Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung 9783050064314, 9783050050546

The present volume offers continuing commentary on Schopenhauer’s principal work. It includes twelve essays that provide

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German Pages 231 [232] Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
Zitierweise und Siglen
Vorwort
1. Einleitung in Schopenhauers Welt als Wille und Vorstellung
2. Die transzendentalphilosophische Grundlegung (W I, §§ 1–7)
3. Schopenhauer on Cognition (Erkenntnis) (W I, §§ 8–16)
4. Der Übergang von der Transzendentalphilosophie zur Metaphysik (W I, §§ 17–22)
5. Metaphysik des Willens (W I, §§ 23–29)
6. Arthur Schopenhauer und der Materialismus
7. Schopenhauer on Aesthetic Contemplation (W I, §§ 30–42)
8. Ästhetische Welt- und Willenserkenntnis. Schopenhauers Kunstund Musikphilosophie im dritten Buch der Welt als Wille und Vorstellung (W I, §§ 43–52)
9. Schopenhauers Leidensethik (W I, §§ 53–59)
10. Bejahung und Verneinung des Willens (W I, §§ 60–67)
11. Schopenhauers Soteriologie (W I, §§ 68–71)
12. Schopenhauers Nachwirkung
Auswahlbibliographie
Personenregister
Sachregister
Hinweise zu den Autorinnen und Autoren
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Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung
 9783050064314, 9783050050546

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Arthur Schopenhauer

Die Welt als Wille und Vorstellung

Klassiker Klassiker Auslegen Auslegen Herausgegeben Herausgegebenvon von Herausgegeben von Otfried OtfriedHöffe Höffe Otfried Höffe Band 42 36 Band Band 45

Otfried Höffe ist Leiter der Forschungsstelle Politische Philosophie an der OtfriedTübingen. Höffe ist Leiter der Forschungsstelle Politische Philosophie Universität an der Universität Tübingen. Otfried Höffe ist o. Professor für Philosophie an der Universität Tübingen

Arthur Schopenhauer

Die Welt als Wille und Vorstellung Herausgegeben von Oliver Hallich und Matthias Koßler

ISBN 978-3-05-005054-6 eISBN 978-3-05-006431-4 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Akademie Verlag GmbH, Berlin Ein Unternehmen von De Gruyter Titelbild: Arthur Schopenhauer im 21. Lebensjahre, Brustbild (Krausse), © Schopenhauer-Archiv ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Gedruckt in Deutschland

www.degruyter.com

Inhalt

Zitierweise und Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IX

1. Einleitung in Schopenhauers Welt als Wille und Vorstellung Oliver Hallich/Matthias Koßler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

2. Die transzendentalphilosophische Grundlegung (W I, §§ 1–7) Margit Ruffing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 3. Schopenhauer on Cognition (Erkenntnis) (W I, §§ 8–16) Christopher Janaway . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

4. Der Übergang von der Transzendentalphilosophie zur Metaphysik (W I, §§ 17–22) Oliver Hallich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

5. Metaphysik des Willens (W I, §§ 23–29) Dieter Birnbacher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

6. Arthur Schopenhauer und der Materialismus Alfred Schmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 7. Schopenhauer on Aesthetic Contemplation (W I, §§ 30–42) Bart Vandenabeele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

101

VI

Inhalt

8. Ästhetische Welt- und Willenserkenntnis. Schopenhauers Kunstund Musikphilosophie im dritten Buch der Welt als Wille und Vorstellung (W I, §§ 43–52) Günter Zöller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Schopenhauers Leidensethik (W I, §§ 53–59) Michael Hauskeller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

119

137

10. Bejahung und Verneinung des Willens (W I, §§ 60–67) Jean-Claude Wolf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

153

11. Schopenhauers Soteriologie (W I, §§ 68–71) Matthias Koßler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

171

12. Schopenhauers Nachwirkung Wolfgang Weimer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

191

Auswahlbibliographie . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . Hinweise zu den Autorinnen und Autoren .

207 213 215 219

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VII

Zitierweise und Siglen Schopenhauers Werke werden unter Angabe der Bandnummer und der Seitenzahl nach folgender Ausgabe zitiert: Arthur Schopenhauer: Zürcher Ausgabe. Werke in zehn Bänden. Text nach der historisch-kritischen Ausgabe von Arthur Hübscher (3. Auf lage, Brockhaus, Wiesbaden 1972). Editorische Materialien besorgt von Angelika Hübscher, Redaktion von Claudia Schmölders, Fritz Senn und Gerd Haffmanns. Diogenes, Zürich 1977. Für die einzelnen Werke werden folgende Abkürzungen verwendet: WI W II G N E

PI P II

Die Welt als Wille und Vorstellung I (Werke I–II) Die Welt als Wille und Vorstellung II (Werke III–IV) Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde (Werke V [I]) Über den Willen in der Natur (Werke V [II]) Die beiden Grundprobleme der Ethik (Werke VI) I. Ueber die Freiheit des menschlichen Willens II. Ueber das Fundament der Moral Parerga und Paralipomena I (Werke VII–VIII) Parerga und Paralipomena II (Werke IX–X)

„W I/1, 9“ steht also z. B. für „Die Welt als Wille und Vorstellung I, Band 1 der Zürcher Ausgabe, S. 9“. Der handschriftliche Nachlass wird nach folgender Ausgabe zitiert: Arthur Schopenhauer: Der Handschriftliche Nachlaß. Herausgegeben von Arthur Hübscher. 5 Bände in 6. Verlag W. Kramer, Frankfurt a.M. 1966–1975. Taschenbuchausgabe (band- u. seitengleich): dtv, München 1985. Dabei werden folgende Abkürzungen verwendet: HN I HN II HN III

Die frühen Manuskripte 1804–1818 Kritische Auseinandersetzungen 1809–1818 Berliner Manuskripte 1818–1830

VIII

Z  S

HN IV/1 Die Manuskripte der Jahre 1830–1852 HN IV/2 Letzte Manuskripte/Graciáns Handorakel HN V Arthur Schopenhauers Randschriften zu Büchern

Die Vorlesungen Schopenhauers werden nach folgender Ausgabe zitiert: Arthur Schopenhauer: Vorlesung über die gesammte Philosophie, d. i. Die Lehre vom Wesen der Welt und von dem menschlichen Geiste. In vier Theilen, hrsg. von V. Spierling. 4 Bände. Piper, München/Zürich 1985. Folgende Abkürzungen werden verwendet: VTE VMN VMSch VMS

Vorlesung: Theorie des Gesammten Vorstellens, Denkens und Erkennens Vorlesung: Metaphysik der Natur Vorlesung: Metaphysik des Schönen Vorlesung: Metaphysik der Sitten

Die Briefe und Gespräche Schopenhauers werden nach folgenden Abkürzungen und Ausgaben zitiert: GBr Gespr

Arthur Schopenhauer: Gesammelte Briefe. Herausgegeben von Arthur Hübscher. 2., verbesserte und ergänzte Auf lage. Bouvier, Bonn 1987. Arthur Schopenhauer: Gespräche. Herausgegeben von Arthur Hübscher. 2., stark erweiterte Auf lage. Fromann, Stuttgart 1971.

IX

Vorwort Zu Schopenhauers Philosophie liegen zahlreiche Monographien und Sammelbände in verschiedenen Sprachen vor. Ein fortlaufender Kommentar zum Hauptwerk in deutscher Sprache fehlte jedoch bisher. Mit dem vorliegenden Band, der an Fachphilosophen wie an philosophisch interessierte Laien adressiert ist, soll diese Lücke geschlossen werden. Er vereint – neben dem auszugsweisen Wiederabdruck eines Textes von Alfred Schmidt – elf Originalbeiträge zur Welt als Wille und Vorstellung, in denen die Grundgedanken dieses Werkes erschlossen und kritisch kommentiert werden. Für redaktionelle Unterstützung bei der Erstellung des Bandes danken wir Frau Martina Konicek, M.A., für vielfältige Hilfe bei der Herstellung der Druckvorlage und der Abfassung des Registers Herrn Dr. Frank Hermenau. Herrn Dr. Michael Jeske gilt unser Dank für die Erlaubnis des Nachdrucks des Textes von Alfred Schmidt. Herrn Prof. Dr. Otfried Höffe danken wir für die Aufnahme des Textes in die Reihe „Klassiker Auslegen“ und Herrn Dr. Mischka Dammaschke vom Akademie Verlag für eine angenehme Zusammenarbeit. Mainz, Düsseldorf, Mai 2014 Matthias Koßler Oliver Hallich

1 Oliver Hallich/Matthias Koßler

Einleitung in Schopenhauers Welt als Wille und Vorstellung

Arthur Schopenhauer (1788–1860), dessen Philosophie zu seinen Lebzeiten erst spät Anerkennung fand und der in der akademischen Philosophie lange Zeit als unter dem Verdacht mangelnder Seriosität stehender „Populärphilosoph“ beargwöhnt wurde, ist neben seinem Schüler und Antipoden Friedrich Nietzsche (1844–1900) der bekannteste und einf lussreichste Philosoph des 19. Jahrhunderts. Den Rang eines Klassikers der Philosophie wird ihm mittlerweile niemand mehr absprechen. Ausgehend von der konkreten Wahrnehmung des Daseins als eines Leidensgeschehens entwickelt Schopenhauer eine Auslegung und Erklärung der Welt als ganzer, in deren Mittelpunkt die unter dem Schlagwort „Pessimismus“ bekannt gewordene Deutung der Welt als Objektivierung eines Leiden bewirkenden Willens steht, eine Deutung, die allerdings auch Raum für die temporäre Befreiung vom Leiden in der ästhetischen Anschauung und sogar für dessen endgültige Überwindung in der Willensverneinung lässt. Dass diese Philosophie zu Schopenhauers Lebzeiten weitgehend isoliert war, dürfte zum einen durch die von Schopenhauer vorgenommene radikale Dezentrierung der Vernunft zu erklären sein, die den Menschen nicht als animal rationale, sondern als primär willens- und triebgesteuertes Wesen auffasst, zum anderen durch die Ablehnung rein apriorisch-begriff lichen Philosophierens, an dessen Stelle Schopenhauer den Bezug auf die lebendige Anschauung, die konkrete Welt- und Lebenserfahrung setzt. Durch beides setzte sich Schopenhauer in einen kaum überwindbaren



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Gegensatz zu den zu seiner Zeit vorherrschenden spekulativen Systemen des Deutschen Idealismus, namentlich zur Philosophie Hegels. In vielem entzieht sich Schopenhauers Philosophie einer klaren Kategorisierung. Janusköpfig erscheint diese Philosophie zum einen hinsichtlich ihrer historischen Stellung: Sie blickt zurück auf Kant, dessen Erbe Schopenhauer gegen die Philosophen des Deutschen Idealismus bewahren möchte, aber auch voraus auf den Materialismus des späten 19. und die Psychoanalyse, Anthropologie und Existenzphilosophie des 20. Jahrhunderts. Ambivalent ist die Philosophie Schopenhauers auch in metaphilosophischer Hinsicht: Einerseits versteht Schopenhauer, der rational über das Irrationale philosophiert, Philosophie dezidiert als Wissenschaft und bemüht sich daher stets um die intersubjektive Nachprüfbarkeit der eigenen Aussagen, eine sprachlich klare und begriff lich transparente Argumentation. Andererseits ist für Schopenhauer – der einmal sagte, eine Philosophie, „in der man zwischen den Seiten nicht die Tränen, das Heulen und das Zähneklappern und das furchtbare Getöse des gegenseitigen Mordens hört“, sei keine Philosophie (Gespr, 337) – Philosophie auch Ausdruck einer durchaus persönlichen Lebens- und Leidenserfahrung; als solche ist sie hochgradig emotional und der Kunst enger verwandt als der Wissenschaft. Schopenhauers Philosophie kann insgesamt als der Versuch verstanden werden, diese expressiven Momente, in denen eine subjektiv geprägte Weltsicht zum Ausdruck kommt, mit dem Ideal wissenschaftlicher Rationalität in Einklang zu bringen und sie rational-argumentativ zu fundieren. Der subjektiv-expressive Charakter dieser Philosophie hat seine Wurzeln auch in Schopenhauers Biographie. Auch lebensgeschichtlich steht im Falle Schopenhauers die konkrete Welterfahrung in jeder Hinsicht vor der Buchgelehrsamkeit. Geboren am 22.2.1788 in Danzig als Sohn des Kaufmanns Heinrich Floris Schopenhauer und der bekannten Romanschriftstellerin Johanna Schopenhauer, zeigte Schopenhauer, dessen Familie 1793 aus dem preußisch besetzten Danzig nach Hamburg übergesiedelt war, nach eigenem Bekunden schon in jungen Jahren eine ausgeprägte Sensibilität gegenüber menschlichem Leiden: „In meinem 17ten Lebensjahr“, so heißt es in einer bekannten, sicher auch vom Willen zur Selbststilisierung zeugenden Notiz, „ohne alle gelehrte Schulbildung, wurde ich vom Jammer des Lebens so ergriffen wie Buddha in seiner Jugend, als er Krankheit, Alter, Schmerz und Tod erblickte.“ (HN IV/1, 96) Schopenhauer bezieht sich hier auf die Erfahrungen einer Europareise von 1803 bis 1804, die ihm sein Vater

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unter der Bedingung ermöglicht hatte, dass er in die ungeliebte Kaufmannslehre einwilligte. 1804 trat Schopenhauer diese Lehre an, die er dann aber 1807 doch abbrach. Erst nach 1807 konnte er sich in Gotha und Weimar, wohin die Mutter nach dem Tod des Vaters 1805 übergesiedelt war, durch Privatunterricht und als Autodidakt humanistische Bildung aneignen. Ab 1809 studierte er in Göttingen erst Medizin, dann Philosophie, ab 1811 dann Philosophie in Berlin, wo er sich maßlos enttäuscht von den mit großer Hoffnung erwarteten Vorlesungen Fichtes und Schleiermachers zeigte. Seit 1812 an einer eigenen Philosophie arbeitend, wurde er 1813 mit der Vierfachen Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde promoviert. In dieser Zeit machte er auch die Bekanntschaft Goethes und rezipierte – dies erwies sich als folgenreich, denn Schopenhauer wurde der erste Philosoph, der indisches Gedankengut in die westliche Philosophie einführte – die Upanischaden. Von 1814 bis 1818 verfasste er in Dresden sein Hauptwerk, Die Welt als Wille und Vorstellung, das 1819 bei Brockhaus in Leipzig erschien. Bereits zu Beginn der Arbeit an dem Werk finden sich die meisten grundlegenden Gedanken Schopenhauers in handschriftlichen Aufzeichnungen wieder. In einem Bogen von 1814 schreibt er selbst 35 Jahre später die Anmerkung: „Bemerkenswerth ist […], daß schon im J[ahre] 1814 (meinem 27ten Jahr) alle Dogmen meines Systems, sogar die untergeordneten, sich feststellen“ (HN I, 113). Teilweise lassen diese Grundgedanken sich bereits aus der Dissertation und aus den gegen Ende der Studienzeit um den Begriff des „besseren Bewußtseins“ kreisenden Notizen herleiten; die Willensmetaphysik, die das Zentrum des Systems bildet, entsteht jedoch erst zur Zeit der Abfassung des Hauptwerkes. Schon vor der Dissertation hatte Schopenhauer allerdings die Richtung, in die die Systematisierung seiner Gedanken gehen sollte, angekündigt: „Unter meinen Händen und vielmehr in meinem Geiste erwächst ein Werk, eine Philosophie, die Ethik und Metaphysik ein Einem seyn soll […]“ (HN I, 55). Alle Grundgedanken waren jedoch 1814 noch nicht vorhanden; vor allem fehlte es an einer systematischen Verknüpfung der aus unterschiedlichen Entwicklungslinien stammenden Resultate seines bisherigen Denkens. Um diese Verbindung einzelner Bestandteile zu erreichen, musste Schopenhauer sich von den Einf lüssen, unter denen sich sein Denken entwickelt hatte, lösen und abgrenzen. In diesem Zusammenhang ist wohl auch die intensive Lektüre „aller je dagewesenen Philosophen, d. h. derer, die ihre eigenen Gedanken



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vorgetragen“ (GBr, 54, im Original Latein), zu sehen, die seinen Horizont erweiterte. Hinzu kam die nun einsetzende intensive Beschäftigung mit der indischen Philosophie, die Lektüre der Bhagavadgita und des Oupnekhat, zu der er in Weimar von Friedrich Majer und wohl auch Julius Klaproth angeregt worden war (vgl. App 2006). Noch einmal setzte sich Schopenhauer intensiv mit Kant, vor allem mit dessen Kategorienlehre und Auffassung vom Ding an sich auseinander und fasste seine Überlegungen in einem mit der Überschrift „Gegen Kant“ versehenen Heft (HN II, 398–426) zusammen, das zur Grundlage für den Anhang „Kritik der Kantischen Philosophie“ im Hauptwerk wurde. Unmittelbar nach dem Erscheinen des Hauptwerkes habilitierte sich Schopenhauer damit an der Berliner Universität und wurde dort Privatdozent. Für seine Vorlesungen – die erhalten sind und eine für das Verständnis der Welt als Wille und Vorstellung wertvolle Ergänzung darstellen – schrieb er die im Hauptwerk niedergelegte Philosophie unter didaktischen Gesichtspunkten um. Schon bald zog er eine zweite Auf lage des Werks in Erwägung, doch aufgrund der fehlenden Resonanz auf die erste Auf lage war der Verleger diesem Ansinnen abgeneigt, und das Vorhaben musste immer wieder verschoben werden. Von 1821 an finden sich im Nachlass Entwürfe zu Vorreden zu einer zweiten Auf lage des Hauptwerks – sieben allein bis zur Ankunft in Frankfurt, wohin Schopenhauer wegen der Choleragefahr in Berlin übersiedelte, im Jahr 1833 –, die zum einen die zunehmende Verbitterung gegenüber den ihn ignorierenden Zeitgenossen dokumentieren, zum anderen die immer wieder enttäuschte, aber ungebrochen bleibende Erwartung einer breiten Wirkung seiner Philosophie. Im Vertrauen auf diese Wirkung sammelte Schopenhauer in seinen Manuskriptbüchern Ref lexionen, Beobachtungen und Exkurse, die später in die zweite Auf lage der Welt als Wille und Vorstellung als deren zweiter Band eingehen sollten. Erst 1844 war es so weit, und die um einen Band erweiterte und auch im ersten Band erheblich überarbeitete zweite Auf lage erschien. Nochmals erweitert wurde die Welt als Wille und Vorstellung schließlich in dritter Auf lage 1859 von Schopenhauer selbst veröffentlicht. Erst im letzten Lebensjahrzehnt stellte sich die ersehnte Anerkennung, schließlich auch Ruhm ein: Schopenhauers Philosophie gewann erste Anhänger, wurde in Lehrveranstaltungen behandelt und selbst zum Gegenstand einer Preisschrift. Schopenhauer starb am 21.09.1860 in Frankfurt, wo er auch beerdigt ist.

