Arzneimittellisten und Grundrechte: Eine verfassungsrechtliche Untersuchung der Ausschlüsse von Arzneimitteln von der Verordnungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung aus der Sicht der Hersteller und der Verbraucher [1 ed.] 9783428483662, 9783428083664


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German Pages 237 Year 1995

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Arzneimittellisten und Grundrechte: Eine verfassungsrechtliche Untersuchung der Ausschlüsse von Arzneimitteln von der Verordnungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung aus der Sicht der Hersteller und der Verbraucher [1 ed.]
 9783428483662, 9783428083664

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 674

Arzneimittellisten und Grundrechte Eine verfassungsrechtliche Untersuchung der Ausschlüsse von Arzneimitteln von der Verordnungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung aus der Sicht der Hersteller und der Verbraucher

Von

Albrecht Philipp

Duncker & Humblot · Berlin

ALBRECHT

PHILIPP

Arzneimittellisten und Grundrechte

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 674

Arzneimittellisten und Grundrechte Eine verfassungsrechtliche Untersuchung der Ausschlüsse von Arzneimitteln von der Verordnungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung aus der Sicht der Hersteller u n d der Verbraucher

Von

Albrecht Philipp

Duncker & Humblot9 Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Philipp, Albrecht: Arzneimittellisten und Grundrechte : eine verfassungsrechtliche Untersuchung der Ausschlüsse von Arzneimitteln von der Verordnungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung aus der Sicht der Hersteller und der Verbraucher / von Albrecht Philipp. - Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 674) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08366-0 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-08366-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier gemäß der ANSI-Norm für Bibliotheken

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde Ende 1993 abgeschlossen, neuere Veröffentlichungen konnten in den Fußnoten teilweise noch bis August 1994 verarbeitet werden. Danken möchte ich zunächst Prof. Dr. Dietrich Murswiek, der die Arbeit angeregt und betreut sowie das Erstgutachten erstattet hat. Die Zeit als Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl bot mir einen ausgezeichneten Rahmen. Danken möchte ich weiter Prof. Dr. Rainer Wahl für die Anfertigung des Zweitgutachtens. Susanne Meyer, Christoph Enders, Ansgar Hense, Kathrin Misera, Ivo Appel Dr. Stephan Gerstner und Dr. Georg Hermes, alle vom Institut für öffentliches Recht der Universität Freiburg, haben auf verschiedene Weise Beiträge zum Gelingen meiner Promotion geleistet. Herr Klemm von der Firma Minden Pharma hat sich freundlicherweise die Zeit für ein längeres Gespräch genommen. Auch ihnen gilt mein herzlicher Dank. Ich widme die Arbeit meinen Eltern.

Freiburg, im November 1994 Albrecht Philipp

Inhalt Einleitung

19 1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Arzneimittelversorgung

A. Die Vorschriften des AMG I.

22 23

Entwicklung der Gesetzgebung

23

IL Die Zulassung nach dem AMG

26

1. Funktion und Ausgestaltung der Zulassung

26

2. Inhaltliche Zulassungskriterien

29

a) Qualität

29

b) Wirksamkeit

30

aa) Inhalt

30

bb) Streitpunkte

32

c) Unbedenklichkeit 3. Sonderregelungen für einzelne Arzneimittelgruppen

34 36

a) Besondere Therapierichtungen

36

b) Kombinationspräparate

38

c) Altmarkt

38

4. Nachmarktkontrolle HI. Marktorientierte Regelungen im AMG

39 41

1. Transparenzkommission

41

2. Packungsgrößen

45

B. Die Vorschriften des Sozialversicherungsrechts

46

8

Inhalt

I.

Geschichte und Strukturmerkmale

46

1. Geschichtliche Entwicklung

46

2. Strukturmerkmale der heutigen GKV

51

a) Organisation

51

b) Mitgliedschaft und Beiträge

52

c) Organisation der Leistungserbringung

54

d) Die Leistungen selbst

55

aa) Der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz

55

bb) Einzelne Leistungsarten

57

3. Kostendämpfungsversuche seit 1977 II. Insbesondere: Die Versorgung mit Arzneimitteln

65

1. Überblick

65

2. Die Steuerungsinstrumente im einzelnen

66

a) Rezeptblattgebühr

66

b) Preisabschläge

67

c) Festbeträge

68

d) Höchstbetrag, Richtgrößen und Malusregelung

69

e) Arzneimittel-Richtlinien und Preisvergleichsliste

71

f) Negativ- und Positivliste

74

aa) Bisherige Rechtslage

74

bb) Künftige Rechtslage

79

2. Kapitel: Vorfragen einer verfassungsrechtlichen Beurteilung A. Zur grundrechtlichen Kontrolle sozialstaatlicher Gesetzgebung I.

59

Sozialgesetzgebung als Grundrechtsausgestaltung ?

81 81 81

1. Soziale Grundrechte ?

81

2. Objektiv-rechtliche Grundrechtsauslegung ?

83

II. Grundrechte als Grenzen der Sozialgestaltung

85

Inhalt

EH. Inhalt des Sozialstaatsprinzips im Hinblick auf die GKV 1. Verfassungsrechtlich vorgegebene Inhalte ?

87 87

a) Durch Kompetenzbestimmungen des GG ?

87

b) Aus sonstigen Verfassungsvorschriften

88

2. Vom Gesetzgeber selbstgesetzte Inhalte IV Fazit

90 90

B. Zur Qualität mittelbarer Auswirkungen staatlichen Handelns als Grundrechtseingriffe

91

I. Problemeinordnung

91

IL Behandlung faktischer Grundrechtsbeeinträchtigungen in Literatur und Rechtsprechung

93

1. Exkurs: Zugrundeliegendes Grundrechtsverständnis und der "klassische" Eingriffsbegriff.

93

a) Zugrundeliegendes Grundrechtsverständnis

93

b) Der "klassische" Eingriffsbegriff.

96

2. Heutige Kriterien für das Vorliegen eines Eingriffs a) Literatur aa) Ausgangslage: Begründung und Grenzen für eine Ausweitung des Eingriffsbegriffs bb) Lösungsansätze im einzelnen

97 97 97 100

(1) Allgemeine Kriterien mit dogmatischer Begründung

100

(2) Fallgruppenbildung

103

(3) Zuordnung zu objektivrechtlichen Grundrechtsgehalten

104

b) Rechtsprechung

105

aa) BVerfG

105

bb)BVerwG

107

cc) BSG

108

dd)BGH

108

3. Auswirkungen auf der Rechtfertigungsebene

110

Inhalt

10

m . Stellungnahme 1. Die Eingriffskriterien selbst

111

a) Ausgangspunkt

111

b) Folgerungen

113

2. Auswirkungen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung

115

a) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

115

b) Bestimmtheitsgrundsatz

116

3. Besonderheiten des Sozialversicherungsrechts IV Ergebnis

IIS 119

3. Kapitel: Arzneimittellisten und Herstellergrundrechte A. Berufsfreiheit I.

111

Schutzbereich

120 120 120

1. Die gängigen Voraussetzungen der Betroffenheit des Art. 12 I GG.. 120 2. Einordnung der Listen in Literatur und Rechtsprechung

123

3. Teilhaberecht am Gesundheitsmarkt ?

123

4. Ansatzpunkte einer Lösung in Literatur und Rechtsprechung

126

a) Rückgriff auf das private Wettbewerbsrecht ?

126

b) Restriktive Schutzbereichsauslegung

128

c) Rechtsprechung des BVeifG zu staatlichen Nachfragemonopolen

128

d) Gesamtbetrachtender Ansatz

129

e) Überlegungen zur grundrechtlichen Relevanz staatlicher Subventionen

131

f) Derivatives Teilhaberecht aus Art. 3 I i.V.m. 12 I GG

132

5. Stellungnahme

134

6. Zusammenfassung

138

II. Eingriff

139

Inhalt

1. Mögliche Zurechnungsgegenstande

139

2. Finalität

140

m . Verfassungsrechtliche Rechtfertigung unter freiheitsrechtlichen Gesichtspunkten 1. Verhältnismäßigkeit a) Kriterien für die Verhältnismäßigkeitsprüfung

142 142 142

aa) Dreistufentheorie

142

bb) Prognosespielraum

143

cc) Staatliche Zwecksetzungen

145

b) Eignung

147

aa) Zweckmäßigkeit

147

bb) Wirtschaftlichkeit i.e.S cc) Verhältnis der Wirtschaftlichkeit i.e.S zur Zweckmäßigkeit

149

c) Erforderlichkeit

150 151

aa) Doppelprüfung der Wirksamkeit ?

151

bb) Ausnahmeregelung als milderes Mittel

154

d) Angemessenheit

154

e) Ergebnis

155

2. Die Grenzen aus Art. 19 GG

156

3. Wesentlichkeitstheorie und Bestimmtheitsgrundsatz

157

a) Verordnungsermächtigung an den BMG

157

b) Beteiligung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen 159 4. Vertrauensschutz

161

5. Zusammenfassung

163

IV. Verstoß gegen das grundrechtliche Teilhaberecht aus Art. 12 I i.V.m. Art. 3 I G G ? B. Eigentumsfreiheit I.

Vorbemerkungen zu Art. 14 GG

II. Schutzbereich

164 167 167 168

12

Inhalt

1. Grundlinien in der Literatur zum Leistungserbringungsrecht in der GKV bzw. zum Arzneimittelmarkt a) Schutzbereich gar nicht betroffen b) Betroffenheit des Schutzbereichs unter Betonung des Rechts auf Eigentumsausnutzung c) Subjektiv-öffentliches Recht auf Marktzugang

168 169 169 169

d) Marktstellung oder -Zugang als Teil des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs e) Marktstellung als eigene Rechtsposition 2. Zu den denkbaren Eigentumsobjekten a) Marktstellung als Rechtsposition eigener Art ? b) Marktposition als Teil des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ? c) Marktzugangsschutz im Zusammenhang mit der Arzneimittelzulassimg

170 170 171 171 172 174

aa) Einfachgesetzlicher Marktzugangsanspruch ?

174

bb) Zulassung als Eigentum ?

175

d) Anerkennungspflicht des Gesetzgebers aus einem eigenen verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff heraus ?

178

e) Zusammenfassung

178

3. Gewährleistungsumfang

178

C. Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit

181

D. Ergebnis zu den Herstellergrundrechten

184

4. Kapitel: Arzneimittellisten und Grundrechte der Versicherten und Kranken A. Grundrechte der (Pflicht-)versicherten

185 186

I. Eigentumsfreiheit

186

II. Vereinigungsfreiheit

188

1. Verfassungsrechtliche Einordnung von Pflichtmitgliedschaften a) Kein Grundrechtsschutz gegen Pflichtmitgliedschaften ?

188 189

Inhalt

b) Schutz aus Art. 9 I GG

191

2. Legitimierende öffentliche Aufgaben

192

3. Verhältnismäßigkeit

192

HI. Recht auf körperliche Unversehrtheit

194

IV. Verstoß gegen Art. 3 I GG durch Leistungsbeschränkungen ?

197

B. Grundrecht aller Arzneimittelverbraucher auf körperliche Unversehrtheit.. 198 I.

Schutzbereich

198

1. Mögliche Auswirkungen von Leistungsausschlüssen in der GKV.. 198 2. Generelle Erhältlichkeit von Gesundheitsleistungen als Element des Schutzbereichs von Art. 2 II 1 GG ? 200 a) Untrennbarkeit von Gesundsein und Gesundwerden 200 b) Parallelen in der straf- und zivilrechtlichen Dogmatik zum ärztlichen Heileingriff

201

c) Gefahrdungssituation

202

d) Unmöglichkeit der Objektivierung von Gesundheit

203

e) Entstehungsgeschichte

205

f) Einwand: Gewährleistung von tatsächlichen Grundrechtsvoraussetzungen?

206

3. Ergebnis II. Eingriff

207 208

1. Finalität

210

2. Unmittelbarkeit

211

3. Ergebnis

212

LH. Zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung 1. Verhältnismäßigkeit

212 213

a) Eignung

213

b) Erforderlichkeit

214

c) Angemessenheit

214

14

Inhalt

2. Bestimmtheit

215

3. Die Grenzen aus Art. 19 GG

215

C. Ergebnis zu den Grundrechten der Versicherten und der Verbraucher

217

Schlußbemerkung

218

Literaturverzeichnis

220

Abkürzungen a.F.

alte Fassung

AK

Altemativkommentar

AMG

Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz)

AMNG

Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts

AOK

Allgemeine Ortskrankenkasse

AÖR

Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift)

Art.

Artikel

BAnz

Bundesanzeiger

BArbBl

Bundesarbeitsblatt

BGA

Bundesgesundheitsamt

BGBl

Bundesgesetzblatt

BGesBl

Bundesgesundheitsblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BKK

Die Betriebskrankenkasse (Zeitschrift)

Bl.

Blatt

BMG

Bundesminister für Gesundheit

BPI

Bundesverband der pharmazeutischen Industrie

BSG

Bundessozialgericht

BSHG

Bundessozialhilfegesetz

BT-Drs.

Bundestagsdrucksache

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVervvG

Bundesverwaltungsgericht

16

Abkürzungen

BVerwGE

Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

DDR

Deutsche Demokratische Republik

Diss.

Dissertation

DJT

Deutscher Juristentag

DOK

Die Ortskrankenkasse (Zeitschrift)

dtv

Deutscher Taschenbuchverlag

DtZ

Deutsch-Deutsche Rechtszeitschrift

E

s.BVerfGE/ BVerwGE

EG

Europäische Gemeinschaften

ErsK

Die Ersatzkasse (Zeitschrift)

EuGRZ

Europäische Zeitschrift fur Grundrechte

FDGB

Freier Deutscher Gewerkschaftsbund

Fn.

Fußnote

GKV

Gesetzliche Krankenversicherung

gpk

Gesellschaftspolitische Kommentare (Zeitschrift)

GRG

Gesundheitsreformgesetz

GRUR

Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeitschrift)

GSG

Gesundheitsstrukturgesetz

GWB

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung«!

HdbStR

Handbuch des Staatsrechts

Hrsg.

Herausgeber

i.e.S.

im engeren Sinne

i.w.S.

im weiteren Sinne

JG

Jahresgutachten (s. SVR KAiG)

KassKomm

Kasseler Kommentar zum Sozialgesetzbuch

KÄV

Kassenärztliche Vereinigung

KVEG

Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz

KVKG

Kj-ankenversichenmgs-Kostendampfimgsgesetz

Abkürzungen

M/D/H/S

Maimz/Dürig/Herzog/Scholz

MedR

Medizinrecht (Zeitschrift)

MMG

Medizin, Mensch, Gesellschaft (Zeitschrift)

n.c.

numerus clausus

n.F.

neuer Fassung

NZS

Neue Zeitschrift fur Sozialrecht

pharm. Ind.

Die pharmazeutische Industrie (Zeitschrift)

PhR

Pharmarecht (Zeitschrift)

PKV

Private Krankenversicherung

R&P

Recht und Psychologie (Zeitschrift)

rmTD

rechnerisch-mittlere Tagesdosis

RVO

Reichsversicherungsordnung

Rz.

Randziffer

SF

Sozialer Fortschritt

SG

Sondergutachten (s. SVR KAiG)

SGb

Die Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift)

SGB

Sozialgesetzbuch (röm. Ziffer = n. Buch)

SozVers

Die Sozialversicherung (Zeitschrift)

Sp.

Spalte

SRH

Sozialrechts - Handbuch

SVR KAiG

Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen

UPR

Umwelt- und Planungsrecht (Zeitschrift)

UWG

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

vM/K

von Münch/ Kunig

VO

Verordnung

VSSR

Vierteljahresschrift für Sozialrecht

WDStRL

Veröffentlichungen des Vereins der deutschen Staatsrechtslehrer

WHO

World Health Organisation

2 Philipp

18

Abkürzungen

wido

Wissenschaftliches Institut der Ortskrankenkassen

WiVerw

Wirtschaft und Verwaltung (Zeitschrift)

WuR

Wirtschaft und Recht (Zeitschrift)

WzS

Wege zur Sozialversicherung (Zeitschrift)

ZfS

Zentralblatt für die Sozialversicherung, Sozialhilfe und Versorgung (Zeitschrift)

ZSR

Zeitschrift für Sozialreform

Einleitung Diese Arbeit befaßt sich mit der Verfassungsmäßigkeit bestimmter sozialversicherungsrechtlicher Steuerungsinstrumente, wie sie das Gesundheitsreformgesetz (GRG) 1989 und das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) 1993 beinhalten, namentlich mit dem Ausschluß bestimmter Arzneimittel von der Verordnungsfahigkeit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (im folgenden: GKV) unter dem Gesichtspunkt der UnWirtschaftlichkeit. Dies wurde ab 1989 mit der Auflistung ausgeschlossener Medikamente durch die sog. Negativliste nach § 34 I I I SGB V erreicht und soll in Zukunft über die - alle positiv verordnungsfahigen Mittel zusammenstellende - Positivliste nach § 92 a V I I I SGB V n.F. geschehen. Hierbei ist unverkennbar, daß die Thematik dieser Arbeit, die ursprünglich nur die Verfassungsmäßigkeit der Negativliste nach § 34 I I I SGB V behandeln sollte, von der ungewöhnlich schnellen Kodifizierung des GSG überholt wurde. Am 1.1.1993 in Kraft getreten, modifizierte es nicht nur die Negativ- zur Positivliste, sondern setzte auch neue Schwerpunkte in der Ausstattung der staatlichen Stellen mit Steuerungsinstrumenten für die GKV. Hierbei haben sich zunächst die Budgetregelungen 1 als bei weitem am wirksamsten erwiesen. Gleichwohl bleibt das Augenmerk dieser Arbeit auf die Leistungsausschlüsse des Listenkonzepts konzentriert. Eine verfassungsrechtliche Einordnung dieser Materie ist mit einigen besonderen Schwierigkeiten behaftet. Wenn es Funktion der Grundrechte jedenfalls auch ist, Abwehrrechte des Einzelnen gegenüber Freiheitsbeschränkungen durch den Staat zu sein, so ist damit gesagt, daß die Grundrechte begrenzende Maßstäbe bieten sollen, an denen sich das staatliche Handeln und ggf. die staatliche Rechtssetzung messen lassen müssen. Als solche Maßstäbe hat das BVerfG die Grundrechte des GG ausgeformt und konkretisiert. Jedoch scheint es sich bei den Maßnahmen im Bereich des öffentlichen Gesundheitswesens um einen Bereich zu handeln, der gleich in mehrfacher Hinsicht in verfassungsrechtlich bisher relativ wenig systematisierte Problemfelder vorstößt2.

Ausfuhrliche Darstellung in Kapitel 132

Ein Defizit in der (grundrechts-)dogmatischen Durchdringung des Sozialrechts beklagt etwa Schulin, VSSR 1991,252.

20

Einleitung

Zunächst ist hierbei die Frage nach Inhalt und Reichweite des Sozialstaatsprinzips, das als Grundlage des Sozialversicherungsrechts für die verfassungsrechtliche Beurteilung von Einzelvorschriften eine Rolle spielt, zu nennen. Sie ist bis heute nur vage beantwortet. Namentlich im Verhältnis zu den Grundrechten ist für eine rationale rechtsstaatliche Kontrolle aber die wenigstens einigermaßen griffige Benennbarkeit der gesetzgeberischen Zwecke unabdingbar. Weiter ist ein nicht abschließend geklärtes Feld die Figur des sog. mittelbaren oder faktischen Grundrechtseingriffs. Das Recht der GKV hat nämlich einen Komplexitätsgrad erreicht, in dem die meisten Steuerungsinstrumente nicht nur oder nicht einmal in erster Linie Auswirkungen auf den direkten Regelungsadressaten haben. Deshalb ist für diese Instrumente nicht eine direkte, sondern eben eine nur mittelbare Grundrechtsbeeinträchtigung charakteristisch. Auf die Frage, wann eine solche vorliegt, sind in den letzten Jahren einige Antworten vorgeschlagen worden. Das sich anschließende Problem der Frage nach den materiellen Anforderungen, die an ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung zu stellen sind, ist dagegen noch ohne konzeptionelle Durchdringung. In diesen Zusammenhang gehört auch, daß eine hinlänglich plausible Abschätzung der Folgen gesetzgeberischer Maßnahmen im Krankenversicherungsrecht schwer möglich ist, wie verschiedene Substitutions-, Ausweichund Nebeneffekte bisheriger Kostendämpfungsversuche gezeigt haben. Dieser Aspekt mag, jedenfalls bevor mehrjährige Erfahrungen vorliegen, rechtlich überhaupt nicht anders greifbar sein, als Zielsetzungen und Prognosen der Gesetzgebungsorgane weitgehend zu akzeptieren. Eine Art des Umgangs mit diesem Problem ist es, als Auswirkungen der staatlichen Steuerung nur oder primär diejenigen einzubeziehen, deren Eintreten vom Gesetzgeber vorausgesehen oder beabsichtigt wurde. Schließlich weicht die Thematik auch insofern von "schulmäßigen" Grundrechtskonflikten ab, als der Gesetzgeber nicht auf ein bisher unreglementiertes Feld ausgreift, sondern das Recht der sozialen Krankenversicherung schon bis heute ein dichtes Netz von Abhängigkeiten geschaffen hat, das nicht dadurch transparenter wird, daß auch noch andere Rechtsbereiche, wie hier das eigentliche Arzneinüttelrecht, in der Gefahr stehen, mittels des Sozialversicherungsrechts neu "überregelt" zu werden 3. Neue Maßnahmen im Gesundheitswesen lassen sich daher nicht in ein Schwarzweißschema einordnen, sondern bedeuten in der Regel eine graduelle Verstärkung bereits bestehender Abhängig-

3 Eine weitergehende Einordnung dieses "Problemtypus" findet sich bei Neumann, VSSR 1993,119(131).

Einleitung

keitsverhältnisse. Wo aber bei derart fließenden Verhältnissen noch klare (grundrechtliche) Grenzen verlaufen, ist der herkömmlichen Grundrechtsdogmatik nur schwer zu entnehmen. Andererseits müssen sich auch teilhaberechtlich orientierte Ansätze fragen lassen, inwieweit sie mit den allgemeinen und speziellen Grundrechtslehren vereinbar sind. Angesichts des so abgesteckten Feldes kann es Ziel und Inhalt dieser Arbeit nicht sein, jedes der einzelnen Problemfelder in umfassender Weise zu behandeln. Vielmehr muß, von existierenden Ansätzen ausgehend, jeweils eine plausible Lösung gefunden werden, die eine Anwendung auf die betroffenen Einzelgrundrechte ermöglicht, ohne sich im Vertreten von Gruppeninteressen oder Gestaltungsspielräumen des Gesetzgebers zu erschöpfen. Sollte das Ergebnis, das sich letztendlich als Antwort auf die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Positiv- bzw. Negativliste herausschält, wenig spektakulär sein, so mag dessen Herleitung, die in der Literatur so bisher nicht ersichtlich ist, der Arbeit gleichwohl ihre Rechtfertigung verleihen. Sie beginnt mit einer Darstellung des geltenden Rechts und seiner Auswirkungen auf dem Arzneimittelmarkt. Um die eigentliche (Einzel)grundrechtsprüfung überschaubar zu halten, sind die grundrechtsdogmatischen Überlegungen zum Verhältnis der Grundrechte zum Sozialstaatsprinzip, zu allgemein teilhaberechtlichen Ansätzen sowie zum Grundrechtseingriff vorgezogen. Die Grundrechtsprüfung selbst unterteilt sich in Hersteller- und Veibrauchergrundrechte. Verzichtet wurde im Interesse von Übersichtlichkeit und zurückhaltender Raumausdehnung der Arbeit auf die Untersuchung allgemeinerer bzw. mit der Thematik zusammenhängender Problemlagen. So erhebt die Arbeit nicht den Anspruch, mögen auch einige Gesichtspunkte hier übertragbar sein, grundrechtliche Grenzen aller denkbaren Leistungsausschlüsse aus dem Sozialversicherungssystem aufzuzeigen. Weiter wird auf die Grundrechte der neben Herstellern und Verbrauchern durch die Arzneimittelversorgung in der GKV betroffenen Kreise, namentlich von Ärzten und Apothekern, nicht eingegangen. Diese Themeneingrenzung rechtfertigt sich auch durch die hierzu bereits erschienenen Untersuchungen 4. Schließlich wird auf eine europarechtliche Betrachtung der einschlägigen Steuerungsinstrumente, namentlich hinsichtlich des Art. 30 EG-Vertrag (Freier Warenverkehr) verzichtet 5.

4 Vor allem Stockhausen, Ärztliche Berufsfreiheit und Kostendämpfimg, insb. Kap. D I 2; auch Günther, Wiitschaftlichkeitsgebot, S.179 ff.; Glaeske/Schefold, Positivliste, S.97,109 ff. - Überhaupt ist das Kassenarztrecht von jeher in wesentlich größerem Umfang Gegenstand rechtswissenschaftlicher Durchdringung und Darstellung als das übrige Recht der Leistungserbringung gewesen. 3

Dazu jetzt Flute, NZS 1993,526, sowohl für die Negativ-, wie auch für die Positivliste.

L Kapitel:

Die rechtlichen Regelungen zur Arzneimittelversorgung

Der Arzneimittelmarkt 1 in Deutschland ist heute durch zwei Regelungssysteme geprägt, die im Ansatz unterschiedlichen Zwecken dienen, sich in den Folgen aber vielfach überschneiden. Einen im Grundsatz gefahrenabwehrrechtlichen 2 Ausgangspunkt hat das Arzneimittelgesetz (AMG) von 1976, das seit 1.1.1978 in Kraft ist und seitdem vier Novellierungen erfahren hat. Dort sind vor allem die Zulassung von Arzneimitteln zur Verkehrsfähigkeit, ihre Überwachung, ihre Verschreibungspflichtigkeit und die Haftung für Arzneimittelschäden geregelt. Es finden sich aber auch spezifisch marktorientierte Regelungen, insbesondere die neue, durch das GSG 1993 eingeräumte Möglichkeit, nach § 12 I I I A M G wirkstoffbezogen bestimmte Verpackungsgrößen zwingend durch Rechtsverordnung vorzuschreiben. Die früher in diesem Zusammenhang einschlägigen Vorschriften über pharmakologisch-therapeutische und preisliche Transparenz (6. Abschnitt, §§ 39 a ff. AMG) wurden dagegen zum 1.1.1993 aufgehoben. Die Werbung für Arzneimittel ist gesondert im Heilmittelwerbegesetz (HWG) geregelt 3. Systematisch war das A M G 1976 Bestandteil (Art.l) des Gesetzes

1 Auf dem Markt sollen sich Mitte 1992 ca. 100000 Mittel befunden haben, deren Abbau auf ca. 70000 bis Anfang 1993 angestrebt war. Dazu kommen nochmals ca. 30000 registrierte Homöopathika; vgl. SZ vom 15.6.1992, S.46. Von insgesamt noch 57000 Fertigarzneimitteln spricht Schönbach, BKK 1993,196 (200). Dagegen umfaßt die Liste der notwendigen Arzneimittel der W H O nur 270 Stoffe in 370 Handelsformen, SVR KAiG, JG 1987, Ziff. 235. Das Preisniveau in Deutschland soll, nachdem es lange Zeit an der Spitze gelegen habe, inzwischen nur noch das fünfthöchste in Europa sein, Reicherzer, Die Zeit vom 3.4.1992, S.32. Indes sollten solche Zahlen in ihrer Aussagekraft nicht überbewertet werden. In der Literatur wird daraufhingewiesen, daß diese auf den ersten Blick hohen Zahlen beispielsweise dadurch beeinflußt würden, daß das Bundesgesundheitsamt jede einzelne Dosierungsstärke, Darreichungsform und Packungsgröße mitzahle. Außerdem liege dem A M G ein besonders weiter Arzneimittelbegriff zugrunde (Geursen, gpk 1993,117; dort auch neuere Zahlen; ähnlich auch Nord, M M G 1986,44 (46)). 2 3

Fabel, Kurzdarstellung, S. 126.

In der Fassung von 1986. Insbesondere hat dabei das Verbot von Werbung bei Laien arzneimittelsichedieitsrechtliche Bezüge, vgl. Hildebrandt, BGesBl 1990,277.

A Die Vorschriften des AMG

23

zur Neuordnung des Arzneimittelrechts vom 24.8.1976 (AMNG), in dessen Art. 3 die heute z.T. noch relevanten Überleitungsvorschriften enthalten sind. Dagegen befassen sich die Vorschriften des SGB V 4 vom Sozialrecht her mit Arzneimitteln. Für den hier interessierenden Zusammenhang sind zum einen die Vorschriften über die Leistungen der Krankenversicherung, §§ 11 - 68 SGB V, insbesondere über den Leistungsumfang bei Arzneimitteln (§§ 31, 34 f. und 92a SGB V) von Bedeutung, zum anderen die von der Selbstverwaltung 5 zu beschließenden Richtlinien über die Verordnung von Arzneimitteln (§ 92 SGB V). Allerdings können die Auswirkungen dieser Vorschriften selbstverständlich nicht ohne den Rahmen des gesamten Krankenversicherungsrechts, etwa mit den Vorschriften über die Pflichtversicherung und die Funktionen der Selbstverwaltung verstanden werden. Dieser Regelungsbereich ist unter dem Einfluß der erneuten Kostenexplosion in den Jahren 1991 und 1992 unter starken Veränderungsdruck geraten. Nach dem GSG 6 , von Regierung und SPD gemeinsam beschlossen, das seit Jahresanfang 1993 als Gesetz gilt, ist aber für einige Jahre mit jetzt "stabilen" Regelungen zu rechnen. Allerdings hat Bundesgesundheitsminister Seehofer mehrfach eine weitere Gesundheitsreform noch vor der Jahrtausendwende als notwendig bezeichnet7. Die arzneimittelbezogenen Regelungen des Beihilferechts folgen im wesentlichen dem Recht der GKV und werden deshalb im Rahmen dieser Arbeit nicht eigens weiterverfolgt 8.

A. Die Vorschriften des A M G I. Entwicklung der Gesetzgebung Eine einheitliche Regelung der Herstellung und des Verkehrs von Arzneimitteln gibt es in der Bundesrepublik erst seit 1961. Zuvor fanden sich einschlägige Regelungen verteilt auf die GewO, das Opiumgesetz von 1929, eine

4 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung, vom 20.12.1988 (BGBl I, S.2477). 5

Dazu unten in Kapitel 1 .B.

6

BGBl 19921,S.2266.

7

SZ vom 23.11.1992, S.2; SZ vom 4.5.1993, S.2.

* Belege finden sich etwa bei Franz, Natuiheilmittel und Recht, S.236 (Fn.148) und in § 6 I Nr.2, H Nr.2 BeMfeVO B.-W.

24

1. Kapitel: Die rechtlichen Regegen zur Arzneimittelversorgung

Verordnung über den Verkehr mit Arzneimitteln von 1941 sowie die Apothekenbetriebsordnungen der Länder 9 . Letztere erlegten der Herstellung von Medikamenten durch Apotheker z.T. strenge Anforderungen auf, während die industrielle Produktion von Medikamenten, die damals schon einen Marktanteil von über 80 % erreichte, kaum rechtlich geordnet war 1 0 . Das A M G 1961 brachte inhaltlich die Erlaubnispflichtigkeit der Herstellung von Arzneimitteln, Überwachungsmöglichkeiten gegenüber den Herstellungsbetrieben sowie die Registrierung industriell produzierter Arzneimittel 11 . Dagegen wurde auf eine materielle Zulassungspflicht i.S. einer Wirksamkeitsund Bedürftiisprüfung noch ausdrücklich verzichtet. Wegen der Verordnungsfreiheit der Ärzte und Freiheit der Selbstbehandlung der Verbraucher könne Arzneimittelmißbrauch nur durch Aufklärung bekämpft werden 12 . In begrifflicher Hinsicht erfolgte durch das A M G 1961 die Loslösung des Arzneimittelbegriffs vom Krankheitsbegriff (§ 1 A M G 1961 13 ). Es stellte sich jedoch bald heraus, daß diese - aus heutiger Sicht zurückhaltende - Reglementierung nicht zu halten war. Unter dem Eindruck der Contergan-Katastrophe in den Jahren 1957 - 1961 und deren rechtlicher Aufarbeitung (Einstellung des Strafverfahrens 1971) 14 , aber auch der Fälle Menocil und Estil 1 5 , wurde deutlich, daß die Instrumente des A M G 1961 nicht geeignet waren, den Arzneimittelrisiken hinreichend entgegenzuwirken 16 . Dazu kamen die Notwendigkeit, pharmazeutische Richtlinien der EG in das deut-

Deutsch, Arztrecht und Arzneimittelrecht, S.326. 10 Vgl. die Amtl. Begründung des 1 .Entwurfs zum A M G 1961 von 1958, abgedruckt bei Sander/ Köbner, Einführung A I , S.2. 11

Deutsch, Arztrecht und Arzneimittelrecht, S.326; ausfuhrlich Sander/Köbner,

Einfuhrung A I ,

S.6ff. 12

Amtl. Begründung,bei Sander/Köbner,Einf.

A I , S.5.

13

(1) Arzneimittel im Sinne dieses Gesetzes sind Stoffe und Zubereitungen aus Steffen, die vom Hersteller oder demjenigen, da* sie sonst in den Verkehr bringt, dazu bestimmt sind, durch Anwendungen am oder im menschlichen oder tierischen Körper 1. die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände erkennen zu lassen oder zu beeinflussen, 2. vom menschlichen oder tierischen Körper erzeugte Wirkstoffe oder Körperflüssigkeiten zu ersetzen oder 3. Krankheitserreger, Parasiten oder körperfremde Stoffe zu beseitigen oder unschädlich zu machen. 14

Deutsch, Arztrecht und Arzneimrttelrecht, S.327 f.

13

Etmer/Lundt/Schiwy,

16

Deutsch, Arztrecht und Arzneimittelrecht, S.328.

Vorwort zum Kommentar des A M G 1976.

A. Die Vorschriften des AMG

25

sehe Recht umzusetzen 17 sowie der generell stark steigende Verbrauch von Arzneimitteln 18 . Diese Sachlage schlug sich im A M G 1976 nieder, das - übrigens vom Bundestag einstimmig verabschiedet - am 1.1.1978 in Kraft trat 1 9 . Seine wesentlichsten Neuerungen waren das materielle Zulassungsverfahren (§§ 21 ff.), die Vorschriften zum Schutz von Probanden und Patienten in der klinischen Prüfung (§§ 40 ff.), die Einbeziehung von Nachahmerpräparaten (meist als sog. Generica unter ihrem chemischen Namen oder ihrer internationalen Bezeichnung auf den Markt gebracht) in die Zulassungspflicht und die Einführung einer Gefahrdungshaftung der Hersteller (§§ 84 ff. A M G 1976) für Schäden, die trotz bestimmungsgemäßen Gebrauchs oder infolge mangelnder Information entstanden sind 2 0 . In den nunmehr fünfzehn Jahren seiner Geltung ist auch das A M G 1976 mehrfach angepaßt worden, als Beispiele lassen sich etwa die jetzt gültige Regelung des Interessenausgleichs zwischen ursprünglichem und nachahmendem Hersteller eines Präparats, soweit es um die Zulassung geht (§ 24 a AMG, eingefügt 1986) 21 und die Schaffung der vom BVerwG 2 2 geforderten gesetzlichen Grundlage für die Tätigkeit der Transparenzkommission (§§ 39 ä f f , ebenfalls 1986) anführen. Die weitere Darstellung orientiert sich indes an den Bereichen, die für die verfassungsrechtliche Problematik einer Reglementierung des Arzneimittelmarktes von aktuellem Interesse sind: die Zulassung von Arzneimitteln sowie deren Beurteilung im Rahmen der Arbeit der Transparenzkommission. Diese hat ihre Arbeit zwar inzwischen eingestellt, nachdem das GSG solche Aufgaben bei dem neu zu gründenden Institut "Arzneimittel in der Krankenversicherung" (§ 92a SGB V) bündelt. Der Themenbereich hat indes einige Parallelen zum Konzept der Negativ- bzw. Positivlisten, so daß auf eine kurze Darstellung der rechtlichen Auseinandersetzungen zu diesen Fragen nicht verzichtet werden kann.

17

Fabel, Kurzriarstellung, S. 126.

18

Steigerung von 1961 bis 1976 um 400 % h. Begründung des zustandigen Bundestagsausschusses, abgedruckt bei Sander/Köbner Einfuhrung A II, S.25. 19

Vom 24.8.1976, BGBl I, S.2445.

20

Pabel, Kurzidarstellung, S.126.

21

Soweit der normale Patentschutz (20 Jahre) abgelaufen ist, was aber wegen der sehr langen Entwicklungszeit bis zur Marktreife schon nach wenigen Jahren der Fall sein kann. Vgl. dazu ausführlich MJlamsauer, Staatliche Ordnung, S.119 ff.; Hart/Hilken/Merkel/Woggan, Recht des Arzneimittelmarktes, S.250 ff. 22

BVerwGE 71,183, (Transparenzlistenuiteil).

26

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Arzneimittelversorgung

n. Die Zulassung nach dem AMG 1. Funktion und Ausgestaltung der Zulassung Gegenstand des Zulassungsverfahrens der §§ 21 ff. A M G ist nicht ein körperlich vorliegendes Arzneimittel, sondern sein Modell, vergleichbar mit einer Bauartzulassung 23. Die Überprüfung ist als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ausgestaltet; schon angesichts der involvierten Herstellergrundrechte ergibt sich hieraus in Übereinstimmung mit dem Wortlaut, daß die Versagungsgründe des § 25 I I A M G eine abschließende Aufzählung darstellen und daß bei deren Nichteingreifen ein Anspruch auf Zulassung besteht 24 . Zuständige Bundesoberbehörden sind das Bundesgesundheitsamt ( B G A ) 2 5 in Berlin und, für Impfstoffe und Sera, das Paul-Ehrlich-Institut in Frankfurt/M. 26 . Grob gesprochen kann als Funktion der Zulassungsvorschriften Verbraucherschutz durch Arzneimittelsicherheit (vgl. § 1 AMG, der deshalb zur Auslegung der Zulassungsregelungen herangezogen werden kann 2 7 ) angegeben werden. In polizeirechtlicher Diktion geht es um Gefahrenabwehr durch präventive Kontrolle. Die Bevölkerung soll vor Risiken geschützt werden, die oft auch für Fachleute infolge ihrer Komplexität nur unzureichend beurteilbar sind 2 8 . Aufgebaut ist die Prüfung so, daß sämtliche erforderlichen Nachweise und Unterlagen vom Antragsteller vorzulegen sind (§ 22 AMG). Im Zentrum dieser Vorlagepflicht stehen die Ergebnisse der analytischen, pharmakologisch-toxikologischen und klinischen Prüfung des betreffenden Arzneimittels, § 22 I I AMG, sowie von Sachverständigengutachten, § 24 AMG. Nach § 22

23

M.Ramsauer, Staatliche Ordnung, S.24 f.; Henning, NJW 1978,1671 (1673).

24

Fabel, Kurzdarstellung, S.130; MJlamsauer, Staatliche Ordnung, S.26; Kloesel/Cyran,

§ 25

Anm.8. 25 Im Oktober 1993 hat Bimdesgesimdheitsminister Seehofer bekanntgegeben, daß das BGA in seiner überkommenen Organisationsstruktur aufgelöst werden soll, vgl. SZ vom 14.10.1993, S.l und vom 15.10.1993, S.4. Diese Änderung ist inzwischen vollzogen, s. SZ vom 04.07.1994, S.2. Die einzelnen Abteilungen wurden dem Ministerium direkt unterstellt, was auch für das hier interessierende Institut für Arzneimittel gilt. Da sich an den sachlichen Zulassungsvoraussetzungen des A M G aber nichts geändert hat, wird darauf verzichtet, die Abkürzung "BGA" im weiteren Text durch "Bundesgesundheitsministerium" zu ersetzen. 26

Vgl. Kloesel/Cyran,

27

Hart/Hilken/MerkelAVoggan,

28

§ 21 Anm.14. Recht des Arzneimittelmarktes, S.25.

Pabel, Kurzdarstellung, S. 126. Trotzdem ist die - nach dem A M G in Laien- und Fachinformation unterteilte - Aufklärung ein in sichedieitsrechtlicher Hinsicht unentbehrlicher Bestandteil des AMG, vgl. Hildebrandt, BGesBl 1990,277.

27

A Die Vorschriften des AMG

I I I kann unter Umständen auch anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial vorgelegt werden. Nachdem zum 1.1.1990 die sog. Arzneimittel-Prüfrichtlinien als allgemeine Verwaltungsvorschrift aufgrund § 26 I A M G in Kraft getreten sind 2 9 , liegt ein detailliertes Anforderungsprofil vor. Die Rolle des BGA beschränkt sich im Grundsatz (§ 25 V 1 AMG) auf die Überprüfung der eingereichten Unterlagen, es kann aber auch eigene Ermittlungen anstellen und z.B. Gegengutachten in Auftrag geben (§ 25 V 2-4 AMG). Insgesamt verfolgt das AMG damit das Modell einer interventionistischen Gewährleistung von Arzneimittelsicherheit 30 , nachdem j a sein stärker marktorientierter Vorläufer von 1961 eine ausreichende Abwehr von Arzneimittelrisiken nicht hatte gewährleisten können. Allerdings sind Vorkehrungen getroffen, die die hinreichende Einbeziehung von wissenschaftlichem Sachverstand garantieren sollen, dessen Berücksichtigung z.B. in §§ 25 I I 1 Nr.4, 26 I 2 A M G vorgeschrieben ist. Vor der Entscheidung hat die Behörde die sog. Zulassungskommission nach § 25 V I AMG anzuhören, die mit vom Bundesgesundheitsminister für das jeweilige Fachgebiet berufenen Fachleuten besetzt ist. Zwar ist die Behörde an die Kommissionsempfehlungen nicht gebunden, sie weicht in der Praxis aber selten davon ab 3 1 . Entscheidungen der Behörde werden gem. § 34 A M G im Bundesanzeiger bekanntgemacht. Rechtsfolge der Zulassung ist gem. § 211 AMG, daß das Arzneimittel in den Verkehr gebracht werden darf. Die Zulassung gilt fünf Jahre und erlischt, wenn nicht rechtzeitig eine Verlängerung erteilt wird, die ihrerseits vom Hersteller zu beantragen ist. § 27 A M G schreibt verbindlich eine Entscheidung über den Zulassungsantrag innerhalb von vier, in Ausnahmefallen von sieben Monaten vor 3 2 . Diese Frist ist in den vergangenen Jahren um ein vielfaches überschritten worden, Veröffentlichungen des Jahres 1991 sprechen von einer durchschnittlichen Bearbeitungszeit von sechs Jahren 33 . Grund hierfür ist der Antragsstau beim BGA, der 1990 bei ca. 10000 34 und im April 1992 bei ca. 7000 3 5 Präparaten gelegen haben soll. Die Ursachen dieses Staus scheinen in der steigenden Antrags» wie in der, bedingt durch umfassendere Erwartungen an die Arbeit des

29

BAnzNr. 243 a v. 29.12.1989, abgedruckt bei Wilson/Blanke

30

Hart/Hilken/MerkelAVoggan,

31

Hart/Hilken/Merkel/Woggan, Arzneimittelrecht, S.351.

unter V I B 103.

Recht des Arzneimittelmarktes, S.24. Recht des Arzneimittelmarktes, S.33 f.; Deutsch, Arztrecht und

32

Dies geht auf die Erste Pharmazeutische Richtlinie da- EG von 1965 (65/65/EWG) zurück.

33

Hiltl, FÜR 1991,112; SMüller, PhR 1991,226.

34

Nolting-Lodde, WuR 1991,112.

33

Reicherzer, Die Zeit vom 3.4.1992, S.32.

28

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Arzneimittelversorgung

BGA, fallenden Bearbeitungszahl pro Jahr zu liegen 3 6 , wobei mitunter die "Überschwemmung" des BGA mit Zulassungsanträgen für Produkte, die medizinisch keine Neuerungen darstellen, beklagt wird 3 7 . Aus dieser Sachlage heraus haben pharmazeutische Hersteller Untätigkeitsklage gegen das BGA nach § 42 I 3.Alt. VwGO erhoben, denen als bisher höchste Instanz das OVG Berlin 3 8 stattgegeben hat, während eine Entscheidung des BVerwG noch aussteht. Übereinstimmend mit Äußerungen in der Literatur 39 führt das OVG aus, § 27 A M G gewähre zum einen ein subjektiv öffentliches Recht auf fristgemäße Bescheidung, und zum anderen gehe auch die "angemessene Frist" des § 75 VwGO nicht etwa der ausdrücklichen Befristung des § 27 A M G vor. Da es an effektiven Durchsetzungsmöglichkeiten - z.B. einer Fiktion der Zulassung bei Fristüberschreitung (was vom Schutzzweck des AMG her natürlich kaum vertretbar wäre) - fehlt, sind diese Urteile vor allem im Hinblick auf spätere Amtshaftungsprozesse bedeutsam40. In Reaktion auf die Probleme mit dem Antragsstau hat der Gesetzgeber in der 4. AMG-Novelle 1990 die Möglichkeiten der Heranziehung externen Sachverstandes ausgeweitet und in weiterem Umfang als bisher Änderungen an bereits fiktiv zugelassenen Altarzneimitteln 4 1 ermöglicht, die nur angezeigt werden müssen (§ 25 V AMG, Art. 3 § 7 l i l a A M N G ) 4 2 . Letzteres hat in einigen Fällen offenbar zu mißbräuchlicher Umgehung der Zulassungsvoraussetzungen durch pharmazeutische Unternehmen geführt 43 . Hinzuweisen ist schließlich noch auf Bestrebungen der EG, das Zulassungsverfahren zu zentralisieren 44 . Dies wird von deutscher Seite aus überwiegend skeptisch beurteilt, da laxere Sicherheitsanforderungen und ein noch größerer Antragsstau zu befürchten seien. Angesichts der in anderen EG-Ländern z.T.

36

So Nolting-Lodde, WuR 1991,112; eingehend Mecklenburg, BGesBl 1990,279 (280 ff.)

37

Westhoff, Lücken im AMG, SZ Nr.90/1992, S.49. Nach der Veröffentlichung im BGesBl 1992,167 hat das BGA von 1987 bis 1991 151 neue Stoffe in 242 Daireichungsfonnen zugelassen. 1992 waren es lt. BGesBl 1993,163 f. 37 neue Wirkstoffe. 38

WuR 1991,110

39

Hiltl, PhR 1991,112 (119);. SMüller, Berlin, WuR 1991,110.

PhR 1991,226; Nolting-Lodde,

WuR 1991,112; OVG

40 Hiltl, PhR 1991,112 (119); SMüller, PhR 1991,226 ff. - vgl. auch den dritten Leitsatz des OVG Berlin: keine Pflicht des Gerichtes, die Sache spruchreif zu machen. 41

Dazu s.u. 3.c.

42

Dazu Borchmann, MedR 1991,17 (23).

43

So Westhoff,

44

Vgl. dazu Baß, BGesBl 1990,278.

SZ Nr.90/1992, S.49. Ähnlich audi Rostalski, ErsK 1992,429 (430).

A Die Vorschriften des AMG

29

wesentlich strengeren Zulassungsanforderungen dürfte Grundlage von Befürchtungen aber eher die - vor allem auf nationalen sozialrechtlichen Regelungen beruhende - weitgehende Abschottung der Arzneimittelmärkte Europas voneinander sein 45 .

2. Inhaltliche Zulassungskriterien Im Jahre 1965 gab die Erste Pharmazeutische Richtlinie der E G 4 6 den Mitgliedstaaten eine materielle Überprüfung von Arzneimitteln auf. Das A M G 1976 kommt dem mit den drei Begriffen der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit (§ 1 AMG) nach. An ihnen orientieren sich die zentralen materiellen Zulassungsversagungsgründe des § 25 I I 1 Nrn. 3,4,5, und auf sie beziehen sich auch die nach § 22 I I vorzulegenden Prüfungsunterlagen. Als unbestimmte Rechtsbegriffe sind die Kriterien verwaltungsgerichtlich voll nachprüfbar 47 .

a) Qualität Aus juristischer Sicht am griffigsten ist das Qualitätsmerkmal 48 , das in § 4 X V A M G eine Legaldefinition erhalten hat. Danach ist Qualität die Beschaffenheit eines Arzneimittels, die nach Identität, Gehalt, Reinheit, sonstigen chemischen, physikalischen, biologischen Eigenschaften oder durch das Herstellungsverfahren bestimmt wird. Vor allem soll mit dem Merkmal die gleichbleibende Zusammensetzung und Eigenschaftsbestimmung gewährleistet werden. Das hat hauptsächlich Bedeutung für Arzneimittel, die als Nachahmerprodukte unter einer chemischen oder internationalen Bezeichnung als sog. Generica auf den Markt kommen 49 und deren dem Markenprodukt entsprechende Bioverfügbarkeit 50 zuweilen in Zweifel gezogen wird 5 1 . Eine zu-

43

Reicherzer, Die Zeit vom 3.4.1992, S.32.

46

65/65/EWG vom 26.1.1965, ABl EG Nr.22,9.2.1965, S.369/65.

47

Hart/Hilke

48

EingehendHefendehl, BGesBl 1990,283.

49

Hart/Hilken/Merkel/Woggan,

30

n/Merkel/Woggan,

Recht des Arzneimittelmarktes, S.25 ff.

Recht des Arzneimittelmarktes, S.62 f.

Bioverfiigbarkeit ist die Geschwindigkeit, mit der der therapeutisch wirksame Bestandteil eines Arzneimittels aus der Arzneiform freigesetzt und resorbiert bzw. am Wirkungsort verfügbar wird Pschyrembel, S.188.

30

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Arzneimittelversorgung

sätzliche Vereinheitlichung der Qualitätsanforderungen wird neben den Arzneimittel-Prüfrichtlinien nach § 26 AMG noch durch das Arzneibuch erreicht, welches eine Sammlung pharmazeutischer Regeln über Qualität, Prüfung, Lagerung, Abgabe und Bezeichnung von Arzneimitteln darstellt und vom Bundesgesundheitsminister als Rechtsverordnung erlassen wird (§55 AMG).

b) Wirksamkeit aa) Inhalt Ein Wirksamkeitsnachweis für Arzneimittel wurde zuerst 1962 in den USA vorgeschrieben, was den USA in Verbindung mit einer verzögerten Behandlung des Zulassungsantrags für den Contergan-Wirkstoff Thalidomid im Vorfeld eine Katastrophe wie in Deutschland ersparte. Die Einführung des Nachweises mit dem A M G 1976 war gleichwohl mit einiger, auch verfassungsrechtlicher Kritik verbunden. Vor allem fürchteten die Anhänger der besonderen Therapierichtungen um ihre Zukunft 5 2 . Die Formulierung des Gesetzes ist dementsprechend vom Wortlaut her wenig eindeutig ausgefallen. Einerseits sieht der Versagungsgrund des § 25 I I 1 Nr.4 A M G vor, die Zulassung nicht zu erteilen, wenn "dem Arzneimittel die vom Antragsteller angegebene therapeutische Wirksamkeit fehlt oder diese nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse vom Antragsteller unzureichend begründet ist". Andererseits legen die Sätze zwei und drei des gleichen Absatzes fest, daß die Zulassung nicht deshalb versagt werden darf, "weil therapeutische Ergebnisse nur in einer beschränkten Zahl von Fällen erzielt worden sind. Die therapeutische Wirksamkeit fehlt, wenn feststeht, daß sich mit dem Arzneimittel keine therapeutischen Ergebnisse er-

51 52

Und zwar nicht nur von Ärzten: vgl. den Hinweis beim SVR KAiG, JG 1988, S. 151 ff.

Zu den besonderen Richtungen (Phytotherapie, Homöopathie und anthroposophische Richtung) unten 3.a. - Die verfassungsrechtlichen Bedenken stützten sich einerseits - insoweit nicht nur die besonderen Therapierichtungen betreffend - auf Art. 12 I, andererseits auf Art. 5 H I GG. Die Zulassung sei eine Berufsausübungsregelung und müsse von daher dem Veihältnismäßigkeits- und Bestimmtheitsgrundsatz genügen (Bedenken hiergegen bei Gall was, ZRP 1975,113 (115)), vgl. Plagemann, Wirksamkeitsnachweis, S.98f. Fn.221 und BVerwGE 71,168. Art. 5 m GG verbiete dem Staat, sich als Wissenschaftsrichter zu gebärden und die grundsätzlich notwendige Offenheit in der Wahrheitsfindung zu überspielen (v.Kirchbach, Wissenschaftsfreiheit und Arzneimittelkontrone, S.205; ders., PhR 1986,14 (15); ähnlich auch Kriele, ZRP 1975,260 (261)). Dies gelte jedenfalls dann, wenn der Gesetzgeber auf wissenschaftliche Erkenntnisse ausdrücklich rekurriere, wie etwa in § 25 I I 1 Nm.4,5 A M G (vJCirchbach, aaO. S.206). Zu Art. 5 m GG und den Listen nach SGB V s.u. Kapitel 3, C.

A Die Vorschriften des AMG

31

zielen lassen". Die Gesetzesmaterialien belegen ausdrücklich, daß die Wirksamkeitsprüfung nicht dazu dienen sollte, ganz bestimmte naturwissenschaftliche Nachweisverfahren zu verlangen, sondern der im pharmazeutischen und medizinischen Bereich vorhandene Wissenschaftspluralismus anerkannt und gewährleistet bleiben sollte. Andererseits wird die Einführung des Wirksamkeitsnachweises dadurch gerechtfertigt, daß von unwirksamen Arzneimitteln zumindest die Gefahr ausgehe, daß wirksame Alternativen zu spät oder überhaupt nicht angewendet würden 53 . Für die Auslegung ist zunächst entscheidend, die therapeutische Wirksamkeit eines Arzneimittels (von der § 25 I I 1 Nr.4 spricht) von seinen Wirkungen abzugrenzen. Während mit Wirkungen sämtliche Reaktionen gemeint sind, die in meßbarer, fühlbarer oder sonst erkennbarer Weise durch ein Arzneimittel ausgelöst werden 54 , meint die therapeutische Wirksamkeit eine ärztliche Wertung: Die tatsächlichen Wirkungen werden in Beziehung zum gewünschten Erfolg gesetzt und nach dem Grad bewertet, in dem dieser Erfolg erreicht wird 5 5 . Die therapeutische Wirksamkeit ist also keine Eigenschaft, die entweder ganz vorliegt oder überhaupt nicht, sondern eine vom Indikationsgebiet abhängige Wahrscheinlichkeit. Darüber hinaus ist das Wirksamkeitsurteil im Stadium des Zulassungsverfahrens (nur) eine Momentaufnahme 56 , da Erfahrungen mit einem breiten Anwenderkreis oft erst gemacht werden können, wenn das Mittel auf dem Markt ist 5 7 . Die angedeuteten Probleme des Wahrscheinlichkeitsurteils machen, ebenso wie diejenigen der verschiedenen Indikationen und unterschiedlichen Schulen, deutlich, warum es nicht sinnvoll sein kann, Arzneimittelsicherheit über einen strengen Wirksamkeitsnachweis erzwingen zu wollen, und warum das BGA lange Zeit offenbar von der Faustregel "Wirksamkeit - im Zweifel j a " 5 8 ausgegangen ist. Diese Schwierigkeiten der Wirksamkeitsprüfung zeigen sich auch, wenn eine Dissertation zu (allein) diesem Thema es als die Funktion des unbestimmten Rechtsbegriffs Wirksamkeit beschreibt, außerrechtliche Maßstäbe bei gleichzeitiger Prädominanz der

33 Bericht des zuständigen Bundestagsausschuß, abgedruckt bei Kloesel/Cyran, 49 (Rückseite). 34

§ 25 AMG, Blatt

Schuster, PhR 1981,57 unter Verweis auf G.Füllgrqff.

33

Schuster, PhR 1981,57. Diese Unterscheidung findet sich durchgängig und wird, soweit ersichtlich, nirgendwo bestritten, s. auch BSG, NJW 1992,1584 (1585). 36

Schnieders/Schuster,

PhR 1983,43 (50); Mecklenburg, BGesBl 1990,279.

37

Sog. Phase I V - Prüfung, vgl. dazu die Darstellung der klinischen Prüfimg von Arzneimitteln bei Hart/Hilken/Merkel/Woggan, Recht des Arzneimittelmarktes, S.47 f. und bei Kern, BGesBl 1990,285 (287). 38

Lewandowski, PhR 1984,172 (173).

32

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Arzneimittelversorgung

gesetzlichen Zwecksetzung zu berücksichtigen 59 . Folgen daraus zurückgenommene Maßstabe bei der Zulassungsentscheidung, so ist allerdings der Feststellung beizupflichten, daß insofern Verantwortung auf die Überwachung von Arzneimitteln nach der Zulassung, die sog. Nachmarktkontrolle, abgeschoben w i r d 6 0 . In der Rechtsprechung bildet sich hier unter dem Stichwort des "reduzierten Wirksamkeitsnachweises" eine Linie heraus, die an die vom Hersteller darzulegende Wirksamkeit unterschiedliche Anforderungen stellt, je nachdem, ob Erfolge für das zu bekämpfende Krankheitsbild besonders schwierig nachweisbar und inwieweit Heilungen bisher überhaupt möglich sind (dann kann bereits eine Verlangsamung des Krankheitsprozesses die Wirksamkeit begründen) 6 1 .

bb) Streitpunkte Konkret geworden sind unterschiedliche Ansichten zur Wirksamkeitsprüfung vor allem in drei Zusammenhängen. Deren erster ist die Beweislastfrage. Im Jahre 1979 äußerte das BVerwG 6 2 in einer Kostenentscheidung die Ansicht, das BGA habe die Unwirksamkeit eines Arzneimittels zu beweisen, wenn es die Zulassung versagen wolle. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut des § 25 I I 2,3 A M G und daraus, daß § 25 Versagungsgründe und nicht Zulassungsvoraussetzungen normiere. Auf verfassungsrechtlicher Grundlage war diese Ansicht zuvor schon bei der Diskussion um die Novellierung des A M G 1961 Mitte der siebziger Jahre geäußert worden 6 3 . Diese Interpretation wird von der Bundesregierung 64 ebenso wie von einem großen Teil des Schrifttums 65 abgelehnt, da sie gerade unter Berücksichtigung des Charakters als Wahrscheinlichkeitsurteil die Aufgabe des

39

Plagemann, Wirksamkeitaiachweis, S. 17.

60

Hart/Hilken/Merkel/Woggan,

Recht des Arzneimittelmarktes, S.78.

61

VG Berlin, FhR 1993,183 (187 ff.) unter Berufung auf OVG Berlin vom 16.5.1990, 5 S 124.89. Ähnlich auch OVG Berlin, PhR 1991,362 (366). 62

BVerwGE 58,167 (177 f.), Vitorgan-Besdüuß.

63

Kriele, NJW 1976,355 (358): Die Beweislastverteilung müsse berücksichtigen, daß Art. 5 m GG dem Staat eine Identifikation mit bestimmten wissenschaftlichen Richtungen verbiete. 64

Erfahrungsbericht mit dem A M G 1976, BT-Drs. 9/1355 vom 12.2.1982 unter 2.5.5.1.

63

Kloesel/Cyran,

§ 25 AMG, Anm. 37 ff. rnw.N.; Sander/Köbner,

§ 25 AMG, Anm.6, S.9.

A Die Vorschriften des AMG

33

Wirksamkeitskriteriums überhaupt bedeute. Nach Systematik des A M G und dem Wortlaut der §§ 21, 22 A M G dürfte es richtig sein, zwar von Anforderungen an den Wirksamkeitsnachweis auszugehen, die nicht übermäßig hoch liegen, deren Belegung aber vom Antragsteller zu erwarten 66 . In diese Richtung gehen auch neuere Entscheidungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit 67. Ein weiterer Diskussionspunkt ist das Verhältnis der therapeutischen Wirksamkeit in der Zulassung zu anderen Vorschriften, bei denen die Wirksamkeit von Arzneimitteln ebenfalls eine Rolle spielt. In diesem Zusammenhang sind zu nennen die §§ 69 I Nr.3 AMG, 368p RVO (Arzneimittel-Richtlinien) bzw. 34 SGB V (Negativliste) sowie, besonders in jüngerer Zeit streitig geworden, § 39 b l AMG. § 69 A M G regelt die Befugnisse der Landesbehörden, gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen zu treffen. Soweit die Vorschrift behandelt wird, wird vom Vorrang des BGA für zugelassene Arzneimittel ausgegangen. Dieser wird allerdings nicht mit einer Bindungswirkung der Zulassung nach §§ 21 ff. A M G begründet, sondern mit der dem BGA allein zugewiesenen Kompetenz zur Entscheidung über die Verkehrsfähigkeit von Arzneimitteln 68 . In § 34 SGB V findet sich die Ermächtigung, solche Arzneimittel von der Verordnungsfahigkeit im Rahmen der GKV unter dem Gesichtspunkt der Unwirtschaftlichkeit auszuschließen, die nicht erforderliche Bestandteile enthalten oder deren therapeutischer Nutzen nicht nachgewiesen ist. Deren Beurteilung ist das eigentliche Thema dieser Arbeit. Auf die Problematik, die sich aus der sachlichen Nähe dieser Kriterien zur therapeutischen Wirksamkeit des § 25 I I 1 Nr.4 A M G ergibt, wird deshalb unten 6 9 ausführlicher eingegangen. Die Rolle der Transparenzkommission nach §§ 39a ff. A M G und ihre - umstrittene - Kompetenz zu einem eigenen Wirksamkeitsurteil wird ebenfalls weiter unten angesprochen 70.

66

In da* Sache ähnlich MJiamsauer, Staatliche Ordnimg, S.42 ff; von einer "beweisrechtlichen Patt-Situation" spricht Deutsch, Arztrecht und Arzneimittelrecht, S.350. 67 OVG Berlin, PhR 1991,262: Der Hersteller habe den Wahrscheinlichkeitsgrad darzulegen, dafür sei ein objektivierbares Wahrscheinlichkeitsuiteil erforderlich. Neuerdings ist auch das BVerwG (PhR 1994,77) von der These aus dem Vitorgan-Beschluß abgerückt. Es geht unter Berufung auf § 25 I I 1 Nr.4 2.Alt. nunmehr davon aus, daß eine Zulassungsversagung möglich ist, wenn der Hersteller die therapeutische Wirksamkeit nicht ausreichend belegt hat. 68

M.Ramsauer, Staatliche Ordnung, S.84 ff.

69

S.u. Kapitel 3 A und dort insb. m . 1 .b.

70

Unten HL

3 Philipp

34

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Arzneimittelversorgung

Schließlich unterscheiden sich die Inhalte, die dem Begriff der therapeutischen Wirksamkeit gegeben werden, auch schon auf der Ebene der einfachen Gesetzesauslegung. Z.T. wird nämlich der für das jeweilige Indikationsgebiet bereits vorhandene Stand der pharmakologischen und medizinischen Wissenschaft in den Wirksamkeitsbegriff dergestalt einbezogen, daß als therapeutisch wirksam i.S. des § 25 I I 1 Nr. 4 nur solche neuen Arzneimittel gelten sollen, die bereits bekannten Mitteln zumindest ebenbürtig 71 sind oder doch eine im Vergleich zum Stand der Wissenschaft angemessene Wirksamkeit erreichen 72 . Diese Ansichten werden in Literatur 73 und Rechtsprechung 74 nicht geteilt. Der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen weist daraufhin, daß Arzneimittel neben der medizinischen auch eine psychologische Wirkung haben und deshalb auch schwach wirksame Mittel erhältlich sein müssen 75 . Dem ist zuzustimmen, denn das A M G soll, soweit es alleine um Wirksamkeit geht, nur vor den Risiken unwirksamer Arzneimittel schützen. Jedenfalls im Grundsatz ergibt sich diese Einordnung auch aus der gesetzgeberischen Begründung der Transparenzlisten 76 , wonach diese im Gegensatz zum Wirksamkeitsurteil der Zulassung vergleichenden Charakter haben sollen. Die Bewertung (des Grades) der therapeutischen Wirksamkeit eines Arzneimittels gehört systematisch aber zum dritten Merkmal, der Unbedenklichkeit, hinzu 7 7 .

c) Unbedenklichkeit Im Gegensatz zur Wirksamkeit wird die Unbedenklichkeit 78 durch das A M G selbst in § 5 I I umschrieben: Bedenklich sind Arzneimittel, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, daß sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche

71

Plagemann, Wirksamkeitsnachweis, S.78, 87 ff., 168.

72

Schwerdtfeger,

Bindungswirkung, S.27 ff.

73

Zusammenfassend und mw.N. Hart/Hilken/Merkel/Woggan. S.67 ff. ("absoluter Wirksamkeitsbegriff').

Recht der Arzneimittelmarktes,

74

BVerwGE 58,167 (177); BVerwG, PhR 1994,77 ff, OVG Berlin, PhR 1991,362 (366).

73

JG 1987, Ziff. 195.

76 Abgedruckt bei KJoesel/Cyran, § 39 a AMG; aktueller und ausdrücklich so auch die Begründung zu § 92a SGB Vn.F. im GSG, BT-Drs. 12/3608, S.92. 77

Hart/Hilken/Merkel/Woggan,

78

S. die Darstellung bei Thier, ZSR 1989,61 (73 ff).

Recht des Arzneimittelmarktes, S.69.

35

A Die Vorschriften des AMG

Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen. Daran knüpft der Versagungsgrund des § 25 I I 1 Nr.5 an 7 9 . Inhaltlich geht es also um eine Abwägung zwischen therapeutischer Wirksamkeit und schädlichen Wirkungen, wobei erstere überwiegen muß 8 0 . Arzneimittel ohne Nebenwirkungen gibt es praktisch nicht 8 1 . Wie erhärtet der begründete Verdacht schädlicher Wirkungen sein muß, um die Zulassung zu versagen oder zu entziehen (§ 30 AMG), ist im einzelnen - wie für eine so offene Formulierung nicht anders zu erwarten umstritten 82 . Als Kehrseite und Folge der zurückgenommenen Wirksamkeitskontrolle wird man zu hohe Anforderungen in Richtung einer bewiesenen Kausalität nicht stellen dürfen 83 . Im übrigen soll die im Polizeirecht übliche Formel von den Schäden großen Ausmaßes, die mit einer nur kleineren Eintrittswahrscheinlichkeit zu drohen brauchen als Schäden geringeren Ausmaßes, um ein Eingreifen zu rechtfertigen, auch hier Anwendung finden 8 4 . Es ist ein wichtiger Aspekt, daß nach der Rechtsprechung 85 zwar nicht auf der Ebene des Wirksamkeitskriteriums (absoluter, nicht relativer Wirksamkeitsbegriff), wohl aber bei der Unbedenklichkeit, ein Vergleich zwischen Wirksamkeiten verschiedener Arzneimittel eines Indikationsgebietes vorzunehmen ist. Dies erklärt sich aus der Umschreibung der Unbedenklichkeit als Vertretbarkeit der (möglichen) schädlichen Nebenwirkungen gegenüber der in Anspruch genommenen bzw. belegten Wirksamkeit. Nebenwirkungen dürfen nämlich nur dann toleriert werden, wenn nicht andere Wirkstoffe gleicher oder besserer Wirksamkeit mit geringeren oder nahezu ohne Nebenwirkungen zur Verfügung stehen. Anders ausgedrückt fließt die Wirksamkeit neben Indi-

79 KJoesel/Cyran, marktes, S.81.

§ 25 AMG, Anm.54; Hart/Hilken/Merkel/Woggan,

80

KJoesel/Cyran,

81

Pabel, Kurzdarstellung, S.129.

82

Hart/Hilken/Merkel/Woggan,

Recht des Arzneimittel-

§ 25 AMG, Anm.55,56.

Recht des Arzneimittelmarktes, S.85 ff. m.w.N.

83

KJoesel/Cyran, § 25 A M G Anm.59; Lewandowski, PhR 1984,172 (173) mit dem zweiten Teil der (zitierten) Formel "Im Zweifel Wirksamkeit ja, im Zweifel aber auch Risiko ja.". 84

Etwa KJoesel/Cyran, § 25 AMG, Anm.59 und Mecklenburg, BGesBl 1990,279; kritisch, vor allem zur Einbeziehung des "Verdachts" in dieses Schema, Hart/Hilken/Merkel/Woggan, Recht des Arzneimittelmarktes, S.87 f. 83

VG Berlin, PhR 1993,183 (191 f.) unter Berufung auf BVerwG, Buchholz 424.4 Nr.l.

36

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Arzneimittelversorgung

kationsanspruch und Bedeutung dieser Indikation in den Nutzen bei der erforderlichen Nutzen-Risiko-Abwägung ein 8 6 . In Anbetracht der Umstände, daß die Nutzen-Risiko-Bewertung sich mit der Markteinführung anderer neuer Medikamente verändern kann und viele Risiken überhaupt erst bei breiter Anwendung entdeckt werden können, liegt die eigentliche Bedeutung des Unbedenklichkeitsmerkmals weniger in der Zulassungsentscheidung als in der Nachmarktkontrolle 87 . Daß deren effektive Anwendung im Einzelfall recht schwierig sein kann, zeigen die Geschichten des Schlafmittels Halcion 8 8 und der Knorpelschutzmittel Arteparon und Arumalon89.

3. Sonderregelungen für einzelne Arzneimittelgruppen a) Besondere Therapierichtungen

90

Wie bereits im Zusammenhang mit dem Wirksamkeitsnachweis erwähnt, sollte das A M G 1976 sich nicht zu Lasten des Wissenschaftspluralismus in der Medizin auswirken. Im Hinblick auf die besonderen Therapierichtungen Phytotherapie, Homöopathie und anthroposophische Medizin hat der zuständige Bundestagsausschuß dementsprechend das "jahrhundertealte Erfahrungswissen" dieser Therapieformen ausdrücklich anerkannt 91 . Der damit

86 Hart/Hilken/Merkel/Woggan, Recht des Arzneimittelmarktes, S.88 f., zum Altemativenvergleich ausdrücklich auf S.89. Ähnlidi auch Kloesel/Cyran, § 25 Anm.56 und Thier, ZSR 1989,61 (75 f.). 87

Hart/Hilken/Merkel/Woggan,

88

Dazu SZ vom 27.2.1992, S.43.

Recht des Arzneimittelmaiktes, S.85,90 f.

89

V g l Westhoff, Knorpelschutzmittel vorläufig verboten, SZ vom 17.6.1992, Teil Umwelt-Wissenschaft-Tedmik, S.IV und ders., Wirbel um Knorpelschutzmittel, SZ vom 25.6.92 sowie VG Berlin vom 22.12.1992, FhR 1993,183 zu Animalai; sowie SZ vom 8.7.1992, S.56 und vom 9.7.1992, S.37 zu Arteparon: der Hersteller zog in (jedenfalls zeitlichem) Zusammenhang mit zwei Todesfallen ungeklärter Ursache das Mittel zurück, nachdem zuvor Versuche des BGA, das Mittel wegen Bedenklichkeit zu verbieten, an den Verwaltungsgerichten gescheitert waren. 90 Einen guten Einblick in die Ansätze und Unterschiede dieser Therapiefonnen gibt Claußen, FhR 1984,247. Die Phytotherapie steht der Schulmedizin am nächsten, während Homöopathie und Anthroposophie ein je eigenes Menschen- und Krankheitsbild zur Grundlage haben. S. auch die Darstellungen bei Zuck, NJW 1991,2933 (2934) und bei Franz, Natuiheilmittel und Recht, S. 13 ff. 91

Zitiert nach Kloesel/Cyran, § 25 AMG. - Ein aktuelles Beispiel für Wirksamkeit bietet das Malariamittel Artemisin, das aus einer chinesischen Pflanze hergestellt wird: ohne Verf., BGesBl 1992,355.

A Die Vorschriften des AMG

37

postulierte 'Tendenzschutz" 92 wird gesetzestechnisch dadurch erreicht, daß die Sachverständigen in den Zulassungskommissionen gem. § 25 V I A M G auf den jeweiligen Anwendungsgebieten, auf dem Gebiet der jeweiligen Stoffgruppe und in der jeweiligen Therapierichtung über wissenschaftliche Kenntnisse verfügen und praktische Erfahrungen gesammelt haben müssen (§ 25 V I 6 AMG). Es entscheiden demnach nicht Schulmediziner über ihnen fremde Therapieformen. Der durch die 4. AMG-Novelle 1990 angefügte § 22 I I I 2 verstärkt diesen Schutz insofern, als die "medizinischen Erfahrungen der jeweiligen Therapierichtungen" zu berücksichtigen sind, wenn bei der Zulassung bereits bekannter Wirkstoffe alternativ anderes als das nach § 22 I I A M G grundsätzlich verlangte wissenschaftliche Erkenntnismaterial (aus der analytischen, pharmakologisch-toxikologischen und klinischen Prüfung) vorgelegt werden kann. Für homöopathische Arzneimittel hat der Gesetzgeber unter den engen Voraussetzungen der §§ 38,39 A M G die Möglichkeit vorgesehen, die Verkehrsfähigkeit ohne Zulassung zu erlangen. Diese Mittel bedürfen nur der Registrierung beim BGA, dürfen dann aber auch keine bestimmten Indikationsgebiete für sich beanspruchen (§ 1 0 I V AMG). Alles in allem kann von einer vermittelnden Position des Gesetzgebers im Streit der medizinischen Richtungen gesprochen werden 93 . Erleichterungen in der Zulassung beziehen sich im Grundsatz nur auf die Wirksamkeit, nicht auf die Unbedenklichkeit 94 (s. § 39 AMG), und auch hinsichtlich ersterer wird die Einschätzung, allopathische Arzneien würden "härter" geprüft 95 , aus dem Gesetz nur bedingt nachvollziehbar. Akzeptiert wird das den besonderen Therapierichtungen jeweils zugrundeliegende Konzept, nicht aber jede mögliche Folgerung 96 . Das kann gerade bei der Berufung auf "jahrhundertealtes Erfahrungswissen" aber zu Schwierigkeiten führen 97 .

92

Pabel, Kurzdarstellung, S.132.

93

Kloesel/Cyran,

§ 25 AMG, Anm.46.

94

Zum Verbot eines Phytotherapeutikums durch das BGA vgl. Westhoff, SZ vom 25.6.1992, S.46 zu den Pyrrolizidm-Alkaloiden, die etwa im Huflattich oder Pestwurz natürlich vorkommen, aber offenbar in verschiedener Hinsicht hochgiftig sind. Hierzu auch Zuck, NJW 1991,2933 (2937). 93

Hart/Hilken/Merkel/Woggan,

96

Vgl. dazu Keller, BGesBl 1990,297 (301).

97

Recht des Arzneimittelmarktes, S.91.

Vgl. den Erfahrungsbericht der Bundesregierung mit dem A M G 1982, nach Sander/Köbner A m , S.68. - s. aber auch das Beispiel, daß sich ein homöopatisches Arzneimittel in der klinischen Prüfimg bewähren konnte bei Stössel, SZ vom 10.9.1992, S.47. Zur Vorgehensweise und Problemen bei der (Nach)zulassung von Natuiheilmitteln s. Franz, Natuiheilmittel und Recht, S. 187 ff., 190 ff.

