und des Sklaven Nardus TPSulp. 53, 46, 79. Querverweise fehlen natürlich nicht.
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2. Etwa die Hälfte der Sektionen beginnen mit einer Einleitung. Diese Einleitung kann sehr ausführlich sein, wie die der ,Vadimonia‘, kann sich aber auch auf wenige Zeilen beschränken, wie die der ,Apochae‘. In der Regel geht es um eine Synthese der Urkunden, um eine zusammenfassendes Beschreibung und die Erklärung ihres Inhalts; geht es um das Formular, dem sie folgen, und seine Varianten, auch um die Funktion einzelner Klauseln; Juristen werden angeführt und vergleichbare Urkunden anderer Herkunft; Rückschlüsse auf die Tätigkeit des Bankhauses werden gezogen und gelegentlich auch moderne Interpretationen kritisch diskutiert. Wir sehen: der Autor hat sich hier nicht auf bloße Information oder einen Kanon von Gesichtspunkten festgelegt. Der Benutzen der Edition wird die Einleitung immer mit Gewinn studieren, sie darum aber auch leicht vermissen, wo der Autor auf sie verzichtet hat. 3. Die Darstellung des Urkundentextes bedient sich der international üblichen, dem Material nur hier und da adaptierten diakritischen Zeichen, die, dankenswert, erklärt werden (47). Dem epigraphischen Laien machen sie das Leben nicht leichter; er muß sie jedenfalls genau beachten, wenn er die Gefahr vermeiden will, den realen Überlieferungsgehalt des gedruckten Textes zu überschätzen. Dem Urkundentext voraus gehen eine präzise Beschreibung des gegenwärtigen Zustands der Täfelchen, soweit der Autor sie identifizieren konnte, einschließlich der Nachweise ihrer photographischen Dokumentation; sodann ein Verzeichnis oder auch die abwechslungsreiche Geschichte der früheren Editionen und deren unbefangene Bewertung; sowie schließlich Angaben über Eigenheiten des Texts, die in dessen Darstellung nicht berücksichtigt werden, nämlich über Interpunktion und besondere Schriftzeichen. All das könnte nicht akurater sein. Dem Urkundentext folgt ein ,kritischer Apparat‘, der sich in der Regel nicht auf Erläuterung und Begründung der eigenen Textgestaltung beschränkt, sondern gern die Grenze zur juristischen, prosopographischen oder auch linguistischen Sachforschung überschreitet. Der Benutzer wird diese Hinweise und Bemerkungen im allgemeinen dienlich finden und darum die Einbuße an Übersichtlichkeit, die schon mit ihnen unvermeidlich verbunden ist, leicht in Kauf nehmen. Anderes kommt allerdings hinzu. Der apparatus criticus verzeichnet mit größter Sorgfalt auch alle abweichenden Lesungen früherer Editionen, sowohl fremder wie eigener. Und zwar werden sie nicht nur verzeichnet, wenn der Herausgeber, was freilich selten ist, seiner eigenen Lesung nicht sicher ist und eine andere für möglich hält; oder wenn die abweichende Lesung den Inhalt der Urkunde verändert, etwa das Datum ihrer Errichtung oder Namen beteiligter Personen; oder denn ein ganzes Textstück oder doch ein ganzes Wort betrifft: verzeichnet wird prinzipiell jede abweichende Lesung, auch wenn es nur um einen Buchstaben geht, den vielleicht die editio princeps ergänzt, während Camodeca ihn liest. Damit entsteht ein Bild, das äußerlich der Edition eines Textes entspricht, der in mehreren Exemplaren in verschiedenen Lesarten überliefert ist. Dort verzeichnet
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der ,kritische Apparat‘ die verschiedenen Lesarten, weil sie miteinander konkurrieren und zwischen ihnen eine Auswahl getroffen werden muß, um zu einem einheitlichen Text zu gelangen. Die Texte unserer Urkunden sind dagegen Unikate; für eine recensio ist hier kein Bedarf; sie werden nicht durch Auswahl zwischen unterschiedlichen Lesungen hergestellt, die miteinander konkurrieren. Die Lesung einer Urkunde ist entweder richtig oder falsch und darum die einzige Aufgabe des Herausgebers, ihren Text durch Entzifferung und Übertragung in der richtigen Gestalt wiederzugeben. Abweichende Lesungen sind dabei prinzipiell ohne Belang. Ihr Verzeichnis leistet freilich eines: es dokumentiert, wenn auch immer nur punktuell und darum unanschaulich, mit äußerster Akribie die Geschichte der Edition des Textes. Wer aber wird daran Interesse nehmen? Vielleicht der epigraphische Experte, kaum der gewöhnliche Benutzer der Edition, der Rechtshistoriker, der auf die Sachforschung konzentriert ist. Wenn die ,Edizione critica‘ auf diese Dokumentation gleichwohl nicht verzichten durfte, dann hätte sich für diese Nachweise jedenfalls aber ein eigener Apparat empfohlen. 4. Es ist dies der Ort, auch auf die Ausstattung der Edition mit Abbildungen und Apographa einzugehen, die der zweite Band bereitstellt. Sie ist von großem Aufwand und ganz ungewöhnlich. Wenn ich richtig sehe, ist jede beschriftete Seite eines Täfelchens durch die Abbildung des Originals dokumentiert und jeder Lesung ein Apographum der Beschriftung beigegeben. Die Abbildungen sind die der Soprintendenza von Neapel, deren Inventarnummern bei den Urkunden im ersten Band angegeben werden37. Nur mit Bewunderung kann man von den Apographa sprechen; es sind weit über 200; und jedes einzelne, mit großer Fertigkeit und Sorgfalt gezeichnet, zeugt von der Passion des Autors für seine Arbeit. Abbildungen und Apographa erfüllen verschiedene Funktionen. Die Abbildungen erlauben dem Benutzer der Edition, eine Lesung nachzuprüfen. Das Apographum dagegen ist eine Art Rechtfertigung der Lesung. Der Autor legt offen, welche Veränderungen in der Wachsschicht einer Tafel er ihrer Beschriftung zuweist und in welchen Schriftzügen er die gelesenen Schriftzeichen erkennt. Bei den Beschriftungen der nicht präparierten Außenseiten mit Tinte geht es nur um die Interpretation der Schriftspuren. Mit dem Apographum lädt der Autor ein, seine Lesung an der Abbildung der Tafel zu überprüfen. Das Apographum kann freilich auch den Blick verengen und präjudizieren; über seine Suggestionswirkung sollte man sich nicht täuschen. Diese Erfahrung läßt einen Mangel der aufwendigen Dokumentation noch einmal bedauerlicher erscheinen: die Verkleinerung der Abbildungen. Die Photographien der ,Soprintendenza‘ zeigen die Täfelchen ungefähr in ihrer originalen Größe. Um Nachprüfung und Vergewisserung zu erleichtern, wäre eine vergrößerte 37 S. oben A. 11. Außerdem Abbildungen der von Camodeca veranlaßten Infrarotaufnahmen, etwa Seite 4 von TPSulp. 1bis. Ob auch die erst 1996 im Photoarchiv von Pompeji aufgefundenen Abbildungen (Edizione I 17) verwendet worden sind, konnte ich nicht feststellen.
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Wiedergabe wünschenswert gewesen, jedenfalls aber eine Wiedergabe im Format der amtlichen Photoserien. Die vorzügliche drucktechnische Ausführung hätte darunter nicht zu leiden brauchen38. 5. Zu fast jeder Urkunde gehört schließlich ein Kommentar, der ihren Inhalt wiedergibt und erläutert, juristische Zusammenhänge darstellt, Lebenssachverhalte rekonstruiert und die Funktion des chirographum oder der testatio erklärt; der auf die handelnden Personen oder die Liste der Zeugen eingeht, den Zusammenhang mit anderen Urkunden herstellt oder auf Parallelen verweist; kurz: der das Verständnis der Urkunde erleichtern oder erschließen soll. Im Folgenden gehe ich auf einige Urkunden und Urkundengruppen näher ein. IV. TPSulp. 1 – 21. – Seit den ersten modernen Darstellungen des römischen Gerichtsverfahrens galt unangefochten die Vorstellung, das ,Ladungsvadimonium‘ sei an die Stelle der in ius vocatio getreten; wo es vereinbart wurde, habe es statt ihrer gewährleisten sollen, daß der Verfolgte vor dem Gerichtsmagistrat erscheine. Ebenso widerstandslos hat sich in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten die Einsicht durchgesetzt, daß das ,Ladungsvadimonium‘ keine Form der Prozeßeinleitung war, daß es die in ius vocatio keineswegs abgelöst, vielmehr die Verwendbarkeit des Zwölftafelgeschäfts auch unter den enormen äußeren Veränderungen sicherte, die Rom und Italien seit seiner Einführung erfahren hatten39. Die Einleitung der „documenti vadimoniali“ (49 – 53) schildert diese Funktion des ,Ladungsvadimoniums‘, verliert merkwürdigerweise aber kein Wort darüber, daß es gerade diese Dokumente waren, die uns deren Erkenntnis aufdrängten. Mit 15 Vadimoniums- und 6 Gestellungsurkunden macht diese Gruppe ein starkes Fünftel aller nach ihrem Gegenstand identifizierten Urkunden aus. Ihren Formularen kann man folgenden Wortlaut geben40: Vadimonium factum Numerium Negidium in Kalendas Ianuaruas primas Puteolis in foro ante aram Augusti Hordionianam
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cos Kalendis Ianuariis. Puteolis in foro ante aram Augusti Hordionianam
38 In ,Rechtsurkunden‘ (o. A. 24) geben die ganzseitigen Abbildungen von TPSulp. 51. 2, 3 u. 5; 52. 2 u. 3; 45. 2, 3 u. 5; 67. 2 u. 3; 68. 2, 3 u. 5 die Photographien der ,Soprintendenza‘ in etwa anderthalbfacher Vergrößerung wieder. Vergrößert sind auch die Abbildungen von TPSulp. 48 in ,Haftungsübernahme‘ (o. A. 20) 74 – 78. Die Abbildungen von TPSulp. 78. 2 u. 3 in FUB 65 (1979) 31 sind dagegen im Format unveränderte Reproduktionen der Photographien der ,Soprintendenza‘; Seite 2 mißt in der Fläche etwa 106 cm2, die verkleinerte Abbildung der Edizione weniger als 60 cm2. 39 J. G. Wolf, Das sogenannte Ladungsvadimonium, in Satura Feenstra (1985) 59 – 69. 40 Aufgrund Carlo Giordanos editio princeps von etwa 10 Vadimoniumsurkunden deren Formular schon bei Bove, Documenti processuali (o. A. 1) 63; sodann U. Manthe, Gnomon 53 (1981) 156; außerdem ,Ladungsvadimonium‘ (o. A. 39) 66.
Zu Camodecas ,Edizione critica dell’archivio puteolano dei Sulpicii‘ hora tertia; HS M dari stipulatus est Aulus Agerius spopondit Numerius Negidius. Actum Puteolis Kalendis Decembribus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cos.42
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Numerius Negidius hora tertia stetit quod diceret se cum Aulo Agerio vadimonium habere. Actum.41
Die Gestellungsfrist beträgt am Ort, in Puteoli, in drei Fällen, nach römischer Zählung, 3 Tage (TPSulp. 1bis, 3, 4), in einem Fall 8 Tage (TPSulp. 1)43. Das wohl ebenfalls in Puteoli verabredete, aber auf Rom gerichtete Vadimonium, von dem die Streitbeilegung vom 4. September 48 berichtet (TPSulp. 27), sieht die Gestellung am 1. November dieses Jahres und somit eine Frist von mindestens 59 Tagen vor44. Die wenigen Beispiele lassen nicht erkennen, welche Gesichtspunkte für die Bemessung der Gestellungsfrist maßgebend waren. Der Weg von Puteoli nach Rom, für den der Prätor 8 Tage einräumte45, verlangte jedenfalls keine Frist von 2 Monaten46. Im allgemeinen werden die Kontrahenten die Frist nach ihren konkreten Möglichkeiten und Bedürfnissen eingerichtet haben.
41 Übersetzung: Unter den Konsuln . . . / an den Januar-Kalenden. / In Puteoli auf dem Forum vor dem Hordianischen Altar des Augustus / hat Numerius Negidius zur dritten Stunde sich gestellt, weil er erklärte, daß er mit Aulus Agerius ein Vadimonium habe. / Geschehen. 42 Übersetzung: Vadimonium eingegangen von Numerius Negidius / auf die nächsten Januar-Kalenden / in Puteoli auf dem Forum vor dem Hordianischen Altar des Augustus / zur dritten Stunde. / Daß Sesterzen 1000 gezahlt werden hat sich versprechen lassen Aulus Agerius / hat versprochen Numerius Negidius. / Geschehen in Puteoli / an den Dezember-Kalenden unter den Konsuln . . . . 43 Camodeca zählt vom 25. Okt. bis 1. Nov. 7 Tage (51). – E. Metzger, SZ 117 (2000) 166 ff., versucht jetzt, die 3 Tage-Vadimonien TPSulp. 1bis, 3 und 4 als Vertagungsvadimonien zu erweisen – bei aller Passion und großem Aufwand ohne Erfolg. Besonders unglücklich argumentiert er mit dem intertium der Lex Irnitana, das mit dem Vadimonium nun wirklich nichts zu tun hat. 44 Auch von zwei der vier herkulanensischen Vadimonien kennen wir Abschluß- und Gestellungsdatum; sie gehören zum selben Streitkomplex und sind beide auf Rom gerichtet, nennen aber nicht ihren Abschlußort. TH 14 vom 7. September 75 sah die Gestellung für den 3. Dezember 75, mithin eine Frist von 87 Tagen; TH 15 vom 12. März 76 ,für den nächsten 12. März‘ und mithin eine Frist von einem Jahr vor. Arangio-Ruiz, PP 3 (1948) 140, glaubte dagegen, daß die Gestellung, die zur 3. Stunde erfolgen sollte, für denselben Tag verabredet war, und hielt daran auch gegen den Einwand Piganiols, St. Paoli (1956) 566, fest: Bull. 62 (1959) 229 f. 45 Gai D 2.11.1; Ulp D 50.16.3pr. Beide Stellen beziehen sich auf die Ediktsklausel De vadimonio Romam faciendo: Lenel, EP 55 f. 46 Allerdings ist nicht ausgeschlossen, daß die Vereinbarung auf den 1. November mit dem rerum actus zusammenhing; die Jurisdiktion könnte auch schon vor Marc Aurel (H. A. Marc 10) in den Erntemonaten eingeschränkt gewesen sein. Dieser Zusammenhang wäre vor allem in Betracht zu ziehen, wenn das Vadimonium nicht frei vereinbart, sondern, zur Begründung des Streits in Rom, sein Abschluß dem Beklagten vom Munizipalmagistrat auferlegt war.
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In 20 der 22 Vadimoniums- und Gestellungsurkunden figuriert ein Sulpizier, am häufigsten Cinnamus; wenn ich richtig zähle, in 8 Vadimoniumsurkunden als Verfolger (TPSulp. 1, 4, 6, 7, 8, 9, 13, 14), in 3 Gestellungsurkunden als Verfolgter (TPSulp. 16, 17, 20). Versäumte der Vadimoniumsschuldner den Gestellungstermin, verfiel die Strafsumme, die er dem Kläger für den Fall versprochen hatte, daß er, entgegen seinem Gestellungsversprechen, zur vereinbarten Zeit am vereinbarten Ort nicht erscheine (49 / 50). Das versteht sich. Doch damit nicht genug47. Er mußte auch befürchten, daß der Prätor sein Vermögen beschlagnahmte und dem Kläger zur Veräußerung überwies48. Das Edikt sah diese Maßnahme zwar nicht gegen den vertragsbrüchigen Vadimoniumsschuldner vor; an das vadimonium desertum selbst knüpfte es keine Sanktion49. Wer jedoch sein Gestellungsversprechen nicht einhielt, entzog sich fraudationis causa der in ius vocatio; denn mit dem Vadimonium hatte er ja gerade die Verpflichtung übernommen, sich in eine Lage zu begeben, in der seine Ladung vor den Gerichtsmagistrat auch praktisch möglich wurde. Gegen den aber, der sich fraudationis causa der Ladung entzog und auch nicht von einem Dritten ordnungsgemäß verteidigt wurde, verhieß der Prätor die missio in bona50. In den Vadimonien beträgt die geringste Strafsumme 660, die höchste, nach Camodeca, 50 000 Sesterzen51. Sowohl auf Puteoli wie auf Rom gerichtete Vadimonien sehen Bußen von 50 000 Sesterzen vor, wie jene aber auch diese weit geringere. Der Betrag richtete sich nach dem Streitwert der angekündigten Klage, durfte aber, wie Camodeca meint, 50 000 Sesterzen nicht überschreiten. Auf diese Praxis deute auch die Ankündigung des Klägers in TPSulp. 3, daß er einen Streit über eine höhere als die stipulierte Summe von 50 000 Sesterzen anhängig machen werde. Für das erzwingbare, gerichtliche Vadimonium beschränkte das Edikt die Strafsumme auf die Hälfte des Streitwerts und maximal 100 000 Sesterzen; nur bei den actiones iudicati und depensi sollte die summa vadimonii dem vollen Streitwert entsprechen52. Dieser Vorschrift sei man beim freiwilligen Vadimonium offenbar nicht gefolgt. All das ist gut möglich, aber nicht erwiesen, allenfalls wahrscheinlich. Der Kläger, der den Beklagten im selben Termin mit zwei oder drei Klagen überziehen wollte, ließ sich zu jeder Klage eine poena versprechen. So erklärt sich, daß in mehreren Urkunden das Stipulationsprotokoll zwei oder drei Strafsummen verzeichnet (TPSulp. 1, 3 u. 8). Nur ausnahmsweise wird dagegen Vgl. A. Fliniaux, Le vadimonium (Paris 1908) 73 ff. Das belegt anschaulich Cic. Quinct. 25, 36, 48, 53 f., 56, 60. 49 Insofern zutreffend Fliniaux (o. A. 47) 86 ff.; vgl. Lenel, EP 413 ff. 50 Ulp D 42.4.7.1; Gai 3.78; Lenel, EP 415. Aufgrund dieser Ediktsklausel ist das Vermögen des P. Quinctius zugunsten seines Widersachers Sex. Naevius am 20. Februar 83 v. Chr. beschlagnahmt worden, vgl. ,Ladungsvadimonium‘ (o. A. 39) 65 A. 28 und 30. 51 S. indessen u. zu TPSulp. 15. 52 Gai 4.186. 47 48
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die beabsichtigte Klage auch benannt (TPSulp. 2 u. 15) und damit vermutlich die editio actionis dokumentiert53. Die testatio sistendi verzeichnet in der Form des Protokolls die Gestellung und eine Erklärung des Vadimoniumsschuldners; vadimonium habere cum aliquo wird nämlich, entsprechend der Grundbedeutung von vadimonium, von ihm gebraucht54. Mit der zweiten Klausel hält das Protokoll fest, daß Numerius Negidius erklärte, er sei erschienen, weil er Aulus Agerius versprochen habe, sich für den Gang vor den Gerichtsmagistrat zu stellen. Die Klausel, von der nicht alle Gestellungsurkunden Gebrauch machen, identifiziert vollends das Vadimonium, in dessen Erfüllung die Gestellung erfolgte. Dabei versteht sich, daß die Zeugen nur die Erklärung über das Vadimonium und nicht das Vadimonium selbst besiegeln konnten; denn nur die Erklärung war vor ihnen abgegeben, das Vadimonium dagegen nicht in ihrer Gegenwart vereinbart worden55. Die Juristen, auf die Camodeca (zu TPSulp. 18, lin. 6) verweist, verwenden quod diceret gern, wo sie Parteivorbringen darstellen56; wie in den Urkunden soll der Konjunktiv nicht das Erklären, sondern das Erklärte als fremde Ansicht kennzeichnen57; die spezifisch urkundentechnische Funktion hat die Ausdrucksweise in den Juristenschriften natürlich nicht. Von den 22 „documenti vadimoniali“ bestimmt Camodeca mit Gewißheit 7 als Diptycha und 6 als Triptycha. Kein Triptychon ist vollständig erhalten und von vier (TPSulp. 6, 9, 10 u. 18) nur Tafel III – mit der allerdings stets vollständigen Außenschrift des Urkundentextes58. Von 9 Urkunden (TPSulp. 2, 5, 7, 8, 11, 13, 16, 17 u. 19) haben wir nur Tafel I – durchweg allerdings mit der nahezu vollständigen Innenschrift59. Daran läßt sich die vorläufige Beobachtung knüpfen, daß die
53 TPSulp. 2 enthält, als Attribut zu Aulus Agerius, den Zusatz acturus ex empto, TPSulp. 15 acturus ex vendito. Vgl. Ulp D 2.13.1pr.: . . . aequissimum videtur eum qui acturus est edere actionem . . . . 54 Vgl. ,Ladungsvadimonium‘ (o. A. 39) 62, 68 f. 55 Darum quod diceret se cum Aulo Agerio vadimonium habere und nicht quod cum Aulo Agerio vadimonium habet. Dieser gelegentlich mißverstandenen Präzision des Protokolls begegnen wir in den Urkunden immer wieder: TPSulp. 25.3.2; 32.2.7; 33.2.6; zu TPSulp. 90. 2. 10; 91. 2. 10; 92.2.9 siehe u. A. 175. 56 Anschaulich etwa Paul D 10. 2. 41. 57 Vgl. R. Kühner / C. Stegmann, Ausführliche Grammatik der lateinischen Sprache, Satzlehre (4. Aufl. Darmstadt 1962) II 200 f. 58 Von TPSulp. 3 ist außer der Tafel III mit der vollständigen Außenschrift auf Seite 5 auch die Tafel I erhalten. Auf Seite 2 bricht die Innenschrift vor der Stipulationsklausel ab. Um den vollständigen Urkundentext zu bewahren, hätte man statt Tafel III auch Tafel II aufheben können. – Von TPSulp. 21, einer testatio sistendi, gibt es nur Tafel II, die Camodeca wegen ihres sulcus auf Seite 4 einem Triptychon zuweist; sie hat auf Seite 3 von der Innenschrift nur noch die quod diceret-Klausel. 59 Bei den Vadimonien fehlt vom Urkundentext selbst durchweg nach spopondit oder fide promisit nur der (eingangs der Urkunde schon genannte) Name des Schuldners; in den Gestellungsurkunden fehlt auf Seite 2 allenfalls stetit; die quod diceret-Klausel haben diese Urkunden (TPSulp. 16, 17 u. 18) offenbar nicht benutzt.
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Täfelchen offenbar allein der Urkundentexte wegen ausgewählt und aufbewahrt wurden. Von TPSulp. 21, einer testatio sistendi, gibt es nur Tafel II, die Camodeca wegen ihres sulcus auf Seite 4 einem Triptychon zuweist; sie hat auf Seite 3 ein Stück der Innenschrift. Von sechs weiteren Urkunden, allesamt Diptycha, haben wir auch die Tafel II, immer aber auch die Tafel I und somit stets die vollständige Innenschrift auf den Seiten 2 und 3. TPSulp. 1. – Die Korrektur des Gestellungsdatums (2.2)60 gegenüber L’archivio 58 überzeugt, so daß die Gestellungsfrist nach römischer Zählung 8 Tage betrug. – Die drei Strafsummen entsprechen drei Klagen, die der Kläger im selben Termin anhängig machen will; sie können, müssen aber nicht, etwa ihrem Ursprung nach, „connessi“, miteinander verbunden sein; so könnten sie aus drei Darlehen herrühren. TPSulp. 2. – VIII K (2.2) liest sich keineswegs „senza alcun dubbio“; K könnte allenfalls nachträglich interlinear eingefügt worden sein61. – Obwohl Tafel II fehlt, rekonstruiert Camodeca Seite 3. Ebenso verfährt er TPSulp. 5, 7, 8, 13, 16 u. 17; gelegentlich ist es nur Actum, meistens Actum Puteolis / consulibus, manchmal noch das Cognomen des Beklagten, was ergänzt wird. Da die Formulare bekannt sind, sehe ich darin keinen Gewinn. Es irritiert vielmehr, da die sonst so akribische Textgestaltung dieselbe ist, wenn, wie bei TPSulp. 15, Tafel II zwar erhalten, die Beschriftung der Seite 3 aber nicht mehr lesbar ist. TPSulp. 3. – Näherer Aufklärung hätten die konkurrierenden Wortformen rem (2.5) und rei (5.5) bedurft. Vorzuziehen ist die scriptura interior mit HS L MAIORIS SUMMAE REM IN IUDICIUM DEDUCturus . . . stipulatus est L. Faenius Eumenes: ,50 000 Sesterzen hat sich L. Faenius Eumenes versprechen lassen, der beabsichtigt, einen Streit über eine höhere Summe anhängig zu machen‘62. TPSulp. 5. – Vor IDuS (2.3) sehe ich keine Schriftspuren. IAnuarius ist möglich, aber nicht gesichert. 2.6 / 7 Faustus läßt sich zwei Strafsummen versprechen, deren Lesung ich nicht bestätigen kann. TPSulp. 7. – 2.2 Am Ende der Zeile lese ich maRT. TPSulp. 9. – 5.3 / 4 Camodeca sieht für hordionianaM nicht genügend Platz und ergänzt darum ANTE ARAM AuGUSTI suettianaM. In Puteoli war die ara Augusti Hordioniana der übliche Gestellungsort der Sulpizier. TPSulp. 10. – Ein vadimonium cum aliquo hat der Vadimoniumsschuldner. Danach wäre Cassius Serenus der Kläger gewesen. Indessen ist nicht deutlich, was 60 Ich zitiere mit arabischen Zahlen in der Reihenfolge Urkunde, Seite, Zeile; TPSulp. 1.2.3 bedeutet Urkunde 1, Seite 2, Zeile 3. Wo, wie hier, die Urkunde schon genannt ist, zitiere ich nur Seite und Zeile. 61 In ,Streitbeilegung‘ (o. A. 19) 781 A. 34 habe ich VI N IUL (2. Juli) gelesen. 62 Vgl. U. Manthe, Gnomon 53 (1981) 156 f.
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Gegenstand der Beurkundung gewesen sein sollte. Zu lesen ist denn auch nicht CUM, sondern, wie Camodeca gleichfalls erwogen hat, FACTUM, offenbar verbessert, vielleicht aus CN oder CUM. Auch in dieser Fassung ist der Text aber nicht die übliche scriptura exterior; gegenüber dem Formular ist er umgestellt und erheblich verkürzt; Stipulation und Ausstellungsdatum fehlen überhaupt. TPSulp. 12. – Durch Umsicht und mit Scharfsinn hat Camodeca in TP 116 und TP 79 die Seiten 2 und 3 dieses Diptychons entdeckt. – Von Claudius wird berichtet, daß er je eine Kohorte nach Ostia und Puteoli legte (Suet. Claud. 25.2). Da er erst 41 n. Chr. an die Macht kam, sind die Konsulate eher später, also in den Jahren 43 / 4 anzusetzen. – Lucretius Firmus hat am 27. August Aelius Valentius aufgefordert, den Sklaven Felix in seiner potestas zu behalten (TPSulp. 26); zwei Tage später vereinbaren sie das Vadimonium. Die Vorgänge spielen in Capua, wo auch die Urkunden ausgestellt sind63. Sulpizier sind nicht beteiligt. Wie die Urkunden in ihr Archiv kamen, wird uns sicher noch erzählt werden. TPSulp. 15. – 2.2 Am Anfang der Zeile lese ich nur C und schließe als zweiten Buchstaben A aus; und erst wieder gegen Ende der Zeile EMBR PRiM, was auch zu septEMBRes PriMas ergänzt werden könnte. 2.5 Das Zahlzeichen ist einwandfrei CIC und sowohl über- wie unterstrichen; seine Bedeutung ist jedoch nicht gesichert, vermutlich aber 100 00064. TPSulp. 16 und 17. – Die beiden Innenschriften sind von derselben Hand, die Urkundentexte im Wortlaut identisch. 17.2.1 / 2 sind die Konsuln, TI CLAUDIO CAESARE AUGUSTO V . T. FLAVIO VESPASIANO, klar zu lesen, während Tag und Monat fehlen (die offenbar radierten Schriftspuren zwischen den Zeilen 2 und 3 gehören zu einer älteren Beschriftung). 16.2.1 ist dagegen nur CAESARE AU und 2.2 kein Buchstabe zweifelsfrei zu lesen; Tag und Monat, die zunächst auch hier fehlten, sind nachträglich eingesetzt worden: III K Novembres: 30. Oktober. Ohne hinreichende graphische Grundlage in 16.2.2 ergänzt Camodeca die Konsulate nach 17.2.1 / 2. Wegen der Übereinstimmung von Tag und Monat ist jedoch die Ergänzung nach TPSulp. 87.2.1 / 3 geboten: TI CLAUDIO CAESARE AUGUSTO V .·. L CALVENTIO VETERE. Das entspricht auch der bisher bekannten Konsulatsliste des Jahres 5165. Danach liegt nahe, daß die beiden Urkunden vorbereitet wurden, als zwar der Wechsel im Konsulat zum 1. November schon bekannt war, dagegen noch nicht feststand, wann die Gestellung erfolgen würde, vor dem 1. November oder nach dem 31. Oktober. TPSulp. 19. – Es ist Camodecas’ Entdeckung, daß unter den summi viri der Republik, die Augustus auf seinem Forum aufstellen ließ, auch ein Gracchus Vgl. unten A. 82. Vgl. Dessau ILS V 798; J. Marquardt, Römische Staatsverwaltung (3. Aufl. Darmstadt 1957) II 39 ff. 65 Vgl A. Degrassi, I fasti consolari dell’impero romano (Roma 1952) 14; P. Gallivan, The Fasti of the Reign of Claudius, in Classical Quarterly 28 (1978) 425. 63 64
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war66, nach seiner Darstellung67 glaubhaft Ti. Sempronius Gracchus, cos. 177 und 163, der Vater der berühmten Brüder. TPSulp. 21. – Erst Camodeca hat gesehen, daß die Photographien Nr. 13715 und 14723 und die Abbildung Tav. VII bei A. Landi68 die Seiten 3 und 4 ein und derselben Tafel sind. – 3.4 lese ich eindeutig CURIALI, vgl. das L in STLACCIO. – 4.6 lautet das Cognomen wahrscheinlich COLCHI. * TPSulp. 22. – Die Lex Irnitana hat die freie Richterwahl bestätigt69. In Kap. 87 verpflichtet sie den Magistrat, bei der Richterbestellung in erster Linie und ungeachtet der Richterliste dem einverständlichen Vorschlag der Parteien zu folgen. TPSulp. 22 liefert dazu direkte Anschauung: die Verständigung auf einen iudex, der, nach seinem Cognomen Anthus zu urteilen, ein Freigelassener war und schon darum auf der Richterliste gar nicht figurieren konnte70. Das chirographum gehört zum Dossier der Castricii: C. Sulpicius Faustus befragt in iure am 28. April 35 A. Castricius Eros Hordionianus, ob er heres oder bonorum possessor (TPSulp. 24), und am Tag darauf, am 29. April 3571, A. Castricius Onesimus, ob er heres des A. Castricius Isochrysus sei (TPSulp. 23), beide auch zu welcher Quote sie es seien. Onesimus war zu einem geringen Bruchteil Erbe des Isochrysus; Eros Hordionianus, ersichtlich sein im Testament vernachlässigter Patron72, bonorum possessor ex parte dimidia. Isochrysus hatte offenbar bei Faustus Schulden. Um sie sollte es vermutlich auch in einem oder in mehreren Verfahren gehen, die Faustus schon im Januar oder Februar 35 vorbereitete oder für möglich hielt: Prozesse gegen A. Castricius Celer. In seinem chirographum (TPSulp. 22) beurkundet Celer, mit Faustus vereinbart zu haben, daß in allen Streitigkeiten, die zwischen ihnen bestehen und zwischen Faustus und Isochrysus bestanden73, A. Titinius Anthus Maior iudex sein soll – ante idus Apriles primas: offenbar in den Verfahren, die vor dem 13. April 35 rechtshängig werden sollten. Faustus und Celer verständigten sich also darauf, in einem beabsichtigten oder allfälligen Prozeß, dem Magistrat vorzuschlagen, Anthus Maior als Richter einzusetzen. Zugleich verpflichtete sich Celer, Faustus eine Buße von 100 000 Sesterzen zu zahlen, wenn er, Celer, nach
Vgl. ,Ladungsvadimonium‘ (o. A. 39) 63 A. 20. L’archivio 90. 68 Ricerche sull’onomastica delle tabelle dell’agro Murecine, in Atti Accad.Pontan. 29 (1980) nach S. 180. 69 M. Kaser, Das römische Zivilprozeßrecht (München 1966) 141. 70 Vgl. dazu jetzt auch Lex Irnitana Kap. 86. 71 Zu diesem Datum s. unten bei TPSulp 23. 72 So schon U. Manthe, Gnomon 53 (1981) 159. 73 Nach Camodeca pag.2 lin.8 war Isochrysus „verosimilmente un colliberto , socio o procuratore di Celer“; warum Celer nicht einer seiner Erben? 66 67
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Camodecas Lesung: dolo malo, verhindern sollte, daß Anthus Maior als iudex addiziert wird. Der Inhalt der Urkunde ist insoweit gesichert, obwohl nur Teile der Beschriftung (der Innenschrift auf den Seiten 2 und 3, und der zweiten Hälfte der Außenschrift in Tinte auf Seite 1) in überwiegend schlechtem Zustand erhalten sind74. Mit Camodecas Lesung und seinen Ergänzungen bin ich im ganzen einverstanden. 2.8 hat er sich zutreffend für Isochrysum entschieden75, das ich mit noch größerer Zuversicht lese; 3.2 hat wie die Außen- auch die Innenschrift NON FIET und nicht NON FIAT. Ein glänzender Einfall ist es, am Ende der Zeile 3.3 nicht mehr AM, sondern D M zu lesen und mit Dolo Malo aufzulösen. Der Vorschlag, für den Scaevola D 45. 1. 122.2 angeführt werden könnte, wäre indessen noch überzeugender, wenn Camodeca, nach Manthes eingehender Analyse76, die Diskussion gerade dieses Textstücks, 2.14 – 3.6 und 1.5 – 10, aufgenommen und womöglich auf den Punkt gebracht hätte. 1.7 / 8 QUOd . . . per me . . . NON FIAT QUOMINus wird auch mit Dolo Malo nicht richtiger; die Verneinung ist einfach falsch77; die Bedingung der Stipulation könnte richtig gelautet haben: QUOdsi per me heredemve meum dolo malo {NON} FIAT QUOMINus is a titinius ANTHUS MAIOR qui supra scriptus EST iUDEX ADDICATUR. Der vorausgehende Satz, den Manthe mit weitreichender Konsequenz für eine alternative Fassung der Bedingung hält, könnte die Bedeutung gehabt haben: ,Wenn aber Titinius nicht als Richter bestellt wird, so wird dies nicht an mir oder meinem Erben liegen‘: si autem is a tiTINIUS ANThus maior qui supra scriptus est iudex addictus nON ERIT, QUOd per me heredemve meum noN FIET. * TPSulp. 23 und 24. – Die beiden Diptycha sind Protokolle über interrogationes in iure. In beiden ist es Sulpicius Faustus, der fragt, sind die Befragten Castricii78 und geht die Frage auf ihre Erbenstellung. Beide haben A. Castricius Isochrysus beerbt: Onesimus als ziviler Erbe zu 11 / 120 (TPSulp. 23), Eros Hordionianus als prätorischer Erbe zu 1 / 2 (TPSulp. 24). Die Urkunden haben erwiesen, daß nach Erbenstellung und Erbquote gefragt werden konnte; Aufmerksamkeit hat die komplizierte Quote gefunden; und merkwürdig erschien auf den ersten Blick, daß 74 Die Apographa Onoratos, des ersten Bearbeiters der Urkunden (Edizione 15), die F. Sbordone, RAAN 51 (1976, ersch.1977) nach 168 Tav. IV Fig. 7 und 8, veröffentlicht hat, können nicht als Instanz, sondern nur als Vorschlag gelten. 75 Zurückhaltend noch L’archivio 99. 76 In seiner Rezension von L’archivio in Labeo 40 (1994) 371 – 373. 77 U. Manthe, Labeo 40 (1994) 373. 78 Siehe soeben zu TPSulp. 22. Ein weiterer A. Castricius in TPSulp. 81 vom 20. Juni 45, siehe u. bei A. 168.
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neben einem zivilen ein prätorischer Erbe auftrat. Manthe hat früh79 und wiederholt80 die Quote richtig berechnet und vor allem die bonorum possessio des Eros Hordionianus schlüsssig erklärt, so daß Camodeca ihm zu Recht auch im Einzelnen gefolgt ist (83). Urkunden wie diese (oder auch TPSulp. 27) zeigen gegen verbreitete Skepsis exemplarisch, daß die Rechtsordnung, wie sie sich in den gelehrten Schriften der römischen Jurisprudenz darstellt, kein blutleeres Normengerüst ohne Wirklichkeitsgehalt war, sondern in ihrer ganzen Komplexität ein akzeptiertes und gelebtes Regelwerk. TPSulp. 23. – Das erst von Camodeca zwischen den Zeilen 2.3 und 2.4 entdeckte winzige heres hat der Schreiber zwischen essetne und A. Castricio nachträglich eingefügt, ohne das nachgestellte heres am Ende der Zeile 2.4 zu löschen. Die wohl beabsichtigte Korrektur war nicht erforderlich, die Stellung des Subjekts nach dem Dat. possess. durchaus möglich. TPSulp. 24 vom Vortage benutzt den Gen. possess. und stellt heres voran. – Camodeca datiert das Diptychon auf den 19. April, weil er 3.1 liest XIII K Maias; was er mit Vorbehalt als X deutet, kann ich nicht als solches gelten lassen; daher datiere ich die Urkunde auf den 29. April. TPSulp. 24. – Der Erblasser A. Castricius Isochrysus war, wie gesagt, ein Freigelassener des von Faustus befragten A. Castricius Eros Hordionianus, dieser seinerseits der Freigelassene eines A. Castricius. Weil das zweite Cognomen des Eros, sein Agnomen Hordionianus nicht von einem Cognomen, sondern von dem Geschlechtsnamen Hordionius abgeleitet ist, nimmt Camodeca an (31), daß Hordionius nicht der Vorbesitzer, sondern der Miteigentümer des Eros, Eros mithin der servus communis des A. Castricius und Hordionius war. Da viele Agnomina aus Gentilicia gebildet sind81, ist dieser Schluß zweifelhaft. TPSulp. 25. – Die dritte Urkunde über eine interrogatio in iure datiert vom 5. Februar 55. Das mit Innen- und Außenschrift, Zeugenliste und selbst Index gut erhaltene Triptychon protokolliert die Befragung nach Eigentum und tatsächlicher Gewalt über zwei Sklaven. Cinnamus befragt seinen Geschäftspartner C. Iulius Prudens: ESSEntne hominES HYGINUS ET HERMES Servi eiUS ET IN POSTETATE82 EIUS. Hyginus war schon im Jahre 48 einer der Gehilfen des Prudens; damals vereinbarten Prudens und Cinnamus, daß Prudens auch aus den Geschäften des Hyginus mit Cinnamus oder einem anderen Repräsentanten des Bankhauses haften, und zwar nur Cinnamus haften sollte. Jetzt lagen sie offenbar in Streit. Ein Prozeß in Rom stand bevor; Cinnamus wollte Prudens de credito suo verklagen. Ob es zu diesem Prozeß Gnomon 53 (1981) 158 f. Labeo 40 (1994) 374. 81 Vgl etwa H. Chantraine, Freigelassene und Sklaven im Dienst der römischen Kaiser (Wiesbaden 1967) 293 mit A. 1. 82 Vgl. D 9. 4. 21.3 Ulp 23 ed (De noxalibus actionibus). 79 80
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wirklich gekommen ist, wissen wir nicht. Denn Ende des Jahres sehen wir sie in einem Schiedsverfahren: am 14. Dezember 55 verfügt M. Barbatius Epaphroditus, arbiter ex compromisso, auf den sie sich verständigt haben, einen Termin ad audiendum in Puteoli auf den 15. März 56. Das Formular, dem die Urkunde folgt, war auf Noxalprozesse zugeschnitten; das zeigt die Doppelfrage nach Eigentum und tatsächlicher Gewalt und die Aufforderung, die Sklaven in der Gewalt zu behalten und im Prozeß in Rom vorzuführen: DENUNTIATIV . . . UTI HYGINUM ET HERMEN . . . IN POSTESTATE SUA HABERET EOSQUE ROMAE EXHIBERET83. Das Verständnis der Urkunde wird indessen durch zweierlei erschwert: zum einen ist in der Antwort SUOS SUAQUE IM POTESTATE ESSE in aller Deutlichkeit SUAQUE IM POTESTATE durchgestrichen, also nur die erste Frage nach dem Eigentum beantwortet worden; und zum anderen ist der denuntiatio angefügt: QUOD DICERET AD COGniTIONEM IUDICIS QUI INTER SE ET EUM FUTURUS ESSET DE CREDITO SUO PERTINERE: ,was, wie er sagte, für das Verfahren vor dem iudex, der zwischen ihm, Cinnamus, und Prudens über seinen Kredit urteilen werde, von Bedeutung sei‘. Der Prozeß, dessen Vorbereitung die interrogatio diente, war demnach kein Haftungsprozeß; Cinnamus wollte Prudens nicht aus Delikten seiner beiden Sklaven Hyginus und Hermes in Anspruch nehmen, sonder offenbar aus Kreditgeschäften, die er mit ihnen getätigt hatte. Kunkel84 und Manthe85 haben an eine Pekuliarklage gedacht, Lemosse86 an eine actio institoria oder auch quod iussu. Hier ist sicher noch weiter zu kommen. Auch die Bedeutung der abschließenden Klausel DESIDERANTI C IULIO PRUDENTI VERBA EDITA SUNT (3.5 / 6) scheint mir noch nicht geklärt; nach Camodeca besagt sie nicht mehr, als daß Prudens eine Kopie der Urkunde erhalten hat. Für seinen Kommentar konnte sich Camodeca im übrigen wieder auf Manthe stützen, dessen gedrängte Analyse die Probleme erschlossen hat. * TPSulp. 27. – L. Faenius Eumenes und Faustus sind die Kontrahenten der conventio finiendae controversiae vom 4. September 4887. Sie hatten einen oder mehrere Kaufverträge geschlossen. Darüber war es zum Streit gekommen und Eumenes willens, Faustus zu verklagen. Auf den 24. Juni88 leistete Faustus ein Vadimo83 Nur die Aufforderung, den Sklavenjungen Felix in der potestas zu behalten, ist von TPSulp. 26 bekannt; sie gehörte wahrscheinlich auch zu einer interrogatio in iure. Die Urkunde ist in Capua ausgestellt, zwei Tage, bevor offenbar dieselben Personen ebenfalls in Capua das Vadimonium TPSulp. 12 vereinbarten. 84 Epigraphik und Geschichte des römischen Privatrechts, in Vestigia 17 (1973) 205 f. (= Akten des VI. Internationalen Kongresses für Griechische und Lateinische Epigraphik, München 1972). 85 Gnomon 53 (1981) 159 f. 86 RH 62 (1984) 225 ff. 87 Das Folgende im wesentlichen schon ,Streitbeilegung‘ (o. A. 19) 781 ff.
