Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie: Übers. v. Artur Buchenau. Mit Einl. u. Anm. hrsg. v. Ernst Cassirer 3787313044, 9783787313044


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Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie: Übers. v. Artur Buchenau. Mit Einl. u. Anm. hrsg. v. Ernst Cassirer
 3787313044, 9783787313044

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Philosophische Bibliothek

Gottfried Wilhelm Leibniz Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie Teil 1

Meiner

•• I.

GOTTFRIED WILHELM LEIBNIZ

Philosophische Werke in vier Bänden in der Zusammenstellung von Ernst Cassirer Band 1

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

GOTTFRIED WILHELM LEIBNIZ

Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie Übersetzt von Artur Buchenau mit Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von Ernst Cassirer Teil I

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

PHILOSOPHISCHE BillLIOTHEK BAND 496

1904 1924 1966 1996

1. Auflage als Band 107 der Philosophischen Bibliothek. 2. Auflage. 3. Auflage. Neuausgabe als Band 496 der Philosophischen Bibliothek. Redaktion: Marion Lauschke.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Leibniz, Gottfried Wilhelm: Philosophische Werke : in vier Bänden I Gottfried Wilhelm Leibniz. In der Zsstellung von Ernst Cassirer. - Harnburg : Meiner. NE: Cassirer, Ernst [Hrsg.] ; Leibniz, Gottfried Wilhelm: [Sammlung ] Bd. 1 Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie. Teil 1. I Übers. von Artur Buchenau. Mit Ein!. und Anm. hrsg. von Ernst Cassirer. - 1996 (Philosophische Bibliothek ; Bd. 496) ISBN 3-7873-1304-4 NE : GT © Felix Meiner Verlag GmbH, Harnburg 1996. Alle Rechte auch

die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wieder­ gabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Ver­ vielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte, durch alle Verfahren wie Speicherung und Ü bertragung auf Papier, Transpa­ rente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: Kusel, Hamburg. Einbandgestaltung: Jens Peter Mardersteig. Druck: Strauss Offset­ druck GmbH, Mörlenbach. Buchbinderische Verarbeitung: Lüde­ ritz & Bauer, Berlin. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergesellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. @

VORBEMERKUNG DES VERLAGS

In der Herausgabe der Philosophischen Werke von G. W. Leibniz in deutscher Ü bersetzung hat Ernst Cassirer in den Jahren von 1904 - 19 1 5 eine wichtige Aufgabe gesehen, der er sich nach Vor­ lage seiner Gesamtdarstellung von Leibniz' System in seinen wissen· schaftliehen Grundlagen ( 1902) und zeitgleich mit der Ausarbei­ tung der Bände I und II von Das Erkenntnisproblem in der Philo­ sophie und Wissenschaft der neueren Zeit (1906 ; 1907) mit großer Sorgfalt widmete. Insbesondere seine Zusammenstellung und er­ läuternde Kommentierung der von Artur Buchenau übersetzten Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie (1904 ; 1906) auf der Grundlage der von C. I. Gerhardt edierten mathematischen und philosophischen Schriften von G. W. Leibniz bot zum ersten Male einen umfassenden deutschsprachigen Konspekt des Gesamtwerks unter dem Gesichtspunkt der gedanklichen Entwicklung des Sy­ stems, der bis heute von keiner anderen Ausgabe der Leibnizschen Werke erreicht oder gar überboten wurde. Zusammen mit der 1915 erschienenen Neuübersetzung der Neuen A bhandlungen über den menschlichen Verstand und der 1925 nachgereichten Theodicee (von Artur Buchenau) gilt die hier wieder zusammengeführte vierbän­ dige Werkausgabe in Lehre und Forschung als maßgeblich. Für diese Neuausgabe wurden die Texte in allen Teilen neu ge­ setzt und neu umbrechen. Im Unterschied zu den früheren Aufla­ gen sind die beiden Bände der Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie nunmehr mit einer durchgehenden Seitenzählung ver­ sehen und neu aufgeteilt : die Schriften zur Biologie und Entwick­ lungsgeschichte (vordem in Band II) bilden jetzt den Abschluß von Band I; die systematischen Einleitungen Cassirers zu den unter­ schiedenen Abteilungen wurden zusammengezogen und an den An­ fang von Band 1 gestellt ; die erläuternden Textanmerkungen Cas­ sirers zu den ausgewählten Leibniz-Texten sind fortlaufend gezählt und in beiden Bänden jeweils an das Ende gerückt. Den von Cassi­ rer gebildeten deutschen Titelüberschriften für die kleineren Leib-

VI

Vorbemerkung

niz-Texte sind - sofern vorhanden - die originalen lateinischen bzw. französischen Titel hinzugefügt, um das leichte Auffinden der in der Forschung zumeist unter den Originaltiteln zitierten Texte zu ermöglichen ; entsprechend wurden die von A. Buchenau und E. Cassirer gelegentlich ungenau und häufig in wechselnden Schrei­ bungen gegebenen Titel- und Quellenangaben durchgehend redak­ tionell überprüft, korrigiert und vereinheitlicht. Die doppelte Datierung vieler der in die Auswahl aufgenommenen Briefe aus den von Leibniz mit den Gelehrten seiner Zeit geführten Korre­ spondenzen geht zurück auf die jeweiligen Originale : vor dem Schrägstrich steht das Datum »alten Stils>neuen StilsErfordernisseKausalen Defini­ tion>Örter>Formen« - unbekümmert dar­ um, in welchem Material sie sich darstellen und verkörpern : es zeigt sich nun, wie gerade diese Weite und Allgemeinheit der ursprüng­ lichen Konzeption die Gewähr in sich enthält, daß jeder Inhalt in seiner Besonderheit aufgenommen und anerkannt werden kann. Schwieriger ist es, in einem kurzen Ü berblick über die einzel­ nen Systemglieder, sich die Bedeutung zu vergegenwärtigen, die dem Grundgedanken der A nalysis des Unendlichen für das Ganze der Leibnizschen Philosophie zukommt. Denn hier stehen wir in einem wahrhaften Mittelpunkte, von dem nach allen Seiten hin gedankliche Richtlinien ausstrahlen. Diese Mannigfaltigkeit der Fol· gerungen, die allein den prinzipiellen Gehalt und Reichtum des ur­ sprünglichen Prinzips vollständig erkennen lassen, wird erst nach