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Alle heute im Umlauf befindlichen Ausgaben des Hauptwerks geben den Text der dritten Auf lage wieder, häufig auch mit den Zusätzen, die Julius Frauenstädt in seiner postumen Gesamtausgabe aus Schopenhauers Handexemplar und Notizen dem Hauptwerk hinzufügte. Für die wissenschaftliche Bearbeitung der Welt als Wille und Vorstellung ist dies von großem Nachteil, zumal die erheblichen Veränderungen des ursprünglichen Textes in den späteren Auf lagen nicht kenntlich gemacht sind und Variantenverzeichnisse – wenn überhaupt vorhanden – unvollständig sind. Wenn Rudolf Malter die erste Auf lage nicht als Faksimile herausgegeben hätte, wäre der ursprüngliche Text nicht rekonstruierbar. Doch dieser Nachdruck ist längst vergriffen, und es existiert bis heute keine vergleichende Untersuchung der verschiedenen Auf lagen. Noch immer liegt die dringend benötigte historisch-kritische Ausgabe des Hauptwerkes wie auch der übrigen Werke Schopenhauers nicht vor. Um Schopenhauers Hauptwerk herum gruppieren sich seine übrigen Schriften im Wesentlichen als Ergänzungen und Kommentare. Nachdrücklich verweist Schopenhauer in der Vorrede zur ersten Auf lage des Hauptwerks darauf, dass die Lektüre der Vierfachen Wurzel unverzichtbar für dessen Verständnis ist (W I/1, 9f.). In der Dissertation expliziert Schopenhauer den Kausalitätsbegriff und unterscheidet vier Formen der Kausalität in Abhängigkeit von vier verschiedenen Objektklassen. Anders als für Hume und ebenso wie, aber aus anderen Gründen als für Kant ist für Schopenhauer Kausalität eine Denkform a priori; d. h. sie ist nicht aus der Erfahrung abgeleitet, sondern liegt dieser zugrunde und strukturiert sie. Die Wichtigkeit der Dissertation für das Hauptwerk besteht zum einen darin, dass sie den im ersten Buch entfalteten transzendentalphilosophischen Unterbau des Systems durch die Explikation der für das Erfassen der Erfahrungswelt zentralen Kategorie der Kausalität verständlich macht, zum anderen darin, dass sie implizit zum Verständnis der Metaphysikkonzeption Schopenhauers beiträgt, da sie, Kausalität auf den Bereich der Erscheinungen beschränkend, deutlich macht, dass das Verhältnis zwischen dem Willen als Ding an sich und den Erscheinungen nicht als Kausalverhältnis verstanden werden darf. Liefert die Dissertation die Grundlegung des Hauptwerkes, so wird dieses in den späteren Schriften erläutert, kommentiert und thematisch vertieft. Die 1836 erschienene kleine Schrift Ueber den Willen in der Natur, programmatisch betitelt als „Erörterung der Bestätigungen, welche die Philosophie des Verfassers, seit



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ihrem Auftreten, durch die empirischen Wissenschaften erhalten hat“ (N/5, 181), verbindet die Ergebnisse der Naturwissenschaften zu Schopenhauers Zeit mit dem Hauptwerk, indem sie diese als empirische Bestätigungen der Willensmetaphysik interpretiert. In der 1837 verfassten, 1841 erschienenen und von der Königlich Norwegischen Societät der Wissenschaften ausgezeichneten Preisschrift Über die Freiheit des Willens begründet Schopenhauer, den § 55 des Hauptwerks ausführend, seinen Willensdeterminismus und die These der Vereinbarkeit eines den Bereich des Empirischen betreffenden Determinismus mit moralischer Verantwortlichkeit, wobei letztere auf einen vorpersonalen Akt der Wahl des eigenen Charakters zurückgeführt wird. In der 1838 abgefassten, 1841 zusammen mit der Freiheitsschrift in Die beiden Grundprobleme der Ethik veröffentlichten Preisschrift Über die Grundlage der Moral – die allerdings zu Schopenhauers großer Enttäuschung von der Königlich Dänischen Societät der Wissenschaften für nicht preiswürdig befunden wurde – entwickelt Schopenhauer, nunmehr weitgehend unabhängig von metaphysischen Prämissen und auf der Grundlage einer phänomenanalytischen Methode, die im § 67 der Welt als Wille und Vorstellung nur angedeutete Mitleidsethik, indem er Mitleid als motivationale Grundlage der Moral und als Kriterium moralischer Handlungen nachzuweisen versucht. In Schopenhauers populärstem Werk schließlich, den 1851 erschienenen Parerga und Paralipomena, finden sich Abhandlungen zu verschiedenen Themen, von denen die meisten die Hauptgedanken der Welt als Wille und Vorstellung aufnehmen oder diese kommentieren. Auch die in die Parerga integrierten Aphorismen zur Lebensweisheit beziehen sich indirekt auf das Hauptwerk, da sie die Frage thematisieren, wie unter Absehung vom im Hauptwerk begründeten willensmetaphysischen Pessimismus ein gelingendes Leben möglich ist. Das Hauptwerk selbst umfasst vier Bücher, die den philosophischen Disziplinen der Erkenntnistheorie, der Metaphysik, der Ästhetik und der Ethik gewidmet sind. Im ersten Buch begründet Schopenhauer, im Wesentlichen dem Grundgedanken der Kantischen Transzendentalphilosophie folgend, seinen transzendentalen Idealismus, den er mit einem empirischen Realismus verbindet: Die Welt ist Vorstellung, d. h. jedes Objekt ist Objekt für ein Subjekt, aber als Vorstellung ist die Welt real. Im zweiten Buch erweitert er die Transzendentalphilosophie zur Metaphysik, indem er, ausgehend von der Erfahrungswelt und diese auslegend, die Welt als Objektivation eines ursachenlosen, außerhalb

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von Raum und Zeit stehenden, erkenntnis- und ziellosen Willens deutet, der sich notwendig als Leidensgeschehen kundgibt. Das dritte Buch enthält die Theorie der Kunst und der ästhetischen Anschauung, die dem Individuum eine, wenngleich nur temporäre, Befreiung aus dem Leidensgeschehen ermöglichen soll. Im vierten Buch schließlich werden die praktischen Konsequenzen der Willensmetaphysik aufgezeigt: Da alles Leben ein Leidensgeschehen ist, ist das Dasein zu verneinen. Die Einsicht in dieses Leidensgeschehen, die mit der Durchschauung des Individuationsprinzips zusammenfällt, führt zunächst zu einem Handeln aus Mitleid und, wenn das Individuationsprinzip in noch weitergehendem Maße durchschaut wird, zur Überwindung allen Wollens und damit der Welt als ganzer. Die Verneinung des Willens markiert so für Schopenhauer den Ziel- und Endpunkt des menschlichen Daseins. Einen Gedanken, so schreibt Schopenhauer in der Vorrede zur ersten Auf lage der Welt als Wille und Vorstellung, würde er in dieser Schrift entfalten; von diesem würden die einzelnen Bücher nur die verschiedenen Aspekte entfalten. Schopenhauer selbst hat diesen einen Gedanken nie auf eine präzise Formel gebracht; man pf legt ihn mit Malter auf die Formulierung, dass „die Welt […] die Selbsterkenntniß des Willens“ (W I/2, 506) sei, zurückzuführen (Malter 2 2010, 26). Die Ausrichtung aller Teile auf diesen einen zentralen Gedanken drückt Schopenhauer an anderer Stelle mit dem Vergleich aus, seine Philosophie sei „wie Theben mit hundert Thoren: von allen Seiten kann man hinein und durch jedes auf geradem Wege bis zum Mittelpunkt gelangen“ (E/6, 8). Während das Bild der Stadt Theben die Bezogenheit der einzelnen Teile auf das Ganze und die Möglichkeit akzentuiert, vom Verständnis jedes Teils zum Verständnis des Ganzen zu gelangen, betont Schopenhauer in der Vorrede mit der Metapher des Organismus die Angewiesenheit der einzelnen Teile auf das Ganze: „Ein System von Gedanken muß allemal einen architektonischen Zusammenhang haben, d. h. einen solchen, in welchem immer ein Theil den andern trägt, nicht aber dieser auch jenen, der Grundstein endlich alle, ohne von ihnen getragen zu werden, der Gipfel getragen wird, ohne zu tragen. Hingegen ein einziger Gedanke muß, so umfassend er auch seyn mag, die vollkommenste Einheit bewahren. Läßt er dennoch, zum Behuf seiner Mitteilung, sich in Teile zerlegen; so muß doch wieder der Zusammenhang dieser Teile ein organischer, d. h. ein solcher seyn, wo jeder Teil eben so sehr das Ganze erhält, als er vom Ganzen gehalten wird, keiner der erste und keiner der letzte ist, der ganze Gedanke durch jeden Theil an



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Deutlichkeit gewinnt und auch der kleinste Theil nicht völlig verstanden werden kann, ohne daß schon das Ganze vorher verstanden sei“ (W I/1, 7f.). Dass Schopenhauer hier „Organismus“ und „System“ als Gegenbegriffe verwendet, hat die nachfolgende Philosophiegeschichtsschreibung nicht daran gehindert, Schopenhauer als einen – sogar als den letzten großen – Systemphilosophen anzusehen. Diese Einstufung ist durchaus legitim, wenn man von einem weiteren Begriff von „System“ ausgeht als dem von Schopenhauer in der Vorrede zugrunde gelegten. Schopenhauer kennzeichnet in der oben zitierten Passage ein System durch eine linear-deduktive Abfolge, wobei – wie etwa in den rationalistischen Systemen – aus einem obersten Grundsatz die übrigen Systembestandteile deduziert werden. Charakterisiert man aber ein System dadurch, dass es verschiedene Bestandteile zu einer komplexen Einheit zusammenfasst, wobei diese Bestandteile durch einen Ordnungszusammenhang, nicht aber notwendig durch deduktive Beziehungen miteinander verbunden sind, so besteht kein Widerspruch zwischen dem Bild des Organismus und der Charakterisierung der Philosophie Schopenhauers als eines Systems.1 Mit dem Bild des Organismus charakterisiert Schopenhauer die eigene Philosophie in verschiedenen Hinsichten. Erstens wird damit ausgedrückt, dass zwischen dem Verständnis der einzelnen Systembestandteile und dem des ganzen Systems ein Bedingungsverhältnis besteht. Da aber andererseits das Verständnis des Ganzen auch ein Verständnis seiner einzelnen Teile voraussetzt, bedeutet dies, dass auch die einzelnen Teile des Systems wechselseitig aufeinander angewiesen sind und sich gegenseitig verständlich machen, so dass „der Anfang das Ende beinahe so sehr voraussetz[t], als das Ende den Anfang, und eben so jeder frühere Theil den spätern beinahe so sehr, als dieser jenen“ (W I/1, 8). Nicht nur werden also entsprechend der Textchronologie die Metaphysik, die Ästhetik und die Ethik erst auf der Grundlage der Transzendentalphilosophie verständlich, sondern es gilt auch, dass die Erkenntnistheorie des ersten Buches die textchronologisch späteren Systemteile voraussetzt. Schopenhauer reklamiert hier als Spezifikum des eigenen Systems, was später von Gadamer in der Theorie des „hermeneutischen Zirkels“ als ein allgemeines Strukturmerkmal des Verstehens beschrieben wird: dass das Verständnis des Ganzen eines Werkes das Verständnis 1 Historisch besteht zwischen den Begriffen „System“ und „Organismus“ sogar ein enger Zusammenhang, da der Systembegriff ursprünglich von Biologen in die moderne wissenschaftstheoretische Diskussion eingeführt wurde; vgl. hierzu Dür 2001, 142ff.

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seiner einzelnen Teile voraussetzt und umgekehrt (vgl. Gadamer 6 1990, 270–312 [Teil 2 II 1]). Daher fordert Schopenhauer in der Vorrede folgerichtig dazu auf, das Werk zwei Mal zu lesen, um zu seinem Verständnis zu gelangen. Zweitens impliziert seine Selbstcharakterisierung den Verzicht auf apodiktische Gewissheit: Wenn jeder Systembestandteil sowohl auf das Verständnis des Ganzen als auch auf das der anderen Systembestandteile angewiesen ist, so ist kein Teil des Systems voraussetzungslos und kann axiomatisch eingeführt werden; vielmehr bedarf jeder Teil einer Begründung durch einen anderen, der aber seinerseits noch einer Begründung bedarf. Drittens beinhaltet Schopenhauers Charakterisierung der eigenen Philosophie das Eingeständnis, dass diese nicht ohne ein appellatives Moment auskommt: Sie muss an das Wohlwollen des Lesers, ein vorausgreifendes hermeneutisches „principle of charity“ appellieren, denn um überhaupt in den hermeneutischen Zirkel und damit zu einem Verständnis des Werkes zu gelangen, muss der Leser dem Autor an irgendeiner Stelle des Systems einen Vertrauensvorschuss geben und die Plausibilität des Gesagten schlicht unterstellen, um dann fragen zu können, ob diese Plausibilitätsunterstellung sich angesichts der anderen Systembestandteile aufrechterhalten lässt. Die Charakterisierung des eigenen Systems als eines Organismus, als Entfaltung „eines Gedankens“, hat nicht nur die Funktion, dem Leser eine Lektüreanleitung an die Hand zu geben, sondern sie erfüllt mit Blick auf den im Hauptwerk entwickelten Gedankengang auch eine wichtige argumentationsstrategische Funktion. Sie sichert die folgende Argumentation implizit gegen den Vorwurf ab, dass Schopenhauer zirkulär argumentiere, da er schon in den früheren Systembestandteilen voraussetzen würde, was er erst später zu beweisen vorgebe. Schopenhauer antizipiert in der Vorrede diesen Vorwurf und versucht, ihn auf ein Strukturmerkmal des eigenen Systems zurückzuführen und dadurch zu entkräften. Die zahlreichen Antinomien, die Schopenhauers Philosophie immer wieder kritisch vorgehalten wurden, lassen sich nicht zuletzt darauf zurückführen, dass einzelne Systembestandteile, wenn sie isoliert betrachtet und nicht zum Ganzen des Systems in Bezug gesetzt und auf dessen Kernidee bezogen werden, in einen Widerspruch zueinander zu geraten scheinen. Hierfür seien im Folgenden drei Beispiele genannt: (1) Idealismus versus Materialismus: Schopenhauer ist als Kantianer ein transzendentaler Idealist, der jede Objekterkenntnis an das das Objekt erst bedingende und dieses möglich machende Subjekt bindet: Kein Objekt ohne Subjekt.

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Andererseits aber enthält Schopenhauers Philosophie dezidiert materialistische Elemente.2 Diese treten insbesondere dort zutage, wo Schopenhauer selbst den Erkenntnisapparat mit dem „Hirn“ identifiziert und so Erkenntnis materialistisch, als Funktion des Gehirns, erklärt. Wenn aber die Materie die Möglichkeit der Erkenntnis erst erklären soll, muss sie, so scheint es, als der Erkenntnis vorgängig gedacht werden. Dies aber widerstreitet der idealistischen Annahme, dass Materie als Teil der Objektwelt durch die Vorstellung bedingt sein muss. Den konzentriertesten Ausdruck findet diese Antinomie im sog. „Hirnparadox“, das auch die gegenwärtige Neurophilosophie noch beschäftigt: Die Vorstellung ist ein Produkt des Gehirns, und das Gehirn ist – als Materie – ein Produkt der Vorstellung. (2) Welt als Vorstellung versus Welt als Wille: Schopenhauer versucht, unter Einhaltung der von Kant aufgezeigten Grenzen der menschlichen Erkenntnis ein metaphysisches System zu entwerfen, fasst also Metaphysik als immanente, die Erfahrungswelt gerade nicht „überf liegende“, sondern diese in ihrer Gesamtheit deutende Wissenschaft auf. Die Willensmetaphysik bleibt insofern auf dem Boden der Vorstellungswelt. Andererseits aber wird die Vorstellungswelt aus der Perspektive der Willensmetaphysik erklärt und erst aus dieser vollständig verständlich, etwa wenn Schopenhauer den menschlichen Leib aus der Perspektive der Willensmetaphysik erklärt: „Die Theile des Leibes müssen […] den Hauptbegehrungen, durch welche der Wille sich manifestirt, vollkommen entsprechen, müssen der sichtbare Ausdruck desselben sein: Zähne, Schlund und Darmkanal sind der objektivirte Hunger; die Genitalien der objektivirte Geschlechtstrieb; die greifenden Hände, die raschen Füße entsprechen dem schon mehr mittelbaren Streben des Willens, welches sie darstellen“ (W I/1, 153). Einerseits sollen also metaphysische Aussagen durch Aussagen über die Erfahrungswelt kontrollierbar sein und eben dadurch ihre Beglaubigung als wissenschaftliche Aussagen erhalten; andererseits wird die Vorstellungswelt selbst schon aus der Perspektive der Metaphysik beschrieben und interpretiert. (3) Transzendentalphilosophie versus Metaphysik: Die Selbstverpf lichtung auf die Beachtung der Kantischen Erkenntniskritik geht mit der Beschränkung der Erkenntnis auf den Bereich möglicher Erfahrung einher. Schopenhauer versucht, 2 Diese werden insbesondere in den Schriften von Alfred Schmidt herausgearbeitet; vgl. dazu auch den Beitrag von Alfred Schmidt in diesem Band.

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dem mit seinem Konzept einer „immanenten Metaphysik“ Rechnung zu tragen. Andererseits aber ist nicht zu leugnen, dass Schopenhauer, indem er überhaupt Metaphysik betreibt, über die Kantische Transzendentalphilosophie – in welchem genauen Sinne auch immer – hinausgeht, denn er versteht Metaphysik zwar als Wissenschaft von der Erfahrung, aber nicht als bloße Beschreibung der Erfahrungswelt, sondern definiert sie als „jede angebliche Erkenntniß, welche über die Möglichkeit der Erfahrung, also über die Natur, oder die gegebene Erscheinung der Dinge, hinausgeht“ (W II/3, 191; Hervorhebung nicht im Original). Sein Konzept einer „immanenten“, sich als Deutung der Erfahrungswelt verstehenden Metaphysik wird erst auf der Grundlage der Kantischen Transzendentalphilosophie verständlich, die Schopenhauer aber andererseits als Metaphysiker hinter sich lässt. Spannungsverhältnisse und Antinomien dieser Art wurden in der früheren Schopenhauer-Forschung im apologetischen Bemühen, Schopenhauer vor allen Vorwürfen der Widersprüchlichkeit in Schutz zu nehmen, ignoriert oder geleugnet (so bei Hübscher 1973, 259); oder seine Philosophie wurde wegen der anscheinenden Widersprüchlichkeit schlicht verworfen (vgl. z. B. Seydel 1857, VI). Mittlerweile aber wird ihre Existenz kaum noch bestritten, und sie rücken zunehmend in das Zentrum der Auseinandersetzung mit Schopenhauer. Dabei lassen sich zwei Interpretationstranchen voneinander unterscheiden. Zum einen kann man die Aporien, in die Schopenhauers Philosophie gerät oder zu geraten scheint, als Indiz für eine Selbstaufhebung des „einen Gedankens“ ansehen. Diese Interpretationsrichtung wird in jüngerer Zeit von Martin Booms vertreten, der, ausgehend von der an Kant angelehnten Erkenntnistheorie und dem transzendentalen Idealismus Schopenhauers, eine „lineare“ Lesart der Philosophie Schopenhauers entwickelt, der zufolge Schopenhauers Theorie von einer subjekttheoretischen Logik gesteuert wird, die schließlich dazu führt, dass die Theorie „gegen sich selbst rebelliert“, also ihre eigenen Prämissen unterminiert (vgl. Booms 2003, bes. Kap. I 3 und Kap. VI 3). Dem stehen Interpretationsansätze gegenüber, welche die Aporien bei Schopenhauer als Konstitutionsprinzip seiner Philosophie begreifen. Volker Spierling führt diese Aporien darauf zurück, dass es bei Schopenhauer zum Ineinandergreifen und Sich-Ergänzen verschiedener Perspektiven käme (vgl. Spierling 1984, 37–62; Spierling 1998, 223–240; vgl. hierzu auch Koßler 2009). So etwa könne aus der Perspektive der Transzendentalphilosophie des ersten Buches die Willensmetaphysik nicht vollständig be-

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gründet werden, da eine Metaphysik notwendig den Boden des transzendentalen Idealismus verlassen müsse. Aufgrund dieses begründungstheoretischen Hiatus zwischen Transzendentalphilosophie und Metaphysik bleibe Schopenhauer „auf halber Strecke“ stehen und ändere die Perspektive, indem er, statt als Kantianer eine Metaphysik zu begründen, nunmehr diese Metaphysik als gegeben voraussetze und vom Standpunkt der Welt als Wille aus die Vorstellungswelt betrachte; dies erlaube es dann, den Intellekt funktional als im Dienste des Willens stehend zu rekonstruieren und zudem, die Willensmetaphysik voraussetzend, eine materialistische Betrachtungsweise anzunehmen, innerhalb derer der Intellekt als physiologisch fassbare Willensobjektivation gelte. An Spierlings Interpretationsfigur der „Drehwende“, also des Standpunktwechsels und der sich komplementär ergänzenden Perspektiven, anknüpfend, aber sie auch radikalisierend, entwickelt in jüngerer Zeit Daniel Schubbe eine Interpretation, die die Aporien „als thematischen Schlüssel und Kulminationspunkt“ des Denkens Schopenhauers auffasst, die es nicht etwa zu überwinden, sondern vielmehr „einzulösen“ gälte (Schubbe 2010, hier: 22). Damit versucht Schubbe, das verbindende Element zwischen den von Spierling benannten verschiedenen Perspektiven der Philosophie Schopenhauers zu benennen und so die Einheit der Philosophie Schopenhauers gerade in ihrem aporetischen Charakter nachzuweisen. Ob – und wenn ja, wie – sich auch angesichts der nicht zu leugnenden Brüche und Unstimmigkeiten eine Einheit der Schopenhauerschen Philosophie rekonstruieren lässt, ist also eine offene und weiterhin lebhaft diskutierte Frage. Literatur App, Urs 2006: Schopenhauer’s Initial Encounter with Indian Thought, in: Schopenhauer-Jahrbuch 87, 35–76. Booms, Martin 2003: Aporie und Subjekt. Die erkenntnistheoretische Entfaltungslogik der Philosophie Schopenhauers, Würzburg. Dür, Wolfgang 2001: Systemtheorie sensu Luhmann, in: Richter, Rudolf (Hrsg.): Soziologische Paradigmen. Eine Einführung in klassische und moderne Konzepte, Wien, 138–170. Gadamer, Hans-Georg 1960/6 1990: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen. Hübscher, Arthur 1973: Denker gegen den Strom. Schopenhauer: Gestern – heute – morgen, Bonn. Koßler, Matthias 2009: „Standpunktwechsel“ – Zur Systematik und zur philosophiehistorischen Stellung der Philosophie Schopenhauers, in: Ciracì, Fabio/Fazio, Domenico M./Koßler, Matthias (Hrsg.): Schopenhauer und die Schopenhauer-Schule (Beiträge zur Philosophie Schopenhauers 7), Würzburg, 45–60. Malter, Rudolf 1988/2 2010: Der eine Gedanke. Hinführung zur Philosophie Arthur Schopenhauers,

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Darmstadt. Schubbe, Daniel 2010: Philosophie des Zwischen. Hermeneutik und Aporetik bei Schopenhauer (Beiträge zur Philosophie Schopenhauers 9), Würzburg. Seydel, Rudolf: Schopenhauers philosophisches System, Leipzig 1857. Spierling, Volker (Hrsg.) 1984: Materialien zu Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung“, Frankfurt a.M. – 1998: Arthur Schopenhauer. Eine Einführung in Leben und Werk, Leipzig.