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nium; Eumenes hatte eine Klage aus Kauf mit einem Streitwert von 50 000 Sesterzen angekündigt (TPSulp. 2). Was aus diesem Termin geworden ist, wissen wir nicht. Offenbar sind die Kontrahenten aber zu keinem Ende gekommen. Denn wenige Tage später, am 3. Juli 48, vereinbarten sie ein zweites Vadimonium, das auf den übernächsten Tag, den 5. Juli, gestellt war. Diesmal wollte Eumenes zwei Klagen erheben: die eine wegen einer Rechtssache mit einem Streitwert von mehr als 50 000 Sesterzen, die andere wegen eines als Arrha hinterlegten Ringes, vermutlich auf seine Rückgabe (TPSulp. 3). Ob die beiden Klagen am 5. Juli in Puteoli anhängig wurden, wissen wir wieder nicht. Der Streit ging jedenfalls weiter. Demnächst sollte in Rom prozessiert werden; am 1. November wollte man vor dem Prätor verhandeln. Das Vadimonium war schon verabredet (2.12 – 15), als am 4. September Eumenes und Faustus den Streit beilegten. Eumenes und Faustus wollten den Prozeß nicht selbst führen; beide hatten einen Kognitor bestellt, Eumenes den L. Faenius Thallus, Faustus den Ti. Iulius Sporus89. Der Beklagte, der sich durch einen Kognitor vertreten ließ, mußte dem Kläger die cautio iudicatum solvi leisten (Gai 4.101), und da sie eine satisdatio war, auch einen Bürgen stellen. Faustus hatte diese Voraussetzungen einer idonea defensio durch seinen Kognitor Sporus erfüllt, und Sporus dem Kognitor des Klägers, Faenius Thallus, die Gestellung in Rom versprochen90 und das Vadimonium auch durch Bürgenstellung gesichert91. Finiendae controversiae causa kamen Faustus und Eumenes überein, daß Eumenes cautio und Vadimonium erläßt (2.3 – 10). Der Erlaß der cautio war unproblematisch und geschah durch acceptilatio (3.9 – 12). Das Vadimonium hätte dagegen nur der Vadimoniumsgläubiger Thallus dem Vadimoniumsschuldner Sporus regelrecht erlassen können. Eumenes und Faustus taten, was noch 150 Jahre später Ulpian92 empfiehlt: Eumenes versprach Faustus, daß niemand93 Sporus oder seinen Bürgen aus dem Vadimonium in Anspruch nehmen werde, und wenn es doch geschehe, ihn schadlos zu halten (2.11 – 3.8). Der Urkundentext ist ein chirographum des L. Faenius Eumenes. Er gliedert sich in zwei Abschnitte. Der erste Abschnitt dokumentiert die conventio, der zweite, graphisch abgesetzt und mit ideo eingeleitet, die im Vollzug der conventio abgeschlossenen Geschäfte. Innen- und Außenschrift des Diptychons sind gut dokuWegen TPSulp. 3 und 27 vermutlich desselben Jahres. Zum Datum s. auch oben A. 61. Ihn hat in der Urkunde erst Camodeca, Puteoli 12 – 13 (1988 – 89, ersch.1990) 43 f., entdeckt. 90 In ,Streitbeilegung‘ (o. A. 19) 785 habe ich fälschlich angenommen, daß Faustus das Vadimonium leistete. 91 Sie war erforderlich, wie von Lenel, EP 81 A.4 vermutet wurde und jetzt von Camodeca (92) angenommen wird, weil das Vadimonium von einem Kognitor geleistet wurde. Überholt sind damit meine Überlegungen in ,Streitbeilegung‘ (o. A. 19) 786 ff. 92 D 45. 1. 38.2. 93 Auch dazu vgl. Ulp D 45. 1. 38.2. 88 89
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mentiert. Darum konnte der Text, trotz großer Ausfälle in beiden Fassungen, zuverlässig wiederhergestellt werde. Camodecas große Lesekunst hat sich dabei mehrfach bewährt. Seine Lesung l VITELLIO F (2.1) und l viteLLIO FILIO (4.1) ist zwar kaum nachzuvollziehen, obwohl sie der Erwartung entspricht; die nahe liegende Deutung des Zahlzeichens der Vadimoniumssumme in der Außenschrift (1.3) als ICCC ist dagegen einleuchtend. Beifall und Zustimmung verdient aber vor allem Camodecas ,Entdeckung‘ des von Faustus bestellten Kognitors Ti. Iulius Sporus (2.7; 2.12; 3.2; sowie 4.6 / 7; 4.10; 1.4); nicht Faustus, wie ich die Urkunde gelesen habe, sondern er, Sporus, hat das auf Rom gestellte Vadimonium mit Thallus vereinbart. Erst durch diese Korrektur wird die Urkunde wirklich konsistent94. Ihre juristische Interpretation berührt sie allerdings nur am Rande: wir wissen nun auch, warum das vadimonium Romam factum durch eine Sponsionsbürgschaft gesichert war95. * TPSulp. 28 und 29. – Die beiden Urkunden haben bisher kaum Interesse gefunden. Entsprechend knapp ist Camodecas Kommentierung. Sie erschließen sich allerdings auch nicht leicht dem Verständnis. TPSulp. 28 ist das Protokoll einer Eidesdelation, TPSulp. 29 einer Eidesleistung. Der Gerichtsgang konnte bekanntlich durch Eidesleistung abgekürzt oder erledigt, bisweilen wohl auch vermieden werden. Bei einigen Klagen gestattete das Edikt dem Kläger, dem Gegner einen Eid aufzuerlegen. Durch freiwillig übernommenen Eid konnten die Parteien dagegen in allen Streitsachen das Klagbegehren selbst oder die klagbegründende Tatsache oder auch einen für die Begründung der Klage maßgebenden Tatbestandsteil außer Streit setzen. Der Eid mußte freilich angetragen sein und so geschworen werden, wie er angetragen wurde. Jede Partei konnte ihn der anderen deferieren. Der deferierte Eid konnte ohne Folgen verweigert werden. War der Gegner zur Eidesleistung bereit, konnte ihm der Deferent den Schwur erlassen; der erlassene Eid stand dem geleisteten gleich. Um den Gang vor den Prätor nach Möglichkeit zu vermeiden oder auch nur den Prozeß zu vereinfachen, wird der Eid regelmäßig schon im Vorfeld des Verfahrens deferiert und geschworen worden sein, etwa im Vadimoniumstermin. So war es im Fall von TPSulp. 28. Die beiden Urkunden sind von derselben Hand geschrieben; sie sind beide in Puteoli im Jahre 49 errichtet worden, TPSulp. 28 am 1. Februar, TPSulp. 29 spätestens im März; in beiden ist in der Rolle des Klägers ein Fortunatus, in der des Beklagten in TPSulp. 28 Cinnamus, in TPSulp. 29 ein Sulpicius; und als Eidesdelation und Eidesleistung ergänzen sie sich auch. All das spricht dafür, daß die beiden Urkunden in einem Zusammenhang stehen. Daß sie aber aus demselben Eides94
Denn Eumenes erwähnt ja eigens 2.5 / 6: qua de re ultro citro cognitores a nobis dati
sunt. 95
Siehe o. A. 91.
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verfahren herrühren, daß, wie Camodeca annimmt, in TPSulp. 29 der Eid protokolliert ist, dessen Delation TPSulp. 28 dokumentiert, ist damit noch nicht gesagt. TPSulp. 28, soweit erhalten und mit meinen hypothetischen Ergänzungen, könnte übersetzt werden: ,Als man zum Vadimoniumstermin erschienen war, den C. Sulpicius Cinnamus mit L. Patulcius Fortunatus hatte, und C. Sulpicius Cinnamus erklärte, daß er bereit sei, so zu schwören, wie man übereingekommen war, falls ihm 3000 Sesterzen geschuldet werden, deferierte ihm L. Patulcius den Eid . . .‘. Man war also in einem Vadimoniumstermin, Cinnamus der Vadimoniumsschuldner. Über das Schwurthema hatte man sich verständigt, und als Cinnamus sich jetzt bereit erklärte, den Schwur mit dem verabredeten Inhalt zu leisten, wurde er ihm so von Fortunatus deferiert. Offenbar trug er ihm an, auf seinen Eid zu nehmen, ,daß ihm, Cinnamus, Geld geschuldet wird‘. Cinnamus? Dem Vadimoniumsschuldner, den Fortunatus auf dem Wege ist zu verklagen? Das scheint die Dinge auf den Kopf zu stellen. Doch erinnern wir uns: das Schwurthema kann, muß aber nicht das Klagbegehren selbst in Abrede stellen. Aufschluß über den Rechtsstreit zwischen Cinnamus und Fortunatus gibt TPSulp. 29. Fortunatus verfolgte Cinnamus wegen eines Injuriendelikts: er wollte ihn mit einer actio iniuriarum überziehen; denn nach TPSulp. 29 schwor Cinnamus, deferente Fortunato, keine iniuria begangen zu haben. Als erstes ist festzustellen, daß dies nicht der Eid ist, den am 1. Februar Cinnamus zu leisten bereit war und den Fortunatus ihm daraufhin angetragen hat. Ob Cinnamus diesen Eid geleistet hat, wissen wir also nicht. Darum bleibt nur die Frage, ob jener deferierte (TPSulp. 28) und dieser auch geschworene Eid (TPSulp. 29) überhaupt etwas miteinander zu tun haben. Der Prätor verhieß die actio iniuriarum in einem allgemein gefaßten Injurienedikt und in mehreren auf bestimmte Tatbestände zugeschnittenen Sonderedikten. Camodeca entnimmt TPSulp. 29, „che la controversia riguardava un’accusa di iniuria verbis“ nach dem Edikt De convicio. Dessen Tatbestand verlangte indessen, daß der Delinquent die Übeltat adversus bonos mores begangen hatte. Das Edikt lautete nämlich96: Qui adversus bonos mores convicium cui fecisse cuiusve opera factum esse dicetur, quo adversus bonos mores convicium fieret: in eum iudicium dabo. In der Schwurklausel unserer Urkunde sind jedoch gerade die Worte adversus bonos mores durchgestrichen (2.6 und 5.4). Ihre Streichung bedeutet, daß Cinnamus mit dem Schwur jedwede Injurientat abstritt; sie legt aber auch nahe, daß Fortunatus aus einem Edikt klagen wollte, dessen Tatbestand nicht voraussetzte, daß Cinnamus adversus bonos mores gehandelt hat: daß er entweder die Klage aus dem generale edictum97 oder die aus dem Sonderedikt Ne quid infamandi causa fiat beantragen wollte98. Unter den Beispie96 97
Ulp D 47. 10. 15.2; Lenel, EP § 191. Lenel, EP § 190.
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len, die von den Juristen nur zu diesem Sonderedikt angeführt werden, finden sich gerade solche Fälle, die für das Tätigkeitsfeld unserer Bankiers typisch sind99. So haftete aus diesem Edikt, wer jemanden seinen Schuldner nannte, der nicht sein Schuldner war100, oder wer die Güter eines anderen wie die seines Schuldners öffentlich zum Verkauf ausbot, obwohl er wußte, daß dieser ,nichts ihm schuldete‘: iniuria autem committitur non solum . . . sed etiam si . . . quis bona alicuius quasi debitoris sciens eum nihil sibi debere proscripserit101. Auf beide Sachverhalte paßt die Eidesklausel in TPSulp. 28 genau. Wir dürfen darum vermuten, daß für den Ausgang des Streits zwischen Cinnamus und Fortunatus alles darauf ankam, ob Fortunatus Cinnamus’ Schuldner war oder nicht; daß Cinnamus wegen iniuria haftete, wenn Fortunatus ,nichts ihm schuldete‘. Die beiden Eide, der deferierte (TPSulp. 28) und der auch geschworene (TPSulp. 29), schließen einander nicht aus102. Cinnamus kann beide geleistet haben; mit der protokollierten Eidesleistung schloß er aber nicht nur einen bestimmten Sachverhalt aus, der unter das Edikt Ne quid infamandi causa fiat fiel, sondern jede Injurientat. Warum Fortunatus und Cinnamus sich schließlich auf diese allgemeinste Formel (,me iniuriam non fecisse‘) verständigt haben, wissen wir nicht. Es versteht sich, daß diese vorläufigen und hypothetischen Überlegungen der näheren Prüfung und Ausführung bedürfen. Inwieweit sie auch auf meinen Konjekturen beruhen, ergibt sich aus dem Folgenden. TPSulp. 28. – Camodeca stellt die Urkunde unter die Überschrift ,Iusiurandum susceptum‘. Protokolliert ist indessen eine iurisiurandi delatio; FORTUNATUS iuSIURANDUM . . . dETULIT (3.1 – 3) ist der Hauptsatz. In den Juristenschriften bezeichnet iurare paratum esse (oder iusiurandum suscipere) stets die Übernahme eines deferierten Eides und wird regelmäßig nur bei seinem Erlaß eigens hervorgehoben. Die Urkunde verwendet also iurare paratum se esse nicht in diesem technischen Sinn. – Cinnamus erklärte sich bereit, den Eid wie vereinbart zu leisten: DICeret pARATUM SE ESse IURARE ITA UT CONveniSSET, SI SIBI HS III NUmmum . . . RENTUR (2.7 – 9). Camodeca erwägt daRENTUR. Der Urkundentext hält sich streng an die Regeln der consecutio temporum: ita ut convenisset (Konj. Plusqu.) ist vorzeitig gegenüber iurare und diceret (Konj. Impf.) und si . . .rentur (Konj. Impf.) gleichzeitig mit convenisset. Vorzuziehen ist darum debeRENTUR. Dementsprechend ergänze ich 3.2 / 3 IUSIURANDUM PECUNIAm sibi deberi dETULIT103 – 3.1 lese und ergänze ich l patuLCiUS FORTUNATUS D 47. 10. 15.25; Lenel, EP § 193. Ulp D 47. 10. 15.31 – 33; Gai D47. 10. 19; Mod D 47. 10. 20. Dazu F. Raber, Grundlagen klassischer Injurienansprüche (1969) 65 ff. 100 Ulp D 47. 10. 15.33. 101 Gai 3.220; Raber (o. A. 96) 70. 102 Labeo in Ulp D 47.10 15.26 hielt das Sonderedikt für überflüssig. Über das Verhältnis der Sonderedikte zum edictum generale s. etwa Kaser, RP I 623 f. 103 Vgl. Paul D 12. 2. 30.2: Si mulier iuraverit decem dotis sibi deberi . . . . 98 99
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(der in TPSulp. 90.4.2 als Zeuge wieder begegnet), Camodeca hingegen liest und erwägt iuLIUS. – Nach all dem schlage ich folgenden Text vor: 2
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CUM AD VADIMONIUM VEN TUM ESSET QUOD HABERET C SULpiciuS CINNAMUS CUM l patulciO FORTUNATO ET C sulpicius CiNNAMUS DICeret Se pARATUM SE ESse iuRARE ITA UT CON veniSSET SI SIBI HS III NU mmum debeRENTUR l patuLCiUS FORTUNATUS ei iuSIURANDUM PECUNIAm sibi deberi dETULIT IN que . . . . . . . . . aD STATUAM . . . . . . . . . AE MAGNAE . . . . . . . . . TIT NEC IN ......... actum pu]TELIS K FEBR c pompeio Q VERANO COS
TPSulp. 29. – Von der Urkunde sind zwei Bruchstücke erhalten. Die Beschriftung beider Bruchstücke ist von derselben Hand. Das Photo der einen Tafel (Nr. 13684) zeigt Seite 2, das der anderen (Nr. 13667) nach Camodeca Seite 3; ich vermute dagegen Seite 5. Ihr Text ist enger geschrieben und offenbar nicht die Fortsetzung der Innenschrift: PER IOVEm (5.2) war keine Klausel der Schwurformel, sondern besagt, daß in der Schwurformel Jupiter angerufen wurde (Paul. Fest. 115 M. Lapidem silicem; TPSulp. 54. 5. 12 / 13). Die Außenschrift war danach keine wörtliche Wiederholung der Innenschrift, sondern wie in TPSulp. 10 ein verkürzter Bericht. – Der Eid folgte dem üblichen zweigliedrigen Formular aus Schwurklausel und Selbstverwünschung (Cic. ac. 2.14b; Liv. 22. 53. 11; Iusiurandum Aritiensium [Bruns 277] vom 11. Mai 37) und war wohl darum in der 2. P. Sg. konzipiert (Cic. off. 3.108; Liv. 43.15.8; Petron. 109.2,3), weil der öffentliche Eid dem Schwörenden vorgesprochen wurde (vgl. Plin. Paneg. 64.3). Die Urkunde zeigt, daß in dieser Stilisierung auch der Prozeßeid angetragen wurde – während Cinnamus selbstverständlich schwor: Ex mei animi sententia. Durch die Wiedergabe des Schwurs in der Form seiner Delation (vgl. Petron. 109) bekundete das Protokoll, daß Cinnamus so geschworen, wie Fortunatus ihm angetragen hat. Zur Klausel EX TUI ANIMI SEntentia (2.5) vgl. auch Cic. off. 3.108 und Quint. Inst. 8.5.1. – Die Schwurklausel war elliptisch, iuras (im angetragenen) und iuro (im Eid selbst) wurden nicht ausgesprochen. Im assertorischen Eid folgte darum nach sententia das Schwurthema, abhängig von iurare, in der Konstruktion des AcI. Ich ergänze daher 2.7: INIURIAM te non fecisse (Ulp D 47.10.5.8). – 2.8 kann ohne weiteres hinzugefügt werden: SI SCIENS fallis tum (Cic. ep. ad fam. 7.1.2; ac. 146; K.Latte, RE 15 [1931] 354). Für den Fall, daß er wissentlich falsch schwur,
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rief Cinnamus Juppiter, das numen divi Augusti und vielleicht die dii penates (5.2 / 3) an, ihn zu bestrafen (vgl. Iusiur. Arit. 13 f.; Liv. 22. 53. 11; Paul. Fest. 115 M. Lapidem silicem). – Auch bei Privateiden war es durchaus üblich, außer Juppiter, das numen divi Augusti und die Penaten, den Genius des regierenden Kaisers anzurufen (vgl. nur TPSulp. 68. 5. 10 / 11 vom 15. Sept. 39 oder jetzt auch Lex Irnitana Kap. 69 VIII A 20, Kap. 79 VIII C 56 u. ö.); entsprechend rekonstruiert Camodeca 3.3; indessen hat Claudius offenbar untersagt, bei seinem Genius zu schwören (vgl. TPSulp. 54. 5. 13 vom 3. Okt. 45). Abweichend von Camodeca schlage ich folgende Rekonstruktion vor: 2
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C SULPICIUS cinnamus iuratus EST DEFEREnte l patulcio FORTUNATO in ea verba QUAE INFRA scripta sunt EX TUI ANIMI SEntentia . . . ADVERSUS Bonos mores INIURIAM te non fecisse SI SCIENS fallis tum te iuppiter opt max et numen divi augusti c sulpicius cinnamus iuratus est PER IOVEm opt max et numen divi AUGUSTI ET deos penates adver SUS BONOS MORes iniuriam se non fecisse ACT Puteolis C POMPEIO GALLO q verano cos
* TPSulp. 32 und 33. – Das intertium war die magistratische Anordnung des Verhandlungstermins apud iudicem104. Sie erfolgte nach der Bestellung des Richters und seiner Instruktion durch das iudicium dare-Dekret. Wie dieses erging auch das intertium dare-Dekret nur auf Antrag. Das intertium wurde für einen bestimmten Tag beantragt. Der Magistrat mußte dem Antrag, mit gewissen Einschränkungen, ohne weiteres entsprechen. Über all das sind wir erst seit kurzem durch die Vorschriften der Lex Irnitana de intertium dando unterrichtet. Die beiden Urkunden unseres Fundes sind in Puteoli errichtet worden und belegen somit das Institut auch für Italien. Sie stammen aus den vierziger Jahren, sind also nahezu ein halbes Jahrhundert älter als die Irnitana. Beide Urkunden folgen demselben Formular; sie sind Protokolle und dokumentieren, daß der Kläger, in beiden Fällen Cinnamus, das intertium erhalten und angenommen hat. Von beiden Urkunden ist nur der erste Teil des Textes überliefert: sie waren Diptycha, von denen jeweils offenbar nur die erste Tafel aufbewahrt worden ist105. 104
Vgl. auch zum Folgenden J. G. Wolf, Intertium – und kein Ende?, in BIDR 100 (2001).
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Zu Recht hat sich die Auffassung durchgesetzt, daß wir es bei unserem Begriff nicht mit zwei sondern mit einem Wort zu tun haben. Auch Camodeca ediert INTERTIUM. Der paleographische Befund läßt freilich, wie auch der epigraphische, diese Entscheidung nicht zu. Zwar haben nach dem Schriftbild beider Urkunden ihre Schreiber intertium in einem Wort geschrieben. Wie auf der Bronze von Irni kann diese Schreibweise aber auch bei ihnen die Folge der engen syntaktischen Anlehnung der Präposition in an das Zahlwort tertium sein: „Naturalmente anche nelle TPSulp. di regola non si usa interpunzione fra la preposizione e il termine cui si riferiva“ (39). Das Formular, dem die beiden Urkunden folgen, läßt sich zu einem guten Teil ohne weiteres rekonstruieren: Aulus Agerius intertium sumpsit cum Numerio Negidio quibus de rebus inter se et eum M. Tullius Cicero iudex esse diceretur . . . Die Ausdrucksweise Agerius intertium sumpsit cum Negidio bedeutet nicht, „che le parti su loro richiesta avevano ottenuto la fissazione dell’intertium dal magistrato giusdicente“ (100). Seine Bedeutung ist vielmehr, daß Aulus Agerius das intertium beantragte und empfing, um mit Numerius Negidius zu prozessieren106. – Iudex esse diceretur lautet das Formular, weil die Zeugen nur besiegeln konnten, was vor ihren Augen geschehen war; daß Cicero der iudex war, war ihnen gesagt worden. Wir sind dieser klaren Differenzierung schon bei den testationes sistendi begegnet107; Camodeca weist hier noch weitere Beispiele aus. TPSulp. 32. – In den Photoserien der ,Soprintendenza di Napoli e Caserta‘ ist die allein erhaltene Tafel I nicht dokumentiert, ihre Seite 2 jetzt aber in Pompeji unter der Nummer SAP 4142 (L’edizione II 503); das ,Arch. Camodeca‘ verfügt über eine Infrarotaufnahme von Seite 1 (L’edizione II 504). Mir liegt nur ein Photo der Seite 2 aus dem Besitz von Carlo Giordano vor. Dank der Infrarotaufnahme von Seite 1 konnte Camodeca das Ausstellungsdatum auf den 31. Mai 48 präzisieren. C. Varius Cartus ist auch in einem Vadimonium vom 10. November 41 (43 / 45?) der Beklagte. Zwei Urkunden zeigen ihn uns also in Rechtshändeln: TPSulp. 1bis aus einem Vadimonium verpflichtet, sich auf dem Forum von Puteoli zum Gang vor den Gerichtsmagistrat einzufinden; TPSulp. 32 mitten in einem Prozeß, nach dem Verfahren in iure, vor der Verhandlung apud iudicem. Tafel II ist, wie gesagt, nicht erhalten. Gleichwohl rekonstruiert Camodeca die Fortsetzung der Innenschrift auf Seite 3, soweit sie in TPSulp. 33 erhalten ist. TPSulp. 33. – Seite 2 ist zuerst und nahezu fehlerfrei als TP 24 von Sbordone108 ediert worden. Ihm folgt Camodeca auch 2.5 / 7 mit IUDEX ESSE / DICERETUR . . . EX DIE / PERENDINO IUDICARE. Indessen ist EX nicht zu lesen109; was für 105 106 107 108 109
Vgl. die Überlegungen o. bei A. 14 und auch 58. Vgl. etwa Kühner / Stegmann (o. A. 57) I 508. Oben nach A. 54. Dazu auch schon ZPE 70 (1987) 182. RAAN 46 (1971, ersch. 1972) 176. So schon U. Manthe, Gnomon 53 (1981) 153.
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X gelesen wird, sind die zweite, lang gezogene Haste des E und das sie kreuzende auslaufende erste S von ESSE in Zeile 5. EX wäre auch nicht sachgerecht: es gab nur einen dies, jede Vertagung war eine diffissio und in der Kompetenz des Urteilsrichters, wie uns jetzt wieder die Lex Irnitana (Kap. 91 X A 49 ff.) belehrt. Ich lese vielmehr RE, zweifelsfrei E, R mit großer Wahrscheinlichkeit. Zwischen DICERETUR und RE ist das Wachs fast völlig abgetragen. Sbordone wollte die Lücke mit atque füllen; Crawford110 schlägt vor: eum d(e) e(is) r(ebus); Camodeca ergänzt d(e) e(is) r(ebus). IUDICARE kann übrigens, wenn überhaupt, jedenfalls nicht direkt von DICERETUR abhängen; an eine Konstruktion wie iudicare iussus könnte man denken. Von der Außenschrift lese ich 1.1: aCTUM Puteolis XI[ . . . (2) . . . . . . M POMPEIO SIlva[no (3) a antonio rufo coS, was die Datierung in die 2. Jahreshälfte 45 gestattet. Beide Konsuln sind noch am 3. Oktober im Amt: TPSulp. 54.5.1 / 2. * TPSulp. 34 – 39. – Der Titel ,Iudicium arbitrale ex compromisso‘ vereint die Überreste von sechs Urkunden111. Möglicherweise stammten sie alle, jedenfalls aber fünf von ihnen (TPSulp. 35 – 39) aus ein und demselben Schiedsgerichtsverfahren, einem Prozeß, der in den Jahren 55 / 56 zwischen Cinnamus und C. Iulius Prudens spielte. Diese fünf Urkunden waren auch vom selben Typus: Protokolle über der Anordnung von Verhandlungsterminen durch den arbiter, einem M. Barbatius Epaphroditus. Da sie nach demselben Formular abgefaßt wurden, sind die fragmentarischen Texte durch wechselseitigen Vergleich weithin zuverlässig zu ergänzen. Mit allen drei Tafeln vollständig überliefert ist nur das Triptychon TPSulp. 36; seinen Text haben wir sowohl in der Innen- wie der Außenschrift und außerdem verkürzt auch noch in einem Summarium. Sehen wir von den Konsuln ab, die am 21. Mai 55 im Amt waren, so enthalten die Urkunden keine Überraschungen; sie sprechen für sich und fügen sich ohne weiteres ein in das uns aus den Juristen vertraute Bild des römischen Schiedsgerichts. Aus dem Rahmen fällt nur TPSulp. 34. – Diese Chiffre bezeichnet die Seite 4 einer Urkunde, von der im übrigen nichts überliefert ist. Wegen des sulcus hält Camodeca sie für die Seite 4 eines Triptychons. Rechts stehen die Namen von elf Zeugen, ungewöhnlich gut zu lesen, ein bemerkenswerter Zuwachs für das kampanische Onomastikon. Aber auch die linke Hälfte ist beschriftet: parallel zum sulcus, mit fünf Zeilen, und keineswegs gedrängt und eng, wie wir es von den Außenschriften der Diptycha kennen. Camodeca hält sie für eine scriptura tertia – auf Seite 4 eines Triptychons eine Neuheit! Die Beschriftung ist teils gut, teils unsicher, teils gar nicht zu lesen. ZPE 70 (1987) 182. Vielleicht auch nur von fünf (111): TPSulp. 35 könnte Tafel III von TPSulp. 38 oder 39 sein. 110 111
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Camodecas Übertragung kann ich nur zum Teil nachvollziehen, seine Ergänzungen, die auch von seinen Lesungen abhängen, überzeugen mich nicht. In Übereinstimmung mit ihm halte ich folgende Worte für gesichert: 4
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. . . lITE CONTESTATA . . . . . . . . . . . . .................................... arbitRATU M BARBATI EPAphrodITI . . . . . . . . . . . . putEOLiS Aut roMAE OPE ram praEBERi PECUNIAMQUE DARI
Opera ist jede für den Fortgang des Verfahrens erforderliche Mitwirkung der Streitparteien, die der arbiter anordnet; wird die Anordnung nicht befolgt, erscheint etwa eine Streitpartei nicht zur Verhandlung, verfällt die poena compromissi112. Pecuniam dari zielt wahrscheinlich auf die Erfüllung des Schiedsspruchs113. Puteolis aut Romae kann das Verfahren stattfinden; nur dort, am Gerichtsort, den sie im compromissum bestimmen, müssen die Streitparteien operam praebere114. Die poena compromissi verfällt und das compromissum erlischt, wenn der Kläger vor den Magistrat geht und die Sache, de qua compromissum sit, in iudicium deducat115. Mit lite contestata ist offenbar dieser Tatbestand bezeichnet. Camodeca liest nun außerdem 4.1 / 2 QUAE MIHI TECUM (2) est sUB IUDICE, und erwägt, 4.4 zu ergänzen paratus sum. Der Sinn der testatio scheine ihm folgender zu sein: in direkter Rede erkläre sich der Kläger einer schon rechtshängigen, apud iudicem anstehenden Sache bereit, sie vor ein Schiedsgericht zu bringen und von M. Barbatius Epaphroditus als arbiter ex compromisso entscheiden zu lassen. Camodeca verweist auf TH 84 als Beispiel einer oratio directa in einer testatio. Dort findet er auch paratus sum. Aber mit dem Inf. Praes. Act.: paratus sum ire. Daß die Inf. Praes. Pass. praeberi und dari von paratus sum regiert wurden, ist so gut wie ausgeschlossen; außerdem würden wir das regierende Verb nach den Infinitiven erwarten (und nach Epaphroditi eher arbitri116). Von den in den beiden ersten Zeilen gelesenen Worten kann ich nur ein paar Buchstaben bestätigen117. 112 Ulp D 4.8. 21. 11 berichtet, daß Celsus die Frage diskutierte, an committatur poena compromissi quasi opera non praebita, wenn eine Partei an einem ihr nicht zumutbaren Verhandlungsort nicht erschien. 113 Könnte aber auch die Zahlung eines vom arbiter verhängten Strafgeldes einschließen: Iav D 4. 8. 39. Zu diesen Fragen vgl. etwa K. H. Ziegler, Das private Schiedsgericht im antiken römischen Recht (1971) 90 – 98. 114 Ulp D 4. 8. 21. 115 Paul D 4. 8. 30; zutreffend M. Talamanca, Ricerche in tema ,compromissum‘ (1958) 76 ff.; anders Ziegler (o.A. 113) 68 ff. Vgl. auch TH 82.4.3: neve iudicium moveretur. 116 Vgl. nur TPSulp. 35.6.1 / 2 (hier sogar im summarium); 36.2.1 / 2, 5.1 / 2 und 6.1 / 2 (summarium!); 37.2.2; 38.2.2. 117 (1) Q, M, I longa, (2) CE und am Ende der Zeile, wie Camodeca, RE.
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Ich glaube auch nicht, daß lite contestata quae mihi tecum est sub iudice sachgerechtes Latein wäre. Außerdem hätte die testatio einer Erklärung in direkter Rede wohl doch nicht einfach so beginnen können. Unser Fazit: die Lösung steht noch aus118. * TPSulp. 40 und 41. – Der Titel kündigt sie als ,Testationes exhibitionis‘ an. Aber das sind sie nicht. Gegenstand der beiden Protokolle ist nicht die Herausgabe der hinterlegten Sache; was sie verzeichnen, ist vielmehr die Erklärung des Sequesters, daß er sie herausgegeben hat. Von TPSulp. 40 lesen wir ohne größere Schwierigkeiten, was dokumentiert ist: die Innenschrift auf den Seiten 2 und 3 und die 2. Hälfte der übereinstimmenden Außenschrift auf Seite 1. Pactumeia Prima und A. Attiolenus Atimetus haben gemeinsam die Sklavin Tyche Faustus in Verwahrung gegeben. Er hat sie beiden persönlich (utrisque praesentibus) herausgegeben am 6. Mai zur 3. Stunde in Puteoli auf dem Forum ante aram Augusti Hordionianam und Prima hat sie mit Atimetus’ Genehmigung (iussu Atimeti) mitgenommen. All das hat Faustus zu Protokoll gegeben; ob es wirklich geschehen ist, bleibt dahingestellt. Prima und Atimetus haben die Sklavin gemeinschaftlich, in solidum, in Verwahrung gegeben; daher mußte er sie utrisque praesentibus, ,allen beiden‘, zurückgeben; der Umstand hätte präziser nicht ausgedrückt werden können119. Das gemeinschaftliche deponere legt nahe, daß Prima und Atimetus die Sklavin ,in Sequestration‘ gegeben haben120; vermutlich beanspruchten beide sie als ihr Eigentum. Auffällig ist der sorgfältige Bericht über Zeit und Ort der Rückgabe; sie waren offenbar von besonderem Interesse121. Die testatio sicherte, wie gesagt, nicht den Beweis der Rückgabe. Ihr Zweck ist auch nicht ohne weiteres ersichtlich. Vielleicht gab Faustus für Dritte zu Protokoll, was er über die Geschichte der Sklavin Tyche wußte. Dem Fragment TPSulp. 41 ist immerhin zu entnehmen, daß Faustus im Jahre 39 ein Stück Vieh in Verwahrung genommen und am 4. Februar zurückgegeben hat. Ich lese nämlich EXIBUISSE PecuDEM SIGNATAM122. * 118 Am Ende von 4.2 glaube ich . . ..VE QuARE zu sehen; zu VE vgl. das Kognomen des ersten Zeugen SEVERI. 119 Der Plural von uterque wird bekanntlich nur selten, von einzelnen Personen aber überhaupt nur dann gebraucht, wenn sie als zusammengehörig betrachtet werden. 120 Paul D 16.3.6; Florent D 16. 3. 17pr.; Modest D 50. 16. 110. 121 Vielleicht korrespondierten sie mit bestimmten Vorgaben. Denn es ist davon auszugehen, daß es auch eine Urkunde über das in sequestre deponere der Sklavin gab, in der möglicherweise Zeit und Ort der Rückgabe schon vorgesehen waren. Der Ort der Rückgabe konnte durchaus Probleme aufwerfen: Ulp D 16.3.5.1; Pomp D 16. 3. 12pr., 1. 122 Vgl. Columella 11. 2. 14 und 38; Calpurnius Siculus ecl. 5.82.5.
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TPSulp. 42 – 44. – Von den drei Kaufurkunden des Fundes ist jeweils nur die Tafel II erhalten. Von TPSulp. 44 ist auf Seite 3 gerade genug zu lesen, um sie zu identifizieren; von TPSulp. 42 und 43 dagegen läßt sich Seite 3 mit der 2. Hälfte des Kaufvertrages fast vollständig rekonstruieren123. Es sind Sklavenkäufe, und was wir lesen können die Gewährübernahme des Verkäufers für die Freiheit von Mängeln, wie sie das Ädilenedikt vorsieht, und das Versprechen des doppelten Kaufpreises für den Fall der Eviktion. Den längeren Text bietet TPSulp. 43, dessen erste Zeilen Camodeca folgendermaßen liest: 3
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solutum eSSE FUGITiVOM errONEM non ESSE et CETERA IN EDICTO AED CUR qUAE HUIUSQUE ANnI SCRIPTA CONPREHENSAQUE SUNt RECTE PRAESTARi et dUPLAM pECUNIAM EX FORMula ITA uTI adSOLET RECTE darI STIPUL
In den Zeilen 1 bis 3 kennzeichnet Camodeca viele Buchstaben als „mal conservate e di dubbia lettura“. Das Ermessen wird anschaulich, wenn wir sehen, daß er 1992 IN EDICTO ausdrücklich ausschließt124 und, obwohl mit conprehensa unvereinbar, EX EDICTO liest. Camodeca übersieht nicht, daß qUAE an diesem Platze falsch ist und hält darum den Satz für ,contorto‘; möglich wäre et cetera quae125 oder auch, wie ich meine, et quae cetera. HUIUSQUE am Ende von Zeile 3 soll ein lapsus calami für die seltene Genitivform huiusce sein. Damit hätte sich hier der Schreibfehler wiederholt, der dem Graveur der Bronze des Stadtrechts von Urso aus dem Jahre 44 v. Chr. unterlaufen ist126. Auch wenn HUIUSQUE ANnI gesichert wäre, bliebe der (prononcierte) Hinweis auf das Edikt ,dieses Jahres‘ überraschend; nicht auf das ,geltende‘, allenfalls auf das Edikt eines anderen Jahres mußte verwiesen werden; und sollte das Ädilenedikt im Jahre 38 wirklich noch nicht stabil gewesen sein? Die Lesung HUIUSQUE ANnI wird allerdings durch TH 60 unterstützt127. Indessen habe ich mich von der ganzen Klausel nicht wirklich überzeugen können. Vertretbar schiene mir: et CETERA ut (3) in EDICTO AED CUR . . . (4) . . . SCRIPTA CONPREHENSAve (5) SUNt; möglich vielleicht: in EDICTO AED CUR de mancipiis vend prae SCRIPTA128. Zum Konsulardatum von TPSulp. 42 schon oben vor A.16. L’archivio 144 wie schon Puteoli 7 – 8 (1983 – 84, ersch. 1985) 6. 125 Vgl. Ulp D 21. 2. 32pr. 126 Lex Ursonensis Kap. 91 (tab.3, col.1, l.1) und Kap. 92 (l.16 / 17): huiusque coloniae; zutreffend Kap. 98 (col.3, l.23 / 24): huiusce coloniae. 127 TH 60.1.9 – 13: EX FORMULA EDICTI (10) aediliUM CURULIUM ITA UTI ADSOLET (11) quae hOC ANNO DE MANCIPIS EMUNDIS (12)venduNDIS CAUTA CONPREHENSAQUE (13) est: so jetzt G. Camodeca, Tabulae Herculanenses: riedizione delle emptiones di schiavi (TH 59 – 62), in Quaestiones Iuris, FS J. G. Wolf (2000) 57. 128 Vgl. TH 60. 1. 11 / 12, soeben A. 127. 123 124
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Die Doppelstipulation nimmt in ihrem ersten Teil auf das Edikt de mancipiis vendundis Bezug, in ihrem zweiten Teil mit EX FORMula ITA uti adSOLET auf die stipulatio ab aedilibus proposita129. Hier wäre der Frage nachzugehen, warum das Kaufvertragsformular statt für beide Versprechen auf die proponierte Stipulation zu verweisen, diese Differenzierung vorsah. Ex formula bedeutet die wörtliche Übernahme des ediktalen Vorschlags (115), von dem in TPSulp 42 mit der Klausel sine denuntiatione allerdings die Verpflichtung des Käufers, im Eviktionsfall den Streit zu verkünden, ausgenommen wird130. * TPSulp. 45 – 47. – Die drei Urkunden stehen unter dem Titel ,Locationes‘. TPSulp. 45 ist indessen keine ,Locatio horrei cum pignoris datione‘, sondern, wie TPSulp. 46, ein Mietvertrag über Speicherraum, in dem Pfandgut eingelagert ist: im einen Fall (TPSulp. 45) sind es 7 000 Modii Weizen und, in 200 Säcken, 4 000 Modii Hülsenfrüchte, im anderen (TPSulp. 46) 13 000 Modii Weizen. Während allerdings TPSulp. 45 selbst mitteilt, daß die eingelagerten Feldfrüchte dem Mieter verpfändet sind, und auch den Pfandschuldner nennt, ergeben sich für TPSulp. 46 diese Daten nicht aus der Mieturkunde, sondern aus TPSulp. 79, der Urkunde über die Pfandbestellung, und TPSulp. 53, der Darlehensurkunde. In beiden Mietverträgen wird der vermietete Speicherraum exakt bezeichnet, in TPSulp. 45 mit horreum XII in horreis Bassianis publicis Putiolanorum medis (wo der Weizen lagert) und in isdem horreis imis intercolumnia (wo die Hülsenfrüchte lagern); in TPSulp. 46 mit horreum vicensimum et sexstum, quod est in praedis Domitiae Lepidae Barbatianis superioribus. Während aber in TPSulp. 45 die Menge des eingelagerten Weizens nicht angegeben wird (sie ergibt sich aus TPSulp. 51), sondern lediglich gesagt wird: in quo repositum est triticum Alexandrinum, heißt es in TPSulp. 46: in quo repositum est tritici Alexandrini millia modium decem et tria – jedoch mit dem Zusatz: quae admetietur dominus meus C. Sulpicio Fausto. Dort, im ,12. Speicherraum‘ der horrea Bassiana media, lagerte vermutlich abgesondert der dem Mieter verpfändete Weizen, während hier, im ,26. Speicherraum‘ in praedis Domitiae Lepidae Barbatianis superioribus, die dem Mieter verpfändeten 13 000 Modii Weizen zusammen mit dem Weizen anderer Speichermieter eingelagert waren – und darum vom horrearius dem Mieter und Pfandnehmer zugemessen werden mußten. TPSulp. 45 und 46 sind chirographa, aber nicht von der Hand der horrearii, sondern eines ihrer Sklaven: TPSulp. 45 hat Diognetus ausgestellt ,auf Geheiß und in Anwesenheit‘ seines Herrn C. Novius Cypaerus; TPSulp. 46 Nardus ,auf Geheiß und in Anwesenheit‘ seines Herrn P. Annius Seleucus, weil, wie hier hinzugefügt Vgl. Ulp D 21. 2. 31 i.f. Die Klausel kehrt wieder in zwei ägyptischen Urkunden von 166 und 151: FIRA Nr. 132 und 133. Der Dispens war durch pactum möglich, Mod D 21. 2. 63pr. Zum „Formular des Albums“ Lenel, EP 568 mit A. 18; zu allem Camodeca (117). 129 130
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ist, ,er verneinte, des Schreibens kundig zu sein‘131. Beide chirographa waren untersiegelt132, wahrscheinlich von den Vermietern, von Cypaerus also das eine, von Seleucus das andere. Cypaerus und Seleucus hatten ihre Siegel jedenfalls aber auf den Verschlußfaden der Urkunden gesetzt133. Kraft ihres Siegels, unter dem Text oder auf dem Verschlußfaden oder hier und dort, machte die Urkunde gegen sie Beweis134. Das chirographum, das der Sklave iussu domini et coram ipso schrieb, war sein chirographum und nicht das seines Herrn; mit dessen Siegel aber wirkte es gegen ihn wie ein chirographum, das er selbst geschrieben hatte135. TPSulp. 45 bezeichnet sich denn auch auf dem margo von Tafel I als chirographum Diogneti C. Novi Cypaeri servi. TPSulp. 45. – Das chirographum des Diognetus gehört zu den fünf Urkunden in ,Vulgärlatein‘, deren Protagonist C. Novius Eunus ist136. Die besonderen Schreibweisen und Wortformen werden von Camodeca bei allen Urkunden des Dossiers (TPSulp. 45; 51; 52; 67; 68) sorgfältig verzeichnet und erläutert, die prosopographischen und rechtlichen Zusammenhänge sowohl bei den einzelnen Urkunden kommentiert wie bei TPSulp. 52 zusammenfassend dargestellt137. Die Speichermiete hat in diesen Rechtsbeziehungen eine besondere Funktion. Der Mieter ist Hesychus, ein Sklave der Euenus Primianus, der ein Freigelassener des Tiberius war. Euenus hatte durch Hesychus dem mercator frumentarius C. Novius Eunus am 28. Juni und am 2. Juli 37 Darlehen von 10 000 und 3 000 Sesterzen gewährt (TPSulp. 51 und 52) und Novius Eunus hatte ihm zur Sicherung der Darlehensforderung die bei Novius Cypaerus eingelagerten Feldfrüchte verpfändet. Hesychus mietete daraufhin unverzüglich, nämlich noch am selben Tag, am 2. Juli, den Speicherraum, wo der Weizen und die Hülsenfrüchte lagerten, offenbar nur zu dem Zweck, den Besitz des Pfandguts zu erwerben; und weil er nicht bereit war, die Kosten der Sicherheitsleistung zu tragen, zu dem nominalen Mietzins von 1 Sesterz. Die realen Mietkosten trug wahrscheinlich der Darlehensnehmer C. Novius Eunus (oder auch sein Patron Cypaerus). TPSulp. 46. – Anders als Hesychus zahlt hier der Mieter Sulpicius Faustus einen realen Mietzins: für die Einlagerung von 13 000 Modii Weizen monatlich 100 Sesterzen. Das chirographum ist im Februar oder März des Jahres 40 errichtet worden, nach Camodeca am 13. März; aber diese Lesung kann ich nicht bestätigen. – 5.5 Me LOCASSE: ich lese EUM LOCASSE; anders als in TPSulp. 45.2.6 und 5.5 ist hier der Text des Formulars nicht unverändert übernommen, sondern an die ,Schreibvertretung‘ des horrearius durch seinen Sklaven Nardus angepaßt wor131 132 133 134 135 136 137
Siehe o. bei A. 35. Die untersiegelten chirographa verzeichnet Camodeca, Edizione I 37. TPSulp. 45.4.1; 46.4.1 und 5. Vgl. Edizione I 36 f. Vgl. ,Rechtsurkunden‘ (o. A. 24) 12 mit A. 17 und 18. Vgl Ulp D 45.4.1.4. Siehe o. nach A. 33. In weitreichender Übereinstimmung mit ,Rechtsurkunden‘ (o. A. 24) 15 ff., 17 ff.
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den138. – 5.9 / 10 quae ADMETIETUR DOMINUS MEUS / CUM SerVIS suiS: statt cum SerVIS suiS lese und ergänze ich C Sulpicio fauSTO. Die in Zeile 10 gelesenen „lettere“ sind in jedem Fall „mal conservate e di dubbia lettura“, beide Vorschläge darum fast reine Konjekturen. Ob der horrearius die 13 000 Modii Weizen eigenhändig oder mit Hilfe seiner Sklaven zumißt, ist rechtlich belanglos; den Empfänger des Weizens zu nennen, dagegen angezeigt. TPSulp. 47. – Von dem Triptychon ist nur die Tafel III erhalten, von der Außenschrift auf Seite 5 so gut wie nichts, vom Index auf Seite 6 dagegen noch das meiste zu lesen. Gegenstand der Beurkundung war eine satisacceptio, also ein Stipulationsversprechen, das an die Stelle der geschuldeten Leistung trat oder diese sicherte und auch vom Magistrat angeordnet werden konnte. Der Begriff wird in der juristischen Literatur nur von Pomponius (D 45.1.5.2) gebraucht, fungierte aber nach Auskunft der Lex Irnitana (Kap. 85 IX B 31) im Edikt des Provinzialstatthalters und demnach wohl auch im prätorischen Edikt. Die satisacceptio der Urkunde ist von T. Hordeonius Barbarus (oder Barbatus, nach Camodeca: Barba) geleistet worden ob locationes hortorum über einen Betrag von 24 000 Sesterzen. Hortorum ist überraschend, die Lesung aber kaum anzugreifen (HOR ist einwandfrei zu sehen; horreorum sicher auszuschließen; T und O zweifelhaft, aber möglich; R wieder ziemlich sicher). Hordeonius ist vermutlich der Pächter der Gärten und hat den aus den verschiedenen Pachtverträgen geschuldeten jährlichen Pachtzins in der beurkundeten Stipulation dem Verpächter versprochen. * TPSulp. 50 – 59. – Nächst den vadimonia sind mit 10 Urkunden die mutua cum stipulatione die größte Gruppe. Sie alle sind chirographa. Von 8 Urkunden kann der Text vollständig gelesen oder doch verläßlich rekonstruiert werden. Sie zeigen uns den Gebrauch von drei Formularen, die allerdings einander sehr ähnlich sind. Sie unterscheiden sich nur in ihrem ersten, dem eigentlichen Darlehensteil, und auch hier nur in der Gestaltung des Textes: Numerius Negidius scripsi (1) me accepisse et debere Aulo Agerio sestertia . . . quae ab eo mutua et numerata accepi (2) me accepisse mutua et debere Aulo Agerio sestertia . . . (3) me accepisse mutua ab Aulo Agerio et debere ei sestertia . . . eaque sestertia . . . proba recte dari stipulatus est Aulus Agerius spopondi Numerius Negidius.
In jeder Urkunde verspricht der Darlehensnehmer eigens die Rückzahlung der Valuta, obwohl ihn das mutuum ohne weiteres zur Rückzahlung verpflichtete139; Vgl. ,Rechtsurkunden‘ 20 A. 62. Die Klausel et numerata in der ersten Version ist keine zusätzliche Kautel gegen den Einwand, daß die Valuta nicht ausgezahlt worden sei (in diesem Fall bedurfte es übrigens 138 139
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und in keiner Urkunde ist von seiner Gegenleistung, ist von Zinsen die Rede. Beides ist oft besprochen worden140 und wird auch von Camodeca kommentiert (133 / 4); neue Gesichtspunkte bringt sein Kommentar nicht. Eine Laufzeit des Darlehens sehen die Formulare nicht vor. Zweimal wird aber ein Termin genannt. C. Novius Eunus, der die dritte Variante benutzt, fügt in seinem chirographum vom 28. Juni 37 zwischen Darlehens- und Stipulationsteil die Klausel ein quae ei reddam cum petierit (TPSulp. 51.5.6 / 7); und Niceros colonorum coloniae Puteolanae servus arcarius verspricht in seinem chirographum vom 7. März 52 in der Stipulation die Rückzahlung auf den 1. Juli 52 (TPSulp. 56.5.9 / 10). TPSulp. 56. – Wir bleiben noch einen Augenblick bei Niceros. Niceros hat das Darlehen von 1 000 Sesterzen bei Cinnamus aufgenommen. Auf sein chirographum nahm vermutlich die testatio TPSulp. 114 Bezug, von der auf einem Bruchstück der Seite 2 noch folgendes gelesen werden kann: 2.