5 Math. li, 30.

XXIV

Ernst Cassirer

und nach in dem allmählichen Fortschritt der Leibnizschen Schrif­ ten und ihrem stetigen Ü bergang zu immer weiteren Problemkrei­ sen zu lebendiger Anschauung kommen. (Siehe besonders Nr. 22). An dem Punkte, an dem wir uns jetzt befinden, gilt es zunächst, die Grundlagen der neuen Analysis in ihrem Zusammenhang mit den allgemeinen Bestimmungen zu betrachten, die die Entwick­ lung des Idealbegriffs der »Scientia generalisHypothesen>EmpirismusRelativismusdas geistige Objekt, das wir Raum nen­ nen, ist nur ein schwaches und zerstreutes Schattenbild, durch das sich uns die Natur der ununterbrochenen göttlichen Allgegenwart in dem matten Scheine unseres Intellekts darstellt>Sensorium>gegenwärtigLogik der Quantität« ergibt. 16 Der Gedanke der durchgängigen »Harmonie« zwischen Vernunft und Erfahrung, die rationale Durchdringung und Bewältigung des Stoffes, den allein die Induk­ tion darzubieten vermag, ist daher hier am reinsten erfüllt. Im Er­ haltungssatze wird das Universum der Erfahrung zuerst zu einer selbständigen Einheit, zu einem geregelten Inbegriff, der jeden Ein­ fluß von außen, insbesondere den willkürlichen Eingriff »immate­ rieller« Faktoren ausschließt. Faßt man dieses allgemeine Ziel ins Auge, so gewinnen auch die Einzelsätze der Leibnizschen Dyna­ mik ihren inneren und notwendigen Zusammenhang. Insbesondere findet von hier aus der Kampf gegen die Cartesische Physik und das Kraftmaß, das in ihr formuliert war, seine Erklärung: dieser Kampf bedeutet im Grunde nichts anderes, als den Versuch, den A rbeitsbegriff, der von Descartes in der Statik bereits zu umfas­ sender Anwendung gebracht worden war, für das Gesamtgebiet der Dynamik und Physik zur Geltung zu bringen. In diesem Sinne hat Leibniz selbst seine Physik nicht als eine Umwälzung, sondern als Ergänzung und konsequente Fortbildung der Cartesischen be­ trachtet. 1 7 Wie das Erhaltungsgesetz von Leibniz als notwendige Bedin16 Näheres hierüber und zum Folgenden siehe E. Cassirer, Leibniz ' Sy· stem in seinen wissenschaftlichen Grundlagen, Kap. VI. 1 7 Näheres hierzu siehe Anm. 1 89 und 204.

Einleitung

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gung gedacht wird, um der reinen Mathematik Anwendung auf das Gebiet des Wirklichen zu verschaffen, so erweist sich auch der Begriff der Kraft selbst, den er zugrunde legt, als eine Fortsetzung und Weiterentwicklung rein mathematischer Gedankenreihen. Die Definition selbst, die Leibniz von seinem Begriffe gibt, schließt die Denkweise und Ausdrucksform der neuen Analysis des Unendli­ chen in sich. Wir sagen von einem Körper aus, daß er »Kraft,, be­ sitzt, sofern wir uns in einem gegebenen einzelnen Zeitmoment nicht nur die Richtung und Geschwindigkeit seines Fortschritts überhaupt bestimmt denken, sondern in dem momentanen Bewe­ gungszustand auch die Bedingung der Fortsetzung der Bewegung und des gesetzlichen Ü berganges zu anderen Bestimmungen ent­ halten denken. Die Kraft ist der gegenwärtige Zustand der Bewe­ gung selbst, sofern er zu einem folgenden hinstrebt oder einen folgenden im voraus in sich involviert (Gerh. II, 162). In dieser Dar­ stellung des künftigen Gesamtverlaufs durch einen Einzelzustand, in dem wir das Gesetz des Fortschrittes involviert denken, finden wir den allgemeinen Gedanken des Kontinuitätsgesetzes wieder. (Siehe oben S. XIV f.). Zugleich weist uns indes die Forderung ei­ ner derartigen >>Repräsentation des Mannigfaltigen in der Einheit« den Weg zu neuen Problemen der Leibnizschen Monadenlehre. Zu­ vor jedoch gilt es, sich die empirisch-wissenschaftliche Begründung des Kraftbegriffs unabhängig von diesen Beziehungen zu vergegen­ wärtigen : erst wenn diese empirischen Grundlagen in sich selbst gesichert sind, läßt sich die Bedeutung des Begriffs für das Ganze der Philosophie und Metaphysik ermessen. Wenn in den Schriften zur Logik und zur Mathematik die all­ gemeine Methode der Leibnizschen Philosophie sich bestimmte und ausbildete, wenn in ihnen das abstrakte begriffliche Fundament des Systems abgesteckt wurde, so tritt uns beim Ü bergang zu den Pro­ blemen der Biologie die Leibnizsche Metaphysik zuerst in ihrer konkreten Gestalt und mit der Eigenart ihrer besonderen Prinzi­ pien entgegen. Der Entwurf der Characteristica universalis, das Be­ mühen um eine allgemeingültige Methodik der Forschung und der Beweisführung hatte den A usgangspunkt des Leibnizschen Denkens gebildet : seinen A bschluß aber erhält es erst, sobald es sich der Grundfrage nach dem Ursprung des Lebens zuwendet. Diese dop-

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Ernst Cassirer

pelte Richtung des Gedankens ist es, die Leibniz vor allem auszeich­ net und die ihm seine geschichtliche Sonderstellung zuweist. Ein Blick auf seine Lehre genügt, um das alte Vorurteil zu zerstören, daß der mathematische >>RationalismusverstehenNatur« gemäß nach oben strebt, so ist es den schweren Kör­ pern innerlich eigentümlich, sich zum Mittelpunkt des Alls hinzubewegen und erst, wenn sie hier, in ihrem »natürlichen Ort« angelangt sind, zur Ruhe zu gelangen. Die Erde, der die Körper beim Falle zustreben, ist damit kraft apriorischer Erwägungen als ruhendes Zentrum der Welt erwiesen: kein empirischer Gegen­ grund scheint den teleologischen Schluß entkräften zu können, auf dem die Aristotelische Anschauung des Weltgebäudes ruht. Wie die neue astronomische Theorie sich dieser Auffassung gegenüber Schritt für Schritt ihren Boden erkämpfen mußte, ist bekannt, und dieser Kampf bildet zugleich eine der wichtigsten und reizvollsten

Einleitung

XLI

Entwicklungen in der Geschichte der modernen Logik. Selbst bei den Erneuerern der empirischen Forschung in der Renaissance ruht, bei allen Abweichungen im einzelnen, das Gesamtbild der empiri­ schen Physik anfänglich noch durchaus auf der Annahme eines in­ neren Antagonismus, einer >>Sympathie>von der Partei des Geistes zur Partei der Natur überzugehen«. Nicht in der Art eines göttlichen Lebewesens, sondern wie ein göttliches Uhrwerk will er nunmehr den Kosmos begreifen und darstellen. Der mathematische Begriff des Gesetzes entwurzelt den biologi­ schen Begriff der Form und entzieht ihm jede Anwendung auf die Erklärung der Naturerscheinungen. 18 Darf somit hier das Urteil in dem Widerstreit der beiden Be­ trachtungsweisen als entschieden gelten, so wird die Aristotelische Auffassung aus ihrem eigensten Gebiete, aus der Betrachtung und Deutung der organischen Natur, nur allmählich und mühsam zu­ rückgedrängt. Der gedankliche Kampf, der um dieses Problem ge­ führt wird, ist auch zu Leibniz' Zeit noch nirgends abgeschlossen. Immer von neuem wird versucht, sich der strengen »mechanischenGeistKeime>Assimilation>plastische Naturen>Element>ähnlich« oder sinnlich vergleichbar zu sein, so haben wir auch zwischen dem fertigen Organismus und dem Samen, aus dem er entsteht, nicht irgendeine Ü bereinstimmung im Sinne der An­ schauung zu suchen. Der Same trägt die dynamischen Bedingungen der künftigen Gebilde, nicht aber diese Gebilde selbst im verklei­ nerten Maßstab in sich. Gerade dieser Umstand ist es, der schon in Leibniz' allgemeiner Definition der Kraft zum Ausdruck kommt : tätig und kraftbegabt heißt uns ein einzelnes Element oder ein Mo­ ment des Geschehens, wenn wir es nicht für sich und losgelöst be­ trachten, sondern es zugleich als Bedingung künftiger Veränderungen denken, wenn wir es uns somit nicht nur in einer ruhenden An­ schauung vor Augen stellen, sondern es nach seiner Fortwirkung in der Zeit betrachten. 26 Im physikalischen Sinne wurde die Kraft als >>der gegenwärtige Zustand selbst« bestimmt, >>sofern er zu einem folgenden hinstrebt oder einen folgenden im voraus involviert«. 27 Diese allgemeine Bedeutung bleibt erhalten ; wenn es indes in der Physik genügte, daß der Folgezustand mit dem vorangehenden durch eine quantitative Gleichung verknüpft war, so tritt jetzt die weite­ re Bedingung hinzu, daß er zugleich eine Erhaltung und Weiterfüh­ rung seiner besonderen qualitativen Eigenart ist. Wenn daher Leibniz den Grundeinheiten, aus denen der Orga­ nismus sich aufbaut, die Eigenschaft des Lebens zuspricht, so ver­ steht er auch dies zunächst durchaus nur in demselben Sinne wie die moderne biologische Wissenschaft : >>lebendig« heißt ihm ein 26 Näheres hierzu siehe S. XXXVI f. sowie Anm. 194. 27 Aus den Briefen an de Volder ; siehe Hauptschriften II, Nr. 30.