38

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Arzneimittelversorgung

b) Kombinationspräparate Nachdem im Jahr 1986 § 22 l i l a und im Jahr 1990 der Versagungsgrund nach § 25 I I 1 Nr. 5a ins A M G aufgenommen wurden, nehmen auch die Kombinationspräparate - das sind Arzneimittel mit mehr als einem arzneilich wirksamen Bestandteil - eine gewisse Sonderstellung ein. Es ist jetzt für jeden einzelnen Bestandteil gesondert zu belegen, daß er einen Beitrag zur positiven Beurteilung des Mittels leistet, gelingt dies nicht, so kann die Zulassung versagt werden. Die Regelungen werden verständlich, wenn man weiß, daß in Deutschland traditionell sehr viel mehr mit Kombinationspräparaten therapiert wird als in anderen Ländern 98 . Bei den Neuzulassungen sind die Kombinationsarzneimittel bei weitem nicht mehr so stark vertreten, so daß es sich im wesentlichen um ein Problem des Altmarktes handelt 99 . Die zunehmend kritische Einstellung der gesetzgebenden Organe spiegelt sich auch in der entsprechenden Ergänzung der Zweiten Pharmazeutischen Richtlinie der EG von 1975 im Jahre 1983 1 0 0 und in der amtlichen Begründung zur zweiten AMGNovelle 1986 wider: jeder Wirkstoff beinhalte auch die Gefahr zusätzlicher unerwünschter Nebenwirkungen 101 . Der heutige § 25 I I 1 Nr.5a war 1984 noch abgelehnt worden.

c) Altmarkt Als das A M G 1976 am 1.1.1978 in Kraft trat, wurden ca. 150000 verschiedene Arzneimittel in der Bundesrepublik vertrieben 102 . Als Übergangsregelung wurde eine fiktive Zulassung vorgesehen, sofern eine entsprechende Anzeige durch den Hersteller erfolgte (Art. 3 § 7 II, I I I AMNG). Ein Zulassungsverfahren war insoweit nicht erforderlich. Diese Fiktivzulassung sollte ursprünglich gem. Art. 3 § 7 I I I 1 AMNG zwölf Jahre gelten und wurde dann bis 30.4.1990 verlängert. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte entweder die Verlängerung der Fiktivzulassung unter Beifügung aller Unterlagen, die auch für eine

98 Hart/Hilken/Merkel/Woggan, Recht des Arzneimittelmarktes, S.93 f. mit einigen Zahlenbeispielen; s. auch Deutsch, Arztrecht und Arzneimittelrecht, S.359: 81 % der 122000 im Jahre 1990 fiktiv zugelassenen Arzneimittel seien Kombinationspräparate gewesen. 99

Dazu unten c).

100

83/570/EWG, En^fehlung des Rates vom 26.10.1983.

101

So die amtl. Begr. nach KJoesel/Cyran,

102

Westhoff,

§ 22 und dies., Anm.56 ff.

Lücken im AMG, SZ Nr.90/1992, S.49.

A Die Vorschriften des AMG

39

Neuzulassung erforderlich gewesen wären, mit Ausnahme derer über die pharmakologische-toxikologische sowie klinische Prüfung, beantragt werd e n 1 0 3 . Bis zur Entscheidung über den Verlängerungsantrag gilt die Fiktivzulassung f o r t 1 0 4 . Die andere Möglichkeit war der Antrag auf (Nach-)zulassung mit der Folge eines ganz normalen Zulassungsverfahrens 105. Wurde von keiner der beiden Möglichkeiten Gebrauch gemacht, so verlor das Mittel Ende 1992 seine Verkehrsfähigkeit, Art. 3 § 7 I I I 3 AMNG. Um den Markt schrittweise zu bereinigen, war die Nachzulassung vorgeseh e n 1 0 6 . Deren Vorbereitung obliegt den - nicht mit den Zulassungskommissionen nach § 25 V I A M G zu verwechselnden 107 - Aufbereitungskommissionen nach § 25 V I I AMG. Sie verabschieden sog. Aufbereitungsmonographien, die dann als Grundlage der Entscheidung über die Nachzulassung dienen sollen. Ein anderes Instrument zur Marktbereinigung ist die Standardzulassung nach § 36 A M G 1 0 8 . Im Jahr 1990 soll sich die Zahl der Fiktivzulassungen immer noch auf 122000 1 0 9 belaufen haben. Die vierte AMG-Novelle brachte daraufhin einige Erleichterungen in der Anpassung von (auch fiktiv) zugelassenen Arzneimitteln an Aufbereitungsmonographien (Art. 3 § 7 l i l a AMNG), die nicht mehr zulassungs-, sondern nur noch anzeigepflichtig ist. Als "Sonderreger ist damit festzuhalten, daß bis heute eine ganz erhebliche Zahl der verkehrsfahigen Medikamente kein ordentliches Zulassungsverfahren durchlaufen hat, sondern fiktiv zugelassen ist.

4. Nachmarktkontrolle Es sollte deutlich geworden sein, daß sich Arzneimittelsicherheit nicht allein durch eine einmalige Zulassungsentscheidung gewährleisten läßt. Insbesondere die Phase IV-Prüfung im Zusammenhang mit der Wirksamkeit und die

103

Pabel, Kurzdarstellung, S.133; Will, PhR 1990,94 (102).

104

Pabel, Kurzdarstellung,S. 133.

105

Schwerdtfeger,

Pluralistische Armeimittelbeuiteilung, S.9 ff.

106

Deutsch, Arztrecht und Arzneimittelrecht, S.359; ausführlich hierzu Holz-Slomczyk, 1990,292. 107

Obwohl z.T. identisch besetzt.

108

Dazu Wendt, BGesBl 1990,290.

109

Deutsch, Arztrecht und Arzneimittelrecht, S.359.

BGesBl

40

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Areimittelversorgung

Feststellung von möglichen Nebenwirkungen im Rahmen der Unbedenklichkeit sind auf eine Überwachung der bereits im Verkehr befindlichen Arzneimittel angewiesen. Letzteres ergibt sich bereits daraus, daß Nebenwirkungsermittlung so systematisch wie die Erforschung der auf bestimmte Indikationen bezogenen Wirksamkeit gar nicht möglich i s t 1 1 0 . Aus diesem Grund stellt das A M G ein umfängliches Instrumentarium zur Nachmarktkontrolle zur Verfugung. Erstens ist die Zulassung eines Arzneimittels gem. § 31 I Nr. 3 A M G auf fünf Jahre befristet, wenn nicht rechtzeitig ein Verlängerungsantrag gestellt wird, dem ein Bericht über die Beurteilungsmerkmale des Mittels beigefügt werden muß (§ 31 I I AMG). Auffallig ist, daß in § 31 III, der den Anspruch auf Erteilung der Verlängerung regelt, nicht auf den möglichen Versagungsgrund der fehlenden therapeutischen Wirksamkeit Bezug genommen wird, wie das für die übrigen Versagungsgründe des § 25 I I der Fall ist. Stattdessen verweist § 31 I I I insoweit auf die jederzeit anwendbaren Vorschriften über Rücknahme und Widerruf der Zulassung (§30 AMG). Soweit die Literatur auf diesen Umstand eingeht 1 1 1 , nimmt sie an, daß die Feststellungslast hinsichtlich der (fehlenden) Wirksamkeit bei der Verlängerung nicht beim Antragsteller, sondern bei der Behörde liege. Das erscheint aus dem Gesetzeswortlaut als plausibel, so daß die Zulassungsentscheidung bezüglich des Wirksamkeitsurteils eine gesteigerte Bestandskraft genießt 112 . Teilweise findet § 31 derzeit noch keine Anwendung, namentlich soweit die oben beschriebene Altmarktregelung des Art. 3 § 7 A M N G eingreift 1 1 3 . Die weitere Regelung der Nachmarktkontrolle baut zweitens auf Anzeigepflichten des pharmazeutischen Unternehmers (§§ 29 I, 49 V I AMG) und den - im Gesetz nur ansatzweise in § 62 geregelten - Hinweisen von Ärzten und Apothekern auf. Als Instrumente stehen der Behörde die detaillierte Auflagenermächtigung des § 28 A M G sowie die Möglichkeit der Rücknahme bzw. des Widerrufs der Zulassung nach § 30 A M G zur Verfügung. Zuweilen macht das

110 Hart/Hilken/Merkel/Woggan, Recht des Arzneimittelmarktes, S.106; zur Bedeutung der Nachmarktkontrolle auch dies., ebd., S.29: Zulassung und Nachmarktkotrolle als die beiden Komplexe des Arzneimittelsichaheitsrechts. 111

Sander/Köbner,

§ 31 AMG, Anm.8; Hart, Eigenständige Wirksamkeitsbeuiteilung, S. 19 f.

112

Allerdings ist dabei nicht die absolute Unwirksamkeit zu beweisen (was unmöglich wäre), sondern bloß die bisherige Wirksamkeitsbegründung zu widerlegen, vgl. Schwerdtfeger, Pharm Ind. 54 (1992),1,89 (90). 113

Kloesel/Cyran,

§ 31 AMG, Anm.15.

A. Die Vorschriften des AMG

41

BGA in einschlägigen Fällen von der Möglichkeit des § 30 I A M G Gebrauch, die Zulassung befristet ruhen zu lassen 114 . Das Verfahren der Nachmarktkontrolle zeichnet sich durch eine dezentrale Zuständigkeitsverteilung zwischen Gesundheitsministerium (Verschreibungspflichtigkeit nach § 48 AMG), BGA (Produktüberwachung nach §§ 62 f. AMG) und Landesbehörden ("allgemeine" Überwachung gem. §§ 64 ff. AMG) aus 1 1 5 . Der in § 63 A M G vorgesehene Stufenplan ist 1980 erlassen worden 1 1 6 und beinhaltet Vorschriften über die Zusammenarbeit der beteiligten Stellen, die Informationswege und mögliche Maßnahmen auf den verschiedenen Gefahrenstufen.

m . Marktorientierte Regelungen im AMG 1. Transparenzkommission Im Oktober 1975 beschloß die Bundesregierung Eckwerte zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes 117 . Auf diesen Beschluß ging auch die Einrichtung der Transparenzkommission beim BGA zurück. Primärzweck der Kommission war die Herbeiführung von pharmakologisch-therapeutischer und preislicher Transparenz auf dem Arzneimittelmarkt (so bis zum 31.12.1992 auch § 39 b I AMG). Der Dominanz der Anbieterseite auf dem Arzneimittelmarkt sollte durch ein objektives und neutrales Informationsmedium entgegengewirkt werd e n 1 1 8 , in welchem den Ärzten eine Übersicht über Eigenschaften und Preis verschiedener Arzneimittel indikationsbezogen zur Verfügung gestellt werden sollte. Letztlich stand die Erwartung dahinter, die damals im europäischen Vergleich sehr hohen Arzneimittelpreise absenken zu können 1 1 9 . Die erste Transparenzliste erschien Ende 1978. Obwohl, möglicherweise bedingt durch die Veröffentlichung im in der medizinischen Praxis wenig verbreiteten Bundesanzeiger, die tatsächlichen Effekte der Transparenzlisten offenbar recht

114

Beispiel: Arumalon, SZ vom 17.6.1992, Teil Umwelt-Wissenschaft-Technik, S.IV.

113

Ausführlich M.Ramsauer, Staatliche Ordnung, S.57 ff. und neuerdings Hart, MedR 1993,207.

116

BAnzNr.l 14 vom 26.6.1980.

117

Vgl. BT-Drs. 7/4557, S.5.

118

Quiring, BGesBl 1989,9. Als weiteres Mittel gegen das Versagen der Marktkräfte im Arzneimittelbereich paßte der Gesetzgeber 1978 auch das Heilmittelwerberecht an das A M G 1976 an, vgl. Hart/Hilken/Merkel/Woggan, Recht des Arzneimittelmarktes, S.256. 119

MJiamsauer, Staatliche Ordnung, S.146.

42

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Arzneimittelversorgung

gering blieben 1 2 0 , waren die Veröffentlichungen von Anfang an von gerichtlichen Auseinandersetzungen begleitet. Eines dieser Verfahren fährte dann zum bereits mehrfach zitierten Transparenzlistenurteil des BVerwG, welches in der Veröffentlichung einen Eingriff in die Berufsfireiheit der pharmazeutischen Unternehmer sah, dem keine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage gegenüberstand 1 2 1 . Diese Grundlage wurde vom Gesetzgeber mit der 2.AMG-Novelle in den §§ 39 a-e geschaffen. Bis 1989 waren schließlich 15 Transparenzlisten für verschiedene Indikationsgebiete verabschiedet 122 , bis Ende 1992 ist noch eine weitere hinzugekommen 123 . M i t dem knappen Hinweis in der Gesetzesbegründung zum G S G 1 2 4 , daß das neu zu errichtende Institut "Arzneimittel in der Krankenversicherung" die bisherigen Aufgaben der Transparenzkommission übernehme, wurde die Transparenzkommission durch Art. 17 GSG mit Wirkung zum 1.1.1993 aufgelöst. Allein ihre Geschäftsstelle soll nach Art. 29 GSG vorerst erhalten bleiben, um den B M G beim Erlaß der Rechtsverordnungen nach §§ 34 II, I I I SGB V solange zu unterstützen, bis die Negativliste durch die Positivliste nach § 92a V I I I SGB V n.F. abgelöst w i r d 1 2 5 . In zweierlei Hinsicht hat die Transparenzliste Streitigkeiten hervorgerufen, die in ähnlicher Weise auch die Listen nach SGB V betreffen können: Zum einen stellte sich, weil die vergleichende Darstellung von Therapiekonzepten und Arzneimitteln notwendig eine Beschäftigung mit deren Wirksamkeit voraussetzt 126 , die Frage nach dem Verhältnis zu anderen staatlichen Gremien und Veröffentlichungen, die sich mit diesen Wirksamkeitsproblemen ebenfalls befassen. Die Problematik der inhaltlich weitgehend übereinstimmenden Aufgabenbeschreibung 127 für den Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen 128 , der nach § 368 p RVO a.F. bzw. § 92 SGB V die Arznei-

120

Quiring, BGesBl 1989,9 (10,12); ebenso Kirsch, DOK 1993,167.

121

BVerwGE 71,183 (v. 18.4.1985).

122

Eine Übersicht findet sich bei Quiring, BGesBl 1989,9(11).

123

Kirsch, DOK 1993,167. Deren Veröffentlichung wurde aber von einer Phaxmafirma auf dem Rechtsweg verhindert, da die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage hierfür zum 1.1.1993 entfallen war, s. chne Verfasser, DOK 1993,273. 124

BT-Drs. 12/3608, S. 153.

123

Dazu insgesamt unten B. ü.2.f.bb.

126

So Quiring, in BGesBl 1989,9 (10 f.).

127

Dazu Kirsch, DOK 1993,167: "Paradoxon".

128

Zu diesem Gremium und seinen Richtlinien s.u., B.I.2.C.

A Die Vorschriften des AMG

43

mittel-Richtlinien veröffentlicht, kann zwar als bewältigt gelten, weil das neuzugründende Arzneimittelinstitut alle derartigen Aufgaben bündeln wird. Es bleibt aber das Problem, wie weit eine Bindung an die i m Rahmen der Arzneimittelzulassung getroffene Wirksamkeitsfeststellung bestand bzw. für das Arzneimittelinstitut bestehen wird. Obwohl dieses Problem bereits in den Gesetzesmaterialien zu den §§ 39 a ff. A M G gesehen und dahingehend gelöst wurde, daß die Kommission aus übergreifender Sicht Therapiekonzepte miteinander vergleichen sollte, während die Arzneimittelzulassung nur den einzelnen Wirkstoff bzw. die einzelne Kombination im Blick habe 1 2 9 , ist es gerade in jüngerer Zeit zu unterschiedlichen Stellungnahmen gekommen. Gutachten für das B G A 1 3 0 und den Bundesverband der pharmazeutischen Industrie ( B P I ) 1 3 1 kamen zu recht eindeutigen (aber in Anbetracht der Bestandsschutzinteressen der Hersteller verständlicherweise entgegengesetzten) Abgrenzungsergebnissen, was die Kompetenz der Transparenzkommission zu eigenen Wirksamkeitsbeurteilungen betraf. Die Literatur bejahte die eigene Beurteilung durch die Kommission jedenfalls in Grenzen 1 3 2 , während die Praxis des BGA einen Mittelweg zu versuchen schien. Der Leiter der Geschäftsstelle der Transparenzkommission hielt die Einbeziehung der therapeutischen Wirksamkeit in den Vergleich für unverzichtbar, betonte aber zugleich, daß die von der Zulassungsbehörde einmal bejahte Wirksamkeit nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt werden dürfe 1 3 3 . Schwerdtfeger verwies in seinem Gutachten mehrfach auf die Möglichkeiten, trotz zweifelhafter Wirksamkeit gleichwohl zugelassenen Arzneimitteln i m Rahmen der gewöhnlichen Verlängerung nach § 31 A M G oder ggf. durch Rücknahme und Widerruf gem. § 30 A M G die Verkehrsfähigkeit abzusprechen 1 3 4 . Von daher bestünde ein Bedürfnis nach eigenen Wirksamkeitsbeurteilungen nicht. Dieser Weg bietet der Behörde wegen der dargestellten Fassung des § 31 I I I AMG, die den Versagungsgrund der fehlenden Wirksamkeit gerade nicht k e n n t 1 3 5 , zwar keine über § 30 hinausgehenden Möglichkeiten.

129

Affitl. Begründung, bei Kloesel/Cyran

130

Hart, Eigenständige Wirksamkeitsbeurteilung.

131

Schwerdtfeger,

unter § 39 b AMG.

Wirksamkeitsbeurteilungen, Pharm.Ind. 54 (1992),1

132

Deutsch, Arztrecht und Arzneimittelrecht, S.390 und, diese Kompetenz als selbstverständlich voraussetzend, Hart/Hilken/MerkelAVoggan, Recht des Arzneimittelmarktes, S.261. 133

Quiring, BGesBl 1989,9 (10 f.).

134

Wirksamkeitsbeurteilungen, Pharmlnd. 54 (1992),1,89 (90)

133

Vgl.o.,n.4.

44

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Arzneimittelversorgung

Gleichwohl ist Schwerdtfeger darin zuzustimmen, daß eine starre Ja-Nein-Beurteilung der Wirksamkeit in den Transparenzlisten weder dem pluralistischen Ansatz des AMG, noch den verfassungsrechtlichen Anforderungen (die Transparenzlisten waren nach dem Urteil des BVerwG j a Eingriffe in die Berufsfreiheit der pharmazeutischen Unternehmer) gerecht wurde 1 * 36 . Insofern ging es um die im Transparenzlistenurteil nicht mehr entscheidungserhebliche und infolgedessen unbehandelte Frage nach der materiellen Verfassungsmäßigkeit der Transparenzlisten. Daß eine Regelung mit dem Ziel, auf einem wegen der Erforderlichkeit spezifischer Fachkenntnisse und wegen der unüberschaubaren Zahl von angebotenen Produkten intransparenten Markt dessen Funktionsfähigkeit durch Auflistung und Vergleich zu gewährleisten 137 , die Berufsfreiheit nicht durch unzulässige Zwecksetzung beeinträchtigt, dürfte ohne weiteres einsichtig sein 1 3 8 . Trotzdem waren aber auch dabei die Grundsätze der Eignung und der Erforderlichkeit der jeweiligen Maßnahmen als Ausprägungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu beachten. Namentlich die Erforderlichkeit war aber zweifelhaft, weil das inhaltlich gleiche Kriterium (der therapeutischen Wirksamkeit) mehrfach von verschiedenen Stellen überprüft wurde. Zumal ausgefeilte Vorschriften zum Widerruf bzw. zur Rücknahme der Zulassung existieren ( § 3 0 AMG), kam als milderes Mittel auch verfassungsrechtlich nur in Betracht, sich auf die vergleichende Darstellung der Methoden und Ergebnisse des im Rahmen der Zulassung vom Hersteller erbrachten Wirksamkeitsnachweises zu beschränken 139 . Zweitens wurde die preisliche Vergleichsbasis der Transparenzlisten, die sog. rechnerisch mittlere Tagesdosis (rmTD), als ungeeignet angesehen und gerichtlich angefochten 140 . Vergleichbarkeit ist über die unstreitige Aufteilung des Marktes in Indikationsgruppen hinaus nicht einfach zu gewährleisten. Je nach Darreichungsform, Bioverfügbarkeit und Anwendung eines Medika-

136 Schwerdtfeger, Negativlisten, Pharm Ind. 52 (1990),33 (39) und Wirksamkeitsbeurteilungen, Pharmlnd. 54 (1992),1,89 (91). 137

So Quiring, BGesBl 1989,9 und Amtl.Begründung, BT-Drs.7/4557, S.5 unter Nr.4.

138

Allerdings muß man sich vor dem nahehegenden Mißverständnis hüten, da- Schutzbereich des Art. 121GG könne schon nicht betroffen sein. Denn die Grundrechte verlangen auch und gerade dann Geltung, wenn mehr Freiheit vieler zu Lasten da- Freiheit einzelner ermöglicht werden soll. Bin derartiger Eingriff wird nur einfacher zu rechtfertigen sein. Vgl. hierzu diFabio, JZ 1993,689 (696) rnw.N. und BVerwG, JZ 1993,33 (36). 139 I.E. ähnlich Schwerdtfeger, Phann.lnd. 52 (1990),33,279 (281 f.) - Die Frage, inwieweit dieser Vergleich bereits unter dem Gesichtspunkt der Unbedenklichkeit von der Zulassungsbehörde vorgenommen wurde, soll für die Transparenzlisten nicht weiterverfolgt werden. Vgl. aber unten Kapitel 3, A m . 1 .c. für die Positivliste. 140

Zuletzt OVG Berlin, PhR 1992,19.

A Die Vorschriften des AMG

45

ments im Einzelfall kann es zu Verzerrungen dergestalt kommen, daß Mittel ungerechtfertigterweise als in der Anwendung zu teuer oder zu preiswert erscheinen. Die Rechtsprechung schien sich damit zu helfen, daß der Transparenzkommission ein Beurteilungsspielraum auf der Tatbestandsseite eingeräumt wurde. Der Gesetzgeber schreibe in § 39 b I A M G nur Vergleichbarkeit als solche vor und überlasse das übrige einem pluralistisch, sachverständig und unabhängig zusammengesetzten Gremium (§ 39 c AMG), das in justizähnlicher Weise Entscheidungen treffe. Auf dieser Basis sei die Anwendung des Systems der rmTD nicht zu beanstanden 141 . Da die Positivliste nicht nur die verordnungsfahigen Arzneimittel abschliessend benennen, sondern auch die Funktionen der Transparenzliste übernehmen soll, werden diese Kriterien wohl erneut in die Diskussion geraten, wenn die ersten Veröffentlichungen vorliegen.

2. Packungsgrößen Seit 1.1.1993 ist der BMG ermächtigt, durch Rechtsverordnung nach § 12 I I I AMG, anknüpfend an die arzneilich wirksamen Bestandteile, Packungsgrößen für Arzneimittel zwingend vorzuschreiben. Das erklärt sich aus der ab 1994 sozialversicherungsrechtlich vorgeschriebenen Zuzahlungsregelung für Arzneimittel 1 4 2 , die nach diesen Packungsgrößen gestaffelt werden soll.

141

OVG Berlin, PhR 1992,19 (22).

142

S. dazu u. B.ü.2.a.

46

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Arzneimittelversorgung

B. Die Vorschriften des Sozialversicherungsrechts L Geschichte und Strukturmerkmale 1. Geschichtliche Entwicklung Grundsätzlich kann im Sozialrecht zwischen Fürsorge, Versorgung und Versicherung unterschieden werden. Dabei meint Fürsorge die Unterstützung deijenigen, die für ihren Unterhalt nicht selbst aufkommen können und Versorgung den Ausgleich von Lasten, die sich beim Einzelnen niederschlagen, der Sache nach aber im Verantwortungsbereich aller liegen. Versicherung schließlich äußert sich im kollektiven Schutz vor den möglichen Wechselfallen des Lebens. Beispiele für diese Bereiche sind die Sozialhilfe für Fürsorge, die Kriegsopferentschädigung für Versorgung sowie das Sozialversicherungssystem für die Versicherung 143 . Das Wesen der Sozialversicherung besteht nach dem B VerfG in der gemeinsamen Deckung eines möglichen, in seiner Gesamtheit schätzbaren Bedarfs durch Verteilung auf eine organisierte Vielheit. Im Jahr 1960, zum Zeitpunkt dieser Definition, konnte das BVerfG bereits auf eine gewachsene Tradition der Sozialversicherung und des Sozialversicherungsrechts zurückgreifen, die es ermöglichte, eine allzu enge Begrenzung des "Bedarfs" auf Notleidende und Arbeiter abzulehnen und die Organisation durch Selbstverwaltung vorauszusetzen 144 . Hatten die Wurzeln staatlicher Sozialtätigkeit im Fürsorgebereich gelegen 1 4 5 , so nahmen sich die Gesetzgeber in Deutschland dem Versicherungswesen vorsichtig etwa ab der Mitte des 19. Jahrhunderts an. Im Gefolge der industriellen Revolution zerbrachen die überkommenen gesellschaftlichen Strukturen, die dem Einzelnen mit der Einbindung in Familien-, Arbeits- und Standesabhängigkeiten auch ein mehr oder weniger umfassendes Fürsorgenetz gewährleistet hatten 1 4 6 . Während es bei Bergleuten und Handwerkern bereits ab dem dreißigjährigen Krieg Selbsthilfesysteme mit Versicherungscharakter gegeben hatte, verhielten sich die - jetzt nur noch mit Barlohn abgegoltenen Arbeiter in der Masse passiv und waren, wenn überhaupt, nur über Initiativen

143 Zur Unterscheidung, die natürlich nicht immer trennscharf möglich ist, Wannagat, Lehrbuch, S.40; Baltzer, JuS 1982,247 (253) und ähnlich Schulin, Sozialrecht, § 2. 144

BVerfGE 11,105 (112).

143

Dazu und zum folgenden Peters, Geschichte, S. 18 ff und Wannagat, Lehrbuch, S.40 ff.

146

Wannagat, Lehrbuch,S. 52.

B. Die Vorschriften des Sozialversichengsrets

47

einzelner Arbeitgeber gegen Krankheitsrisiken versichert 147 . Dazu traten von den Gemeinden durchgeführte Versicherungseinrichtungen, so daß schon vor 1850 eine Zersplitterung der Kassenarten bestand. Der legendären Sozialgesetzgebung der Bismarckzeit gingen bereits einige Versuche voraus, die Situation vor allem der Arbeiterschaft zu verbessern. Beispielsweise versuchte 1876 das Gesetz über die eingeschriebenen Hilfskassen bestimmte Mindestleistungen einzuführen und war schon mit der Allgemeinen Gewerbeordnung von 1845 in Preußen die Möglichkeit geschaffen worden, mittels Ortsstatut eine Beitrittspflicht zur Krankenversicherung festzuschreiben, wovon allerdings wenig Gebrauch gemacht wurde. A m 14. Juni 1883 wurde dann das "Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter" verabschiedet. Diesem Gesetz ging die Thronrede Kaiser Wilhelms vom 17.11.1881 148 voraus, in der die späteren Grundprinzipien der Dreiteilung in Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung 149 sowie des gesetzlichen Leistungsanspruchs bereits angelegt waren. Neben der Vereinheitlichung durch den Charakter als Reichsgesetz legte das Gesetz Merkmale fest, die in überraschendem Umfang bis heute Gültigkeit behalten haben. Dazu gehören der Versicherungszwang unterhalb einer bestimmten Einkommensgrenze, die Aufteilung der Beiträge zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (damals im Verhältnis 1/3 zu 2/3) , die entsprechend besetzte Selbstverwaltung, die Bemessung der Beiträge nach dem Arbeitseinkommen (und nicht nach dem persönlichen Risiko) und die "pluralistische" Organisationsstruktur der Kassen, die die bestehende Kassenvielfalt nicht aufhob, sondern in die neue Gesetzeslage einband. Dazu gehören weiterhin die rechtliche Ausgestaltung der Versicherungsträger als juristische Personen des öffentlichen Rechts, die Gewährleistung der Versicherung durch örtlich angesiedelte Träger sowie die prinzipielle Dreiteilung der Leistungsarten nach Krankheitsfall, Schwangerschaft/Geburt und Sterbegeld. Ein weiterer Fortschritt war die beitragsfinanzierte Organisation im Gegensatz zu überkommenen fürsorgerischen Sozialunterstützung, die dem Empfanger eine "Bettlerrolle" zugewiesen hatte 1 5 0 .

147

Peters, Geschichte, S.36 ff.

148

Wieder abgedruckt in BArbBl 1981, Heft 11 S.7; von Wannagat (Lehrbuch S.63) als "Magna Charta der deutschen Sozialversicherung" bezeichnet. 149 130

Letztere allerdings noch anders benannt.

Vgl. eingehend zu den Gesetzesinhalten fVannagat, Lehrbuch S.64 ff; Peters, Geschichte, S.49 ff; Tons, DOK 1983,515 und Tennstedt, SRH, Rz.11 ff

48

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Arzneimittelversorgung

Vor allem, um der befürchteten Simulation durch die Versicherten vorzubeugen, wurde die Versicherung im überschaubaren örtlichen Bereich angesied e l t 1 5 1 , daraus ergab sich aber auch eine Anzahl von ca. 22000 Kassen im Jahre 1908 1 5 2 . Eine Familienversicherung war damals noch in das Ermessen der Kassen gestellt, wurde aber oft als Zusatzleistung eingeführt. Der vorgeschriebene Leistungsumfang beinhaltete im Krankheitsfall freie ärztliche Behandlung und Arzneimittel für längstens 13 Wochen sowie - bei zwei Karenztagen - ein Krankengeld in Höhe von 50 % des durchschnittlichen Arbeitsentgelts. Dagegen waren im Gesetz keine Verfahrensregelungen enthalten 1 5 3 . Ab 1892 hieß das Gesetz in novellierter Form dann Krankenversicherungsgesetz. Der Beitragssatz in der Krankenversicherung betrug 3 - 6 %, und die Quote der Versicherten stieg von etwa 10 % im Jahr 1885 über 18,2 % im Jahr 1902, ca. 21 % 1908 auf über 30 % 1914 1 5 4 . Übrigens ist auch die Zweiteilung des Krankenversicherungssystems in private und gesetzliche Krankenversicherung bereits in der Sozialgesetzgebung der Bismarckzeit angelegt: Schon 1884 waren die gesetzlichen Kassen verpflichtet, bei Erfüllung der übrigen Beitrittsvoraussetzungen jede Person unabhängig vom Risiko zum einheitlichen Beitragssatz aufzunehmen, während die weiterbestehenden Hilfskassen die Beiträge staffeln konnten 1 5 5 . M i t der bis zum ersten Weltkrieg ständig wachsenden Bedeutung der GKV, die sich sowohl in den steigenden Mitgliederzahlen, als auch im sich verbessernden Leistungsumfang niederschlug, war auch das endgültige Ende eines mit der Arbeitsstelle verbundenen Fürsorgenetzes gekommen 156 . Jedenfalls mit seinen zwingenden gesetzlichen Vorschriften übernahm die Verantwortung für diesen Bereich jetzt der Staat. Einen weiteren Einschnitt in der Entwicklung des Krankenversicherungsrechts stellte die Zusammenfassung der Zweige der Renten-, Unfall- und Krankenversicherung unter dem Dach der Reichsversicherungsordnung (RVO) im Jahre 1911 dar. Die Krankenversicherung war fortan als deren zweites Buch geregelt, das am 1.1.1914 in Kraft trat. Während dies für die Krankenversicherung einen weiteren Ausbau der einbezogenen Personen und

131

Tons, DOK 1983,515 (522).

132

Peters, Geschichte, S.75.

133

Vgl. Wannagat, Lehrbuch, S.65 ff.

134

Wannagat, Lehrbuch S.69; Peters, Geschichte, S.60; Tons, DOK 1983,515 (529 f.).

133

Tons, DOK 1983,515 (531).

136

Wannagat, Lehrbuch S.74.

B. Die Vorschriften des Sozialversicherungsrechts

49

Leistungen bedeutete 157 , waren für alle Versicherungszweige neu die Verfahrensvorschriften der RVO (6.Buch) sowie die Neugliederung des Rechtsmittelweges bei den Versicherungsämtern 158 . Die Trennung von Exekutive und Judikative wurde für das Sozialrecht erst 1953 eingeführt 159 . Erst mit dem GRG 1989 wurde das Krankenversicherungsrecht (mit Ausnahme der Vorschriften über die Leistungen bei Schwangerschaft und deren Abbruch) von der RVO in das Sozialgesetzbuch, 5. Buch (SGB V) übernommen. Zur Weimarer Zeit war die GKV Gegenstand verschiedener, teilweise realisierter Reformvorschläge, ohne daß allerdings die Systemgrundsätze angetastet wurden. So war 1923 schon einmal der - heute wieder hochaktuelle - kassenübergreifende Lastenausgleich vorgesehen und wurde 1930 eine Krankenscheingebühr von 50 Pfennig eingeführt. Ab 1931 durften die Kassen keine Mehrleistungen über den gesetzlichen Mindeststandard hinaus mehr erbringen, wenn ihr Beitragssatz über 5 % l a g 1 6 0 . Das Verhältnis der Kassen zu den leistungserbringenden Ärzten, auf das heute ein wesentlicher Teil der Selbstverwaltung entfallt, gehört nicht zum ursprünglichen Regelungsmaterial des Krankenversicherungsrechts, sondern kam erst 1924 in die RVO, nachdem die ersten Ansätze des Berliner Abkommens zwischen Ärzten und Krankenkassen von 1913 zunächst an der Inflation im Gefolge des ersten Weltkriegs gescheitert waren 1 6 1 . Einen Vorläufer des heutigen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen gab es seit 1923, die Abrechnung und Vergütung über zwischengeschaltete kassenärztliche Vereinigungen wurde 1931/32 eingeführt. M i t der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft ist der Begriff der Aufbaugesetzgebung von 1933/34 verbunden. Zwar wurde die Selbstverwaltung zugunsten des Führerprinzips abgeschafft, die Nationalsozialisten führten aber keine Einheitsversicherung ein, so daß das gegliederte Versicherungswesen auch diesen Zeitabschnitt überdauerte 162 . 1938 gab es etwa 30 Millionen Versicherte in 4500 Kassen, der Beitragssatz betrug - immer noch im Verhältnis 1/3 zu 2/3 zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geteilt - etwa 5 %. Die hälftige Aufteilung stammt aus dem Jahr 1949.

137

Peters, Geschichte, S.78 f.

138

Wannagat, Lehrbuch S.85 f.

139

Dazu ausfuhrlich G.Schroeder-Printzen,

160

S. Peters, Geschichte, S.83 ff. zur Weimarer Zeit.

161

Peters, Geschichte, S.87; Wannagat, Lehrbuch S.131 ff

162

Peters, Geschichte, S.105 ff; Wannagat, Lehrbuch S.87 ff; Tennstedt, SRH, Rz60 ff

4 Philipp

DOK 1983,548.

50

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Arzneimittelversorgung

Nachdem die Schwierigkeiten der Nachkriegszeit, namentlich der weitgehende Verlust von Vermögensrücklagen und die zersplitterte Entwicklung in den unterschiedlichen Besatzungsgebieten163, in den fünfziger Jahren an Bedeutung verloren hatten, standen der Neuaufbau mit der Wiedereinführung der Selbstverwaltung, der Einrichtung der Sozialgerichtsbarkeit und der ausdrücklichen Einbeziehung der Kassenärzte in das öffentlich-rechtliche System mit der Einführung des Kassenarztrechts (§§ 368 ff. RVO) 1955 im Vordergrund. 1952 gab es ungefähr 23 Millionen Versicherte, 1957 26 Millionen mit noch einmal 16 Millionen Angehörigen, was einem Bevölkerungsanteil von ca. 80 % entsprach 164 . Am 1.1.1970 waren insgesamt 54 Millionen Personen durch die GKV geschützt, die Zahl der Kassen war auf 1858 gesunken 165 . Auch die Leistungen des GKV wurden kräftig ausgeweitet. Neben - allerdings vom Bund erstatteten - Leistungen an Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft traten die echte Mitgliedschaft der Rentner, die Erhöhung des Krankengeldes auf zunächst 65 % im Jahre 1957 und die Abschaffung der Karenztage 1961 1 6 6 Wuchsen in der Zeit von 1970 bis 1975 noch einmal der Kreis der Zugangsberechtigten und der Leistungsumfang, so stellt spätestens das Jahr 1977 mit dem Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz ( K V K G ) 1 6 7 einen Wendepunkt dar. Seitdem sind die gesetzgeberischen Bemühungen in erster Linie durch die Notwendigkeit von Kosteneinsparungen motiviert. Auf die - mittlerweile vier - großen Anläufe mit diesem Ziel soll gesondert eingegangen werden, nachdem die wesentlichsten Grundzüge des heutigen Rechts der GKV dargestellt sind. Auf dem Gebiet der DDR gliederte sich das Sozialversicherungssystem zuletzt in die Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten mit etwa 85 % der Bevölkerung, die der FDGB verwaltete, und die staatliche Sozialversicherung. Deren Aufgabe war jeweils neben der Kranken- auch die Rentenversorg u n g 1 6 8 . Der Vertrag über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion sah die Übernahme des Systems der bisherigen Bundesrepublik mitsamt der Beitragssätze vor; der Einigungsvertrag brachte die Ausdehnung der Tätigkeit der

163 Peters, Geschichte, S.147. In der sowjetischen Besätzungszme wurde eine staatliche Einheitsversicherung eingeführt, ders., ebd. S.136. 164

Peters, Gesdiidite, S.157 f.

165

Peters, Geschichte, S.163.

166

Wannagat, Lehrbuch S.124 ff.; Peters, Geschichte, S.181.

167

BGBl 1,1977, S. 1069 ff.

168

Schulin, Sozialrecht, S.26.

B. Die Vorschriften des Sozialversicherungsrechts

51

Ersatzkassen auf das Beitrittsgebiet und die Neugründung von Allgemeinen Ortskrankenkassen zum 1.1.1991, die Neugründung von Betriebs- und Innungskrankenkassen wurde erleichtert. Der Beitragssatz wurde auf vorerst 12,8% festgelegt 169 .

2. Strukturmerkmale der heutigen GKV a) Organisation Die GKV wird heute durch die sieben in § 4 I I SGB V 1 7 0 aufgeführten Kassenarten sichergestellt, wobei der AOK eine Auffangfimktion zukam 1 7 1 , welche demnächst durch die Freigabe der Kassenwahl nur noch abgeschwächt bestehen wird. Im Grundsatz gilt dabei immer noch das Prinzip der Selbstverwaltung 112, das seinen Ausdruck darin findet, daß die Kassen zwar Körperschaften des öffentlichen Rechts sind ( § 4 1 SGB V), aber ein Satzungsrecht haben, um die eigenen Aufgaben zu regeln. Dies ist der sechsjährlich zu wählenden Vertreterversammlung (jetzt durch das GSG zum Verwaltungsrat verkleinert) übertragen, §§ 31 ff. SGB V. Zur Selbstverwaltung im weiteren Sinne können auch die auf unterschiedlichen Ebenen mit den Körperschaften der Leistungserbringer auszuhandelnden Richtlinien, Mantel- und Gesamtverträge 1 7 3 gerechnet werden, insofern sie trotz des öffentlich-rechtlichen Charakters keine unmittelbar staatlichen Rechtsquellen sind. Diese Sicht unterscheidet sich freilich dadurch von der ursprünglichen Selbstverwaltung, daß nicht mehr die einzelne Kasse, sondern ein kassenübergreifendes Gremium tätig wird. Es liegt somit zugleich eine Zentralisierung der Selbstverwaltung

169

Vgl. NoacK Jahrbuch des Sozialrechts der Gegenwart, Bd.13 (1991), S.45 (54).

170

"Die Krankenversicherung ist in folgende Kassenarten gegliedert: Allgemeine Ortskrankenkassen, Betriebskrankenkassen, Innungskrankenkassen, die Seekrankenkasse, Landwirtschaftliche Krankenkassen, die Bundesknappschaft als Träger der knappschaftlichen Krankenversicherung, Ersatzkassen." 1991 gab es insgesamt 1221 Kassen, 1108 in der alten Bundesrepublik und 183 im Beitrittsgebiet, Krauskopf, Einf., S.XIV. 171

§173 SGB V a.F.

172

S. dazu vMaydell, GSG 1993, S.2 ff.

173

Vgl. unten c.

52

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Areimittelversorgung

vor, die durch die gesetzliche Vorformung des Inhalts dieser Verträge mit sachlichen Verkürzungen der Selbstverwaltung einhergeht. Es ist abzusehen, daß sich die Unterschiede zwischen den Kassenarten noch weiter nivellieren werden, wenn nach der weitgehend gesetzlichen Regelung des möglichen Leistungsumfangs 174 mit dem neuen GSG ein kassenübergreifender Risikoausgleich vorgeschrieben wird und die Möglichkeiten der Kassenwahl ausgeweitet werden 1 7 5 . In der Gesamttendenz kann damit - trotz gegenteiliger Absichtsbekundungen 176 - ein Trend zur Vereinheitlichung und damit Verstaatlichung des Gesundheitswesens festgestellt werden 1 7 7 .

b) Mitgliedschaft

und Beiträge

Im Bereich der Mitgliedschaft ist zwischen Versicherungspflicht und Versicherungsberechtigung zu unterscheiden. In den § § 5 - 8 SGB V ist detailliert bestimmt, wer unter die Versicherungspflicht fallt, und wer kraft Gesetzes oder kraft Antrages versicherungsfrei bleibt. Im Grundsatz knüpft die Versicherungspflicht an die Beschäftigung an (§ 5 I Nr. 1), wobei zwischen Arbeitern und Angestellten kein Unterschied mehr besteht. Damit der sozialrechtliche Schutzzweck erreicht wird, kommt es auf Rechtsmängel im Arbeitsverhältnis nicht a n 1 7 8 . Die Versicherungspflicht besteht, wenn das Arbeitsentgelt nicht 75 % der sog. Beitragsbemessungsgrenze übersteigt ( § 6 1 Nr.l). Diese Grenze wird jährlich neu festgelegt und beträgt in den alten Ländern 1993 7200,- D M monatlich, für die GKV demnach 5400,- D M 1 7 9 . Die Versicherungsberechtigung, geregelt in § 9 SGB V, bezeichnet die Gelegenheit, trotz fehlender Versicherungspflicht in der GKV versichert zu sein.

174

Schulin, Sozialrecht, R^27; vgl. auch § 31 SGB I.

173

BT-Drs. 12/3608, S.74 f. (Begründung zum GSG) und §§ 173 ff. SGB Vn.F.

176

BT-Drs. 12/3608, S.75. - Andererseits droht der Bundesgesundheitsminister offen mit einem noch weitergehenden Einsatz des Ordnungsrechts, wenn sich die Selbstverwaltung weiterhin als sparunfahig erweisen sollte, s. dazu Schleen, DOK 1993,270 (273). 177

Differenzierend hierzu Jacobs, NZS 1993,194.

178

Schulin, Sozialrecht, Rz.86. - Die Krankenversicherung der Arbeitslosen richtet sich nach dem Arbeitsförderungsgesetz, vgl. den Hinweis in § 5 I Nr. 2 SGB V. Die Betroffenen sind aber grundsätzlich als Pflichtversicherte Mitglieder der GKV. 179 hi den neuen Landern 5300,-/ 3975,- D M , s. SZ vom 22.10.1992, S.25. Im Jahr 1994 werden 7600,-/ 5700,- D M in den alten sowie 5700,-/ 4275,- D M «reicht, vgl. die Übersicht in BB 1993,1878 f.

B. Die Vorschriften des Sozialversicherungsrechts

53

Die Möglichkeiten dazu wurden in den letzten Jahren tendenziell eingeschränkt, sie besteht etwa für Beschäftigte, die erstmals die Beitragsbemessungsgrenze beim Einkommen überschreiten. Die Einzelvorschriften zur Versicherungspflicht können hier außer Betracht bleiben. Wichtig ist die Gesamtauswirkung, die in einer um 90 % schwankenden Quote der GKV-Versicherten an der Gesamtbevölkerung besteht 180 . Dabei handelt es sich allerdings bei weitem nicht nur um Pflichtversicherte. Von den Versicherten (1991, alte Länder: ca. 39 Millionen) sind nur ca. 60 % Pflichtmitglieder, der Rest (grob) zu drei Vierteln Rentner und zu 10 % freiwillig Versicherte. Dazu kommen die als Familienangehörige ohne zusätzliche Beiträge Mitversicherten, die zwar seit dem GRG 1989 eigene Ansprüche gegen die Versicherung haben, aber keine Mitglieder der jeweiligen Kassen s i n d 1 8 1 . Will man diese Zahlen bewerten, so ergibt sich, daß ungefähr 80 - 85 % der Gesamtbevölkerung auf die GKV angewiesen sind, sei es kraft rechtlicher Vorschrift oder aufgrund tatsächlich fehlender Alternativen. Ihre Einnahmen erzielen die Kassen zum ganz überwiegenden Teil aus den Beiträgen der Versicherten. Die sonstigen Einnahmen (vgl. § 220 SGB V) lagen 1990 bei unter 5 % der Gesamteinkünfte 182 . Wie bereits angesprochen, richtet sich die Beitragshöhe der einzelnen Versicherten nicht nach dem Krankheitsrisiko, sondern nach der persönlichen Leistungsfähigkeit. Darin kommt das Solidarprinzip zum Ausdruck, § 3 SGB V. Die Beiträge werden als für alle gleicher Prozentsatz vom Einkommen erhoben und in der Regel vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer je zur Hälfte getragen. Allerdings ist die Beitragsbemessungsgrenze, die insofern eine Doppelfunktion hat, auch der Höchstbetrag, der zur Berechnung des Beitrags (bei freiwillig Versicherten) angesetzt werden kann. Wenn in der politischen Diskussion also die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze gefordert wird, so hätte die Realisierung dieser Forderung zwei Folgen: zum einen würde sich die Zahl der Pflichtversicherten erhöhen, zum anderen hätten Besserverdienende höhere Beiträge zu entrichten 183 .

180 Zahlen bei Schulin, Sozialrecht, Rzn.44, 71; Krauskopf, Einfuhrung, S.XI; Steffens, WzS 1992,113; BArbBl 6/1991, S.129 ff. Für den vorliegenden Zusammenhang ist zu berücksichtigen, daß das ebenfalls staatlich gesteuerte Beihilferecht die Vorschriften des SGB V bezüglich der Listen im wesentlichen übernimmt und von daher zu einer weiteren Erhöhung der Quote derjenigen führt, deren Leistungsanspruch im Krankheitsfall der Staat festlegt. 181

Hepting, Jura 1990,561 (563 f.); zu den Zahlen s. SZ vom 24.8.1992, S.17.

182

BArbBl 6/1991, Tabelle Nr.204, S.129.

183

Vgl. hierzu (ablehnend) Deter, ZfS 1993,234 (238 f.).

54

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Areimittelversorgung

c) Organisation der Leistungserbringung Ein dritter Pfeiler der GKV ist das Sachleistungsprinzip. Im Gegensatz zur privaten Krankenversicherung (PKV), nach deren System die Leistungen der Ärzte usw. vom Versicherten selbst zu bezahlen sind und anschließend erstattet werden, haben die Mitglieder der gesetzlichen Kassen einen Anspruch unmittelbar auf die Leistung (§ 2 I I SGB V ) 1 8 4 . Dies hat nicht nur zur Folge, daß die Versicherten, von Selbstbeteiligungen abgesehen, über die eigentlichen Kosten ihrer Behandlung nicht informiert werden, sondern macht auch eine rechtssystematische Konstruktion erforderlich, nach der sämtliche Leistungserbringer im Gesundheitswesen ihre Leistungen für die jeweilige Krankenkasse erbringen. Selbstverständlich beruht die grundsätzliche gegenseitige Abhängigkeit von Patienten, Kassen, Ärzten und sonstigen Leistungserbringern im weiteren Sinne auf tatsächlichen Gründen und nicht auf dem Rechtsgrundsatz Sachleistungsprinzip. Die Kompliziertheit dieses Rechtssystems mit Zwangskörperschaften, deren Vereinigungen, Gesamterträgen, Richtlinien, Gesamtvergütungen und Höchstbeträgen aber macht bereits deutlich, wieso Maßnahmen, die direkt nur eine oder zwei Beteiligtengruppen des Systems betreffen, auch mehr oder weniger kalkulierbare Auswirkungen auf die übrigen Beteiligten haben müssen. Die Grundlinien des Leistungserbringungssystems der GKV lassen sich verkürzt folgendermaßen darstellen: Ärzte und Zahnärzte sind auf besonders herausgehobener Stufe insofern eingebunden, als für sie der Sicherstellungsauftrag der §§ 72, 75 SGB V gilt. Sie brauchen neben ihrer Approbation eine besondere Zulassung oder Ermächtigung (§ 95 SGB V) zur Teilnahme an der kassen(zahn)ärztlichen Versorgung, sind dann zur Teilnahme aber auch verpflichtet. Für andere Leistungserbringer gibt es eine gesonderte Zulassung nicht. Die Leistungserbringer bilden auf Landes- und Bundesebene Dachverbände (z.B. kassenärztliche Vereinigung/Bundesvereinigung). Für alle Beteiligten gilt, daß die Versorgung durch vertragliche Vereinbarung zwischen den Kassenverbänden einerseits und den jeweiligen Verbänden der Leistungserbringer andererseits sichergestellt werden soll (vgl. z.B. §§ 82 ff. SGB V), und zwar zum Teil auf Landes- und zum Teil auf Bundesebene. Sämtliche Beteiligte bilden die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen.

184 Eine - wahlweise - Ausnahme davon sieht jetzt § 12 I I SGB V vor. Freiwillig Versicherte können sich danach für das Kostenerstattungsverfahren entscheiden.

B. Die Vorschriften des Sozialversicheungsrechts

55

Ohne auf die komplexen Inhalte der Vorschriften über die einzelnen Verträge eingehen zu können, bleiben noch die Funktion und die Aufgaben des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen darzustellen 185 . Er wird gem. § 911,11 SGB V von der kassenärztlichen Bundesvereinigung, den Bundesverbänden der Krankenkassen (einschließlich Bundesknappschaft und Ersatzkassen) gebildet und steht, § 91 IV, unter der Aufsicht des BMG. Seine Aufgabe besteht zunächst im Erlaß von Richtlinien gem. §§ 92, 94 SGB V über alle Bereiche ärztlicher Behandlung. Diese Richtlinien werden automatisch gem. § 92 V I I Bestandteile der Bundesmantelverträge, d.h. der nach § 82 I zwischen Ärzten und Kassen zu schließenden Verträge auf Bundesebene, und ebenso der Verträge auf Landesebene nach § 83 I SGB V. Außerdem ist es den kassenärztlichen Vereinigungen zwingend vorgeschrieben, die Richtlinien per Satzung für ihre Mitglieder verbindlich zu machen. § 92 I Nr. 6 verlangt Richtlinien auch über die Verordnung von Arzneimitteln, was durch § 92 II, I I I inhaltlich und verfahrensbezogen präzisiert wird. Hierauf wird im einzelnen noch eingegangen. Die letztendliche Abhängigkeit des Bundesausschusses vom B M G kommt in § 94 zum Ausdruck: Dieser kann die Richtlinien beanstanden oder sie sogar selbst erlassen, wenn der Bundesausschuß gerügte Mängel nicht behebt oder eine dafür gesetzte Frist überschreitet. Weitere Aufgaben des Bundesausschusses sind die Erstellung einer Übersicht über die durch die Negativlisten nach § 34 SGB V von der Verordnung im Rahmen der GKV ausgeschlossenen Arzneimittel (§ 93 SGB V), sowie die Zusammenstellung deijenigen Medikamente, die in eine gemeinsame Festbetragsgruppe passen sollen (§§ 35 1,11 SGB V ) 1 8 6 . Das Institut "Arzneimittel in der Krankenversicherung", dem in Zusammenarbeit mit dem BMG die Erstellung der neuen Positivliste obliegt, soll nach dem neuen § 92a I SGB V ebenfalls beim Bundesauschuß der Ärzte und Krankenkassen eingerichtet werden.

d) Die Leistungen selbst aa) Der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz Die Leistungserbringung im Rahmen der GKV wird zum einen durch den an vielen Stellen erwähnten und in § § 2 1 1 , 1 2 1 SGB V grundgelegten Grundsatz der Wirtschaftlichkeit dominiert. Danach müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des

185

Eingehend dazu, wenn auch z.T. überholt, Andreas, Der Bundesausschuß, 1975.

186

Dazu eingehend unten, II.2.c,cL

56

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Arzneimittelversorgung

Notwendigen nicht überschreiten. Hinzu tritt zum anderen aber die Vorschrift des § 2 1 3 SGB V, wonach Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben. Diese Grundsätze müssen sich nicht im Einzelfall ausschließen, globaler betrachtet markieren sie aber ein vielleicht unlösbares Dilemma der Krankenversicherung unserer Z e i t 1 8 7 . Denn Wirtschaftlichkeit mit dem erklärten Ziel der Beitragsstabilität (§ 71 SGB V) einerseits und ein "Allen Alles" andererseits scheint angesichts der exorbitanten Kosten des medizinischen Fortschritts gleichzeitig kaum realisierbar zu sein 1 8 8 . Noch schwieriger wird die Situation dadurch, daß als Aufgabe der GKV neben einer gewissen Umverteilung weniger der Schutz des einzelnen Versicherten in Betracht kommt, als im Zeitalter eines verfassungsrechtlich abgesicherten Anspruches auf Gesundheitsleistungen auch nach dem Bundessozialhilfegesetz, eher der Schutz der Allgemeinheit davor, daß der Einzelne ihr im Wege der Sozialhilfe die Kosten für seine Gesundheit ohne Versicherung verursacht 1 8 9 . Dieser Sachverhalt läßt es nämlich als unzweckmäßig erscheinen, gerade teure und hochtechnisierte medizinische Verfahren aus dem Leistungsumfang der GKV herauszunehmen. Allerdings ist anzumerken, daß in den gängigen Definitionen des Wirtschaftlichkeitskriteriums Kostenaspekte nur nachgeordnet eine Rolle spielen. Es ist zwischen der Wirtschaftlichkeit im weiteren Sinne, die die Merkmale ausreichend, zweckmäßig, notwendig und wirtschaftlich im engeren Sinne umfaßt, und eben dieser Wirtschaftlichkeit i.e.S. zu unterscheiden. Erstere wird in § 12 1 SGB V konkretisiert und hat die Doppelfunktion, den Mindeststandard der Leistungsgewährung zu sichern und andererseits überflüssige Leistungen auszuschließen 190 . Der Mindeststandard wird gesichert, indem eine genügende (= ausreichende 191 ), hinreichend wirksame und geeignete (= zweckmäßige 192 ) und unentbehrliche oder unvermeidliche (= notwendige 193 )

187

Hepting, Jura 1990,561 (565 f.).

188

In diesem Sinne auch die Stellungnahme des Vorsitzenden des SVR KAiG, Arnold, in SF 1992,53 (54) und des SVR selbst (SG 1991, Ziffer 112). Besonders eingängig, wenn auch nicht wissenschaftlich in einem engen Sinn verfaßt, Krämer, Die Krankheit des Gesundheitswesens, 1989. 189 Diese Zweckverschiebung ist klar herausgearbeitet bei Schulin, Gutachten E zum DJT 1992, S. E 44 ff. und E 56. 190

KassKomm-Höfler,

§ 12 Rz.2; Krauskopf,

SGB V, § 12 Rz:3.

191

KassKomm-Höfler,

§ 12 Rzl7; Krauskopf

SGB V, § 12 RZ5.

192

KassKamm-Höfler,

§ 12 Rz8; Krauskopf,

SGB V, § 12 Rz.6.

B. Die Vorschriften des Sozialversicherungsrechts

57

Leistung vorgeschrieben wird. Das Merkmal der hinreichenden Wirksamkeit ist dabei in Abhängigkeit von der jeweiligen Einzelindikation auszulegen. Das bedeutet, daß von mehreren wirksamen Therapiekonzepten das wirksamste anzuwenden ist. Konzepte ohne nachgewiesene allgemeine Wirksamkeit kommen damit generell nur nachrangig in Frage 1 9 4 . Allerdings bedeutet Nachrangigkeit hier keinen umfassenden Ausschluß. Vielmehr sind nach ständiger Rechtsprechung Leistungen auch bei streitiger Wirksamkeit (sog. Außenseitermethoden) verordnungsfahig, wenn bessere Alternativen nicht zur Verfügung stehen 195 . Erst wenn mehrere zweckmäßige und ausreichende Mittel in Betracht kommen, findet die Wirtschaftlichkeit i.e.S., welche einen Kosten-Nutzen-Vergleich vorsieht, Anwendung 1 9 6 . Genauer betrachtet sind diese Kriterien zur Ausfüllung des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes nicht allzu hilfreich. Was nicht ausreichend ist, wird auch nicht zweckmäßig sein; und daß von zwei oder mehr ersichtlich gleichwertigen Lösungen die kostengünstigste gewählt werden sollte, ist nicht nur für die Krankenversicherung ein einleuchtendes Prinzip 1 9 7 . Darüber hinaus ist wichtig, daß - wie auch die Auslegung der Zweckmäßigkeit zeigt - der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz Anwendung bei jeder Einzelleistung verlangt, seine Nutzbarkeit für generelle Beurteilungen von bestimmten Leistungsarten oder Therapieformen aber gerade wegen der Einzelfallabhängigkeit problematisch ist198.

bb) Einzelne Leistungsarten Die gesetzlichen Vorschriften des SGB V lassen sich in Leistungen bei Prävention (§§ 21 ff. SGB V), Krankenbehandlung (§§ 27 ff), Schwerpflegebedürftigkeit (§§ 53 ff.) und Sterbegeld (§§ 58 ff.) unterteilen. Die Leistungen

193

KassKomm-Höfler,

§ 12

194

KassKomm-Höfler,

§ 12 Rz.8.

Krauskopf SGB V, § 12R^8.

193

BSGE 63,102 (103 ff.); BSG NJW 1992,1584; ebenso Enderlein, VSSR 1992,123 (146). Ähnlich im übrigen auch die Zivilrechtsprechung für den Bereich der PKV, s. BGH, I V ZR 135/92 (nach SZ vom 24.6.1993, S.6). 196

Krauskopf SGB V, R z 7 und, besonders deutlich, Spioiek, ZSR 1992,209 (213 f.). Ebenso auch die neuen Arzneimittel-Richtlinien in Ziff. 12. 197 198

Hauck/Haines-Ger/ac/i, SGB V, § 12 Rz:5.

KassKomm-Höfler, kontrolle bei Ärzten.

§ 12 Rz6; Ratajczak, MedR 1992,245 (249) für die Wirtschaftlichkeits-

58

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Arzneimittelversorgung

bei Schwangerschaft und Geburt sind bis heute in der RVO (dort §§195 ff.) stehengeblieben. Der Begriff der Krankheit ist nirgends definiert, für das Krankenversicherungsrecht hat es sich aber eingebürgert, von einem regelwidrigen geistigen oder körperlichen Zustand zu sprechen, dessen Eintritt Behandlungsbedürftigkeit und/oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge h a t 1 9 9 . Diese Definition vernachlässigt zwar viele Facetten menschlichen Erlebens, wegen der - aufgrund subjektiver Wahrnehmung - Unmöglichkeit einer abschließenden Bestimmung von "Krankheit" ist ein solcher "rechtsfunktionaler" 200 Umschreibungsversuch aber unausweichlich. Die hier interessierenden Leistungen im Krankheitsfall (§§ 27 - 52 SGB V) umfassen gem. § 27 ärztliche und zahnärztliche Behandlung, Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln, häusliche Krankenpflege und Haushaltshilfe, Krankenhausbehandlung und Rehabilitationsmaßnahmen. Dabei sind nach § 2 I 2 SGB V Behandlungsmethoden sowie Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen nicht ausgeschlossen. Über die vorerst noch weiter gültige Konkretisierung in § 34 I I 3 SGB V ergibt sich, daß damit auch, aber nicht ausschließlich die nach dem A M G anerkannten Richtungen der Homöopathie, der Phytotherapie und der Anthroposophie gemeint s i n d 2 0 1 . Während Außenseitermethoden in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung zum alten Recht der RVO nur dann zu Lasten der GKV angewendet werden können, wenn allgemein anerkannte Methoden nach § 2 I SGB V nicht zur Verfugung stehen und die Außenseitermethode nicht nur ganz geringe Erfolgsaussichten bietet 2 0 2 , werden die besonderen Therapierichtungen im Grundsatz nicht schlechter behandelt als die Schulmedizin, allerdings auch nicht besser. Entscheidend bleibt der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz 2 0 3 , so daß eine Standardtherapie mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit einer besonderen Therapie mit geringer Erfolgswahrscheinlichkeit vorzuziehen

199

Schulin, Sozialrecht, Rz239 ff.; Baltzer, JuS 1982,566 (567); BSGE 35,10.

200

Baltzer, JuS 1982,566 (568).

201

Hauck/Haines-i/awcA, § 2 m Rz.4a.

202

KassKomm-Peters,

203

§ 2 Rz4; Schulin/Enderlein,

ZSR 1990,502. S. auch oben aa.

Kirsten, SGb 1991,257 (261). Vgl. auch seinen Hinweis auf § 92 H 4 SGB V, wonach bei der Beurteilung von Verfahren da - besonderen Therapierichtungen - wie auch nach A M G - dort erfahrene Fachleute herangezogen werden müssen.

B. Die Vorschriften des Sozialversicherungsrechts

59

ist, wenn nicht besondere Umstände vorliegen 2 0 4 . Dies gilt aber in gleicher Weise für den Vergleich zweier Standardtherapien. Die Stellung der besonderen Therapierichtungen ändert sich auch mit dem neuen GSG n i c h t 2 0 5 . Die einzelnen Leistungen werden in den folgenden Vorschriften genauer beschrieben und teilweise beschränkt, so daß den Kassen ein nur sehr geringer Spielraum für die eigene Festlegung von Leistungsangeboten bleibt. Der Anspruch auf die Versorgung mit Arzneimitteln vorbehaltlich des Auschlusses von der Verordnungsfahigkeit findet sich in den §§ 31, 34 und 35 SGB V, in Zukunft in § 34a statt § 34.

3. Kostendämpfungsversuche seit 1977 Zum Abschluß der Ausführungen über die geschichtlichen Wurzeln des Rechts der GKV wurde bereits angedeutet, daß sich in der Mitte der siebziger Jahre eine deutliche Tendenzumkehr vollzogen hat. Bis dahin waren der angesprochene Personenkreis und das Leistungsangebot durchgängig gewachsen. Von 1970 bis 1976 war der durchschnittliche Beitragssatz in der GKV von 8,2 auf 11,3 % gestiegen 206 , das Wort von der Kostenexplosion im Gesundheitswesen kam auf. Seither hat der Gesetzgeber auf nicht zwingend gebotene Leistungsausweitungen verzichtet und auch den Zugang zur GKV wieder restriktiver geregelt. Als erstes wurde 1977 das Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz ( K V K G ) 2 0 7 verabschiedet. Mit dem Ziel, die Beitragssatzentwicklung der allgemeinen Einkommensentwicklung wieder anzupassen 208 , brachte es Einschränkungen der (beitragsfreien) Versicherung der Rentner und Familienversicherung von Doppelverdienern, und führte die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen als beratendes Gremium aus allen an der Gesundheitsversorgung Beteiligten ein (§ 405a RVO, heute §§ 141 f. SGB V), die Empfeh-

204 Estelmann/Eicher, SGb 1991,247 (253 f.). In diesem Zusammenhang sei nochmals daraufhingewiesen, daß Wirksamkeit in aller Regel eine Erfolgsmöglidikeit, aber keine -Sicherheit bedeutet, KassKomm-i/o/fer, § 12 Rz.8 und oben Aü.2.b zum AMG. 203

Vgl. die Begründung zum neuen § 92a, BT-Drs. 12/3608, S.91 f.

206

Hauck/Haines, SGB V, E 050, S. 1.

207

BGBl 1,1977, S.1069.

208

Dazu und zu den Einzelmaßnahmen des KVKG Dornbusch, SozVers 1982,69 (71 f.).

60

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Arzneimittelversorgung

lungen für kassenärztliche Gesamtvergütungen 209 und die Arzneimittelhöchstbeträge 21 0 geben sollte. Außerdem schrieb es für alle Arzneimittel eine Rezeptblattgebühr von D M 1,- vor und nahm erste Arzneimittel für Bagatellerkrankungen von der Verordnungsfahigkeit aus. Schließlich beschränkte es die Leistungen für Zahnersatz auf 80 % der Kosten. Nachdem auch diese Maßnahmen den Kostenauftrieb nur vorübergehend bremsen konnten, wurde zu Beginn der achtziger Jahre der zweite Kostendämpfungsversuch unternommen. Das Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz ( K V E G ) 2 1 1 erhöhte die Rezeptblattgebühr auf D M 1,50, führte auch für Heilm i t t e l 2 1 2 das Höchstbetragssystem ein und brachte für Heilmittel und Brillen eine Zuzahlung von D M 4,-. Brillen und Kuren dürfen seitdem nur noch alle drei (vorher: alle zwei) Jahre verordnet werden. Außerdem wurde die Ausnahme von Bagatellarznei- und -hilfsmitteln von der Verordnungsfahigkeit ausgebaut. Die umstrittenste Maßnahme dieses Gesetzes war jedoch die volle Einbeziehung zahnärztlicher und zahntechnischer Leistungen (von letzteren wurden jetzt nur noch 60 % übernommen) in das Sachleistungssystem mit Gesamtvergütung und Wirtschaftlichkeitsprüfungen bei den Leistungserbringern. Neu auch als Instrument war es, die Preise für alle zahntechnischen Leistungen durch Gesetz linear um 5 % zu kürzen 2 1 3 . Daß dieses Instrument im aktuellen GSG auch auf Arzneimittel Anwendung findet, mag damit zusammenhängen, daß das BVerfG es damals für verfassungsrechtlich haltbar erklärt h a t 2 1 4 . Im Zusammenhang mit diesen Neuerungen sind auch die Haushaltsbegleitgesetze 1983 2 1 5 und 1984 2 1 6 zu sehen. Ersteres hob die Verordnungsblattgebühr auf D M 2,- an und führte eine Selbstbeteiligung von D M 10,- /Tag bei Kuren und D M 5,- /Tag bei Krankenhausaufenthalten ein. Letzteres bezog Einmalleistungen des Arbeitgebers wie das Weihnachts- und Urlaubsgeld in

209 Die Gesamtvergütung ist der Betrag, den die kassenärztliche Vereinigung von einer Kasse unabhängig von der Zahl der Behandlungsfalle zur Verteilung unter ihren Ärzten erhält. Er kann im Voraus festgelegt werden, vgl. früher § 368f RVO und heute § 85 SGB V. 210

Der Arzneimittelhöchstbetrag (§ 368f VI, V E RVO) sollte ersatzweise vom Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen empfohlen werden und war im Gesamtvertrag als "Deckel" da Arzneimittelkosten festzuschreiben. Er war nie durchsetzbar, vgl. SVR KAiG, JG 1992, Ziff. 137 ff. 211

BGBl 1,1981, S. 1587 - zum Inhalt Dornbusch, SozVers 1982,69 (72).

212

Zum Unterschied Arzneimitttel-Heilmittel vgl. §§ 31,32 SGB V und Schulin, Sozialrecht, Rz.251. Grob abgegrenzt wirken Arzneimittel von innen und Heilmittel von außen. 213

S. dazu B.Tiemann, SGb 1982,275.

214

BVerfGE 68,193; s. auch BVerfGE 70,1 zu den Heil- und Hilfsmitteln.

213

BGBl 1,1982, S.1857; zum Inhalt XBreuer, SozVers 1983,7 (8).

216

BGBl 1,1983, S.1532; zum Jnha&l Borchmann, NJW 1984,708.

B. Die Vorschriften des Sozialversichengsrechts

61

die Beitragspflicht ein, was einer versteckten Beitragssatzerhöhung von 0,18 % entsprach 217 . M i t diesen Vorkehrungen gelang es, die Beitragssätze einigermaßen stabil zu halten. Von 1977 bis 1984 erhöhte sich der Durchschnittssatz nur leicht von 11,39 auf 11,44 % 2 1 8 . Ab 1984 erwies sich die Kostenexplosion aber erneut als stärker, der durchschnittliche Beitragssatz kletterte jährlich um 0,4 % 2 1 9 . Aus dieser Situation heraus wurde im damals noch zuständigen Ministerium für Arbeit und Soziales der dritte Versuch erarbeitet, die Kostensteigerungen im Gesundheitswesen auf die Lohnentwicklung zu begrenzen. Erst am 25.11.1988 verkündet, trat das Gesundheitsreformgesetz (GRG) zum 1.1.1989 in Kraft. Neben den Zielen der Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Versicherten und der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung sollte es allerdings auch Versorgungsdefizite abbauen und bestehende Ungleichheiten aufheben 220 . Deshalb wurden Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit (§§ 53 - 57 SGB V) neu eingeführt und die Freiheit von der Versicherungspflicht auch für Arbeiter mit einem Einkommen jenseits der Bemessungsgrenze festgelegt, was bis dahin nur für Angestellte gegolten hatte. M i t der Überführung des Rechts der GKV von der RVO in das SGB V wurden die Mitgliedschaftsvoraussetzungen für Rentner und "kleine" Selbstständige verschärft, die freiwillige Mitgliedschaft erschwert und rechtstechnisch - den mitversicherten Familienangehörigen ein eigener Anspruch gegen die Kasse eingeräumt 221 . Das Sterbegeld als Kassenleistung läuft aus. Im übrigen hat das GRG mit dem Festbetragssystem (§ 35) und der (zweiten) Negativliste, die gem. § 34 I I I neben Bagatellarzneimitteln (§ 34 I) auch unwirtschaftliche Arzneimittel von der Verordnungsfahikeit ausschließen sollte, gerade die Arzneimittelversorgung einschneidenden Veränderungen unterworfen 222 . An Zweckoptimismus und äußerst positiven Stellungnahmen hat es auch bei diesem dritten Anlauf zur Kostendämpfung nicht gefehlt 2 2 3 . Gleichwohl

217

Borchmann, NJW 1984,708 (710).

218

Hauck/Haines, SGB V, E 050, S. 1.

219 Hauck/Haines, SGB V, E 050, dort finden sich auch Zahlen für die einzelnen Leistungsbereiche. 220

Hepting, Jura 1990,561 (562).

221

Hepting, Jura 1990,561 (563).

222

Funktionsweise und Ziele dieser Vorschriften sind weiter unten beschrieben (II.).

223

Besonders optimistisch Ruf, SozVers 1990,42; dort auch eine detailliertere Auflistung der Neuerungen des GRG; skeptischer zu diesem Zeitpunkt bereits Hepting, Jura 90,561.

62

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Arzneimittelversorgung

scheint es, daß die Einsparungen im Gefolge des Gesetzes sich diesmal noch schneller als zuvor als unzureichend erwiesen haben. Schon 1991 sahen sich die Kassen zunehmend zur Rücknahme der vorübergehend erfolgten Beitragssatzsenkungen veranlaßt. Für 1992 wird allgemein von einem Defizit in zweistelliger Milliardenhöhe ausgegangen 224 . Schon nach vier Jahren ist deshalb zum 1.1.1993 der bisher letzte und vierte Anlauf unternommen worden, die Kostenentwicklung endlich in den Griff zu bekommen: Ergebnis ist das diesmal auf breiter parlamentarischer Basis von CDU/CSU, FDP und SPD erarbeitete Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) 2 2 5 . Das Gesetz nimmt für sich in Anspruch, kurzfristige Maßnahmen zur sofortigen Kostenentlastung mit langfristigen, strukturell wirksamen Eingriffen in das bestehende System zu verknüpfen 226. Im ersteren Sinn werden vorerst die Kosten für Krankenhausbehandlung, ambulante ärztliche Versorgung, Arzneimittel und auch Verwaltungsausgaben der Krankenkassen durch Budgets zwingend festgeschrieben sowie die Preise für zahntechnische Leistungen und (verschreibungspflichtige) Arzneimittel um 5 % gesenkt. Da - nach der Gesetzesbegründung 227 - derartige unmittelbare Begrenzungseingriffe auf die Dauer als untauglich angesehen werden, wurden im GSG auch in struktureller Hinsicht die in der Geschichte der Kostendämpfung bisher weitestgehenden Veränderungen vorgenommen. Im Krankenhausbereich wird das Selbstkostendeckungsprinzip abgeschafft und durch ein System ersetzt, das an die jeweilige Behandlungsleistung Sonderentgelte und Fallpauschalen knüpft. Darüberhinaus werden die Möglichkeiten der Behandlung im Krankenhaus ohne vollständige Aufnahme durch Schaffung der sog. vor- und nachstationären Behandlung (§ 115a SGB V) und des ambulanten Operierens (§ 115b) ausgeweitet. Trotz des (ablehnenden) Urteils des BVerfG aus dem Jahre i 9 6 0 2 2 8 werden die schon existierenden Möglichkeiten der Bedarfsplanung bei Kassenärzten und -zahnärzten ausgeweitet und wird für die Zeit ab 1999 eine rigide Zulassungsbeschränkung vorgese-

224 Vgl. SZ vom 25.2., S.23, 7.4. und 20.5.1992, S.7 und v.a. vom 12.10.1992, S.22: nach einem Rüdegang um 4,4 % im Jahre 1989 stiegen die Kosten der Kassen je Mitglied 1990 wieder um 6,9 % und 1991 um 10,6 %, im ersten Halbjahr 1992 um 10,7 %. Zu den Zahlen für 1991 ausfuhrlich Steffens, WzS 1992,113. 223 BGBl 1,1992, S.2266. Allgemein dazu Zipperer, BKK 1993,3; zu den Auswirkungen auf das Leistungserbringungsrecht Wiesmann, BKK 1993,15. 226

So die Gesetzesbegründungin BT-Drs. 12/3608, S.69.

227

BT-Drs. 12/3608, S.69.

228

BVerfGE 11,30.

B. Die Vorschriften des Sozialvercherungsrechts

63

h e n 2 2 9 . Außerdem wird mit der klaren Unterscheidung zwischen Allgemeinund Facharzt ein Primärarztsystem vorbereitet 230 . Auffallig an den arztbezogenen Neuregelungen sind auch die "Streichparagraphen" 72a und 95b SGB V n.F., die den Kassen und Behörden ein weitgehendes Instrumentarium eröffnen, um auf eine mögliche (im Vorfeld des GSG insbesondere von den Zahnärzten angedrohte) kollektive Rückgabe ihrer Kassenzulassung seitens der Ärzte zu reagieren. Daß § 95b I I I vorsieht, die Honorarforderung eines betroffenen Arztes gegen einen gleichwohl behandelten Kassenpatienten in Höhe des üblichen Kassenentgelts auf die Krankenkasse des Patienten zu übertragen und im übrigen für nichtig zu erklären, weckt wegen der damit verbundenen Einschränkung der freien Arztwahl außerhalb der GKV ernste verfassungsrechtliche Bedenken. Wie bereits angesprochen, wird die überkommene Gliederung der Kassen durch Risikostrukturausgleich und Wahlrecht hinsichtlich des Kassenbeitritts in ihren Auswirkungen größtenteils aufgehoben 231 . Auf dem Arzneimittelsektor schließlich werden die Negativlisten in einigen Jahren durch die Positivliste ersetzt, die auch die Transparenzliste nach 39a ff. A M G a.F. und die Arzneimittelrichtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen nach §§ 92 II, I I I SGB V a.F. ablöst bzw. ablösen w i r d 2 3 2 . Daneben tritt ein neuer Anlauf in der Richtgrößenfestsetzung nach § 84 SGB V. M i t diesem Maßnahmenkatalog sind in bisher nicht gekanntem Umfang Änderungen am System vorgenommen worden. Von den Gründen jedenfalls, die regelmäßig als Ursachen der Kostenexplosion genannt werden (Leistungsund Mitgliedschaftsausweitungen bis 1975, zersplitterte Gesetzgebungskompetenz im Krankenhauswesen, Kassenrivalität, mangelnde Vorsorgeanreize 233 , fehlende Transparenz der Kostenverursachung für die Versicherten 234 , unkontrolliertes Übergewicht der Leistungserbringerseite sowie Überalterung der Bevölkerung und medizinischer Fortschritt 235 ), sind nun nur noch die letzten

229 §§ 102, 103 SGB V n.F.; s. auch die jetzt nach § 95 V E in der Regel im Alter von 68 Jahren endende Kassenzulassung. 230

§ 73 Ia SGB Vn.F.