1 2 3 4 5
c SulPICIUS CINNAMus ni cErOTI COLONORUM COloniae PUTEOL SER aCARIO HS . . . PER CHIROGRAPHum HAC dIE DEDIT CREDIDIT . . . .
Das Asyndeton DEDIT CREDIDIT wird auch in TPSulp. 48 verwendet141, war aber schon aus der Formula Baetica142 bekannt. Die Verbindung von dare credere leistet eine genaue Begrenzung der Bedeutungsfelder von dare und credere, denn auch credere deckt bekanntlich mehr als dare credere143. Dare credere entspricht mutuam pecuniam dare oder pecuniam credere. Eigentümlicher ist die Ausdrucksweise PER CHIROGRAPHum . . . DEDIT CREDIDIT. Geläufig sind die Verbindungen per chirographum und chirographo debere in den Urkunden144, mutuam chirographo accipere in den Juristen145. Da der Darlehensnehmer das chirographum auch ausstellt, wird der Ablativ chirographo gern als Instrumentalis oder auch als kausaler Ablativ146 und das für ihn eintretende per chirographum entsprenicht der exceptio, es sei denn, daß aus der Stipulation geklagt wurde); sie ist vermutlich ein Hinweis auf Barauszahlung. 140 Vgl. etwa J. G. Wolf, Aus dem neuen pompejanischen Urkundenfund: Die Kondiktionen des C. Sulpicius Cinnamus, in SDHI 45 (1979) 167 und 170; ,Rechtsurkunden‘ (o. A. 24) 18 im Zusammenhang der Analyse von TPSulp. 51 und 52 (17 ff.). 141 Dare credere (2.10) und dare credereve (2.13), dazu und zum Folgenden s. ,Haftungsübernahme‘ (o. A. 20) 81 A. 27. 142 Bruns 334 f. Nr. 135; FIRA III 295 ff. Nr. 92. Das Formular wird dem 1. oder 2. Jahrhundert zugeschrieben. 143 Paul D 12.1.1.3,5. 144 TPSulp. 55. 1. 10 und 57.5.7: debeo per chirographum; 79.5.7 / 8: per chirographum scripsi me ei debere; 52.2.9 / 10: alio chirographo meo eidem debo. 145 Scaev D 34.3. 28. 13; Mod D 22. 1. 41.2. 146 Das chirographum demnach als Mittel der Vertragsschließung oder als Schuldgrund angesehen.
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chend verstanden147. In der neuen Urkunde ist es nun aber der Darlehensgeber, von dem gesagt wird per chirographum dedit credidit. Dieser Gebrauch belehrt uns, daß mit chirographo und per chirographum ein ,begleitender Nebenumstand‘ bezeichnet wird148. Cinnamus hat Niceros das Darlehen gewährt nicht ,vermittelst‘ und auch nicht ,aufgrund‘, sondern ,unter Errichtung eines chirographum‘, so wie auch der Darlehensschuldner die Valuta ,unter Errichtung eines chirographum‘ erhält und ihre Rückzahlung ,unter einem chirographum‘ schuldet, nämlich aus einem Rechtsverhältnis, über dem ein chirographum errichtet worden ist. Die Urkunde war nicht bestimmt, von der Darlehensgewährung Zeugnis zu geben, sondern von einem Vorgang oder einem Geschäft in Verbindung mit ihr. Über diesen Vorgang oder dieses Geschäft ist es müßig zu spekulieren. Die Formula Baetica gestattet uns jedoch die Konstruktion eines Textes, dessen Duktus auch die testatio unseres Fragments gehabt haben könnte: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
pactum conventum factum est inter c sulpicium cinnamum et nicerotem col col puteol serv arcarium uti quam pecuniam c sulpicius cinnamus niceroti colonorum coloniae puteol serv arcario hs mille n per chirographum hac die dedit credidit ea pecunia ante k iulias primas non peteretur actum puteolis nonis martis fausto cornelio sulla felice l salvio othone titiano cos
TPSulp. 54, 55 und 57. – Diese drei Urkunden enthalten jeweils zwei chirographa: unter dem Darlehenschirographum die Erklärung einer Pfandbestellung (TPSulp. 55) oder einer Bürgschaftsübernahme (TPSulp. 54 und 57). Die drei Darlehenschirographa folgen demselben Formular (der zweiten Variante) und auch die beiden Bürgschaftschirographa ein und derselben Vorlage. Obwohl vom selben Tage, wiederholt das zweite chirographum jeweils die Datierung und stellt sich so als autonome Urkunde dar. Bei der Schuldsumme nehmen die Bürgschaftschirographa dagegen auf die des Darlehens Bezug. Die Syntax der beiden Bürgschaftschirographa ist singulär: von scripsi ist kein AcI abhängig; das den auf scripsi folgenden Text regierende Verb ist vielmehr iussi (TPSulp. 54. 5. 11; 57. 5. 14). Camodeca geht nicht darauf ein. Ich vermute, daß 147 Zum Nebeneinander von Ablativ und per vgl. J. B. Hofmann / A. Szantyr, Lateinische Syntax und Stilistik (1965 / 1972) 127. 148 Vgl. Kühner / Stegmann (o. A. 57) 410 f.; Hofmann / Szantyr 115 f.
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iussi eine ,Angleichung‘ an spopondi (TPSulp. 54.5.6; 57. 5. 10) ist, kann aber keinen Beleg beibringen. TPSulp. 55.1.8 lese ich trotz aller Entschiedenheit Camodecas nicht AB, sondern OB; A hat durchgehend eine andere Form. Außerdem ist mir eine „Vermengung“ (Hofmann-Scantyr) von ob mit Akk. und ab mit Abl. nicht wahrscheinlich. – 55.1.9 / 10 ergänze ich nicht ACCEPI hac die, sondern (in Anlehnung an TPSulp. 57.5.7) ACCEPI eique debeo per chiroGRAPUM MEUm. * TPSulp. 60 – 65. – Zu den interessantesten Urkunden des Archivs gehören die testationes über nomina arcaria. Wir kennen sie zwar schon aus Herkulaneum149; ihre endgültige Rekonstruktion ist aber erst Camodeca gelungen. Von sechs Urkunden dieses Typus sind Teile erhalten, von den meisten freilich nur Bruchstücke150; und vielfach sind auch die Wachsschichten beschädigt. Der Vergleich untereinander und mit den herkulanensischen Urkunden erlaubte und sicherte aber schließlich zuverlässige Lesungen und Ergänzungen. Nur von TPSulp. 60 sind Innen- und Außenschrift dokumentiert151. Die Wiedergabe der Innenschrift zeigt die eigentümliche graphische Gestaltung dieser Urkunden: 2
1 2 3 4 5 6 7 8
3
1 2 3 4 5 6 7 8 9
TABELLAE TITINIAE Antracidis EXP EUPLIAE THEODORI F hs ∞ dc MEILIACAE TUTORE AUCTOre EPICHARE APHRODISI F ATHEniensi PETIIT ET NUMERaTOS ACCEpit DOMO EX RiSCO ACP RISCO hs ∞ dc EOS HS ∞DC NUmmos qui s s sunt INTERROGANTe titinia .antracide FIDE SUA ESSE IUssit epichares aphrodisi F ATHENENSIS Pro euplia theodori f MELIACA TItiniae antracidi ACtum puteolis xiiii k apr SEX PALPELLIO histro l pedanio SEcundo cos
149 V. Arangio-Ruiz / G. Pugliese Carratelli, PP 9 (1954) 67 – 70: TH 67 – 75; Camodeca, Per una riedizione delle Tabulae Herculanenses, II. I nomina arcaria TH. 70+71 e TH 74, in Ostraka Rivista di Antichità 2 (1993) 197 – 209. 150 Nur Tafel II von TPSulp. 61, 62 (in drei Bruchstücken) und 64; nur Tafel III von TPSulp. 65 (linke Hälfte); nur Tafel I von TPSulp. 65 (rechte obere Ecke). 151 Die Urkunde wird ausführlich besprochen von P. Gröschler, Die tabellae-Urkunden aus den pompejanischen und herkulanensischen Urkundenfunden (Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen N.F. Bd. 26, 1997) 67 ff.
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Das Corpus (hier 2.1 – 3.6) dieser Urkunden besteht aus zwei Teilen. Der zweite Teil (hier 3.2 – 3.6) dokumentiert immer ein Sicherungsgeschäft, meistens den Abschluß einer fideiussio. Diese Protokolle über den Abschluß der Bürgschaft geben uns keine Rätsel auf und sind hilfreich für das Verständnis des ersten Teils der Urkunde. Eindeutig lassen sie nämlich erkennen, daß dort die Hauptschuld definiert wird (hier 3.2 / 4: EOS . . . FIDE SUA ESSE), und machen uns außerdem mit den beteiligten Personen bekannt. Hier ist es der Athener Epichares, Sohn des Aphrodisius, der sich Titinia Antracis152 verbürgt für sein Mündel153 Euplia, Tochter des Theodorus, aus Melos. In den dargestellten Rechtsbeziehungen ist Euplia mithin die Schuldnerin, Titinia ihre Gläubigerin, der Betrag der Geldschuld 1 600 Sesterzen. Im ersten Teil der Urkunde werden Buchungen dargestellt. Da die Urkunde selbst nicht der Ort dieser Buchungen gewesen sein kann, haben wir es mit der Wiedergabe aus einer Buchführung zu tun. Diese Buchführung waren offenbar die TABELLAE TITINIAE; denn unter dieser graphisch hervorgehobenen Überschrift steht die Wiedergabe der Buchungen154. Die erste Buchung ist die einer Ausgabe, die zweite die einer Einnahme. Die Ausgabe steht unter der Sigle EXP für expensos oder expensa, die Einnahme unter der Sigle ACP für acceptos oder accepta (nämlich sestertios oder sestertia); auch sie sind graphisch hervorgehoben durch isolierte Stellung in der Mitte der Zeile. Die EXP-Buchung ist mit einer Legende versehen. Bei ihr werden zunächst Empfänger und Betrag der Auszahlung genannt – vermutlich die Minima bei einer Auszahlungsbuchung; danach aber auch, in buchungstechnischer Verkürzung, die Modalitäten der Auszahlung festgehalten: ,mit Zustimmung ihres Vormunds Epichares erbat und erhielt sie ausgezahlt aus dem Haus aus der Kasse‘. Die Zahlung domo ex risco erfolgte unmittelbar aus der häuslichen Kasse155. Die übliche Alternative war die Zahlung in foro et de mensae scriptura156: auf dem Forum, durch den argentarius, bei dem man sein Depot hatte und der die Auszahlung in seinen rationes verbuchte157. Die Zahlung konnte aus allen möglichen Gründen erfolgen, zur Schuldtilgung etwa oder donationis causa oder dotis nomine; hier geschah sie, wie PETIIT andeutet und die Bürgschaft außer Zweifel stellt, darlehenshalber158. 152 Die Lesung des Beinamens ist äußerst unsicher. Spuren sieht Camodeca nur TPSulp. 61.3.9. 153 Im ersten Teil der Urkunde fungiert Epichares als Euplias tutor. Dazu s. Gröschler (o. A. 151) 195 ff. 154 Kunkel (o. A. 84) 216 spricht von ,Berichten über Buchungen in den tabellae‘. 155 Konventioneller und häufiger ist der Ausdruck domo, auch de domo ex arca; vgl. Gröschler (o. A. 151) 69 A. 6, 80. 156 Donatus zu Terentius, Adelphoe 2. 4. 13 (277): tunc enim in foro et de mensae scriptura magis quam ex arca domoque vel cista pecunia numerabatur; und zu Phormio 5. 8. 29 (922): per scripturam, id est mensae scriptura dari. Unde hodie additur chirographis ,domo ex arca sine mensae scriptura‘. 157 Zu all dem instruktiv Thilo (o. A. 27) 223 ff., 247, 266.
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Durch die Legende wird die EXP-Buchung als nomen arcarium definiert; wie es Gaius 3.131 beschreibt, begründete der Eintrag nicht die Obligation, sondern lieferte Beweis für die durch numeratio pecuniae begründete Verbindlichkeit159. Das nomen arcarium war ein Eintrag im codex accepti et expensi des Gläubigers, der erste Teil der tabellae-Urkunden danach ein Auszug aus seinem Hausbuch. Arangio-Ruiz160 und Kunkel161 sahen diese Vermutung schon durch die Buchführungsterminologie der Urkunden begründet. Camodeca (151) weicht davon nur in sofern ab, als er in den tabellae die rationes dominicae des Gläubigers sieht, die nämlich schon in der frühen Kaiserzeit den codex verdrängt hätten162. Die ACP-Buchung hat keine eigene Legende. Sie lautet einfach: ,Empfangen – für die Kasse163 – 1 600 Sesterzen‘. Indessen stellt der Zusammenhang außer Zweifel, daß hier als ,empfangen‘ gebucht sind eben die 1 600 Sesterzen, die zuvor als ,ausgezahlt‘ gebucht sind, und daß sie als ,empfangen‘ für eben die Kasse gebucht sind, aus der sie nach der EXP-Buchung ausgezahlt wurden. Während wir allerdings durch die Legende erfahren, wie die mit EXP verbuchte Ausgabe erfolgt ist, nämlich durch Barzahlung aus der häuslichen Kasse, bleibt offen, welcher Art die mit ACP verbuchte Einnahme ist, ob mit ACP eine Bareinzahlung von 1 600 Sesterzen verbucht ist oder ,zugunsten der Kasse‘ eine Forderung über diesen Betrag164. Das scheint mir der Befund zu sein. Auf einem anderen Blatt steht seine Interpretation. 158 Nach Thilo (o.A.27) 274 ist „die Doppelbedeutung von expensum als solvierende und obligierende Auszahlung seit der späten Republik bezeugt“. 159 H. L. W. Nelson / U. Manthe, Studia Gaiana VIII, Gai Institutiones III 88 – 181, Text und Kommentar (Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen N.F. Bd. 35, 1999) 211 f., 519. 160 BIDR 61 (1958) 306 = Studi epigrafici e papirologici (1974) 530; Mélanges Tisserant (1964) I 18 = Studi epigrafici 680 f. 161 Kunkel (o. A. 84) 216. 162 In L’archivio 206 f. Thilo (o. A. 27) 196 ff., auf den sich Camodeca beruft, hat in der Tat beobachtet, daß nach Alfen und Labeo „in den Quellen von der häuslichen Buchführung nur noch als den rationes gesprochen wird“. Sie seien zumeist von Sklaven geführt und vom dominus nur unterschrieben worden. Die ratio dominica, die Abrechnung des dispensator, die der paterfamilias durch subscribere bestätigte, habe weitgehend den Platz des alten republikanischen codex eingenommen. Immerhin bezeichnen die Urkunden die häusliche Buchführung mit tabellae, und tabulae war die gebräuchlichste Bezeichnung für den codex. 163 Wie arcae in TPSulp. 61.3.1 und 63.5.5 zeigt, ist risco Dativ, und zwar, wie Camodeca (151) bemerkt, dativus commodi. Daß auch Eupliae (2.3) dativus commodi ist, versteht sich dagegen nicht ohne weiteres (,ausgezahlt an Euplia‘ ist gutes Latein und in der Sache auch richtig), ist aber nach Thilos (o. A. 27) Analyse der Buchführungsterminologie (273) anzunehmen. 164 Wie Thilos Untersuchungen (o. A. 27) zeigen, waren Gegenstand der häuslichen Buchführung „unabhängig von einer Vermehrung oder Verminderung des Bargeldbestandes“ (158) auch Forderungen und Schulden. Die zahlreichen literarischen Quellen, die Juristen eingeschlossen, die von acceptum ferre und referre sowie expensum ferre sprechen, sind Berichte über Buchungen. Sie ergeben kein geschlossenes Bild, weil es keine festgeschriebene Buchführungsterminologie gab. Insbesondere läßt sich, nach den Einsichten Thilos, aus
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Camodeca sieht in der Empfangsbuchung die Gegenbuchung (controregistrazione) in den tabellae der Schuldnerin Euplia. Schon Arangio-Ruiz hat diese Erklärung erwogen165. Sie hat den großen Vorteil, das Schuldverhältnis, dessen Begründung in der Legende der Auszahlungsbuchung unmittelbar vorher dargestellt wird, nicht zu berühren und die problemlose Erklärung der Bürgschaft als Sicherung der Darlehensforderung nicht zu belasten. Was aber sollte im Zusammenhang der beurkundeten Vorgänge ihre Funktion gewesen sein? Zu welchem Zweck sollte das Formular ihre Aufnahme in die Urkunde vorgesehen haben? Und sollte wirklich unter der Überschrift TABELLAE TITINIAE nach dem Auszahlungseintrag aus Titinias Buchführung unvermittelt und unbenannt der Empfangseintrag aus Euplias Buchführung wiedergegeben sein? Ich halte das für ausgeschlossen. Gröschlers Erklärung166, gegen die auch Camodeca (151 / 2) Bedenken anmeldet, vermag ebenso wenig zu überzeugen. Er liest in die Urkunde hinein, was sie nun wirklich nicht hergibt. Nicht Titinia soll das Darlehen an Euplia ausgezahlt haben, sondern, von ihr angewiesen und in ihrem Namen, die Bank. Die EXPBuchung dokumentiere das Valutaverhältnis zwischen Titinia und Euplia, die Legende petiit et numeratos accepit domo ex risco jedoch zweierlei: mit petiit et numeratos accepit Euplias an Titinia gerichtete Bitte und den Empfang der Valuta, mit domo ex risco die Zahlung aus der Kasse der Bank. Die ACP-Buchung sei die Gegenbuchung der Bank zu ihren eigenen Gunsten und zu Lasten der Titinia; die Bank werde hier „mit dem Begriff riscus angesprochen“. Aussichtsreich wird nur ein Erklärungsversuch sein, der folgende Daten beachtet: Die testatio mit ihren sieben oder mehr Zeugen167 war Beweismittel für den Abschluß der Bürgschaft; die Bürgschaft ist der eigentliche Gegenstand der Urkunde. Der erste Teil der Urkunde ist ein Auszug aus den tabellae Titiniae und besteht aus den beiden Buchungen, dem EXP- und dem ACP-Eintrag. Dieser Auszug identifiziert die Hauptschuld und dient der näheren Bestimmung der Bürgschaft; die in den tabellae der Titinia gebuchten Vorgänge selbst, die Auszahlung der 1600 Sesterzen domo ex risco an Euplia und der Empfang von 1600 Sesterzen ,für die Kasse‘, sind ersichtlich nicht Gegenstand der Beurkundung; allenfalls ist es, neben der Bürgschaft, noch die Übereinstimmung des Auszugs mit den Eintragungen in den tabellae der Titinia (die nach Gai 3.131 ihrerseits für die Darlehensgewährung Beweis lieferten). Einer schlüssigen Erklärung der Urkunde macht vor allem die zweite Buchung des Auszugs Schwierigkeit. Offenbar haben wir die Buchführung der tabellae und diesen Wendungen kein Buchführungssystem konstruieren, weil ihnen in den Quellen „ganz unterschiedliche, nur aus dem Kontext erschließbare Bedeutungen unterlegt“ werden (272). 165 BIDR 61 (1958) 306. 166 Die tabellae-Urkunden (o. A. 151) 89 ff. 167 Vgl. TPSulp. 61.4 mit sieben, 64.4 mit neun Zeugen.
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darum auch die Bedeutung dieses Eintrags noch nicht wirklich verstanden. „Empfangen – für die Kasse – 1600 Sesterzen“ scheint nach Wortlaut und Kontext die Buchung der Rückzahlung der Darlehensvaluta zu sein168. Wäre sie das aber wirklich, ginge die fideiussio ins Leere. Nach dem Wortlaut der Urkunde hat Epichares jedoch gerade die als empfangen gebuchten 1 600 Sesterzen ,auf seine Treue genommen‘. „Empfangen – für die Kasse“ scheint für Bareingang zu sprechen. Von numeratos ist indessen nicht die Rede. Und könnten der Kasse nicht auch Forderungen zustehen – oder vielleicht richtiger: für sie verbucht werden? Könnte also mit dem Eintrag ,acceptos risco hs ∞ dc‘ nicht die Forderung (auf Rückzahlung der Darlehensvaluta) verbucht sein, die Titinia mit der Auszahlung ,aus der Kasse‘ ,für die Kasse‘ erworben hat? TPSulp. 60 ist vom 20. März 43. TPSulp. 62 entnehmen wir, daß sich Epichares auch schon am 20. März 42 für Euplia verbürgt hat, und zwar bei Cinnamus für eine ,Kassenschuld‘ von 1 000 Sesterzen; und TPSulp. 61, daß beide Darlehen noch nicht zurückgezahlt waren, als er am 20. Juli 43 ein drittes Mal für sie bürgte, wieder bei Cinnamus, bei dem Euplia diesmal ein Darlehen von 500 Sesterzen aufgenommen hatte. Zur peregrinitas der Schuldnerin und ihres Bürgen und zu seiner Vormundschaft gibt Camodecas sachkundige Kommentierung alle erforderliche Erläuterung. Wie in den Euplia-Dokumenten war auch in TPSulp. 64 vom 2. Februar 53 eine fideiussio Gegenstand der Beurkundung. Nicht so dagegen in der testatio TPSulp. 63 aus dem Jahre 45, die uns Camodeca durch seine umsichtige und plausible Ergänzung zugänglich gemacht hat. In diesem Fall hatte Cinnamus einer Magia Pulchra ein Darlehen von 30 000 Sesterzen domo ex arca gewährt, dessen Rückzahlung am 1. Mai 46 fällig war. Hier läßt er sich keine Bürgschaft bestellen, sondern von der Schuldnerin selbst für den Fall des Verzugs eine poena, vielleicht wirklich das duplum der Schuldsumme (158), versprechen und dieses Versprechen durch eine sponsio sichern. In allen tabellae-Urkunden ist Schuldnerin eine Frau. Darin könnte man die Erklärung für die Wahl des eigentümlichen statt des bei Darlehen üblichen Formulars169 suchen. Sie wird aber eher darin zu finden sein, daß Gegenstand der Beurkundung gar nicht das Darlehen selbst, sondern zusätzliche, den Gläubiger sichernde Geschäfte waren, die vielleicht auch erst nachträglich abgeschlossen wurden. * TPSulp. 81 – 93. – Dreizehn Urkunden spielen im Umfeld der Auktion. Sie gehören zu sieben Verfahren, von denen je zwei in den Jahren 45, 51 und 53 statt fanden und eines im Jahre 61. Im Jahre 45 ist Faustus170 noch einmal dabei (TPSulp. 81); im Jahre 61 hatte schon Onirus die Geschäfte des Bankhauses überVgl. Thilo (o. A. 27) 131 f. zu Scaev D 40.5. 41. 17; 96 ff.; 232 f. Vgl. TPSulp. 54 und 57 (Darlehen und fideiussio), 51 und 52 (Darlehen mit pignoris datio) und oben bei A. 139. 170 Zu den Sulpiziern oben bei und nach A. 18. 168 169
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nommen (TPSulp. 90 – 93); im übrigen agiert Cinnamus (TPSulp. 82 – 86), der einmal, am 30. Oktober 51, von Eutychus vertreten wird (TPSulp. 87); von den beiden Urkunden aus dem Jahre 53 (TPSulp. 88 und 89) sind nur Bruchstücke erhalten, aus denen die Beteiligten nicht ersichtlich sind. Nur einmal sehen wir einen Sulpizier in der Rolle des Auktionators (TPSulp. 82): am 5. Dezember 45 quittiert L. Patulcius Epaphroditus rogatu et mandatu seiner Freigelassenen Patulcia Erotis171, 19 500 Sesterzen von Cinnamus erhalten zu haben ex auctione eius ex interrogatione facta tabellarum signatarum – wie Camodeca zutreffend ergänzt172. Cinnamus hatte für Patulcia Erotis die Versteigerung besorgt; sie war die domina auctionis, der das versteigerte Gut gehörte. Soweit wir im übrigen sehen, sind die Sulpizier immer diejenigen, die versteigern lassen – aber nicht, wie Patulcia, eigenes, sondern fremdes Gut, das ihnen verpfändet oder zur Sicherung übereignet worden war. Anders als Patulcia sind sie darum wohl auch nicht in der Rolle des dominus auctionis. Auktionen waren vorzüglich das Geschäft der argentarii. Der argentarius fungierte als Verkäufer173. Er hatte darum den Kaufpreisanspruch gegen den Ersteigerer, war aber seinerseits verpflichtet, den Erlös, abzüglich seiner Vergütung174, an den dominus auctionis auszukehren. Diese Verpflichtung war, wie sich versteht, durch den Abschluß des Kaufvertrags bedingt, dann aber alsbald zu erfüllen, und dabei blieb es gewöhnlich auch, wenn, wie fast regelmäßig, der argentarius dem Käufer den Kaufpreis für kürzer oder länger kreditierte. Diese Praxis war vermutlich ein Grund für die Beteiligung des Bankiers am Auktionsgeschäft. Kreditierte er dem Käufer den Kaufpreis, so ließ er sich von ihm dessen Zahlung in einer Stipulation, der stipulatio argentaria, versprechen175. Die Übernahme der Kreditkosten folgte offenbar keiner festen Regel. Zur Auskehr des Erlöses war der argentarius dem dominus auctionis aus Werkvertrag verpflichtet. Eine zusätzliche Verpflichtung aus Stipulation schloß das nicht aus. Sie scheint aber nicht üblich gewesen zu sein176. Auch die ,Promissio auctionatoris‘ in TPSulp. 81 darf nicht mit ihr verwechselt werden. TPSulp. 81. – Die Urkunde ist vom 20. Juni 45, ihr Gegenstand ein Versprechen des argentarius A. Castricius177. Leider ist nur ihr erster Teil und auch dieser nicht vollständig erhalten; er lautet: Zur Eigenhändigkeit s. oben A. 35. Unbegründete Zweifel bei J. Andreau, Affaires financières à Pouzzoles au Ier siècle après J.-C.: les tablettes de Murécine, in REL 72 (1994, ersch. 1995) 52 f. Die viel diskutierte Klausel ist uns vor allem aus den Quittungsurkunden des L. Caecilius Iucundus geläufig. F. Costabile, L’auctio della fiducia e del pignus nelle tabelle dell’agro Murecine (1992), ist diese Urkunde (= TP 40 + 118) offenbar entgangen. 173 Vgl. G. Thielmann, Die römische Privatauktion (1961) 94 ff., hier und auch sonst m. der ält. Literatur. 174 Vgl. Thielmann (o. A. 173) 187, 219. 175 Zur Stipulation des Kaufpreises Thielmann (o. A. 173) 132 ff. 176 Vgl. Thielmann (o. A. 173) 206 ff.; sie kommt offenbar nur in Scaev D 46. 3. 88 vor. 171 172
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A CASTRICIUS . . . . . . SCRIPSI ME PROMISSISSE C SULPiciO faUSTO QUANTA PECUNIA EX AUCTIONE P SERVILI NARCISSI IN STIP ULATUM MEUM MEO RUMVE VENIT VENE RIT DEDUCTA MERCEDE . . . . . . REPRAESENTATUM ET . . . . . .
Gut des P. Servilius Narcissus soll versteigert werden. A. Castricius, der argentarius, der die Auktion besorgt, verlangt keine Barzahlung, sondern wird sich den Kaufpreis vom Käufer in einer Stipulation versprechen lassen. In der Urkunde erklärt er, daß er C. Sulpicius Faustus eben so viel zu zahlen versprochen habe, wie ihm der Käufer versprechen wird, abzüglich seiner Vergütung. Der argentarius hat sich also nicht dem Eigentümer Narcissus, dessen Gut versteigert werden soll, zur Auskehr des Erlöses verpflichtet, sondern einem Dritten, Faustus. Camodeca schließt daraus sicher zu Recht, daß Narcissus Faustus’ Schuldner war und ihm das Gut, das versteigert werden soll, verpfändet, vielleicht auch zur Sicherung übereignet hatte. Dagegen ist mir zweifelhaft, daß Faustus, in dessen Interesse die Auktion erfolgte und der sie sicher auch veranlaßt hat, darum der dominus auctionis war. Schon die Bezeichnung der Auktion als auctio P. Servili Narcissi ist damit kaum vereinbar178. Deutlicher spricht Folgendes: Castricius erklärt me promississe. Dieses Versprechen ist keine Stipulation. Wo immer in den Urkunden der Abschluß einer Stipulation erklärt oder protokolliert wird, wird erklärt oder protokolliert, daß gefragt und geantwortet worden ist; davon gibt es keine Ausnahme. Castricius hat getan, was er erklärt: er hat Faustus formlos versprochen, was ihm, Faustus, Narcissus schuldete; er hat sich Faustus verbindlich gemacht, für einen anderen und für dessen Rechnung zu leisten. Das ist ein receptum, TPSulp. 81 mithin der erste unmittelbare Beleg eines receptum argentarii179. Zeile 11 lautete ursprünglich wohl RIT MERCEDE MINUS180; nachträglich wurde interlinear vor MERCEDE deducta eingefügt und minus, von dem noch das m zu erkennen ist, getilgt. – REPRAESENTATUM in Zeile 12 steht nach Camodeca für den Infinitiv repraesentare „nel senso di pagare in anticipo o in contanti“. Aber warum repraesentare? Ich sehe nicht den Gewinn. Ein Schreiberversehen ist außerdem unwahrscheinlich und wäre wohl, wie Zeile 11, korrigiert worden. Wahr177
Auli Castricii sind uns schon wiederholt begegnet, siehe o. zu TPSulp. 22 sowie 23 und
24. Vgl. in TPSulp. 82. 2. 10 Camodecas gesicherte Ergänzung ex auctione eius. Zum receptum argentarii s. etwa L. Wenger, RE 1A (1914) 372 ff. Weitere Literatur bei Thielmann (o. A. 173) 205 f., der nur den gewöhnlichen Fall sieht, daß (wie Patulcia) der Eigentümer eine Sache zu Geld machen will. 180 Die pompejanischen Quittungstafeln haben durchgehend mercede minus. 178 179
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scheinlicher ist (11) DEDUCTA MERCEDE t(antam) p(ecuniam) (12) REPRAESENTATUM ET solutum iri181. TPSulp. 83 – 93. – Die übrigen Urkunden aus dem Umfeld der Auktion sind ohne weiteres verständlich, ihre vielfache Ergänzung, dank des fast immer gleichen Formulars, durchweg gut begründet. Es sind Protokolle über die Ankündigung der Auktion. Während 30 Tagen mußte die Versteigerung ,proskribiert‘, durch öffentlichen Aushang angezeigt werden. In den Urkunden ist der Ort des Aushangs immer derselbe, im Jahre 61 wie schon in den Jahren 51 und 53: in Puteoli auf dem Forum in porticu Augusti Sextiana in parastatica. Unter dem Datum ihrer Errichtung halten die Protokolle fest, daß an diesem Ort die Ankündigung, die sie im Wortlaut wiedergeben, angeschlagen war. Die Ankündigung teilte mit, welche Sachen versteigert würden (TPSulp. 83 und 84: purpurae laconicae182; 85 und 87: sechs Sklaven; 88: Grundstücke; 90 – 93: eine Sklavin); wer sie wem verpfändet (TPSulp. 83 und 84) oder fidei fiduciae causa manzipiert (TPSulp. 85, 87 und 90 – 92) haben soll183; wann und wo (soweit ersichtlich immer in foro ante chalcidicum Caesonianum) die Versteigerung stattfinde, ob unter Mitwirkung eines praeco184 und ob nur gegen Barzahlung185; und abschließend, seit wann die Ankündigung öffentlich angeschlagen war. Während der 30 Tage wurde die Proskription zwei- oder dreimal auf diese Weise beurkundet – die Ankündigung etwa des Verkaufs der mulier Fortuna am 16. und am 22., wahrscheinlich aber auch schon am 4. Februar 61, dem ersten Tag des öffentlichen Anschlags (TPSulp. 90 und 92). TPSulp. 85 – 87. – Einen unvorhergesehenen Verlauf nahm die Auktion des M. Egnatius Suavis. Er schuldete Cinnamus 26 000 Sesterzen und hatte ihm sechs Sklaven fidei fiduciae causa manzipiert. Offenbar war er mit seiner Leistung in Verzug, denn am 14. Oktober 51 sollten die Sklaven versteigert werden. Die Auktion wurde seit dem 15. September angekündigt und die Proskription am 5. Oktober beurkundet (TPSulp. 85). Aber noch vor dem 14. Oktober verstarb Suavis. Der Versteigerungstermin wurde daraufhin abgesagt (196). Suavis hatte keine Erben und sein Nachlaß war offenbar überschuldet186. Denn für den 23. Oktober 51 be181 Solutum ist natürlich hypothetisch, die Hypothese aber begründet, denn „das receptum ging auf solvi oder se soluturum esse“: Lenel, EP 134 mit A. 5. – Tantam pecuniam wird, was Camodeca nicht übersieht, von QUANTA PECUNIA in Zeile 6 / 7 gefordert. Im übrigen glaube ich, in Zeile 12, wo minus getilgt worden ist, T und P zu lesen. Das keineswegs unrichtige mercede minus könnte durch deducta mercede ersetzt worden sein, um für das vergessene tantam pecuniam Platz zu schaffen. 182 In TPSulp. 83.2.8 / 9 und 84.2.8 ist purpuras laconicas reliquas quas kein Schreiberversehen, sondern eine Kasusangleichung des Beziehungsworts an das Relativ. 183 Dicitur oder dicebatur oder diceretur, vgl. oben bei A. 55. Diese Ausdrucksweise verrät, daß die Proskription weder vom Schuldner noch vom Gläubiger, sondern von einem Dritten, dem argentarius oder dem praeco, besorgt wurde; vgl. B. W. Leist, RE 2 [1896] 2271. 184 Sie wird, soweit ersichtlich, erwähnt in TPSulp. 87.3.3; 90.3.2; 91.3.2 / 3 und 92.3.2 / 3, war aber vielleicht selbstverständlich (B. W. Leist, RE 2 [1896] 2271) und darum nicht notwendigerweise anzukündigen. 185 So in der Ankündigung der Protokolle TPSulp. 90 – 92.
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zeugt ein Protokoll (TPSulp. 86) das öffentliche Aufgebot der sponsores et creditores des M. Egnatius Suavis aus der Kolonie Puteoli, cuius heres non extat187. Von der Urkunde ist nur Tafel I erhalten und nur Seite 2 in den Serien der Soprintendenza di Napoli188 photographisch dokumentiert. Camodeca hat allerdings eine nicht registrierte Photographie der Seite 1 ausfindig gemacht und ein Stück der Außenschrift mit größter Mühe entziffert, jedoch kein Wort mehr, als wir bequem auf Seite 2 von der Innenschrift lesen. Gleichwohl nicht eine Mühe ohne Lohn: für die Sachforschung belanglos, versichert uns die Entzifferung dieser Seite 1 einmal mehr der außerordentlichen Gewissenhaftigkeit des Editors. Das Aufgebot der Gläubiger gehörte schon zum Konkursverfahrens. Über seinen Fortgang wissen wir nichts. Den Verkauf der Cinnamus sicherungshalber manzipierten Sklaven hat es jedenfalls nicht weiter berührt (anders offenbar Camodeca 194). Denn am 30. Oktober 51 gab Eutychus – in Vertretung des verhinderten Gläubigers Cinnamus – an eben der Stelle, wo die Auktion schon am 14. Oktober hätte stattfinden sollen, zu Protokoll, daß die Versteigerung der Sklaven in nundinas proximas hinausgeschoben sei (TPSulp. 87). Die Cinnamus fiduziarisch übereigneten Sklaven gehörten offenbar nicht zum Nachlaß und waren vermutlich auch schon nicht mehr im Besitz des Schuldners, als er starb. Die „stretta connessione fra le auctiones e le nundinae“, auf die Camodeca hinweist (185), ist evident. Wenn am 14. Oktober nundinae waren, dann waren die nächsten am 22. und die übernächsten am 30. Oktober. Eutychus hätte danach die Auktion schließlich für den 7. November angekündigt. * Ich beende damit die Besprechung einzelner Urkunden und Urkundengruppen. Manches mußte vernachlässigt werden: die ,Mandata‘ (TPSulp. 48 und 49) mit der ,Haftungsübernahme‘ des C. Iulius Prudens (48)189; die Schuldanerkenntnisse (66 – 69) mit den beiden Chirographa des C. Novius Eunus in Vulgärlatein (67 und 68)190 und Cinnamus’ Rekordanerkenntnis über 94 000 Sesterzen (69)191, entkräftet durch Überschreibung mit einem großen SOL für solutum und darum auch im Besitz der Bank; die Quittungen (70 – 77), im Einzelnen sehr verschieden, drei von Cinnamus selbst ausgestellt192, vermutlich also Vorlagen oder Kopien (72 – 74); 186 Vgl. etwa, auch zum Folgenden H. L. W. Nelson / U. Manthe, Studia Gaiana VII, Gai Institutiones III 1 – 87, Text und Kommentar (Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen N.F. Bd. 15, 1992) 186 f., 190 f. zu Gai 3.77 ff. 187 Die Proskription zitierte damit indirekt das Edikt: Lenel, EP 416 f. 188 Siehe o. bei A. 11. 189 Siehe o. bei A. 23. 190 Siehe o. bei A. 34. 191 Siehe o. bei A. 26. 192 Siehe o. nach A. 22.
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die Kondiktionen des Cinnamus (31) und das Chirographum des Menelaos (78), zwei Urkunden, die inzwischen von Hypothesen aller Art überwuchert sind193; schließlich auch die ,Negotia incerta et fragmenta‘ mit vielen interessanten Details und verlockenden Herausforderungen.
V. 1. Der Edition eines Urkundentextes geht dessen Herstellung voraus, seine ,Konstitution‘. Diese Herstellung ist ein methodisches Verfahren, in dem wir drei Arbeitsgänge oder Phasen unterscheiden können194. Die erste Phase ist die Bereitstellung des Rohmaterials, also der Fundstücke, in unserem Fall der Täfelchen; die zweite ist ihre Lesung: die getreue Wiedergabe ihrer Beschriftung; die dritte die Ergänzung des nach der Lesung unvollständig gebliebenen Textes. Ungewöhnlich genug, hat Camodeca selbst das gesamte verbliebene Material gesichtet, zu seiner Sicherung beigetragen und für seine vollständige Dokumentation gesorgt; davon war wiederholt die Rede. Seine große Lesekunst erwies und bewährte sich, wo immer das Material der Entzifferung Widerstand leistete. Das waren in den gut erhaltenen Urkunden immer wieder die durch das Formular nicht festgelegten Textteile wie Daten, Summen und besonders Namen, waren aber auch die zahlreichen Urkunden, deren Beschriftung schlecht erhalten war. Einen Großteil seiner Lesungen hat Camodeca schon in seinen Vorveröffentlichungen zugänglich gemacht. Ich habe sie über die Jahre hin verfolgt und, wo sie von meinen eigenen abwichen195, an den Photographien überprüft. Es ist diese Erfahrung, wenn ich es für einen Glücksfall halte, daß Camodeca die Edition der Urkunden von Murecine zu seiner Aufgabe gemacht hat. Seine Lesungen, die er in der ,Edizione critica‘ nur selten noch verändert hat, sind nach meinem Urteil so verläßlich, wie Lesungen von tabulae ceratae überhaupt sein können. Wo ich ihm nicht folgen kann, sieht und liest er meistens mehr Schriftzeichen und Schriftspuren, als ich erkennen kann. Seine Lesung erscheint mir in diesen Fällen zu kühn und eher eine Hypothese zu sein, deren Bestand von sachlichen Gründen abhängt. Die dritte Phase der Konstitution des Textes ist seine Ergänzung. Sie ist, wie sich versteht, nur dann erforderlich, wenn der Text nach der Lesung lückenhaft oder unvollständig geblieben ist. Nur bei wenigen Urkunden des Fundes ist das 193 Zu TPSulp. 78 s. J. G. Wolf, Aus dem neuen pompejanischen Urkundenfund: Die íáõëùôéκÞ des Menelaos – Seedarlehen oder Seefrachtvertrag?, in Scritti in onore di Mario Talamanca (2001), im Druck. 194 Vgl. etwa F. Wieacker, Römische Rechtsgeschichte, Erster Abschnitt (München 1988) 112 ff. 195 Die ihrerseits auf den Lesungen beruhten, die das Ergebnis gemeinsamer Sitzungen mit John A. Crook und Ulrich Manthe waren, vgl. U. Manthe, Gnomon 53 (1981) 152 A. 7; auch J. G. Wolf, FUB 65 (1979) 30 f.
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nicht der Fall. Sind von einer Urkunde Innen- und Außenschrift erhalten, kann die eine aus der anderen ergänzt werden. In aller Regel folgen die Urkunden einem Formular. Sind mehrere Urkunden des selben Musters erhalten, ist wieder der Vergleich die beste Hilfe für ihre Ergänzung. Für variable Textelemente, wie insbesondere Namen, gibt es die Vergleichsmöglichkeit prinzipiell nicht. Wo immer es aber keine direkten Parallelen innerhalb oder auch außerhalb des Archivs gibt, beruht die Ergänzung voll und ganz auf dem Urteil des Herausgebers, und das heißt auch: auf seinem Sachwissen. Aus dem profunden altertumswissenschaftlichen Sachwissen Camodecas, das die gesamte Edition bezeugt, bewähren sich bei der Ergänzung der Urkundentexte vielleicht am sichtbarsten seine stupenden onomastischen und prosopographischen Kenntnisse. Wenn über seine Ergänzungen ein allgemeines Urteil möglich ist, so würde ich auch von ihnen sagen, daß sie bei großer Solidität im ganzen immer wieder überraschend kühn sein können. Beispiele haben wir kennen gelernt196. Ich glaube, daß darum manche Ergänzung Kritik herausfordert – wie es denn überhaupt in der Natur der Sache liegt, daß die Ergänzungen der Kritik eher ausgesetzt sind, als die Lesungen. Dasselbe gilt für die Kommentare, mit denen Camodeca die Urkunden Stück für Stück versieht. Sie sind durchweg sachkundig, präzise und anregend. Mit ihnen verläßt er den Bereich der Edition und wechselt hinüber in den der Sachforschung. Dabei zögert er nicht, auch in die Tagesdiskussion einzugreifen und das Risiko einzugehen, morgen widerlegt zu werden. 2. Das Archiv der Sulpizier liefert einen vielseitigen und detailreichen Beitrag zur Rekonstruktion des gesellschaftlichen Gesamtsystems. Die weit fortgeschrittene Erschließung des onomastischen Materials der Urkunden erlaubt eine verfeinerte Interpretation der sozialen Zustände in Puteoli, und liefert insbesondere ein klares Bild von der Rolle des ,ceto libertino‘ im Wirtschaftsleben der bedeutendsten Hafen- und Handelsstadt auf italischem Boden. Nach dem Befund der neuen Urkunden war er der oft vermißte ,ceto medio‘ der römischen Stadtgesellschaft. Unschätzbar ist der Gewinn für unsere Kenntnis der römischen Privatrechtsordnung. Was wir von ihr wissen, schöpfen wir im wesentlichen aus den Fragmenten der gelehrten juristischen Literatur des 1., 2. und frühen 3. Jahrhunderts. Von der konkreten Anwendung dieses äußerst elaborierten Rechtssystems, von seiner praktischen, seiner wirklichen Geltung, haben wir kaum eine Vorstellung. Erst jetzt, durch den Fund von Murecine, sehen wir zum ersten Mal in nennenswertem Umfang das Privat- und Prozeßrecht im Alltag der rechtsgeschäftlichen Praxis. Es war nicht zu erwarten, daß die Urkunden unser Institutionenwissen bereichern würden und darum eher eine Überraschung, als sie die Einsicht aufdrängten, daß das vadimonium die in ius vocatio nicht ersetzt hat, sondern vielmehr ihre unveränderte Anwendung unter veränderten Umständen sicherte197. Der Hauptge196 197
Siehe etwa o. vor A. 16. Siehe o. bei A. 39.
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winn ist indessen der unwiderlegliche Nachweis, daß das römische Privatrecht in seiner ganzen Komplexität, wie die römische Jurisprudenz sie entwickelt hat, durchaus im Alltag galt. Die Urkunden antworten mit großer Genauigkeit seinen differenzierten Anforderungen. Die Konzeption ihrer Formulare setzte, ebenso wie der Entwurf der singulären Urkunden, eine profunde juristische Bildung voraus. Sie sind damit auch der unmittelbare Beleg eines Berufsstandes von Rechtsexperten, die in hohem Maße die soziale Wirklichkeit des Rechts verantworteten. Wie die Juristen in ihren Schriften, überlebten sie, namenlos und als kollektiv, in den Urkunden, die sie schufen. Ihre spezifische intellektuelle Leistung ist greifbar in der Art und Weise, wie sie ihre Aufgabe gemeistert haben. Wir kommen ihnen darum näher, wenn wir energischer als bisher die Funktion der Urkunden beachten. Sie sind konzipiert zu dem Zweck, den Beweis rechtlicher und besonders rechtsgeschäftlicher Vorgänge für den Fall der gerichtlichen Auseinandersetzung zu sichern. Nur wenn wir sie auch unter diesem Gesichtspunkt befragen, werden sie uns ein Stück der vergangenen Wirklichkeit des römischen Rechts zurückgeben, das uns bisher weithin verborgen geblieben ist. Camodecas „Edizione critica dell’ archivio puteolano dei Sulpicii“ eröffnet uns diese Möglichkeit. Ich schließe mit Glückwünschen an den Autor, der sich mit diesem Werk in die Liste der großen Editoren unserer Wissenschaft eingetragen hat; aber auch mit Glückwünschen an die italienische Romanistik, für deren Lebenskraft dieses Werk ein wunderbares Zeugnis ist.
