Aufsätze zur Methodik: Hrsg. v. Ulrich Weiß 9783787307180, 9783787332137, 3787307184

Die Aufsätze dieses Buches behandeln einen selbstreflexiven Aufriss der Methodik, die lebensweltlichen Voraussetzungen m

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Aufsätze zur Methodik: Hrsg. v. Ulrich Weiß
 9783787307180, 9783787332137, 3787307184

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HUGO DINGLER

Aufsätze zur Methodik Herausgegeben von

ULRICH WEISS

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG



INHALT

Einleitung. Von Ulrich Weiß .............................................. VII 1. Zu Werkkontext, Rezeption und Textauswahl ... ... ... . VII 2. Kritik der Erkenntnistheorie ... ...................................... XII 3. Methodik als pragmatische Ordnung ............................ XVII 4. Das Apriori des Willenshandelns und das Unberiihrte .„ XXIV 5. Reichweite und Grenzen operativer Wissenschaft „„„„ XXXIII

HUGO DINGLER Aufsätze zur Methodik Methodik statt Erkenntnistheorie und Wissenschaftslehre ... „ .••.......•... „ •..•. „ „ ..••..••••• „ ..••••...•. „ „ ....•..•.•.••...••..•.. Das Unberiihrte. Die Definition des unmittelbar Gegebenen ............ „ „ ...... „ ....• „ .•....•..•••.•.••. „.„ .•.....•• „ •• „....

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Über die letzte Wurzel der exakten Naturwissenschaften ......... „ ........ „ „ .•. „ ... „ „ ..... „ ...•••..•••..•• „.„ ....•.• „ ... „. 85 I. Vorbemerkungen „ ... „ •••••••..•. „ .• „ „ .... „ „ „ .•..•••.•••• „......... 85 II. Der Plan „ ..• „ ••.• „ „ „ .. „.„.„„ .. „ „ „ „ •• „ „ „ .•.• „„.„„ ••..• „„... 91 III. Ausführung .... „„.„ .•••. „ „ .... „ ••..••••..••.••••. „ .•..•.• „ ...• „ ••••. „ 101 IV. Zusammenfassung und Folgerungen „ ......... „.„.„.„ .•• „.. 110 Das Seelenproblem in methodischer Behandlung .. „

.....• „.„

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Bibliographie ......................................................................... 155 Namensregister ....................................... „ .. „ „ ••• „ „ •.• „ „ „ •• „„. 166 Sachregister ............................................................................ 168

EINLEITUNG

1. Zu werkkontext, Rezeption und Textauswahl

Hugo Dingler wurde 1881 geboren und studierte Physik, Mathematik (u.a. bei Felix Klein) und Philosophie (u.a. bei Husserl). Seit 1907 entfaltet er eine rege Publikationstätigkeit, die bis zu seinem Tod im Jahre 1954 den reichen Ertrag eines systematisch entwickelten Lebenswerkes erbringt. 1 Schon früh begreift Dingler die Grundlagenkrise in Logik, Mathematik und Physik als prägende Herausforderung. Ihr wird mit der Entwicklung einer operativen Wissenschaftslehre begegnet, die - in origineller Abhebung gegen den Logischen Empirismus des Wiener Kreises und den Kritischen Rationalismus Poppers - die Naturwissenschaft aus einer Folge operativer Akte, welche in einem unhintergehbaren Handlungswillen gründet, rekonstruktiv aufzubauen sucht. Dabei überschreitet das Fragen nach Aufbau, Grundlagen und Geltung speziell naturwissenschaftlicher Theorien notwendigerweise den eingeschränkten Bereich der Wissenschaftstheorie, um deren Fundamente in der Philosophie tiefer zu legen. Beides, die Reflexion auf Grundlagen und Methoden der Naturwissenschaften einerseits und die Legung eines »verbindlichen« 2, die Grundlagen sichernden philosophischen Fundaments andererseits, geht ein ins umfassende Vorhaben der »reinen Synthese«, des »eindeutigmethodischen Systems« bzw. kurz »des Systems« der »Fundamen-

Eine komplette Erfassung der Publikationen findet sich in den Bibliographien von Wolters/Schroeder und Schroeder-Heister. 2 Vgl. Dinglers Abgrenzung der »Verbindlichkeit« seines eigenen Denkens, welche »letzte theoretische Entscheidungsmöglichkeit« anstrebt, gegenüber einem nur »Unverbindlichen« Philosophieren: S. 44*. *Seitenangaben ohne Titelhinweis beziehen sich auf die Texte des vorliegenden Bandes. Andere Dingler.:fitel sowie Literatur werden in Kurzform zitiert; sie können in der Bibliographie genau identifiziert werden. 1

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talwissenschaft«. Es wird 1926 in Dinglers wohl publikumswirksamstem Buch »Der Zusammenbruch der Wissenschaft und der Primat der Philosophie« in kritischer Auseinandersetzung mit der realistischen und empiristischen Erkenntnistheorie sowie mit den neuesten Strömungen in Logik, Mathematik und Physik vorgestellt und findet einen programmatischen Aufriß im »System«-Buch von 1930. Dort wird das System als »Systemmethode« 3 präzisiert und in einen umfassenden Begründungszusammenhang gestellt: Es handelt sich nicht um einen weiteren, der Faktizität der Wissenschaften reflexiv folgenden philosophischen -ismus, sondern um einen radikalen, von einem letzten Grund aus erfolgenden konstruktiven Aufbau der exakten Naturwissenschaften und der philosophischen Fundamente in ihrem Zusammenhang. Dem zentralen Stellenwert der Methode entsprechend, legt sich das System auch als »Methodik« bzw. »Methodische Philosophie« aus. Gegen Ende der Dreißigerjahre liegt das System in einer differenzierten Vielfalt konkret ausgearbeiteter Schichten vor. Das philosophische Fundament wurde bereits in der »Metaphysik« von 1929 umfassend dargestellt. Die methodische Begründung der Geometrie ist mit den »Grundlagen der Geometrie« von 1933 zu einem gewissen Abschluß gelangt, ebenso die systemmethodische Behandlung einer »Philosophie der Logik und Arithmetik« (1931). Die operative Grundlegung der Physik, bereits um 1920 in einer Reihe von Titeln erprobt und im »Experiment« (1928) fortgeführt, ist mit der »Methode der Physik« von 1938 entscheidend vorangetrieben. Neben der Fortführung dieser Denkwege, bringen die Vierzigerjahre bis zum Tod Dinglers 1954 dann eine Reihe von Gesamtdarstellungen der methodischen Philosophie. »Das Ich und die Welt« (1940), der »Grundriß der methodischen Philosophie« (1949), »Die Ergreifung des Wirklichen« (1955) suchen eine Summe zu ziehen und die Resultate reflexiv zu beleuchten. Methodisch-systematisch betrachtet, differenziert sich das System in drei Schichten bzw. Komplexe: (1) Eine philosophische Fundament· legung will eine sogenannte »Vollbegründung« des Systems leisten, die auf maximalistische Weise nicht nur eine Absolut- und Letzt' Dingler, System, S. 59.

Einleitung

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begründung, sondern zudem der einziggültige Begründungsweg zu sein beansprucht. Für diese Schicht, die neben der Theorie einer volitiven Gründungsinstanz (»Voluntarismus«, »Dezernismus«) die Lehre von der Methodik enthält, verwendet Dingler selber die Kennzeichnung als »Metaphysik« 4 • Da dieser Ausdruck bei Dingler jedoch nicht nur affirmativ, sondern mit Blick auf unmethodischspekulative Denkweisen auch entschieden ablehnend gebraucht wird, schlage ich vor, von einer »Protophilosophie« zu sprechen. Dieser neue Terminus greift den von Dingler positiv gewürdigten aristotelischen Fundierungsversuch der Metaphysik als einer prote philosophia auf und hat überdies den Vorteil darzutun, daß es weniger um die Meta-Ebene einer Begründung im Nachhinein geht, sondern um ein »Proto«, welches einen Anfang setzt, von dem aus der systematische Aufbau erfolgt. (2) Die Wissenschaftslehre umfaßt die operativ-methodische Erzeugung der Axiome und Grundbegriffe von Logik, Mathematik und Physik. Weitere Disziplinen wie Biologie, Evolutionstheorie, Psychologie und Geschichte werden zumindest partiell behandelt. Für sie alle gilt das Kriterium der Vollbegründung als Forderung nach einem schrittweisen, lückenlosen und zirkelfreien Aufbau ebenso wie für die dritte Schicht, (3) den konstruktiven Neuaufbau der Wissenschaften am Leitfaden der neu gewonnenen operativen Prinzipien. Das System der Wissenschaften wird auf diese Weise wie ein Kristall auf- und ausgebaut, an dessen methodische Ordnung immer neue und weitere Gebiete »angeschlossen« werden 5. Im Gegensatz zu vergleichbaren Autoren wie Carnap, Reichenbach oder Popper, blieb Dinglers Werk eine breitere Wirksamkeit in der scientific community versagt. Aus dem kleinen Kreis von Schülern und im methodischen Geiste Verbündeten (Wilhelm Krampf, Bruno Thüring, Eduard May) stammen die ersten Versuche, die Bedeutung von Dinglers Werk auszuloten. Nach wie vor gibt es nur sehr wenige Veröffentlichungen, welche sich an eine GeVgl. den Buchtitel von 1929: »Metaphysik als Wissenschaft vom Letzten«. 'Die Kristall-Metapher wird im »System« von 1930 verwendet (vgl. dort S. 17, 118). +

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samtwürdigung in der Spanne zwischen Protophilosophie und Systemaufbau wagen 6• Der frühe Carnap sowie Hans Reichenbach fanden zeitweise Berührungsflächen mit Dingler in kontroversen Sachfragen, während sich Poppers Kennzeichnung von Dinglers Position als »Konventionalismus« nur begrenzt zum Verständnis eignet7. Schon früh setzten sich einige Dissertationen mit dem wachsenden Werk Dinglers auseinander, wobei zum Teil jedoch, der Arbeitsökonomie entsprechend, sehr einseitige Maßstäbe angelegt bzw. nur sehr schmale Themenregionen begangen wurden 8 • Ihr festgelegter, selektiver Zugriff kennzeichnet auch eine Anzahl neuerer Rezeptionsversuche, die aus der Perspektive einer bestimmten Schule erfolgen. In diesem Zusammenhang sind besonders hervorzuheben die deutschen Konstruktivisten. Ausgehend von Paul Lorenzen, haben sie Dinglers Methode der schrittweisen, lückenlosen und zirkelfreien operativen Begründung in ihre konstruktive Wissenschaftstheorie übernommen; neben dem Verzicht auf den Dinglerschen Maximalanspruch auf Einzigbegründung wird aber insbesondere die protophilosophische Dimension des Dinglerschen Systems abgeschnitten, da deren um den Willen als Handlungskern kreisendes Denken als trivial und/oder überflüssig betrachtet wird9 . Zu nennen wären hier insbesondere die Arbeiten von Krampf, Willer und Jansen. 7 Bei K. R. Popper vgl. ders., Logik der Forschung, 7. Aufl. Tübingen 1982, S. 47ff. (=Abschn. 19), und auch ders., Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie, hrsg. von T. E. Hansen, Tübingen 1979, S. 215, 358, 375, 394. - Zu Hans Reichenbach siehe die Bibliographie, aber auch bspw. ders., Der gegenwärtige Stand der Relativitätsdiskussion. Eine kritische Untersuchung, in: Logos 10 (1921) S. 338ff. (jetzt in: ders., Gesammelte Werke, Hrsg. Andreas Kamlah und Maria Reichenbach, Bd. 3: Die philosophische Bedeutung der Relativitätstheorie, Braunschweig Wiesbaden 1979, S. 364ff.). - Zu Rudolf Carnap siehe insbesondere die informativen Aufsätze von Gereon Walters. 8 Dafür bietet bereits die Dissertation von Scheele aus der Perspektive des strukturtypologischen Ansatzes von E. R. Jaensch ein erstes Beispiel. 9 Ein sinnfälliges Beispiel für diese Abgrenzungsstrategie liefert die Edition von Dinglers letztem Werk »Die Ergreifung des Wirklichen« durch Kuno Lorenz und Jürgen Mittelstraß. Diese begnügten sich nicht mit einer Kritik an Dinglers Protophilosophie in der Einleitung; sie strichen in der Her6

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Bei aller Vielfalt der Perspektiven wird man die Gesamtlage der Rezeption doch mit der Behauptung resümieren können, daß eine eingehende und breitere systematische Beschäftigung mit Dinglers Gesamtwerk noch aussteht. Die Gründe liegen teils auf der Hand, teils sind sie Gegenstand von Mutmaßung. Betrachtet man das Werk Dinglers aus der Perspektive der zünftigen Philosophie, so mochte seine (freilich nur scheinbare!) Nähe zu den weltanschaulichen Systemen, sein rigoroser, auf Einzigkeit drängender Begründungsanspruch, aber auch manche Unbeholfenheit des Ausdrucks, die sich gerade einem sprachanalytisch geschulten Ohr aufdrängt, die Weigerung gefördert haben, zur Kenntnis zu nehmen und sich intensiv auseinanderzusetzen. Für die Wissenschaftstheoretiker und Natur· wissenschafiler war es wohl die metaphysische Werkdimension einerseits und die ablehnenden Konsequenzen bezüglich Relativitätsund Quantentheorie andererseits, welche der Rezeption hinderlich waren. Schließlich dürften auch soziohistorische Faktoren eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben: das institutionelle Unverständnis sich gegeneinander abgrenzender Disziplinen gegenüber dem übergreifenden Ansatz des Systems; die Abwanderung eines Großteils der Wissenschaftstheoretiker aus dem Raum der deutschen Universität, bedingt durch die nationalsozialistische Herrschaft; der Umstand, daß Dingler selber keine akademische Wirksamkeit vergönnt war - er wurde nach nur zweijähriger Tätigkeit auf einem Lehrstuhl in Darmstadt (1932-1934) zwangspensioniert; schließlich die noch aufklärungsbedürftigen dubiosen Anpassungsversuche Dinglers an Realität und Ideologie des »Dritten Reichs«. ausgabe auch den ganzen 5. Teil des Buches, betitelt »Metaphysik« und fünf Kapitel umfassend. Es sei freilich betont, daß von konstruktivistischer Seite durchaus substanzielle Auseinandersetzungen mit Dingler stattfinden. Neben der Einleitung von Lorenz und Mittelstraß sei insbesondere hingewiesen auf die kritische Diskussion durch Peter Janich und Holm Tetens. Eine Antwort auf die Frage, inwieweit Dinglers Protophilosophie des Willens bei Beibehaltung eines methodischen Aufbaus fallengelassen werden könne und inwieweit der konstruktivistische, auf ein Diskursmodell orientierte Ansatz eine tragfähige Alternative darstellt, wird erst in einer noch zu führenden Diskussion gegeben werden können.

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Ulrich Weiß

Die vorliegende Auswahl von Aufsätzen weiß sich bewußt der Aufgabe verpflichtet, eine intensivere Diskussion dieses sicherlich unbequemen, aber auch originellen und zu Unrecht vernachlässigten Autors in Gang zu bringen. Die vier Arbeiten sind repräsentativ für das methodische Denken. Sie spiegeln eine systematisch fortgeschrittene Bewußtseinslage Dinglers. Der »Methodik«-Aufsatz aus dem Jahre 1936, einer der wichtigsten, wenn nicht der substanziellste Aufsatz Dinglers überhaupt, bietet einen umgreifenden Umriß der Methodik und reflektiert deren Möglichkeiten und Grenzen. Die drei anderen Arbeiten applizieren und konkretisieren den methodisch-operativen Ansatz dann auf unterschiedlichen Gebieten. Stellt der Aufsatz über das »Unberührte« von 1942 eine protophilosophische Reflexion an, so gibt der Aufsatz »Über die letzte Wurzel der exakten Naturwissenschaften« (ebenfalls 1942) einen instruktiven Aufriß über Prinzipien und Anlage des eindeutigmethodischen Systems. Erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird die Arbeit »Über das Seelenproblem in methodischer Behandlung«. Dingler schenkte das Manuskript seinem früheren Assistenten Wilhelm Krampf in den Vierzigerjahren. Die Abfassung ist zwar nicht genau datierbar, doch erfolgte sie - wie aus Querverweisen zu erschließen - mit Sicherheit nach 1942.

2. Kritik der Erkenntnistheorie

Der protophilosophisch zentrale Begriff der Methodik verweist sprachlich auf methodos, den Weg, und eine damit verbundene philosophiegeschicht!iche Tradition. Wissen aus dem Erkenntnisweg abzuleiten, scheint nicht neu, wird damit doch ein geradezu klassischer Zusammenhang bezeichnet. War bei Platon und Aristoteles der Weg des Erkennens jedoch eingebunden in eine umfassende Topographie der Seinsordnung - was und wie der Mensch wissen kann, ist ontologisch vorgeprägt und kann im Gehen des Weges nur partizipativ aufgenommen werden-, so entsagt die Methodik der klassischen Überzeugung vom Vorrang der Ontologie vor aller Methodologie. Die Verbindlichkeit der Methodik - die sich im Gegensatz zu beliebig kreier- und anwendbaren »heuristischen« Ver-

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fahrensweisen als »universell« versteht (S. 46) - besteht gerade in ihrer Unabhängigkeit von ontologischen, sich der Begriindung entziehenden Letztinstanzen. Das »Ontologische« vom »Methodischen« scharf zu trennen, bezeichnet ein Grundmuster des Dinglerschen Denkens. Ihm kommt der Paradigmenwechsel im Methodendenken der Neuzeit schon wesentlich näher, wo - die Selbstsetzung des methodisch verfahrenden Subjekts ausgenommen - der klassische Primat der Ontologie zuriickgenommen und Methode zum Drehund Angelpunkt systematischer Fundierung erhoben wird. Von Bacons »Novum Organum« über Descartes' »Discours de la Methode« bis zu Hobbes' methodischer computatio sind die Griindungsschriften der modernen theoretischen Philosophie Traktate über die Methode. Neu an dieser - mit Kant so zu charakterisierenden - »Revolution der Denkungsart« ist der zentrale Stellenwert der Methode, welche aus ihrer Tätigkeit Welt als ihren Gegenstandsbereich konstituiert. »Methodik statt Erkenntnistheorie oder Wissenschaftslehre«: Mit diesem Titel wird einerseits ein konstruktiver Kanon »eindeutiger, ein für allemal festlegbarer ... objektiver Regeln« bezeichnet, der »überall und immer anwendbar« und »allgemeingültig« zu sein beansprucht (S. 15). Mit der methodisch gewonnenen Erkenntnis, welche dank der intersubjektiven Anwendbarkeit der Methodenregeln »beliebig reproduzierbar« und »in ihrer Geltung überzeitlich, zeitund ortlos« ist (S. 12), wird andererseits das neuzeitliche Konstitutionsprojekt schlechthin, die Erkenntnistheorie, zum Gegenstand kritischer Zuriickweisung und Überbietung. Um es genauer zu sagen: Dingler übernimmt die neuzeitliche Problemstellung, wie begriindetes und gesichertes Wissen zu gewinnen sei - und kann insofern in der großen Tendenz der modernen Erkenntnistheorie und ihrer zentralen Relation von Subjekt und Objekt gesehen werden -, um sie andererseits zu überbieten und auf eine radikal neue Lösung hin zu pointieren, indem Methode noch radikaler begriffen und das Fundament noch tiefer gelegt wird. Die Überbietung durch Tieferlegung wie Kritik gleichermaßen bewegt sich dabei immer noch innerhalb der Grundstruktur neuzeitlicher Rationalität, die beides anstrebt: die Gewinnung eines letztverbindlichen Grundes wie auch die Steigerung der eigenen Position durch permanen-

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te Kritik - letztere verstanden als das sichernde Eingrenzen der eigenen Position, verbunden mit der Ausgrenzung von aus der neuen Perspektive als ungenügend erkannten anderen Positionen. In der Doppelgestalt dieser Strategie verfährt Dingler durchaus analog zu den großen Methodendenkern der Neuzeit. Wie diese ihrer konstruktiven Lösung eine destruktive Kritik an den bisherigen erkenntnistheoretischen Problemlösungen vorausschickten, so kritisiert Dingler die erkenntnistheoretischen Grundmodelle, um dann seine eigene Methodik als Alternative dagegen zu setzen. Wenden wir uns der Kritik mit Bezug auf die unterschiedlichen Auslegungen der erkenntnistheoretischen Subjekt-Objekt-Relation zu. Der klassische Empirismus (Locke) leitet Wissen aus verallgemeinerter Erfahrung her, die auf Sinneswahrnehmung als Letztinstanz rekurriert. Dieses Modell, welchem wegen seiner Wirksamkeit im Selbstverständnis der Wissenschaftler Dinglers zentrale Aufmerksamkeit gilt, unterliegt einer doppelten Kritik. Zum einen argumentiert der Sensualismus mit einem circulus vitiosus, indem er durch die theoretische Erklärung und Bearbeitung der fundamentalen Subjekt-Objekt-Relation mittels Sinnesphysiologie, Wahrnehmungspsychologie etc. das eigene erkenntnistheoretische Fundament mit theoretischen Mitteln behandelt, die erst auf Grund dieses Fundaments gerechtfertigt werden können. Zum andern ist der Empirismus methodisch nicht radikal genug, indem er mit der Erfaßbarkeit der Wirklichkeit mittels Sinneswahrnehmung eine Prämisse benutzen muß, die ebenso unumgänglich wie mit dem empirischen Prinzip unbegründbar ist. Der sich meist antimetaphysisch gebärdende Empirismus muß stillschweigend unbegründete, d.h. dogmatische Annahmen ontologischer Art machen - »eine metaphysische Hypostase, die sich an Volumen mit jeder beliebigen getrost messen kann, die im Bereiche menschlicher Phantasien jemals aufgetreten ist.« (S. 3). Der klassische Rationalismus (Descartes) leitet Wissen deduktionslogisch aus allgemeinen Prinzipien ab, welche durch vernünftige Intuition evident sind. Im »Methodik«-Aufsatz wird dieses Modell nicht so breit behandelt. Der Terminus »Rationalismus« wird dort reserviert für illegitime Ontologisierungen rationaler Denkmuster bzw. für die Überzeugung von der völligen rationalen Erfaßbar-

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keit der Wirklichkeit (vgl. S. 46, 58). Die Argumentationsstrategie ähnelt derjenigen der Empirismus-Kritik und wird durch die andernorts vorgetragene Kritik an der Evidenzlehre 10 vervollständigt. Will man die »logisch-deduktive Herkunft« (S. 12), d.h. die Begründung von Sätzen durch ihre Ableitung aus ihrerseits begründeten Sätzen, nicht in einen unendlichen Regreß fallen lassen, so gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder wird ein willkürlicher Abbruch des Begründungsverfahrens postuliert (was zwar Dinglers Intention entspräche, jedoch nicht dem Anspruch des klassischen Rationalismus), oder ein als evident Behauptetes muß aus sich selber begründet werden. Letzteres impliziert eine dogmatische, unbegründete Überzeugung von der Übereinstimmung zwischen menschlicher Ratio und sich zeigendem Seienden. Schließlich ist das Prinzip der Evidenz selber, ähnlich demjenigen der Erfahrung, aus sich selber heraus nicht zu rechtfertigen. Die Synthese von Empirismus und Rationalismus, Kants trans· zendentale Erkenntnistheorie, wird für Dingler in einem besonderen Maße bedeutsam. Die herausgehobene Stellung Kants resultiert aus dem Umstand, daß sein transzendentaler Ansatz das neuzeitliche Methodendenken in einer diskursiv besonders fortgeschrittenen Weise auf den Begriff bringt. Zentral bedeutsam ist das Apriori, welches für Dingler paradigmatische Bedeutung gewinnt. Zwar verfällt dieses, soweit die reine Anschauung gemeint ist - Dingler spricht vom »ersten« Apriori- der Evidenzkritik: Kant »besaß kein Sicherheitskriterium, das fähig gewesen wäre, seine Behauptung von der reinen Anschauung selbst wieder zu sichern.« (S. 4). Die entscheidende Leistung Kants ist aber sein Vorschlag für »ein fundamental anderes und neues Begründungsverfahren« (S. 4) durch sein »zweites« Apriori. Gemeint ist die »Kopernikanische Wendung«, welche Erkenntnis auf die Bedingungen ihrer Möglichkeit zurückführt und diese in der Tätigkeit des Erkenntnissubjekts festmacht. Freilich bleibt Kants Unternehmen aus methodischer Perspektive als noch ungenügend realisiert zu kritisieren. Das »Problem der »Anwendung««, d.h. der begründeten Herleitung wissenschaftlichen

'°Siehe vor allem: Dingler, Zusammenbruch, 1. und 2. Aufl., S. 37-49.

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Wissens aus dem aktiv-subjekthaften Fundament, ist noch nicht gelöst (S. 5) - ein Mangel, dessen Beseitigung gerade der Anspruch der reinen Synthese Dinglers ist. Das Verfahrensparadigma, der Drehund Angelpunkt ist aber bei Kant festzumachen: Erkenntnis als Erzeugung aus subjektivem Tun. Methodische Begründung ist keine historisch-psychologische, welche Begründung mit Genese verwechselte (S. 12). Gewiß lassen sich Verstehensdefizite aufrechnen, welche aus der Schwerpunktlegung auf die systematische Retrospektive (und nicht auf die philosophiegeschichtliche Interpretation) resultieren 11 • Doch entspricht die methodische Kritik der neuzeitlichen Erkenntnistheorie nicht nur der systematischen Struktur ihres Gegenstandes. Sie führt auch zu klaren systematischen Resultaten, die sich wie folgt zusammenfassen lassen: Erstens muß die empiristische wie rationalistische Begründungsstrategie auf unbegründete Vorannahmen metaphysisch-ontologischer Art zurückgreifen. Zweitens muß die konsequente Thematisierung auch dieser Annahmen und damit der »letzten« Gründe zu einem infiniten Regreß des Fragens und Unterschiebens von Gründen führen. Die vermeintliche Vermeidung des infiniten Regresses führt hingegen drittens in den Begründungs-Zirkel (traditionell skeptisch ausgedrückt: in die Diallele), daß man am Anfang des Begründungsganges unterstellen muß, was erst später zu begrün-

So findet man natürlich schnell die Lücken in Dinglers geschichtlichen Aufrissen, wie bspw. in seiner »Geschichte der Naturphilosophie«. Auch tauchen Simplifizierungen und Schematisierungen auf. Um ein Beispiel zu geben: Die schon vorher vorhandenen Ansätze zur Überwindung der Dichotomie von Empirismus und Rationalismus werden zugunsten der Darstellung Kants als des großen Synthetisierers zu wenig gesehen; so bemerkt Dingler etwa gar nicht, daß Hobbes in diesem Zusammenhang ein gerade für die methodisch-operative Perspektive hochinteressanter Autor wäre. (Vgl. dazu meine beiden Arbeiten: Ulrich Weiß, Das philosophische System von Thomas Hobbes, Stuttgart-Bad Cannstatt 1980; Wissenschaft als menschliches Handeln. Zu Thomas Hobbes' anthropologischer Fundierung von Wissenschaft, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 37 (1983) S. 37-55. - Auch die unten von mir kritisierte Deutung des klassischen Theorieverständnisses als eines rein passiv-kontemplativen könnte man in diesem Zusammenhang anführen. 11

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den wäre (ein klassisches Hysteron-Proteron). Die Begründung von Erkenntnis scheitert hier an dem Problem, das sich mit Anlehnung an Hegel so formulieren läßt: »Wie kann eine Theorie vorhandener Erkenntnis gegeben werden, ohne selbst schon Erkenntnisse dabei zu benutzen, also vorauszusetzen«? (S. 1). Diese drei Punkte fassen die Kritik an Empirismus und Rationalismus zusammen. Was Kant betrifft, so tritt viertens ein Kritikpunkt in den Vordergrund, der aber auch etwa gegen die cartesische Begründung vorgebracht wird: die mangelnde Anwendung der methodischen Prinzipien, d.h. die Unterlassung, die inhaltlichen Prinzipien konstruktiv in den Aufbau eines Systems des Wissens überzuführen.