2 Margit Ruffing

Die transzendentalphilosophische Grundlegung (W I, §§ 1–7)

Schopenhauers Hauptwerk zeichnet sich durch einen streng systematischen Aufbau aus, auch wenn der Autor selbst dieses System nicht als eine starre Ordnung, sondern als ein lebendiges, „organisches“ Ganzes verstanden wissen möchte: Schon im Titel selbst drückt sich in nicht zu überbietender Eindeutigkeit die Zweiheit in Einheit aus, d. h. die Auffassung der Welt als Wesen und Erscheinung. Dieser offensichtlichen existentiellen Duplizität des Was und Wie der Welt entspricht ein weiterer Dualismus: Die Welt kann, abhängig vom Standpunkt des Erkennens, gedeutet werden als eine, die unter dem Kausalitätsgesetz steht, und als eine, die nicht von ihm betroffen ist. Allein diese Betrachtungsweise legt nahe, Schopenhauers Anliegen als transzendentalphilosophisch zu bezeichnen, was erstmalig in der Forschung und bisher in Umfang und Tiefe der Ref lexion unübertroffen 1991 in Rudolf Malters Arthur Schopenhauer. Transzendentalphilosophie und Metaphysik des Willens herausgearbeitet wurde. Kants Kritizismus bedeutet das Ende spekulativer metaphysischer Systeme, an deren Stelle die Transzendentalphilosophie als eine Art der Verwirklichung der metaphysischen Naturanlage der Vernunft tritt. Malter stellt Schopenhauer in diese transzendentalphilosophische Tradition, hebt aber in seiner Untersuchung auf Schopenhauers innovative und bis heute bedeutsame „Neuverwirklichung der metaphysischen Intention“ ab, die sich dadurch auszeichnet, „daß Schopenhauer wie kein Denker vor ihm den außervernünftigen Leidensursprung der Metaphysik erkannt und gleichwohl an

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der Bewältigungskraft der philosophischen Vernunft festgehalten hat“ (Malter 1991, 15). Schopenhauers Philosophieverständnis, dem zufolge sich – nochmals mit Malter gesprochen – „die metaphysische Intention selber als eine Erfahrung enthüllt“ (Malter 1991, 16) und das auf diese Weise in einem neuen Modell „induktiver Metaphysik“1 gipfelt, macht eine grundlegende Voraussetzung, nämlich die, dass die Erkenntnis des Wesens der Welt möglich ist, und zwar ausschließlich im Ausgang von dem, was als Welt vorliegt. Für das Philosophieren selbst bedeutet das, dass dessen Durchführung und Resultat in systematischer Form erfolgen bzw. dargelegt werden müssen; das System dient dabei der Mitteilbarkeit des Erkannten. Aus dieser Perspektive stellt sich die Philosophie von der Welt als Wille und Vorstellung als abstrakter, begriff licher Nachvollzug der Selbsterkenntnis des Willens, ein Fortschreiten in dessen Manifestationen durch alle Arten des Erkennens dar. Der Erfolg dieser philosophischen Ref lexion hängt letztlich von einer erkenntnistheoretischen Einsicht ab, die Schopenhauer deshalb im 1. Buch zunächst zugrunde legt: Alles, was wir über uns und die Welt, über uns in der Welt wissen, wird durch unser erkennendes Bewusstsein geformt und steht, gesetzmäßig verknüpft, mit diesem in Verbindung. Das erste philosophische Anliegen Schopenhauers besteht daher, ganz in kantischer Tradition, in der Klärung der Möglichkeitsbedingungen des menschlichen Wissens und Erkennens. Als das in dieser Hinsicht Grund-legende apriorische Gesetz macht Schopenhauer den Satz vom Grunde aus, dem er seine erste umfassende philosophische Untersuchung widmet, die Dissertation Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde (1813). In ihr findet sich bereits die für das Hauptwerk maßgebliche Konzeption der Vorstellung als „Objekt für das Subjekt“; die erkenntnistheoretische Erläuterung der Bedeutung und Bedeutsamkeit der Kausalität wird zum „Unterbau“ des Systems, wie Schopenhauer im ersten Satz der Vorrede zur 2. Auf lage der Dissertation 1847 erläutert (vgl. G/5, 9). In der Vorrede zur ersten Auf lage der Welt als Wille und 1 Vgl. dazu auch Birnbacher 2009, bes. 7–21, der Schopenhauer als einen einen neuen Philosophietyp zwischen traditioneller Transzendentalmetaphysik und Existenzphilosophie entwickelnden „Denker des Übergangs“ und „Denker der Gegensätze“ charakterisiert. Aus dieser Spannung heraus konzipiere er eine „erfahrungsbasierte“ oder, mit Oswald Külpe gesprochen, „induktive Metaphysik“, vgl. ibid., 12f.

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Vorstellung von 1818 ist von der Abhandlung über den Satz vom Grund sogar die Rede als von einer „Einleitung“, deren Kenntnis für das Verständnis der Willensmetaphysik und ihrer Implikate vorausgesetzt werden muss. Die Kausalrelation tritt als eine Art Weltgesetz zum Wesen der Welt hinzu, ohne aus diesem selbst hervorzugehen; anders ausgedrückt: Der Satz vom Grund hat apriorische Gültigkeit innerhalb der Welt, indem er den Manifestationen des Willens die jeweilige Form gibt, unter der sie erkannt werden. Das Gesetz der notwendigen Verknüpfung aller Vorstellungen durch Grund-Folge-Relationen ist die allen Gestaltungen gemeinsame „Wurzel“; Schopenhauers Analyse ergibt, dass sie „vierfach“ ist, den verschiedenen Objekten unseres Erkennens entsprechend. Er spricht von „vier Klassen, in welche Alles, was für uns Objekt werden kann, also alle unsere Vorstellungen, zerfallen“ (G/5, 41 [§ 16]), und unterscheidet als Objekte des Erkennens (1) die unmittelbare (empirische), (2) die abstrakt-begriff liche Vorstellung, (3) die reine Anschauung von Zeit und Raum und (4) das Subjekt des Wollens. Die entsprechenden „Grund“-Arten sind Werdegrund (Objekte der Wahrnehmung), Erkenntnisgrund (Objekte des Denkens, d. h. begriff liche Vorstellungen und Urteile), Seinsgrund (Raum und Zeit selbst als rein angeschaute Objekte) und Handlungsgrund (Subjekt des Wollens). Unterschiedlich ist also lediglich die „Form, in der das stets durch das Subjekt bedingte Objekt […] überall erkannt wird, sofern das Subjekt ein erkennendes Individuum ist […]“ (W I/1, 10), Geltungsbereich ist die Vorstellung, das „Objekt für ein Subjekt“-Sein. Das „große“ Thema der apriorischen Kausalität also voraussetzend, enthält das erste Buch der Welt als Wille und Vorstellung als eigentliche „Erkenntnistheorie“ innerhalb des Gesamtsystems dessen transzendentalphilosophische Grundlagen: die aporetische Theorie der Vorstellung, die über sich selbst hinausweist.

2.1 Die Welt als Vorstellung (§ 1) Schopenhauer eröffnet sein Hauptwerk mit dem Satz „Die Welt ist meine Vorstellung“ – eine Behauptung, dargeboten als erste und evidente Wahrheit, gültig „in Beziehung auf jedes lebende und erkennende Wesen“ (W I/1, 29). Er fügt aber umgehend an, dass allein der Mensch die Möglichkeit hat, in abstrakter Ref lexion die Bedeutung dieser apriorischen Wahrheit zu erfassen; die Reali-

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sierung dieser Möglichkeit bezeichnet wiederum ein anderes anthropologisches Spezifikum: die „philosophische Besonnenheit“, die im ref lektierten Bewusstsein eintritt. Schopenhauer gelingt es, über den erkenntnistheoretischen Grundsatz hinaus, dass die Welt als Vorstellung eines Vorstellenden existiert, im ersten Satz seines Hauptwerks schon das Resultat des gelungenen Erkenntnisvollzugs vorwegzunehmen, d. i. die Bewusstseinshaltung der Besonnenheit des Menschen, des zur höchsten philosophischen Erkenntnis fähigen Lebewesens. Der erste Absatz erklärt nun den zweiten Teil des Werktitels „Welt als Vorstellung“, und zwar explizit im Rückgriff auf die Dissertationsschrift Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde: Die apriorische Aussage „Die Welt ist meine Vorstellung“ bezeichnet Schopenhauer als formalen und allgemeinsten Ausdruck aller möglichen und denkbaren Erfahrung. Selbst Zeit, Raum und Kausalität, die als apriorische Formen unseres Erfahrung konstituierenden Erkennens angesehen werden können, sind der Wahrheit des „Objekt-für-ein-Subjekt-Seins“ nachgeordnet und setzen diese voraus – denn „das Zerfallen in Subjekt und Objekt“, wie Schopenhauer den Satz umschreibt, ist selbst die gemeinsame Form der Formen, die den Gestaltungen des Satzes vom Grunde entsprechen, die „Wurzel“ des Erkennens (hier auf die ersten drei der vier „Klassen“ bezogen): Der Satz vom Grund des Werdens impliziert die Wahrnehmung von Zeit und Raum als Veränderung, der des Erkennens bezieht sich auf Vorstellungen, die Zeit und Raum als Anschauungsformen enthalten. Von der „Verstandesform“ der Kausalität sagt Schopenhauer, dass sie des Materiellen der Erkenntnis bedürfe, um ins Bewusstsein zu treten; aus dem Erkenntnisgrund erwächst mithilfe der reinen Anschauung der Seinsgrund der Zeit und des Raumes. Die Welt, aufgefasst als „Alles, was für die Erkenntniß da ist“ (W I/1, 29), ist Objekt für das Subjekt, also nur für das Subjekt da und durch dieses bedingt. Der Satz vom Grunde legt die Art und Weise fest, wie Subjekt und Objekt vorkommen, denn seine Gestaltungen sind die Formen des Erkennens selbst – der Vorstellung –, indem sie als Vielheit, Zeit, Raum und Kausalität die formalen Bestimmungen des Objekts ausmachen, mit denen das erkennende Subjekt operiert. Das Subjekt dagegen ist nicht von Zählbarkeit betroffen, geht nicht auf in Zeit, Raum und Kausalität: Es ist das formal unbestimmte eine und einzige Erkennende, das selbst nicht erkannt wird.

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Aus der jeden Leser als philosophisch kompetenten Menschen ansprechenden evidenten Einsicht: „Die Welt ist meine Vorstellung“ ist am Ende der Erläuterung des ersten Absatzes „Die Welt ist Vorstellung“ geworden, die transzendentalphilosophische apriorische Grundwahrheit, die Subjekt und Objekt als Erkenntniseinheit unter den Begriff „Vorstellung“ bringt. Folgerichtig bezieht sich der junge, unbekannte Autor nun auf berühmte Denker „aus aller Welt“ als Gewährsmänner, um die Gültigkeit seines Grundsatzes zu untermauern: Descartes wird zugestanden, die Wahrheit der Vorstellungshaftigkeit der Welt in Ansätzen erkannt, Berkeley dagegen, sie deutlich ausgesprochen zu haben. Der bedeutende Kant darf wohl nicht unerwähnt bleiben, gibt aber keine Argumentationshilfe; im Gegenteil, Schopenhauer spricht in diesem Kontext von „Kants erste[m] Fehler“ (W I/1, 30) und verweist, nicht ohne provokative Brisanz, auf den der Welt als Wille und Vorstellung beigefügten Anhang „Kritik der kantischen Philosophie“, der ausschließlich der Auseinandersetzung mit Kant gewidmet ist. Ebenfalls bemerkenswert, wenn auch in anderer Hinsicht, ist die nächste Referenz: Die weltweite Gültigkeit der Wahrheit „Die Welt ist Vorstellung“ soll durch die indische Weisheitslehre der Veden bestätigt werden. Schopenhauer zitiert den britischen Archäologen William Jones, den Gründer der Asiatic Society, die ab 1788 in Kalkutta die Zeitschrift Asiatick Researches [später: Asiatic] herausbrachte. Jones beschreibt in seiner in den Asiatick Researches Bd. 4 (1801) publizierten Abhandlung „On the Philosophy of the Asiatics“ als Grundsatz der Vedanta-Schule deren Behauptung, dass Materie nicht unabhängig von der Auffassung durch das Bewusstsein existiere: Dasein und Wahrnehmbarkeit seien Wechselbegriffe. Für Schopenhauer kann das als Beleg seiner eigenen Auffassung gelten, dass empirische Realität und transzendentale Idealität „zusammenbestehn“ (W I/1, 30), wie er es hier ausdrückt – im § 5 wird er das Problem der Realität der Außenwelt bzw. die klassische Materialismus-Idealismus-Debatte ausführlich behandeln. Den § 1 beschließt Schopenhauer mit einem Ausblick auf die zweite grundlegende Erkenntnis des Systems – Gegenstand des 2. Buches –, die weniger evident und schwieriger zu fassen ist als die bereits gefundene, aber analog formuliert wird: „Die Welt ist mein Wille“. Die Vorstellungshaftigkeit der Welt, eben noch als die apriorische und für die gesamte Welt (im wahrsten Sinne des Wortes) geltende Wahrheit eingeführt, wird relativiert: die „einseitige Betrachtungsweise“ bedarf der Ergänzung durch eine zweite Wahrheit, die erst durch philosophisch-

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methodische Anstrengung erarbeitet wird. Die Notwendigkeit der Ergänzung ist allerdings – im Unterschied zum Inhalt der ergänzenden Wahrheit – unmittelbar und somit evident, denn jeder stellt ein „inneres Widerstreben“ (W I/1, 31) fest, die Vorstellungshaftigkeit der Welt als einzige Wahrheit anzunehmen. Denn das Wesen der Welt ist nicht nach dem Satz vom Grunde anzugeben, dessen Geltung auf die Gegebenheit der Welt eingeschränkt ist; es muss „außerhalb“ der Vorstellung liegen, ohne grundhaft mit ihr verbunden zu sein. Zum Beschluss des ersten Paragraphen umreißt Schopenhauer in wenigen Sätzen sein philosophisches Vorhaben, indem er den Titel seines philosophischen Hauptwerks gewissermaßen als Kondensat des Systems erläutert und die beiden ersten Bücher als Ort der einzig möglichen komplementären Betrachtungsweisen der Welt bestimmt, die selbst wiederum zwei Seiten hat: die der Erkennbarkeit, des „Objekt-für-das-Subjekt-Seins“, und die des An-sich-Seins. Im Ausgang vom Grundriss der Vierfachen Wurzel des Satzes vom Grunde liegt der Plan des Systems als Skizze vor; das Fundament ist gelegt.

2.2 Subjekt/Objekt-Korrelation (§ 2) Mit dem zweiten Paragraphen hebt die eigentliche Betrachtung der Welt als Vorstellung an: Das Äußere, das Objekt, ist Ausgangspunkt des Denkens (vgl. § 1), das sich nun nach innen, auf das Subjekt richtet. Den Beginn macht, ähnlich wie im ersten Paragraphen, eine definitorische Fundamentalaussage: „Dasjenige, was Alles erkennt und von Keinem erkannt wird, ist das Subjekt.“ (W I/1, 31). Schopenhauer nennt den aktiven Teil des Erkennens nicht etwa „Ich“, „das ,Ich denke‘“ oder „Cogito“, sondern „Subjekt“, wobei es ihm weniger um die sogenannte Subjektivität des Bewusstseins geht als um die Gegenüberstellung von Subjekt und Objekt, auf die sich Vorstellung reduzieren lässt: Sie ist Erkenntnis als Einheit von Erkennendem und Erkanntem. Entscheidend ist dabei für Schopenhauers Argumentation die Priorität des erkennenden Subjekts als „Bedingung […] alles Objekts“ (W I/1, 31); indem das Subjekt als dem, worauf sich Erkenntnis richtet, notwendigerweise vorausgesetzt und ihm somit vorgängig gedacht wird, ist es nämlich „Träger der Welt“ (ibid.). Das Subjekt ist also einerseits Teil der Vorstellung; andererseits muss es zugleich als außerhalb derselben liegend gedacht werden, da es nicht betroffen ist von den Formen, die die Ob-

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jekte bestimmen, also jenseits von Zählbarkeit steht und nicht in Zeit, Raum und Kausalität aufgeht. Auch die Verbindung zwischen Subjekt und Objekt ist nicht, wie die der Objekte untereinander, eine Kausalbeziehung, sondern sie besteht darin, dass das Subjekt auch unabhängig vom Objekt, also a priori, die dieses bestimmenden Formen als Gestaltungen des Satzes vom Grunde erkennen kann. (Schopenhauer verweist auch hier wieder nachdrücklich auf seine Vorarbeiten in der Vierfachen Wurzel.) Schopenhauer spricht von einer gemeinsamen „Grenze“ zwischen Subjekt und Objekt, die als „untrennbare Hälften“ das Ganze der Vorstellung bilden (vgl. W I/1, 32). Das Subjekt kann nicht zum Objekt seiner selbst werden, nicht näher bestimmt werden; es kann von sich selbst nichts anderes aussagen, als dass es in allen Vorstellungsakten präsent ist. Den Zusammenhang des Subjektbegriffes mit dem des ,real existierenden‘ denkenden Ich stellt Schopenhauer folgendermaßen her (und führt damit zugleich den Begriff des Leibes ein): Jedes Lebewesen versteht sich als Subjekt, ohne in diesem aufgehen zu können, denn das Subjekt ist „ganz und ungetheilt in jedem vorstellenden Wesen“ (ibid.), das als leibliches Individuum vorkommt. Dieses nimmt, insofern es erkennt, lediglich den Standpunkt des Subjekts ein, von dem aus selbst der eigene Leib als Objekt unter Objekten angesehen werden muss, wenn er sich auch von allen anderen Objekten durch seine Unmittelbarkeit unterscheidet. Die so weit entwickelte Theorie der Vorstellung impliziert: Der Satz vom Grunde ist als „der gemeinschaftliche Ausdruck für alle diese uns a priori bewußten Formen des Objekts“ (ibid.) so bedeutsam, dass er das Dasein der Vorstellungswelt selbst bestimmt.