Die Íáõëùôéκ κ Þ des Menelaos – Seedarlehen oder Seefrachtvertrag?* I. Der Text der Urkunde Die Lesung des griechisch-lateinischen Diptychons1 aus dem neuen pompejanischen Urkundenfund, die ich 1979 in den Freiburger Universitätsblättern2 vorge* Nur mit dem Namen des Verfassers werden zitiert: H. Ankum, Tabula Pompeiana 13: ein Seefrachtvertrag oder ein Seedarlehen?, in „IURA“, XXIX, 1978, ersch. 1980, 156 – 173; G. Camodeca, Tabulae Popeianae Sulpiciorum, Edizione critica dell’archivio puteolano dei Sulpicii, Roma, 1999; F. Th. Gignac, A. Grammar of the Greek Papyri of the Roman and Byzantine Periods, I, Phonology, Milano, 1976; D. C. Gofas, Encore une fois sur la Tabula Pompeiana 13, in „Symposion 1993“, Akten der Gesellschaft für griechische und hellenistische Rechtsgeschichte, Band 10, Köln, 1994; H. Kühnert, Zum Kreditgeschäft in den hellenistischen Papyri Ägyptens bis Diokletian, Juristische Diss. Freiburg i. B., 1965; E. Mayser, Grammatik der griech. Papyri aus der Ptolemäerzeit, 1. Bd.: Laut- und Wortlehre, Leipzig, 1906, 2. Bd.: Satzlehre, 1. Hälfte, Leipzig, 1926, 2. Hälfte, Leipzig, 1934; E. Mayser, Grammatik der griech. Papyri aus der Ptolemäerzeit, 1. Bd., 1. Teil: Einleitung und Lautlehre, 2. Aufl. bearb. v. H. Schmoll, Berlin, 1970, 2. Teil: Flexionslehre, 2. Aufl., Leipzig, 1938, Neudr. Berlin, 1970; K. Meisterhans, Grammatik der attischen Inschriften, 3. Aufl. besorgt v. E. Schwyzer, Leipzig, 1900; A. J. M. Meyer-Termeer, Die Haftung der Schiffer im griechischen und römischen Recht, Zutphen. 1978; L. Mitteis, Grundzüge und Chrestomathie der Papyruskunde, Zweiter Band: Juristischer Teil, 1. Hälfte: Grundzüge, 2. Hälfte: Chrestomathie, Leipzig, 1912, Neudr. Hildesheim, 1963; E. Nachmanson, Laute und Formen der magnetischen Inschriften, Leipzig, 1903; E. Rüsch, Grammatik der delphischen Inschriften, I, Lautlehre, Leipzig, 1914; H.-A. Rupprecht, Untersuchungen zum Darlehen im Recht der graecoaegyptischen Papyri der Ptolemäerzeit, München, 1967; E. Schweizer, Grammatik der pergamenischen Inschriften, Leipzig, 1898; E. Schwyzer, Griechische Grammatik, 2 Bd., Syntax u. syntaktische Stilistik, München, 2. Aufl., 1959; U. Wilcken, Grundzüge und Chrestomathie der Papyruskunde, Erster Band: Historischer Teil, 1. Hälfte: Grundzüge, 2. Hälfte: Chrestomathie, Leipzig, 1912, Neudr. Hildesheim, 1963; J. G. Wolf, Aus dem neuen pompejanischen Urkundenfund: Der Seefrachtverrag des Menelaos, in Freiburger Universitätsblätter („FUB“), Heft 65, 1979, 23 – 36; H. J. Wolff, Das Recht der griechischen Papyri Ägyptens in der Zeit der Ptolemaeer und des Prinzipats, 2. Bd., Organisation und Kontrolle des privaten Rechtsverkehrs, München, 1978. 1 Zuerst herausgegeben von F. Sbordone / C. Giordano, Dittico greco-latino dell’agro Murecine, in „RAAN“ 43, 1968, ersch. 1969, estratto 3 – 12. In der von L. Bove, Documenti processuali dalle Tabulae Pompeianae di Murecine, Napoli, 1979, 17 ss., angelegten Zählung erhielt das Diptychon die Nummer TP 13. In Camodecas Edition, nach der hier zitiert wird, ist es TPSulp. 78; vgl. seine ,Concordanza‘ I 421 / 2. Seite 4 der Urkunde, die erst von Camodeca identifiziert worden ist, zeigt, neben vagen Schriftspuren, den Sulcus mit drei gut erhaltenen Siegeln und den Abdrücken von vier weiteren Siegeln. Ungewöhnlich gut erhalten waren die drei Siegel unter dem Kontext auf Seite 3 (Abb. bei Camodeca II 607 / 8), die Camodeca (I 178) einleuchtend als die Siegel von Menelaos, Q. Aelius Romanus und M. Bar-
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schlagen habe, ist von Hans Ankum bis auf einen Buchstaben übernommen worden. Meine Erläuterung der Urkunde hat er dagegen verworfen3. Die Urkunde selbst läßt uns wissen, daß sie zu einem Seefrachtvertrag gehörte. Da das Frachtgut Geld ist, nämlich 1 000 Denare, habe ich erwogen, daß der Vertrag Darlehensfunktion gehabt haben könnte. Nach Ankum ist der beurkundete Vertrag dagegen ein römisches Seedarlehen. Diese Auffassung hat unverzüglich Schule gemacht4. Ich glaube dagegen, daß sie unrichtig ist. Die Urkunde lautet: 2
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
3
1 2 3 4 5 6 7 8
\ÅðM 2ðÜôùí ÌÜρκïõ \Áκýëá \ÉïõëéÜíïõ κáM Ðïðëßïõ Íùíßïõ \ÁóðρÞíá ðρN ôρéµí å9äµí \Áðρéëßùí 7í Äéκáρ÷Þá ÌåíÝëáïò Å9ρíáßïõ ÊåρáìéÞôçò fãρáøá 6ðÝ÷éí ìáé ðáρJ Ðρßìïõ Ðïðëßïõ \Áôôßïõ ÓåâÞ ρïõ äïýëïõ{ëïõ} äçíÜρéá ÷ßëéá 7κ íáõëïôéκ'ò 7κóöρáãéóìÝíçò, X κáM 6ðïäþóù 6κïõëïýèùò ô' íáõëïôéκ' Z ðåðïßçìáé ðρNò á§ðüí. κáôÝóôçóá äK fíãõïí
11. April 38
å9ó fκôéóéí ôµí ðρïãåãρáììÝíùí äçíáρßùí ÷éëßùí ÌÜρκïí Âáρ− âÜôéïí ÊÝëåρá. Q Aelius Romanus scripsi rogatu et mandatu M Barbati Celeris coram ipso quod is litteras nesciret eum sua fide iubere eos S 1 q s s sunt Primo P Atti Severi ser pro Menela-
batius Celer interpretiert. Die Siegelung durch Barbatius Celer bewirkte, daß das Bürgschaftschirographum (3.4 – 10) gegen ihn Beweis machte; vgl. J. G. Wolf / J. A. Crook, Rechtsurkunden in Vulgärlatein, Heidelberg, 1989, 12 A. 15, 20 bei A. 61. Zur Untersiegelung vgl. H. Steinacker, Die Antiken Grundlagen der frühmittelalterlichen Privaturkunde, Leipzig / Berlin, 1927, 109 ss.; M. Talamanca, Documentazione e Documento, in Enciclopedia del Diritto, Estratto dal 13. Vol., Milano, 1964, 3 ss. Die untersiegelten Chirographa des neuen Fundes verzeichnet Camodeca I 37. – Wegen des Sulcus auf Seite 4 hält Camodeca unsere Urkunde für ein Triptychon (I 177, 31 ss.). 2 „FUB“ 23 – 36. 3 Ankum 157 – 160. Für „falsch“ hält sie inzwischen auch G. Thür, Die Aestimationsabrede im Seefrachtvertrag, in „Symposion 1993“ (s. bei Gofas) 267; zu seiner Interpretation s. u. nach A. 196. 4 Vgl. G. Purpura, Tabulae Pompeianae 13 e 34: due documenti relativi al prestito marittimo, in Atti della Accademia di Scienze, Lettere ed Arti di Palermo, serie V, vol. 2, parte II, 1981 – 82, 453 ss.; G. Camodeca, „Puteoli“ VI, 1982, 3 A. 1, 5 A. 5, und L’archivio puteolano dei Sulpicii, Napoli, 1992, 138 A. 114, 176 A. 40, 238 A. 3; J. Macqueron, Contractus scripturae, Camerino / Nice, 1982, 174; L. Bove, Documenti di operazioni finanziarie dall’archivio dei Sulpici, 1984, 185. – Ankum hat seine Interpretation noch einmal bekräftigt in: Cahiers d’Histoire, Lyon, XXXIII, 1988, 271 ss., insb. 277.
Die ÍáõëùôéκÞ des Menelaos
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uo Irenaei f Ceramietae, ita uti supra scriptum est
* In den Freiburger Universitätsblättern habe ich in 2.6 fãρáøá 6ðÝ÷éí ìïé gelesen5. Ankum hat gesehen, daß nicht ìïé, sondern ìáé zu lesen ist, und erkannt, daß ìáé für ìå steht6. Auf diese doppelte Unregelmäßigkeit, die ungewöhnliche Verwendung des Infinitivsubjekts und die irreguläre Schreibweise des Personalpronomens, ist in späterem Zusammenhang zurückzukommen7. Meine Übersetzung lautet indessen unverändert8: (2.1) Unter den Konsuln Marcus Aquila Iuli(2)anus und Publius Nonius As(3)prenas am dritten Tag vor den Iden (4) des April in Dicarchia. (5) Ich, Menelaos, Sohn des Irenäus, Kera(6)miete, habe geschrieben, daß ich erhalten habe (7) von Primus, des Publius Attius Seve(8)rus Sklave, Denare eintausend (9) aus gesiegeltem Seefrachtvertrag, (10) und sie werde ich zurückgeben gemäß (11) dem Seefrachtvertrag, den ich geschlossen habe mit (12) ihm. Ich habe bestellt als Bürgen (3.1) für die Zahlung der oben genannten (2) Denare eintausend den Marcus Bar(3)batius Celer. (4) Ich, Q. Aelius Romanus, habe geschrieben auf Bitten und (5) Auftrag des M. Barbatius Celer, vor ihm (6) selbst, weil er des Schreibens nicht mächtig ist, daß er (7) sich verbürgt wegen der Denare 1 000, die oben genannt sind, (8) dem Primus, des P. Attius Severus Sklave, für Menela(9)os, den Sohn des Irenäus, Keramieten, so (10) wie oben geschrieben ist. II. Zwei Chirographa in einer Urkunde Das Diptychon enthält zwei Chirographa: das des Menelaos in griechischer und das des Q. Aelius Romanus, der für M. Barbatius Celer schreibt, in lateinischer Sprache. Zwei Chirographa in einer Urkunde ist kein Einzelfall; noch vier andere Urkunden des Fundes enthalten zwei Chirographa (TPSulp. 54, 55, 57 und 75). Sie unterscheiden sich indessen schon in ihrer äußeren Form von unserem griechischlateinischen Diptychon. Während hier das lateinische Chirographum des Aelius Romanus ohne weiteres an das griechische des Manelaos anschließt, beobachtet in den anderen Urkunden auch das zweite Chirographum die Formalien des Formulars: wie das erste beginnt es mit dem Datum, wobei der Aussteller sich allenfalls erlaubt, statt die Namen der Konsuln zu wiederholen, Isdem consulibus zu schreiben (TPSulp. 54 und 57). Das Diptychon unterscheidet sich aber nicht nur in dieser Formalie von den zweifelsfrei römischen Urkunden. 5 6 7 8
Zur Geschichte dieser Lesung „FUB“ 32. Für ìáé hatte ich keine Erklärung. Ankum 160. Siehe unten bei den A. 40 und 50. Vgl. „FUB“ 33.
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III. Das Datum und die Ortsangabe Ein absolutes Distinktiv der römischen Urkunde ist die Angabe des Ausstellungsorts unmittelbar unter dem Kontext9. Die Urkunden des neuen Fundes haben dieses Kriterium wieder bestätigt: ob Testatio oder Chirographum, immer steht die förmliche Ortsangabe Actum Puteolis unmittelbar unter dem Kontext10. Die einzige Ausnahme ist das griechisch-lateinische Diptychon; es hat die Ortsangabe vor dem Kontext. Das Datum haben Testatio und Chirographum dagegen an verschiedener Stelle: in der Testatio steht es nach der Ortsangabe, am Ende der Urkunde; im Chirographum dagegen vor dem Kontext, am Anfang der Urkunde11. Unser Diptychon ist ein Chirographum. In Übereinstimmung mit dem römischen Typus steht das Datum vor dem Kontext, im Gegensatz zum römischen Typus (und zur römischen Urkunde überhaupt) aber auch, wie schon gesagt, der Ausstellungsort: 7í Äéκáρ÷Þá12. Die Verbindung von Datum und Ortsangabe, wie wir sie hier antreffen, ist charakteristisch für die Urkunde des griechischen Rechtskreises. Zwar nennen nicht alle hellenistischen Urkunden den Ausstellungsort13: wo aber das Formular die An9 Sofern das Formular überhaupt die förmliche Angabe des Ausstellungsorts vorsieht. Das ist allerdings nur bei zwei Testationes nicht der Fall: Die Testatio sistendi hat nur Actum (TPSulp. 16, 18 und 21) und die Testatio über die öffentliche Ankündigung einer Auktion endet ohne jede Schlußklausel mit der wörtlichen Wiedergabe des Aushangs (TPSulp. 85, 90, 91 und 92). Abweichend von der Regel (dazu sofort im Text) haben beide auch das Datum (Konsuln – Tag – Monat) am Anfang der Urkunde. Diese eigentümliche Ausgestaltung der beiden Protokolle hängt vielleicht mit den Gegenständen der Beurkundung zusammen. In der Testatio sistendi beginnt der Kontext unter dem Datum immer mit dem Gestellungsort (Puteolis, Romae), der notwendigerweise auch der Ausstellungsort der Urkunde ist. Für die Testatio adfixi libelli gilt Entsprechendes. Außerdem werden in beiden Fällen Fakten protokolliert. Eine nähere Untersuchung ist angezeigt. 10 Zwei Urkunden sind in Capua errichtet (TPSulp. 12 und 26) und haben Actum Capuae. 11 Zu den beiden Ausnahmen s. A. 9. Das regelmäßige Schema der testatio war also: Kontext – Ausstellungsort – Datum (Tag-Monat-Konsuln); das des chirographum: Datum (Konsuln-Tag-Monat) – Kontext – Ausstellungsort. Bei einer Reihe von pompejanischen Quittungstafeln ist bekanntlich die Innenschrift eine Testatio, während die Außenschrift als Chirographum abgefaßt ist: FIRA III 129, S. 407 ss.; Bruns 157, S. 358 ss.; das Formular dieser Urkunden bei Mommsen, Juristische Schriften, III, Berlin, 1907, 235 ss. Eine Ausnahme ist offenbar die transsilvanische Testatio vom 29. 5. 167: FIRA III 120, S. 391 = Bruns 155, S. 353; sie ist wie ein chirographum eingerichtet. Die lateinischen testationes über Kaufverträge zwischen römischen Bürgern vom Jahre 77 n.Chr. aus Ägypten (FIRA III 136, S. 436 ss.) und vom 24. 5. 166 n.Chr. aus Seleuca Pieria in der Provinz Syria (FIRA III 132, S. 425 ss.) folgen strikt dem römischen Schema. 12 Der alte griechische Name Puteolis war ÄéκáéÜρ÷åéá. In der Form ÄéκÜρ÷çá ist er hier zum ersten Mal belegt. Die lateinische Version war Dicaearchea, auch -ia; bei Petron. 120. 68: Dicarchis; das Adjektiv: Dicarcheus. 13 Der Ausstellungsort wird in den Urkundenlehren stiefmütterlich behandelt und von der Typologie zu Unrecht vernachlässigt. Der Verzicht auf seine Angabe ist außerdem immer erklärungsbedürftig und wohl auch aufschlußreich.
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gabe des Ausstellungsorts vorsieht, ist sie immer mit dem Datum verbunden; sie folgt ihm stereotyp mit 7í und dem Ortsnamen im Dativ14. Das Chirographum der griechischen Papyri Ägyptens hat das Datum „prinzipiell am Ende“15 und gibt den Ausstellungsort grundsätzlich nicht an16. In anderen Ländern des Ostens war das anders. Die Papyrusfunde der fünfziger und frühen sechziger Jahre in der judäischen Wüste17 haben auch zwei Chirographa in griechischer Sprache ans Licht gebracht: eine Quittung vom 19. August 132 n. Chr. aus Maoza, einem entlegenen Dorf südlich des Toten Meeres in der (erst 106 eingerichteten) römischen Provinz Arabia18, und einen Schuldschein aus dem Jahre 171 n. Chr., der in Jerusalem ausgestellt worden ist19. In beiden Chirographa steht das Datum in der charakteristischen Verbindung mit dem Ausstellungsort am Anfang des Urkundentextes20. Nach H. J. Wolff repräsentieren diese Urkunden eine vorderasiatische Stilvariante des hellenistischen Chirographum21.
14 Das ist der Fall bei der privaten Sechszeugenurkunde, H. J. Wolff 58 A. 4, und der aus ihr entwickelten öffentlichen, staatsnotariellen (Agoranomen- oder Grapheion-) Urkunde, H. J. Wolff 87. Beide Typen sind, wie die römische Testatio, objektiv, in der 3. Person, als Protokoll stilisiert und beide beginnen mit dem Datum und dem Ausstellungsort. In der staatsnotariellen Urkunde, die zu Beginn der römischen Zeit die Sechszeugenurkunde endgültig verdrängt hat, braucht die Mitwirkung des Agoranomen nicht zum Ausdruck zu kommen, Mitteis, Grundzüge 61 ss.; H. J. Wolff 90 ss. Beispiele sind in allen Sammlungen leicht greifbar. Ich verweise nur auf Mitteis, Chrestomathie Nr. 132 (110 v.Chr.), 133 (108 v.Chr.), 134 (101 v.Chr.) und Nr. 152 – 164 (aus den Jahren 137 v.Chr. bis 238 n.Chr.); für staatsnotarielle Urkunden außerdem auf P. Grenf. II 18 (127 v.Chr.), P. Oslo II 39 (146 n.Chr.), PSA 28 (86 n.Chr.) – drei Darlehensurkunden, die auch abgedruckt sind bei Kühnert 12, 91, 121 – und auf SB X 10 248 (59 n.Chr.), 10 249 (59 n.Chr.), 10 531 (36 n.Chr.), 10 538 (130 n.Chr.), 10 539 (104 n.Chr.), 10 571 (194 n.Chr.), 10 572 (126 n.Chr.). – Demselben Schema folgt auch BGU III 887 = FIRA III 133 (S. 428 ss.), ein in Side in Pamphylien am 8. 7. 151 n.Chr. in Griechisch abgefaßtes Protokoll über eine römisch-rechtliche emptio puellae. 15 H. J. Wolff 107; ebenso die anderen Privaturkunden: das Hypomnema, 115, und das ,private Protokoll‘, 123. 16 Diese Eigentümlichkeit wird in den Urkundenlehren nicht ausdrücklich hervorgehoben; vgl. Mitteis, Grundzüge 55 ss.; H. J. Wolff 106 ss. Beispiele sind wieder in allen Sammlungen leicht greifbar. Ich verweise nur auf Mitteis, Chrestomathie Nr. 138, 140-144 (aus den Jahren 136 v.Chr. bis 144 n.Chr.) und auf SB X 10 222 (20 n.Chr.), 10 234 (35 n.Chr.), 10 238 (37 n.Chr.), 10 246 (55 n.Chr.), 10 283 (167 oder 114 v.Chr.). Der Form des ägyptischen Chirographum folgt auch die lateinische Quittung eines Valerius Albanus aus dem Jahre 48 n.Chr.: FIRA III 146 (S. 457). 17 Siehe etwa Elisabeth Koffmahn, Die Doppelurkunden aus der Wüste Juda, Leiden, 1968, 1 ss. 18 P. 5 / 6 Hev 27 gr. = SB X 10 288.2, auch bei H. J. Wolff, ANRW II 13, 1980, 771 ss. mit Übersetzung. 19 P. Mur. 114 = SB X 304, auch bei Koffmahn (o.A. 17) 90 ss. mit Übersetzung. 20 Verfehlt H. J. Wolff, ANRW II 13, 1980, 790; zutreffend später im Handbuch (1978) 110. Die Untersuchung in ANRW ist als Separatum schon Anfang der 70er Jahre erschienen. 21 H. J. Wolff 110. Sie taucht 220 n.Chr. auch in Ägypten, in dem griechisch abgefaßten Chirographum eines Römers, auf: FIRA III 142, S. 452.
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Unser Diptychon folgt demselben Schema. Das Datum vor dem Kontext ist nicht etwa das Anfangsdatum des römischen Chirographum, dem der Grieche Menelaos nach heimischer Gewohnheit22 die Ortsangabe 7í Äéκáρ÷Þá nur hinzugefügt hat. Auch das lateinische Chirographum des Q. Aelius Romanus endet ohne die römische Schlußklausel Actum Puteolis23 – so wie es entgegen der römischen Urkundenpraxis auch nicht unter eigenem Datum steht, sondern ohne weiteres an das griechische Chirographum des Menelaos anschließt. Dieser Befund stellt außer Zweifel, daß die Urkunde bewußt und planmäßig nach hellenistischem Muster angelegt ist24. Menelaos war Bürger von Keramos25 in Kleinasien, einer kleinen Seestadt an der Nordküste des keramischen Golfs; Keramos gehörte zur Provinz Asia, deren Einrichtung damals 170 Jahre zurücklag. Wir nehmen an, daß Menelaos sein Chirographum nach seiner Gewohnheit abgesetzt hat, und schließen, daß in Kleinasien, wie im Vorderen Orient, die Sitte war, beim Chirographum das Datum und den Ausstellungsort an den Anfang der Urkunde zu stellen26.
IV. Keine Briefklausel Soweit wir sehen, war das hellenistische Chirographum allerdings Briefchirographum27: die zahlreichen Chirographa der griechischen Papyri Ägyptens28 beginnen „FUB“ 34. In TPSulp. 75.5.9, 54. 5. 15 und 55. 1. 11 lesen wir jeweils unter dem zweiten Chirographum Actum Puteolis; in TPSulp. 57. 5. 15 ist das Ende der Zeile, wo die Schlußklausel (abgekürzt) erwartet werden konnte, weggebrochen. In TPSulp. 54.5.7 steht die Schlußklausel auch unter dem ersten Chirographum; von TPSulp. 75 und 55 sind die entsprechenden Partieen nicht erhalten oder nicht zu lesen; in TPSulp. 57. 5. 11 ist sie offensichtlich ausgelassen. – Actum unmittelbar unter dem Kontext, gelegentlich auch ohne den Ortsnamen, bleibt übrigens bis in die spätesten Zeiten ein Kennzeichen der römischen Urkunde, siehe die lateinischen Testationes FIRA III 139, S. 443 ss., von 493 aus Afrika und FIRA III 140, S. 446 ss., von 591 aus Ravenna. 24 Instruktiv ist ein Vergleich der beiden chirographischen Quittungen des Papyrus FIRA III 142, S. 452 ss., von 220 n.Chr. aus Ägypten: die Parteien sind Römer und in beiden Chirographa dieselben; das eine, über den Empfang von Brot, ist in griechischer Sprache abgefaßt, das andere, über den Empfang von Wein, in lateinischer; das griechische ist seiner äußeren Form nach hellenistisch, das lateinische römisch (mit allerdings veränderter Schlußklausel; sie kehrt in den späten lateinischen Protokollen [o.A. 23] wieder). Ich bin indessen nicht sicher, daß die lateinische Quittung richtig ergänzt ist. Sie könnte auch eine Testatio gewesen sein; vgl. das in A. 23 zitierte späte lateinische Protokoll aus Afrika. 25 Anders „FUB“ 32 A. 15; zutreffend, wie seinerzeit, in unserer Korrespondenz, sofort Sbordone und dann auch Ankum 159 und Bove (o.A. 4) 148. 26 Unser Diptychon erweitert insofern unsere Kenntnisse über das hellenistische Chirographum. Zu dessen „Herkunft“ H. J. Wolff 109 ss. In Ägypten taucht dieses Schema (mit Anfangsdatum und Ausstellungsort) zu Beginn des 3. Jhs. n.Chr. auf, siehe das in A. 21 und 24 zitierte Chirographum von 220 n.Chr. 27 Mitteis, Grundzüge 55; H. J. Wolff 107. 28 Siehe oben A. 16. 22 23
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ausnahmslos wie ein Brief des Ausstellers an den Destinatar, und auch die beiden Chirographa aus Arabia und Palästina29 beginnen unter dem Datum und der Ortsangabe mit der üblichen Briefklausel nach dem Muster 1 äå¦íá ôµ B äå¦íé ÷áßρåéí30. Beim römischen Chirographum war die Briefform dagegen nicht üblich31: in den alten und neuen Urkunden aus Pompeji und Herculaneum kommt sie nicht vor32. Aber auch unser Diptychon, obwohl nach hellenistischem Muster angelegt, hat sie nicht. Daraus können wir nicht den Schluß ziehen, daß die Briefklausel, die das ägyptische und vorderasiatische Chirographum kennzeichnete, dem kleinasiatischen Chirographum fehlte. Denn es ist gut möglich, daß Menelaos hier nach dem Beispiel der römischen Praxis auf die Grußformel verzichtete33. Da wir im Kontext der Urkunde römische Stilelemente antreffen34, muß sogar, solange nicht neues Quellenmaterial unsere Kenntnis über das hellenistische Chirographum erweitert, dieser Möglichkeit die größere Wahrscheinlichkeit eingeräumt werden.
V. Die Unregelmäßigkeiten des Urkundentextes Der griechische Urkundentext enthält eine Reihe von Unregelmäßigkeiten verschiedener Art. 1. Die Wiederholung der Endsilbe in äïýëïõëïõ (2.8) ist ein mechanisches Schreibversehen; Menelaos wollte äïýëïõ schreiben und hat unabsichtlich äïýëïõëïõ geschrieben. 2. Verstöße gegen die literarische Standardorthographie sind dagegen 6ðÝ÷éí (2.6 statt 6ðÝ÷åéí), ìáé (2.6 statt ìå), 6κïõëïýèùò (2.10 statt 6κïëïýèùò), Z ðåðïßçìáé (2.11 statt Zí ðåðïßçìáé) und fõãõïí (2.12 statt fããõïí). Hier hat sich Menelaos nicht verschrieben; vielmehr wußte er es nicht anders. Seine Schreibweisen zeigen (mit Ausnahme von fíãõïí) bekannte phonetische Entwicklungen, durch die sich die Umgangssprache von der Schriftsprache entfernt hatte. (a) Der Diphthong åé wurde spätestens seit dem 1. Jh. v. Chr. in der gesamten griechischen Koine wie é ausgesprochen: Die Schreibung é statt åé und åé statt é Oben A. 18 und 19. Ebenso das in A. 21 und 24 zitierte ägyptische Chirographum von 220 n.Chr. 31 Vgl. L. Mitteis, Römisches Privatrecht, Leipzig, 1908, 292 ss. 32 Unter den neuen Urkunden hat nur ein Lieferschein die Briefform: TPSulp. 80. 33 In FIRA III 121, S. 391 ss = P. Fouad 45, einem allographischen chirographum in lateinischer Sprache über ein Darlehen zwischen Römern, das 153 n.Chr. in Alexandria errichtet worden ist, beginnt der Schreiber nach ägyptischem Muster ohne Anfangsdatum mit der Grußformel, setzt aber unter den Kontext, römisch, Actum Alexandriae und schließt, wieder ägyptisch, mit dem Datum. Zu dieser Urkunde auch unten in A. 61. 34 Unten nach A. 52. 29 30
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häuft sich in den Papyri schon um die Mitte des 3. Jhs. v. Chr.35, während sie in den Inschriften von Delphi36 und Attika37, Pergamon38 und Magnesia39 zwar auch schon seit dem 3. oder frühen 2. Jh. v. Chr. begegnet, bis zum Ende des 2. Jhs. v. Chr. aber nur vereinzelt. (b) Zögernder veränderte sich die diphthongische Aussprache von áé in einen e-Laut: Der Austausch von áé und å ist in den ägyptischen Papyri noch im 1. Jh. v. Chr. selten40 und nimmt erst in der römischen Zeit kräftig zu41; in den attischen Inschriften begegnet er nicht vor der Wende zum 2. Jh. n. Chr.42, in den Inschriften von Magnesia immerhin seit der Mitte des 1. Jhs. n. Chr., also bald nach unserer Urkunde43. (c) Die Lautwerte von ïõ und ï waren vermutlich zu keiner Zeit identisch, lagen aber offenbar seit dem 3. Jh. v. Chr. so nahe beieinander, daß ïõ und ï leicht verwechselt werden konnten44. Da außerägyptische Belege selten sind, ist das Zeugnis des Keramieten Menelaos von besonderem Interesse45. (d) Der Fortfall von auslautendem í vor konsonatischem Anlaut ist dagegen wieder für weite Bereiche der Koine gut belegt46. Und die nicht assimilierte Schreibweise von auslautendem í vor Gutturalen in zusammengesetzten Wörtern überwiegt schon im 2. Jh. v. Chr. sowohl in den ägyptischen Papyri47 wie in den magnesischen Inschriften48. 3. Nach klassischer Grammatik ist das Part. Perf. Pass. von 7κ-óöρáãßæåéí: 7îå-óöρáãéóìÝíïò; Menelaos schreibt aber 7κ-óöρáãéóìÝíçò (2.9). Diese Bildung ist kein individueller Fehler: in den Papyri kommt es, schon seit dem 3. Jh. v. Chr., immer wieder vor, daß das Perfekt zusammengesetzter Verben ohne das ReduplikaMayser, 1906, 87 ss.; Mayser / Schmoll, 1970, 60 ss., insb. 61 Z. 15, 66 ss.; Gignac 189 ss. Rüsch 65 ss., 80 ss. 37 Meisterhans / Schwyzer, Berlin, 1900, 48 ss. 38 Schweizer 52 ss., 74 ss. 39 Nachmanson 40 ss. 40 Mayser I 107; Mayser / Schmoll I 1 85 ss. 41 Gignac 191 ss., insb. 193 sub 2. 42 Meisterhans / Schwyzer 34. 43 Nachmanson 37. 44 Mayser I 116 ss.; Mayser / Schmoll I 1 74 ss., 77 ss.; Gignac 211 ss. Schmoll 74 vermutet, daß bei der Schreibung von ïõ statt ï „in den meisten Fällen lautgeschichtlich wertlose Schreibfehler vorliegen, hervorgerufen durch ein ïõ in benachbarter Silbe“. Das könnte auch für 6κïõëïõèùò gelten. 45 Gignac 213 bei Anm. 3. 46 Mayser I 191 ss.; Mayser / Schmoll I 1 169 ss.; Gignac 111 ss.; Rüsch 201 ss.; Meisterhans / Schwyzer 84 ss., 113 ss.; Schweizer 122. Nicht belegt in den magnetischen Inschriften: Nachmanson 81. 47 Mayser I 233 ss.; Mayser / Schmoll I 1 207 ss. Vgl. auch Gignac 168. 48 Nachmanson 104 f. 35 36
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tionszeichen å gebildet wird49. Kein Zweifel also: 7κóöρáãéóìÝíçò war ein Wort der Umgangssprache des Keramieten. 4. Schließlich ist die Ausdrucksweise 7ãρáøá 6ðÝ÷éí ìáé dem klassischen Griechisch fremd: nach den verba dicendi steht bei gleichem Agens der einfache Infinitiv50. Auch in den Papyri wird in der Regel das Subjekt des Infinitivs nicht ausgedrückt, wenn es mit dem des regierenden Verbs identisch ist51. Seit dem 3. Jh. v. Chr. kommt es jedoch vor, daß bei gleichem Subjekt das des Infinitivs ausgedrückt wird, und zwar, wie im Lateinischen, im Akkusativ52. Es scheint, daß auch Menelaos diese Sprachgewohnheit hatte. Die Dinge liegen jedoch komplizierter. (a) Denn fãρáøá (,ich habe geschrieben‘) ist sozusagen römisch und das Chirographum beginnt im Stil des römischen Formulars. Im griechischen Chirographum nennt der Aussteller sich und seinen Vertragspartner in der Grußformel53 und beginnt dann den Kontext entweder nach dem Muster f÷ù ðáρJ óï¯ äρá÷ìJò +κáô=í (,ich habe von dir einhundert Drachmen‘) oder, und das sehr viel häufiger, nach dem Muster 1ìïëïãµ f÷åéí ðáρJ óï¯ äρá÷ìJò +κáôüí (,ich anerkenne, von dir einhundert Drachmen zu haben‘)54. Im römischen Chirographum, das die Briefklausel nicht hatte, beginnt der Aussteller den Kontext dagegen immer mit seinem Namen und dem Wort scripsi55. Ebenso Menelaos. Darum liegt nahe, daß er dem Beispiel des römischen Chirographum folgte, als er schrieb: ÌåíÝëáïò Å9ρçíáßïõ ÊåρáìéÞôçò fãρáøá. Unter diesen Umständen ist aber zu erwägen, ob 6ðÝ÷éí ìáé nicht ein Latinismus ist. Die römischen Darlehensformulare56 haben übereinstimmend scripsi me 49 Mayser I 2, 1938, Nachd. 1970, 98; vgl. auch Gignac (wie a. a. O.) II Morphology, 1981, 243. Vgl. BGU I 265. 21 (148 n.Chr.): äÝëôïí ÷áëκLí åκóøρeãéóìÝíçí. 50 Schwyzer 375 ss. 51 Mayser II 1, 1926, 334 ss. 52 P. Petr. II 11 (1): ðÝðåéóìáé ρ^ áéäùò ìå óõóôáèÞóåèáé (3. Jh. v.Chr.); UPZ I 77 col. II 19: ïhïìáé 6ρåéèìå¦í ìå; 22 / 23: kìçí . . . 7ðåéκáëå¦í ìå ôNí ìÝãéóôïí GÁììùíá; 26; kìçí ìå âï¯í 7í ôµ ôüðù å9íé (163 v.Chr.). Das Subjekt des Infinitivs wird im Akkusativ ausgedrückt, obwohl beim einfachen Infinitiv Prädikative und participia coniuncta im Nominativ stehen; vgl. Schwyzer 375. 53 Siehe o. nach A. 27. 54 H. J. Wolff 107; Beispiele etwa bei Mitteis, Chrestomathie Nr. 138 ss. 55 Beispielsweise TPSulp. 27: L. Faenius Eumenes scripsi; oder TPSulp. 45: Diognetus C Novi Cypaeri servus scripsi; oder TPSulp. 54: M. Lollius Philippus scripsi. 56 Die Darlehensurkunden des neuen Fundes zeigen uns den Gebrauch von drei Formularen, die sich allerdings nur in ihrem ersten, dem eigentlichen Darlehensteil und auch hier nur in der Gestaltung des Textes unterscheiden: Numerius Negidius scripsi (1) me accepisse et debere Aulo Agerio sestertia . . . quae ab eo mutua et numerata accepi (2) me accepisse mutua et debere Aulo Agerio sestertia . . . (3) me accepisse mutua ab Aulo Agerio et debere ei sestertia . . .
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accepisse und die Quittungsformulare entweder auch diese Klausel oder scripsi me habere57. Für Ankum58 ist es keine Frage, daß fãρáøá 6ðÝ÷éí ìáé „die griechische Übersetzung der lateinischen Worte scripsi me accepisse (oder habere)“ ist. Die Stellung von ìáé nach 6ðÝ÷éí erklärt er sich folgendermaßen: „Der Übersetzer hat Menelaos diktiert fãρáøá 6ðÝ÷éí; danach hat er entdeckt, daß er vergessen hatte, das Wort me zu übersetzen, und darum hat er nach 6ðÝ÷éí das Wort ìáé = ìå hinzugefügt.“ Später59 kennt Ankum auch den Übersetzer: „Primus, der griechisch konnte“, soll es gewesen sein; und er soll auch nicht nur scripsi me accepisse, sondern das ganze Chirographum aus dem Lateinischen ins Griechische übertragen haben60. (c) Das Chirographum des Menelaos hat unter den römischen Urkunden kein Beispiel; es entspricht keinem bekannten römischen Formular; die Übereinstimmung mit den römischen Darlehens- und Quittungsurkunden beschränkt sich auf die ersten Worte61. Wie wir sehen werden, hat das Chirographum des Menelaos eaque sestertia . . . proba recte dari stipulatus est Aulus Agerius spopondi Numerius Negidius. Der ersten Variante folgen: TPSulp. 53 (vom 13.3.40), 50 (vom 9. 11. 35) und vermutlich 59; der zweiten: 54 (vom 3. 10. 45), 55 (vom 3. 3. 49), 56 (vom 7. 3. 52) und 57; der dritten: TPSulp. 51 (vom 28. 6. 37) und 52 (vom 2. 7. 37). 57 Die beiden Formulare lauten: (1) L. Titius scripsi me accepisse ab Q. Seio sestertia . . . (2) L. Titius scripsi me habere ab Q. Seio sestertia . . . Dem ersten Formular folgen aus dem neuen Fund: TPSulp. 70 (vom 17. 7. 41), 71 (vom 23. 3. 46), 72 (vom 31. 12. 47), 73 (vom 21. 8. 48), 75 (vom 12. 5. 52) und 76; von den herkulanensischen Urkunden: TH 40 (vom 4. 12. 62) und 41 (vermutlich vom Aug. 62); das Formular ist aber auch schon aus den Quittungstafeln des L. Caecilius Iucundus bekannt: FIRA III 130 (S. 411 ss.). Dem zweiten Formular folgt aus dem neuen Fund nur TPSulp. 77 (vom 12. 1. 48); von den herkulanensischen Urkunden: TH 8 und 39 (vom 31. 1. 65). Die Quittung TH 43 (vom Juni 70) hat: scripsi me percipere. 58 Ankum 160. 59 Ankum 164 ss. 60 Ankum geht noch einen Schritt weiter. Er folgert: Da „das Originalmodell des chirographum . . . lateinisch geschrieben war, ist es unzweifelhaft, daß der Vertrag, von dem im ersten chirographum unseres Diptychons die Rede ist, und die fideiussio des Barbatius Celer römischrechtliche Verträge sind“ (165). Die Prämisse ist nicht richtig und der Schluß unzulässig. – Auch Camodeca 178 zu Zeile 2.6 hält fãρáøá 6ðÝ÷éí ìáé für die präzise Übersetzung von scripsi me accepisse. 61 Anders Ankum 165: der Vertrag, von dem in den Zeilen 2.6 – 8 die Rede ist, soll auf den ersten Blick als Darlehensvertrag zu erkennen sein. Zwei Ausdrücke wiesen darauf hin: „fρáøá 6ðÝ÷éí ìáé = scripsi me accepisse und 6ðïäþóù = reddam“. Scripsi me accepisse ist in der Tat „für römische Darlehensverträge charakteristisch“ (siehe o.A. 56); „auf den ersten Blick“ mag man darum wirklich an einen Darlehensvertrag denken; für Ankums Folgerung reicht diese Übereinstimmung aber nicht aus. Scripsi me accepisse ist außerdem ebenso charakteristisch für die römische Quittungsurkunde (siehe Ankum 160 und o.A. 57). – Reddam dagegen kommt in den Standardformularen der Darlehensurkunden gar nicht vor (siehe wieder o.A. 56) – sondern nur in TP 15 (= TPSulp. 51) in der Zusatzklausel: sestertium . . . quae ei reddam cum petierit (5.6 / 7); vgl. auch FIRA III 123, S. 394 ss. – In FIRA III 121,
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vielmehr die normale Struktur einer ,schuldrechtlichen‘ hellenistischen Homologie-Urkunde62. Und wie wir an den Formalien der Urkunde schon gesehen haben, ist sie auch nach hellenistischem Muster angelegt63. Unter dem Einfluß der römischen Sitte hat Menelaos allerdings von der Briefklausel abgesehen64 und nach römischem Beispiel auch seine Erklärung nicht mit 1ìïëïãµ, sondern mit fãρáøá eingeleitet65. Und nur darum stellt sich die Frage, ob nicht das scripsi me accepisse der lateinischen Formulare Menelaos bestimmt hat, auch in seiner Sprache den A.c.I. zu verwenden und fãρáøá 6ðÝ÷éí ìáé zu schreiben. Die Antwort können wir der Klausel selbst entnehmen. Die Stellung des Infinitivsubjekts ìáé nach dem Infinitiv zeigt, daß Menelaos hier seiner eigenen Sprachgewohnheit folgte. Denn wo im Griechischen das Infinitivsubjekt begegnet, steht es bald vor, bald nach dem Infinitiv66; im Lateinischen dagegen ist in normaler Sprache sein Platz immer vor dem Infinitiv.
VI. Die íáõëùôéκ κÞ des Menelaos 1. Das Chirographum des Menelaos enthält eine Bestätigung, ein Versprechen und eine Mitteilung (von der wir zunächst absehen). Menelaos bestätigt, von Primus, dem Sklaven des P. Attius Severus, tausend Denare erhalten zu haben, und er verspricht, diese Denare zurückzugeben. Er hat diese tausend Denare 7κ íáõëùôéκ'ò 7κóöρáãéóìÝíçò erhalten, ,aufgrund gesiegelter Naulotike‘, und er verspricht, sie zurückzugeben 6κïõëïýèùò ô' íáõëùôéκ', ,nach Maßgabe der Naulotike‘67. Die íáõëùôéκÞ hat Menelaos mit Primus ,gemacht‘, der ihm auch die tausend Denare übergeben hat68.
S. 391 ss. = P. Fouad 45 dagegen ist quos (sc. denarios) et reddam die Rückgabeklausel der hellenistischen Darlehenschirographa; denn diese lateinische Urkunde über ein Darlehen zwischen Römern, die 153 n.Chr. in Alexandria errichtet worden ist, folgt dem chirographischen Formular des hellenistischen (von Rupprecht 36 sogenannten) ,neutralen Darlehens‘; vgl. Kühnert 144, 147. Zu den Formalien dieser Urkunde schon o.A. 33. 62 Siehe u. bei und nach A. 135. 63 Siehe o. nach A. 21. 64 Siehe o. nach A. 32. Vgl. Gofas 255 A. 19. 65 Siehe o. nach A. 54. Vgl. Gofas 255 A. 19, 259 A. 38 66 Siehe o.A. 52. Außerdem P. Eleph. 23.16: (=ìíýù) . . . f÷åéí ìå (223 v.Chr.). 67 Zu den Bedeutungen von 7î s. Mayser II 2 388 ss. \Åî 7ðéóôïë'ò in P. Oxy. II 276 (77 n.Chr.) und 7î 6ðïóôüëïõ in P. Oxy. X 1259 (211 / 2 n.Chr.) und P. Amh. 138 = Mitteis, Chrestomathie 342 (326 n.Chr.) sind gleichbedeutend mit 6κïëïýèùò ôµ . . . 6ðïóôüëµ in Wilcken, Chrestomathie 443 (15 n.Chr.) und κáô \ 6ðüóôïëïí in SB V 8754 (77 v.Chr.). Mit diesen Wendungen nehmen die Schiffer in den Quittungen, die sie den Sitologen ausstellen, auf das Schreiben Bezug, durch das die Lokalbehörde zur Auslieferung des Getreides angewiesen wird, das die Schiffer befördern sollen. Vgl. Wilcken, Chrestomathie zu 443. 68 Zur Vertretung des P. Attius Severus durch seinen Sklaven Primus s. „FUB“ 34.