3. Methodik als pragmatische Ordnung Zieht sich mit dem Vorrang methodischen Denkens eine Linie von der neuzeitlichen Erkenntnistheorie zur Methodik, und bahnt Kants »Kopernikanische Wendung« zur Erkenntnis als aktiver Erzeugung in besonderem Maße den Weg, so gilt es nun den positiven Bedeutungsgehalt des Mottos »Methodik statt Erkenntnistheorie« zu bestimmen. Wenn aus der Perspektive der Methodik Kants »zweites« Apriori nur zur Hälfte als Paradigma zu würdigen ist, wenn die Methodik bei Kant nur eine „ferne anklingende Möglichkeit« scheint (S. 6), so liegt dies an einer unterschiedlichen Auslegung des Apriori. Wird dieses bei Kant, zentriert in der Tätigkeit der Vernunft in der Synthesis der transzendentalen Apperzeption, als sich selbst reflektierende Rationalität begriffen - hierin der Doppeldeutigkeit von ratio als Vernunft und Grund gleichermaßen verpflichtet -, so bildet die Aktivität der ratio in der Methodik lediglich den Spezialfall einer umfassenderen Erzeugung pragmatischer Art. Das rationale Apriori wird zum »Herstellungsapriori« (S. 28); Kants kopernikanische Wende wird transformiert in eine pragmatische Wende: Methodik ist im Kern Pragmatik - darin konstelliert sich Dinglers neue Antwort auf die Frage nach dem letzten Grund. Die als Methodik reformulierte Methode ist ein Weg zur Begründung von Erkenntnis derart, »daß die gesuchte Erkenntnis durch Handeln und im Handeln überhaupt erst zustande kommt. Das ist der

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neue weg, den die Methodik, wie wir sie kurz nennen wollen, lehrt.« (S. 7) Der neue Weg bedingt ein neues Verständnis von »Erkenntnis« und »Theorie«. Ursprünglich angelegt auf eine betrachtende Partizipation des Erkennenden an dem, was ist und was sich dem sinnlichen und/oder geistigen Auge zeigt, erscheint die klassische theoria aus methodischer Perspektive als ein nur »kontemplativer« Weg. Ihn gilt es zu verlassen, um »sich einmal dem entgegengesetzten Wege zuzuwenden, wo der Mensch wirklich handelt, wirklich aktiv wird« (S 7). Die Deutung des kontemplativen Weges als rein passivistisch 12 greift sicherlich zu kurz, indem sie das Zusammenspiel von Passivität und Aktivität in der klassischen theoria 13 dichotomisch zerlegt und passivistisch vereinseitigt. Das Grundanliegen der Methodik ist aber auf markante Weise indiziert: Im Gegensatz zu einem sich ontologischen Vorgaben verdankenden Wissen geht es nicht mehr um eine »Theorie vorhandener Erkenntnis«, sondern um eine »Theorie der zu gewinnenden Erkenntnis«. Diese geht ihren Weg, »ohne Erkenntnis vorauszusetzen«, und ist in einem radikalen Sinne »nur noch eine Frage nach der Methode (dem »Weg zu ... «)«. »Der entscheidende Unterschied der beiden Auffassungen liegt also darin, daß bei der ersten »vorhandene Erkenntnis« behandelt und »begründet« werden soll, während bei der zweiten der Weg gesucht werden soll, etwas zu finden, was wir als »Erkenntnis« zu bezeichnen geneigt sind.« (S. 1f.) Sofern Theorie im klassischen Sinne sich immer auf ein evidentes Vorgegebenes bezieht, sucht der methodische Weg nicht mehr nach einer Erkenntnis-»Theorie«, sondern in der Methode selbst liegt seine Sicherheit und Gründungsleistung (S. 3). Die so radikal ansetzende Methodik geht nicht nur über die ontologische Eingebundenheit des klassischen Theorie- und Methodenverständnisses hinaus. Sie sucht auch das ihr näherstehende Methodenkonzept der Neuzeit zu transzendieren, indem sie auch noch dessen stark redu" Vgl. S. 7: der Mensch in der »passiven Zuschauerrolle•. '-' Nicht von ungefähr ist die klassische theoria nicht nur Schau, sondern als solche auch eine Form von praxis. Vgl. bspw. Aristoteles, Politik VIl,3 (1325b15ff.)

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XIX

zierte ontologische Prämissen - die Subjektivität des Subjekts und deren sinnlich-rationale Evidenzen - zugunsten einer reinen konstruktiven Tätigkeit, die zumindest hinsichtlich des wissenschaftlichen Wissens alles von Grund auf noch einmal neu machen möchte, zu vermeiden sucht. Die Sätze der Methodik sind dann - als sprachliche Formulierung konstruktiver Handlungen - nicht mehr als Aussagen über die Funktionsweise eines Erkenntnisapparates anzusehen, sondern verstehen sich ausschließlich als Handlungs- bzw. Herstellungsanweisungen, welche die zur aktiven Konstruktion geeigneten methodisch-pragmatischen Maßnahmen normativ festlegen. Erkenntnis wird dann hergestellt in der Realisierung der konstruktiven Norm - als »Versuch des aktiven, d.h. bewußten Nachbauens, d.h. Wiederholens dieses Aktes unter genauer Anwendung der Handlungsanweisungen der Methodik, d.h. durch das »Machen« selbst.« (S. 37). In methodisch radikalisierter Form reformuliert Dingler damit einen der wichtigsten Grundsätze des neuzeitlichen Denkens, der von Hobbes' Prinzip »ubi ergo generatio nulla, .... , ibi nulla philosophia intelligitur« über Kants Diktum, wonach »die Vernunft nur das einsieht, was sie selbst nach ihrem Entwurfe hervorbringt« bis hin zur kybernetischen Verfahrensweise, wonach der Mensch nur das versteht, was er macht, stets Wissen auf ein Machen, Erkennen auf ein Handeln und Erzeugen gründend bezieht 14 • Wenn die Methodik im Kern eine Pragmatik ist, stellt sich die Frage nach dem Verständnis von Handeln. Dinglers Begrifflichkeit bleibt hier fließend mit festen Kristallisationspunkten. Die Rede ist von »Handlung« bzw. »Handeln« über »Herstellen« bis zu »Tätigkeit« bzw. »Aktivität« und »Akten«, vom »Aktiven« über das »Pragmatische« bis zum »Operativen«. Gerade die letzten beiden

" Hobbes, De Corpore 1,8. - Kant, KrV Vorrede zur zweiten Auflage, B XIII. - Zur kybernetischen Verbindung von Wissen und Machen und ihren geistesgeschichtlichen Wurzeln vgl. Gotthard Günther, Das Bewußtsein der Maschinen. Eine Metaphysik der Kybernetik, Krefeld Baden-Baden 1963, S. 199ff. - Zum Prinzip der Machbarkeit als einem Grundzug des neuzeitlichen Denkens siehe Arno Baruzzi, Mensch und Maschine. Das Denken sub specie machinae, München 1973.

XX

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Begriffe legen Assoziierungen nahe, die indes der Abgrenzung und Differenzierung bedürfen. Im heutigen wissenschaftstheoretischen Diskurs ist der operative Ansatz meist nur bekannt im Hinblick auf den »Üperationalismus« von Percy W Bridgman. Demgegenüber ist Dinglers »Üperationismus« 15 nicht nur chronologisch wesentlich früher zu datieren 16 ; er ist auch methodisch ungleich reflektierter und fundierter durchgeführt und verfolgt überdies eine eindeutig antiempiristische Stoßrichtung 17 . Bei mancher Affinität in Handlungsbezug, antimetaphysischer Grundtendenz und dem gemeinsamen Blick nach vorn - weg von vorhandener und hin auf eine erst handelnd aufzubauende Erkenntnis - unterscheidet sich Dinglers methodische Philosophie auch vom Pragmatismus (Peirce, James, Dewey): Dinglers »pragmatische« Begründung von Wissen durch Handeln unterscheidet sich von der »pragmatistischen« (so Dinglers eigene Differenzierung) insofern, als letztere Handeln nicht in einen Systemkontext einbezieht und im Bezug von Wahrheit auf Nützlichkeit eher auf die Funktionalität von Wissen abzielt als auf dessen Begründung 18 • Erinnern wir uns an die Kritik der erkenntnistheoretischen Systematik. Begründungszirkel, Lücken und mangelhafte Durchführung des methodischen Aufbaus waren die Argumente. Daraus läßt sich auf den vorausgesetzten positiven Maßstab schließen: Methodik als schrittweiser, lückenloser und zirkelfreier Aufbau wissenschaftlichen Wissens. Dingler hat für diesen Aufbau - den er bereits im " Dingler prägt diese Bezeichnung erst spät und setzt damit seine Lehre in expliziten Gegensatz zum vorherrschenden Empirismus. Vgl. Dingler, Empirismus und Operationismus. "' Dinglers operative Begründungsversuche setzen spätestens 1907 ein, Bridgman veröffentlichte seine »Logic of Modern Physics« 1927. 17 Zur Abgrenzung von und Kritik an Bridgman vgl. insbesondere Dinglers »Einführung« zur deutschen Ausgabe der »Logic of Modern Physics«, in: Percy W. Bridgman, Die Logik der heutigen Physik, übers. und mit Anmerkungen versehen von Wilhelm Krampf, München 1932, S. VII-IX. Zur Würdigung Bridgmans siehe ferner den Aufsatz von Wilhelm Krampf (1935). Bridgman wollte nur eine operative Deutung eines im Grundsatz empiristischen Wissenschaftsverständnisses geben, während Dingler ein alternatives Begründungsmodell entwickelt. " Vgl. Dingler, System, S. 30 sowie vorliegende Textausgabe, S. 50.

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griechischen episteme-Ideal ansatzweise formuliert findet 19 - die Metapher der Leiter herangezogen: Wie man auf jener, ausgehend von einem festen Fundament, Sproße für Sproße höhersteigt, so wird methodische Erkenntnis schrittweise, lückenlos und zirkelfrei konstruiert. Zu fragen ist nach dem Regelsystem, welches ein klares und eindeutiges Ordnungskriterium für einen solchen methodischen Aufbau liefert. Man denkt naheliegenderweise etwa an die Deduktionslogik, welche den Stellenwert von Sätzen in einer Reihe auseinander abgeleiteter Sätze eindeutig festzulegen gestattet, oder an die mathematische Zahlentheorie und Mengenlehre, die Zahlenreihen gemäß ihrem Bildungsgesetz eindeutig in ihrer Abfolge bestimmt - ein Ordnungssystem, welches Dingler seit seiner Habilitation über ein Thema aus der Mengenlehre geläufig war. Ein von Dingler bevorzugtes mathematisches Modell sind die sogenannten »u-Reihen« (unbegrenzte Reihen), Folgen mit eindeutiger Begrenzung durch ein Anfangselement und eindeutiger Festlegung des jeweiligen Folgeglieds durch das vorangehende Glied20 . Solche Ordnungssysteme sind jedoch nur modellhafte Abbildungen. Sie können das in Frage stehende Kriterium nicht selbst erzeugen, da sie ihrerseits aus methodischer Perspektive der Begründung bedürfen. Das für den fundamentalen - d.h. weder logischen noch mathematischen, sondern pragmatischen - Begründungskontext zuständige Ordnungskriterium ist das sogenannte Prinzip der pragmatischen Ordnung. Es bestimmt den Kern der Methodik qua Pragmatik »in der richtigen Reihenfolge der auszuübenden Handlungen beim Aufbau des Wissens« (S. 73). Ausgegangen wird von »geordneten Handlungsreihen« (S. 19), die in Ausgangspunkt sowie Schrittfolge eindeutig festgelegt sind und sich als notwendige Ordnung des Handelns selber ergeben. Von der Sache her früher angelegt, wird das Prinzip der pragmatischen Ordnung als solches Vgl. Dingler, System, S. 31 f.; Zusammenbruch, 2. Aufl., S. 401 f. " Vgl. Dinglers Definition: •Es ist eine Herstellungsanweisung (H) gegeben, welche angibt, wie anfangend von einem gegebenen ersten Glied der Reihe zu jedem angeschriebenen Glied der Reihe das diesem nächstfolgende eindeutig hergestellt werden kann. Solche Reihen sollen u-Reihen heißen.« (Dingler, Philosophie der Logik und Arithmetik, S. 47). - Als Beispiel könnte man die Folge der natürlichen Zahlen nennen. 1''

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ab dem Jahre 1931 21 explizit formuliert. Da es in den vier ausgewählten Aufsätzen sowohl genannt wird, als auch deren Aufbau und Argumentationsweise entscheidend bestimmt, sei es ausführlicher zitiert: »Diese Handlungen sind nun vielfach so beschaffen, daß sienicht in beliebiger Reihenfolge ausgeübt werden können. Zwei Handlungen A und B können in ihrer Reihenfolge dann nicht vertauscht werden, wenn die eine zu ihrer Ausführbarkeit die Ausführung der anderen »voraussetzt«. Dieses »Voraussetzen« ist hier kein logisches, sondern ein »pragmatisches«. Jede Handlung ist eine (geistige oder manuelle) »Realisierung«. Und eine Handlung Aist mit einer Handlung B nicht vertauschbar in der Reihenfolge, wenn B zu seiner Realisierung die Realisierung von A schon benützen muß.« »Die Forderung bei einer Kette von Handlungen auf ihre Nichtvertauschbarkeit oder Vertauschbarkeit zu achten und sie bei Nichtvertauschbarkeit nach der Reihe ihrer notwendigen Aufeinanderfolge zu ordnen, nennen wir das »Prinzip der pragmatischen Ordnung«. «22 »Unsere Handlungen und Maßnahmen ... haben nur in der Ordnung und Reihenfolge einen Sinn, wie sie der Reihe nach erfolgen müssen, um überhaupt selbst möglich zu sein, d.h. so, daß niemals für eine Handlung Elemente benutzt werden können, die durch diese Handlung erst gewonnen werden ... Ich habe dieses, all unser geordnetes Denken beherrschende, von mir aufgestellte Prinzip als das »Prinzip der pragmatischen Ordnung« bezeichnet.« 23 Das Prinzip definiert Handeln in einer linearen Reihenstruktur als Serie von Akten. Deren Ordnung resultiert aus der Notwendigkeit des Handelns selber - nicht verstanden als Denknotwendigkeit eines bloß denkend antizipierten Handelns, bei welcher dann auch Sprünge und Phantasiesequenzen vorstellbar wären, sondern als Ablaufnotwendigkeit des faktischen oder doch zumindest realmöglichen Handelns. Zwar könnte man diese Ordnung im nachhinein interpretierend auch anders sehen, wie die Vielfalt möglicher Handlungstheorien und -modelle zeigt. Gilt es jedoch, von vornherein aktiv den Aufbau zu leisten, so müssen die Handlungsschritte, '' In der »Philosophie der Logik und Arithmetik«. " Dingler, Philosophie der Logik und Arithmetik, S. 108. '' Dingler, Der Glaube an die Weltmaschine, S. 17.

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soll es überhaupt zur Realisierung des Aufbauplanes kommen, sich an der »pragmatischen Abhängigkeit« als der notwendigen Relation zusammenhängender Handlungen orientieren 24 • Dabei muß die Abhängigkeit nicht notwendigerweise jeden Handlungsschritt so und nicht anders festlegen; die Invarianz des seriellen Ablaufs im ganzen kann durchaus Raum lassen für streckenweise variierende Folgen. Das Prinzip der pragmatischen Ordnung wird in vielen Lebensbereichen so oft angewendet, daß man seine tragende Bedeutung über seiner Selbstverständlichkeit fast vergessen könnte. Einige Beispiele mögen es konkretisieren und zugleich Licht werfen auf den intendierten Handlungstypus. Pragmatische Ordnungen gibt es zur Genüge im Alltagsleben: Man muß den Hasen vorher ausnehmen und häuten und dann erst spicken und braten, es sei denn, man will partout den kulinarischen Mißerfolg. Man muß den Schlüssel vorher ins Schloß stecken und dann umdrehen; anders wird keine geöffnete Türe daraus25 • Generell gilt, daß vorher die Instrumente als »pragmatische Voraussetzungen« vorhanden und verfügbar sein müssen, ehe eine sich ihrer bedienende Handlung realisiert werden kann 26 • Man braucht vorher das Papier und den Stift, um dann schreiben zu können. Ist die Ordnung der Handlungsreihen in der »Technik« des Alltagshandelns noch relativ locker, so findet sie im ingenieurtechnischen Bereich eine geradezu paradigmatische Verwirklichung. So beim Bauen: Man kann nicht den zweiten Stock

Zum Begriff der »pragmatischen Abhängigkeit• siehe bspw. Dingler, Methode der Physik, S. 117. 25 Die Beispiele sind entnommen aus Dingler, Der Glaube an die Weltmaschine, S. 17, 25. 26 Zum pragmatischen Verhältnis von Mittel und Zweck vgl. Dingler, Ergreifung, S. 36: »Bedarf eine manuelle Handlung H eines Mittels M „„ um sie ausführen zu können, so muß dieses Mittel vor Ausführung der Handlung vorhanden sein. Es kann z.B. nicht erst durch die Handlung gewonnen werden, es kann nicht selbst das Resultat der Handlung als Mittel voraussetzen.• Zur wichtigen Unterscheidung zwischen »logischen• und »pragmatischen• Voraussetzungen siehe: Dingler, Philosophie der Logik und Arithmetik, 24

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eines Hauses errichten, ehe man nicht den ersten Stock fertiggestellt hat. Es ist vor allem der Bereich der Präzisionstechnik und des Apparatebaus, der Dingler in der Aschaffenburger feinmechanischen Industrie faszinierte und ihn zu seinem Prinzip inspirierte. Die »Linearordnung« von Handlungen spielt »eine fundamentale Rolle .. . ... bei allen Produkten menschlicher Handlungen, die wir kurz Artefacte nennen.« 27 Als solche könnte man heute - als Beleg der Fruchtbarkeit des Dinglerschen Prinzips - unschwer Computer und deren Funktionsweise heranziehen, die Programme darstellbar an Flußdiagrammen - Schritt für Schritt in einer linearen Sukzession abarbeiten. Der Rückgriff auf die Ingenieurtechnik als paradigmatischen Bereich erhellt den Typus von Handeln, von dem die Methodik ausgeht. Es ist nicht menschliche Praxis in der vollen Breite ihrer Möglichkeiten, sondern ein theoretisch eindeutig modellierbares, in seiner Realisierung genau festgelegtes technisches Herstellungshandeln 28 • Die Begründungsfunktion der Methodik liegt in einem wörtlich zu nehmenden Sinne in ihrem Herstellungsapriori.

4. Das Apriori des Willenshandelns und das Unberührte

Es gilt, das Aktive in der Methodik weiter zu bedenken. Die klassische Praxis-Frage nach Grund und Ziel ist auch für das technische Herstellungshandeln unabweisbar. Dingler beantwortet sie, indem er in einem zielorientierten individuellen Wollen den Grund des Wissen generierenden Handelns festmacht. Handeln steht als individuelle Willenshandlung2 9 im Zentrum der Methodik. Der " Dingler, Methode der Physik, S. 116. " Siehe dazu den Aufsatz von Kambartel. " Das voluntaristische Wortfeld ist in Dinglers Werk relativ vage und stellt Begriffe undifferenziert in eine Linie, die sprachanalytisch und im Kontext unterschiedlicher Theorien sicherlich zu trennen wären. Ich habe aus verschiedenen Werkquellen folgende Begriffe entnommen: Wille, Willens•lkt, Willenshandlung, Willensentscheidung, Willensimpuls, Willbewegung, Willenseinstellung, aktiver Wille, aktive Tätigkeit, Tat, freiwillige Festsetzung, Wahl, Entscheidung, Entschluß.

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Wille ist das »Absolute« vor aller Relativität der pragmatisch geordneten Methodenschritte, das »Erste« und »Primäre« vor allen Konstruktionen der reinen Synthese, das »letzte« im Begründungsrekurs, kurz: der archimedische Punkt als jener »Zentralpunkt« und jene »Stelle, wo letztlich jede Geltung wurzelt«, die aber selbst »keiner weiteren Geltungsbedingung unterliegt« 30 • Zweifelsohne soll in der Letztinstanz des Willens die neuzeitliche begründungstheoretische Suche nach dem fundamentum inconcussum endgültig entschieden werden, und zwar gegen die bisherigen, als defizitär kritisierten Begründungsstrategien. Programmatisch formuliert wird die neue Position im Motto von 1926: »Jede Philosophie überhaupt ist notwendig letzten Endes ein Voluntarismus.«, das variiert wird in die These: »Jede Philosophie ist letzten Endes ein Dezernismus.« 31 • Der letztere, künstlich gebildete Begriff will aufs Moment der Entscheidung in einem bewußten Willensakt betont hinweisen. Gegenüber dem Konventionalismus Poincares, der für Dingler sehr bedeutsam war, grenzt er sich bewußt ab sowohl durch den Rückbezug auf individuelle Willenssubjekte als auch durch den Anspruch auf Einziggültigkeit der willentlichen Entscheidung, die beliebige Wahlmöglichkeiten ausschließt 32 • Was aber heißt »Wille«? Eine fachpsychologische Theorie des Willens kann am archimedischen Punkt des Systems gewiß nicht erwartet werden - würde ein solches Verfahren doch in den methodischen Zirkel des Psychologismus verfallen, nämlich das System der Wissenschaften aus einer Einzelwissenschaft heraus begründen zu wollen, die ihrerseits erst auf dieser Grundlage aufgebaut werden könnte. So bleibt nur eine protophilosophische Theorie des Willens, wie sie von Dingler im »Zusammenbruch« und insbesondere in der »Metaphysik« erarbeitet wurde. Sie strukturiert ihren Gegenstand zwar auf differenzierte Weise, doch bleibt ihre Strin" Siehe Dingler, Zusammenbruch, 1. und 2. Aufl„ S. 271 ff„ 280 f„ 377 ff. .\\ Dingler, Zusammenbruch, 1. und 2. Aufl„ S. 72ff. (Mit »Philosophie« ist natürlich eine systematische Protophilosophie gemeint.) ·;' Zur Abgrenzung gegenüber dem Konventionalismus siehe: Dingler, Zusammenbruch, 1. und 2. Aufl„ S. 74. Popper verfehlt die Pointe des Dinglerschen Ansatzes, indem er diesen dem Konventionalismus zuordnet. Vgl. oben Anm. 7.

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genz problematisch: Ihre Theoreme leiten sich aus unterschiedlichen Diskursen her, deren Angemessenheit und gegenseitige Verträglichkeit noch einer Erforschung und Diskussion bedarf. Die Problematik ist zu komplex und zu kontrovers, um an dieser Stelle eingehender erörtert werden zu können 33 • Da der volitive Ansatz jedoch in den vier ausgewählten Aufsätzen präsent und für die Argumentation leitend ist, seien zumindest einige Grundlinien des Themas skizziert. Als Leitfaden und Schlüssel zum Verständnis diene die zitierte Unterscheidung zwischen Voluntarismus und Dezernismus, mit welcher Dingler im »Zusammenbruch« eine fundamentale »Doppelrolle des Willens« festmachen möchte. Der erste Begriff soll für den »metaphysischen« (bzw. protophilosophischen) Status der Willensinstanz stehen, der zweite für deren methodischen Stellenwert, während beide zusammen in ihrem »Schwanken« zwei notwendige Mo" Die Weite der möglichen Diskussion sei zumindest anmerkungsweise angedeutet. Die Konstruktivisten - siehe hier vor allem Janich in seinem Aufsatz von 1987 - glauben von Dingler das methodische Handeln übernehmen, auf den Willen als metaphysischen Restbestand aber verzichten zu können; der methodisch-operative Aufbau begründeten Wissens sei auch ohne das volitive Moment möglich, was durch den Konstruktivismus selber bewiesen werde. Dabei wird die protophilosophische Funktion des Willens übersehen, die methodische Pragmatik auf eine klar bestimmte Weise festzulegen und zu spezifizieren. Ob man diese Funktion gerade mit dem stark traditionell-theoriebelasteten und überdies im 20. Jahrhundert durch ideologischen Mißbrauch in Verruf geratenen Begriff des Willens verwirklichen sollte, ist eine durchaus diskussionswürdige Frage. Selbst ein anderer Ansatz - etwa die von den Konstruktivisten selber vorgeschlagene konstitutive Einbringung des Handelns in einen Diskurs über Grundlagen und Ziele dieses Handelns - wird jedoch nicht umhinkönnen, die mit dem Thema Wille verbundenen prinzipiellen Entscheidungen für einen ganz bestimmten Handlungstypus, ein ganz bestimmtes Handlungsziel und ein ganz bestimmtes zugrundeliegendes Weltverhältnis ebenso zu thematisieren. Daß man mit der Kategorie Wille philosophisch durchaus noch sinnvoll umgehen kann, hat Heidegger (freilich in einem komplexen seinsphilosophischen Rahmen) in seiner Diagnose der Technikwelt als willensbestimmter hinreichend unter Beweis gestellt. Auch bietet sich von der mittelalterlichen Theologie über Kant und Nietzsche bis zu Heidegger eine lange Begriffs-

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mente im »unauflösbare(n) Doppelverhältnis« absoluter Begründung abgeben 34 • Ich skizziere die beiden damit angerissenen Wege zum Willen - den protophilosophischen und den methodischen -, um anschließend nach Ziel und Grenzen des Willens zu fragen. (1) »DezernismUS«. Der erste weg zur volitiven Letztinstanz ist der methodische. Man durchläuft schrittweise den Begründungsrekurs und kommt zum willentlichen Abbruch der Begründungsreihe. Der Wille ist dann zu begreifen als der erste, nicht weiter hintergehbare Akt in der pragmatisch geordneten Serie von Handlungen. Er ist, im mathematischen Modell ausgedrückt, das extreme erste Glied der u-Reihe, oder metaphorisch gesprochen das untere Ende der Leiter. Mit seiner systematischen Extremposition als erstes Element der pragmatischen Reihe beschreibt der Wille eine »Grenzlinie« der Systemmethode. Da relativ zur methodischen Ordnung definiert, ist diese Linie »eindeutig und scharf« gezogen; sie trennt den Bereich des Systems und der Methodik vom sogenannten »Vorsystematischen« (S. 21) bzw. »Vormethodischen«. Dingler bezeichnet diesen methodisch definierten Willen, in Anlehnung an das für den ganzen Gedankengang paradigmatische cartesische Koordinatensystem, als den »Nullpunkt« des Systems. Wohl in Anlehnung an Husserl, konzeptualisiert er ihn auch im Begriff der »Epoche«. Diese steht für die willentliche Hinwendung zu methodisch geordnetem Handeln und zur systematischen Konstruktion, eine Wende, die zwei bedeutsame Aspekte erkennen läßt: Zum einen zieht das individuelle Subjekt einen Schnitt gegenüber seinem bisherigen Tun und hebt sich willentlich aus dem Duktus seines Alltags- oder sonstigen Lebens heraus, indem es sich für die Vornahme konstruktiver Handlungen entscheidet. Und zum andern entscheidet es sich gerade dafür, technische, an der strikten Ordnung der Methodik orientierte Herstellungshandlungen vorzunehmen. Hier ist der

tradition von »Wille« an, die zumindest nach meinem Dafürhalten nicht ohne Not aufgegeben werden sollte. Dies ist freilich nur eine Anmerkung. Zur Diskussion steht letztlich die Frage, ob und was uns die philosophische Tradition noch zu sagen hat, und was demgegenüber gegenwärtiges Philosophieren zu bedeuten hat. " Vgl. bes. Dingler, Zusammenbruch, 1. und 2. Aufl., S. 380.

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Punkt, wo sich - bei Vermeidung aller Zirkel innerhalb des Systems - in der volitiven Begründung des Systems im ganzen eine zirkuläre Struktur herausschält: Der Wille kann deshalb als Nullpunkt irri Zentrum des systematischen Koordinatensystems stehen, weil er sich selbst als Wille zum System bestimmt 35 • Dieser Zirkel sowie die mit ihm bewerkstelligte Schnittlinienziehung gegenüber dem Vorsystematischen formulieren eine protophilosophische Grenzbestimmung. Da die volitive Grenze zum Vorsystematischen sich einem methodisch definierten Verfahren verdankt, bleibt sie rein systemimmanent. Sie ist bloß negative Bestimmun!f der Grenze als einer Schranke, traditionell gesprochen eines »limes« oder »terminus«, welche sich ergeben, wenn man die Systemmethode von innen her abschreitet - die methodische Leiter sozusagen herunterklettert -, um konsequent an den Anfang bzw. ans Ende der Reihe zu stoßen. (2) »Voluntarismus«. Wie wir in Anlehnung an Kants und vor allem Hegels akribische Überlegungen zum Problem der Grenze sagen können, gibt es darüber hinaus eine Grenzreflexion und -erfahrung von positiver Art, die sich nicht in systemimmanenter Beschränkung, sondern im Hin- und Hergang zwischen den beiden Seiten der Grenze ergibt, in solcher Weise überhaupt erst eine »Grenze« im Gegensatz zur bloßen »Schranke« bildend 36 • Indem er auch diese Dimension einbezieht, erweist sich Dingler nicht nur auf der Höhe philosophischer Reflexion; er unterstreicht damit auch die gründende Bedeutung des Willens. Zum Verständnis hilfreich ist eine Differenzierung, die im »Methodik«-Aufsatz durchgeführt wird. Dort wird unterschieden zwischen dem »Ausgangsstandpunkt des Systems« einerseits - dies ist der methodisch-dezernistisch begriffene, d.h. als Nullpunkt betrachtete Wille - und dem »vormethodische(n} oder vorsystematische(n) Standpunkt« andererseits.