2.3 Intuitive und abstrakte Vorstellung (§ 3) Bis hierher ist die Vorstellung als Erkenntnis nach der Methode der Homogenität definiert; die Methode der Spezifikation – die in der Vierfachen Wurzel zusammen mit der erstgenannten Methode als die Wissenschaftlichkeit der Forschung verbürgend ausgezeichnet wird – wird im dritten Paragraphen angewandt: Schopenhauer führt im Rückgriff auf die Dissertation die Unterscheidung des „Intuitiven und Abstrakten“ als den „Hauptunterschied zwischen allen unsern Vorstellungen“ (W I/1, 33) ein. Erstmals findet Kant lobende

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Erwähnung, insofern seine Theorie der Erfahrungserkenntnis, die auf den apriorischen Anschauungsformen Raum und Zeit basiert, den Anstoß für die Einteilung der ersten drei Objektklassen oder Vorstellungsformen gegeben hat, nämlich in 1) anschauliche, intuitive Vorstellungen, das sind Wahrnehmungen, 2) abstrakte Vorstellungen, die Begriffe, sowie 3) Raum und Zeit, Kants reine Anschauungsformen, als eigene Klasse apriorischer inhaltsleerer Vorstellungen. Schopenhauer besteht aber darauf, dass alle Vorstellungen jederzeit als kausal gestaltete angesehen werden müssen, da der Satz vom Grunde das Gesetz jeglicher Formbestimmtheit der Objekte und damit ihrer Erkenntnis ist, ob auf Erfahrung bezogen als „Gesetz der Kausalität und Motivation“ oder als auf Denken bezogen als „Gesetz der Begründung der Urtheile“ (W I/1, 34). Die Zeit wird somit zur „einfachsten“ (W I/1, 34) der Gestaltungen des Satzes vom Grunde, sie drückt ihn ganz ursprünglich aus, da es keine Vorstellung gibt, bei der sie nicht mitgedacht wird – im Unterschied zum Raum, der nicht in jeder Vorstellung vorhanden sein muss. Ohne diese Ref lexion weiter zu vertiefen, werden Zeitliches und Räumliches an den Vorstellungen aufgrund ihres formalen, inhaltsleeren Charakters von Schopenhauer als „Nichtigkeit“ (ibid.) beurteilt. Die Zeit, gedacht als substanzloses Werden und Vergehen von Vorstellungen, als deren auf bloße Relativität reduzierte Abfolge, bringt am deutlichsten diese „Nichtigkeit“ zum Ausdruck, von der Schopenhauer sagt, dass „wir sie auch in allen andern Gestaltungen des Satzes vom Grunde wiedererkennen und einsehn [werden]“ (ibid.). Die Erscheinungshaftigkeit der Welt als Vorstellung ist also nicht nur ein epistemologisches Phänomen, sondern erhält, als Bedeutungslosigkeit aufgefasst, einen existenzphilosophischen Aspekt. Schopenhauer sieht sich wieder bestätigt von etlichen ,Vordenkern‘ der Philosophiegeschichte, von Heraklit über Platon bis Spinoza und Kant, der „der Erscheinung das Ding an sich entgegen [hielt]“ (ibid.); vor allem auch durch die „uralte Weisheit der Inder“ (ibid.), die diese wahre Einschätzung der Vorstellungswelt durch die Göttin Maja erschwert sieht, die ihren „Schleier des Truges“ ausbreitet (vgl. ibid.). Die Nichtigkeit als Relativität der zeitlich-räumlichen Gegebenheiten wird hier zunächst festgestellt und nicht weiter erläutert. Aus ihr ergibt sich aber unmittelbar, dass die eigentliche Bedeutung des Daseins nicht innerhalb der Welt als Vorstellung liegen und erkannt werden kann. Diese Schlussfolgerung zieht

D  G

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Schopenhauer zwar an dieser Stelle nicht; doch ist bereits hier der Grund dafür gelegt, das Wesen der Welt jenseits der Vorstellungshaftigkeit zu verorten.

2.4 Form und Inhalt der Vorstellungen (§ 4) „Vorstellung“ ist also als Komplementäreinheit von Subjekt und Objekt vorausgesetzte Bedingung, Vollzug und Ergebnis der Erkenntnis zugleich, und nur als Vorstellung ist uns das Gegebene der Welt bekannt. Die Objekte unterscheiden sich durch ihre Formen, die als Gestaltungen des Satzes vom Grunde identifiziert werden; die ursprünglichste und notwendige formale Bestimmung ist die Zeit, unter der wesentlich nichts anderes als ausschließlich „Succession“ zu verstehen ist; dem vergleichbar ist das Verhältnis der Objekte zueinander im Raum, dessen Wesen die wechselseitige Bestimmung der Dinge als „Lage“ ist (vgl. W I/1, 35). Der vierte Paragraph vervollständigt nun die Grundlagen der vorstellungstheoretischen Erkenntnislehre, wie sie sich unmittelbar, d. h. nicht abgeleitet, aus dem Prinzip des Satzes vom Grunde ergeben, indem im Ausgang von den einfachsten Formen Zeit und Raum der Inhalt der Objekte „gefunden“ wird: Sukzession kann als bloßes Nacheinander für sich gedacht werden und ist Teil jeder Vorstellung; sind die Objekte aber durchgängig, d. h. nach Schopenhauer nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich bestimmt, ergibt sich daraus ihr Inhalt: die Materie, ihrem Wesen nach die Kausalität selbst. Denn kein Nebeneinander im Raum ist ohne „Etwas“ vorstellbar, an dem das Subjekt die räumlichen Bestimmungen wahrnimmt und als Gestaltungen des Satzes vom Grunde begreift. Während demnach Zeit und Raum als inhaltsleere Formen gedacht werden können, ergibt sich durch den Bezug beider Formen auf das Objekt die Erkenntnis ihres Inhalts, der Materie als „Vereinigung Beider“ (W I/1, 36). Für sie gilt, dass „ihr Seyn […] ihr Wirken [ist]“ (W I/1, 35 u.ö.), was nichts anderes bedeutet als eine Veränderung der Verhältnisse von Objektbestimmungen in Bezug auf Dauer und Lage, sich wechselseitig bewirkend und voneinander bewirkt. Schopenhauer appelliert erneut an das Selbstverständnis des Lesers, wenn er schreibt, dass die Materie „durch und durch nichts als Kausalität [ist], welches Jeder unmittelbar einsieht, sobald er sich besinnt“ (W I/1, 35). Die Möglichkeit dieser Einsicht liegt ihm zufolge darin, dass auf der Seite des Subjekts den

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Objektformen die menschlichen Erkenntnisvermögen korrelieren, die unsere Wirklichkeit konstituieren – Schopenhauer zieht diesen Begriff bewusst dem der Realität vor, weil er das Charakteristikum der Materie, das Wirken, akzentuiert. Das Vermögen, das die leeren Anschauungsformen (Zeit und Raum) erkennt, nennt er, in Anlehnung an Kant, reine Sinnlichkeit, dasjenige, das die mit Kausalität gleichzusetzende Materie erkennt, ist der Verstand: „Das subjektive Korrelat der Materie oder Kausalität, denn Beide sind Eines, ist der Verstand und er ist nichts außerdem“ (W I/1, 38). Der Verstand also fasst das Vorhandensein von kausal bestimmten und zueinander in Beziehung stehenden Objekten, d. h. von Materie, auf, und zwar indem er anschaut, nicht etwa begreift und beurteilt (was Sache der Vernunft ist). An dieser Stelle bricht Schopenhauer mit der Tradition: Weder die aristotelischen Kategorien noch die Verstandesbegriffe in Form der von Kant vorgelegten Kategoriendeduktion sind ihm zufolge philosophisch haltbar, mehr noch, sie sind überf lüssig. Der traditionelle Substanzbegriff wird abgelöst von der Bestimmung des Wesens der Materie als Kausalität, wobei die Materie selbst wiederum als Produkt von Raum und Zeit bestimmt wird. Es bleiben Quantität (Zeit) und Qualität (Raum) übrig, aus denen Substanz als oder durch Kausalität hervorgeht. Die Anschauung der wirklichen Welt enthält also bereits das Erkennen von Ursache und Wirkung an den Dingen – das ist es, was der Verstand als das primäre und grundlegende Erkenntnisvermögen leistet. „Daher“, betont Schopenhauer, „ist alle Anschauung intellektual“ (W I/1, 39). Nun stellt sich die Frage nach dem Ausgangspunkt, der ersten Wirkung, die aufgefasst, d. h. „unmittelbar erkannt“ wird, und ihrem Ort (vgl. ibid.). Dieser „Ausgangspunkt“ kann nicht in der Form der Vorstellung liegen, denn mit Zeit, Raum und Kausalität liegen die anschauungsrelevanten Formen vollständig vor. Schopenhauer verortet hier ein primäres inhaltliches Element im Leib, dem „unmittelbaren Objekt“ des Subjekts, von dem in der Dissertation und im § 2 bereits die Rede war: die Empfindung. „Die Veränderungen, welche der thierische Leib erfährt, werden unmittelbar erkannt, d. h. empfunden“ (W I/1, 39)2 , und alle anderen Objekte werden als ursächlich für diese erkannt, d. h. die Anschauung aller anderen Objekte basiert auf der Empfindung, deren Herkunft oder Beschaffenheit nicht weiter erklärt werden. „Empfindung“ soll nicht 2 Indem Schopenhauer vom „tierischen“ Leib spricht, betont er zum einen die Begriffs- und Ref lexionslosigkeit der anschaulichen Verstandeserkenntnis, zum anderen teilt er implizit mit, dass auch Tiere dieses Erkenntnisvermögen besitzen.

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mehr als die Tatsache bezeichnen, dass etwas den Sinnen Gegebenes vorliegt, das Sinnesdatum, das Inhaltliche an der Vorstellung. Von einer „Vorstellung“ kann allerdings erst nachträglich gesprochen werden, denn erst der Verstand macht aus der Empfindung, indem er primäre Form und Inhalt verknüpft, vollständige Vorstellungen, und lässt deren Gesamtheit als „Welt als Vorstellung“ entstehen: „Aber wie mit dem Eintritt der Sonne die sichtbare Welt dasteht; so verwandelt der Verstand, mit einem Schlage, durch seine einzige, einfache Funktion, die dumpfe, nichtssagende Empfindung in Anschauung“ (W I/1, 39). Damit ist nach Schopenhauer auch Hume widerlegt: Nicht erst die Erfahrung ermöglicht die Erkenntnis von kausalen Zusammenhängen, sondern das in der Anschauung liegende Verständnis von Ursache- und Wirkungsverhältnissen ist der Erfahrung vorgängig und in ihr vorausgesetzt. Aus der Erfahrung lassen sich vielmehr beweiskräftige Belege für die Intellektualität der Anschauung entnehmen; Schopenhauer nennt als eingängigstes „das einfache Sehn des doppelt, mit zwei Augen, Empfundenen“ (W I/1, 40), verweist aber auch zur Erläuterung des Entstehungsvorganges der Anschauung aus Sinnesdaten auf seine Schrift Ueber das Sehn und die Farben von 1815 (vgl. W I/1, 49). Aus der ersten und grundlegenden Wahrheit „Die Welt ist meine Vorstellung“ entwickelt Schopenhauer also eine Erkenntnislehre, die auf der SubjektObjekt-Korrelation basierend das Auffassen von kausal geordneten Verhältnissen, Gegenständen und Ereignissen in Zeit und Raum, also die Wirklichkeit der Welt, erklärt; in den unterschiedlichen Bestimmungen der Objekte werden in der Anschauung des menschlichen Verstandes die Gestaltungen ihres Formgesetzes selbst, des Satzes vom Grunde, erkennbar, und zugleich taucht damit unmittelbar ein von der formalen Bestimmtheit verschiedenes inhaltliches Etwas auf – die Empfindung, der „tierische Leib“, die Materie. Mit der Vorstellung ist also bereits für und durch den Verstand das materielle Dasein der Welt gegeben, ohne dass dieses aus sich heraus als das, was es ist, verstanden werden könnte.

2.5 Realität der Außenwelt (§ 5) Diese Vorstellungskonzeption voraussetzend, befasst sich Schopenhauer nun mit der Frage nach der Realität der Außenwelt und der philosophischen Debatte hierüber. Er unterscheidet die konträren Positionen des Dogmatismus, der „bald

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als Realismus, bald als Idealismus“ (W I/1, 41) auftritt, und des Skeptizismus, der beide Formen des Dogmatismus in Frage stellt. Alle genannten Positionen enthalten den gleichen Denkfehler: Zwischen Subjekt und Objekt wird ein Ursache-Wirkung-Verhältnis angenommen, das nach Schopenhauers Lehre ausschließlich zwischen Objekten besteht; und zwar im Falle der Anschauung, die ja Kausalitätserkenntnis per se ist, zwischen unmittelbarem und vermitteltem Objekt, der leibgebundenen Empfindung und dem empfundenen Gegenstand. Wird aber das Objekt als Ursache und das Subjekt als dessen Wirkung angesehen, ergibt sich daraus ein nicht zu beweisender Realismus; das Subjekt als Objekte bewirkende Ursache dagegen führt zu einem unhaltbaren (absoluten) Idealismus Fichtescher Prägung. Humes Skeptizismus kritisiere beide Positionen zu Recht, schließe aber fälschlicherweise aus dem Primat der Erfahrung, dass sich auch das Kausalitätsgesetz erst aus dieser ableiten lasse. Schopenhauer kritisiert von seinem Standpunkt aus die Debatte über die Realität der Außenwelt als „thörichte[n] Streit“ (ibid.) und nutzt die Aufklärung des ihr zugrunde liegenden Missverständnisses dazu, seine eigene Auffassung klar und eindeutig zu formulieren: Objekt und Subjekt sind apriorische Bedingungen aller Erkenntnis; der Satz vom Grunde ist Form alles Erkannten (der Objekte), und die Bedingung des Erkennens geht der Form des Erkannten voraus; also sind Objekt und Subjekt auch der Kausalität vorgängig. Zudem setzt das Objekt stets das Subjekt als sein notweniges Korrelat voraus; das Subjekt kann daher weder selbst von Kausalität betroffen sein noch in einem Kausalverhältnis zum Objekt stehen. Objekt und Vorstellung sind dasselbe; Objekt und Subjekt sind untrennbar; Objekt ohne Subjekt ist nicht widerspruchsfrei denkbar. Das erkennende Subjekt bedingt also das Erkennen und das Erkannte, aber es bringt nichts als die Vorstellung von etwas hervor, und in der Anschauung der sich in UrsacheWirkung-Verhältnissen bestimmenden Objekte wird die Welt als Vorstellung in ihrer Gesamtheit real (oder wirklich). Das apriorische Bedingtsein der Vorstellungswelt durch das Subjekt bezeichnet Schopenhauer als ihre „transscendentale Idealität“ (W I/1, 43). Als vorausgesetzte Erkenntnisbedingung transzendiert das Subjekt also die Vorstellungswelt. Deren Realität ist dennoch unzweifelhaft durch die Empfindung verbürgt, dem ersten im unmittelbaren Objekt (dem Leib) gegebenen Moment der Anschauung; die Empfindung, selbst nicht geformt und bestimmt von Zeit, Raum und Kausalität, stellt den substanziellen Vorstellungsinhalt bereit,

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indem sie dem Verstand das Material liefert, das er zur Welt der Vorstellungen verknüpft. Wird die Realität der Außenwelt dennoch in Frage gestellt, lässt sich dies aus philosophischen Fehlschlüssen erklären, nämlich der Verwechslung der Gestaltungen des Satzes vom Grunde, die den von Schopenhauer in seiner Dissertation unterschiedenen Objektklassen zugrunde liegen: Werden die „anschaulichen Vorstellungen, die realen Objekte“ (1. Klasse), und die „Begriffe, die abstrakten Vorstellungen“ (2. Klasse), nicht ihrer formalen Bestimmung entsprechend betrachtet, sondern verwechselt, so wird fälschlich versucht, die Realität der Außenwelt aus einer (theoretischen) Wahrheit, also nach dem Grunde des Erkennens, abzuleiten (vgl. W I/1, 43). Nach der Offenlegung derjenigen Konfusionen, die – aus Schopenhauers Sicht unnötigerweise – zur philosophischen Idealismus-Realismus-Debatte führen, wird gegen Ende des 5. Paragraphen ein anderer, weniger abstrakter, „eigentlich empirische[r]“ Ursprung der Frage nach der Realität der Außenwelt angesprochen, nämlich das Problem der Unterscheidbarkeit von Traum und Wachzustand (vgl. W I/1, 44ff.). Schopenhauers innovative Betrachtung der Welt als Vorstellung kommt in aller Deutlichkeit zum Ausdruck, wenn Kants Kriterium der Unterscheidung von Realität und Traum aufgegriffen und variiert wird: Nicht etwa, wie Kant definiert, unterscheidet „[d]er Zusammenhang der Vorstellungen unter sich nach dem Gesetze der Kausalität […] das Leben vom Traum“, sondern dieser unterscheidet, so Schopenhauer, lediglich „den langen Traum (das Leben)“ von den „kurzen Träumen“ (W I/1, 44). Denn für die gesamte Wirklichkeit, zu der auch die Träume gehören, d. h. in jedem der als Realität und Traum unterschiedenen Zustände, gilt, dass innerhalb derselben alles als Ursache und Wirkung voneinander erscheint, den diversen Gestaltungsformen des Satzes vom Grunde entsprechend. Allerdings gibt es keinen Kausalzusammenhang zwischen Traum und Wirklichkeit oder kurzen Träumen und „langem Traum“. Deshalb sieht Schopenhauer kein anderes Kriterium der Unterscheidung zwischen Traum und Wirklichkeit als sicher an als das empirische Ereignis des Aufwachens: Allein das Erwachen aus dem Traum zeigt die Rückkehr in das wache Leben an, wobei ganz klar wird, dass Traum und Wachsein nicht kausal miteinander verbunden sind, da der im Traum empfundene Kausalzusammenhang abgebrochen wird. Die eigentliche Bedeutung der Frage nach der Realität der Außenwelt – das zeigt sich vor allem in der empirischen Variante der Unterscheidung von Traum

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und Wirklichkeit, aber auch unter spekulativem Aspekt – liegt darin, dass sie auf etwas zielt, das über die Welt als Vorstellung hinausweist. Schopenhauer formuliert diese Frage neu: „Was ist diese anschauliche Welt noch außerdem, daß sie meine Vorstellung ist? Ist sie […] eben wie mein eigener Leib […] einerseits Vorstellung, andererseits Wille?“ (W I/1, 47).