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2. Nach Ankum deutet „der Ausdruck íáõëùôéκÞ (óõããρáöÞ) . . . auf ein Seedarlehn“69. Es sei „äusserst wahrscheinlich“, daß der Übersetzer des Chirographum mit íáõëùôéκÞ die „lateinischen Worte traiecticius contractus“ wiedergegeben habe70. Die Juristen kennen indessen keinen traiecticius contractus; ihr Ausdruck für das Seedarlehen ist pecunia traiecticia oder, seltener, pecunia nautica71. Der Begriff traiecticius contractus kommt nur einmal bei Justinian vor; in seinem ZinsGesetz von 528 bestimmt er72: in traiecticiis autem contractibus vel specierum fenori dationibus usque ad centesimam tantummodo licere stipulari nec eam excedere, licet veteribus legibus hoc erat concessum73. Die fünfhundert Jahre, die zwischen diesem Gesetz und unserer Urkunde liegen, überwindet Ankum mit der Vermutung, Justinian habe den Ausdruck traiecticius contractus in den veteres leges gefunden, „die wahrscheinlich aus der späteren Republik oder aus der klassischen Zeit“ stammten74. Viele75 haben sich von dieser Interpretation überzeugen lassen; andere76 halten sie für erwägenswert; ich glaube dagegen, daß sie Punkt für Punkt verfehlt ist. Das Chirographum ist keine ,Übersetzung‘, denn das Formular ist nicht römisch77, sondern kommt aus dem griechischen Osten78. Die leges veteres werden für das Seedarlehen, wenn davon überhaupt die Rede war, kein anderes Wort gebraucht haben, als die Juristen von Servius bis Modestin79. Traiecticius contractus ist eine singuläre und unglückliche Begriffsbildung. Pecunia (sc. mutua)80 kann traiecticia sein, nämlich ,Geld, das seiner Eigenart oder Bestimmung nach über das Meer gebracht wird‘81; ein contractus traiecticius ist ein Unding. Die BasiliAnkum 167. Ankum 168 ss. 71 Pecunia (sc. mutua) traiecticia: Servius bei Ulp D 13.4.2.8; Labeo D 22.2.9, bei Pomp D 22.2.2; Iul bei Paul D 3. 5. 12; Afr D 44. 7. 23; Paul D 22.2.6, PS 2.14.3; Pap D 22.2.4 ; Ulp D 15.1.3.8; Mod D 22.2.1; Diocl et Max CI 4.33.2 (a. 286), eod. 5 (a. 294), 4. 32. 19.3. Nautica: Scaev D 45. 1. 122.1; Ulp D 4.9.1.7; Mod D 22.2.3. Der Ausdruck fenus nauticum zuerst in Diocl et Max CI 4.33.4 und später, sehe ich recht, nur noch in den Rubriken D 22.2 und CI 4.33. Vgl. A. Biscardi, Actio pecuniae traiecticiae, 2. Aufl. (1974) 186 ss. m. weit. Lit. 72 CI 4. 32. 26.2 73 Const. Tanta 5 (= CI 1.17.2.5) gebraucht Justinian dagegen den alten Fachausdruck traiecticia pecunia. 74 Ankum 168. 75 Siehe o.A. 4. 76 G. Thür, „Tyche“ 2, 1987, 229 A. 2, 242. – I. Rougé, Mem. Am. Acad. Rome, 36, 1980, 293, bezieht sich auf die Lesung von Sbordone / Giordano; dazu „FUB“ 28 ss. 77 Siehe o. nach A. 60. 78 Siehe o. nach A. 21 sowie u. bei und nach A. 135. Gegen die Annahme einer Übersetzung auch Gofas 265. 79 Die Terminologie ist bis an das Ende der klassischen Zeit völlig fest; siehe o.A. 71. 80 Vgl. Scaevola D 45. 1. 122.1: Callimachus mutuam pecuniam nauticam accepit. 69 70
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ken82 bleiben denn auch bei der herkömmlichen Terminologie und übersetzen contractus traiecticius mit äÜíåéïí íáõôéκüí83, was wörtlich dem lateinischen mutua pecunia nautica entspricht84. Die Übersetzung von contractus traiecticius mit íáëùôéκÞ, die Ankum dem Sklaven Primus nachsagt, wäre ein fataler Mißgriff gewesen85 und dieser Mißgriff auch nur denkbar, wenn Menelaos íáõôéκÞ óõããρáöÞ und íáõëùôéκÞ (sc. óõããρáöÞ) nicht auseinanderhalten konnte86. Íáõôéκüò, ,den Schiffer oder das Schiff betreffend‘, gehört zu íáýôçò, das seinerseits eine Ableitung von íá¯ò ist87. ÍáõëùôéκÞ, das nur in dieser Form vorkommt, leitet sich von íáõëüù her, das zu íá¯ëïí gehört88. Íá¯ëïí ist ,Frachtgeld‘; íáõëüù, íáõëüïìáé wird gewöhnlich übersetzt: ,(für Frachtzwecke) ein Schiff vermieten, sich mieten‘; íáõëùôéκÞ (sc. óõããρáöÞ) daher mit ,Schiffsfrachtvertrag‘89. Der Ableitungszusammenhang mit íáõëüù, íá¯ëïí schließt die Bedeutung ,Seedarlehen‘ aus. 3. Zwei Schiffsfrachtverträge des 3. Jhs. n. Chr. bezeichnen sich selbst in ihrer κõρßá-Klausel90 als íáõëïôéκÞ91. In beiden Verträgen ,vermieten‘ (7íáýëùóåí) 81 Modestin D 22.2.1: Traiecticia ea pecunia est, quae trans mare vehitur. – Traiecticius: Das mit -icius erweiterte Part. Perf. Pass. von traicio kommt nur als juristisches Fachwort und ausschließlich in der Verbindung mit pecunia vor; das ändert sich erst in der Spätantike. Die gezielte Wortbildung erklärt die spezifische Bedeutung von pecunia traiecticia. Zutreffend schon Gofas259. 82 Bas. 23. 3. 74.2 (Heimb.II 730 = Schelt. BT 1134 / 19). 83 Vgl. P. Vindob. G. 19.792 (149 n.Chr.) ed. von Biscardi (o.A. 71) 212, Zeile 7: äÜíéïí íáõôéκü κáôÜ íáõôéκLí óõíëρáöÞí. 84 Siehe o.A. 71. 85 Vgl. Gofas 260 bei A. 41. – Pecunia traiecticia übersetzen die Basiliken sinngerecht mit äéáðüíôéá ÷ρÞìáôá oder äéáðüíôéïí äÜíåéïí (Nachweise A. 86). Die Rubrik Bas. 53.5 verwendet äÜíåéóìá äéáðÜíôéïí, die entsprechenden Rubriken D 22.2 und CI 4.33 dagegen fenus nauticum (vgl. o.A. 71). 86 Aber das behauptet auch Ankum nicht. ^Ç íáõôéκÞ óõããρáöÞ ist, schon im attischen Recht, ,der Seedarlehensvertrag‘, eigentlich die über diesen Vertrag errichtete Urkunde: Dem. 35, 54; P. Vindob. G. 19.792 (o.A. 83). Siehe aber auch P. Vindob. G. 40.822 (Mitte 2. Jh. n.Chr.) ed. von H. Harrauer / P. J. Sijpesteijn, Anz. phil.-hist. Kl. Österr. Akad. d. Wiss., 122, 1985, 124 ss., hier zitiert nach G. Thür, „Tyche“ 2, 1987, 230 ss., Recto Kol. II Z. 12 / 13: 7í ôá¦ò κáôÜ Ìïõæå¦ρéí ôï¯ äá[íåßïõó]õíãρáöá¦ò. – Nach íáõôéκÜ ÷ρÜìáôá (Lys. 32.7; Dem. 35. 42, 47) ist wohl nautica pecunia gebildet. Dagegen äéáðüíôéá ÷ρÞìáôá (Bas. 53.5.1 [Heimb. V 117 = Schelt. A VII 2455]), äéáðüíôéïí äÜíåéïí (Bas. 17. 1. 13 [Heimb. II 211 = Schelt. B III 1041 / 2]) offenbar nach traiecticia pecunia (D 22.2.1.; 3. 5. 12). 87 H. Frisk, Griech. etymologisches Wörterbuch, Heidelberg,1972, s. v. íá¯ò B. 4. 88 Frisk s. v. íá¯ëïí. 89 Eigentlich: ,die Urkunde oder der Vertrag, der sich auf die Vermietung eines Schiffs zu Frachtzwecken bezieht‘. Zur Gleichsetzung von Urkunde und Vertrag vgl. etwa Kunkel, RE 4 A (1932) 1376 / 7. Zur Übersetzung ,vermieten‘ u. bei A. 96. 90 Zur Kyria-Klausel s. H. J. Wolff 155 ss., 145 ss. 91 P. Lond. III 948 = Mitteis, Chrestomathie 341 (236 n.Chr.) und P. Oxy. XLIII 3111 (257 n.Chr.). Die Klausel lautet: ^Ç íáõëùôéκÞ κõρßá (fóôù). – P. Wisc. II 65 aus dem 5. Jh.
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Nilschiffer ihr Schiff für den Transport von Massengütern: im einen Fall (236 n.Chr.) für den Transport von 250 Artaben Gemüsesamen von Arsinoe nach Oxyrhynchus gegen einen Frachtlohn von 100 Drachmen; im anderen Fall (257 n. Chr.) für den Transport von 800 Keramia Wein von Oxyrhynchus nach Hermopolis gegen einen Frachtlohn von 640 Drachmen. Soweit ich sehe, sind die wenigen erhaltenen íáõëùôéκáM óõããρáöáß der griechischen Papyri92 alle von dieser Art: Frachtgeschäfte der Binnenschiffahrt über die Beförderung von Massengütern in der für Massengüter noch heute typischen Form des Chartervertrags. 4. Exkurs: Frachtcharter, Mietcharter und Stückgutvertrag. Der Chartervertrag93, den die Praxis auch Frachtcharter nennt, verpflichtet den Verfrachter zu einer bestimmten Transportleistung: wie beim Stückgutvertrag schuldet er die Beförderung des Frachtguts vom ,Abladungshafen‘ (wo das Frachtgut eingeladen wird) zum ,Bestimmungshafen‘; anders als beim Stückgutvertrag muß er aber dem Befrachter für das Frachtgut bestimmten Frachtraum überlasn.Chr. hat in Z. 11 ç íáõëùôéκ'ò oder / íáõëùôéκÞ, das P. I. Sijpesteijn / K. A. Worp, „ZPE“ 29, 1978, 270, ergänzen wollen zu: κõρßá / íáõëùôéκÞ. Wie in unserer Urkunde steht in den κõρßá-Klauseln õáõëùôéκÞ für íáõëùôéκL óõããρáöÞ (siehe nur F. Preisigke, Wörterbuch der griechischen Papyrusurkunden, II, Berlin, 1927, s.v. íáõëùôéκÞ). ÍáõëùôéκÞ kommt überhaupt nur in dieser Form und das heißt zur Bezeichnung der über einen Schiffsfrachtvertrag errichteten óõããρáöÞ vor. P. Wisc. II 65 ist aber ein Chirographum; diese Urkunde hätte sich folglich in ihrer κõρßá-Klausel nur mißbräuchlich íáõëùôéκÞ nennen können; vgl. indessen H. J. Wolff 137 ss. – Ein viertes Mal erscheint íáõëùôéκÞ in einem ,Bericht über Zahlungen verschiedener Art‘ auf einem Papyrus des 2. Jh. n.Chr.: P. Oxy. 643; nach der Beschreibung lautet der Passus: íáõëùôéκ'ò (äρá÷ìáß) ç (oder ð): Der fünfte und früheste Beleg ist jetzt das Chirographum des Menelaos. 92 Außer P. Lond. III 948 = Mitteis, Chrestomathie 341 (236 n.Chr.) und P. Oxy. XLIII 3111 (257 n.Chr.): P. Oxy. XLIX 3484 (27 / 33 n.Chr.); P. Oxy. XLV 3250 (63 n.Chr.); P. Laur. I 6 (97 / 117 n.Chr.); P. Jand. Inv. Nr. 616 + 245 (221 n.Chr.) jetzt bei Sijpesteijn / Worp, „ZPE“, XX, 1976, 162 ss. Der weithin zerstörte Laurenzianische und der Jandapapyrus bezeichnen sich in ihrer κõρßá-Klausel als íáýëùóéò (Schiffsfrachtvertrag). Wie íáõë-ùôéκÞ gehört auch das Verbalabstraktum íáýë-ùóéò zu íá¯ëïí, íáõë-üù; vgl. u.A. 128, auch H. Zilliacus, „Aegyptus“, XIX, 1939, 64, und K. Kalbfleisch, „Rhein. Museum“, Bd. 94, 1946, 94 ss. Aus ptolemäischer Zeit haben wir keine íáõëùôéκÞ. Die bei Meyer-Termeer 90 in der ,Übersicht über die íáõëùôéκáß óõããρáöáß‘ verzeichneten Papyri aus ptolemäischer Zeit sind ausnahmslos Quittungshomologien über den Empfang des Frachtguts und können den Schiffsfrachtverträgen nicht einfach zugeschlagen werden; anders Meyer-Termeer 75, 78 A. 7, 80 A. 10, 105 mit weitreichenden Folgen (etwa über die Verbreitung der Haftungsklausel 111, 122, 138 A. 119). Auch von den kaiserzeitlichen Urkunden, die sie 92 ss. aufführt, sind die wenigsten íáõëùôéκáß (siehe oben); die meisten sind Quittungen mit und ohne Herausgabeversprechen. Eine weitere Kategorie bilden sechs Diagraphai, die in dem Verzeichnis einer Bank (schlecht) erhalten sind: P. Ross. Georg. II 18 (mit Anmerkungen S. 92 ss.); zu dieser Urkundenart H. J. Wolff 95 ss. – Anders sieht die Dinge auch Ankum 163: „Wir kennen viele Dutzende íáõëùôéκáM óõããρáöáß aus den Papyri des ptolemäischen und römischen Ägypten.“ 93 Äquivalente: affreightment by charter party: affrètement par chartepartie total ou partiel.
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sen94. Das kann ,das Schiff im ganzen oder ein verhältnismäßiger Teil oder ein bestimmt bezeichneter Raum des Schiffes‘ sein95. Bei der Frachtcharter ist die Leistung des Verfrachters mithin eine Kombination aus Vermieter- und Werkunternehmerleistungen. Von der Frachtcharter wird die Mietcharter unterschieden. Sie ist kein Transportvertrag, sondern wirklich Miete; sie verpflichtet nämlich den Vermieter (der regelmäßig der Eigentümer ist), dem Charterer die volle tatsächliche Verfügungsmacht über das ganze Schiff einzuräumen (so daß er nun seinerseits mit dem Schiff Transportleistungen erbringen kann). Die íáõëùôéκáß óõããρáöáß der griechischen Papyri sind keine Mietcharter96, sondern durchweg Frachtcharter und beziehen sich stets auf ,das Schiff im ganzen‘. Die übliche Übersetzung von íáõëüù, íáõëüïìáé mit ,vermieten, sich mieten‘ ist darum mißverständlich; weil der Schiffer dem Befrachter nicht nur den Frachtraum des Schiffes überlassen, sondern auch das Frachtgut befördern muß, gibt sie ein schiefes Bild; vermutlich ist sie durch die römischen Quellen beeinflußt97. In den römischen Quellen98 kommt die Mietcharter vor und als Transportgeschäft sowohl der Stückgut- wie der Chartervertrag. Die drei Verträge waren Anwendungsfälle der locatio conductio. Die Mietcharter war ,Miete‘; der Vermieter in der Rolle des locator, der Mieter in der des conductor99. Von den beiden Frachtverträgen wurde der Stückgutvertrag als ,Werkvertrag‘ behandelt, der Chartervertrag dagegen als ,Miete‘ eingeordnet100. Beim Stückgutvertrag war der Schiffer der conductor, der Befrachter der locator101. Bei der Frachtcharter war der Schiffer 94 Das deutsche Handelsgesetzbuch (HGB) regelt (nur) die Frachtcharter und den Stückgutvertrag in den §§ 556 ss. Die Frachtcharter wird in der Literatur auch als ,Raumfrachtvertrag‘ bezeichnet, vgl. etwa, auch zum Folgenden, Prüssmann / Rabe, Seehandelsrecht, 2. Aufl., 1983, 149 ss., 228 ss., 252 ss. 95 So die Formulierung des § 556 HGB. ,Das Schiff im ganzen‘ bedeutet: der gesamte Frachtraum des Schiffs. 96 Auch nicht P. Jand. (o.A. 92), siehe u.A. 106. 97 Hinzu kommt freilich, daß die íáõëùôéκÞ zu den ìßóèùóéò-Verträgen zählt und der Hauptfall der ìßóèùóéò Miete und Pacht waren; vgl. u.A. 128. 98 Zu den Schiffsfrachtverträgen im römischen Recht: Meyer-Termeer 177 ss. m. weit. Hinw.; J. A. C. Thomas, Carriage by Sea, in „RIDA“, VII, 1960, 489 ss.; Juridical Aspects of Carriage by Sea and Warehousing in Roman Law, in „Recueils de la Société Jean Bodin“, XXXII, 1974, 117 ss. 99 Zweifelsfrei belegt ist die ,Mietcharter‘ nur in Ulp D 14.1. 1. 15: Exercitorem autem eum dicimus, ad quem obventiones et reditus omnes perveniunt, sive is dominus navis sit sive a domino navem per aversionem conduxit vel ad tempus vel in perpetuum. Bei Thomas, „Recueils“ (o.A. 98) 118 ss., wird die ,Mietcharter‘ von der ,Frachtcharter‘ nicht unterschieden. Zutreffend dagegen Meyer-Termeer 150, 153 ss. 100 Vgl. Ulp D 4.9.3.1 und Labeo bei Pap D 19.5.1.1, auch Ulp D 14.1.1.3. 101 Labeo D 14. 2. 10 pr.: Si vehenda mancipia conduxisti, pro eo mancipio, quod in nave mortuum est, vectura tibi non debetur. Labeo bei Ulp D 19. 2. 13.1: Si navicularius onus Minturnas vehendum conduxerit . . . Ulp D 19. 2. 19.7: Si quis mulierem vehendam navi conduxisset . . . Außerdem Paul D 14.2.2 pr.
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dagegen der locator und der Befrachter der conductor; hier ,vermietete‘ mithin der Schiffer an den Befrachter102 – wie bei der Mietcharter der Eigentümer an den Charterer. Diese Einordnung von Mietcharter und Frachtcharter unter denselben Vertragstypus war offenbar möglich, weil die bona fides-Klausel der actio ex conducto der Jurisprudenz genügend Spielraum gewährte, nach den Absichten der Kontrahenten die Pflichten des locator zu bestimmen103. Ob im konkreten Fall Mietcharter oder Frachtcharter in Rede steht, kann folglich nicht der verwendeten Vertragsterminologie (locare, conducere) entnommen, sondern nur nach dem Kontext entschieden werden. Dabei sind die unterschiedlichen Verpflichtungen der ,Vermieter‘ ein Hauptkriterium: Mietcharter liegt vor, wenn der locator verpflichtet ist, dem conductor das ganze Schiff zum eigenen Gebrauch zu überlassen; Frachtcharter dagegen, wenn er verpflichtet ist, dem conductor für das Frachtgut bestimmten Frachtraum zu überlassen und das eingeladene Frachtgut nach dem vereinbarten Bestimmungshafen zu verbringen104. 5. Die beiden ältesten íáõëùôéκáß, die wir haben, sind so alt wie der Seefrachtvertrag des Menelaos; sie stammen aus Oxyrhynchus, das erste Beispiel aus der Regierungszeit des Tiberius, das zweite aus dem Jahre 63 n. Chr.105. Das früheste Stück ist nur zum Teil, die Urkunde aus dem Jahre 63 ist dagegen vollständig erhalten. Sie berichtet Folgendes: Anoubas, Schiffer (κõâåρíÞôçò) auf einem Lastkahn, hat Polytimus, dem Sklaven des C. Norbanus Ptolemaeus, dieses Schiff ,für Transportzwecke vermietet‘ (7íáýëùóåí . . . ôLí óκÜöçí)106. Er wird 562 1 / 2 Artaben Arakos107 in Hermo102 Das ganze Schiff oder bestimmte Räume oder Ladeflächen auf dem Schiff. Paul D 14.2.2 pr.: . . . at si non totam navem conduxerit, ex conducto aget, sicut vectores, qui loca in navem conduxerunt . . . Außerdem Labeo D 14. 2. 10.1 und Scaev D 19. 2. 61.1 (Auszüge u.A. 104). In Labeo D 14. 2. 10.2 ist (trotz portasti) ,Fracht-‘ und nicht ,Mietcharter‘ wohl auch für den Fall anzunehmen, daß das Schiff mit 2000 Amphoren Ladekapazität in Bausch und Bogen ,gemietet‘ worden ist. 103 Zur Differenzierung der Vertragsverhältnisse in der locatio conductio allgemein M. Kaser, Das römische Privatrecht, I, 2. Aufl., München, 1971, 562 ss.; s. auch J. Crook, Law and Life of Rome, London, 1967, 192 ss. 104 Das kommt klar zum Ausdruck in Labeo D 14. 2. 10.1: Si ea condicione navem conduxisti, ut ea merces tuae portarentur easque merces nulla nauta necessitate coactus in navem deteriorem . . . transtulit . . . ; Scaev D 19. 2. 61.1: Navem conduxit, ut de provincia Cyrenensi Aquileiam navigaret olei metretis tribus milibus impositis . . . certa mercede. Anders sieht die ,Frachtcharter‘ Meyer-Termeer 177 nach A. 7. 105 P. Oxy. XLIX 3484 (27 / 33 n.Chr.) und XLV 3250 (63 n.Chr.). 106 Z. 1 – 5. Das Schiff wird ,vermietet‘ óOí ô' íáõôåéÜ, vermutlich: ,mit Ausrüstung‘ (Hsgb.). Ohne Akkusativobjekt P. Lond III 948 Z. 1 – 3: 7íáýëùóåí . . . ðρNò 7ìâïëÞí. Dagegen P. Oxy XLIII 3111 Z. 1 – 7: 7íáýëùóåí . . . ôNí óκáöïðÜκôùíá ðρNò 7ìâïëÞí. – In P. Jand. Inv. Nr. 616 + 245 lesen die Herausgeber (o.A. 92) in Zeile 1 ohne weiteres ùóáí, das sie wegen eines unsicher gelesenen è ergänzen zu 7ìßóèùóáí . . . óκðïðÜκôùíá. Das Entgelt wird aber íá¯ëïí (Z. 13, 19) genannt, der Mieter íåíáõëùìÝíïò (Z. 28, 41), die Vermieter íåíáõëùκüôåò (Z. 20, 24, 37, 52), und in einer Hypographe bestätigt einer der Vermieter: ,íåíáýëùκá‘ (Z. 55). Die Rekonstruktion der
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polis einladen (7ìâáëå¦ôáé) und in Acanthon ausladen (kóôå 6ðïκáôáóô'óå å9ò \Áκáíèµíá)108 für einen vereinbarten Frachtlohn von 140 Drachmen. Anoubas bestätigt, von Polytimus 72 Drachmen erhalten zu haben (=ìïëïãå¦ . . . 7ó÷çκÝíáé); die restlichen 68 Drachmen soll ihm Polytimus beim Ausladen des Arakos zahlen (6ðïäüôù)109. Anoubas soll am 21. des Monats das Schiff für die Abreise bereithalten; nach Übernahme des Arakos in Hermopolis unverzüglich wieder aufbrechen, weder bei Nacht noch bei schlechtem Wetter segeln; in den sichersten Häfen anlegen110; und in Acanthon den Arakos Polytimus oder seinen Vertretern abliefern (ôNí äÝ eρáκá ðáρáäüôù)111. Es liegt auf der Hand, daß die íáõëùôéκÞ des Menelaos nicht von diesem Typus war. Wir können nicht annehmen, daß für die Beförderung von tausend Denaren ein ganzes Schiff gechartert wurde. Darum bleibt nur der Schluß, daß die íáõëùôéκÞ des Menelaos ein Stückgutvertrag war. Die Wortbedeutung von íáõëùôéκÞ steht diesem Schluß nicht entgegen: íáõëùôéκÞ deckt jede entgeltliche Beförderung mit dem Schiff, also nicht nur den Charter-, sondern auch den Stückgutvertrag112. In den Papyri kommt der Stückgutvertrag nicht vor113; aber daraus kann man nicht ableiten, daß er dem griechischen Seefrachtrecht fremd war – auch wenn er Herausgeber ist mir darum zweifelhaft, wenngleich das Formular dieses Frachtvertrags in einigen Punkten von dem der anderen abweicht (siehe u.A. 108 und 110). Zu Unrecht hält Meyer-Termeer das Geschäft für einen Pachtvertrag (9) oder „kombinierten Pacht- und Frachtvertrag“ (33 A. 107). 107 Eine erbsenähnliche Hülsenfrucht. Eine (ptolemäische) Artabe entsprach 4,5 (italischen) modii. Ein modius (8,62 l) alexandrinischer Weizen wog 6,73 Kg. Setzt man für den Arakos das Weizengewicht ein, dann betrug die Ladung 17 035 Kg. Die Kapazität des Schiffs wird übrigens mit nur 500 Artaben angegeben. Zur Größe der Nilschiffe Meyer-Termeer 15 ss.; zu den Maßen und der Umrechnung in Kilogramm R. Duncan-Jones, The Economy of the Roman Empire, 2. Aufl., Cambridge, 1982, 370, und „ZPE“, XXI, 1976, 43 ss. 108 Z. 5 – 9. Subjekt ist ersichtlich der ,Mieter‘ und Befrachter Polytimus. – P. Oxy. XLIX 3484 Z. 2 / 3. – P. Lond. III 948 Z. 3 – 5: ðρNò 7ìâïëLí . . . 7ðM ôµ 7ìâáëÝóèé 6ðN Uρìïõ . . . ìÝ÷ρé Uρìïõ. – P. Oxy. XLIII 3111 Z.7 / 8: ðρNò 7ìâïëLí . . . 6ðN Uρìïõ. – P. Jand. Inv. Nr. 616 + 245 Z. 9 – 13 sagt hier noch nichts von einer Beladung des Schiffs: die Eigentümer haben es ,verpachtet‘ ðρNò 6íÜðëïõí å9ò . . . 6ðN Uρìïõ . . . κáM κáôÜðëïõí 6ðN . . . 7éò . . . . 109 Z. 9 – 15. Entsprechendes in P. Oxy. XLIX 3484 Z.3 – 13; P. Lond. III 948 Z. 5 – 7; P. Oxy. XLIII 3111 Z. 9 ss.; P. Jand. Inv. Nr. 616 + 245 Z. 13 – 24. 110 Z. 15 – 26. – P. Oxy. XLIX 3484 Z. 21 – 29. – P. Jand. Inv. Nr. 616 + 245 spricht erst hier, Z. 24 ss., bei den Pflichten der ,Vermieter‘, von der Beladung des Schiffs: ðáρå÷Ýôùóáí . . . ôNí óκáðïðÜκôùóá . . . ðρNò 7ìâïëLí . . . . 111 Z. 26 – 28. – P. Lond. III 948 Z. 7 / 8: Qðåρ öïρôéÜ ðáρáäþóåé óµá. P. Oxy XLIII 3111 Z. 14: ðáρáäþóåé ôNí ïzíïí óµïí. – P. Jand. Inv. Nr. 616 + 245 Z. 37 / 38: ðáρáäüôùóáí . . . ôJ 7ìâëçèçóüìåíá 6óéí' 2ãé' . . . . 112 Siehe o. nach A. 87. 113 Die Homologie des Schiffers einer Totenbarke gibt uns Kenntnis von einem Frachtvertrag über die Beförderung einer Mumie: P. Hamb. I 74 (siehe u. nach A. 139). Aber auch
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in der antiken Frachtschiffahrt sicherlich keine große Rolle spielte. Was über das Meer befördert wurde, waren überwiegend Massengüter: landwirtschaftliche Erzeugnisse, vor allem Getreide, Öl und Wein; waren Rohstoffe: Marmor, Holz, Metalle; und billige Industrieprodukte wie Glasware und Keramik114. Auf ihre Beförderung war die Frachtcharter zugeschnitten. Von anderen Handelsgütern, wie Leinwand und Seide, Werkzeuge und Waffen, Spezereien und Salben115, können wir uns vorstellen, daß sie der Kaufmann als Stück- oder Chartergut verfrachtete116. Für bestimmte ,Waren‘, wie Edelsteine und Perlen117, kam dagegen nur der Stückgutvertrag in Betracht. Und ebenso für Geld. Geldtransporte werden zwar auch in den römischen Quellen kaum erwähnt118; ohne Geldtransporte kam aber die Alte Welt noch weniger aus als die Neue; denn einen Giroverkehr, der bargeldlose Zahlung erlaubt hätte, gab es offenbar nicht119. 6. Wir halten folgendes fest: Menelaos und Primus haben also einen Schiffsoder Seefrachtvertrag geschlossen, über den eine von Zeugen versiegelte Urkunde120 errichtet worden ist. Dieser Frachtvertrag war abgeschlossen und beurkundet, als Menelaos unsere Urkunde ausstellte121. Menelaos bestätigt in ihr, von Primus ,aus gesiegelter Naulotike‘ tausend Denare erhalten zu haben. Da er verspricht, diese tausend Denare zurückzugeben, kann er sie nicht als Entgelt, als Frachtlohn erhalten haben; das Rückgabeversprechen stellt dieser Vertrag war offenbar eine Frachtcharter; denn dem Befrachter wurden Aufwendungen für das Schiff in Rechnung gestellt. 114 Einen anschaulichen und gut dokumentierten Überblick gibt jetzt H.-U. v. Freyberg, Kapitalverkehr und Handel im röm. Kaiserreich, Freiburg i.B., 1989, 39 ss. 115 Viele Einzelheiten auch bei L. Friedländer, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms, I, Leipzig, 10. Aufl., 1922, 366 ss. 116 Wie der antike Kaufmann seine Ware selbst einkaufte, begleitete er sie auch auf dem Transport; siehe etwa Paul D 14.2.2.2; viele weit. Nachw. bei Friedländer 367 ss. 117 Paul D 14.2.2.2: . . . an omnes iacturam praestare oporteat et si qui (sc. mercatores) tales merces imposuissent, quibus navis non oneraretur, velut gemmas margaritas? 118 Cic. Verr. 1.22,34 ist zu entnehmen, daß Geld über See in Körben (fisci) transportiert wurde. In Körben wurde es auch aufbewahrt: Rostowzew, RE 6 (1909) 2385. Kaum weniger gebräuchlich war der Sack (saccus, sacculus): Hug, RE 1 A (1920) 1623; Daremberg / Saglio IV / 2 933, I / 1 406. 119 R. M. Thilo, Der Codex accepti et expensi im Römischen Recht, Göttingen, 1980, 228; mit Einschränkungen für Ägypten E. Kießling, RE Suppl.4 (1924) 696 ss.; P. Drewes, Die Bankdiagraphe in den gräko-ägyptischen Papyri, in „JJP“, XVIII, 1974, 127 ss., 155; v. Freyberg (o.A. 114) 93 m. weit. Lit. Der Kaufmann führte sein Geld in Körben mit sich; Sen. epist. 119.5: Ego iam paraveram fiscos, circumspiciebam in quod me mare negotiaturus inmitterem. Eine kennzeichnende Erscheinung des Bargeldverkehrs waren die ,tesserae nummulariae‘: R. Herzog, Aus der Geschichte des Bankwesens im Altertum, Giessen, 1919; RE 17 (1937) 1417 ss.; F. Pringsheim, Ges.Abh., Heidelberg, 1961, II 114 ss. 120 Beispiele entsprechender Ausdrucksweise etwa in PSI IV 324 und 325: óýìâïëá äéðë@ 7óöρáãéóìÝíá, oder Rev. L. XXIX 9 u. XLII 15: óõããρáöL äéðë' 7óöρáãéóìÝíç. In Darlehensurkunden: BGU VI 1276 u. 1274. 121 „FUB“ 34; Ankum 162.
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vielmehr außer Zweifel, daß sie ihm als Frachtgut überhändigt worden sind122. Der Frachtvertrag sah demnach die Beförderung von tausend Denaren vor. Anders als die íáõëùôéκáß der griechischen Papyri war er kein Charter-, sondern ein Stückgutvertrag. 7. Das Rückgabeversprechen folgt unmittelbar auf das Empfangsbekenntnis. Dabei nimmt Menelaos erneut Bezug auf den Frachtvertrag: er verspricht, die ihm übergebenen tausend Denare nach Maßgabe der mit Primus vereinbarten Naulotike zurückzugeben: X κáM 6ðïäþóù 6κïõëïýèùò ô' íáõëùôéκ', S ðåðïßçìáé ðρNò á§ôüí. Menelaos’ Bestätigung, von Primus tausend Denare ,aus Naulotike‘ empfangen zu haben, und sein Versprechen, sie ,gemäß der Naulotike‘, die er mit Primus vereinbart hat, zurückzugeben, lassen Rückschlüsse auf den Inhalt der Frachtvertragsurkunde zu. Die Frachtvertragsurkunde muß die Vertragsparteien benannt, das Frachtgut bezeichnet, dessen Übernahme durch Menelaos vorgesehen123 und seine Rückgabe geregelt, nämlich jedenfalls den Ort und den Empfänger bestimmt haben. Außerdem wird sie den Frachtlohn angegeben und vermutlich auch berichtet haben, daß Menelaos ihn erhalten hat. In den íáõëùôéκáß der Papyri ist dieser Punkt ein fester Bestandteil des Protokolls; die Urkunden berichten in allen Fällen, daß der Schiffer den Frachtlohn oder – häufiger – inen Teil des Frachtlohns erhalten hat124. Tatsächlich ist die Vorauszahlung des Frachtlohns der Nerv des protokollierten Vertragstatbestands. 8. Exkurs: Der griechische Arrhalkauf. In den letzten Jahrzehnten hat sich weithin die Auffassung durchgesetzt, daß das griechische Recht den Konsensualvertrag nicht gekannt hat125. Durch bloßen Konsens konnte weder nach altgriechischem Recht noch nach dem Recht der Papyri eine Verpflichtung begründet werden. Der griechische Vertrag bedurfte als Grundlage seiner Verbindlichkeit stets der Hingabe eines Gegenstandes, einer Zuwendung des Gläubigers an den Schuldner: nur im Verein mit diesem ,Realakt‘ konnte eine Leistungsvereinbarung Verbindlichkeit erlangen. Diese Verbindlichkeit bedeutete nicht, daß der Schuldner auf Erfüllung seines Versprechens in Anspruch genommen werden konnte; eine Vertragsklage gab es nicht. Der Vertrag begründete allenfalls eine Haftung des Schuldners: wenn er seine Leistungszusage nicht „FUB“ 34. Wie das Chirographum belegt, ist das Frachtgut, die 1000 Denare, nicht also schon beim Abschluß des Frachtvertrags übernommen worden. 124 P. Oxy. XLIX 3484 (27 / 33 n.Chr.): 300 von einer größeren Gesamtsumme. – P. Oxy. XLV 3250 (63 n.Chr.): 72 von 140. – P. Jand. Inv. Nr. 616 + 245 (221 n.Chr.): 100 von 500. – P. Lond. III 948 (236 n.Chr.): 40 von 100. – P. Oxy. XLIII 3111 (257 n.Chr.): den gesamten Frachtlohn in Höhe von 640 Drachmen. 125 Für das altgriechische Recht ist diese Auffassung schon von Hofmann, Beiträge zur Gesch. des griech. u. röm. Rechts, Wien, 1870, 104 ss., vertreten worden. Sie hatte damals keine Chance. 122 123
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einhielt und damit gegen die Vereinbarung handelte, unter der er die Zuwendung erhalten hatte, traf ihn eine Haftung, deren Modalitäten und Umfang durch Gesetz bestimmt oder von den Kontrahenten selbst festgelegt war. Diese Erklärung des griechischen Vertrags ist vor allem mit dem Namen von H. J. Wolff verbunden126. Unverkennbar trägt sie aber die Züge der Lehre, auf der sie fußt: der arrha-Lehre von Josef Partsch127. Partsch hat entdeckt, daß der griechische Arrhalkauf ein Barkauf war verbunden mit einem Arrhalgeschäft, das ihm vorausging und sein Zustandekommen sichern sollte. Partsch sah, daß „die bloße Willenseinigung“ des Käufers und Verkäufers „für sich allein“ keine „haftungsbegründende Wirkung hatte“; daß es „die Hingabe des Angeldes“ war, die ihr Wirkung verlieh; daß aber auch der solchermaßen wirksame Vertrag keine Erfüllungsansprüche erzeugte, sondern nur eine Haftung wegen Vertragsverletzung begründete; und daß diese Haftung an die Arrha geknüpft war: Der Käufer verlor sie, wenn er den Restpreis nicht anbot und damit gegen die Abrede den Kauf verhinderte; der Verkäufer mußte sie erstatten, gewöhnlich mit einem Strafzuschlag, wenn er den Restpreis nicht annahm und, wie sich versteht, selbst nicht lieferte – und damit gegen die Abrede handelte, unter der er die Arrha erhalten hatte. 9. Die Erinnerung an Partschs arrha-Lehre erspart uns die Suche nach dem haftungsbegründenden ,Realakt‘ der überlieferten Schiffsfrachtverträge128. Bei der 126 Grundlegend „SZ“, LXXIV, 1957, 26 ss. H. J. Wolff hat hier für den griechischen Vertrag den Begriff der ,Zweckverfügung‘ vorgeschlagen. Das Modell seiner allgemeinen Vertragslehre fand er im Pachtvertrag: Zur Rechtsnatur der Misthosis, in Beiträge zur Rechtsgeschichte Altgriechenlands und des hellenistisch-römischen Ägypten, Weimar, 1961, 128 – 154, zuerst „JJP“, I, 1946, 55 ss. unter dem Titel Consensual Contracts in the Papyri? Zur Genesis der ,Zweckverfügung‘: J. G. Wolf, Jahrb. Heidelberger Ak.Wiss.1984, Heidelberg, 1985, 123 ss. und in H. J. Wolff, Vorlesungen über Juristische Papyruskunde, Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen N.F. Bd. 30, Berlin, 1998, 15 ss. Weitere Nachweise bei J. Hengstl, Private Arbeitsverhältnisse freier Personen in den hellenistischen Papyri bis Diokletian, Jur. Diss. Freiburg i. B., 1972, 120 ss.; Meyer-Termeer 81 A. 13, 14. 127 Aus nachgelassenen und kleineren verstreuten Schriften, 1931, 261 – 280, zuerst „GGA“, 1911, 713 ss. H. J. Wolff, Beiträge (o.A. 126) 130, 150; „SZ“, LXXIV, 1957, 28, 51. Partschs arrha-Lehre ist bestätigt und weiter ausgeführt worden von F. Pringsheim, The Greek Law of Sale, Weimar, 1950, 333 – 429. Vgl. auch M. Talamanca, L’arra della compravendita in diritto greco e in diritto romano, Milano, 1953, 6 ss. 128 Die íáõëùôéκÞ fällt unter die Kategorie der ìßèùóéò. Deren Bereich entsprach dem der locatio conductio. Der ,Realakt‘, der ihre Verbindlichkeit begründete, sieht man bei Miete und Pacht in der Überlassung des Miet- oder Pachtgegenstandes an den Mieter oder Pächter (H. J. Wolff, Beiträge [o.A. 126] 148); bei den Werkverträgen in der Übergabe des Gegenstandes, der ,bearbeitet‘ werden soll, an den Unternehmer (Hengstl [o.A. 126] 52 ss., 61 ss., 83 ss., 127 ss.). Meyer-Termeer 78 A. 7, 81 A. 14 sieht darum den ,Realakt‘ der Schiffsfrachtverträge in der „tatsächlichen Überlassung der Ladung“. Das ist für die íáëùôéκáM óõããρáöáß (s. o.A. 92) unrichtig. Da in diesen Urkunden die Übergabe des Frachtguts erst für die Zukunft vorgesehen ist, wären sie über unverbindlichen Verträgen errichtet worden. – Die repräsentativste Gruppe unter den Pachturkunden sind Protokolle, die nach dem Muster beginnen: 7ìßèùóåí 1 äå¦íá ôµ äå¦íé ôJò áρïýρáò . . . Wóôå îõëáì'óáé . . . öüρïõ . . . Diesem 7ìßóèùóåí-Formular entspricht das 7íáýëùóåí-Formular der Frachtverträge: 7íáýëùóåí
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Vertragsgestaltung, die uns die Urkunden zeigen, war die Vorauszahlung des Frachtlohns oder eines Teilbetrags ein integraler Bestandteil der Vertragsschließung. Es liegt jetzt auf der Hand, daß diese Vorauszahlung die Verbindlichkeit der Verträge begründete: sie hatte die Bedeutung einer Arrha. Die íáõëùôéκáM óõããρáöáß der Papyri sind demnach Arrhalgeschäfte129. Die Haftung der Kontrahenten ist hier nicht zu erörtern. Wir dürfen aber annehmen, daß sie, wie beim Arrhalkauf, auf die Arrha beschränkt war: der Befrachter verlor die Arrha, wenn er, entgegen der ausdrücklichen Vereinbarung130, den Rest des Frachtlohns am Bestimmungsort, beim Ausladen des Frachtguts, nicht anbot, oder das Frachtgut zur verabredeten Zeit und am vorgesehenen Ort gar nicht anlieferte; der Schiffer mußte die Arrha erstatten, wenn er gegen die Vereinbarung verstieß und darum der Transport scheiterte – wenn er etwa zur Übernahme des Frachtguts gar nicht erschien131 oder bei Nacht oder schlechtem Wetter segelte132 und die Fracht verloren ging. Wenn die Fracht in diesen Fällen verloren ging, kann sich die Haftung des Schiffers allerdings nicht auf die Rückerstattung der Arrha beschränkt haben. Daraus folgt, daß die Verpflichtung zur Rückgabe des Frachtguts sich nicht aus der íáõëùôéκÞ ergab133, sondern ihren eigenen Rechtsgrund hatte. Dieser Rechtsgrund war vermutlich ein besonderes Versprechen, das der Schiffer bei der Übernahme des Frachtguts leistete. 10. Kehren wir zu Menelaos zurück, so ist nunmehr wahrscheinlich, daß auch er bei der Vertragsschließung mit Primus einen Teil des Frachtlohns erhalten hat und daß in der ,gesiegelten Naulotike‘, auf die er in seinem Chirographum Bezug 1 äå¦íá ôµ äå¦íé ôLí óκÜöçí . . . Wóôå áðïκáôáóô'óáé . . . íáýëïõ . . . H. J. Wolff, Beiträge (o.A. 126) 137, glaubt, daß mit dem Wort 7ìßóèùóåí die tatsächliche Überlassung des Pachtgegenstandes an den Pächter protokolliert wurde. Eine entsprechende Interpretation von 7íáýëùóåí ist aber nicht möglich. Das ,vermietete‘ Schiff wird dem Befrachter allenfalls ,überlassen‘, wenn das Frachtgut eingeladen wird, und die Übernahme des Frachtguts ist in allen íáõëùôéκáß, wie gesagt, für einen zukünftigen Zeitpunkt vorgesehen. – Wie íáõë-üù zu íá¯ëïí und íá¯ëïò (Schiffsfrachtlohn), so gehört ìéóè-üù zu ìéóèüò (Lohn, Entgelt); und íáýë-ùóéò (,Vercharterung‘; s. o.A. 92) entspricht ìßóèùóéò (Vermietung, Verpachtung, Verdingung). Die beiden denominativen Verben haben ,instrumentative‘ Bedeutung: ìéóèüù: ,für Lohn etwas tun‘; íáõëüù: ,für Schiffsfrachtlohn etwas tun‘; vgl. E. Fraenkel, Griechische Denominativa in ihrer geschichtlichen Entwicklung und Verbreitung, 1906, 76, zu õáõóèëï¯í. 129 Arrhae bei Dienstverträgen sind seit langem bekannt: Partsch (o.A. 127) 273. Tatsächlich ist sie bei Dienst- und Werkverträgen häufig: Hengstl (o.A. 126) 44, 60, 68, 127 ss.; H. J. Wolff, Beiträge (o.A. 126) 149 ss. Die Lehre von der ,Zweckverfügung‘ hat offenbar Schwierigkeiten, wenn beim Abschluß eines Werkvertrags die Sache, die bearbeitet werden soll, übergeben und der Lohn, ganz oder teilweise, vorausgezahlt worden ist; die Erklärung bei Hengstl 128 überzeugt nicht. 130 Vgl. die Urkunden o.A. 109. 131 Vgl. die Urkunden o.A. 108. 132 Vgl. die Urkunden o.A. 110. 133 Sich vielleicht gar nicht ergeben konnte, weil bei ihrem Abschluß das Frachtgut noch nicht übergeben war.
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nimmt, diese Vorauszahlung protokolliert war. Die íáõëùôéκÞ ist vor der Übergabe der 1000 Denare vereinbart worden; die Übergabe der 1 000 Denare kann darum nicht der ,Realakt‘ gewesen sein, der die Verbindlichkeit der íáõëùôéκÞ begründete134. Und da wir nicht annehmen können, daß die ,gesiegelte Naulotike‘ über einer unverbindlichen Vereinbarung errichtet worden ist, liegt nahe, daß die Verbindlichkeit der íáõëùôéκÞ des Menelaos – wie die der íáõëùôéκáß der Papyri – auf einer Arrhalzahlung beruhte.
VII. Das Chirographum des Menelaos 1. Das in unserer Urkunde erhaltene Chirographum des Menelaos ist ohne Beispiel. Mit seiner Kombination von Empfangsbekenntnis und Leistungsversprechen hat es aber die charakteristische Struktur eines alten und vielfach verwendeten Formulartyps135. Das Formular ist so alt wie das Chirographum selbst. Es ist in Ägypten seit dem 2. Jh. v. Chr. nachweisbar und war in der Prinzipatszeit besonders beliebt. Das Empfangsbekenntnis, das unmittelbar auf die Briefklausel folgt, wird entweder in direkter Form formuliert oder in der Form der Homologie: ðáρÝëáâïí (,ich habe in Empfang genommen‘) oder 1ìïëüãù ðáρåéëçöÝíáé (,ich bestätige, empfangen zu haben‘); das sich anschließende Leistungsversprechen ist dagegen immer in der 1. Person des Futurs gehalten. Formulare dieser Struktur wurden beim Darlehen136 und anderen Kreditgeschäften137, wurden aber auch bei der ðáρáκáôáèÞκç138 und der Schiffsbefrachtung verwendet. 2. Das Chirographum des Schiffers einer Totenbarke aus dem Jahre 173 oder 174 n. Chr. läßt das Schema dieser Urkunden leicht erkennen139. Nach der Briefklausel erklärt der Aussteller: Ïìïëïãµ ðáρåéëçöÝíáé ðáρJ óïí óµìá å0ëéóìÝíïí . . . bí κáM 6ðïκáôáóôÞóù å9ò Uρìïí ÊåρκL ôï¯ Ìåìöåßôïõ íïìï¯ κáM ðáρáäþóù Èáκáρéò 7íôáöéáóô'140.
,Ich bestätige, empfangen zu haben von dir eine eingewickelte Mumie . . . , und sie werde ich zurückgeben im Hafen Kerke des memphitischen Gaues und übergeben dem Bestattungsdiener Thakaris.‘ Wie in den íáõëùôéκáß ist auch in diesen Urkunden141 Frachtgut fast durchweg Getreide, Weizen oder Gerste, einmal ist es
Vgl. o.A. 128. Vgl., auch zum Folgenden, H. J. Wolff 107 ss. 136 Mitteis, Chrestomathie 140 = P. Amh. II 32 (114 v.Chr.); 142 = BGU 69 (120 n.Chr.). Kühnert 90 ss., 104 ss. 137 PSI XII 1251 (252 n.Chr.); P. Hamb. I 32 (120 n.Chr.). Kühnert 141 ss. 138 Mitteis, Chrestomathie 138 = P. Grenf. II 17 (136 v.Chr.). Kühnert 112 ss. 139 P. Hamb. I 74. 140 Es folgt noch die Quittung, Frachtlohn, Abgaben und Aufwendungen für das Schiff erhalten zu haben. 134 135
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auch Holzkohle142. Entsprechend ist das Empfangsbekenntnis formuliert. Der Schiffer erklärt: 1ìïëïãµ 7ìâåâë'óèáé (,ich bekenne, eingeladen zu haben‘)143 oder 1ìïëïãµ ðáρåéëçöÝíáé κáM 7ìâåâë'óèáé (,ich bekenne, empfangen und eingeladen zu haben‘)144; auch einfach: ðáρÝëáâïí κáM 7íåâáëüìçí (,ich habe erhalten und eingeladen‘)145 oder ðáρÝëáâïí κáM ðáρáìåìÝôρçìáé (,ich habe erhalten und zugemessen bekommen‘)146. Mit dem Leistungsversprechen sagt der Schiffer zu, das Frachtgut an seinen Bestimmungsort ,zu bringen‘ und dort ,zu übergeben‘: lò κáM κáôÜîù å9ò ôLí \ ÁëåîÜíäρåéáí κáé ðáρáäþóù . . . ôNí ãüìïí147. Statt κáôÜîù finden wir auch κáôóôÞóù148 oder 6ðïκáôáóôÞóù149 oder 6ðïκïìßóù150; für die Rückgabe dagegen, wenn ich recht sehe, ausnahmslos ðáρáäþóù. 3. In unserem griechisch-lateinischen Diptychon lautet die entsprechende Passage: (2.6) fãρáøá 6ðÝ÷éí ìáé (7) ðáρJ Ðρßìïõ Ðïðëßïõ \Áôôßïõ ÓåâÞ(8)ρïõ äïýëïõëïõ äçíÜρéá ÷ßëéá (9) 7κ íáõëïôéκ'ò 7κóöρáãéóìÝíçò (10) X κáM 6ðïäúóù 6κïõëïýèùò (11) ô' íáõëïôéκ'. Für das Empfangsbekenntnis wird hier 6ðÝ÷åéí und für das Rückgabeversprechen nicht ðáρáäéäüíáé, sondern 6ðïäéäüíáé gebraucht. Ankum beweisen schon „diese Unterschiede in der Formulierung . . . , dass in Tab. Pomp. 13 und in der Urkunde, auf die Menelaos in seinem chirographum verweist, kein Transportvertrag vorliegt“151. Dieser fatale Fehlschluß ist überhaupt nur verständlich, weil Ankum íáõëùôéκÞ eine Bedeutung beilegt, die das Wort nicht hat152. Denn die abweichende Terminologie unseres Diptychons ändert natürlich nichts an Menelaos’ Empfangsbekenntnis, 1 000 Denare ,aus gesiegeltem Seefrachtvertrag‘ erhalten zu haben, und auch nichts an seinem Versprechen, sie zurückzugeben ,nach Maßgabe des Seefrachtvertrags, den er mit Primus geschlossen hat‘. Sie verlangt freilich eine Erklärung. 141 Soweit ich das Material übersehe: Wilcken, Chrestomathie 443 = P. Lond. II 256 R (15 n.Chr.); P. Warren 5 = Lugd. Bat. I 5 (154 n.Chr.); P. Meyer, Griech. Texte 14 (159 / 160 n.Chr.); P. Oxy. X 1259 (211 / 212 n.Chr.); P. Oxy. XVII 2125 (220 / 221 n.Chr.); P. Oxy. X 1260 (286 n.Chr.). Vollständigkeit der Belege ist weder hier noch sonst beabsichtigt. 142 Mitteis, Chrestomathie 342 = P. Amh. II 138 (326 n.Chr.). 143 Wilcken, Chrestomathie 443 Z. 6. 144 Mitteis, Chrestomathie 342 Z. 6 – 8. 145 P. Oxy. X 1260 Z. 6. 146 P. Oxy. X 1259 Z. 5 / 6; XVII 2125 Z. 6 / 7. – Siehe außerdem die Hypographai von zweiter Hand P. Warren 5 Z. 16 / 17 und P. Oxy XVII 2125 Z. 35 / 36. 147 Um nach P. Hamb. I 74 noch ein weiteres Beispiel anzuführen: P. Oxy. XVII 2125. 148 Wilcken, Chrestomathie 443 = P. Lond. II 256. 149 Außer P. Hamb. I 74 auch P.Warren 5 = Lugd. Bat. I 5. 150 Mitteis, Chrestomathie 342 = P. Amh. II 138. 151 Ankum 160. 152 Siehe o. nach A. 74.