Selbst Gegner Dinglers wie Popper mußten zugeben, daß dieser Zirkel intern kaum aufzubrechen ist. Vgl. K. R. Popper, Logik der Forschung, a.a.O., S. 48. '"Zum philosophischen Hintergrund dieser Unterscheidung verweise ich auf den Artikel »Grenze, Schranke« von F. Fulda in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Hrsg. Joachim Ritter, Bd. 3, Basel 1974, Sp. 875ff. i;

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Letzterer besteht im Erleben als der Fülle des gelebten Lebens, während ersterer wörtlich »der vorsystematische Standpunkt plus Epoche« ist (vgl. S. 40). Der Wille ist also an einem doppelten Ort angesiedelt. Wird er einmal in der systemmethodischen Ordnung lokalisiert, so wohnt er ein andermal im Praxiszusammenhang unmittelbaren, vor aller Methodik wirksamen Erlebens. Vor aller Entscheidung zum System ist der Wille als Möglichkeit menschlichen Erlebens - als »Grundfähigkeit«, wie Dingler sagen würde - in einer Weise der Unmittelbarkeit vorhanden und verfügbar, die systematisch nicht begründbar und auch nicht begründungsbedürftig ist, da sie im gelebten Leben gegeben ist und sich im Praktizieren ihrer selbst auf eine ganz unmethodische Weise »beweist«. Erst wenn dieser intentional erlebte Wille sich selbst als Willen zum methodischen System bestimmt und spezifiziert, kommt es zur Epoche im dezernistischen Sinne. Wille wird damit zum protophilosophischen Grenzbegriff: Er bildet die Brücke37 zwischen dem durch ihn begründeten System und dem Umfeld des Lebens, in welchem das System existiert. Dingler suchte diese Ambivalenz der volitiven Grenzbestimmung auch in der Differenz zwischen einem traditionellen philosophischen Begriff und einer wirkungsmächtigen Metapher zu fassen: Während die willentliche Festsetzung einer methodischen Ordnung den Grund abgibt für den systematischen Aufbau, liefert der erlebte vormethodische Wille den »Boden« bzw. das »Prinzip des Bodens« für jegliche Begründung, das seinerseits »noch frei von bewußten Vollbegründungen« bleibt (S. 93). Der vormethodische Status des Willens zeigt sich in der zentralen Formulierung des Voluntarismus, dem »aktiven Willen«. Wenn ich jetzt im Moment etwas tun will, so ist dieses Wollen ein mir gegenwärtiges, mich erfüllendes und mir bewußtes unmittelbares Erleben. Nach diesem kann ich darangehen, es zum Gegenstand des Erinnerns, der alltagssprachlichen Mitteilung oder eines wissenschaftlichen Diskurses zu machen. Letzteres wäre aber nur ein »passiver«, weil zum Gegenstand distanzierter Betrachtung gemachter, Zum Willen als Brücke (bzw. explizit •Wurzelstrahne« und .Nabelschnur«) vgl. Dingler, Ergreifung, S. 194, auch 174. 17

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Wille, der - gemessen an der Vordergängigkeit unmittelbaren Erlebens - nur je ein »vergangener« sein kann. Ersterer hingegen ist aktiv im Vollsinn des Wortes. Als intentionales Erleben betätigt er sich in voller Präsenz und Unmittelbarkeit und ist nichts anderes als diese Tätigkeit selbst. In der philosophischen Schulterminologie könnte man sagen, daß seine Realität in seiner Aktualität beruht. Diese kann nur um den Preis des Verlustes und der Zerstörung des aktiven Willens zum Gegenstand der Betrachtung gemacht werden, als welcher der Wille dann - von Dingler drastisch formuliert - von einem »lebendigen« zu einem »toten« wird. Komplementär zur positiven protophilosophischen Erlebensqualität ist es negativ die methodische »Unhintergehbarkeit«, welche den aktiven Willen substanziell kennzeichnet - eine Denkfigur, die Dingler offenkundig der Lebensphilosophie und deren Priorität auf der Präsenz des gelebten Lebens vor allen theoretischen Repräsentationen verdankt 38 • Es fällt auf, daß Dinglers Beschreibung und Analyse des Willenshandelns sich zwischen sehr unterschiedlichen Sprachspielen hin und her bewegt. Neben der alltagssprachlichen Beschreibung volitiven Erlebens findet man den Rückgriff auf die philosophische Tradition (etwa auf die mittelalterliche theologische actus-purus.'.fheorie oder auf Kants reinen guten Willen), die Analyse in erkenntnistheoretischen Termini (wo eine Fülle selbstbezüglicher Begriffe auftaucht) und sogar den Bezug auf eine primär religiös inspirierte (vor ,11lem mystisch orientierte) Rede vom Willen. Es fragt sich, ob es zur vorsystematischen Verortung der volitiven Gründungsinstanz nicht genügen würde, sich einer alltagssprachlichen, Absichtserklärungen formulierenden und auf theoretische Repräsentanzen verzichtenden Rede zu bedienen. Auch fragt es sich, weshalb Dingler, wenn er schon eine philosophisch angereicherte Rede vom Willen anstrebt, die Möglichkeiten einer phänomenologischen Analyse nicht mehr nutzte. Die hier möglichen kritischen Erwägungen zur "Vgl. etwa im vorliegenden Band S. SOf.; Dingler, Aufbau der exakten Fundamentalwissenschaft, S. 141. Für die »Unhintergehbarkeit« werden explizit Wilhelm Dilthey und Hugo Münsterberg als Gewährsleute von Dinglcr genannt; vgl. Dingler, Ergreifung, S. 18, 38.

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- im Vergleich mit der methodischen Ordnung unsicheren - voluntaristischen Denkschicht sollten freilich das Neue am Konzept des aktiven Willens nicht übersehen: Zumindest im Kern reiner Aktualität zielt das Konzept auf die Überwindung traditioneller substanz- und subjektphilosophischer Positionen ab. (3) Der Zielwille und das »Unberührte«. Um im volitiven Abbruch des Begründungsverfahrens die Willkür beliebiger Setzungen auszuschließen, legt Dingler teleologisch einen ganz bestimmten Ziel· willen fest. Der aktive Wille stellt sich selbstbezüglich unter das Telos absoluter Sicherheit (bspw. S. 2, 87). Traditionell gibt es zwei Wege, wie sich der Wille auf sich selbst beziehen kann, und dementsprechend zwei Arten der Sicherung. Der eine Weg bezieht den Willen als einen »reinen« ganz auf sich selbst, gewinnt in dieser selbstbezüglichen Tätigkeit, diesem Wollen des Wollens, eine volle Praxis und findet darin eine in sich ruhende Selbstgewißheit39 • Die zweite Möglichkeit zielt nicht nach innen, sondern nach außen: Sie stellt Sicherheit her, indem die äußeren Dinge und Gegebenheiten als Instrumente des Willenshandelns verfügbar gemacht werden. Dieser Willensweg zur Sicherheit geht über die Beherrschung der Wirklichkeit. Er ist ein Herrschaftsweg, wie er mit Bacons »regnum hominis« und Descartes' Menschen als den »maitres et possesseurs de la nature« programmatisch begonnen und im aufgeklärten Fortschrittsdenken weitergeführt wurde. In den Duktus dieses Weges stellt sich auch Dingler 40 : »Unser Ziel aber ist, über die Zufälligkeiten, Unübersichtlichkeiten und Ungeordnetheiten des täglichen

'" Eine solche Willensstruktur findet man vor allem im Kontext mystischen Denkens und Erfahrens, aber auch etwa in Kants reinem guten Willen oder Nietzsches Wollen des Wollens. +o Francis Bacon, Novum Organum (Untertitel). - Rene Descartes, Discours de la Methode VI, 2. Dingler ändert die Zielbestimmung erst in seinem Spätwerk. Dort (vgl. Dingler, Grundriß der methodischen Philosophie, Kap. XV, und Dingler, Ergreifung, Kap. V) wird die Beherrschung ersetzt durch den »Ausgleich« bzw. »Frieden« mit dem Unberührten, ohne daß freilich Konsequenzen hinsichtlich einer Änderung des volitiv-operativen Wissenschaftsprogramms erkennbar sind.

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Lebens hinauszukommen und ein Verfahren zu gewinnen, um wenigstens in gewissem Bereich eine eindeutige und darum absolut sichere und jeden Augenblick reproduzierbare geistige und manuelle Beherrschung natürlicher Umstände zu gewinnen ... «(S. 20). Sicher ist, was beherrschbar ist; beherrschbar ist, was jederzeit reproduzierbar ist, und reproduzierbar ist es, weil es willentlich methodisch konstruiert ist. Die methodisch aufgebauten Konstrukte - seien es die »geistigen« Gebilde wissenschaftlicher Theorien oder die »manuellen« Gebilde technischer Artefakte - sind die Realisate des Willenshandelns. Die Methodik selber zeigt sich aus dieser Perspektive in ihrem instrumentellen Charakter: Sie ist nichts anderes als die Strategie volitiver Beherrschung der Wirklichkeit. Das Weltverhältnis des wollenden Menschen reduziert sich auf die Relation zwischen dem aktiven Willen einerseits und der »Gesamtheit des Gegenstehenden« 41 , d.h. der Welt als universalem, potentiellem Verfügungsbereich andererseits. Für das erst spät so genannte »Gegenstehende« prägt der gleichnamige Aufsatz von 1942 den stark anschaulich ausgelegten Begriff des »Unberührten«. Er stellt Dinglers eigene »Definition des unmittelbar Gegebenen« dar42 , welche die erkenntnistheoretischen Schwierigkeiten dieses Begriffs vermeiden möchte, und steht für »dasjenige Gegebene oder Da-es, das von mir noch nicht bewußt verändert worden ist«, für »unsere alltägliche Welt, die wir nur ohne alle bewußten Veränderungen belassen.« (S. 66 f.) Im Verhältnis zwischen dem Willen und dem von ihm Unberührten - später spricht Dingler, in Vertiefung der Tendenz zur Bemächtigung, in einer weiteren markanten Begriffsmetapher von der »Ergreifung des Wirklichen« - zeigt sich ein wichtiger Aspekt der bereits angesprochenen Grenzproblematik. Das Unberührte um-

So die späte Formulierung in Dingler, Grundriß der methodischen Philosophie, Kap. XV, sowie Dingler, Ergreifung, Kap. V. +l So der Untertitel des Aufsatzes über das Unberührte. Dingler hebt davon ab das »kritisch Gegebene«, welches in die Rede vom Gegebenen unzulässigerweise, weil gegen die methodische Ordnung verstoßend, bereits Elemente der theoretischen Konstruktion miteinbezieht. Vgl. dazu im vorliegenden Band +i

S. 148ff.

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faßt nämlich genau genommen zwei scharf zu trennende Dimensionen: Zum einen das noch nicht vom Willen zur Systemmethode Veränderte und Bearbeitete; die damit bezeichnete Grenze ist fließend und verschiebt sich dynamisch immer weiter in die unendliche, noch nicht ergriffene Wirklichkeit als das Verfügungspotential des Willens hinein. Zum andern aber gibt es Wirklichkeitsbereiche, die sich der willentlichen Ergreifung prinzipiell und per se notwendigerweise, weil aus ihrem Wesen heraus, entziehen und nicht instrumentell vereinnahmbar sind. Zu dieser Dimension, für die der aktive Wille selber in seiner Unhintergehbarkeit exemplarisch steht, rechnet Dingler das ganze nicht methodisch reduzierbare Erleben in seiner Unmittelbarkeit und Präsenz und in der Fülle seiner Bewegungen und Manifestationen. Die Eigenständigkeit dieses Bereiches ist es, die dann sogar in einem methodisch geschärften Sinne - in Abgrenzung gegenüber allen Konstrukten des »Methodischen« - doch noch die Rede von einem »Ontologischen« zuläßt. Wie schon der Begriff des Unberührten zeigt, bleibt dieses freilich im Schwerpunkt eher negativ bestimmt: Es geht Dingler weniger um eine phänomenologische Erhellung und Selbstexplikation jenes ontologischen Erlebens, als vielmehr um eine Grenzbestimmung des Methodischen.

5. Reichweite und Grenzen operativer Wissenschaft

Das volitiv definierte Grundverhältnis und der Zielwille auf aktive Beherrschung bestimmen als die Grundsignatur der Wissenschaftslehre Reichweite und Grenzen einer operativ begriffenen Naturwissenschaft. Der Wille ist ein eminent kritischer Punkt insoferne, als er zu einer Kritik der Wissenschaft in dem seit Kant geläufigen Doppelsinn von Kritik als eingrenzender, affirmativer Sicherung einerseits und ausgrenzender, negativer Einschränkung andererseits führt. Beide Aspekte seien knapp umrissen. Die positive Leistung des operativen Wissenschaftskonzepts besteht darin, daß es aus der Willensentscheidung zu einem methodisch geordneten, auf Sicherheit orientierten Handeln heraus die naturwissenschaftlichen Disziplinen, ihre Grundbegriffe und Prin-

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zipien sowie ihren differenzierten Aufbau, konstruktiv herleitet. Der methodisch vollständige Aufbau soll dabei nur für die »vollbegründete Wissenschaft« gelten. Nur sie leistet die Integration ins eindeutig-methodische System, indem sie die betreffende Disziplin normativ rekonstruiert und voll an die volitiv-operativen Grundlagen anschließt. Davon zu unterscheiden ist die »Stufe der nicht vollbegründeten Wissenschaft« 43 , der auch als »Hypothesenforschung« und »Frontarbeit« bezeichneten 44 noch im Fluß befindlichen Forschung, wo Gedankenmodelle frei erprobt werden, ohne daß schon ein methodischer Aufbau geleistet wäre. Wie letzterer im Detail aussieht, darüber bietet Dingler im Aufsatz »Über die letzte Wurzel der exakten Naturwissenschaften« einen informativen Aufriß und Überblick. Er reicht vom »Plan«, der sich in als »Willenssätze« intendierten »Prinzipien« als den »Schichten der Planung« ausdifferenziert, über die zentral wichtige Grundrelation der Verschiedenheit bis zu deren Differenzierung, welche den Aufbau der Einzeldisziplinen Arithmetik, Chronometrie, Geometrie und Kinematik/Dynamik ermöglichen soll. Details können hier nicht weiterverfolgt werden. Ihre Erörterung würde letztlich in die heutige Diskussion um konstruktive Begründungen in Logik, Mathematik und Physik führen. Als exemplarischer Fall möge die Geometrie den operativen Begründungsgang verdeutlichen. Hat man sich volitiv für methodisch gewonnene Sicherheit entschieden, so wird man bezüglich der Untersuchung räumlicher Konstellationen eindeutige, als solche stets reproduzierbare und sichere, geistige Formen entwerfen, wie beispielsweise den

Zur Unterscheidung der zwei Stufen siehe im vorliegenden Band S. 83. Dinglers Hinweis, daß Konstruktionen - zwar in einer mehr »tastenden« und uneindeutigen Weise - bereits auf der Ebene der Alltagspraxis auftreten (S. 82), kann hier nicht weiter verfolgt werden. Es bietet sich hier jedoch die interessante Möglichkeit, die methodische Ordnung und den konstruktiven Grundzug über die volitive Entscheidung zur Wissenschaft zurück in eine allgemeine Lebenspraxis hinein zu verfolgen und damit einen praktischen und sozialen Hintergrund zu eröffnen, der die methodische Willensentscheidung plausibler macht und ihr mehr Substanz verleiht. " Bspw. S. 31; Dingler, Methode der Physik, S. 68. H

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Begriff der Ebene. Diese Formen liefern den normativen Maßstab für die technische Realisierung, deren Realisate - etwa geebnete Platten als Bestandteile eines physikalischen Meßgerätes - sich der vorgegebenen Norm je nach dem Stand der Technik immer besser anzunähern suchen. Was aber die Form der Ebene ihrerseits bedeutet, wird operativ definiert durch die pragmatisch geordneten Handlungsanweisungen, welche - etwa im sogenannten Dreiplattenverfahren - zur Realisierung einer Ebene führen. Wie das Beispiel zeigt, wird in den Begriffen der Formwissenschaft - und Formen sind nichts anderes als die eindeutigen mathematischen Gegenstände sowie die Naturgesetze der Naturwissenschaften - in Gestalt von imperativischen Handlungsanweisungen nur das planend antizipiert, was dann methodisch geordnet operativ hergestellt wird. Dingler bezeichnet die geistige Planung, in Anlehnung an einen alten Methodenbegriff, als »Exhaustion«, die manuelle Formung durch faktische operative Herstellung als »Realisierung«. Erstere steht für die geistige Ergreifung des Wirklichen, indem das fließende und vage Unberührte in eindeutige Begriffe gefaßt wird, welche als kognitive Instrumente die Wirklichkeit ausschöpfen. Die Realisierung steht für die technische Einführung der eindeutigen Normbegriffe in die Wirklichkeit durch Herstellung von Artefakten, wie sie als Apparate und Meßgeräte in experimentellen Anordnungen Verwendung finden. Bedeutsam ist die Einheit beider, der geistigen wie der manuellen Behandlung der Wirklichkeit45 • Nur das kann aus der Wirklichkeit in einem methodisch vollbegründeten Sinne herausgeschöpft werden, was operativ hergestellt werden kann; was wir theoretisch aus der Naturwirklichkeit herausholen, ist bestimmt »durch die Methode seiner Hervorbringung« (S. 146}. Wir prägen der Wirklichkeit das an Denkmustern bzw. »Denkbildern« (S. 95} auf, was wir technisch mit ihr machen können. Damit fällt die von der Wissenschaftstheorie in der Regel behauptete Differenz zwischen der Begründung und Anwendung von Wissen,; So geht die •geistige und manuelle Behandlung völlig Hand in Hand«; die Einheit von Exhaustion und Realisierung beinhaltet »eine unmittelbare und völlige Zusammenarbeit des ideenhaft Geistigen mit dem Manuellen«

(S. 29).

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schaft, die zu der gebräuchlichen Trennung zwischen »reiner« und »angewandter« Wissenschaft führt, völlig fort. Ziel und Grund der operativen Wissenschaft fallen in eins zusammen 46 . Die operativ begriffene Wissenschaft zeigt sich damit in einer tautologischen Grundstruktur: Ihre Sicherheit ist letztlich selbstproduziert. Diese Tautologie bezeichnet die Stärke, aber auch die Schwäche von Wissenschaft. Sie ist der Punkt, wo die Affirmation umschlägt in die einschränkende Kritik. Wie es um die Wirklichkeitsgeltung wissenschaftlicher Theorien bestellt ist, läßt sich unschwer am exhaustiven Verfahren aufzeigen. Im Aufsatz über das »Seelenproblem« wird es mit dem Herausschneiden eines Stückes aus einem Kuchen bzw. dem Herausformen einer Statue aus einem Marmorblock verglichen (S. 146). An anderer Stelle wird es veranschaulicht durch die Metapher vom Löffel unserer Theorien, mit dem wir aus der plastischen, unerschöpflichen Masse der Naturwirklichkeit schöpfen47. Dabei ist zweierlei von Bedeutung: Zum einen holen wir immer nur das aus der Wirklichkeit heraus, was wir a priori durch unsere Begriffe und Theorien in sie hineingelegt haben. Das Herausgeschöpfte ist nur »eine Funktion der Gestalt des Löffels« 48 • Zum andern können, bedingt durch die Begrenztheit unserer geistigen und technischen Instrumente, immer nur Stücke und partikulare Bestände aus dem Kuchen des Ganzen der Wirklichkeit herausgeschnitten werden. Dies ist der Preis, den wir für den Zugewinn an selbstproduzierter Eindeutigkeit und Reproduzierbarkeit bezahlen. "' Damit schafft es Dingler nicht nur, die Koinzidenz von Wissenschaft und Macht, wie sie Bacon am Beginn der neuzeitlichen Wissenschaft als programmatisches, wenngleich nur postulatives und theoretisch uneingelöstes Motto formulierte (»Scientia et potentia humana in idem coincidunt.« Novum Organum I,3), als Wahrheit zu konkretisieren. Er eröffnet auch eine neue Perspektive zur Beantwortung der Frage, warum eine scheinbar so »reine« Wissenschaft auf eine so durchschlagende Weise technisch erfolgreich werden konnte. Schließlich bietet das operative Wissenschaftskonzept auch eine fruchtbare Möglichkeit, das immer drängender werdende Problem der wissenschaftlichen Folgelasten auf eine neue Weise anzugehen. +1 Vgl. Dingler, Relativitätstheorie und Ökonomieprinzip, S. 19ff. " A.a.O., S. 20.

Einleitung

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Beide Faktoren, die sich wissenschaftsgeschichtlich gut belegen lassen49 , entziehen der Wissenschaft ihren traditionell behaupteten Wahrheitsanspruch zugunsten einer bloßen, durch Herstellung (bzw. das Herstellungsapriori) verbürgten Realgeltung. Die Ideen und Formen der Wissenschaften verlieren ihren traditionell substanziellen Gehalt und werden zu bloßen lnstrumenten 50 eines auf Naturbeherrschung abzielenden Weltverhaltens. Das Ganze erlebter Wirklichkeit wird durch seine wissenschaftliche Ergreifung zum Objekt der »Aufgliederung« (S. 75) in eindeutige, geistig wie manuell reproduzierbare Teilbestände, zur „farblosen« Selektierung ursprünglicher Seinsfülle in der wissenschaftlichen »Schwarz-Weiß-Zeichnung der Wirklichkeit« (S. 114). Die Wissenschaft stellt »nur einen kleinen Ausschnitt des gesamten Tuns und Erlebens dar. Alle methodische Wissenschaft ist stets nur ein ganz dünnes Netz, das über einige Teile des Erlebens geworfen wird, das an einigen wenigen Stellen etwas dichter, an den meisten aber außerordentlich weitmaschig ist; es vermag immer nur einige ganz spezielle und dünne Seiten des Erlebens zu fassen, während das Erleben selbst einen unendlichen Reichtum und unausschöpfbare Fülle besitzt.« (S. 32 f.) Die Trennung in zwei Wirklichkeiten wird unumgänglich: Der primä· ren Wirklichkeit des Erlebens im Unberührten steht die sekundäre Wirklichkeit der artifiziellen wissenschaftlichen Konstruktionen gegenüber, dem ontologisch Realen und der ursprünglichen Natur das methodisch Reale und die methodische Natur 51 • Besonders ergiebig für die Abhebung von »Zwei Wirklichkeiten« (so Dingler wörtlich: S. 140) ist der Aufsatz über das »Seelenproblem«, wo der ''' Ein von Dingler selber analysiertes Beispiel bietet Galilei mit seiner Idealisierung der Fallbewegung sowie der Reduktion der Vielfalt möglicher Bewegungstypen auf eine als bloße Ortsveränderung begriffene Bewegung. 50 Naturgesetze sind nur noch •methodische Maßnahmen« und »Herstellungsaxiome« (S. 28), die Formen der operativen Wissenschaft nur noch ·Mittel« (S. 112), hinter denen dann die im traditionellen Sinne eigentliche •Wissenschaft« (nämlich eine substanziell verstandene, Wahrheit ermöglichende Theorie) erst zu suchen wäre (vgl. ebd.). 51 Zur Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Wirklichkeit vgl. Dingler, Ergreifung, S. 208 f. Zu ursprünglicher und methodischer Natur vgl. im vorliegenden Band S. 69 f.

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»E-Bereich« der unmittelbar erlebten ontologischen Wirklichkeit als Ausgangsdimension für den methodischen Aufbau des »MBereichs« der wissenschaftlichen Konstruktion hervorgehoben wird. Schließlich ist auch auf die zahlreichen Beispiele zu verweisen etwa die Differenz zwischen wahrgenommener und theoretisch konstruierter Bewegung -, in denen die Trennung exemplarisch veranschaulicht wird. All diese Überlegungen führen zu einem klaren Fazit: Wissenschaft bleibt - entgegen den illegitimen Ansprüchen einer szientifistischen Ideologie und wissenschaftlicher »Weltbilder« - nur »eine Instrumentierung der erreichbaren Wirklichkeit in geringer Tiefenschicht«52 • Es ist bemerkenswert, daß gerade der Autor, welcher die Wissenschaft durch methodische Vollbegründung sozusagen noch wissenschaftlicher machen möchte, dabei konsequent die Grenzen wis· senschaftlicher Welterkenntnis markiert. Sicherlich bedarf die dabei angewandte Methode der immanenten Selbstkritik einer Ergänzung durch eine breitere philosophische, ethische, kultur- und sozialgeschichtliche Einbettung wissenschaftlichen Handelns. Auch deuten sich heute Möglichkeiten einer Thematisierung der Wissenschaft durch die Wissenschaften selber an, zu denen sich Dingler die Sicht durch sein pragmatisch geordnetes Denkmodell eher versperrte. Es ist dies ein gegenwärtiger und großenteils noch künftiger Denk- und Erfahrungsweg, zu dem Dingler aber immerhin ein beachtliches und bedenkenswertes Stück beigetragen hat.

Wilhelm Krampf danke ich für sein Entgegenkommen, das die Drucklegung des bislang unbekannten Manuskriptes »Das Seelenproblem in methodischer Behandlung« ermöglichte, sowie für viele Gespräche, die ich mit ihm führen durfte. Ihm widme ich diese Veröffentlichung.

" Dingler, Ergreifung, S. 175.

HUGO DINGLER Aufsätze zur Methodik

Editorische Vorbemerkungen Für die Neuherausgabe der drei Aufsätze über die Methodik, das Unberührte und die letzte Wurzel der exakten Naturwissenschaften wurde die jeweilige Publikation in der betreffenden Fachzeitschrift zugrundegelegt. Der Aufsatz über das Seelenproblem liegt als Manuskript von der Hand Dinglers vor; es wurde dem Herausgeber von Wilhelm Krampf freundlicherweise überlassen. Die Schreibweise der Originale wurde in orthographisch zweifelsfreien Fällen verbessert und an die heutige Rechtschreibung angeglichen (Beispiel: »ß« statt »ss«). Dingler neigte dazu, oftmals Abkürzungen zu verwenden. Ich habe diese der Deutlichkeit halber in der Regel wieder voll ausgeschrieben. Beibehalten werden nur solche Abkürzungsformeln, die für ganz zentrale Termini stehen (Beispiel: »e.m.System« für »eindeutig methodisches System«). Zitate wurden, wo irgend möglich, überprüft und gegebenenfalls - Dingler zitiert oft ungenau - gemäß der Bezugsquelle ausgebessert. Wenn möglich, werden auch heutige Ausgaben der zitierten Quellen angegeben. Anmerkungen unter Ziffern stammen von Dingler. Anmerkungen unter Buchstaben enthalten Ergänzungen und Hinweise des Herausgebers.

Methodik statt Erkenntnistheorie und Wissenschaftslehre a

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Die seltsame Lage der Erkenntnistheorie ist immer wieder bemerkt worden. Es war das diejenige Erkenntnistheorie, welche vom englischen Empirismus ausging und als deren Vater John Locke gilt. Erkenntnistheorie im allgemeinen Sinn hat es gegeben, seit es eine wissenschaftliche Philosophie gibt, und in Wahrheit bildete sie stets die Basis und den Kern alles wissenschaftlichen Philosophierens. Erkenntnistheorie kann auf zwei Weisen verstanden werden, das Wort selbst ist doppeldeutig; es kann sich beziehen a) auf eine Theorie vorhandener Erkenntnis, b) auf die Theorie der zu gewinnenden Erkenntnis. Die erste dieser Bedeutungen führt zu den oft genug bemerkten Widersprüchen: Wie kann eine Theorie vorhandener Erkenntnis gegeben werden, ohne selbst schon Erkenntnisse dabei zu benutzen, also vorauszusetzen (Hegel)? Die Suche nach einem Wahrheitskriterium für eventuell vorhandene Erkenntnis führt auf den bekannten Regreß, der wiederum zeigt, daß immer schon eine »Erkenntnis« vorausgesetzt werden muß. Die zweite Bedeutung entgeht diesen Einwänden. Denn wenn Erkenntnis erst gewonnen werden soll, so liegt darin programmatisch, daß man den Versuch dazu unternehmen will, ohne Erkenntnis vorauszusetzen. Die Frage richtet sich dann nur noch auf den ~g, auf dem etwa Erkenntnis gewonnen werden könnte, sie ist also nur noch eine Frage nach der Methode (dem »Weg zu ... «). Zu solchem Beginnen muß dann natürlich alle bisher vorhandene »Erkenntnis« zunächst als wieder problematisch betrachtet werden. Der entscheidende Unterschied der beiden Auffassungen liegt also darin, daß bei der ersten »vorhandene Erkenntnis« behandelt und »begründet« werden ~oll, während bei der zweiten der Weg gesucht •In: Kant-Studien 41 (1936) S. 346-379.