Einleitung

LIII

materielles Teilchen, sofern ihm die Fähigkeit zusteht, sich zu er­ nähren, sich fortzupflanzen und sich fremden Stoff zu assimilie­ ren. Allerdings ist jetzt, nachdem unsere Anschauung vom Kosmos und seiner äußeren Gliederung sich gewandelt und vertieft hat, auch die Frage nach der Bewußtheit in ein neues Stadium der Betrach­ tung gerückt. Der Körper der abstrakten Mechanik, der lediglich als ein passiver Teil der homogenen, stetigen »Ausdehnungdenken­ den« Substanz ist überbrückt : jeder stofflichen Veränderung inner­ halb eines Organismus dürfen wir allgemein ein A nalogon von Emp­ findung und Bewußtheit, jeder spezifisch ausgeprägten, biologischen Entwicklungsreihe dürfen wir eine zugehörige Bewußtseinseinheit entsprechen lassen. Nicht derart ist der Zusammenhang zu denken, daß das Bewußtsein als lebenspendende Macht von außen an die Materie heranträte, oder daß es als zwecktätige Intelligenz ihre Ent­ wicklung leitete und beherrschte : diese erfolgt vielmehr lediglich gemäß den inneren Triebkräften, die im Stoffe selbst angelegt sind. Wohl aber dürfen wir im gleichen Sinne, wie wir in uns selbst be­ stimmten körperlichen Veränderungen bestimmte Wandlungen des Bewußtseinszustande zugeordnet sehen, dieses Verhältnis auf den gesamten Kosmos übertragen. Das Recht dieser Ü bertragung zwar - darüber müssen wir uns von Anfang an klar sein - kann nicht durch einen apriorischen Beweisgrund dargetan, noch auch durch

LIV

Ernst Cassirer

die Erfahrung erwiesen werden : denn diese bietet uns außerhalb des Umkreises des eigenen Ich lediglich stoffliche Veränderungen dar. Der Schluß, den wir hier ziehen, beruht also einzig auf einer A nalogie, kraft deren wir einen Zusammenhang, der uns in unse­ rer beschränkten, individuellen Sphäre bekannt und unmittelbar zugänglich ist, auf den Inbegriff alles Seins überhaupt ausdehnen. Gleichwohl ist diese Folgerung keine bloße subjektive Erdichtung und kein Willkürgebilde des Denkens, sondern gründet sich auf ein wissenschaftliches Postulat, ohne dessen Anerkennung auch alle unsere empirische Forschung hinfällig wurde. Ist es doch das Ei­ gentümliche unserer Erfahrungserkenntnis, daß sie in allen Gebieten die fragmentarischen Teile, die ihr allein gegeben sind, theoretisch ergänzt und zu einem in sich einstimmigen Ganzen umdeutet, und muß sie doch hierbei überall die Voraussetzung zugrunde legen, daß das Gesamtgesetz des Kosmos in jedem kleinsten Bezirk gleich­ mäßig wirksam und gleichmäßig erkennbar sei. 28 Auf diesem Ge­ danken der Harmonie des Alls, die durch die schroffe Cartesische Scheidung zwischen Natur und Geist, zwischen dem Menschen und den übrigen organischen Wesen durchbrechen wurde, ruht Leib­ niz' metaphysische Grundkonzeption. Nun erst steht das Univer­ sum in durchgängiger und stetiger Ordnung vor uns : der fort­ schreitenden Gliederung und Organisation der Körper entspricht ein gleichartiger Stufengang des Lebens. Es gibt so viele >>Substan­ zenidealer>primitive KräfteForm>der Möglichkeit nachForm>Verstand>passiven Verstandes« nicht hinreicht, um das ganze Gebiet des Erkennens zu erklären und auszumessen. Das ursprüngliche psychologische Schema, von dem Aristoteles ausging - der Fort­ schritt von der >>Wahrnehmung« zur »Vorstellung>Er­ innerungsbild>eine andere Art der Seele>VOn außen her>tätige Vernunft>Phantasieprästabilierte Harmonieinspectio mentisprimärenSubstanZWas daher jede Monade zu spiegeln findet, das ist nur die Art, wie sie selbst sich in andren und diese andren sich in einander spiegeln ; es fehlt zuletzt jeder unabhängige Tatbestand und Inhalt der Welt, der in dieser Spiegelung genossen würdekonzentriert« sein. Denken wir eines dieser bei­ den Momente aufgehoben : nehmen wir an, daß keine Subjekte vor­ handen wären, denen das All erscheint, oder daß diese Subjekte sich nicht in der Vorstellung einer Mehrheit von Erscheinungen betätigten, so wäre damit das Urphänomen beseitigt, das alle phi­ losophische Erklärung voraussetzen muß. Es ist lediglich eine Selbst43 R. H. Latze, Geschichte der Asthetik in Deutschland, München 1868,

s. 13 f.

Einl e itun g

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täuschung, wenn irgendeine Metaphysik glaubt, noch hinter die­ ses Phänomen zurückgehen zu können. Auf die Frage, warum über­ haupt eine Vielheit und ein Wandel von Vorstellungsinhalten stattfindet, hat daher die Leibnizsche Philosophie allerdings keine Antwort mehr. Sie legt dieses Faktum zugrunde, um es begrifflich zu explizieren und auf seine einfachste gedankliche Form zu brin­ gen : aber sie sucht nach keinem höheren Prinzip, aus dem sie es ableiten könnte. Von der Vorstellung und dem Streben gehen wir aus, um von hier aus das Gesamtbild der Welt aufzubauen : nicht aber können wir umgekehrt das Sein des »Geistigen>Verworrenen« Anschauung zu erfassen. Vielmehr sind Raum und Zeit, die als die Grundordnungen der >>Erscheinung« auch deren logischen Charakter bestimmen, distinkte und reine Verstandesbegriffe. Sie stellen Inbegriffe notwendiger und 44 Vgl. hierzu den Briefwechsel mit de Valder und Johann Bernoulli ; Hauptschriften II, Nr. 30 u. 3 1 . 45 Gerh. VII, 444.