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Irrtümliche Wortwahl, die nicht auszuschließen ist153, wird man als Erklärung ungern gelten lassen. Anderes liegt auch näher. \Áðïäéäüíáé ist das Wort, „das die Zahlung in Erfüllung einer Schuld ausdrückte“154. Auf 6ðïäéäüíáé geht etwa die Verpflichtung des Ehemanns, der seiner Frau nach Auflösung der Ehe den Wert des Phernalguts erstatten muß155. Vor allem aber ist 6ðïäéäüíáé der dominierende Terminus für die Rückgabe des Darlehens: bei Daneion und Chresis, bei Paratheke und den unbenannten Krediten wird ganz überwiegend, in Homologie und Syngraphe, die Rückgabe des Darlehens, und das ist in weitaus den meisten Fällen156 die Rückzahlung der Darlehensvaluta, mit 6ðïäéäüíáé bezeichnet 157. Ausnahmen sind selten, unter ihnen aber ein Getreidedarlehen, für dessen Rückgabe, wie bei den Frachtverträgen für die Rückgabe des Frachtguts, ðáρáäéäüíáé gebraucht wird158. Wie die Urkunden für die geschuldete Rückgabe von Geld vornehmlich 6ðïäéäüíáé verwenden, so für den Empfang geschuldeten Geldes vornehmlich 6ðÝ÷åéí. Mit 6ðÝ÷åéí quittiert die geschiedene Ehefrau die Rückzahlung der Pherne159, der Verpächter die Pachtzinszahlung160, der Darlehensgläubiger die Rückzahlung der Valuta161. Indessen wird 6ðÝ÷åéí weder ausschließlich für den Empfang geschuldeter Leistung verwendet162, noch ist sein Gebrauch auf diesen Fall beschränkt. Beim Barkauf etwa wird der Kaufpreis nicht geschuldet; gleichwohl heißt es in den Urkunden vom Verkäufer durchweg: κáM 6ðÝ÷åé ôLí ôéìLí163. Die Darlehensurkunden verwenden für die Empfangsbestätigung des Schuldners ganz überwiegend das Simplex f÷åéí, aber auch 6ðÝ÷åéí kommt vor164. Ein prominentes Beispiel ist die frühe Daneion-Homologie P. Cairo Zenon II 59265165, eine Urkunde, der das Chirographum des Menelaos auch in anderem entspricht. Auf ihren Kerngehalt verkürzt, lautet sie:
Vgl. etwa Kühnert 94 A. 6. H. J. Wolff, Praxisklausel in Papyrusverträgen, in: Beiträge (o.A. 126) 113 m. A. 26. 155 G. Häge, Ehegüterrechtliche Verhältnisse in den griechischen Papyri Ägytens bis Diokletian, Köln / Graz, 1968, 72, 89 ss., 278 ss. 156 Vgl. die Übersicht bei Kühnert 183. 157 Kühnert 60, 104, 132, 170; Rupprecht 64. 158 P. Straßb. I 54. 159 G. Häge (o.A. 155) 72. 160 H.-A. Rupprecht, Studien zur Quittung im Recht der graeco-ägyptischen Papyri, München, 1971, 29. 161 Rupprecht (o.A. 160) 7, 67. 162 Rupprecht (o.A. 160) 7, 29, 41, 67. 163 Kühnert 173 mit Nachweisen. 164 Kühnert 15 ss., 94 A. 6; H. v. Soden, Untersuchungen zur Homologie in den griechischen Papyri Ägyptens bis Diokletian, Köln / Wien, 1973, 80 ss. 165 Kühnert 17 ss., 32 ss. m. weit. Lit.; Rupprecht 25 ss., 33, 62; v. Soden (o.A. 164) 47 ss. 153 154
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1ìïëïãå¦ Íåκôïó¦ρéò . . . 6ðÝ÷åéí ðáρJ ÆÞíùíïò . . . ôN äJíåéïí ôN Kí ô'é óõããρáö'é ãåãρáììÝíïí ô'é κåéìÝíçé ðáρJ óõããρáöïöýëáκé ÍÝóôùé 6ρãõρßïõ éå 7ö\ wé 6ðïäþóåé ôN ìKí gìéóõ 7í ôµé . . .
,Es bestätigt Nektosiris, zu haben von Zenon das Darlehen von 15 Silberlingen, das in der – bei dem Urkundenhüter Nestos hinterlegten – Syngraphe niedergeschrieben ist, (und) auf das wird er zurückzahlen die eine Hälfte . . .‘. Wie Menelaos mit Primus den Transport von 1000 Denaren, so hat Nektosiris mit Zenon ein Darlehen von 15 Silberlingen vereinbart; wie Menelaos und Primus haben Nektosiris und Zenon über ihrer Vereinbarung eine Syngraphe errichtet; und wie Menelaos in seinem Chirographum den Empfang der 1000 Denare bestätigt und ihre Rückgabe verspricht, so hat nach dem Protokoll der Homologie Nektosiris den Empfang der 15 Silberlinge bestätigt und ihre Rückzahlung (in offenbar zwei Raten) versprochen. Die Parallele ist unabweisbar. Die Vergleiche zeigen, daß der Wortgebrauch im allgemeinen keineswegs so streng ist, daß Varianten und Abweichungen prinzipiell ausgeschlossen sind; und sie lassen vermuten, daß Menelaos mit 6ðÝ÷åéí quittiert und mit 6ðïäéäüíáé verspricht, weil das Frachtgut Geld ist. 4. Wie die Untersuchung schon bald ergeben hat166, ist unsere Urkunde in ihrer formalen Gestaltung bewußt und planmäßig nach hellenistischem Muster angelegt. Jetzt sehen wir, daß auch der Kontext des griechischen Chirographum mit seiner Kombination von Empfangsbekenntnis und Rückgabeversprechen die charakteristische Struktur eines vielfach verwendeten hellenistischen Formulartyps hat. Menelaos bezieht sich sowohl in seinem Empfangsbekenntnis wie in seinem Rückgabeversprechen auf den Seefrachtvertrag, den er mit Primus abgeschlossen hat. Wie es dieser Vertrag vorsah, hat Primus ihm jetzt das Frachtgut, die 1000 Denare, überhändigt, und nach Maßgabe des Seefrachtvertrags hat Menelaos deren Rückgabe versprochen. Nach dem Beispiel überlieferter íáõëùôéκáM óõããρáöáß haben wir uns vom Inhalt dieser Vereinbarung ein Bild machen können167. Ungeklärt und offen bleibt dagegen die Bedeutung des Rückgabeversprechens in der durch die íáõëïôéκÞ begründeten Rechtsbeziehung zwischen Primus und Menelaos. Warum genügte nicht das Empfangsbekenntnis? Ich vermute, daß erst das Versprechen Menelaos‘ Haftung für den Fall begründete, daß er das Frachtgut nicht oder nicht vertragsgemäß zurückgab168. Siehe o. nach A. 21. Siehe o. nach A. 68, bes. nach A. 119. 168 Siehe o. bei A. 133. Gofas 258 entnimmt dagegen der Bezugnahme auf die íáõëïôéκÞ, daß die Rückgabeverpflichtung in ihr begründet war. – Angezeigt scheint auch ein Vergleich mit den Hypographien der Kauf-, Pacht- und Darlehensurkunden, deren ,juristischer Sinn‘ (H. J. Wolff) ebenfalls noch nicht wirklich geklärt ist, vgl. M. Hässler, Die Bedeutung der Kyria-Klausel in den Papyrusurkunden, Berlin, 1960, 98 ss.; H. J. Wolff 164 ss. Instruktive Beispiel etwa P. Lugd. Bat. VI 22 (122 n.Chr.) und P. Lugd. Bat. XI 12 (184 n.Chr.), deren Hypographe dieselbe Struktur hat, wie das Chirographum des Menelaos. 166 167
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VIII. Die Bürgschaft des M. Barbatius Celer Menelaos erklärt abschließend, daß er M. Barbatius Celer für die Zahlung der 1000 Denare zum Bürgen bestellt habe (2.12 – 3.3). Dabei bedient er sich mit κáèéóôÜáé fíãõïí å9ò fκôéóéí einer schon im altgriechischen Recht gebräuchlichen Ausdrucksweise169. Die römischen Urkunden kennen diese Erklärung nicht. Hellenistischer Vorlage folgt aber auch das lateinische Bürgschaftschirographum, das Q. Aelius Romanus ,auf Bitten und Geheiß‘ und in Anwesenheit des M. Barbarus Celer geschrieben hat. Die römische Bürgschaft wird verbis abgeschlossen: mit festbestimmten Worten in Frage und Antwort; die fideiussio, der schon im 1. Jh. n. Chr. offenbar gebräuchlichste Bürgschaftstyp170, in der Form: id fide tua esse iubes? – iubeo. Entsprechend lautet ihre Beurkundung im Chirographum: L. Atinius Felix scripsi interrogante C. Sulpicio Cinnamo ea HS dua millia nummum, quae supra scripta sunt, fide et periculo meo esse iussi pro P. Urvino Zosimo C. Sulpicio Cinnamo171. Anders die Bürgschaft der griechischen Papyri Ägyptens. Wie die des altgriechischen Rechts war sie an keine Form gebunden172. „Mit der Erklärung eines Wortes, das typisch den Garantiewillen formuliert, wie 7ããõµìáé“ konnte sie übernommen werden173. In einem frühen ptolemäischen Papyrus174 bestätigt (1ìïëïãµ) Deusiolos, ,aus dem königlichen Kleros des Philemon zwei Aruren Arakos für 20 Drachmen gekauft zu haben‘, die er zahlen werde, wenn das ,Grünlandgeld‘ erhoben wird175. In derselben Urkunde, nur durch einen Zwischenraum abgesetzt, in einer Art Hypographe, verbürgt sich für die Zahlung des Kaufpreises Poseidonios mit den Worten: 7íãõµìáé å9ò fκôéóéí Äåõóßïëïí äρá÷ìµí åhκïóé κáôJ ôó ïýìâïëïí ôï¯ôï: ,ich bürge für Deusiolos für die Zahlung176 der 20 Drachmen gemäß dieser Erklärung‘. Nahezu unverändert ist das Schema, dem noch dreihundert Jahre später in Puteoli das lateinische Bürgschaftschirographum unserer Urkunde folgt: . . . scripsi . . . eum sua fide iubere eos ✳ ∞ qui supra scripti sunt 169 J. Partsch, Griechisches Bürgschaftsrecht, Leipzig, 1909, 78 ss. und 96 zur Bürgenstellung, 116 und 213 ss. zur Klausel å9ó fκôéóéí. Zu ihrer Bedeutung s. auch Mitteis, Grundzüge 267. – Für fíãõïí (fíãõïõò) κáèßóôçìé vgl. etwa P. Rev. 56. 14 / 15 oder P. Petr. III S. 124 Z. 6 / 7. 170 Nach Ausweis der neuen pompejanischen Urkuden TPSulp. 54, 57, 60, 61, 62 und 64. 171 TPSulp. 57. 5. 12 – 15 vom 20. April 50 (?). Demselben Formular folgt TPSulp. 54.5.9 – 12 vom 3. Oktober 45. Beide stehen unter einem Darlehenschirographum, auf dessen Betrag sie mit quae supra scripta sunt verweisen. Das Protokoll einer Bürgschaft etwa TPSulp. 61.3.2 – 6. 172 H. J. Wolff, Vorlesungen (o.A. 126) 125. 173 Partsch (o.A. 169) 147. 174 P. Hamb. II 186; demselben Formular folgt P. Hamb. II 185; beide um 250 v.Chr. 175 Wie in P. Hamb. II 185 ist der Kauf ist in Wirklichkeit ein Pachtvertrag, vgl. von Soden (o.A. 164) 60 ss. m. Lit. 176 Partsch (o.A. 169) 116, 213 ss. übersetzt ,zum Zwecke der Zahlung‘, weil der Bürge bei Verfall auf Zahlung in Anspruch genommen werden konnte.
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Primo P Atti Severi servo pro Menelauo Irenaei f Ceramietae, ita uti supra scriptum est. Selbst mit dem präsentischen Tempus eum sua fide iubere entspricht die Stilisierung dem griechischen Muster 7íãõµìáé. Kein Zweifel also, daß auch das lateinische Chirographum nach den Anforderungen des griechischen Rechts abgefaßt, daß es seinem Inhalt nach ein hellenistisches Chirographum ist. M. Barbatius Celer, der römische Bürger, hat sich dem Keramieten Menelaos nach griechischem Recht verbindlich gemacht; nach römischem Recht ist seine Bürgschaft unwirksam177. Die Syntax des Chirographum entspricht dagegen der römischen Urkundenpraxis. Der Aussteller beginnt mit seinem Namen und mit dem Wort scripsi178, von dem in der Konstruktion des A.c.I. der weitere Text abhängt. Die Klausel rogatu et mandatu M. Barbati Celeris coram ipso ist ebenfalls römisch179, erfüllt aber auch ein Erfordernis der hellenistischen Praxis180. Die Begründung der Schreibvertretung quod is litteras nesciret weicht von der üblichen Formel ab; soweit ich sehe, lautet sie in den römischen Urkunden stets quod is negaret se litteras scire181 oder quia se litteras scire negavit182. Eine Parallele finde ich dagegen in der Papyrusurkunde, die im Jahre 112 n.Chr. in Tebtunis Herakleides für sich und seine Frau Didyme über ein Darlehen ausgestellt hat; hier lautet die Klausel: ^Çρáκëåßäçò fãρáøá κáM 2ðKρ ô'ò ãõíáéκüò ìïõ ìL å9äõåßçò ãρÜììáôá183. IX. Die Funktion der íáõëùôéκ κÞ 1. Das griechisch-lateinische Diptychon vom 11. April 38 aus dem Archiv der Sulpizier in Puteoli ist nach Form, Stil und Inhalt eine hellenistische Urkunde. Mit Datum und Ortsangabe vor dem Kontext ist es nach hellenistischem Muster angelegt184. Die Kombination von Empfangsbekenntnis und Rückgabeversprechen ist ein festes Stilmerkmal hellenistischer Urkunden185, ihre Zuordnung zu einer Syngraphe nicht ohne Beispiel186. Die Erklärung, einen Bürgen bestellt zu haben, kennt nur die griechische Urkunde, und die lateinisch beurkundete BürgschaftsVgl. „FUB“ 36. Wie Menelaos, s. oben nach A. 55. 179 Wie Menelaos und Aelius Romanus hat auch Barbatius Celer den Urkundentext untersiegelt; darum wirkt das Bürgschaftschirographum gegen ihn, vgl. o.A. 1. 180 Vgl. etwa E. Berneker, RE Suppl. 10 (1965) 127. 181 TPSulp. 46 und 98. 182 So in den siebenbürgischen Dienstverträgen Bruns Nr. 165 (S. 370 ss.) = FIRA III 150 (S. 466 ss.). 183 P. Lugd. Bat. VI 11, Zeile 20 / 21. Vgl. allerdings auch P. Grenf. II 17 = Mitteis, Chrestomathie Nr. 138 (136 v.Chr.) Z. 8 – 10 und dazu Partsch (o.A. 169) 213 A. 3, 152 A. 2. 184 Siehe o. nach A. 14. 185 Siehe o. bei und nach A. 135. 186 Siehe o. nach A. 164. 177 178
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übernahme genügt nur dem griechischen Recht187. Der Verzicht auf die Briefklausel und der Gebrauch von fãρáøá sind marginale Zugeständnisse an die lokale Übung, an das römische Chirographum188. 2. Menelaos nimmt sowohl in seinem Empfangsbekenntnis wie in seinem Rückgabeversprechen auf eine íáõëùôéκÞ Bezug, die er mit Primus abgeschlossen hat, und ordnet damit Empfangsbekenntnis und Rückgabeversprechen dieser íáõëùôéκÞ zu. Was auf Grund dieses Seefrachtvertrags der Befrachter Primus dem Frachtführer Menelaos übergibt und Menelaos nach Maßgabe dieses Seefrachtvertrags zurückzugeben verspricht, kann nur das Frachtgut sein189. Mithin ist davon auszugehen, daß die 1000 Denare, die Menelaos von Primus erhalten hat, das Frachtgut sind, über dessen Beförderung die íáõëùôéκÞ abgeschlossen worden ist190. Über kommerziellen Geldtransport in der Antike, ob zu Lande oder zu Wasser, haben wir so gut wie keine expliziten Nachrichten191. Gleichwohl ist nicht zu beSiehe o. nach A. 171. Siehe o. nach A. 26 sowie bei und nach A. 50. Beides ist im übrigen der hellenistischen Urkundenpraxis nicht ganz fremd, vgl. zum Verziecht auf die Briefklausel H. J. Wolff 127 ss., zu fãρáøá etwa die bei A. 183 zitierte Klausel, außerdem Gofas 255 A. 19. 189 Vgl. o. nach A. 119. 190 Die Münzeinheit, nach der im allgemeinen gerechnet wurde, war nicht der Denar, sondern der Sesterz. Die pompejanischen Quittungsurkunden geben die Geldbeträge ausschließlich (Zangenmeister, CIL IV Suppl., Pars I, p. 424), die neuen pompejanischen Urkunden mit wenigen Ausnahmen in Sesterzen an. Die Ausnahmen sind außer unserer Urkunde TPSulp. 75.5.3 und 101.5.6, beide schlecht erhalten, die eine wohl eine Quittung, die andere noch nicht nach ihrem Gegenstand identifiziert. Die Verwendung des Denars deutet oft auf Rechnung in Drachmen und so vielleicht auch in unserer hellenistischen Urkunde. Vgl. „FUB“ 34 A. 17. 191 In den Digesten wird nur der Fall berichtet, daß ein Erblasser zum Ankauf von Waren Geld in eine Provinz geschickt hat: pecuniam misit in provinciam ad merces comparandas (Ulp D28. 5. 35.4). Die nichtjuristische Literatur ist kaum ergiebiger. Plutarch etwa erzählt, wie der jüngere Cato 7000 Silbertalente, erlöst aus den Reichtümern des Königs von Zypern, nach Rom verschiffte (Cat. Min. 38.1); oder wie Brutus, als er sich nach der Tat in Griechenland aufhielt, den Quästor Appuleius vermochte, ihm ,einige mit Geld beladene Schiffe‘, die aus Asien kamen und auf dem Wege nach Rom waren, auszuliefern (Brut. 24.3). Im einen wie im anderen Fall waren es ,öffentliche Gelder‘, die transportiert wurden, die Schiffe aber nicht unbedingt Staatsgaleeren. Einer an Hadrian gerichteten Petition ist zu entnehmen, daß sich in Pergamon die Bankiers beim Wechseln von asses und denarii nicht an den festgesetzten Umrechnungskurs hielten (OGIS 484). – Die antike Schiffahrt war bekanntlich Küstenschiffahrt und Schiffbruch nicht selten. Aus solchen Katastrophen rühren die Münzfunde her, die allenthalben vor den Küsten des Mittelmeers gemacht werden und gelegentlich auch zur Kenntnis der Wissenschaft kommen. J. Lafourie, Trésor d’un navire romain trouvé en Méditerranée, in „Revue Numismatic“, 1958, 79 ss., präsentiert einen Schatz von römischen Goldmünzen des 3. Jhs., der vor der Küste Korsikas gehoben worden ist, und berichtet von zwei weiteren Funden: einem Fund von Antoniniani des späten 3. Jhs., etwa 80 kg, vor der französischen Mittelmeerküste, auf der Höhe von La Ciotat, östlich von Marseille („Revue Numismatic“, 1939, 129), und einem Fund von römischen Goldmünzen des späten 3. und frühen 4. Jhs. vor der sardinischen oder sizilianischen (!) Küste. 187 188
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zweifeln, daß Geld verschickt192 und wie Edelsteine und Perlen auch auf dem Seeweg transportiert wurde193. Der Fernhandel war auf diese Möglichkeit schlechterdings angewiesen, auch wenn am Zielort der Einkauf neuer Ware vielfach aus dem Erlös der angelieferten Ware bestritten wurde. Wie Plinius für seine Zeit berichtet, ,entzogen‘ Arabien, Indien und China für Perlen und anderen Luxus Rom alljährlich 100 Millionen Sesterzen194. Es gibt danach keinen Grund, in Zweifel zu ziehen, was unsere Urkunde verbis expressis sagt, und in Frage zu stellen, daß Primus und Menelaos auch das wollten, was sie mit diesem Vertrag vereinbarten: den Transport von 1 000 Denaren195. 3. Dieses undramatische Ergebnis ist den Papyrologen Gofas und Thür zu banal196. Anders als Ankum bestreiten sie zwar nicht, daß eine íáõëùôéκÞ eine íáõëùôéκÞ ist. Sie erfinden aber und implantieren dem Frachtgeschäft eine Nebenabrede, um dann ,nach Maßgabe der íáõëùôéκÞ‘ das Chirographum des Menelaos als eine Darlehensurkunde darzustellen. Beide Autoren gehen davon aus, daß der Seefrachtvertrag über die Beförderung von Ware abgeschlossen worden ist und mit den Nebenabreden, die sie konstruieren, Menelaos die Seegefahr übernahm. Für ihre Nebenabreden haben sie keinerlei Belege. Ihre Überlegungen sind pure Spekulation, Gofas’ immerhin juristisch kommensurabel. Angeregt durch das Versicherungsdarlehen des Mittelalters, das der Frachtführer dem Befrachter gewährte und das nur bei wohlbehaltener Ankunft des Schiffes am Bestimmungsort der Fracht zurückzuzahlen war, erfindet Gofas eine „clause spéciale“ der íáõëùôéκÞ, nach der Menelaos „les risques de la navigation“ übernimmt. Zu diesem Zweck erkläre er in seinem Chirographum, von Primus 1 000 Denare erhalten zu haben, die er in Wirklichkeit jedoch nicht erhalten habe; und verpflichte er sich zu ihrer Rückzahlung „conformément à la naulotiké“, so wie es die „clause spéciale“ vorsehe, nämlich für den Fall, daß die Fracht verloren gehe: „il s’agissait d’un prêt fictif, qui ne serait point payable si le navire arrivait à bon port“. Thür verwirft Gofas’ Lösung, weil das ,fiktive Darlehen‘ in Rom nicht ausreiche, eine Forderung zu begründen. Nach römischer Auffassung müsse ein reales Element vorhanden sein. Dieses liege in der Übergabe der Fracht, deren Rückgabe 192 R. Duncan-Jones, Structure and scale in the Roman economy, Cambridge, 1990, 42 ss., insb. sub 4.1 und 4.3.6; Money and government in the Roman Empire, Cambridge, 1994, 172. 193 Paul D 14.2.2.2, siehe o. A. 117. 194 Plin. nat. 12.84: ex illo (sc. Arabiae mare) namque margaritas mittit minimaque conputatione miliens centena milia sestertium annis omnibus India et Seres et peninsula illa imperio nostro adimunt: tanti nobis deliciae et feminae constant. S. auch nat. 6.101. 195 Thür (o.A. 3) 267 sieht mich „vor der sachlichen Schwierigkeit, die tausend Denare . . . als Frachtgut zu betrachten“. Sein schlagendes Argument: „Wozu sollte Primus einen Sack Geldes von Puteoli nach einem nicht einmal genannten Bestimmungsort verschiffen lassen?“ 196 Gofas 251 ss., insb. 259 ss.; Thür (o.A. 3) 269 ss.
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als Rückzahlung eines Gelddarlehens vereinbart werden könne. Zu diesem Zweck werde neben dem Frachtvertrag eine Darlehensurkunde errichtet, die unter Bezug auf den Frachtvertrag den vereinbarten Wert der übernommenen Ware als Darlehenssumme nenne. Und da der Frachtführer die Ware tatsächlich übernehme, bestehe nach römischer Auffassung kein unüberwindliches Hindernis, für den Fall des Untergangs der Ware deren Wert als aus Darlehen geschuldet zu betrachten. Das Chirographum des Menelaos sei demnach „inhaltlich nichts anderes als eine ,Aestimationsabrede‘ für den Fall“, daß sich die von ihm „übernommene Seegefahr verwirklichte“197. 4. Nach dem Text der Urkunde sind die Menelaos übergebenen 1000 Denare das Frachtgut. Der Stand der Überlieferung läßt eine anderes Verständnis nicht zu. In diesem Rahmen sind Varianten natürlich denkbar198. Das Frachtgut wird dem Frachtführer zur Beförderung übergeben; er erwirbt darum keine Rechte an ihm, und es versteht sich, daß er eben dasselbe Gut, das ihm zur Beförderung übergeben worden ist, am Zielort abliefern muß. Von diesem Grundsatz sind wir bisher auch für die 1000 Denare unserer Urkunde ausgegangen, und wirklich können sie Menelaos in einem vielleicht versiegelten sacculus lediglich zum Transport übergeben worden sein. Denkbar ist aber auch, daß Menelaos nicht verpflichtet war, am Bestimmungsort die ihm von Primus übergebenen 1 000 Denare, sondern nur verpflichtet war, einen Betrag von 1 000 Denaren abzuliefern. Das könnte der Fall gewesen sein, wenn er einen ,Sammeltransport‘ durchführte und die Gelder aller Befrachter etwa in einer arca zusammenschüttete 199. Näher läge die Möglichkeit, daß er mit Primus überein kam, das volle Transportrisiko, die Seegefahr, zu übernehmen und dafür berechtigt war, die ihm übergebenen 1 000 Denare für eigene Zwecke zu verwenden. Der Seefrachtvertrag des Menelaos hätte dann zugleich Darlehensfunktion, und in bekannter, wenngleich auf eine römische Vertragsgestaltung gemünzter Terminologie200 könnte man von einer locatio conductio irregularis sprechen. Für diese Varianten gibt es keine Belege; sie sind bloße Hypothesen.
Thürs Erklärung ist jetzt übernommen worden von Camodeca 179. Das Folgende im wesentlichen schon „FUB“ 36. 199 Wie in Alf D 19. 2. 31 Saufeius das Getreide seiner Befrachter; dazu eingehend zuletzt H.-J. Roth, Alfeni Digesta, Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen N.F. Bd. 32, Berlin, 1999, 134 ss. 200 N. Benke, „SZ“, CIV, 1987, 157 A. 4. 197 198
Die tabellae der Titinia Antracis und die Bürgschaft des Epichares* 1. – Mit dem großen Fund römischer Geschäfts- und Prozeßurkunden auf der Gemarkung Murecine vor den Toren von Pompeji im Jahre 1959 sind auch, in Bruchstücken, sechs Urkunden ans Licht gekommen, die sich schon durch ihr Schriftbild von allen anderen unterscheiden. Es sind die Urkunden TPSulp. 60 – 65, die Camodeca in seiner ,Edizione critica‘ unter den Titel Nomina arcaria stellt1. Im Text dieser Urkunden können wir zwei Teile unterscheiden2, von denen der erste eine eigenartige graphische Gestaltung zeigt. Seine erste Zeile ist ersichtlich eine Überschrift, die sich durch erheblich größere Schriftzüge vom folgenden Text abhebt3. Sie besteht aus dem Wort tabellae und einem Namen im Genitiv; in TPSulp. 60, der Urkunde, die hier erklärt werden soll, lautet diese Überschrift Tabellae Titiniae Antracidis. In Umrissen kannten wir das Formular dieser tabellae-Urkunden schon aus den Funden der dreißiger Jahre in Herkulaneum, die in den fünfziger Jahren von Pugliese Caratelli gelesen und von Arangio-Ruiz erläutert worden sind4. Seine endgültige Rekonstruktion ist aber erst jetzt, nach dem Urkundenfund von Murecine, Camodeca gelungen5. * Nur mit dem Namen oder mit dem Namen und einem abgekürzten Titel werden zitiert: V. Arangio Ruiz / G. Pugliese Caratelli, Tabulae Herculanenses IV, in PP. 9 (1954) 67 – 69 [TH 67 – 74], 70 – 74 [Kommentar]; V. Arangio Ruiz, Le tavolette cerate di Ercolano e i ,nomina arcaria‘, in Mélanges Tisserant (Città del Vaticano, 1964) 9 – 23, hier zitiert nach Studi epigrafici e papirologici (Napoli, 1974) 673 – 685; G. Camodeca, L’archivio puteolano dei Sulpicii (Napoli, 1992); G. Camodeca, Tabulae Pompeianae Sulpiciorum, Edizione critica dell’archivio puteolano dei Sulpicii (Roma, 1999); P. Gröschler, Die tabellae-Urkunden aus den pompejanischen und herkulanensischen Urkundenfunden, Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen N.F. Bd. 26 (Berlin, 1997); Hein L. W. Nelson / Ulrich Manthe, Gai Institutiones III 88 – 181, Text und Kommentar, Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen N.F. Bd. 35 (Berlin, 1999); R. M. Thilo, Der Codex accepti et expensi im Römischen Recht (Göttingen, 1980). – Mit diesem Aufsatz möchte ich eine These ausführen, die ich vermutungsweise in meiner Besprechung von Camodecas ,Edizione critica‘ vorgeschlagen habe in ZSS 118 (2001) 119 – 124. 1 Camodeca, Edizione 151 ff. wie schon L’archivio 199 ff. 2 Vgl. Camodeca, L’archivio 214 ff. 3 Unmittelbare Anschauung geben die Photographien und Apographa von TPSulp. 60.2 und 65.2 bei Camodeca, Edizione 571 und 580. 4 Die editio princeps mit (erstem) Kommentar ist von 1954: Arangio Ruiz / Pugliese Caratelli 67 ff.; mit geringen Korrekturen Pugliese Caratellis wurden die Urkunden erneut publiziert und neu interpretiert 1958: V. Arangio Ruiz, Tavolette ercolanesi: debiti di denaro, in BIDR 61 (1958) 303 ff. (= Studi epigrafici e papirologici [Napoli, 1974] 527 ff.); eine dritte Interpretation folgte 1964: V. Arangio Ruiz 673 ff. Zu den Lesungen Pugliese Caratellis und
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2. – Die neuen pompejanischen Urkunden stammen bekanntlich aus dem Archiv des Bankhauses der Sulpicii in Puteoli. Unsere Urkunde ist dort am 20. März 43 n.Chr. errichtet worden. Sie war, wie alle tabellae-Urkunden6, ein Triptychon, aber nur von ihr sind Innen- und Außenschrift dokumentiert. Die Innenschrift hat in der Lesung und mit den Ergänzungen Camodecas folgende Fassung7: 2
1 2 3 4 5 6 7 8
3
1 2 3 4 5 6 7 8 9
TABELLAE TITINIAE Antracidis EXP EUPLIAE THEODORI F hs ∞ dc MEILIACAE TUTORE AUCTOre EPICHARE APHRODISI F ATHEniensi PETIIT ET NUMERaTOS ACCEpit DOMO EX RiSCO ACP RISCO hs ∞ dc EOS HS ∞DC NUmmos qui s s sunt INTERROGANTe titinia antracide FIDE SUA ESSE IUssit epichares aphrodisi F ATHENENSIS Pro euplia theodori f MELIACATI tiniae antracidi ACtum puteolis xiii k apr SEX PALPELLIO histro l pedanio SEcundo cos
20. 3. 43
Die Urkunde ist eine Zeugenurkunde8, aber nur ihr zweiter Teil ein Protokoll. Er umfaßt die Zeilen 3.2 bis 3.6 und berichtet, wie in allen tabellae-Urkunden, von einem Sicherungsgeschäft, hier, wie meistens9, vom Abschluß einer Bürgschaft10. Interpretationen Arangio Ruiz’ und mit einer cura secunda zweier tabellae-Urkunden aus Herkulaneum: G. Camodeca, Per una riedizione delle Tabulae Herculanenses. II. I nomina arcaria TH 70+71 e TH 74, in Ostraka 2 (1993) 197 ff. Sie folgen demselben Formular wie die puteolanischen. Die herkulanensischen tabellae-Urkunden jetzt auch bei Gröschler 138 ff. 5 Zuerst Per una riedizione dell’archivio puteolano dei Sulpicii. VI. Il dossier di Euplia da Milo e i nomina acaria, in Puteoli 12 / 13 (1988 / 89, ersch. 1990) 3 ff. 6 Nicht nur des neuen Fundes: Arangio Ruiz 675 und passim; zu TH 70+71 und TH 74 Camodeca, Ostraka 2 (1993) 201 und 203. 7 Zuerst Puteoli 12 / 13 (1988 / 89, ersch. 1990) 12 ff., sodann L’archivio 209 f. Abgedruckt auch bei Gröschler 67 f. 8 Die Zeugenliste ist erhalten von TPSulp 61 und 64 und von TH 67+56, 68, 69 und 70+71; s. auch Camodeca, Ostraka 2 (1993) 207 ff. 9 Nämlich auch in TPSulp 61, 62, 64 und TH 70+71. 10 In TPSulp 63 hat sich der Gläubiger Cinnamus von der Schuldnerin selbst für den Fall des Verzugs eine poena versprechen und dieses Versprechen durch eine sponsio sichern lassen, in TH 74 ist dem Gläubiger L. Cominius Primus fiduciae causa eine Sklavin manzipiert, der Beweis der Manzipation allerdings durch eine eigene Urkunde vom gleichen Tag, TH 65, gesichert worden, dazu Camodeca, Ostraka 2 (1993) 206 f.
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Der erste Teil der Urkunde ist dagegen kein Protokoll11. Er umfaßt die Zeilen 2.1 bis 3.1 und zeigt die erwähnte eigentümliche graphische Gestaltung. Hier werden ersichtlich Buchungen dargestellt12. Da die Urkunde selbst nicht der Ort dieser Buchungen gewesen sein kann, haben wir es offenbar mit dem Auszug aus einer Buchführung zu tun. Diese Buchführung waren die Tabellae Titiniae Antracidis; denn unter dieser Überschrift steht die Wiedergabe der Buchungen. Die erste Buchung ist die einer Ausgabe, die zweite die einer Einnahme. Die Ausgabe steht unter der Sigle EXP für expensos (nämlich sestertios), die Einnahme unter der Sigle ACP für acceptos; auch sie sind graphisch hervorgehoben durch isolierte Stellung in der Mitte der Zeile13. 3. – Der zweite Teil, das Protokoll über den Abschluß einer Bürgschaft, gibt uns keine Rätsel auf und ist überdies hilfreich für das Verständnis des ersten Teils. Denn hier erfahren wir, in welchen rechtlichen Beziehungen die beteiligten Personen zueinander stehen. Der Athener Epichares, Sohn des Aphrodisius, ist der Bürge: fide sua esse iussit Epichares Aphrodisi filius Athenensis (3.4 / 5). Epichares verbürgt sich für Euplia, Tochter des Theodorus, aus Melos: pro Euplia Theodori filia Meliaca (3.5 / 6). Er verbürgt sich für Euplia bei Titinia Antracis: interrogante Titinia Antracide fide sua esse iussit (3.3 / 4) . . . Titiniae Antracidi (3.6). In den dargestellten Rechtsbeziehungen ist Euplia mithin die Schuldnerin, Titinia Antracis ihre Gläubigerin, der Betrag der Geldschuld 1600 Sesterzen. Aus dem ersten Teil der Urkunde fügen wir ergänzend hinzu, daß Epichares, der sich für Euplia verbürgt, ihr Vormund ist14. Eindeutig läßt das Protokoll sodann erkennen, daß im ersten Teil der Urkunde die gesicherte Hauptschuld definiert wird: mit eos sestertios mille sescentos nummos qui supra scripti sunt (3.2) nimmt das Bürgschaftsprotokoll Bezug auf die unmittelbar vorher (3.1), in der Empfangsbuchung, genannte Geldsumme, die mithin der Betrag der verbürgten Hauptschuld sein muß. 4. – Nicht so leicht erschließt sich der erste Teil der Urkunde unserem Verständnis. Die Buchungen, soviel können wir schon sagen, sind ein Auszug aus den tabellae der Gläubigerin der gesicherten Hauptschuld. Was aber waren diese tabellae? Für Arangio-Ruiz15, dem Kunkel16 und später, für die Urkunden des neuen Fundes, 11
So schon in aller Klarheit zu den herkulanensischen tabellae-Urkunden Arangio Ruiz
676. 12
So wieder schon zu den herkulanensischen Urkunden Arangio Ruiz / Pugliese Caratelli
70 f. 13 Camodeca, Ostraka 2 (1993) 204, liest in seiner cura secunda von TH 74 anstelle der Sigle acceptos. 14 Euplia und ihr Vormund Epichares sind peregrini. Fideiussio und mutuum waren Fremden zugänglich. Die peregrinitas spielt darum weder hier eine Rolle noch bei der Darlehensgewährung, von der wir im ersten Teil der Urkunde hören. Vgl. immerhin Gai 3.132. Über die Vormundschaft des Epichares unterrichten Camodeca, L’archivio 217, Edizione 156 und Gröschler 194 ff. 15 Arangio Ruiz / Pugliese Caratelli 70; Arangio Ruiz 677 u.ö.
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auch Bove17 gefolgt sind, waren die tabellae der codex accepti et expensi, der auch tabulae accepti et expensi oder einfach tabulae genannt wurde; tabellae ist bekanntlich das Diminutiv von tabulae. Ihr Argument ist die Buchungsterminologie des Auszugs. Camodeca weicht davon nur insofern ab, als er in den tabellae die rationes domesticae des Gläubigers sieht, die nämlich schon in der frühen Kaiserzeit den codex verdrängt hätten18. In der literarischen Überlieferung sind nach Labeo19 die Begriffe codex und tabulae in dieser technischen Bedeutung nicht mehr belegt20. Daß die Einrichtung selbst außer Brauch gekommen sei, kann daraus aber nicht geschlossen werden21. Der von Gaius beschriebene22 und zu seiner Zeit noch keineswegs obsolete Litteralkontrakt setzt eine Buchführung in der Art der tabulae accepti et expensi voraus23. In der Urkundenpraxis kann darum der herkömmliche Sprachgebrauch durchaus beibehalten worden sein, vielleicht nicht auf Dauer, leicht aber bis in die Jahrzehnte unserer Urkunden24. Die jüngsten 16 W. Kunkel, Epigraphik und Geschichte des römischen Privatrechts, in Vestigia 17 (1973) 216 A. 38. 17 L. Bove, Documenti di operazioni finanziarie dall’archivio dei Sulpici (Napoli, 1984) 150 f. 18 L’archivio 206 f. unter Berufung auch auf Thilo 197 f., 315 ff. Ebenso Ostraka 2 (1993) 200: der alte codex sei ersetzt worden „per queste registrazioni dalle rationes domestiche, anche esse, come il codex, tenute in ordine cronologico e consistenti in polittici di tabulae lignee“. Was die rationes domesticae von den tabulae accepti et expensi unterschied, wird indessen nicht wirklich deutlich. Nur in größeren Haushalten wird die Buchführung Sklaven anvertraut und nur in ganz großen Häusern den arcarii noch ein dispensator vorgesetzt worden sein und der Hausherr sich darauf beschränkt haben, die Buchungen zu überprüfen und abzuzeichnen. Diese Praxis ist, wie Thilo 122 f. und 159 f. selbst ausführt, keineswegs erst in der frühen Kaiserzeit aufgekommen und sie ist allemal kein geeignetes Kriterium, die rationes domesticae von den tabulae accepti et expensi zu unterscheiden. S. auch u. A. 23. Für Ps.-Asconius zu Cic. in Verr. II 1 60 waren die ,accepti tabulae‘ die ,ratio domestica‘; sein Kommentar: Moris autem fuit, unumquemque domesticam rationem sibi totius vitae suae per dies ingulos scribere, quo appareret, quid quisque de reditibus suis, quid de arte, fenore lucrove seposuisset, et quo die, et quid item sumptus damnive fecisset. Dazu Thilo 200 f. Im übrigen vgl. auch Nelson / Manthe 496 ff. 19 Labeo 2 post a Iav epit D. 32.29.2: Cum ita legatum esset: ,quanta pecunia ex hereditate Titii ad me pervenit, tantam pecuniam heres meus Seiae dato‘, id legatum putat Labeo, quod acceptum in tabulis suis ex ea hereditate testator retulisset. 20 Thilo 196 ff. 21 Thilo spricht zunächst, 196, von einer „Veränderung in der Bezeichnung der häuslichen Buchführung“, vermutet dann aber, 198, daß „die ratio dominica, die der pater familias durch subscribere nur bestätigte, weitgehend den Platz des alten republikanischen codex“ eingenommen habe. Zugleich schließt er nicht aus, daß noch im 2. Jh.n.Chr. der codex accepti et expensi in Gebrauch war (s. unten A. 24). Daß ratio dominica und ratio domestica dieselbe Buchführung sind, wird ohne weiteres angenommen. 22 Inst. 3.128 – 130. 23 Nelson / Manthe 496 f. Nach Thilo 316 konnte die litteris obligatio in den rationes allerdings genau so vorgenommen werden wie im codex accepti et expensi. 24 Aus seiner Praxis als iudex berichtet bekanntlich Gellius 14.2.7, daß die expensilatio zu den üblichen Beweismitteln eines Darlehens gehörte: Is tamen (sc. unde petebatur) cum suis
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tabellae-Urkunden, deren Datum wir kennen, sind in Herkulaneum im Jahre 62 n.Chr. errichtet worden25. Arangio-Ruiz’ Vorschlag scheitert darum nicht an dem Rubrum, unter dem in unserer Urkunde die Buchungen wiedergegeben sind. Durch eben sie wird seine Erklärung vielmehr bestätigt. Die tabulae accepti et expensi gehörten seit alters zu den festen Einrichtungen des römischen Hauses26. Sie dienten der Buchführung über das häusliche Vermögen. Entgegen einer verbreiteten Annahme waren sie kein Kassenbuch, in dem nur Einnahmen und Auszahlungen verbucht wurden27. Seit den Untersuchungen Thilos ist nicht mehr zu bezweifeln, daß in den tabulae auch Forderungen und Schulden ausgewiesen waren28. Zahlungen und Verpflichtungen wurden in der Reihenfolge verbucht, in der sie geschehen waren, so daß der codex jeder Zeit über Entwicklung und Stand des gesamten häuslichen Vermögens Auskunft gab29. Diese häusliche Buchführung war nicht von Rechts wegen vorgeschrieben, durch Sitte und Brauch aber geboten30 und ihr Mißbrauch wohl auch sanktioniert. Unter dieser Voraussetzung ist verständlich, daß durch bestimmte Buchungen Forderungen, die sogenannten nomina transscripticia, sogar begründet werden konnten31 und für andere Forderungen der Eintrag in den codex immerhin vor Gericht Beweis machte. Das berichtet uns Gaius für die nomina arcaria, die er den nomina transscripticia gegenüberstellt32. Nomina arcaria waren Darlehensforderungen, deren Verbindlichkeit nicht durch den Eintrag in den codex, sondern durch die bare Auszahlung der Darlehensvaluta begründet wurde; der Eintrag im codex gebe nur Zeugnis von der durch die numeratio pecuniae begründeten Verbindlichkeit33. Wie der Eintrag lautete, ist Gaius nicht zu entnehmen. Wir entnehmen ihm jedoch, daß nomen arcarium kein Begriff des materiellen Rechts war, sondern der Buchfühmultis patronis clamitabat probari apud me debere pecuniam datam consuetis modis: expensilatione, mensae rationibus, chirographi exhibitione, tabularum obsignatione, testium intercessione. Dazu Thilo 258 f. 25 TH 74 ist vom 20. 1. 62: Camodeca, Ostraka 2 (1993) 204, und TH 73 vom 4. 12. 62: Arangio Ruiz / Pugliese Caratelli 69; beide Urkunden abgedruckt bei Gröschler 141 und 143. 26 Unser Verständnis der tabulae accepti et expensi ist entscheidend gefördert worden durch Thilo, insb. 1 – 40, 79 – 93, 162 – 187, zur historischen Einordnung der tabulae 187 ff. Vgl. auch Nelson / Manthe 496 f. 27 Vgl. Thilo 7 ff. 28 Thilo insb. 93 – 104, 165 – 170, 275. Zustimmend Gröschler 251; Nelson / Manthe 496 ff. 29 Thilo 166 ff. Die ausschließlich chronologische Anordnung der Vermögensvorgänge ist eine wesentliche Einsicht für das Verständnis der tabulae accepti et expensi. Ihr folgte nicht nur der codex; sie war vielmehr ein allgemeines Prinzip der römischen Buchführung: Thilo 315 f. 30 Vgl Cic. pro Rosc. com. 2.5 ff., insb. 7. 31 Gai 3.128 – 130. Über die Begründung litteraler Forderungen durch Umbuchung s. etwa Thilo 276 ff.; ausführlich zuletzt Nelson / Manthe 499 ff. mit Lit. 32 Inst. 3.131. 33 Vgl. etwa Gröschler 77 f.; Nelson / Manthe 498.