231

§§ 143 ff., 173ff. SGB Vn.F.

232

Vgl. im Einzelnen die Vorschriften über das Inkrafttreten in Alt. 33 GSG.

233

Hauck/Haines, SGB V, E 050, S.3.

234

Hepting, Jura 1990,561 (567).

233

Hauck/Haines, SGB V, E 050, S.3.

64

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Arzneimittelversorgung

beiden ohne darauf bezogene Einsparversuche geblieben. (Die ursprünglich für Zahnbehandlung geplante Unterscheidung von Regel- und Wahlleistungen wurde aus dem Entwurf des GSG wieder gestrichen, sie hätte einen Einstieg in den Ausschluß medizinisch machbarer Bereiche bedeutet). Trotzdem werden die Kosten 2 3 6 des Gesundheitswesens vermutlich weiter steigen, da mittels des Gesundheitssystems auch Randbereiche von Krankheit wie menschliche Bedürfnisse nach Zuwendung und sozialem Kontakt ebenso wie Folgen eigenen selbstgefahrdenden Verhaltens in die Gemeinverantwortung übernommen werden. Dazu kommt, daß die Leistungen der modernen Medizin viele Kranke nicht eigentlich gesund machen, sondern ihnen "nur" ein - für die Krankenkassen aufwendiges - Weiterleben in ständiger Abhängigkeit von weiteren Gesundheitsleistungen ermöglichen 237 . Dies kann hier indessen nicht vertieft werden. Inwieweit die Regelungen des GSG rechtlich Verfassungsbeschwerden der Apotheker wegen befürchteter Umsatzeinbußen sowie der Ärzteschaft wegen der Zulassungsbeschränkungen sind bereits angekündigt 2 3 8 - Bestand haben können und werden, bleibt abzuwarten. Im folgenden werden die spezifisch auf Arzneimittel bezogenen Vorschriften des geltenden Rechts genauer behandelt, darunter die über Negativ- und Positivlisten, um deren Verfassungsmäßigkeit es im weiteren gehen wird. Angesprochen werden aber auch die übrigen Steuerungsmittel für den Arzneimittelmarkt, da ihre Mitberücksichtigung für eine Beurteilung der Auswirkungen des Listenmodells von Bedeutung ist.

236 Mit 304 Mrd. D M wurden 1990 insgesamt 12,5 % des Bruttosozialprodukts (alte Länder) für Gesundheitsleistungen ausgegeben, s. Graphik in SZ vom 29.9.1992, S.23. Immerhin ist die Kostenentwicklung für 1993 durch das GSG umgekehrt worden, s. o.Verf., DOK 1994,48. 237 Zu diesem Sachverhalt, der zynisch klingen mag (Todesfalle sind für die Kassen vergleichsweise geldsparend), aber bei einer Beurteilung der Kostenentwicklung im Gesundheitswesen nicht übersehen werden darf, s. Krämer, Die Krankheit des Gesundheitswesens, 1989, S.25. Dazu, daß die langfristigen Hauptursachen für die Kostensteigerungen durch GRG und GSG nicht beseitigt wurden (und wohl audi gar nicht beseitigt werden können), vMaydell, NZS 1993,425 ff. 238

SZ vom 5.10., S.l und 6.10.1992, S.l. Abgelehnt hat ein Vorpüfungsausschuß des BVerfG inzwischen den Erlaß einer einstweiligen Anordnung gegen die Regelungen des GSG zur Zulassung von Kassenärzten, weil die antragstellenden Ärzte vor der rechtskräftigen Ablehnung ihrer Zulassungsanträge erstens nicht unmittelbar betroffen seien und zweitens die Abwägung zu ihren Ungunsten ausfalle (BVerfG, NZS 1993,256).

B. Die Vorschriften des Sozialversicherungsrechts

65

IL Insbesondere: Die Versorgung mit Arzneimitteln 1. Überblick Der grundsätzliche Anspruch auf die Versorgung mit Arzneimitteln ergibt sich aus §§ 27, 31 I SGB V 2 3 9 . Aufgrund dieser Vorschriften haben die gesetzlichen Krankenkassen 1990 22 Mrd. und 1991 24,5 Mrd. D M für Arzneimittel aufgewandt. Im Jahr 1992 waren es fast 27 Mrd. DM. Damit lagen diese Ausgaben zwischen 15 und 16 % der Gesamtaufwendungen der GKV. Während die durchschnittlichen Beitragseinnahmen je Mitglied 1991 um 5,5 % und 1992 (l.Halbjahr) um 4,4 % wuchsen, stiegen die Ausgaben für Arzneimittel, ebenfalls je Mitglied, ungefähr doppelt so stark an, nämlich um 9,9 bzw. 8,9 % 2 4 0 . Wie sämtliche Leistungsansprüche der Versicherten unterliegt auch der auf Versorgung mit Arzneimitteln dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz des § 12 I SGB V. Auch wenn die Arzneimitteltherapie im Vergleich zu möglichen Alternativen in der Regel die billigste Therapieform i s t 2 4 1 , werden angesichts dieser Steigerungen auch bei der Arzneimittelversorgung weiterhin erhebliche Sparpotentiale vermutet. Das Recht der GKV versucht, die Dreiteilung der Nachfrage in Konsum (Patienten), Auswahlentscheidung (Ärzte) und Bezahlung (Krankenkassen aus Beiträgen der Patienten), die im Zusammenhang mit dem Sachleistungsprinzip eine "normale" Marktsteuerung durch die Nachfrage stark einschränkt, durch das gesetzliche Wirtschaftlichkeitsgebot auszugleichen. M i t Wirtschaftlichkeit i.w.S. wird sowohl das Mindest-, als auch das Höchstmaß des jeweiligen Versorgungsanspruchs umschrieben 242 . Die unterstellten Wirtschaftlichkeitsreserven umfassen beide Aspekte. Einerseits würden Arzneimittel mit zweifelhafter Wirksamkeit, die keine i.S. des § 12 I zweckmäßige Versorgung darstellten, verschrieben, und zwar im Um-

239 Hierbei setzt nach der neuesten Rechtsprechung des BSG (SGb 1993,469 = ZfS 1993,268) die Verordnungsiahigkeit in der GKV die Zulassung nach dem A M G zwingend voraus. A A G.Schroeder-Printzen, MedR 1993,339 (339 f.). 240

Zahlen bei Glaeske, DOK 1992,113 (115); BT-Drs. 12/3608, S.66 ff.; Steffens, 1991,113 (118) und SVRKAiG, JG 1992, S.36. 241

WzS

SVRKAiG, JG 1987, Ziff. 195 ff.

242 Vgl. Thier, ZSR 1989,61 (82 f., 103) und mudJRamesJchirmer, lichkeitsgrundsatz ist im einzelnen oben bei I.2.d.aa beschrieben.

5 Philipp

§ 92 Rz7. Der Wirtschaft-

66

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Arzneimittelversorgung

fang von ca. einem Drittel aller Verordnungen zu Lasten der G K V 2 4 3 . Andererseits werde auch der Kostenaspekt der Wirtschaftlichkeit i.e.S. mißachtet, wenn Arzneimittel mit zu hohem Preis (anstelle von Generika) oder zu große Packungen verschrieben würden 2 4 4 . Modellversuche belegen in der Tat, daß eine detaillierte Auswertung der eingehenden Rezepte durch die Krankenkassen mit einer darauf aufbauenden Information und Beratung der Ärzte durch die kassenärztlichen Vereinigung und die Kassen, gegebenenfalls im Zusammenspiel mit Beratungsangeboten an die Patienten, die Kosten und die Art der Arzneimittelverordnungen senken bzw. beeinflussen können 2 4 5 . Die Vielzahl der Steuerungsinstrumente, die mit den Jahren für die Arzneimittelversorgung eingeführt worden sind, knüpfen sämtlich an die Wirtschaftlichkeitsreserven an und versuchen, die Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots zu erleichtern oder zu erzwingen 246 . Nicht weniger als sechs verschiedene Ansätze zur Steuerung der Arzneimittelverordnung in der GKV lassen sich unterscheiden. In der Literatur wird dazu bemerkt, nun seien alle für die GKV relevanten Entwicklungsfaktoren des Arzneimittelmarktes administrativ steuerbar 247 . Dem ist unter der Voraussetzung zuzustimmen, daß die gesetzlich vorgesehenen Instrumente nicht ihre Wirkung verfehlen.

2. Die Steuerangsinstrumente im einzelnen a) Rezeptblattgebühr Beim Überblick über die Geschichte der Kostendämpfung in der GKV wurde bereits deutlich, daß die Zuzahlung eines festen Betrages je Arzneimit-

243 Glaeske, DOK 1992,113 (115); SVR KAiG, JG 92, Ziffer 44*. Das Drittel bezidit sidi auf die Verordnungszahlen, bei den Aufwendungen in Geld hegt der Anteil etwas unter 30 %. 244

77wer, ZSR 1989,61 (63).

243

Raible, SF 1992,97 zu einem Versuch in Baden-Württemberg und Glaeske, DOK 1992,113 für eine Studie bei der AOK Mettmann. 246 Wenn im Anschluß an diesen Versuch und an den Vitorgan-Beschluß des BVerwG (E 58,167) dargelegt wird, daß SGB V habe einen anderen Armeimittelbegriff als das A M G (so Hauck/HainesGerlach, § 31 Rz.4), dann findet dies in der Systematik des SGB V keine Stütze. Vielmehr werden auch die Präparate der Negativliste usw. als Arzneimittel bezeichnet. Ihre Herausnahme aus der Verordnungsfahigkeit bedeutet noch nicht, daß sie keine Arzneimittel wären. Soweit damit ausgesagt werden soll, daß die Zulassung nach A M G nicht die Verordnungsfähigkeit nach SGB impliziere, ist das jedenfalls keine Frage des Arzneimittel^egriffs. 247

Schönbach, BKK 1993,196 (197).

B. Die Vorschriften des Sozialversicherungsrechts

67

tel oder je Rezeptblatt zu den ältesten Steuerungsinstrumenten gehört. Eine solche Gebühr wurde erstmals im Jahr 1923 eingeführt. Diese Ausnahme vom Solidarprinzip hat den Zweck, die Eigenverantwortung der Versicherten zu stärken und die Arzneimittelausgaben der Kassen zu senken 248 . Offenbar hat die undifferenzierte Zuzahlung von D M 3,- aber den Trend zur Verschreibung von Großpackungen verstärkt. Noch bevor die Neuregelungen des GRG 1989 durchgängig verwirklicht waren - ab 1.7.1993 sollten für Arzneimittel ohne Festbetrag 15 % des Apothekenabgabepreises, maximal D M 10,- zugezahlt werden - hat das GSG eine gestaffelte Rezeptblattgebühr eingeführt. 1993 richtet sich diese nach dem Abgabepreis 249 , ab 1994 nach der Packungsgröße. Zur Vorbereitung dieses Systems ermächtigt der neue § 12 I I I A M G den B M G dazu, Packungsgrößen wirkstoffbezogen vorzuschreiben. Die Zuzahlung beträgt nun 3 D M für Klein-, 5 D M für Mittel- und 7 D M für Großpackungen betragen. Die Begründung führt an, damit solle Arzneimittelmüll vermieden und eine bessere Mengensteuerung bewirkt werden 2 5 0 . Da die Abhängigkeit der Zuzahlung von der erfolgten Vereinbarung eines Festbetrags aus Sicht der Verbraucher als willkürlich erscheinen mußte, gilt die Zuzahlung jetzt für alle verordnungsfahigen Arzneimittel. Die Befreiung in Härtefallen nach §§ 61, 62 SGB V bleibt aber unverändert.

b) Preisabschläge Art. 28 GSG sieht erstmals ein Preismoratorium auf dem Arzneimittelmarkt vor. Direkte Preisreduktionen durch Gesetz hat es zuvor nur für - diesmal übrigens wieder davon betroffene - Zahntechnikerleistungen gegeben. Als indirekte Preissteuerung hat sich allerdings schon bisher die Festbetragsregelung des GRG 1989 erwiesen, da sie in aller Regel zu Preissenkungen auf die Festbetragshöhe führte 2 5 1 . Im einzelnen sieht die Regelung vor, daß die Preise der Arzneimittel, die weder ohnehin über die Negativliste von der Verordnung ausgeschlossen sind, noch einem Festbetrag unterliegen, auf der Basis des Preises am 1.5.1992 um 5 % (verschreibungspflichtige) und 2 % (nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel) gesenkt werden. Die so errechneten Preise sollen für 1993 und 1994 gelten. Das Moratorium kann aber verlängert wer-

248

KassKonam-Höfler,

§ 31 Rz.8.

249

Bis 30 D M 3 D M Zuzahlung, zwischen 30 und 50 D M 5 D M Zuzahlung, ab 50 D M 7 D M Zuzahlung. 230

BT-Drs. 12/3608, S.81.

231

SVRKAiG, JG 1991, Ziffer 128;Krauskopf,

SGB V, Vorauflage, § 35 Rz:2.

68

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Arzneimittelversorgung

den, wenn wegen Überschreitung des Arzneimittelbudgets für 1993 ein weiterer Beitrag der pharmazeutischen Industrie fallig werden sollte 2 5 2 . Das Preismoratorium stellt fraglos einen Eingriff in die Berufsfreiheit der Hersteller dar, was anscheinend auch der Gesetzgeber gesehen hat. Die Begründung 2 5 3 beruft sich auf zwei Argumente, die das B V e r f G 2 5 4 schon früher den Verfassungsbeschwerden der ähnlich (Preisreduktion trotz in der Vergangenheit nur unterhalb der allgemeinen Inflationsrate angestiegener Preise) betroffenen Zahntechnikern entgegengehalten hat. Die Hersteller profitierten auch in hohem Maße von dem Nachfrageumfang der GKV und außerdem sei die Sicherung der Finanzierbarkeit der GKV eine Gemeinwohlaufgabe von hohem Rang.

c) Festbeträge Die Festbetragsregelung war der Kernpunkt des GRG 1989 2 5 5 . Bezweckt wurde die Absenkung des im internationalen Vergleich sehr hohen Arzneimittelpreisniveaus und der hohen Pro-Kopf-Ausgaben für Arzneimittel in der Bundesrepublik, um eine bessere Umsetzung der Verpflichtung auf das Wirtschaftlichkeitsgebot zu erreichen 256 . Das Verfahren sieht vor, daß der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen nach § 35 I, I I festbetragsgeeignete Arzneimittelgruppen zusammenstellt, für die dann die Spitzenverbände der Krankenkassen Festbeträge festsetzen. Betroffene Arzneimittel waren nach bisherigem Recht von einer Zuzahlung durch die Versicherten befreit ( § 3 1 III), die dafür allerdings die Differenz zwischen Festbetrag und dem gegebenenfalls höheren Arzneimittelpreis selbst zu tragen hatten (§ 31 I I 1). In der Realität verlief der Einsatz des Festbetragsinstruments gegenüber den ursprünglichen Erwartungen schleppend Statt über 80 % waren zum 1.10.1992

252

Eine soclhe Überschreitung ist indessen nach den mittlerweile vorhegenden Zahlen nicht eingetreten, vgl. SZ vom 04.08.1994, S. 17. - Zur Budgetregelung s.u. d. 233

BT-Drs. 12/3608, S.156.

234

BVerfGE 68,193.

255 Oldiges, DOK 1993,449. Dort auch die Feststellung, daß das Instrument nur bei Indikationen sinnvoll einsetzbar sei, bei denen Konkurrenz auf dem Markt stattfinde, da sonst Preissenkungen nicht vorgenommen würden. Ebenfalls dort der aktuellste Stand (Sommer 1993) der Erfassung des Marktes mit Festbeträgen. 236 Hauck/Haines-Ger/tfcA, § 35 Rzn.1,3. Vgl. die eingehende Darstellung bei Manhardt, Die Festbetragsregelung des GRG, 1990.

B. Die Vorschriften des Sozialversicherungsrechts

69

nur ca. 40 % der Arzneimittel festbetragsgeregelt 257. Schätzungen gehen für 1992 von einem Einsparbetrag in Höhe von einer Mrd. (statt geplanten zwei Mrd.) D M aus, wovon die Hälfte allerdings den Versicherten über ersparte Zuzahlungen zugutekomme 258 . Der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion i m Gesundheitswesen sieht die Wirksamkeitsobergrenze des Instruments bei 50 - 60 % der Wirkstoffe mit einem Umsatzanteil von sieben Acht e l n 2 5 9 . Das GSG unterwirft über den geänderten § 31 SGB V auch festbetragsgeregelte Mittel der Zuzahlung und erleichtert die Gruppenbildung nach Indikationen 2 6 0 .

d) Höchstbetrag, Richtgrößen und Malusregelung Um das Konzept der recht komplizierten Regelung des neugefaßten § 84 SGB V zu verstehen, muß zunächst ein Blick auf die bisherige Anwendung der dort verwendeten Instrumente geworfen werden. Ein Arzneimittelhöchstbetrag wurde in § 368f V I RVO durch das K V K G 1977 eingeführt und sollte auf Gesamtvertragsebene die Arzneimittelkosten derart begrenzen, daß der Höchstbetrag nicht überschritten würde. Er wurde, wohl mangels durchschlagskräftiger Zwangsmittel, nie durchgesetzt 261 . Im SGB V nach dem GRG 1989 war dann ein Höchstbetrag nicht mehr vorgesehen. An seine Stelle 2 6 2 trat das im alten § 84 vorgeschriebene Richtgrößensystem. Danach sollten die kassenärztlichen Vereinigungen und Landesverbände der Krankenkassen in ihren Gesamtverträgen u.a. für Arzneimittel Richtgrößen für das Volumen zu verordnender Leistungen vereinbaren. Hierbei sollten "die Entwicklung der Zahl und der Altersstruktur der behandelten Personen sowie die Preiswürdigkeit der Verordnungen" 263 berücksichtigt werden. Diese Richtgrößen sollten dazu dienen, unwirtschaftlich verordnende Ärzte zwecks Beratung oder Re-

237

BT-Drs. 12/3608, S.68.

238

Krauskopf,

239

JG 1991, Ziff.128.

SGB V, Vorauflage, § 35 Rz:2.

260

Kritisch dazu Bohle, gpk 1992,253 (255), weil Arzneimittelforschung sich nicht mehr lohne, wenn auch neuartige Mittel zum Preis der alten verkauft werden müßten. 261

SVRKAiG, JG 1992, Ziffer 140.

262

Hauck/Hames-Sc/iz/wr, § 84 R z l ; SVRKAiG, JG 1989, Ziff. 239 ff.

263

§ 84 S.2 SGB V a.F.

70

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Arzneimittelversorgung

greß herauszufinden (§ 106 a.F. 2 6 4 ). M i t diesen gesetzlichen Vorgaben hatte die Praxis Schwierigkeiten. In Zusammenschau mit dem parallel verabschiedeten Festbetragskonzept und der in § 106 I I N r . l a.F. ohnehin vorgesehenen Wirtschaftlichkeitskontrolle von Ärzten anhand von Durchschnittswerten blieb unklar, welche Kriterien die Richtgrößen eigentlich bestimmen sollten. Die Kommentarliteratur zieht den Schluß, es sei in Wirklichkeit um die Bekämpfung der Mengenausweitung gegangen 265 . Bis Ende 1991 gab es offenbar nur im Bereich der K Ä V Nordbaden eine akzeptable Richtgrößenvereinbarung266. Das GSG führt mit dem neuen § 84 zunächst wieder einen (jetzt Budget genannten) Höchstbetrag ein, der für 1993 in Art.27 GSG (auf 98,25 % der Arzneimittelausgaben der GKV von 1991) festgelegt i s t 2 6 7 . Ab 1994 wird das Budget auf Landesebene vereinbart, Überschreitungen tragen die jeweiligen KÄVen bzw. ihre Ärzte, notfalls über eine entsprechende Verringerung der Gesamtvergütungen (Honorare) für ärztliche Leistungen. Nach § 84 I V n.F. kann die Budgetregelung frühestens für 1994 ausgesetzt werden, aber nur dann, wenn gültige Vereinbarungen über Richtgrößen nach § 84 I I I n.F. und über daran anknüpfende Wirtschaftlichkeitsprüfungen gem. § 106 I I n.F. zustandegekommen sind. Zu diesem Zweck wurden die §§ 84 III, 106 I I SGB V (etwas) klarer gefaßt. Die Vereinbarung von Richtgrößen sollte damit unter Zuhilfenahme etwa des ausführlichen Vorschlags des SVR K a i G 2 6 8 möglich sein. Unter dem Strich kann festgehalten werden, daß die neue Regelung das Höchstbetrags- und das Richtgrößenkonzept alternativ miteinander verbindet und ein Durchsetzungsinstrument dadurch schafft, daß die Ärzte - kollektiv oder einzeln - für Überschreitungen haftbar gemacht werden (Malusregelung). Nach den Zahlen für die ersten Quartale 1993 zeichnet sich ein durchschlagender Erfolg dieses Regelungsgeflechts ab. Vor allem durch die Verordnung der billigeren Generica wird das Arzneimittelbudget 1993 wohl deutlich unter-

264 Dazu eingehend Spiolek, ZSR 1992,209; Waldeck, MedR 1993,339 (340 f.) und BSG, SGb 1993,124. 265

KassKomm-/ferc, § 84 Rz:l; vgl. weiterSpelltrinK

266

SöderSraiC4jGimJG 1992,Ziff.141.

267

BKK 1992,27, G.Schroeder-Printzen,

NZS 1993,298 (301 ff.).

Art. 27 enthält auch die in der Presse vielzitierte Einstandspflicht der Ärzteschaft in Höhe von 280 Mill. D M und der pharmazeutischen Industrie in Höhe von weiteren 280 Mill. D M , falls das Budget 1993 überschritten werden sollte. Vgl. dazu auch Oldiges, DOK 1993,340 (insbes. 341). 268

Im JG 1992, Ziffern 152 ff

B. Die Vorschriften des Sozialversicherungsrechts

71

schritten werden 2 6 9 . Inzwischen haben freilich die konsequenten Budgetierungen anscheinend Auswirkungen auf verschiedene Leistungserbringer für das Gesundheitssystem gehabt. Eine erhebliche Zahl von Masseuren habe, so berichtet die Presse, ihre Praxis aufgeben müssen, da die Ärzte aus Furcht vor Regressen weniger Massagen verordneten. Die Umsätze seien von Januar bis April 1993 gegnüber dem Voijahr um 37 % gesunken 270 . Die Pharmaindustrie sei gezwungen, die Forschungsinvestitionen zu kürzen, ein Fünftel der Unternehmen arbeite kurz und Entlassungen seien absehbar. Ausgenommen von dieses Entwicklung seien nur die Generica-Hersteller 271 .

e) Arzneimittel-Richtlinien

und Preisvergleichsliste

272

Die Aufgabe des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, nach § 92 I Nr. 6, II, I I I die sog. Arzneimittel-Richtlinien zu erlassen, wurde bereits kurz gestreift. Sie bezeichnet einen juristischen Streit, der erst in einigen Jahren, mit Inkrafttreten der Positivliste nach § 92a V I I I SGB V, sein Ende finden wird. Gemäß Art. 33 V GSG treten die Absätze 2 und 3 des § 92 dann außer Kraft. Nach § 92 I dienen die Richtlinien generell dazu, den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz zu konkretisieren. 92 I I schreibt heute vor, daß die ArzneimittelRichtlinien dem Arzt den Preisvergleich und die Auswahl therapiegerechter Verordnungsmengen ermöglichen sollen. Erschienen die ersten Preisvergleichslisten auf der Grundlage des K V K G 1977 im Jahre 1979 als reine Preisvergleiche chemisch identischer Wirkstoffe, so erfolgte ab 1984 eine Neuordnung nach Indikationsgebieten und ab 1986 eine Einteilung der aufgeführten Mittel in drei Gruppen (ABC-Einteilung 2 7 3 ) 2 7 4 .

269

Wissenschaftliches Institut der Ortskrankenkassen (wido), DOK 1993,451 (452 f.) sowie SZ vom 31.3.1993, S.28; 5.6.1993, S.5; 16.8.1993, S.5; 19.8.1993, S.17 und vom 24.8.1993, S.17. Die Dauerhaftigkeit dieses Trends bezweifelnd Oldiges, DOK 1993,446 (448). Die endgültigen Zahlen ergeben, daß die Ärzte 1993 umsatzbezogen fast 12 % weniger Arzneimittel verordnet haben als 1992, vgl. SZ vom 04.08.1994, S.17. Das Budget in Hohe von 23,9 Mrd. D M wurde um 2,2 Mrd, D M unterschritten, Leopold, SozVers 1994,118. 270

SZ vom 18.5.1993, S.27.

271

SZ vom 24.8.1993, S.17.

272

Ausführlich zur Preisvergleichsliste MJiamsauer, Arzneimittelversorgung, S. 171 ff.

273

"Gruppe A: Mittel, die allgemein zur Behandlung geeignet sind, Gruppe B: Mittel, die nur bei einem Teil der Patienten oder in besonderen Fällen zur Behandlung geeignet sind,

72

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Arzneimittelversorgung

Es waren wohl die Preisvergleichslisten, die der Rechtswissenschaft zum ersten Mal Anlaß gaben, die Reichweite der Arzneimittelzulassung nach dem A M G 1976 gegenüber sozialversicherungsrechtlichen Regelungen abzugrenzen. Insbesondere das schon früher in Nr. 10 der Arzneimittel-Richtlinien 275 enthaltene und heute auch für die Dreiteilung in Gruppen (und auch in § 34 I I I SGB V verwendete) notwendige Merkmal des "therapeutischen Nutzens" wurde teilweise als identisch mit der "Wirksamkeit" nach dem A M G angesehen276. Ungeklärt war auch das Verhältnis der Richtlinien zu den Transparenzlisten des BGA nach §§ 39a ff. AMG. Angesichts weitgehend identischer Aufgabenbeschreibung lag der Schluß - die Eingriffsqualität solcher Listen in Art. 12 I GG mit dem B V e r w G 2 7 7 unterstellt - auf eine mangels Erforderlichkeit gegebene Verfassungswidrigkeit jedenfalls eines der beiden Listensysteme nahe. M i t der kompletten Streichung des Ö.Abschnitts des A M G entfielen zum 1.1.1993 aber die Transparenzlisten, so daß insoweit keine Bedenken mehr bestehen. Lebhaft umstritten ist schließlich der Verbindlichkeitsgrad der Preisvergleichsliste. Für eine zwingende Beachtlichkeit der Liste könnte - neben dem bereits in Zusammenhang mit dem Bundesausschuß angesprochenen Verweisungssystem 278 - sprechen, daß die Richtlinien eine Konkretisierung des j a verbindlich (§ 12 I) vorgeschriebenen Wirtschaftlichkeitsgebots s i n d 2 7 9 . Als weniger verbindliche Richtschnur könnte man sie deswegen verstehen, weil dies der Titel "Richtlinie" nahelegt und weil die meisten Vorschriften in den Richtlinien als Soll-Vorschriften gefaßt sind 2 8 0 . Dieses Argument führt zu einer nur potentiellen Verbindlichkeit. Die Rechtsprechung hat eine Verbindlichkeit dort bejaht, wo nicht zwingendes Gesetzesrecht entgegenstehe 281 . JeGruppe C: Mittel, bei deren Verordnung wegen bekannter Risiken oder zweifelhafter therapeutischer Zweckmäßigkeit besondere Aufinerksamkeit geboten ist." (§ 92 I I 3 SGB V). 27 4

Hess, Festschrift für H.Narr, S.258 f.

273

Abdruck z.B. bei Küchenhoff

SGb 1979,89 und KassKomm-Hess, § 92 Rz:7.

27 6

Küchenhoff, SGB 1979,89 (94); Denninger, Arzneimittel-Richtlinien und Verschreibungsfähigkeit, S.51 f. Die daraus abgeleiteten verfassungsrechtlichen Bedenken sind auch auf § 34 m übertragbar und sollen deshalb in dessen Zusammenhang behandelt werden. 277

BVerwGE 71,183 (Transparenziisten).

278

Oben I.2.c.; eboiso BSGE 38,35.

27 9

BilsWKirsch/Sendler,

280

Hauck/Haines-Gerfac/i, § 31 Rzl7.

281

SGB 1986,359 (361).

BSGE 38,35 (38). S. zum Thema weiter BSGE 67,251 und weitere Nachweise bei Neumann, VSSR 1993,119 (124 mit Fn. 30).

B. Die Vorschriften des Sozialversicherungsrechts

73

denfalls für definitive und faktische Ausschlüsse von Arzneimitteln aus der Verordnungsfahigkeit kann die Preisvergleichsliste heute aber keine Verbindlichkeit mehr beanspruchen. Der Gesetzgeber hat diesen Teilbereich nämlich inzwischen abschließend in § 34 (zukünftig § 34a) SGB V geregelt 282 . Soweit es im übrigen auf einem Markt, dessen viele tausend Mittel ohne weiteres sicher nicht überschaubar sind, darum geht, Marktfunktionen durch Transparenz erst zu gewährleisten, ist an den Listen aus verfassungsrechtlicher Sicht wohl nicht zu rütteln. Bedenken bestehen nur, insoweit, entspricht die Problematik deijenigen der Transparenzlisten nach A M G 2 8 3 , wo dieselben Vergleiche bzw. Beurteilungen mehrfach in grundrechtsbeeinträchtigender Weise vorgenommen werden bzw. wurden. Aus rechtstechnischer Sicht ist die Zusammenfassung sämtlicher Listen durch §§ 34a, 92a SGB V n.F. wegen der Vereinfachung sicherlich zu begrüßen. Bis dahin bleibt die Preisvergleichsliste im dargestellten Umfang - je nach inhaltlicher Formulierung und nach Einfluß höherrangigen Rechts, insbesondere verfassungsrechtlicher Grundsätze 284 - beachtlich. Eine Neufassung der Arzneimittel-Richtlinien hat der zuständige Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen am 9. März 1993 vorgelegt 285 . Unter Berücksichtigung des ohnehin im Gefolge der Budgetregelung aufgetretenen Rückgangs der Arzneimittelausgaben der GKV in den ersten beiden Quartalen des Jahres 1993 und der teilweise offenbar nicht widerleglichen Einwände betroffener Hersteller wurde anscheinend davon abgesehen, einen noch weitergehend geplanten Ausschluß auf der Negativliste gerade nicht geführter Medikamente zu verwirklichen 2 8 6 . Aber auch die vorgelegte Fassung wurde zunächst vom BMG aus rechtlichen Gründen nach § 94 SGB V beanstandet 287 , so daß sie erst am 31.8.1993 beschlossen und am 1.1.1994 in Kraft treten konnten. Insgesamt kann die

282

Hauck/Haines-Sc/ii/7wer, § 92 Rz.10; ebenso jetzt auch das BMG in seiner Stellungnahme zu den neuesten Arzneimittel-Richtlinien, nach Oldiges, DOK 1993,424. Die in Nr.21 (Neufassung Nr. 17) Arzneimittel-Richtlinien von der Verordnung ausgeschlossenen Stoffgruppen durften deshalb, soweit es sich um Arzneimittel handelt, übexholt sein. 283

S.o. A m . 1.

284

So auch Thier, ZSR 1989,61 (87) und BSGE 38,35 (38).

285

S. Kirsch, DOK 1993,240 und 284 ff.

286

SZ vom 11.3.1993, S.21; s. zum Verfahren der Erstellung und der Anhörung der Hersteller auch Schönbach, BKK 1993,196 (199 f.). 287 Oldiges, DOK 1993,424. Die jetzige Neufassung ist veröffentlicht im BAnz. Nr. 246 vom 31.12.1993, S. 11155.

74

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Arzneimittelversorgung

Auseinandersetzung um diese Richtlinien als Probelauf der Möglichkeiten der neuen Positivliste 288 verstanden werden. Im übrigen hat der Bundesausschuß gleichzeitig auch die aktuelle Negativliste veröffentlicht (§ 93 I SGB V ) 2 8 9 , nachdem er diese Aufgabe noch 1991 aus Furcht vor Regreßansprüchen nicht wahrnehmen wollte.

J) Negativ- und Positivliste Der bisher konsequenteste 290 Versuch, mehr Wirtschaftlichkeit im Bereich der kassenärztlichen Arzneimittelversorgung zu erzwingen, ist im globalen Ausschluß namentlich spezifizierter Präparate von der Verordnungsfahigkeit zu erblicken. Wurde, wie schon erwähnt, diese Aufgabe vor 1989 teilweise den Arzneimittel-Richtlinien zugewiesen, aber auf dieser Schiene tatsächlich nie wahrgenommen, so sollte sie seit dem GRG 1989 mit dem Negativlistenkonzept des § 34 SGB V erfüllt werden. Das GSG sieht die Fortgeltung dieser Vorschriften vor, bis die neu eingeführte Positivliste in Kraft t r i t t 2 9 1 . Nach den gesetzlich niedergelegten Fristen soll das zum Jahreswechsel 1995/96 der Fall sein 2 9 2 . Der prinzipielle Unterschied zwischen Negativ- und Positivliste ist zunächst nur formaler Natur. Während eine Negativliste die nicht verordnungsfahigen Arzneimittel aufführt, enthält die Positivliste alle verordnungsfahigen Präparate.

aa) Bisherige Rechtslage Nach bisherigem Recht ist der Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln nach § 31 I SGB V von vorneherein nur gewährt, "soweit diese Arzneimittel nicht nach § 34 ausgeschlossen sind". § 34 enthält in Absatz 1 einige Indikationsgruppen von Mitteln, die für Versicherte im Alter ab 18 Jahren von der Versorgung ausgeschlossen sind, z.B. Arzneimittel gegen Erkältungskrankheiten und gegen Reisekrankheit. In Absatz 2 wird der BMG ermächtigt, weitere Mittel unter dem Gesichtspunkt der Zweckbestimmung für geringfügige Ge-

288

Zur Positivliste sogleich unter f.

289

Ohne Verf., BKK 1993,222.

290

Soweit nicht die Ärzteschaft in Rede steht, s. dazu das HödistbetragsVRichtgrößenkonzept.

291

Art.33 V i . V . m Art.l Nr.20b GSG.

292

Vgl. § 92a V E u. § 34a SGB Vn.F.

B. Die Vorschriften des Sozialversicherungsrechts

75

sundheitsstörungen von der Verordnungsfahigkeit auszuschließen. Eben dieser Gesichtspunkt bildet auch den Anlaß für die Ausschlüsse nach Absatz 1, denn derartige "Bagatell-Arzneimittel" sollen der Selbstmedikation überlassen bleib e n 2 9 3 . Von der Ermächtigung nach Absatz 2 wurde allerdings bisher kein Gebrauch gemacht. Diese, nicht an den Wirkstoffen, sondern an den Anwendungsgebieten ansetzenden Negativlisten sind schon seit dem KVEG 1982 vorgesehen und beruhen auf dem Versuch, aus dem Krankheitsbegriff der GKV die "Befindlichkeitsstörung" auszugrenzen. Das Konzept hat weniger Spareffekte gehabt als erhofft, was wohl auf - gesundheitspolitisch natürlich auch nicht wünschenswerte - Substitutionseffekte hin zu "stärkeren" Arzneimitteln mit weitergehenden Indikationsgebieten zurückzuführen i s t 2 9 4 . Von diesem Negativlistenkonzept ist dasjenige des § 34 I I I grundsätzlich zu unterscheiden: Hier wird der BMG ermächtigt, unwirtschaftliche Präparate von der Versorgung auszuschließen, angesetzt wird also direkt bei den Wirkstoffen oder der Zusammensetzung einzelner Arzneimittel. Ohne Beschränkung auf diese ("insbesondere") nimmt § 34 I I I 2 in drei Alternativen v.a. zwei Gruppen von Arzneimitteln in den Blick. Bei Arzneimitteln, "die für das Therapieziel oder zur Minderung von Risiken nicht erforderliche Bestandteile enthalten oder deren Wirkungen wegen der Vielzahl der enthaltenen Wirkstoffe nicht mit ausreichender Sicherheit beurteilt werden können" geht es um Kombinationsarzneimittel, die, wie dargestellt, auch im Regelungsbereich des A M G zunehmend kritisch beurteilt und verschärften Anforderungen unterworfen werden. Die Formulierung "Arzneimittel, (...) deren therapeutischer Nutzen nicht nachgewiesen ist", meint dagegen (auch) Monopräparate. Für die Ermächtigung nach § 34 I I I gilt ebenso wie für die nach Absatz 2, daß Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen (wie nach AMG) dabei dadurch geschützt sind, daß ihrer besonderen Wirkungsweise bei der Beurteilung Rechnung zu tragen i s t 2 9 5 . Im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsbegriffs wird der Zweck des § 34 I I I in unterschiedlicher Richtung gesehen. Einerseits verspricht man sich eine Ko-

293

Krauskopf,

294

KassKomm-Hess, Vorauflage, § 34 Rz3.

295

SGB V, § 34 Rz.3-7.

Übeihaupt sind diese Arzneimittel, worauf bereits hingewiesen wurde, nach der Systematik des § 2 SGB V keine Außenseitennethoden, sondern auch im Rahmen der GKV allgemein anerkannt und verordnungsfähig, vgl. Franz, Naturheilmittel und Recht, S.224 f.

76

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Arzeimttelversorgung

stensenkung 296 , die auf einen jährlichen Betrag von 300 Mio. D M beziffert wurde 2 9 7 . Andererseits wird mehr Betonung auf den im Wirtschaftlichkeitsgebot j a auch enthaltenen Zweckmäßigkeitsaspekt (§ 12 I) gelegt, im Vordergrund stehe bei § 34 I I I die Marktbereinigungsfunktion 298 . Trotz des mitunter angeführten Marktanteils "unwirtschaftlicher Arzneimittel" von über einem Drittel und der Tatsache, daß viele hierzulande gut verkäufliche Arzneimittelgruppen in anderen westlichen Industriestaaten gar nicht angeboten werd e n 2 9 9 , muß dabei auch gesehen werden, daß hier (vermeintliche) Mängel oder doch Auswirkungen des A M G über das Sozialversicherungsrecht ausgeglichen oder gesteuert werden sollen 3 0 0 . Von der Verordnungsermächtigung des § 34 I I I hat der BMG mit der Verordnung vom 21. Februar 1990 3 0 1 Gebrauch gemacht. Darin wird die zweite Alternative des § 34 I I I 2 SGB V dahingehend konkretisiert, daß - wiederum unter Ausnahme der besonderen Therapierichtungen - solche Arzneimittel unwirtschaftlich sind, die mehr als drei arzneilich wirksame Bestandteile enthalten (§ 2 I der VO). Medikamente, die bestimmte - als unzweckmäßig beurteilte - Wirkstoffe enthalten, werden, ob über § 3 der VO mit Bezug auf § 34 I I I 2 dritte Alternative als Monopräparate, oder über § 1 I I der VO als Kombination mit anderen Bestandteilen, in der Anlage 2 bezeichnet und von der Verordnung ausgeschlossen. § 11 i. V.m. Anlage 1 der VO schließt Wirkstoffe in jeweils bezeichneten Kombinationen aus. Die Anlage 2 differenziert nach den verschiedenen Therapierichtungen. Interessant an der Verordnung ist auch ihr § 4, der ihre Anwendung auf seit dem 1.2.1987 vom BGA zugelassene Arzneimittel ausschließt, soweit ein Beitrag jedes arzneilich wirksamen Bestandteils zur positiven Beurteilung des Arzneimittels ausreichend begründet ist. Letztere Einschränkung deckt sich in der Formulierung fast wörtlich mit dem 1990 in § 25 A M G eingefügten Absatz 5a, so daß jedenfalls neu zugelassene Arzneimittel nicht auf die Negativliste kommen. Berücksichtigt man weiterhin, daß nach Inkrafttreten des A M G (positiv und nicht nur fiktiv) zugelassene Arzneimittel alle fünf Jahre eine Verlängerung der Zulassung benöti-

296

SVRKAIG, JG 1989, Ziffern 225 f.

297

KassKomm-Hess, § 34 Rz.2.

298

Strunk, ZSR 1992,241 (244); Glaeske, DOK 1992,113 (116); deutlich auch Kiewel, 1992,241 (243). 299

SVRKAiG, JG 1992, Ziffer 44*; Glaeske, DOK 1992,113 (115).

300

So beispielsweise auch Glaeske, DOK 1992,113(116) selbst.

301

BGBl I, S.301.

SF

B. Die Vorschriften des Sozialversicherungsrechts

77

gen ( § 3 1 AMG), so wird der (Alt-)marktbereinigungseffekt der Negativliste nach § 34 I I I SGB V noch deutlicher. Die für die Handhabung der Liste erforderliche Zusammenstellung nach den Namen der Präparate hat - da der Bundesausschuß seiner Sollaufgabe des § 93 SGB V nicht nachkam - der BMG wohl in entsprechender Anwendung des § 94 SGB V zum 1.10.1991 selbst veröffentlicht 302 . Vorausgegangen war die Untersuchung von 28000 Arzneimitteln auf die Verordnungskriterien hin. Von den 6500 Mitteln, die daraus für die Liste in Frage kamen, verschwanden 4000 umgehend ganz vom Markt, während 2500 tatsächlich daraufgesetzt wurden 3 0 3 . Mangels eines vollständigen Verzeichnisses der aktuell verkehrsfahigen Arzneimittel wurde offenbar davon abgesehen, das Gesamtangebot an Arzneimitteln zu überprüfen. Die pharmazeutische Industrie hat auf dem Rechtsweg versucht, Erlaß und Veröffentlichung der Negativlisten zu verhindern und dabei, soweit ersichtlich, auch vor den Sozialgerichten im wesentlichen grundrechtlich argument i e r t 3 0 4 . Das SG Köln hatte dem im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes stattgegeben, wurde aber vom LSG Essen 3 0 5 aufgehoben, welches einen Eingriff in Herstellergrundrechte unter Berufung auf das B S G 3 0 6 verneinte. Eine Verfassungsbeschwerde scheiterte bereits am Vorprüfungsausschuß, der zwar einen Eingriff in Art. 12 I und Art. 14 GG für möglich hielt, diesem aber verfassungsrechtliche Rechtfertigung zusprach 307 . Die erst verhältnismäßig kurze Zeit, die seit der Schaffung aller Voraussetzungen für das Wirksamwerden der Negativliste nach § 34 I I I vergangen ist, macht es schwierig, ihre tatsächlichen Auswirkungen zu beurteilen. Zwar sollen schon im Vorfeld ca. 4000 - 5000 Präparate vom Markt genommen worden sein 3 0 8 , jedoch wird es sich hierbei um Altpräparate gehandelt haben, die

302

Beilage zum BAnz 1991, Nr.184 (vgl. S.6945).

303 Ausführlich zu Art und Beteiligten des Verfahrens Waldeck, BKK 1991,849 (850). In dai 6500 Mitteln waren auch 400 der besonderen Therapierichtungen enthalten, Wäldeck, aaO.., S.853. 304

Vgl. dazu auch das Gutachten von Schwerdtfeger,

(Negativlisten), Pharm.Ind. 51 (1989), 21.

305

PhR 1991,295 (Beschluß vom 21.8.1991). Eine kurze Übersicht über den Verlauf dieser Rechtsstreitigkeiten, auch im Hauptsacheverfahren, bei Waldeck,, BKK 1991,849 (851). Die bisher letzte Entscheidung in dieser Reihe ist die des LSG Essen vom 06.10.1993 (Leitsatze in SGb 1994,280 f., Nr.5). 306

BSGE 67,251; vgl. dazu Sodan, SGb 1992,200 und unten Kapitel 2 B.

307

BVerfij

308

(Vorprüfungsausschuß), Beschluß vom 29.9.1991, NJW 1992,735.

Schwabe/Paffrath, Arzneimittel-Verordnungsreport 1991, S. 11; Waldeck, BKK 1991,849; Rostalski, ErsK 1992,429 (430); Kirsch, DOK 1993,284 (285).

78

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Arzneimittelversorgung

"nur" eine Fiktivzulassung nach dem A M G 1976 hatten. Nach Auskünften von pharmazeutischen Unternehmen kann nicht übergreifend, wohl aber für einzelne Präparate mit schon zuvor relativ geringen Umsätzen auf eine Marktausschlußwirkung, d.h. Verdrängung vom gesamten, auch PKV und Selbstmedikation umfassenden Arzneimittelmarkt, geschlossen werden. Deutliche Umsatzeinbußen werden für betroffene Mittel allgemein konstatiert. Die neugefaßte Negativliste vom März 1993 zeigt, daß weitere ca. 300 Mitel vom Markt genommen wurden und infolgedessen nicht mehr in den Listen auftauchen 3 0 9 . Das zeigt, daß das Marktverschwinden als eine mögliche oder sogar wahrscheinliche Folge des Auftauchens des Präparates auf der Negativliste in Betracht zu ziehen i s t 3 1 0 . Freilich haben viele Hersteller auch anders reagiert und sich auf den Umsatz durch die Selbstmedikation verlassen oder Nischen im A M G genutzt 3 1 1 . Durch Eliminierung oder Austausch von Inhaltsstoffen bzw. durch Umdeklarierung von Wirk- in Hilfsstoffe war es z.T. möglich, der Aufnahme in die Negativliste zu entgehen. Solche Mittel werden teilweise auch neben dem unveränderten Altprodukt angeboten und erreichen gemeinsam mit ihm in manchen Fällen mehr als den alten Umsatz 3 1 2 . Ob die Negativliste ihre Ziele erreicht, ist demnach differenziert zu betrachten. Die eingehendste Darstellung ihrer Auswirkungen verneint eine Sparwirk u n g 3 1 3 , und wo Erfolge der Liste konstatiert werden, besteht dieser gerade im Marktbereinigungseffekt 314 . M i t Veröffentlichung der Positivliste werden die §§ 34 II, I I I SGB V außer Kraft treten, sie gelten bis dahin aber samt der Negativlisten noch weiter.

309

o. Verf., BKK 1993,222.

310

Ohne weiteres unterstellt vom SG Köln, PhR 1992,272 (273); wie auch in vielen anderen Veröffentlichungen übediaupt nicht in Betracht gezogen dagegen von Jensen, BKK 1991,473. 311

Namentlich die oben A l l . 1 beschriebene Möglichkeiten.

312

Rostalski, ErsK 1992,429 (430 f.), dort auch Beispiele; Waldeck, BKK 1991,849 (850).

313

Rostalski, ErsK 1992,429(431).

314

Waldeck, BKK 1991,849 (850); Rostalski, ErsK 1992,429 (431); o.Verf, BKK 1993,222.

B. Die Vorschriften des Sozialversicherungsrechts

79

bb) Künftige Rechtslage Bis Ende 1995 soll, so die gesetzliche Vorgabe in § 34a SGB V, die bisherige Listen- und Übersichtenvielfalt 315 durch eine einheitliche Positivliste mit den verordnungsfahigen Präparaten abgelöst werden. Im einzelnen werden die Transparenzlisten nach §§ 39 a ff. AMG, die Preisvergleichsliste des Bundesausschusses nach § 92 SGB V a.F. sowie die Negativlisten nach § 341-III SGB V a.F. ersetzt. Das Verfahren sieht so aus, daß ein neu zu etablierendes Institut "Arzneimittel in der Krankenversicherung" 316 eine Vorschlagsliste wirkstoffbezogen erstellt (§ 92a V), die der BMG mit Zustimmung des Bundesrates als Verordnung nach § 34a SGB V erläßt, nachdem er sie anhand von Rechtsvorschriften geprüft hat. Daraufhin stellt das Institut die Liste in Gliederung nach Indikationsgebieten, Stoffgruppen und Stoffen sowie Therapierichtungen zusammen, so daß auch Preisvergleiche möglich und Festbeträge ersichtlich sind. Diese, die eigentliche Positivliste, wird im Bundesanzeiger bekanntgemacht und den Vertragsärzten zur Verfügung gestellt (§ 92a VIII). Den Bedürfnissen der besonderen Therapierichtungen wird in § 92a VI, entsprechend der bisherigen Behandlung auch in § 34 und durch Einbeziehung einschlägig qualifizierter Sachverständiger (§ 92a I Nr.5) Rechnung getragen. Hinzu tritt die z.T. einer eigenen Beurteilung des Instituts für Arzneimittel entzogene Aufnahme in die Positivliste, was man als vorsichtige Privilegierung der drei genannten besonderen Therapierichtungen begreifen kann. Allerdings würden die Beschlußvoraussetzungen (Mehrheitsprinzip) es ermöglichen, diese Sachverständigen zu überstimmen 317 . Die inhaltlichen Kriterien der Aufnahme in die Liste verweisen auf das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 92a V 2). Interessanterweise sind die weiteren Voraussetzungen in der Art des bisherigen § 34 negativ formuliert. § 92 V Nrn. 2,3 enthalten materiell keine Änderungen bezüglich Kombinationsarzneimitteln und solchen für geringfügige Gesundheitsstörungen. Dagegen wird die dritte Alternative des § 34 I I I 3 a.F. (nicht nachgewiesener therapeutischer Nutzen) textlich ausgeweitet. § 92a V 3 Nr. 1 sieht den Ausschluß von Arzneimitteln vor, "für die nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft ein mehr

313 S. Begründung zum GSG, BT-Drs. 12/3608, S.91. Zum weiterhin aktuellen Ziel der Reformgesetzgebung, Unwirtschaftlichkeit abzubauen und die Finanzierbarkeit der GKV zu «halten s. Seehofer, gpk 1993,3. 316

Zu dessen Zusammensetzung s. die Verordnung des BMG vom 7.4.1993, BGBl. I, S.441.

317 Vgl. die Äußerung des Mitglieds des Instituts für Arzmimittel, Hauenstein, in einem Interview (PhR, Heft 6/1994, Umschlagseiten IE-IV.

80

1. Kapitel: Die rechtlichen Regelungen zur Arimittelversorgung

als geringßgiger therapeutischer Nutzen hinsichtlich des Ausmaßes des zu erzielenden therapeutischen Effektes nicht nachgewiesen oder deren therapeutische Zweckmäßigkeit zweifelhaft ist". Letztere Ausweitung geht über § 12 I SGB V nicht hinaus, während erstere klarstellt, daß es, anders als beim Wirksamkeitsnachweis nach AMG, auf einen Vergleich verschiedener Arzneimittel hinsichtlich des Wirksamkeitsgrafes ankommen soll. Damit hat die SPD - die Positivliste war im ursprünglichen Entwurf zum GSG nicht enthalten 3 1 8 - ihre alte Forderung nach einem solchen System durchgesetzt 319 . Zu begrüßen dürfte die Vereinheitlichungswirkung der Positivliste sein, zumal die Gesundheitsreformen das Recht sonst nicht gerade übersichtlicher gestaltet haben. Eine entscheidende Frage allerdings hat auch die "große Koalition" von CDU/CSU, FDP und SPD offengelassen: Die materiellen Voraussetzungen, unter denen nach § 92a I X Arzneimittel trotz Nichtaufnahme in die Positivliste ausnahmsweise verordnungsfahig sein sollen, müssen von den Spitzenverbänden der Krankenkassen mit der kassenärztlichen Bundesvereinigung noch vereinbart werden. Hierauf werden sich auch die Folgerungen aus den Vorgaben des Verfassungsrechts zu beziehen haben. Stimmen aus der Pharmabranche befürchten als Folgen der Positivliste und des Arzneimittelinstituts bereits jetzt den Konkurs kleinerer und mittlerer Hersteller, die Aufgabe von Forschungstätigkeit und das Verschwinden ganzer Therapieprinzipien vom M a r k t 3 2 0 . Problematisch sei vor allem, daß im Sinne einer Beweislastumkehr der Hersteller trotz gültiger Zulassung nach A M G dafür sorgen müsse, daß sein Präparat Aufnahme in die Positivliste finde, während dies bei der Negativliste immerhin noch umgekehrt gewesen sei 3 2 1 .

318

S.BT-Drs. 12/3209 und 12/3210.

319

Vgl. KDreßler (ein Sozialexperte der SPD) nach Strunk, ZSR 1992,241 (243).

320

Rahner, phann.ind 54 (1992), XI/249; Geursen, gpk 1992,257 (258).

321

Geursen, gpk 1992,257 (258).

2. Kapitel:

Vorfragen einer verfassungsrechtlichen Beurteilung A. Zur grundrechtlichen Kontrolle sozialstaatlicher Gesetzgebung Es steht außer Frage, daß in den Regelungen des Sozialgesetzbuches und auch des SGB V das grundgesetzliche Sozialstaatsprinzip seinen Ausdruck findet 1. Geht es bei dieser Arbeit um die grundrechtlichen Grenzen von sozialrechtlicher Einwirkung auf das Arzneimittelrecht und den Arzneimittelmarkt, so ergibt sich daraus die Notwendigkeit zu erörtern, wie Sozialgesetzgebung und damit verbundene Freiheitsbegrenzung, wie Sozialstaatsprinzip und Grundrechtsgewährleistung allgemein nach dem GG zusammenpassen können. Dies bereitet angesichts der fehlenden weiteren Ausgestaltung des Sozialstaatsprinzips im GG selbst2 zunächst Schwierigkeiten.

L Sozialgesetzgebung als Grundrechtsausgestaltung ? Die Eingangsfrage legt es bereits nahe, Sozialstaatsprinzip und Grundrechte als ein Gegenüber zu begreifen. Das wäre indes unzutreffend, wenn vorrangig eine wesentlich gleiche Zielrichtung beider feststellbar wäre. Eine solche Sicht ist in der Idee von den sozialen Grundrechten und - abgeschwächt - mitunter in der von den objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalten enthalten.

1. Soziale Grundrechte ? Im Gegensatz zu verschiedenen Landesverfassungen und der Weimarer Reichsverfassung 3 hat das GG auf die Normierung sozialer Grundrechte, ver-

1

Schmidt-Bleibtreu/Klein,

2

Zacher , HdbStR I, § 25, Rz2.

3

Hesse, Gnmdzüge, R*208; Martens , W D S t R L 30 (1972), 7 (11, Fn. 15).

6 Philipp

Alt. 20 Rz.20; Schulin , Soäalrecht, § 1 Rz>2.

82

2. Kapitel: Vorfragen einer verfassungsrechtlichen Beurteilung

standen als anspruchskräftige Garantien der materiellen Voraussetzungen von Freiheitsausübung, verzichtet und sich auf die Formel vom sozialen Rechtsstaat beschränkt 4. Dies erklärt sich einerseits aus den Verfassungserfahrungen mit der Weimarer Reichsverfassung, deren soziale Grundrechte über ein Dasein als bloße Programmsätze nicht hinauskamen5, andererseits aber auch daraus, daß der Parlamentarische Rat das GG als Provisorium verstand 6 und ihm auch die weitere wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik als unsicher erschien7. Letzteres könnte es nahelegen, von dem Befund der Nichtaufnahme sozialer Grundrechte in das GG abzurücken und an die Grundrechte des GG mit einer stärker sozial bzw. leistungsgewährend orientierten Auslegung heranzugehen 8 . Dies bedeutete für den Staat eine größere Befugnis zur Ausgestaltung der Grundrechte, Sozialgesetzgebung würde damit Grundrechte weniger begrenzen als vielmehr ihre Geltung verstärken oder sogar erst ermöglichen. Sie wären damit als Kontrollmaßstäbe für gesetzgeberisches Handeln im Sozialbereich naturgemäß nicht mehr oder doch nur noch eingeschränkt brauchbar. Indes hat sich das GG über seine ursprünglich provisorische Ausrichtung hinausentwickelt und dürfte die Verfassungsinterpretation nicht ohne förmliche Verfassungsänderung den Grundaufbau des GG verändern. Dazu kommt, daß die wirtschaftliche Entwicklung auch heute nicht ohne weiteres vorhersehbar ist. Gerade die Verteilungskämpfe im Gefolge einer wirtschaftlichen Rezession und der Lasten der deutschen Einheit verdeutlichen, wie sehr die zur Verfü-

4

Böckenförde, NJW 1974,1529 (1538); Ossenbühl, NJW 1976,2100 (2105).

3

Pieroth/Schlink,

6

Scheuner, DÖV 1971,505; Stern, Staatsrecht I, S.879.

7

Hofmann, NJW 1989,3177 (3184).

8

Grundrechte, Rz.44.

In diese Richtung etwa Häberle, W D S t R L 30 (1972),43. Ansätze dazu schienen sich in der Rechtsprechung des BVerfG in den Urteilen zum numerus clausus (E 33,303; 39,258; 43,34) zu zeigen. Im Kern bejaht wird dort aber "nur" ein derivatives Teilhaberecht. Der Begriff des derivativen Teilhaberechts bezeichnet die Partizipation an einem bereits vorhandenen Bestand an Gütern oder Möglichkeiten im Gegensatz zu einem originären Teilhaberecht, welches den Staat zwänge, den jeweiligen Rechtsinhalt unabhängig vom bisher Voihandenen zur Verfügung zu stellen. Im Grunde gilt diese Einordnung (nur derivatives Teilhaberecht) auch für die Fälle, in denen die genannte Rechtsprechung des BVerfG nicht alleine geblieben ist. Mit dem Hinweis, daß eine Abhängigkeit vom Staat hinsichtlich der Ausübungsvoraussetzungen von Grundrechten bestehe, wurden jedenfalls im Ansatz Teilhaberechte bejaht aus Art. 5 m GG im Hochschulurteil des BVerfG (E 35,79 (115)), aber auch in der aktuellen Hofgartenentscheidung des BVerwG (NJW 1993,609 f.) aus Alt. 8 GG. Jeweils ging es dabei um die Zulassung zu einem voihandenen Bestand (bzw. die Art der Beteiligung daran) von staatlichen Einrichtungen oder Ressourcen, nicht aber um die Schaffung bisher gar nicht existenter Möglichkeiten. - Zum Ganzen audiMurswiek, HdbStR V, § 112 Rz.86 ff..

A. Zur grundrechtlichen Kontrolle sozialstaatlicher Gesetzgebung

83

gung stehende Verteilungsmasse Wandlungen unterliegen kann. Schließlich darf auch und vor allem ein struktureller Unterschied zwischen Grundrechten als Abwehrrechten und als sozialen Rechten nicht übersehen werden 9. Eine (abwehrende) Freiheit vom Staat, die der Staat in vielen Bereichen selbst gar nicht schaffen, sondern für die er nur einen Rahmen setzen kann, und die sich in der liberalen Grundrechtsauffassung widerspiegelt, ist etwas anderes als eine Freiheit, die erst vom Staat gewährt und inhaltlich ausgeformt wird 1 0 . Dieser Unterschied mag auch deutlich machen, wieso das BVerfG 1 1 von einem Spannungsverhältnis zwischen Freiheit des Einzelnen und Sozialstaatsprinzip spricht. Beachtet man zuletzt die Abhängigkeit der Möglichkeiten staatlicher Sozialgestaltung von der gesamtgesellschaftlich erwirtschafteten Verteilungsmasse und das funktionelle Problem, Richter und nicht das demokratisch legitimierte Parlament über die Verteilung bestimmen zu lassen, so ergibt sich eine auch inhaltliche Absicherung des Verzichts auf soziale Grundrechte im GG12 Zwar ist es wichtig, die Begriffe des sozialen Grundrechts und des originären Teilhaberechts auseinanderzuhalten, weil Teilhabe nicht nur in sozialstaatlicher Ausrichtung denkbar ist 1 3 . Die angeführten Argumente gegen soziale Grundrechte sind jedoch auch auf eine originär teilhaberechtliche Auslegung anwendbar. Deshalb soll für die weiteren Ausführungen ohne eigene zusätzliche Begründung davon ausgegangen werden, daß beide Auslegungen in den Grundrechten des GG keine Stütze finden.

2. Objektiv-rechtliche Grundrechtsauslegung ? Eine gewisse Relativierung der dargestellten grundrechtsdogmatischen Position enthält die Sichtweise, die im objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte einen status positivus bereits angelegt sieht 1 4 oder doch von einer Ausfüllung des inhaltlich offenen Sozialstaatsprinzips durch diese Grundrechtsge-

9

Vgl. Murswiek, HdbStR V, § 112, Rz49 ff.

10

Badura, DÖV 1989,491 (498); Haverkate, Rechtsfragen, S.65 ff.

11

Z.B. E 48,227 (234).

n

Etwa Krebs, Jura 1988,617 (624); KBreuer, Festgabe BVerwG, S.89; Lücke AÖR 107 (1982),15 (40). 13 14

S. Murswiek, HdbStR V, § 112 Rz:5.

In dieser Weise begründet Rupp, AÖR 101 (1976),161 (179) den Verzicht des GG auf ausdrückliche soziale Grundrechte.

2. Kapitel: Vorfragen einer verfassungsrechtlichen Beurteilung

84

halte ausgeht 15 . Der Staat wäre demnach - ohne daß dies vom Bürger eingeklagt werden könnte - nicht nur aus dem Sozialstaatsprinzip, sondern schon aus den Grundrechten verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, daß möglichst viele die rechtlich gewährleisteten Freiheiten der Grundrechte auch tatsächlich in Anspruch nehmen können. Es kann hier nicht insgesamt auf die verschiedenen Theorien zu den objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalten eingegangen werden. Gegen konkrete Folgerungen aus dem zunächst plausiblen Ansatz 1 6 spricht wohl die dann damit verbundene weitgehende inhaltliche Determination des gesetzgeberischen Tätigwerdens 17 durch die Verfassung bzw. die Verfassungsinterpretation. Ein rein abwehrrechtliches Grundrechtsverständnis vermeidet diese Gefahr. Ein solcher Ansatz ist auch in dieser Weise nicht geboten, um dem Staat ausreichende Handlungsmöglichkeiten im sozialen Bereich zu eröffnen. Denn daß aus dem Prinzip des Sozialstaats zwar nicht unmittelbar Ansprüche hergeleitet werden können 1 8 , es aber bei gesetzgeberischer Umsetzung in weitem Umfang dazu taugt, (Abwehr)grundrechte einzuschränken, gehört zum verfassungsrechtlichen Allgemeingut 19 . Damit kann als Ergebnis festgehalten werden, daß sich aus dem Grundrechtsteil des GG möglicherweise eine Begrenzung sozialstaatlicher Gesetzgebung ergibt, nicht dagegen eine konkrete inhaltliche Ausgestaltung. Hierbei ist allerdings die Ableitung von Teilhaberechten aus den Grundrechten als sog. derivative Teilhaberechte 20 nicht ausgeschlossen.

13 Bieback, EuGRZ 1985,657 (664); Scheuner , DÖV 1971,505 (506,512); Badura, DÖV 1989,491 (495). 16 Vgl. sogleich unter IL, sowie etwas eingehender zu den objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalten unten B.I. 17 M/D/H/S-Herzog , Art.20 VUL Rz.51, es handle sich um ein Mißverständnis der Freiheitsredite. Vgl. auch Zacher , HdbStR I, § 25 Rz.80, der die weitgehende inhaltliche Offenheit des Sozialstaatsprinzips sogar für notwendig hält, um da* Eigendynamik des Sozialen gerecht werden zu können. 18

Bto/aPapier,

19

Suva Hesse, Gnmdzüge, Rz.213; deutlich audi BVerfGE 68,193 (218).

20

Dazu Murswiek, HdbStR V, § 112 Rz85; Martens , W D S t R L 30 (1972),7 (21ff); sowie o.

Fn.8.

SRH, S.l 14 ff, Rz.7;Badura , DÖV 1989,491 (492).

A Zur grundrechtlichen Kontrolle sozialstaatlier Gesetzgebung

85

n. Grundrechte als Grenzen der Sozialgestaltung Zwischen Gesetzgebung zu sozialen Zwecken und zur Gefahrenabwehr läßt sich, was die Konkretheit der gesetzgeberischen Ziele anbelangt, ein deutlicher Unterschied feststellen 21 . Während Gefahrenabwehr einer (Rechts)güterbewahrung dient, sich an den je einzelnen Bürger richtet und von daher klar erkennbare Zwecke verfolgt, ist sozialstaatliche Tätigkeit tendenziell gekennzeichnet durch Zweckmehrheiten und durch ihr Abstellen auf "soziale Summeneffekte" 22. Auf diesem Hintergrund könnte als fraglich erscheinen, ob die Grundrechte überhaupt einen geeigneten Begrenzungsmaßstab für sozialstaatliche Tätigkeit abgeben können, jedenfalls soweit es um den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Eingriffsschranke geht. Genau diese Begrenzung ist aber dem Staat durch die Formel vom sozialen Rechtsstaat aufgegeben: einerseits Verpflichtung auf sozialstaatliches Tätigwerden, was bedingt, daß auch Grundrechte dadurch eingeschränkt werden können 23 , andererseits aber auch Kontrolle der sozialstaatlichen Tätigkeit am Maßstab der Grundrechte. Denn das Sozialstaatsprinzip ist gerade eingebettet 24 in den Kontext der übrigen Prinzipien des Art. 20 GG, insbesondere der Rechtsstaatlichkeit, deren Mitbestandteil der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die Kontrolle staatlichen Handelns auf die Angemessenheit der Mittel zum Zweck ist 2 5 . Diese gegenseitige Abhängigkeit und Begrenzung von Sozialstaat und Rechtsstaat spielt sich im übrigen auch auf einer tieferen, am Freiheitsverständnis 26 ansetzenden Ebene ab. Meinen die Grundrechte als Abwehrrechte eine Freiheit des Individuums, die dem Staat vorausliegt, so weisen sie dem Einzelnen eine ganz grundsätzliche Selbstverantwortung für sein Leben zu. Knüpft andererseits das Sozialstaatsprinzip an die Erkenntnis an, daß die

21

Haverkate, Rechtsfragen, S.20 ff. (insb. 25) und 58 ff.

22

Haverkate, Rechtsfragen, S.20 ff., 58 ff.

23

Speziell zu Art. 12 GG, der nach dem BVerfG auch durch nicht verfassungsrechtlich vorgegebene Gemeinwohlbelange, die da* Gesetzgeber politisch fixiert, begrenzt werden kann, so RBreuer, HdbStR VI, § 148 Rz.12. 24

Zu dem insoweit eindeutigen Textbefund für die ganz h.L. Zacher, HdbStR I, § 25 R^96; Stern, Staatsrecht I, S.921 ff; Bieback, EuGRZ 1985,657; Papier, SRH, S. 114 ff, Rz.6. 23 Haverkate, (134); 76,1 (50 f.).

Rechtsfragen, S . l l ff; M/D/H/S-Herzog,

Ait.20 VE. Rz26; BVerfGE 61,126

26 Dazu, daß es auch bei der Sozialgesetzgebung um Freiheit geht, vgl. weiter Umbach/Clemens, VSSR 1992,265.

86

2. Kapitel: Vorfragen einer verfassungsrechtlichen Beurteilung

Übernahme dieser Selbstverantwortung tatsächlich-materielle Voraussetzungen hat, so muß es beim Sozialstaatsprinzip, jedenfalls unter anderem, darum gehen, im Sinne einer Unterfütterung der Grundrechte diese Voraussetzungen allen Grundrechtsträgern zur Verfügung zu stellen. Insofern stehen, und hier ist der These von der Ausfüllung des Sozialstaatsprinzips mit grundrechtlichen Inhalten im Grundsatz recht zu geben, Grundrechte und Sozialstaatsprinzip sich tatsächlich nicht nur begrenzend gegenüber. Diese Zuordnung trägt aber eine immanente Grenze bereits in sich: Schreibt der Sozialstaat vor, wie Freiheit zu gebrauchen ist, so entmündigt er den Bürger, anstatt ihm den eigentlich angestrebten Freiheitsraum zu eröflhen 27 . Abstrakt betrachtet läßt sich das Verhältnis der Grundrechte zum Sozialstaatsprinzip demnach so beschreiben, daß die Grundrechte um so mehr Geltung verlangen und um so mehr Grenzen setzen, je mehr der Staat die "Unterfütterungsebene" verläßt und freiheitsdefinierend tätig wird 2 8 . Vollzieht sich nach allem Sozialgesetzgebung nicht in einem (grund-)rechtsfreien Raum, sondern in den Formen des Rechtsstaats29, so stellt sich die weitergehende Frage, ob dem Sozialstaatsprinzip bestimmte Zwecke bereits immanent sind oder wie sonst die Ziele gesetzgeberischer Tätigkeit so benannt werden können, daß die Rechtfertigung des jeweiligen Staatshandelns vor eingeschränkten Grundrechten anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes möglich ist.

27

BVerfGE 59,172 (213): "es ist abernicht ihre [der staatlichen Organe, d.V.] Sache, den Staatsbürger fürsorglich zu zwingen, zur Vermeidung von Enttäuschungen die Wahrnehmung von Chancen zu unterlassen, solange das damit verbundene Risiko nicht zu einer schwerwiegenden Selbstgefahrdung fuhrt oder zu Lasten anderer oder der Allgemeinheit geht." 28

Diese These wird allgemein formuliert weit weniger konfliktträchtig sein als ihre Anwendung auf konkrete Sachveahalte, vgl. Schulin, Gutachten, S. E 43 f., der die Freiheitsebene, die sich erst aufgrund einer gewissen sozialen Absicherung ergibt, von derjenigen unterscheidet, für eben diese Absicherung selbst zu sorgen. Hier gibt es sicher die von Zacher (HdbStR I, § 25 Rz.28; s. auch Badura, D Ö V 1989,491 (493)) konstatierte Dialektik von sozialstaatlicher Verantwortung und Autonomie gesellschaftlicher Verhältnisse bzw. Selbstverantwortung des einzelnen. Die Auflösung dieser Dialektik verlangt mehr politische als rechtliche Maßstäbe. Von daher kann es nicht darum gehen, den Grundrechten allgültige Losungsansätze zu entnehmen, sondern nur darum, sie als äußere Grenzen zu achten und zur Geltung zu bringen. Vgl. zum Thema weiteihin W.Schmitt, Recht der sozialen Sicherung, S . l l , 13 und Ecker, Schadensstiftendes Verschulden, S.63 f. 29

Hesse, Grundzüge, Rz.214.

A Zur grundrechtlichen Kontrolle sozialstaatlicher Gesetzgebung

87

m . Inhalt des Sozialstaatsprinzips im Hinblick auf die GKV 1. Verfassungsrechtlich vorgegebene Inhalte ? Es wäre zunächst denkbar, den Gesetzgeber im sozialgestalterischen Bereich in seiner Zwecksetzung für an bestimmte Inhalte des Sozialstaatsprinzips gebunden zu halten.

a) Durch Kompetenzbestimmungen des GG ? Eine solche inhaltlich bindende Ausformung des Sozialstaatsprinzips könnte sich aus den Kompetenzbestimmungen der Art. 70 ff. GG ergeben, insbesondere aus Art. 74 Nr. 7 (öffentliche Fürsorge), Nr. 10 (Versorgung der Kriegsbeschädigten und -hinterbliebenen, Fürsorge für ehemalige Kriegsgefangene), Nr. 12 (Arbeitsrecht und Sozialversicherung), Nr. 16 (Verhütung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung). Das BVerfG hat in mehreren Fällen Bestimmungen aus dem Teil des GG über die Gesetzgebungskompetenzen grundrechtsbeschränkende Wirkung zuerkannt 30 . Diese Vorgehensweise ist sowohl im Gericht selbst 31 , als auch in der Literatur 32 auf berechtigte Kritik gestoßen. Aus derartigen Normen, deren Zweck es ist, Zuständigkeiten innerhalb des Staatsaufbaus abzugrenzen, kann nicht ohne weiteres auf eine Begrenzung der Rechte des Bürgers gegenüber dem Staat geschlossen werden. Umgekehrt ist es dann aber auch nicht möglich, die sozialstaatlichen Eingriffsbefugnisse auf die in den Zuständigkeitsvorschriften auftauchenden Materien zu begrenzen.

30 BVerfGE 7,377 (401); 12,45 (50); 53,30 (56); 77,170 (221) für Arzneimittelverkehr, Wehrpflicht, Atomkraft und C-Waffen-Transporte aufgrund der Gnmdentscheidung für eine militärische Verteidigung; ausdrücklich anders aber BVerfG 39,302 (314 f.) für die Sozialversicherung. Für die Heranziehung der Kompetenzvorschriften jedenfalls als Auslegungdiilfen auch Umbach/Clemens, VSSR 1992,265 (275). 31

Abweichende Voten von Böckenförde und Mahrenholz in BVerfGE 69,1 (57 ff).

32

Zusammenfassend mit vielen Argumenten und Nachweisen Selk, JuS 1990,895.

88

2. Kapitel: Vorfragen einer verfassungsrechtlichen Beurteilung

b) Aus sonstigen Verfassungsvorschriften Im übrigen sind viele Versuche unternommen worden, den materiellen Inhalten des Sozialstaatsprinzips näher zu kommen, ohne daß sich mehr als Bruchstücke hätten durchsetzen können. Im Gegenteil wird meist die inhaltliche Offenheit des Prinzips konstatiert 33 . Für den Bereich der Vorsorge für den Krankheitsfall 34 lassen sich möglicherweise zwei - weitverbreitete - Ansätze zur Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips nutzbar machen: die staatliche Verantwortung für das Existenzminimum sowie ein sozialleistungsbezogenes "Verschlechterungsverbot". Die staatliche Verantwortung für das Existenzminimum aller ist die Grundlage und Grundvoraussetzung des Gedankens, daß Grundrechte und alle vorstaatliche Freiheit leerlaufen, wenn die tatsächlichen Mindestvoraussetzungen dafür nicht gegeben sind. Von daher ist - gerade auch in Verbindung mit der Verpflichtung auf die Menschenwürde in Art. 1 I GG - diese Verantwortung als Mindestinhalt des Sozialstaatsgrundsatzes plausibel begründbar 35 . Seine einfachgesetzliche Ausformung hat dieser Gedanke in § 4 Bundessozialhilfegesetz (BSHG), für Krankheitsfälle in §§ 37 I I 2, 68 IBSHG gefunden 36 . Die GK V, die im letzten Kern mit dem Schutz von Gesundheit und Leben j a den Schutz der elementarsten Voraussetzungen jeder Existenz und jeder Selbstverantwortung bezweckt 37 , kann sich daher auf einen verpflichtenden Inhalt des Sozialstaatsgrundsatzes berufen und wird - Eignung und Erforderlichkeit vorausgesetzt - deshalb weitestgehende Freiheitseinschränkungen rechtfertigen können. Umgekehrt bedeutet dies aber keine Begrenzung legitimer staatlicher Zwecksetzung für die GKV auf die Gewährleistung eines menschlichen Existenzminimums: Dieses ist bloß Mindestinhalt und als solcher

33 Zacher , HdbStR I, § 25 Rzn.2,80; Papier , SRH, S.114 ff. Rz.3; Stern , StR BdJ, S.891; M/D fü/S-Herzog, Ait.20 V I R Rz.1. Ähnlich auch das BVerfG, zuletzt in DOK 1994,316 (321). 34

Auf den die Frage nach den Vorgaben des Sozialstaatsprinzips im Hinblick auf die thematische Eingrenzung hier beschränkt werden soll. 35 Und ist weitgehend anerkannt: Zacher , HdbStR I, § 25 Rzn 28-30; Papier , SRH, S.114 ff. Rz.9; Hesse, Grundzuge, Rz.213; s. auch bereite BVerwGE 1,159 (160 ff.) und (offenlassend) BVerfGE 75,348 (360). 36 37

Schulin, Gutachten, S. E 44.