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werden soll, etwas zu finden, was wir als »Erkenntnis« zu bezeichnen geneigt sind. Wird, wie implizit immer, unter »Erkenntnis« eine gesicherte und in angebbarem Umfang unbezweifelbare Einsicht verstanden, so ist unmittelbar klar, daß die erstere Auffassung einen Widerspruch in sich enthält: denn etwas Gesichertes, das seine Sicherung erst erfahren soll (also noch nicht hat) ist eine widerspruchsvolle Vorstellung. Die Denker lassen sich allzu leicht verführen, zu glauben, daß es etwas »auf unbekannte Weise Sicheres« gebe, dessen Sicherung erst gesucht werden müsse. Der obige Widerspruch zeigt aber, daß das dann entweder noch keine »Erkenntnis« ist, in dem in der Begründungsforderung implizierten Sinn, oder aber, daß, wenn man es trotzdem »Erkenntnis« nennen will, es etwas begrifflich verschiedenes von dem ist, das nachher durch eine Erkenntnistheorie in seiner Sicherheit begründet werden soll. Der Widerspruch hebt sich also nur, wenn die »Gesichertheit« in beiden Fällen etwas verschiedenes bedeutet. Das vielleicht wichtigste Stück einer Erkenntnistheorie bezieht sich auf die sogenannte naturwissenschaftliche Gesetzeserkenntnis. Angewendet auf dieses Beispiel gestaltet sich die eben durchgeführte Überlegung so: Wenn es uns gelingt, einen Vorgang, wie z.B. den Vorgang der Fallbewegung, als einfach beschleunigte Bewegung in der Natur immer wieder experimentell zu realisieren, und wir dies instinktiv als »gesicherte Erkenntnis« bezeichnen, so muß diese Art von »Sicherheit« eine andere sein, als die, welche wir in einer »methodischen Begründung« etwa geben können. Wären diese beiden Arten der Sicherung nicht verschieden, so bestünde der obige Widerspruch zu Recht. Mindestens muß die letztere sich dadurch als die wahrhaft gesicherte ausweisen, daß sie eine strenge Begründung für diese Konstanz zu geben und außerdem die genauen Grenzen anzugeben vermag. Aber diese Überlegungen in der Form von Indizienschlüssen, wo der Gegenstand sozusagen in absentia behandelt und in contumaciam beurteilt wird, sind überaus sachferne gegenüber denjenigen, welche die zweite Auffassung auslöst. Wenn wir gemäß der zweiten Auffassung danach fragen, auf welchem Wege Erkenntnis gewonnen werden kann, auf welchem Wege

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also die oben behandelten Sicherheiten neu und diesmal sicher gewonnen werden können, dann kommen wir sogleich in ein viel dingnäheres Gebiet. In unserem Beispiel führt das sofort zur Frage: Auf welchem Wege werden die immer wiederholbaren, reproduzierbaren Realisierungen dieser Fallvorgänge gewonnen? Die zweite Frage, wie nun diese Sicherheit nachher in einer »Erkenntnistheorie« begründet werden soll, fällt hier überhaupt weg; denn wenn ich die Methode besitze, diese Vorgänge immer wieder gesichert zu reproduzieren, so liegt diese Sicherheit eben dann in dieser Methode selbst und bedarf keiner besonderen Begründung mehr durch eine »Erkenntnistheorie«. Seit Locke (um einen geschichtlichen Punkt festzuhalten) herrschte bis heute stets die erstere der beiden Auffassungen von Erkenntnistheorie. Das liegt schon in der empiristischen Grundeinstellung Lockes. Empirismus bedeutet ja die wegen der Regresse stets unbeweisbare Behauptung von dem Vorhandensein von unmittelbaren Erkenntnismöglichkeiten, so daß als Aufgabe der Erkenntnistheorie nur die nachträgliche Erklärung vorhandener Erkenntnisse übrigbleibt, mit den oben behandelten logischen Schwierigkeiten (besser Unmöglichkeiten). Empirismus bedeutet damit zugleich auch stets die Behauptung des unmittelbaren Vorhandenseins von greifbarem und griffbereitem geistigem Erkenntnishaftem in der Natur, erbedeutet die dogmatische Behauptung der für unsere menschlichen Erkenntniszwecke eigens hergerichteten inneren Beschaffenheiten der Natur (einer Art - sit venia verbo - von rationalem Vorgekautsein dieser Speise, damit sie für unsere geistige Verdauung zubereitet sei) - gewiß eine metaphysische Hypostase, die sich an Volumen mit jeder beliebigen getrost messen kann, die im Bereiche menschlicher Phantasien jemals aufgetreten ist. Kant versucht zwar tapfer, sich dieser Einstellung zu entwinden, aber es gelingt ihm doch nur teilweise und wohl nicht vom ganz Prinzipiellen her. Kant ist in seiner Einstellung gespalten. Für einen Teil der in der Gesetzlichkeit der reinen Naturwissenschaft auftretenden Formen nimmt er in seiner »reinen Anschauung« vorgefundene Vorgeformtheit an, die sich deshalb auf die Erfahrung auszuwirken vermag, weil diese in Form von »Erscheinung« mit diesen Vorformen sozusagen am gleichen »Ürte« zusammentrifft, nämlich im inneren

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Erlebnis (1. Apriori). Hier wird also vorgefundene, vorhandene Erkenntnis zu erklären versucht, was natürlich zu dem obigen Widerspruch und Regreß führen muß (was vielleicht der Grund ist dafür, daß Kant eine weitere Hinterbauung seiner Aufstellungen, ihre dadurch zu erstrebende Vollendung zum System, wie sie dann K. L. Reinhold und J G. Fichte versuchten, niemals ernstlich erwog). Er besaß kein Sicherheitskriterium, das fähig gewesen wäre, seine Behauptung von der reinen Anschauung selbst wieder zu sichern. Für einen andern Teil der Gesetzlichkeit der reinen Naturwissenschaft besitzt er dagegen ein fundamental anderes und neues Begründungsverfahren. Dieser Teil wird zu verstehen versucht als notwendige Vorbedingung möglicher Erfahrung. Hier ist der Erkenntnisweg plötzlich aus der Sphäre des Ontologischen herausgenommen und in den Bereich des »Teleologischen« gerückt, zu deutsch: Hier ist solche Erkenntnis nicht mehr ein gegebener Ablauf, der passiv meiner reinen Beobachtung und Aufzeichnung als Objekt vorgelegt ist, sondern hier dämmert die Einsicht, daß Erkenntnis etwas sei, bei dem ich selbst sehr wesentlich mitzuarbeiten habe, und zwar nicht bloß als Beobachter und Registrator, sondern als ein selbst die Erkenntnis erst Mitschaffender. Nur ist bei Kant nicht ganz klar, ob und inwieweit dieser Vorgang bewußt werden und unter genau angebbaren Regeln in bewußte, zielstrebige Handlungen übergeführt werden könne. Offenbar dürfte Kant sich die Sache nicht so gedacht haben, daß der Verstand sich dabei zuerst bewußt zurecht legt, welche Gesetze Erkenntnis erst möglich machen und daß er mit diesen dann Erkenntnis gewinnt. Er hätte dann nämlich kein Mittel gehabt zu erklären, wie diese Gesetze in der Wirklichkeit zur Geltung gelangen, d. h. bei diesbezüglicher Behandlung der Wirklichkeit in dieser scheinbar unabhängig von uns vorgefunden werden können. So dürfte er doch diese Umstände so gedacht haben, daß wir irgendwie (auf unbekannte und unbewußte Weise) Erkenntnis gewinnen, wobei ein unbekannter und unbewußter Prozeß der Vernunft die Erscheinung gerade so zurichtet, daß Erkenntnis möglich wird. Hinterher kann man dann von einigen Gesetzen finden, daß ohne sie Erkenntnis nicht möglich wäre und ihnen damit ihren apriorischen Charakter (in diesem zweiten Sinne) sichern.

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Die Kopernikanische Wendung liegt hier ohne Zweifel aufs schönste vor, aber alles übrige bleibt völlig im Dunkeln. Aber man sieht, wie von hier aus Kant die Frage sich aufdrängen konnte, wie denn in diesem Falle die geistige Formung auf die Erscheinung zu wirken vermöchte. Denn wenn er diese Wirkung zunächst auch wohl ebenso wie bei seinem 1. Apriori ins Unbewußte verlegt hatte, so konnte doch an dieser Wirkung dadurch viel geändert werden, daß sie hie und da (z. B. beim Prinzip der Erhaltung der Masse) ins Bewußtsein gehoben wurde. Im hellen Tageslichte aber war keine Möglichkeit einzusehen, wie eine Einsicht von mir, daß das Prinzip der Erhaltung der Masse Vorbedingung möglicher Erkenntnis sei, die in der Wirklichkeit ausgeführten Messungen beeinflussen könnte, und Kant konnte keine solche Möglichkeit näher angeben. An diesem Problem der »Anwendung« arbeitet Kant noch vergebens in seinem opus postumum bis zu seinem Tode. Wenn wir sehen, wie die methodische Einstellung, von der hier gesprochen werden soll, dies alles aufs vollkommenste leistet und noch viel mehr, so wird auch klar, welcher Weg noch liegt zwischen der ersten Kopernikanischen Wendung Kants, die zuerst in diese Richtung wies, und der wirklichen Durchführung der methodischen Auffassung. Die Grundwendung aller neueren Philosophie seit Descartes, die Wendung, das Ich zum Ausgangspunkt des Erkennens zu nehmen, führt also bei Kant schon zu einer (wenn auch noch nicht bewußten) aktiven Mitwirkung des Ichs an dem Zustandekommen der Erkenntnis. Fichte geht schon den wichtigen Schritt weiter, das Wesen dieses Ichs in einem Tun zu erblicken, aber dazu, von hier aus wirklich im Einzelnen und Konkreten zeigen zu können, wie nun z. B. die Erkenntnis der Geometrie oder der mechanischen Gesetze zustande kommt, war noch kein Weg zu sehen. Die Brücke dorthin mußte, wie noch das ganze 19. Jahrhundert hindurch, mit allerlei unbeweisbaren metaphysischen Suppositionen geschlagen werden, d. h. die Verbindung wurde eben nicht gefunden. Erst die methodische Auffassung vermag, wie ich gezeigt habe, die Durchführung bis in jedes Detail herab wirklich zu leisten. Aus dieser gleichen Not heraus erwuchs dann auch die Gewaltlösung des Schellingschen Identitätssystems. Wenn man nach Kant,

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auf allerdings noch völlig unbekannte Weise, vom Denken zur Wirklichkeit gelangen konnte, so mußte, meinte er, es möglich sein, auch vom Objektiven zum Subjektiven, zum Bewußtsein zu kommen, und damit wären beide eines und dasselbe. Er übersah die bei Kant schon ferne anklingende Möglichkeit, daß das Denken ein lnstru· ment und das Wirkliche das von dem Instrument zu bearbeitende Material sein könnte, und daß, wenn die Schere das Tuch schneiden kann, nicht auch das umgekehrte Verhältnis notwendig möglich sein muß. So zeigt sich, daß die objektive und subjektive Seite des Daseins für ihn nicht lebendig unterschieden, sondern nur Spielsteine auf seinem metaphysischen Spielbrett waren. Oder anders ausgedrückt, er hielt es für selbstverständlich, daß der Handwerker und das Material, daß Former und Geformtes die Plätze und die Funktion tauschen könnten. Das zeigt, daß in seinem Geiste der Geist und das Bewußtsein nie über die Rolle einer passiven metaphysischen Substanz hinaus gekommen sein können, daß sie auch nicht einmal die Natur des handelnden Ichs von Fichte wirklich gewonnen haben können, denn sonst hätte es nie zur Identitätslehre kommen können. Aber auch bei Fichte kam dieses Ich über unvollziehbare, mindestens niemals erlebbare metaphysische Handlungen nicht hinaus. Indem er annahm, daß es sich selbst und das Nicht-Ich »Setze«, vermochte er doch nicht durchzuführen, wie dies in concreto geschehen sollte. Fichte ist wohl der Gedanke, daß es sich bei der Grenzsetzung zwischen Ich und Nicht-Ich um einen methodisch genau durchführbaren stufenweisen Prozeß handeln könne, niemals gekommen. Für ihn ist dies wohl stets eine jenseits des Bewußten liegende metaphysische (und damit auch wieder nur supponierte) Handlung geblieben. Noch ferner der wirklichen Handlung und damit der Methodik als Fichte steht Schopenhauer, trotzdem er seinem »Willen« die zentrale Rolle gibt. Aber auch bei ihm ist dieser so weit davon entfernt, der wirkliche lebendige Wille des methodisch handelnden und damit erst Erkenntnis schaffenden Menschen zu sein, daß er vielmehr nur die metaphysische Grundsubstanz ist, und damit wieder nur eine (mehr oder weniger) neue Figur auf der metaphysischen Bühne, der der Mensch als reiner Kontemplator gegenüber-

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sitzt und ihr zuschaut, womit dem Selbsthandeln eben dieses Menschen wiederum schon ein Ende gesetzt ist. Das ist jene Art des »Philosophierens«, der Metaphysikbereitung, wo der Mensch niemals seine Zuschauerrolle verläßt, die bislang als einzig mögliche Art des Philosophierens betrachtet wurde, die aber in zweieinhalb Jahrtausenden genügend gezeigt haben sollte, daß sie stets nur zu immer neuen unbeweisbaren Phantasien, niemals aber zu etwas Gesichertem führen kann (was sich rein logisch beweisen läßt, da der nur zuschauende Mensch dabei nie den unendlichen Regreß der Geltungsbegründung zu überwinden vermag, der ihm jede wirklich gesicherte Erkenntnis auf diesem Wege unmöglich macht). Und selbst wenn man gelegentlich glaubte, nun alle Möglichkeiten von Systembildung, die auf diesem kontemplativen Wege gewinnbar sind, überschauen zu können, so hatte man dabei doch die eine Möglichkeit übersehen, die darin lag, den kontemplativen Weg, der den Menschen in der passiven Zuschauerrolle beließ, ganz zu verlassen, und sich einmal dem entgegengesetzten Wege zuzuwenden, wo der Mensch wirklich handelt, wirklich aktiv wird, aber nicht etwa so, daß er sich dabei nur als einen Handelnden wiederum betrachtet, sondern so, daß die gesuchte Erkenntnis durch Handeln und im Handeln überhaupt erst zustande kommt. Das ist der neue weg, den die Methodik, wie wir sie kurz nennen wollen, lehrt. Und mit ihm ist denn auch in der Tat eine Möglichkeit eröffnet, die bisher noch nicht erprobt wurde, die ganz neue Hoffnungen bietet und in der Tat diese nicht enttäuscht, sondern aufs schönste und vollständigste bestätigt. Natürlich sollen mit dieser Kritik an den kontemplativen Systemen des Idealismus (sie sind die einzigen, für die das Verhältnis zwischen Idee und Wirklichkeit, zwischen Geist und Gegebenem überhaupt zum Problem wird; ihnen gegenüber liegen alle sonstigen Systeme wie Positivismus, Materialismus, kritischer Realismus bereits auf sehr viel primitiveren Ebenen, da in ihnen dieses Kernproblem gar nicht auftreten kann, da es durch dogmatische Annahmen in den Prinzipien bereits eskamotiert ist) nicht deren große Verdienste geleugnet werden. Sie haben ihre geschichtliche Funktion ausgeübt und im Bereich der Geisteswissenschaften wertvollste

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Anregungen gegeben und wichtige Entwicklungen ausgelöst. Aber die Frage der Sicherheit, die der wirklich fundierten Tragweite der Aufstellungen, findet ihre Antwort für ein bestimmtes System zuerst und fast allein dort, wo mit den strengsten Methoden geprüft werden kann und die Verhältnisse zugleich der genauesten logischen Analyse zugänglich sind, das ist die Stelle, wo die exaktesten logischen Wissenschaften ihre ersten Fundamente haben, die von dem System gesichert werden müssen. Dorthin wird also auch hier hauptsächlich unser Blick gerichtet sein. Unsere zweite Einstellung, die methodische Einstellung der Erkenntnistheorie, liegt aber völlig außerhalb der Lockeschen Linie. Gewiß kommt auch sie in die Lage, »vorhandene Erkenntnis begründen zu müssen«. Aber sie vermag den oben in dieser Aufgabe liegenden Widerspruch zu vermeiden. Gewiß liegen auch vor ihr die ungeheuren Schätze der Naturwissenschaft und alles das, an Dignität so unendlich Verschiedene, was diese als »Erkenntnis« (oft ohne viel Unterschied zu machen) bezeichnet. Gewiß will auch sie solche Erkenntnis in ihrer Sicherheit verstehen, beurteilen und begründen. Aber sie vermeidet den Widerspruch, Gesichertes erst sichern zu wollen, indem sie erkennt, daß die empirische Sicherheit des praktischen Naturforschers eine andere ist als diejenige begründete Sicherheit, die sie selbst erstrebt. Sie ist so streng, logisch konsequent und systematisch in ihren Forderungen, daß sie alle, ausnahmslos alle »vorhandene Erkenntnis«, alle vorhandene praktische Sicherheit methodisch als »ZU gewinnende Erkenntnis« betrachtet. Eine solche Einstellung wäre ja schon vom »methodischen Zweifel« aus begründbar, der seit Descartes zu den herkömmlichsten Requisiten der Erkenntnistheorie gehört. Wir werden aber sehen, daß sie hier sehr viel mehr bedeutet, als dieses leider meist nur zu Paradezwecken benutzte Schwert der Lockeschen Richtung. Das Verfahren der methodischen Erkenntnistheorie oder Methodik muß also das sein, daß sie trachtet, genau die Wege aufzuweisen, auf denen sie alle diese als »Erkenntnis« bezeichneten Errungenschaften gewinnt. Soweit ihr das gelingt, soweit bedürfen diese Erkenntnisse dann keiner weiteren Sicherung mehr, denn indem der Weg, das Verfahren genau bekannt ist, wie die Eindeutig-

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keit und genaue beliebige Reproduzierbarkeit von bestimmten wirklichen Vorgängen bewirkt werden kann, sind diese in genau dem Ausmaß gesichert, in dem sie dem praktischen Forscher gegenübertreten, und darüber hinaus wird besten Falles ihr Gewinnungsbereich überhaupt prinzipiell angebbar. Soweit es ihr nicht gelingt bzw. soweit sie nachweisen kann, daß eine solche »Erkenntnis« durch sie nicht gewinnbar ist, liegt in ihrem Sinne auch keine Erkenntnis vor. Insoferne hört auch die methodische Erkenntnistheorie auf, im fachmäßig akademischen Sinne nur »Philosophie« zu sein. Sie wird, wo sie durchgeführt wird, weitgehend auch Element und Forschungsmittel des Einzelfaches, ein Element, das durchaus gegebenen Falles in der Lage ist, ändernd oder entscheidunggebend in die Resultate des Einzelfaches einzugreifen. Ihre Verbindung zur Philosophie aber bleibt dadurch gegeben, daß sie weit »hinter« dem Einzelfach bereits einzusetzen genötigt ist, also in Gebieten, die bereits mehreren oder allen Einzelfächern logisch voraus- und zu Grunde liegen, und daß sie vielfach Methoden benutzen muß, die nicht oder noch nicht zu dem gewohnten Handwerkszeug der rein empirischen und im höheren Sinne methodisch naiv betriebenen Einzelfächer gehören, trotzdem diese Methoden in ihr von der gleichen Stringenz und Verbindlichkeit sind, wie die gewohnten Methoden der Einzelfächer. Diese eindeutige Strenge ihrer Methoden, mit der sie steht und fällt, macht sie in dieser Hinsicht den Einzelwissenschaften gleichwertig und überlegen. Während des Zeitalters des Positivismus zeigte die Philosophie eine traditionelle Ängstlichkeit, ja alle Behauptungen der Einzelwissenschaften als von höherer Sicherheit anzuerkennen als ihre eigenen, da sie sich ihres eigenen Unvermögens bewußt war, von ihrem damaligen Standpunkte aus strenge Methoden zu gewinnen. In der Methodik ist das anders. Man hat gelegentlich den Gesichtspunkt der Sicherheit, der hier im Vordergrunde steht, fälschlich zusammengeworfen mit dem Begriff der »Lebenssicherheit«. Wenn wir den Wunsch nach Lebenssicherheit als höchstes Ziel des Daseins ablehnen müssen, als eine niedrige ethische Zielsetzung, die der im üblen Sinne bürgerlichen Lebenshaltung entspringt, so liegt darin nicht, daß nun alle Umstände von vornherein moralisch zu verdammen seien, in denen

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das Wort »Sicherheit« auftritt. In unserem Zusammenhang bedeutet Sicherheit nur ein weniger gut gewähltes Wort für »Eindeutigkeit«. Wir sehen hier davon ab, daß auch im Ethischen die Verwerfung der Lebenssicherheit nicht selbst höchstes Ziel sein kann. Eine Ethik, die darauf aufgebaut wäre, würde der eigentlichen höheren Zielsetzungen entbehren. Das Prinzip der Ablehnung der Lebenssicherheit darf in der Ethik immer nur bedeuten, daß die Erhaltung der Lebenssicherheit niemals der Verfolgung der höheren Ziele im Wege stehen darf, daß sie niemals Selbstzweck werden soll. Ebensowenig kann aber die W?rmeidung der Lebenssicherheit Selbstzweck sein, so wenig wie etwa die Vermeidung von Glücksgefühlen Selbstzweck werden darf. Wer aus dem Satze: »Die Lebenssicherheit darf nicht letzte Richtschnur sein«, schließt: »Also muß die Unsicherheit oberste Richtschnur sein«, begeht einen logischen Fehler aus der Logik der zweigliedrigen Schlüsse. Aus dem Satze folgt lediglich: »Nur etwas, was nicht Lebenssicherheit ist, darf oberste Richtschnur sein.« Mehr kann daraus nicht geschlossen werden. Mit dieser Zielsetzung würde ein richtiges und wichtiges ethisches Hilfsprinzip zum letzten Ziel der Ethik gemacht werden. Ob Nietzsche, den man für diese Zielsetzung verantwortlich macht, in der Tat seine Ethik sq gemeint habe, ist hier nicht zu entscheiden. Für uns handelt es sich nur darum, ob durch dieses wichtige ethische Hilfsprinzip auch verboten sei, Eindeutigkeit in den strengen Wissenschaften anzustreben. Ähnliches ist in der Tat behauptet worden. Man hat versucht, Sicherheit und strenge Methodik des Denkens in den exakten Wissenschaften und ihren Fundamenten als Ausfluß eines verächtlichen bürgerlichen Sicherheitsbedürfnisses aufzufassen und ihm das erwägungslose Wagen in diesen Wisse~schaften als das zu Erstrebende gegenüberzustellen. Hier dürfte eine elementare Verwechslung zwischen dem handelnden Menschen und seinem Instrumente vorliegen. Wenn der Mensch seine eigene Sicherheit nicht zur letzten Richtschnur seines Handelns machen darf, so ist damit nicht gesagt, daß er deshalb auch seine Instrumente, die er sich zur Verfolgung seiner höheren Ziele schafft, künstlich unsicher machen müsse. Es liegt gewiß im Sinne der höheren Ziele der Volksgemeinschaft, wenn eine mathematische oder kauf-

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männische Rechnung ein eindeutiges Resultat liefert, oder wenn es gelingt, Maschinen und Apparate nach eindeutigen Methoden so herzustellen, daß ihre genaue Reproduzierbarkeit garantiert werden kann. Gewiß würde es die Lebensunsicherheit erhöhen, wenn man das vermeiden würde, aber die höheren Ziele der Volksgemeinschaft würden dadurch Schaden leiden. Diese höheren Ziele liegen aber u. a. in der möglichst eindeutigen Beherrschung der Umwelt, und dazu dient die hier erstrebte Eindeutigkeit. Diese Ziele dienen der Erhaltung der Gesamtheit, und indem der Einzelmensch diesen dient, darf er sich nicht durch den Gesichtspunkt seiner persönlichen Sicherheit leiten lassen. So dient es gewiß nicht den Zielen der Volksgemeinschaft, wenn in den exakten Wissenschaften an Stelle strenger und eindeutiger Methoden das direktionslose Wagnis treten würde auf Grund einer Verwechslung des abzulehnenden Sicherheitsbedürfnisses des Einzelnen mit den höheren Sicherheitsinteressen der Gesamtheit. Wenn man ausgesprochen hat, daß Methoden dasselbe seien wie der Stil in der Kunst und daß man über Methoden nicht streiten könne, so mag das für den Bereich des Literarischen und Künstlerischen gelten (falls man das Wort »Methode« eben geeignet versteht). Gewiß aber gilt es nicht für den Bereich des strengen Denkens und der exakten Wissenschaften. Hier erfüllen Methoden nur dann den Sinn dieser Gebiete, wenn sie eindeutig und streng sind.

II

Methodische Erkenntnistheorie oder Methodik trennt sich mit dem Gesagten absolut von allem Geschichtlichen. Im bisherigen Erkenntnistheoretischen war eine der großen Fehlerquellen die Form der Fragestellung. Gelegentlich sogar im philosophischen Fachbereich, so gut wie ausnahmslos aber im naturwissenschaftlichen Bereich wurde die Frage nach der »Herkunft« der betrachteten »Erkenntnisse« unter Vermischung ganz verschiedener Betrachtungskategorien behandelt. Die Frage nach der »Herkunft« konnte einen historischen und einen psychologischen Sinn haben, sie konnte aber auch einen logisch-deduktiven Sinn haben. Wir werden hier noch

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einen vierten Sinn kennenlernen, der nur ganz selten gestreift wurde: den methodischen (oder eventuell auch systematischen) Sinn. Letzten Endes meinte man aber mit »Herkunft« stets eine Geltungsbegründung. Die methodische »Herkunft« einer Erkenntnis besteht in der eindeutigen Art ihrer Gewinnung durch methodische Handlungen. Ist diese Gewinnung tatsächlich eindeutig, so müssen aus logischen Gründen aus den methodischen Maßnahmen wichtige Aussagen über diese Erkenntnis folgen. Die methodische Gewinnung der Erkenntnis macht sie beliebig reproduzierbar und daher in ihrer Geltung überzeitlich, zeit- und ortlos. Die historische Herkunft einer Erkenntnis ist stets ein zeitlich einmaliger Vorgang, der mit ihrer zeitlosen Geltung keinerlei Beziehung hat. Die historische Gewinnung kann, gesehen von der methodischen Gewinnung aus, falsch gewesen sein. Ebenso steht es mit der »psychologischen Herkunft«. Auch bei den Vorgängen im Geiste von Forschern, die sich mit der Begründung der Erkenntnis befassen, kann es sein, daß sie nur vermeintlich zu dieser Erkenntnis führen, im Gegensatz zur methodischen Herkunft. Die logisch-deduktive Herkunft bedeutet schließlich die logische Ableitung des Resultates aus irgendwelchen Prämissen. Gelingt diese, so brauchen die Prämissen selbst noch nicht im Sinne der methodischen Gewinnung »richtig« zu sein. Das zeigt die Unabhängigkeit auch der logisch-deduktiven Herkunft von der methodischen. Nur wenn die logisch-deduktive Ableitung aus den methodischen Handlungen selbst erwächst, ist eine eindeutige Verbindung gegeben. Letzteren Vorgang habe ich für die Geometrie im einzelnen genau durchgeführt. 1 Wenn hier von einer überzeitlichen Geltung gewisser exakter Formulierungen gesprochen wird, so ist damit nicht etwa die Existenz einer vom Menschen unabhängigen objektiven Geisteswelt behauptet. Ist für eine Formulierung die nachweisbar beste Methode ihrer eindeutigen Gewinnung innerhalb der strengen Methodik im ganzen Die Grundlagen der Geometrie. Ihre Bedeutung für Philosophie, Mathematik, Physik und Technik, Stuttgart 1933. 1

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von irgend einem Denker einmal entdeckt, so kann diese Methode von anderen Menschen angenommen werden und muß wegen der Eindeutigkeit stets zum gleichen Resultate führen. Dadurch gewinnt dieses Resultat dann diese spezifische Art von »Objektivität«, welche es von da ab unabhängig von sonstigen Umständen stets eindeutig reproduzierbar macht für jeden Menschen, der diese Methode anzuwenden vermag. In diesem Sinne wird dann dieses Resultat »überzeitlich«. Diese Eigenschaft ist natürlich nur für Resultate möglich, die durch eindeutige, von andern erlernbare formale Methoden voll gewinnbar sind, d. h. nur für sogenannte strenge oder exakte Resultate. In allen den Teilen der Wissenschaft, welche nicht bis ins Letzte durch eindeutige, erlernbare Methoden beherrscht sind, gibt es solche Resultate nicht. Wo solche Methoden nicht vorliegen, wird die Formulierung von der persönlichen oder angeborenen Eigenart des Forschers abhängig, wie z. B. vielfach in den sogenannten Geisteswissenschaften (siehe hierzu am Ende von Nr. VI), ebenso wie auch bei den streng methodischen Resultaten die erste Entdeckung aus dieser Eigenart fließen muß. Es wurde gelegentlich die Meinung vertreten, daß auch die eindeutigen methodischen Formulierungen je nach der ererbten Eigenart des Einzelnen verschieden erlebt würden, so daß auch Sätze wie 2 · 2 = 4 oder der Pythagoreische Lehrsatz danach als verschieden aufzufassen seien. Auch jede dieser streng methodischen Formulierungen ist naturgemäß als Erlebnis eingebettet in den weitgehend erblich beeinflußten Erlebnishintergrund des Einzelnen. Nimmt man diese psychologische Erlebnisumgebung zu der strengen Formulierung hinzu, so ist die Meinung gewiß richtig. Es besteht aber die Tatsache, daß sich ein Teil dieses Erlebnisses in der Außenwelt angehörigen methodischen Handlungen äußern kann, welche von Anderen gelernt und nachgeahmt werden können. Damit gewinnt dieser Teil eine Art von »Objektivität« im angegebenen Sinn, und gerade dieser Teil ist derjenige des Erlebnisses, der als »formal« zu bezeichnen ist. Damit ist eine genaue Abgrenzung des Begriffes »formal« gegeben. Aus diesen Teilen dieser Erlebnisse aber setzt sich dann dasjenige an den sogenannten exakten Wissenschaften zusammen, was im obigen Sinne als »objektiv« bezeichnet werden muß. Daher kann z. B. die Herstellung von technischen

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Apparaten oder von Lösungen von Differentialgleichungen bekanntlich auch von solchen gelernt werden, welche diese nicht erfunden haben oder hätten erfinden können. Solche Herstellungen sind Handlungen in der gemeinsamen Außenwelt, die damit abgelöst werden von dem erbbedingten Seelenhintergrunde, aus dem sie alle einmal entsprangen. In dieser Ablösbarkeit beruht eben das »formale«. Nun wird man, wenn man von Methode spricht, zunächst an die Einzelwissenschaften denken. Es zeigt sich aber, daß man den methodischen Gesichtspunkt mit vollem Erfolg bereits in den Gebieten durchführen kann, welche allen Einzelwissenschaften vorausliegen, und die man der Philosophie zuzueignen pflegt. Auch dort zeigt der methodische Gesichtspunkt seine erstaunliche Kraft, indem er an die Stelle des unsicheren Tastens ein geradliniges Vorgehen mit eindeutigen Resultaten setzt. Ist man einmal auf das Methodische aufmerksam geworden, so erkennt man, daß auch im »Philosophischen« nichts Begründbares ausgesagt werden kann, ohne bestimmte geistige Handlungen (d.h. Methoden) anzuwenden. Es bedarf nur einer klaren und geordneten Herausstellung und Bewußtmachung dieser Elemente, um für die entscheidenden philosophischen, ontologischen und logischen Probleme auf einmal klare, eindeutige und unangreifbare Resultate zu sehen. Prinzipiell ist wohl folgendes zu sagen: Das nichtmethodische Denken in der Philosophie, d. h. ein Denken, das sich nicht des dauernden geistigen Handelns beim Philosophieren bewußt war, führt niemals zu gesicherten Ergebnissen. Indem man einfach bloß »denkt« und das Gedachte aufschreibt, ist niemals eine Sicherheit zu gewinnen, daß beim Anderen das Gleiche sich ergeben muß. In der Tat hat sich auch nur selten das Gleiche ergeben. Eine Übereinstimmung des Denkens verschiedener Personen (»personelle Objektivität«) ist so nicht zu erreichen, jedenfalls nicht zu sichern. Die Behauptung, daß eine solche Sicherung überhaupt nicht gewinnbar sei, ist natürlich unbewiesene Dogmatik, die nur so lange Beachtung finden kann, bis ein Weg dazu gewonnen ist. Durch die Existenz der sogenannten exakten oder strengen Wissenschaften in ihren wirklich strengen Teilen ist schon bewiesen,

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daß es weite Gebiete von Methoden gibt, die im obigen Sinne »objektiV« sind. Soweit dieses Methodische dem Gebiet des Handelns angehört, ist es nach der vorstehenden Definition zugleich »das Formale«. Wenn es also weite Gebiete von solchem eindeutigem formalem Methodischen gibt, dann muß es dazu auch ein gleichgeartetes Fundament geben. Das heißt aber, daß es eine eindeutige, formale, methodische Wissenschaft geben muß, die den schon vorhandenen derartigen Gebieten zugrunde liegt und deren letzte Begründung leistet. Diese muß dann ebenfalls in dem genannten Sinne objektiv sein. Es gilt hier also an den philosophischen Problemen das genau abzusondern, was einer strengen methodischen Behandlung zugänglich ist, d. h. was dem eben genannten Bereich des »formalen« oder Formalisierbaren angehört. Den Bereich, welcher den strengen Wissenschaften gemeinsam zugrunde liegt, rechnete man bisher zur Philosophie. Man konnte ihn als das Gebiet der theoretischen Philosophie bezeichnen. Es war sogar so, daß dieser Bereich zur Zeit der ersten Entstehung der Philosophie, im griechischen Altertum, ihren eigentlichen Kern bedeutete. Daraus folgt, daß auch das bisher als Philosophie bezeichnete Gebiet bedeutende Teile enthalten muß, welche der im obigen Sinne eindeutigen methodischen und damit formalen objektiven Formulierung zugänglich sind. Diese müssen gerade das in unserem Sinne Objektive an der Philosophie umfassen. Um diesen Teil des Philosophischen handelt es sich in dieser Arbeit. Nachdem der Begriff der Philosophie, besonders in den letzten 150 Jahren, in steigendem Maße in das Uferlose ausgeweitet worden ist, müßte für diesen Teil ein besonderer Name eingeführt werden. Wir bezeichnen ihn hier ·einfach als »Methodik«. Das wesentliche Ziel der Methodik ist also die Gewinnung einer möglichst umfassenden geistigen und manuellen »Kenntnis« des Wirklichen, was wir kurz als »Beherrschung« bezeichnen, mittels eindeutiger, ein für allemal festlegbarer und im obigen Sinne objektiver Regeln. Diese Regeln sollen sonach überall und immer anwendbar sein, als auch von jedem interessierten und hinreichend begabten Menschen stets mit gleichem Erfolg angewendet werden können. Regeln dieser Art wollen wir kurz als »allgemeingültig« bezeichnen, was hier stets nur im dargelegten Sinne zu verstehen ist.