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allgemeingültiger Beziehungen dar, die für alle Verhältnisse der kon­ kreten Erfahrungswirklichkeit vorbildlich und maßgebend sind. So sind sie zwar nicht eigene und selbständige Wesenheiten, die ne· ben den Substanzen beständen, wohl aber gehören sie zu den »ein­ geborenen>Entfernung>Aggregate von Monaden>Intellek­ tualistPerzeptionenabstrakten>Urheber der NaturWesenheiten>rot« ist und auch anderen derartige Inhalte nur dadurch bezeichnen, daß wir sie zu der Sache selbst hinführen, sie den Gegenstand selbst wirklich sehen, riechen oder schmecken lassen oder sie wenigstens an eine ähnliche frühere Wahrnehmung erinnern. Nichtsdestowe­ niger sind die Vorstellungen dieser Qualitäten sicherlich zusam­ mengesetzt und müssen sich, da die Qualitäten selbst ihre Ursachen haben, weiter auflösen lassen. In ähnlicher Weise können wir be­ obachten, daß Maler und andere Künstler ganz vortrefflich erken­ nen, was richtig und was fehlerhaft gemacht ist, häufig aber nicht imstande sind, von ihrem Urteil Rechenschaft zu geben, und auf Befragen nur antworten, sie vermißten in der Sache, die ihnen miß­ fällt, irgend etwas, sie wüßten selbst nicht was. Eine deutliche Vor· Stellung aber ist eine solche, wie sie die Goldscheider vom Golde haben, auf Grund von Merkmalen nämlich und Untersuchungen, die hinreichen, die Sache von allen anderen ähnlichen Körpern zu unterscheiden. Wir haben sie gewöhnlich von Vorstellungen, die, wie die der Zahl, Größe und Gestalt, mehreren Sinnen gemein­ sam sind, 6 ebenso von vielen seelischen Affekten, so von Furcht und Hoffnung, - mit einem Worte von all dem, wovon wir eine Nominaldefinition haben, die nichts anderes als eine Aufzählung der zureichenden Merkmale ist. Es gibt jedoch auch distinkte Er­ kenntnisse von undefinierbaren Vorstellungen, wenn diese näm­ lich primitiv, das heißt, wenn sie unauflösbar sind, nur durch sich selbst erkannt werden und so keine Vielheit von Elementen auf­ weisen. In zusammengesetzten Vorstellungen jedoch werden die einzelnen Elemente bisweilen zwar klar, aber doch in verworre­ ner Weise erkannt, wie die Schwere, die Farbe, das Scheidewasser und anderes, was zu den Merkmalen des Goldes gehört ; eine sol­ che Erkenntnis des Goldes ist dann zwar deutlich, trotzdem aber

2. Die Erkenntnis, die Wahrheit und die Ideen

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inadäquat. Wird hingegen jeder Bestandteil, der i n einen deutli­ chen Begriff eingeht, wiederum in deutlicher Weise erkannt, wird also die Analysis bis ans letzte Ende durchgeführt, dann ist die Er­ kenntnis adäquat. Freilich weist unser menschliches Wissen hier­ für vielleicht kein vollkommenes Beispiel auf; doch kommt ihr die Erkenntnis der Zahlen sehr nahe. In den meisten Fällen aber, be­ sonders bei einer längeren Analyse, überschauen wir nicht auf ein­ mal die ganze Natur des Objekts, sondern wenden statt der Ge­ genstände selbst bestimmte Zeichen an, deren Erklärung wir im einzelnen Falle der Kürze halber zu unterlassen pflegen, wobei wir indes wissen oder doch annehmen, daß wir sie, wenn notwendig, geben könnten. Denke ich etwa ein Tausendeck oder ein Vieleck von 1000 gleichen Seiten, so betrachte ich nicht stets die Natur der Seite, der Gleichheit und der Zahl Tausend - d. h. der dritten Po­ tenz von 10 - sondern ich brauche jene Worte, deren Sinn mir zum mindesten dunkel und ungenau gegenwärtig ist, für die Ideen selbst, da ich mich entsinne, daß ich ihre Bedeutung kenne, ihre Erklärung aber jetzt nicht für nötig halte. Eine solche Erkenntnis pflege ich als blinde oder auch als symbolische zu bezeichnen; man bedient sich derselben in der Algebra wie in der Arithmetik, ja fast überall. In der Tat können wir, wenn eine Vorstellung sehr zu­ sammengesetzt ist, nicht alle in sie eingehenden Merkmale zugleich denken; wo dies dennoch möglich ist, und in dem Maße wie es möglich ist, nenne ich die Erkenntnis intuitiv. Von den distink­ ten, primitiven Vorstellungen ist keine andere als intuitive Erkennt­ nis möglich, während das Denken der zusammengesetzten Vor­ stellungen für gewöhnlich nur symbolisch ist. Hieraus erhellt bereits, daß wir, um die Ideen von solchen In­ halten zu haben, die wir distinkt erkennen, notwendig des intuiti­ ven Wissens bedürfen. Es kommt freilich häufig vor, daß wir irrtümlich glauben, Ideen in uns zu haben, indem wir fälschlich annehmen, wir hätten gewisse Bezeichnungen, die wir anwenden, bereits erklärt. Falsch nämlich, oder doch nicht ohne Zweideutig­ keit ist die Behauptung, daß wir notwendig die Idee einer Sache haben müssen, um über sie - mit Verständnis dessen, was wir sa­ gen - sprechen zu können. Denn oft verstehen wir zwar die ein­ zelnen Worte oder erinnern uns, sie früher einmal verstanden zu

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I. Schriften zur Logik und Methodenlehre

haben; da wir uns jedoch mit dieser blinden Erkenntnis begnügen und die Auflösung der Vorstellungen nicht weit genug treiben, so kann uns ein Widerspruch, der etwa in der zusammengesetzten Vor­ stellung enthalten ist, leicht entgehen. Zu einer genaueren Unter­ suchung dieses Umstands hat mich dereinst das berühmte scho­ lastische Argument für das Dasein Gottes veranlaßt, das von Des­ cartes wieder erneuert worden ist. Was aus der Idee oder der Defi­ nition einer Sache folgt, - so heißt es hier - das läßt sich der Sa­ che selbst zusprechen. Nun folgt das Dasein aus der Idee Gottes, als des vollkommensten oder größtmöglichen Wesens. Das voll­ kommenste Wesen nämlich schließt alle Vollkommenheiten in sich, unter die auch das Dasein gehört. Also kann man Gott das Dasein zusprechen. In Wahrheit läßt sich jedoch hieraus nur schließen, daß Gottes Dasein folgt, sobald seine Möglichkeit bewiesen ist. Denn wir können keine Definition zu einem Schlusse benutzen, ohne zuvor versichert zu sein, daß sie real ist oder daß sie keinen Widerspruch einschließt. Aus Begriffen nämlich, die einen Wider­ spruch enthalten, kann man ja gleichzeitig Entgegengesetztes schlie­ ßen, was widersinnig ist. Zur Erklärung führe ich gewöhnlich das Beispiel der schnellsten Bewegung an, die einen Widersinn ein­ schließt. Setzen wir nämlich, ein Rad drehe sich mit der schnell­ sten Bewegung, so ist leicht einzusehen, daß, wenn man eine Speiche des Rades über die Peripherie hinaus verlängert, ihr Endpunkt sich schneller bewegen wird, als ein Nagel, der in der Peripherie liegt. Dessen Bewegung ist also nicht die schnellste, was der Vorausset­ zung widerspricht. Auf den ersten Blick indessen könnte es schei­ nen, als hätten wir die Idee der schnellsten Bewegung : denn wir verstehen doch, was wir damit sagen; - trotzdem haben wir durch­ aus keine Idee von unmöglichen Dingen. Ebenso genügt es nicht, das vollkommenste Wesen zu denken, um behaupten zu können, wir hätten seine Idee, und in dem eben angeführten Beweise muß zur Gültigkeit des Schlusses die Möglichkeit des vollkommensten Wesens entweder nachgewiesen oder vorausgesetzt werden. Indes­ sen ist es durchaus richtig, daß wir die Idee Gottes haben, daß fer­ ner das vollkommenste Wesen möglich, ja sogar notwendig ist ; der Beweis jedoch ist nicht zwingend, auch schon von Thomas von Aquino verworfen worden.