Hierzu tritt der heute - auch - verfolgte Zweck des Schutzes der Allgemeinheit vor Inanspruchnahme über das Institut der Sozialhilfe (Schulin , Gutachten, S. E 44).

A. Zur grundrechtlichen Kontrolle sozialstaatlicher Gesetzgebung

89

als Obergrenze ungeeignet 38 . Ein Umschlagen von "Grundrechtsermöglichung" in "Grundrechtsaushebelung" wird noch nicht behauptet werden können, wenn der Staat für mehr als für ein jedermann zugängliches Existenzminimum Rechnung trägt. In der Literatur wird verschiedentlich die Ansicht vertreten, über das Sozialstaatsprinzip seien der jetzt erreichte Stand sozialer Sicherheit oder doch die Kernbereiche der bisher ergangenen Sozialgesetzgebung geschützt 39 . Für die Sozialversicherung gewinnt diese Ansicht dadurch an Einsichtigkeit, daß ihre Wurzeln bereits in der Sozialgesetzgebung des Kaiserreiches liegen 4 0 und die Grundstruktur des heutigen Systems deshalb dem Parlamentarischen Rat mehr oder weniger eine Selbstverständlichkeit gewesen ist 4 1 . Gegen eine solche Bestandskraft aktueller Ausformungen der Sozialgesetzgebung spricht aber, daß damit gesellschaftliche Zustände perpetuiert werden, die sich aufgrund einmal erfolgter Sozialtätigkeit (im Idealfall einmal eröffneter Freiheit) herausgebildet haben, ohne Rücksicht darauf, ob diese Begünstigungen noch geboten oder bezahlbar 42 sind oder ob sie nicht ihrerseits eigentlich ausgleichungsbedürftige Ungleichheiten oder Unfreiheiten geschaffen haben. Es liefe der dynamischen Eigenschaft der Sozialtätigkeit zuwider, sie auf bestimmte, einmal gewählte Formen festzulegen 43. Ein derartiger Bestandschutz einzelner Sozial- oder Sozialversicherungsleistungen mag sich aus Art. 14 G G 4 4 , Vertrauensschutz und Rückwirkungsverbot 45 ergeben, er folgt nicht aus dem Sozialstaatsgrundsatz 46.

38 Nach geltendem Recht verfolgt die GKV durchaus auch Umverteilungszwecke, so Schulin, Gutachten, S. E 45. 39

Etwa Hesse, Gnmdzüge, Rz213; Suhr, Staat 9 (1970), 67 (92).

40

S.o. Kapitel 1,B.I.

41

Vgl. Weber, Staat 4 (1965),409 (416).

42

So Haverkate, Rechtsfragen, S. 111 (zu Teilhaberechten).

43

Zacher, HdbStR I, § 25 Rzn.24, 66 f. und 79 m w . N - ein Einwand, da- sich im übrigen auch gegen die zu detaillierte Konkretisierung über objektiv-rechtliche Gnmdrechtsgehalte anfuhren läßt. Gegen ein "Rückschrittsverbot" z:B. audi Rüfiier, Einführung, S.28. 44

Etwa BVerfGE 69,272; 72,9.

45

Etwa BVerfGE 40,65 (76)

46

Papier, SRH, S.114 ff. RzlO; ablehnend auch BVerfGE 39,302 (314); 36,383 (393) hinsichtlich des bestehenden Verwaltungssystems der Sozialversicherung. Speziell zur GKV in diesem Sinne Frank, Sozialstaatsprinzip und Gesundheitssystem, 1983.

90

2. Kapitel: Vorfragen einer verfassungsrechtlichen Beurteilung

Von der Sorge um das Existenzminimum abgesehen lassen sich vorgegebene, verbindliche Inhalte des Sozialstaatsprinzips für den Bereich der Gesundheit damit nicht feststellen. Vielmehr obliegt es dem Gesetzgeber, die Ziele seiner Sozialpolitik festzulegen, soweit er sich in dem (groben) Rahmen hält, den die Verfassung durch Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit vorgegeben hat.

2. Vom Gesetzgeber selbstgesetzte Inhalte Können aus der Verfassungslage keine oder nur geringe Vorgaben für die sozialgesetzgeberische Zwecksetzung abgeleitet werden, so fragt sich, ob einfachgesetzliche Vorgaben den Gesetzgeber binden können. Hierfür kämen insbesondere der Konkretisierungsversuch des § 1 SGB I 4 7 und die sozialen Rechte der § § 2 - 1 0 SGB I in Betracht 48 . Nach § 4 I hat jeder im Rahmen des SGB Zugang zur Sozialversicherung, und nach § 4 I I umfaßt dies ein Recht auf die notwendigen Maßnahmen zur Schutz, zur Erhaltung, zur Besserung und zur Wiederherstellung der Gesundheit. Indessen begrenzt § 2 SGB I die genannten Rechte selbst auf Auslegungs- und Ermessensrichtlinien und räumt damit späterer Gesetzgebung einen eindeutigen Vorrang ein. Vor allem ließe sich eine solche Selbstbindung auch aus gesetzeshierarchischen Gründen kaum rechtfertigen 49 und ist dem Sozialstaatsprinzip - wie gezeigt - kein sozialleistungsbezogener Bestandsschutz zu entnehmen. Die Systemgerechtigkeit neuer Regelungen im Bereich der GKV unterliegt demnach nur der allgemeinen Kontrolle an Art. 3 G G 5 0 , weitergehende Bindungen der Zwecksetzung gibt es nicht.

IV. Fazit Es hat sich gezeigt, daß im Grundgesetz nur geringe Bindungen der Zwecksetzungsfreiheit des sozialstaatlichen Gesetzgebers vorgegeben sind. Andererseits folgt aus der Einbettung des Sozialstaatsprinzips in die anderen Strukturprinzipien des Art. 20 GG, daß dieses Handeln sich nicht in kontrollfreien

47

Krause, JuS 1986,349 (352).

48

Dazu vMaydell , DVB11976,1; Schulin, Sozialrecht, Rz23 ff.

49

Haverkate, Rechtsfragen, S.123 ff.

30

Dazu Katzenstein, SGb 1988,177 (181) m.w.N.

B. Mittelbare Auswirkungen staatlichen Handelns als Grundrechtsegriffe

91

Räumen bewegt. Es muß möglichst weitgehend der Freiheitsermöglichung dienen und den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entsprechen. Da letztere nur sinnvoll angewendet werden können, wenn die konkrete Zwecksetzung der jeweiligen Vorschrift bekannt ist, wird der Blick auf die vom Gesetzgeber geäußerten oder sonst aus den Materialien erkennbaren Zielsetzungen gelenkt. Zumal allgemein gehaltene Zwecksetzungen im Rahmen der Erforderlichkeit viele Alternativen in den Handlungsschritten aufweisen werden, was die Beurteilung von "milderen Mitteln" vor fast beliebige Wertungsmöglichkeiten stellt, ist die Herausarbeitung konkreterer Zwecke gerade auf der Grundlage des inhaltlich offenen Sozialstaatsprinzips unverzichtbar 51 . Da es bei den Vorschriften des SGB V zum Ausschluß von Arzneimitteln von der Verordnungsfahigkeit entscheidend auch um Abbau von Leistungen, den Verlust von systembedingten Privilegien geht, wird schließlich bei der Einzelprüfung an Grundrechten zu beachten sein, daß diese Privilegien in der Regel aus dem Sozialstaatsprinzip heraus keinen Bestandsschutz genießen. Auf der anderen Seite muß, wenn der Ansicht, das Sozialstaatsprinzip zementiere den einmal erreichten Stand des Sozialsystems, nicht gefolgt wird, auch die Pflichtversichertenquote in der GKV kein Tabu sein. Daß für die indirekten Folgen von Leistungsausschlüssen bzw. deren Zurechnung an den Staat diese Quote eine wichtige Rolle spielt, wird sich im folgenden noch mehrfach zeigen.

B. Zur Qualität mittelbarer Auswirkungen staatlichen Handelns als Grundrechtseingriffe I. Problemeinordnung Bevor die Listen nach SGB V an den möglicherweise betroffenen Einzelgrundrechten gemessen werden, lohnt es sich, ihren Rechtscharakter und ihre Wirkungsweise noch einmal genauer anzusehen. Adressaten der Listen sind zunächst nur die Patienten, deren Sachleistungsanspruch um die in der Negativliste enthaltenen Medikamente verkürzt bzw. auf die in der Positivliste enthaltenen Arzneimittel beschränkt w i r d Die Listen tangieren aber, wie im einzelnen noch zu zeigen sein wird, die Schutzbereiche der Grundrechte von Arzneimittelherstellern und -Verbrauchern allgemein, so daß sich als entscheidende Vorfrage der verfassungsrechtlichen Beurteilung des Listenkonzepts

51

So auch Schnapp, ZSR 1990,342 (343).

92

2. Kapitel: Vorfragen einer verfassungsrechtlichen Beurteilung

entpuppt, ob und inwieweit auch auf diese nur mittelbar betroffenen Grundrechte zurückzugreifen ist. Die Versicherten tauchen weiter nicht als Adressaten von Einzelfallregelungen auf, sondern die Listen verlangen Geltung sowohl für die ganze Vielzahl der in den unterschiedlichen Kassen Versicherten, als auch für jeden Vorgang der Arzneimittelverschreibung und eine große Zahl von enthaltenen bzw. nicht enthaltenen Arzneimitteln. Sind die Listen damit als abstrakt-generelle Regelungen und Gesetze im materiellen Sinne zu qualifizieren, dann bleibt, genauer gefaßt, zu erörtern, ob und nach welchen Gesichtspunkten die mittelbaren Auswirkungen von Gesetzesrecht an Grundrechten gemessen werden können. Damit fallt die Überprüfung der Listen auf ihre Vereinbarkeit mit Grundrechten in die Thematik des sog. mittelbaren oder faktischen Grundrechtseingriffs 5 2 . Die Diskussion zu diesem Thema ist, wie neue Veröffentlichungen 53 und Urteile 5 4 belegen, noch zu keinem Abschluß gekommen, auch wenn sich in neuester Zeit teilweise übereinstimmende Kriterien herausbilden. Vor allem ist die Diskussion in den letzten Jahren um die Fälle staatlicher Warnungen und Empfehlungen im Umwelt- und Gesundheitsbereich sowie staatlicher Stellungnahmen zu religiösen Bewegungen gekreist 55 . Das soll indes den Blick auf die Besonderheiten der sozialversicherungsrechtlichen Steuerungsinstrumente nicht verdecken. Im folgenden wird versucht, nach einem Überblick über Literatur und Rechtsprechung allgemein zu faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen, diese Besonderheiten mit den sich als zutreffend erweisenden Abgrenzungskriterien allgemeiner Art zu verbinden.

32 Zwischen faktischen (der Form nach nicht rechtlichen) und mittelbaren (sich erst über Zwischenschritte auswirkenden) Eingriffen unterscheidet begrifflich Discher , JuS 1993,463 (464). Im folgenden soll aber auf die Verwendung von "mittelbar" verzichtet werden, weil es sonst zu Verwechslungen mit dem Kriterium der Unmittelbarkeit des Eingriffs kommen kann, welches später eingeführt wird. Als "faktisch" oder "indirekt" sollen (mit der wohl in Literatur und Rechtsprechung vorherrschenden Begriffsverwendung) Eingriffe bezeichnet werden, die den herkömmlichen Eingriffsvoraussetzungen (hierzu sogleich im Text) nicht entsprechen. 33

Vgl. neben Discher , JuS 1993,463 vor allem di Fabio , JZ 1993,689 und Eckhoff, rechtseingriff (1992). 34 33

Der Grund-

BVerPGE 82,209 (223 f.); BVerwG JZ 1993,33.

Das geht soweit, daß vorgeschlagen wird, derartiges Staatehandeln als dritte Kategorie neben Eingriffs- und Leistungsverwaltung zu behandeln, so di Fabio, JZ 1993,689 (690 ff). Weiter mit Ausrichtung auf diesen Themenkreis Ossenbühl , Umweltpflege; Schoch, DVB1 1991,667; Gröschner, DVB1 1990,619; Sodan, SGb 1992,200 und DÖV 1987,858; Lübbe-Wolff, NJW 1987,270; M.Schulte, DVB1 1988,512; Heintzen, VeiwArch 81 (1990),532; KPhüipp, Staatliche Verbraucherinfonnationen; Dolde, Behördliche Warnungen, sowie BVerwGE 71,183; 82,76; 87,37; BVerwG, JZ 1993,33.

B. Mittelbare Auswirkungen staatlichen Handelns als Gndrechtsegriffe

93

IL Behandlung faktischer Grundrechtsbeeinträchtigungen in Literatur und Rechtsprechung 1. Exkurs: Zugrundeliegendes Grundrechtsverständnis und der "klassische" EingrifTsbegrifT Die in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Ansätze zu faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen werden erst vor dem Hintergrund der Einordnung des Themas in grundrechtsdogmatische Ansätze und deren Entwicklung sowie den überkommenen Eingriffsvoraussetzungen verständlich. Deshalb ist hierauf zuerst einzugehen.

a) Zugrundeliegendes Grundrechtsverständnis Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat. Dies ist die oft als "klassisch" 56 bezeichnete Funktion der Grundrechte. Dem entspricht eine ausgefeilte Dogmatik von Begriffen wie Eingriff, Schranke und Schranken-Schranke, die sich unter der Justiziabilität der Grundrechte nach dem GG herausgebildet hat, und der etwa der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit seine überragende Bedeutung verdankt 57 . Nun verändern sich aber die realen Verhältnisse, von denen die Grundrechtsgewährleistungen ausgehen. Die Gesellschaft ist von extremer Arbeitsteilung und gegenseitiger Abhängigkeit geprägt 58 , die Staatstätigkeit beschränkt sich bei weitem nicht mehr auf die Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung, sondern legt auch Schwerpunkte auf leistungsstaatliche Aktivitäten 5 9 und informale Steuerungsformen 60. Das hat zumindest drei Folgen: Zum einen wirken sich - durch die Abhängigkeiten bedingt - staatliche Maßnahmen zunehmend mehrdimensional aus; Regelungen, die gegenüber einem Einzelnen oder einer Gruppe ergehen, ha-

36

Böckenförde, NJW 1974,1529 (1537 f.); sogar von "zeitlos" und "ewiger Gültigkeit" spricht Ossenbühl, NJW 1976,2100 (2107). 37

Dazu Schlink, EuGRZ 1984,457.

58

Rupp, AÖR 101 (1976),161 (164).

39

Martens, W D S t R L 30 (1972),7 (8); Grimm, Wandel der Staatsaufgaben, S.297 ff.; auch BVerfGE 83,1 (20). 60

Eingehend diFabio, JZ 1993,689.

94

2. Kapitel: Vorfragen einer verfassungsrechtlichen Beurteilung

ben Auswirkungen auf Rechtsgüter - und auch grundrechtliche Schutzgüter von Personen, die gar nicht Adressaten der Regelung sind. Zum anderen ist der Einzelne, wenn er seine grundrechtlich gewährleisteten Freiheiten ausüben will, in wachsendem Maße auf staatliche Leistungen, Ordnungsvorgaben usw. angewiesen 61 , die der Staat oft nicht mit imperativen, sondern mit kooperativen Mitteln erbringt. Diese Funktion ist dem klassischen Grundrechtsmodell aber fremd 62 . Drittens schließlich fragt es sich, welchen Verbindlichkeitsanspruch staatliches Handeln enthalten muß, um grundrechtlich relevant werden zu können. In Reaktion 63 auf diese Herausforderungen sind in der allgemeinen Grundrechtsdogmatik verschiedene Ansätze nutzbar gemacht worden. Erstens ist der klassisch auf unmittelbare, finale staatliche Maßnahmen begrenzte 64 Eingriffsbegriff aufgebrochen worden. Das BVerfG wertet heute unter Umständen auch faktische Beeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe, für die der Gesetzgeber die Rechtfertigungslast auch gegenüber Drittbetroffenen trägt 6 5 . Zweitens wird versucht, die sog. objektivrechtliche Dimension der Grundrechte zur Lösung der angerissenen Problemlagen heranzuziehen 66 . Neue Entwicklungen in der Gesellschaft könnten, so die Vertreter dieses Ansatzes, eine Abkehr von der Auffassung des historischen Grundgesetzgebers verlangen - für den die Grundrechte Abwehrrechte gewesen seien - und eine Zuwendung zu objektiven Gehalten erforderlich machen 67 . Grundrechte müßten alle tatsächlichen Freiheitsgefahrdungen abwehren können 68 . Als dritter Ansatz kann der Versuch bezeichnet werden, dem Grundgesetz soziale Rechte im Sinne von Leistungsansprüchen zu entnehmen; hierfür ist allerdings vor allem die (alte) Erkenntnis maßgeblich, daß Grundrechtsge-

61

Z.B. Krebs f Jura 1988,617 (621).

62

Grimm, Wandel der Staatsaufgaben, S.298

63

Zur Notwendigkeit derselben Hufen , Grundrechte und Vorbehalt, S.273 mit dem Hinweis, daß die Verfassung mit ihrer SteuenmgsfShigkeit sonst auch ihre Legitimität verliere. 64

Dazu Grimm , Wandel der Staatsaufgaben, S.299 und sogleich b.

63

Z.B. BVerfGE 66,39 (60).

66

Gegen diese Unterscheidung zwischen faktischem Eingriff und objektivrechtlichen Grundrechtsgehalten Scherzberg , DVB11989,1128 (1131). 67

Rupp, AÖR 101 (1976),161 (164).

68

Bleckmann , Grundrechte, § 8, S.78; Grabitz , Freiheit und Verfassungsrecht, § 17 (S.187 ff).

B. Mittelbare Auswirkungen staatlichen Handelns als Grundrechtsegriffe

95

währleistungen leerlaufen, wenn ihrem Träger die materiellen oder realen Grundlagen für den Gebrauch derselben fehlen 69 . Auf die Problematik der objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalte mit ihren verschiedenen Erscheinungsformen 70 und Nachteilen 71 kann im Rahmen dieser Arbeit nicht ausführlich eingegangen werden. Dies läßt sich damit rechtfertigen, daß das BVerfG diese Grundrechtsdimensionen zwar in ständiger Rechtsprechung 72 anerkennt, ihnen aber grundsätzlich nur eine die abwehrrechtliche Struktur unterstützende Wirkung zubilligt 7 3 . Zur sozialen Dimension der Grundrechte wurde im Zusammenhang mit dem Verhältnis Grundrechte - Sozialstaatsprinzip Stellung genommen 74 . Die Figur des Eingriffs hat im übrigen auch nur Sinn in einem abwehrrechtlichen Kontext, welcher Freiheit vorrangig als Freiheit vom Staat versteht und dementsprechend staatliche Tätigkeit i.S. einer Außentheorie als zunächst freiheitsgefahrdend und rechtfertigungsbedürftig begreift. Dagegen wird eine Innentheorie, die im Staat primär den Freiheitsgewährleister sieht, der durch seine gesetzgeberische Tätigkeit grundrechtliche Freiheit erst hervorbringt, auf ein Rechtfertigungsinstrumentarium mit Eingriff und Schranken verzichten und nur darauf achten, ob der Staat seinen grundrechtlichen Handlungsaufträgen nachgekommen ist 7 5 .

69

Vgl. Böckenförde, NJW 1974,1529 (1535) und oben AI.1.

70

Hinter dem Tenninus der objektiv-rechtlichen Grundrechtsdimension verstecken sich recht unterschiedliche Konzeptionen, angefangen vom Verständnis als negative Kompetenznormen (etwa Hesse, Grundzuge, Rz.290 ff.) über eine Auffassung, die die abwehrrechtliche Seite nur als aus der Schutznormtheorie ableitbare Folge der objektiv-rechtlichen Geltung sieht {Stern, Staatsrecht m / 1 , S.477; Scherzberg, DVB1 1989,1128 (1133 ff.)) bis zu einem Sammelbegriff für die im Lauf der Zeit entwickelten Bedeutungen der Grundrechte für Verfahren, Leistung und Teilhabe oder Schutzpflichten (z.B. Hofmann, NJW 1989,3177 (3185); Stern, Staatsrecht m / 1 , § 69). 71

S. etwa BöckenfÖrde,

72

BVerfGE 50,290 (337); 77,170 (214); 81,310 (334).

73

Grundlegend BVerfGE 50,290 (337).

74

Oben AI.1.

NJW 1974,1529 und Staat 29 (1990),1; Schlink, EuGRZ 1984,457.

73 Dazu, auch zu den Begriffen der Außen- und Innentheorie, ausführlich Eckhoff, Grundrechtseingriff, S.13 ff. Außentheorie bedeutet, daß der handelnde Staat außerhalb der grundrechtlichen Schutzbereiche agiert und diese damit potentiell von außen einschränkt, während im Gegensatz dazu die Innentheorie davon ausgeht, daß der Gesetzgeber die Schutzbereiche von innen ausgestaltet und nicht beschränkt.

96

2. Kapitel: Vorfragen einer verfassungsrechtlichen Beurteilung

b)Der "klassische"Eingriffsbegriff Für die Anwendung der Freiheitsgrundrechte des GG auf konkrete Fälle wird bis heute eine Dreischrittprüfung gelehrt 76 , die sich in erstens die Betroffenheit des Schutzbereiches, zweitens das Vorliegen eines Eingriffs und drittens die verfassungsrechtliche Rechtfertigung dieses Eingriffs aufgliedert. Während es bei der Schutzbereichsbetroffenheit um das "was" des Grundrechtsschutzes geht, wird bei der Feststellung, ob ein Eingriff vorliegt, nach dem "wogegen" des grundrechtlichen Schutzes gefragt 77 . Beim Eingriffskriterium geht es also um etwas Modales , um die Frage, ob Grundrechtsschutz gerade gegen die vorliegende Handlung bzw. Handlungs/orm des Staates gegeben ist, während die (vorausgehende) Schutzbereichsprüfung sich mit der Frage befaßt, ob eine grundrechtliche Freiheit überhaupt, in irgendeiner irgendwie verursachten Weise betroffen ist. Wesentliche Funktionen der Eingriffsvorstellung sind das Eingreifen des Gesetzesvorbehaltes (wenn auch nach der Wesentlichkeitstheorie des BVerfG nicht mehr ausschließlich) und die Notwendigkeit, das jeweilige staatliche Handeln verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. Teilweise als Annex dazu hat bzw. hatte der Grundrechtseingriff aber auch Bedeutung für die verwaltungs- und verfassungsgerichtliche Klagebefugnis, sowie für die frühere Rechtsprechung des BGH zum Staatshaftungsrecht. In der überkommenen Eingriffsvorstellung konnten nur bestimmte Staatshandlungen als grundrechtswidrig abgewehrt werden. Ein Eingriff wurde bejaht, wenn folgende Voraussetzungen vorlagen 78 : -

Finalität, d.h. die Freiheitsbegrenzung war bezweckt

- Unmittelbarkeit, der freiheitsbeschränkende Effekt durfte also nicht erst über Zwischenschritte erreicht werden -

Imperativität, d.h. Vorliegen eines einseitig hoheitlichen Aktes

-

Adressatenstellung des betroffenen Bürgers

- Rechtlichkeit, auf diese Weise wurden Realakte der Verwaltung ausgenommen.

76

Vgl. nur Pieroth/Schlink,

77

Schwabe , Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 152.

78

Grundrechte, Rz.10 ff.

Nach Bleckmann , Grundrechte, S.336 f.; ebenso Bleckmann/Eckhoff, DVB11988,373; ähnlich U.Ramsauer, VerwArch 72 (1981),89 (91 f.). Freilich gab es einen solchen allgemein anerkannten Eingriffsbegriff wohl nur als Anforderung an das Vorliegen eines Verwaltungsakts, der allein den Verwaltungsrechtsweg eröffnen konnte, s. diFabio , JZ 1993,689 (694, Fn.44).

B. Mittelbare Auswirkungen staatlichen Handelns als Gndrechtsegriffe

97

Damit war der Grundrechtsschutz nicht nur durch die (selbstverständliche) thematische Umschreibung der Schutzbereiche, sondern auch durch die modalen Anforderungen an einen Eingriff beschränkt 79 . An anderer Stelle wird diese Sachlage auch mit dem Stichwort der Regelungsidentität benannt: beim "klassischen" Eingriff falle die Regelung einer staatlichen Maßnahme mit ihren tatsächlichen Auswirkungen zusammen 80 .

2. Heutige Kriterien für das Vorliegen eines Eingriffs Im Kontext der materiellen Verfassungsmäßigkeit von gesetzlichen Regelungen hat die Frage nach indirekten Grundrechtsbeeinträchtigungen zwei Dimensionen. Erstens geht es um die Eingriffskriterien selbst, bei deren Vorliegen überhaupt nur eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung notwendig wird. Zweitens stellt sich die Frage, ob bei bestimmten, "nur" faktischen Eingriffen auch auf der Rechtfertigungsebene andere bzw. modifizierte Maßstäbe anzulegen sind. Dieser Unterscheidung folgend wird letztere Problemstellung hier im Anschluß an die Erörterung der eigentlichen Eingriffsvoraussetzungen behandelt (3.).

a) Literatur aa) Ausgangslage: Begründung und Grenzen für eine Ausweitung des Eingriffsbegriffs Die oben geschilderte Eingrenzung des Grundrechtsschutzes wird inzwischen aus unterschiedlichen Erwägungen heraus als fragwürdig angesehen. Aus einer allgemein grundrechtstheoretischen Sicht bedinge schon die zunehmende Komplexität der Gesellschaft mit ihren Abhängigkeiten eine Vieldimensionalität des Staatshandelns, deren Auswirkungen dem Grundrechtsschutz nicht von vorneherein entzogen werden dürften. Leistungsstaatliches Tätigwerden vollziehe sich heute oft jenseits der Handlungsformen von Befehl

79

Die bei Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Emgriffsabwehrrechte, S.44 neben Finaütät und Unmittelbarkeit genannte Voraussetzung der vorstaatlichen Freiheit als Gegenstand des Gnmdrechtsemgrififs ist darnach eigentlich keine Frage des Eingriffs, sondern bereits des Schutzbereichs. 80

Dieser Ansatz geht zurück auf Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 12.

7 Philipp

98

2. Kapitel: Vorfragen einer verfassungsrechtlichen Beurteilung

und Zwang, auch dort könne eine Grundrechtsgeltung aber nicht ausgeschlossen sein 8 1 . Daneben wird die Frage nach dem Schutz gegen ein diffuses Netz von Verschlechterungen ohne Eingriffscharakter gestellt 82 . Die Systematik und Zielrichtung des GG heranziehend wird argumentiert, dessen Grundrechte seien nicht bloß auf bestimmte Beeinträchtigungsmodalitäten zugeschnitten 83 . Aber auch textlich fanden sich keine dementsprechenden Einschränkungen des Grundrechtsschutzes. Wie etwa die Art. 12a I I 3 und 4 I I I 1 zeigten, sei die Figur einer nur faktischen Beeinträchtigung den Grundrechten als Konfliktstyp jedenfalls nicht völlig fremd 84 . Die Anerkennung einer solchen Einschränkung führe im Gegenteil zu unauflösbaren Wertungswidersprüchen, wenn man sich vergegenwärtige, daß der Inhalt der Grundrechte nicht zuletzt in der Gewährleistung ihres Menschenwürdekerns bestehe. Denn diese könne auch durch vom "klassischen" Eingriffsbegriff abweichende Handlungsformen beeinträchtigt werden 85 . Zum gleichen Ergebnis führe es schließlich, die Einzelgrundrechte als Kollisionsnormen aufzufassen, die Vorgaben für Konfliktlösungen bieten sollten, da auch diese Funktion von einer bestimmten Wirkmodalität des Staates nicht abhängig sei 8 6 . Gerade die Offenheit der Verfassung, das Schweigen der Grundrechte zur Frage nach der Eingriffsmodalität lege in Verbindung mit einer systematischen Interpretation nahe, daß das GG Raum lassen wolle, um die jeweils aktuellen Herausforderungen der Zeit an den Grundrechten messen zu können. Auch dies lasse die Begrenzung des Grundrechtsschutzes auf eine historisch erklärbare Beeinträchtigungsmodalität als zweifelhaft erscheinen 87 .

81

Friauf DVB1 1971,674 (680); Martens , W D S t R L 30 (1972),7 (14); Roth, Verwaltungshandeln mit Drittbetroffenheit und Gesetzesvorbehalt (1992), fuhrt die vier Gesichtspunkte sozialstaatliches Handeln, Technisierung, Bevölkerungsdichte und Erhellung bisher unbekannter Zusammenhänge sowie den Handlungsformenwandel an. 82

Hufen , Grundrechte und Vorbehalt, S.278 f.; ähnlich Böckenförde , Unterscheidung, S.40 f. u. Fn.100. Weitergehend jetzt diFabio , JZ 1993,689. 83 So Gallwas , S.52 ff. in seiner grundlegenden Untersuchung aus dem Jahre 1970 (Faktische Beeinträchtigungen im Bereich der Grundrechte); Pietzcker , Festschrift Bachof, S.131 (143); Scherzberg, Grundrechtsschutz, S.142. 84

Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S.53 f.

85

Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S.57 ff

86

Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S.61 f.

87

Eckhoff,

Gnmdrechtseingriff, S.102 ff

B. Mittelbare Auswirkungen staatlichen Handelns als Grundrechtsegriffe

99

Unter Berufung auf Art. 1 I I I GG wird dargelegt, daß die Ausrichtung der klassischen Lehre am imperativen Eingriff durch den Prototypcharakter des Verwaltungsakts erklärlich 88 , aber nicht mehr haltbar sei. Andererseits wird in der Regel nicht die völlige Aufgabe einer modalen Begrenzung des Grundrechtsschutzes verlangt. Von jeher sei es auch Aufgabe der Eingriffsvorstellung gewesen, dem Staat bzw. der Verwaltung einen legitimen Handlungsspielraum zu eröffnen 89 . Auch wenn die Grundrechte des GG als Wirkungsgarantien erfolgsbezogen formuliert seien, bestehe die Staatsrechtsordnung aus der Sicht des Staates doch aus Verhaltens-, nicht nur aus Erfolgvermeidungsnormen. Menschliches wie staatliches Handeln sei nicht so exakt abmeßbar, daß sämtliche Auswirkungen unter Kontrolle blieben. Daher müßten manche Folgen hingenommen werden oder seien allenfalls im Nachhinein haftungsrechtlich abzumildern 90 . Da Gesetze nicht nur zur Begrenzung, sondern in erster Linie zur Leitung und Aktivierung der Verwaltung dienten, könnten nicht alle, insbesondere nicht unvorhersehbare, Grundrechtsbeeinträchtigungen vom Abwehranspruch umfaßt sein, wenn eine Lähmung vermieden werden solle 91 . Erkenne man an, daß wegen der Grenzen normativer Wirkkraft eines Rechtsgäterschutzes (auch) an das Verhalten angeknüpft werden müsse, so hänge die rechtliche Beurteilung eines staatlichen Verhaltens nur begrenzt von seinen Wirkungen ab. Allgemein Recht, und insbesondere auch das Verfassungsrecht, regelten Verfahren und (staatliches) Handeln zwar um des Effekts (des Rechtsgüterschutzes) in der Wirklichkeit willen, aber eben nicht dieses Ergebnis direkt 9 2 . Eine konsequente Auflösung des Eingriffsbegrifies führe zur umfassenden staatlichen Verursacherhaftung und damit letztlich zu Staatsänderung und Staatszerstörung 93.

88 Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S.55.; Eckhoff, Discher, JuS 1993,463 (464).

Gnmdrechtseingriff, S.58 u.72.;

89 Bleckmann, Grundrechte, S.338; Friauf, DVB1 1971,674 (681); auch Roth, Verwaltungshandeln mit Drittbetroffenheit, These H 2 , S.380. Vgl. auch Eckhoff, Grundrechtseingriff, der freilich weniger der staatlichen Gewalt einen Handlungsspielraum sichern will, als den Grundrechtseingriff als ein unverzichtbares Merkmal des abwehrrechtlichen Eingriffs- und Schrankendenkens kennzeichnet (S.270ff,252ff). 90

Kirchhof,

91

Kirchhof, 1993,463 (464). 92 93

Kirchhof

"Mittelbares" Einwirken, S.77. "Mittelbares" Einwirken, S.79; Erichsen, Jura 1992,142 (146); Discher, JuS "Mittelbares" Einwirken, S.78 ff,81,86.

Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S.34 f., allerdings mit der Schlußfolgerung, abwehrrechtliches Grundrechtsverständnis und moderne Anforderungen an die Grundrechte schlössen sich aus.

100

2. Kapitel: Vorfragen einer verfassungsrechtlichen Beurteilung

bb) Lösungsansätze im einzelnen Wie dargelegt, stehen sich die Notwendigkeit, den Eingriffsbegriff zu weiten und die Unmöglichkeit, ihn ganz aufzugeben, gegenüber. Die Literatur begegnet dem mit im wesentlichen drei Lösungsansätzen.

(1) Allgemeine Kriterien mit dogmatischer Begründung Eine Richtung geht dahin, Teile der klassischen Eingriffsvorstellung aufzugeben, andere aber beizubehalten. Als entscheidende Kriterien tauchen dabei Unmittelbarkeit und Finalität auf, und wo auf beide verzichtet werden soll, wird auf den grundrechtsbeeinträchtigenden Effekt sowie die hinreichende Intensität desselben abgestellt 94 . Gleichzeitig taucht dieses Kriterium in Kombination mit einem oder beiden erstgenannten auf 9 5 . Gegen die Finalität als Abgrenzungsmerkmal soll sprechen, daß dieses Kriterium nicht klarmache, worauf sich die staatliche Zielrichtung genau beziehen müsse 96 . Weiter wird angeführt, daß es dem Bedenken ausgesetzt sei, daß (Grund)rechtsschutz nicht (nur) von den subjektiven Vorstellungen der Behörde abhängig sein könne 9 7 . Andere Autoren verteidigen das Finalitätserfordernis 98 , verlangen in dessen Rahmen aber eine unterschiedlich weitgehende Zwecksetzung der jeweils handelnden staatlichen Stellen. So soll ausreichen, daß die Grundrechtsbeeinträchtigung mehr als eine Nebenfolge sei 9 9 , jedenfalls brauche sie sich nicht als Primärzweck darzustellen 100 . Zum Teil wird

94 So Sodan, Wirtschaftslenkung, S.88; ders., DÖV 1987,858 (863 f.); im Ergebnis wohl auch Eckhoff, Grundrechtseingriff. 95

Neueste Losungsvorschlägen gehen der Sache nach dahin, beide Kriterien nicht kumulativ, sondern alternativ anzuwenden, s. Discher , JuS 1993,463 (465 f.) und di Fabio , JZ 1993,689 (695 flf.). Dazu im übrigen unten HL 1 .b. 96

R.Philipp, Staatliche Verbraucherinfonnation, S. 102.

97

Kirchhof, "Mittelbares" Einwirken, S.94; mit diese" Argumentation gegen die Finalität auch Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S.174. 98

Etwa Friauf, DVB11971,674 (681); Oebbecke, DVB11988,66.

99

Pinger , JuS 1988,53 (54 f.).

100

Lübbe-Wolff NJW 1987,2705 (2710); Ossenbühl , Umweltpflege, S.103 mit dem Fall, daß zielgerichtet der Absatz bestimmter Produkte eingeschränkt worden soll - wohinter ja noch ein anderer Zweck, nämlich (dort) die Abwehr von Gesundheitsgefahren stehen wird.

B. Mittelbare Auswirkungen staatlichen Handelns als Grundrechtseingriffe

101

auch nur auf die bloße Vorhersehbarkeit abgestellt 101 . Anderswo wird das Finalitätskriterium durch die ohne es bestehenden staatlichen Umgehungsmöglichkeiten hinsichtlich des Grundrechtsschutzes gerechtfertigt und dementsprechend enger, im Sinne einer Beeinträchtigungsabsicht verstanden 102 . Das Unmittelbarkeitserfordernis hingegen sei recht ungriffig 1 0 3 und wird, wie Eckhoff jüngst belegt hat, in Rechtsprechung und Literatur mit einer gewissen Beliebigkeit ausgefüllt 104 . Als Beispiel für die Gefahr der Begriffsverwirrung kann etwa angeführt werden, daß das Unmittelbarkeitskriterium bei den Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 I Nr. 4a GG (selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen) nicht als unmittelbare, sondern als Selbstbetroffenheit auftaucht 105 , soweit es um den Teilbereich der Auswirkungen staatlichen Handelns auf Nichtadressaten geht. Unter Verweis auf die erwähnten Gegenargumente zum Finalitätskriterium wird aber auch das Unmittelbarkeitskriterium als haltbar eingeschätzt. Die Kausalitätsbeziehung zwischen Handlung und Erfolg sei von der Behörde oder sonst handelnden Stelle aus zu betrachten, weshalb das Unmittelbarkeitskriterium unverzichtbar sei 1 0 6 . An den Gesichtspunkt der Kausalitätsbeziehung knüpfen weitere in der Literatur vorgeschlagene Abgrenzungsmerkmale an. Nach einer Ansicht soll es ausreichen, wenn staatliche Autorität in Anspruch genommen wurde 1 0 7 , während ein wesentlich restriktiverer Ansatz eine dergestalt bestehende Kausalitätsbeziehung verlangt, daß die Grundrechtsbeeinträchtigung ohne die Beteiligung der öffentlichen Gewalt überhaupt nicht möglich gewesen wäre 1 0 8 . Zurechenbar wäre die Grundrechtsbeeinträchtigung hiernach nicht schon bei ihrer staatlichen Begünstigung, sondern erst dann, wenn die öffentliche Gewalt einem Dritten ein beeinträchtigendes Verhalten ermöglicht hat, das andernfalls

101

EtwaM.Schulte, DVB11988,512 (517 f.); auch Kirchhof.\

102

So Roth, Verwaltungshandeln mit Drittbetroffenheit, S.381.

103

Bleckmann/Eckhoff,

104

Gnmdrechtsemgriff, S.200.

103

Eckhoff,

"Mittelbares" Einwirken, S.84.

DVB11988,1057(1058).

Gnmdrechtsemgriff, S.200.

106

Kirchhof "Mittelbares" Einwirken, S.94,96: "Eine Blickverkürzung bei der eingreifenden Behörde sollte keinesfalls das Recht des Betroffenen verkürzen; die eigene Toriieit nicht den Verwaltenden privilegieren"; ablehnend Schwabe, Gnmdrechtsdogmatik, S.174. 107 Pinger, JuS 1988,53 (55); Heintzen, VerwArch 81 (1990),532 (547 f.) zu staatlichen Produktwamungen. 108

Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit (1986), S.97.

102

2. Kapitel: Vorfragen einer verfassungsrechtlichen Beurteilung

verboten oder sonst unmöglich gewesen wäre. Teilweise wird auch eine flexible Beziehung zwischen Intensität und Unmittelbarkeit in dem Sinne vertreten, daß eine weniger intensive Beeinträchtigung unmittelbarer verursacht sein müsse und u m g e k e h r t 1 0 9 ' 1 1 0 . Eine dogmatisch homogenere Lösung schließlich hat U.Ramsauer 111 vorgeschlagen. Ausgehend von einer Kritik der herkömmlichen Eingriffsmerkmale Unmittelbarkeit und Imperativiät wird dargelegt, daß die Eingriffsfrage ein Zurechnungsproblem sei, während es, vom Bürger aus betrachtet, um eine Schutzbereichsdefinition gehe. Sei aber die Abgrenzung zwischen Schadenszurechnung an den Staat und allgemeinem Lebensrisiko des Bürgers angesprochen, so könne auf die für das Zivilrecht von Ernst v. Caemmerer entwickelte Normzwecklehre zurückgegriffen werden 1 1 2 . Für die Bejahung oder Verneinung des Eingriffs seien also nicht einzelne, allgemeingültige Kriterien entscheidend, sondern der Schutzzweck des jeweiligen Einzelgrundrechts 113 . Wenn dieser Ansatz hier bezüglich der Gliederung nicht von von den genannten Einzelkriterien abgesetzt wird, so deshalb, weil im Endeffekt doch auf dieselben Merkmale abgestellt w i r d 1 1 4 , wenn auch auf der Grundlage einer anderen dogmatischen Basis. So ist auch im seither erschienenen Schrifttum der Ansatz zwar aufgenommen, aber nicht zu einem inhaltlich eigenständigen Konzept ausgeformt worden 1 1 5 . Sein Verdienst mag darin liegen, daß - die Verwendung des Intensitätskriteriums zeigt dies j a im Grunde - jedenfalls ne-

109

Heintzen, VerwArch 81 (1990),532 (543 ff.).

110 Ein weniger allgemeines, sondern stärker auf das Feld behördlicher Produktwamungen bezogenes Kriterium ist das der Rufschädigung (bei KPhilipp, Staatliche Verbraucherinformationen, S. 153 ff). Gleiches gilt für die - umstrittene - Frage, ob ein nicht verkehrsfahiges Produkt aus grundrechtlicher Sicht anders zu behandeln ist, als eines, das den allgemeinen gesetzlichen Anforderungen entspricht. Im übrigen gehören diese Kriterien bzw. Fragen systematisch eher zur Definition des Schutzbereichs als auf die Eingriffsebene. 111 m

VerwArch 72 (1981), 89; ders., Die faktischen Beeinträchtigungen des Eigentums, 1980.

UJiamsauer, tums, S. 161 ff.

VerwArch 72 (1981),89; ders.\ Die faktischen Beeinträchtigungen des Eigen-

113 UJiamsauer, VerwArch 72 (1981),89 (102); allerdings findet sich eine Anknüpfung an Sdhutzzweckgesichtspiinkte bereits bei Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S.56. Für eine je nach betroffenem Grundrecht unterschiedliche Definition der Eingriffsvoraussetzungen auch Eckhoff, Gnmdrechtsemgriff, S.269 f. 114 UJiamsauer, VerwArch 72 (1981), 89, (102 ff) sowie ders., Die faktischen Beeinträchtigungen, S.192. 113

Vgl. z.B. Pinger, JuS 1988,53 (54 f.); Sodan, Pharmlnd. 53 (1991),341.

B. Mittelbare Auswirkungen staatlichen Handelns als Grdrechtseingriffe

103

ben allgemeinen Kriterien auch die Besonderheiten des im Einzelfall einschlägigen Grundrechts in die Argumentation einbezogen werden können.

(2) Fallgruppenbildung Ein anderer Lösungsweg geht von dem Anspruch ab, daß es Eingriffskriterien gebe, die für alle Grundrechte und alle Beeinträchtigungsformen Geltung beanspruchen könnten. Einerseits zur Verdeutlichung der Bereiche, die von faktischen Beeinträchtigungen überhaupt berührt sind, andererseits aber auch zur Entwicklung tragfahiger Konzepte der rechtlichen Einordnung derselben sind in der Literatur verschiedene Fallgruppen entwickelt worden. Dabei werden zum einen die drei Gruppen der Folgewirkung, der Nebenwirkung sowie der schlichten Beeinträchtigung unterschieden 116 . Folgewirkungen bezeichnen dabei Beeinträchtigungen eines grundrechtlichen Schutzbereiches nur vermittels der Beeinträchtigung eines anderen Grundrechts derselben Person, beispielsweise wird die Ausübung eines Berufes durch eine Gefängnisstrafe unmöglich, was sich direkt nur als Eingriff in Art. 2 II, nicht aber in Art. 121 GG darstellt. Nebenwirkungen treten demgegenüber bei dritten Personen auf, aber ebenfalls nur über den Umweg einer vorliegenden "klassischen" Grundrechtsbeeinträchtigung. Die Steuerung des Verhaltens des direkt Beeinträchtigten wirkt sich auch auf Dritte, beispielsweise dessen Familienangehörige aus. Schlichte Beeinträchtigungen schließlich werden durch schlicht-hoheitliches Staatshandeln hervorgerufen. Gemeinsam ist den drei Fallgruppen, daß Regelung und tatsächliche Auswirkungen nicht vollständig identisch sind 1 1 7 . Während bei Gallwas und Ramsauer eher die beschreibende Aufschlüsselung im Vordergrund steht, knüpft Schwabe daran unterschiedliche rechtliche Bewertungen. Die (bei Schwabe Reflexwirkungen genannten) Folgewirkungen seien nur ein Problem der Grundrechtskonkurrenz. Bei schlichten Beeinträchtigungen sei wegen der Untauglichkeit der bisher vorgeschlagenen Kriterien im Einzelfall abzuwägen. Den Nebenfolgen nähert sich Schwabe zunächst mit

116

Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S.13 ff.; teilweise terminologisch anders, aber in der Sache ihm folgend U.Ramsauer, VerwArch 72 (1981),89 und Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S.178 -181. 117

Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 12.

104

2. Kapitel: Vorfragen einer verfassungsrechtlichen Beurteilung

dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer exakten Schutzbereichsbestimmung und fuhrt sodann den Gedanken eines Doppelverbots ein: wenn sich eine gegenüber beiden Betroffenen gleichermaßen intendierte Beeinträchtigung aus Gründen rechtlicher Praktikabilität nur an eine Seite wende, seien gleichwohl die Grundrechte beider berührt 1 1 8 . Eine wesentlich weiter aufgefächerte Fallgruppenbildung schlagen Bleckmann/Eckhoff vor, um "neue Abgrenzungskriterien zu finden" 119. Insgesamt werden neun verschiedene Fallgruppen unterschieden, deren Einzeldarstellung hier zu weit führte. Die Gruppierung dient auch bei Bleckmann/Eckhoff nicht zur Anknüpfung unmittelbarer Rechtsfolgen, sondern mündet in die Erkenntnis, daß Zurechenbarkeit, nicht Unmittelbarkeit aus staatlichem Verhalten einen Eingriff mache. Einzelkriterien für diese Klassifizierung seien Finalität, Vorhersehbarkeit des Erfolges sowie ein funktionaler Zusammenhang mit der grundrechtlich geschützten Freiheitsausübung 120 . Für die hier interessierenden Listenregelungen des Sozialversicherungsrechts, die sich direkt nur auf die Versicherten beziehen, aber die auch Auswirkungen auf die Umsätze der pharmazeutischen Unternehmer haben, wäre demnach die Fallgruppe der Nebenwirkungen einschlägig. Dies gilt insbesondere auch für die Rückwirkungen, die sich im Falle einer Ausschlußwirkung vom Gesamtmarkt für alle Verbraucher ergeben, da es sich bei der Ausnahme von der Verschreibungsfahigkeit um die eigentliche Regelung handelt, während der Marktrückzug als mittelbare Folge über die Hersteller vermittelt wird, also keine bloße Folgewirkung wäre.

(3) Zuordnung zu objektivrechtlichen Grundrechtsgehalten Eine ganz andere dogmatische Erfassung der faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen geht von der Annahme aus, daß die Intensität einer solchen über das Vorliegen eines Eingriffs mitentscheiden kann. Da die besondere Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung auch das Merkmal sei, das darüber entscheide, ob objektivrechtliche Grundrechtsgehalte subjektiv geltend gemacht werden könnten 1 2 1 , solle der gesamte Bereich faktischer Beeinträchti-

118

Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 176 ff.

119

Bleckmann/Eckhoff,

DVB11988,373 (376).

120

Bleckmann/Eckhoff,

DVB11988,373 (380).

121

Vgl. BVerfGE 76,1 (49 ff.).

B. Mittelbare Auswirkungen staatlichen Handelns als Grundrechtsegriffe

105

gungen auf objektivrechtlicher Grundlage erklärt werden 1 2 2 . Die innere Begründung hierfür finde sich darin, daß es bei den mittelbaren Beeinträchtigungen um die Verschlechterung von Rahmenbedingungen gehe, mithin um die Möglichkeit zur Interessenverfolgung. Ohnehin sei nach der Statuslehre G. Jellineks mit dem status negativus eben nur die negative Freiheit, nicht aber eine positive Freiheit zur Interessenverfolgung gemeint 1 2 3 - um solche Interessenverfolgungen aber gehe es bei den einschlägigen Fällen. Werde der abwehrrechtliche Grundrechtsschutz aber auf die bloße Verfolgung von Interessen ausgedehnt, so führe dies wegen der Weite des Art. 2 I GG zu einem allgemeinen Gesetzesvollzugsanspruch und damit zum Ende der Lehre vom subjektiv öffentlichen Recht 1 2 4 und zum Totalvoibehalt. Das bedeute eine Überforderung des Gesetzgebers 125. Die in der Literatur vorgeschlagene Reduzierung des Eingriffskriteriums auf eine hinreichende Erheblichkeit der Grundrechtsbeeinträchtigung führe zu Unvorhersehbarkeit der Ergebnisse und infolge ihrer subjektiven Einzelfallbezogenheit zu erheblichen Einschränkungen der allgemeinen gesetzgeberischen Regelungskompetenz, so daß auch mit diesem Vorschlag die abwehrrechtliche Einordnung der mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigung nicht zu halten sei 1 2 6 .

b) Rechtsprechung aa) BVerfG In den vom BVerfG zu entscheidenden Fällen war besonders häufig Art. 12 I GG von Beeinträchtigungen betroffen, die nicht als Eingriffe im herkömmlichen Sinn verstanden werden konnten. Dem entspricht eine für dieses Grundrecht in Voraussetzungen und Folgen recht konstante Behandlung, die ihren Niederschlag in der Formel von der objektiv berufsregelnden Tendenz gefun-

122 Scherzberg, DVB1 1989,1128 (1133 ff.); ders., Grundrechtsschutz und Eingriffsintensität, S.152 u. 280 f. (These IX); ebenso Jarass, AÖR 110 (1985), 363 (394 f.); ähnlich auch Erichsen, AllgVerwR, § 1 0 1115 (Rz.55) und Roth, Verwaltungiandeln mit Drittbetroffenheit, S.383 (These I V ) unter Ausnahme finaler Beeinträchtigungen. 123

Scherzberg, DVB11989,1128 (1134).

124

Scherzberg, Grundrechtsschutz und Eingriffsintensität, S. 147.

125

Scherzberg, 1992,142 (146). 126

Grundrechtsschutz und Eingriffsintensität, S.149; ähnlich auch Erichsen,

Scherzberg, DVB11989,1128 (1130).

Jura

106

2. Kapitel: Vorfragen einer verfassungsrechtlichen Beurteilung

den h a t 1 2 7 . Im einzelnen werden im Rahmen dieser Formel das Kriterium der Intention des Gesetzgebers 128 oder das einer hinreichend schweren Auswirkung auf die Berufsfreiheit herangezogen 129 - mithin alternativ die Merkmale der Finalität und der Intensität. Bemerkenswert an dieser Rechtsprechung ist nicht nur ihre Begründung sowohl aus allgemeinen Erwägungen zur Grundrechtsfunktion heute - eine Einbeziehung faktischer Beeinträchtigungen sei aus der modernen Entwicklung zum Leistungsstaat heraus geboten - , als auch aus dem Zweck der Berufsfreiheitsgarantie selbst 130 . Festzuhalten ist vielmehr auch, daß eine dogmatische Linie zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung faktischer Eingriffe sichtbar wird131. Die Figur des bloß faktischen Eingriffs findet sich aber auch in Entscheidungen zu anderen Grundrechten. Dabei wird zum einen ebenfalls damit argumentiert, daß der Staat seine Grundrechtsbindung nicht durch einen Wechsel der Handlungsformen umgehen dürfe 1 3 2 . Dies ist eine bekannte Begründung für das Finalitätskriterium. Zum anderen wird aus der Sicht der tatsächlichen Auswirkungen auf den Wertungswiderspruch abgestellt, den es bedeuten würde, formal unterschiedliches Staatshandeln mit identischen Folgen in unterschiedlichem Ausmaß dem materiellen Grundrechtsschutz zu unterstellen133. Schließlich ist eine thematische Parallele im Bereich der Zulässigkeit von Verfiassungsbeschwerden nach § 90 BVerfGG erkennbar. Hier hat das Gericht die Zulässigkeit bejaht, auch wenn nur eine indirekte Beschwer der Beschwerdeführer vorlag 1 3 4 .

127 m 129

BVerfGE 13,181 (186); 16,147 (162); 49,24 (47 f.); 70,191 (194). Etwa BVerfGE 16,147 (163). Ausdrücklich BVerfGE 75,108 (153 f.); nur auf den Effekt abstellend z.B. E 61,291 (308).

130

BVerfGE 46,120 (137): Der "besondere Freiheitsraum\ den Art. 12 I gewährleisten wolle, umfasse auch das Veahalten von Unternehmen im Wettbewerb und könne auch durch bloß tatsächliche Auswirkungen von Vorschriften beschränkt werden. 131

Dazu unten 3.

132

So zu Art. 6 GG BVerfGE 6,55 (82).

133

BVerfGE 52,1 (31 f.) für Art. 141; E 38,281 (303 f.) für Art. 9 1 GG. Im Rahmen von Art. 2 D und 2 1 GG erkennen faktische Eingriffe an E 66,39 (60); 60,123 (134). 134

BVerfGE 18,1 (12,17); 43,58 (68 f.); 77,84 (100).

B. Mittelbare Auswirkungen staatlichen Handelns als Grundrechtseingriffe

107

bb) BVerwG Das BVerwG hat sich in jüngerer Zeit mehrfach ganz grundsätzlich zu faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen geäußert. Im Transparenzlistenurteil aus dem Jahr 1985 1 3 5 verlangt das Gericht eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für einen Akt staatlicher Wirtschaftslenkung dann, wenn er grundrechtsspezifisch und zielgerichtet durch Absatzeinbußen die Berufsfreiheit tangiert 1 3 6 . Im Rahmen der Zielgerichtetheit wird keine Beabsichtigung der wirtschaftlichen Folgen als Endzweck gefordert, es müsse vielmehr ausreichen, daß die Beeinträchtigung mit dem Endzweck ersichtlich verbunden sei137 Diese Rechtsprechung hat das BVerwG inzwischen grundsätzlich bestätigt und dabei die Anforderungen an die Zielgerichtetheit der beeinträchtigenden Maßnahme auf eine bloße Inkaufnahme zurückgenommen 138 . Ist finales (zielgerichtetes) Verhalten der öffentlichen Gewalt feststellbar, dann wird die Kausalkette zwischen Staatshandeln und grundrechtswidrigem Ergebnis unabhängig von ihrer Länge jedenfalls dann unbeachtlich, wenn der Wirkungszusammenhang vom handelnden Staat insgesamt beherrscht wird. Gleiches gilt für die Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung 139. Die im Transparenzlistenurteil neben der Zielgerichtetheit genannte grundrechtsspezifische Beeinträchtigung wird neuerdings offenbar als Intensität derselben verstanden. Sie dient in den Fällen, in denen Finalität nicht vorliegt, zur Begründung der Zurechnung bzw. zur Qualifizierung als Grundrechtseingriff 140. Soweit es um Art. 12 I GG geht, beruft sich das Gericht für seine Rechtsprechung auf die Formel des BVerfG von der objektiv berufsregelnden Tendenz und stimmt auch hinsichtlich Herleitung und Anwendung dieses Kriteriums

133

BVerwGE 71,183.

136

BVerwGE 71,183 (190 f.) ülw.N.

137

BVerwGE 71,183 (193 f.).

138

BVerwGE 87,37 (44) - Über seine Ausführungen zum faktischen Eingriff hinaus enthält dieses Urteil die Verneinung der Notwendigkeit einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für eine Produktwamung ("Glykolwein"), die Grundrechte der Weinhändler seien insofern bereits auf Schutzbereichsebene (verfassungsimmanent) durch die Verantwortung der Regierung für das Staatsganze beschränkt. Damit ist das Gericht auf berechtigte Kritik gestoßen, vgl. Schock, DVB11991,667. 139

BVerwG, TL 1993,33 (35 f.).

140

BVerwG, JZ 1993,33 (35).

108

2. Kapitel: Vorfragen einer verfassungsrechtlichen Beurteilung

mit dem Verfassungsgericht weitgehend überein 1 4 1 . Aus der Rechtsprechung zu anderen Grundrechten ist ersichtlich, daß zum einen die im Transparenzlistenurteil entwickelten Grundsätze auch auf andere Grundrechte anwendbar s i n d 1 4 2 , und daß zum anderen faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen die verwaltungsgerichtliche Klagebefugnis erst bei ausreichend intensivem Ausmaß begründen können, während herkömmliche Eingriffe diese sofort gewäh-

cc) BSG Wie das BVerfG wendet auch das BSG in seiner jüngsten Rechtsprechung grundsätzlich die Formel von der objektiv berufsregelnden Tendenz a n 1 4 4 . Dabei definiert es aber die Zielgerichtetheit wie die Einwirkungsschwere wesentlich restriktiver als BVerwG und BVerfG und kommt auf diese Weise zu einem deutlich verringerten Grundrechtsschutz für das Krankenversicherungsrecht und die damit zusammenhängenden Probleme 145 . Auf genau diese Rechtsprechung hat das LSG Essen in seiner Entscheidung gegen Klagen der pharmazeutischen Unternehmen gegen die Negativlisten ersichtlich Bezug genommen und eine in Grundrechte eingreifende Wirkung der Listen verneint 1 4 6 .

dd)BGH Bedingt durch die Zuständigkeit der Zivilgerichtsbarkeit für das Staatshaftungsrecht gibt es auch einschlägige Rechtsprechung des BGH zum Grundrechtseingriff 147 . Obzwar von einer unzutreffenden 148 und heute so nicht

141

Vgl. BVerwGE 75,109 (115); 87,37 (43) und BVerfGE 46,120 (137); 82,209.

142

BVerwGE 82,76 (Jugendsekten) und BVerwG, JZ 1993,33, auf Alt. 4 GG.

143

BVerwGE 50,282 zu Art. 141GG (Nadibaiklage gegen Baugenehmigung).

144

BSGE 67,251 (255); ähnlich BSG, PharmBid 53 (1991),348. Besonders deutlich jetzt LSG Essai, NZS 1994,267 (268) zu einem Parallelproblem und LSG Essen, SGb 1994,280 f. (Nr.5, Leitsätze). 145 Vgl. insbesondere den Widerspruch zu BVerfG (Voqjrüftmgsausschuß), NJW 1992,735; ausfuhrlich zu dieser Problematik Sodan, SGb 1992,200. 146

PhR 1991,295.

147

Dazu Ossenbühl, Umweltpflege, S. 17 ff.

B. Mittelbare Auswirkungen staatlichen Handelns als Gndrechtsegriffe

109

mehr vertretenen 149 Auffassung vom Verhältnis der Inhalts- und Schrankenbestimmung gem. Art. 1412 zur Enteignung nach Art. 14 I I I GG ausgehend, sind die Kriterien, die der BGH in der Entwicklung des enteignungsgleichen und des enteignenden Eingriffs ausgeformt hat, im hier behandelten Zusammenhang von Interesse 150 . Wesentlich an dieser Rechtsprechung ist, daß der BGH einerseits das Finalitätskriterium aufgegeben 151 , andererseits das Unmittelbarkeitserfordernis betont und weiterentwickelt h a t 1 5 2 . Unmittelbar verursacht soll ein Eingriff dann sein, wenn die Beeinträchtigung als typische Folge der Betätigung der Hoheitsgewalt anzusehen i s t 1 5 3 . Freilich ist beim Standpunkt des BGH zu berücksichtigen, daß es sich in allen Fällen um Entschädigung, also um nachträgliche Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht handelt, während in anderen Gerichtsbarkeitszweigen der grundrechtliche Unterlassungsanspruch im Vordergrund steht 1 5 4 . Das spielt für die Verzichtbarkeit einer Berücksichtigung der Intention staatlicher Stellen eine Rolle, weil jedenfalls unvorhersehbare Folgen staatlichen Handelns zwar nicht die Handlung als solche, wohl aber ihr Ergebnis als rechtswidrig erscheinen lassen können. Schadensliquidation verlangt ihrer Funktion nach also einen anderen Eingriffsbegriff als Eingriffsabwehr. Alles in allem ist die Rechtsprechung naturgemäß durch eine eher pragmatische Anwendung der Einzelkriterien gekennzeichnet, wobei eine Ausnahme für die jüngste Rechtsprechung des BVerwG gilt. In der Geltung und Ausle-

148 BVerfGE 52,1; 58,300; Böhmer, NJW 1988,2561; heute kann der enteignungsgleiche Eingriff auf Art. 14 GG nicht mehr gestützt werden, vgl. Rüfiter, in Erichsen/Martens (Hrsg.), AllgVerwR, S.617ff. 149

BGHZ 90,17 (29 ff).

150

Wenn Eckhoff, Grundrechtseingriff, S.186 f. meint, die BGH-Rechtsprechung sei für den Eingriffsbegriff irrelevant, weil der enteignungsgleiche Eingriff nur auf einfaches Recht, nicht aber auf Art. 14 GG gestützt werden käme, so kann dem so nicht zugestimmt werden. Er übersieht, daß diese Beschreibung der Rechtslage zwar materiell zutrifft, der BGH aber damit, daß er seine Rechtsprechimg auf Alt. 14 GG stützte, mittelbar auch Aussagen zum Grundrechtseingriff gemacht hat, die für eine Analyse da- möglichen Ansatzpunkte nicht deshalb von geringerer Bedeutung sind, weil ihnen eine unzutreffende generelle Einordnung des Gesamtproblems des enteignen den/enteignungsgleichen Eingriffs zugrundelag. 131

Räfher in Erichsen/Martens

132

BGHZ 54,332 (338); 55,229 (231); Rüfiter in Erichsen/Martens

(Hrsg.), AllgVerwR, S.642, Rz:59; BGH NJW 1964,104. (Hrsg.), AllgVerwR, S.644 f,

Rz.62. 133 134

BGHZ 92,34 (41 f.); vgl. auch BGHZ 102,350 (Waldschädai).

Zum Unterschied Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S.128; für unterschiedliche Zurechnungskriterien in diesen beiden Bereichen auch Kirchhof, "Mittelbares" Einwirken, S.77.

110

2. Kapitel: Vorfragen einer verfassungsrechtlichen Beurteilung

gung der Merkmale gibt es noch Unterschiede zwischen den einzelnen Gerichten. Gerade der Rechtsprechung des BVerwG können aber entscheidende Hinweise zur Behandlung faktischer Grundrechtsbeeinträchtigungen entnommen werden.

3. Auswirkungen auf der Rechtfertigungsebene Während der soeben behandelte Punkt, die Frage nach den Eingriffsvoraussetzungen selbst, in den letzten Jahren viel Beachtung erfahren hat, blieb die Folgefrage im Bereich der Grundrechte, ob nämlich bei der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung Besonderheiten nur indirekter Eingriffe zu beachten sind, weitgehend unbehandelt. Ausnahmen bilden insoweit nur manche Urteile des BVerfG und einige wenige Literaturstellen. Dagegen konnte sich das BVerwG in seinen Urteilen meistens darauf beschränken, das Fehlen einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage zu rügen und den Klagen damit stattzugeben 1 5 5 . Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist der Einschätzungs- und Prognosespielraum, den das Gericht dem Gesetzgeber im Rahmen des - grundsätzlich aber anwendbaren - Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes einräumt, erweitert 1 5 6 , und das Umschlagen einer Berufsausübungs- in eine Berufswahlregelung bei Art. 121 GG ist mit der daraus folgenden Verschärfung der geforderten Rechtfertigungsgründe erst dann anzunehmen, wenn die Berufsausübung nicht nur einzelnen Unternehmen unmöglich, sondern die betreffende Tätigkeit in aller Regel wirtschaftlich sinnlos w i r d 1 5 7 . Darüber hinaus ist auch der Bestimmtheitsgrundsatz anwendbar 158 . Eine gewisse Diskrepanz zwischen BVerwG und BVerfG wird deutlich, wenn das B V e r w G 1 5 9 die Anwendbarkeit des Bestimmtheitsgrundsatzes auf faktische Grundrechtseinschränkungen relativiert.

135

So BVerwGE 71,183 und BVerwG, JZ 1993,33.

136

BVerfGE 77,308 (332); 46,120 (145).

137 BVerfGE 13,181 (187); 16,147 (165); 30,292. Dabei ist allerdings zu beachten, daß die Dreistufentheorie (grundlegend: E 7,377) nicht schematisch angewendet werden darf, sondern auch Berufsausübungsregelungen an erhöhten Anforderungen zu messen sind, wenn die Beeinträchtigung hinreichend intensiv ist - BVerfGE 82,209 (229 f.); ebenso sehen E 16,147 (167). 138 139

BVerfGE 82,209 (223 f.).

NJW 1991, 1770 (1771); bestätigt in dieser bereits älteren Rechtsprechung freilich vom BVerfG (Vorprüfungsausschuß), NJW 1989,3269 (3270).

B. Mittelbare Auswirkungen staatlichen Handelns als Gndrechtseingriffe

111

Soweit die Literatur das Problem aufgreift 160 , werden mögliche Einschränkungen in den Anforderungen an die Verfassungsmäßigkeit eines (faktischen) Eingriffs untersucht. Während der Rückschluß zutreffe, daß dort, wo imperative Eingriffe in Grundrechte erlaubt seien, dies auch für faktische Beeinträchtigungen gelten müsse, folge umgekehrt aus dem Veibot imperativer Eingriffe noch nicht, daß auch faktische Beeinträchtigungen im Ergebnis materiell verboten sein müßten 1 6 1 . Die Bejahung eines Eingriffs in Fällen ungezielter oder sogar unvorhersehbarer Verursachung sei nur um den Preis einer Rücknahme der Rechtfertigungsanforderungen möglich 1 6 2 . Während zum Bestimmtheitsgrundsatz Ausführungen insoweit ganz fehlen, wird der Schluß einer generell eingeschränkten Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aber trotz des Ausgangspunktes nicht gezogen. Wird einerseits auf eine Einzelfallbeurteilung unter erneuter Berücksichtigung der Eingriffskriterien verwiesen 1 6 3 , so wird andererseits dargelegt, daß aus der prinzipiell umfassenden Schutzwirkung der Grundrechte und aus der Funktion des Übermaßverbots, die Rechtsposition des Betroffenen in die Beurteilung staatlichen Handelns einzubeziehen, eine uneingeschränkte Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips folge 1 6 4 .

m . Stellungnahme 1. Die Eingriffskriterien selbst a) A usgangspunlct Den vielfaltigen Stimmen in der Literatur ist zuzustimmen, wenn sie die Schwächen und Mängel von Einzelkriterien zur Bestimmung eines Grund-

160 Eingehend nur Gall was, Faktische Beeinträchtigungen; mit einigen Ausführungen auch Bleckmann/Eckhoff, DVB1 1988, 373 (380 ff.). Interessant an dieser Stelle Lübbe-Wolff, Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S.73, die das Pferd von hinten aufzäumt und einen Eingriff dann annehmen möchte, wenn sich die Grundrechtsbeemträchtigung bei positivem Staatshandeln in das weitere Prüfungsschema der klassischen Grundrechtsstruktur einfügt. Leider verliert der Eingriff dann seine eigenständige Funktion, die Zurechnung zu steuern. 161

Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S.77 f.

162

Bleckmann/Eckhoff,

DVB11988,373 (380).

163

Bleckmann/Eckhoff,

DVB11988,373 (381).

164

Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S.80. Dort (S.81 f.; 113 ff.) finden sich auch die, soweit ersichtlich, einzigen Untersuchungen zur Anwendbarkeit der Grundsätze des Art. 191, I I GG.

112

2. Kapitel: Vorfragen einer verfassungsrechtlichen Beurteilung

rechtseingriffs darlegen. Auf keines der drei ernstlich in Frage kommenden Merkmale der Finalität, Unmittelbarkeit, grundrechtsbeeinträchtigenden Wirkung bzw. deren Intensität allein kann ein dogmatisch schlüssiges Konzept aufgebaut werden. Insbesondere bedeutet das alleinige Abstellen auf den beeinträchtigenden Effekt 1 6 5 in Wahrheit die Totalaufgabe der Eingriffsvoraussetzung. Andererseits ist es bisher nicht gelungen, geeignete Alternativen aufzuzeigen. Sowohl die Schutzzwecklehre, der in ihrer Ausrichtung auf Zurechnung zuzustimmen ist, als auch der Versuch der Fallgruppenbildung sind am Ende doch wieder auf die genannten Einzelkriterien oder Teile von ihnen angewiesen, soweit sie nicht alles von einer Abwägung im Einzelfall abhängig machen wollen. Die Auffacherung in eine große Zahl von Fallgruppen ist darüberhinaus wenig praktikabel und in der Gefahr, Schutzbereichsprobleme auf Eingriffsebene zu behandeln 166 . Auch der Versuch der Zuordnung zu objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalten ist, von den Bedenken gegen diese Kategorie als solche abgesehen, nicht überzeugend. Zwar werden die Gefahren eines völligen Verzichts auf Eingriffsvoraussetzungen richtig gesehen, jedoch in ihrer Grenzenlosigkeit überzogen dargestellt, wenn von Art. 2 I GG als Basisgrundrecht ausgegangen w i r d 1 6 7 . So richtig es ist, daß die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 I GG, soweit sie keinen eigentlichen, umgrenzten Schutzbereich hat, nicht auch noch eine völlige Auflösung der Eingriffsvoraussetzung verträgt, eine Übertragung der darauf aufbauenden Argumentation auf die einzelnen Freiheitsrechte ist damit nicht begründet 168 . Insofern wird nur die Notwendigkeit einer der Eingriffsprüfung vorausgehenden, exakten Schutzbereichsbestimmung 169 verdeutlicht. Auch ist der zugrundeliegende Ausgangspunkt der Unterscheidung zwischen abwehrrechtlicher Freiheit und Freiheit zur Interessenverfolgung 170

163

So Sodan , DÖV 1987,758 (863).

166

S. Bleckmann/Eckhoff,

167

So Scherzberg, DVB11989,1128.

DVB11988,373 (378 f.; Fallgruppen 4 und 5).

168

Worauf auch die Ausnahme hindeutet, die Scherzberg selbst für Art. 12 I GG macht, DVB1 1989,1128(1131). 169 Zur "engen Verzahnung" von Schutzbereichs- und Eingriffsfrage auch Schwabe , Grundrechtsdogmatik, S.165 und Eckhoff, Grundrechtseingriff, S.36 ff. 170

Scherzberg, Gnmdrechtsschutz und Eingriffsintensität, S. 145 ff und DVB11989,1128(1129).

B. Mittelbare Auswirkungen staatlichen Handelns als Grundrechtseingriffe

113

nicht ohne weiteres nachvollziehbar, da auch der "klassische" Grundrechtseingriff die Freiheit zur Interessenverfolgung einschränken k a n n 1 7 1 . Schließlich ist Scherzbergs Gegenargument gegen den Versuch, das Eingriffskriterium auf abwehrrechtlicher Basis auf die Intensität des Beeinträchtigungsergebnisses zu reduzieren (zu subjektiv und einzelfallbezogen 172 ), auch gegen die objektiv-grundrechtliche Lösung anführbar. Denn die Intensität der Benachteiligung bestimmt j a auch dort allein über die Möglichkeit, eine Grundrechtsverletzung geltend zu machen 173 . Auf subjektiv- wie auf objektivrechtlicher Basis ergibt sich die Problematik des allein angewendeten Intensitätskriteriums daraus, daß eine Dogmatik, die auf dem Satz beruht, ein staatliches Verhalten sei rechtfertigungsbedürftig, weil es im Ergebnis als rechtfertigungsbedürftig erscheine - und keine andere Wertung verbirgt sich j a hinter dem Erheblichkeitsmerkmal 174 - ihren Zweck kaum wird erfüllen können. Ein weiteres Problem des Abstellens nur auf die Intensität der Beeinträchtigung ist, daß diesselbe - bedingt durch das Auseinanderfallen von Regelung und Auswirkung - zum Zeitpunkt der Entscheidung schon angesichts kurzer Klagfristen nur prognostizierbar sein wird. Damit stellt sich die weitergehende Frage nach der Zuständigkeit für diese Prognose und nach ihrer Kontrolle. Diese Kontrolle kann nämlich nicht nur vom Prognoseergebnis selbst abhängig sein. Schließlich sind auch Versuche, allein mit verschieden gewichteten staatlichen Kausalitätsbeiträgen zu arbeiten, über Einzelfalle hinausgehend unbefriedigend. Auf dieser Grundlage wird es den staatlichen Stellen ermöglicht, ihre Grundrechtsbindung bewußt zu umgehen.

b) Folgerungen Steht somit einerseits fest, daß die Reduktion des Eingriffs auf einzelne Kriterien, die notwendige Voraussetzung seines Vorliegens sein sollen, nicht haltbar ist, andererseits auf derartige Kriterien kaum verzichtet werden kann, so liegt es nahe, unter dem Dach eines Zurechnungsbegriffs die Kriterien Finalität und Unmittelbarkeit als Vorausetzungen zu verstehen, die zwar nicht

171

So ausdrücklich Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S.61.

172

DVB11989,1128 (1130).

173

Ausdrücklich in DVB11989,1128 (1136 r.Sp.).

174

Dies zeigt sich auch bei Eckhoff,

8 Philipp

Grundrechtsemgriff, S.255.

114

2. Kapitel: Vorfragen einer verfassungsrechtlichen Beurteilung

unbedingt notwendig, aber hinreichend für die Bejahung eines Eingriffs sind175. Die Finalität rechtfertigt sich in dieser Funktion in jedem Fall durch die anderenfalls bestehenden Umgehungsmöglichkeiten der staatlichen Grundrechtsbindung aus Art. 1 I I I GG. Insoweit kann von einer verdeckten Regelungsidentität gesprochen werden. Hierbei braucht sich der grundrechtbeeinträchtigende Effekt nicht als Oberziel oder Primärzweck darzustellen. Seine Stellung als notwendiges Zwischenziel muß vielmehr ebenfalls ausreichen. Ob das Kriterium hingegen noch weiter auf eine bloße Vorhersehbarkeit dieses Effekts reduziert werden kann, erscheint in dieser allgemeinen Weise als fraglich, weil damit der Boden der Begründung der Zurechnung mit einer subjektiven staatlichen Zielsetzung verlassen wird. Objektive Anhaltspunkte sollten deshalb im Rahmen der Finalität nur insoweit Berücksichtigung finden, als die Rahmenbedingungen es nahelegen, daß die jeweilige Grundrechtsbeeinträchtigung sich dem Gesetzgeber oder dem sonst handelnden Organ aufdrängen mußte und von daher auf ihren Zwischenzielcharakter geschlossen werden kann. Im übrigen finden die objektiven Anhaltspunkte ihren Platz bei der Frage nach der Unmittelbarkeit der Verursachung. Ihr kann immerhin zugutegehalten werden, daß sie, anknüpfend an die Frage der Zurechnung von Folgen des Staatshandelns, Grenzen der Grundrechtsanwendung verdeutlichen kann, die sich nicht nur aus einem notwendigen staatlichen Gestaltungsspielraum 176 , sondern auch aus einer empirisch feststellbaren Grenze der Abmeßbarkeit menschlichen wie staatlichen Verhaltens ergeben 177 . Im Rahmen der Unmittelbarkeit können also auch die Beeinträchtigungsintensität (je intensiver die Beeinträchtigung, desto mittelbarer darf sie verursacht sein) und die Vorhersehbarkeit 178 bzw. Typizität der Folge eine Rolle spielen. Daneben sollten einzelgrundrechtsspezifische Erwägungen, beispielsweise der Unterschied zwischen einem speziell benannten Freiheitsrecht und der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 I GG oder der Charakter als normgeprägtes Grundrecht wie Art. 14 I GG, treten. Schließlich können hier auch Unterschiede in

173 So jetzt auch BVerwG, JZ 1993,33; di Fabio , JZ 1993,689 (695 ff.) und Bischer, JuS 1993,463 (465 f.). 176 Insoweit mag Eckhoffs keit (S. 122 f.), berechtigt sein. 177 178

Einwand, Rechtfertigungsbedürftigkeit sei ja noch nicht Rechtswidrig-

So überzeugend Kirchhof,

"Mittelbares" Einwirken, S.80,88.