2.6 Verstand und Kausalitätserkenntnis (§ 6) Direkt an die den vorherigen Paragraphen beschließende Aussage anknüpfend, dass ich mir meines Leibes auf doppelte Weise bewusst bin, als Vorstellung und als Wille, thematisiert § 6 die besondere Funktion des Leibes in der Erkenntnislehre, allerdings soll diese hier – dem bisherigen Argumentationsgang und Erkenntnisstand entsprechend – explizit nur in Bezug auf das vorstellungsbezogene Erkennen dargestellt werden. Doch kündigt sich bereits an, dass es die Leiberfahrung ist, die ein Ungenügen an der Welt als Vorstellung hervorbringt und über sie hinaus führen wird. Zugleich fasst dieser Paragraph zusammen, wie durch die Verstandestätigkeit in der Anschauung (in Abgrenzung zum Vermögen der Vernunft) aus einzelnen Objekten unmittelbar die ganze „Welt als Vorstellung“ für das Subjekt entsteht, wobei ausdrücklich die Tierheit als der Anschauung fähig gewürdigt wird. Mit konkreten Beispielen aus der Alltagswelt erläutert Schopenhauer in der ihm eigenen Bestimmtheit die philosophischen Ref lexionen. Von allen anderen (Erkenntnis- oder Vorstellungs-) Objekten unterscheidet sich der Leib durch seine Priorität; er ist, wie in § 4 gezeigt, „diejenige Vorstellung, welche den Ausgangspunkt der Erkenntniß des Subjekts macht“ (W I/1, 48). Die apriorische Möglichkeitsbedingung der anschaulichen Erkenntnis ist objektiv aber nicht die Sensitivität bzw. das Empfindungsvermögen der Organismen als Ausgangspunkt der Erkenntnis, sondern „die Fähigkeit der Körper auf einander zu wirken“ (W I/1, 48); diese entspricht subjektiv der Fähigkeit, deren Wirken, Wirkung und Ursache, zu erkennen, d. i. dem Vermögen des Verstandes. Zum Objekt wird auch der menschliche oder tierische Körper erst dadurch, dass etwas auf ihn wirkt, also auch mittelbar; der eigene Leib ist aber noch mehr: nämlich das jedem unmittelbar bekannte Ding an sich, der Wille. Dieser Aspekt ist es, der bereits hier, noch im ersten Drittel des ersten Buches, über die Vor-

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stellungshaftigkeit hinausweist, aber an dieser Stelle aus systematischen Gründen noch nicht vertieft werden kann. Die Rede vom „unmittelbaren Objekt“ in Bezug auf den Leib verbindet bereits die Welt als Vorstellung – als Objekt für ein Subjekt-Sein – mit dem Willen, und zwar als unmittelbare Präsenz des Wollens im Bewusstsein, die eben nicht „Erkenntnis“ im bisher beschriebenen Sinne ist. Der Leib ist erstes Objekt innerhalb der Vorstellungswelt, allerdings ist er nicht durch ein wie auch immer geartetes Körpergefühl präsent, sondern als Vorstellung, die aus sinnlichen Daten im Gehirn „konstruiert“ wird, wie die aller anderen Objekte. Die Schlussfolgerung, dass auch Tiere Verstand und unmittelbare Kausalitätserkenntnis besitzen, zeigt einen Übergang zwischen Vorstellung und Wille an: „[…] denn sie alle erkennen Objekte, und diese Erkenntniß bestimmt als Motiv ihre Bewegungen“ (W I/1, 50). Tiere haben von Objekten bewirkte BewegGründe, eine wie auch immer geartete Vorstellung von Wirkung und Ursache, die sie in Bewegung versetzt. Die Diversifizierung der Verstandeserkenntnis erfolgt graduell, nach Kriterien der „Schärfe“ und „Ausdehnung der Erkenntnißsphäre“ (W I/1, 50) des Verstandes. Tierische und menschliche Erkenntnisfähigkeit unterscheiden sich zudem durch die Möglichkeit des Menschen, die intuitive Verstandeserkenntnis „ins ref lektirte Bewußtseyn“ zu erheben, zu begreifen, was geschieht und warum es geschieht (vgl. W I/1, 50f.). Schopenhauer übernimmt als Bezeichnung des Erkenntnisvermögens, das den Menschen artspezifisch vom Tier unterscheidet, den traditionellen Begriff „Vernunft“, definiert ihn aber, entsprechend seiner Willensmetaphysik, als rezeptives Vermögen nachträglichen Erkennens, das, ganz im Tenor der Assoziationstheorie Humes, unmittelbar Verstandenes aufnehmen, fixieren und neu verknüpfen kann, ohne „das Verstehn selbst hervorzubringen“ (vgl. ibid.). Zahlreiche Beispiele aus der Naturwissenschaft, wie die Entdeckung des Gravitationsgesetzes durch R. Hooke, oder die des Sauerstoffs durch Lavoisier, belegen nach Schopenhauer die kreative Erkenntniskraft der unmittelbaren Verstandeserkenntnis (Intuition/Anschauung) im Gegensatz zur Tätigkeit der Vernunft, die Wissen in abstrakten Begriffen fixiert, dadurch aber auch in der Lage ist, „die unmittelbare Verstandeserkenntnis […] deutlich zu machen, d. h. sich in den Stand zu setzen, sie Andern zu deuten, zu bedeuten“ (W I/1, 51). Diese letztgenannten Fähigkeiten der Vernunft werden, wie später herausgestellt wird, insbesondere in der Philosophie erfordert (vgl. W I/1, 124 (§ 15)). Im Praktischen definiert Schopenhauer „Mangel an Ver-

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stand“ als „Dummheit“; es handle sich um „Stumpfheit in der Anwendung des Gesetzes der Kausalität, Unfähigkeit zur unmittelbaren Auffassung der Verkettung von Ursache und Wirkung, Motiv und Handlung“ (W I/1, 53), was sich u. a. im Glauben an Zauberei und Wunder zeige. Mithilfe von Beispielen von als „klug“ erachteten Tieren (Hund, Elefant, Affe, Fuchs) verdeutlicht Schopenhauer die Gründe für seine Hochschätzung der Verstandeserkenntnis; zugleich bereitet er, indem er den Verstand der Tiere von deren Instinkt abgrenzt, die in der Metaphysik des 2. Buches ausgeführte „Betrachtung der Harmonie oder sogenannte[n] Teleologie der Natur“ (W I/1, 53) vor.3 Der Paragraph endet mit weiteren Begriffsbestimmungen, wobei auf ausführlichere Erläuterungen in passendem Zusammenhang verwiesen wird: Mangel an Vernunft (in Anwendung aufs Praktische) wird als Torheit, Mangel an Urteilskraft als Einfalt definiert, Gedächtnisverlust, teilweise oder vollständig, mit Wahnsinn gleichgesetzt. Durch fehlerfreie Vernunfttätigkeit wird Wahrheit erkannt, der der Irrtum entgegengesetzt ist; die richtige Anwendung des Verstandes erkennt Realität, deren Gegenstück der „Schein“ (W I/1, 54) ist. Die von Schopenhauer angeführten Beispiele sind täuschende Wahrnehmungen von Naturphänomenen. Statt aber auf die Sinnestäuschung abzuheben, betont Schopenhauer den unmittelbaren und unverrückbaren Anschauungscharakter dieser Wahrnehmungen, die von allem „Räsonnement“ der Vernunft unberührt die Eigenständigkeit des Verstandes bezeugen. Inhaltlich bringt § 6 nichts grundlegend Neues, aber die inhaltlichen Akzentuierungen und die Argumentation betreffend stellt er einen für Schopenhauers Philosophieren sehr typischen Textabschnitt dar: Die Priorität der Anschauung, die Bedeutung des Leibes, die Verständigkeit (und die darin implizierte Wesensverwandtschaft) der Tiere, die nachgeordnete Rolle der Vernunft – all das sind Folgerungen und Deutungen der Vorstellungskonzeption, die sich in vollem Umfang erst vom zweiten Buch her, der „Welt als Wille“, erschließen, und damit den Eindruck systematischer Geschlossenheit vermitteln. Die Beispiele aus der Erfahrungswelt entsprechen der von Schopenhauer propagierten empirischen Beweisführung, die seine Nähe zur Methodik des philosophischen Empirismus bezeugen, ohne die gleichen Schlüsse daraus zu ziehen; denn die Konsequenz ist 3 In der dritten Auf lage der Welt als Wille und Vorstellung von 1859 verweist Schopenhauer an dieser Stelle auf das 27. Kapitel des zweiten Bandes des Hauptwerkes, „Vom Instinkt zum Kunsttrieb“. Das 26. Kapitel trägt sogar den Titel „Zur Teleologie“.

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nicht etwa, dass Metaphysik nicht möglich ist, sondern dass jede philosophischmetaphysische Wahrheit von Phänomenen der Erfahrungswelt bestätigt werden muss; und in letzter Konsequenz folgt daraus, dass es keine andere Wahrheit als die der Erscheinungshaftigkeit oder Objektität des Willens geben kann.

2.7 Kritik des Materialismus und des absoluten Idealismus (§ 7) Im 7. Paragraphen positioniert Schopenhauer seine Theorie von der Vorstellung in der Philosophiegeschichte, sich von Denkfehlern absetzend, die zum (absoluten) Idealismus oder zum Materialismus führen. In Kürze besagt seine Idealismuskritik, dass fälschlicherweise vom Subjekt ausgegangen, das Objekt dagegen vergessen werde; die Materialismuskritik lässt sich auf die Umkehrung dieses Satzes reduzieren: Es werde ausschließlich vom Objekt ausgegangen und das Subjekt dabei vergessen. Dagegen stellt Schopenhauer die Forderung auf, von der Vorstellung auszugehen, welche Subjekt und Objekt schon in sich enthalte und voraussetze. Die Vorstellung umfasst also beide und ist somit der SubjektObjekt-Spaltung vorgängig. Anders ausgedrückt: Das Zerfallen der Vorstellung in Subjekt und Objekt ist die „erste, allgemeinste und wesentlichste Form“ (W I/1, 55) der Vorstellung. Diese „Betrachtungsart“ sei völlig neu und von „allen je versuchten Philosophien“ verschieden (ibid.), was bezweifelt werden kann. Schopenhauer selbst dürfte es besser gewusst haben: Es kann davon ausgegangen werden, dass Schopenhauer als Kant-Kenner auch die Position Carl Leonhard Reinholds kannte oder zumindest die zeitgenössische Auseinandersetzung mit dessen Vorstellungstheorie, z. B. bei Fichte. Reinhold definiert im „Satz des Bewußtseins“ die Vorstellung als dasjenige, „was im Bewußtseyn durch das Subjekt vom Objekte und Subjekte unterschieden und auf beyde bezogen wird“ (Reinhold 1790, Bd. 1, 167). Von diesem Standpunkt aus wird die zeitgenössische Identitätsphilosophie verworfen, die Subjekt und Objekt als „Einerleiheit“ in einem „durch VernunftAnschauung erkennbare[n] Absolutum“ (W I/1, 56) auffasse – schon die Wortwahl, die auf philosophische Widersprüche des kritisierten Ansatzes Bezug nimmt, drückt mokante Distanz aus. Auch die Differenzierungen zwischen „Fichte’scher Ich-Lehre“ und (Schelling’scher) „Naturphilosophie“ ändern

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nichts am falschen Ansatz – und sind für Schopenhauer „entsetzliche und […] höchst langweilige Windbeuteleien“ (ibid.). Auch seine Beurteilung materialistischer Welterklärungsversuche, die Schopenhauer ernster nimmt, weil die anschauliche Welt im Mittelpunkt des philosophischen Interesses steht, ist letztlich vernichtend: Sie lässt sich auf den Satz „Kein Objekt ohne Subjekt“ reduzieren. Denn die erkenntnisermöglichende Bedingung, das erkennende Subjekt, wird ignoriert; und damit ist alle – auch die naturwissenschaftliche – Erklärung unzureichend, „weil sie das innerste Wesen der Welt nie trifft“ (W I/1, 59). Die „gänzliche und durchgängige Relativität der Welt als Vorstellung“ (W I/1, 66) weist allerdings über die kausalitätsfreie Vorstellung der Idee, wie Schopenhauer im 3. Buch ausführt, über sich selbst hinaus auf ein von der Vorstellung verschiedenes Wesen der Welt. Für Schopenhauer sind die materialistische und die idealistische Weltdeutung „zwei widersprechende[…] Ansichten, auf jede von welchen wir in der That mit gleicher Nothwendigkeit geführt werden“; er nennt diese Tatsache eine „Antinomie in unserm Erkenntnißvermögen“ (W I/1, 61). Die idealistische Bestimmung der Materie und die materialistische Bestimmung des Intellekts, die Schopenhauer vornimmt, stehen für ihn daher nicht in einem unauf löslichen Widerspruch. Als philosophisches Problem wird dieses materialistischidealistische Spannungsverhältnis erstmals von Eduard Zeller thematisiert und heute noch in der Forschung als „Zellerscher Zirkel“4 diskutiert, der zum „Hirnparadox“ führt.5

2.8 Schlussbemerkungen: Aporien der Erkenntnistheorie Schopenhauers Von Schopenhauers Philosophie lässt sich als von einem in der Vorstellungskonzeption begründeten Transzendentalismus mit systematischer Funktion sprechen, die darin besteht, dass der Transzendentalismus erkenntnistheoretische Möglichkeitsbedingung der Metaphysik (des Willens) ist: Es ist 4 Zeller 1873, 85: „Wir befinden uns demnach in dem greifbaren Zirkel, daß die Vorstellung ein Produkt des Gehirns und das Gehirn ein Produkt der Vorstellung sein soll.“ 5 Vgl. dazu z. B. Kuhlenbeck 1972, Schlesinger 1978, Rogler 2007. Beiträge zum Thema „Schopenhauer und die moderne Hirnforschung“ sind versammelt im Schopenhauer-Jahrbuch 85 (2004), 191ff.

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das Subjekt, das nicht nur dem Satz vom Grunde gemäß erkennt, sondern auch von diesem unbetroffene Einsichten versteht und deutend begreift. Die Transzendentalität liegt also bereits im Subjektbegriff, an dem sich zugleich die Aporien der Vorstellungskonzeption zeigen, die sich vom 1. und 7. Paragraphen her unterschiedlich fassen lassen: 1) Im § 7 wird „Vorstellung“ als Vorstellen im Sinne einer Aktualität, Aktivität interpretiert, denn nur so kann der Vorstellungsbegriff das Subjekt als das umfassen, das selbst vorstellt und für das Vorgestellte besteht, und das Objekt als das, was vorgestellt wird. So gesehen ist die Welt als Vorstellung ein Vorstellen, ein ursprünglicher Vorstellungsakt, zu dem auch das Subjekt gehört. Das Subjekt ist nun aber definiert als das Erkennende, das selbst nicht erkannt wird – wie aber kann das Selbstwissen der Vorstellungsaktualität erklärt werden, das dem Subjekt per definitionem nicht zukommen kann, wenn nicht entweder das Subjekt über Selbsterkenntnis verfügt, also doch erkannt werden kann, oder ein dem Subjekt vorausgehendes Erkennen angenommen wird? Wie sonst könnte die Vorstellungsaktualität unmittelbar – nicht abgeleitet vom Status des ObjektKorrelats – gewusst werden, wie sonst würden überhaupt Aussagen darüber (z. B. von Schopenhauer) gemacht werden können? 2) Die fundamentale Aussage des § 1 ist die Bestimmung der Welt als Vorstellung. Dabei geht Schopenhauer vom Seienden, von der Welt selbst aus, die dadurch als Ganzes Objekt der Erkenntnis, Objekt für das Subjekt wird. Die Welt ist als Objekt demnach das Vorgestellte, etwas, das für ein Subjekt ist. In dem, was Vorstellung eigentlich ausmacht, ist das Subjekt nicht miteinbegriffen; wenn die Welt als das Vorgestellte gedacht werden muss, liegt es außerhalb des Seienden der Welt. Alle Bestimmung und Eigentümlichkeit wird dem Objekt zugeschrieben – und das Subjekt somit aus der ursprünglichen Vorstellungsaktivität herausgezogen. Wie kann dann aber die Subjekt-Objekt-Spaltung als im Vorstellungsbegriff aufgehoben gedacht werden? Diese in der Transzendentalität der Vorstellungskonzeption liegenden Aporien können von der Vernunft – die Thema des folgenden § 8 ist – nicht aufgelöst werden, denn die Vernunft hängt ab von eben dieser ursprünglichen Vorstellungsaktualität: objektiv von der inhaltlichen Anschauung, subjektiv von der Arbeit des Verstandes. Wohl aber wird von der zweiten Wahrheit über die Welt, dass sie Wille ist – also vom 2. Buch her –, auch die Vorstellung ihrem innersten Wesen nach verstehbar.

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Literatur Birnbacher, Dieter 2009: Schopenhauer, Stuttgart. Hamlyn, David 2000: Schopenhauer and Knowledge, in: Janaway, Christopher (Hrsg.): The Cambridge Companion to Schopenhauer, Cambridge, 44–62. Kuhlenbeck, Hartmut 1972: Schopenhauers Satz „Die Welt ist meine Vorstellung“ und das Traumerlebnis, in: Schopenhauer-Jahrbuch 53, 376–392. Malter, Rudolf 1988 und 2010: Der eine Gedanke. Hinführung zur Philosophie Arthur Schopenhauers, Darmstadt. – 1991: Arthur Schopenhauer. Transzendentalphilosophie und Metaphysik des Willens, Stuttgart-Bad Cannstatt. Reinhold, Carl Leonhard 1790: Beyträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen. 2 Bände, Jena. Rogler, Erwin 2007: Das Gehirnparadox – ein Problem nicht nur bei Schopenhauer, in: Schopenhauer-Jahrbuch 88, 71–88. Schlesinger, Benno 1978: Schopenhauers Hirnparadoxon, in: Schopenhauer Jahrbuch 59, 184–185. Zeller, Eduard 1873: Geschichte der deutschen Philosophie seit Leibniz, München.

3 Christopher Janaway

Schopenhauer on Cognition (Erkenntnis) (W I, §§ 8–16)

The first book of The World as Will and Representation ends with Schopenhauer’s discussion of cognition (Erkenntnis), and in particular that form of cognition that is expressed in conceptual thought and is the task of human reason (Vernunft). In the previous sections Schopenhauer has established the foundations of his philosophical position: the conception of the world as representation, in which subject and object are necessary correlates, the claim that there can be no subject without object and no object without subject, and the consequent idealistic viewpoint. He has elaborated his conception of intuition (Anschauung), which he assigns to the understanding. This already constitutes a dramatic, even violent modification to Kant’s theory of knowledge, because for Kant the understanding is the domain of concepts, not of intuition, and because Schopenhauer transforms causality – which is essentially a concept for Kant – into a form of intuition. Even more severe disruptions to the Kantian system occur in §§ 8–16 because of Schopenhauer’s treatment of reason. A consistent theme in §§ 8–16 is that reason has no autonomous content or value: while it gives some obvious advantages to human beings, its sole possessors, it is nevertheless secondary to intuition in many respects and in many contexts. Schopenhauer gives to reason the specific roles of executing ordinary conceptual thought, judgement, and inference. This makes possible human consciousness of past and future, deliberation and planning, communication and co-operation of a kind that no other species achieves. However this value is only instrumental.

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The possession of reason does not make human beings happier than other beings, nor does it play any role in morality. Furthermore, in the context of Schopenhauer’s relationship with Kant, he denies to reason any of the distinctive roles that Kant found for it, namely the production of transcendental ideas, and, as practical reason, the role of serving as the foundation for ethics. Schopenhauer claims in § 8 that Kant confused and falsified the concept of the essence of reason (W I, 61 [1, 70]), and touches on one of his favourite themes, that Kantian errors have resulted in ,Monstrositäten’ (monstrosities) (W I, 61 [1, 71]) in post-Kantian philosophy. Schopenhauer refers us to the Appendix of the work, the Critique of the Kantian Philosophy, for the substantiation of these claims. § 8. The simile of transition from light to darkness that opens this section reveals Schopenhauer’s conviction that reason delivers a form of cognition that is to some extent inferior to that which is to be gained from intuition: „As if from the direct light of the sun into the borrowed ref lection of the moon, we now pass from immediate, intuitive representation (which presents only itself and is its own warrant) into ref lection, the abstract, discursive concepts of reason (which derive their entire content only from and in relation to this intuitive cognition). As long as we maintain ourselves purely in intuition, everything is clear, stable and certain. […] But with abstract cognition and reason came doubt and error, in the theoretical sphere, and in the practical, care and remorse“ (W I, 57f. [1, 66f.]). The cognition that is provided wholly by intuition is immediate, that provided by reason is mediate: it requires an intuitive subject-matter. In On the Fourfold Root of the Principle of Sufficient Reason, Schopenhauer had spoken of concepts as representations of representations (a description that he will repeat in § 9 below). Concepts are secondary representations abstracted from the primary material given in intuition, i. e. immediate cognition through the senses of objects in space and time. They represent the world in a general way by omitting the particularities of immediate intuition, but remain dependent for any genuine content on those immediate intuitions from which they are abstracted. In § 8 he says that we can consider concepts literally to be a ref lection, in the sense of being a mirroring or reproduction (Wiederschein) of what already existed in intuitive cognition. His account here is clearly inf luenced by the empiricist tradition of abstractionism, as found paradigmatically in Locke, and in this sense constitutes something of a reversion to pre-Kantian theories of concepts and reason.