2. Die Erkenntnis, die Wahrheit und die Ideen

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Hier gewinnen wir auch ein unterscheidendes Merkmal zwi­ schen den Nominaldefinitionen, die nur die Merkmale enthalten, um eine Sache von anderen unterscheiden zu können und den Re­ aldefinitionen, aus denen sich die Möglichkeit der Sache ergibt. Auf diese Weise läßt sich auch der Ansicht des Hobbes begegnen, nach der alle Wahrheiten willkürlich sein sollen, weil sie von No­ minaldefinitionen abhängen / - wobei er nicht erwog, daß die Realität der Definition selbst nicht in unserer Wahl steht, und daß nicht alle beliebigen Begriffe sich miteinander verknüpfen lassen. Schließlich erhellt hieraus der Unterschied zwischen wahren und falschen Ideen. Eine Idee ist wahr, wenn die Vorstellung möglich ist ; falsch, wenn diese einen Widerspruch enthält. Die Möglichkeit einer Sache aber erkennen wir entweder a priori oder a posteriori: das erstere, wenn wir die Vorstellung in ihre Elemente, d. h. in an­ dere Vorstellungen, deren Möglichkeit bekannt ist, auflösen und wissen, daß in ihnen nichts miteinander Unverträgliches enthal­ ten ist. Dies ist zB. der Fall, wenn wir die Art, in der sich der Gegenstand erzeugen läßt, einsehen, weshalb die kausalen Defini­ tionen von vorzüglicher Bedeutung sind. A posteriori hingegen er­ kennen wir die Möglichkeit einer Sache, wenn uns ihre Wirklichkeit durch Erfahrung bekannt wird; denn was wirklich existiert oder existiert hat, das muß jedenfalls möglich sein. In jeder adäquaten Erkenntnis benutzt man zugleich eine apriorische Erkenntnis der Möglichkeit ; hat man nämlich die Analyse bis zum Ende durchge­ führt, so ist, wenn kein Widerspruch sichtbar wird, die Möglich­ keit der Vorstellung erwiesen. Ob aber jemals die menschliche Erkenntnis zu einer vollkommenen Analyse der Vorstellungen, also zu den ersten Möglichkeiten und unauflöslichen Begriffen gelangen wird, - ob sie, was dasselbe bedeutet, alle Gedanken jemals auf die absoluten Attribute Gottes selbst, als erste Ursachen und den letzten Grund der Dinge zurückführen wird, - das möchte ich für jetzt nicht zu entscheiden wagen. Für gewöhnlich sind wir da­ mit zufrieden, uns der Realität gewisser Begriffe durch Erfahrung zu versichern, um sodann aus ihnen andere nach dem Vorbilde der Natur zusammenzusetzen. Hieraus läßt sich schließlich erkennen, daß die Berufung auf die Ideen nicht immer einwandfrei ist, und daß viele diesen blen-

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I. Schriften zur Logik und Methodenlehre

denden Namen mißbrauchen, um ihren Einbildungen Geltung zu verschaffen. Daß wir nicht die Idee jeder Sache haben, deren wir uns bewußt sind, hat das Beispiel der schnellsten Bewegung so­ eben gezeigt. Mit dem vielgerühmten Prinzip : Alles, was ich klar und deutlich von einer Sache erfasse, das ist wahr oder kann von ihr ausgesagt werden, wird heutzutage viel Mißbrauch getrieben. Häufig nämlich scheint bei voreiligem Urteil etwas klar und deut­ lich, was in Wahrheit dunkel und verworren ist. Dieses Axiom ist also unnütz, wenn nicht die Kriterien des Klaren und Deutlichen, die wir angegeben haben, herangezogen werden und wenn die Wahrheit der Ideen nicht erwiesen ist. Im übrigen sind beachtens­ werte Kriterien für die Wahrheit von Urteilen die Regeln der ge­ meinen Logik, deren sich auch die Geometer bedienen : so z.B. die Vorschrift, nur das als gewiß zuzulassen, was durch sichere Erfah­ rung oder strengen Beweis bewährt ist. Streng ist ein Beweis aber, wenn er den Vorschriften der logischen Form entspricht. Zwar be­ darf es nicht immer der gewöhnlichen, schulmäßigen Syllogis­ men, - wie sie Christian Herlinus und Konrad Dasypodius in den sechs ersten Büchern Euklids angewandt haben, 8 nur das wird er­ fordert, daß der Beweiskraft seiner Form den Schluß zustande bringt. Als Beispiel für einen solchen in strenger Form geführten Beweis ließe sich auch jede beliebige regelrechte Rechnung anfüh­ ren. Man darf deshalb keine notwendige Prämisse auslassen, und alle Prämissen müssen schon vorher entweder bewiesen sein oder doch als Hypothese angenommen werden, in welch Ietzterern Falle dann auch der Schluß nur von hypothetischer Geltung ist. Beach­ tet man dies sorgsam, so wird man sich leicht vor trügerischen Ideen zu schützen wissen. Fast ganz stimmt hiermit der so scharfsinni­ ge Pascal überein, der es in seiner berühmten Abhandlung De l'esprit geomhrique - die bruchstückweise in dem vorzüglichen Buche des berühmten Antoine Arnauld Logique ou l'art de pen­ ser enthalten ist - als Aufgabe des Geometers bezeichnet, alle nur einigermaßen dunklen Termini zu definieren und alle nur ei­ nigermaßen zweifelhaften Wahrheiten zu beweisen. 9 1ch wünschte nur, er hätte die Grenzen bestimmt, jenseits derer eine Vorstel­ lung oder eine Aussage nicht mehr dunkel oder zweifelhaft sein kann. Das hierzu Notwendige ergibt sich jedoch bei aufrnerksa-

2. Die Erkenntnis, die Wahrheit und die Ideen

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mer Betrachtung leicht aus dem Früheren, und so wollen wir uns denn jetzt der Kürze befleißigen. Was die Streitfrage angeht, ob wir alle Dinge in Gott schau­ en - übrigens ein alter und bei richtiger Auffassung haltbarer Satz - oder aber eigene Ideen haben, 10 so ist zu beachten, daß wir selbst dann, wenn wir alle Dinge in Gott schauten, notwendig zu­ gleich eigene Ideen haben müßten und zwar nicht als eine Art von Abbildchen, sondern als Beschaffenheiten oder Bestimmungen un­ seres Geistes, entsprechend dem, was wir in Gott wahrnehmen. Unter allen Umständen nämlich geht im Wechsel der Gedanken eine Veränderung in unserem Geiste vor. Und auch die Ideen der Dinge, an die wir aktuell nicht denken, sind in unserem Geiste ent­ halten, wie die Gestalt des Herkules in dem rohen Marmor. In Gott jedoch ist nicht nur notwendig die Idee der absoluten und unend­ lichen Ausdehnung, sondern auch die von jeder beliebigen Gestalt, also jeder besonderen Bestimmung der absoluten Ausdehnung, vor­ handen. Wenn wir übrigens Farben oder Gerüche wahrnehmen, so nehmen wir darin freilich nur Gestalten und Bewegungen wahr, jedoch so mannigfaltige und winzige, daß unser Geist in seinem gegenwärtigen Zustande sie unmöglich einzeln distinkt betrachten kann und demnach nicht zu bemerken vermag, daß seine Wahr­ nehmung sich allein aus den Wahrnehmungen von äußerst klei­ nen Gestalten und Bewegungen zusammensetzt. So nehmen wir bei einer Mischung von Teilchen des Gelben und Blauen die grü­ ne Farbe wahr : und obwohl wir dabei nur Gelb und Blau in innig­ ster Vermischung empfinden, bemerken wir dies nicht und denken uns irgendeine neue Wesenheit aus.