Vorhersehbarkeit ist zwar zunächst logische Voraussetzung der Finalität, paßt jedoch zur Kennzeichnung einer Zurechnungsermöglichenden Nähebeziehung auch zur Unmittelbarkeit.

B. Mittelbare Auswirkungen staatlichen Handelns als Grundrechtseingriffe

115

der formalen Struktur der Grundrechtsbeeinträchtigung im Sinne einer Fallgruppenbildung ihren Platz finden. Zumal man sich bewußt sein muß, daß eine leicht handhabbare und plausible Abgrenzung auch auf dieser Grundlage nur bedingt vorhersehbar und möglich sein wird, bleibt die Notwendigkeit einer exakten Schutzbereichsbestimmung hervorzuheben.

2. Auswirkungen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung Für die für diese Arbeit wichtig werdenden Schranken-Schranken des Bestimmtheits- und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes 179 bleibt zu untersuchen, ob insoweit Einschränkungen in der Prüfungsdichte anzuerkennen sind.

a) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Die Bedeutung, die der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im heutigen Rechtssystem hat, erstreckt sich nicht nur auf die Begrenzung staatlicher Gewalt bei Grundrechtseingriffen, sondern erklärt sich daraus, daß er schon Bestandteil des allgemeinen Rechtsstaatsprinzips i s t 1 8 0 . Deshalb kann seine grundsätzliche Anwendbarkeit nicht durch einen geweiteten Eingriffsbegriff in Frage gestellt werden. Damit ist aber noch nicht gesagt, in welcher Strenge seine Anwendung zu erfolgen hat. Das BVerfG etwa gesteht dem Gesetzgeber einen weiteren Einschätzungs- und Prognosespielraum zu, wenn - im Rahmen von Gesetzen mit objektiv berufsregelnder Tendenz - Eignung und Erforderlichkeit als Unterpunkte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes überprüft werd e n 1 8 1 . Auch legt es bei der Stufenzuordnung für die Dreistufentheorie, die j a Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsprinzips i s t 1 8 2 , verschärfte Maßstäbe an. Nach den hier vertretenen Voraussetzungen für die Annahme eines Eingriffs ist zwischen finalen faktischen Beeinträchtigungen und der Zurechnung über

179 Das Problem ganz fehlender gesetzlicher Ermächtigungsgrundlagen (BVerwGE 71,183; BVerwG JZ 1993,33) taucht hier in Anbetracht der §§ 34 m bzw. 34a, 92a SGB V nicht auf. Zu Art. 1912 GG s. unten Kapitel 4, B.m.3. 180 BVerfGE 76,1 (50 f.); 61,126 (134); Hesse, Gnmdzüge, Rzl85; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S.80. 181

S.o. H.3.und BVerfGE 77,308 (332); 46,120 (145).

182

BVerfGE 46,120 (138).

116

2. Kapitel: Vorfragen einer verfassungsrechtlichen Beurteilung

die Unmittelbarkeit zu unterscheiden. Erstere leiten sich daraus ab, daß der Gesetzgeber seine Bindungen nicht durch die Wahl komplizierterer Regelungsmodelle soll umgehen können. Infolge "verdeckter Regelungsidentität" ist eine Einschränkung der Prüfungsdichte hier nicht gerechtfertigt. Für letztere dagegen treffen die im Demokratieprinzip wurzelnden Bedenken gegen eine zu strikte Kontrolle zu. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß dem Gesetzgeber seine Kompetenz zur politischen Prioritätensetzung, wie sie sich aus dem Gesamtgefüge des GG ergibt, entrissen wird, wenn den Grundrechten zu enge Grenzen für die Ausgestaltung der verschiedenen Lebensbereiche entnommen werden. Dies wird gerade dann relevant, wenn es um die Mitberücksichtigung der Grundrechte Drittbetroffener g e h t 1 8 3 und verlangt auch bei der materiellen Beurteilung Berücksichtigung. Andererseits ist dieser Sachverhalt aber bereits Anlaß gewesen, eine völlige Aufgabe des Eingriffs und seiner Funktion abzulehnen. Dazu kommt, daß bei schwierigen Beurteilungsgrundlagen der Gesetzgeber hinsichtlich Eignung und Erforderlichkeit ohnehin von übermäßigen Bindungen durch die Rechtsprechung des BVerfG zum Einschätzungs- und Prognosespielraum freigestellt i s t 1 8 4 . Am sinnvollsten ist es deswegen, unter Berufung auf den Einwand der grundgesetzlichen Kompetenzenzuweisung zwar unter dem Gesichtspunkt der Unmittelbarkeit nicht ohne weiteres jede Schutzbereichsberührung als Eingriff zu werten, sondern insoweit einen strengen Maßstab anzulegen. Wird der Eingriff aber bejaht, dann steht auch einer über die allgemeinen Gesichtspunkte hinaus uneingeschränkten Verhältnismäßigkeitsprüfung nichts im Wege.

b) Bestimmtheitsgrundsatz Wie das Verhältnismäßigkeitsprinzip wird auch der Grundsatz der Normenbestimmtheit mit seinen Einzelausformungen aus dem Rechtsstaatsgebot abgeleitet 1 8 5 . Eine gänzliche Unanwendbarkeit für faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen kann deshalb nicht in Betracht kommen. So hat auch das BVerfG in einer neueren Entscheidung zu Art. 12 I G G 1 8 6 , in der es um eine nur faktische Beeinträchtigung der Berufsfreiheit von Krankenhausbetreibern

183

Vgl. etwa Schuppert , Funkticnell-rechtliche Grenzen der Verfassungsinterpretation, 1980,

S. 39 ff. 184

E 50,290 (332 flf.); 77,84 (106).

183

Z.B. BVerfGE 49,168 (181).

186

BVerfGE 82,209 (224 flf.) zum bayerischen Krankenhausfinanzierungsgesetz.

B. Mittelbare Auswirkungen staatlichen Handelns als Grundrechtseingriffe

117

ging, die Regelung eingehend am verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz überprüft. Bereits die gesetzliche Regelung müsse Umfang und Grenzen des Eingriffs deutlich erkennen lassen. Auf der anderen Seite hat das B VerwG in seinen Entscheidungen zu staatlichen Warnungen vor religiösen Sekten 18 7 die Ermächtigungsgrundlage für solche Warnungen - die nach den genannten Urteilen faktische Eingriffe in die Religionsfreiheit darstellen - direkt in der Verfassung gesehen und Bedenken aus der Sicht des Bestimmtheitsgebots mit dem Hinweis verworfen, daß eine gesetzliche Regelung ohnehin nur die Wahrheitspflicht des Staates und seine Bindung an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit festschreiben könne. Indes relativiert sich die Bedeutung dieser Rechtsprechung für den vorliegenden Zusammenhang unter zwei Gesichtspunkten. Zum einen ist sie zu Recht wegen unzulässigen Schlusses von einer Aufgaben- auf eine Befugnisnorm abgelehnt worden 1 8 8 . Aber auch wenn man einen derartigen Schluß für zulässig hält, ist damit noch nicht gesagt, daß auch im Falle der Existenz einer Befugnisnorm (wie sie j a für die Listen nach SGB V vorliegt) das Bestimmtheitserfordernis aufzugeben sei. Danach bleibt es bei einer uneingeschränkten Anwendbarkeit des Bestimmtheitsgrundsatzes. Allgemein ist zu konstatieren, daß die inhaltlichen Anforderungen an die Normenbestimmtheit vielfach von Gesichtspunkten abhängig gemacht werden, die (nach obigen Ausführungen) auch eine Rolle für das Vorliegen eines Eingriffs spielen. Dies gilt insbesondere für die Beziehung zwischen Eingriffsintensität und Bestimmtheitserfordernissen 189, aber auch für die Differenzierung zwischen statischen Sachverhalten und dynamischen Geschehensabläufen, wobei letzteres weniger bestimmte Normierungen rechtfertigen k a n n 1 9 0 . Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß bei nicht imperativen Grundrechtsbeeinträchtigungen die Grundrechtsträger nicht weniger darauf angewiesen sind, den gesetzlichen Regelungen Ausmaß und Grenzen der Eingriffe direkt entnehmen zu können, als bei "klassischen" Eingriffen. Auch aus dieser Sicht ergibt sich also kein Grund, den Bestimmtheitsgrundsatz bei faktischen Eingriffen weniger strikt zu handhaben.

187

Zuletzt NJW 1991,1770 (1771); eboiso BVerfG

(Voiprüfungsausschuß), NJW 1989,3269

(3270). 188

Etwa Heintzen, VerwArch 81 (1990),532 und Schock, DVB11991,667.

189

BVerfGE 59,104 (114).

190

BVerfGE 64,261 (280).

118

2. Kapitel: Vorfragen einer verfassungsrechtlichen Beurteilung

Ob demgegenüber aus den Grundsätzen des Facharztbeschlusses 191 eine nur begrenzte Geltung des Bestimmtheitssatzes für das hier behandelte Themengebiet folgt, ist keine allgemeine Frage der Eingriffskonstellation, sondern der Besonderheiten der Selbstverwaltung im Sozialversicherungsrecht 192.

3. Besonderheiten des Sozialversicherungsrechts Die bisherigen Ausführungen waren bemüht, eine allgemeine Konzeption für die Problematik faktischer Grundrechtsbeeinträchtigungen zu finden. Berücksichtigt man aber die Verschiedenartigkeit der einzelnen "klassischen11 Eingriffsvoraussetzungen und die Unterschiedlichkeit der im Zusammenhang damit diskutierten Fallgruppen, so wird klar, wieso eine solche Konzeption nur in groben Grundzügen existieren kann. Auch die meisten in der Literatur vorgeschlagenen Lösungswege kommen ohne Fallgruppenbildung und am Einzelfall bzw. am Einzelgrundrecht orientierte Schutzzweckerwägungen nicht aus. Die Rechtsprechung ist ohnehin einzelfallgebunden und hat im Falle des BVerfG seine Kriterien weniger allgemein als auf die Berufsfreiheit bezogen entwickelt. Auch die Listen nach SGB V haben mit den staatlichen Warnungen und Empfehlungen, die in der Vergangenheit Motor der Überlegungen zu den faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen waren, nur gemein, daß sie Bewertungen von Produkten betreffen. Als sozialversicherungsrechtliche Steuerungsinstrumente haben die Listen aber im Unterschied zu jenen eine gesetzliche Grundlage und sind in ein Gesamtsystem eingebunden, auf dessen Grundlagen Pflichtversicherung und Sachleistung sie aufbauen und innerhalb dessen sie allein sinnvoll sind. Damit korrespondiert eine eigene Art der Grundrechtsbeeinträchtigung, die auch für die Beurteilung der Eingriffsvoraussetzungen zu berücksichtigen ist. Die jedenfalls unter Mitwirkung der Listen verursachten Schutzbereichsbeeinträchtigungen stellen sich sämtlich als Zusammenspiel der Listen mit einerseits der Pflichtversichertenquote und den Leistungserbringungsvorschriften der GKV und andererseits einer Vielzahl weiterer Steuerungsinstrumente dar. Dieser Gesamtbereich, in den die Auswirkungen der Listen fallen, ist - und dies ist ein entscheidender Gesichtspunkt - durchgängig bereits vom Gesetzgeber beherrscht 193 . Daraus folgt, vorbehaltlich einzel-

191

BVerfGE 33,125.

192

S. dazu sogleich

193

3. und unten Kapitel 3, A.m.3.

Mit Berücksichtigung des Grades, in dem der Staat das Gesamtgeschehen beherrscht (im Rahmen der Finalitat) jetzt auch BVerwG, JZ 1993,33 (36).

B. Mittelbare Auswirkungen staatlichen Handelns als Grundrechtseingriffe

119

grundrechtlicher Besonderheiten, eine weitergehende Zurechnung an den Staat als in anderen Bereichen.

I V . Ergebnis Festgehalten werden kann, daß es beim Grundrechtseingriff um Zurechnung grundrechtswidriger Folgen an den Staat geht. Diese Zurechnung ist alternativ unter den Gesichtspunkten der Finalität und der Unmittelbarkeit möglich. Dagegen ist die besondere Schwere der Auswirkung zumindest als alleiniges Merkmal abzulehnen. Die Ausfüllung der beiden Kriterien ist insofern einzelfallabhängig, als die Besonderheiten des betroffenen Grundrechts, aber auch des jeweiligen staatlichen Regelungs- bzw. Tätigkeitszusammenhangs einzubeziehen sind. Dies gilt für die Unmittelbarkeit in größerem Umfang als für die Finalität, die im übrigen nicht auf bloße Vorhersehbarkeit reduziert werden darf. Für die Beurteilung der Listen nach SGB V gilt demnach, daß sowohl bei der Qualifizierung einer grundrechtsrelevanten Maßnahme als zielgerichtet, als auch bei einer Einordnung als unmittelbar verursacht zu beachten sein wird, daß auch die Rahmenbedingungen vom Staat geschaffen und diesem damit weitgehend zurechenbar sind. Wird ein Eingriff bejaht, so sind der materiellen Überprüfung auf dessen verfassungsrechtliche Rechtfertigung keine weitergehenden Grenzen gesetzt.

3. Kapitel:

Arzneimittellisten und Herstellergrundrechte A. Berufsfreiheit Bisher wurde auf eine übersichtliche Trennung der drei Ebenen von Schutzbereich, Eingriff und verfassungsrechtlicher Rechtfertigung Wert gelegt. Diese Unterscheidung wird sich an einem (zentralen) Punkt für die Berufsfreiheit jedoch nicht ganz durchhalten lassen: Das schon in der Einleitung geschilderte Problem der im Recht der GKV in weitem Ausmaß gegebenen Verflechtung von Abhängigkeiten, Vor- und Nachteilen durch die bereits seit langem etablierte staatliche Gesetzgebung hat in Literatur und Rechtsprechung Lösungsansätze gefunden, die nicht ausschließlich auf der Schutzbereichsebene der Grundrechte und hier des Art. 121 GG angesiedelt sind bzw. die nur beurteilt werden können, wenn ihre Auswirkungen auf die beiden anderen Ebenen mitbedacht werden. Sie werden gleichwohl unter der Überschrift "Schutzbereich" erörtert, um dieses Hauptproblem des vorliegenden Sachverhalts nicht zerrissen darstellen zu müssen.

I. Schutzbereich 1. Die gängigen Voraussetzungen der Betroffenheit des Art. 121 GG Daß sich auch Wirtschaftsunternehmen und nicht nur Einzelpersonen auf die Berufsfreiheit berufen können, ist heute im Grundsatz unumstritten 1 . Zwar ist der Freiheitsraum, den Art. 12 I GG öffnen will, in besonderem Maße persönlichkeitsbezogen2. Dieser personale Bezug wirkt sich aber materiell erst

1

S. nur JtBreuer , HdbStR VI, § 147 Rz23; Schneider , W D S t R L 43 (1985),7 (25 f.); Papier , DVB11984,801 (806). 2

BVerfGE 50,290 (362); Schneider , W D S t R L 43 (1985),7 (18 f.).

A Berufsfreiheit

121

auf der Ebene der Rechtfertigung von Einschränkungen der Berufsfreiheit aus, nicht schon auf der Ebene des Schutzbereiches3. Bei den pharmazeutischen Herstellern handelt es sich in der Regel um juristische Personen mittelständischen bis großunternehmerischen Zuschnitts, die Anwendung des Art. 12 auf derartige juristische Personen über Art. 19 I I I GG kann als zweifelsfrei bezeichnet werden 4. Weitergehend wird Art. 12 GG auch als das Hauptgrundrecht der Unternehmerfreiheit bezeichnet5. Die pharmazeutischen Hersteller können sich damit im Grundsatz auf die Berufsfreiheit berufen, ohne daß es einer weiteren Differenzierung auf Schutzbereichsebene bedürfte. Nach anerkannter Definition schützt Art. 12 I GG jede (erlaubte 6) Tätigkeit des Grundrechtsträgers als Grundlage seiner Lebensführung 7. Für Unternehmen geht es insoweit um die Grundlage ihrer Erwerbstätigkeit. Im Gegensatz zu Art. 14 GG, der die (Rechts)beziehung des Grundrechtsträgers zu einem Gegenstand schützt 8 , geht es bei Art. 12 I GG also um die Tätigkeit an sich. Beim BVerfG kommt die Abgrenzung in der "Faustformel" zum Ausdruck, die Eigentumsfreiheit schütze das Erworbene, die Berufsfreiheit aber den Erwerb 9 . Aus dieser grundsätzlichen Freiheit des Erwerbs werden nun verschiedene "Einzelfreiheiten" und sonstige Konkretisierungen des Grundrechts abgeleitet. Dabei soll hier mit der wohl herrschenden Ansicht 1 0 von der grundsätzlichen und umfassenden Ansiedlung dieser Freiheiten bei Art. 121 und nicht bei Art. 2 1 GG ausgegangen werden. Wird die Berufsfireiheit nämlich einmal auch als Erwerbsfreiheit verstanden - und daß dies der heute gängigen Praxis entspricht, zeigen die zahlreichen Urteile und Autoren, die eine Beeinträchtigung des Schutzbereichs des Art. 12 I GG in Umsatzeinbußen sehen 11 - so ist letzte-

3

BVerfGE 50,290 (363); Ossenbühl, AÖR 115 (1990),1 (12).

4

Tettinger, AÖR 108 (1983),92 (104) mit Nachw. aus der Rechtsprechung des BVerfG; Lee heier, W D S t R L 43 (1985),48 (99). 3

Ossenbühl, AÖR 115 (1990),1 (5); Lecheler, W D S t R L 43 (1985),48 (55).

6

Der Streit um dieses Merkmal ist im vorliegenden Zusammenhang irrelevant.

7

BVerfGE 7,377 (397).

8

Dazu Böhmer, NJW 1988,2561 (2566 ff.).

9

Vgl. Tettinger, AÖR 108 (1983),92 (129) mit Nadiw.

10

Tettinger, AÖR 108 (1983),92 (130 f.); Lecheler, W D S t R L 43 (1985),48 (55); RJSreuer, HdbStR VI, § 147 Rzn.63, 97; M/D/H/S - Scholz, Ait.12 Rz.123; offenlassend BVerwGE 71,183 (189). 11

S. dazu unten 3.

122

3. Kapitel: Arzneimittellisten und Herstellergrundrechte

re auch als spezielle, der allgemeinen Handlungsfreiheit vorgehende Freiheitsgewährleistung zu verstehen. Letztlich materielle Auswirkungen hat das nicht, weil die Art. 2 I und 12 I GG (zumindest bei Berufsausübungsregelungen) praktisch unter den gleichen Voraussetzungen einschränkbar sind 1 2 . Als im einzelnen ableitbare Freiheiten lassen sich etwa die Dispositions- und die Produktionsfreiheit sowie die Freiheit der marktmäßigen Betätigung 13 anführen. Ohne eine solche - ohnehin wohl nur verdeutlichende - Auflacherung kommt das BVerfG aus, wenn es das "Verhalten der Unternehmer im Wettbewerb" als geschützt ansieht 14 . Arzneimittelhersteller produzieren ihre Präparate, um sie - mit Erwerbszweck - über die verschiedenen Zwischenschritte an die Patienten absetzen zu können. Diese Tätigkeit fallt fraglos unter den Schutz der Berufsfreiheit. Im Kapitel über die arzneimittelbezogenen Regelungen des SGB V wurde dargestellt, welchen Anforderungen und Reglementierungen diese Tätigkeit staatlicherseits unterworfen wird. Die - für verschreibende Ärzte verbindliche Ausschließung scheint damit, von der nur mittelbaren Verursachung einmal abgesehen15, ohne weiteres beeinträchtigende Auswirkungen auf die geschützte Tätigkeit zu haben, die sich nach Art. 12 I GG gerade möglichst unreglementiert vollziehen soll 1 6 . Dies gilt auch dann, wenn man berücksichtigt, daß Art. 12 I GG weder Schutz vor lästiger Konkurrenz, noch - hier einschlägig - bestimmte Erfolge des Erwerbsstrebens gewährleistet 17 . Denn es macht einen Unterschied, ob vom Staat im Sinne einer Erfolgsgarantie erwartet wird, daß er auf dem freien Markt chancenlose Produkte zu stützen habe, oder ob der Staat Regelungen unterlassen oder vor Art. 121 GG rechtfertigen muß, die die Erwerbschancen gerade erst beeinträchtigen.

12

Ähnlich etwa diFabio, JZ 1993,689 (694).

13

Ossenbühl , AÖR 115 (1990),1 (18 ff., 21 ff.).

14

BVerfGE 32,311 (317); 46,120 (137). Zur Wettbewerbsfreiheit auch M/D/H/S - Scholz , Art.12 Rm.40, 80; Stober , Handbuch des Wirtschaftsverwaltung?- und Umweltrechts, § 31 I I 1 und di Fabio , JZ 1993,689 (694). 13

Es handelt sich dabei um eine Frage des Eingriffs.

16

BVerfGE 82,209 (223).

17

Tettinger , AÖR 108 (1983),92 (115); Papier , DVB11984,801 (808).

A Berufsfreiheit

123

2. Einordnung der Listen in Literatur und Rechtsprechung Die meisten Stellungnahmen zur Verfassungsmäßigkeit der Negativ- bzw. Positivliste oder der oben 18 dargestellten vergleichbaren arzneimittelbezogenen Regelungen des Sozialversicherungsrechts gehen denn auch von der Rechtfertigungsbedürftigkeit derselben vor der Berufsfireiheit der Leistungserbringer aus 19 . Auch wenn dies nicht immer ausdrücklich festgestellt wird, wird damit jeweils die Berührung des Schutzbereichs unterstellt. Von daher scheint die oben begründete Annahme einer Schutzbereichsbeeinträchtigung bei Art. 121 GG durch die Arzneimittellisten ohne weiteres plausibel zu sein.

3. Teilhaberecht am Gesundheitsmarkt ? Schon bei den vorangestellten Überlegungen zum faktischen Grundrechtseingriff wurde darauf hingewiesen, daß die Öffnung des überkommenen Eingriffsbegriffs die Wichtigkeit einer exakten Schutzbereichsbestimmung noch erhöht. Deshalb und auch wegen der Mehrschichtigkeit des Regelungsgeflechts der GKV ist die Schutzbereichsdefinition nochmals zu hinterfragen. Einige Autoren 2 0 und auch manche Gerichtsentscheidungen 21 stützen die Beeinträchtigung des Schutzbereichs durch die Arzneimittellisten ohne weiteres auf eingetretene oder zu erwartende Umsatzeinbußen bei den Arzneimittelherstellern. Soweit keine nähere Begründung erfolgt, stellt sich diese Umsatzeinbuße aber als Beeinträchtigung einer konkreten Erwerbstätigkeit dar, die überhaupt in dieser Form erst durch die im Rahmen der GKV gebotenen Absatzchancen möglich war. Mit anderen Worten wird die Umsatzeinbuße nicht von einem Ausgangspunkt her berechnet, der - fiktiv - die ganze Institution Krankenversicherung mit Mitgliedschaftszwang außer acht ließe, sondern

18

Kapitel 1, A m . 1; B.H2.e.

19

Etwa Glaeske/Schefold, Positivliste, S.135; Günther, Wiitschafllichkeitsgebot, S.188; Schwerdtfeger, Negativlistai, PharmlncL 51 (1989),21 (22,27); Ebsen, ZSR 1992,328; BVerwGE 71,183; BVerfG (Vorpriifungsausschuß), NJW 1992,735 (736). Anders nur Denninger, ArzneimittelRichtlinien und Verschreibungsföhigkeit, 1981, S.61 mit der Begründung, daß keine Handlungspflichten auferlegt würden, und BSGE 67,251 für einen vergleichbaren Sachverhalt. 20 Glaeske/Schefold, Positivliste, S.128 u. 135; Günther, Wirtschaftlichkeitsgebot, S.188; wohl auch Bilski/Kirsch/Sendler, SGb 1986,359 (360 f.). 21 BVerwGE 71,183 (190); BVerfG (Voipriifungsausschuß), NJW 1992,735 (736); ähnlich BVerfGE 68,193 (216 flf.) und 70,1 (28 f.), wo gar keine Schutzbereidisdefiniticn erfolgt. Ausdrücklich anders BSGE 67,251 (254 flf.).

124

3. Kapitel: Arzneimittellisten und Herstellergrundrechte

von tatsächlich bisher mit Unterstützung dieses Systems erzielten Umsätzen. Der Umstand, daß das GKV-System gegenüber einem vorzustellenden 22 , mit Ausnahme von Gefahrenabwehr (d.h. den Zulassungsvoraussetzungen des AMG) unbeeinflußten Markt zunächst einmal erheblich erweiterte Absatzchancen bietet, weil sich alle Verbraucher alles leisten können, und mithin für den Arzneimittelhersteller vorteilhaft ist, wird dabei nicht etwa ignoriert, sondern vielmehr stillschweigend in den Schutzbereich des Art. 121 GG einbezogen. Damit wird aus dem Abwehrrecht ein verdecktes Teilhaberecht 23 , welches die einmal erreichten Leistungserbringungsmöglichkeiten (nicht nur für pharmazeutische Unternehmen) nur unter besonderen Rechtfertigungsanforderungen wieder zurückzuschrauben zuläßt. Kennzeichnend für diese (teilhaberechtliche) Auslegung ist es, daß sie sich in ihrer Auswirkung auf die Definition des Schutzbereichs beschränkt. Die weitere Überprüfung von Eingriff und verfassungsrechtliche Rechtfertigung unterscheidet sich nicht von den gängigen, abwehrrechtlichen Strukturen. Für eine offen teilhaberechtliche Auslegung des Art. 12 I GG gibt es zwar einige wenige Ansätze 24 , aber keinen als abgesichert zu bezeichnenden Konsens. Ob und wie die Grundrechte Geltung haben, wenn der Staat statt eines freien Marktes ein System errichtet, von dem Leistungsanbieter weitgehend abhängig sind (mit allen Vor- und Nachteilen, die das bietet), ist eine Frage, für die das herkömmliche, rein abwehrrechtliche Grundrechtsverständnis keine Antwort zu haben scheint. Für den speziellen Schutzbereich des Art. 12 I GG kommt noch hinzu, daß nach einer verbreiteten Ansicht unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbsfreiheit die staatliche Setzung der Rahmenbedingungen für diesen Wettbewerb von gemeinwohlorientierten Wettbeweibsaufhebungen unterschieden werden muß 2 5 . Von daher erschiene es sehr fraglich, ob Regelungen, die nur die Transparenz auf einem unübersichtlich gewordenen Markt wiederherstellen sollen, überhaupt als Beeinträchtigungen der Berufsfreiheit qualifiziert werden 22 Dabei soll nicht verkannt werden, daß es einen solchen Markt in der Geschichte der Bundesrepublik nie gegeben hat. Trotzdem kann die Berufsfreiheit für diesen Teilbereich nicht ohne nähere Begründung als so weitgehend normgeprägtes Grundrecht verstanden werden. 23

So auch Ebsen, ZSR 1992,328 (333 f.).

24

Etwa beim BVerfG die vielzitierten Urteile zum absoluten numerus clausus, E 33,303; 43,291. Insbesondere ist die Anerkennung derivativer Teilhaberechte heute wohl h.L., s. etwa Murswiek , HdbStR V, § 112 Rz. 80 ff und Rz. 91 ff zu den Argumenten gegen originäre Teilhaberechte. Sie ist dann aber nur teilweise aus Art. 121 GG möglich, vgl. u. unter 4. - Insgesamt vgl. bereits oben Kapitel 2, A I . 25

So unter ausdrücklichem Verweis auf das Transparenzlisten-Urteil (BVerwGE 71,183) Ossenbühl , AÖR 115 (1990),1 (22 ff); auch BVerfGE 70,1 (27).

A. Berufsfreiheit

125

könnten - unabhängig von mit ihnen vielleicht verbundenen Umsatzeinbußen. Allerdings ist dieser Ansicht, wie bereits angedeutet wurde 2 6 , so nicht zuzustimmen. Denn daß die Freiheit vieler auf Kosten der Freiheit einzelner abgesichert werden soll, ist eine Frage des Regelungszwecks und ändert nichts daran, daß Freiheit beeinträchtigt wird. Der Einwand ist also allgemein nur als Rechtfertigung brauchbar. Trotzdem reichen diese, gegen das Vorliegen eines Eingriffs in Art. 12 GG vorgebrachten Argumente nicht aus, um die Betroffenheit des Schutzbereiches der Berufsfreiheit gänzlich zu verneinen. Erstens ist es - im Gegensatz zu den (unverbindlichen) Arzneimittelrichtlinien und Transparenzlisten gerade nicht Auswirkung der Positiv- bzw. Negativliste, Wettbewerbsbedingungen (wiederherzustellen, indem die GKV-typische Aufsplitterung der Nachfrage in Ärzte, Patienten und Kassen (Auswahl, Verbrauch und Bezahlung) 27 abgemildert wird. Vielmehr geht es um eine staatliche Steuerung des Nachfrageverhaltens. Zweitens ist zu beobachten, daß die für manche Arzneimittelhersteller mit der Positiv-/Negativliste verbundenen Nachteile die mit dem GKV-System gegebenen Vorteile überwiegen. Je mehr der Staat die gesetzlich gelenkte Marktmacht der Kassen verstärkt und die Leistungserbringer von der Nachfrage durch die Kassen abhängig werden, desto eher stellt sich in der Tat die Frage nach einem wie auch immer gearteten Marktzugangsrecht 28 im Zusammenhang mit Art. 121 GG. Denn soweit die Selbstmedikation der Endverbraucher und deren Markt keinen Ausweg bieten, wird dem Hersteller auch das auf einem (fiktiven) unbeeinflußten Markt gewährte Recht, selbstverantwortlich Markterfolg anzustreben, abgeschnitten. Drittens schließlich ist auch unabhängig von den speziellen Ausprägungen des Krankenversicherungsrechts festzustellen, daß es dem Gesetzgeber nicht gestattet sein kann, seine grundsätzliche Bindung an die Grundrechte dadurch zu umgehen, daß er zunächst ein für die Leistungserbringer im wesentlichen vorteilhaftes Abhängigkeitssystem schafft, um dann innerhalb dieses Systems ungebunden agieren zu können.

26

Oben Kapitel 1, A . I H 1.

27

Dazu Hart/Hilken/fVoggan/Merkel,

28

Recht des Arzneimittelmarkts, S. 176.

So namentlich Sodan, SGb 1992,200 (205); Schwerdtfeger, Negativlisten, Pharm.lnd.51 (1989),21 (22,27). Auf die "marktzugangssteuemde Wirkung" abstellend auch Ebsen, ZSR 1992,328.

126

3. Kapitel: Arzneimittellisten und Herstellergrundrete

4. Ansatzpunkte einer Lösung in Literatur und Rechtsprechung Es wurde bereits dargelegt, aus welchen Gründen den Grundrechten des GG und damit auch der Berufsfreiheit keine originären Teilhaberechte entnommen werden können 29 . Die nicht weiter reflektierte Anwendung des Art. 12 I GG samt dem üblichen Rechtfertigungsschema scheint einer solchen teilhaberechtlichen Auslegung aber recht nahe zu kommen. Andererseits kann unter Hinweis auf die Unterscheidung von Abwehr- und Teilhaberecht nicht jeglicher Grundrechtsschutz ausgeschlossen werden 30 . Im folgenden sollen deshalb verschiedene Modelle dargestellt werden, die in Rechtsprechung und Lehre teils unter Bezugnahme auf das Krankenversicherungsrecht, teils auf vergleichbare Sachverhalte vorgeschlagen bzw. angewandt wurden, um dieser Spannungslage gerecht zu werden.

a) Rückgriff

auf das private Wettbewerbsrecht

?

Tendenziell wendet die Sozialgerichtsbarkeit engere Kriterien als BVerwG und BVerfG an, soweit es um Schutzbereichsbestimmung und Eingriff bei Art. 12 I GG geht 3 1 . Daher wird in den zitierten Entscheidungen im Ergebnis ein Eingriff durch die Listen verneint. In seiner die Veröffentlichung der Übersicht der ausgeschlossenen Arzneimittel, also die eigentliche Negativliste, betreffenden Entscheidung stellt das LSG Essen 32 aber im Rahmen der Berufsfreiheit die Erwägung an, ob ein Verstoß gegen § 26 GWB durch einen öffentlichen Nachfrager gleichzeitig eine Verletzung des Art. 121 GG bedeuten könne und verneint dies nur, weil § 26 GWB tatbestandlich nicht erfüllt sei. Bei Berücksichtigung der - nach allgemeiner Ansicht 3 3 - grundsätzlich gegebenen Bindung auch öffentlicher Marktteilnehmer an das privatrechtliche Wettbewerbsrecht und der ständigen Rechtsprechung des B G H 3 4 , wonach die 29

Oben Kapitel 2, A I .

30

Ebenso Ebsen, ZSR 1992,328 (333).

31

BSGE 67,251 und LSG Essen, PhR 1991,295, vgl. näher auch unten b.

32

LSG Essen, PhR 1991,297.

33 Etwa Becher, DÖV 1984,313 (319); Ronellenfltsch, HdbStR m , § 84 Rz50 f.; OLG Hamburg, MedR 1992,344. A A ersichtlich nur Schachtschneider, Staatsuntemehmen und Privatrecht, S.465. 34

BGH NJW 1992,1561; NJW-RR 1987,1458; ebenso der gemeinsame oberste Senat der Bundesgerichte in BGHZ 97,312 und neuerlich das OLG Hamburg, PhR 1993,98; s. im übrigen auch Glaeske/Schefold, Positivliste, S. 129 mit weiteren Nachw.

127

A Berufsfreiheit

Beziehungen zwischen den gesetzlichen Kassen und einzelnen, nicht in der Art der Kassenärzte in das Recht der GKV einbezogenen Leistungserbringern privatrechtlicher Natur seien, erscheint ein solcher Ansatz zunächst als interessanter Aspekt. Verhielte der nachfragende Staat sich anders, als er selbst es von privaten Nachfragern verlangt, so wäre diese Vorgehensweise ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff. Ob die Idee indessen geeignet ist, auf die Frage nach dem Schutzbereich des Art. 12 GG für Leistungserbringer in der Sozialversicherung eine Antwort zu geben, ist fraglich: Ob der Tatbestand des § 26 GWB (oder der §§ 1,3 UWG) erfüllt sein kann, mag wertungsabhängig sein und wird für die Bedarfsdeckung der GKV unterschiedlich beurteilt 35 . Es muß primär aber bedacht werden, daß eine solche Bindung öffentlicher Marktteilnehmer nur bestehen kann, wo nicht speziellere gesetzliche Bindungen derselben, wie hier durch das Sozialversicherungsrecht, vorgehen 36 . Geht es um die Verfassungsmäßigkeit eben dieser gesetzlichen (Spezialvorschriften, so gibt das Wettbewerbsrecht des UWG und GWB nur dann etwas her, wenn es im Sinne eines stark institutionellen Grundrechtsverständnisses die grundgesetzliche Berufsfreiheit nicht nur konkretisiert 37 , sondern inhaltlich bestimmt. Diese Umkehrung der Normenhierarchie entspricht aber nicht dem Grundrechtsverständnis des G G 3 8 . Im übrigen neigt die Rechtsprechung dazu, die in §§ 1,3 UWG, 26 GWB erforderliche Absicht wettbewerbsbezogenen Handelns auch dort abzulehnen 39 , wo die Selbstverwaltungskörperschaften nicht spezialgesetzlich gebunden sind. Die Feststellung eines Wettbewerbsverstoßes im Sinne des UWG oder GWB könnte somit allenfalls Indizwirkung für eine Beeinträchtigung der grundrechtlichen Berufsfreiheit entfalten.

33

GRUR 1988,76; verneinend

36

So auch Lieberknecht GRUR 1988,76 und in ähnlicher Weise Neumann, VSSR 1993,119

Bejahend wegen der großen Marktmacht etwa Lieberknecht, Salje, NJW 1989,751 (754) und wchl auch BGH, PhR 1987,110 ff. (130). 37

M.Schulte, DVB11988,512 (517); M/D fH/SSc holz, Art.12 Rz405.

38

Vgl. nur Böckenförde, NJW 1974,1589.

39

OLG Hamburg, MedR 1992,344.

128

3. Kapitel: Arzneimittellisten und Herstellergndrechte

b) Restriktive

Schutzbereichsauslegung

Vor allem in Urteilen der Sozialgerichtsbarkeit zu grundrechtlichen Fragen der Leistungserbringer kommt in der Unterscheidung von unternehmerischem Risiko und Beruf ausübungsregelung eine restriktive Auslegung von Schutzbereich und Eingriff bei Art. 12 I GG zum Ausdruck 40 . Geht es dort der Sache nach um die Vermeidung einer staatlichen Markterfolgsgarantie, so vermeidet diese Rechtsprechung, wenn sie eine Grundrechtsrelevanz der Leistungsausschlüsse ganz verneint, natürlich auch die Probleme im Zusammenhang mit dem Teilhaberecht.

c) Rechtsprechung des BVerfG zu staatlichen Nachfragemonopolen Aufschluß über die Bedeutung der Berufsfireiheit im vorliegenden Zusammenhang gibt möglicherweise die, soweit ersichtlich, einzige ausdrückliche Stellungnahme des BVerfG zu einem echten staatlichen Nachfragemonopol, die aus dem Jahr 1977 stammt und die Zulässigkeit des Nachfragemonopols der Bundespost hinsichtlich Endgeräten für die Datenfernübertragung zum Gegenstand hatte 41 . Dort qualifizierte das BVerfG (schon) die Monopolisierung 4 2 als Eingriff in die Berufsfireiheit, obwohl die Argumentation mit Umsatzeinbußen der Hersteller ebenfalls möglich gewesen wäre. Die zu überprüfende Regelung war auch dort an die Benutzer dieser Geräte (und nicht an deren Hersteller) gerichtet, was das Gericht aber nicht hinderte, aufgrund der tatsächlichen Auswirkungen auf das Verhalten der Unternehmer im Wettbewerb und aufgrund der Besonderheiten leistungsstaatlicher Handlungsformen Art. 121 GG als Prüfungsmaßstab heranzuziehen 43. Überträgt man diese Rechtsprechung auf das Recht der GKV, so ergibt sich eine Beeinträchtigung der Berufsfireiheit bereits daraus, daß auch die vom Um-

40 BSGE 67,251 (255); LSG Essen, PhR 1991,295 (297);LSG Essen, NZS 1994,267 (268) und SGb 1994,280 f. (Nr.5); ähnlich auch Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung, S.352. 41

BVerfGE 46,120.

42

Allerdings sollen Staatsmonopole keine Eingriffe sein, soweit sie schon bei der Kodifizienmg des GG überkommen waren oder vom GG selbst vorgesehen sind, vgl. Stober, Handbuch, § 33 I I 3b (S.464) mw.N. . Dieses Argument schließt aber auch unter Berücksichtigung des Art. 74 Nr. 12 GG die Überprüfung der sozialversicherungsrechtlichen Nachfrage an Art. 12 I GG nicht aus, da diese nicht als Monopol überkommen oder vorgesehen ist. Vielmehr war damals noch ein exheblich geringerer Bevölkerungsanteil als heute gesetzlich krankenversichert. 43

BVerfGE 46,120 (136-138).

A Berufsfreiheit

129

satz her nur vorteilhafte Abhängigkeit der Leistungserbringer weniger Handlungsfreiheit im Rahmen des Wettbewerbs übrig läßt, als zuvor bestand. Entscheidendes Kriterium ist dann nicht mehr die Umsatzeinbuße, sondern die Abhängigkeit vom Staat. Die Umsatzeinbuße mag als ein Merkmal für die abwägende Betrachtung bei der Verhältnismäßigkeit i.e.S. relevant werden, wenn es um die Gewichtung von Vor- und Nachteilen geht. Der Schutzbereich aber wird schon durch das Abhängigkeitssystem beeinträchtigt. Sind faktische Marktausschlüsse, wie bei der GKV, praktisch zusammengesetzt aus dem grundlegenden Abhängigkeitssystem und einer Neuregelung im Rahmen desselben, so ist nach dieser Lösung bereits das Abhängigkeitssystem als Berührung des Schutzbereichs zu werten. Anders ausgedrückt, wäre bereits die erste Stufe des GKV-Systems als eine Beeinträchtigung der grundrechtlichen Freiheit anzusehen, während die zweite Stufe erst auf der Ebene der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung wirklich interessant würde.

d) Gesamtbetrachtender Ansatz Weiterhin herangezogen kann in diesem Zusammenhang das Urteil des BVerfG über die Einbeziehung der zahntechnischen Berufe in das Leistungserbringungsrecht der GKV vom 31.10.1984 44 , das ebenfalls ein rein abwehrrechtliches Prüfungsschema auf den Sachverhalt anwendet. Dort wird die zur Prüfung stehende Maßnahme innerhalb des bereits existenten Systems ohne jede Begründung als Berufsausübungsregelung gewertet, was die Schutzbereichsbetroffenheit j a voraussetzt 45. Zuweilen entsteht auch beim BVerfG der Eindruck, als letzlich entscheidendes Kriterium reichten Umsatzeinbußen bereits aus 46 . In letzteren Urteilen scheint die Problematik der Überlagerung von Vor- und Nachteilen nur dadurch Berücksichtigung zu finden, daß es als Abwägungskriterium im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (im engeren Sinn) eine Rolle spielt, wenn der betroffene Berufszweig vom Gesamtsystem auch Vorteile hat 4 7 . Die Vorgehensweise dieses Ansatzes besteht offenbar darin, die Gesamtauswirkungen von Grundsystem und innerer Ausgestaltung

44 BVerfGE 68,193, insoweit stellvertretend für eine Reihe von verfassungsrechtlichen Überprüfungen von Ausschnitten des Rechts der GKV, s. auch E 70,1 und E 82,209 (letztere Entscheidung zwar nicht zum Recht der GKV im engeren Sinne, aber auch zur staatlichen Planung des Leistungsangebots im Gesundheitsbereich). 45

E 68,193 (216 ff.); 70,1 (28 ff).

46

Vorprüfungsausschuß, NJW 1992,735 (736).

47

E 68,193 (221), ebenso in DtZ 1991,91.

9 Philipp

130

3. Kapitel: Arzneimittellisten und Herstellergrundrechte

zu betrachten und nach der dadurch gegebenen Beeinträchtigungsintensität zu fragen 48 . Da die Listen bereits dazu geführt haben, daß Einzelmedikamente vom Markt verschwunden sind oder in ihren Rezepturen erheblich verändert wurden, um die Marktzugänglichkeit zu erhalten 49 , wäre auch hiernach eine Beeinträchtigung des Schutzbereiches zu bejahen. Vor allem dieser Ansatz ist es aber, der in der Gefahr steht, die beschriebene teilhaberechtliche Seite dieser Art von Schutzbereichsdefinition zu übersehen. Das mag für die Vielzahl von Fallgestaltungen noch akzeptabel sein, in denen nicht Hersteller auf dem Umweg über einen Teil ihrer Produkte, sondern Leistungsanbieter direkt mit ihrer Tätigkeit betroffen sind 5 0 , weil nach dem allgemein weiten Verständnis des Schutzbereichs des Art. 12 I GG j a alles an dem Grundrecht zu messen ist, was irgendwie Auswirkungen auf die berufliche Tätigkeit hat. Für gewerbliche Hersteller von medizinischen Geräten, Heil- und Arzneimitteln stellt sich die Frage der Teilhabe dagegen besonders deutlich, weil deren Tätigkeit nur über die Rückwirkungen der jeweiligen Ausschlußvorschriften berührt wird. Die Literatur hat diese Problematik in Teilen durchaus gesehen und aufgegriffen 51 . Die teilhaberechtliche Umdeutung sei die einzige Möglichkeit, dem Grundrecht der Berufsfreiheit trotz staatlicher Mediatisierung des Berufsfeldes seine freiheitssichernde Funktion zu erhalten 52 . Kehrseite müsse aber eine erweiterte Zwecksetzungsfreiheit des Gesetzgebers gegenüber den Maßstäben der Dreistufentheorie sein 5 3 .

48 So etwa Ebsen, ZSR 1992,328; mit gesamtbetrachtender Einordnung auch Zuck, NJW 1991,2933. 49

Vgl. im einzelnen o. Kapitel 1, B.H2.f.

30

Etwa Betreiber medizinischer Großgeräte, für die das SGB V eine Bedarfsplanung über die Großgeräterichtlinien des Bundesausschusses der Arzte und Krankenkassen vorsieht, s. dazu LSG Stuttgart, MedR 1991,272 ff.und BSGE 70,285; aber auch die Kassenärzte selbst, BVerfGE 11,30; 69,233 (243 f.); BSGE 60,76. 31 Engagiert gegen die teilhaberechtliche Auslegung für den Bereich der GKV Schulin, SGb 1989,94 (102); dafür samt einer abwehrrechtlichen Überprüfbarkeit Ebsen, ZSR 1992,328 (334). 32

Ebsen , ZSR 1992,328 (334); ähnlich auch der über Alt. 3 I GG hinausgehende Teil der numerus-clausus-Rechtsprechung des BVerfG (E 33,303, 331 f.). 33

Ebsen, ZSR 1992,328 (334), a.A insoweit LSG Stuttgart, MedR 1991,272 ff.

A Berufsfreiheit

e) Überlegungen zur grundrechtlichen

131

Relevanz staatlicher Subventionen

Trotzdem muß dieser "gesamtbetrachtenden" Einordnung kein originär teilhaberechtliches Verständnis zugrundliegen 54 . Eine Erklärung für die Einbeziehung staatlicher "Vorleistungen" in den Schutzbereich des Art. 121 GG ist etwa nach zwei unterschiedlichen Gedankengängen möglich, die - in allgemeiner Weise - beide Lübbe-Wolff in ihrer Untersuchung über die Möglichkeiten (abwehr-)grundrechtlicher Kontrolle leistungsstaatlichen Handelns am Beispiel staatlicher Subventionen dargelegt hat 5 5 . Der erste Gedankengang legt die Beobachtung zugrunde, daß es ein "Normalniveau" staatlicher Gewährleistung von (hier) Marktchancen geben kann, welches im Grundsatz allen Anbietern zur Verfügung steht. Der Ausschluß von dieser Leistung, als die hier die Verordnungsfahigkeit eines Arzneimittels in der GKV einzuordnen wäre, fügte sich deshalb in das grundrechtliche Aufbauschema ein, weil Ausgangspunkt nicht mehr eine (vorstaatliche) Null-Leistung, sondern eben das insoweit angehobene Niveau wäre. Auf dieser Grundlage erschiene die staatliche Nichtleistung als positives und zurechenbares T u n 5 6 , und auch das Kriterium der Umsatzeinbuße als Ausdruck staatlicher Reglementierung unmittelbarer grundrechtlicher Freiheit erhielte seine Plausibilität zurück. Eine alternative Erklärung könnte die von Lübbe-Wolff so bezeichnete Lenkungswirkung bieten. Werde durch staatliche Leistungsgewährungsvoraussetzungen zwar kein rechtlicher, wohl aber faktischer Zwang zur Unterwerfung unter diese Voraussetzungen ausgeübt, so sei dies unter der Voraussetzung grundrechtsrelevant, daß die mit der Leistung verbundene Belastung selbständiger Natur sei. Letzteres bedeute, daß die Belastungen nicht nur Verhaltensalternativen betreffen dürften, die gerade erst durch die Leistung selbst ermöglicht worden seien 57 . Sind als staatliche Leistung hier die Absatzchancen, die der umfassende GKV-Markt bietet, anzusehen und als Belastung die Voraussetzungen, die § 34 I I I SGB V für den Zugang dazu (einschränkend) wieder aufstellt, so ergibt sich eine Beeinträchtigung des Schutzbereichs dann jedenfalls daraus, daß die Belastung die Vorteile überwiegt. Wenn nicht nur ein Ausschluß vom GKV-Markt, sondern zugleich vom Gesamtmarkt vorliegt,

34

Wohl aber ein über den Gleichheitssatz hinausgehendes, vgl. dazu im übrigen unten f.

33

Lübbe-Wolff,

Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S.205 ff.

36

Im einzelnen Lübbe-Wolff,

37

Lübbe-Wolff,

Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S.222 ff

Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S.260 ff

132

3. Kapitel: Arzneimittellisten und Herstellergrundrechte

ist ein solches Überwiegen zu unterstellen, während es sich bei weniger gravierenden Auswirkungen praktisch wohl nicht leicht feststellen läßt.

ß Derivatives

Teilhaberecht aus Art 31 i. V.m. 121GG

Spezifisch teilhaberechtlich argumentiert das BVerfG dagegen in seiner Rechtsprechung zum (absoluten) numerus clausus, hier wird auf ein Zusammenwirken der Berufsfreiheit mit dem Gleichheitssatz (und dem Sozialstaatsprinzip) abgestellt 58 . Die Frage nach einem originären Teilhaberecht auf einen Studienplatz hat das BVerfG in seinen Entscheidungen zum absoluten numerus clausus offengelassen 59. Dagegen hat es aus Art. 12 I in Verbindung mit Art. 3 I GG und dem Sozialstaatsprinzip ein "Recht jedes hochschulreifen Staatsbürgers" hergeleitet, "an der damit gebotenen Lebenschance prinzipiell gleichberechtigt beteiligt zu werden" 60 , wenn der Staat Leistungen anbiete. Der Sache nach handelt es sich dabei um ein bestandsorientiertes, derivatives Teilhaberecht, insofern es auf den vom Staat ohnehin geschaffenen Bestand an Studienplätzen begrenzt ist. Als (nach ihrer Formulierung möglicherweise allgemeiner verwendbare) Kriterien für ein solches Recht werden die Inanspruchnahme eines faktischen, nicht beliebig aufgebbaren Monopols durch den Staat sowie die Eigenschaft der Beteiligung an der staatlichen Leistung als notwendige Voraussetzung für die Verwirklichung von Grundrechten angeführt 6 1 . Daraus leitet das Gericht dann einerseits die strikte Einhaltung des Erforderlichkeitsgrundsatzes hinsichtlich des Umfanges der Begrenzung der Teilhabe sowie andererseits eine Verteilung der Studienplätze nach sachgerechten, den Gleichheitssatz berücksichtigenden Kriterien als Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen ab 6 2 . Zwischen der Studienplatzvergabe und der Zulassung von Arzneimitteln zum GKV-Markt sind einige Parallelen feststellbar. Wie bei Hochschulbewerbern durch das Abitur wird bei Medikamenten die generelle Eignung durch die Zulassung nach dem A M G festgestellt. Durch die große Marktmacht 63 der

38

BVerfGE 33,303 (vom 18.7.1972).

39

Zutreffend gegen originäre Teühaberechte Murswiek, HdbStR V, § 112 Rz.91 ff; R.Breuer, HdbStR VI, § 147 Rz:77. 60

BVerfGE 33,303 (332).

61

BVerfGE 33,303 (331 f.).

62

BVerfGE 33,303 (338).

63

Dazu z.B. Sodan, SGb 1992,200 (205) und ders., Wiitschaftslenkung, S.77.

A Berufsfreiheit

133

GKV kann deren Stellung auch als faktisches Monopol betrachtet werden, so daß die Möglichkeit eines pharmazeutischen Unternehmens zur Wahrnehmung seiner Wettbewerbsfreiheit entscheidend davon abhängt, ob seine Produkte im Rahmen der GKV verordnungsfahig sind. Diese Parallelen stehen auch im Mittelpunkt des Gutachtens von Schwerdtfeger 64 zur Verfassungsmäßigkeit der Negativlisten nach § 34 SGB V. Aus Art. 12 I in Verbindung mit 3 I GG ergebe sich ein Grundrecht auf gerade chancengleichen Zugang zum Arzneimittelmarkt. Der Sache nach bedeutet dies eine Zweischrittprüfung, um dem eingangs geschilderten Einordnungsproblem gerecht zu werden. Die generelle Einführung eines Abhängigkeitssystems bemesse sich nach Art. 12 I GG und werde durch die "hochrangigen Gründe sozialstaatlicher Existenzvorsorge" 65 gerechtfertigt. Gleiches gelte auch noch für Maßnahmen mit einem allgemeinen Kostendämpfungsziel. Die Ausgestaltung dieser Maßnahmen habe als zweiten Schritt aber Art. 3 I GG und die dadurch gewährte Chancengleichheit zu beachten. Der Marktausschluß von Mitteln sei für die Hersteller ein Sonderopfer, das - im Ergebnis - durch die Gemeinwohlgründe nicht mehr gerechtfertigt sei 6 6 . Im Gegensatz zum Studienplätzefall sei nämlich eine gleichmäßige Aufteilung des Marktzugangs unter allen Bewerbern mit genereller Zulassung beim Arzneimittelmarkt möglich, da es zu dem vom BVerfG 6 7 für die Studienplätze beschriebenen Alles-oder-nichts-Konflikt (Studienplätze kann man im Gegensatz zu Marktanteilen nicht aufteilen) nicht komme. Auf diese Argumentation hat sich der mit der Verfassungsbeschwerde von Arzneimittelherstellern gegen § 34 I I I SGB V befaßte Vorprüfungsausschuß des BVerfG eingelassen und die in ständiger Rechtsprechung des BVerfG dem Gesetzgeber bei bestimmten, zumal im Sozialrecht häufigen, Gleichheitsverstößen zugebilligte Typisierungsbefugnis eingewandt 68 . Da es sich bei diesem Einwand aufbausystematisch um die Rechtfertigung einer festgestellten Ungleichbehandlung 69 handelt, scheint sich der Vorprüfungsausschuß - wiewohl selbstverständlich die Kürze solcher Nichtannahmebeschlüsse zu beachten ist in der Herleitung an Schwerdtfegers Grundaufbau anschließen zu wollen.

64

Negativlisten, Phann.lnd.51 (1989),21.

65

Schwerdtfeger,

Negativlisten, Phann.Ind.51 (1989),21 (29).

66

Schwerdtfeger,

Negativlisten, Phann.Ind.51 (1989),21 (27,29 f.).

67

BVerfGE 33,303 (333).

68

BVerfG (Vorprüfungsausschuß), NJW 1992,735 (736). Ebenso - den Rechtsschutz offenbar auf Art. 3 GG reduzierend - jetzt das LSG Essen, SGb 1994,280 (Nr.5). 69

Etwa BVerfGE 51,115 (122 f.); 22,100 (103).

134

3. Kapitel: Armeimittellisten und Herstellergrundrechte

5. Stellungnahme Daß der Rückgriff auf die privatrechtliche Wettbewerbsordnung nicht zu haltbaren Ergebnissen führt, wurde bereits bei der Darstellung dieses Ansatzes begründet 70 . Aber auch die von der Sozialgerichtsbarkeit z.T. praktizierte Abgrenzung von Berufsausübungsregel und unternehmerischem Risiko ist so nicht überzeugend. Zwar trifft es zu, daß Art. 12 I GG keine Markterfolsgarantie bedeuten kann. Aber in pauschaler Weise die vom GKV-System immerhin durch staatliche Gesetzgebung geschaffenen Wettbewerbsbedingungen samt ihren Auswirkungen mittels dieser Kriterien wieder den Unternehmern zuzuschieben, ist schon aus den bereits genannten Erwägungen heraus 71 abzulehnen. Weiter ist zwischen der unter 4.c - e angesprochenen freiheitsrechtlichen und der unter 4.f dargelegten gleichheitsrechtlichen Argumentation zu unterscheiden. Daß für die unternehmerische Berufsfreiheit aus beiden Argumentationsmustern Merkmale gewonnen werden können, ist kein Zufall. Wie bereits angesprochen, wird für den Schutzbereich des Art. 12 I GG zutreffend auf die Wettbewerbsfreiheit 72 abgestellt. Schon aus dem Wort Wettbewerbsfreiheit sind aber zwei verschiedene Dimensionen derselben ableitbar 73 . Freier Wettbewerb bedeutet einerseits grundsätzlich freie Handlungsmöglichkeiten, die sich möglichst frei von (staatlichen) Reglementierungen und Beeinflussungen sollen entfalten können. Sie ist bei Art. 12 I G G 7 4 anzusiedeln. Als Kontrollmaßstab für Eingriffe in diesem Teilbereich eignet sich das abwehrrechtliche System mit seinem Schrankendenken, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Andererseits ist Element eines freien Wettbewerbs auch eine grundsätzliche Chancengleichheit 75 . Niemand soll über Grundvoraussetzungen verfügen, die anderen von vorneherein objektiv verschlossen sind. Dieser Aspekt gehört grundrechtlich zu Art. 3 I, ist aber über den Oberbegriff Wettbewerbsfreiheit

70

Oben 4,a.

71

Oben 3. zur Ablehnung einer gänzlichen Verneinung der Einschlägigkeit der Berufsfreiheit.

72

S.o. l.b.

73

Andeutungsweise Stober , Handbuch, § 31 I I 1.

74

Nicht bei Art.2I, s.o. l.b.

73

Stoben Handbuch, § 3 5 I V 4.

A Berufsfreiheit

135

mit der Berufsfreiheit des Art. 121 verklammert 76 . Insofern erscheint ein derivatives Teilhaberecht auch dergestalt als denkbar, daß der ein den freien Markt ablösendes Abhängigkeitssystem schaffende Staat verpflichtet ist, einen willkürfrei gleichen Zugang zum System zu gewähren. Beide Aspekte sind im folgenden getrennt weiterzuverfolgen und auf ihre Betroffenheit durch die Arzneimittellisten zu untersuchen. Für den freiheitsrechtlichen Aspekt ist damit aber noch nicht geklärt, in welcher Weise man sich eine Schutzbereichsbeeinträchtigung genau vorzustellen hat. In der Darstellung existierender Lösungsansätze wurde erkennbar, daß drei "Stufen" unterschieden werden können, die in verschieden weitgehender Weise das Krankenversicherungssystem dem Schutzbereich des Art. 12 I GG zuordnen. Aus der Rechtsprechung des B VerfG zum Nachfragemonopol kann zwar zutreffend entnommen werden, daß bereits in der durch die §§ 5 ff. SGB V erzeugten Abhängigkeit eine Beeinträchtigung der Berufsfreiheit zu erblicken ist. Wird diese Abhängigkeit global durch die allgemeinen sozialstaatlichen Gründe und Erfordernisse der GKV gerechtfertigt, so finden auf dieser Basis genauere Ausgestaltungen des Systems nur dadurch Berücksichtigung, daß sich die Frage der Zumutbarkeit oder Verhältnismäßigkeit i.e.S. anders stellt, wenn die Abhängigkeit für die Hersteller nicht bloß geschäftliche Vorteile, sondern zunehmend auch Nachteile bedingt. Man kommt aber kaum dazu, unter den Gesichtspunkten der Eignung und Erforderlichkeit auch konkretere Ausgestaltungen und deren Zwecke zu beachten, obwohl gerade diese genaueren, über Volksgesundheit und Sozialstaatlichkeit hinausgehenden Zielsetzungen die problematischen Regelungen erst ausmachen. Damit ist der Kernpunkt der Entscheidung zwar im Gedächtnis zu behalten, reicht aber als Grundlage einer problembezogenen Schutzbereichsbestimmung noch nicht aus. Werden weiter die gesamtbetrachtenden Erklärungsmuster genauer durchdacht, so zeigt sich, daß unter dem Gesichtspunkt der "Lenkungswirkung" in Wirklichkeit eine (derivativ) teilhaberechtliche Lösung vermieden wird. Da die Einschlägigkeit des Schutzbereichs hiernach erst dann zu bejahen ist, wenn die nachteiligen Auswirkungen der staatlichen Steuerung über die Vorteile, die das Gesamtsystem bietet, hinausgehen, wird nur das als Beeinträchtigung des Schutzbereichs anerkannt, was jenseits der mit bloßen Umsatzeinbußen gemeinten Begründung liegt. Als entscheidendes Kriterium für die Schutzbereichsprüfüng entpuppt sich dann aus Praktikabilitätsgründen die marktzugangsrelevante Restriktion, also ein den Gesamtmarkt betreffender

76

Stober, Handbuch, § 351 spricht von einem "unauflösbaren Zusammenhang".

136

3. Kapitel: Arzneimittellisten und Hersteergrundrete

Marktausschluß, der zumindest wahrscheinlich ganz ohne das GKV-System nicht vorgekommen wäre. Weniger einschneidende Restriktionen sind zwar theoretisch ohne weiteres in der Weise denkbar, daß sie die Systemvorteile in gleicher Weise mehr als ausgleichen, jedoch wird es in Ermangelung von Anhaltspunkten für einen fiktiven, unbeeinflußten Markt selten möglich sein, dies schlüssig darzulegen. Damit ist zugleich ein Mindestmaß des Schutzes gekennzeichnet, den Art. 12 I GG im vorliegenden Fall entfalten muß. Er läßt sich ganz ohne (derivativ) teilhaberechtlichenAnsatz herleiten. Ist der Marktausschluß die Beeinträchtigung, so wäre diese Auswirkung im folgenden auf ihre Eingriffsqualität und verfassungsrechtliche Rechtfertigung unter Einschluß von Eignung und Erforderlichkeit für die jeweils verfolgten Zwecke zu überprüfen. Die weitestgehenden Kontrollmöglichkeiten der konkreten Leistungsausschlüsse folgen indessen aus einer Sicht, die den Zugang zum GKV-Markt als "Normalniveau" ansieht. Dann nämlich sind die AMG-Zulassung wie auch die Zugangsvoraussetzungen zur GKV je selbständige Beeinträchtigungen der Berufsfreiheit, die, ihre Eingriffsqualität vorausgesetzt, in vollem Umfang den verfassungsrechtlichen Schranken-Schranken unterliegen, ohne daß auf ein Intensitätskriterium wie den Marktausschluß Bezug genommen werden müßte. Damit ist die entscheidende Frage angesprochen: Läßt es sich begründen, den Zugang zum GKV-Markt in teilhaberechtlicher Weise als Gegenstand der Berufsfreiheit anzusehen ? Ein Argument für diese Einordnung wurde bereits zitiert: Die Mediatisierung des Berufsfeldes der Arzneimittelhersteller durch die Regelungen des GKV-Systems könnte anderenfalls zum Leerlaufen der Freiheitsgewährleistung führen 77 . Zwar trifft dies nur mit der Einschränkung zu, daß der Marktausschluß, wie gerade dargelegt wurde, auch dann als Beeinträchtigung der Berufsfreiheit angesehen werden muß, wenn die teilhaberechtliche Lösung nicht bejaht wird. Trotzdem muß aber berücksichtigt werden, daß die Anbieter von Arzneimitteln nicht nur vom Staat in ihrer Freiheitsausübung abhängig sind, sondern daß bereits die Etablierung des umfassenden Systems in den Schutzbereich der Berufsfreiheit eingreift 78 . Mit anderen Worten geht es hier gerade nicht um ausschließlich vom Staat geschaffene Absatzchancen, sondern um die staatliche Einflußnahme auf einen ohnehin existenten Markt 7 9 .

77

Ebsen, ZSR 1992,328 (334) und obai 4.d.

78

BVerfGE 46,120 (137) und obai im Text.

79

Dazu RBreuer , HdbStR VI, § 147 Rz: 32 ff. - Zur Verdeutlichung stelle man sich vor, die juristische Ausbildung an der Universität werde so verändert, daß für private Repetitorien kein Markt mehr bestünde. Müßte ein solches Vorgehen nach den dargelegten Kriterien vor der Berufsfreiheit der

A Berufsfreiheit

137

Derartige Abhängigkeitsverhältnisse haben aber das BVerfG nicht nur im Falle des strikten numerus clausus dazu bewogen, ein freiheitsrechtliches Zugangs- (oder Teilhabe-)recht aus Grundrechten abzuleiten 80 . Freilich ist nicht zu verkennen, daß mit dem Abstellen auf einen ohnehin existenten Markt tatsächlich bereits existierende Berufsausübungen gegenüber neuartigen oder in ihrer Verbreitung weniger bedeutsamen Berufen privilegiert werden, obwohl die liberale Berufsdefinition des BVerfG im Apothekenurteil das eigentlich ausschließen müßte. Eine Rechtfertigung dafür findet sich aber darin, daß diese dogmatische Unschärfe notwendig ist, um im Sinne einer größeren Lebensnähe den tatsächlichen Gegebenheiten gerecht zu werden. Auch das BVerfG selbst hat im übrigen eine solche Privilegierung bereits vorhandener Berufsbilder in anderen Zusammenhängen vorgenommen 81 . Es ist demnach in schlüssiger Weise möglich, die oben gestellte Frage mit j a zu beantworten. Gleichwohl erscheinen zwei Kontrollüberlegungen als angebracht: Erstens müssen diese Überlegungen zur Abhängigkeit als solcher auch auf andere Sachverhalte übertragbar sein. Und zweitens muß die Bestandsorientierung, d.h. die Begrenzung auf eine derivative Teilhabe, erhalten bleiben. Zur Übertragbarkeit auf andere Sachverhalte gehe man davon aus, die Bundeswehr habe von Herstellern bestimmte Anhängerkupplungen bezogen, die im übrigen auf dem freien Markt aus gefahrenabwehrrechtlichen Gründen verboten sind. Jetzt stelle die Bundeswehr die Abnahme ein. Hier ließe sich aus der Abhängigkeit der Hersteller von der staatlichen Abnahme auf eine Rechtfertigungsbedürftigkeit der staatlichen Kaufentscheidung nicht schließen: Das Verbot der Kupplung im freien Verkehr ist eine Grundrechtsbeeinträchtigung, die sich selbstverständlich rechtfertigen lassen muß. Im übrigen aber ist die staatliche Abnahme nicht die Monopolisierung eines auch ohne die Bundeswehr existenten Marktes, sondern ermöglicht die Berufsausübung des fraglichen Herstellers erst. Es zeigt sich damit, daß die Bejahung einer im Grundsatz teilhaberechtlich orientierten Auslegung des Art. 12 I GG für das Krankenversicherungsrecht mit der Begründung, daß erstens eine Abhängigkeit besteht und zweitens ein Arzneimittelmarkt auch ohne GKV be-

Repetitoren gerechtfertigt werden? Dies ist zu verneinen, weil die Tätigkeit des Repetitors von vorneherein davon abhängig ist, daß der Staat überhaupt Juristen ausbildet. Es fehlt in diesem Beispiel zwar nicht an der Monopolisierung eines auch in freier Weise denkbaren Marktes. Aber in der Realität wurden und werden Juristen eben überhaupt nicht auf ganz privatrechtlicher Basis ausgebildet. 80

Ebenso wie E 33,303 auch E 35,79 (115) zu Art. 5 m GG und auch das BVeiwG, NJW 1993,609 f. zu Art. 8 GG. 81

Umfassend dazu Fröhler/Mörtel,

GewA 1978,249 (insb. 257 f.).

138

3. Kapitel: Arzneimittellisten und Herstellergrundrechte

stünde, nicht dazu führen muß, diese Auslegung auf alle Arten der Staatsnachfrage oder der staatsermöglichten Berufsausübung auszudehnen. Im übrigen handelt es sich dabei auch nicht um ein originäres, sondern, was auch für die gleichheitsrechtliche Parallele zutrifft, nur um ein derivatives Teilhaberecht: Wenn und soweit der Staat ein faktisches Monopol aufrechterhält, müssen die Zugangsvoraussetzungen den rechtstaatlichen Anforderungen umso mehr entsprechen, je umfassender die Abhängigkeit vom Staat ausgestaltet ist. Die Kontrollfrage, ob die Arzneimittelhersteller auch dann aus Art. 12 I GG Rechte herleiten könnten, wenn die gesamte aktuelle Ordnung des Marktes durch das Recht der GKV aufgehoben würde und Medikamente beispielsweise vom Leistungsumfang ganz ausgeschlossen würden, ist selbstverständlich zu verneinen und bestätigt den Charakter eines bloß derivativen Teilhaberechts, welches im übrigen unter dem Vorbehalt verfassungsmäßiger Einschränkung steht. In dieser Weite allerdings ist es aus den genannten Gründen heraus in der Tat zu bejahen. Aus der dargelegten Begründung wird zugleich deutlich, daß diese teilhaberechtliche Auslegung nur unter der Voraussetzung sinnvoll und möglich ist, daß der Abhängigkeitsgrad der pharmazeutischen Hersteller von der durch die GKV kanalisierte Nachfrage aufrechterhalten bleibt. Nähme der Staat die Pflichtversichertenquote deutlich zurück, so stellten sich die hier erörterten Probleme schon mangels einer Beeinträchtigung des Schutzbereiches der Berufsfreiheit nicht.

6. Zusammenfassung Einleitend 82 wurde die Frage aufgeworfen, wie die Beobachtung, daß staatliche Regelungen im Sozialversicherungsrecht meist nur graduelle Verstärkungen oder Abschwächungen eines grundsätzlich bestehenden Abhängigkeitsverhältnisses seitens der Leistungserbringer samt dessen Vor- und Nachteilen bedeuten, grundrechtlich eingeordnet werden kann. Als Ergebnis läßt sich, soweit die Berufsfreiheit betroffen ist, festhalten, daß sich sowohl die den Organisationsumfang der GKV regelnden §§ 5 ff. SGB V als auch den Gesamtmarkt betreffende Marktausschlüsse als Beeinträchtigungen des Schutzbereichs darstellen. Das Kriterium der Umsatzeinbuße gewinnt dadurch seine Berechtigung als Indiz für das Vorliegen einer Beeinträchtigung, daß infolge der weitgehenden Abhängigkeit der Anbieter vom Staat der Schutzbereich des Art. 12 I GG als derivatives Teilhaberecht zu verstehen ist. Zugangsbeschränkungen und Leistungsausschlüsse unterliegen deshalb in 82

S.o., Einleitung S.2 und in diesem Abschnitt unter 3.

A Berufsfreiheit

139

ihren Voraussetzungen den verfassungsrechtlichen Schranken-Schranken, soweit ihre Eingriffsqualität bejaht wird. Daneben existiert ein derivatives Teilhaberecht am Marktsystem, sofern der Gesetzgeber das System aufrechterhält, auch aus Art. 3 I i.V.m. 12 I GG, wenn die (legitimen) Anforderungen an die jeweiligen Produkte (Arzneimittel) erfüllt sind. Nach der Prüfung der modalen Eingriffsvoraussetzungen (II.) wird es darum gehen, die verfassungsrechtliche Rechtfertigung unter freiheitsrechtlichen Gesichtspunkten in den Blick zu nehmen (III.). Abschließend werden die Voraussetzungen des § 34 bzw. 34a SGB V am Gleichheitsaspekt (IV.) zu messen sein.

I I . Eingriff Unter welchen Voraussetzungen staatliche Regelungen auch dann als Grundrechtseingriffe verstanden werden können, wenn es wie hier an der direkten Adressierung an die betroffenen Grundrechtsträger fehlt, wurde bereits ausführlich dargestellt. Im Grunde geht es beim Eingriffserfordernis um Zurechnung von Freiheitsbeeinträchtigungen an den Staat. Schutzbereichsbeeinträchtigende Maßnahmen stellen sich danach dann als rechtfertigungsbedürftig dar, wenn sie entweder die Beeinträchtigung in einem etwas erweiterten Sinne auch bezwecken (Finalität) oder wenn sie dem staatlichen Verursacher als unmittelbar zugerechnet werden müssen.

1. Mögliche Zurechnungsgegenstände Ob ein Eingriff tatsächlich vorliegt, kann demnach erst beurteilt werden, wenn klar ist, worin genau die Beeinträchtigung des Schutzbereichs besteht. Nach hier vertretener Ansicht sind dies für den vorliegenden Fall bereits die Bindungen des Zugangs zum GKV-Markt an besondere Voraussetzungen, welche die Wettbewerbssituation der Anbieter verändern. Um ein in dieser Weise konstruiertes Teilhaberecht auch auf der Eingriffsebene anzunehmen, muß die - für die Herleitung dieser Schutzbereichsauslegung j a entscheidende - Abhängigkeit vom Staat bezüglich der Voraussetzungen der Grundrechtsausübung diesem ebenfalls zurechenbar sein. Alles andere käme - jenseits des persönlichen Existenzminimums - einer zu weitgehenden Verpflichtung des Staates im teilhaberechtlichen Bereich gleich. Könnte die staatliche Verantwortung für die Abhängigkeit der Leistungsanbieter nicht begründet werden,

140

3. Kapitel: Arzneimittellisten und Herstellergrundrechte

so wäre auf die ebenfalls einschlägige, aber beim reinen Abwehrrecht verbleibende Marktzugangsrestriktion abzustellen. Fiele auch dieses Kriterium aus der Zurechenbarkeit heraus, bliebe immer noch der Rückgriff auf die durch die §§ 5 ff. SGB V erzeugte Abhängigkeit. Für das Recht der GKV gelten indes die bereits angesprochenen Besonderheiten 83 . Die Abhängigkeiten und Anforderungen des Systems beruhen sämtlich nicht auf nicht oder wenig beeinflußten gesellschaftlichen Entwicklungen, sondern ganz wesentlich auf den Auswirkungen staatlicher Gesetzgebung. Aus diesem Grund bleibt es bei dem Gesichtspunkt des derivativen abwehrrechtlichen Teilhaberechts in der Form eines möglichst unreglementierten Zugangs zum Arzneimittelmarkt, in das die einzelnen Anforderungen des SGB V eingreifen, soweit sie final oder unmittelbar verursacht sind.

2. Finalität Das Zurechnungskriterium der Finalität stellt entscheidend auf die Zwecke der beeinträchtigenden Regelungen ab. Was die Zwecke des Listenkonzepts angeht, so sind die Quellen nicht ganz eindeutig. Aus dem Gesetzeszusammenhang (§ 34 III, künftig auch 34a und 92a V 2 SGB V) wie aus den Materialien84 ergibt sich einmal die Durchsetzung des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes des Krankenversicherungsrechts 85 samt seiner Einzelkriterien 86 . Dieser Grundsatz ist seiner Zielrichtung nach darauf bezogen, was die Versicherten von ihrer Kasse als Sachleistung beanspruchen können. Insofern sind die Zugangsregelungen zum GKV-Markt durch die Listen nicht im Sinne einer unmittelbaren Absicht zielgerichtet verursacht. Als verschiedentlich 87 mit dem Listenansatz verfolgtes Ziel läßt sich aber auch eine Bereinigung des gesamten Arzneimittelmarktes erkennen. Soweit es also um die Steuerung des allgemeinen Marktzugangs mit den Mitteln des 83

Oben Kapitel 2, B.IÜ.3.

84

BT-Drs. 12/3608, S.73u.91.

83

Zu dessen Inhalten s.o. Kapitel 1, B.I.daa.

86

Wird, wie teilweise bei Glaeske/Schefold , S. 137, auf die Finanzierbarkeit der GKV abgestellt, so handelt es sich dabei nur um das Unterkriterium der Wirtschaftlichkeit i.e.S., das nur die Behandlungskosten zum Gegenstand hat. Für die Eingriffsfrage braucht insoweit noch nicht zwischen den einzelnen Unterkriterien des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes unterschieden zu werden. 87 Glaeske , DOK 1992,113 (116); Glaeske/Schefold , Positivliste, S.105,128 (Nebenzweck); Günther , Wirtschaftlichkeitsgrundsatz, S.188 (ebenso). Ähnlich auch Plute , NZS 1993,526 und 529. Dagegen vermeidet die amtliche Begründung (BT-Drs. 12/3608), S.91 ff.) diesen Eindruck.