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Human reason is a ,new, more highly potentialized consciousness‘, lacking in other animals. However, although concepts by their nature gain a much wider scope and power for cognition than mere intuition, they are less reliable as a consequence. The senses may deceive us f leetingly here and there as to the nature of an object or causal connection, but once we use ref lective reason we are subject to error (Irrthum) – false conceptualization, false judgement, false inference – whose effects can be devastatingly wide-reaching. The first paragraph of § 8 ends with an elevated rhetorical passage on the imperative to struggle for truth and eliminate all error, and a confident expression of ,the power of truth‘: ,its victory is difficult and troublesome, but once it is achieved, it can never be reversed‘ (W I, 58 [1, 67]). Schopenhauer, the well-known pessimist, is remarkably optimistic with regard to truth; and if the term ,irrationalist‘ applies to him, it does so only in the sense that he describes humanity in such a way that reason is neither its essence nor its primary route to cognition. Nevertheless the use of reason to seek truth and combat error is something that he consistently champions. The parallels and contrasts between the life of humans and that of other animals are a major theme for Schopenhauer throughout his philosophy, and receive some important treatment here in § 8. In a succinct statement Schopenhauer says that ,animals sense and intuit; humans think and know as well‘, adding (as a supplement in the second edition): ,both will‘ (W I, 60 [1, 68]). Animals have immediate cognition of the empirical world, but do not know. They experience a world of spatio-temporal material objects in causal interaction, and they share with humans also the same pattern of willing. Reason confers on human beings, its sole possessors, many advantages. Because of it they can acquire, communicate and store knowledge, perform logical reasoning, be scientific investigators, found societies and undertake vast communal projects. Unlike animals, they can ref lect and act upon past experience, work out likely future consequences and have a wide range of goals. The lives of animals are like ours, in that they are strung together from episodes of striving and suffering, but because we can remember the past and conceptualize the future we are full of guilts and anxieties about satisfied or unsatisfied willing that stretch far beyond the immediate present, and so our capacity for suffering is much greater. This is why Schopenhauer mentions ,care (Sorge) and remorse (Reue)‘. So in a certain respect our superior, rational, ref lective cognition merely makes things worse for us than for other animals. A wider theme for Schopenhauer is that humans are not only unhappier than

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animals, but that reason also confers on humans no special ,dignity‘, nor does it have any special connection with freedom or morality. Schopenhauer rejects entirely Kant’s conception of ,practical reason‘. Although he says here in § 8 that human beings have real choice, whereas the animals are ,determined‘ – though elsewhere we discover that human action is also determined by a combination of unchanging character and motives, and we have only ,relative freedom‘ – the effective demotion of reason from any foundational role in characterizing human behaviour or explaining what has moral worth, and the consequent levelling that occurs between human beings and all other animals, are notable distinguishing features of Schopenhauer’s philosophy. Reason, then, is unique to human beings, and indeed Schopenhauer states that the possession of reason is the only essential difference between humans and other animals. This has long been recognized, according to Schopenhauer, who does not claim to be saying anything especially original here. However, he states that no philosopher has succeeded in explaining the nature of reason clearly. Various features of reason have been noted: mastery of the affects and passions, the ability to make inferences, or the ability to lay down universal principles; but no single coherent theory of the nature of reason has been given. Schopenhauer’s solution is to define reason simply and solely as the capacity to form concepts. All the other features that have traditionally been recognized can, he claims, be explained from this definition. There is also a close connection between reason and language for Schopenhauer, to which he gives an etymological dimension. The word Vernunft (reason) comes from Vernehmen, and Schopenhauer’s claim is that Vernehmen is specifically associated with ,apprehending or understanding, which is not a synonym for hearing, but rather signifies the internalization of thoughts that have been communicated using words‘ (W I, 60 [1, 69]). It is in grasping linguistic propositions in communicable form that reason is most apparent. Hence, it is not the mere formation of concepts that we find here, rather the use of concepts discursively to frame thoughts and arguments, and to communicate these in language. The distinctive human achievements of co-ordinated action, the state, science, poetry, and so on, are made possible by this function of reason. From this we may discover that the value that Schopenhauer assigns to human reason as such is instrumental: it is a means to a vast number of ends which require the formation and transmission of propositional thought.

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§ 9. This section covers much important ground. First, Schopenhauer explains that words designate concepts, and that speech is usually understood by reason directly, without meditation through mental images. Any theory that words designate mental images is belied by our experience of rational thought and communication: „While others speak, do we somehow instantaneously translate their speech into imaginative pictures […]? What a tumult there would be in our heads while listening to a speech or reading a book! It does not happen like this at all“ (W I, 62 [1, 72]). Next Schopenhauer explains a point that he had made clearly in On the Fourfold Root: that there is a particular form of the principle of sufficient reason that applies to the relations of the abstract representations of reason. This he calls the principle of sufficient reason of knowing. In On the Fourfold Root he expressed the point more clearly in terms of judgement: every true judgement must have a ground, which can be either another judgement or a sensible intuition. Here he makes a similar point, with less clarity, in terms of concepts, saying that abstract, conceptual representations may be grounded in other abstract representations, which in turn are similarly grounded, „but not forever: in the end, the series of cognitive grounds must terminate with a concept that has its ground in intuitive cognition. For the world of ref lection as a whole is based on the intuitive world as its cognitive ground“ (W I, 64 [1, 73]). In other words, all cognition must always have some original empirical content, and cannot consist solely in relations of concepts one to another. Thirdly, Schopenhauer notes that it is not, as commonly thought, an essential feature of concepts that they apply to many particular things: there can be concepts that apply only to one thing; the fact of their applying to one thing only does not render them immediate, or intuitive (anschauliche) representations of that thing: „A concept does not possess universality because it is abstracted from many objects, but the other way around: it is because universality, that is, indeterminacy with respect to the individual, is essential to the concept as an abstract rational representation, that different things can be thought through the same concept“ (W I, 65 [1, 74f.]). Schopenhauer then turns to the topic of the combination of concepts, and to the notion of judgement. This section of the book has something of the air of a textbook. The central notion that Schopenhauer uses is that of the extension (Umfang) or sphere (Sphäre) of a concept. At this point the reader is helped with some interesting diagrams in the form of circles that include or intersect one another, partially intersect, and so on, a system of presentation that, as Scho-

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penhauer explains, is taken from Euler. All judgement, Schopenhauer states, is the recognition of the relation of overlap, or non-overlap, that holds between the spheres of two or more concepts. To recognize that a horse is an animal, for example, is to connect the subject ,horse‘ with the predicate ,animal‘ in a way which corresponds to the relation of the spheres of the two concepts, that of inclusion. Schopenhauer claims that all properties of judgements (except hypothetical judgements which involve a relation between judgements, not merely a relation between concepts) can be expressed in terms of such relations of spheres. At the end of § 9 Schopenhauer provides an elaborate illustration, involving 36 overlapping circles, of the way in which relations between the spheres of concepts can be mis-used. The rhetorical art of persuasion (Ueberredungskunst) pays no attention to the exact relation of spheres, but treats them only superficially, as if those that overlap slightly stand in a tight logical connection. Schopenhauer’s example is that of the concept travel (peregrinari), which by tenuous judgements based on possible overlaps of other concepts can be argued to be either something good or something bad. Before this Schopenhauer has given a fairly extensive account of logic, concerning its nature, its uses, and its origins in Greek philosophy. Logic should be taught at universities in his opinion, but it should not be considered as something learned to assist practical reasoning. Rather it is merely abstract knowledge of the way reason proceeds (des Verfahrens der Vernunft). This procedure of reason is something that human beings know how to do without studying logic, and even the most advanced logician falls back on natural reasoning ability rather than the universal rules of logic when confronted with a particular case. Thus ,learning logic for practical purposes is like training a beaver to build its own dam‘ (W I, 69 [1, 79]). The claim is, then, that study of logic does not improve our ability to reason. In the second edition Schopenhauer adds a small qualification here. It can be useful to study logic towards the specific practical end of identifying deliberate uses of sophistical inference by one’s opponent in debate. There is a connection here with the origin of the study of logic, in Schopenhauer’s view. In the Greek world before Aristotle, from the time of the Eleatics onwards, the art of argument developed greatly. There were always disputes, and forms of argument arose that could be identified as fallacious, especially among the Sophists. Logic, Schopenhauer hypothesises, began as a cataloguing of argument types for

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use in practical disputation, and later became a science of fundamental principles, such as the law of non-contradiction, law of excluded middle, and others. §§ 10–12. In these sections Schopenhauer makes two important distinctions. One is between cognition and feeling (Gefühl). The other is between two species of cognition itself: that which constitutes knowledge, and that which does not. We may divide all living things into those which have consciousness (humans and other animals) and those which do not (plants). Within consciousness we have states that are conceptual or rational (of which only humans are capable), and other conscious states. Schopenhauer says that we may apply the term ,feeling‘ to all these other conscious states; however, to do so is unsatisfactory in an important respect. The term is used to refer to a wide range of states which have nothing significant in common apart from the single characteristic that they are conscious states which are not conceptual or rational. So ,Gefühl‘ is not a technical term of Schopenhauer’s own, rather a portmanteau term that has only a negative sense. To illustrate his point he lists „religious feeling, sensual feeling, moral feeling, the corporeal feeling of touch or pain or a feeling for colours, or sounds and their harmonies and disharmonies, the feeling of hatred, of disgust, of self-satisfaction, of honour, of disgrace, of right, of wrong, the feeling for truth, aesthetic feeling, feeling of power, weakness, health, friendship, love etc etc“ (W I, 76 [1, 87f.]). If the division between abstract, rational cognition and feeling were an absolutely exhaustive categorization of states of consciousness, then we would have to say that intuitive cognition (anschauliche Erkenntniß) through the understanding of things in space and time was also a species of feeling. In fact, says Schopenhauer, this is commonly done, and he gives some supporting examples from texts by Schleiermacher und Tennemann. But Schopenhauer’s use of ,feeling‘ is not meant to make a serious classificatory point: using such an unclear term with so many diverse applications merely serves to give opportunity for misunderstanding and dispute, and is best avoided. On the other hand, the distinction between two kinds of cognition, made most clearly in § 12, has an importance that resonates throughout The Word as Will and Representation and Schopenhauer’s philosophy as a whole. With concepts and judgements we are capable of knowledge (Wissen). ,Knowledge‘ Schopenhauer defines as „to have the mental power to reproduce at will those judgements that have their sufficient cognitive ground in something external to themselves, i. e.

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those judgements that are true“ (W I, 75 [1, 87]). Someone has knowledge, or knows, in other words, if he can judge truly on the basis of a justificatory ground. And it is easy to see that only a being with reason, with the capacity for forming and using concepts, can have knowledge. Hence once again Schopenhauer’s verdict: ,Animals sense and intuit; humans think and know‘ (W, I, 60 [1, 68]). In § 12 Schopenhauer compares the two kinds of cognition: rational knowledge and intuitive cognition. His main points are (1) that knowledge has advantages over intuition; (2) that intuition also has advantages over knowledge; (3) that the content of knowledge never really differs from or exceeds that of its non-rational counterpart. Knowledge has considerable advantages over non-conceptual cognition, namely in that it enables preservation of what has been cognized over time in a fixed form, and communicability between different individuals. Knowledge can be stored, shared, re-discovered, built upon, and acted upon at a great distance in both time and space. It allows characteristically human activities that require complex cooperation over time. On the other hand, where preservation and communicability are not necessary, intuitive cognition is often not only sufficient for completing some action, but actually at a great advantage over its conceptual counterpart. Schopenhauer gives some vivid and convincing examples. In sports such as billiards or fencing, and in singing or playing a musical instrument, the use of ref lection is not only unnecessary, but positively detrimental. Stopping to ref lect theoretically on the way in which to kick a ball or pluck the string of a guitar stops one from correctly performing the task. Human beings who lack theoretical explanation of their actions, such as (in Schopenhauer’s words) ,savages and people without culture‘ (Wilde und rohe Menschen), perform many activities with a poise and precision that could not be obtained by the ,ref lective European‘ (reflektierender Europäer). There are other examples: knowing how to apply a razor to one’s skin in order to shave is a matter of immediate intuition, as is the recognition of facial features, in which case we again say that we must feel (fühlen) their significance, rather than understanding them using conceptualization. Wider themes are also touched on here, which will be continued in detail in the third and fourth books of The World as Will and Representation. In both aesthetics and ethics, the conceptual thought of reason is unfruitful. The artistic genius perceives reality (which means ultimately the timeless Platonic Ideas) through a

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heightened kind of intuition, not through conceptual thought. Indeed, as Schopenhauer goes to some lengths to argue in the third book, art which shows itself to have arisen from a pre-existing conceptual plan is always inferior. Personal characteristics such as ,attractive, graceful or winning behaviour, love or friendship‘ (W I, 82 [1, 94]) are in this respect similar to the aesthetic case: we respond to them with feeling, and if we detect any conceptual calculation behind such behaviour, our reaction is negative. Finally Schopenhauer refers to the relation of reason to the ethical. He summarizes the view he takes consistently throughout his philosophy, that reason is not the foundation of morality; and he further links the ethical with the aesthetic in characteristic fashion: „Finally, virtue and holiness do not stem from ref lection either, but from the inner depths of the will and its relation to cognition. This should not be taken as denying that the application of reason is necessary for leading a virtuous life: reason however is not its source, but has a subordinate role in sustaining resolutions once they have been made and providing maxims to struggle against the weakness of the moment, and lending consistency to action. Ultimately, reason does the same for art, where it has just as little to do with the essential business, but supports its execution, since genius is not at one’s beck and call, and yet the work must still be perfected in all parts and then rounded off into a whole“ (W I, 83 [1, 95]). This discussion of the advantages and disadvantages of reason, with the rhetorical emphasis on the disadvantages, is combined with the claim that reason adds no real content to intuition: „Since reason only reproduces in cognition what had already been received by a different means, it does not actually extend our cognition, but only gives it a different form: it allows what is already cognized concretely and intuitively to be cognized abstractly and universally“ (W I, 78 [1, 89]). With respect to empirical intuition of objects in space and time this claim is radical, and, it must be said, not entirely plausible in the case of empirical intuition. For if intuition occurs without reason, and reason is the capacity to form concepts, then the content of intuition, i. e. that which is received by a different means, without reason, is non-conceptual. But the content of knowledge is explicitly conceptual and propositional: One knows that … – and the lacuna here must be completed conceptually. The Kantian claim that there can be no intuition of objects without the application of concepts is also not available to Schopenhauer. So how can it be that conceptual knowledge reproduces the same content as non-

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conceptual intuition? Schopenhauer appears to confuse two different theoretical points: (1) that the justification for any instance of cognition must finally be found in intuition; and (2) that the content of conceptual cognition must be the same as the content of merely intuitive cognition. To advance the first point does not require that the second point is true. To have the knowledge that dogs commonly have four legs may require ultimately some empirical intuition of particular dogs. But this is not to say that the propositional knowledge that dogs have four legs has the same content as the non-conceptual intuition of particular dogs. Schopenhauer also makes a parallel claim about pure intuition (reine Anschauung), the a priori cognition of space and time that he assigns to mathematics, in this respect at least following Kant quite closely (see §§ 3–4). Here is one of Schopenhauer’s examples: „So differential calculus does not really extend our cognition of curves in any way; it contains nothing more than is already contained in the pure intuition of curves, taken on its own. But it does change the kind of cognition we have: it converts intuitive cognition into an abstract cognition that is so rich in consequences for practical application“ (W I, 78 [1, 90]). The plausibility of the claim about pure intuition is, however, called into question by an argument similar to that which we saw in the case of empirical intuition, since the content of pure intuition must likewise be non-conceptual. § 13. Schopenhauer next examines some smaller-scale features of human life that depend on rationality, but constitute either a disruption to it, or a misuse of it. These features are laughter (das Lachen) and the ridiculous (das Lächerliche); pedantry; and word-play. The ridiculous, according to Schopenhauer, is always a case of incongruity between a concept and the real objects that are thought through it, and laughter is the human reaction that expresses the recognition of such an incongruity. The essential conceptual element in laughter thus explains why it is only humans who laugh, not other animals. The unification of two quite different objects under one concept is called wit (Witz). If on the contrary one starts with a single concept applied to different objects, and their difference then becomes recognized, this is an instance of foolishness (Narrheit). In this schematic way Schopenhauer thinks to have covered all possible cases of the ridiculous. It is perhaps surprising that Schopenhauer, who has a unique talent among philosophers for the well-placed word that provokes laughter, refrains from doing so in this passage, and gives us no examples.

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Schopenhauer describes pedantry (Pedanterei) also as a kind of foolishness, an incongruity of a prior concept with reality. In his account here Schopenhauer reverts directly to the overall theme of this part of his book. For pedantry is the replacement of secure, well-founded intuition with a reliance on reason alone: „It arises when people lack confidence in their own understanding and so do not want to let their understanding recognize what is right directly in the particular case; accordingly they place the understanding completely under the tutelage of reason, which they use in all cases. In other words, pedants always start out from universal concepts, rules and maxims and seek to hold themselves exactingly to these in life, in art and even in ethical conduct“ (W I, 85 [1, 97f.]). But this produces a lack of f lexibility, or of adaptation to the particular case, which makes the Pedant ineffective in life. Some elements of Schopenhauer’s repeated criticisms of post-Kantian philosophy, and indeed some elements of his critique of Kant himself, rest on similar complaints. For the sake of completeness Schopenhauer mentions an inferior form of wit, namely wordplay (das Wortspiel), the calembourg or pun. In this phenomenon two distinct concepts are brought together under one word, but it is a less effective form of wit because it relies on mere linguistic coincidence. It must be remarked, however, that Schopenhauer could also excel at wordplay, and sometimes with a degree of wit that calls into question his own remarks here. One has only to think of his references to Fichte’s work as Wissenschaftsleere. § 14. Science (Wissenschaft) is indeed the topic to which Schopenhauer turns in his next section. What is the relationship between knowledge and science? The former relates to the latter, Schopenhauer says, as a fragment relates to the whole. A science has the task of attaining ,complete and abstract cognition of some particular type of objects‘ (W I, 87 [1, 100]) in abstracto. Each distinct science, such as physics, botany, zoology, or linguistics has a governing concept that determines all objects that fall within its realm, and proceeds from the most universal concept to cognition of particulars. History comprises knowledge, but is not a science, because its particular propositions are not logically subordinate to any single universal principle. But Schopenhauer once again repeats his already stated claim concerning the primacy of intuition: „Intuition, sometimes pure and a priori (as the basis of mathematics) and sometimes empirical and a posteriori (as the basis of all other sciences) is the source of all truth and the foundation of all

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science“ (W I, 89f. [1, 103]). In this respect science is merely a special instance of knowledge, which always, as we have seen, requires grounding in intuition for Schopenhauer. He also re-iterates his claim about content, saying that ,consequently, every truth discovered through inferences and communicated through proofs could also, somehow, have been recognized directly, without inferences or proofs‘ (W I, 91 [1, 104]). Schopenhauer insists again that no genuine cognition can arise from mere deduction and proof, adding that truth demands first and foremost evidentness (Evidenz), something which proofs per se cannot give. All evidentness is either gained immediately through intuition or can be derived ultimately from it. This discussion is somewhat repetitive in character. However, some new points are raised here, among them the role of judgement (Urtheilskraft), and the question whether scientific cognition enjoys greater certainty than other forms of cognition. Judgement, for Schopenhauer, is an ability that human beings command in different degrees, and that bridges the divide between intuition and conceptual knowledge. It is the ability to form general propositions that accurately ref lect the content of immediate intuition, in the sense that what is the same in different intuitions is conceptually thought as the same, and what is different is conceptually thought as different. Judgement emerges, then, as the crucial ability that translates cognition from its reliable, immediate form into its preservable and communicable abstract form. But meanwhile no greater certainty is attained in this process of translation. It is a mistake, Schopenhauer insists, to think that the characteristic feature that makes something scientific (Wissenschaftlichkeit) is greater certainty; rather it lies simply ,in a systematic form of cognition grounded in a stepwise descent from the universal to the particular‘ (W I, 89 [1, 102]). § 15. This long section culminates in some remarks about all the sciences, and finally in a discussion of the distinctiveness of philosophy itself as a form of knowledge. But the greater part of § 15, partly didactic and partly polemic in character, is devoted to mathematics. The main point here is another iteration of the view already expressed, that evidentness is what is required for any truth, and that intuition is the ultimate source of evidentness. Mathematics, or at least geometry, has in Schopenhauer’s view taken a wrong route, trusting in logical evidentness (logische Evidenz) instead of intuitive evidentness (anschauliche Evidenz). Euclid’s