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Nur eine solche strenge Untersuchung vermag die lebenswichtigen sogenannten exakten Wissenschaften in ihrem Bestand und in ihrer Methode voll zu sichern. Die Behauptung, daß dies nicht nötig sei, weil dies durch »die Natur« schon geschehe, ist falsch und stellt den Ausfluß einer unbewußten zeitbedingten dogmatischen Metaphysik dar. Sie ist in der Tat nichts als ein Ausdruck des Umstandes, daß die englische Aufklärungsphilosophie und ihr metaphysischer Empirismus heute noch die meisten Geister in ihrem dogmatischen Banne hält. Da solche Regeln als »Aussagen« gefaßt werden müssen, so ist es nötig, zunächst Umschau zu halten, welche Arten von Aussagen von vorneherein Allgemeingültigkeit in diesem Sinne mit sich führen. Es gibt zwei Arten, bei denen dies der Fall ist: a) Aussagen, welche Umstände der gemeinsamen Außenwelt mittels der gemeinsamen Sprache nach bestem Wissen in Worte fassen. Wir wollen sie hic·et-nunc-Aussagen nennen. Sie sind innerhalb der Möglichkeiten der Sprache eindeutig, behalten dauernd ihre einmalige Geltung und können verschiedenen Menschen, welche dasselbe Außenerlebnis haben, gemeinsam sein. b) Aussagen, welche eine Absicht des möglichen Handelns aussprechen (gegebenen Falles unter bestimmten Umständen). Wir wollen sie als »Willenssätze« bezeichnen. Sie sind innerhalb der Möglichkeiten der Sprache eindeutig, können, falls die ausgesprochene Absicht unentwegt festgehalten wird, als dauernd bezeichnet werden, und können allen Menschen, welche sich zu der gleichen Absicht entschließen, gemeinsam sein. Diese beiden Arten von Aussagen sind also im obigen Sinne von vorneherein allgemeingültig und damit von vorneherein in ihrer Geltung gesichert. In meiner Schrift »Das System« (München 1930) habe ich gezeigt, daß sie auch die einzigen Aussagearten sind, die diese Eigenschaft von vorneherein aufweisen. So sind z. B. alle Definitionen, Handlungsanweisungen, Rezepte, Herstellungsregeln usw. als solche in diesem Sinne »sicher« (wenn auch zunächst nicht in ihrem Erfolg). Dagegen sind alle Urteile über Wirkliches, die nicht hic-et-nunc-Aussagen sind, von unserem strengen Ausgangsstandpunkte aus zunächst unsicher, solange bis sie auf dem strengen methodischen Wege eine Sicherung erlangt haben.

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So sind z.B. alle induktiven Aussagen von hier aus gesehen zunächst als unsicher zu bezeichnen. Hic-et-nunc-Aussagen drücken ihrer Definition nach nur eine einmalige Geltung im Wirklichen aus. Der Sinn aller Methodik aber ist es, Aussagen zu gewinnen, welche eine dauernde Geltung im Wirklichen besitzen. Methodik kann also in ihren wesentlichen Aussagen nicht durch hic-et-nunc-Aussagen gesichert werden. Die einzige Möglichkeit, die ihr dazu übrigbleibt, ist daher die Verwendung von Willensaussagen. Nur durch Willensaussagen können also, wenn überhaupt, dauernd und überall, sowie im obigen Sinne objektiv in der Wirklichkeit geltende Aussagen (GesetzesAussagen) so begründet werden, daß sie keinerlei Unsicherheit mehr aufweisen. Umgekehrt: Nur solche Gesetzesaussagen weisen keinerlei Unsicherheit mehr auf, die völlig auf Willensaussagen gegründet sind. Nun gründet sich offenbar alle Methodik ihrem Wesen nach auf Willensaussagen, denn alle methodischen Aussagen sind Anweisungen über einen Handlungsweg, um bestimmte Zwecke zu erreichen. So zeigt sich von hier aus schon, daß alle Gesetzesaussagen, die keinerlei Unsicherheit mehr aufweisen, nur auf Methodik gegründet werden können. Der Versuch, die Methodik von Anfang an durchzuführen, muß auf jeden Fall einmal gemacht werden. Er besteht darin, daß man auf alle unbewiesenen philosophischen und ontologischen Behauptungen verzichtet (die »Epoche«, die für den Beginn des Philosophierens, den sogenannten »Ürt des Ursprungs«, wenn sauber gedacht werden soll, stets unumgänglich ist) und vor allem einmal erst die Instrumente etwas bereit stellt, die nun beim Beginn des geordneten Denkens verwendet werden sollen. Es ist nicht nötig und auch nicht möglich, diese Instrumente im einzelnen genau zu formulieren. Es genügt, sich des Handlungsziels genau bewußt zu werden, das man anstrebt. Der wesentliche Punkt hierbei, welcher die Bereitstellung der »Instrumente« vor aller Methodik einwandfrei ermöglicht, ist der, daß diese Instrumente selbst noch keine allgemeingültigen Gesetzesaussagen enthalten. Solche Instrumente sind z. B.: vergleichen können, denken können, reden können, schreiben können usw. Diese Instrumente treten am Ausgangspunkt der Methodik aber nicht etwa

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als Aussagen auf, d. h. nicht in sekundärer Form, sondern in primärer Form; sie treten nicht in Reflexion darüber auf, sondern sozusagen in persona, als ausübende aktive Tätigkeiten und nur so. Wenn nämlich Methodik alle allgemeingültigen Gesetzesaussagen erst begründen soll, so darf sie solche nicht schon in ihren eigenen Fundamenten benötigen oder enthalten. Die ersten Fundamente der Methodik bestehen also allein in aktiven Tätigkeiten, anders formuliert in der Fähigkeit zu solchen, nicht aber in Aussagen, Axiomen, Grundsätzen, Prinzipien usw. Die erste der hierbei ausgeübten aktiven Tätigkeiten ist die, den Entschluß zu fassen, Gesetzesaussagen in letzter Begründung zu gewinnen. Aus diesem Zielwillen leiten sich die weiteren Schritte der Methodik her. Es ist klar, daß am Anfang jeder Methodik ein solcher Zielwille stehen muß. Es sei schon hier darauf hingewiesen, daß damit die Methodik nicht in einem metaphysischen »Geistigen« wurzelt, sondern im primären, unmittelbaren Leben. Denn der Zielwille zu eindeutigen Gesetzesaussagen fließt aus dem lebendigen Leben, das vor aller solchen Wissenschaftserzeugung steht, und von dem die letztere immer nur ein Instrument, also ein Instrument des Lebens, ist. Ebenso sei schon hier ein Wort darüber gesagt, inwiefern die Methodik vom »Ich« ausgeht und inwiefern nicht. Diese Frage hängt eng mit dem zusammen, was soeben darüber gesagt wurde, daß die Wurzeln der Methodik im primären Leben liegen. Gewiß ist jedes empirische Ich, das sich mit der Methodik vertraut machen will, gezwungen, für sich selbst dieses Studium vorzunehmen. Jedes solche Ich, das die Methodik wirklich verstehen will, ist genötigt, ihre Gedankengänge und Handlungsanweisungen von neuem in sich Schritt für Schritt aufzubauen. Aber die Methodik wurzelt nicht in diesem einzelnen empirischen Ich, sondern sie erwächst, wie wir sahen, aus der obersten Zielsetzung dieses Bereiches, nämlich aus dem Willen, eine wachsende eindeutige Beherrschung des Wirklichen durch Gesetzesaussagen zu erlangen. Dieser Wille aber wurzelt wiederum in der obersten ethischen Zielsetzung der Menschenart, aus der die Wissenschaft zuerst entsprang und die sie von da ab weiterführte. So entjließt die Methodik zuletzt einer sozialen Zielsetzung und entspringt aus einem bestimmten Menschentum, den antiken Griechen und danach den Westindogermanen, zu

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deren größten Schöpfungen sie gehört, wenn sie auch zunächst nicht in der hier gelehrten Gestalt der Methodik hervortrat. Dieser Ursprung besteht, trotzdem sie sich notwendigerweise danach an jedes einzelne, ebenso wollende Ich wenden und daher so formuliert werden muß, daß dieses Ich die geordneten Handlungsreihen der Methodik für sich zu durchlaufen vermag. Da nur ein Ich jeweils die einzelnen geforderten Handlungen wirklich auszuführen vermag, so muß die Methodik ihre Handlungsanweisungen vom Ich aus formulieren. Dennoch wurzelt aber die Methodik in jenen Tiefen, aus denen die letzten Zielsetzungen des Lebens entspringen; das aber sind die erbüberkommenen Gebiete der Gemeinschaftsseele derer, die sie schufen und schaffen. Es sei darauf hingewiesen, daß nur die Methodik unter allen aufgetretenen Erklärungen des »objektiven Geistes« die Eigenschaft hat, direkt im primären Leben zu wurzeln und ihre strenge Geltung gerade aus diesem Umstand zu gewinnen. Wenn man also den Bau des geordneten Denkens von Anfang an neu errichten will (jeder Andere erlebt das von neuem, wie etwa jeder Mathematik Lernende den Bau der Mathematik von Anfang an für sich sozusagen neu errichten muß, um ihn zu lernen), so muß man dazu alles bisherige wissenschaftliche Wissen beiseitesetzen. Man darf dabei also auch nicht so eingestellt sein, daß man den Wunsch hegt, die entstehende Denkordnung solle so beschaffen sein, daß z. B. die vitalistische Überzeugung dabei bestätigt wird, oder daß ein rationaler Gottesbeweis dabei zustande komme, oder daß die Behauptungen gewisser Theoretiker der Physik dabei sich ergeben müßten, usw. Bei völlig strenger Durchführung ist der Gang des Methodischen so eindeutig gebunden, daß sich gar keine Gelegenheit ergeben kann, solchen Wünschen Rechnung zu tragen. Viele von diesen Wünschen liegen ja an und für sich schon außerhalb des methodischen Bereiches. Die methodische Einstellung hat den einzigartigen Vorzug, daß sie ihrem Wesen nach jedes solches Präjudiz ausschließt. Denn sie stellt ja an ihren Anfang überhaupt keine Behauptungen oder Aussagen irgendwelcher Art über irgendetwas »Vorhandenes«, über eine Beschaffenheit der Realität usw. Sie setzt sich lediglich ein Ziel, ein Handlungsziel, und fragt nach den (geistigen

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und manuellen) Handlungen, die ausgeführt werden müssen, um dieses Ziel zu erreichen. Natürlich kann auch ihr Anfang nicht im freien Raum schweben, kann auch sie nicht aus dem Nichts beginnen. Aber das, woraus die methodische Einstellung ihren Anfang nimmt, ist das Natürlichste und Selbstverständlichste, das es gibt, es ist das tägliche Leben in seiner untheoretischen und gewöhnlichsten Form. Alle Künsteleien des Sich-vor-sich-selbst-Versteckens, des Sich-selbstWegdenkens usw. fallen völlig weg. Ich, in meinem ganz unproblematischen alltäglichsten Leben, fasse eines Tages den Entschluß (und kann das beliebig wiederholen), den Bau des geordneten Denkens zu errichten. Ich kann dabei nichts anderes, als was ich in diesem täglichen Leben dauernd kann. Und nichts anderes wende ich für mein Ziel an. Unser Ziel aber ist, über die Zufälligkeiten, U nübersichtlichkeiten und Ungeordnetheiten des täglichen Lebens hinauszukommen und ein Verfahren zu gewinnen, um wenigstens in gewissem Bereich eine eindeutige und darum absolut sichere und jeden Augenblick reproduzierbare geistige und manuelle Beherrschung natürlicher Umstände zu gewinnen, die zugleich so beschaffen ist, daß sie jeder normal begabte Andere ebenfalls nachmachen und erreichen kann. Ob man dies dann als »Erkenntnis« bezeichnen will, ist eine terminologische Frage. Der Wunsch, daß dabei Erkenntnis im bisherigen Sinne zutage komme, wäre natürlich ein dogmatisches Präjudiz und muß beiseite gestellt werden. Wenn nur die oben geforderte Beherrschung und Sicherheit gewonnen wird in dem Umfang, der schon praktisch besteht, so ist das schon ein Erfolg, der die Arbeit lohnt, da diese dann auf einer festen und unangreifbaren Basis steht. So sondert sich schon durch den bloßen Willen zum methodischen Vorgehen ein natürlicher Ausgangspunkt für alles theoretische Philosophieren ab, eben der Ausgangspunkt unseres täglichen untheoretischen Lebens, der ja stets unvermeidlich der Ausgangspunkt sein mußte und war, denn er ist der einzige, der ohne jeden Zwang und ohne denkerische Künsteleien eingenommen werden kann. Hier findet nun eine wichtige Schnittlegung statt, die anders liegt als die bisher üblichen und sofort eine Reihe von Scheinproblemen beseitigt. Von der geschilderten Grundlage aus bauen wir nun stu-

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fenweise, d. h. das Folgende stets fußend auf dem Vorhergehenden, alle diejenigen methodischen Maßnahmen zur Gewinnung eindeutiger, allgemeingültiger und objektiver Gesetzesaussagen für das Wirkliche auf, die unseren obigen Anforderungen genügen. Wir nennen diesen Aufbau kurz »das System«. Der vollen und letzten Begründung gegenüber, welche diese Gesetzesaussagen im System erhalten, muß vom strengsten Standpunkt aus, den wir hier einnehmen müssen, alles Gesetzesartige, was nicht die volle Begründung des Systems besitzt, als unbegründet oder nicht völlig begründet bezeichnet werden. Selbst wenn der Wortlaut der Gesetzesaussage genau der gleiche wäre wie im System, wäre doch die Begründung im einen Fall unvollkommen, im anderen Falle vollständig. Es zeichnet sich hier also eine Grenzlinie ab zwischen den vollbegründeten Aussagen des Systems und allem Übrigen, dem » Vorsystematischen«. Diese Linie ist völlig eindeutig und scharf definiert. Die früheren Linienziehungen waren etwa die zwischen Denken und Sein, Geist und Materie, Idee und Wirklichkeit usw. Diese sind zwar vielfach praktisch sehr brauchbar und wichtig, erweisen sich aber bei genauem Zusehen als nicht völlig scharf definiert, ja nicht einmal als völlig scharf definierbar. Es sind dem System gegenüber vorläufige, vorsystematische Begriffsbildungen, die in weitem Bereiche zwar praktisch hinreichen, in vielen Grenzfällen aber versagen. III

Auf diesem Ausgangspunkt des Systems besitzen wir nun die Fähigkeiten des Wollens und Handelns in der alltäglichen und gewohnten Art, und das sind auch die einzigen Instrumente, die uns zur Verfügung stehen, um nun »Wissenschaft« zu machen. Wir wollen diese Fähigkeiten, die in ihrer naiven alltäglichen Form schon mitgebracht werden, ganz unspezifiziert als »Grundfähigkeiten« bezeichnen. Auf Grund deren fassen wir den Willen, im obigen Sinne »Wissenschaft«, d. h. eindeutige sichere Beherrschung der Umstände, in möglichstem Umfange zu gewinnen.

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Dazu ist es zunächst nötig, daß unsere Bezeichnungen und Begriffe selbst eindeutig sind. Denn es ist unmöglich, Sicherheit zu erreichen, wenn nicht einmal sicher ist, was mit einem Wort gemeint ist. Wir können uns aber vornehmen, so zu handeln, daß das erreicht werde, und es gelingt, Regeln anzugeben, deren Befolgung das garantiert. Diese sind denn, daß wir dieselbe Bezeichnung nicht für Verschiedenes verwenden dürfen, daß wir für Gleiches auch dieselbe Bezeichnung verwenden und die Bezeichnung festhalten und nicht beliebig wechseln. Die Durchführbarkeit dieser Maßnahmen ist uns durch unsere Grundfähigkeiten ermöglicht. Diese Festlegungen enthalten schon das methodische Prinzip der Identität und des Widerspruchs. Wenn wir uns entschließen, unter Negation stets das gesamte Möglichkeitsfeld dessen, was der negierte Begriff umfaßt, zu verstehen, so gilt auch das Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten. (So wird z. B. ein Satz entweder gelten, oder sein Gegenteil. Wird unter letzterem, wie selbstverständlich, auch der Fall umfaßt, daß eine Entscheidung des Geltens noch nicht vorhanden ist oder sogar von manchen als unmöglich betrachtet wird, so ist die von Brouwer in der Mathematik versuchte Durchbrechung des Prinzips ebenfalls erledigt. Die Frage, ob und mit welchen Mitteln dann eine Entscheidung getroffen werden kann, liegt auf einer ganz anderen Ebene und hat mit dem Prinzip selbst gar nichts zu tun.) Man bemerkt, daß für diese methodische Auffassung der drei logischen Grundsätze jede weitere Begründung unnötig wird. Die Sätze verlieren auf diese Weise natürlich den »Ontologischen Sinn«, indem sie auf den methodischen eingeschränkt werden. Aber die Behauptung, daß sie eines ontologischen Sinnes bedürften, ist ja selbst bereits eine metaphysische Behauptung über die spezielle Natur des Seins. Wie sollte am Anfang aller Wissenschaft aber eine solche Behauptung begründbar sein? Wir begnügen uns daher mit dem, was hier im Methodischen erreichbar ist (in der Tat zeigt sich, daß nichts an der Wirkung dieser Grundsätze durch diese Auffassung verloren geht). Nach unserer Definition von »formal« können diese Sätze, soweit sie in unserem Sinne objektiv sind (und nur diese Seite von ihnen kann ja für die Methodik in Betracht kommen), ja auch nur als formale in die Methodik eingehen. Damit

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aber sind sie dann auch im obigen Sinne allgemeingültig geworden und zugleich als solche in ihrer Geltung gesichert und von jeder Unsicherheit befreit. Schon im Bereiche des Logischen, in der »Begriffsbildung«, wirken nun zum ersten Male weitere Grundfähigkeiten mit, die weiterhin große Bedeutung erlangen: das Vermögen, eine geistige Form festzuhalten und Erlebnisse mit ihr zu vergleichen. Solche geistigen Formen nennen wir Ideen im allgemeinsten Sinn. Wenn ein erlebter Gegenstand etwa vor unseren Augen sich verändert, so bemerken wir den Unterschied gegenüber dem geistigen Bild seiner vorherigen Beschaffenheit. Wenn der vorher sitzende Sokrates jetzt geht, so verknüpfen wir diesen jetzt sich ganz anders verhaltenden Gegenstand mit dem früheren, indem wir beide als denselben betrachten, an dem nur jeweils eine besondere Korrektur, ein Akzidens anzubringen ist. Schon die tägliche Sprache ist völlig beherrscht von diesem Prinzip, indem sie durch eine »nähere Bestimmung«, welche dem Wort für den Gegenstand hinzugefügt wird, den veränderten Gegenstand bezeichnet. Der ungeheure technische Gewinn dieses methodischen Verfahrens ist klar; es erlaubt die unübersehbar vielen fließenden Vorgänge des Erlebens auf relativ wenige konstante geistige Formen zu beziehen, und sie so zunächst wenigstens angenähert für den täglichen Gebrauch übersichtlich geistig und sprachlich zu beherrschen. (Der Substanzbegriff ist dann der Versuch, dieses methodische Prinzip zur letzten Konsequenz zu treiben, indem eine geistige konstante Form gesucht wird, der gegenüber womöglich alle realen Erlebnisse durch Hinzufügung näherer Bestimmungen bezeichenbar sind.) Wir wollen dieses allgemeine methodische Grundprinzip als das »Prinzip der konstanten Idee« bezeichnen. Dieses Prinzip ist einer der tragenden Pfeiler aller Wissenschaftsbildung überhaupt. Auch um Gruppen von Einzelgegenständen nach einer Richtung, der ihrer »Vielheit« hin, zu kennzeichnen, vermögen wir solche konstante Ideen zu benutzen. Wir wählen uns bestimmte solche Gruppen als Vergleichsgruppen, die sogenannten Zahlen, in ihre Einsen aufgelöst, und charakterisieren andere Gruppen, deren Glieder den Einsen ein-eindeutig zuordenbar sind,

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durch diese Zahlen. 2 So ist auch jede der gemeinen Zahlen eine konstante Idee, praktisch geknüpft an eine gewählte Vergleichsgruppe, für welche das betreffende Zahlzeichen steht, und wird so zu einer methodischen Maßnahme. Von da aus läßt sich, ebenfalls als eine Reihe methodischer Maßnahmen, die Arithmetik gewinnen. Auch ein zweites entscheidendes methodisches Prinzip macht sich schon hier bei den Zählzahlen geltend: das Aufbauprinzip. Es können die Zählgruppen der einfacheren Art dadurch gewonnen werden, daß man mit einer (uneigentlichen) Gruppe von einem Gegenstand beginnt und nun höhere Gruppen gewinnt, indem man immer einen neuen Gegenstand zu der vorhandenen Gruppe hinzufügt. Die eminente praktische, methodische Bedeutung dieses Prinzips ist klar: Wenn ich kompliziertere Erlebnisse aus einfacheren zusammenzusetzen vermag, so erleichtert dieses methodische Verfahren ebenfalls außerordentlich die geistige Bewältigung dieses Gebietes, weil der Geist sich nicht die sehr große Vielzahl der möglichen Kombinationen zu merken braucht, sondern mit wenigen Grundelementen (»Bausteinen«) diese zu beherrschen vermag. Die beiden Prinzipien der konstanten Idee und des Aufbaus haben nicht nur eine geistige Bedeutung, sondern eine ebenso große »manuelle«. Wir gebrauchen den Ausdruck »manuell« für das »methodisch Reale«. Würden wir von Realem schlechtweg sprechen, so würde das ein Reales bedeuten, das ohne unser Zutun und ganz unabhängig von diesem besteht. Es wäre »Gegebenes«. Ist aber einmal die Aufmerksamkeit auf das Methodische gerichtet, so tritt im Realen dasjenige mehr in den Vordergrund, das wir selbst irgendwo methodisch behandeln, bearbeiten, formen, oder mindestens aktiv aussondern. Für diesen wichtigen Bereich des Wirklichen, dessen Bedeutung ohne die methodische Einstellung nicht erkannt wird und auch in der Tat bisher nicht erkannt wurde, bedarf es dann einer Sonderbezeichnung. Wir wollen daher kurz vom »methodisch Realen« sprechen und die auf das Reale angewandte Methodik kurz als manuelle Methodik bezeichnen. Die Streitfragen im Ontologischen spielten sich bisher ausschließ' Näheres siehe meine »Philosophie der Logik und Arithmetik«, München 1931.

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lieh an dem scheinbar kontradiktorischen Begriffspaar: real-ideal ab. Die Methodik zeigt, daß sich hier eine dritte Möglichkeit dazwischenschiebt: eben das soeben erwähnte »methodische Reale«. Dieses sind die Realisierungen von Ideen, die wir selbst künstlich vornehmen. Das sind dann nicht Ideen, es ist aber auch nicht »Natur«, d. h. gehört nicht zum Gegebenen, Vorgefundenen. Es ist von uns nach unseren Ideen geformte Natur. Wenn in den Diskussionen über die Erkenntnistheorie des Physikalischen (im weitesten Sinn) stets nur die Möglichkeiten behandelt wurden, ob das Physikalische der Natur oder der Idee angehört, so konnte ich zeigen, daß hier gerade der dritte Bereich, der bisher überhaupt nicht in Betracht gezogen wurde, die entscheidende Rolle spielt. Das Prinzip der konstanten Idee wirkt sich im Manuellen dahin aus, daß reale Verhältnisse gesucht oder herzustellen versucht werden, welche eine möglichst große, d. h. möglichst genaue und dauernde Konstanz aufweisen. Solche sind dann unserer oben gekennzeichneten Denkart, die wir eben als »Prinzip der konstanten Idee« bezeichneten, am konformsten, entsprechen am unmittelbarsten unseren Denkformen, sind daher am unmittelbarsten überschaubar und beherrschbar. Auch das Prinzip des Aufbaues hat eine unmittelbare manuelle Bedeutung. Auch im Manuellen (und dort historisch lange bevor das Prinzip als geistiges bewußt wurde) arbeiten wir mit »Bausteinen«, d. h. setzen kompliziertere Gebilde systematisch aus elementareren konstanten Gebilden zusammen (das alltäglichste Beispiel ist ja der Hausbau; die ganze Technik ist überhaupt von diesem Prinzip beherrscht). Ein Korrolar des Aufbauprinzips ist nun, daß in vielen Fällen es methodisch von Wert ist, für ein Gebiet die »einfachsten« Bausteine zu suchen sowie den Aufbau selbst auf die »einfachste« Weise zu vollziehen. Die einfachsten Bausteine sind dabei diejenigen, welche ein Minimum an Bestimmungen des betreffenden Gebietes aufweisen. Im Manuellen hat dieses Prinzip, das wir als »Ökonomieprinzip« bezeichnen können, teilweise, doch nicht hauptsächlich die Bedeutung der Arbeitsersparnis und Zeitersparnis, indem so meist in kürzester Zeit der größte Effekt der Handlungen erreichbar ist. Im Geistigen hat dieses Prinzip ebenso wie im Manuellen daneben die wichtige Funktion, den vollen Überblick über alle

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vorhandenen Möglichkeiten zu sichern und zugleich in vielen Fällen die Eindeutigkeit der Bestimmungen zu garantieren, da der Superlativ »einfachst« vielfach einer eindeutigen Bestimmung eines Elementes gleichkommt, eine »eindeutig machende Forderung« ist. Sind die einfachsten Bausteine eines Gebietes methodisch eindeutig bestimmbar als Ideen (das wäre dann ein methodisches Apriori), so kann mit dem »Prinzip der Synthese« die Wissenschaft dieses Gebietes dann in voller methodischer Strenge und Begründung aufgebaut werden (wie ich es z. B. für die Geometrie im einzelnen durchgeführt habe in »Die Grundlagen der Geometrie«, Stuttgart 1933). Diese Wissenschaft ist damit endgültig für die Methodik, d.h. für »das System« gewonnen und steht in ihren Grundlagen und, soweit sie streng aufgebaut ist, in ihrer Ausführung dann jenseits der Unsicherheit. Da das Methodische immer zugleich Realisierungsanweisung für die Außenwelt ist, so gilt diese Aussage dann auch für die nach dieser Wissenschaft behandelte Wirklichkeit. Die genannten Prinzipien kommen deutlich zur Wirkung bei der Behandlung konstanter Gestalten überhaupt. Werden hier die einfachsten Gestalten gesucht, so gelangt man zu den Elementargestalten der Geometrie: Ebene, Gerade, deformationsfreier Körper. Im einzelnen kann natürlich eine erste konstante Elementargestalt nur so gewonnen werden, daß nicht in ihrer »Definition« selbst schon solche verwendet werden. So ist die Kugel als solche nicht zu brauchen, weil sie schon die starre Strecke voraussetzt. Dagegen ist die Ebene so gewinnbar. Auf ihr aufbauend können dann die übrigen Elementarformen erhalten und mit ihnen als den einfachsten Bausteinen die gesamte Geometrie aufgebaut werden. 3 Von grundlegender Wichtigkeit ist hier die methodische Form des Axiombegrijfes. In der eben skizzierten methodischen Geometrie, d.h. eben der auf zielbewußte geistige und manuelle Handlung aufgebauten Geometrie, stehen am Beginn nicht Axiome im alten Sinn. Axiome im alten Sinn waren Sätze, welche bei einer Realwissenschaft ontologische Allgemeinbehauptungen über die Beschaffenheit der Natur oder natürlicher Gegenstände enthielten. Diese Behauptungen besaßen als die ersten des darauf ruhenden deduk' Näheres siehe meine »Grundlagen der Geometrie«.