A Berufsfreiheit

141

Sozialversicherungsrechts geht, müßte zwar auch die Finalität der Steuerungsmaßnahmen samt der Marktausschlüsse bejaht werden. Da die Gesetzesmaterialien aber sicher vorrangig vor nichtamtlichen Stellungnahmen in der Literatur heranzuziehen sind, ist eine entsprechende Absicht des Gesetzgebers nicht nachweisbar. Schließlich soll die Positivliste, die über die Negativliste auch damit hinausgeht, die bisher j a gegebene Listenvielfalt beenden und bündeln. Die Positivliste verfolgt also auch das Ziel, die Übersichtlichkeit des Marktes zu verbessern, was bisher von Transparenzliste (§§ 39 a ff. AMG) und Preisvergleichslisten (Arzneimittelrichtlinien) geleistet werden sollte. Dies ist eine direkt auf die Marktbedingungen abzielende Zwecksetzung, die in jedem Fall das Finalitätskriterium erfüllt 8 8 . Andererseits sind Thema dieser Untersuchung Leistungsausschlüsse und nicht Zusammenstellungen mit dem Ziel, Märkte übersichtlicher zu gestalten. Wie dargestellt 89 , ist die Finalität aber nicht in jedem Fall mit den vom Gesetz» oder Verordnungsgeber jeweils verfolgten Regelungszwecken identisch, sondern umfaßt auch notwendige Zwischenziele. Trotz fehlender direkter Absicht bleibt die Bejahung wegen Finalität also auch dann möglich, wenn die Lenkungswirkungen sich als notwendige Zwischenziele des angestrebten (Wirtschaftlichkeits-)zwecks darstellen. Auf der Grundlage der teilhaberechtlichen Schutzbereichsdefinition ist diese Einordnung ohne weitere Probleme zutreffend. Denn selbstverständlich müssen die aufgestellten Zugangsvoraussetzungen sich, sollen die Listen irgendeinen Effekt haben, auf die für die Hersteller relevanten Rahmenbedingungen auswirken 90 . Auf die schwierigere, in der Literatur allerdings teilweise bejahte Frage, ob dies auch für Ausschlüsse vom Gesamtmarkt zu gelten hat, braucht damit hier nicht eingegangen zu werden 91 . Ein Eingriff liegt aufgrund finaler Verursachung vor, so daß sich auch ein Eingehen auf die Kausalkette oder die Beeinträchtigungsintensität erübrigt.

88

BVerwGE 71,183 (190).

89

Oben Kapitel 2, B.m.l.b.

90

Mit einer solchen Begründung bejahen den Eingriff Ebsen, ZSR 1992,328 (330); Günther, Wirtschaftlichkeitsgrundsatz, S.188; Schwerdtfeger, Negativlisten, S.27 f.; Glaeske/Schefold, Positivliste, S.100, 136; BVerwGE 71,183 (193 f.) für die Transparenzlisten. Ausdrücklich anders LSG Essen, PhR 1991,295 (297). Zu Einwänden gegen das Finalitätskriterium allgemein bei Art. 12 I GG s. Langer, JuS 1993,203 (207). 91

Vgl. aber unten Kapitel 4, B. zum Verbrauchergrundrecht aus Art. 2 I I GG.

142

3. Kapitel: Arzneimittellisten und Herstellergrundrechte

m . Verfassungsrechtliche Rechtfertigung unter freiheitsrechtlichen Gesichtspunkten 1. Verhältnismäßigkeit Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich bereits, daß die Überprüfimg der Listenregelung auf ihre Verhältnismäßigkeit eine recht komplexe Materie ist. Zu berücksichtigen sind nicht nur Besonderheiten in der Regelungstechnik, sondern auch im betroffenen Rechtsgebiet und in der Berufsfreiheit selbst. Vor der eigentlichen Überprüfung auf Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit werden deshalb zunächst die Rahmenbedingungen für diese Überprüfung dargestellt.

a) Kriterien für die Verhältnismäßigkeitsprüfung aa) Dreistufentheorie Zunächst konkretisiert sich die Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Art. 12 I GG in ständiger Rechtsprechung des BVerfG in der sogenannten Dreistufentheorie 92 . Vom Regelungsansatz her handelt es sich beim Listenkonzept um eine Berufsausübungsregelung 93, deren existenzgefahrdende Wirkung sich, da nur einzelne Arzneimittel betroffen sind, auf bestimmte Einzelunternehmen beschränkt. Infolge dieser Stufenzuordnung ist bei der Prüfung der einzelnen Kriterien eine generalisierende Betrachtungsweise zugrundezulegen 94 . Dies findet inhaltlich seine Begründung darin, daß die Schwächsten hier deshalb nicht Maßstab sein können, weil sonst der Berufsfreiheit der Bestandsschutz betriebswirtschaftlicher Ineffizienz untergeschoben würde 9 5 . Damit können diese Einzelfalle nicht zur Anwendung der erhöhten Rechtfertigungsanforderungen für Eingriffe mit Auswirkungen auf die Berufswahl führen.

92

Seit BVerfGE 7,377. Für den Zusammenhang der heutigen Wirtschaftspolitik eingehend systematisierend R.B reuer, HdbStR VI, § 148. 93 So auch BVerfG, Vorprüfungsausschuß, NJW 1992,735 (736); Glaeske/Schefold, Positivliste, S.135; Schwerdtfeger , Negativlisten, Pharm Ind. 51 (1989), 21 (28); Günther , Wirtschaftlichkeitsgebot S.189 f. - Ob es für juristische Personen überhaupt Berufswa/i/regelungen über Art. 19 D I GG geben kann, wenn Art. 12 eine personale Ausrichtung hat, bezweifelt diFabio , JZ 1993,689 (694). 94

KBreuer , HdbStR VI, § 148, Rz.33 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerfG.

93

Wallerath , Öffentliche Bedarfsdeckung, S.273.

A Berufsfreiheit

143

Die Anwendung dieser Anforderungen ist zwar auch vom BVerfG 9 6 zumal im Gesundheitsrecht mit der konkreten Schwere (Marktausschluß) von Auswirkungen von Berufsausübungsregeln für bestimmte Fälle begründet worden. Die Arzneimittelregelungen sind aus der Sicht der pharmazeutischen Hersteller aber mit den dort in Rede stehenden Sachverhalten, wo Ärzte und Krankenhausbetreiber direkt betroffen waren, so nicht vergleichbar. Erstere sind nämlich nur in ihren Produkten und nicht unmittelbar persönlich betroffen. Damit ergibt sich für die Zwecksetzungsfreiheit des Gesetzgebers, daß er alle vernünftigen Gemeinwohlziele verfolgen darf, und daß ihm ein vergleichsweise weiter Einschätzungs- und Prognosespielraum zuzugestehen ist97

bb) Prognosespielraum Dieser Spielraum ist ein Angelpunkt der gesamten Verhältnismäßigkeitsprüfung. Denn deren Ergebnis hängt, wie zu zeigen sein wird, insbesondere von Zweifeln an der tatsächlichen Eignung und Erforderlichkeit des Listenansatzes zur Erreichung der jeweiligen Ziele ab. Eine Durchsicht der Literatur 9 8 und der Rechtsprechung des BVerfG 9 9 zu diesem Problem ergibt, daß eine exakte Systematisierung zwar bisher nicht gelungen ist, sich Kriterien zur Bestimmung der Reichweite des Prognosespielraums im Einzelfall aber herausarbeiten lassen. Neben der Steuerung durch die Dreistufentheorie (s.o.) 1 0 0 wird der Umfang des Prognosespielraums des Gesetzgebers danach auch durch das betroffene Rechtsgebiet und die Kompliziertheit des Sachverhalts beeinflußt. Auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialpolitik ist der Spielraum generell erwei-

96 BVerfGE 82,209 (229 f.); 11,30 (44 f.) - S. auch RBreuer, HdbStR VI, § 148, Rz35 mit dem Terminus der "Gegenkciitrolle" anhand der konkreten Auswirkungen und Langer, JuS 1993,203 (204). 97

Allgemein Papier, DVB11984,805; Wallerath,

Öffentliche Bedarfsdeckung, S.273.

98

Ossenbühl, Tatsachenfeststellungen und Progaoseentscheidungen, S.458 ff.; Seetzen, NJW 1975,429; vMimdi/Kumg-vMünch, Vorb. Rzl66 f.; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rz:244 ff. 99 100

Grundlegend E 50,290 (332 ff); auch E 77,84 (106).

Diese Steuerung durch die Verknüpfung mit Eingriffsstufen ist nichts anderes als die Übertragung des allgemeinen, für alle Grundrechts gültigen Gesichtspunktes der Emgriffsmtensitat, der den Spielraum mitbeeinflußt (so etwa Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rz.216; Ossenbühl, Tatsachenfeststellungen und Progaoseentscheidungen, S.489 f.) auf die spezielle Dogmatik zur Berufsfreiheit.

144

3. Kapitel: Areimittellisten und Herstellergrundrechte

t e r t 1 0 1 , und die Einbindung des Sachverhaltes in vielfaltige Abhängigkeiten wirkt sich in die gleiche Richtung aus 1 0 2 . Dies spricht dafür, der gesamten Prüfung einen eher weitgehenden Prognosespielraum zugrundezulegen. Dieses - auf einer fallgruppenartigen Systematisierung beruhende - Ergebnis paßt auch zu den diesen Fallgruppen zugrundeliegenden Gedankengängen: Zum einen liegen die Auswirkungen gesetzgeberischer Maßnahmen regelmäßig in der Zukunft und sind deshalb stets mit Unsicherheiten belastet, zum anderen hat der Gesetzgeber in vielen Fällen die Möglichkeit, auch später noch steuernd einzugreifen und den Eintritt der ursprünglich angestrebten Folgen durch weitere Maßnahmen zu fördern 1 0 3 . Für die Arzneimittellisten gilt der letztgenannte Gesichtspunkt in besonderer Weise: Die unterschiedlichen Instrumente zur Steuerung der Arzneimittelversorgung in der G K V 1 0 4 bedingen nicht nur Wechselwirkungen, sondern geben dem Gesetzgeber bzw. den zuständigen Institutionen auch eine Vielzahl von weiteren Möglichkeiten an die Hand. Dies muß bei der Beurteilung eines Einzelinstruments im Rahmen der Bestimmung des Einschätzungsspielraums berücksichtigt werden. Gegen einen allzu weiten Einschätzungsspielraum spricht allerdings, daß das BVerfG in seiner Numerus clausus-Entscheidung eine strikte Kontrolle der Erforderlichkeit verlangt h a t 1 0 5 . Die hier vertretene Einordnung der Leistungsausschlüsse im GKV-System lehnt sich an die Grundsätze dieser Entscheidung j a gerade an. Zudem wurde bereits oben 1 0 6 darauf hingewiesen, daß die Kontrolldichte bezüglich der Zugangsvoraussetzungen umso höher sein muß, je weitgehender die Abhängigkeit von der staatlichen Zugangsgewährung i s t 1 0 7 .

101 BVerfGE 77,84 (106); zuletzt BVerfG, EuGRZ 1993,85 (91); RBreuer , HdbStR VI, § 148, R2Ll4ff. 102 BVerfGE 77,84 (106); ähnlich Ossenbühl , Tatsachenfeststellungen und Progposeentscheidungen, S.502, der den Spielraum dort beginnen lassen möchte, wo keine rationale Prognosekontrolle mehr sinnvoll möglich ist. 103

So Ossenbühl , Tatsachenfeststellungen und Prognoseentscheidungen, S.498.

104

Dargestellt in Kapitel 1, B.H.2.

103

BVerfGE 33,303 (338).

106

Unter 1.5.

107

Die Negativliste aufgrund des Prognosespielraums für verfassungsrechtlich unbedenklich hält dagegen Franz , Naturheilmittel und Recht, S.220 (Fn.38).

145

A Berufsfreiheit

Nach allem wird (in der "Skala" des B V e r f G 1 0 8 ) eine genaue inhaltliche Prognosekontrolle ausscheiden und allenfalls eine Vertretbarkeitskontrolle in Betracht kommen 1 0 9 . Freilich ist der Hinweis wichtig, daß es sich bei den Grundsätzen der Prognosekontrolle um ein Instrument der Abgrenzung der Zuständigkeiten von Gesetzgeber einerseits und Bundesverfassungsgericht andererseits handelt. Auf rein materiellrechtlicher Ebene haben diese Grundsätze deshalb keine Bedeutung. Auch einem Gedanken von Ossenbühl 110 folgend, der die Kontrolldichte von der jeweils möglichen Rationalität abhängig machen will, sollen die Bedenken gegen Eignung und Erforderlichkeit deshalb durchaus dargelegt werden. Schon soweit die oben angeführten "Grundgedanken" des Prognosespielraums 111 nicht reichen, läge andernfalls eine bedenkliche Relativierung der Grundrechtsgeltung vor.

cc) Staatliche Zwecksetzungen Schließlich ist die Kontrolle staatlichen Tätigwerdens anhand der Kriterien der Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit nur möglich in bezug auf die jeweils (hier gesetz- bzw. verordnungsgeberisch) zugrundeliegenden Zielund Zwecksetzungen 112 . Der Sinn des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes besteht gerade darin, die jeweils angewandten Mittel auf ihre Stimmigkeit gegenüber der zugehörigen staatlichen Zwecksetzung zu überprüfen 113 . Aus diesem Sachverhalt ergibt sich aber die Frage, welche Zwecksetzungen der Prüfung zugrundezulegen sind, wenn zwischen Primärzwecken und untergeordneten Zielsetzungen unterschieden werden kann. Als ganze verfolgt die gesetzliche Krankenversicherung die Ziele, erstens die Gesundheit der einzelnen Versicherten wie der Gesamtgesellschaft zu fordern und zu erhalten (§ 1 SGB V), zweitens mit der solidarischen Finanzierung (§ 3 SGB V) in gewissem Umfang eine Umverteilung herbeizuführen und drittens die staatliche

108

E 50,290 (332 ff.).

109

Wie sie von Benda/Klein, als angemessen betrachtet wird.

Verfassungsprozeßrecht, Rz.244 ff. allgemein für Wiitschaflsgesetze

110

Tatsachenfestellungen und Progposeentscheidungen, S.502.

111

Unsichere Auswirkungen in der Zukunft und weitere Beemfhißungsmöglichkeiten des GesetZr

gebers. 112

Etwa Tettinger,

AÖR 108 (1983),92 (118, 124 mw.N.); Lecheler, W D S t R L 43 (1985),48

(58 ff). 113

Pieroth/Schlink,

10 Philipp

Grundrechte, Rz313; Kirchhof,

HdbStR m , § 59 Rz:25.

146

3. Kapitel: Arzneimittellisten und Hearstellergrundrechte

Gemeinschaft davor zu schützen, über das verfassungskräftig gewährleistete Existenzminimum mit den Kosten der Krankheit einzelner belastet zu werd e n 1 1 4 . Diese Zwecksetzungen sind zwar geeignet, die durch den Organisationsumfang der GKV verursachte Marktmacht und die korrespondierende Abhängigkeit der Leistungserbringer zu rechtfertigen 115 . Zur Kontrolle von systeminternen Einzelregelungen sind derartige Globalzwecke aber weniger brauchbar: Es würden sonst Mittel-Zweck-Beziehungen erörtert, die in der (politischen) Wirklichkeit so gar nicht vorkommen und materiell grundrechtsfreie Räume geschaffen. Führt die Abhängigkeit der Leistungserbringer aber gerade dazu, daß sich der Staat für Ausschlüsse vom System ebenfalls rechtfertigen muß, so ist es eine Konsequenz daraus, daß die Ausschlußvorschriften an ihren jeweiligen Zielsetzungen 116 innerhalb dieses Systems zu messen sind. Eine andere Konsequenz ist die, daß die genannten Zwischenziele über die dem System zugrundeliegenden Globalzwecke nicht hinausgehen dürfen. Ein originärer, d.h. nicht durch Notwendigkeiten gerade des GKV-Systems vermittelter Marktbereinigungszweck müßte deshalb zu Verfassungswidrigkeit der entsprechenden Vorschrift führen. Es ist dem Gesetzgeber nicht erlaubt, (vermeintliche) Defizite des Arzneimittelrechts auf dem Umweg über seine Marktmacht mittels des Sozialversicherungsrechts auszugleichen. Gegenstand der folgenden Überprüfung sind aus diesen Gründen - die auch aus dem Sozialstaatsprinzip heraus nicht beliebige Zwecksetzungsfreiheit des Gesetzgebers 1 1 7 tritt hinzu - die aus dem gesetzlichen Zusammenhang und den Gesetzesmaterialien ersichtlichen Erwartungen des Gesetz- und Verordnungsgebers, die Listen würden in der GKV eine zweckmäßigere Verordnungsweise fordern und zu finanziellen Einsparungen führen. Diese Ziele der Kostendämpfung im Arzneimittelbereich 118 und der Qualitätssicherung der Arzneimittelversorgung in der G K V 1 1 9 sind Gegenstände

114 Zu den Zwecken der GKV vgl. neben § 1 SGB V Schulin, Gutachten, S. E 44 u. E 56 (Gesundheitsschutz der Bürger, Schutz des Staates vor übermäßiger Inanspruchnahme durch Sozialhilfepflichten, Umverteilung) und Hengsbach/ Möhring-Hesse, SF 1992,119 (121 f., individuelle Risikovorsorge und Umverteilung). 113

Zur Verdeutlichung führe man sich die große Zahl von Menschen ganz ohne Krankenversicherungsschutz etwa in den USA vor Augen, s. dazu Froemer, ZfS 1992,97 (99). - Das deutsche Krankenversicherungssystem bewährt sich - im Vergleich zu anderen Ländern - immer noch gut, vgl. vMaydell, NZS 1993,425 (426). 116

Wie sie fur die Listenkonzepte beim Eingriff (ü.2) dargelegt wurden.

117

Dazu oben Kapitel 2, A l l .

118

Günther, WirtschafUichkeitsgebot, S.191; Glaeske/Schefold, Nachweise s.o. ü.2.

Positivliste, S.136; für weitere

A. Berufsfreiheit

147

des Wirtschafllichkeitsprinzips in der GKV: Im Kostenaspekt spiegelt sich die darin enthaltene Wirtschaftlichkeit i.e.S., in der Qualitätssicherung die Zweckmäßigkeit 120 der Behandlung. Zusammenfassend kann deshalb von dem Ziel gesprochen werden, dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz zu einer strikteren Anwendung zu verhelfen. Dies kommt im übrigen in der Gesetzesformulierung ("unwirtschaftliche Arzneimittel") zum Ausdruck. Dabei handelt es sich auch um eine sozialversicherungsinterne, aus den zugrundeliegenden Globalzwecken ableitbare Zielsetzung.

b) Eignung An dieser Stelle wird es nötig, die mit den Listen verfolgten Zielsetzungen genauer zu unterscheiden. Was der Zweckmäßigkeit der kassenärztlichen Verordnungsweise dient, muß noch nicht dazu geeignet sein, auch die Wirtschaftlichkeit i.e.S zu befördern und umgekehrt.

aa) Zweckmäßigkeit Nach gängiger Interpretation des § 12 I SGB V ist eine Leistung dann zweckmäßig, wenn sie sich als hinreichend wirksam und geeignet darstellt 1 2 1 . Unterstellt man nur die annähernde Richtigkeit des Verordnungsumfangs von Medikamenten "zweifelhafter Wirksamkeit" zulasten der GKV, so scheint die Eignung der Ausnahme solcher Mittel von der Verordnungsfahigkeit zur Sicherstellung einer Versorgung mit geeigneten und wirksamen Präparaten prima facie auf der Hand zu liegen. Zweifel hieran ergeben sich erst dann, wenn die Funktion des Wirtschaftlichkeitsprinzips in der GKV beachtet wird. Es handelt sich nämlich dabei herkömmlich um einen einzelfallbezogenen Grundsatz, der für jeden Krankheitsfall eines Patienten eine andere Leistungsauswahl bedingen kann. Bevor nach der bisher angewandten Definition des Wirtschaftlichkeitsprinzips (i.w.S.) eine Leistungsart oder ein bestimmtes Medikament als in keinem Fall verordnungsfahig bezeichnet hätte werden können, wäre darzulegen gewesen, daß in keinem wie auch immer gelagerten Einzelfall seine Anwendung hätte indiziert sein können. Dieser Nachweis aber 119 Schwerdtfeger, Negativlisten, Pharmlnd 51 (1989),21 (28); Günther, Wiitschafilichkeitsgebot, S.191; auch BT-Drs. 12/3608, S.73 und 91. m 121

S. Schwerdtfeger,

Negativlisten, Pharm.Ind 51 (1989),21 (25).

Vgl. oben Kapitel 1, B.I.2.d.aa.

148

3. Kapitel: Arzneimittellisten und Herstellergrundrechte

ist unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Wirksamkeit von Arzneimitteln nicht einfach zu führen. Die von dieser Interpretation des § 12 I SGB V umfaßte Verordnungsfahigkeit auch von Außenseitermethoden und Mitteln zweifelhafter Wirksamkeit jedenfalls (und nur) dann, wenn andere Therapiekonzepte nicht mehr zur Verfügung stehen, entspricht im übrigen der ständigen Rechtsprechung des BSG zum Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 I SGB V bzw. früher § 182 I I R V O 1 2 2 . Das erhellt, daß die allgemeingültige namentliche Ausschließung bestimmter Präparate den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz weniger konkretisiert als vielmehr für den Arzneimittelbereich umdefiniert, ohne seine allgemeine Kodifizierung in § 12 I SGB V aber abzuändern. Aus diesem Grund sind die Listenregelungen zur Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots nur bedingt geeignet. Während letztlich unverbindliche Listen (wie die Transparenz- und die Preisvergleichsliste) nämlich die Kriterien des Grundsatzes verdeutlichen, ohne die Letztentscheidung von den Umständen des Einzelfalles wegzuverlagern, nimmt eine ausnahmslos zwingende Liste eben diese Verlagerung vor. Daß im (bisherigen) Rahmen des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes eine solche Verlagerung nicht vorgesehen war, hat aber seinen guten Grund in der Individualität jeder Krankheitserscheinung und der korrespondierenden Unmöglichkeit, alle Diagnose- und Behandlungskriterien auf genereller Ebene zu erfassen. Die im Listenansatz zum Ausdruck kommende Tendenz sollte deshalb in ihrer Bedeutung klar erkannt werden 1 2 3 . Im Gegensatz zur Negativliste nach § 34 I I I SGB V soll die Positivliste nach §§ 34a, 92a SGB V allerdings eine Ausnahmeregelung vorsehen, die auch die Verordnung nicht auf der Liste enthaltener Arzneimittel bei besonderer Begründung erlaubt 1 2 4 . Diese - im übrigen auch von den beiden bisher vorhandenen verfassungsrechtlichen Stellungnahmen zur Positivliste an entscheiden-

122

BSGE 63,102 (103 ff.); BSGE 64,255; zuletzt BSG v. 21.11.1991, SGb 1992,551 (553) = NJW 1992,1584 und LSG Rheinland-Pfalz v. 27.11.1992, Leitsätze abgedruckt in SGb 1993,174. Grundlegend hierzu Schulin , SGb 1984,45 (50 f.); vgl. auch die in ähnlichem Zusammenhang aufgetauchten Probleme mit § 3 4 I V SGB V, der sich auf Hilfsmittel bezieht, diese zusammenfassend dargestellt bei J.Schroeder-Printzen, NZS 1992,137. - In einem gewissen Widerspruch hierzu steht zugegebenermaßen die Rechtsprechung des BVerfG (E 78,155,162 f.) und des BSG (E 48,47,52 f.) zur Kassenzulassung der heilpraktischen Berufe. Jedoch nehmen diese Ausführungen nur die allgemeine Kassenzulassung in den Blick, nicht aber die Behandlung von Ausnahmefällen. Für inhaltliche Argumente hierzu s. sogleich im Text. Verdeutlichend ist nochmals daraufhinzuweisen, daß die besonderen Therapierichtungen nach der Systematik des § 2 SGB V nicht Außenseitexmethoden sind, sondern anerkannte Arzneimittel verwenden. 123

Das gilt umso mehr, als es bei der Liste gerade nicht um den Ausschluß ganz wirkungsloser Arzneimittel geht, s. dazu unten c.aa. 124

S. § 92a I X SGB Vn.F. und G.Schulte , NZS 1993,41 (44).

A Berufsfreiheit

149

der Stelle vorausgesetzte 125 - Ausnahmemöglichkeit stellt wohl den äußersten Punkt auf der Skala möglicher Verbindlichkeiten von Arzneimittellisten dar, der mit dem herkömmlichen Wirtschaftlichkeitsgebot noch vereinbar i s t 1 2 6 . Festzuhalten ist sonach, daß die fehlende Ausnahmeregelung bei § 34 I I I SGB V a.F. dessen Eignung zum konkret verfolgten Zweck und damit dessen verfassungsrechtliche Zulässigkeit in Zweifel zieht.

bb) Wirtschaftlichkeit i.e.S. Neben der Verbesserung der Qualität der Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln sollte die Negativliste und soll die Positivliste auch schlicht Geld sparen, indem für die betroffenen Medikamente keine Mittel mehr aufgewandt werden müssen. Für die Negativliste wurde von immerhin 300 M i l lionen D M jährlich ausgegangen 127 . Nun haben die Erfahrungen mit der Negativliste für Bagatellarzneimittel deutlich gezeigt, daß Substitutionsefifekte die erhoffte Ersparnis schnell zunichte machen können. Solange die Möglichkeit besteht, anstelle des ausgeschlossenen Arzneimittels einfach ein anderes zu verschreiben, welches auch noch teurer sein darf als das früher verschriebene, bleibt die Frage offen, worauf sich die Ersparniserwartung eigentlich stützen kann. Doch sind zwei Gesichtspunkten zu beachten: Erstens kommt es mittelbar doch zur Kostenersparnis, wenn statt (vergleichsweise) unwirksamen Mitteln, die den Patienten nicht heilen, sondern später zur Notwendigkeit an sich vermeidbarer, wesentlich umfänglicherer Gesundheitsleistungen führen, sofort wirksame Mittel eingesetzt werden 1 2 8 . Trotz der Einwände, daß die Negativ/Positivliste gar kein absolutes, sondern nur ein relatives Wirksamkeitsurteil fallen soll und d a r f 1 2 9 , daß, was die Untergruppe der betroffenen Kombinationsarzneimittel anbelangt, die verschiedenen Monopräparate in kombinierter Anwendung kaum billiger sein dürften, und daß sich die Kalkulation mit hy-

123

Glaeske/Schefold,

Positivliste, S.142; Günther, Wirtschaftlichkeitsgeböt, S.192.

126

Auf diesen Aspekt stellt bereits Schwerdtfeger, Negativlisten, Pharm.Ind.51 (1989),21 (28) ab, der aber die Eignung für unproblematisch hält und die Ausnahmeregel als Zumutbarkeitserfordemis einordnet. 127 S. oben Kapitel 1, B.ü.2.f.; a.A für diese Zwecksetzung Thier, Arzneimittelmarkt, S.165 unter Verweis auf die amtl. Begründung zum GRG (BT-Drs.11/2237). 128

In diese Richtung Glaeske, DOK 1992,113 (115) und BVerfG (Vorprüfungsausschuß), NJW 1992,735 (736). 129

Unten c.aa.

150

3. Kapitel: Arzneimittellisten und Herstellergrundrete

pothetischen Krankheitsverläufen dadurch selbst in Frage stellt, daß umgekehrt auch die Nebenwirkungen wirksamerer Stoffe wieder Kosten verursachen können, ist dieser Gedankengang rational nachvollziehbar und nicht umfassend widerlegbar. Zweitens und vor allem kann hier aber wichtig werden, daß der Gesetzgeber des GRG und des GSG mit einer Mehrzahl weiterer Instrumente auf die Arzneimittelverschreibung in der GKV einwirkt. Namentlich im Zusammenwirken mit der Budgetierung der Kosten für Medikamente samt Haftung der Ärzteschaft für Budgetüberschreitungen - hiermit scheint der Gesetzgeber immerhin einmal ein wirksames Kostendämpfungsinstrument gefunden zu haben - werden sich Substitutionseffekte hin zu teureren Präparaten größtenteils unterdrücken lassen. Im Ergebnis erscheint eine Ersparnis an finanziellen Aufwendungen für die gesetzlichen Krankenkassen also immerhin als möglich.

cc) Verhältnis der Wirtschaftlichkeit i.e.S zur Zweckmäßigkeit Daraus, daß die Negativliste mangels Ausnahmemöglichkeit zur Konkretisierung des Zweckmäßigkeitskriteriums als ungeeignet angesehen werden muß, aber im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet ist, den Kassen Geld zu sparen, sollte geschlossen werden können, daß auch insgesamt die Eignung zur Förderung der Geltungskraft des Wirtschaftlichkeitsgebots (i.w.S.) zu bejahen ist. Ein solcher Schluß verkennte aber die innere Struktur des Wirtschaftlichkeitsgebots nach § 12 I SGB V. Das Unterkriterium der Wirtschaftlichkeit i.e.S. kommt nämlich gegenüber der Zweckmäßigkeit und dem Ausreichen der Leistung nur nachrangig zur Anwendung, soweit es um die Fälle geht, für die ein Verstoß der Ermächtigung des § 34 I I I SGB V a.F. gegen die Zweckmäßigkeit dargelegt wurde 1 3 0 . Nun ständen diese Bedenken verfassungsrechtlich auf schwachen Füßen, wenn es allein um die formale Zuordnung von § 12 I einerseits und §§ 34 I I I i.V.m. 311 SGB V andererseits ginge. Da letztere sich speziell mit der Arzneimittelversorgung befassen, wären sie - § 12 ist gesetzeshierarchisch j a keine höherrangige Norm - auch als leges speciales zur Grundsatznorm des § 12 I anzusehen. Der Einwand hat aber auch seine materielle Entsprechung. Erstens geht es hier nämlich nicht um die Frage, ob

130

S. zur Struktur des Wirtsdiafltichkeitsprinzips i.w.S. o. Kapitel 1, B.ü.2.d.aa. mit weit. Nachw.; zur vorliegenden Frage ebenso Thier , ZSR 1989,61 (90).

A Berufsfreiheit

151

die §§ 34 III, 3 1 1 mit § 12 I SGB V vereinbar sind, sondern darum, ob sie geeignet sind, der Zwecksetzung des Gesetzgebers, wie sie auch in § 12 I zum Ausdruck kommt, zu dienen. Zweitens fuhrt der Totalauschluß von Mitteln ohne Ausnahmemöglichkeit eben dazu, daß eine sinnvolle Verordnungsweise auch nicht erreicht wird, weil zwar in manchen Fällen eine "bessere" Behandlung erfolgt, in anderen aber gar keine, obwohl die Anwendung jetzt ausgeschlossener Mittel dort sinnvoll und nach bisherigem Recht möglich gewesen wäre. Da sich aus den Gesetzesmaterialien nicht ergibt, daß die medizinische Versorgung aus Kostengründen für Teilbereiche verschlechtert werden sollte, schießt die Negativlistenermächtigung gleichsam über ihr Ziel hinaus und erkauft Verbesserungen mit Verschlechterungen an anderer Stelle, die ihrerseits der gesetzgeberischen Zielsetzung widersprechen. In der Terminologie des SGB V ist dies genau das Verhältnis von Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit i.e.S.. I m Ergebnis bleiben die Bedenken gegen die Eignung der Negativliste deshalb bestehen. Gegenüber der Positivliste bestehen sie nicht, weil sie mit der nötigen Ausnahmevorschrift verbunden ist.

c) Erforderlichkeit aa) Doppelprüfung der Wirksamkeit ? Neben diese Zweifel an der Eignung der Negativliste zur Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots tritt der bereits alte Streit um eine eigene Wirksamkeitsprüfung von Arzneimitteln durch den Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen bzw. den BMG neben der Wirksamkeitskontrolle im Rahmen der Arzneimittelzulassung durch das BGA. Bereits 1983 hat Schwerdtfeger 131 auf den hier den Pharmaherstellern drohenden "Mehrfrontenkrieg" hingewiesen 1 3 2 . Systematisch geht es hierbei um eine Erforderlichkeitsfrage. Auch unabhängig von der verwaltungsrechtlichen Bindungswirkung des Verwaltungsakts

131 Schwerdtfeger, Bindungswirkung, S.65, zuvor schon, ähnlich engagiert, Küchenhoff, 1979,89 (insb. S.95) und ders., NJW 1980,1890. 132

SGb

Zur Negativliste selbst Schwerdtfeger, Negativlisten, Pharm-Ind. 51 (1989),21 (23 f.). Zur Gegenansicht s. Borchert, DOK 1986,356 und Hess, Festschrift H.Narr, S.260. - In umgekehrter Richtunghat das BSG jüngst entschieden (SGb 1993,469 = ZfS 1993,268), daß es ohne AMG-Zulassung auch keine Verordnungsfahigjceit im Rahmen der GKV geben käme.

152

3. Kapitel: Arzneimittellisten und Herstellergrundrechte

Zulassung 133 wäre es zweifellos aus der Sicht der Hersteller weniger einschneidend, aber gleich wirksam, wenn für die Verordnungsfahigkeit in der GKV auf die Erkenntnisse des BGA zurückgegriffen werden könnte und müßte, soweit thematisch identische Fragestellungen zu behandeln sind. Dies gilt umso mehr, als die Arzneimittelzulassung nach dem A M G nur einen relativ geringen Bestandsschutz vermittelt und einer mit umfassenden Instrumenten ausgestatteten Nachmarktkontrolle (Widerruf, Rücknahme, Anordnung des Ruhens der Zulassung) unterliegt 1 3 4 . Letztlich wäre eine eigenständige Neubeurteilung der Wirksamkeit für die GKV nur zu begründen, wenn die Arzneimittelzulassung in diesem Punkt gravierende Defizite aufwiese, was es aber gleichzeitig nahelegen würde, nach deren verfassungsrechtlicher Rechtfertigung unter dem Gesichtspunkt der Eignung zu fragen. Teilweise kann die Frage nach längerer Diskussion in Verwaltungsgerichtsbarkeit und Literatur 1 3 5 heute als geklärt gelten: Während die Zulassung beim BGA darüber entscheidet, ob überhaupt irgendeine Wirksamkeit des jeweiligen Arzneimittels erwartet werden kann, geht es im Rahmen des "therapeutischen Nutzens" bei § 34 I I I SGB V um die Wirksamkeit 1 3 6 im Vergleich zu anderen auf dem Markt befindlichen Präparaten. Ausgehend von dem sozialversicherungsrechtlich legitimen Zweck, den Versicherten eine möglichst zweckmäßige Behandlung zukommen zu lassen, soll es bei den GKV-Listen darum gehen, ob das jeweilige Präparat im Vergleich zu anderen ausreichend wirksam ist, um seine Verordnungsfahigkeit in der GKV zu rechtfertigen, nicht aber darum, ob positive Wirkungen so unwahrscheinlich sind, daß ein Totalverbot 137 geboten ist. Diese Unterscheidung begegnet dem Einwand, daß es durchaus Fälle geben kann, in denen nicht das wirksamste, sondern nur ein gering wirksames Mittel unter Berücksichtigung aller Umstände indiziert ist - etwa weil der Patient gebrechlich ist, weil psychosomatische Ursachen naheliegen oder weil Wechselwirkungen zu befiirchten sind.

133

Die Wirksamkeit als Vorfrage der Zulassung nimmt an der Bindungswirkung der Zulassung selbst nicht teil, s. dazu eingehend Thier, Arzneimittelmarkt, S. 151 ulw.N. 134 S. dazu oben Kapitel 1, A H 4 . sowie Denninger, Arzneimittel-Richtlinien, S.59 auf der Basis von Art. 14 GG. 133

Vgl. neben den bereits genannten v.a. noch BVerwGE 58,167 (172 ff.).

136

Die, woran zu erinnern ist, ein Wahrscheinlichkeitsurteil bedeutet, s.o. Kapitel 1, A.H2.b.aa.

137

Was eine Zulassungsversagung nach A M G ja bedeuten wurde. - Logische Voraussetzung für diese Zuordnung von A M G und SGB V ist es im übrigen, mit da- h . M vom "absoluten" Wirksamkeitsbegriff des A M G auszugehen, vgl. dazu oben Kapitel 1, Aü.2.b.bb.

A. Berufsfreiheit

153

Zudem wird bei dem dargelegten Ergebnis der Diskussion gerne übersehen, daß ein Vergleich verschiedener Arzneimittel hinsichtlich ihrer Wirksamkeit in den meisten Fällen ebenfalls bereits in der arzneimittelrechtlichen Zulassungsprüfung enthalten ist, und zwar im Rahmen der Unbedenklichkeit 138 . Besonders wenn der Nachweis der Aufnahmevoraussetzungen in die künftige Positivliste in den Aufgabenbereich des Herstellers fallen sollte, kann es auch hier zu eigentlich überflüssigen Doppelungen kommen. Nicht nur im Rahmen der AMG-Zulassung müßte nachgewiesen werden, daß die Nebenwirkungen angesichts der Wirksamkeit im Vergleich zu den im Indikationsgebiet zur Verfügung stehenden Alternativen bzw. deren Wirksamkeit zu tolerieren sind, sondern auch für die Aufnahme in die allein den Markterfolg versprechende Positivliste müßte die besondere Wirksamkeit gegenüber anderen Mitteln belegt werden. In der praktischen Umsetzung stellte sich das Problem der Doppelprüfungen bei der Negativliste nicht, da man sich bei der Erstellung an die Ergebnisse der Aufbereitungskommissionen des BGA anlehnt 1 3 9 , die j a ebenfalls den Altmarkt aufarbeiten. Die Konzeption der Positivliste geht in § 92a SGB V aber gerade von der diesbezüglichen Zuständigkeit eines eigenen Instituts "Arzneimittel in der Krankenversicherung" aus. Hinzu kommt, daß die Positivliste anscheinend Mittel mit aktueller Zulassung ausschließen soll, während die Negativliste nach § 4 der Verordnung aufgrund § 34 I I I SGB V seit 1987 zugelassene Mittel nicht enthält. Die auf der Grundlage des gefahrenabwehrenden Zwecks des A M G einerseits und der Qualitätssicherung in der GKV andererseits als Ausdruck unterschiedlicher Zwecksetzungen so einleuchtende und jetzt auch in den Wortlaut des GSG klärend eingearbeitete 140 Abgrenzung der einen von der anderen Ebene hat einen verfassungsrechtlich einwandfreien Anwendungsbereich also in Wirklichkeit nur bei solchen Arzneimitteln zweifelhafter Wirksamkeit, die sich als mehr oder weniger nebenwirkungsfrei darstellen, oder die ihre Zulassung unter dem Gesichtspunkt der Unbedenklichkeit allein im Hinblick auf eine funktionierende Nachmarktkontrolle erhalten haben. Zwar kann im gegebenen Zusammenhang darauf hingewiesen werden, daß der Gesetzgeber sich nicht vorwerfen lassen muß, er habe weniger einschneidende Maßnahmen nicht vor Einführung des Listenkonzepts ausprobiert. Be138

Oben Kapitel 1, A H 2 . c

139

Diese Praxis, die auch von Repräsentanten der pharmazeutischen Industrie so geschildert wird, findet sich vom B M G belegt in DOK 1993,424. 140

S.o. Kapitel 1, B.H2.f.bb.: "nicht mehr als geringfügiger therapeutischer Nutzen" in § 92a V 3 Nr.l SGB Vn.F.

154

3. Kapitel: Areimittellisten und Herstellergndrete

reits in der Darstellung der bisherigen Arzneimittellisten wurde deutlich, daß diese auf den Verordnungsumfang vermeintlich unzweckmäßiger Präparate geringen bis gar keinen Einfluß hatten. Aus der Tatsache heraus, daß das Arzneimittelinstitut angesichts des heutigen Umfanges der GKV zum einem zweiten Bundesgesundheitsamt 141 werden müßte, bleiben aber trotzdem Einwendungen gegen die Erforderlichkeit zweimaliger grundrechtsbeeinträchtigender Prüfungsnachweise im Rahmen der Positivliste bestehen. Diesmal ist es die Praxis der Negativliste, die insoweit keinen Bedenken unterliegt.

bb) Ausnahmeregelung als milderes Mittel Die dargestellten Bedenken hinsichtlich der Eignung der Negativliste, den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz umzusetzen, lassen sich auch als Erforderlichkeitsproblem erfassen. Soweit nachweisbar ist, daß die Negativliste in bestimmten Fällen über ihr Ziel hinausschießt und von daher ungeeignet ist, mangelt es auch an ihrer Erforderlichkeit. Der Gesetzgeber selbst hat mit der Ausnahmemöglichkeit im GSG für die Positivliste ein milderes Mittel mit besserer Eignung gefunden.

d) Angemessenheit Für die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist vorauszuschicken, daß hier die für Eignung und Erforderlichkeit mögliche und gebotene Differenzierung zwischen globalen und abgeleiteten Zielsetzungen an Bedeutung verliert. Geht es darum die Bedeutung des staatlichen Regelungsanliegens zu der des beeinträchtigten Grundrechts ins Verhältnis zu setzen, so gewinnen die Zwischenziele diese Bedeutung erst aus dem Kontext der Glöbalzwecke. Auf diesem Hintergrund ist auch in existenzgefahrdenden Einzelfallen nicht ersichtlich, wieso die Funktionsfahigkeit und Finanzierbarkeit des GKV-Systems der Berufsfreiheit soll weichen müssen. Gleichwohl sind im bisher erschienenen Schrifttum verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Listenkonzept hauptsächlich auf der Angemessenheitsebene geäußert worden 1 4 2 . Ein

141 Daran ändert imhier relevanten Zusammenhang auch die Letztzuständigkeit des B M G nichts (s. aber unten 3.b.), weil Gegenstand der Bedenken nicht die Zweitprüfung gerade durch das Arzneimittelinstitut ist, sondern daß die Zweitprüfung übediaupt durch staatliche Stellen erfolgt. 142 Glaeske/Schefold, Positivliste, S.142, ihnen folgend Schwerdtfeger , Negativlisten, Pharmlhd. 51 (1989),21 (27 f.). Vgl. auch den extrem gesamtbewertenden Ansatz von Sodan , Wirtschaftslen-

A Befsfreiheit

155

tatsächlich sich ergebender Marktausschluß wird als unzumutbar eingeschätzt und die Ausnahmeregelung aus diesem Grund für notwendig gehalten. Es ist fraglich, ob dieser Einschätzung gefolgt werden kann. Vermutlich werden die betriebswirtschaftlichen Auswirkungen der Ausnahmemöglichkeit aus der Sicht der betroffenen Hersteller gering bleiben 1 4 3 . Zudem paßt die zitierte Ansicht nicht, wenn der Rechtsprechung des BVerfG zur Dreistufentheorie auch insoweit gefolgt wird, als hier keine besonders schweren, die Anwendung der Rechtmäßigkeitsanforderungen von Berufswj/j/regelungen erfordernden Auswirkungen vorliegen. Aus allem, was bisher zur Bedeutung der GKV und der Sozialstaatlichkeit gesagt wurde 1 4 4 , folgt vielmehr, daß auch Marktausschlüsse von den Herstellern hinzunehmen sind, wenn sie aus Notwendigkeiten der Sozialversicherung heraus geboten, d.h. geeignet und erforderlich sind. Die Notwendigkeit einer Ausnahmeregelung ergibt sich bereits aus solchen Gesichtspunkten der Geeignetheit und Erforderlichkeit - unzumutbar wäre auch die Negativlistenvorschrift andernfalls n i c h t 1 4 5 .

e) Ergebnis Die Prüfimg der Verhältnismäßigkeit des Listenkonzepts ergibt zweierlei. Ein Einwand betrifft den Gesichtspunkt der Möglichkeit von Ausnahmeverordnungen. Es ist zur Erreichung einer zweckmäßigen Verordnungsweise weder geeignet noch erforderlich, die Listenvorgaben ohne jede Durchbrechungsmöglichkeit absolut zu setzen. Zwar läßt sich nicht ausschließen, daß die Regelung immerhin Kosten spart. Der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz als ganzer beschränkt sich aber gerade nicht auf eine reine Kostenbetrachtung, sondern wendet dieses Kriterium erst in Abhängigkeit von Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Ausreichen der jeweiligen Leistung an. Die Bedenken gegen die Förderung der Zweckmäßigkeit der Verordnungen, die auf einer verdeckten Umdefinition der Wirtschaftlichkeit (i.w.S.) beruhen, schlagen deshalb auf die gesamte Eignungsprüfung durch. kung, S.93 ff., der die vielfachen Abhängigkeiten der Leistungserbringer bzw. Arzneimittelhersteller in der Zumutbarkeitsfrage bündelt 143 Die entscheidende Frage für die Vermarktungschancen wird darin bestehen, ob das Mittel ausdrücklich verordnungsfähig bleibt oder nicht. Von daher ist es plausibler, wenn Thier, ZSR 1989,61 (97, Fn. 176) die Notwendigkeit einer Ausiahmemöglichkeit auf die Grundrechte vcn Ärzten und Versicherten stützt. 144 143

S.insb. oben Kapitel 1 , A

Vgl. zur Bedeutung der GKV BVerfGE 68,193 (218): "Die Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung ist eine Gememwohlaufgabe, welche der Gesetzgeber nicht nur verfolgen darf, sondern der er sich nicht einmal entziehen dürfte".

156

3. Kapitel: Areimittellisten und Herstellergndrete

Daher verstößt die Ausgestaltung des § 34 I I I SGB V ohne Ausnahmemöglichkeit gegen Art. 12 I GG. Für die geplante Positivliste kommt es insoweit auf die Ausfüllung des § 92a I X n.F. durch die Spitzenveibände an; i m Grundsatz genügt die Regelung mit einer Begründungspflicht aber den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Zweitens ergeben sich entgegen der in Literatur und Rechtsprechung inzwischen vorherrschenden Ansicht Einwände gegen die Erforderlichkeit der doppelten staatlichen Kontrolle von Wirksamkeitseigenschaften der einzelnen Arzneimittel. Auch ohne einfachgesetzliche Bindungswirkung ist die zweite Prüfung, wenn man beide Zulassungsverfahren wie hier als grundrechtsbeeinträchtigend einstuft, ohne zusätzliche Rechtfertigungsgründe nicht haltbar. Allerdings kann dies nicht für alle der Positivlistenregelung unterfallenden Mittel gleichermaßen behauptet werden, weil der Umfang des Wirksamkeitsvergleichs im Rahmen der Zulassung nach dem A M G einzelfallabhängig ist. Verfassungsrechtlich ist es aber nötig, die vom BGA getroffenen Beurteilungen auch für das neue Arzneimittelinstitut verbindlich zu machen. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn sich der Staat entschlösse, einen Teil seines Nachfragemonopols aufzuheben, indem er die Pflichtversichertenquote absenkt. Die Zugangsregelungen zum GKV-Markt wären dann im wesentlichen nur noch am Gleichheitssatz zu überprüfen.

2. Die Grenzen aus Art 19 GG Eine Einzelfallregelung i.S. des Art. 191 GG liegt dann vor, wenn ein materieller Verwaltungsakt in Gesetzesform erlassen werden s o l l 1 4 6 . Beim Ausschluß von Arzneimitteln von der Verordnungsfahigkeit unter dem Gesichtspunkt der UnWirtschaftlichkeit handelt es sich aber ohne weiteres um eine abstrakt-generelle Regelung, so daß ein grundrechtseinschränkendes Einzelfallgesetz nicht vorliegt. Selbst wenn ein Ausschluß nur auf ein einziges Medikament eines einzigen Herstellers bezogen vorgenommen würde, stünde die Anwendbarkeit des Ausschlusses auf eine Vielzahl von ärztlichen Verordnungssituationen einer Einordnung als Einzelfallgesetz entgegen. Von der Anwendung des Zitiergebotes hat das BVerfG den Gesetzgeber weitgehend, und so auch für die Berufsfreiheit befreit, weil Art. 12 als Rege-

146

M/D/H/S-Herzog,

Art. 191, Rz.27.

157

A Berufsfreiheit

lungsauftrag formuliert sei und ein Bestehen auf der Einhaltung des Zitiergebotes eine bloße Förmelei darstellen würde 1 4 7 . Ein Verstoß gegen die Schranken-Schranken aus Art. 19 I GG liegt also nicht vor. Auch eine Verletzung der Wesensgehaltsgarantie (Art. 19 I I GG) kann relativ unproblematisch verneint werden. Auf die in der Rechtsprechung des B VerfG und der Literatur wenig gefestigte Interpretation dieser Vorschrift mit ihren unterschiedlichen Ansätzen 1 4 8 braucht dazu nicht näher eingegangen zu werden. Denn selbst wenn man es als Teil der Berufs- oder Wettbeweibsfireiheit ansähe, ein bestimmtes Produkt vermarkten zu können, wäre diese Möglichkeit mangels sonst noch erkennbarer Unterscheidbarkeit von Schutz- und Kernbereich des Grundrechts kaum dem Kernbereich zuzuordnen. Jedenfalls wäre für eine Verletzung des Wesensgehalts der Marktausschluß für ganze Marktsegmente oder Arzneimittelgruppen zu verlangen, so daß dem Hersteller die Arzneimittelproduktion an sich faktisch unmöglich würde. Da die Besonderheiten des Krankenversicherungsrechts beim Ausschluß ganzer Indikationsgruppen von der Verordnungsfahigkeit für diese Gruppen aber gerade erst zum Aufleben einer originären Marktfreiheit führen würde 1 4 9 , ist dieser Effekt und damit eine Verletzung des Wesensgehalts der Berufsfireiheit nicht zu befürchten.

3. Wesentlichkeitstheorie und Bestimmtheitsgrundsatz a) Verordnungsermächtigung

an den BMG

Sowohl bei der Negativliste nach bisherigem Recht, als auch für das Zustandekommen der Positivliste nach dem GSG spielt die Verordnung des BMG, in der die Unwirtschaftlichkeit nach § 34 I I I SGB V a.F. konkretisiert bzw. die Umsetzung der Vorschlagsliste nach § 92a SGB V n.F. erfolgt, eine wichtige

147

BVerfGE 64,72 (80); Schmidt-Bleibtreu/Klein,

Ait.19 Rz8.

148

Unterschieden werden können einmal die Zugrundelegung eines absoluten oder eines relativen Gnmdrechtskems, andererseits der Streit um die Zuordnung des Art. 19 I I zur sog. objektiv-rechtlichen Funktion der Grundrechte oder zum abwehrrechtlichen Gehalt. S. zu diesen Ansätzen Alexy, Grundrechtstheorie, S.267 und allgemein zu den Wesensgehaltstheorien Herbert, EuGRZ 1985,321; M/D/H/S-Maunz, Alt. 19 II; Bleckmann, Grundrechte, S. 380 ff. 149 Sofern eine gesamte Indikationsgrupp e betreffen ist und nicht etwa bestimmte Medikamente daraus in der Erstattungsfähigkeit verbleiben. Möglicherweise erklärt diese Sachlage, warum in allen Gesetzen so genau darauf geachtet wird, nicht die alternativen Therapiekcnzepte zu diskriminieren.

158

3. Kapitel: Arzneimittellisten und Herstellergrundrechte

Rolle. Auf die jeweilige Ermächtigungsgrundlage (§ 34 bzw. 34a SGB V) findet Art. 801GG unmittelbare Anwendung. Danach müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung bereits im Gesetz bestimmt werden. Bei Art. 80 handelt es sich um eine Folgerung aus Rechtsstaats- und Demokratieprinz i p 1 5 0 . Inhaltlich unterscheiden sich die Anforderungen an die jeweiligen Ermächtigungsgrundlagen daher kaum von denjenigen, die im Rahmen der vom BVerfG angewendeten Wesentlichkeitstheorie allgemein an die Ermächtigungen zu Grundrechtseingriffen gestellt werden 1 5 1 . Insbesondere sind danach auch die vom Gesetzgeber selbst vorzugebenden Kriterien von der möglichen Eingriffsintensität abhängig 152 . Unter dem Gesichtspunkt der (Gesamt)marktausschlüsse von Arzneimitteln einerseits und dem als sehr unbestimmt bezeichneten Kriterium der "Unwirtschaftlichkeit" in § 34 I I I SGB V andererseits ist die Vorschrift im Schrifttum als verfassungswidrig eingeschätzt worden 1 5 3 . Da die nähere Ausgestaltung in § 34 I I I 2 nur über ein "insbesondere" mit dem Unwirtschaftlichkeitskriterium verbunden ist, kann in der Tat ein Verweis auf Satz zwei der Vorschrift diese Bedenken nicht beseitigen. Indes steht heute außer Zweifel, daß dem Bestimmtheitsgrundsatz genügt ist, wenn Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung unter Heranziehung der allgemeinen Auslegungsgrundsätze einschließlich Sinnzusammenhang und Entstehungsgeschichte erkennbar s i n d 1 5 4 . Wie gezeigt, ist der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz aber in §§ 2 I, 12 I SGB V für das gesamte Recht der GKV normiert und hat in der Rechtsprechung und Literatur weitgehende Konkretisierung erfahren 155 . Damit sind Inhalt und Zweck der Ermächtigung hinreichend klar umschrieben. Kritischer könnte dies allenfalls für das Ausmaß der Ermächtigung gesehen werden, weil § 34 I I I S.l einerseits durch S.2 ("insbesondere") nicht abschließend umschrieben ist, und andererseits das allgemeine Wirtschaftlich-

130

M/DfH/S-Maunz,

Ait.80, Rz2; Ossenbühl, HdbStR HI, § 64 Rzl3,17; BVerfGE 73,388

(400). 151 Z.B. BVerfGE 82,209 (224 ff.); allgemein zur WesentlicbkeitsÜieorie Ossenbühl , HdbStR m , § 61, Rz.41 ff.; speziell zur Problematik des A l t 121 GG und Leistungsregelungen in der GKV Ebsen, ZSR 1992,328 (341). 152

Etwa BVerfGE 82,209 (227).

153

Schwerdtfeger,

Negativlisten, Fharmlnd. 51 (1989),21 (31).

134

S. nur Ossenbühl , HdbStR m , § 64, Rzl18 m. Nacfaw. aus der ständigen Rechtsprechung des BVerfG. 135

S. oben Kq>itel 1, B.I.2.d.aa.

A. Berufsfreiheit

159

keitsgebot durch den Ansatz des Satz 2 in der Substanz von einem streng individualbezogenen Prinzip hin zu einer Verobjektivierung verändert wird. Die Vorhersehbarkeit 156 der möglichen Inanspruchnahme ist dadurch in Frage gestellt. Demgegenüber wurde schon festgestellt, daß das Listenkonzept sich auf die Stufe einer Berufsausübungsregelung beschränkt 157 . Dies bringt es auch mit sich, bei Art. 80 GG keine überhöhten Anforderungen zu stellen 1 5 8 . Im Ergebnis sind die dargestellten Bedenken gegen die ausreichende Bestimmtheit des § 34 I I I SGB V a.F. daher gleichwohl nicht zu teilen. Was die Neuregelungen für die Positivliste betrifft, so taucht der Terminus der unwirtschaftlichen Arzneimittel nicht mehr auf, die Zielsetzung der Wirtschaftlichkeit ergibt sich nur noch aus der Gesetzesbegründung 159 und dem Verweis auf auf § 12 I SGB V. Statt der Verbindung über ein "insbesondere" regelt § 92a V n.F. die korrespondierenden inhaltlichen Kriterien jetzt direkt. In Verbindung mit der innerhalb dieser Kriterien vorgenommenen Klarstellung zum (nur) vergleichenden Charakter der Wirksamkeitsbeurteilung 160 ist dies ein Gewinn an Klarheit und Bestimmtheit in der Norm. Dazu kommt, daß über die Entstehungsgeschichte - bis auf die Klarstellung sind der Wortlaut von § 92a V Nrn. 1,2 n.F. und § 34 I I I 2 a.F. identisch - die voraussichtlich von der Nichtaufnahme in die Positivliste betroffenen Arzneimittel in der Regel erkennbar sein werden. Daher bestehen unter dem Blickwinkel der Bestimmtheit keine Bedenken gegen § 34a i.V.m. § 92a V SGB V n.F..

b) Beteiligung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen Nach bisherigem Recht oblag dem Bundesausschuß nur die Zusammenstellung der bereits durch die Rechtsverordnung des B M G ausgeschlossenen Arzneimittel zu einer Übersicht (§ 93 SGB V a.F.). Das GSG erweitert die Mitwirkungspflichten des Bundesausschusses dadurch, daß das bei ihm angesiedelte Institut "Arzneimittel in der Krankenversicherung" dem B M G eine wirk-

136

Zur Vorhersehbarkeit M/D/H/S-Marwnz, Ajt.80, Rz.33 iilw.N.

137

S. oben l.a.aa.

138

BVerfGE 33,125 (160); 82,209 (227).

139

BT-Drs. 12/3608, S.91.

160

S. dazu oben l.c.aa.

160

3. Kapitel: Armeiniittellisten und Herstellergrundredite

stoffbezogene Vorschlagsliste für seine Rechtsverordnung vorzulegen hat, die von diesem nur noch in rechtlicher Hinsicht überprüft wird. Die alte Aufgabe der Veröffentlichung der endgültigen Liste verbleibt nach § 92a V I I I n.F. beim Bundesausschuß. Auf diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Bedenken, die gegen die Arzneimittelrichtlinien 161 und die Festbetragsregelung 162 unter dem Gesichtspunkt verfassungswidriger dynamischer Verweisungen vorgebracht worden sind, in entsprechender Weise auch gegen das Positivlistenkonzept eingewandt werden können. Der Kern dieser Problematik ist die Frage, wieviel (ggf. verdeckte) Verlagerung von Gesetzgebungsbefugnissen dem demokratischen Gesetzgeber möglich i s t 1 6 3 . Hierbei ist zuerst darauf hinzuweisen, daß es sich beim Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen nicht um ein Selbstverwaltungsorgan handelt, dessen Delegation zur eigenständigen Satzungsgebung durch den Gesetzgeber unter erleichterten Voraussetzungen möglich i s t 1 6 4 . Das ergibt sich einerseits aus seiner Zusammensetzung (§ 91 I I SGB V), die nicht nur unparteiische (und damit ganz verbandsfremde) Mitglieder einschließt, sondern schon durch die Beteiligung sowohl der Ärzte als auch der Kassen über ein Selbstverwaltungsorgan im eigentlichen Sinne hinausgeht. Andererseits ist aber auch die Aufgabenstellung, die sich im grundrechtsrelevanten Bereich Dritter, etwa der Pharmahersteller bewegt, zu weit, als daß noch von der (bloßen) Wahrnehmung eigener körperschaftlicher Aufgaben gesprochen werden könnte 1 6 5 . Jedoch ergibt sich die Unbedenklichkeit der Einbeziehung des Bundesausschusses bzw. des Arzneimittelinstituts daraus, daß diese Einbeziehung nur als Rückgriff auf externen Sachverstand bei letztverantwortlicher Entscheidung durch den B M G zu werten i s t 1 6 6 . Zwar ist das LSG Essen in einer Entscheid u n g 1 6 7 zur Verordnung aufgrund § 34 I I I SGB V a.F. davon ausgegangen, daß diese ohne die (damals noch fehlende) Übersicht über die einzelnen be-

161

Hill , NJW 1982,2104; der Sachenach ähnlich Küchenhoff,

162

Manhardt , Festbetragsregelung, S.78 ff.

163

BVerfGE 47,285 (312 f.).

NJW 1980,1890.

164

Nach BVerfOE 33,125 (157) - A . A , (Lh. mit der Ansicht, der Bundesauschuß sei ein solches Selbstverwaltungsorgan, Bilski/Kirsch/Sendler, SGb 1986,359 (360). 163 Ebenso Manhardt, Festbetragsregelung, S.85 ff; Hill , NJW 1982,2104 (2105); Ebsen, ZSR 1992,328 (340) jeweils ülw.N. 166

Vgl. Küchenhoff,

167

FhR 1991,295.

NJW 1980,1890 (1891).

A Berufsfreiheit

161

troffenen Arzneimittel für die Ärzte noch gar nicht anwendbar sei. Hieraus könnte man die Einschätzung ableiten, bereits die Erstellung der Übersicht sei eine (unzulässige) eigenständige Rechtssetzung durch den Ausschuß. Dabei muß man aber den Unterschied zwischen anwendenden Ärzten, die möglicherweise wirklich die Liste mit den Präparatenamen brauchen, um sinnvoll arbeiten zu können, und den Arzneimittelherstellern beachten. Letzteren dürfte es keine Schwierigkeiten bereiten, anhand der in der Verordnung j a detailliert aufgeführten Wirkstoffe zu beurteilen, welche ihrer Präparate letztendlich namentlich auf der Liste auftauchen werden. Außerdem hat das B V e r f G 1 6 8 auch allgemeine Zweifel an der Einschätzung des LSG Essen angemeldet. Gegen die Verweisung auf die Zusammenstellung durch den Bundesausschuß in § 93 SGB V a.F./ § 92a V I I I SGB V n.F. bestehen daher ebenfalls keine durchgreifenden Bedenken. Dasselbe gilt auch für die Aufgabe der Erstellung der Vorschlagsliste schon deshalb, weil § 34a n.F. den B M G nicht an die Vorschlagsliste bindet, sondern ihn zur Prüfung "ihrer Vereinbarkeit mit den in § 92a aufgestellten Voraussetzungen und anderen Rechtsvorschriften" verpflichtet. Damit geht die Vorschrift über die Institutionalisierung der Beratung durch externe Sachverständige nicht hinaus. Gegen die §§ 34 I I I bzw. 34a, 92a SGB V bestehen also keine Einwände aufgrund des Bestimmtheitsgrundsatzes und der Wesentlichkeitstheorie.

4. Vertrauensschutz 169 Abschließend ist zu prüfen, ob die von der Aufnahme in die Negativliste bzw. der Nichtaufnahme in die Positivliste betroffenen Hersteller etwa durch eine unzulässige Rückwirkung des GRG oder des GSG in ihrer Berufsfreiheit verletzt werden. Sachlicher Kern ist unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes die Frage, ob die Leistungserbringer die sich ihnen systemimmanent in der GKV 168

Im zitierten Niditamiahmebeschluß, NJW 1992,735 (735 f.).

169

Systematisch mag die Prüfung des Rückwiikungsverbots bzw. des Grundsatzes des Vertrauensschutzes als Schranken-Schranke ungewöhnlich sein. Es ist aber gerade ein wichtiger Effekt der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 2 I GG, daß staatliche Verletzungen des Grundsatzes mittels einer auf die allgemeine Handlungsfreiheit gestützten Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden können (BVerfGE 49,168 (185); Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz.141). Da aus Spezialitätsgründen eine eigene Prüfung des Art. 2 I GG hier nicht in Betracht kommt, ist der Gesichtpunkt bei der Berufsfreiheit aufzunehmen. 11 Philipp

162

3. Kapitel: Arzneimittellisten und Herstellergrundrete

bietenden Möglichkeiten auch für die Zukunft einfordern können. Der Vertrauensschutzgrundsatz ist systematisch dem Rechtsstaatsprinzip zuzuordn e n 1 7 0 , soweit er nicht seine spezielle Ausprägung in Art. 14 GG gefunden h a t 1 7 1 . Damit ist einerseits zu prüfen, ob die Möglichkeit einer solchen Leistungserbringung als Eigentum geschützt ist und bejahendenfalls, ob das Listenkonzept den daraus sich ergebenden verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Dies soll gesondert unter der Überschrift einer möglichen Eigentumsbeeinträchtigung geschehen 172 . Andererseits kann der Grundsatz des Vertrauensschutzes aber auch im Rahmen des Art. 12 I GG als zusätzliche Schranken-Schranke eigene Bedeutung erlangen 173 . Aus der genannten Kernfiragestellung ergibt sich bereits eine wichtige Folgerung. In der in der Rechtsprechung des BVerfG gebräuchlichen Unterscheidung zwischen echter und unechter Rückwirkung 1 7 4 kann es sich bei den Arzneimittellisten nur um eine unechte handeln, weil nicht etwa auf abgeschlossene Sachverhalte eingewirkt wird (etwa dergestalt, daß Patienten nachträglich zur Bezahlung bereits als Sachleistung gewährter Arzneimittel verpflichtet würden), sondern es um die Verordnungsfahigkeit in der Zukunft geht. Solche unechten Rückwirkungen gelten als im Grundsatz zulässig und sind nur dann ausnahmsweise anders zu beurteilen, wenn die Betroffenen in ihrem berechtigten Vertrauen auf ein Fortbestehen der bisherigen Regelung enttäuscht werden und dieses Vertrauen auch in Abwägung mit den von der Neuregelung verfolgten Gemeinwohlzwecken als schutzwürdig erscheint 175 . Hier ist nun beachtlich, daß Arzneimittel noch nie völlig automatisch und voraussetzungslos in der GKV verordnungsfahig waren. Vielmehr galt von jeher der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz der §§ 182 II, 368e RVO. Hierher (und nur hierher) gehört deshalb der Gegeneinwand gegen verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Listen, diese regelten gar nichts Neues 1 7 6 . Soweit ein bestimmter 170 VM/Kunig-Schnapp, Art.20, Rz:27; BVerfGE 13,261; 72,175 (196) und öfter, für weitere Nachweise s. Maurer , HdbStR m , § 60, Rz. 17 ff. 171

So Maurer, HdbStR HI, § 60, Rzl45 und BVerfGE 36,281 (293); 71,141 (154).

172

S.u. B.

173

Maurer , HdbStR m , § 60, Rz46 mw.N.; BVerfGE 72,141 (154).

174

Seit E 11,139 (145 f.); s. auch vM/Kumg-Schnapp , Art.20 Rz.27. - Die Änderung in der Terminologie, die sich teilweise abzeichnet (E 63,343 (353 f.); 72,200 (241 ff.)), hat sachlich keine Änderungen zur Folge, s. Maurer , HdbStR m , § 60, Rz. 15. 173 176

Etwa BVerfGE 72,175 (196).

Hart/Hilken/MerkelAVoggan, SGb 1986,359 (361).

Recht des Arzneimittelmaikts, S.278; Bilski/Kirsch/Sendler,

A. Berufsfreiheit

163

Verordnungsumfang also nur deshalb erreicht wurde, weil es an einer konsequenten Umsetzung des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes (und den Instrumenten dazu) fehlte, kann sich kein Arzneimittelhersteller darauf berufen, es bestehe ein berechtigtes Vertrauen auf diesen Verordnungsumfang. Geht man auch hier davon aus, daß die Positivliste mit den geplanten Ausnahmerregelungen dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz entspricht 177 , so scheidet eine Vertrauensverletzung durch das neue Konzept insgesamt aus. Übrig bleibt damit nur noch der globale Markt- bzw. Verordnungsausschluß durch die Negativliste, der über eine strikte, aber einzelfallbezogene Anwendung des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes hinausgeht. Aber auch davon ist nach der Negativliste nur eine vergleichsweise geringe Anzahl von Mitteln betroffen, weil § 4 der Verordnung aufgrund § 34 I I I SGB V 1 7 8 den Anwendungsbereich j a faktisch auf Altarzneimittel beschränkt, die nur eine Fiktivzulassung nach dem A M G haben. Nachdem das aktuelle A M G über 15 Jahre alt ist, wird sich auf den Besitz einer solchen Fiktivzulassung aber ebenfalls kein Vertrauensschutz stützen lassen, auch nicht für den GKV-Markt. Falls es überhaupt noch Mittel geben sollte, die darüberhinaus nennenswert betroffen sind, so wird die Kompetenz des Gesetzgebers, in Bagatellbereichen den Vertrauensschutz zu übergehen 179 , nicht einmal herangezogen werden müssen. Denn es geht im vorliegenden Zusammenhang nicht darum, eine echte Rückwirkung zu legitimieren, sondern um eine im Grundsatz j a zulässige unechte Rückwirkung. Anzumerken an vorstehende Ausführungen ist allerdings, daß dabei die Beschränkung der (inneren) staatlichen Zielsetzung auf die Durchsetzung des Wirtschaftlichkeitsgebots vorausgesetzt wurde. Eine außersozialversicherungsrechtliche Zielsetzung wäre wegen des Entfallens des Gesichtspunktes des ohnehin bestehenden Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes möglicherweise anders zu beurteilen.

5. Zusammenfassung Festgehalten werden kann nach allem, daß sich unter freiheitsrechtlichen Gesichtspunkten keine grundsätzlichen Einwendungen gegen den Listenansatz ergeben. Dessen Möglichkeiten enden aber dort, wo in nicht erforderlicher 177

S. oben l.b.cc.

178

S. oben Kapitel 1, B.H.2.f.aa

179

Maurer, HdbStR m , § 60, Rz.37 und BVerfGE 30,367 (389 f.); 72,200 (259).

164

3. Kapitel: Arimittellisten und Herstellergrundrechte

Weise Arzneimittel zweimal unter identischen Gesichtspunkten einer Prüfung unterzogen und wo entgegen dem Wirtschaftlichkeitsgebot Mittel auch in Ausnahmefallen nicht mehr als verordnungsfahig eingestuft werden.

I V . Verstoß gegen das grundrechtliche Teilhaberecht aus Art. 12 I i.V.m. A r t 3 I G G ? Im letzten Prüfüngsschritt bleibt zu fragen, ob die Listenregelungen den Anspruch der Arzneimittelhersteller auf gleiche Marktzugangschancen, der sich ebenfalls in der Folge ihrer Abhängigkeit vom System ergibt, in ausreichender Weise umsetzen. Bereits bei der Herleitung des Teilhaberechts 180 wurde darauf hingewiesen, daß das B V e r f G 1 8 1 grundsätzlich die Argumentation mit einem Teilhaberecht aus Art. 12 I in Verbindung mit Art. 3 I GG, auf der das Gutachten von Schwerdtfeger wesentlich beruht, gebilligt hat und auf nachgeordneter Ebene die bejahte Ungleichbehandlung mit der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers gerechtfertigt hat. Ob der Einwand der Typisierungsbefugnis durchschlagen könnte, ist recht zweifelhaft. Zwar ist eine generelle und weitgehende Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers als sachnotwendiges Element der Gesetzgebung anerkannt 182 . Das BVerfG selbst hat aber in neueren Entscheidungen die Voraussetzungen der Tolerierung von Gleichheitsverstößen über diesen Weg dahingehend konkretisiert, daß es sich zum einen um Massenerscheinungen handeln müsse, zum anderen nur eine relativ kleine Anzahl von Personen betroffen sein dürfe. Der Verstoß dürfe darüber hinaus nicht sehr intensiv sowie nur unter Schwierigkeiten vermeidbar sein 1 8 3 . Diese engen Kriterien, deren Vorliegen hier doch fraglich ist, wendet der Vorprüfungsausschuß aber ausdrücklich nicht an, ohne sein Abrücken davon zu begründen. Problematisch an Schwerdtfegers Ansatz ist dagegen schon die Annahme, daß eine rechtlich relevante Ungleichbehandlung vorliege. Natürlich ist es auch eine Folge der Positiv-/Negativliste, daß manche Hersteller stark betroffen sind, andere dagegen kaum. Rechtlich aber werden alle Hersteller gleich 180

Oben I.4.f und 1.5.

181

Vorprüfungsausschuß, NJW 1992,735 (736).

182 Allgemein Kirchhof, HdbStR V, § 124 Rz293 ff.; speziell für das Sozialrecht Rüfher, HdbStR m , § 80 Rz.97 und Schulin, Probleme der Typisierung, S.78 ff. 183

BVerflGE 63,119 (128); 79,87 (100).

A. Berufsfreiheit

165

getroffen, denn für alle (nach A M G zugelassenen) Medikamente gelten die gleichen, abstrakt formulierten Voraussetzungen des § 34 (bzw. § 34a n.F.) SGB V. Beim Gleichheitssatz kann es auf eine Gleichstellung der Rechtsunterworfenen im tatsächlichen Ergebnis nur bedingt ankommen 1 8 4 . Die Ungleichbehandlung verschiedener Hersteller wird von Schwerdtfeger aber gerade als faktisches Sonderopfer 185 begründet, nicht als eine rechtliche Differenzierung. Es mag auf den ersten Blick überraschen, wenn bei den Freiheitsrechten (begrenzt) für eine Öffnung des EingrifEsbegriffs samt dem Erfordernis der Rechtlichkeit eingetreten wurde, beim Gleichheitssatz dagegen auf diesem formalen Kriterium beharrt wird. Immerhin hat das B V e r f G 1 8 6 in Einzelfallen auch faktische Gleich- bzw. Ungleichbehandlungen gerügt. Begründen läßt sich diese Abweichung aber mit dem grundsätzlichen Unterschied zwischen Freiheits- und Gleichheitsrechten. Da letztere keinen Schutzbereich haben, ist die Idee einer vom Rechtlichkeitserfordernis losgelösten Gleichbehandlung zugleich die von einer Aufhebung aller menschlichen Unterschiede. Auch das BVerfG hat in den genannten Entscheidungen verlangt, daß es sich bei den faktisch ungleich Behandelten um eine nach objektiven Kriterien abgrenzbare Untergruppe der Betroffenen handeln müsse 187 . Das Listenkonzept vermeidet aber derartige Differenzierungen. Vielmehr ergibt sich die Abgrenzbarkeit der betroffenen Arzneimittelhersteller erst aus den Listenauswirkungen selbst, nicht aber aus bereits vorher gegebenen (objektiven) Merkmalen. Ein solches objektives Kriterium könnte freilich die Ausrichtung eines Herstellers auf bestimmte Arten von Arzneimitteln, etwa einer alternativen Therapierichtung, sein. Aus dem Recht auf gleichen Zugang auch zum bestehenden GKV-Markt lassen sich deshalb durchaus Vorgaben für die Ausgestaltung von Ausschlußregelungen entnehmen. Sollten etwa gezielt die besonderen Therapierichtungen ausgeschlossen werden, so müßte der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber sich auf einen sachlichen Grund für diese Ungleichbehandlung stützen können. Einzuwenden gegen Schwerdtfegers Lösung ist damit nicht die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers, sondern der Unterschied zwischen Menschen und Produkten (hier Medikamenten). Während es beim n.c. - Urteil des BVerfG um den Zugang von Grundrechtsträgern, die in ihrer Person die all-

184 Zum Erfordernis der rechtlichen Ungleichbehandlung Pieroth/Schlink, Stein, Staatsrecht, § 26 m 2 und Stober, Handbuch, § 35 m (S.521). 183

Schwerdtfeger,

186

BVerfGE 30,292 (326fif.), ebenso in DtZ 1991,91 (93).

187

BVerfGE 30,292 (327).

Negativlisten, Fhann.Ind.51 (1989),21 (27).