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rung und Beweispraxis, was uns erklärt, warum er in den Juristenschriften sonst nicht vorkommt. 5. – In unserer Urkunde werden bei der Auszahlungsbuchung zunächst Empfänger und Betrag der Auszahlung genannt; sie waren vermutlich die Minima bei einer Auszahlungsbuchung. Der Empfänger der Auszahlung war Euplia, der Betrag der Auszahlung 1 600 Sesterzen. Aus dem Bürgschaftsprotokoll wissen wir, daß Euplia die Schuldnerin der Titinia war und der Schuldbetrag 1 600 Sesterzen betrug; hier sehen wir, wie diese Schuld begründet worden war. Der Name des Empfängers steht im Dativ, der ausgezahlte Betrag im Akkusativ. Der Eintrag ist mithin zu lesen: expensos Eupliae sestertios mille sescentos. Der Dativ Eupliae ist ein Dativus commodi34, der zum Ausdruck bringt, daß die Auszahlung ,zum Vorteil‘ Euplias erfolgt ist. Die Klausel ist elliptisch, zu ergänzen vielleicht eine Form von ferre35, etwa tuli, so daß die Übersetzung lauten könnte: ,ich habe eingetragen, daß ausgezahlt worden sind an Euplia 1600 Sesterzen‘36. Da Euplia unter Vormundschaft stand, ist hinzugefügt: ,mit Zustimmung ihres Vormunds Epichares‘: tutore auctore Epichare Aphrodisi filio Atheniensi (2.4 / 5). Der Eintrag beschränkt sich indessen nicht auf die Auszahlungsbuchung: der Buchung ist eine Legende hinzugefügt37. In offenbar buchungstechnischer Verkürzung ist vermerkt, daß Euplia den verbuchten Betrag ,erbeten und ausgezahlt erhalten hat aus dem Haus aus der Kasse‘: petiit et numeratos accepit domo ex risco (2.6 / 7). Riscus ist der mit Fell überzogene Korb, der auch, wie die arca, für die Aufbewahrung von Geld verwendet wurde38. Die Zahlung domo ex risco erfolgte mithin unmittelbar aus der häuslichen Kasse39. Die übliche Alternative war die Zahlung in foro et de mensae scriptura40: auf dem Forum, durch den argentarius, Camodeca, Edizione 151 und L’archivio 215 unter Berufung auf Thilo 275. Siehe die Liste ,römischer Buchführungsterminologie‘ bei Thilo 268 ff. 36 Thilo 273 f. weist darauf hin, daß die zahlreichen Texte mit acceptum und expensum ferre durchweg Berichte über Buchungen sind und nicht den Wortlaut der Buchungen wiedergeben. Der pater familias habe nicht geschrieben ,acceptum refero‘, sondern ,accepi‘; die Tatsache, daß eine Eintragung vorgenommen wird, brauche selbst nicht eingetragen zu werden. Wörtliche Zitate unterstützen diese Beobachtung. Andererseits sehen wir, daß der Aussteller eines chirographum stets schreibt, daß er geschrieben hat, etwa: C Novius Eunus scripsi me accepisse. Außerdem ist die Legende, die der Auszahlungsbuchung hinzugefügt ist (dazu alsbald im Text), offenbar wörtliches Zitat. Darum schließe ich auch aus, daß ein Prädikat zu tabellae ausgelassen worden sein könnte, die ersten drei Zeilen etwa zu lesen wären: tabellae Titiniae (ostendunt) expensos Eupliae sestertios. 37 SZZ 118 (2001) 119 ff. habe ich den gesamten Text der Auszahlungsbuchung außer exp als ,Legende‘ bezeichnet, was zumindest unzweckmäßig, und tutore auctore Epichare Aphrodisi f Atheniensi zum Folgenden gezogen, was unrichtig ist. Wie dort allerdings Nelson / Manthe 212. 38 Das übliche Behältnis war die seit alters gebräuchliche arca, eine Kiste oder Truhe, die gewöhnliche Formel daher domo ex arca und danach nomen arcarium und auch servus arcarius. Vgl. etwa Gröschler 80 m. A. 57. 39 Zum Separativ domo s. Camodeca, L’archivio 299 und Ostraka 2 (1993) 205; Gröschler 69 m. A. 6. 34 35
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bei dem man sein Depot hatte und der die Auszahlung in seinen rationes verbuchte41. Auch die Zahlung domo ex risco konnte aus vielerlei Gründen erfolgen, zur Schuldtilgung etwa oder donationis causa oder dotis nomine. Hier geschah sie, wie petiit zum Ausdruck bringt, auf Wunsch der Euplia, und das heißt darlehenshalber. Es liegt auf der Hand, daß mit diesem Eintrag in den tabulae accepti et expensi ein nomen arcarium verbucht war42 – sehen wir genauer hin: nicht das nomen, die Forderung, sondern vielmehr ihre Begründung. 6. – Anders als die Auszahlungsbuchung hat die Empfangsbuchung keine eigene Legende. Sie lautet einfach: ,Erhalten – für die Kasse – 1 600 Sesterzen‘: acceptos risco sestertios mille sescentos. Aus dem Zusammenhang ergibt sich indessen ohne weiteres, daß hier als ,erhalten‘ gebucht sind eben die 1 600 Sesterzen, die zuvor als ,ausgezahlt‘ gebucht sind, und daß sie als ,erhalten‘ für eben die Kasse gebucht sind, aus der sie nach der Legende der Auszahlungsbuchung ausgezahlt wurden43. Dort allerdings erfahren wir, an wen und wie die verbuchte Ausgabe erfolgt ist, nämlich an Euplia und durch Barzahlung aus der häuslichen Kasse; hier dagegen bleibt offen, welcher Art die verbuchte Einnahme ist, ob mit acceptos eine Bareinzahlung von 1 600 Sesterzen verbucht ist oder ,zugunsten der Kasse‘ eine Forderung über diesen Betrag. Das scheint mir der Befund zu sein. Auf einem anderen Blatt steht seine Interpretation. 7. – Camodeca sieht in der Empfangsbuchung einen Auszug aus den tabulae der Euplia: die Empfangsbuchung sei die Gegenbuchung (controregistrazione) im codex der Schuldnerin Euplia zur Auszahlungsbuchung im codex der Gläubigerin Titinia44. 40 Donatus zu Terentius, Adelphoe 2. 4. 13 (277): tunc enim in foro et de mensae scriptura magis quam ex arca domoque vel cista pecunia numerabatur; und zu Phormio 5. 8. 29 (922): per scripturam, id est mensae scriptura dari. Unde hodie additur chirographis ,domo ex arca sine mensae scriptura‘. 41 Zu all dem instruktiv Thilo 223 ff., 247, 266. Die mensae scriptura führt Gellius 14.2.7 (s. oben A. 24) unter den Beweismitteln als mensae rationes auf. 42 So zu den herkulanensischen tabellae-Urkunden schon Arangio Ruiz 685: „Ritornando per concludere alle scripturae ercolanesi esaminate, dovremo dire ch’esse sono di nomina arcaria celebrati dal creditore, qui riprodotti in base al codex di lui dal debitore“ – nicht aufrecht zu erhalten ist freilich „dal debitore“. Ebenso Camodeca, L’archivio 206 ff., Ostraka 2 (1993) 201 ff. und Edizione 151 mit der erwähnten Abweichung, daß die Buchung ein Auszug aus den rationes domesticae ist (s. oben bei A. 18). Nelson / Manthe 212 sprechen von „Bezugnahme auf eine expensum-Eintragung“, ohne daß klar würde, ob auf einen Eintrag im codex ,des Bankiers‘ oder der Gläubigerin Titinia; s. auch u. A. 48. 43 Das freilich wird von Arangio Ruiz und Camodeca entschieden bestritten; auf ihre Interpretationen ist sofort einzugehen. Kunkel (o. A. 16) 216 und Thilo 132 f. gehen von einer verfehlten Lesung aus, vgl. Gröschler 87 f.; zu Gröschler selbst alsbald im Text. 44 Camodeca, L’archivio 215 bei A. 32 und 221 f.: „. . . non vi è alcuna equivalenza, né in realtà poteva esserci, fra l’accepit ex arca e il sucessivo Acp / Arcae. Anzi il significato è opposto; con la prima espressione si indica che il denaro è stato ricevuto in contanti (numeratum) direttamente dall’arca del creditore (ex arca), con la seconda l’effetuata registrazione a favore dell’arca, ovviamente, del debitore. In queste testationes di nomina acaria . . . si atte-
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Schon Arangio-Ruiz hat diese Erklärung in seiner Interpretation von 1958 vertreten45. Sie erscheint schlüssig und plausibel und erlaubt auch die problemlose Erklärung der Bürgschaft als Sicherung der Darlehensforderung. Gleichwohl kann sie nicht befriedigen. Nichts deutet auch nur an, daß die Empfangsbuchung aus einem anderen codex stammen könnte als die Auszahlungsbuchung, daß der riscus, für den der Empfang gebucht ist, ein anderer gewesen sein könnte als der, aus dem die Auszahlung erfolgt ist. Auch ist nicht ersichtlich, zu welchem Zweck die Wiedergabe der Empfangsbuchung aus den tabulae der Euplia in dieser Urkunde erfolgt sein könnte; der Beweis der Darlehensforderung war, wie uns Gaius ausdrücklich sagt, durch den Eintrag in die tabulae gesichert. Und sollte wirklich unter der Überschrift Tabellae Titiniae Antracidis nach der Auszahlungsbuchung aus Titinias Buchführung unvermittelt und unbenannt die Empfangsbuchung aus Euplias Buchführung wiedergegeben sein? Ich halte das für ausgeschlossen. Völlig anders versteht Gröschler die Urkunde. In seinem Buch über die tabellaeUrkunden entwickelt er anhand unserer Urkunde seine Interpretation46. Sie ist voller Überraschungen. Für ihn dokumentiert der erste Teil der Urkunde ein Dreipersonenverhältnis; seine dritte Person neben Titinia und Euplia ist die Bank der Sulpizier, in deren Archiv sich die Urkunde befand. Hier ist sofort anzumerken, daß die Bank eine ganze Reihe von Urkunden in ihrem Archiv aufbewahrte, die über Geschäfte und andere rechtliche Vorgänge errichtet waren, an denen sie selbst nicht beteiligt war47. Für die Interpretation der neuen pompejanischen Urkunden ist der Umstand, daß sie im Besitz der Bank waren, grundsätzlich kein Kriterium. Im Fall unserer Urkunde soll die Bank die Zahlung vermittelt haben: nicht Titinia habe die Darlehensvaluta an Euplia ausgezahlt, sondern auf ihre Anweisung und in ihrem Namen die Bank. Um die Auszahlung der Darlehensvaluta an Euplia zu dokumentieren, habe die Bank die Urkunde ausgestellt; sie sei ein Auszug aus dem codex rationum der Bank. Die Auszahlungsbuchung stelle klar, daß die Zahlung stava la perfetta corrispondenza fra le poste rispettivamente in EXP ed in ACP sulle rationes delle due parti.“; siehe auch Ostraka 2 (1993) 205 f. nach A. 38 und Edizione 151. 45 BIDR 61 (1958) 306 = Studi (s. oben A. 4) 530: „Per quanto possiamo vedere, all’exp(ensum) iniziale corrisponde sempre un acc(eptum), o ac(ce)p(tum), finale, del quale taluno potrà pensare che indichi una notazione scritta di mano del debitore nel codex del creditore, mentre noi preferiamo pensare che vi sia documentata la corrispondenza fra le notazioni dei due codices.“ Zuletzt, 1964, sah Arangio Ruiz 675 ff. in der Empfangsbuchung einen Zusatz von der Hand des Schuldners, der nach seiner Meinung die Urkunde errichtete (s. oben A. 42); mit diesem Zusatz zu der von ihm aus dem codex des Gläubigers kopierten Auszahlungsbuchung habe er die Darlehensforderung anerkannt. 46 Gröschler 92 ff. 47 So erfahren wir nur durch TPSulp 68, warum die chirographa TPSulp 51, 52, 45 und 67 im Besitz der Bank waren, vgl. J. G. Wolf / J. A. Crook, Rechtsurkunden in Vulgärlatein aus den Jahren 37 – 39 n.Chr. (Heidelberg, 1989) 22 f. Aus ähnlichem Grunde wird auch unsere Urkunde im Besitz der Bank gewesen sein, wenn denn die schwierige Lesung von TPSulp 61.3.9 wirklich zutrifft; siehe u. bei A. 57. Gröschlers Kritik (95 f.) an Camodeca, L’archivio 213 f. ist daher unbegründet. Methodisch unzulässig auch die Argumentation bei Arangio Ruiz 681 f.
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der Bank an Euplia als Leistung der Titinia gelten sollte. Die hinzugefügte Legende besage zweierlei: mit petiit et numeratos accepit bringe sie zum Ausdruck, daß Euplia nicht die Bank, sondern Titinia um das Darlehen gebeten und daß sie die Valuta erhalten habe; und mit domo ex risco, daß die Zahlung nicht durch Titinia, sondern aus der Kasse der Bank erfolgt sei. Die Empfangsbuchung schließlich sei die Gegenbuchung der Bank zu ihren eigenen Gunsten und zu Lasten der Titinia. Wie in der Auszahlungsbuchung Euplia mit ihrem Namen, so werde hier die Bank mit riscus bezeichnet. Von der Bürgschaft ist so gut wie gar nicht die Rede. Diese Interpretation ist ein Konglomerat willkürlicher Unterstellungen: daß mit riscus die Bank bezeichnet werde und die Empfangsbuchung eine Gegenbuchung der Bank zu Lasten Titinias sei; daß Titinia die Bank angewiesen und die Bank die Darlehensvaluta an Euplia ausgezahlt und zum Beweis der Auszahlung die Urkunde errichtet habe; und ,die Urkunde‘ ein Auszug aus den rationes, den ,personenbezogenen Abrechnungen‘ der Bank sei – für all das gibt die Urkunde nicht das Geringste her48. 8. – Wir erinnern uns: Die Urkunde ist eine Zeugenurkunde. In ihrem zweiten Teil berichtet sie über den Abschluß einer Bürgschaft. Dieser Abschluß und nur er hat in Gegenwart der Zeugen stattgefunden, für ihn und nur für ihn machte die Urkunde Beweis49. Die Hauptschuld, für deren Erfüllung der Bürge Epichares einstehen will, wird im ersten Teil der Urkunde definiert. Sie wird definiert durch einen Auszug aus den tabulae accepti et expensi der Gläubigerin Titinia. Der Auszug besteht aus zwei Eintragungen: einer Auszahlungsbuchung und einer Empfangsbuchung. Mit der Auszahlungsbuchung war in den tabellae der Titinia die Auszahlung einer Darlehensvaluta von 1 600 Sesterzen an Euplia, mithin die Begründung eines nomen arcarium dokumentiert. Was zu erklären noch aussteht, ist die Empfangsbuchung. ,Erhalten – für die Kasse – 1 600 Sesterzen‘ könnte nach Wortlaut und Kontext die Buchung der Rückzahlung der Darlehensvaluta sein50. Wäre sie das aber wirk48 Dieser Interpretation folgt offenbar weitgehend die Erklärung unserer Urkunde bei Nelson / Manthe 212; s. schon o. A. 42. Die Überschrift, die sie mit ,Kontobuch für Titinia Antracis‘ übersetzen, verweise auf den entsprechenden expensum-Eintrag „im Hauptbuch des Gläubigers“ – von Euplia ist dagegen als der „Schuldnerin“ die Rede; in TPSulp 60 sei, „zugleich“ mit der Verbürgung, eine Auszahlung an Euplia beurkundet worden, wer sie vorgenommen hat, bleibt jedoch offen; dagegen wird mitgeteilt, daß domus der Ort war, an dem „der Bankier“ sein Hausbuch hatte und „daher die Auszahlung mit Bargeld am Geschäftsort stets mit (de) domo numerare (reddere) bezeichnet“ wurde. Für Näheres zu TPSulp 60 wird nur auf Gröschler 67 ff. verwiesen. 49 Nicht dagegen für die Auszahlung der Darlehensvaluta. Es ist darum unzutreffend, in ihr den (oder einen) ,Gegenstand‘ der Beurkundung zu sehen, vgl. Gröschler 81; Nelson / Manthe 212. Den Beweis der Auszahlung des Darlehens sicherte die Buchung in den tabellae der Titinia. Dazu sofort im Text. Vgl. im übrigen etwa Wolf / Crook (o. A. 47) 10 ff. 50 Es versteht sich, daß die Rückzahlung einer Darlehensvaluta als ,Einnahme‘ in den tabellae verbucht werden mußte, und es liegt nahe, daß dabei vermerkt wurde, von wem das Geld empfangen worden war, vgl. Thilo 131 / 2, 85, der dafür Paul 32 ed D. 17.1 22.8 anführt.
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lich, ginge die fideiussio ins Leere. Nach dem Bürgschaftsprotokoll hat Epichares jedoch gerade die zu Gunsten der Kasse gebuchten 1 600 Sesterzen ,auf seine Treue genommen‘51. ,Erhalten – für die Kasse‘ läßt zunächst an Bareingang denken. Von numeratos ist indessen nicht die Rede. Und weder eine Person, die die Zahlung geleistet hätte, noch der Zweck der Zahlung werden genannt. Andererseits wissen wir, daß die tabulae accepti et expensi kein Kassenbuch waren, daß in ihnen nicht nur Ein- und Auszahlungen, sondern auch Forderungen und Schulden verbucht wurden. Darum ist die nächste und einfachste Erklärung, daß mit dem Eintrag acceptos risco sestertios mille sescentos die Forderung verbucht war, die mit der Auszahlung ,aus der Kasse‘ entstanden ist, die Forderung auf Rückzahlung der Darlehensvaluta. Aus der Auszahlungsbuchung und ihrer Legende ergibt sich, daß diese Forderung entstanden ist, aber verbucht war sie mit diesem Eintrag nicht: verbucht war mit der Auszahlungsbuchung die Auszahlung und nichts anderes. Wenn die tabulae accepti et expensi den Vermögensstand des Hauses auswiesen, mußte die Darlehensforderung eigens verbucht werden, und zwar ihr Betrag ,zu Gunsten der Kasse‘. Im Vermögen des Gläubigers nahm bis zur Rückzahlung der Valuta die Forderung deren Stelle ein52. Zur Buchung einer obligierenden Auszahlung gehörte also nach dem Zweck der tabulae accepti et expensi die Buchung der durch die Auszahlung begründeten Forderung ,zu Gunsten der Kasse‘; wenn sie unterblieb, stimmte die Buchführung nicht mehr, waren die tabulae ,falsch‘53 Diese verbuchte Darlehensforderung war, wie wir jetzt sehen, das eigentliche nomen arcarium, das diese Bedeutung allerdings aus dem Zusammenhang mit der Auszahlungsbuchung erhielt. Und vollends wird deutlich, warum es der ,zu Gunsten der Kasse‘ verbuchte Betrag ist, auf den das Bürgschaftsprotokoll Bezug nimmt. 9. – So kommen wir zu dem Ergebnis, daß unsere Urkunde eine Bürgschaftsurkunde ist54. Für den Abschluß der Bürgschaft machte sie Beweis, nicht dagegen für die in den tabellae der Titinia aufgezeichneten Vorgänge: für die credendi causa erfolgte Auszahlung von 1 600 Sesterzen domo ex risco an Euplia; sie sind nicht Gegenstand der Beurkundung, denn sie haben ja nicht vor den Augen der Zeugen stattgefunden. Der Auszug aus den tabellae Titiniae diente im Kontext der Urkunde lediglich der Bezeichnung und Bestimmung der Hauptschuld. Deren Bestand hätte Titinia im Beweisfall mit ihren tabulae dargetan. Ist diese Interpretation zutreffend, so gewinnen wir mit dem Verständnis der Urkunde zugleich einen unmittelbaren Einblick in die tabulae accepti et expensi, wie wir ihn bisher nicht hatten; sehen wir in getreuer Kopie, wie das nomen arcarium verbucht wurde. Siehe o. nach A. 14. Thilo 103 zu Cic. top. 3.16. 53 Arangio Ruiz’ frühe Beobachtung (o. A. 45), daß „all’exp(ensum) iniziale corrisponde sempre un acc(eptum) finale“, findet darin ihre Erklärung. 54 Nelson / Manthe 212 halten sie dagegen für eine „Quittungsurkunde“; nach Gröschler 84 war sie dagegen eine Darlehensurkunde – wenn ich ihn richtig verstehe; etwas klarer 147 f. 51 52
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10. – Unsere Urkunde ist nicht die einzige, in der wir der Frau aus Melos begegnen und ihrem Kyrios dem Athener Epichares, der vermutlich ihr Ehemann war55. Es war am 20. März 43, daß sich Epichares für sie bei Titinia Antracis verbürgte. TPSulp. 62 entnehmen wir, daß er sich schon einmal, vor Jahresfrist, am 20. März 42, für Euplia verbürgt hatte, damals nicht bei Titinia, sondern bei einem der Bankiers, bei C. Sulpicius Cinnamus56. Bei Titinia hatte Euplia 1 600 Sesterzen aufgenommen, im Vorjahr, bei Cinnamus, waren es 1 000 Sesterzen. Beide Darlehen waren noch nicht zurückgezahlt, als Epichares am 20. Juli 43 ein drittes Mal für seine Frau bürgte, wieder bei Cinnamus, bei dem sie diesmal 500 Sesterzen ausgeliehen hatte. Im Protokoll der Bürgschaftsurkunde von diesem Tag, TPSulp 61, ist hinzugefügt: est autem ea pecunia praeter alias summas, quas Euplia et Epichares debent eidem C. Sulpicio Cinnamo et Titiniae Antracidi. Offenbar vertrat inzwischen die Bank gegenüber Euplia und Epichares auch Titinias Interessen – was plausibel erklärt, warum TPSulp 60, unsere Urkunde, in ihrem Besitz war57. Euplia hat indessen ihre Darlehensschulden bei Titinia und Cinnamus bezahlt. Auch das wissen wir, denn die Innenschrift der drei Bürgschaftsurkunden ist in übergroßen, flächendeckenden Buchstaben mit SOL, für solutum, überschrieben. In einer vierten tabellae-Urkunde, vom 2. Februar 53, TPSulp 64, von der wir nur das Bürgschaftsprotokoll haben, sind beide Vertragsparteien des Darlehens wieder Frauen, eine Titinia Basilis die Gläubigerin, eine Faecia Prima die Schuldnerin. Für sie verbürgte sich ein N. Castricius Agathopus, der vermutlich auch ihr Vormund war. Auch in der fünften tabellae-Urkunde aus Puteoli, TPSulp 63, aus dem Jahre 45, ist Schuldnerin eine Frau, Magia L. f. Pulchra, eine Freigeborene, die außerdem ohne Vormund handelte, von der tutela mulieris vermutlich durch das ius librorum befreit. Der Gläubiger ist Cinnamus, der ihr ein Darlehen von 30 000 Sesterzen domo ex arca gewährt hat, dessen Rückzahlung am 1. Mai 46 fällig war. Hier nun ist es keine fideiussio, die sich der Gläubiger zur Sicherung seiner Darlehensforderung bestellen läßt. Cinnamus läßt sich vielmehr von der Schuldnerin selbst für den Fall des Verzugs eine poena, vielleicht, wie Camodeca58 vermutet, wirklich das duplum der Schuldsumme, versprechen und dieses Versprechen allerdings durch eine Sponsionsbürgschaft sichern. In allen tabellae-Urkunden aus Puteoli ist Schuldnerin eine Frau und auch in einer der beiden inzwischen verläßlich edierten tabellae-Urkunden aus Herkulaneum59. Darin sehe ich heute60 die Erklärung für die Wahl der eigentümlichen 55 56
Vgl. Camodeca, L’archivio 217; Gröschler 194 ff. Nähere Auskunft über alle Urkunden gibt bekanntlich Camodeca in seiner Edizione cri-
tica. S. oben A. 47. Edizione 158. 59 Camodeca, Ostraka 2 (1993) 202: TH 70+71; der Bürge ist auch hier der Vormund der Schuldnerin. In TH 74 ist die Darlehensforderung durch die fiduziarische Übereignung einer Sklavin gesichert; vgl. oben A. 10. 60 Anders ZSS 118 (2001) 124. 57 58
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Beweissicherung: des Darlehens durch den Eintrag in die tabulae accepti et expensi des Gläubigers; des Sicherungsgeschäfts, der Bürgschaft oder einer stipulatio poenae, durch eine tabellae-Urkunde. Das bei Darlehen übliche Formular war ein chirographum des Schuldners, dem in derselben Urkunde das chirographum des Bürgen angefügt werden konnte61. Nächst den prozeßrechtlichen vadimonia bilden mit 10 Urkunden die mutua die größte Gruppe unter den identifizierten Urkunden des neuen Fundes62. Sie alle sind chirographa, aber nicht ein einziges ist von der Hand einer Frau. Und wo einmal eine Frau das Darlehen aufgenommen hat, schrieb und handelte für sie ein Sklave63. Dieser Befund läßt nur den Schluß zu, daß das chirographum Frauen nicht zugänglich war, und offenbar auch dann nicht, wenn sie von der tutela mulieris befreit waren. Dagegen erforderte weder die Buchung der Darlehensgewährung domo ex arca noch die Errichtung der Bürgschaftsurkunde ihre Mitwirkung64.
61 So in TPSulp 54 und 57; in TPSulp 55 bezeugt der Darlehensschuldner in einem zweiten chirographum die Verpfändung von Silbergeschirr zur Sicherung der Darlehensforderung; vgl. ZSS 118 (2001) 118 f. 62 TPSulp 50 – 59; vgl. ZSS 118 (2001) 116 ff. 63 TPSulp 59. Von dieser Urkunde ist nur die 2. Tafel erhalten mit der Liste der Zeugen auf Seite 4 und dem zweiten Teil der Innenschrift auf Seite 3. 64 Nach Arangio Ruiz 681 f., 685 wurde die tabellae-Urkunde vom Schuldner hergestellt oder vorbereitet, nach Gröschler 95 dagegen von seiner dritten Person ,ausgestellt‘, im Fall der Titinia Antracis von der Bank der Sulpizier. Wer die Urkunde vorbereitet, ist belanglos, und einen ,Aussteller‘ hat nur das chirographum. Bei der Zeugenurkunde stellt sich allein die Frage, für was sie Beweis macht, und damit, wem sie von Nutzen ist.
Eine Eidesdelation und eine Eidesleistung* I. Zur Einführung Die Eidesleistung war ein viel genutztes Instrument des römischen Zivilprozeßrechts. Eine besondere Rolle spielte sie im ordentlichen Gerichtsverfahren. Auf Verlangen des Klägers mußte der Beklagte beeiden, daß er nicht aus Schikane dessen Recht bestreite, und auf Verlangen des Beklagten der Kläger, daß er nicht aus bloßer Schikane klage1. Verweigerte bei einer Leistungsklage in rem, etwa in einem Eigentumsprozeß, der Beklagte die empfohlene Naturalrestitution, ermächtigte der Richter den Kläger, unter Eid sein Interesse zu beziffern2. Durch Eidesleistung aber konnte der Gerichtsgang auch abgekürzt oder erledigt, bisweilen wohl auch vermieden werden3. Diesem Zweck dienten offenbar die Eidesdelation und die Eidesleistung, die zwei Urkunden des Fundes von Murecine dokumentieren. Sie sollen in diesem Beitrag besprochen werden4. 1. Die unfreiwillige Eidesleistung oder das iusiurandum necessarium Bei einer Reihe von Klagen erlaubte das Edikt dem Kläger, den Gegner aufzufordern, unter Eid das Klagbegehren zu bestreiten5. So konnte der Kondiktionskläger6 dem Beklagten den Eid antragen (iusiurandum deferre), daß die Verpflich* Abgekürzt oder nur mit dem Namen des Verfassers werden zitiert: L. Amirante, Il giuramento prestato prima della litis contestatio nelle legis actiones e nelle formulare (1954); G. Camodeca, Tabulae Pompeianae Sulpiciorum, Edizione critica dell’archivio puteolano dei Sulpicii I, II (1999); G. Demelius, Schiedseid und Beweiseid im römischen Civilprozesse (1887); M. Kaser / K. Hackl, Das römische Zivilprozessrecht2 (1996); O. Lenel, Das Edictum Perpetuum3 (1927, Nachdr. 1956); F. Raber, Grundlagen klassischer Injurienansprüche (1969). 1 Zum iusiurandum calumniae vgl. F. L. v. Keller / A. Wach, Der römische Civilprocess und die Actionen6 (1883) 293 f.,; M. A. v. Bethmann-Hollweg, Der römische Civilprozeß II (1865) 534 f.; Kaser / Hackl 285. 2 Zum iusiurandum in litem vgl. F. L. v. Keller / A. Wach (A. 1) 333; M. A. v. BethmannHollweg (A. 1) 226 f.; Kaser / Hackl 339. 3 M. Kaser / K. Hackl 266 ff.; Lenel 149 ff., 235 ff.; Demelius 9 – 82; Amirante (1954). – Allgemeine Kennzeichnungen in Paul 18 ad ed D 12. 2. 2 und Ulp 76 ad ed D 44. 5. 1 pr. 4 Vorläufige und hypothetische Überlegungen schon SZ 118 (2001) 102 ff. 5 F. L. v. Keller / A. Wach (A. 1) 321 ff.; M. A. v. Bethmann-Hollweg (A. 1) 575 ff.; Kaser / Hackl 268 f.
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tung, auf deren Erfüllung er verklagt werden sollte, nicht bestehe7. Er nötigte ihn damit, sofern er nur selbst, auf Verlangen des Beklagten, das iusiurandum calumniae schwur, den deferierten Eid zu leisten oder zurückzuschieben (referre), nämlich nun seinerseits den Kläger aufzufordern, den Bestand der Verpflichtung zu beeiden.8 Der Kläger konnte dem Beklagten, der sich zur Eidesleistung bereit erklärte (iurare paratum esse, iusiurandum suscipere), den deferierten Eid allerdings auch erlassen (iusiurandum remittere, iusiurandi gratiam facere); der Erlaß stand dann der Eidesleistung gleich. Schwor der Beklagte den ihm angetragenen Eid oder verweigerte der Kläger den ihm zurückgeschobenen Eid, war der Streit zugunsten des Beklagten entschieden. Die vom Kläger gleichwohl beantragte actio wurde vom Prätor denegiert oder, wenn das Eidverfahren streitig wurde und die Frage in iure nicht erledigt werden konnte, mit der exceptio iurisiurandi erteilt. Verweigerte aber der Beklagte den Eid und schob er ihn auch nicht zurück oder schwor der Kläger den zurückgeschobenen Eid, so war die Sache ebenso außer Streit gesetzt – jetzt jedoch mit der Folge, und hier wirkte sich die Eidespflicht aus, daß die allgemeinen Exekutionsmittel eingriffen: Auf Antrag des Klägers verfügte der Prätor gegen den Beklagten ohne weiteres die missio in bona.9 All das ergibt sich unmittelbar aus den Quellen. Ungesichert ist dagegen nur die übliche Auffassung, daß der Eid in iure deferiert und geschworen werden mußte.10
Lenel 235 ff.; Demelius 37 ff.; Amirante 55 ff. Ein Beispiel aus den Kommentaren zum Edikt ,Si certum petetur‘ nur in Ulp 26 ad ed D 12. 2. 23: mit der Eigentümlichkeit, daß ein Sklave geschworen hat dominum dare non oportere – der Sklave vielleicht, mit dem der Kläger das Geschäft getätigt hatte, aus dem er jetzt den dominus verklagen wollte. 8 Vgl. Ulp 26 ad ed D 12. 2. 25; dazu Amirante 147 ff. 9 Indessen wohl nur zur vorläufigen Vollstreckung, wie gegen den indefensus: Kaser / Hackl 269; Lenel 236. 10 Vgl. Amirante 164 ff. Die Bindung an die Gerichtsstätte wird aus der prätorischen Zwangsankündigung ,Eum a quo [iusiurandum] petetur, solvere aut iurare cogam‘ (Ulp 26 ad ed D 12. 2. 34. 6) abgeleitet. Die Folgerung ist jedoch nicht schlüssig: ,iurare cogam‘ bedeutet nicht, daß der Prätor auf Antrag des Klägers dem Beklagten die Eidesleistung auferlegte (wie er etwa auf Antrag den Abschluß einer Stipulation verfügte, vgl. Kaser / Hackl 430 f.) und bei Verweigerung, auf erneuten Antrag des Klägers, wie man annehmen müßte, die Sanktion, nämlich die missio in bona anordnete. Der Prätor zwang den Beklagten zu schwören, und zwar den ihm vom Kläger deferierten Eid, indem er im Weigerungsfalle, auf Antrag des Klägers, gegen den Beklagten die missio in bona erließ; am Eidverfahren selbst war er nicht beteiligt. Die Voraussetzungen seiner Maßnahme aber konnten ihm ohne weiteres durch Urkunden nachgewiesen werden. Gegen die Bindung an die Gerichtsstätte spricht etwa auch D 12. 2. 23; dazu soeben Anm. 7. 6 7
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2. Die freiwillige Eidesleistung oder das iusiurandum voluntarium a) Durch freiwillig übernommenen Eid11 konnten die Parteien dagegen in allen Streitsachen das Klagbegehren selbst12 oder die klagbegründende Tatsache13 oder auch einen für die Begründung der Klage maßgebenden Tatbestandsteil14 außer Streit setzen. Der Eid mußte freilich angetragen sein15 und so geschworen werden, wie er angetragen wurde16. Jede Partei konnte ihn der anderen deferieren.17 Der deferierte Eid konnte ohne Folgen verweigert werden18. War der Gegner zur Eidesleistung bereit, konnte ihm der Deferent den Schwur erlassen19; der erlassene Eid stand dem geleisteten gleich20. Für den Fall, daß der Beklagte schwor, verhieß der Prätor, wenn der Kläger gleichwohl klagt, die actio zu denegieren oder dem Beklagten die exceptio iurisiurandi zu gewähren21; schwor der Kläger, erhielt er eine actio in factum, die nach Maßgabe seines Eides eingerichtet war22. Um den Gang vor den Prätor nach Möglichkeit zu vermeiden, wird der Eid in der Regel schon im Vorfeld des Verfahrens deferiert und geschworen worden sein, etwa anläßlich der editio actionis23 oder im Vadimoniumstermin24; er konnte 11 F. L. v. Keller / A. Wach (A. 1) 321 ff.; M. A. v. Bethmann-Hollweg (A. 1) 573 f.; Kaser / Hackl 267 f.; Lenel 149 ff. Nach Amirante 21 ff., insb. 28 f., 46 f., war das Edikt de iureiurando von allgemeiner Tragweite; es habe auch für die Fälle gegolten, in denen der Prätor den Eid erzwang; die Unterscheidung zwischen freiwillig übernommenem und auferlegtem Eid sei darum unhistorisch; dazu Kaden, SZ 73 (1956) 433 ff. 12 Etwa dare se non oportere oder dari sibi oportere: Ulp 22 ad ed D 12. 2. 13. 6; Paul 3 ad ed D 12. 2. 14 u. ö. Rem suam esse: Ulp 22 ad ed D 12. 2. 9. 7; 11 pr. u. ö. Usum fructum meum esse: D 12. 2. 11. 2. Hereditatem meam esse: D 12. 2. 11. 3. 13 Etwa furtum se non fecisse: D 12. 2. 13. 2. Se non rapuisse: Paul 18 ad ed D 12. 2. 28. 5. 14 Etwa vendidisse me ei rem centum: D 12. 2. 13. 3. Siehe unten IV. 7. 15 Ulp 22 ad ed D 12. 2. 3 pr. 16 Ulp 22 ad ed D 12. 2. 3. 4. 17 Siehe etwa Paul 18 ad ed D 12. 2. 28. 10. 18 Ulp 22 ad ed D 12. 2. 5. 4. Zur freiwilligen Übernahme konnte auch der Eid deferiert werden, den der Kläger nach einem der speziellen Eidesedikte dem Beklagten auferlegen durfte. Darum ist nicht verwunderlich, daß Ulpian (22 ad ed) und Paulus (18 ad ed) in ihren Kommentaren zum Edikt de iureiurande auch Eide anführen (etwa D 12. 2. 13. 6; 28. 3, 7, 8, 10), die nach dem Edikt si certum petetur (Lenel 235 ff.) oder de rebus amotis (EP 310) erzwungen werden konnten. 19 Paul 19 ad ed D 12. 2. 6. 20 Ulp 22 ad ed D 12. 2. 9. 1. 21 Ulp 22 ad ed D 12. 2. 3 pr.; 7; 9pr. Die exceptio iurisiurandi war im Titel de exceptionibus proponiert: Lenel 512. 22 Ulp 22 ad ed D 12. 2. 9. 1; 11. 1. 23 Kaser / Hackl 220 f. 24 Darauf deuten auch Ulp 22 ad ed D 12. 2. 5. 4 und Paul 19 ad ed D 12. 2. 6 (postea!) oder Paul 71 ad ed D 44. 5. 2 pr. Siehe unten III. 2.
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aber auch noch in der Verhandlung vor dem Prätor angetragen und geleistet werden25. b) Die Eidesdelation setzte regelmäßig nur die Verständigung der Parteien über den Streitgegenstand und die Klage voraus26. Der Verpächter etwa, der mit dem colonus um Schadensersatz ,wegen gefällter Bäume‘ stritt und die actio ex locato anstrengen wollte, konnte ihn ohne weiteres auffordern zu schwören arbores se non succidisse27; und der Kondiktionskläger, der aus einer stipulatio iudicatum solvi vorgehen wollte, konnte dem Gegner ohne weiteres den Eid antragen se non esse condemnatum oder auch se dare non oportere28. Einer besonderen Vereinbarung über die Eidesleistung bedurfte es nicht29. In einem Sonderfall wurde die Eidesleistung allerdings von den Parteien verabredet: im Fall des iusiurandum ex conventione delatum30. Die Parteien konnten nämlich die Entscheidung ihres Streits auch vom Schwur eines Dritten31 und selbst davon abhängig machen, daß der Kläger oder der Beklagte einen Umstand beschwor, der das Klagbegehren gar nicht betraf: Die Kontrahenten einer stipulatio konnten etwa vereinbaren, daß die geschuldete Summe Geldes nicht eingeklagt werden sollte, wenn der Schuldner schwor se Capitolium non ascendisse; leistete er diesen Eid und wurde er gleichwohl verklagt, konnte er sich mit der exceptio iurisiurandi verteidigen32. Die Grundlage dieses Schwurverfahrens war die Übereinkunft der Parteien, die ersichtlich dreierlei festlegen mußte: die streitentscheidende Funktion des Eides, das Eidesthema und den Deferenten. Diese conventio begründete keine Verbindlichkeiten; sie verpflichtete weder den vorgesehenen Deferenten, den Eid anzutragen, noch den Gegner, den angetragenen Eid zu schwören. Wurde aber der Eid nach Maßgabe der conventio deferiert und sodann geschworen oder erlassen, so hatte das Verfahren die Rechtsfolgen, die das Edikt de iureiurando verhieß.
25 Demelius 44 f. Nach Kaser / Hackl 267, mußte auch der freiwillig übernommene Eid in iure zugeschoben und geschworen werden. 26 Vgl. Paul 18 ad ed D 12. 2. 28. 4 und 7. 27 D 12. 2. 28. 6. 28 D 12. 2. 28. 8. 29 Nach Demelius 9 ff. lag dem freiwillig übernommenen Eid stets eine Parteivereinbarung zugrunde. 30 Amirante 201 ff. Die Bezeichnung nach Paul 18 ad ed D 12. 2. 17 pr.; C 4. 1. 1 (213) spricht vom iusiurandum ex consensu utriusque partis delatum. 31 Ulp 76 ad ed D 44. 5. 1. 2: hier sollte der auctor des Vindikationsbeklagten schwören suum fundum se mancipasse; dazu Amirante 204. 32 Iul 10 dig D 12. 2. 39; nach Julian konnte von den Parteien quaelibet causa in condicionem iurisiurandi deduziert werden; dazu Amirante 204 ff.
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II. Die Urkunden: Befunde, Übereinstimmungen, Divergenzen 1. TPN 22 bezeugt eine Eidesdelation, TPN 23 eine Eidesleistung33. TPN 22 war ein Diptychon, dessen 1. Tafel nahezu vollständig und von dessen 2. Tafel ein großes Bruchstück erhalten war; durch Photographien dokumentiert sind allerdings nur die Seiten 2 und 3. TPN 23 war ein Triptychon, von dem lediglich Bruchstücke der 1. und 3. Tafel erhalten waren und nur die Seiten 2 und 5 durch Photographien dokumentiert sind. Von TPN 22 haben wir mithin die – überwiegend auch lesbare – Innenschrift, von TPN 23 dagegen nur den ersten Teil der – auch nur mit ihrer linken Hälfte erhaltenen – Innenschrift und, auf Seite 5, Reste eines knappen Index. 2. Beide Urkunden sind testationes und in Puteoli errichtet worden, TPN 22 am 1. Februar 49, TPN 23, deren Tag und Monat nicht erhalten sind, im Januar, Februar oder März 49. Beide Urkunden sind von derselben Hand geschrieben. Und in beiden Urkunden sind ein Sulpicius und ein Fortunatus die Protagonisten der bezeugten Vorgänge. Der volle Name des Fortunatus war vermutlich L. Patulcius Fortunatus34; wir lesen ihn unter den Zeugen einer testatio vom 16. Februar 6135. Der Sulpicius in TPN 22 ist C. Cinnamus, was die Vermutung aufdrängt, daß auch in TPN 23 Fortunatus‘ Partner Cinnamus ist. Von Cinnamus wissen wir, daß er ein Freigelassener des C. Sulpicius Faustus war36; daß auch Patulcius ein Freigelassener war, könnte sein Beinamen Fortunatus belegen37. 3. Entgegen all diesen Übereinstimmungen ist nicht ohne weiteres auszumachen, ob die beiden Urkunden aus demselben Eid- oder Gerichtsverfahren herrühren. Ein Sachzusammenhang ist nicht offensichtlich; insbesondere scheint in TPN 23 nicht der Eid protokolliert zu sein, dessen Delation TPN 22 bezeugt. Genaueren Aufschluß kann allenfalls die nähere Untersuchung der Urkunden erbringen. Ihr wenden wir uns jetzt zu. 33 TPN 22 = TP 10 + 37 = TPSulp 28. Photographien der Sorprintendenza di Napoli: TPN 22. 2: Pompei A Neg. n. 13 572; TPN 22.3 Pompei A Neg. n. 13 579. TPN 23 = TP 117 + 115 = TPSulp 29. Photographien der Sorprintendenza di Napoli: TPN 23. 2: Pompei A Neg. n. 13 684; TPN 23.5 Pompei A Neg. n. 13 667. 34 A. Landi, Atti dell’Accademia Pontaniana di Napoli 29 (1980) 176, 185. Camodeca 93, 95 erwägt Iulius. 35 TPN 73. 4. 2 (= TP 22 = TPSulp 90). 36 TPN 62. 5. 5 (= TP 30 = TPSulp 72). 37 Die Patulcii in Puteoli waren nach ihren cognomina (Eunus, Felix, Hermia, Prepusa, Apolaustus) offenbar eine Sippe von Freigelassenen; Nachweise bei Landi (A. 34) 176, 185. – Die Gesellschaft der Urkunden von Murecine ist weithin eine Gesellschaft von Freigelassenen: J. G. Wolf / J. A. Crook, Rechtsurkunden in Vulgärlatein (1989) 15 ff. zu den Personen dieser Urkunden; Camodeca I 28 ff. zu den cognomina des gesamten Fundes: Fortunatus / a: 7 liberi und 1 serva.
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III. Die iurisiurandi delatio 2
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CUM AD VADIMONIUM VEN TUM ESSET QUOD HABERET C SULpiciuS CINNAMUS CUM l patulciO FORTUNATO ET C sulpicius CiNNAMUS DICeret pARATUM SE ESse iuRARE ITA UT CON v]eniSSET SI SIBI HS III NU mmum debe]RENTUR o] o o] o l patu]LCIUS FORTUNATUS ei iu]SIURANDUM PECUNIAm sibi deberi ] dETULIT IN . . . . . . . . . . . . ] . . . apuD STATUAm matris deu]m deAE MAGNAE: . . . . . . . . . . . . ].TIT NEC IN . . . . . . . . . . . . ]Q. . . actum pu]TELIS K FEBR c pompeio Q] VERANO COS
1. Februar 49
2 4 l patulciO FORTUNATO: TPN 73. 4r. 2 * 8 HS III (überstrichen): 3 000 * 8 / 9 NUmmum: TPN 28. 3. 7; 39. 5. 5; 40.2. 6 u. ö. * 9 debeRENTUR: arg. consecutio temporum, s. alsbald im Text * 3 3 PCUNIAm sibi deberi: vgl. D 12. 2. 30. 2: Si mulier iuraverit decem . . . sibi deberi; D 12. 2. 11. 2: iuraverit usum fructum . . . sibi deberi; D 23. 3. 82: pecuniam sibi deberet * ei . . . dETULIT: vgl. D 12. 2. 9. 6; 16; 34. 7 * 3 / 4 nach IN folgte die Ortsangabe, etwa in foro,: TPN 1. 2. 4; 2. 2. 3 u. ö. Der Kult der Magna Mater war nicht auf Rom beschränkt. * 5 matris deum deAE MAGNAE: G. Wissowa, Religion und Kultus der Römer2 (1912) 317 ff. ; K. Latte, Römische Religionsgeschichte (1960) 258 ff. * 8 puTELIS für Puteolis * Kalendis FEBRuariis * Übersetzung: 2 1 / 2 Als man zum Vadimoniumstermin gekommen war, 2 / 4 den Gaius Sulpicius Cinnamus mit Lucius Patulcius Fortunatus hatte, 5 und Gaius Sulpicius Cinnamus 6 erklärte, daß er bereit sei, 7 / 8 den Eid zu leisten, so wie man übereingekommen sei: 8 / 9 unter der Voraussetzung, daß ihm 3 000 Sesterzen geschuldet würden, 3 1 / 3 trug Lucius Patulcius Fortunatus ihm den Eid an, ,daß Geld ihm geschuldet werde‘, in 4 . . . bei dem Standbild 5 der Mater deum dea magna 6 / 7 . . . 8 / 9 Geschehen in Puteoli an den Februar-Kalenden unter den Konsuln Gaius Pompeius und Quintus Veranus.