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tiven Gebäudes innerhalb dieses natürlich keinerlei Begründung. Ihre Begründung erhielten sie angeblich durch sogenannte »Evidenz« oder bei den Naturforschern und, seit den englischen Empiristen, mehrfach auch bei den Philosophen, angeblich aus der »Erfahrung«. In Wirklichkeit liegen diese Verhältnisse je nach der betreffenden Wissenschaft sehr verschieden und können hier nicht weiter behandelt werden. In der Geometrie wurde dann seit den letzten 50 Jahren vielfach überhaupt auf eine Begründung verzichtet, indem diese (nebst anderen Geometrien) rein als hypothetisch-deduktives System aufgebaut und die Entscheidung zwischen den verschiedenen Geometrien angeblich der Erfahrung überlassen wurde. Von philosophischer Seite wurden immer wieder schwerwiegende (und naheliegende) Gründe gegen die Möglichkeit empirischer Entscheidung dabei vorgebracht. In der methodisch aufgebauten Geometrie stehen nun am Anfang definitionsartige Aussagen darüber, wie diese Grundelemente beschaffen sein sollen (Ideen); und diese Aussagen sind so beschaffen, daß sie zugleich Handlungsanweisungen für die reale Herstellung, die Realisierung solcher Gebilde in der Wirklichkeit, also »Herstellungsanweisungen« darstellen. Diese sind dabei so geartet, daß sie logisch die Funktion der alten Axiome übernehmen können, d. h„ daß aus ihnen durch logische Deduktion die Sätze der Geometrie abgeleitet werden können. Ich habe diesen Aufbau am angegebenen Ort durchgeführt. Hier haben wir ein weiteres Beispiel dafür, wie eine exakte Wissenschaft im Bereiche des Methodischen begründet und aufgebaut wird. Es ist charakteristisch, daß hierbei die alten philosophischen Probleme der Natur und Geltung der Axiome gegenstandslos werden; denn daß die nach den Anweisungen hergestellten Realisierungen die ihnen dabei aufgeprägten Eigenschaften besitzen, ist tautologisch. Andere rein geometrische Gebilde als künstlich hergestellte oder von uns in die Natur introjizierte gibt es nicht. Die universelle und apodiktische Geltung der geometrischen Sätze an diesen Gebilden ist damit selbstverständlich geworden und bildet kein philosophisches Problem mehr. Damit sind die wichtigsten sachlichen Seiten dessen, was man früher bei diesen Axiomen als »Apriori« bezeichnete, garantiert, ohne dabei eine der unbeweisbaren Theo-

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rien über die Art dieses Apriori in Kauf nehmen zu müssen, mit denen der Begriff meist verknüpft war. Rein der Sache nach kann man auch im Methodischen von einem Apriori sprechen (ich habe es gelegentlich »Herstellungsapriori« genannt). Ebenso gelingt nun auch die methodische Fundierung der exakten Naturwissenschaft. Auch hier müssen gemäß den obigen Prinzipien einfachste Elementarbausteine für die daraus systematisch aufzubauenden Vorgänge durch definitionsartige Aussagen festgelegt werden, welche zugleich die Bedeutung von Herstellungsanweisungen haben und für die logische Deduktion die Rolle von Axiomen übernehmen (etwa als »Herstellungsaxiome« zu bezeichnen). Das, was dem bisher Gesagten gegenüber eine weitere Wissenschaft dieser Art, eben die exakte Naturwissenschaft, nötig macht, ist der Umstand, daß in den oben behandelten methodischen Verfahren (in Logik, Arithmetik, Geometrie) nur konstante Formen zur Anwendung kommen. In diesen hat also das Elementarerlebnis der Veränderung noch keinen Raum. Dies aber hereinzunehmen ist der Sinn der nun noch zu begründenden Wissenschaft, die man als »Physik im weitesten Sinn« bezeichnen kann. Die sich bei diesem Bemühen eindeutig ergebenden Herstellungsanweisungen erweisen sich als die Grundlage dessen, was man heute als »klassische Mechanik«, im Speziellen als »Dynamik« bezeichnet.4 Dadurch erweist es sich, daß wir nicht nötig haben, die in den Grundlagen der klassischen Mechanik auftretenden Aussagen als »Naturgesetze« im Sinne einer metaphysischen Bestimmtheit der »Natur« aufzufassen, sondern daß diese sich bei der methodischen Betrachtungsweise einfach als »methodische Maßnahmen« oder Hilfsmittel herausstellen, welche nötig sind, um als Bausteine auch das Gebiet des Veränderlichen geistig und manuell zu beherrschen. Auch hier kommen damit die schwierigen (und unlösbaren) philosophischen Fragen nach dem Wesen dieser Naturgesetze in Wegfall. Die methodischen Bausteinformen des Dynamischen dienen im ' Siehe hierfür die in meinem Buche »Das Experiment, sein Wesen und seine Geschichte« (München 1928) gegebenen Ableitungen sowie besonders mein eben erscheinendes Werk »Die Methode der Physik«.

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Manuellen besonders zur Herstellung eindeutiger Meßapparate, mit denen wir dann erst die übrigen Naturerscheinungen eindeutig abgrenzen und beherrschen können. Alles dies sind nicht nur »philosophische Behauptungen«, sondern Aussagen, welche die wirkliche Durchführbarkeit in der Einzelwissenschaft hinter sich haben. Es ergibt sich überhaupt ganz allgemein, daß man niemals nötig hat anzunehmen, daß die »Natur« allgemeine Gesetze enthält, es zeigt sich vielmehr, daß alle Vorgänge, wo in der Wirklichkeit solche Gesetze sichtbar zu werden scheinen, entweder durch methodische Formungen unsererseits zustande kommen oder spontane Wiederholungen von Einzelerscheinungen sind. Das streng nachgewiesene Allgemeine liegt stets nur im Denken und im Methodischen. Vor allem aber erweist sich das obige Bausteinprinzip von so allgemeiner Bedeutung, daß es ganz umfassende Wirkungen besitzt, die sich in dem äußern, was man im Geistigen als Gesichtspunkt des Systems bezeichnen muß. Durch die konsequent methodische Einstellung wird bei dem geschilderten Vorgehen eine unmittelbare und völlige Zusammenarbeit des ideenhaft Geistigen mit dem Manuellen erzielt. Die alten Probleme der Erkenntnistheorie und Ontologie, die seit den Griechen die Denker beschäftigt und in verschiedene Schulen gespalten haben, kommen sozusagen automatisch zur Erledigung. Ein Problem des Verhältnisses des Denkens zum Sein, wie es noch Kant gerade für unseren Bereich in seinem opus postumum beschäftigte, gibt es für diesen Bereich nicht mehr. Die elementaren Bausteine des Konstanten und des Veränderlichen, deren Gewinnung oben angedeutet wurde, erlauben nun, durch geeignete Zusammensetzungen (Synthese) zu immer komplexeren Gebilden aufzusteigen, bei denen geistige und manuelle Behandlung völlig Hand in Hand gehen. Dieser im Laufe der Geschichte stetig ansteigende Aufbauprozeß, der prinzipiell ins Unbegrenzte geht, liefert das, was wir das eindeutig methodische System nennen, wobei der Grad der Komplikation und die methodische Benutzung von Früherem zum Aufbau von selbst eine natürliche Ordnung erzeugt, welche die Stufenleiter der notwendigen Handlungen aufzeigt, welche von den Elementarformen zu den höheren Gebilden führt.

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Soweit also dieser Aufbau des synthetischen Systems jeweils reicht, herrscht absolute Bemeisterung der betreffenden Gebilde (geistiger und manueller Art) in lückenloser und apodiktischer Form. Die dabei auftretenden Beziehungen sind im Geistigen in absoluter Genauigkeit bekannt oder ableitbar, das Manuelle nähert sich in der Realisierung der geistigen Forderung in einem Prozeß dauernd steigender Genauigkeit (den ich z. B. für die Geometrie in »Grundlagen der Geometrie« im einzelnen ausgeführt habe). Will man hier von »Gesetzen« reden (wir sahen, daß es nicht »Natur«-Gesetze im alten ontologischen Sinne sind), so sind diese hier von absoluter Genauigkeit. Zugleich sind diese Gesetze »ewig«, d. h. sie unterliegen keiner Veränderung, da die elementaren Bausteine selbst eindeutig und aus dem Wesen ihrer methodischen Entstehung her unveränderlich sind, da jedes streng durchgeführte methodische Vorgehen immer wieder auf dieselben Elementarbausteine führen muß, die durch die Art ihrer Bestimmung völlig eindeutig sind. Diese Umstände gelten in dieser Form nur für den Bereich des synthetischen Systems, das zwar stets in unbegrenzter Ausdehnung begriffen ist, aber jeweils natürlich immer nur bis zu einer gewissen Grenze durchgeführt sein kann. Neben der Funktion, Bausteine des synthetischen Systems zu sein, haben die geschilderten Elementarformen auch noch eine andere, mehr analytische Bedeutung. Bei dem relativ begrenzten Umfang der Gebiete, welche vom synthetischen System jeweils beherrscht werden, ist es nötig, Methoden zu haben, auch die noch nicht diesen Gebieten angehörigen Erscheinungen der Wirklichkeit derart forschend in Angriff zu nehmen, daß auch sie, wenn auch nicht in der Genauigkeit und Absolutheit der Gebiete des synthetischen Systems, der möglichst eindeutigen Beherrschung zugänglich werden. Dazu dienen auch wieder die Elementarformen des eindeutigmethodischen Systems. Schon aus unserer kurzen Skizze über die Gewinnung dieser Elementarformen geht hervor, daß sie die einzigen sind, welche überhaupt in Frage kommen, daß sie sozusagen das vollständige Alphabet der realen Naturbeherrschung darstellen. Behandelte die Logik die rein geistigen Elementarformen, oder im Realen den Dingbegriff, so behandelte die Arithmetik die diskreten Dinge hinsichtlich ihrer Vielheit. Die kontinuierlichen Formen

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werden eingeteilt in konstante und veränderliche. Die ersteren behandelte die Geometrie, die letzteren die Mechanik. Schon diese sehr überschlagsmäßige Überlegung zeigt, daß dabei mit vollständigen Disjunktionen gearbeitet wird und daß keine Möglichkeit überbleibt, noch weitere Elementarformen einzuführen. Wenn nun auch Erscheinungen, welche noch nicht dem Gebiete des Systems angehören (wir wollen sie kurz »Vorsystematische Gebiete« nennen), noch nicht völlig in Elementarformen aufgegliedert werden können, so geht doch das Bestreben der Wissenschaft dahin, dies nach Möglichkeit nach und nach zu erreichen. Um mit dem Prozeß dieser allmählichen Eingliederung den Anfang zu machen, werden solche vorsystematische Erscheinungen vorläufig wenigstens einmal durch Elementarformen des Systems so einzuengen gesucht, daß sie womöglich nur noch in einem Freiheitsgrad variieren können. Dann sind alle übrigen Umstände einer solchen Anordnung, aus Elementarformen bestehend, unserer genauen geistigen und manuellen Beherrschung unterworfen, und wenn die Variation eines dieser Umstände eine Variation der Erscheinung herbeiführt, so können wir diese Abhängigkeit nun an unseren aus Elementarformen gebauten Meßapparaten vergleichen, d. h. wir können sie messen, und wir haben ihre Variation eindeutig in der Hand. Nun werden im Geiste solche Kombinationen von Elementarformen gesucht, deren mathematische Konsequenzen gerade jene gemessene Abhängigkeit ergeben (Hypothesen). Hier setzt dann die sogenannte Hypothesenforschung ein mit den bekannten Regeln, die hier nicht näher dargelegt zu werden brauchen. Hier erst beginnt in unserem Aufbau das sichtbar zu werden, aus dem heute allein die Erkenntnistheorie der Naturwissenschaft bestritten zu werden pflegt. Denn diese beschäftigt sich heute nur mit der Hypothesenforschung (und dies nur in recht primitiver Form). Diese Hypothesenforschung ist es, die heute meist allein die Blicke auf sich lenkt und in der Tat das Denken des praktischen Forschers heute ausschließlich beherrscht. Der Mangel eines Kontaktes dieser Forscher mit dem philosophischen Denken und mit der Geschichte ihrer Wissenschaften 5 hat sie in den letzten 100 Jahren zu ' Siehe hierzu meine »Geschichte der Naturphilosophie«, Berlin 1932.

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dem Glauben geführt, daß dieser mehr empiristische Teil der exakten Naturforschung der einzig vorhandene sei. Die eben geschilderte wesentliche Verwendung der Elementarformen dabei wird völlig übersehen, eine tiefere methodische Besinnung über die Vorgänge solcher Forschung war bisher nicht vorhanden. Die Philosophie der englischen Empiristen, gipfelnd in J. St. Mill, schien außerdem eine philosophische Rechtfertigung dieser Auffassung zu geben - und so kommt es, daß diese Forscher heute des Glaubens leben, die Natur selbst biete ihnen dies alles »Von selbst« dar, und die Aufgabe des Forschers bestehe nur darin, die Messungszahlen auf den Skalen abzulesen. Die Hauptteile des Methodischen, denen die physikalischen Ergebnisse überhaupt erst ihre Existenz verdanken, liegen für diese Forschergeneration noch sozusagen im Dunkel des U nbewußten. Von hier aus wird klar, daß die methodische Auffassung nicht etwa nur eine »Philosophie« ist, sondern daß sie ein integrierender Bestandteil der Forschung selbst ist und daß von ihr entscheidende Einwirkungen auf die Form der ausgesprochenen Resultate einsetzen werden, sobald sie in ihrer Bedeutung einmal erkannt sein wird. Mit dieser Erkenntnis wird dann erst eine feste Basis aller einzelwissenschaftlichen Forschung gewonnen werden, die besonders im sogenannten »Theoretischen« viele phantastische Effloreszenzen wieder auf eine nüchterne und methodisch strengere Gestalt zurückführen wird. Um aber für den Leser die Gewichte richtig zu verteilen, muß auf folgenden Punkt besonders hingewiesen werden: Der Leser ist natürlich geneigt, bei der Lektüre das als am gewichtigsten zu empfinden, worüber am meisten gesprochen wird. So könnte er hier zu der Meinung kommen, daß das Schwergewicht alles Erkennens auf dem synthetischen System ruhe. Da in diesem die Methodik am vollkommensten und am deutlichsten ist, so ist es verständlich, daß gerade hier besonders viel darüber gesprochen werden mußte. In Wirklichkeit aber stellt das synthetische System nur einen kleinen Ausschnitt des gesamten Tuns und Erlebens dar. Alle methodische Wissenschaft ist stets nur ein ganz dünnes Netz, das über einige Teile des Erlebens geworfen wird, das an einigen wenigen Stellen etwas dichter, an den meisten aber außerordentlich weitmaschig ist;

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es vermag immer nur einige ganz spezielle und dünne Seiten des Erlebens zu fassen, während das Erleben selbst einen unendlichen Reichtum und unausschöpfbare Fülle besitzt. Der exakte Forscher, speziell der Physiker, ist leicht geneigt, das, was hier als die Gesamtheit der systematischen Formen erscheint, und das naturgemäß sein Hauptarbeitsmittel bildet, als allein vorhanden und als »die wahre Realität« zu betrachten. In Wirklichkeit stellt dies aber nur ein denkerisches methodisches Hilfsmittel und im Vergleich zur Wirklichkeit ein recht weitmaschiges Netz dar, das man sich zu methodisch-praktischen Zwecken über die Wirklichkeit gelegt denkt. Wird dieses Hilfsnetz in populärer Weise als die wahre Wirklichkeit beschrieben, so entstehen jene sogenannten »physikalischen Weltbilder«, von denen die pseudophilosophische Literatur heute so erfüllt ist. So sagt auch vom methodischen Standpunkt aus das synthetische System und seine Annexe niemals etwas Ontologisches, sondern stellt in seiner gesamten Ausdehnung stets allein eine methodische Maßnahme zur geistigen und manuellen Bewältigung des Erlebten dar im Dienste der letzten Ziele allen unseres Handelns, d. h. des letzten ethischen Zieles. Aussagen darüber, daß man doch etwas »mehr« »wissen« möchte, und daß die rein methodische Auffassung den Erkenntnistrieb nicht befriedige, sind mehr sentimentale Gefühlsempfindungen, deren Unfundiertheit schon daraus hervorgeht, daß für dieses »mehr« niemand eine konzise Definition zu geben vermag. Alles, was wirklich sachlich und logisch verlangt werden kann, leistet die methodische Auffassung. Allgemein kann sie höchstens aussagen, daß ein solches »mehr« im Bereich dieser Erkenntnisart nicht vorhanden ist. Eine wichtige logische Eigenschaft aller methodisch im vorstehenden Sinne gewonnenen Formulierungen ist noch die, daß alle methodisch fundierten Aussagen im obigen Sinne Allgemeinaussagen und die daran gebildeten Begriffe Allgemeinbegriffe (Universalia) sind. Sobald nämlich Begriffe oder Aussagen rein methodisch fundiert sind, sind sie unabhängig davon, wann und wo sie angewendet oder realisiert werden. Wo oder wann auch immer ein dazu fähiger Mensch es unternimmt, wiederum methodisch Erkenntnis

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zu gewinnen, Wissenschaft aufzubauen, dabei sich dasjenige Ziel setzt, das wir uns oben setzen, muß er wegen ihrer Eindeutigkeit die gleichen Methoden anwenden, wird und muß er bei genauer Durchführung wieder zu den gleichen Formulierungen kommen, da diese Methoden ja nur aus der Zielsetzung des betreffenden Menschen fließen, unbeeinflußt von den Umständen einer Umgebung. Diese Aussage gilt natürlich nur für diejenigen Begriffe und Aussagen, die lückenlos von den ersten Prinzipien an methodisch aufgebaut sind. Sie gilt natürlich nicht für alle jene (viel umfassenderen) Gebiete, wo das nicht (oder noch nicht) der Fall ist. Dort sind noch Schwankungen der Methode und Verschiedenheit der Resultate möglich, allerdings nur so weit, als nicht auch da Methoden aus dem Bereiche des synthetischen Systems wenigstens teilweise zur Verwendung kommen. So zeigt sich, daß alles Methodische den Charakter des Universalen und Generellen von selbst automatisch mit sich trägt. Allerdings besitzt dieses Universale nun nicht mehr den Charakter einer »Eigenschaft der Natur«, wie die nichtkantischen Systeme der Philosophie dies immer voraussetzen mußten, was zu den bekannten unlösbaren philosophischen und metaphysischen Problemen führte. Die Existenz dieses Universellen ist damit einerseits absolut gesichert und andererseits problemlos und in seinem Wesen und seiner Funktion voll verständlich geworden. 6

IV Der skizzenhafte Überblick über die Konsequenzen des Methodischen für die Fundamente der strengen Einzelforschung,7 den ich in III zu geben versuchte, sollte u.a. einige Begriffsbildungen und Methoden dem Leser näher bringen, auf die wir im folgenden ge'' Der Beweis der Durchführbarkeit des Systems in dem behandelten Bereich kann als geführt gelten. In den genannten Schriften liegt diese strenge Durchführung vor. 7 Für nähere Ausführungen muß ich auf meine genannten Schriften verweisen.

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legentlich rekurrieren müssen. Hier soll nun vor allem dargelegt werden, wie sich das methodische Verfahren auf einige wichtige traditionelle Probleme der Philosophie auswirkt. Wie schon in II kurz angedeutet, unterliegt auch die philosophische Besinnung dort, wo sie die Fundamente behandelt, die allen Einzelwissenschaften gemeinsam zugrunde liegen, und wo sie formalisierbar ist, völlig dem methodischen Gesichtspunkt. Alle sogenannten »Probleme«, alle Fragen, welche in der Philosophie auftreten, wollen eine »Antwort«. Solche Antwort aber verlangt ein nach bestimmten Regeln vorgehendes Ordnen oder Formen, Unterscheiden und Verbinden von Denkakten, denn nur dann ist eine Antwort wirklich eine solche, wenn sie eindeutig, d.h. auf eindeutigem Wege (=Methode) gewonnen werden kann. Ohne diese Forderung wären alle Äußerungen über das Problem, auch die sinnlosesten, völlig gleichwertig, in ihrem Werte ununterscheidbar. Die Regelhaftigkeit des Weges zu der einen Antwort, die von allen gesucht wird, und die allein deren Eindeutigkeit garantieren kann, bedeutet aber, daß Methodik der Antwortbildung verlangt wird. Die Methodengewinnung muß also der Antwortbildung vorausgehen. Zugleich aber weist dieser Umstand schon darauf hin, daß eine gewisse Einheitlichkeit der Antwortbildung der Methode nach sich ergeben wird. Schon die seit alters her gestellten Forderungen der »Widerspruchslosigkeit und Konsequenz« bei philosophischen Antworten wirken in dieser Richtung, und schon oberflächliche Betrachtung zeigt Abhängigkeiten der philosophischen Probleme untereinander. Beides zeigt schon, daß gewisse logische Regeln zur Antwortbildung zu verwenden sind. Man muß sich prinzipiell darüber klar werden, daß eine Art innerer Wendung nötig ist, um die methodische Auffassung ganz zu erfassen. Die übliche philosophische Einstellung war ja, daß man dem »Denken« gegenüber eine Art »passive Haltung« einnehmen müsse (am deutlichsten Lichtenbergs »Es denkt in mir«). Wird solche Haltung nicht nur vermeintlich, sondern wirklich erreicht, so würde man den geistigen Vorgang besser als »Träumen« bezeichnen denn als »Denken«. Meist ist aber doch tatsächlich wenigstens ein gewisser Zielwille und eine gewisse bewußte Leitung zu bemerken. Dennoch kann solche im Wesentlichen passive Einstellung niemals

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letzte Ordnung, Sicherheit und Lösung bringen, weil die gesuchte Ordnung eben in dem passiv Betrachteten noch nicht von selbst vorliegt. Das ist der Hauptgrund für das Versagen der Philosophie in dieser Hinsicht, seit sie von der Renaissance ab sich von bewußten Methoden (zwar waren die syllogistischen Methoden der Scholastik unzulänglich, aber es waren doch immerhin bewußte Methoden) abgewendet hatte und von da ab allzuviel in der passiven Einstellung verweilte. Es ist klar, daß nur so weit Sicherheit im hier behandelten »objektiven« Sinne, d. h. Strenge, in die Philosophie einzugehen vermag, als sie der bewußten Methodisierung gewinnbar ist. Dies gilt natürlich in erster Linie für diejenigen ihrer Teile, welche den Naturwissenschaften zugewendet sind, und die, welche die Erkenntnis als formalen Prozeß überhaupt behandeln. Diese beschäftigen uns ja hier. Ist in diesem Bereich nun volle Methodisierung und damit volle Strenge möglich? Ich möchte diese Frage bejahen. Volle Methodisierung setzt zunächst die bewußte willensmäßige Hinwendung zu der gestellten Aufgabe von Wissenschaft überhaupt voraus, wie wir sie oben formulierten. Solche Hinwendung sagt ja nichts Beweisbedürftiges aus, sie ist als Willenseinstellung schon in sich selbst gesichert. Die volle Methodisierung erzeugt dann weiterhin erst die bewußte Trennung von »Instrument und Material«. Nun gibt es im unmittelbaren Erleben nichts Sichereres als die Unterscheidung von dem, was ich willensmäßig tue, und dem, was nicht meinem willensmäßigen Handeln unterliegt. Hierüber kann noch einiges gesagt werden. Im 1. Kapitel meiner Ethik »Das Handeln im Sinne des höchsten Zieles« (München 1935) habe ich genaue Ausführungen über die Rolle dessen gemacht, was dort »lebendiger Wille« genannt wird, im Gegensatz zu allem dem gegenüber Passiven. Die Unterscheidung zwischen »Instrument und Material« beginnt mit diesem Unterschiede und fällt mit ihm zusammen. Darin, daß ich weiß, wann ich bewußt handle, und wann nicht, muß an diese mitgebrachte und insofern als gegeben erlebte Unterscheidung angeknüpft werden. Es kann im Vorsystematischen bei einem Erkenntnisakt nicht ohne weiteres unterschieden werden, wieviel daran »Gegebenes«,

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wieviel »Zutun des Erkennenden« ist, weil dieses Zutun im Vorsystematischen sozusagen »unbewußt« stattfindet. Dazu wären stets schon wieder methodische Verfahren nötig. Erst wenn es gelingt, den vorher nur vorläufigen Erkenntnisakt in bewußter Methodik durchzuführen, ist er als solcher gesichert in unserem Bereiche des Strengen und nun erst kann mit voller Klarheit gesagt werden, was an ihm methodisch ist und was zum Gegebenen gehört. So müssen alle Versuche, vor der methodischen Durchführung durch allerlei Indizienschlüsse über das Verhältnis des Methodischen zum Gegebenen oder über die Mitwirkung des Erkennenden an dem Erkenntnisvorgang volle Klarheit zu gewinnen, stets prinzipiell ungesichert bleiben (man denke z. B. an das Räumliche). Das ist der Grund, warum diese Versuche niemals zu einem voll gesicherten Ergebnis geführt haben. Insofern entsteht die bewußte Trennung zwischen Instrument und Material immer erst während der methodischen Arbeit selbst und kann niemals von vornherein gefordert werden. Nur die Unterscheidung zwischen bewußtem lebendigem Willen und demgegenüber Passivem ist stets primär. Und erst wenn durch die Methodik die Mitwirkung des Erkennenden an einer Erkenntnis aktiv bewußt geworden ist, kann auch hier diese Unterscheidung Platz greifen. Diese Unterscheidung geschieht dann aber nicht durch ein Reflektieren über den Erkenntnisakt, sondern nur durch den Versuch des aktiven, d. h. bewußten N achbauens, d. h. Wiederholens dieses Aktes unter genauer Anwendung der Handlungsanweisungen der Methodik, d. h. durch das »Machen« selbst. Es ist ersichtlich, 8 daß in der Geschichte des Geistes manches, was später als bewußte Methode erkannt wurde, vorher als Erlebnis der Außenwelt erschienen war, und daß vielfach Streit darüber herrschte, ob etwas der Außenwelt oder Innenwelt ganz oder teilweise angehöre. Die Grenze zwischen »Innen und Außen«, Innenwelt und Außenwelt lag keineswegs immer fest und an der gleichen Stelle. Aber die Forschungen der Vergangenheit haben mit ihren unzähligen tastenden Versuchen dem methodischen Blick eine solche Übersicht über die hier vorliegenden Möglichkeiten geliefert, ' In meiner »Geschichte der Naturphilosophie« habe ich diese Entwicklung aufzuzeigen gesucht.

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daß es heute gelingt, den methodischen Aufbau streng durchzuführen und damit für diese Stellen die genaue Scheidung zwischen Innen und Außen. Alle nicht methodischen Begründungsversuche der Trennung des Gegebenen von dem von uns Bewirkten scheitern erfahrungsgemäß und beweisbar 9 an der Unmöglichkeit des bei ihnen auftretenden Geltungsproblems, das bei diesen unausweichlich in einen unendlichen Regreß mündet, der die Unmöglichkeit einer einwandfreien Begründung beweist. Daß aber die Begründung der strengen Erkenntnis auf methodischem Wege wirklich durchführbar ist, habe ich in einer größeren Reihe von Büchern Schritt für Schritt nachzuweisen vermocht. In ihnen liegt dieser Aufbau in allem Wesentlichen bereits fertig vor. So ergibt sich denn, daß auf der einen Seite als Instrument des Wissenschaft erstrebenden Willens eine Reihe von unmittelbaren aktiven Fähigkeiten steht, die wir oben Grundfähigkeiten nannten, und daß auf der anderen Seite diesen Instrumenten als Material gegenübersteht die gesamte Fülle des nicht willensmäßig Erlebten. Diese Trennung ist von vornherein in allen Fällen bewußten Handelns stets eine erlebnismäßig absolute. Wir beginnen die methodische Aufbautätigkeit in einem Bereich und in solchen Fällen, wo auch schon bei der naivsten Einstellung keinerlei Zweifel über das Verhältnis obwaltet. Von hier aus breitet sich dann durch den methodischen Aufbau selbst diese genaue Trennung zwischen Instrument und Material weiter aus, d. h. so weit als jeweils der genaue methodische Aufbau, das »System«, durchgeführt ist. Daß es einen Bereich gibt, wo auch die naivste Einstellung zwischen Willensinstrument und Material genau zu scheiden weiß, ist am Beginn des Erkennens glückliche Gegebenheit, ebenso wie der Umstand, daß uns schlichte Verfahren des willensmäßigen Handelns und eine Fülle

' In meinem Buche »Der Zusammenbruch der Wissenschaft« (München 1926, 2. Aufl. 1931) habe ich den Nachweis geführt, daß die einzige Art, auf welche eine strenge Begründung der strengen Erkenntnis durchführbar ist, die ist, die sich selbst auf den lebendigen Willen gründet, das ist aber die Methodik. Alle anderen Versuche dazu müssen, wie dieses Buch nachweist, zwangsläufig scheitern, d. h. bleiben unbeweisbar.