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I. Schriften zur Logik und Methodenlehre 3. Zur allgemeinen Charakteristik Zur Characteristica universalis*

Ein altes Wort besagt, Gott habe alles nach Gewicht, Maß und Zahl geschaffen. Manches aber kann nicht gewogen werden : nämlich all das, dem keine Kraft oder Potenz zukommt, manches auch weist keine Teile auf und entzieht sich somit der Messung. Dagegen gibt es nichts, das der Zahl nicht unterworfen wäre. Die Zahl ist daher gewissermaßen eine metaphysische Grundgestalt, und die Arith­ metik eine Art Statik des Universums, in der sich die Kräfte der Dinge enthüllen. Daß die Zahlen die tiefsten Geheimnisse in sich bergen : - da­ von ist man schon seit den Zeiten des Pythagoras überzeugt. Pythagoras selbst hat, nach einer glaubhaften Nachricht, diese Anschauung, wie vieles andere, aus dem Orient nach Griechen­ land mit herübergebracht. Da man aber den rechten Schlüssel des Geheimnisses nicht besaß, so wurde die Wißbegier hier schließ­ lich auf Nichtigkeiten und Aberglauben aller Art geführt, woraus zuletzt eine Art Vulgär-Kabbala, die von der wahren weit abliegt, und - unter dem falschen Namen der Magie - mannigfaltige Phan­ tastereien entstanden, von denen die Bücher wimmeln. Indessen erhielt sich doch in den Menschen der alte Hang, zu glauben, daß uns mit Hilfe der Zahlen, der Charaktere und einer neuen Spra­ che, die die einen die >>adamischeSprache>allgemeine Charakteristik>NaturNaturkräften>überna­ türlich>NaturkraftMehr>Weniger>Anziehung« oder >>Gravitation>Etwas« ist, folgt 12 Vgl. oben Leibniz' drittes Schreiben, Nr. 17.

1 1 . Streitschriften zwischen Leibniz und Clarke

181

daraus, daß das Phänomen selbst falsch ist ? Das wäre i n der Tat eine merkwürdige Schlußfolgerung. 124. - 1 30. Das Phänomen selbst, die Anziehung, Gravitation oder Tendenz der Körper gegeneinander - oder wie immer man es nennen mag - und seine Gesetze und Größenverhältnisse sind durch Beobachtung und Experimente nunmehr zur Genüge be­ kannt. Wenn der gelehrte Autor oder sonst irgend jemand diese Phänomene durch mechanische Gesetze erklären kann (Nr. 124), so wird er nicht nur keinem Widerspruch begegnen, sondern sich den überreichen Dank der ganzen gelehrten Welt verdienen. Wenn man indes (Nr. 128) die Gravitation, die ein Phänomen oder eine wirkliche Tatsache ist, mit Epikurs Abweichung der Atome ver­ gleicht, so ist dies eine höchst eigentümliche Art der Beweisfüh­ rung. Denn diese Annahme ist eine bloße Hypothese oder un­ mögliche Fiktion des Epikur, der eine ältere und vielleicht ge­ sündere Philosophie atheistisch entstellte : zudem aber in einer Welt, in der, wie er voraussetzte, alle Verstandeswesen ausgeschlossen sein sollten. Was das große Prinzip des zureichenden Grundes angeht (Nr. 12Sff.), so wird es in allem, was der gelehrte Verfasser noch dafür beibringt, nur immer von neuem behauptet, nirgends aber bewie­ sen, ich brauche darauf also nicht einzugehen. Ich bemerke hier nur, daß dieser Satz doppelsinnig ist und ebensogut die bloße Not­ wendigkeit bedeuten, als auch den Willen und die freie Wahl mit einschließen kann. Daß im allgemeinen ein zureichender Grund vorhanden ist (Nr. 125), durch den jedes existierende Ding besteht, ist unzweifelhaft wahr und wird von niemand bestritten. Die Fra­ ge ist nur, ob in Fällen, wo es höchst vernünftig ist, zu handeln, sich nicht trotzdem verschiedene gleich vernünftige Wege der Aus­ führung darbieten können ; - ob alsdann nicht der bloße Wille Gottes für sich allein ein zureichender Grund ist, um den einen 13 oder anderen besonderen Weg zu wählen, und ob nicht ferner selbst dort, wo die stärkstmöglichen Gründe alle auf einer Seite verei­ nigt sind, bei verstandesbegabten und selbsttätigen Wesen, das Prin­ zip der Tätigkeit - worin meiner Meinung nach das Wesen der 13 Vgl. oben

zu

Nr. 1 - 20 ; 21 - 25

1 82

III . Schriften zur Phoronomie und Dynamik

Freiheit besteht - von dem Motive oder dem Grund, den das täti­ ge Subjekt im Auge hat, verschieden ist. Alles dies wird fortwäh­ rend von dem gelehrten Verfasser bestritten. Nimmt er aber sein großes Prinzip des zureichenden Grundes in ein'em Sinne, in dem es dies alles ausschließt (Nr. 20 und 125), und erwartet er dennoch, daß man es ihm in eben diesem Sinne ohne Beweis zugibt, so be­ geht er eben damit das, was ich seine petitio principii nenne, d. h. die Vorwegnahme dessen, was zu beweisen wäre, und verfährt so unphilosophisch, als sich nur denken läßt.

Diskussion des Begriffs der absoluten und relativen Bewegung zwischen Leibniz und Huygens

Huygens an Leibniz 29. Mai 1694 Ich will diesmal nicht näher auf die Frage des Leeren und der Ato­ me eingehen, 1 8 1 da ich gegen meine Absicht schon allzu ausführ­ lich geworden bin. Für jetzt nur so viel, daß ich unter Ihren Anmerkungen zu Descartes den Satz gefunden habe : es sei wider­ sinnig, daß es keine reale Bewegung, sondern nur relative geben solle (absonum esse nullum dari motum realem, sed tantum relati­ vum). 1 82 Ich jedoch halte dies für ganz gewiß, ohne mich darin durch die Gründe und Experimente in Newtons »Prinzipien der Philosophie>Kraft>Deus ex machina« greifen und den Dingen alle selbständige Kraft und Wirksamkeit absprechen, so kann ich dem nicht zustim­ men. 211 Denn wenngleich sie vortrefflich dargetan haben, daß es, in metaphysischer Strenge genommen, keine Einwirkung einer geschaffenen Substanz auf eine andere geben kann, und wenn­ gleich, wie ich ebenfalls gern zugebe, alle Dinge beständig durch eine kontinuierliche Schöpfertätigkeit Gottes entstehen, so ist doch, wie ich glaube, der Grund für irgendeine Wahrheit der Natur niemals unmittelbar in der Wirksamkeit oder dem Willen Gottes zu suchen. Vielmehr hat Gott stets den Dingen selbst Eigenschaften und Bestimmungen beigelegt, aus denen sich alle ihre Prädikate erklären lassen. Sicherlich hat er nicht nur die Kör­ per, sondern auch die Seelen, denen die ursprünglichen Entele­ chien entsprechen, geschaffen, dies alles wird jedoch an anderer Stelle aus seinen eigenen, tieferen Quellen und Gründen bewie­ sen werden.