Grundrechte, Rz.500;

166

3. Kapitel: Arzneimittellisten und Herstellergrundrechte

gemeinen Zulassungsvoraussetzungen erfüllten, zu einer staatlichen Einrichtung ging, können für einzelne Arzneimittel, mögen sie auch als Produkte die Zulassung nach dem A M G haben, nicht ohne Begründung dieselben Maßstabe angelegt werden. Einem Arzneimittelhersteller wäre, unter dem oben bezüglich der besonderen Therapierichtungen gemachten Vorbehalt, auch bei Ausschluß sämtlicher seiner Medikamente nicht jegliche Berufsausübung unmöglich - mit anderen Arzneimitteln würde er selbstverständlich die Verordnungsfahigkeit seiner Produkte beanspruchen und seinen Beruf ausüben können. Dagegen ist einem Schulabgänger, der Arzt werden will, ohne Medizinstudienplatz dieser Beruf ganz verschlossen. Auch das BVerfG hat in späteren, ausführlichen Entscheidungen zu so gelagerten Fällen auf die n.c.-Rechtsprechung nicht zurückgegriffen, dies gilt besonders für das Recht der G K V 1 8 8 . Unter dem Gesichtspunkt einer Typisierung als Monopol unterscheidet sich die Listenproblematik zudem dadurch vom Studienplatzmonopol, daß es sich um ein Nachfiragemonopol handelt, das sich, wie gezeigt, zwar ebenfalls auf die Berufsfreiheit auswirkt, aber in anderer Weise und Intensität als ein Angebotsmonopol 189 . I m Ergebnis ist damit dem B V e r f G 1 9 0 zuzustimmen, wenn es die Argumentation mit Art. 12 I i.V.m. 3 I GG nicht zum Zuge kommen läßt. Festzuhalten ist zwar die grundsätzliche Anwendbarkeit des Art. 3 im Rahmen von Leistungsausschlüssen von der GKV. Weil die Regelung des § 34 I I I (bzw. 34a n.F.) SGB V nicht an die Person des Leistungserbringers, sondern an sein Produkt anknüpft, kann ein Verstoß hiergegen jedoch nicht festgestellt werden. Eine echte Ungleichbehandlung liegt dagegen darin, daß nicht alle, sondern nur ein begrenzter Teil der nach dem A M G zugelassenen Arzneimittel überhaupt an den Kriterien für die Negativliste gemessen wurde 1 9 1 . Dieses Defizit

188 Vgl. E 68,193. Gegen diesen Rückgriff etwa audi Zimmerling/Jung , NJW 1988,2934 (2935) zum Kassenarztrecht. 189 Grundsätzlich sind Angebotsmonopole als Steigerung einer objektiven Zulassungsschranke im Rahmen der Berufsfreiheit der strengsten denkbaren Nachkontrolle zu unterziehen, weil der betreffende Beruf von Privaten überhaupt nicht mehr ausgeübt werden kann (RBreuer , HdbStR V, § 148 Rz.62). Das trifft aber schon für die n.c.-Rechtsprechung nicht zu, weil es dort nicht um die Anbieter, sondern um die Nachfrager von Ausbildungsplätzen ging. Auch diese waren aber in ihrer Berufswahlfreiheit direkt betroffen, während staatliche Nachfrage zunächst immer an die Berufsausübung anknüpft (1 Wallerath , Öffentliche Bedarfsdeckung, S.101 f. für die Nachfrage durch die GKV und S.274 f. zum Eingriff in Art. 121 GG dadurch). 190

Voiprüfungsaussdiuß, NJW 1992,735 (736).

191

S. Waldeck, BKK 1991,849 (849 f.) zum Verfahren der Erstellung der Negativliste.

B. Eigentumsfreiheit

167

wird sich freilich möglicherweise dadurch rechtfertigen lassen, daß keine umfassendere Datenbank als die der Apothekervereinigung mit ihren 28000 Mitteln verfügbar war. Weil die Datenbank gerade die gebräuchlichsten Mittel enthielt, könnte hier ein Fall der Typisierungsbefugnis vorliegen. Außerdem bietet die geplante Positivliste hier Aussicht auf Besserung: Da alle Hersteller ein Interesse daran haben werden, ihre Medikamente auf die Positivliste zu bekommen, werden unberücksichtigte Mittel wohl von alleine gemeldet werden.

B. Eigentumsfreiheit I. Vorbemerkungen zu A r t 14 G G Im Gegensatz zu anderen Freiheitsrechten des GG, deren Schutzbereiche direkt bestimmte menschliche Tätigkeiten betreffen, ist die Eigentumsgarantie in Art. 14 komplizierter strukturiert. Eigentum ist schon der Sache nach eine rechtlich ausgestaltete Beziehung zwischen dem Eigentumsträger (Subjekt) und dem Eigentumsgegenstand (Objekt) 1 9 2 . Abgesehen von der meist unproblematischen Frage danach, wer überhaupt Eigentumsträger sein kann, ist bei der Prüfung, ob eine bestimmte Position oder Betätigungsmöglichkeit unter den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff fallt, demnach zu unterscheiden, ob die Position selbst als Eigentumsobjekt in Betracht kommt, oder aber zwar kein eigenständiges Eigentumsobjekt ist, aber als Teil der Beziehung zwischen Eigentümer und einem anderen, mit der Position zusammenhängenden Objekt gleichwohl einen begrenzten grundrechtlichen (Eigentums)schutz genießen kann. Die Einbeziehung beider Aspekte in den Schutzbereich des Art. 14 GG (oder den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff) kann zu Überschneidungen führen, weil nicht nur Grund- und Sacheigentum nach Privatrecht, sondern auch Vermögenswerte Rechte des privaten wie des öffentlichen Rechts als Eigentumsobjekte anerkannt werden 1 9 3 . Solche Rechtsstellungen können zugleich auch Ausfluß von Eigentum an gegenständlichen Dingen oder auch an anderen Rechten sein, insbesondere sich als deren Nutzung 1 9 4 darstellen. Trotzdem

192

S. Böhmer, NJW 1988,2561 (2566).

193

Z.B. BVerfGE 31,229 (239 f.) für das Urheberrecht, allgemein Pieroth/Schlink,

Rz.999. 194

Zur Nutzungsbefugiiis im Rahmen des Eigentumsbegriffs näher unten II. 1 .b.

Grundrechte,

168

3. Kapitel: Arzneimittellisten und Herstellergrundrechte

ist die Unterscheidung zwischen Eigentumsobjekt und der rechtlichen Strukturierung der Beziehung des Eigentümers zu ihm, namentlich der jeweils bestehenden Befugnisse zur Verwendung, sinnvoll. Anderenfalls zerflösse, die Abgrenzbarkeit des im Kern gegenstandsorientierten Eigentumsrechts zu anderen, tätigkeitsbezogenen Grundrechten. Dies zeigt auch das Verhältnis des Art. 14 zu Art. 12 GG. Im Grundsatz schützt Art. 14 das Erworbene, Art. 121 den Erwerb 1 9 5 . Zu Überschneidungen kommt es erst, weil der Eigentumsbegriff auch die Nutzungsbefugnisse des Eigentümers, also Tätigkeiten umfaßt 1 9 6 . Die Anwendbarkeit des Art. 14 GG neben der Berufsfreiheit kann aus diesem Grund auch dann für den vorliegenden Fall nicht von vorneherein ausgeschlossen werden, wenn Tätigkeiten wie der Verkauf von Arzneimitteln betroffen sind. Im Anschluß an einen Überblick über die in Literatur und Rechtsprechung bisher vertretenen Zuordnungen von Arzneimittellisten und grundgesetzlicher Eigentumsgarantie (II. 1) wird untersucht, ob eine Beeinträchtigung des Schutzbereichs der Eigentumsfireiheit durch die Listen auf eine die aktuelle Marktposition oder doch den Marktzugang schützende Stellung des jeweiligen Arzneimittelherstellers gegründet werden kann (als eigenes Eigentumsobjekt, II. 2), oder ob eine solche Beeinträchtigung sich indirekt aus Einschränkungen eigentumsrechtlich garantierter Tätigkeiten ergibt (II.3). Dabei ist der durchgehenden Unterscheidung von Marktzugang und Marktposition Beachtung zu schenken. Während erstere nur die abstrakte Möglichkeit zum Verkauf von Arzneimitteln meint, ist unter letzterer ein bestimmter Verkaufserfolg zu verstehen.

I L Schutzbereich 1. Grundlinien in der Literatur zum Leistungserbringungsrecht in der GKV bzw. zum Arzneimitteln! arkt Ein Bezug der Negativ-/Positivliste zur Eigentumsfreiheit wird in der Literatur und auch in der Rechtsprechung dazu bzw. zu den Vorläuferinnen fast durchweg gesehen und mehr oder minder ausführlich abgehandelt. Im wesentlichen können dabei fünf Grundpositionen unterschieden werden.

195

S.BVerfGE 30,292 (335).

196

Ossenbühl , AÖR 115 (1990),1 (25).

169

B. Eigentumsfreiheit

a) Schutzbereich gar nicht betroffen Wie schon im Zusammenhang mit Art. 12 zieht die Sozialgerichtsbarkeit auch dem Eigentumsgrundrecht der Leistungseibringer die engsten Grenzen. Die Leistungseibringungsregeln des Krankenversicherungsrechts beträfen allenfalls die Marktchancen der jeweiligen Unternehmer, diese aber seien weder unmittelbar von Art. 14 GG, noch auf dem Umweg über ein Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb geschützt 197 . Das Eigentumsgrundrecht stelle deshalb keinen Prüfungsmaßstab dar.

b) Betroffenheit des Schutzbereichs unter Betonung des Rechts auf Eigentumsausnutzung Eine Ansicht in der Literatur bejaht die Einschlägigkeit des Schutzbereichs der Eigentumsfreiheit, weil Art. 14 auch die Nutzungen des Eigentums garantiere 1 9 8 . Auf das jeder Nutzung zugrundeliegende Eigentumsobjekt wird nicht näher eingegangen; es bleibt insoweit bei dem Hinweis, daß Arzneimittel unter ganz erheblichem Einsatz von Kapital und Arbeitskraft entwickelt würden. Damit aber seien die konstitutiven Merkmale des Eigentumsbegriffs bereits erfüllt 199.

c) Subjektiv-öffentliches

Recht auf Marktzugang

Ein weiterer, besonders von Denninger 2 0 0 vertretener Ansatz geht dahin, den Vorschriften der §§ 21 ff. A M G nicht bloß ein subjektiv-öffentliches Recht auf Erteilung der Zulassung bei Vorliegen der Voraussetzungen zu entnehmen, sondern der Zulassung ein Recht auf Marktzugang. Dieses sei als subjektiv-öffentliches Recht auch durch Art. 14 GG geschützt, weil dem Inhaber durch den Zulassungstatbestand eine Rechtsposition verschafft werde, die 197 BSGE 67,251 (255) für nichtärztliche Gesundheitsleistungen; ebenso LSG Essen, PhR 1991,295 (298) zur Negativliste. 198 Sodan, SGb 1992,200 (206); ähnlich ders., Wirtschaftslenkung, S.71 ff.; auch Schwerdtfeger, Negativlisten, FharmJnd. 51 (1989),21 (31) 199 Sodan, SGb 1992,200 (206); offenlassend Schwerdtfeger, (1989),21 (31).

Negativlisten, PharnLlnd 51

200 Denninger, Armeimittel-Richtlinien und Verschreibungsßhigkeit, S.20 f.; 58 ff. und ders. NJW 1981,619 (620); ebenso Küchenhoff, SGb 1979,89 (96).

3. Kapitel: Arzneimittellisten und Herstellergrundrechte

170

deijenigen eines Eigentümers nahekomme. Die Arzneimittelentwicklung setze zudem den Einsatz privater Arbeitskraft und privaten Kapitals voraus 2 0 1 . Dieser Einschätzung wollte sich anscheinend auch das BVerfG in seinem bereits mehrfach zitierten Nichtannahmebeschluß 202 anschließen. Die Zulassung nach dem A M G gebe ein Recht auf Marktzugang, ob es sich dabei um Eigentum handele, hänge davon ab, ob eine eigene Leistung zugrundeliege. Letztere Frage läßt das Gericht offen, da auf die Rechtsposition nach A M G § 34 SGB V als Inhalts- und Schrankenbestimmung in jedenfalls zulässiger Weise einwirke.

d) Marktstellung oder -Zugang als Teil des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs Ungeachtet der Zweifel, die das BVerfG zur Rechtsfigur des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs im Zusammenhang mit Art. 14 GG wiederholt geäußert h a t 2 0 3 , zieht eine vierte Meinung die Garantie von Marktstellung oder doch Marktzugang auf diesem Weg in Betracht. Allerdings wird, weil für eine Betroffenheit des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs eine Substanzverletzung vorliegen muß, auf die Auswirkungsschwere im jeweiligen Einzelfall verwiesen 204 .

e) Marktstellung

als eigene Rechtsposition

Schließlich wird vertreten, die Maiktstellung eines Arzneimittels genieße schon für sich, zumal wenn der Einsatz von Kapitalkraft und Eigenleistung berücksichtigt werde, Eigentumsschutz als eigene Rechtsposition 205 .

201 Denninger, Arzneimittel-Richtlinien, S.57 f., akzeptierend Schwerdftfeger Pharm.Ind. 51 (1989),21 (31), anders aber noch ders ., Bindungswirkung, S.65 f. 202

NJW 1992,735 (736 f.).

203

Dazu s.u. 2.b.

, Negativlisten,

204

Glaeske/Schefold, Positivliste, S.131 f.; auch Denninger , Arzneimittel-Richtlinien, S.60 f.; Hart/Hilken/Merkel/Woggan, Recht des Arzneimittelmarktes, S.277; bqahend jetzt auch Schwerdtfeger , Negativlisten, Pharm.Ind. 51 (1989),21 (31), a.A aber noch ders ., Bindungswirkung, S.66 f. 203

Mayer, PhR 1991,300 (301); ähnlich Schwerdtfeger reits vor der Zulassung.

, Bindungswirkung S.65 f.: Eigentum be-

B. Eigentumsfreiheit

171

2. Zu den denkbaren Eigentumsobjekten Aus den bisherigen Darlegungen ergibt sich, daß die Vermarktung oder Vermarktbarkeit eines zugelassenen Arzneimittels entweder als eigenständiges Eigentumsobjekt (sei es allein oder sei es als Teil der Zulassung oder des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb) oder als Nutzung mit dem Arzneimittel verbundener Eigentumspositionen (Sacheigentum, Patent, Zulassung) Eigentumsschutz genießen kann. In der Literatur werden insoweit voneinander abweichende Ansätze vertreten. Hier soll nun zunächst auf Möglichkeiten eingegangen werden, Marktposition (a,b) oder Marktzugang (c) als eigene Eigentumsöbjekte zu qualifizieren.

a) Marktstellung

als Rechtsposition eigener Art ?

A m deutlichsten wäre dieser Eigentumsschutz, wenn in der Marktposition eines Arzneimittels selbst die für den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff konstituierenden Merkmale vorlägen 2 0 6 . Die Entwicklung, die Herstellung und der Vertrieb von Arzneimitteln sind höchst aufwendige Vorgänge, denen wesentlich der Einsatz von Kapital und Arbeitskraft seitens der jeweiligen Unternehmen zugrundeliegen, wie auch einheitlich anerkannt wird. Es ist richtig, daß diese Kriterien vom BVerfG als Voraussetzungen für die Anerkennung einer Position als Eigentum aufgestellt worden sind 2 0 7 . Gleichwohl reicht dies für die Bejahung von "Eigentum" noch nicht aus. Denn nach allgemeiner Ansicht sind bloße Chancen und Verdienstmöglichkeiten vom Eigentumsbegriff nicht umfaßt. Nach dem Grundgesetz ist Eigentum dasjenige, was der einfache Gesetzgeber als solches anerkennt (Art. 14 I 2 G G ) 2 0 8 . Diese Unterscheidung findet ihren Grund darin, daß bloße Chancen und Möglichkeiten von solchen (verdichteten) Rechtspositionen abgegrenzt werden müssen, die dem grundrechtlichen Schutz der Verfassung unterstehen sollen. Um als Eigentumsobjekt anerkannt zu werden, müßte die Marktposition von Arzneimitteln also einfachgesetzliche Anerkennung gefunden haben.

206

Das behauptet Mayer, PhR 1991,300 (301).

207

BVerfGE 14,288 (293); 58,81 (112) sowie darstellend Leisner, HdbStR VI, § 149 Rz85 ff.

208

Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz995; Schock, Jura 1989,113 (115 f.); AK -Rittstieg, Art. 14/15, Rz55 f.; auch Leisner, HdbStR VI, § 149 Rz57 f.

172

3. Kapitel: Arznehmttellistcn und Herstellergrundrechte

Ein Nichtverbotensein der Vermarktung reicht hierfür nicht aus 2 0 9 . Das leuchtet schon deshalb ein, weil sonst ein Großteil der allgemeinen Handlungsfreiheit auf Art. 14 verlagert würde 2 1 0 . Gegen den Staat kann der Bürger also nur solche Stellungen als Eigentum verteidigen, die sich zur Rechtsposition verdichtet haben 2 1 1 . Eine derartige, besonders auf die Marktposition von Arzneimitteln gemünzte Rechtsposition ist aber nicht ersichtlich, ein eigenständiger Schutz der Marktposition von Arzneimitteln deshalb abzulehnen. Zwar ist das Arzneimittel zweifellos Gegenstand verschiedener Rechtspositionen, neben der Zulassung etwa Gegenstand des Patentrechts 212 , die teilweise nach der Rechtsprechung des BVerfG auch Eigentumsschutz genießen 213 . Aber ebensowenig das Patentgesetz (vgl. § § 9 - 1 1 PatG) neben dem negativen Ausschluß Dritter von der Vermarktung ein positives Recht auf eigene Vermarktbarkeit begründet, ist der Zulassung die Garantie eines bestimmten MaikXerfolges zu entnehmen214.

b) Marktposition als Teil des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb

?

Ist die positive Marktstellung eines Mittels nicht selbst von eigentumsgrundrechtlicher Bedeutung, so liegt es nahe, sie (oder wenigstens ein allgemeines Marktzugangsrecht) als Teil des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu begreifen. Die Auswirkungen der Negativ-/Positivliste be-

209

BVerfGE 68,193 (222) und, ausdrücklich, BVerfG (Vorprüfungsausschuß), NJW 1992,36

(37). 210

Für eine eingehendere Begründung s. vJBrünneck, Eigentumsgarantie, S.393.

211

Auch wenn der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff mit dem des BGB nicht kongruent ist, fällt hier die Parallele zu § 823 I BGB auf, der ja auch nur die Verteidigung bestimmter verfestigter (absoluter) Rechte ermöglicht. 212

Ein vollständiger Überblick findet sich bei Deutsch , Arztrecht und Arzneimittelrecht, S.397 -

409. 213 214

Vgl. BVerfGE 31,229 (238 f.).

Allerdings könnte die Zulassung ein allgemeines Msnfclzugangsredit (ohne Erfolgsgarantie) nach dem Wortlaut durchaus gewähren. Zur dann relevanten Frage, ob dieses Recht zugleich unter Art. 14 GG fällt, s.u. c.bb.

B. Eigentumsfreiheit

173

treffen beispielsweise ohne Zweifel den Kundenstamm 215 der betroffenen Unternehmen. Die eigenständige Bedeutung dieser Rechtsfigur wird - entgegen fast allgemeiner Anerkennung in der Literatur 2 1 6 - vom BVerfG allerdings in den letzten Jahren immer wieder bezweifelt: Der Schutz des Gewerbebetriebs könne nicht weiter reichen als der, den seine wirtschaftliche Grundlage genieße 217 . Diese Formulierung kommt einer Aufgabe der Figur im verfassungsrechtlichen Kontext gleich, weil das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eben nur dann einen Sinn hat, wenn sein Schutz über das Eigentumsrecht an den ohnehin erfaßten Grundlagen gerade hinausgeht 218 , der "Mehrwert" des Unternehmens erfaßt wird. Die Zweifel des BVerfG können sich aber auf gute Gründe stützen, denn erstens ist das Recht am Geweibebetrieb in der Dogmatik möglicher Eigentumsöbjekte ein Fremdkörper. In allen anderen Fällen wird eine rechtlich anerkannte Vergegenständlichung von der jeweiligen Vermögensposition verlangt, um eine einigermaßen klare Unterscheidbarkeit des Eigentums von bloßen Chancen und Möglichkeiten zu gewährleisten. Das Recht am Gewerbebetrieb aber bringt im Grundsatz alle diese Chancen und Möglichkeiten wieder in den Eigentumsbegriff zurück, so daß eine immanente Begrenzung nach Schweregesichtspunkten (Erfordernis der Substanzbetroffenheit 219) notwendig wird, um die Eigentumsgarantie nicht ausufern zu lassen. Ein solches Schwerekriterium ist aber für die Schutzbereichsbestimmung schon aufgrund seiner notwendigen Weitungsoffenheit ungeeignet. Zweitens bedeutet das Recht am Geweibebetrieb eine zwar möglicherweise politisch, aber nicht verfassungsrechtlich begründbare Privilegierung gewerblicher gegenüber nicht erweibswirtschaftlich genutzen Vermögenspositionen, die dem Eigentumsbegriff nicht ohnehin unterfallen. 213 Zu dessen Zugehörigkeit zum Gewerbebetrieb s. vMaydell/Scholz, schaft, S.128.

Grenzen der Eigenwirt-

216 S. nur M/DfH/S-Papier, Ait.14 Rzl96 - 110; \MfK-Bryde, Rzl18 ff.; Badura, AÖR 98 (1973),153 ff; vMaydell/Sc holz, Grenzen der Eigenwirtschaft, S. 127 ff; sowie neuestens Engel, AÖR 118 (1993),169. Dort findet sich auch eine eingehende und umfassende Nachzeichnung der verschiedenen Äußerungen des BVerfG. 217

BVerfGE 58,300 (353); ähnlich E 51,193 (221 f.); 68,193 (222); 77,84 (118).

211

Badura, HdbVerfR, S.692; ähnlich vM/K-Bryde, Rzl19.

219

S. nur Leibholz/Rinck/Hesselb erger, A l t 14 Rz.141; für die Arzneimittellisten ebenso Denninger, Arzneimittel-Richtlinien, S.60 f.; Glaeske/Schefold, Positivliste, S.131 f. Diese Substanzgrenze fuhrt übrigens auch dann, wenn der Gewerbebetrieb als Eigentumsobjekt anerkannt wird, dazu, daß für die Listen keine allgemeine Aussage mehr möglich ist. Berufen könnten sich auf das Eigentumgrundrecht nur solche Unternehmen, die tatsächlich im Unternehmenskem beeinträchtigt werdm.

174

3. Kapitel: Arzneimittellisten und Herstellergrundrechte

Drittens schließlich erweist sich die Diskussion für weite Bereiche als Scheinproblem, da die Nutzung von Sacheigentum und anderen anerkannten Eigentumsgegenständen von Art. 14 GG auch ohne Gewerbebetrieb erfaßt w i r d 2 2 0 . Wegen des bereits eingangs erwähnten Verschwimmens von Eigentumsobjekt und Gewährleistungsumfang lassen sich die meisten mit dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Geweibebetrieb begründeten Ergebnisse auch über den Nutzungsgesichtspunkt erreichen. Nach allem ist der Rechtsfigur daher mit dem BVerfG keine eigene Bedeutung zuzumessen.

c) Marktzugangsschutz im Zusammenhang mit der Arzneimittelzulassung Kann eine eigentumsrechtliche Garantie einer einmal erreichten Position auf dem Arzneimittelmarkt nicht begründet werden, so fragt sich weiter, ob wenigstens der MzrYXzugang als Ausfluß von Art. 14 GG geschützten Positionen deren Schutz mitgenießt. Unter den möglichen Eigentumsobjekten ist insoweit zu prüfen, ob sich ein solches Recht aus der Arzneimittelzulassung ergibt. Ein verfassungsrechtlich durch Art. 14 GG vermitteltes Marktzugangsrecht kann über § 25 A M G nur begründet werden, wenn dieses auch einfachgesetzlich vorgesehen ist oder doch vor dem GSG vorgesehen war. Der verfassungsrechtliche Schutz zumal öffentlich-rechtlicher Positionen geht nicht weiter, als die jeweilige Rechtsgrundlage selbst ihn einräumt 2 2 1 . Bejahendenfalls stellt sich dann die Frage nach dem Eigentumscharakter öffentlich-rechtlicher Zulassungen und Genehmigungen.

aa) Einfachgesetzlicher Marktzugangsanspruch ? Wie weit die durch § 25 A M G bestätigte "Verkehrsfähigkeit" eines Arzneimittels geht, ist umstritten 2 2 2 . Für ein Marktzugangsrecht spricht zunächst,

220

Dazu näher u. 3.

221

BVerfG (Vorprüfungsausschuß), NJW 1992,735 (736); Günther, Wirtschaftlichkeitsgebot, S.198; Glaeske/Schefold, Positivliste, S.130; allgemein vJBrünneck , Eigentumsgarantie, S.392; M/D/H/S-Papier, Alt. 14 Rz: 104; vM/K-Bryde, Rz.30. 222 S. einerseits o. l.c; andererseits Günther , WirtsdiafUichkeitsgebot, S.198 f.; Hart/Hilken/ Merkel/Woggan , Recht des Arzneimittelmarktes, S.267 f. u. 277; Glaeske/Schefold , Positivliste, S.130 f.

B. Eigentumsfreiheit

175

daß kaum ersichtlich wird, wozu die Zulassung nach A M G eigentlich dienen soll, wenn nicht für den Marktzugang. Das Gesetz differenziert die Stellung des Zulassungsinhabers nicht weiter aus, es enthält nur die Voraussetzungen der Zulassung (und ihrer Aufhebung) selbst. Die Stellung wäre aber nahezu wertlos, wenn der Hersteller sein Mittel trotz Zulassung nicht vermarkten könnte. Auch das ausdifferenzierte System der Nachmarktkontrolle samt dem gegenüber "normalen" Verwaltungsakten eingeschränkten Bestandsschutz (§§ 30 f. AMG) spricht nicht dafür, daß neben der Verkehrsfähigkeit für die Vermarktbarkeit noch andere Voraussetzungen zu erfüllen wären. Auf diesem Hintergrund erscheint es als problematisch, die Regelungsintention des A M G auf eine bloß theoretische Verkehrsmöglichkeit gegenüber der tatsächlichen 223 zu beschränken. Auch der Vorprüfungsausschuß des B V e r f G 2 2 4 stellt folgerichtig fest, die Zulassung des A M G gewähre ein "Recht auf Marktzugang". Die Auslegung des A M G ergibt damit zwar keinen Schutz einer statischen Marktposition, wohl aber ein Recht auf Marktzugang.

bb) Zulassung als Eigentum ? Ob subjektiv-öffentliche Rechte als solche Eigentumsgegenstände sein können, ist in neuerer Zeit etwas aus der Diskussion geraten. Regelmäßig wird in diesem Zusammenhang bloß die Frage gestellt, ob das Recht auf eigener Leistung beruht, in diesem Fall sei es von Art. 14 GG mitgeschützt 225 . Darüber scheinen die grundsätzlichen Bedenken gegen eine solche Anerkennung 2 2 6 etwas in Vergessenheit geraten zu sein. Teilweise wird sogar die Erweiterung des Eigentumsschutzes auf öffentliche Rechte verlangt, denen keine eigene Leistung zugrundeliegt 227 . Ohne daß die Frage hier grundsätzlich aufgerollt werden könnte, sind Bedenken jedenfalls gegen die Einbeziehung öffentlichrechtlicher Zulassungen und Genehmigungen anzuführen. Diese dienen zu-

223

So aber ausdrücklich Günther, Wirtschaftlichkeitsgebot, S. 198 f.

224

NJW 1992,735 (736).

223

Etwa auch BVerfG (Vorprüfungsausschuß), NJW 1992,735 (736). Allerdings sind die natürlich kurzen Ausführungen des Gerichts an dieser Stelle insofern offen, als auch unter dem Gesichtspunkt der eigenen Leistung die Frage auftauchen kann, ob die bloße Zulassung ohnehin (durch Art. 12) grundrechtlich geschützter Tätigkeiten eine solche eigene Leistung ist. 226 Etwa Krause, Eigentum an subjektiven öffentlichen Rechten, S.30 ff; auch M/D/H/S-Papier, Art.l4R2:120,124. 227 AK-Rittstieg, Art. 14/15, Rz.112 ff; Schmidt-de 32,111 (129,141 ff, SondervotumRupp-vBrünneck).

Caluwe, JA 1992,129 (133 ff); BVerfGE

176

3. Kapitel: Arzneimittellisten und Herstellergrundrechte

nächst nämlich nicht dazu, bestimmte Eigentumsgegenstände zu definieren, sondern sind, indem sie im öffentlichen Interesse die Berufsausübung und möglicherweise auch die Ausnutzung des Sacheigentums beschränken, in erster Linie selbst Grundrechtseingriffe bzw. Inhalts- und Schrankenbestimmungen des (Sach-)Eigentums. Soweit die Genehmigung oder Zulassung nicht mehr bedeutet, als daß die grundrechtliche Betätigungsfreiheit wiederhergestellt oder bestätigt wird, kann deshalb schwerlich davon die Rede sein, es handle sich um ein vermögenswertes subjektives Recht, welches von der Eigentumsgarantie geschützt sei. Diese Einordnung betrifft in aller Regel die präventiven Verbote, obwohl oder gerade weil auf die korrespondierende Erlaubniserteilung ein Anspruch besteht, also potentiell jedermann die Erlaubnis erhalten w i r d 2 2 8 . Um festzustellen, ob eine Genehmigung oder Zulassung eigentumsrechtliche Relevanz hat, ist demnach zu fragen, ob es einen Gehalt dieses Verwaltungsakts gibt, der über die Wiederherstellung bzw. Bestätigung der ursprünglichen grundrechtlichen Freiheit gerade hinausgeht. In der gängigen Unterscheidung zwischen Feststellungs- und Gestattungswirkung 229 einer Erlaubnis ist erstere deshalb in diesem Zusammenhang unergiebig. Als eigentumsrechtlich schützenswerter Teil der Genehmigung oder Zulassung kommt nur der (einfachgesetzlich) durch sie vermittelte Bestandsschutz in Frage. M i t anderen Worten geht es dabei um das berechtigte Vertrauen des Inhabers in den Bestand seiner Genehmigung. Einen eigenen Vermögenswert hat dieses Vertrauen aber nur, wenn es betätigt (oder "ins Werk gesetzt" 2 3 0 ) wurde 2 3 1 . Damit aber führt die Annahme, Eigentumsgegenstand könne die Zulassung oder die Genehmigung selbst sein, in die Irre. Diese kann zu einem gesteigerten Vertrauensschutz der Vermögenswerte führen, die der Genehmigungsinhaber (durch eigene Leistung) geschaffen hat, indem er sich auf die Genehmigung verließ, aber keineswegs zum Eigentumsschutz ihrer selbst. Ein Blick in die Literatur zu gewerberechtlichen Erlaubnissen, insbesondere zur immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, zeigt denn auch, daß die "hohle" Genehmi-

228 Dies wird auch durch eine Kontrollüberlegung bestätigt: Soweit es um die Ausübung grundrechtlich (ohnehin) gewährleisteter Freiheit geht, wäre schwer einzusehen, wieso deijenige, der eine genehmigungsfreie Tätigkeit ausübt, keinen Schutz aus Alt. 14 soll für sich beanspruchen dürfen. 229

Wahl, HdUR, Sp.433 (434,436 f.).

230

So die Formulierung bei RBreuer , Bodennutzung S. 184 f.

231

Ebenso Stober , Handbuch, S.509, mit dem Beispiel einer "leeren" Genehmigung für eine Anlage, die ohnehin abgerissen werden soll: kein Vermögenswert.

B. Eigentumsfreiheit

177

gung an sich überwiegend nicht als Eigentum angesehen w i r d 2 3 2 , sondern bloß das im Vertrauen auf sie Erworbene. Allerdings könnte man auf den Gedanken kommen, die Arzneimittelzulassung, die, wie dargestellt, eine "Bauartzulassung" ist, anders zu beurteilen. Während gewerberechtliche Anlagengenehmigungen nämlich (stark vereinfachend) zuerst erteilt werden, und der Inhaber erst danach seine Investitionen tätigt, ist bei Arzneimitteln der größte Teil der notwendigen Investitionen bereits für Forschung und Entwicklung getätigt worden, bevor die Zulassung beantragt werden k a n n 2 3 3 . Indessen führt dieser Gesichtspunkt nicht zu einer grundsätzlich anderen Beurteilung. Wenn "eigentumsfahiger" Inhalt einer Zulassung nur der Bestandschutz ist, der mit ihr verbunden ist, fallen diejenigen Aufwendungen von Kapital und Arbeitskraft ("eigene Leistung"), die noch nicht im Vertrauen auf den Bestand getätigt wurden, auch nicht unter die Eigentumsgarantie. Festzuhalten ist damit, daß die Zulassung nach § 25 A M G nicht selbst als Eigentumsobjekt qualifiziert werden k a n n 2 3 4 . Was den durch sie vermittelten Bestandsschutz hinsichtlich später getätigten Investitionen betrifft 2 3 5 , ist zum einen auf die Gesichtspunkte zu verweisen, die bereits bei der Frage nach dem rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbot angeführt wurden. Auch ist der durch das A M G vermittelte Bestandschutz wenig ausgeprägt. Die §§ 30, 31 A M G sehen neben der ohnehin geltenden Befristung auf fünf Jahre recht weitgehende Einschränkungs- und Aufhebungsbefugnisse vor. Dies gilt erst recht für die Altarzneimittel, die jedenfalls von der Negativliste überwiegend betroffen sind.

232 Stober, Handbuch S.507 ff.; Friauf, WiVerw 1989,121 (132); Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht, § 3 Rz.4; Sendler, UPR 1983,33 (39 f.); Weber, AÖR 91 (1966),382 (401). 233

Auf diesen Unterschied wird, soweit ersichtlich, nirgends eingegangen. Insbesondere die Kommentare zum A M G enthalten keine Ausfuhrungen zum möglichen Eigentum an da* Zulassung. Ohne direkten Bezug zum A M G jetzt aber mit ähnlichen Erwägungen Engel, AÖR 118 (1993),169 (188). 234

Im Gegensatz zu Denninger, Arzneimittel-Richtlinien, S.57 und Küchenhoff,

SGb 1979,89

(96). 235

Da die Marktstellung an sich (s.o.) hierfür nicht in Frage kommt, und andere Investitionsergebnisse schon als Sacheigentum dem Schutzbereich unterfallen werden, ist der Sinn des Versuchs, Genehmigungs- und Zulassungspositicnen überhaupt im Zusammenhang mit Art. 14 GG zu behandeln, fraglich. In diesem Sinne auch vMZK-Bryde, Art. 14, Rz.30. 12 Philipp

178

3. Kapitel: Arzneimittellisten und Herstellergrundrechte

d) Anerkennungspflicht des Gesetzgebers aus einem eigenen verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff heraus ? Schließlich könnte man überlegen, ob - unter der Voraussetzung, daß es einen eigenen Eigentumsbegriff der Verfassung gibt, der über die Definitionsmacht des Gesetzgebers hinausgeht 236 - eine verfassungsrechtliche Verpflichtung für den Gesetzgeber existiert, Marktposition oder doch Marktzugang als "Eigentum" auszuformen. Im Kern müßte hier aber wieder mit berechtigtem Vertrauen argumentiert werden 2 3 7 , weil das so oft angeführte Kriterium der eigenen Leistung alleine den Gesetzgeber verpflichten würde, alle Chancen und Möglichkeiten als Eigentum auszuformen. Ein besonderes Vertrauen aber kann aus den dargelegten Gründen nach dem A M G wenn überhaupt, dann nur in sehr geringem Umfang bestehen.

e) Zusammenfassung Im Ergebnis ist festzuhalten, daß es kein eigenes Recht am Arzneimittel gibt, das über das Sacheigentum am produzierten Mittel und die geistigen Eigentumsrechte (Patentrecht, Warenzeichenrecht) hinausgeht.

3. Gewährleistungsumfang Nach obigem Ergebnis beschränkt sich der Schutz, den Art. 14 GG den Arzneimittelherstellern bieten kann, auf die Ausnutzung von Sach- und geistigem Eigentum. Die Frage nach dem Schutzumfang solcher Eigentumsnutzungen ist ersichtlich bisher nicht befriedigend beantwortet worden. Zum einen liegt auf der Hand, daß die generelle Einbeziehung aller Nutzungsbefugnisse von Gegenständen in den Schutzbereich des Art. 14 das Grundrecht in unhandhabbarer Weise mit der Berufsfreiheit und der allgemeinen Handlungsfreiheit aufladen würde. Andererseits läßt sich die danach notwendige Begrenzung aus dem Sinn und Wesen der Eigentumsfreiheit gerade nicht ableiten. Wenn das BVerfG in ständiger Rechtsprechung betont, Art. 14 wolle dem Bürger einen

236

So insbesondere Leisner, HdbStR VI, § 149 Rz58.

237

Leisner, HdbStR VI, § 149 Rz94.

B. Eigentumsfreiheit

179

Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich sichern 2 3 8 , dann verlangt das Grundrecht die grundsätzliche Einbeziehung auch der Ausnutzung der Eigentumsgegenstände. Denn erstens wäre das bloße "Habendürfen" als Eigentum gerade keine solche Freiheit mehr: Der Zweck des Art. 14 erfüllt sich gerade erst in den Nutzungsmöglichkeiten. Und zweitens wirken die Nutzungschancen auf den Vermögenswert des Gegenstandes zurück, bzw. machen diese Möglichkeiten den Vermögenswert in den meisten Fällen erst aus. Das BVerfG behilft sich hier mit der vorrangigen Anwendung von Art. 12 I oder 2 I GG, teils mit der Feststellung, daß Art. 14 daneben nicht betroffen s e i 2 3 9 , teils ganz ohne Erörterung des Eigentumsgrundrechts 240 . Hieraus schließt ein Teil der Literatur, Art. 14 sei schon tatbestandlich auf Fälle begrenzt, in denen die jeweilige Nutzung nicht nach sozialer Anschauung der Berufsfreiheit oder der allgemeinen Handlungsfreiheit zugeordnet sei 2 4 1 . Hieraus ergibt sich kein zwingend begründbarer Ausschluß des Art. 14. Das Kriterium der "sozialen Anschauung" läßt für subjektive Wertungen allen Raum 2 4 2 . Insbesondere im Falle der Enteignung könnten kaum kraft sozialer Anschauung die Voraussetzungen des Art. 14 I I I GG außer Acht gelassen werden. Für den vorliegenden Themenkreis erscheint es aber immerhin als einleuchtend, die gewerbliche Nutzung von zum Verkauf hergestelltem Sacheigentum und von geistigen Eigentumsrechten vorrangig an der Berufsfreiheit zu messen. Ein weiterer Umstand, der die Betroffenheit des Schutzbereichs zumindest unter Intensitätsgesichtspunkten relativiert, ergibt sich daraus, daß das Wirtschaftlichkeitsgebot in der GKV ein schon von jeher geltender Grundsatz ist. Art. 14 GG schützt das Eigentum nämlich in seiner zu einem Zeitpunkt durch das einfache Recht ausgestalteten F o r m 2 4 3 . Da die Gesamtheit der einfachgesetzlichen Regelungen das Eigentum definiert, ist es nicht richtig, die Rechte an Arzneimitteln (in der dargelegten Form) als Eigentum und die Abnahmevorschriften der Sozialgesetze als von außen herantretende Beschränkungen 23g

BVerfGE 24,367 (389); 30,292 (334); 68,193 (222).

239

BVerfGE 65,237 (248); 68,193 (222); 70,1 (31); 77,84 (117); 82,209 (234).

240

Z.B. E 80,137.

241

Pieroth/Schlink, Art.14Rz.13.

Grundrechte, Rzl008; AK-Ritt stieg, Ait.14/15 Rz75 ff.; \UfK-Bryde,

242 Darüberhinaus kann man auch nicht von einem Sp ezialitätsverhältnis sprechen. Das wird durch die Dogmatik zu Alt. 2 I GG (BVerfGE 6,32; 80,137,152 f.) ausgeschlossen. 243

Pieroth/Schlink,

Grundrechte, Rz.995.

180

3. Kapitel: Arzneimittellisten und Herstellergrundrechte

anzusehen 244 . Sämtliche Gesetze prägen den Inhalt des Eigentums. Die Einordnung der Vorschriften des SGB V als von außen kommend trifft nur dann zu, wenn sie entweder als neue Inhalts- und Schrankenbestimmung anzusehen sind, oder der Gesetzgeber mit ihnen einen eigenständigen (d.h. von der einfachen Gesetzgebung gerade unabhängigen) Eigentumsbegriff 245 mißachtet hat. In zeitlicher Hinsicht war die Negativliste nach § 34 I I I SGB V a.F. eine Neuerung des GRG 1989 und ist die Positivliste ein Reformgegenstand des GSG 1993, dessen Umsetzung sich bis 1995/96 hinziehen wird. Inhaltlich galt der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz aber schon lange zuvor. Daraus folgt, daß eine Eigentumsbeeinträchtigung überhaupt nur soweit vorliegen kann, wie nicht der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit die Arzneimittelverordnung zu Lasten der GKV schon bisher in vielen Einzelfallen ausgeschlossen hat. Auf die strukturelle Veränderung, die die Negativliste ohne Ausnahmemöglichkeit für das Wirtschaftlichkeitsprinzip bedeutet, wurde im Zusammenhang mit Art. 12 GG bereits eingegangen 246 . Diese Veränderung macht es in der Tat notwendig, die Regelung des § 34 I I I SGB V a.F. als neue Inhalts- und Schrankenbestimmung oder sogar als Enteignung 2 4 7 anzusehen 248 . Dagegen ist die Positivliste mit dem herkömmlichen Wirtschaftlichkeitsgebot vereinbar, wie bereits dargelegt wurde, und greift von daher nicht in das Eigentumsgrundrecht ein. Von gegenüber den Überlegungen zur Berufsfreiheit abweichendem Interesse ist nach allem die Rechtfertigungsprüfung im Grunde nur, wenn § 34 I I I SGB V a.F. ein enteignender Charakter zugesprochen werden k a n n 2 4 9 . Dann nämlich wären die Voraussetzungen des Art. 14 I I I zu prüfen. Im Falle einer Inhalts- und Schrankenbestimmung dagegen bliebe nur übrig, die Regelung anhand der allgemeinen Eingriffsschranken zu überprüfen, da eine Verletzung der Besonderheit der Inhalts- und Schrankenbestimmung gegenüber anderen Grundrechten, nämlich der Sozialbindung (Art. 14 I I GG), hier selbstverständlich nicht in Rede steht.

244 BVerfOE 58,300 (336), ebenso Schwertdieger, Bindungswirkung, S.66 (anders allerdings jetzt ders., Negativlisten, Pharmlhd. 51 (1989),21 (31)). 243

Dazu Leisner , HdbStR VI, § 149 Rz54 ff. Diese Frage wurde bereits o. unter 2.d verneint.

246

Oben, A H L 1 .b.aa.

247

Dazu sogleich im Text.

248

Das übersieht der Vorpriifungsausschuß des BVerfG in NJW 1992,735 (736 f.).

249

Was Schwerdtfeger

, Negativlisten, PhamLlnd. 51 (1989),21 (31) so vertritt.

C. Forschung»- und Wissenschaftsfreiheit

181

Nach der klargestellten Rechtsprechung des BVerfG ist die Abgrenzung zwischen Enteignung und Inhaltsbestimmung nicht nach Schwerekriterien, sondern nach dem formalen Charakter des Eingriffs zu bestimmen 250 . Eine Enteignung bedeutet die vollständige oder teilweise Entziehung konkreter subjektiver Rechtspositionen 251 . Da als eigentumsfahige Rechtspositionen nach den bisherigen Ergebnissen nur das Sacheigentum und Patent- und Warenzeichenrechte anzuerkennen sind, liegt ein solcher Entzug gerade nach der Formalstruktur aber nicht v o r 2 5 2 . Beachtet man weiter, daß Nutzungen weniger stark eigentumsgrundrechtlich geschützt sind als die Innehabung 253 , so kann ein enteignender Charakter der Negativlisten ausgeschlossen werden. Damit erübrigt es sich auch insgesamt, Eingriff und verfassungsrechtliche Rechtfertigung erneut zu erörtern. Die grundrechtliche Problematik der Listen ist vorrangig auf der Ebene der Berufsfreiheit angesiedelt. Auch wenn man der Praxis des BVerfG, neben der Prüfung der Berufsfreiheit auf ein Eingehen auf Art. 14 GG zu verzichten, nicht folgen will, kann auf die Ausführungen zur Berufsfireiheit 254 verwiesen werden.

C. Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit Die Erforschung neuer Arzneimittel ist angesichts von neuen und alten Krankheiten, die medikamentös bisher kaum oder gar nicht behandelt werden können, weiterhin eine Aufgabe, deren gesellschaftliche Wichtigkeit nicht geringgeachtet werden sollte. Im Gegensatz zu anderen Forschungsfeldern ist die Arzneimittelforschung in Deutschland bisher nicht über die Universitäten in eine mehr oder weniger dominierende Staatsregie übernommen worden, sondern wird im wesentlichen von Pharmafirmen betrieben. Die Mittel für diese Forschung werden dementsprechend nicht staatlicherseits zugewiesen, sondern müssen durch den Verkauf bereits zugelassener Mittel verdient oder

230

BVerfGE 58,300 (330 f.); vgl. vjfeinegg/H

231

BVerfGE 52,1 (27); 70,191 (199 f.); 72,66 (76).

altern, JuS 1993,121 (123).

232

Schwerdtfegers Argumentation steht und fällt deshalb mit der Anerkennung da- AMG-Zulassung als Eigentumsobjekt. 233

Engel, AÖR 118 (1993),169 (191,215); ausdrücklich für den Kontext der Abgrenzung von Inhalts- und Schrankenbestimmung und Enteignung Pieroth/Schlink, Grundrechte, R z 1016. 234

ObenAJÜ.

182

3. Kapitel: Arzneimittellisten und Herstellergrundrechte

durch realistische Vermarktungsaussichten eines sich in der Entwicklung befindlichen Medikaments abgedeckt werden. Auf diese Weise gewinnen die arzneimittelbezogenen Steuerungsinstrumente der GKV auch Bedeutung für die den Firmen sich bietenden Forschungsmöglichkeiten. Es stellt sich damit die Frage, ob die grundrechtliche Wissenschafts- und Forschungsfreiheit, wie sie Art. 5 I I I GG gewährleistet, durch diese Instrumente berührt sein kann. Die Nähe der rechtlichen Regelungen, die sich auf Arzneimittel beziehen, zur Wissenschaftsfreiheit kommt auch dadurch zum Ausdruck, daß das A M G in § 25 ausdrücklich auf den "jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse" zurückgreift. Auf diesen Umstand stellt entscheidend eine in der Literatur vertretene Ansicht ab, die aus der Wissenschaftsfreiheit Maßstäbe sowohl für das Arzneimittelrecht, als auch für die Verordnungsvorschriften der GKV und der staatlichen Beamtenbeihilfe ableiten möchte 2 5 5 . Die objektiv-rechtliche Seite des Art. 5 I I I GG verbiete dem Staat, sich als Wissenschaftsrichter zu betätigen und wissenschaftlich umstrittene Sachfragen einseitig zu entscheiden. Wirke sich dies im originären Arzneimittelrecht namentlich dahingehend aus, daß im Sinne eines pluralistischen Ansatzes die sog. Außenseitermedizin nicht benachteiligt werden dürfe, so könne es dem Gesetzgeber auch nicht gestattet sein, diese Bindungen durch die tatsächlichen Auswirkungen des Sozialversicherungs- und Beihilferechts wieder zu umgehen256. Für den Kontext dieser Arbeit, die sich auf die Erörterung subjektiver Grundrechtsinhalte beschränkt 257 , ist dieser Ansatz freilich so nicht brauchbar. Ins Subjektive gewendet gewährleistet Art. 5 I I I GG dem privaten Forscher oder dem forschenden Unternehmen die Freiheit, über Fragestellung, Methodik und Zielsetzung der Forschung ohne Fremdbestimmung zu entscheiden 258 . Es ist zwar nicht von der Hand zu weisen, daß die Vermarktungsbedingungen hier für forschende Unternehmen die entscheidenden Einflußfaktoren sind. Trotzdem erscheint es aus zwei Gründen heraus als fraglich, ob die Forschungsfreiheit durch die Listenregelungen verletzt wird.

233

J.vJCirchbach, Wissensdiaftsfreiheit und Arzneimittelkontrolle, 1985; ders.,YhR 1986,44.

236

J.vJCirchbach, PhR 1986,44 (45). Zu den Bindungen, die Ait.5 m der Arzneimittelzulassung auferlegen soll auchKriele, NJW 1976,355. 237 Die Rechtsprechung des BVerftr entnimmt dem Art. 5 m GG allerdings deutlicher als anderen Grundrechten neben einem individuellen Freiheitsredit auch objektiv-rechtliche Gehalte (E 35,79 (112); 47,327 (367)). Kritisch hierzu Pieroth/ScHink, Grundrechte, Rz.693. 238

Vgl. etwa Leibholz/Rinck/Hesselberger,

Band I, Rz. 1091.

C. Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit

183

Zum einen spricht die Problemstellung dafür, die Berufsfreiheit (und, wenn man so will, die Eigentumsfreiheit) hier als Spezialgrundrechte anzusehen 259 . Denn Pharmaunternehmen finanzieren ihre Forschung aus gewerblichen Gewinnen mit dem Ziel weiterer Gewinnerzielung. Jedenfalls dann, wenn wie hier die Forschung nur dadurch berührt wird, daß die gerade bei Art. 12 problematische Teilhabe an den Vermarktungschancen sich in zweiter Linie auch als Forschungsvoraussetzung erweist, liegt der Schwerpunkt der Fragestellung in der Berufsfreiheit. Zum anderen müßte, die Bejahung einer Schutzbereichsbeeinträchtigung trotz der Bedenken unterstellt, ein Eingriff gegeben sein. Der Gesetzgeber verfolgt mit den §§ 34 bzw. 34a, 92a n.F. aber auch nicht verdeckt das Ziel, der Arzneimittelforschung den Boden zu entziehen oder sie zu erschweren. Käme eine Zurechnung deshalb nur noch über das Unmittelbarkeitskriterium in Betracht, so ist der erforderliche Zusammenhang hier kaum schlüssig darzulegen. Neben der Selbstmedikation der Verbraucher, auf die zu verweisen ist, würden innovative Neuarzneimittel mit einiger Sicherheit auf der Positivliste erscheinen 260 . Diese Bedenken würden nur überwunden - insofern ist v.Kirchbach 2 6 1 recht zu geben - wenn der Staat final wissenschaftliche Mindermeinungen, hier am ehesten in der Gestalt der besonderen Therapierichtungen, von allen tatsächlichen Forschungsmöglichkeiten ausschlösse. Wie ausgeführt, knüpfen die Negativ» und die Positivliste aber nicht an solche Ziele an und schließen die besonderen Therapierichtungen als Gruppen von der Verordnungsfahigkeit ausdrücklich nicht aus.

239

So M/DfH/SScholz, Art. 5 m , Rz:84 und Oppermann, HdbStR VI, § 145, Rz:17, beide allerdings unter nur bedingt zutreffender Berufung auf BVerwGE 13,112 -114. Ebenso auch Glaeske/Schefold, Positivliste, S. 126 f. zur ärztlichen Forschungsfreiheit. 260 Vgl. auch AK-Derminger, Art. 5 EI, Rz.26: auch die Förderung bestimmter Forschungsziele sei dem Staat erlaubt, solange sie nicht zu einer extrem einseitigen Mittelvergabe fiihre. 261

Der im übrigen seine Einwände gegen die sozialversicherungsrechtlichen bzw. beihilferechtlichen Regelungen dann doch mit Art. 12 und Art. 14 GG begründet, PhR 1986,44 (48).

184

3. Kapitel: Areimittellisten und Herstellergrundrechte

D. Ergebnis zu den Herstellergrundrechten Das Konzept, Arzneimittel durch Listen von der Verordnungsfahigkeit im Rahmen der GKV auszuschließen, berührt die Arzneimittelhersteller hauptsächlich in ihrer Wettbewerbsfreiheit. Die beherrschende Marktmacht der GKV in Verbindung mit dem Umstand, daß jedenfalls ein Mindestmaß an Arzneimitteln auch ohne GKV-System verkauft würde, führt dazu, daß ein derivatives Teilhaberecht am GKV-Markt sowohl unter freiheitsrechtlichem, als auch unter gleichheitsrechtlichem Aspekt begründet werden kann. Das Freiheitsrecht wird durch die Ausgestaltung sowohl der Negativliste (Neudefinition des Wirtschaftlichkeitsprinzips) wie auch der Positivliste (nicht erforderliche Doppelprüfungen) verletzt. Andererseits ließe sich das Konzept bei anderer Ausgestaltung und natürlich im Falle einer deutlich reduzierten Marktmacht der GKV halten. Das Gleichheitsrecht ist als Antwort auf die mit staatlicher Leistungsgewährung stets auftauchende Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit ein Kernpunkt der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die sozialversicherungsrechtlichen Steuerungsinstrumente, wird durch die Listen aber nicht beeinträchtigt.

4. Kapitel:

Arzneimittellisten und Grundrechte der Versicherten und Kranken

Ob auch Grundrechte nicht nur von Leistungseibringern, sondern auch von Verbrauchern im Gesundheitssystem die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit begrenzen, ist eine in der bisherigen Literatur und Rechtsprechung eher stiefmütterlich behandelte Frage. In manchen Veröffentlichungen wird am Rande darauf verwiesen, daß die Zwangsmitgliedschaft in der GKV rechtfertigungsbedürftig sei 1 . Weiterführende Untersuchungen sind indes selten 2 , und auch das Bundesverfassungsgericht hat offenbar noch keinen Anlaß gehabt, Fragen des Leistungsumfanges der gesetzlichen Kassen aus Patientensicht zu behandeln. So ist einmal bis heute unentschieden, ob neben dem Gesichtspunkt der Zwangsmitgliedschaft ein eigentumsrechtlich geschützter Anspruch auf einen bestimmten Leistungsumfang bestehen kann, zum andern ist die Bedeutung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 I I 1 GG) für die GKV und ihre Ausgestaltung ungeklärt. Auf beide Fragen eine Antwort zu geben wird im folgenden unter Berücksichtigung der direkten wie der indirekten Auswirkungen des GKV-Systems und seiner Steuerungsinstrumente versucht. Hierbei ist zwischen den Grundrechten der Versicherten und denen aller Arzneimittelverbraucher zu unterscheiden.

1 2

Z.B. Schwerdtfeger,

Negativlisten, S.23; Papier, SRH, S. 114 ff., Rz.95-97.

Im Ansatz auf das Veriiältnis des Art. 2 I I 1 GG zum Leistungsumfang im Recht der GKV immerhin eingehend Glaeske/Schefold, Positivliste, S.97 u. 106 ff.

186

4. Kapitel: Arzneimittellisten und Grundrechte der Versicherten und Kranken

A. Grundrechte der (Pflicht-)versicherten I. Eigentumsfreiheit Die ständige Rechtsprechung des BVerfG hält seit 1980 die Einordnung sozialrechtlicher Ansprüche als Gegenstände der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie unter bestimmten Voraussetzungen für möglich 3 . Im Jahre 1985 hat das Gericht diese Rechtsprechung in dem seither mehrfach wiederholten Satz zusammengefaßt, Voraussetzung für einen Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen sei die Innehabung einer Vermögenswerten Rechtsposition, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger als privatnützig zugeordnet sei. Diese genieße den Schutz der Eigentumsgarantie dann, wenn sie auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten beruhe und zudem der Sicherung seiner Existenz diene 4 . Die Literatur hat daraus teilweise eine allgemeine Anerkennung sozialrechtlicher oder sogar nur öffentlich-rechtlicher Positionen gemacht5. In konsequenter Fortführung der Reduzierung des Eigentumsbegriffs auf Ergebnisse eigener Leistungen 6 läge es danach nahe, den Anspruch auf Versorgung mit Gesundheitsleistungen (§ 11 SGB V) und insbesondere mit Arzneimitteln (§§ 31 ff. SGB V bzw. § 182 RVO a.F.) der Eigentumsgarantie zu unterstellen. Schließlich bestehen Ansprüche im Krankheitsfall erst aufgrund erheblicher Beiträge des Versicherten und verfolgt die GKV den Zweck, die potentiell immensen Kosten eines Krankheitsfalles durch Solidarversicherung abzudecken und damit der Existenzsicherung des Einzelnen zu dienen (§ 1 S.l SGB V ) 7 . Diese Sichtweise übersieht aber, daß das BVerfG seine Rechtsprechung, die für rentenversicherungsrechtliche Ansprüche entwickelt 8 und auf Ansprüche auf Arbeitslosenunterstützung ausgedehnt9 wurde, selbst bisher nie auf die Ansprüche nach dem SGB V bzw. die entsprechenden Regelungen der RVO

3

BVerfGE 53,257 (289 ff.); 69,272; 80,297 (310).

4

BVerfGE 69,272 (Leitsatz 1); ebenso auch E 72,9 (18 f.); 72,141 (153).

5

S. etwa Leisner, HdbStR VI, § 149 Rzl121 f.

6

Dazu im Zusammenhang mit den Leistungserbringern bereits oben Kapitel 3, B.n.2.

7

Erwogen, im Ergebnis aber offengelassen wird dies vom LSG Schleswig-Holstein, L 1 Kr 55/91 (vom 19.5.1992), Urteilsbegründung S.8, nachdem die Vorinstanz einen solchen Anspruch (auf Heilmittel) offenbar bejaht hatte. 8

BVerfGE 53,257.

9

BVerfGE 72,9.

A. Grundrechte der (Pflicht-)versicherten

187

angewendet hat. Es muß daher zumindest als offen bezeichnet werden, ob die These des Eigentumsschutzes krankenversicherungsrechtlicher Rechtspositionen sich auf die Vorgaben aus der Rechtsprechung des B VerfG stützen könnte10 Generell gilt, daß sozialrechtliche Ansprüche auch deshalb nur vorsichtig mit Art. 14 GG in Zusammenhang zu bringen sind, weil andernfalls die staatliche Handlungsfähigkeit zu sehr eingebunden und die bestehenden Sozialleistungen die Berücksichtigung als bedürftiger eingeschätzter Kreise ebenso beeinträchtigen würden wie politisch ganz anders gesetzte Prioritäten 11 . Diese Einsicht wird vernachlässigt, wenn Eigenleistung und Existenzsicherungscharakter zu Konstitutionselementen des Eigentumsbegriffs aufgewertet werden, während die erste und zentralste Voraussetzung, die hinreichend verfestigte Rechtsposition 12 , dabei übersehen oder doch relativiert wird. Für den einfach-gesetzlichen Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Gesundheitsleistungen wird außerdem folgendermaßen zu unterscheiden sein: Während der Anspruch als solcher zwar durchaus als gesicherte und auch (im System der Sachleistung mittelbar) vermögensweite Position erscheinen kann, entfaltet er auf der anderen Seite keine Zukunftswirkung. Der Leistungsanspruch ist die Gegenleistung zum Beitrag, er besteht nur solange, wie auch Beiträge geleistet werden. Daraus folgt aber, daß kein Eigentum an einem Leistungsumfang bestehen kann, wie er in der Zukunft für dann zu leistende Beiträge geboten wird. Ein Vergleich mit Rentenansprüchen verdeutlicht dies zusätzlich: In die Rentenversicherung zahlen Versicherte ein, um als Gegenleistung in einem bestimmten Umfang Leistungen beanspruchen zu können, dies aber erst in der Zukunft nach Eintritt des Versicherungsfalles (Rentenalter). Die Aussicht auf diese Leistung ist damit zukunftsbezogen (und deshalb dem gesetzgeberischen Zugriff auch besonders ausgesetzt)13. Der Gesetzgeber kann versucht sein, den Leistungsumfang zu modifizieren, obwohl Versicherte im Vertrauen auf diesen ihre Beiträge schon geleistet haben. Diese Gefahr aber fehlt im Recht der GKV, deren Leistungen von Dauer und Höhe der erfolgten Einzahlungen unabhängig sind 1 4 .

10

So auch Katzenstein, Festschrift für Zeidler, S.645 (654 f., 666).

11

Katzenstein, SGb 1988,177 (184 f.), ebenso ders., Festschrift für Zeidler, S.645.

12

So zu Recht Ossenbühl, Festschrift für Zeidler, S.625 (630 f.).

13

Soweit allerdings künftige Leistungen durch die Krankenversicherung der Rentner betroffen sind, gilt das auch für krankenversicherungsrechtliche Regelungen, s. BVerfGE 40,65 (76). 14 Auf diesen Gesichtspunkt rekurriert auch Ossenbühl, Festschrift für Zeidler, S.625 (635), der auf den "Sparcharakter" der Rentenversicherung verweist.

188

4. Kapitel: Arzneimittellisten und Grundrechte der Versicherten und Kranken

Diese Einordnung relativiert sich nur dann, wenn der Verbleib in der GKV (oder der Zwang dazu) im Vertrauen auf einen zumindest gleichbleibenden Leistungsumfang erfolgte bzw. mit dieser Aussicht begründet wurde, und heute (bzw. im Zeitpunkt der Änderungen des Leistungsumfangs) ein Wechsel zur PKV für die Betroffenen etwa wegen des erhöhten Eintrittsalters nicht mehr möglich ist. Auch insofern ist aber auf den (notwendigen) Charakter der G K V als Grundsicherung 15 und das entsprechende Flexibilitätserfordernis zu verweisen. Deshalb können auch für diese Fälle allenfalls Ansprüche auf Gattungen von Leistungen, beispielsweise die Versorgung mit Arzneimitteln insgesamt, nicht aber Ansprüche auf ganz bestimmte Einzelleistungen als verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen verstanden werden 16 . I m Ergebnis fehlt es somit an einer Rechtsposition, die durch Kürzungen im Leistungsbereich beeinträchtigt werden könnte. Diese aber gibt es nur, wenn der Gesetzgeber sich entschließt, rückwirkend Leistungsausschlüsse vorzunehmen - was ersichtlich bisher nicht vorgekommen ist. Weder die Negativliste nach bisherigem, noch die Positivliste nach künftigem Recht schloß bzw. schließt rückwirkend Medikamente von der Verordnungsfahigkeit aus, sondern verneint sie erst ab einem bestimmten Stichtag, der nicht vor dem Inkrafttreten der jeweiligen Vorschrift liegt. Deshalb kann auch kein eigentumsrechtlich geschützter Versichertenanspruch beeinträchtigt sein.

n. Vereinigungsfreiheit 1. Verfassungsrechtliche Einordnung von Pflichtmitgliedschaften Wie auch andere Sozialversicherungszweige, so beruht auch das System der GKV wesentlich auf dem Grundsatz der Pflichtversicherung, anders ausgedrückt auf Zwangsmitgliedschaft eines überwiegenden Teils der Versicherten in der öffentlich-rechtlich organisierten Körperschaft. Dies wird im SGB V durch die §§ 5 ff. geregelt. In der Rechtsprechung der obersten Gerichte werden solche Zwangsmitgliedschaften als rechtfertigungsbedürftige Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit behandelt, die nur bei Verfolgung einer le-

13

Dazu näher noch unten II.

16 Vgl. hierzu BVerfGE 40,65 (75 ff.), wo ein solcher Fall beschrieben wird. Überprüft wird er allerdings an Vertrauensschutzgrundsätzen und nicht an Art. 14 GG. Damals war aber auch der Schritt zur Anerkennung bestimmter sozialversicherungsrechtlicher Positionen als Eigentum noch nicht getan, so daß auch das BVerfG heute dieselben Ausführungen möglicherweise unter der Überschrift des Art. 14 GG machen würde.

A. Grundrechte der (Pflichtversicherten

189

gitimen öffentlichen Aufgabe (unten 2.) und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (3.) zulässig sind 1 7 . Aus dieser Sachlage läßt sich die Frage formulieren, inwieweit Einschränkungen i m Leistungskatalog der GKV die Rechtfertigung der Zwangsmitgliedschaft beeinträchtigen oder umgekehrt, ob ein verfassungskräftiger Anspruch auf Gesundheitsleistungen unter Hinweis auf die P/7/c7?/versicherung bestehen kann. Hierfür sind die Aufgaben der GKV und die dazu eingesetzten Mittel etwas näher zu analysieren. Zuvor ist freilich auf Bedenken gegen die verfassungsrechtliche Einordnung der Zwangsmitgliedschaften einzugehen, die in der Literatur und in einem Fall auch vom BVerfG 1 8 geäußert worden sind.

a) Kein Grundrechtsschutz gegen Pflichtmitgliedschaften

?

Gegen Rechtsprechung und ganz herrschende Lehre, die die Pflicht zur Mitgliedschaft in öffentlich-rechtlich organisierten Körperschaften im Grundsatz als Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit oder in die Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 I G G 1 9 behandeln, wird eingewandt, die Zuweisung von öffentlichen Aufgaben an einen Zwangsverband mit Selbstverwaltung sei milderes Mittel gegenüber einer vollständigen Verstaatlichung der betreffenden Aufgabe 20 . Sei aber schon gegen diese vollständige Verstaatlichung überhaupt kein Grundrechtsschutz gegeben, so könne auch die Übertragung auf eine Selbstverwaltungskörperschaft kein Eingriff sein 2 1 . Diese Ansicht findet möglicherweise auch eine Stütze in einer Entscheidung des BVerfG aus dem Jahre 1988 22 . Dort wird nämlich, trotz Bestätigung des grundrechtlichen Ausgangspunktes, für die vom BVerwG 2 3 hieraus entwickelte sog. Mitgliederklage eine Einschränkung gemacht. M i t dieser Klage können Pflichtmitglieder die Unterlassung von über die gesetzliche Aufgabenbeschreibung hinausgehenden Betätigungen durchsetzen. Ein Unterlassungsanspruch bestehe nur, wenn die

17 BVerfGE 10,354 (361 f., 370); 29,245 (254); 38,281 (299 ff.); BVerwGE 59,231 (238); 64,298(301). 18

BVerfGE 78,320, s. dam sogleich unter a.

19

Dazu sogleich unter b).

20

KJuth, Jura 1989,408 (412 f.); letztere Aussage z.B. auch bei Erichsen, HdbStR VI, § 152,

Rz.74. 21

KJuth, Jura 1989,408 (412 f.).

22

BVerfGE 78,320.

23

BVerwGE 59,231; 64,298.

1 9 0 4 . Kapitel: Arzneimittellisten und Grundrechte der Versicherten und Kranken

Tätigkeit des Verbandes über die Beitragspflicht hinaus in jeweils eigene Grundrechte des (klagenden) Mitglieds eingreife 24 . Die dem zugrundeliegende Differenzierung zwischen Gründung (dort Grundrechtsschutz aus Art. 2 I GG) und Tätigkeit (dort Schutz nur bei weiterem Grundrechtseingriff) der Zwangskörperschaft ist aber nicht stichhaltig. Denn entweder übersieht die Argumentation, daß bereits ein Eingriff in Art. 2 I GG vorliegt, wenn die Tätigkeit der Körperschaft die gesetzliche Aufgabenumschreibung überschreitet. Die Tätigkeit konkretisiert nämlich den legitimierenden (Gründungs-)zweck der Körperschaft, und selbst wenn vor dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Überschreitung des Zwecks materiell möglich wäre, so bliebe sie doch aufgrund der Geltung des Gesetzesvorbehalts formell verfassungswidrig und darum im Ergebnis selbst ein verfassungswidriger Eingriff 2 5 . Oder, und deshalb wird die Entscheidung hier angeführt, das BVerfG w i l l tatsächlich insgesamt eine über die allgemeine Handlungsfreiheit hinausgehende Grundrechtsverletzung verlangen. Damit aber wäre der Grundrechtsschutz gegen die Zwangsmitgliedschaft selbst aufgegeben 26. Ob jede Begründung einer Zwangsmitgliedschaft tatsächlich in allen Fällen ein Grundrechtseingriff ist, braucht hier nicht entschieden zu werden 27 . Im Bereich der Gesundheitsversorgung ließe sich eine die Eingriffsvoraussetzungen erfüllende Beeinträchtigung jedenfalls der allgemeinen Handlungsfreiheit auch für einen vollverstaatlichten Gesundheitsdienst nach englischem Vorbild nicht leugnen. Dies zeigt bereits die Möglichkeit und Existenz privater Krankenversicherungen, die dem einzelnen zumindest in gewissem Umfang den Grad der Vorsorge gegen Krankheit im Rahmen seiner Vertragsfireiheit beläßt. Eine Herausnahme der Vollverstaatlichung aus dem Grundrechtsschutz ginge aber auch ganz allgemein von der Vorstellung einer vorstaatlichen Freiheit ab. So wie selbstverständlich jedem Patienten die Wahl bleibt, bestimmte Behandlungsformen für sich abzulehnen, gehört es grundsätzlich schon davor zur Handlungsfreiheit, den Umfang und den Wert der Versicherung von Gesundheitsrisiken selbst zu bestimmen. Der Staat mag diese Freiheitsausprägung mit guten Gründen einschränken 28 . Aber ein Eingriff in eine vorstaatlich konstruierte Freiheit (jedenfalls aus Art. 2 I GG) bleibt es doch. Im Ergebnis ist aus

24

BVerfGE 78,320 (330 f.).

25

Zum Zusammenhang zwischen legitimierendem Zweck und Aufgabenwahrnehmung so auch Murswiek,, JuS 1992,116 (119). 26

Vgl. Kluth, Jura 1989,408 (411).

27

Bejahend etwa Schmidt-de Caluwe, JA 1993,77 (82).

28

Dazu unten 2.

A. Grundrechte der (Pflichtversicherten

191

diesen Gründen an der Einordnung der (bisherigen) Rechtsprechung und Lehre festzuhalten.

b) Schutz aus Art.

91GG

Die Frage, ob Zwangsmitgliedschaften in öffentlich-rechtlichen Körperschaften an Art. 9 I oder "nur" an Art. 2 I GG zu messen sind, war schon zur Zeit der ersten Leitentscheidung des BVerfG 2 9 , der die Rechtsprechung bis heute folgt 3 0 , umstritten. In der Literatur ist das so geblieben 31 . Während die Rechtsprechung anführt, daß die negative Vereinigungsfreiheit nur als Kehrseite der positiven vom Schutzbereich des Art. 9 I GG umfaßt sei und deshalb dieses Grundrecht das Fernbleiben nur von privatrechtlichen Vereinigungen garantiere 32 , wird in der Literatur vertreten, es gehe hier um die schlichte Freiheit von staatlichem Zwang, was Art. 9 I GG direkt unterfalle 33 . Auf andere im einzelnen hierfür gegebene Begründungen braucht für die Mitgliedschaft in den gesetzlichen Krankenkassen nicht weiter eingegangen zu werden. Denn die - mit obiger Begründung zutreffende - Anwendung der Vereinigungsfreiheit führt im Vergleich zur Lösung der Rechtsprechung nur zu dem Unterschied, daß Eingriffe nicht mit einem beliebigen, sondern nur mit einem zwingenden, verfassungsimmanenten Legitimationsgrund gerechtfertigt werden können 34 . Wie im folgenden zu erörtern sein wird, kann die soziale Krankenversicherung sich auf solche Gründe bis zu einem bestimmten Ausmaß aber stützen. Insofern bleibt es für das vorliegende Thema materiell bei den vom BVerfG aufgestellten Kriterien.

29

BVerfGE 10,89 (102).

30

BVerfGE 38,281 (297 f.); diese Einordnung voraussetzend auch E 71,81 sowie ausdrücklich nuninDOK 1994,316 (321); femer BVerwGE 64,115 (117). 31

o

Vgl. die sehr umfassenden Nachweise bei Bethge/Detterbeck,

32

BVerfGE 10,89 (102).

33

Etwa Murswiek, JuS 1992,116 (118f.).

34

Murswiek, JuS 1992,116 (118 f.).

JuS 1993,43 (44, Fn.2).

192

4. Kapitel: Arzneimittellisten und Grundrechte der Versicherten und Kranken

2. Legitimierende öffentliche Aufgaben Wie eine "legitime öffentliche Aufgabe 35 " allgemein einzuordnen ist, hat das B VerfG in seiner Entscheidung über die Arbeitnehmerkammern konkreter gefaßt: Es müsse an der Aufgabe ein gesteigertes Interesse der Gemeinschaft bestehen, welches weder durch private Initiative wirksam wahrgenommen werden könne, noch vom Staat unmittelbar durch seine Behörden wahrzunehmen sei (staatliche Aufgabe im engeren Sinne) 36 . Wie bereits in anderem Zusammenhang ausgeführt wurde, verfolgt der Staat mit der sozialen Krankenversicherung im wesentlichen drei Ziele. Erstens bezweckt er die Erhaltung und Förderung der Gesundheit der einzelnen Versicherten wie der ganzen Gruppe der Mitglieder (§ 1 SGB V). Zweitens soll im Rahmen der solidarischen Finanzierung (§ 3 SGB V) eine gewisse Umverteilung erreicht werden. Und drittens dient das System dazu, den Staat (bzw. den Steuerzahler) davor zu schützen, daß er mit den Kosten der Krankheit einzelner über die Garantie des Existenzminimums belastet w i r d 3 7 . Da das GG den Staat nur in wenigen Fällen zur unmittelbaren Selbstwahrnehmung von Aufgaben zwingt 3 8 , andererseits aber über Art. 2 I I und das Sozialstaatsprinzip den genannten Zielsetzungen Verfassungsrang einräumt, liegen legitime staatliche Zielsetzungen auch dann vor, wenn man die Zwangsmitgliedschaft als Eingriff in die Vereinigungsfreiheit versteht.

3. Verhältnismäßigkeit Die allgemeine Rechtfertigung der Zwangsmitgliedschaft konzentriert sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit vor allem auf die Erforderlichkeit mit der Frage, ob andere (private) Organisationen die gestellten Aufgaben nicht auch (oder besser) erfüllen können 3 9 und auf die Zumutbarkeit mit der Frage nach dem Überwiegen der Gemeinwohlgründe 40 .

33

Zur Herkunft dieses Kriteriums s.o. II. 1. mit Fh. 17.

36

BVerfGE 38,281 (299).

37

S. oben Kapitel 3, A I D . 1 .a.cc.

38

S. Bethge/Detterbeck,

39

Jäkel, DVB11983,1133 (1137 f.); Bethge/DetterbecK

40

Speziell zur GKVSchwerdtfeger,

JUS 1993,43 (45) mit weiteren Nachw. in Fn.8. JuS 1993,43 (45)

Negativlisten, S.23; s. saxdiRuland, JuS 1991,1053 f.

A. Grundrechte der (Pflicht-)versicherten

193

Zu ersterer Frage ergibt sich, daß zwar von einzelnen Versicherten aus betrachtet ein individuell zugeschnittener Gesundheitsschutz in der PKV möglich wäre, aber die Leistungsfähigkeit der Solidargemeinschaft sich eben erst mit dem Pflichtversicherungsprinzip einstellt. Zur Erreichung der dargelegten Zwecke wäre ein Privatversicherungssystem also weniger geeignet und darum auch als milderes Mittel untauglich. Unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit ist zu erörtern, ob Leistungsausschlüsse aus dem GKV-Katalog dazu führen können, daß die Rechtfertigung der Zwangsmitgliedschaft überhaupt ins Wanken gerät. Dem steht von vorneherein entgegen, daß eine solidarische Versicherung, schon um die Umverteilung in einem legitimen Umfang zu halten und die Beitragslasten zu begrenzen, nur eine Grundversorgung mit Gesundheitsleistungen anbieten kann. Die Gewährleistung einer funktionierenden Grundabsicherung gesundheitlicher Risiken ist ein Gemeinwohlbelang von überragender Bedeutung. Solange eine solche Grundversorgung gewährleistet ist - und dem trägt das SGB V auch nach dem GSG Rechnung - verliert das Pflichtversicherungssystem seine verfassungsrechtliche Legitimität also nicht. Auch den Pflichtversicherten ist es zumutbar, über die gebotene Grundversorgung hinausgehende Wünsche und Vorlieben selbst zu bezahlen bzw. in einer Zusatzversicherung abzudekken. Fraglich wird diese Einordnung erst dann, wenn die Grundversorgung zugleich das Gesamtangebot im jeweiligen Indikationsbereich determiniert. Wo Selbstmedikation deshalb unmöglich wird, weil das eigentlich gewünschte Arzneimittel wegen Ausschluß von der Verordnungsfahigkeit zu Lasten der GKV ganz vom Markt genommen wurde, nützt der Hinweis auf die allein sicherzustellende Grundversorgung dem Versicherten wenig. Wenn der Staat über neun Zehntel der Gesamtbevölkerung einer Pflichtversicherung unterwirft und in deren Rahmen die verordnungsfahigen Gesundheitsleistungen genau vorschreibt, so übernimmt er damit zugleich die Verantwortung dafür, welche Gesundheitsleistungen überhaupt noch angeboten werden. Mit anderen Worten kann das Grundversorgungsargument nur dort Geltung beanspruchen, wo gleichzeitig für die Existenz eines weitergehenden freien Marktes Raum bleibt 4 1 . In letzter Konsequenz ergibt sich hieraus die Frage, ob Leistungsausschlüsse nicht doch dazu führen, daß der Zweck der individuellen wie kollektiven Gesundheitsvorsorge letztlich leiden muß und von daher das Pflichtmitgliedschaftssystem einen erheblichen Teil seiner Legitimationsbasis einbüßt. Allerdings bliebe auch dann - neben der Umverteilung - der oben drittge-

41 Eingehender zu diesem Effekt, der natürlich nicht nur die Versicherten, sondern alle Verbraucher trifft, s.u. B.

13 Philipp

1 9 4 4 . Kapitel: Arzneimittellisten und Grundrechte der Versicherten und Kranken

nannte Zweck, die Gesellschaft auf finanzierbare Weise von Sozialhilfekosten zu entlasten, bestehen. Im Ergebnis sind die Leistungsausschlüsse im Rahmen der GKV deshalb solange ohne letztendliche Auswirkung auf die Legitimationsbasis des Systems, wie dieses eine Grundversorgung, die diesen Namen verdient, zur Verfügung stellen kann. Angewendet auf die Versorgung mit Arzneimitteln bedeutet dies, daß die durch § 34 bzw. § 34a n.F. SGB V vorgenommenen Leistungsausschlüsse vor den Rechtfertigungsanforderungen der Zwangsmitgliedschaft standhalten, obwohl, wie beschrieben, der befürchtete Effekt in einigem Ausmaß - mehrere tausend Mittel sind vom Markt genommen, weitere in ihrer Zusammensetzung verändert worden - tatsächlich eingetreten ist.