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nichtwillensmäßigen schlichten Erlebens einfach gegeben sind. Vor jeder geregelten Erkenntnis, d. h. am Anfang des Erkenntnisaufbaues, ist darüber nicht mehr zu sagen. Geregelte und begründete Aussagen können definitionsgemäß erst innerhalb des methodischen Erkenntnisaufbaues selbst gemacht werden. Vorher fehlen ja alle Mittel, eben alle Methoden dazu. Es sind eben solche Aussagen rettungslos verhaftet an das Wesen alles Methodischen überhaupt. Um nun an einigen Beispielen die Wirkung der methodischen Behandlungsweise philosophischer Probleme zu zeigen, beginnen wir mit dem, was bisher als Grundlage der Erkenntnistheorie erschien. Wir lesen z. B.: »Es erscheint als gerechtfertigt, ja geradezu geboten, die Untersuchung unseres Erkennens überhaupt mit der Wahrnehmung zu beginnen.« Es gebe zwei Arten: Sinneswahrnehmung für die Außenwelt, Selbstwahrnehmung für die Innenwelt. Für die Sinneswahrnehmung könne man sich auf die sorgfältigen und aufschlußreichen Vorarbeiten stützen, welche die moderne Naturwissenschaft hier geleistet habe. Es folgt dann eine Art Physiologie der Sinnesorgane. Vom methodischen Standpunkte sieht das ganz anders aus. Der (von jedem jeweils bei der Untersuchung neu einzunehmende) Ausgangspunkt ist naturgemäß der, wo überhaupt noch keine bewußte und zielstrebige Methode der Wissenschaftsgewinnung angewendet sein soll (oder auf alle Ergebnisse bisheriger Versuche dazu aus methodischen Gründen des konsequenten Neuaufbaues verzichtet wird - die oben genannte Epoche). Wir wollen diesen methodischen Ausgangsstandpunkt den »vormethodischen oder vorsystema· tischen Standpunkt« nennen. Um ihn einzunehmen, bedarf es keiner besonderen Vergewaltigung des Denkens, es ist einfach der Zustand des gewöhnlichen Lebens ohne Bezug auf das vollbegründete eindeutig-methodische System, wie wir ihn alle im täglichen Leben einnehmen. Beginne ich dann mit dem Aufbau des Systems, so verzichte ich einfach auf alle früheren wissenschaftlichen Entscheidungen, um diese von neuem, jetzt aber in methodisch gereinigter Form wieder zu erstreben (Ausgangsstandpunkt). Auf dem vormethodischen Standpunkt ist nun noch keine genaue methodische Entscheidung getroffen darüber, wo genau die Grenze zwischen Innen- und Außenwelt verläuft. Wohl gibt es

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einen Bereich, wo wir praktisch diese Trennung vollziehen; mein Tisch gehört meiner Außenwelt, die Erinnerung an gestern abend meiner Innenwelt an. Aber ob z.B. ein Naturgesetz wie etwa das Newtonsche der Außen- oder Innenwelt angehört, ob und inwieweit das Fremdseelische, ob die sogenannte Kausalität usw., das z. B. ist vorläufig unentschieden. So habe ich Erlebnisse, die ich schon vormethodisch meiner Außenwelt zurechne (wie z. B. meinen Tisch), daß aber dieses Erlebnis durch Lichtstrahlen zustande kommt, die durch eine Augenlinse auf die Netzhaut wirken, daß somit eine solche physikalische Kausalkette hier vorliegt, das ist nicht schlichtes Erlebnis im Vormethodischen. Dies also mit letzter Sicherheit zu wissen, fällt unter die Epoche. Analog für die anderen Sinnesorgane. Für den Ausgangsstandpunkt fällt diese Auffassung also weg, weil sie sich schon »pseudomethodischer Mittel« bedient, d. h. solcher, die erst durch die Methodik gesichert werden können, aber eben im Vormethodischen noch nicht voll gesichert sind und sein können. Der Klarheit halber muß also folgende Unterscheidung eingehalten werden: a) der vormethodische oder vorsystematische Standpunkt. Das ist mein gewohntes Leben mit aller vorhandenen Kenntnis bisheriger Wissenschaft usw., nur noch nicht auf die bewußte Errichtung des vollbegründeten methodischen Systems gerichtet. Alle pseudomethodischen Kenntnisse sind hier noch nicht voll gesichert. b) der Ausgangsstandpunkt des Systems, das ist der vorsystematische Standpunkt plus Epoche, d. h. verbunden mit der Einsicht, daß keines der bisherigen Mittel eine von aller Unsicherheit freie Begründung von allgemeinen Gesetzesaussagen geliefert hat, und verbunden mit der Absicht, durch den strengen Aufbau des methodischen Systems solche Aussagen zu erstreben. Statt dieser Einsicht genügt auch die Absicht, für den Moment von allen bisherigen solchen Resultaten abzusehen, um in unbeeinflußter Weise sich zu überzeugen, ob das System das Gewünschte leistet. Da wir sehen, daß die genaue Trennung in wahrhaft Gegebenes und Zutun des Erkennenden (d. h. also Pseudomethodisches) erst durch die Methodik selbst geleistet werden kann, so kann die Epoche nicht in der Forderung bestehen, auf diese Zutaten bewußt zu verzichten. Diese Art von Epoche ist auch zum Aufbau des Systems

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gar nicht nötig. Es genügt zum Aufbau, wie wir sahen, die erste Zielsetzung und das Vorhandensein jener willensmäßig aktiv auszuübenden Grundfähigkeiten, von denen wir sprachen. Die Epoche besteht dann lediglich darin, sich durch keine sonstige vermeintliche »Kenntnis« in der strengen, eindeutigen Aufbautätigkeit des Systems beeinflussen zu lassen. Dadurch kommt die Ausschaltung alles Pseudomethodischen von selbst zustande. So haben wir also im Methodischen einen ganz anderen Ausgangspunkt als diesen gewohnten der alten Erkenntnistheorie, der als Sensualismus bezeichnet wird. Auf dem Ausgangsstandpunkt des Systems erlebe ich alles in der unmittelbaren Frische des täglichen Lebens, ungebrochen durch theoretische Fragen. Hier erlebe, denke, handle ich ganz unmittelbar, und von hier aus allein erst vermag sich ein Gebäude methodischer Maßnahmen zur geistigen und manuellen Beherrschung des Vorhandenen, vermag sich strenge Wissenschaft im vollen Sinne zu erheben. Es ist von besonderer Wichtigkeit zu bemerken, daß alle sauberen Trennungen begrifflicher (also genereller) Art auf dem vormethodischen Standpunkt noch nicht vorliegen und gar nicht möglich sind, daß sie Produkte späterer, methodischer, begrifflicher Arbeit darstellen, die heute allerdings durch den Schulunterricht dem westlichen Menschen so in Fleisch und Blut übergegangen sind, daß es ihm anfangs Mühe macht, sich auf den unbefangenen Ausgangsstandpunkt des Methodischen zu stellen. Es sind da nicht einmal die einzelnen Sinnesgebiete streng getrennt. Ein sprechender Mensch ist ein Gesamterlebnis, das nicht in Gesichts- plus Gehörswahrnehmung plus (noch lange nicht genau bekannte) geistig-seelische Verarbeitung der Wahrnehmungen aufgegliedert ist. Äußeres Erlebnis und anschließende seelische Erlebnisse (Assoziationen, Gefühle usw.) sind noch nicht genau getrennt, sondern bilden noch weitgehend eine Einheit (wie bei der magischen Einstellung der Primitiven, oder bei uns selbst, wenn wir naiv Menschen als sympathisch oder unsympathisch erleben, oder bei der Beurteilung von Nahrungsmitteln usw.). Der Gegenstand wird vielfach nicht als ein »äußerer« bloß erlebt, das Erlebnis ist vielmehr noch ein volles, sozusagen rundes, mit einer ganzen »Aura« umgeben, die erst später auf Grund methodischer, kausaler Überlegungen in einen äußeren und einen

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inneren Teil aufgespalten wird. Alle diese Trennungen enthalten bereits methodische Elemente, sind also auf dem vormethodischen Standpunkt noch nicht in voller methodischer Strenge vorhanden. Ebenso, wie im Vormethodischen jeden Begriff, ja jeden Gegenstand eine schwebende Aura des Miterlebens umgibt, die das Erlebnis verschieden macht von den methodisch gewonnenen Begriffen und Gegenständen, ebenso ist dort, wo die Methodik später scharfe Trennungslinien nach und nach einführt, ein mehr oder weniger breiter Bereich des Zusammengeflossenseins (besser des Nichtgetrenntseins) vorhanden, wenn nicht überhaupt jede Trennung fehlt. So sind im Vormethodischen für manche späteren Trennungen zweier Gebiete schon Anfänge, sozusagen Kernbereiche vorhanden, während sich zwischen ihnen noch ein Gürtel des U ngetrennten ausbreitet, innerhalb dessen erst die genaue Methodik langsam eine Grenze zieht, dann aber sind eben diese beiden Kerngebiete zwar als verschieden erlebt, aber es ist für beide noch kein begriffliches methodisches Kennzeichen da, das die Trennung in allen Fällen und genau leisten würde, m. a. W. der Umfang der beiden Bereiche ist noch nicht genau begrenzt, noch nicht logischmethodisch »definiert«. Dies ist besonders wichtig für die Trennung von Innen und Außen überhaupt. Auf dem vormethodischen Standpunkt ist der Mensch noch nicht eindeutig in »Leib und Seele« aufgespalten, er bildet vielmehr weitgehend eine geist!eibliche Einheit. Die volle Aufspaltung ist erst ein Produkt methodischer (d. h. begrifflicher und kausaler) Konstruktion. Ebenso erweist sich der sensualistische Ausgangspunkt, der seit dem 17. Jahrhundert der Ausgangspunkt sämtlicher Philosophien gewesen war, keineswegs als der natürliche Ausgangspunkt, für den er immer angesehen wird. Auch er enthält bereits weitgehende methodische Elemente. Er ist nicht der Ausgangspunkt der Philosophie, sondern schon eine methodische Konstruktion. Damit rücken schon sehr zentrale philosophische Grundprobleme durch die methodische Betrachtung in ein völlig neues Licht, und diese Betrachtung liefert zugleich eine Befreiung von vielen quä- · !enden und ohne Methodik unlösbaren Fragen. Im Vormethodischen liegt nun auch die Quelle alles U nmittel-

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baren, Einzelnen, Erlepten. Hier bin ich noch nicht aufgespalten in Leib und Seele, in einen Sammelapparat verschiedener Sinneswahrnehmungen usw. Hier bin ich noch eine lebendige Einheit gegenüber allen solchen späteren begrifflichen Trennungen, die doch immer nur recht dünne Abstraktionen (»Häutchen«) festhalten aus der unerschöpfbaren Fülle des Wirklichen. 10 Dieses in sich völlig Zusammengeflossene, durch keinerlei Allgemeinbegriffe Zerschnittene, in keinerlei theoretische Formen Zerlegte ist also die wirkliche, die wirklich gegebene Wirklichkeit. Ihr gegenüber bedeutet das System immer nur ein dünnes weitmaschiges Netz, das wir als methodisches Instrument selbst herstellen und das niemals mit der primären Wirklichkeit verwechselt werden darf. Jede Verwechslung führt zu einer vollen Verarmung und Verengung, die mit dem Wirklichen nichts mehr zu tun hat. Dieses primäre Wirkliche trägt also jene Beschaffenheit, die man heute gerne als »ganzheitlich« bezeichnet. Da es unser eigentliches Leben ausmacht, sozusagen stets die Hauptsache bleibt gegenüber allen methodischen Begriffsbildungen und Formungen, die stets nur instrumentellen und niemals ontologischen Charakter haben und selbst stets in dieses primäre Leben eingebettet sind und nur aus ihm heraus erwachsen, so bildet das Ganzheitliche unser erstes und eigentliches Lebenselement. Daraus geht schon hervor, daß der Begriff des Ganzheitlichen kein Begriff des Systems sein kann und daß alle Versuche, ihn zu einem solchen zu machen, notwendig zu logischen Fehlern führen müssen. Er bedeutet seinem Wesen nach ja gerade das Gegenteil und den Widerspruch zu allem EindeutigSystematischen. Den mehrfach aufgetretenen Versuchen, ihn in den Bereich 'des Systematischen einzuführen, liegt der stillschweigende, aus den Zeiten des Rationalismus überkommene Glaube zugrunde, daß letzten Endes doch das rationale System allumfassend sei, und daß daher alle Ergänzungen desselben in Richtung eines Irrationalen nur innerhalb des Systems stattfinden könnten. Es ist derselbe Glaube, der zu allen szientifistischen Auffassungen und zum " Siehe hierzu besonders die Ausführungen in meinem Vortrag: »Der Glaube an die Weltmaschine und seine Überwindung« (Stuttgart 1932) sowie »Das System« (München 1930).

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Büchnerschen Weltbilde führte. Erst wenn durch die Methodik das rationale System völlig aus dem Zentrum herausgerückt und sein gänzlich instrumenteller Charakter erkannt ist, wie es hier dargelegt wurde, wird die Sicht frei für den Umstand, daß das primäre Leben, von dem das System ja nur ein instrumenteller Ausfluß ist, der alleinige natürliche Ort aller Ganzheitlichkeit sein muß, und daß man daher die logische Eindeutigkeit und Konsequenz des methodischen Systems, dort wo es schon in sich völlig geschlossen durchführbar geworden ist, nicht mehr durch ganzheitliche Irrationalismen zu durchbrechen braucht, um das Ganzheitliche zu seinem Rechte kommen zu lassen. Im Bereich des eindeutigen Systems ist das Ganze stets gleich der Summe seiner Teile, denn es ist selbst aus ihnen erst aufgebaut worden. Nur abseits des eindeutigen Systems und in gemischten Gebieten kann es Abweichungen geben. Dort aber können dann auch entweder die Teile, oder das Ganze, oder beide nicht bis ins Letzte eindeutig konstruktiv definiert sein, da dies nur vom System aus stattfinden kann. Der Begriff des Vormethodischen kann, ins Positive gewendet, auch als das »unmittelbare tägliche Erleben« bezeichnet werden. Man hat bisher vielfach den Unterschied so gesehen, daß man etwa von unreflektiertem und reflektiertem Erleben sprach, und hat gemeint, daß hier der Ausgangspunkt der Philosophie liege. Aber dies trifft noch nicht den Kern der Sache. Auch im Vormethodischen wird natürlich gedacht. Nur ist das Denken dort noch im theoretischen Sinne »unverbindlich«, da es keine letzte theoretische Entscheidungsmöglichkeit dort gibt, die erst von der systematischen Methode geleistet wird. Nur universell verbindliches Denken ist bereits Methode. Verbindlichkeit kann aber erst aus den Methoden des synthetischen Aufbaues fließen und ist nur dort zu finden, wo diese herrschen oder wenigstens hereinspielen, und soweit sie hereinspielen. Darum ist die methodische Einstellung in allen diesen Fragen so wichtig und entscheidend. Die Untergrabung des Glaubens an das methodische Denken, die seit der Renaissance immer weiter um sich griff (das allerdings vorher auch nur ein mehr naives gewesen war), entscheidend gefördert durch die englischen Empiristen (vorher war zwar schon methodisches Denken dagewesen, aber seine Unzulänglichkeit und Unvollständigkeit hatte die Abwendung

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wesentlich mitverschuldet), bewirkte, daß von da ab das unverbindliche Philosophieren fast alleinherrschend wurde. Daneben kam (besonders in den Naturwissenschaften) der Glaube auf, der heute der herrschende geworden ist, daß die verbindlichen Methoden des Rechnens und des Experiments (die dabei selbst ganz unanalysiert blieben) die einzig möglichen verbindlichen Methoden seien. Von diesem Glauben leben heute die theoretischen Naturwissenschaften, und er hat zu der Unverbindlichkeit, d. h. der völligen Unsicherheit in ihren Fundamenten und im »Naturphilosophischen« geführt, die wir heute sehen. Von neuem ist zu betonen, daß die methodische Behandlungsweise sozusagen von selbst die ontologischen Probleme löst, bzw. als nicht vorhanden erweist, die sich bisher auf die von ihr benutzten Formen bezogen. Eine methodische Maßnahme führt niemals zu Problemen, die man als ontologisch bezeichnen könnte, denn alle bei ihr zur Anwendung kommenden Formungen sind von uns zielstrebig gewählte Instrumente. Das Material, an dem sie arbeitet, die Erlebnisse, ergeben dort, wo die methodische Synthese noch nicht hinreicht oder, wie meist, nur teilweise hinreicht, wie im vorigen Abschnitt gezeigt, empirische Daten, die aber in ihrer Formung selbst schon teilweise methodisch bedingt und daher schon nicht mehr ganz empirisch sind, im übrigen aber nach der Tendenz der Methodik nach und nach stärker methodisiert zu werden streben. Hier nun stoßen wir auf eine Ergänzung zum oben angeschnittenen Problem der vollen Methodisierbarkeit. Daß die Wissenschaft in ihren Bemühungen zur immer volleren Methodisierbarkeit bewußt oder unbewußt stetig fortschreitet, daran ist kein Zweifel. Nur erheben sich immer wieder da und dort Behauptungen, bei einem bestimmten Gebiet sei die volle Methodisierung unmöglich. Das will dann nicht etwa sagen, daß dort etwa wegen großer Komplikation die Aufgabe nur erst in ferner Zeit, oder praktisch niemals, voll lösbar sei, sondern es will sagen, daß sie hier von vornherein deshalb aussichtslos sei, weil dieses Gebiet prinzipiell nicht so behandelt werden könne. Beide Fälle sind nun äußerlich ununterscheidbar. Irgendein Kennzeichen für die Unterscheidung kann nicht aufgezeigt werden. Dann müßte diese Behauptung doch irgendwie bewiesen, d. h. aber genau, methodisch bewiesen werden.

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Ein solcher Beweis müßte aus (mindestens) einer spezifischen Beschaffenheit dieses Gebiets geführt werden. Nun enthält aber das Gebäude der Methodik keinerlei Bezug auf besondere Beschaffenheiten des zu bearbeitenden Materials. So ist schon rein logisch keine Beziehung möglich zwischen dem betreffenden Gebiet und der allgemeinen Methodik. Ein derartiger Beweis ist also unmöglich, und was als solcher auftritt, ist ein Scheinbeweis. Immer wieder ist zu betonen, daß die Methodisierung nur ein Instrument ist, das sich immer weitere Bereiche unterwirft, das aber in seiner Wirksamkeit durch seine eigene Wesensart beschränkt ist. Niemals aber kann seine Wirksamkeit beschränkt sein durch die Beschaffenheit gewisser Seinsgebiete, denn diese Beschaffenheit könnte ja ohne dieses Instrument gar nicht eindeutig definiert werden. Da das Wesen aller eindeutigen Methodik den Charakter des Allgemeinen trägt, so kann alles Einzelne niemals voll methodisiert werden. (Das Problem der »vollen Erkennbarkeit«, das ja schon bei Plato seine Rolle spielt, entsteht durch die Gleichsetzung von Erkennen und Episteme, der bei uns wenigstens der Idee nach das eindeutige System entspricht.) Nur Allgemeines ist der vollen Methodisierung zugänglich. Überall also, wo Einzelnes auch nur hineinspielt, ist sie unmöglich. Überall also, wo z. B. das Ich, die Geschichte, ein individuelles Ding oder Wesen sich einschiebt, ist volle Methodisierung ausgeschlossen. Weil der Rationalismus das Rationale metaphysisch nahm, es nicht als methodisch erkannte, konnte er diese Beschränkungen nicht sehen. Aber auch das Allgemeine im ganzen ist nie voll methodisierbar. Nur ist hier die Schranke keine prinzipielle, sondern lediglich eine praktische. Die Methodisierung wird hier zwar stets weiterschreiten, und es gibt keine angebbare prinzipielle Schranke, aber dennoch ist sie stets unvollendbar, weil das Unbegrenzte nicht ausgeschöpft werden kann. Um Schwierigkeiten des Verständnisses zu vermeiden, muß auch wie oben schon genau unterschieden werden zwischen den universellen Methoden des synthetischen Systems, welche in ihrer Anwendung und Tragweite genau definitionsmäßig bekannt und beherrscht sind, und den tastenden Einzelmethoden (heuristische Methoden), die man zur Lösung einzelner Probleme des Bereichs, der noch nicht dem synthetischen System untersteht, versucht.

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Letztere können versagen, sich als unzureichend erweisen, auf Fehlschlüsse führen, also „falsch« sein, weil sie mit den implizit schon im Problem steckenden synthetischen Methoden irgendwie sich überschneiden oder sich widersprechen. Man muß, wenn man über Methodik spricht, diese Scheidung genau beachten. Im letzteren Falle der oben so genannten heuristischen Methoden kann in der Tat die Methode vom Problem aus bestimmt werden, also den Anschein erwecken, als sei sie in der Tat empirisch bestimmt. Diese Bestimmtheit liegt aber nur darin, daß in der Formung des Problems, in den Formungen, welche die Elemente, die bei der Problembildung (bewußt oder unbewußt) benutzt werden, schon implicite mitbringen, eine Beschränkung der weiterhin anwendbaren Formungen und Methoden bereits enthalten ist. Genaue Analyse der Problemelemente wird dies stets offenbar machen. Auf dem vormethodischen Standpunkt ist auch der Nebenmensch ein unmittelbar mir Lebendiges, und sein »Inneres« ist nicht getrennt von dem meinigen. Erst die begriffliche Methodik zwingt dazu zu sagen, daß die Kenntnis des Fremdseelischen auf »Schlüssen« beruhe. Aber wie unendlich dünn ist auch alles das, was wir in begrifflich methodisch gereinigter Weise über das Fremdseelische auszusagen vermögen, gegenüber der unbeschreiblichen Fülle des unmittelbar Erlebten. Hier zeigt sich mit besonderer Deutlichkeit die Funktion der methodischen Konstruktion als eines nur sehr dünnen und trockenen begrifflichen Netzes, dessen innere Konsequenz und logische Geschlossenheit wir mit einer äußersten Dürftigkeit des Erfaßten bezahlen müssen, so notwendig für die methodische Beherrschung des Wirklichen auch dieses nur dürftige Netz schon ist. Nur im methodisch-begrifflichen Netz ist der Nebenmensch ein reines Objekt meiner Außenwelt, von dem ich nichts weiß (d. h. nichts methodisch-begrifflich aussagen kann), als was mir dürftige Schlüsse und die einzige streng methodische Behandlung, die ein Gegenstand der Außenwelt erfahren kann: die streng kausale, liefern. Aus dem Gefühl heraus, wie dürftig dieses kausale Netz des methodischen Erklärens gegenüber dem wirklichen Erleben ist, hat sich immer wieder in der neueren Philosophie das Bestreben geltend gemacht, den streng konsequenten methodischen Aufbau zu durch-

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brechen durch Einschiebung irrationaler, d. h. unmethodischer, Elemente in diesen Aufbau, die nur zu dessen Zerstörung führt, wie ihn die vitalistischen Formulierungen jeder Art darstellen. Aber solche künstliche und willkürliche Durchbrechungen entsprangen einer Verkennung der wahren Natur der Methodik, entsprangen der fälschlichen Meinung, daß Methodisches Ontologie sein könne. Hier aber lag der eigentliche Fehler. Sobald erkannt ist, daß methodische begriffliche Maßnahmen, die nur der gedanklichen Ordnung und Beherrschung eines geistigen und manuellen Hilfsschemas dienen, niemals einen ontologischen Charakter tragen, ist die Furcht, durch sie ein Wirkliches in eine falsche Wirklichkeit zu verwandeln, gegenstandslos geworden. Das, was man durch solche künstliche Unterbrechungen der strengen Methodik retten wollte, bedarf dieser Rettung gar nicht, da es unzerstörbar und unverlierbar vor aller Methodik da ist und trotz aller Methodik und unberührt von ihr da bleibt. Es lag unbewußt hinter diesen Versuchen immer der stille Glaube, daß die wissenschaftliche Theorie die Wirklichkeit selbst sei, also eine Verwechslung von System und Wirklichkeit. So glaubte man dem Irrationalen nur dadurch Rechnung tragen zu können, daß man in das System selbst unter Durchbrechung seiner logischen Konsequenz und Strenge das Irrationale hineinzwang. In der Methodik ist der Anlaß zu allen solchen fehlerhaften Versuchen von vornherein weggefallen. Denn hier ist dieses »Irrationale« das Primäre und Gegebene, von dem alles ausgeht, und aus dem heraus auch das System selbst erwächst als ein Hilfsmittel zur geistigen und manuellen Behandlung des Gegebenen, das mit »Ontologie« gar nichts zu tun hat. Die schärfste Methodik vermag niemals etwas über einen einzelnen Menschen, der uns in seiner ganzen wirklichen Fülle gegenübersteht, auszusagen. Was sie aussagt, gilt ja nur von einem konstruktiven Schema des »allgemeinen Menschen« etwa als physiologischem Apparat. Dieses Schema aber braucht z. B. der Mediziner, um seine helfenden Gedanken und Handlungen genau vorausbedenken und planen zu können, um von der Fülle der Umstände nicht verwirrt zu werden. Am lebendigen Menschen ändert dieses Schema nichts. Nur wer aus Unkenntnis der wahren Natur der Methodik über diesem Schema den lebendi· gen Menschen vergißt, oder ihn mit diesem Schema verwechselt, der

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begeht jenen Fehler, den das 19. Jahrhundert so oft beging und der die Ursache geworden ist, daß man dann glaubte, nur durch willkürliche Durchbrechungen der strengen Methodik den wirklichen Umständen Rechnung tragen zu können. Wer das wahre Wesen des Methodischen einmal erfaßt hat, kann nicht mehr in diesen Fehler verfallen. V

Was nun die methodische Auffassung des Philosophischen im Sinne der alten philosophischen Systematik, d. h. der Lehre von den verschiedenen aufgetretenen Lösungssystemen der philosophischen Fragen, besonders leistet, das ist die klärende Verbindung derjenigen Elemente in diesen, die einem strengen Denken standhalten. Wohl jedes der in der Geschichte aufgetretenen Systeme enthält bleibende Elemente, das eine mehr, das andere weniger. Die methodische Systematik läßt ihnen ihr volles Recht werden und rückt sie alle an den rechten Platz. Nur auf einiges sei hingewiesen. Während die griechische Antike wesentlich über ein objektives Sein Aussagen zu machen versucht, verlegte sich besonders seit Descartes der Schwerpunkt auf den Aussagenden selbst und das Ich, was dann in der weiteren Entwicklung durch Psychologisierung dieser Betrachtungsweise zu dem Abweg des Sensualismus führte. Im Methodischen nun wird das eleatische Sein zu dem nach der Idee manuell geformten Wirklichen, das einerseits damit eine objektive Verwirklichung erhält, anderseits seine unmittelbare Verbundenheit mit dem Denken erlangt, das ja Parmenides schon proklamierte, wenn er Denken und Sein gleichsetzte. Zugleich aber ist der Zentralität des Ich Rechnung getragen, indem die verwirklichten Ideen eben Ideen des schaffenden Menschengeistes sind (früher sagte man: des Erkennenden), der sich zugleich bewußt ist, daß auch die Lehre von den sogenannten Sinnesempfindungen bereits eine kausale geistige Konstruktion darstellt, die in der Einzelwissenschaft der Physiologie ihren guten Platz hat, jedoch nicht das Fundament des Denkens und des Philosophierens darstellen kann, wie wir oben sahen. Während ferner bis in das 19. Jahrhundert hinaus immer eine Art von »reinem Erkennen« erstrebt wurde, machten sich seit dem

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ersten Drittel dieses Jahrhunderts Strömungen geltend, welche das Schwergewicht auf das »Leben« legten. Pragmatismus und Lebensphilosophie waren die Formen dieser neuen Welle des Denkens. Im Methodischen nun rücken auch diese Bestrebungen an die rechte Stelle und erhalten das ihnen zukommende Recht. Für das Methodische ist das konstruktive System als Ganzes eine pragmatische Maßnahme, Ausfluß eines ziel- und zweckhaften Handelns, wenn auch nicht mehr der einzelne Schritt dabei, wie der Pragmatismus es meinte, rein pragmatischen Erwägungen unterliegt, sondern, sobald die Grundregeln des Aufbaues einmal festliegen, fest und eindeutig an diese gebunden ist. So kann zwar die Methodik den ganzen Irrationalismus und die vielfache Magie mancher lebensphilosophischer Tendenzen nicht mitmachen, wohl aber weiß sie, daß die Gesamtveranstaltung des Wissenschaftlichen aus dem primären Leben entspringt und nur für das Leben einen Sinn hat. Sie weiß, daß es nicht im Irgendwo schwebende »Wahrheiten« sind, die es für die Wissenschaft herabzuholen gilt (auf übrigens unerklärbaren Wegen), sondern daß diese Wahrheiten der exakten Wissenschaft zuletzt Ausflüsse zielstrebigen Wollens und Handelns des Ich sind, und daß sie doch darum um kein Haar weniger eindeutig, zwingend und exakt sind oder sein brauchen, als die noch so rationalistisch aufgefaßten Erkenntnisse einer reinen Vernunft und eines idealistischen Realismus. Der Gegensatz zwischen einem einseitigen metaphysischen Rationalismus und einer ebenso einseitigen chaotisierenden und irrationalistischen Naturmystik ist verschwunden, da beide ihre haltbaren Elemente jedes an seiner Stelle zu dem wirklich haltbaren Denksystem liefern. Und auch das wirkliche frische Leben hat hier seinen Ort. Aus ihm entspringt ja erst dieses ganze Denken und Tun, hat in ihm sein unentbehrliches Fundament. Auch bei vielen Denkern, die man heute der Lebensphilosophie zurechnet, ist es ja eigentlich nur das WVrt »Leben«, das sie in diesen Zusammenhang bringt. Für Schopenhauer, Bergson und andere ist ja Wille und Leben selbst noch nur eine metaphysische und damit hier papierne Macht, die sie hinter die Dinge konstruieren, wie andere das Sein oder die Atome. Erst bei Dilthey und Hugo Münsterberg finden sich Ansätze, das

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wirkliche primäre Leben richtig zu erfassen und einzuordnen, und bei Nietzsche erst webt es, wenn auch oft in seltsamen Verzerrungen und in nicht systematisch gefaßter Weise, hinter und in den Gedanken. Im Methodischen aber besitzt es seinen festen und unverrückbaren Platz als der Urboden, aus dem alles geordnete Denken erst hervorgeht. Wiederum hat man in neuerer Zeit gemeint, dem Wirklichen dadurch besonders nahezukommen, daß man auf Kausalität, auf denkerische Ergänzung des Wirklichen, ja auf Logik und das Denken überhaupt Verzicht leisten wollte. Man übersah, daß man das ungeformte Wirkliche als solches überhaupt geistig nicht zu erfassen vermag (es wäre sinnlos und widerspruchsvoll, das überhaupt zu wünschen), und daß alle unsere geistigen Formungen ja nur dazu dienen sollen, das Wirkliche erfaßbar zu machen. So rückte man durch diese Maßnahmen das durch Übertreibungen des rationalistischen Elementes entfernte Wirkliche nur um so weiter von sich ab und verlor sich im Ungeordneten und Unübersehbaren. Die Methodik aber zeigt die notwendigen rationalen Elemente gerade als Maßnahmen des Ich, um das Wirkliche faßbar zu machen, und dieses methodische Rationale verliert damit jede Möglichkeit, das Wirkliche zu verfälschen und zu verbauen, und bewirkt erst seine denkerische Betrachtbarkeit. So wird in der Methodik und nur in ihr alle Wissenschaft zu einer Lebenssache, zu einer Maßnahme des Menschen aus dem Leben und für das Leben, und verliert so völlig den Charakter eines neben oder über dem Leben stehenden abgetrennten Bereiches. Wenn man in Physik und Biologie den neuen Strömungen dadurch Rechnung tragen wollte, daß man künstlich und unter Durchbrechung des strengen und konsequenten Denkens an einzelnen Stellen irrationalistische Elemente gewaltsam aufpfropfte, so erweisen sich diese dürftigen und logisch fehlerhaften Maßnahmen in der Methodik als völlig unnötig. Hier hat das primäre Leben von selbst seinen richtigen Platz, und Wissenschaft ist selbst nichts anderes als ein Ausfluß aus ihm.