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method in geometry had of course been standard for a very long time: Schopenhauer admires it but criticizes it at length as ,a brilliant piece of wrongheadedness‘ (W I, 96 [1, 110]). He explains Euclid’s privileging of conceptual proof as stemming from a prevalent rationalism in ancient thought: from the Eleatics onwards the noumenon (the object of thought) had become privileged over the phainomenon (the object of intuition), and Euclid merely followed this prejudice. Schopenhauer assumes the correctness of Kant’s doctrine concerning mathematics, that it is the a priori intuition of the properties of space and time, space in the case of geometry, time in the case of arithmetic, and his own position on mathematics stands or falls with this doctrine. Without this view, the only alternatives would be that geometry is grounded in empirical intuition or that it is grounded in conceptual proof. Since the former is recognized as not the case, the only alternative for Euclid and subsequent geometry was the latter. Schopenhauer criticizes the usual method of teaching mathematics, on the grounds that it leaves students knowing that geometrical truths hold, but not why. In order to understand why, according to him, immediate spatial intuition is required. With regard to intuition all the theorems of geometry are equally as evident as the axioms, and it is arbitrary to regard the latter alone as certain prior to conceptual proof. As an example Schopenhauer includes a diagram from which the truth of Pythagoras’ theorem is supposedly evident. Schopenhauer recapitulates his central claims from On the Fourfold Root: there are different forms of explanation that respond to the question ,Why?‘ The principle of sufficient reason has its four forms: the principle of sufficient reason of becoming, of being, of knowing, and of acting, according to the objects whose relations it seeks to explain. But in each case the form of explanation is the same: a consequence follows of necessity from a ground. The majority of sciences are inductive, proceeding from given consequences to their ground, always with the possibility of error. Mathematics is protected from such error by the fact that it proceeds from cognition of the ground to cognition of the consequent. This protection from error in the case of mathematics could be explained if one held that mathematics operates by conceptual deduction. Schopenhauer, however, claims that the same immunity to error can be achieved in pure a priori intuition. Finally, Schopenhauer states that philosophy is distinct from the other sciences because it does not presuppose anything as already known, and does not seek explanation. That is to say, it poses not the question ,Why?‘ but merely the ques-

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tion ,What?‘ and seeks to answer it using the most general concepts. Philosophy aims to be ,a complete recapitulation, a ref lection, as it were, of the world, in abstract concepts‘ (W I, 109 [1, 124]). Philosophy must present a single, unified picture of the world, but, for all its abstraction, philosophy too must be grounded in immediate cognition in concreto (Erkenntnis in concreto) of the particulars of the world. § 16. Schopenhauer’s account of cognition, and of the peculiarly human form of cognition that consists of reason, is now complete. But the remaining question that he turns to address in § 16 is whether reason can be called in any sense practical. He opens this discussion by stating that he has contested the existence of Kantian practical reason, and refers the reader to the Critique of the Kantian Philosophy and to his substantial discussion of Kant’s ethics in Chapter II of the Prize essay on the basis of morals. Schopenhauer’s view here is that reason can be practical in the sense that it presents motives that activate the will. But the role of reason in motivating actions is purely instrumental, as a means to an end. Reason can guide our action, but it itself has no ends. Schopenhauer recognizes that at times ,reason dominates our animal nature‘ (W I, 112 [1, 127]). Ref lection also gives us the possibility of retreat from the life of endless willing and suffering that we share with all animals; we have an ,abstract life‘ which is lacking in their case. But Schopenhauer’s chief point against Kant is that none of this distinctiveness conferred on human beings by reason helps us to account for the ethical value of actions. Ref lection may allow us a psychological distance from suffering and pain, and conceptual planning and forethought may enable us to achieve our ends more efficiently; but in all cases these features are compatible with great wickedness (Bosheit) just as much as with great goodness (Güte). In fact the greater the application of rationality to an action, the greater the potential for wickedness and immense harm as a result of the action. Schopenhauer does, however, offer a positive account of what he calls ,practical reason in the true and authentic sense of the word‘ (W I, 113 [1, 128]). This, he suggests, is to be found in the ethics of ancient Stoicism. The first book accordingly ends, rather surprisingly, with a short essay on the Stoics, complete with learned references and quotations from Epictetus, Chrysippus, Zeno, Cleanthes, and Antisthenes. The aim of Stoic ethics is, as Schopenhauer puts it, to use reason to raise the human being above the effects of the sufferings and pains (Leiden

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und Schmerzen) that are inherent in life. Desire, fear, and hope should leave the Stoic sage unaffected. Eudaimonia (which Schopenhauer renders as happiness) can be attained only through ataraxia (peace of mind), and the aspiration of the Stoics was to make the human being, through the proper application of the uniquely human power of reason, invulnerable to the events of life. He represents Stoic reasoning as follows: suffering arises from the disparity between desire and attainment; reason can eliminate this disparity by improving our cognition of what in general can and cannot be attained in human life; as a result hope, fear, pleasure, anger, and despair will be seen as a form of error or delusion (Wahn). Thus, by use of reason to correct cognition, we can in principle rise above suffering, and this is the way to achieve eudaimonia. Schopenhauer recognizes Stoicism as a valuable contribution to ethics, but more for its aim than for its results. It is impossible to eliminate suffering from life, and although the aim of nullifying the significance of suffering is a good one, reason does not figure among the means for achieving this, in Schopenhauer’s view. The failure of Stoicism is shown by the fact that the idea it aspires to is not realizable: Stoicism, Schopenhauer states, can point to no genuine examples of the sage who has genuinely achieved ataraxia in life. On the other hand the ideals of other ethical systems can show living representatives of those who have come to a permanent state of ataraxia, such as those that are mentioned in the remarkable closing words of the first book: „Those who the wisdom of India sets before us and has actually brought forth, those voluntary penitents who overcome the world; or even the Christian saviour, that splendid figure, full of the depths of life, of the greatest poetical truth and highest significance, but who, with perfect virtue, holiness and sublimity, nevertheless stands before us in a state of the utmost suffering“ (W I, 118 [1, 134]). The failure of Stoicism is shown not only by its being unrealisable and contrary to the essence of life, which must contain suffering, but also by its recommendation of suicide in the case of excessive and incurable bodily suffering. The other ethical systems, and Schopenhauer himself, do not see suicide as an acceptable solution to the problem of life. That life can be sacrificed because of suffering shows that the attempt to master both life and suffering through the kind of insight of which reason is capable can never succeed. At this stage in the course of the The World as Will and Representation, only the reader who has followed Schopenhauer’s advice in his Preface, to read the book twice, would grasp the sig-

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nificance of these remarks that close the first book. Schopenhauer here looks forward to his central doctrines: that it is compassion (Mitleid), not reason, that provides the foundation for morality, that it is will (Wille), not reason, that is the essence of human beings, that suffering cannot be eliminated from life, and that it is only the self-negation of will (die Selbst-Verneinung des Willens) that can raise us above suffering to what he calls salvation (Erlösung). In this way we see that the discussion of the limitations of reason, which may at times seem a rather dry rehearsal of themes in epistemology, is in the end a highly important part of Schopenhauer’s thought as a whole. Cited edition of The World als Will and Representation Schopenhauer, Arthur: The World as Will and Representation. Volume I. Translated and edited by Judith Norman, Alistair Welchman, Christopher Janaway with an introduction by Christopher Janaway. Cambridge: Cambridge University Press 2010.

Suggested Further Reading Bozickovic, Vojislav: Schopenhauer on Scientific Knowledge. In: A Companion to Schopenhauer, ed. Bart Vandenabeele. Oxford: Wiley-Blackwell, 2012, 11–24. Gardiner, Patrick: Schopenhauer. Harmondsworth: Penguin, 1963, 67–123. Guyer, Paul: Perception and Understanding: Schopenhauer, Reid and Kant. In: A Companion to Schopenhauer, ed. Bart Vandenabeele. Oxford: Wiley-Blackwell, 2012, 25–42. Hamlyn, David: Schopenhauer. London: Routledge and Kegan Paul, 1980, 10–73. –: Schopenhauer and Knowledge. In: The Cambridge Companion to Schopenhauer, ed. Christopher Janaway. Cambridge: Cambridge University Press, 1999, 44–62. Jacquette, Dale: Schopenhauer’s Philosophy of Logic and Mathematics. In: A Companion to Schopenhauer, ed. Bart Vandenabeele. Oxford: Wiley-Blackwell, 2012, 43–59. Wicks, Robert: Schopenhauer’s Naturalization of Kant’s A Priori Forms of Empirical Knowledge. In: History of Philosophy Quarterly 10 (1993), 181–96. Young, Julian: Schopenhauer. London: Routledge, 2005, 32–52.

4 Oliver Hallich

Der Übergang von der Transzendentalphilosophie zur Metaphysik (W I, §§ 17–22)

4.1 Die Problemstellung: Transzendentalphilosophie und Metaphysik (§ 17) „Die Welt ist meine Vorstellung“ – dies ist der Kerngedanke des ersten Buches der Welt als Wille und Vorstellung. Um ihn zu begründen, hatte Schopenhauer sich weitgehend in den Spuren der Transzendentalphilosophie Kants bewegt und einen transzendentalen Idealismus mit einem empirischen Realismus verbunden. Die empirische Wirklichkeit ist demnach stets nur in Beziehung auf ein sie vorstellendes Subjekt gegeben; in dieser Weise aber, als Vorstellung, ist sie real. Auf dieser Grundlage entwickelt Schopenhauer im zweiten Buch des Hauptwerks seine Willensmetaphysik. Die Schwierigkeit dieses Unternehmens resultiert daraus, dass Schopenhauer, um den transzendentalphilosophischen Grundlagen seines Systems treu bleiben zu können, nicht in ein vorkritisches Verständnis von Metaphysik zurückfallen darf. Er muss also einerseits – entsprechend seiner Definition von „Metaphysik“ als „Erkenntniß, welche über die Möglichkeit der Erfahrung, also über die Natur, oder die gegebene Erscheinung der Dinge, hinausgeht, um Aufschluß zu ertheilen über Das, wodurch jene, in einem oder dem andern Sinne, bedingt wäre“ (W II/3, 191) – seine Willensmetaphysik als eine Wissenschaft konzipieren, die über den Bereich des Empirischen hinausgeht, muss dies aber andererseits als Kantianer unter Beachtung der von Kant nachgewiesenen und von Schopenhauer ausdrücklich

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akzeptierten Beschränkung der Erkenntnis auf den Bereich möglicher Erfahrung tun. Ein dem vorkantischen Rationalismus entsprechendes Verständnis von Metaphysik als reiner Begriffswissenschaft ist damit ausgeschlossen. Verstünde man Metaphysik als den Versuch, ausgehend von selbstevidenten Prämissen ohne jede Herbeiziehung von Empirie zu einer Erkenntnis über das jenseits der Erfahrung Liegende zu gelangen, also die Erfahrung zu „überf liegen“ (W II/3, 213), so wäre damit gegen die transzendentalphilosophische Selbstbeschränkung der Erkenntnis auf den Bereich der Erfahrung verstoßen. Im § 17, dem ersten Paragraphen des zweiten Buches des Hauptwerkes, präzisiert Schopenhauer das aus dieser Problemstellung resultierende Verständnis von Metaphysik.1 Er versteht – wie es zunächst scheint: paradoxerweise – Metaphysik als eine Erfahrungswissenschaft, deren Ziel aber darin besteht, über die Erfahrung hinauszugehen und begründete Aussagen über das „innere Wesen“ der Erfahrungswelt, das selbst nicht mehr Vorstellung ist, zu machen. Der Anschein des Paradoxen in dieser Bestimmung verschwindet, wenn man Schopenhauers Konzeption einer hermeneutischen Metaphysik berücksichtigt.2 Nach diesem an die Metapher vom Buch der Welt angelehnten Verständnis von Metaphysik besteht diese darin, die Erfahrungswelt als einen Text aufzufassen, dessen in ihm nicht unmittelbar evidente Bedeutung es zu ermitteln gilt, um so die „unverstandenen Hieroglyphen“ (W I/1, 139) der Vorstellungswelt entziffern und zu einem Verständnis der Erfahrungswelt gelangen zu können. (Der hermeneutische Zentralterminus „Bedeutung“ taucht in § 17 in auffallender Häufigkeit auf.) Im zweiten Band des Hauptwerks spricht Schopenhauer von der Erfahrungswelt als einer „Geheimschrift“ (W II/3, 213), die es zu entschlüsseln gelte, und der Philosophie als der „Entzifferung derselben“ (ebd.), welche die „Deutung und Auslegung“ (W II/3, 214) der Erfahrungswelt zum Ziel habe. Das innere Wesen der Natur, auf dessen Bestimmung die Metaphysik abzielt, liegt demnach nicht jenseits der Natur, sondern ist aus ihr zu erschließen wie die allegorische Bedeutung eines Textes aus seinem Wortlaut. So sollen unter Beachtung der transzendentalphilosophischen Grundlagen des Systems begründete Aussagen 1 Zum Verständnis dieses Paragraphen wird im Folgenden neben den Parallelkapiteln aus dem 2. Band des Hauptwerks auch das Kapitel 17, „Ueber das metaphysische Bedürfniß des Menschen“ (W II/3, 186–219), herangezogen. 2 Vgl. hierzu z. B. Safranski 1987, 320–323; Birnbacher 1988, 11–13; Spierling 1998, 109–116; Janaway 2002, 140; Schubbe 2010, 32–63.

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über das hinter der Erfahrungswelt liegende „innere Wesen der [...] Erscheinungen“ (W I/1, 140) gemacht werden können. Ausführlich grenzt Schopenhauer in § 17 dieses Vorgehen gegen das der empirischen Wissenschaften ab, indem er darlegt, dass diese, eben weil sie sich darauf beschränkten, innerhalb des Bereiches der Erscheinungen Kausalverhältnisse nachzuweisen, keinen Aufschluss über die gesuchte Bedeutung jener Vorstellungen liefern könnten. Dies gilt nach Schopenhauer sowohl für die Morphologie, also die beschreibende Naturwissenschaft, zu der er Botanik und Zoologie und größtenteils Geologie rechnet, als auch für die Aetiologie, deren Gegenstand die Veränderungen in der Natur seien und zu der vor allem Mechanik, Physik, Chemie und Physiologie gehörten. Fragt man nach der Bedeutung jener Vorstellungen, in Bezug auf die die genannten Naturwissenschaften fragen, durch welche kausalen Gesetzmäßigkeiten sie miteinander verbunden sind, so kann man diese Frage nicht durch Anwendung des Kausalitätsgesetzes beantworten. Kausalverhältnisse nämlich herrschen nach Schopenhauer nur zwischen Objekten, also innerhalb des Bereichs der Vorstellungen. Das bedeutet, dass kein Kausalverhältnis zwischen den Erscheinungen und demjenigen, was den Erscheinungen (als Ding an sich) zugrundeliegt, bestehen kann. Da die Anwendung des Satzes vom Grunde, also des Kausalitätsprinzips, stets innerhalb des Bereichs der Erscheinungen bleibt, nie über sie hinausführt, bedarf es, um im Sinne einer hermeneutischen Metaphysik zu einem von der Erfahrung ausgehenden Verständnis der Erfahrungswelt als ganzer zu gelangen, eines vom Vorgehen der Naturwissenschaften gänzlich unterschiedlichen Zuganges zur Erfahrungswelt. Um welchen Zugang es sich handelt und wie sich damit die Willensmetaphysik begründen lässt, ist Gegenstand der §§ 18 und 19.

4.2 Zur Begründung der Willensmetaphysik Der Übergang von der Transzendentalphilosophie zur Metaphysik vollzieht sich in vier Schritten, deren zwei erste mit nur wenigen Sätzen und beinahe beiläufig vollzogen werden. Zunächst wird als Ausgangspunkt der Argumentation die Ref lexion des Subjekts auf sich selbst festgehalten. Im zweiten Schritt wird das Subjekt als Körper bestimmt. Im dritten Schritt wird die Körperbewegung mit einem Willensakt identifiziert und im vierten dann der Analogieschluss vom

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eigenen Körper auf die Außenwelt vollzogen und letztere ebenfalls als Wille bestimmt.

4.2.1 Ausgang vom Subjekt (§ 18) Am Anfang der Argumentation steht die These, dass der Ausgangspunkt des Bemühens um ein Weltverständnis eine Ref lexion des erkennenden Subjekts auf sich selbst sein muss. Von außen – so heißt es am Ende des § 17 – ist dem Wesen der Dinge nicht beizukommen, sondern nur von innen, und die nachgeforschte Bedeutung der dem Subjekt als seine Vorstellung gegenüberstehenden Welt wäre nicht zu finden, wenn es nur auf die Außenwelt, nicht auch auf sich selbst bezogen wäre. Darum geht der Weg zur Welterkenntnis notwendig über die Selbsterkenntnis. Diese Behauptung ist natürlich nicht mit der von Schopenhauer ausdrücklich abgestrittenen These zu verwechseln, dass zwischen Subjekt und Objekt ein Kausalverhältnis bestünde. Dass Welterkenntnis auf Selbsterkenntnis angewiesen ist, heißt nicht, dass das Subjekt die Außenwelt als seine Wirkung hervorbringen würde – eine Ansicht, die Schopenhauer Fichte zuschreibt und für die er ihn kritisiert3 –, sondern vielmehr, dass das Verstehen der Außenwelt vermittelt ist über ein Verstehen des eigenen Subjekts, dass wir die Bedeutung der Vorstellungswelt nur durch Ref lexion auf uns selbst ermitteln können. Wie aber lässt sich die Wahl dieses Ausgangspunktes begründen? Es ist naheliegend, wie folgt zu antworten: Weil wir selbst uns als Wille gegeben und unmittelbar erfahrbar sind, können wir nach Schopenhauer auch durch die Ref lexion auf uns selbst zur Erkenntnis des Wesens der Dinge gelangen, da dieses ebenfalls Wille ist. Diese Aussage ist sachlich zweifellos zutreffend und wird textlich eindeutig bestätigt (W I/1, 172f.; W II/3, 230). Es lässt sich mit ihr aber nicht zirkelfrei begründen, dass die Ref lexion auf das Subjekt als Ausgangspunkt für die Begründung der Willensmetaphysik gewählt wird. Dass die Welt, außer dass sie Vorstellung ist, Wille ist, soll ja gerade gezeigt werden, und kann daher an dieser Stelle nicht einfach vorausgesetzt werden. Dass wir über den Weg der Ref lexion auf uns selbst zur Erkenntnis der Welt gelangen können, lässt sich, setzt man die Schopenhauersche Willensmetaphysik bereits voraus, einleuchtend dadurch erklären, dass wir uns selbst als Wille erfahren und auch 3 Vgl. W I/1, 41 (§ 5); W I/1, 62–65 (§ 7).

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die Welt Wille ist; aber die methodologische Frage, wie sich der Ausgang vom Subjekt rechtfertigt, bleibt damit unbeantwortet. Sie muss beantwortet werden können, ohne schon die Willensmetaphysik zu präsupponieren. Eine vom Zirkularitätsvorwurf unbelastete Antwort auf diese Frage ist den ersten Sätzen des § 18 zu entnehmen: Die Welt außer uns, so hatte sich im ersten Buch gezeigt, ist uns durchweg als Vorstellung gegeben. Wenn wir auf die Objekte, die Welt der Erscheinungen, blicken, sehen wir nichts als Vorstellungen, die durch das Band der Kausalität miteinander verknüpft sind. Es ist uns daher nicht möglich, auf diese Weise – indem wir nach außen, auf die Welt der Erscheinungen, blicken – über die Welt als Vorstellung hinauszugelangen. Wenn also die Welt noch etwas ist, außer dass sie Vorstellung ist, so ist uns dieses Andere nur durch den Weg nach innen zugänglich. Der methodische Ausgangspunkt vom Subjekt rechtfertigt sich also dadurch, dass dieser durch die transzendentalphilosophischen Überlegungen des ersten Buches als alternativenlos nachgewiesen wurde: Wenn der Blick nach außen uns nie über die Vorstellungen und deren kausale Verknüpfungen hinausführt, kann dies nur durch den Blick nach innen, die Ref lexion auf uns selbst als Subjekte, geschehen.