HI. Recht auf körperliche Unversehrtheit Zu überlegen bleibt, ob auch aus dem in Art. 2 I I GG gewährleisteten Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit speziell der Versicherten Grundsätze folgen, die die Befugnis des Gesetzgebers zu Leistungsausgrenzungen beeinträchtigen. Die oben beschriebene Beobachtung, daß Mittel ganz vom Markt verschwinden, wenn die Verordnung zu Lasten der GKV nicht mehr möglich ist, kann dabei außer Betracht bleiben, weil dieser Effekt alle Verbraucher gleichermaßen betrifft 42 . Daraus folgt aber, daß dem Art. 2 I I GG Ansprüche auf die Bereithaltung spezieller Gesundheitsleistungen gegen den Staat entnommen werden müßten, wenn man eine Verletzung begründen wollte. Schon ein Anspruch gegen den Staat darauf, allgemein Gesundheitsleistungen zur Verfügung zu stellen, wird im Zusammenhang mit Art. 2 I I 1 GG aber kaum vertreten 43 . Bereits früh hat das BVerfG entschieden 44 , daß Art. 2 I I 1 GG nicht einmal ein Recht auf angemessene Versorgung durch den Staat beinhalte und dies mit dem Abwehr-

42

Zu diesem Problem unten B.

43 Allerdings, wenn auch eher politisch gemeint, bei Wannagat, Soziale Sicherheit und personliche Freiheit, S.307; ablehnend, soweit nicht das bloße Existenzminimum betroffen ist, bspw. Lorenz, HdbStR VI, § 128 Rzl52; vMangold/Klein-Starck, Art. 2 I I Rz. 141; v.Münch/Kunig, Art. 2 I I Rz.60; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 2 I I Rz.21; V G H Mannheim, MedR 1986,346 (347 f.). Ein weiterer Überblick findet sich bei Seewald, Grundrecht auf Gesundheit, S.72 ff. 44

BVerfGE 1,97 (104 f.).

A. Grundrechte der (Pflichtversicherten

195

Charakter der Grundrechte und der Entstehungsgeschichte45 des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit begründet. Ein weiteres Argument gegen den Versuch, dem Grundrecht grundsätzlich positive Ansprüche zu entnehmen, findet sich darin, daß dafür eine "Objektivierung" von Gesundheit nötig wäre. Könnte der Bürger nämlich mit der Behauptung, eine bestimmte Sache oder Behandlung diene der Gesundheit, deren Bereitstellung durch den Staat verlangen, wäre bald ein in dieser uferlosen Weite unvorstellbarer Leistungsanspruch gegeben. Schon die deshalb notwendige Begrenzung und Objektivierung wäre aber zugleich als gesetzliche Ausgestaltung potentiell wieder freiheitseinschränkend. Das Grundrecht eignet sich auch seines knappen Wortlauts wegen nicht zur Anspruchsbegründung 46 . Dazu kommt, daß die Kodifizierung als soziales Teilhabegrundrecht für den Gesundheitsbereich noch weitergehenden Bedenken unterliegt als das "klassische" soziale Grundrecht auf Arbeit. Gesundheit in einer objektivierten Form kann letztlich nicht ohne ihrerseits wieder freiheitsfeindliche 4 7 Pflichten zu gesundheitsbewußtem Verhalten 48 gewährleistet werden, und auch dann blieben genügend unheilbare oder in ihren Ursachen unerforschte Gebrechen zurück. Selbst wenn man der Ansicht, daß im Grundrecht aus Art. 2 I I 1 GG bereits notwendig ein Anteil an Eigenverantwortung steckt 49 , nicht folgen will, läßt sich ein Anspruch auf Gesundheitsleistungen aus Art. 2 I I 1 GG also nicht begründen. Eine Ausnahme hiervon kommt freilich für das sog. Existenzminimum in Betracht. Die Verantwortlichkeit des Staates hierfür wird neben Ableitungen aus dem Sozialstaatsprinzip 50 , aus Art. 1 G G 5 1 und Art. 3 G G 5 2 auch auf das

43 Während im Verlauf der Beratungen diskutiert wurde, ein Existenzminimum in Zusammenhang mit dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zu gewährleisten, ließ der Parlamentarische Rat dies in der endgültigen Fassung des Art. 2 GG gerade weg; s. v.Doemming/Füssler/Matz, Jahrb. d öff. Rechts 1,1951, S.58 f. 46

Allgemein Murswiek, HdbStR V, § 112 Rz.93 mw.N.

47

Konkreter: in eine subjektiv verstandene Gesundheit bzw. körperliche Unversehrtheit eingrei-

fende. 48 So auch Jäger und Suhr, Überlegungen zur Kodifikation eines Grundrechts auf Gesundheit, S.100 (Thesen 5 und 6) sowie S.l 16 f.. Mit einem konkreten Vorschlag Jung, Das Recht auf Gesundheit, S.249 ff.. Kritisch zu solchen Vorschlägen wiederum Krause, Paradoxon, S.l07 (Notwendigkeit einer an "Orwellsche Visionen mahnenden Kontrolle der Lebensführung"). 49

S. unten B.

30

Zacher, HdbStR I, § 25 Rm. 27 ff.

31

Für möglich gehalten in BVerfGE 75,348 (360).

32

So Däubler, NJW 1972,1105 (1106): gleiches Recht auf physische Existenz fiir alle.

1 9 6 4 . Kapitel: Arzneimittellisten und Grundrechte der Versicherten und Kranken

Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gestützt - sei es allein 5 3 oder in Verbindung mit den genannten Verfassungsnormen 54. Als Begründung hierfür kann man auf die " Vorwirkung" des Grundrechts auf Leben auf dasjenige auf körperliche Unversehrtheit verweisen, da Krankheit in der Regel ein notwendiges Durchgangsstadium zum Tod sein w i r d 5 5 . Das angenommene Ausmaß des Anspruchs ist recht unterschiedlich 56 . Unter dem Gesichtspunkt verfassungsrechtlicher Bezüge von Leistungsausschlüssen aus dem GKV-System braucht den verschiedenen Ableitungen und Inhalten aber nicht nachgegangen zu werden, da hier in allen Fällen nur eine Grundversorgung gemeint ist. Insofern ließen sich nur die Ergebnisse zur Legitimation der Zwangsmitgliedschaft in gewisser Weise bestätigen. Aber auch darüberhinaus ist selbst bei Anerkennung eines verfassungskräftigen Anspruchs nicht ersichtlich, wieso der Staat diese Grundversorgung gerade über das Sozialversicherungsrecht aufrechterhalten sollte bzw. müssen sollte. Auch nach geltendem Recht gewährleistet dies das Sozial/jzT/erecht. Zwar mögen systemimmanente Gründe dafür sprechen, das Leistungsniveau der gesetzlichen Krankenversicherung nicht unter dasjenige der Sozialhilfe absinken zu lassen 57 . Verfassungsrechtlich haben diese Gründe aber höchstens bei der Legitimation der Zwangsmitgliedschaft in der GKV ihren Ort, nicht aber beim Grundrecht aus Art. 2 I I 1 GG. Im Ergebnis können Leistungsausschlüsse mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit als Leistungsrecht nur dann kollidieren, wenn das (wie auch immer verstandene) Existenzminimum gefährdet ist und keine anderen (sozialrechtlichen) Ansprüche bestehen. Nach dem Sozialhilfesystem der Bundesrepublik wird dies kaum je der Fall sein. Allerdings würde eine Ausnahmeregel, die die Verordnung an sich ausgeschlossener Mittel in besonderen Fällen erlaubt und deren Fehlen bereits beim Herstellergrundrecht aus Art. 12 GG moniert wurde, die letzten Zweifel beheben und wäre auch deshalb empfehlenswert 58 .

53

Etwa Podlech, Altemativkommentar GG, Art. 2 E Rz.23; auch BVerwGE 9,78 (80 f.).

34

So Lorenz, HdbStR VI, § 128 Rz:52; Schwabe, NJW 1969,2274; LSG Bremen, SGb 1982,116 (118 ff.); BVerwGE 1,159 (160 f.); M/DIH/S-Dürig (1958), Alt. 2 E Rz26 f. (Alt. 2 E und Sozialstaatsprinzip). 33

Seewald, Grundrecht auf Gesundheit, S.52 f.

36

Weitgehend zlB. Schwabe, NJW 1969,2274; LSG Bremen, SGb 1982,116 (118 ff.), restriktiver M/DfH/S-Dürig, Alt. 2 E Rz27. 37

Schulin, Gutachten, S.E 64; ähnlich auch Ecker, Um des einzelnen willen, S. 116.

38

Ähnlich Thier, ZSR 1989,61 (97, Fn.176).

A. Grundrechte der (Pflichtversicherten

197

IV. Verstoß gegen Art 3 1 G G durch Leistungsbeschränkungen ? Ganz generell spielt der Gleichheitssatz in der Rechtsprechung zu sozialund sozialversicherungsrechtlichen Fragen eine große Rolle 5 9 . Regelmäßig geht es dabei um die Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner Gruppen gegenüber anderen Versicherten 60 . Das BVerfG hat in diesem Zusammenhang Anlaß gehabt, die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers einer rechtlichen Strukturierung zu unterziehen 61 . Leistungsausschlüsse, die alle Versicherten treffen, sind dagegen nur in Einzelfallen auf Bedenken aus Art. 3 I GG gestoßen 6 2 . Das erklärt sich daraus, daß jedenfalls im Krankenversicherungsrecht zwar die Zugangsregelungen zur Versicherung mit vielen Differenzierungen arbeiten, der Leistungsbereich aber recht einheitlich normiert ist. Deshalb bleiben als Vergleichsgruppen nur die Mitglieder der GKV einerseits und der Rest der Bevölkerung andererseits übrig. Hier ist dem Listenansatz, namentlich im Arzneimittelbereich, vorgehalten worden, eine unterschiedliche Wirksamkeitsbeurteilung von Medikamenten durch das BGA (für die gesamte Bevölkerung) und durch Organe der GKV (für die dort Versicherten) sei eine Ungleichbehandlung, die verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden könne 63 . Diese Argumentation übersieht aber zweierlei. Zumal solche "Doppelprüfungen" mangels Erforderlichkeit auch gegen Art. 12 I GG (Berufsfreiheit der Hersteller) verstoßen, sind die §§34 bzw. 34a SGB V so auszulegen, daß die Listen keine Urteile über die abstrakte Wirksamkeit abgeben, sondern, über die Tätigkeit des BGA also hinausgehend, wirksame Arzneimittel miteinander vergleichen. Dann gelten aber auch keine unterschiedlichen Wirksamkeitsurteile mehr, und es fehlt bereits an der unterstellten Ungleichbehandlung - oder aber die Vorschriften sind bereits wegen Verletzung der Herstellergrundrechte verfassungswidrig. Darüberhinaus gibt es für solche Ungleichbehandlungen, so sie im Leistungsbereich vorkommen, sachliche Gründe. Auch hier ist anzuführen, daß die GKV ihrem Wesen als Solidarversicherung nach einer Beschränkung auf eine Grundversorgung offenstehen muß. Daraus folgt, daß in der Tatsache ei-

39 S. nur Katzenstein, SGb 1988,177 mit vielen Nachw. aus der Rechtsprechung des BVerfG. Ausfuhrlich dazu neuestens das BVerfG vom 08.02.1994, abgedruckt in DOK 1994,316. 60

Ein Beispiel hierfür bei Bieback, ZSR 1993,197 (200).

61

Dazu bereits Kapitel 3, AJV.

62

Küchenhoff

63

Küchenhoff,

y

SGb 1979,89 (95,98). SGb 1979,89 (95,98).

198

4. Kapitel: Arzneimittellisten und Grundrechte der Versicherten und Kranken

nes für die GKV gegenüber dem Gesamtmarkt eingeschränkten Leistungsangebots keine willkürliche Ungleichbehandlung gesehen werden kann 6 4 . Allgemein ist demnach festzuhalten, daß Differenzierungen im Leistungsumfang zwischen GKV und PKV bzw.

M

Gesamtmarkt M vor Art. 3 GG durch

einen sachlichen Grund gerechtfertigt werden können und Bestand haben.

B. Grundrecht aller Arzneimittelverbraucher auf körperliche Unversehrtheit I. Schutzbereich 1. Mögliche Auswirkungen von Leistungsausschlüssen in der GKV Es ist bereits mehrfach angeklungen, daß zwei unterschiedliche Auswirkungen von Leistungsausschlüssen aus dem Katalog der GKV unterschieden werden können. Hierbei handelt es sich einerseits um die ganz unmittelbare Folge, daß Versicherte, die, sei es mit oder ohne ärztliche Beratung, vom Ausschluß betroffene Gesundheitsleistungen weiterhin in Anspruch nehmen wollen, diese nicht (mehr) als Sachleistung ihrer Kasse ohne zusätzliche Kosten zur Verfügung gestellt bekommen, sondern sie auf eigene Kosten auf dem Markt einkaufen müssen. Im Zusammenhang mit dem Grundrecht aus Art. 2 I I 1 GG stellt sich daraus nur die Frage, ob das Grundrecht einen Anspruch auf Sachleistung bzw. Erstattung bestimmter Leistungen durch die Kasse gewähren kann, der über den (begrenzten) einfach-gesetzlichen Anspruch hinausgeht 65 . Andererseits sind aber auch - gleichsam doppelt - mittelbare Auswirkungen solcher Ausschlüsse zu beobachten. Die überwältigende Marktmacht der GKV kann im Falle des Ausschlusses von Leistungen dazu führen, daß diese auf dem verbleibenden Markt keine Chance mehr haben und deshalb aus dem Angebot ganz verschwinden. Doppelt vermittelt ist diese Auswirkung, weil zunächst der Anbieter oder Hersteller gezwungen ist, sein Angebot zu verändern oder die Herstellung einzustellen, und erst hieraus sich ergibt, daß der einzelne Verbraucher die Leistung nicht mehr in Anspruch nehmen kann, auch nicht auf eigene Kosten.

64

So auch Denninger, Arzneimittel-Richtlinien, S.64.

63

Dazu oben A I D .

B. Grundrecht aller Arzneimittelverbraucher auf körperliche Unversehrtheit

199

Nun läßt dieser Effekt sich nicht auf alle Gesundheitsleistungen, die i m Leistungsumfang der G K V nicht enthalten sind, verallgemeinern. I m einzelnen gibt es vielmehr große Unterschiede. So sind viele heilpraktische Ausrichtungen ebensowenig vom Gesundheitsmarkt verschwunden wie nicht verordnungsfahige psychotherapeutische Konzepte. Und die sog. Selbstmedikation, also der direkt selbstfinanzierte Verbrauch von Arzneimitteln, macht einen erheblichen Teil des Umsatzes von Apotheken und Pharmaindustrie aus 6 6 . Andererseits ist diese indirekte Auswirkung nicht deshalb für alle Bereiche zu vernachlässigen. Es kann aus dem unbestrittenen Faktum, daß ein Marktverschwinden etwa bei preiswerteren Mitteln nicht Folge des GKV-Leistungsausschluß sein wird, nicht geschlossen werden, jede Gesundheitsleistung könne sich unter den Bedingungen einer starken G K V neben dieser noch einen Markt schaffen. Daß i m Gefolge der Negativliste Mittel vom Markt genommen oder in ihrer Zusammensetzung verändert wurden, ist bereits dargelegt worden 6 7 . Dazu kommt, daß erstens der Trend zur Einbeziehung noch weiterer Bevölkerungskreise in die G K V auch den Staatseinfluß auf das "Gesundheitsangebot" erhöht. Ein Blick auf die etwa bei der Kodifizierung des A M G 1976 geführte Pluralismusdiskussion i m Gesundheitswesen68 sollte aber zeigen, daß die staatliche Festlegung von Gesundheit letztlich nicht sinnvoll gelingen kann, auch nicht auf dem Umweg über das Sozialversicherungssystem. Zweitens können auch Einzelfalle von ganz verschwundenen Gesundheitsangeboten auf wenige Menschen massive und deshalb nicht weniger grundrechtsrelevante Auswirkungen haben. Drittens schließlich wird die Chance, am Verteilungskuchen der G K V beteiligt zu werden, innovationslenkend wirken. Unterstellt man den beschriebenen Effekt somit als jedenfalls in Teilbereichen gegeben 69 , so fragt es sich i m Lichte des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit, ob es auch ein Recht auf Zugang zu Gesundheitsleistungen enthält, die machbar oder "anbietbar" wären, sei es auch nicht kostenlos.

66

S. dazu Walluf-Blume/Hoffmann, Phann.Ind.53 (1991),1020; Schmickler, gpk 1993,14 und Burges, gpk 1992,272: Im Jahre 1991 soll die Selbstmedikation einen Marktanteil von 16 % erreicht haben. 67

Oben Kapitel l,B.IL2.f.aa.

68

Ergebnis dieser Diskussion war, daß der Gesetzgeber den Pluralismus in der Arzneimitteltherapie ausdrücklich als Weit und als Zielsetzung des A M G anerkannt hat, vgl. oben Kapitel 1, A.n.2.b.aa und 3.a. 69 Noch ganz ohne Berücksichtigung solcher Effekte Warmagat, Soziale Sicherheit und perönliche Freiheit (1962), S.305ff.

2 0 0 4 . Kapitel: Arzneimittellisten und Grundrechte der Versicherten und Kranken

2. Generelle Erhältlichkeit von Gesundheitsleistungen als Element des Schutzbereichs von Art 2 I I 1 GG ? Ergibt sich aus den bisherigen Darlegungen, daß die beschriebene direkte Auswirkung von Leistungsausschlüssen das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit regelmäßig nicht verletzt, so fragt sich im folgenden, ob die dargelegte indirekte Folge eine Beeinträchtigung von Grundrechten bedeuten kann. Anders ausgedrückt geht es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Erhältlichkeit von Gesundheitsleistungen - gerade solcher, die das staatliche System nicht oder nur in begrenztem Umfang finanziert zur grundrechtlich gewährleisteten Freiheitsausübung gehören kann. Verneint man die Einschlägigkeit des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit, so käme immer noch eine Prüfung des Sachverhalts an der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG in Betracht. Diese Einordnung ist in der Literatur, soweit genau die hier gestellte Frage behandelt wird, in der Tat vorgenommen worden 70 . Für den Gesamtkomplex des Selbstbestimmungsrechts des Kranken ist auch versucht worden, das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I in Verbindung mit 1 I GG im Sinne einer "Freiheit in Vielfalt" im ganzen Gesundheitsbereich fruchtbar zu machen 71 . Wenn hier gleichwohl Art. 2 I I 1 GG für einschlägig gehalten w i r d 7 2 , so hat das folgende Gründe:

a) Untrennbarkeit

von Gesundsein und Gesundwerden

In Rechtsprechung und Literatur zum Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit stand und steht fast immer folgende Grundkonstellation im Vordergrund: Ein - in absoluter oder relativer Weise - ursprünglich gesunder oder körperlich unversehrter Mensch 7 3 wird in diesem Zustand geschädigt, sei es durch staatliche Beeinträchtigungen mit der Folge der Anwendbarkeit des Grundrechts als Abwehrrecht, oder sei es durch Beeinträchtigungen Dritter, so daß die vom BVerfG bei Art. 2 I I 1 in ständiger Rechtsprechung herangezo-

70 Leibholz, Arzneimittelsicherheit und Grundgesetz, S. 28 f. und 46 f.; LSG Bremen, SGbl982,116 (122); offenlassend Seewald, Grundrecht auf Gesundheit, S.124. 71 Zuck, NJW 1991,2933; ders., Grundrechtsschutz und Gnmdrechtsentfaltung im Gesundheitswesen, S.31,34 und öfter. 72

Ähnlich auch vWK-Kunig,

73

S. MIDfYUS-Dürig,

Alt. 2, Rzn.62,65 und 72.

Alt. 2 II, Rzl29,30.7

B. Grundrecht aller Arzneimittelverbraucher auf körperliche Unversehrtheit

201

gene Schutzpflicht 74 bestimmte Maßstabe bietet. Alle Einzelprobleme des Grundrechts, etwa die Behandlung von Gesundheitsgefahrdungen 75 oder das Verhältnis der Begriffe "körperliche Unversehrtheit" und "Gesundheit" zueinander 76 , sind vor diesem Hintergrund diskutiert und behandelt worden. Für die vorliegende Frage geht es aber um die umgekehrte Konstellation - ein Kranker möchte gesünder, ein Versehrter weniger versehrt werden. Krankheit ist ein menschlicher Zustand, der vom Staat ebenso als Wirklichkeit vorgefunden wird wie Gesundheit. Da beide Zustände aber kaum scharf voneinander abgrenzbar sind, die Unterscheidbarkeit von Gesundbleiben und Gesundwerden verschwimmt, ist nicht ersichtlich, wieso das eine von einem Grundrecht als frei gewährleistet sein soll, das andere aber nicht. Gerade weil alle Menschen krank werden, und damit auch Gesundwerden die Voraussetzung des Zustandes ist, an den die erste Konstellation anknüpft, erscheint eine grundlegende Trennung als sachfremd. Ein zusätzlicher Hinweis im Sinne der hier vertretenen Einordnung ist das in Art. 2 I I 1 mitgewährleistete Recht auf Leben 77 . Wenn (auch lebensbedrohende) Krankheiten zur vorgefundenen menschlichen Realität gehören, dann muß das Gesundwerden aus dieser Situation heraus unter Berücksichtigung des Lebensrechts vom Schutzbereich mitumfaßt sein. Die thematische Nähe, j a Untrennbarkeit beider Konstellationen bildet also ein erstes inhaltliches Argument für die Einbeziehung auch des Gesundwerdens in den Schutzbereich des Art. 2 I I 1 GG.

b) Parallelen in der straf- und zivilrechtlichen Dogmatik zum ärztlichen Heileingriff Ein Blick auf die straf- und zivilrechtliche Dogmatik zum ärztlichen Heileingriff und zur damit verbundenen Aufklärungspflicht zeigt, daß auch dort eine Trennung von Gesundsein und Gesundwerden nicht vorgenommen wird. Von jeher betrachtet die strafrechtliche Rechtsprechung den Heileingriff als

74 BVerfGE 39,1 (36 ff., 42); 53,30 (57); 56,54 (78); s. auch Murswiek, Staatliche Verantwortung, S.101; ausführlich Hermes, Das Recht auf Schutz von Leben und Gesundheit (1987). 73

BVerfGE 56,54 (78).

76

Die körperliche Unversehrtheit geht weiter, insofern auch Beeinträchtigungen im Vorfeld pathologischer Zustande erfaßt sind; s. M/D/WS-Dürig, Art. 2 II, Rz.29, ist aber enger, soweit kein allgemeiner Anspruch auf Gesundheit über den status quo hinaus bestehen kann. 77 S. auch Seewald, Grundrecht auf Gesundheit, S.52 f. u. 71; Hermes, Schutz von Leben und Gesundheit, S.222.

2 0 2 4 . Kapitel: Arzneimittellisten und Grundrechte der Versicherten und Kranken

tatbestandsmäßige Körperverletzung, die durch die gültige Einwilligung des Betroffenen erst gerechtfertigt wird 7 8 . Dem liegt nichts anderes zugrunde als die Selbstbestimmungsfreiheit des Kranken über seinen Gesundungsprozeß. Folgerichtig wird die Thematik auch im verfassungsrechtlichen Schrifttum mit Art. 2 I I 1 GG in Verbindung gebracht 79 . Entsprechendes gilt für die zivilrechtlich bedeutsame ärztliche Aufklärungspflicht 80 .

c) Geföhrdimgssituation Ein zusätzliches Argument für die hier vertretene Ansicht kann gerade dem vorrangigen Charakter der Grundrechte als Abwehr- und individuelle Freiheitsrechte entnommen werden. Zwar stößt eine Auslegungsprämisse, die die Schutzbereiche der Grundrechte unter dem Gesichtspunkt größtmöglicher Freiheit verstehen w i l l 8 1 , auf Bedenken, weil sie gleichzeitig die Eingriffsmöglichkeiten, insbesondere mit Hilfe der Figur des kollidierenden Verfassungsrechts, erweitern müßte 82 . Der hier interessierende Bereich der Gesundheitspflege, die Bestimmung des Menschen über seine leiblich-seelische Integrität, gehört aber zum ureigensten Bereich menschlicher Personalität 83 . Die Gefahrdungssituation, in der die Menschen zum Gegenstand von Gesundheitspolitik und ihren Vollzügen 8 4 zu werden drohen, legt es deshalb nahe, Art. 2 I I 1 GG als eine "Sicherung des Selbstbestimmungsrechts auch des Kranken über die eigene leibliche Integrität" 85 zu verstehen, die es ausschließt, auf eine nur nach objektiven Anhaltspunkten bestimmte Gesundheit abzustellen. Das Grundrecht aus Art. 2 I I 1 GG ist insoweit jedenfalls als spe-

78

S. ausführlich bei Schönke-Schröder-Eser,

79

M/D/HJS-Dürig,

§ 223 Rz.29 ff.

Art.2 H, Rz:37; Lorenz, HdbStR VI, § 128 Rz.65.

80

Hierzu BVerfGE 52,131 (171,173 ff, abw. Meinung der Richter Hirsch, Niebier und Steinberger, wobei anzumerken ist, daß die Mehiheitsmemung in dieser Entscheidung andere Aussagen zu Art. 2 I I 1 GG nicht enthält). S. audi Deutsch, Arztrecht und Arzneimittelrecht, S.52. 81

So für Art. 2 E 1 GG aber Seewald, Grundrecht auf Gesundheit, S. 138.

82

Pieroth/Schlink,

83

Abw. Meinung von Hirsch, Niebier und Steinberger in BVerfGE 52,131 (171 ff, 173 f.).

84

Abw. Meinung von Hirsch, Niebier und Steinberger in BVerfGE 52,131 (171 ff, 173 f.).

83

Grundrechte, Rz258 ff.

Im Anschluß an die zitierten Ausführungen im Mindeiheitsvotum BVerfGE 52,131 (171) Hermes, Schutz von Leben und Gesundheit, S.224; ähnlich auch x>Münch, in ders., GG-Kommentar, 3.Auflage, Art.2 Rz.54.

B. Grundrecht aller Arzneimittelverbraucher auf körperliche Unversehrtheit

203

ziellere Ausprägung der Grundsätze des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 1 in Verbindung mit 11 GG zu verstehen.

d) Unmöglichkeit der Objektivierung

von Gesundheit

Schließlich wird ein weiterer, mit dem unter a) beschriebenen eng zusammenhängender Gesichtspunkt deutlich, wenn man sich die Eigenart der menschlichen Gesundheit vor Augen führt. Zwar gebraucht das GG den Begriff der körperlichen Unversehrtheit, jedoch wird, soweit nicht ohne weiteres eine völlige Gleichsetzung erfolgt 86 , allgemein die biologisch-physiologische Gesundheit als von der körperlichen Unversehrtheit umfaßt angesehen87. Indessen zeigt sich, daß Gesundheit letzten Endes gar nicht in einer objektiven Weise definiert werden kann 8 8 . Schon die Medizin gebraucht mindestens vier unterschiedliche Krankheitsbegriffe 89 , die sich im Kern aus einer je bestimmten Betrachtungsweise und deren Zielrichtung ergeben. Auch das Recht verwendet keine allumfassende oder abschließende Legaldefinition, sondern hat für verschiedene Rechtsgebiete, ebenfalls deren jeweiliger Regelungsintention folgend, unterschiedliche Krankheitsbegriffe. Im Recht der GKV gilt Krankheit als regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der die Notwendigkeit einer ärztlichen Heilbehandlung oder, zugleich oder allein, Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat 9 0 . Dieser Begriff ist ebenfalls gesetzlich nirgendwo niedergelegt, sondern hat sich in der Rechtsprechung durchgesetzt. Im Kern läßt er sich auf das Kriterium der Behandlungsbedürftigkeit reduzieren 91 . Für das Arzneimittelrecht hat der BGH demgegenüber, kurzgefaßt, Krankheit als heil-

86

Etwa bei JJIofmann., NJW 1988,1486 (1488).

87

Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz.450; M/DfWS-Dürig, Art. 2 D Rz.29; deutlich auch Seewald, Grundrecht auf Gesundheit, S.54 f.; ebenso Günther, Wiitschaftlichkeitsgebot, S.174 und Hohm, Armeimittelsicherheit und Nachmarktkcntrolle, S.83. 88

Etwa Laufs, Festschrift für Weitnauer, S.366.

89

Seewald, Grundrecht auf Gesundheit, S.14 ff. unterscheidet hier einen naturwissenschaftlichen (Krankheit = Nonnabweichung), einen klinischen (Krankheit = Hilfsbedürftigkeit), einen personalistischen (Krankheit, wenn der einzelne sich krank fühlt) und einen sozialmedizinischen (Häufigkeit des Auftretens von Krankheitssymptomen unter dem Einfluß bestimmter Faktoren innerhalb einer größeren Gruppe) Krankheitsbegriff. 90

Schulin, Sozialrecht, Rz.239 ff; Gitter, Sozialrecht, S.82, § 8 H 1.

91

Faude, SGb 1978,374; Laufs, Festschrift f. Weitnauer, S.365 f.

2 0 4 4 . Kapitel: Arzneimittellisten und Grundrechte der Versicherten und Kranken

bare Normabweichung hinsichtlich der Beschaffenheit oder der Tätigkeit des Körpers definiert 92 . Gibt es aber, wie sich zeigt, keine objektiven Kriterien von Krankheit und Gesundheit, sobald der jeweilige Betrachtungs- oder Regelungszweck93 außer Acht gelassen wird, so kann das sinnvoll nur bedeuten, daß der Staat jenseits dieser Zwecke die Entscheidung über gesund und krank nicht treffen und die Verantwortung dafür nicht übernehmen kann. Dieser Befund ist nicht bloß begrifflich ableitbar. Daß Gesundheit ohne Eigeninitiative und Selbstverantwortlichkeit gerade dort, wo es um die Heilung von Krankheiten geht, kaum von außen gefordert werden kann und nur begrenzt erzwingbar ist, ist für die oft zitierten Beispiele Übergewichtigkeit, Rauchen und Alkoholkonsum ohne weiteres einsichtig. In der Zeit der Immunschwäche Aids läßt sich diese Kette beispielsweise um unvorsichtiges Sexualverhalten erweitern. Im übrigen scheint nach den Erkenntnissen der Psychologie ein zentrales Erfordernis von Gesundung im körperlichen wie im psychischen Bereich die Einstellung des Kranken zu sein, für die eigene Befindlichkeit Selbstverantwortung zu haben bzw. übernehmen zu können 94 . Hieraus ergibt sich, daß die Auslegung des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit als einer Art grundsätzlichen staatlichen Definitionsverbots, welches beide unter a) dargelegten Gefahrdungssituationen zu berücksichtigen hat, der vorgefundenen Wirklichkeit von Gesundheit und Krankheit am besten gerecht wird.

92

BGH, NJW 1958,916; ebenso Sander/Köbner,

93

Behandlung^bedüiftigkeit in der GKV; Heilbarkeit im Arzneimittelrecht.

94

§ 2 AMG, Nr.10 mit weit. Nadiw.

Jedes Krankheitssymptom weist hiernach - entgegen der durch das GKV-System suggerierten Entfremdung und Objektivierung - auch einen höchst personlichen Charakter auf, der sich klassischnaturwissenschaftlichen Beweis- und Heilungsmethoden verschließt. Zu dieser Erkenntnis, samt der damit verbundenen Kritik an einer überzogenen Kollektivierung von Gesundheitsrisiken aus psychotherapeutischer Sicht Mitscherlich, Hindernisse, S.519 ff.; Behandlung, S.275 f.; s. weiter die Stellungnahme von Berliner Nervenärzten zum Entwurf des Berliner Gesetzes über Psychisch Kranke, Recht & Psychatrie 1/1983, S.30, mit der Feststellung, daß eine unfreiwillige Behandlung psychatrisch sinnlos sei. Dazu, daß solche Erkenntnisse nach dem Menschenbild des GG für die Grundrechtsauslegung nicht außer Acht bleiben kämen, s. BVerfGE 56,54 (74 f.): Verständnis des Menschen als "einer Einheit von Leib, Seele und Geist"; Anerkennung einer Wechselwirkung zwischen psychischen und physischen Gesundheitsstörungen.

B. Grundrecht aller Arzneimittelveraucher auf körperliche Unversehrtheit

205

e) Entstehungsgeschichte Die Entstehungsgeschichte des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit, die einen unverkennbaren Bezug zu den Mißachtungen in der Zeit des Nationalsozialismus mit Euthanasie und Menschenversuchen aufweist 95 , erscheint für die hier vertretene Auslegung zunächst als unergiebig. Das Grundrecht knüpft als Antwort auf die Untaten des dritten Reichs an die oben dargelegte erste Konstellation an. Abgesehen davon, daß der historische Anlaß des Grundrechts dessen normativen Gehalt nicht abschließend begrenzen kann 9 6 , führt die Betrachtung eines anderen Aspekts nationalsozialistischer Machtausübung aber dazu, daß auch das weitergehende Verständnis des Grundrechts in einem sinnvollen historischen Zusammenhang denkbar ist. Wenn Gesundheit damals staatlicherseits unter weitgehender Mißachtung individueller Bezüge als Abwehr von volksschädlichen Einflüssen auf die Arbeitskraft und die Nachkommenschaft verstanden wurde 9 7 , hat demgegenüber eine grundrechtliche Betonung in der hier vorgeschlagenen Richtung ihren guten Sinn. Möglicherweise ist die aktive Mißachtung des Menschenrechts auf körperliche Unversehrtheit durch Menschenversuche und Sterilisationen auch Ausdruck eines solchen 'Völkischen" Gesundheitsverständnisses, womit der Zusammenhang beider Aspekte des Rechts auf körperliche Unversehrtheit erneut deutlich würde. Ein weiterer Aspekt tritt hinzu. Wenn sich das hier vertretene, weitere Verständnis des Art. 2 I I 1 GG aus mehreren Gründen als zutreffend erweist, so mag sich die stiefmütterliche Behandlung des Aspekts des Gesundwerdens in Literatur und Rechtsprechung daraus erklären, daß das Sozialversicherungssystem und mit ihm das Krankenversicherungsrecht in seiner nun über 110jährigen Geschichte recht verschiedene Staats- und Gesellschaftssysteme überdauert, umgekehrt aber auch Gedanken dieser Systeme fortgetragen hat. Diese Tradition könnte dann den Blick auf eine unter dem GG eigentlich gebotene Auslegung des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit verstellt haben. So war es erklärtes Ziel der Bismarck'schen Sozialgesetzgebung, die bedürftige Arbeiterklasse mittels der staatlichen Fürsorge an "Vater Staat" zu binden 9 8 . Ausdruck dieser - wenig selbstverantwortungsfreundlichen

95

S. vDoemming/Füssler/Matz,

96

BVerfGE 52,131 (171,174 f. -abw. Meinung).

97

S. hierzu Baier, M M G 1986,120 (121); Tennstedt, SRH, Rz.61.

98

Jahrb. d. äff. Rechts, Bd. I (1951), S.60.

Vgl. etwa die Begründung des ersten Unfallversicherungs-Gesetzmtwurfes von 1881, zitiert nach Wannagat, Lehrbuch, S.63 mit Fn.37 und S.74.

2 0 6 4 . Kapitel: Arzneimittellisten und Grundrechte der Versicherten und Kranken

- Motivation war u.a. das noch heute praktizierte Sachleistungsprinzip 99 . Glücklicherweise hat sich das Sozialversicherungssystem von diesem auch entmündigenden Ansatz zunächst wegentwickelt 100 . Daß das System auch das dritte Reich in - abgesehen von der Abschaffung der Selbstverwaltung zugunsten des Führerprinzips - grundsätzlich unveränderter Form überdauerte, wird aber nicht unbeeinflußt davon geblieben sein, daß es durchaus auch zur Förderung eines einseitig und ausgrenzend auf Volksgesundheit gerichteten Verständnisses geeignet war - was, anders gewendet, die oben dargelegte Gefahrdungslage verdeutlicht 101 . Betrachtet man sich die im Jahre 1975 erlassenen Mitwirkungsß/7/cAtew der §§ 60 ff. SGB I, die eher als Gegenleistung für staatliche Gesundheitsgewährung erscheinen denn als Ausdruck einer vorstaatlichen Freiheit, so zeigt sich, wie leicht in Vergessenheit geraten kann, daß es so etwas wie eine innere Selbstverantwortung für die eigene Gesundheit geben könnte 1 0 2 .

ß Einwand: Gewährleistung von tatsächlichen Grundrechtsvoraussetzungen ? Nur scheinbar läßt sich eine Begründung für die Herausnahme der oben zweitgenannten Konstellation aus dem Schutzbereich des Art. 2 I I 1 GG im vorrangigen Abwehrcharakter der Grundrechte finden, der es ausschließen könnte, eine Verbesserung des Gesundheitszustandes als Grundrechtswahrnehmung zu begreifen. Weil das Gesundwerden in aller Regel auf Heilmittel und -behandlungen im weitesten Sinne angewiesen ist, so könnte man argumentieren, bedeute die Anerkennung dieser Seite der Gesundheit als Grund-

99 Baier, M M G 1986,120 (123); umfassend zur damaligen Ausgestaltung des Leistungsrechts Wannagat, Lehrbuch, S.65; s. auch oben Kapitel 1, B.LI. 100 Jedenfalls insofern, als der Rechtsanspruch auf Leistung ohne Bedürftigkeitsprüfung, die Selbstverwaltung und die staatsfreie Finanzierung (letztere offenbar gegen den Willen Bismarcks, vgl. Peters, Geschichte der sozialen Versicherung, S.67; Wannagat, Lehrbuch, S.71) dazu führten, daß die Versicherung als Fortschritt in Richtung Unabhängigkeit im Vergleich zur vorher existierenden Armenfürsorge verstanden werden konnte. S. etwa Rüfner, Einführung, S.3. 101 Zur Entwicklung der Sozialversicherung speziell zwischen 1933 und 1945 s. Tennstedt, SRH, S.66ff.,Rz62-65. 102 In gewisser Weise verräterisch für eine an objektivierende Bevormundung gewohnte Funktionärsmentalität die Ausführungen des Geschäftsführers des AOK-Bundesverbandes, Oldiges, in DOK 1993,391 (392) mit einigen Bemerkungen darüber, wie "emst" Patientenzufriedenheit genommen worden müsse.

B. Grundrecht aller Arzneimittelverbraucher auf körperliche Unversehrtheit

207

rechtsinhalt die Gewährleistung eines Anspruchs auf tatsächliche Grundrechtsvoraussetzungen und damit ein originäres Teilhaberecht 103 . Die Begrenzung des individuellen Grundrechtsgehalts auf ein Abwehrrecht meint aber zunächst nur, daß eine vorstaatlich gedachte Freiheit im Bereich des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit von staatlichen Ingerenzen möglichst unbeeinträchtigt bleiben soll. Ebenso wie ein anderer grundrechtsdogmatischer Ansatz auch aus der dargestellten ersten Konstellation eine Staatsverantwortung für den gesamten gesundheitlichen Zustand des einzelnen machen könnte, kann aber der Prozeß des Gesundwerdens auch in abwehrrechtlicher Weise als Grundrechtsinhalt gedacht werden - der Kranke soll sich die dazu anzuwendenden Mittel nicht staatlicherseits vorschreiben lassen müssen. Richtig ist freilich, daß dieser Aspekt die Interpretation des Art. 2 I I 1 GG als originäres Teilhaberecht 104 näherlegen würde als das engere Verständnis. Sie ist aber nicht notwendig damit verbunden und dem Grundrecht deshalb auch nicht mit dieser Begründung fremd. Anzuerkennen ist nur, daß insofern auf der Stufe des Eingriffs der Gefahr des Umschlagens in eine originär teilhaberechtliche Interpretation besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist. Soll dem Staat nicht eine letztlich unsinnige Gesamtverantwortung für Existenz und Fortbestehen aller möglichen, irgendwie heilungsbezogenen Dienstleistungen auferlegt werden, so muß im Einzelfall genau geprüft werden, ob die nicht mehr gegebene Erhältlichkeit dem Staat zugerechnet werden kann. Dies ist eine Eingriffsfrage, die dort behandelt werden soll.

3. Ergebnis

Nach allem ist, um das Zwischenergebnis zusammenzufassen, auch eine grundsätzliche Staatsfreiheit des Kranken, was die Wege seiner Heilung betrifft, aus Art. 2 I I 1 GG abzuleiten. Das schließt es nicht aus, daß staatlicherseits Einschränkungen insbesondere dort notwendig werden, wo Dritte vor Gefahrdungen zu schützen sind, etwa im Falle der Seuchengefahr. Solche Maßnahmen werden als Eingriffe ohne weiteres rechtfertigbar sein. I m Grunde aber hat sich gezeigt, daß auch und gerade der Staat, der Verantwortung für die Gesundheit der Bürger übernimmt, auf der anderen Seite auf eigenverantwortliche Mitwirkung der Bürger angewiesen ist und sie nur um den Preis eines Eingriffs in die grundrechtliche Freiheit bevormunden

103

Teilhabe muß ja nicht als kostenfreie Gewährleistung verstanden werden.

104

S. zu solchen Merpretationsansätzm bereits oben Kapitel 2, A I . 1.

2 0 8 4 . Kapitel: Arzneimittellisten und Grundrechte der Versicherten und Kranken

kann. Die dargelegte Eigenverantwortung kann aber sinnvoll überhaupt nur dann wahrgenommen werden, wenn erstens der einzelne bis zu einem gewissen Punkt selbst für seine Fehler einzustehen hat, zweitens das Gesundheitssystem eine prinzipielle Freiheit jedes Menschen anerkennt, selbst zu beurteilen, welche Behandlung und welches Heilmittel in heilender Weise auf ihn wirkt und drittens im Hinblick darauf auch Wahlmöglichkeiten bestehen bleiben. Auf diesem Hintergrund wird verständlich, warum im arzneimittelrechtlichen Schrifttum, wenn auch ohne nähere Begründung, der Zugang zu Arzneimitteln als grundrechtlich aus Art. 2 I I 1 GG gewährleisteter Freiheitsgebrauch angesehen w i r d 1 0 5 . Wenn Arzneimittel ganz vom Markt verschwinden, beeinträchtigt das den Schutzbereich des Rechts auf körperliche Unversehrtheit solcher Verbraucher, die das jeweilige Mittel weiterhin anwenden möchten. Ob diese Beeinträchtigung indes dem Staat zugerechnet werden kann, ist im folgenden unter der Überschrift "Eingriff" zu untersuchen.

I L Eingriff

Die Folge des dargelegten Resultats der Schutzbereichsbestimmung ist, daß eine prinzipielle Beeinträchtigung dieses Schutzbereiches vorliegt, wenn bestimmte Heilmethoden oder Therapieformen vom Markt verschwinden, obwohl es Patienten gibt, die darauf zurückgreifen möchten 1 0 6 . Auf der Ebene des Eingriffs ist, wie im zweiten Kapitel ausführlich erläutert, zu prüfen, ob dieser potentiell grundrechtswidrige Befund dem Staat mit der Folge zugerechnet werden muß , daß die Freiheitsverkürzung rechtfertigungsbedürftig ist und, falls diese Rechtfertigung mißlingt, verfassungswidrig und der betreffende Staatsakt nichtig. Kein Problem ist dabei unter Zugrundelegung des existierenden Sozialversicherungssystems die Zwischenschaltung der Selbstverwaltungsebene 107 . Es wurde dargestellt, daß sie auf den Leistungskatalog praktisch keinen Einfluß hat und in GRG und GSG die direkte Steuerung durch den Gesetzgeber weiter ausgebaut wurde. Auch aus der Sicht der Bürger

103 Papier, Bestimmungsgemäßer Gebrauch, S.32 f.; Plagemann, Wirksamkeitsnachweis, S.92; Günther, WirtschafUichkeitsgebot, S.171 ff.,173, der bei seiner verfassungsrechtlichen Überprüfung der von ihm vorgeschlagenen Positivliste Art. 2 I I 1 GG nur deshalb für nicht betroffen hält, weil das ausgeschlossene Mittel weiterhin gegen Selbstzahlung ediältlich sei. Im Grundsatz ebenso Glaeske/Schefold, Positivliste, S.97,106. 106

Ähnlich dürfte das Ergebnis hinsichtlich der ärztlichen Therapiefreiheit aussehen, auf deren Untersuchung hier verzichtet wird. 107 In interessanter Weise weiterführend zur Rolle dar Selbstverwaltung Neumann, VSSR 1993,119(120).

B. Grundrecht aller Arzneimittelverbraucher auf körperliche Unversehrtheit

209

wird folgerichtig ein Unterschied zwischen Staat und Selbstverwaltung kaum wahrgenommen 108 . Daß Behandlungsformen oder Arzneimittel nicht mehr angeboten werden, kann freilich viele Ursachen haben. Nicht jede ist der staatlichen Marktbeeinflussung zurechenbar. Anders als bei der Berufsfreiheit der Arzneimittelhersteller, die bereits durch die (gezielte) Veränderung der /to/z/wewbedingungen der Vermarktung beeinträchtigt ist, liegt hier eine Beeinträchtigung des Schutzbereiches erst dann vor, wenn das jeweils gewünschte Mittel oder Behandlungskonzept überhaupt nicht mehr erhältlich ist. Dieser Unterschied wirkt sich für Art und Funktion der Eingriffsprüfung in zweierlei Weise aus. Zum einen wird die Wichtigkeit und Notwendigkeit der Eingriffsprüfung deutlich. Soll an einer abwehrrechtlichen Interpretation des Art. 2 I I 1 GG festgehalten werden, so kann nur ein Recht darauf bestehen, daß der Staat nicht durch seine sozialversicherungsrechtlichen wie sonstigen Vorschriften Arzneimittel von der Erhältlichkeit ausschließt. Anderenfalls käme man zu einer unsinnigen Allverantwortung des Staates für die Herstellung aller möglichen Mittel, denen ein Mensch eine Heilwirkung beimißt. Ein Eingriff kann aus diesem Grund nur dann bejaht werden, wenn es zumindest als wahrscheinlich erscheint, daß das betroffene Mittel oder Behandlungskonzept nicht ohnehin längst nicht mehr erhältlich wäre, wenn es der Staat durch das Krankenversicherungsystem nicht weiter subventioniert hätte. Diese Einschränkung ist allerdings weniger gewichtig, als sie zunächst klingen mag. Solange nämlich alle Arzneimittel in der GKV verordnet werden konnten, gab es trotzdem keinen Grund, Arzneimittel zu verordnen, die als entbehrlich oder überflüssig eingestuft wurden. Insofern spricht doch einiges dafür, daß Mittel, die im Rahmen der GKV ihren Markt hatten, diesen auch in einem fiktiven freien System gefunden hätten 1 0 9 . Zum anderen muß sich die Betrachtung von der allgemeinen gesetzlichen Grundlage des § 34 bzw. 34a n.F. SGB V weg hin zu einer stärker einzelfallbezogenen Untersuchung verlagern. Hier ist zwischen den beiden prinzipiell möglichen Zurechnungswegen zu unterscheiden.

108

So Baier, M M G 1986,120 (121).

109

In der Überlegung ebenso Schwerdtfeger,

14 Philipp

Negativlisten, S.30.

210

4. Kapitel: Arzneimittellisten und Grundrechte der Versicherten und Kranken

1. Finalitit Ist es gerade Ziel der Gesetz- oder Verordnungsgebung, ein Mittel oder ein Therapiekonzept vom Markt auszuschließen, so spielt die Regelungsebene, auf der die dementsprechenden Vorschriften erlassen werden, keine Rolle. Ein Anwendungsfall dieser grundrechtlichen Zuordnung ist die staatliche Arzneimittelzulassung. Wird die Zulassung (oder deren Verlängerung) versagt, obwohl Patienten die (weitere) Behandlung mit dem betroffenen Präparat wünschen, so liegt darin ein Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 I I 1 G G 1 1 0 . Die Beeinträchtigung, die sich darin äußert, daß das Mittel nicht mehr erhältlich ist, war nämlich gerade das Ziel des die Zulassung versagenden Bundesgesundheitsamtes, so daß die Eingriffsvoraussetzungen unproblematisch vorliegen. Für die Rechtfertigung dieses Eingriffs sind gefahrenabwehrende Gesichtspunkte entscheidend, die man in evidenten Fällen auch mit der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 I I GG in Zusammenhang bringen k a n n 1 1 1 . Es liegt auf der Hand, daß die staatlichen Stellen diese Grundrechtsbindung nicht dadurch umgehen können, daß sie die Mittel des Sozialversicherungsrechts einsetzen. Wenn und soweit also ein Ausschluß vom Gesamtmarkt mit dem Ausschluß von der Verordnungsfahigkeit im Rahmen der GKV bezweckt ist, liegt hierin ein Eingriff in das Grundrecht der Arzneimittelverbraucher, der gerechtfertigt werden muß. Da für die Bejahung der Finalität auch Zwischenziele ausreichen 112 , trifft diese Einordnung zu, wenn dem Listenkonzept tatsächlich - wie teilweise behauptet w i r d 1 1 3 - ein Marktbereinigungszweck

110

Ausdrücklich anderer Ansicht jetzt das BVerwG in PhR 1993,298 (299).

111

So BVerwG, PhR 1993,298 (299) und ausführlich Hohm, Arzneimittelsicherheit und Nachmarktkontrolle, S.84 ff., der mit der Entfaltung der Schutzpflicht recht weit geht. - Daß in dieser Konstellation die Schutzpflicht aus Art. 2 I I GG gegen das Abwehrrecht aus Art. 2 I I GG stehen kann, liegt in der dogmatischen Aufspaltung der Gnmdrechtsfunkticiien begründet und ist, wenn dieser Ausgangspunkt einmal akzeptiert ist, kein logisdier Widerspruch. Vgl. auch Seewald, Grundrecht auf Gesundheit, S.213, 256 und BVerwG, NJW 1989,2960. - Man könnte weiter versucht sein, eine positive staatliche Verantwortung für das Angebot an Gesundheitsleistungen im Zusammenhang mit der grundrechtlichen Schutzpflicht anzuerkennen (in diese Richtung Hohm, aaO., S.83 ff.). Da in deren Rahmen aber regelmäßig nur evidente Verletzungen gerügjt werden können und eine weitgehende Freiheit des Gesetzgebers besteht, mit welchen Mitteln er seiner Pflicht nachkommen will (BVerfGE 39,1 (44); 46,160 (164 f.); 56,54 (80 f.), vgl. audi E 49,89 (143); 77,170 (229 f.) sowie Hermes, Schutz von Leben und Gesundheit, S.261 ff. und 282, These 14.), käme man auch hier allenfalls zur rechtlich verbindlichen Verantwortung für eine Grundversorgung, die jedenfalls mit den bisher vorgenommenen und geplanten Leistungsaasschlüssen nicht kollidiert. 112

Dazu eingehend oben, Kapitel 2, B. und insbesondere dort. IQ. 1 b.

113

Vgl. für Einzelnachweise oben Kapitel 3, A H 2 mit Fh.84.

B. Grundrecht aller Arzneimittelverbraucher auf körperliche Unversehrtheit

211

zugrundeliegt, der über den Ausschluß in einem freien Markt ohnehin chancenloser Produkte hinausgeht.

2. Unmittelbarkeit

Muß ein Eingriff dagegen über den Oberbegriff der Unmittelbarkeit begründet werden, ergibt sich die konkret marktausschließende Wirkung erst aus der Konkretisierung der gesetzlichen Vorschriften durch Verordnung und Übersicht. Zwar wäre auch auf der Ebene des SGB V ein Eingriff denkbar, etwa wenn Therapiekonzepte allgemein von der Verordnungsfahigkeit i m Rahmen der G K V ausgeschlossen würden. Nach dem Wortlaut der geltenden Fassung sowohl für die Negativ- wie auch für die Positivliste begnügen die Vorschriften sich aber mit allgemeinen Ausschlußkriterien, die sich erst nach der Konkretisierung durch Verordnung und Übersicht i m Einzelfall in marktausschließender Weise auswirken können 1 1 4 . Auch die Verordnung aufgrund § 34 I I I SGB V 1 1 5 läßt nicht immer einen Schluß auf das Vorliegen eines Eingriffs zu. Soweit ein Mittel aus mehr als drei arzneilich wirksamen Substanzen besteht, wird es von Preis, Indikationsgebiet und Markenbekanntheit abhängen, ob es sich am Selbstmedikationsmarkt halten kann. Anders mag es sich zumindest in einzelnen Fällen verhalten, wenn ein Mittel wegen Verwendung eines bestimmten Wirkstoffs unter die Ausschlußverordnung fallt. Soweit man einen Einfluß der Beeinträchtigungsintensität auf die Eingriffsfrage bejahen w i l l , wären Leistungsausschlüsse ganzer Therapiekonzepte eher als Eingriffe zu werten als der Ausschluß eines leicht substituierbaren Einzelmedikaments. Dagegen könnte der Ausschluß von ganzen Indikationsgruppen deshalb wohl nicht als (unmittelbarer) Eingriff verstanden werden, weil dann für die betroffenen Krankheiten und Beschwerden gerade ein freier Angebotsmarkt geschaffen würde. Wenn unter dessen Bedingungen Medikamente aus dem Angebot verschwinden, wäre dies dem Staat nicht zuzurechnen 116 . Das Unmittelbarkeitskriterium stößt für den vorliegenden Problembereich jedoch auf die Schwierigkeit, daß ein so - i m Falle des Fehlens einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung - gewonnener Abwehranspruch kaum realisierbar wäre. Könnte ein potentieller Anwender einer Arznei gegen den Ausschluß erst dann klagen, wenn er deren gänzliches Marktverschwinden nach-

114

S. dazu LSG Essen, PhR 1991,295 (298) und oben Kapitel 3, A.m.3.b.

113

Vgl. oben Kapitel 1, B.H.2.f.aa.

116

Allenfalls konnte ein Verstoß gegen die verschiedentlich bejahte staatliche Schutzpflicht vorliegen, s. dazu oben 1. mit Fn.107.

212

4. Kapitel: Arzneimittellisten und Grundrechte der Versicherten und Kranken

weisen kann, so wäre dies in all den Fällen sinnlos, in denen die Hilfe schnell benötigt wird. Sinnvoll anwendbar ist das Kriterium hier deshalb nur dann, wenn das Marktverschwinden bereits bei Vornahme des Leistungsausschlusses vorhersehbar und beweisbar ist. Aus diesem Grund bleibt nichts anderes übrig, als den Schwerpunkt der Eingriflprüfung auf den Gesichtspunkt der Finalität zu legen.

3. Ergebnis

Da die gesetzlichen Vorschriften der § 34 bzw. der §§ 34a, 92a n.F. SGB V nicht gezielt Therapiekonzepte ausschließen, ist der Blick auf die konkretisierenden Vorschriften zu lenken. Für die Positivliste muß es, da Verordnung und Liste noch nicht existieren, bei den bisher dargelegten Hinweisen bleiben. Allerdings ist aus den Erfahrungen mit der Negativliste bekannt, daß das Konzept geeignet ist, in beträchtlichem Umfang auch das totale Verschwinden von Medikamenten zu bewirken. Von daher werden sich die Auschlüsse der konkreten Positivliste in vielen Fällen als Eingriffe in das Veibrauchergrundrecht aus Art. 2 I I 1 GG erweisen. Eine zusätzliche Voraussetzung besteht allerdings darin, daß das Mittel nicht zuvor nur durch die Verordnungsfahigkeit in der GKV "am Leben erhalten" wurde. Für die Negativliste ist für alle die Mittel, deren Erhältlichkeit inzwischen entfallen ist, zunächst zu fragen, ob dies entweder beabsichtigt oder sonst vorhersehbar war. Sodann ist Voraussetzung eines Eingriffs auch hier die potentielle Überlebensfahigkeit des Mittels auf einem freien Markt. Da dies jeweils für jedes Medikament einzelfallabhängig ist, kann eine Bejahung der Kriterien auch im Falle mißlingender verfassungsrechtlicher Rechtfertigung nicht dazu führen, daß die gesamte Vorschrift des § 34 I I I SGB V verfassungswidrig wäre, sondern lediglich die Aufnahme des betreffenden Wirkstoffs oder Medikaments in Verordnung und Übersicht.

m . Zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung Wie dargelegt, sind Leistungsausschlüsse in der GKV nicht generell, sondern in Abhängigkeit von den jeweiligen Einzelumständen Eingriffe in das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Im Rahmen einer allgemeinen verfassungsrechtlichen Darstellung ist deshalb keine durchgehende Rechtfertigungsprüfung möglich. Sinnvoll sind nur einige Hinweise, die bei dieser Einzelfallprüfung jedenfalls Beachtung verlangen werden. Dafür soll unterstellt werden, daß ein Arzneimittel im Gefolge seines (drohenden) Auf-

B. Grundrecht aller Areimittelverbraucher auf körperliche Unversehrtheit

213

tauchens auf der Negativliste vom Markt genommen werden mußte, obwohl es sich auf einem freien Markt vermutlich gehalten hätte 1 1 7 . Selbstverständlich können Eingriffe in das Recht auf körperliche Unversehrtheit durch sozialstaatliche Erwägungen legitimiert werden. Art. 2 I I 1 steht unter dem allgemeinen Gesetzesvorbehalt des Art. 2 I I 3 GG. Auch das dem Staat zurechenbare Verschwinden von Arzneimitteln vom Markt ist deshalb noch nicht per se verfassungswidrig. Die einschlägigen Argumentationsmuster und Schranken-Schranken sind im folgenden zu untersuchen.

1. Verhältnismäßigkeit

Für die Verhältnismäßigkeitsprüfung sind einerseits ähnliche Gesichtspunkte maßgeblich wie bei der Berufsfreiheit der Hersteller, weil die mit den Leistungsausschlüssen verfolgten Zwecke natürlich dieselben sind. Andererseits ist das eingesetzte Mittel hier der Ausschluß vom Gesamtmarkt, und nicht wie oben "nur" eine Auswirkung auf die für Hersteller gegebenen Rahmenbedingungen.

a) Eignung Auf dieser Grundlage unterscheiden sich die Bedenken gegen § 34 I I I SGB V a.F. nicht von denen, die auch im Zusammenhang mit der Berufsfreiheit dargelegt worden sind. Wenn der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz der §§ 2 I, 12 I SGB V nach allgemeiner Ansicht in bestimmten Sonderfallen auch die Verordnung an sich als "unwirtschaftlich" eingestufter Arzneimittel erlaubt und verlangt 1 1 8 , dann kann ein völliger Ausschluß von der Erhältlichkeit dem Grundsatz nicht mehr dienlich sein. Infolge der vorgesehenen Ausnahmemöglichkeit gelten die Bedenken gegen die neuen, die Positivliste betreffenden Vorschriften zwar nicht, soweit die Hersteller betroffen sind. Führt die Nichtaufnahme in die Positivliste aber zum gänzlichen Marktverschwinden, so bleibt die Ausnahmemöglichkeit aus Verbrauchersicht wirkungslos. Da es also nicht im Interesse der GKV liegen kann, Arzneimittel ganz vom Markt zu

117 Wenn die folgenden Ausführungen sich nicht oder kaum auf Fundstellen in Literatur und Rechtsprechung berufen können, die auf den vorliegenden Zusammenhang eingehen, so deshalb, weil Leistungsausschlüsse aus dem GKV-System unter dem Gesichtspunkt von Verbraucher- und Versichertengrundrechten bisher selten bzw. überhaupt nicht betrachtet worden sind. 118

S. eingehend oben Kapitel 3, A I D . 1 .b.

214

4. Kapitel: Arzneimittellisten und Grundrechte der Versicherten und Kranken

drängen, die für eine den gesetzlichen Vorschriften entsprechende Versorgung auch der GKV-Versicherten (sei es auch nur in Ausnahmefallen) benötigt werden, sind Leistungsausschlüsse, die diese Folge haben, zur Förderung des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes ungeeignet.

b) Erforderlichkeit

Ob die Frage nach der Existenz milderer Mittel auch hier mit dem Verweis auf bereits erfolgte (vergleichende) Beurteilungen des BGA beantwortet werden kann, erscheint als zweifelhaft. Denn aus der Sicht der Verbraucher ist grundrechtsrelevant erst die marktausschließende Wirkung, nicht bereits die Setzung lästiger Marktzugangsvoraussetzungen 119 . Umso mehr aber stellt sich die Frage, ob nicht andere Steuerungsinstrumente - wie beispielsweise das Arzneimittelbudget oder jenseits der verfassungsrechtlich geforderten Grundversorgung angesiedelte Selbstbeteiligungen - die mit den Listen verfolgten Ziele der Kostenersparnis und der zweckmäßigeren Verordnungsweise besser oder ebensogut erfüllen, ohne zum Verlust von Pluralismus auf dem Arzneimittelmarkt zu führen. Und auch diese Fragen basieren auf der Annahme, der heutige Umfang der G K V nach den §§ 5 ff. SGB V sei unverrückbar vorgegeben. Möglicherweise sind die Antworten hierauf freilich einer verfassungsrechtlichen Prüfung entzogen und der gesetzgeberischen Gestaltung anheimgegeben.

c) Angemessenheit

Die letztgenannte Zuordnung gilt aber nicht für die Frage nach der Zumutbarkeit. Zwar werden die Gemeinwohlzwecke, die G K V zu finanzieren und auf einem sinnvollen Verordnungsgebaren der Ärzte zu bestehen, es rechtfertigen können, daß einzelne, möglicherweise veraltete Mittel vom Markt gedrängt werden, die ohne einen konzeptionellen Bruch ersetzt werden können. Anders wäre angesichts der oben beschriebenen Bedeutung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit sicherlich aber der Ausschluß ganzer Behandlungskonzepte zu beurteilen. Der gesamte Listenansatz bringt den gesetzlichen Kassen nur ein recht begrenztes Einsparvolumen und ist, wie dargelegt, hin-

119 Auch bei zweifacher Prüfung derselben Gesichtspunkte wird ja in der Regel dasselbe Ergebnis herauskommen.

B. Grundrecht aller Arzneimittelverbraucher auf körperliche Unversehrtheit

215

sichtlich Eignung und Erforderlichkeit kritisch zu beurteilen. Dem steht der (mittelbare) Zwang gegenüber, sich die eigenen Heilmittel staatlicherseits vorschreiben zu lassen, gepaart mit dem möglicherweise unwiderbringlichen Verlust in vielen Einzelfallen erfolgreicher und über Jahrhunderte bewährter Behandlungskonzepte. Abhängig von der Tragweite des Ausschlusses im Einzelfall ergeben sich also jedenfalls aus der Zumutbarkeit Grenzen dessen, was der Staat auch mittelbar über das Sozialversicherungsrecht an "Gesundheitsrecht" erlassen darf.

2. Bestimmtheit

In den Ausführungen zur Berufsfreiheit der Hersteller wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Anforderungen an die Bestimmtheit von Normen um so strenger werden, je intensiver diese Normen in Grundrechte eingreifen 120 . Da das Ausmaß, in dem von den Ausschlußermächtigungen Gebrauch gemacht werden wird, weder aus § 34 noch aus §§ 34a i.V.m. 92a SGB V n.F. abschließend ersichtlich i s t 1 2 1 , bestehen jedenfalls dann Bedenken, wenn die Ermächtigungen in konzeptionsausgrenzender Weise genutzt werden. Die besonderen Therapierichtungen genießen allerdings über § 2 I 2 SGB V eine Privilegierung, die schon auf der einfach-gesetzlichen Ebene eine einseitige Anwendung der mit dem Listenkonzept gebotenen Möglichkeiten auf diese ausschließt. Da § 2 I 2 zur Interpretation der §§ 34 bzw. 34a n.F. SGB V mit heranzuziehen ist, mangelt es insofern auch nicht an der Bestimmtheit der Ausschlußermächtigungen. Für den Einwand der dynamischen Verweisung auf den Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen ist auf die Ausführungen im Rahmen der Herstellergrundrechte zu verweisen 122 .

3. Die Grenzen aus Art. 19 GG

Während Verstöße gegen den Wesensgehalt des Art. 2 I I GG oder das Verbot des grundrechtsbeschränkenden Einzelfallgesetzes nicht ersichtlich sind, taucht die Frage auf, ob die sozialversicherungsrechtlichen Leistungsaus-

120

BVerfGE 82,209 (227).

121

S. im einzelnen oben Kapitel 3, AIII.3.a.

m

Oben Kapitel 3, AIE.3.b.

216

4. Kapitel: Arzneimittellisten und Grundrechte der Versicherten und Kranken

schlüsse, auch wenn man sie als materiell legitimierbar ansehen wollte, dem Zitiergebot unterliegen. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit gehört nämlich nicht zu den Grundrechten, für die das BVerfG den Gesetzgeber mehr oder weniger allgemein von der Zitierpflicht befreit h a t 1 2 3 . Einwenden könnte man allenfalls, das Krankenversicherungsrecht stelle sich als Grundrechtsausgestaltung dar, oder bei mittelbar verursachten Grundrechtseingriffen sei die Zitierpflicht nicht sinnvoll. Erstere Fallgruppe wird in der Literatur in der Tat von der Geltung des Art. 19 I 2 ausgenommen 124 . Auch wird das Krankenversicherungsrecht im sachbezogenen Schrifttum als grundrechtsausgestaltend angesehen 125 . Nach hier vertretener Ansicht sind die tatsächlichen Auswirkungen dieser Ausgestaltung (oder Objektivierung) von Gesundheit aber gerade und in erster Linie Beeinträchtigungen des Grundrechts in seiner abwehrrechtlichen Funktion, die einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedürfen. Auf diesem Boden ist aber nicht ersichtlich, wieso das Zitiergebot nicht gelten s o l l 1 2 6 . Das zweitgenannte Argument kann jedenfalls für final verursachte Beeinträchtigungen keine Geltung verlangen. Im Gegenteil entspricht es gerade der Warnfunktion des Art. 19 I 2 G G 1 2 7 , wenn ein Gesetzgeber, der durch den Umfang der Sozialversicherung zugleich die Verantwortung für den gesamten Gesundheitsmarkt übernimmt, sich die grundrechtlichen Auswirkungen dieser Übernahme bewußt macht 1 2 8 . Hieraus folgt, daß eine Inanspruchnahme der §§ 34, 34a n.F. SGB V für einen Gesamtmarktausschluß jedenfalls dann wegen Art. 19 I 2 GG verfassungswidrig ist, wenn ein finaler Eingriff im Einzelfall vorliegt.

123

Hierzu Lerche, HdbStR V, § 122, Rz:43; M/DfE/S-Herzog,

124

Btwa Lerche, HdbStR V, § 122, Rz.43.

125

Glaeske/Schefold,

126

Ähnlich auch M/D/H/S-Herzog,

127

Lerche, HdbStR V, § 122, Rz41; M/D/H/S-Herzog, Alt. 191, Rzl48.

m

Art. 191, Rz:54.

Positivliste, S. 106 f. Art. 1 9 I , R z 5 5

Allgemein, dh. für alle faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen so auch Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 119 f.

C. Ergebnis zu den Grundrechten der Versicherten und der Verbraucher

217

C. Ergebnis zu den Grundrechten der Versicherten und der Verbraucher Es hat sich gezeigt, daß Leistungsausschlüsse aus dem GKV-System in der Regel keine eigentumskräftigen Ansprüche der Versicherten beeinträchtigen werden. Aus der Vereinigungsfreiheit, die durch die Pflichtmitgliedschaft beeinträchtigt wird, folgt nur, daß die GKV eine Grundversorgung anbieten muß, die diesen Namen verdient. Einen originären grundrechtlichen Anspruch auf Gesundheitsleistungen aus Art. 2 I I GG kann es allenfalls im Rahmen der Existenzminimums geben, auch dann ist der Staat aber nicht auf eine Erfüllung gerade über das Recht der GKV festgelegt. Verfassungswidrige Gleichheitsverstöße durch die Arzneimittellisten sind angesichts der Rechtfertigung durch die notwendige Beschränkung eines Sozialversicherungssystems auf eine wie auch immer definierte Grundversorgung nicht zu erwarten. Es zeigt sich weiter, daß die Leistungsauschlüsse aus der GKV nicht beziehungslos neben dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aller Arzneimittelverbraucher stehen, sondern im Falle ihrer Rückwirkung darauf, ob die betroffenen Mittel überhaupt weiter angeboten werden, an diesem Grundrecht zu messen sind. Die entscheidende Frage stellt sich hierbei auf der Eingriffsstufe. Das dort gegebene Problem der Zurechnung läßt eine allgemeine Beurteilung nicht zu, sondern zwingt zu einer Betrachtung jedes Einzelfalls. Da aber alle Gesamtmarktausschlüsse mangels Beachtung des Art. 19 I 2 GG verfassungswidrig wären, zwingt eine verfassungskonforme Auslegung dazu, in die Listen nur solche Medikamente aufzunehmen (bzw. nicht aufzunehmen für die Positivliste), mit deren weiterer Erhältlichkeit gerechnet werden kann oder bei denen anderenfalls aus anderen Gründen keine Zurechnung an die staatliche Steuerung in Betracht kommt. Könnte der Gesetzgeber diese Beschränkung durch einfache Aufnahme eines Zitats umgehen, so erweisen sich die materiell begründeten Grenzen, die namentlich den Ausschluß ganzer Therapiekonzepte bei gleichzeitiger Beibehaltung der Verordnungsfähigkeit anderer Konzepte für dieselbe Indikation als grundrechtswidrig erscheinen lassen, als umso wichtiger.

Schlußbemerkung Für das Thema des Ausschlusses von Arzneimitteln aus der Verordnungsfahigkeit im Rahmen der GKV hat sich gezeigt, daß die eigentlichen grundrechtlichen Probleme aus der monopolähnlichen Stellung der Kassen resultieren. Stellte sich die Versichertenquote als merklich geringer da, oder gäbe der Staat den einzelnen Kassen in nennenswertem Umfang die Gestaltung des Leistungsumfangs zurück 1 , so wäre Art. 12 GG aus Herstellersicht nicht als Teilhaberecht zu verstehen und entfiele beim Marktverschwinden vom Mitteln eine Zurechnung an die staatliche Steuerung. Auf der Grundlage des bestehenden Systems aber unterliegt diese Steuerung näherrückenden Grenzen. Insofern war es ein Anliegen der vorstehenden Ausführungen zu zeigen, daß die grundsätzliche Anerkennung von besonderen Therapierichtungen und alternativen Behandlungskonzepten durch das SGB V keine gesetzgeberische Gnade ist, sondern aus grundrechtlichen Bindungen resultiert. Das neue Institut "Arzneimittel in der Krankenversicherung" hat unter den Bedingungen des Systems die Verantwortung für den Pluralismus im Arzneimittelangebot, den der Gesetzgeber bei Erlaß des A M G 1976 beschworen hat 2 . Inwieweit sich dieses Ergebnis auf andere Bereiche der Medizin und der Krankenversicherung übertragen läßt, kann hier naturgemäß nicht abschliessend beurteilt werden. Immerhin gibt es aber einige Hinweise in diese Richtung. "Qualität und Wirtschaftlichkeit der ambulanten ärztlichen Versorgung und damit auch die Beitragssatzstabilität der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind unter den Bedingungen des Systems der GKV nur durch eine bedarfsorientierte Steuerung der Arztzahlen zu sichern." 3 So beschreiben die Spitzenverbände der GKV die Notwendigkeit weiterer steuernder Maßnahmen

1

Dafür Jacobs, NZS 1993,194 (200).

2

S. die bei Kloesel/Cyran,

3

AMG, § 25 abgedruckten Gesetzgebungsmaterialien.

Presseerklärung der Arbeitsgemeinschaft Juli 1993, zitiert nach DOK 1993,555.

der Spitzenverbände

der Krankenkassen

vom 21.

Schlußbemerkung

219

auf einem anderen als dem hier behandelten Feld der Leistungserbringung an die GKV und ihre Mitglieder. Der Schluß liegt nahe, daß auch dort die Grundrechte nicht beziehungslos neben den immer neuen sogenannten Steuerungsinstrumenten stehen4, sondern den gesetzgeberischen Handlungsspielraum umso weitgehender einengen, je mehr sich die soziale Krankenversicherung einem umfassenden Monopol annähert. Natürlich ist die Bemerkung, daß Sozialstaatlichkeit sich stets zu Lasten einer eigenverantwortlichen Freiheit auswirken muß, alles andere als neu und in vielen Fällen nicht geeignet, das Sozial(versicherungs)system als ganzes zu diskreditieren 5. Angesichts des heute erreichten Ausmaßes der gesetzlichen Krankenversicherung besteht aber doch Anlaß auch zu dem Hinweis, daß es dabei nicht nur um eine Gegenüberstellung von individueller Freiheit und Sozialbindung, sondern auch um ein konsistentes Demokratieverständnis geht. Im demokratischen Staat hat die Anerkennung und Förderung der menschlichen Eigenverantwortlichkeit eine kaum zu überschätzende Bedeutung. Wer aber im Krankenversicherungsrecht oder Sozialrecht die Fähigkeit der Menschen zur Eigenverantwortung leugnet, der leugnet im letzten auch die Funktionsfahigkeit des demokratischen Staates, zu dessen Grundlagen, so gesehen, die grundrechtlichen Freiheiten mit gehören 6.

Dies mag insbesondere dann gelten, wenn die Steuerungsmstrumente des einheitlich vorgeschriebenen Leistungserbringungsrechts beim Angebot und nicht bei der Nachfrage ansetzen. Denn es liegt in der Logik solcher rationierender Steuerungsinstnimente, im Gegensatz zu Formen der Nachfragesteuerung die grundrechtlichen Freiheiten der Systembetroffenen geringzuachten. Diese Ausrichtung des Systems kritisiert auch der SVRKAiG, zitiert nach Oldiges, DOK 1994,174 f. 3

Vgl. etwa Bogs, Festschrift für Lenz (1961), S.310 zur Kritik am (damaligen) Umfang der

GKV. 6

Hierzu Starck, Ist der kategorische Imperativ ein Prinzip des Sozialstaats ?, S.38,43.

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