2. Fortunatus und Cinnamus hatten ein Vadimonium vereinbart, das Cinnamus verpflichtete, sich an einem bestimmten Tag, zu einer bestimmten Stunde, an einem bestimmten Ort zu stellen38: offenbar am 1. Februar 49, dem Datum der Ur38
J. G. Wolf, Das sogenannte Ladungsvadimonium, in Satura Feenstra oblata (1985) 60 ff.
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Eine Eidesdelation und eine Eidesleistung
kunde; vielleicht zur dritten Stunde, der in den Vadimonien des Fundes beliebtesten Zeit39; und vermutlich an einem Ort in der Nähe der Gerichtsstätte, wo die Ladung vor den Prätor mit ihrer sofortigen Folgepflicht praktisch war. Indessen lud Fortunatus seinen Widersacher Cinnamus nicht vor den Prätor, jedenfalls, soweit wir sehen, nicht sofort. Cinnamus erklärte sich nämlich bereit, einen Eid zu leisten, wie man ihn verabredet hatte40. Verabredet hatte man die Eidesleistung mit der Maßgabe, daß ihm, Cinnamus, 3000 Sesterzen geschuldet würden. Camodeca41 ergänzt in Zeile 2. 9 . . . RENTUR zu daRENTUR. Der Urkundentext hält sich aber streng an die Regeln der consecutio temporum: CUM VENTUM ESSET (Konj. Plusqu.) ist vorzeitig gegenüber dETULIT (Ind. Perf.); QUOD HABERET (Konj. Imperf.) gleichzeitig mit VENTUM ESSET; ET . . . DICeret (Konj. Imperf.) ist gleichzeitig mit dETULIT; ITA UT CONveniSSET (Konj. Plusqu.) vorzeitig gegenüber DICeret und iuRARE und SI . . . debeRENTUR gleichzeitig mit CONveniSSET. Vorzuziehen ist darum debeRENTUR.
Wenn die Konjektur debeRENTUR zutrifft, darf der anschließende Hauptsatz zuversichtlich zu iuSIURANDUM PECUNIAm sibi deberi dETULIT ergänzt werden. Fortunatus hat demnach auf Cinnamus’ Bereitschaft, den Eid wie verabredet zu schwören, mit dessen delatio geantwortet. Sein Antrag entspricht allerdings nicht wörtlich dem verabredeten Eidesthema, deckt aber mit PECUNIAm dessen präzise Summenangabe. Vielleicht kam es nicht auf den geschuldeten Betrag, sondern nur darauf an, daß Cinnamus überhaupt Geld geschuldet wurde42. Vermutlich hat Cinnamus dem Antrag entsprochen und auf seinen Eid genommen, ,daß ihm Geld geschuldet wird‘. Belegt ist dieser Schwur nicht43. 3. Geschworen oder nicht geschworen: die Geschichte ist überraschend. Nicht Cinnamus, den Fortunatus verklagen will, ist der Schuldner, sondern ihm, Cinnamus, wird geschuldet: er, der sich gestellt hat, um vor den Prätor geladen zu werden, ist der Gläubiger, der Schuldner offenbar Fortunatus, der ihn verfolgt, ihm aber 3 000 Sesterzen schuldet. Wie geht das zusammen? Wir erinnern uns: das Schwurthema kann, muß aber nicht das Klagbegehren selbst in Abrede stellen. Die zweite Urkunde, die eine Eidesleistung bezeugt, scheint eine Erklärung zu erlauben.
TPN 1; 2; 3; 4; 5; 6 u. ö. Nach Camodeca I 93 / 4 hat Cinnamus den Eid schon angenommen; er stellt darum die Urkunde unter die Überschrift Iusiurandum susceptum. Richtig ist, daß in den Juristenschriften iurare paratum esse oder iusiurandum suscipere durchweg die Übernahme eines deferierten Eides bezeichnet und regelmäßig nur bei seinem Erlaß eigens hervorgehoben wird. Indessen ist der Urkundentext eindeutig: Fortunatus und Cinnamus haben das Eidesthema abgesprochen und jetzt, im Vadimoniumstermin, erklärt Cinnamus sich bereit, den Eid gemäß dieser conventio zu schwören. Außerdem ist Fortunatus ei iusiurandum detulit der Hauptsatz. 41 Camodeca I 93. 42 Siehe unten IV. 6. 43 Nach Camodeca 94 hat Cinnamus den Eid geschworen. 39 40
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IV. Das Iusiurandum 2
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C SULPICIUS[ cinnamus iuratus EST DEFERE[nte l patulcio FORTUNATO [ in ea verba QUAE INFRA[ scripta sunt EX TUI ANIMI SE[ntentia . . . ADVERSUS B[onos mores INIURIAM [ te non fecisse SI SCIEN[S fallis tum te iuppiter OP[t max et numen divi augusti [o o] [o o] c sul[picius cinnamus iuratus est PER IOVE[m opt max et numen divi AUGUSTI ET deos penates adver SUS BONOS MOR[es iniuriam se non fecisse ACT P[uteolis C POMPEIO GALLO [q veranio cos
Januar / März 49
2 1 cinnamus: TPN 22. 2. 3 und 5 * 2 l patulcio: TPN 73. 4r. 2; TPN 22. 2. 4 und 3. 1 * 1 / 2 iuratus EST DEFEREnte l patulcio: D 12. 2. 9. 6: reo deferente iuraverit; 9. 7: iuravit possessore deferente; siehe auch D 12. 2. 11. 1; 13 pr.; 28. 10; 30. 4 * 5 EX TUI ANIMI SEntentia: Iusiurandum Aritiensium 5 (CIL II 172 = D. 190); Cic. off. 3. 108; Cic. de or. 2. 64. 260; Quint. inst. 8. 5. 1; Gell. 4. 20 * 6 ADVERSUS Bonos mores: D 47. 10. 15. 2, 5, 6, 20, 25, 34, 38 * 6 / 7 ADVERSUS Bonos mores INIURIAM: D 47. 10. 15. 2 und 3 * 7 INIURIAM te non fecisse: D 47. 10. 5. 8 * 8 / 9 SI SCIENS fallis tum te iuppiter OPt max: Iusiurandum Aritiensium 13 / 15; Cic. ad famil. 7. 1. 2; Liv. 22. 53. 10; Paul. Fest. 115 M * 9 OP: Camodeca: QU * 5 2 optimum maximum * 2 / 3 PER IOVEm opt max et numen divi AUGUSTI: TPN 39. 5. 12 / 13; TPN 59. 5. 9 / 10; TH 65. 4. 1; TH 20. 5. 1 / 2; Lex Lat. Tab. Bantinae 17 und 24; Lex Salpensana 1. 29 / 30 und 2. 1; Lex Irnitana cap. 69, tab. 8, colum. A, l. 18 / 20; cap. 79, tab. 8, colum. C, l. 54 / 57 * 5 ACTum * nach Puteolis folgten Tag und Monat, vgl. TPN 22. 3. 8 * Übersetzung: (2 1 / 3) Gaius Sulpicius Cinnamus hat, als Lucius Patulcius Fortunatus den Eid antrug, geschworen mit den Worten, (4) die unten geschrieben sind. (5) Nach deiner innersten Überzeugung , (6) gegen die guten Sitten (7) eine Injurie nicht begangen zuhaben. (8 / 9) Wenn du wissentlich täuschst, dann dich Iuppiter Optimus Maximus und die Hoheit des vergöttlichten Augustus (5 1) Gaius Sulpicius Cinnamus hat geschworen (2) bei Iuppiter Optimus Maximus und der Hoheit des vergöttlichten (3) Augustus und den göttlichen Penaten (3 / 4) . . . gegen die guten Sitten (5) Geschehen in Puteoli (Tag und Monat) (6) unter den Konsuln Gaius Pompeius Gallus und Quintus Veranius.
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2. Mit der 2. Tafel des Triptychons ist die zweite Hälfte der Innenschrift auf Seite 3 verloren. Seite 5 der Triptycha trug gewöhnlich die Außenschrift. Die wenigen Worte einer engen Beschriftung, die wir hier auf Seite 5 lesen, gehörten dagegen zu einem Index, der abgekürzt über den Gegenstand der Urkunde informierte. PER IOVEm war keine Klausel der Schwurformel, sondern besagte, daß in der Schwurformel Juppiter angerufen wurde44. 3. Cinnamus schwor den Eid, den Fortunatus ihm deferiert hat45. Der Eid folgte dem üblichen zweigliedrigen Konzept aus Schwurklausel (2. 5 / 7) und Selbstverwünschung (2. 8 / 9)46. Das Protokoll stilisiert ihn, wie er deferiert wurde, in der 2. Pers. Sg.47, wohl um zu bekunden, daß Cinnamus ihn so geschworen, wie Fortunatus ihn angetragen hat – während Cinnamus, als er den Eid schwur, selbstverständlich sagte: Ex mei anima sententia und Si sciens fallo. Die Schwurformel war elliptisch gefasst: iuras im Antrag und iuro im Eid selbst wurden nicht ausgesprochen. Im assertorischen Eid folgte darum nach sententia, abhängig von dem unausgesprochenen iuro, das Schwurthema in der Konstruktion des Acc. c. Inf. Die Selbstverwünschung ist durch sciens auf die bewußte Täuschung, also den Meineid, beschränkt, die Verantwortung für den nicht bewußten Falscheid mithin ausgeschlossen. Für den Fall, daß er wissentlich falsch schwur, rief Cinnamus Juppiter, das numen divi Augusti und die Penaten an, ihn zu bestrafen. Auch den Genius des regierenden Kaisers anzurufen, was vielfach belegt ist48, hatte Claudius offenbar untersagt49. 4. Was wir von der Innenschrift lesen, läßt nur den Schluß zu, daß Fortunatus Cinnamus wegen eines Injuriendelikts verfolgte. Er wollte ihn mit einer actio iniuriarum überziehen, gab ihm aber die Möglichkeit, die Injurie unter Eid abzustreiten. Die Ergänzung INIURIAM te non fecisse ist darum kaum zweifelhaft. 5. Der Prätor verhieß die actio iniuriarum in einem allgemein gefassten Injurienedikt50 und in mehreren auf bestimmte Tatbestände zugeschnittenen Sonderedik44 Paul. Fest. 115 M: Lapidem silicem tenebant iuraturi per Iovem, haec verba dicentes: ,Si sciens fallo, tum me Dispiter salva urbe arceque bonis eiciat, ut ego hunc lapidem.‘ – Lex Ursonensis c. 81, tab. 3, col. 3, l. 18 ss. – Lex Lat. Tab. Bantinae 17 und 24 – Lex Salpensana c. 25, col. 1, 29 / 30 und col. 2, l. 1 – TH 65. 4. 1 und 20. 5. 1 / 2. 45 Die Eidesleistung wird durch das verbum finitum: iuratus est ausgedrückt, die Delation durch den abl. abs.: deferente Fortunato. Das part. praes. act. bringt die Gleichzeitigkeit zum Ausdruck. Die übliche Stellung des abl. abs. ist bekanntlich vor dem Hauptsatz. Seine Nachstellung vereinfachte die Fassung des Formulars, wenn der Eid in der Form seiner Delation protokolliert werden sollte. 46 Iusiurandum Aritiensium 5 – 13 und 13 – 17; Liv. 22. 53. 11; Cic. acad. prior. 2. 146. 47 Cic. off. 3. 108; Liv. 43. 15. 8; Petron.109. 1. – Der Eid in Staatsdingen wurde dem Schwörenden auch in der Formulierung der 2. Pers. Sg. vorgesprochen, vgl. Plin. paneg. 64. 3. 48 W. F. Otto, Genius in RE 7 (1910) 1163 f. 49 Siehe auch TPN 39. 5. 13 vom 3. Oktober 45 (Claudius), dagegen TPN 59. 2. 12 und 5. 10 / 11 vom 15. September 39 (Caligula). Anderer Ansicht Camodeca 95 (TPSulp 29.3. 3). 50 Lenel 397 ff.: § 190 Generale edictum.
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ten51. Drei der vier Sonderedikte verlangen, daß die Injurie auch gegen ,die guten Sitten‘ verstößt52. Da in der Schwurformel und im Index unserer Urkunde adversus bonos mores durchgestrichen ist, kommen als Grundlage der Injurienklage, mit der Fortunatus Cinnamus überziehen wollte, nur das Generale edictum und das Sonderedikt Ne quid infamandi causa fiat infrage53. Auf welches Edikt die actio iniuriarum gegründet wurde, auf das allgemein gefaßte Injurienedikt oder das Sonderedikt Ne quid infamandi causa fiat: immer mußte die Injurie in der Klagformel spezifiziert und benannt werden54. Anschauung gibt uns die aus Paulus‘ liber singularis de iniuriis überlieferte Klagformel zu dem Edikt Ne quid infamandi causa fiat; sie lautet Quod Ns Ns illi libellum misit Ai Ai infamandi causa55. Unter den Fallbeispielen zu diesem Edikt56, die von den Juristen angeführt werden, finden sich aber gerade auch solche Fälle, die für das Arbeitsfeld einer Bank wie die der Sulpicii durchaus typisch waren. So haftete aus diesem Edikt: wer jemanden wissentlich seinen Schuldner nannte, der nicht sein Schuldner war57; oder eine fremde Sache zum Verkauf ausschrieb, als sei sie ihm von ihrem Eigentümer verpfändet worden58; oder die Bürgen mahnte, obwohl der Schuldner zu zahlen bereit war59; oder auch das Vermögen eines anderen zum Verkauf ausbot, als ob dieser sein Schuldner sei60. Auf jeden dieser Fälle paßt die Schwurklausel iniuriam te non fecisse. Die Hypothese ist darum nicht gewagt, daß die Klage, die Fortunatus gegen Cinnamus anstrengen wollte, auf das Edikt Ne quid infamandi causa fiat hätte gestützt werden können61. 6. Eine weitere hypothetische Eingrenzung scheint indessen möglich. Der Eid, den Fortunatus am 1. Februar 49 Cinnamus antrug, sah vor, daß er, den Fortunatus 51 Lenel 400 ff.: § 191 De convicio; § 192 De adtemptata pudicitia; § 193 Ne quid infamandi causa fiat; § 194 De iniuriis quae servis fiunt. – M. Kaser, Das römische Privatrecht I2 (1971) 623 ff.; Raber 5 ff. 52 Nämlich die Edikte § 191 De convicio; § 192 De adtemptata pudicitia; und § 194 De iniuriis quae servis fiunt. 53 Zu diesem Edikt eingehend Raber 56 ff. Auch zu Coll. 2. 5. 2 siehe Raber 7. 54 Coll. 2. 6. 1, 2 (Paulus libro sing. sub titulo quemadmodum iniuriarum agatur): ,Qui autem iniuriarum‘, inquit (scil. praetor), ,agit, certum dicat, quid iniuriae factum sit . . .‘ (2) certum dicit, qui suo nomine demonstrat iniuriam . . . . 55 Coll. 2. 6. 5 mit der Konjektur Lenels 401. Die Codd. haben illum inmisit. Andere Vorschläge bei Raber 73 f. 56 Siehe insb. D 47 10. 15. 27 – 33 Ulp 77 ed. 57 D 47. 10. 15. 33 Ulp 77 ed. 58 D 47. 10. 15. 32 Ulp 77 ed.; Raber 67. 59 D 47. 10. 19 Gai 22 ed prov.; Raber 68. 60 Gai 3. 220; Raber 70. 61 Nach Camodeca 94 und 95 / 6 war sie auf das Edikt De convicio gegründet. Das Wort iniuriam in TPM 23. 2. 7 bestätigt ihm, ,che qui si tratta di un caso di iniuria verbis‘. So auch schon (94) zu TPN 22. Das ediktale Erfordernis contra bonos mores habe, verstehe ich Camodeca recht, nur für ,le gravi insulti verbali‘ (96) gegolten.
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verklagen wollte, beschwor, Gläubiger einer Geldforderung zu sein. Bestand diese Schuld wirklich oder durfte Cinnamus überzeugt sein, daß sie bestand, dann konnte ihm nicht vorgeworfen werden, den wirklichen oder vermeintlichen Schuldner infamandi causa ,Schuldner‘ genannt oder dessen Vermögen zum Verkauf ausgeboten zu haben. Bei den eklatanten Gemeinsamkeiten der beiden Urkunden, die wir beschrieben haben, ist es keine Überraschung, wenn sich schließlich herausstellt, daß sie doch zu ein und demselben Verfahren gehörten oder jedenfalls gehört haben können. 7. So bleibt nur die Frage, warum Fortunatus und Cinnamus es nicht bei dem Eid beließen, dessen Delation TPN 22 bezeugt. Wenn wir uns nicht mit der Antwort begnügen, daß ungewiß sei, ob Cinnamus den deferierten Eid auch geschworen hat, ist folgende Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Wenn die Klage wirklich auf das Edikt Ne quid infamandi causa fiat gegründet werden sollte und der Bestand einer Schuld eine iniuria des Cinnamus ausschloß, dann mußte zwar der Prozeß mit einer absolutio des Beklagten enden. Er konnte aber stattfinden, weil der Eid nur die Beweislage änderte62. Der Eid iniuriam me non fecisse dagegen zwang den Prätor, die actio iniuriarum zu verweigern oder, wenn die Eidesleistung zweifelhaft war, mit der exceptio iurisiurandi zu gewähren.
62
Siehe oben I. 2.
Eine Empfangserklärung aus Herculaneum 1. In seiner Revision der Tabulae Herculanenses hat Giuseppe Camodeca erkannt, daß die von V. Arangio-Ruiz und G. Pugliese Carratelli edierten Fragmente TH 77, 78, 80, 53 und 92 Teile ein und derselben Urkunde sind1. In seiner Edition lautet sie: I II III II 4
INTERROGATIONIS || L APPULEIUM PROCULum HABERETNE PALOS| | CCC XXX QUI FUERant de]POSITI APUT NONIU||M PRIMIGENIUM 1 2 3 4 5 6
I 1
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
II 4
1 2 3 4 5 6 7
TH 92
L COMINIUS PRIMUS INTE[rrogavit L APPULEIUM PROCULUM H[aberetne Á SE PÁLÓS · CCC XXX EX SENTEN[tia TI CRAsSI · FIRMI [arbitri in contro verSIÁ QUa[e fuit de finibus FUNDI · NUM[idiani l comini primi
TH 80
ET · FUNDI [stlasaniciani l appu LEI PROCULI qUOS DE[posuissent APUD · M NONIUM PR[imigenium IBI · L · APPULEIUS · PROCU[lus respondit EGÓ MEÓS PALO[s ccc xxx CAESÓS Á TE QUI [fuerant depositi APUT · M · NONI[um primigenium RECEPI EX SEN[tentia TI CRASSI FIRMI ARBIT[ri ACT HERCULANI VII K FEBR IMP GALBA OTHONE CAESARE
TH 78
M CAECILI POTITI TI CRASSI FIRMI L MAMMI MARIANI n BLAESI SATURNINI . . . Mari CELSINI m LIVI EPAGATHI c lUSI SECUNDIani
TH 77
26. Jan. 69 TH 53
1 V. Arangio-Ruiz, G. Pugliese Carratelli, Tabulae Herculanenses V, in: La Parola del Passato [PdP] 10 (1955) 451 ff.; TH VI, 16 (1961) 70; TH III, 8 (1953) 462. G. Camodeca, Riedizione del trittico ercolanese TH 77+78+80+53+92 del 26 gennaio 69, in: Cronache Ercolanesi 24 (1994) 137 – 146. Eingehend bespricht die Urkunde J. Crook, Three Hundred and Six Stakes, in U. Manthe und Ch. Krampe (Hrgb.), Quaestiones Iuris (Berlin 2000) 77 – 81.
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Eine Empfangserkla¨rung aus Herculaneum 8 9 10
l VENIDI ENNYCHI n NONI PRIMIGEni M n . . . . . . cy. . . . . .
Die Abbildungen der Fragmente (Fig. 1 – 4) erlauben nur teilweise, die Lesung nachzuvollziehen. Lesung und Ergänzungen sind indessen durchaus plausibel. Die Lesung der Zahl der pali CCC SEX auf der Stirnseite der 2. Tafel und in Zeile II. 4. 3 hat Camodeca korrigiert2: überzeugender liest er jetzt CCC XXX. Befremdlich ist allerdings der ergänzte Grundstücksname Stlasanicianus (I. 1. 1). Er ist aus TH 76. 4. 4 und TH 79. 4. 2 / 3 und 8 übernommen, wo die Herausgeber ihre Lesung Stratanicianus als unsicher markieren. Der fundus wäre nach einem Stlasanicius oder Stratanicius benannt3: zwei ungewöhnliche Gentilnamen. Numidianus, ergänzt nach TH 76. 4. 3, TH 79. 4. 2 und TH 87. 4. 2, ist gut möglich, wenngleich der Name Numisius ungleich häufiger als Numidius und auch für Herkulaneum durch die Bauinschrift D 5637 belegt ist.4
Die Urkunde war ein Triptychon. Auf den – den perforierten gegenüber liegenden – Stirnseiten der drei Täfelchen (I, II, III) ist ein Index zu lesen, der Urkundentext, wie der Index mit Tinte geschrieben, auf den Seiten 4 und 1. Er beginnt auf Seite 4 in der linken Hälfte der vom sulcus geteilten Tafel und wird auf Seite 1 fortgesetzt, hier wie dort parallel zu den Schmalseiten der Urkunde geschrieben. Die Namen der Zeugen stehen in der rechten Hälfte der Seite 4, parallel zu den Längsseiten, ehedem neben ihren Siegeln auf dem Verschlußfaden im sulcus. Das Triptychon hatte zwei Außenschriften; die scriptura secunda stand auf Seite 5, der erhaltene Text ist die scriptura tertia. 2. Die Urkunde war eine testatio und ist am 26. Januar 69 errichtet worden zum Beweis einer Empfangserklärung. Sie ist eine von drei Urkunden, die in einem sachlichen Zusammenhang stehen. Die Protagonisten der drei Urkunden sind die Nachbarn L. Cominius Primus und L. Appuleius Proculus, der Schiedsrichter Ti. Crassus Firmus und der Depositar M. Nonius Primigenius. Primus ist Eigentümer des fundus Numidianus, Proculus Eigentümer des fundus Stlasanicianus. Die Grundstücke grenzen aneinander und ihre Eigentümer stritten über den Verlauf der Grenze und das Eigentum an 330 ,Pfählen‘. Einem ordentlichen Gerichtsverfahren haben sie ein Schiedsgericht vorgezogen. TH 76 dokumentiert5, daß sie in ihrer Streitsache (4.1 – 8)6 Ti. Crassius Firmus zum arbiter ex compromisso zwischen sich und zwischen ihren Erben7 bestellt 2 G. Camodeca, Nuovi dati dalla riedizione delle Tabulae Ceratae della Campania, in: XI Congresso internazionale di Epigrafia Greca e Latina, Atti (Roma 1999) 537 A. 42. 3 A. Schulten, Fundus, RE 7 (1910) 296. 4 Vgl. auch die Liste der „gentilizi attestati a Puteoli fra la tarda repubblica e l’età giulioclaudio“ bei G. Camodeca, Per una storia economica e sociale di Puteoli fra Augusto e i Severi, in: Civiltà dei Campi Flegrei, Atti del Convegno Internazionale (Napoli 1992) 170 – 172. 5 PdP 10 (1955) 449. 6 Arangio-Ruiz, Pugliese Caratelli, PdP 10 (1955) 450. Vgl. K. H. Ziegler, Das private Schiedsgericht im antiken römischen Recht (München 1971) 62 f.
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haben8. Zugleich haben sie bestimmt, daß Firmus öffentlich und in ihrer beider Anwesenheit9 vor dem nächsten 1. Februar das Urteil sprechen (1.1 – 9)10 oder den dies compromissi, Verhandlung und Schiedsspruch, auf einen späteren Zeitpunkt hinausschieben soll (1.10 / 11)11. Die Datierung der Urkunde ist nicht erhalten. Der Schiedsspruch des Ti. Crassus Firmus ist in TH 79 beurkundet. Er ist im Januar ergangen, vermutlich am 23. oder zwischen dem 14. und dem 23. Januar12, offenbar wenige Tage vor der Empfangserklärung unserer Urkunde, die den Schiedsspruch voraussetzt (I. 1. 8). Der Schiedsspruch umschreibt zunächst den Streigegenstand, benennt den beteiligten Feldmesser und stellt die Öffentlichkeit der Urteilsverkündung fest (Th 79. 4. 1 – 6). Der zweite, nur in Bruchstücken erhaltene Teil der Urkunde gibt den Schiedsspruch wieder (4. 7 – 10 und 1.1 – 14); er beschreibt detailliert den festgestellten Grenzverlauf und muß, was unsere Urkunde voraussetzt, über das Eigentum an den ,Pfählen‘ befunden haben13. 3. Unsere Urkunde dokumentiert, daß L. Cominius Primus seinen Nachbarn und Streitpartner L. Appuleius Proculus gefragt hat, ob er, gemäß dem Schiedsspruch des Ti. Crassius Firmus, von ihm 330 pali habe, die sie bei M. Nonius Primigenius deponiert hätten: haberetne A SE PALOS CCC XXX Ex sententia TI CRASSI FIRMI . . . qUOS deposuissent APUD M NONIUM Primigenium. Proculus hat geantwortet: Meine 330 pali, die von dir geschlagen worden sind und die bei M. Nonius Primigenius deponiert waren, habe ich zurückerhalten gemäß dem Schiedsspruch des Ti. Crassius Firmus: EGO MEOS PALOs ccc xxx CAESOS A TE qUI fuerant depositi APUT M. NONIum primigenium RECEPI EX SEntentia TI CRASSI FIRMI. a) Proculus erklärt, daß er 330 pali zurückerhalten habe. Pali sind ,Pfähle‘, sind ,Rundhölzer‘. Sie wurden, soweit wir berichtet sind, als Grenzpfähle14 und zum Der Zweck der mentio heredis: D 4. 8. 27. 1 Ulp 13 ed. Vgl. Ziegler (A. 6) 70. Zur Bestellung und Befugnis des arbiter: D 4. 8. 32. 15 Paul 13 ed. Vgl. Ziegler (A. 6) 60 ff. 9 D 4. 8. 27. 4, 5 Ulp 13 ed. Vgl. Ziegler (A. 6) 66 f. 10 Oder den von ihm gefällten Schiedsspruch von einen Dritten verkünden lassen soll: dicive iubeat (1.8). 11 D 4. 8. 25. 1 Ulp 13 ed; D 4. 8. 27 pr. Ulp 13 ed; D 4. 8. 32. 21 Paul 13 ed. Vgl. Ziegler (A. 6) 65 f., 70 f. 12 Camodeca (A. 1) 144 A. 33 gegen Arangio-Ruiz, Pugliese Caratelli, PdP 10 (1955) 454. 13 Die Herausgeber lesen in Zeile TH 79. 1. 9 immerhin Pal: Arangio-Ruiz, Pugliese Caratelli, PdP 10 (1955) 454, 456 (Kommentar). Siehe auch Crook (A. 1) 79. 14 Siculus Flaccus, De condicionibus agrorum, La 138. 20 – 22: In quibusdam vero regionibus palos pro terminis observant, alii iliceos, alii oleagineos, alii vero iuniperos. – Hyginus Gromaticus, De generibus controversiarum, La 126 / 7: Si terminibus finem videre . . . alii ponunt siliceos, alii Tiburtinos, alii enchorios, alii peregrinos, alii autem politos et scribtos, alii aut robureos aut ex certa materia ligneos, quidam etiam hos quos sacrificales vocant. – A. Rudorff, Gromatische Institutionen, in: Die Schriften der römischen Feldmesser (Berlin 1852, Nachdr. 1967) II 272: „In holzreichen aber steinarmen Gegenden nahm man Pflöcke 7 8
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Bau von Palisaden, aber auch im Weinberg als Stützen für die Reben (vitis) verwendet15. Pali waren demnach nicht gleich pali: Die für Grenzmarkierung und Palisaden verwendeten pali müssen kräftige Pfähle gewesen sein; die beim Weinbau verwendeten pali dagegen eher Stöcke oder Stangen. ,Stöcke‘ und ,Stangen‘ sind indessen perticae, die von pali durchaus unterschieden werden16. Darum ist es wohl nicht falsch, wenn wir uns unter pali ,Rundhölzer‘ unterschiedlicher Stärke vorstellen. b) Die Pfähle wurden ,geschlagen‘ (caedere). Der Legatar etwa, dem der Nießbrauch an einem Waldstück vermacht worden war, durfte in diesem Wald pali nur dann ,schlagen‘ und verkaufen, wenn der Wald eine silva palaris oder caedua war17. Daß die Pfähle ,geschlagen‘ (caesi) waren, verstand sich. Proculus antwortet indessen: meos palos ccc xxx caesos a te . . . recepi. Die Formulierung der Frage haberetne a se palos ccc xxx könnte nahe legen, a te zu recepi zu ziehen. Der eingeschobene Relativsatzt qui fuerant depositi aput M. Nonium Primigenium schließt diese Möglichkeit nicht aus, macht sie aber eher unwahrscheinlich18. Wir dürfen darum annehmen, daß die Pfähle von Primus geschlagen worden sind. Wenn Proculus, was nicht nötig gewesen wäre, von seinen Pfählen (meos palos) spricht, und hinzufügt, daß sie von Primus geschlagen worden sind (caesos a te), scheint er auf den Anlaß ihres Streits anzuspielen. Im übrigen könnte palos caesos a te auch die prägnannte Bedeutung haben, daß die Pfähle von Primus nicht nur (pali, stipites) von Eichen, Steineichen, Oelbäumen, Wachholdern und anderen Hölzern, welche die Gegend darbot.“ II 355: „In den Augusteischen Assignationen wurden selbst die einzelnen Jucherte und Actus durch Pfähle (pali actuarii) vermerkt; eine solche Hervorhebung der Jucherte hieß iugeratio, die pali actuarii standen also 120 Fuss auseinander (I 192. 9 – 12; fig. 170). Die auf die Jugera und Actus bezüglichen Pfähle wurden mit Nummern versehen.“ – Siehe auch den Schiedsspruch des Ti. Crassius Firmus TH 79. 1. 3 ff.: . . . coxam proximam at palum secundum . . . inde a palo at silicem . . . inde at palum tertium. – Depalare und depalatio ist bekanntlich ,abgrenzen‘ und ,Abgrenzung durch Pfähle‘. 15 Colum. 11. 2. 11: Vineae, quae sunt palatae et ligatae, recte iam fondiuntur. – D 19. 1. 17. 11 Ulp 32 ad ed: Pali, qui vineae causa parati sunt, antequam collocentur, fundi non sunt, sed qui exempti sunt hac mente ut collocentur, fundi sunt. – D 33. 7. 16. 1 Alf 2 dig a Paulo epit: Vinea et instrumento eius legato instrumentum vineae nihil esse Servius respondit: qui eum consulebat, Cornelium respondisse aiebat palos perticas rastros ligones instrumenti vineae esse: quod verius est. – K. D. White, Farm Equipment of the Roman World (Cambridge 1975) 21 f., 28. 16 D 32. 56 = D 50. 16. 168 Paul 4 ad Sab: Pali et perticae in numero materiae redigendi sunt, et ideo lignorum appellatione non continentur; D 33. 7. 16. 1 (s. A. 15). 17 Vat 70. 1 (Ulp 17 ad Sab): Si fundi usus fructus fuerit legatus et sit ager, unde palo in fundum, cuius usus fructus legatus est, solebat paterfamilias uti vel salice vel harundine, puto fructuarium hactenus uti posse, ne ex eo vendat, item si salicti ei vel silvae palaris vel harundineti usus fructus sit legatus; tunc enim et vendere potest. Nam et Trebatius scribit silvam caeduam posse fructuarium caedere, sicut pater familias caedebat. 18 Anders Crook (A. 1): „but I now think that ,a te‘ goes with ,recepi‘, in spite of the intervening relative clause.“
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geschlagen, sondern schon ,zurechtgehauen‘, daß sie von ihm schon bearbeitet sind, wie Columella es beschreibt: nämlich gefällt, ausgeputzt und angespitzt19. c) Proculus erklärt aber, daß er seine Pfähle zurückerhalten habe: ego meos palos . . . recepi. Der arbiter ex compromisso hatte nicht die Rechtsmacht, durch adiudicatio Eigentum zuzuweisen. Die Verhandlung wird ihn vielmehr überzeugt haben, daß die 330 Pfähle Proculus gehörten, und demgemäß wird er Primus verurteilt haben, sie ihm herauszugeben. Aus Primus’ Frage haberetne a se palos ergibt sich, daß er sie ihm verschaffen mußte. d) Die Pfähle waren bei M. Nonius Primigenius deponiert. Der Depositar hatte an der hinterlegten Sache weder Eigentum noch Interdiktenbesitz; possessio civilis kam ohnehin nicht in Betracht. Die hinterlegte Sache hatte er lediglich in seiner tatsächlichen Gewalt. Anders der Sequester20, dem Prozeßparteien die Sache, um deren Eigentum sie streiten, in Verwahrung geben; er erhält Interdiktenbesitz. Eine in Puteoli errichtete Urkunde21 läßt uns wissen, daß C. Sulpicius Faustus zu Protokoll gegeben hat: daß er die Sklavin Tyche, die Pactumeia Prima und Attiolenus Atimetus bei ihm deponiert hätten, diesen beiden am 6. Mai 52 herausgegeben und daß Prima, mit Atimetus’ Einverständnis, die Sklavin mit sich genommen habe. Offenbar hatten Prima und Atimetus um das Eigentum an der Sklavin Tyche prozessiert und sie für die Dauer des Prozesses Faustus in Verwahrung gegeben. Ob in unserem Fall Primus und Proculus den Depositar Primigenius – wie dort Prima und Atimetus den Bankier Faustus – als sequester in Anspruch genommen haben, ist nicht auszumachen22. Der wiederholte Hinweis, daß die Pfähle bei Primigenius deponiert waren, ist kein sicheres Kriterium. Zweimal, im Index und in der Antwort des Proculus (I. 1. 6 / 7), ist der Hinweis passivisch ausgedrückt: palos . . . qui fuerant depositi aput Nonium Primigenium. In der Frage dagegen liest 19 Colum. 11. 2. 11 / 12: ridicis vel etiam palis conficiendis idoneum tempus est, nec minus in aedificia succidere arborem convenit. . . . (12) palos una opera caedere et exputatos acuere centum numero potest, ridicas autem . . . numero sexaginta, item ad lucubrationem vespertinam palos decem vel ridicas quinque conficere totidemque per antilucanam lucubrationem. In den Anforderungen zurückhaltender ist Plinius h. n. 18. 233: ridicias praeparare interdui XXX, palos LX et in lucubratione vespertina ridicas V, palos X, totidem antelucana. CIL IV. 6886: Palos acutos DC, non acutos DCC, summa MCCC. – Nach Camodeca (A. 1) waren die 330 pali ,Grenzpfähle‘, die Primus ,abgeschlagen‘ habe: “ . . . aveva tagliato 306 pali lignei di confine, posti fra due fondi dalla controparte, ritenendo evidentemente che la striscia di terra, su cui essi erano stati infissi, fosse di sua proprietà.“ 20 Crook 78; M. Kaser, Das römische Privatrecht I 2 (München 1971) 389, 536; M. Talamanca, Istituzioni di diritto Romano (Milano 1990) 550 f.; A. Guarino, Diritto privato Romano 9 (Napoli 1992) Nr. 83. 6 p. 876; M. Kaser / K. Hackl, Das römische Zivilprozessrecht 2 (München 1996) 294 m. Lit. 21 TPSulp 40. 22 Camodeca (A. 1) 143 f. hat keine Bedenken, ein depositum in sequestrem anzunehmen. Die Definition in D 50. 16. 110 Mod 6 pand deckt auch unseren Streitfall: Sequester dicitur, apud quem plures eandem rem, de qua controversia est, deposuerunt.
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Camodeca: palos . . . quos deposuissent apud M Nonium Primigenium: ,Pfähle . . . die sie deponiert hatten‘, nämlich Primus und Proculus – was allenfalls auf Hinterlegung beim Sequester schließen lassen könnte. Doch nach der Abbildung zu urteilen, ist qUOS DE[posuissent nicht einwandfrei zu lesen. Indessen kommt für das Verständnis der Urkunde wenig darauf an, ob Primigenius sequester oder einfacher Depositar war. Die Hinterlegung wird erwähnt, weil die Pfähle nicht bei Primus waren; aber sie ist nicht Gegenstand unserer Urkunde: ihr Gegenstand ist die Empfangserklärung der Streitpartei, die im Schiedsgerichtsverfahren obsiegt hat, in der Form der korrespondierenden Beantwortung einer Frage der unterlegenen Partei. e) Primus hat Proculus gefragt, ob er die Pfähle ,von ihm habe‘: haberetne a se palos ccc xxx. Das gewöhnliche Quitungsformular ist ein Chirographum mit dem Wortlaut: Aulus Agerius scripsi me accepisse ab Numerio Negidio sestertia tria millia nummum23. Eine Ausnahme macht TPSulp 77 mit dem Wortlaut: C CAESIUS QUARTIO SCRPSI ME HA BERE AB c sulPICIO CINNAMO SESTERTIA QUATTUOR MILLIA TRECENTOS NUMMoS EX REDA CTU VENALIUM QUAM SUM MAM ACCEPI PROTINUS A P ACI LIO PRIMO
Quartio erklärt, daß er 4 300 Sesterzen ,von Cinnamus habe‘, die er aber ,unmittelbar erhalten habe von Primus‘, also von einem Dritten. Nach diesem Muster ist auch unsere Urkunde zu verstehen: Primus fragt Proculus, ,ob er die Pfähle von ihm habe‘, weil sie bei Primigenius lagerten und er sie nicht unmittelbar von Primus erhalten haben konnte24. Proculus antwortet einfach recepi – ohne zu sagen, von wem er sie zurückerhalten oder wer sie ihm unmittelbar verschafft hat. Beides freilich ergibt sich aus dem Kontext. f) Proculus antwortet nicht accepi, sondern recepi. Die primäre Bedeutung von recipere ist ,zurücknehmen, zurückerhalten‘. Nach dieser Bedeutung hätte Proculus den Besitz der Pfähle an Primus verloren und jetzt wiedererlangt. Indessen kann recipere auch ,empfangen, erhalten‘ bedeuten und erlaubt darum nicht den Schluß auf früheren Besitz der Pfähle. 4. Der Streit um die Pfähle stand offenbar in Zusammenhang mit dem Grenzstreit – und hat ihn vielleicht sogar ausgelöst. Das Eigentum an den Pfählen hing – wie das attributive caesos a te vermuten läßt – davon ab, wo Primus die Pfähle geschlagen hat: ob auf eigenem Grund und Boden oder dem des Nachbarn. Vgl. TPSulp 70 – 76. Crook 80 f. vermutet, „that there was not a transfer of possessio without delivery but a fiction of delivery. . . . Common sense suggests that those 306 stakes had been lying in a yard somewhere all the time“. 23 24
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Wie können wir uns das Szenarium vorstellen? Primus und Proculus waren, wie gesagt, Nachbarn. Ihre fundi lagen nebeneinander, der fundus Numidianus des Primus, sagen wir: westlich vom fundus Stlasanicianus des Proculus, so daß dessen Westgrenze die Ostgrenze des fundus Numidianus war. Der Verlauf dieser gemeinsamen Grenze war streitig. Primus war der Meinung, sie verliefe weiter östlich, Proculus, sie verliefe weiter westlich. Umstritten war damit ein Streifen Land, den Primus als Teil seines fundus Numidianus ansah, Proculus dagegen als Teil seines fundus Stlasanicianus.
fundus Numidianus Eigentümer: Primus
Dieses Stück Land ist umstritten.
fundus Stlasanicianus Eigentümer: Proculus
Westen
Osten
Das Schiedsgericht, auf das sie sich verständigten, gab Proculus Recht: die Grenze verlief da, wo er sie immer gesehen hatte. Der umstrittene Streifen Land, den Primus als Teil seines fundus Numidianus und damit als sein Eigentum angesehen und beansprucht hatte, gehörte nach dem Schiedsspruch des Ti. Crassius Firmus zum fundus Stlasanicianus und war immer Eigentum des Proculus gewesen. Nimmt man an, daß Primus auf eben dem umstrittenen Streifen Land, der für ihn ein Teil seines fundus war, der in Wahrheit aber zum fundus Stlasanicianus gehörte, die 330 pali geschlagen hat, dann hatte, nach den Regeln des Fruchterwerbs, er das Eigentum an den Pfählen erworben. Voraussetzung dieses Erwerbs allerdings war, daß er den umstrittenen Streifen Land guten Glaubens besaß, näm-
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lich auch annehmen durfte, daß dieses Stück Land zu seinem fundus Numidianus gehörte25. War Primus, als er die pali schlug, nicht in diesem guten Glauben, dann fielen sie mit der Trennung von der ,Muttersache‘, das war: als sie geschlagen wurden, ohne weiteres in das Eigentum des Proculus. Im einen wie im anderen Fall mußte Primus die Pfähle Proculus herausgeben: entweden weil sie Proculus gehörten oder weil sie zwar Primus gehörten, Proculus aber gebührten. Wie wir sahen26, muß der arbiter entschieden haben, daß die Pfähle Proculus gehörten. So ist anzunehmen, daß Primus nicht nur nicht Eigentümer, sondern auch nicht ,gutgläubiger Besitzer‘ des umstrittenen Stück Landes war. Das wäre etwa der Fall gewesen, wenn er beim Erwerb des fundus die zutreffende Grenzbeschreibung mißverstanden hätte. 5. In ihrem Schiedsvertrag haben Primus und Proculus wechselseitig die übliche Vertragsstrafe stipuliert für den Fall, daß der eine oder der andere seinen Verpflichtungen aus dem Vertrag nicht nachkommen sollte27. In TH 76 lautet die Klausel28: 1 2 3 4 5 6 7 11 12 13 14 15
de ea controversia ita stipulati sunt itaque pacti: Quod Ti. Crassius Firmus arbi ter ex compromisso inter L. Comini um Primum heredemve eius et L. Appu leium Proculum heredemve eius ............ sententiam prove sententiam dicat ............ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . si quid adversus ea factum erit sive quid ita factum non erit HS M probos recte dari dolumque malum huic rei arbiterio que abesse afuturumque esse
Zu den Verpflichtungen der Streitparteien gehörte die Erfüllung des Schiedsspruchs29. In unserem Fall war Primus ex sententia verpflichtet, die 330 Pfähle an Proculus herauszugeben. Zum Beweis, daß dies geschehen war, arrangierten Primus und Proculus den Dialog vor Zeugen und seine Beurkundung durch diese Zeugen30 – unter ihnen der arbiter Ti. Crassius Firmus neben anderen Vertretern der 25 D 41. 1. 48 pr. Paul 7 ad Plaut; D 7. 4. 13 Paul 3 ad Sab i. f.; D 22. 1. 25. 1 Iul 7 dig. – Talamanca (A. 19) 386, 445 f., 489; Guarino (A. 19) Nr. 58. 3. 1 p. 646; nach Kaser (A. 19) 427 A. 21 vermutlich nur der gutgläubige Besitzer ex iusta causa; nach E. Rabel, Grundzüge des römischen Privatrechts 2 (Darmstadt 1955) 73 „seit der Kaiserzeit, Sabinus noch unbekannt“: D 47. 2. 48. 5 Ulp 42 ad Sab handelt indessen vom partus ancillae. 26 Oben 3. c. 27 Vgl. Ziegler (A. 6) 63 ff., 90 ff. 28 Vgl. auch TH 82. 4. 5 – 8: PdP 10 (1955) 459. 29 Siehe etwa D 4. 8. 23 pr., 1; eod. 27. 3; eod. 32. 13, 16; eod. 37; eod. 42; eod. 44; eod. 52. 30 Camodeca (A. 1) 144.
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lokalen Oberschicht31. Wenn die Pfähle nach wie vor bei dem Depositar Nonius Primigenius lagerten, war Proculus’ Empfangserklärung für Primus von besonderem Interesse: sie sicherte ihn auch in diesem Fall gegen die Forderung der Vertragsstrafe32.
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Sie werden von Camodeca (A. 1) 144 ff. im einzelnen besprochen. Siehe auch Crook (A. 1) 81.
Nachweis der Erstveröffentlichungen Der Seefrachtvertrag des Menelaos. Freiburger Universitätsblätter 65 (Oktober 1979) 23 – 26. Die Kondiktionen des C. Sulpicius Cinnamus. Studia et Documenta Historiae et Iuris 45 (1979) 142 – 177. Graeca Leguntur. Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphil 45 245 – 253. Der neue pompejanische Urkundenfund. Beilage zum Jahresbericht 1982 der Gerda Henkel Stiftung (1983) 43 – 48. Die Streitbeilegung zwischen L. Faenius Eumenes und C. Sulpicius Faustus. Studi in onore di Cesare Sanfilippo VI (1985) 769 – 788. Das sogenannte Ladungsvadimonium. Satura Roberto Feenstra . . . oblata (1985) 59 – 69. Haftungsübernahme durch Auftrag? Eine Urkunde aus dem Jahre 48 n. Chr. D. Nörr / S. Nishimura (Eds.), Mandatum und Verwandtes (1993) 69 – 91. Der neue pompejanische Urkundenfund. Zu Camodecas ,Edizione critica dell’archivio puteolano dei Sulpicii‘. Zeitschr. der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 118 (2001) 73 – 132. Die ,ÍáõëùôéκÞ‘ des Menelaos – Seedarlehen oder Seefrachtvertrag? Studi in onore di Mario Talamanca VIII (2002) 421 – 463. Die tabellae der Titinia Antracis und die Bürgschaft des Epichares. IURA 49 (1998. Pubbl. 2002) 25 – 39. Eine Eidesdelation und eine Eidesleistung. Festschrift für Rolf Knütel (2010) 1459 – 1468.
Anhang Eine Empfangserklärung aus Herculaneum. Studi in onore di Antonio Metro VI (2010) 491 – 501. Die Abbildungen sind Reproduktionen von Photographien der „Soprintendenza alle Antichità delle Province di Napoli e Caserta“ in Neapel.
TPN 2.5 (Photo 13622)
TPN 68.2 und 3 (Photo 14713 und 14712)
TPN 86.4 (Photo 13553)