13. Aus Specimen dynamieuro

205

Wenngleich ich ferner in den Körpern durchweg ein tätiges Prin­ zip annehme, das den bloß materiellen Begriffen übergeordnet ist und gleichsam ein Lebensprinzip heißen kann, so bin ich trotz­ dem hier nicht der Ansicht des Henry More und anderer durch Religiosität und Geist ausgezeichneter Männer, die für die Deu­ tung der Erscheinungen selbst irgendeine ursprüngliche Lebenskraft oder ein hylarchisches Prinzip in Anspruch nehmen. 212 Als ließen sich nicht alle Naturvorgänge mechanisch erklären und als woll­ ten die, die eine solche Erklärung versuchen, alle unkörperlichen Realitäten überhaupt leugnen und seien daher der Irreligiosität ver­ dächtig! Oder wäre es etwa nötig, mit Aristoteles an die kreisen­ den Gestirne Intelligenzen zu heften oder, was freilich so bequem wie unfruchtbar ist, die Elemente durch ihre Form nach aufwärts oder abwärts treiben zu lassen? Dem allen, wie gesagt, stimme ich nicht bei, und diese Philosophie gefällt mir so wenig wie die Leh­ re mancher Theologen, die fest davon überzeugt waren, daß Don­ ner und Schnee von Jupiter selbst herrühren, und alle, die nach näherliegenden Ursachen forschten, des Atheismus beschuldigten. Das beste Ver hältnis, bei dem in gleicher Weise der Religion wie der Wissenschaft Genüge geleistet wird, ist meiner Ansicht nach, daß man die Möglichkeit, alle körperlichen Erscheinungen von me­ chanisch wirkenden Ursachen herzuleiten, anerkennt, zugleich aber einsieht, daß die mechanischen Gesetze selbst, in ihrer Allgemein­ heit, aus höheren Gründen herstammen, und daß man somit hier eine höhere wirkende Ursache braucht, die jedoch nur zur Fest­ stellung der allgemeinen und demnach entfernteren Gründe dient. Ist dies jedoch einmal sichergestellt, so lassen wir, wenn es sich um die nächsten und besonderen Ursachen handelt, die Seelen oder Enteleebien nicht weiter zu, so wenig wie die müßigen Vermögen oder die unerklärbaren Sympathien. Denn die erste und allgemeinste wirkende Ursache darf bei der Behandlung von Einzelproblemen nicht eingemengt werden ; abgesehen etwa von einer Betrachtung der Zwecke, die die göttliche Weisheit in ihrer Ordnung der Din­ ge befolgt hat, um keine Gelegenheit zu ihrem Lobe und Preise vorbeigehen zu lassen. In der Tat lassen sich (wie ich an einem Beispiel aus der Op· tik, dem der berühmte Molyneux in seiner Dioptrik113 vollen

206

III. Schriften zur Phoronomie und Dyn amik

Beifall spendet, gezeigt habe) die Zweckursachen selbst bei beson­ deren physikalischen Problemen mit großem Nutzen anwenden, nicht nur, um Bewunderung für die Schönheit der göttlichen Werke in uns zu wecken, sondern auch, um bisweilen auf diesem Wege ein Ergebnis vorauszusehen, zu dem wir auf dem Wege der wir­ kenden Ursachen nicht oder doch nur mit hypothetischer Gewiß­ heit gelangt wären. 214 Auf diesen Gebrauch des Zweckprinzips haben die Philosophen bisher vielleicht noch nicht genügend ge­ achtet. Allgernein ist daran festzuhalten, daß sich alle Vorgänge auf doppelte Weise erklären lassen : durch das Reich der Kraft oder die wirkenden Ursachen und durch das Reich der Weisheit oder die Zweckursachen : daß Gott wie ein Architekt die Körper als bloße Maschinen nach den mathematischen Gesetzen der Größe erschaf­ fen, sie jedoch zum Gebrauch der Seelen bestimmt hat. Ü ber die Seelen aber, die der Vernunft fähig sind, herrscht er wie über seine Bürger, die mit ihm selbst eine Art von Gerneinschaft bilden : nach Art eines Fürsten, ja eines Vaters, der nach den moralischen Ge­ setzen der Güte regiert und alles zu seinem Ruhme lenkt. So durch­ dringen sich diese beiden Reiche überall, ohne daß doch ihre Gesetze sich jemals vermengen und stören, so daß stets zugleich im Reiche der Kraft das Größte und in dem der Weisheit das Beste zustande kommt. Unsere Absicht geht jedoch an dieser Stelle dar­ auf, die allgerneinen Regeln der wirkenden Kräfte festzustellen, um sie alsdann bei der Erklärung der besonderen wirkenden Ursachen verwenden zu können.*

* Der Schluß der Abhandlung geht wiederum ausführlich auf die Fra­ ge des Kraftmaßes ein ; er wird hier übergangen, da diese Frage in der vor­ angehenden Schrift bereits ausführlich erörtert wurde und später noch häufig zur Sprache kommt.

14. Briefwechsel zwischen Leibniz und de !'Hospital

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14. Aus dem Briefwechsel zwischen Leibniz und de ]'Hospital* 2 15

15. Januar 1696 Wenn Sie, mein Herr, der Meinung sind, daß meine Antwort auf das Schreiben des Abbe Foucher dem Druck übergeben werden kann, so verlasse ich mich hierin ganz auf Ihr kompetentes Urteil; sie wird, wenn sie durch Ihre Vermittlung jetzt in das »Journal des Savants>Minus>Wollen>frei>willensgemäß>Gesetz der KontinuitätAntitypie>Nouveaux Essais>Größe« zusprechen, >>groß,, aber ist ein Kon­ kretum ; ebenso kann man eine Zahl als groß oder proportional

17. Kritik der philosophischen Prinzipien Malebrauches

261

oder kommensurabel bezeichnen. Was den zweiten Punkt betrifft, so wird für Theodore die Ausdehnung - da sie nach ihm mit Raum und Körper gleichbedeutend ist - ein Konkretum sein. Auf den dritten Einwand erwidere ich, daß eben die Ausdehnung oder der Körper das erste Subjekt und der Grundstoff ist, der durch Gestalt und Bewegung weiterhin seine bestimmte Form erhält, um dadurch zum vollständigen Subjekt zu werden. Bezüglich des vierten Punk­ tes wird Theodore vielleicht die Möglichkeit von Akzidenzien ohne Subjekt nicht zugeben ; wer dies jedoch tut und trotzdem unsere Definition aufrecht erhalten will, wird unter >>SubstanZ>Da habt ihr einen Platonischen Menschen !« in den Hörsaal geworfen habe. Ein Platoniker hätte hier auch zu Gun­ sten seiner Erklärung sagen können, daß in ihr nur von einem Tiere unter seinen natürlichen Bedingungen die Rede sei. Was man je­ doch verlangt, sind Definitionen, die das Wesen der Dinge darstel­ len. Allerdings können auch Definitionen, die sich nur auf das beziehen, was an und für sich und unter den natürlichen Umstän­ den gilt, wohl ihren Nutzen haben, und es lassen sich drei Abstu­ fungen in den Prädikaten unterscheiden : das Wesentliche, das Natürliche und das schlechthin Zufällige. In der Metaphysik aber