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Zuletzt aber sei noch eine der Systematik angehörige Frage behandelt, die immer wieder Verwirrung stiftet. Es ist die Frage der »falschen systematischen Ordnung«. Aktuell wurde in der Neuzeit dieses Problem am sogenannten Psychologismus. Versucht man, wie es z. B. von Fries geschehen ist, Logik und Erkenntnistheorie auf die Wissenschaft der Psychologie zu gründen, so liegt offenbar ein sogenannter Zirkel oder, um einen Ausdruck der alten Skeptiker zu gebrauchen, eine Diallele vor. Denn offenbar bedarf es, um wissenschaftliche Psychologie zu haben, selbst schon gewisser erkenntnistheoretischer und logischer Kategorien und Prinzipien, die sich dann auf diese Weise sozusagen selbst zu begründen hätten, und damit in Wirklichkeit unbegründet bleiben würden. Ein analoger Fehler wäre der sogenannte Biologismus, der die Wissenschaft der Biologie zum Fundament der Erkenntnistheorie machen möchte. Der neuerdings aufgetretene Versuch, die wissenschaftliche Erkenntnis und sogar die Logik auf die Wahrscheinlichkeitslehre zu gründen, zeigt in besonders deutlicher Form den gleichen Verstoß. Nun ist es aber ganz unmöglich, Wissenschaft zu begründen, ohne dabei von Fähigkeiten Gebrauch zu machen, welche, wenn sie einer wissenschaftlichen Behandlung unterworfen werden, Gegenstand der Psychologie sind. Dieser Umstand zeigt, daß es mit der einfachen Ablehnung eines Psychologismus nicht getan ist, daß vielmehr hier noch feinere Unterschiede zu betrachten sind. Warum muß denn ein Psychologismus abgelehnt werden? Weil man aus logischen Gründen Zirkel vermeiden muß. Diese Zirkel als logische Gebilde hängen aber nicht daran, daß überhaupt Elemente vorkommen, deren wissenschaftliche Behandlung der Psychologie obliegt, sondern daran, daß Aussagen und Methoden verwendet werden, die ihre Begründung erst an einem späteren Orte des Systems erhalten. Notwendige Vorbedingung eines solchen Zirkels ist also, daß zu begründende Dinge benutzt werden, bevor sie diese Begründung erhalten können. Daraus folgt schon: Die ~r­

wendung von Nichtzubegründendem kann keinen Zirkel verursachen, auch wenn dabei Worte benutzt werden müßten, die äußerlich identisch sind mit später zu begründenden Begriffen.

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Nun liegt im Methodischen gerade dieses Verhältnis vor, worauf noch eingegangen werden muß. Ich kann jedes Erlebnis (psychischer oder nichtpsychischer Art, doch ist diese Trennung hier nicht wesentlich), nachdem ich es erlebt habe, vor mich hinstellen und es betrachten. In diesem Verhältnis ist dieses Erlebnis dann Gegenstand der Betrachtung, Objekt, es ist passiv der aktiven Tätigkeit des Betrachtens gegenübergestellt. Wir sagen, es gehöre in diesem Verhältnis der passiven Sphäre, der Objektsphäre an. Auch ein früher gehabtes Willenserlebnis wird in diesem Verhältnis passiv. Völlig verschieden davon ist dagegen ein jetziger lebendiger Wille von mir im aktiven Zustand, wo er sich auf irgend etwas richtet. Dieser kann sich auf alles richten, nur nicht auf sich selbst, solange er aktiv ist. Denn sobald er sich auf sich selbst richtet, ist er nicht mehr aktiv, ist Objekt geworden, während der jetzt aktive Wille ihm als der betrachtende, d. h. auf der Subjektseite gegenübersteht. Nennen wir solchen aktiven Willen einen lebendigen, so steht der lebendige Wille immer auf der Subjektseite, gehört der aktiven Sphäre an. Diese Sphäre des aktiven Willens besteht nun nicht etwa aus einem sozusagen leeren Willenspunkt. Sie ist vielmehr ständig in wechselnder Ausdehnung begriffen, indem sie alle potentiellen Fähigkeiten der Seele nach Bedarf in ihren Bereich zu ziehen und zu aktivieren vermag. Alle dem Einflusse des Willens unterstehenden seelischen Vorgänge sind in dieser Weise aktivierbar und können als Elemente der aktiven Sphäre auftreten, ebenso wie sie danach auch wieder Objekt irgendwelcher aktiver Prozesse werden, d. h. in die passive Sphäre aufgenommen werden können. Es ergibt sich für das eindeutige methodische System also folgendes Verhältnis. Alle methodischen Handlungen zur Herstellung dieses Systems (und damit von eindeutiger Wissenschaft) bestehen in ziel- und willensmäßigen Aktivierungen unmittelbarer Fähigkeiten von uns, als da sind: Vorstellen, Denken, Vergleichen, Erinnern, zielstrebige Körperbewegungen wie Sprechen, Schreiben, alles Handwerkliche usw. Es ist dabei weder möglich, noch systematisch nötig, diese Fähigkeiten genau abzugrenzen, zu benennen und aufzuzählen. Das Entscheidende ist allein, daß sie uns für unsere methodischen wissenschaftlichen Maßnahmen aktivierbar zur Ver-

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fügung stehen. Nur durch ihre primäre Anwendung kann geordnetes Denken, Wissenschaft und eindeutiges System überhaupt zustande kommen. Ihre systematische Stellung ist dabei die, daß sie vor Beginn des wissenschaftlichen Unternehmens vorhanden sein müssen. Es wäre aber ein Irrtum, dieses Verhältnis dadurch aussprechen zu wollen, daß man sagt, sie seien für das System »logisch vorausgesetzt«. Das wären sie nur, wenn aus ihnen etwas logisch geschlossen werden sollte. Das ist aber nicht der Fall. Sie sollen nur etwas tun, sie sollen handeln. Wir wollen diese Art des Voraussetzens als »praktisches voraussetzen« bezeichnen. Diese beiden Arten des Voraussetzens müssen sauber auseinandergehalten werden. Damit wird klar, daß am Anfang und vor dem Aufbau des eindeutigen Systems Elemente auftreten müssen, die man meist mit Namen bezeichnet, die wiederum in der wissenschaftlichen Psychologie eine Rolle spielen. Nur treten sie in beiden Fällen in einer gänzlich verschiedenen Weise auf. In der Methodik sind sie aktiv, gehören der Subjektsphäre an. In der Psychologie sind sie passiv, sind selbst Objekt wissenschaftlicher Behandlung, verlangen Erklärung, Analyse, Begründung, d. h. kausale Unterbauung. Damit aber ist die Möglichkeit eines Zirkels ausgeschlossen, da sie in ihrer aktiven Funktion niemals selbst logisches Element einer kausalen Begründung werden können; um dies nämlich zu werden, muß ein Element bereits selbst Gegenstand der Behandlung, muß passiv geworden sein. Damit ist gezeigt, daß durch die aktive Verwendung dieser verschiedenen sogenannten Fähigkeiten, wenn diese Trennung streng durchgeführt wird, niemals ein »Psychologismus« entstehen kann. Die unkritische Verwendung dieses Begriffs für die Verwendung psychologisch benannter Vorgänge überhaupt, die manche Autoren ausüben, hebt nämlich schlechterdings die Möglichkeit irgendeiner Wissenschaft überhaupt auf, denn diese kann niemals anders zustande kommen als durch aktive Verwendung solcher Fähigkeiten. Diese Überlegungen sind daher fundamental für das Psychologismusproblem überhaupt. Es ist nun einleuchtend, daß ganz die analoge Überlegung anzuwenden ist bezüglich des Gesichtspunktes des »Biologismus«. Während in der Wissenschaft der Biologie die Lebensvorgänge Objekt

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der Behandlung sind, also der passiven Sphäre angehören, muß aller Biologie, ja aller Wissenschaft überhaupt das aktive primäre »Leben« vorhergehen, muß es praktisch vorausgesetzt sein, jenes aktive Leben, das eben unser ganzes Sein ausmacht und aus dem alle unsere Handlungen und Äußerungen, und damit auch alle Wissenschaft, erst fließen. Die notwendige praktische Voraussetzung dieses aktiven »Lebens« kann also bei strenger Unterscheidung niemals zu einem »Biologismus« führen. Sie aber macht gerade die Methodik zu der einzigen streng durchführbaren und beweisbaren Wissenschaftslehre, welche voll und gänzlich im aktiven Leben wurzelt, nur aus dem Leben und für das Leben überhaupt ihren Sinn und ihre Existenz besitzt, wie es in II näher dargelegt wurde. Für den Begriff eines »Voluntarismus« ergibt sich nun die analoge Unterscheidung von selbst. Im übrigen fällt diese ja schon in den Bereich des Psychologismus, der hinreichend behandelt wurde. Daraus folgt aber auch umgekehrt, daß wenn man ein Gebiet, das man mit dem Namen einer bestimmten Einzelwissenschaft belegt, der Erkenntnistheorie oder Wissenschaftslehre des Allgemeinen zugrunde legen will, dieses Gebiet dort nur in der aktiven Form auftreten kann. Es kann dort niemals in einer Form auftreten, welche logische Beziehungen zum Theoretisch-Allgemeinen einschließt. Will man also davon sprechen, daß man Psychologie, Biologie, Anthropologie zugrunde legen wolle, dann dürfen diese dabei niemals als Wissenschaften schon auftreten, welche bereits theoretischallgemeine Elemente enthalten. Denn alle solche erhalten ihre Rechtfertigung erst im System selbst, können diesem also nicht schon zugrunde gelegt werden. So setzt das methodische System also z. B. nicht eine Wissenschaft der Anthropologie logisch voraus. Wohl aber setzt es Menschen einer gewissen Art und Fähigkeit praktisch oder aktiv voraus. Will man letztere Aussage als eine »anthropologische« bezeichnen, dann muß man beachten, daß sie nur einer »aktiven Anthropologie« angehört, und nicht einer »Wissenschaft« der Anthropologie im üblichen Sinn, die ja ein Vorhandensein theoretisch-allgemeiner Elemente meist stillschweigend voraussetzt. Durch die Entwicklung des 19. Jahrhunderts ist der allgemeine Begriff »Wissenschaft«

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so ausgedehnt worden, daß bei seinem Gebrauch stets die größte Vorsicht geboten ist. Die griechische Episteme meinte ausschließlich das, was wir oben das methodische System nannten, wenn sie es auch noch nicht so formulieren und abgrenzen konnte. Dieser Wissenschaftsbegriff hat sich mit gewissen Schwankungen bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts erhalten. Dann begann man nach und nach überhaupt alles als Wissenschaft zu bezeichnen, was auf den Universitäten gelehrt wurde, und was immer mehr Gebiete umfaßte. Zum Verständnis des Vorstehenden ist es nun von größter Wichtigkeit, sich klarzumachen, daß es sich nur auf den Bereich des allgemeinen und exakten Denkens bezieht. Neben diesem Bereiche gibt es für die Tätigkeit des menschlichen Denkens und Sagens einen nach Ausdehnung sehr viel größeren und für das praktische Leben des Einzelnen meist sehr viel wichtigeren Bereich, der außerhalb des methodischen Systems vom primären Leben direkt handelt. U ngeheure Gebiete liegen hier vor, Kulturwissenschaft aller Sparten, Geographie, Geschichte, Menschenlehre aller Richtungen von der beschreibenden Anthropologie bis zur Pädagogik, viele Teile der sogenannten Psychologie bis zur Charakterlehre und Physiognomik, einschließlich Philologie und Literaturkunde usw. Diese Gebiete sind vom methodischen System entweder völlig getrennt oder berühren sich mit diesem nur am äußersten Rande oder nur mit den allerersten Stufen desselben (indem auch hier etwa das Streben nach eindeutiger Begriffsbildung oft sich geltend macht, wobei die logischen Grundgesetze benutzt werden). Diese Gebiete wurden im Vorstehenden nicht behandelt. Auch für sie kann eine Methodik aufgestellt werden. Diese bedient sich dann noch gewisser anderer Fähigkeiten, die für das oben behandelte methodische System nicht in Frage kommen, da sie nicht volle Eindeutigkeit mit sich führen, welche ja die Grundforderung des methodischen Systems ist. Diese zu behandeln, war hier nicht unsere Aufgabe. Es steht nun nichts im Wege, auch diese Gebiete nach der Gepflogenheit des 19. Jahrhunderts als »Wissenschaften« zu bezeichnen. Man hat für diese Gruppe den wenig besagenden Namen der »Geisteswissenschaften« gewählt. Für uns sind sie einfach die nicht zum eindeutigen methodischen System gehörigen Wissenschaften.

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Sie sind, wie gesagt, für das praktische Leben des Einzelnen meist viel wichtiger und wohl auch interessanter als die zum strengen System gehörigen Wissenschaften, die fast ausschließlich den Fachleuten und Fachliebhabern geöffnet sind. Dennoch ist auch das strenge System von größter Lebenswichtigkeit, da alle eindeutige Naturbeherrschung und alle Präzisionstechnik, die wichtigste Lebensinstrumente der Gemeinschaft darstellen, auf diesem ganz und gar beruhen. Neben dieser enormen Lebenswichtigkeit des »Systems« besteht der Umstand, daß seine genaue Erforschung und Aufstellung für alles Erkennen überhaupt von grundlegender Bedeutung ist. Denn wo auch immer Erkenntnistheorie und Wissenschaftslehre nach eindeutigen und allgemeinen Resultaten streben, können diese nur auf dem Boden und mit den Methoden des Systems erreicht werden. Es ergibt sich ferner aus dem oben Dargelegten, daß eine saubere Trennung dessen, was dem System untersteht und was nicht, nur durch die genaue Aufstellung des Systems selbst gewonnen werden kann. So läßt sich auch eine genaue Methodik der nicht zum System gehörigen Wissenschaften nur sozusagen auf dem Hintergrunde des Systems selbst gewinnen. Nur so sind die dazu nötigen genauen Definitionen und Abgrenzungen erreichbar. Diese Gruppe von Wissenschaften handelt ja fast nur vom »Menschen«. Für das System zugänglich ist hier aber nur jenes ordnende ideelle Denkgebilde, das die Physiologie sich als notwendiges Ordnungsschema schaffen muß und das wir oben als den »allgemeinen Menschen« bezeichneten. Sobald sich aber eine Wissenschaft nicht auf dieses Schema, sondern auf volle reale Menschen des wirklichen Erlebens bezieht, steht sie schon damit insoweit völlig außerhalb des Systems. Darum sollte man diese nicht dem System angehörigen Wissenschaften statt »Geisteswissenschaften« besser »anthropologische Wissenschaf ten« benennen. So muß die Grundlage des Systems auch als methodisch primär zu jeder sonstigen Erkenntnistheorie und Wissenschaftslehre überhaupt bezeichnet werden. Es zeigt sich aber zugleich, welche Vorsicht beim Gebrauche des allgemeinen Begriffs »Wissenschaft« walten muß, wenn nicht größte Verwirrung entstehen soll. Fast in allen Punkten sind die beiden behandelten Gruppen von Wissenschaften so beschaffen, daß bei

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der einen gerade immer das Gegenteil von dem gilt, was bei der anderen zutrifft. Man kann wohl überhaupt keinen etwas inhaltsvolleren Satz aussprechen, der von beiden Gruppen zugleich, der also für »die Wissenschaft« gelten würde. So kann man, um nur ein Beispiel zu geben, mit vollem Rechte in der Pädagogik den Satz aussprechen, daß für uns gültige Sätze schon für die nächste Generation nicht mehr gelten brauchen. Welche Unmöglichkeit aber würde sich ergeben, wenn man diesen Satz für »die Wissenschaft« aussprechen wollte (man denke nur an die Mathematik und an die wirklich fundierten Teile des methodischen Systems!). Die fehlerhafte Enge des Rationalismus bestand darin, daß er meinte, mit dem, was zu seiner Zeit dem Gebiete entsprach, das wir oben das methodische System nannten, »Alles« umfassen zu können. Nach und nach wurde man dieser Enge gewahr, bemerkte, daß ungeheure Bereiche vorliegen, die vom methodischen System kaum berührt werden. Aber der Eindruck des rationalistischen Denkens war noch so stark, und die Einsicht in die feineren Umstände der Methodik war noch so schwach, daß man vielfach meinte, das einzige Mittel, dem Rationalismus zu entgehen, sei das, alles Rationale völlig aufzulösen und zu zerschlagen, dem »Alles« des Rationalismus das »Nichts« des Irrationalismus entgegenzustellen. Gegenseitige Unkenntnis tat das Ihrige, um zwei sich bekämpfende Lager entstehen zu lassen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde man im Denken immer mehr aufmerksam auf dasjenige Leben, das wir oben das »primäre Leben« nannten. Aus Unkenntnis des Umstandes, daß das System nur ein Instrument dieses primären Lebens ist, und in Nachwirkung der rationalistischen Überzeugung, daß das System alles umfassen müsse, fühlte man sich gedrungen, diesem primären Leben innerhalb des Systems gewaltsam einen Platz zu verschaffen. Man glaubte die Wissenschaft der Biologie so umschaffen zu müssen, daß sie auch das primäre Leben umfasse. Wir sahen oben, daß und warum das nicht möglich ist und daß ein solches Verfahren nicht nur logisch und methodisch stets falsch, sondern vor allem auch unnö· tig ist. Denn das primäre Leben hat seinen vollen Platz vor dem System und als der Boden, der das System trägt und aus dem allein es erwächst. Nur die genaue Trennung zwischen primärem Leben

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und den Wissenschaften der Biologie, Psychologie usw. vermag hier Klarheit zu schaffen. Gerade die Methodik zeigt ja mit sozusagen mathematischer Sicherheit, daß alles Rationale nie in sich selbst ruhen kann, sondern stets in einem Nichtrationalen, nämlich in dem vorsystematischen primären Leben, wurzelt. Die schlichte Lebensnotwendigkeit des methodischen Systems, welches die strengen Teile des Rationalen in sich aufnimmt und exakt begründet, ist aber so offensichtlich, daß es klar ist, daß es niemals beseitigt werden kann. Aber die Einsicht in seine rein methodische Natur, wie sie hier zu geben versucht wurde, vermag auch erst die Grenzen seines Bereiches genau festzustellen und damit zugleich auch die Existenz der nicht dem System zugehörigen Gebiete methodisch voll zu sichern und so beiden Gebieten ihr gehöriges Recht zuzuweisen. Natürlich konnten im Vorstehenden von dem übergroßen Problemgebiet nur einige Hauptlinien aufgezeigt werden. Weiteres möge man an den genannten Örtern suchen.

Das Unberührte Die Definition des unmittelbar Gegebenen a

1. Schon bei den Eleaten hatte eine Kritik der Wirklichkeit begon-

nen. Parmenides hatte die Meinungen (ooEcn) der Sterblichen in Gegensatz gesetzt zu der •wohlgerundeten Wahrheit unerschütterlichem Herz«, und es war bei ihm schon ein Gegensatz vorhanden zwischen dem Schein des Vielen und des Werdens gegenüber der unwandelbaren Kugel des wahren Seins, den man vielfach als einen Gegensatz zwischen der »Sinnenwelt« (die Parmenides nicht ausdrücklich so nennt) zu einer »metaphysischen« Wahrheit interpretierte. Ganz deutlich und zentral aber ist die Absicht, die gewohnte alltägliche Weltansicht als falsch nachzuweisen, bei seinem Schüler Zeno von Elea, der z. B. den mathematischen Beweis führen möchte, daß es keine Bewegung gibt. Bei den Sophisten und anderen wird dann später oft Kritik geübt an dem, was wir heute als sinnliche Wahrnehmung bezeichnen. Im Mittelalter beginnt dann hin und wieder schon das Thema angeschlagen zu werden, das wir heute mit dem Worte von der •Subjektivität der Sinneswahrnehmungen« bezeichnen. Aber erst die englische Aufklärungsphilosophie ging auf dieser Linie den letzten Schritt, indem sie zu der Aussage gelangte, daß uns überhaupt nichts gegeben sei als diese subjektiven Sinneswahrnehmungen, die ihren wahren Ursachen (den »Dingen an sich«) gänzlich unähnlich sind, welch letztere stets unerkennbar bleiben müssen. Diese Auffassung bedeutete eine Aussage über das »Gegebene«, über die Art und Beschaffenheit dessen, was uns von der Welt ohne unser Zutun primär dargereicht wird. Eben dieses Dargereichte sollte nur aus Sinneswahrnehmungen bestehen, aus Empfindungen, aus Bewußtseinstatsachen usw., wie man auch sagte. Kant verwendete dafür die Bezeichnung »Erscheinungen oder Phänomene«. So bestand also nun die ganze Außenwelt ausschließlich aus Sinneswahrnehmungen, d. h. aus Farbflecken, Gehörs-, Tast- usw. Ein•In: Zeitschrift für die gesamte Naturwissenschaft 8 (1942) S. 209-224.

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Das Unberührte

drücken oder »Flecken«. Die Welt war ein Fleckenteppich aus Farben, Tönen, Tastgefühlen usw. geworden, auch meine Nebenmenschen wie alles übrige waren nur Fleckengruppen. Ob aber »hinter« dem Vorhang dieses Teppichs irgend etwas sei, und wie es beschaffen sei, das war nun ein unlösbares »metaphysisches« Problem geworden. Die bloße Existenz einer gemeinsamen wirklichen Außenwelt konnte nicht mehr mit Sicherheit behauptet werden, und diese Existenz einer Außenwelt wurde eines der großen (und auf dieser Basis natürlich unlösbaren) Probleme der Philosophie. Nur auf dem Wege einer gewaltsamen, aber völlig unbegründbaren metaphysischen »Annahme« konnte noch von einer objektiven Außenwelt gesprochen werden. Gesichert war allein Ich in der Isolierzelle meines Fleckenvorhanges. Das ist seit mindestens 200 Jahren die bewußte Lage in der gesamten Philosophie! Die frische, natürliche, wirkliche Welt, in der wir alle jeden Tag leben, war durch eine unglückliche Konstellation in der geistigen Gesamtlage unserer Denker irgendwie verlorengegangen, bzw. noch nicht begrifflich faßbar geworden. Der unverbildete Mensch, der sie noch zu besitzen glaubte, wurde gegebenenfalls belehrt, daß er sich da einer groben Täuschung hingebe. Nur die kritischen Philosophen besaßen die wahre Welt, aber auch nur, wenn sie am Schreibtisch saßen und nachdachten. Im Trubel des tätigen Alltagslebens unterlagen ja auch sie meist jener angeblichen groben Täuschung und standen so wenigstens hier mit dem Unverbildeten auf dem gleichen Boden. Aber es war ihnen noch nicht gelungen, diese eigentliche Welt in ihren Systemen begrifflich zu rechtfertigen und so ihrer auch geistig gewiß zu werden. 2. Diese Auffassung beherrscht heute restlos das abendländische Denken. Schon Kepler, Galilei, Mersenne, Descartes, Gassendi und Hobbes stimmen in der Lehre von der Subjektivität der Sinnesempfindungen überein, worauf schon Natorp aufmerksam machte. Wird dazu gelehrt, daß diese Sinnesempfindungen das primär Gegebene seien, dann ist die Einstellung gewonnen, die wir kurz als »Sensua· lismus« bezeichnen wollen. Damit ist von der Außenwelt nur das erlebbar, was unsere Sinne uns bieten. Da dies aber subjektiv ist, so ist der ganze Bereich der sogenannten Außenwelt subjektiv und

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rückt gegebenenfalls als »Bewußtseinstatsache« in unser Bewußtsein, womit wie bei Fichte mein Ich zum All des Existierenden wird. Nun kann entweder angenommen werden, daß es überhaupt nur mein oder unser Bewußtsein »gebe« (Spiritualismus), oder aber man geht in die Metaphysik über und nimmt »hinter« dem Vorhang der Sinneswahrnehmungen irgendwelche »Dinge an sich« an, trotzdem man sich genau bewußt ist, daß es nach den gemachten Annahmen prinzipiell und für immer ausgeschlossen ist, auch nur über die Existenz, geschweige denn über die nähere Beschaffenheit dieser Dinge an sich irgendeine begründbare Aussage zu machen. Die Folge der damit eingenommenen Position ist die, daß der Mensch ganz allein für sich da ist. Da nämlich alle Nebenmenschen zur Außenwelt gehören, so kann über ihr Vorhandensein außerhalb meines Bewußtseins und hinter dem Fleckenteppich prinzipiell keine Aussage gemacht werden (Solipsismus). 3. Die damit gekennzeichnete und als Sensualismus bezeichnete Leh-

re ist heute die ausnahmslos angenommene Grundlehre der europäischen und damit der Weltphilosophie. Ebenso stellt sie die Grundüberzeugung aller Naturwissenschaftler dar, welche sich philosophisch äußern. Hierfür nur einige kurze Hinweise. L Kant hat diese Auffassung in seiner Lehre von den Erscheinungen übernommen. Von da ab ging sie in diejenigen Teile der Philosophie und Naturwissenschaften über, die an ihn anknüpften. Die übrigen Teile der Philosophie und Naturwissenschaften aber gingen direkt von den Positionen der englischen Aufklärungsphilosophie aus (besonders alle Arten des Empirismus und Realismus), in welcher diese Lehre den entscheidenden Ausgangspunkt bedeutete. Für die exakten Naturwissenschaften sei nur auf zwei Beispiele verwiesen. Ernst Mach übernahm die Lehre schon in seiner Jugend aus Kants Prolegomena und baute sie dann, unter Weglassung der Kantschen Dinge an sich, zu seinem »Phänomenalismus« aus, wonach uns nur Sinnesempfindungen gegeben sind. Max Planck schreibt, um unter sehr vielen Stellen nur eine herauszugreifen: »Denn darin wird der Positivismus immer recht behalten, daß es keine andere Erkenntnisquelle gibt als die Sinnesempfindungen.«

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(Wege zur physikalischen Erkenntnis, Leipzig 1933, S. 217)b Ebenso gehen auch alle in der Biologie Philosophierenden von diesem Ausgangsstandpunkt aus. Hier nur einige Beispiele: Hans Driesch, Philosophie des Organischen, 2. Aufl Leipzig 1921, S. 1: »Unsere Arbeit wird also von dem Satz ausgehen: Das Empirisch-Wirkliche und innerhalb seiner die Natur ist mein Phänomen, ist von mir gekannt, gewußt, ,bewußt gehabt' oder wie man es nennen will.« Jakob von Uexküll, Im Kampf um die Tierseele, Wiesbaden 1902, ferner Theoretische Biologie, 2. Aufl. Berlin 1928, S. 2: »Alle Wirklichkeit ist subjektive Erscheinung - dies muß die große grundlegende Erkenntnis auch der Biologie bilden.