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IV. Schriften zur geschichtlichen Stellung des Systems

möchte man wesentliche Attribute haben, d. h. solche, die den so­ genannten "formellen Grund>Acta EruditorumMemoires de TrevouX>IdeenDinges« bedürfe, so antworte ich darauf: es ist also zum Verständ­ nis der Definition erforderlich, zu erklären, was der Ausdruck >>Ding>in sich sein« bedeutet. Das zweite und siebente Axiom brauchte nicht besonders hervorgehoben zu werden. Das sechste scheint mir nicht richtig: denn jede Idee stimmt mit ihrem Gegen­ stand überein, und ich verstehe [nach dieser Erklärung] nicht, was eine falsche Idee ist. Das dritte, vierte und fünfte Axiom lassen sich, wie ich glaube, beweisen. Lehrsatz 1 , >>Die Substanz ist ihrer Natur nach früher als ihre ZuständeVerschiedener«, für sich erkennbarer, »primitiver>in der Natur der Dinge« wiederum dunkel ist. Die Frage ist, ob dar­ unter die Allheit der >>existierenden>Natur« und das Wort >>Attribut« als gleichwertig braucht, es sei denn, daß er unter dem Attribut diejenige Bestimmtheit versteht, die die ganze Natur der Sache einschließt. Unter dieser Voraussetzung aber sehe ich wie­ derum nicht ein, wie es mehrere Attribute derselben Substanz ge­ ben könnte, die durch sich selbst begriffen werden. Der Beweis lautet wie folgt : Wenn sich die beiden Substanzen voneinander unterscheiden sollen, so müssen sie sich entweder durch ihre Attribute oder ihre Zustände unterscheiden; wenn durch diese, so müssen sie sich, da (nach Lehrsatz 1) die Substanz ihrer Natur nach früher ist als ihre Zustände, auch dann noch, wenn man diese beiseite läßt, also durch die Attribute unterscheiden las­ sen ; sollen aber die Attribute das Unterscheidungsmerkmal bilden, so kann es demnach nicht zwei Substanzen mit gleichem Attribut geben. Hier liegt, wie mir scheint, ein Fehlschluß vor. Denn es können sich zwei Substanzen durch ihre Attribute voneinander unterscheiden lassen und dennoch irgendein gemeinsames Attri­ but haben, wenn sie nur neben diesem noch andere, ihnen eigen­ tümliche Bestimmungen besitzen : wenn also z. B. der Substanz A die Bestimmungen c und d, der Substanz B die Bestimmungen d und e zukommen. Ich bemerke ferner, daß der erste Lehrsatz nur

1 8 . Zu Spinozas Ethik

281

an dieser Stelle angewandt wird ; er ist also entbehrlich, denn hier genügt es zum Beweise, daß die Substanz ohne ihre Zustände ge­ dacht werden kann, gleichviel ob sie der Natur nach früher ist, als diese oder nicht. Lehrsatz 6. Eine Substanz kann nicht von einer anderen er­ schaffen werden; denn (nach Lehrsatz 5) besitzen zwei verschie­ dene Substanzen kein identisches Attribut, haben also (nach Lehr­ satz 2) nichts miteinander gemeinsam ; die eine kann somit (nach Axiom 5) nicht die Ursache der anderen sein. Dasselbe läßt sich auf anderem, kürzerem Wege daraus beweisen, daß das, was durch sich selbst >>begriffen« wird, nicht durch etwas anderes als Ursache zu begreifen ist (nach Axiom 4). Ü brigens stimme ich dem Beweis zu, falls unter Substanz hier ein Gegenstand gedacht ist, der durch sich selbst begriffen wird; anders steht die Sache dagegen, wenn man sie entsprechend der gewöhnlichen Ansicht als einen Gegen­ stand auffaßt, der in sich selbst seinen Bestand hat, es müßte denn gezeigt werden, daß beide Bestimmungen identisch sind. Lehrsatz 7. Zur Natur der Substanz gehört die Existenz. Die Substanz kann nicht von einem anderen erschaffen werden (nach Lehrsatz 6). Sie ist also Ursache ihrer selbst, d. h. (nach Defini­ tion 1) ihre Wesenheit schließt die Existenz ein. Hier kann man Spinoza mit Recht vorwerfen, daß er den Begriff »Causa sui>MöglichkeitBe-

1 8 . Zu Spinozas Ethik

283

grenzung>Anzahl>außerhalb>Realität>durch die Lehre de continente et contento, d. h. von dem Enthaltenden und dem Enthal­ tenen [ . . ] welche von der Lehre vom Ganzen und Teil verschieden ist« beweisen. Denn während das Ganze stets größer als der Teil ist, wird z. B. in umkehrbaren Sätzen Subjekt und Prädikat, das Ein.

Anmerkungen

7*

schließende und Eingeschlossene, an Umfang gleich (Nouv. Ess. N, 17, § 8). Die Lehre vom Teil und Ganzen soll also hier, als Spezialfall, einer allgemeinen logischen Disziplin untergeordnet werden. 3 7 Über den zweiten Teil dieser Definition siehe weiter unten be­ sonders zu Nr. 1 1 . 3 8 Der Beweis, den Leibniz hier i m Auge hat, schließt freilich ei­ nen Zirkel ein, da er sich auf die Voraussetzung stützt, daß es in ei­ nem Punkte nur drei aufeinander senkrechte Linien geben könne. 39 Vgl. Nouv. Ess. II, 17, § 3 : >>Nehmen wir eine gerade Linie und verlängern wir sie dergestalt, daß sie das Doppelte von der ersten ist. Nun ist klar, daß die zweite, da sie der ersten vollkommen ähnlich ist, ebenso wie diese verdoppelt werden kann, woraus sich eine dritte ergibt, die wiederum den beiden vorangehenden ähnlich ist, und da der gleiche Grund immer bestehen bleibt, so ist es unmöglich, daß man im weiteren Fortschreiten jemals aufgehalten werde, so daß die Linie bis ins Unendliche verlängert werden kann. Der Gedanke des Unend­ lichen stammt also aus dem Gedanken der Ä hnlichkeit oder Identität des Grundes her : und sein Ursprung ist derselbe wie der der allgemei­ nen und notwendigen Wahrheiten.>Datis ordinatis etiam quaesita sunt ordinata.« Unter den »Da­ ta>Des loix generales de Ia communication des mouvements.>Subjekt« der Bewegung zu bestimmen, bedarf es daher eines neuen Gesichtspunk­ tes, der jedoch niemals in der bloßen Bewegung als solcher, sondern nur in einem übergeordneten Prinzip, dem Prinzip der »Kraft« und der »Tätigkeit« gefunden werden kann. (A nimadversiones in partem generafern Principiorum Cartesianorum II, 25, siehe unten Nr. 15). Die Ausführung, die Leibniz diesen Sätzen hier gibt, leitet daher sachlich zu den Abhandlungen zur Dynamik über. (Vgl. auch Anm. 106). Al­ lerdings ist zu bemerken, daß die folgenden Darlegungen das Problem noch nicht in gleicher Strenge und Klarheit enthalten, wie es zwanzig Jahre später, in den Schriften gegen Clarke gefaßt wird. 183 Die zweite Auflage von Newtons Mathematische Prinzipien der Naturphi/asopie erschien indes, wie bekannt, erst 1713 und wurde von Roger Cotes herausgegeben. 184 Diese interessante Abhandlung ist von Gerhardt als Anmer­ kung zu dem Tentamen de motuum coelestium causi gedruckt wor­ den (siehe Math. VI, 144 ff.) ; ergänzt wird sie durch die Einleitung der Schrift >>Phoranomus>Kräfte>realer a ist, gelten soll und denken wir uns die Diffe­ renz b - a stetig verringert, so nähern sich die Funktionswerte, d. h. die Wirkungen, die den einzelnen Bedingungen entsprechen, beim Ü ber­ gang zur Gleichheit einer bestimmten Grenze : diese Grenze ist indes verschieden von dem Funktionswert, der für den Fall der Gleichheit (durch die erste Regel) bestimmt wird. 268 Siehe Dynamica, Sect. Ill : De concursu corporum. Vgl. Essay de Dynamique, Math. VI, 2 1 5 ff. 269 Siehe Anm. 206. 270 Siehe Anm. 249. 271 So statt : >>transitum a Metaphysica ad naturam.SchnittAtomgruppeSpinozakleinsten Wirkung