4.2.2 Das Subjekt als Leib (§ 18) Insofern das Subjekt auf sich selbst ref lektiert, ist es sich – dies ist der zweite Argumentationsschritt – als Leib gegeben. Auch diese These ist durchaus nicht selbstverständlich, wenngleich Schopenhauer sie in den Eingangssätzen des § 18 geradezu beiläufig einführt, nämlich nur mit einem Satz: „[Das Subjekt] findet sich [in jener Welt] als Individuum, d. h. sein Erkennen, welches der bedingende Träger der ganzen Welt als Vorstellung ist, ist dennoch durchaus vermittelt durch einen Leib“ (W I/1, 142). Nicht als cartesianisches Cogito, nicht wie dem deutschen Idealismus zufolge in der reinen Anschauung, nicht als denkende Wesen sind wir uns nach Schopenhauer gegeben, sondern in unserer Leiblichkeit, als Körper. Warum aber schließt Schopenhauer aus, dass wir uns statt als Leib als erkennende Subjekte wahrnehmen? Der Grund hierfür liegt in der von Schopenhauer schon in seiner Dissertation entfalteten These, dass das Subjekt des Erkennens sich als solches, d. h. als erkennendes, niemals erkennen kann. Das Erkennen kann sich nicht selbst

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erkennen, weil, so eine Kernthese der Schopenhauerschen Transzendentalphilosophie, Subjekt und Objekt aufeinander angewiesen sind. Da das Subjekt des Erkennens also gerade Bedingung aller Vorstellung ist, kann das vorstellende Subjekt als notwendiges Korrelat aller Vorstellungen nie selbst Vorstellung oder Objekt werden. Ein Erkennen des Erkennens ist unmöglich (G/5, 157f. (§ 41)). Auf der Grundlage dieser These wird verständlich, warum Schopenhauer Selbstwahrnehmung als Wahrnehmung des eigenen Leibes auffasst: Sobald wir das Subjekt des Erkennens zum Objekt machen, gelangt niemals das erkennende Subjekt selbst, sondern immer nur das Subjekt als Leib in unseren Blick. Insofern wir uns selbst gegeben sind, sind wir uns als Körper gegeben.

4.2.3 Die Identitätsthese: Zur Gleichsetzung von Wille und Körperbewegung (§ 18) Diese Körperwahrnehmung wird – im dritten Argumentationsschritt – mit der Wahrnehmung des Willens identifiziert: Insofern wir uns als Leib gegeben sind, sind wir uns auch als Wille gegeben. Für das Verständnis dieses Argumentationsschrittes ist es von entscheidender Bedeutung zu sehen, dass hier noch nicht vom metaphysischen Willen die Rede ist. Gemeint ist der empirische Willen, der uns in der Erfahrung gegeben ist und auf den wir – ohne damit eine Metaphysik im Hinterkopf zu haben – verweisen, wenn wir z. B. sagen, dass Menschen glücklich sein wollen oder dass jemand gerade etwas trinken will. Dass der metaphysische Wille als „Wesen der Dinge“ und inhaltliche Bestimmung des Kantischen Dinges an sich fungiert, dessen Objektivationen die Einzeldinge sind, ist das Argumentationsziel der hier diskutierten Passage. Schopenhauer antizipiert zwar dieses Argumentationsziel bereits im § 18, wenn er ankündigt, den Leib als „Objektität“ des metaphysischen Willens bezeichnen zu wollen (W I/1, 146), und er verweist auf den metaphysischen Willen mit dem Hinweis, dass der empirische Wille einen „Schlüssel“ zur Bedeutung des Wesens der Welt darstellt, der es uns ermöglicht, das Ding an sich als Wille zu identifizieren (W I/1, 143), aber er nimmt diesen metaphysischen Willen nicht schon in Anspruch, um die Identitätsthese zu begründen. Diese ist von metaphysischen Prämissen unabhängig. Zwischen dem empirischen Willen und Körperbewegungen besteht also, so Schopenhauer, ein Verhältnis der Identität, kein Kausalverhältnis: „Jeder

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wahre Akt seines Willens ist sofort und unausbleiblich auch eine Bewegung seines Leibes: [...] Der Willensakt und die Aktion des Leibes sind nicht zwei objektiv erkannte verschiedene Zustände, die das Band der Kausalität verknüpft, stehn nicht im Verhältniß der Ursache und Wirkung; sondern sie sind Eines und dasselbe, nur auf zwei gänzlich verschiedene Weisen gegeben [...]. Die Aktion des Leibes ist nichts Anderes als der objektivirte, d. h. in die Anschauung getretene Akt des Willens.“ (WI/1, 143). Diese Verwendung des Ausdrucks „Willensakt“ entspricht sicher nicht dem alltäglichen Sprachgebrauch, in dem wir dazu neigen, Willensakte als mentale Ursachen für körperliche Bewegungen anzusehen. Diesem Alltagsverständnis zufolge sind die sichtbaren Bewegungen eines Menschen die kausalen Folgen der sich im Inneren des Subjekts abspielenden Willensakte. Dass z. B. jemand willentlich den Arm hebt, bedeutet dann nichts anderes, als dass er, erstens, einen innerlichen („privaten“) Willensakt vollzogen hat und, zweitens, die äußere Armbewegung als kausale Folge dieses Willensaktes stattfindet. Durch die Identifikation von Willensakten und Körperbewegungen kritisiert Schopenhauer die Annahme solcher innerer, rein „privater“ Willensakte und implizit einen cartesianischen Dualismus von Körper und Seele. Dies verbindet Schopenhauers Begriff des Willens mit neueren Versuchen, die Natur des Wollens ohne Bezugnahme auf innere Willensakte zu erklären. Insbesondere G. Ryle, der in einem berühmten Kapitel in The Concept of Mind die cartesianische Theorie einer Trennung innerer Willensakte und äußerer Körperbewegungen kritisiert, hätte sich dabei auf (den ihm ansonsten nicht gerade wesensverwandten) Schopenhauer berufen können.4 Die Identifikation von Willensakt und Körperbewegung bedeutet, dass sich Schopenhauer nicht mit dem auch die gegenwärtige Philosophie des Geistes noch beschäftigenden Problem auseinanderzusetzen hat, die kausale Interaktion zwischen Körper und Geist zu erklären. Das Problem, die Natur mentaler Verursachung einsichtig zu machen, entfällt, wenn der Willensakt selbst mit einer Körperbewegung identifiziert wird.5 Dafür sieht sich Schopenhauers Identitätsthese, wenn man sie vor dem Hintergrund der Ergebnisse der neueren Hirnforschung liest, mit dem Problem konfrontiert, 4 Vgl. Ryle 1949, 62–83 (Chapter III). 5 Zu den möglichen Theoriebildungen zur Interaktion von Geist und Körper und ihren Problemen vgl. Beckermann 2008, 43–56.

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die mögliche zeitliche Verschiebung zwischen Körperbewegung und Willensakt erklären zu müssen; insbesondere wäre zu fragen, wie sie sich mit der durch die Libet-Experimente nachgewiesenen Möglichkeit der Nachzeitigkeit des Willensaktes gegenüber neuronalen Vorgängen vereinbaren lässt.6 Folgt man der Identitätsthese, ist jede Körperbewegung als Willensakt anzusprechen. Damit wird der Willensbegriff gegenüber seinen alltagssprachlichen Verwendungen erheblich erweitert. Zum einen umfasst er auch Körperbewegungen, deren Ursachen nicht bewusste Motive, sondern bloße Reize sind. Auch Ref lexbewegungen sind, da es sich um Körperbewegungen handelt, demnach als Willensakte aufzufassen. Zum anderen werden auch Empfindungen wie Schmerz, Wohlbehagen und Wollust von Schopenhauer als „Affektationen des Willens“ aufgefasst, da sie „Einwirkung[en] auf den Leib“ (W I/1, 144) sind. Schließlich bezeichnet Schopenhauer mit dem Ausdruck „Wille“ neben den von Motiven und Reizen gesteuerten Bewegungen auch alle affektiven Phänomene, also etwa Gefühlsregungen wie Furcht und Freude, da diese als Strebungen und Antriebe zu sich in Körperbewegungen manifestierenden Verhaltensweisen (etwa Vermeidungsverhalten bei Furcht) aufgefasst werden können und häufig unmittelbare körperliche Ausdrucksformen (z. B. Furchtstarre) haben. Der Wille ist also – als empirischer, nicht als metaphysischer Wille! – zwar stets intentional auf etwas gerichtet (wer will, will auch etwas, z. B. die Vermeidung von Schmerz), aber keinesfalls notwendig von Absichten geleitet. Willensakte können auch unbewusst sein oder vom Subjekt als bloße „Widerfahrnisse“ erlebt werden. Das Erleben des eigenen Willens ist nicht notwendig das Erleben der Handlungshoheit über das eigene Tun, sondern kann als passio, als Erleiden von etwas Fremden erfahren werden.7 Aus der Gleichsetzung von Wille und Körperbewegung ergibt sich weiterhin, dass die Erkenntnis des eigenen Willens auf die Erkenntnis des eigenen Leibes zurückverwiesen ist: Was wir wollen, erkennen wir, wenn Wille und Körperbewegungen identisch sind, nur in den einzelnen Willensakten unserer Körperbewegungen. Damit wird die Frage nach den Ursachen des eigenen Handelns, die in der Dissertation unter dem Begriff des Gesetzes der Motivation als vierte der Gestalten des Satzes vom zureichenden Grunde angesetzt worden 6 Vgl. hierzu Libet 2007. 7 Vgl. Birnbacher 2009, 31–33.

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war, auf die Frage nach den Ursachen im Bereich materieller Erscheinungen, also die erste der vier Gestalten des Satzes vom zureichenden Grunde, bezogen. Wenn wir nach den Formen der Kausalität in Bezug auf das Subjekt des Wollens fragen, erweist sich bei Zugrundelegung der Identitätsthese diese Frage als Frage nach Kausalverhältnissen im Bereich materieller Objekte. Damit kommt ein materialistisches Element der Schopenhauerschen Philosophie – die Rückführung des Mentalen auf Körperliches – zum Tragen, das sich später, dann unter Voraussetzung der Willensmetaphysik, in der physiologisch-materialistischen Betrachtungsweise des Intellekts als eines bloßen „Gehirnphänomens“ ausprägt.8

4.2.4 Der Analogieschluss (§ 19) Der Leib ist dem Subjekt auf zwei Weisen gegeben: als Objekt unter Objekten, also als eine Vorstellung unter anderen, andererseits aber auch (setzt man die Identitätsthese voraus) als Wille. Ausgehend hiervon versucht Schopenhauer, mittels eines Analogieschlusses zu begründen, dass die gesamte Außenwelt als Willensobjektivation begriffen werden kann. Die Struktur eines Analogieschlusses lässt sich am besten anhand eines Beispiels erläutern. Hume diskutiert in den Dialogues Concerning Natural Religion das dem physiko-teleologischen Gottesbeweis zugrunde liegende Analogieargument, das, grob formuliert, Folgendes besagt: Menschliche Artefakte sind stets nach zweckrationalen Gesichtspunkten von jemandem hergestellt: ein Tisch von einem Tischler, ein Buch von einem Autor etc. Die Erfahrungswelt ist nun menschlichen Artefakten in einer relevanten Hinsicht ähnlich, nämlich darin, dass auch sie die Anzeichen der Zweckrationalität trägt und in vielem eine gesetzmäßige Ordnung und eine biologische Zielgerichtetheit aufweist: Das menschliche Auge etwa scheint ausgestaltet, um die Funktion des Sehens zu erfüllen, das menschliche Herz dazu, Blut im Körper zirkulieren zu lassen. Aufgrund dieser Ähnlichkeit lässt sich per analogiam schließen, dass die Erfahrungswelt, ebenso wie Artefakte es haben, die Eigenschaft hat, von einem planenden Urheber, der sie nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit hergestellt hat, geschaffen worden zu sein. Als dieser Urheber 8 Vgl. W II/3, 9. Zum Materialismusproblem bei Schopenhauer vgl. z. B. Spierling 1984, 339–414.

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kann Gott angenommen werden.9 Allgemein formuliert: Es wird ausgegangen von einer unstrittigen Relation A : B (z. B. Artefakte : Hersteller dieser Artefakte), und es wird auf eine andere Relation C : D (z. B. Erfahrungswelt : Gott) geschlossen, indem auf relevante Ähnlichkeiten zwischen den erstgenannten Relata (A, C) der beiden Relationen verwiesen wird. In einem Analogieargument wird die These einer Analogie mit Ähnlichkeitsbehauptungen begründet. In Schopenhauers Analogieargument besteht die nachzuweisende relevante Ähnlichkeit zwischen dem Leib und den übrigen Vorstellungen. Sie besteht, so soll das Argument zeigen, darin, dass sowohl der Leib als auch die übrigen Vorstellungen Wille sind. Wenn diese relevante Ähnlichkeit besteht, ist es gerechtfertigt, von einer Analogie zwischen dem Leib und den übrigen Vorstellungen auszugehen, genauer: anzunehmen, dass, ebenso wie der Leib Vorstellung und Wille ist, auch die übrigen Vorstellungen dies sind. Die Relation zwischen dem Leib und seinem Dasein als Vorstellung ist dann analog zur Relation zwischen den übrigen Objekten und ihrem Dasein als Vorstellung zu denken – nämlich darin, dass beide eben nicht nur Vorstellung, sondern auch Wille sind. Wir können dann, schreibt Schopenhauer, „die Erkenntniß, welche wir vom Wesen und Wirken unseres eigenen Leibes haben, weiterhin als einen Schlüssel zum Wesen jeder Erscheinung in der Natur gebrauchen und alle Objekte, die nicht unser eigener Leib, daher nicht auf doppelte Weise, sondern allein als Vorstellungen unserem Bewußtseyn gegeben sind, eben nach Analogie jenes Leibes beurtheilen und daher annehmen, daß, wie sie einerseits, ganz so wie er, Vorstellung und darin mit ihm gleichartig sind, auch andererseits, wenn man ihr Daseyn als Vorstellung des Subjekts bei Seite setzt, das dann noch übrig Bleibende, seinem innern Wesen nach, das selbe seyn muß, als was wir an uns Wille nennen.“ (WI/1, 148f.). Welche Gründe führt Schopenhauer für die These an, dass sich der Leib und die übrigen Vorstellungen darin ähnlich sind, dass beide Wille sind? Der Gedankengang lässt sich wie folgt wiedergeben: Nur einer seiner Vorstellungen, des Leibes, ist das Subjekt sich auch als Wille bewusst. Fragt man nun, worin die Differenz zwischen dieser Vorstellung und den anderen Vorstellungen des

9 Das Argument wird in den Abschnitten II–V der Dialogues Concerning Natural Religion diskutiert (Hume 1992, 43–71).

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Subjekts, also den übrigen Objekten der Außenwelt, liegt, so sind, meint Schopenhauer, zwei Antworten möglich: (1) Man kann annehmen, dass diese Differenz in der Besonderheit der „doppelten Beziehung“ auf den eigenen Leib als Leib und Willen liegt, ansonsten aber in nichts, d. h. dass, abgesehen von dieser „doppelten Beziehung“, die übrigen Objekte ebenso wie der Leib Vorstellung und Wille sind. (2) Man kann annehmen, dass der Leib als Objekt „wesentlich von allen andern [Objekten] verschieden“ ist, d. h. dass nur der Leib sowohl (empirischer) Wille als auch Vorstellung ist, während die übrigen Objekte ausschließlich Vorstellungen, d. h. „bloße Phantome“ sind, so dass der Leib des erkennenden Subjekts „das einzige wirkliche Individuum in der Welt“ ist (W I/1, 147). Die zweite Option wird zurückgewiesen; sie zu vertreten hieße nach Schopenhauer, durch Leugnung der Realität der Außenwelt einen „theoretischen Egoismus“, also einen Solipsismus, zu vertreten. Dieser aber sei, wenngleich durch Beweise nicht zu widerlegen, ein bloßes Sophisma und bedürfe nicht eines Gegenbeweises, sondern einer Behandlung. Also sei die erste Option der einzig gangbare Weg, und es sei anzunehmen, dass alle Objekte der Außenwelt sowohl Vorstellung als auch Wille seien. Diese Argumentation ist viel kritisiert worden.10 In der Tat ist sie problematisch. Der neuralgische Punkt des Arguments liegt darin, dass in ihm zwei Fragen miteinander verknüpft werden, die voneinander unabhängig sind: zum einen die Frage danach, ob die Außenwelt real ist, und zum anderen diejenige, ob die Außenwelt, ebenso wie das Subjekt, Wille ist. Schopenhauer legt nahe, dass eine bejahende Antwort auf die erste Frage uns auf eine bejahende Antwort auf die zweite Frage festlegen würde, dass uns also das Zugeständnis, dass die Welt real ist, auf dasjenige festlegen würde, dass sie Wille ist. Aber zweifel10 So etwa meint Malter, dass das Analogieargument einen „Bruch im Gesamtprojekt der Neugründung der Metaphysik“ darstelle (1991, 228). Dieser ergebe sich daraus, dass die transzendentalphilosophische Ref lexion, weil sie „metaphysisch inkompetent ist, die Fortführung der Wesensaufschließung aller anderen Dinge außer meinem je anderen Leib nicht leisten“ könne (ebd., 227). Die von der Vernunft vorgenommene Überleitung vom eigenen Leib zu allen anderen Dingen mittels des Analogieschlusses erfülle eine bloße „Surrogatfunktion“ (ebd., 227).

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los ist es widerspruchsfrei möglich, einen Solipsismus abzustreiten, also die erste Frage bejahend zu beantworten, aber die zweite zu verneinen. Anders formuliert: Wer abstreitet, dass auch die Außenwelt Wille ist, muss sich deswegen keinesfalls zum Solipsismus bekennen. Daher hat, so der Einwand, Schopenhauer mit der Ablehnung des „theoretischen Egoismus“, also des Solipsismus, nicht gezeigt, dass die relevante Ähnlichkeit zwischen dem Leib und den übrigen Objekten der Außenwelt, welche die Anwendung des Analogieschlusses rechtfertigt, tatsächlich besteht. Dieses Problem wird in der entscheidenden Formulierung des § 19 sehr deutlich: Wollte man, so schreibt Schopenhauer, nicht behaupten, dass der Unterschied zwischen dem Leib als Vorstellung und anderen Vorstellungen einzig darin liegt, dass wir zu jenem in einer „doppelten Beziehung“ stehen, da er uns als Vorstellung und Wille gegeben ist, so müsste man annehmen, dass „dieses eine Objekt [sc. der Leib] wesentlich von allen andern verschieden ist, ganz allein unter allen zugleich Wille und Vorstellung ist, die übrigen hingegen bloße Vorstellung, d. h. bloße Phantome sind, sein Leib also das einzige wirkliche Individuum in der Welt […] [ist].“ (W I/1, 147). Dass die übrigen Objekte in diesem Fall nicht Wille und Vorstellung, sondern „bloße Vorstellung[en]“ wären, ist einleuchtend. Unklar bleibt aber, warum dies bedeuten sollte, dass sie deswegen als „bloße Phantome“ anzusehen seien und der Leib „das einzig wirkliche Individuum in der Welt“ wäre. Dass ein Objekt bloße Vorstellung ist, heißt ja für Schopenhauer, den empirischen Realisten, gerade nicht, dass es irreal wäre, „keine Wirklichkeit“ hätte. In § 5 hatte sich Schopenhauer ausdrücklich gegen das Missverständnis abgesichert, dass mit dem Satz „Die Welt ist Vorstellung“ die empirische Realität der Welt abgestritten sei, und betont, dass die angeschaute Welt als Vorstellung „vollkommen real“ (W I/1, 42), also eben „nicht Lüge, noch Schein“ (W I/1, 43), kein „bloßes Phantom“ sei. Es ist nicht zu sehen, warum im Kontext des § 19 von dieser Annahme abgewichen werden sollte. Auch hier gilt: Wenn die übrigen Objekte außer dem Leib „nichts anderes als Vorstellungen“ wären, wären sie dennoch empirisch real. Sie für bloße Vorstellungen zu erklären, hieße nicht, sie für Phantasmagorien halten zu müssen. Die Verknüpfung der beiden genannten Fragen – derjenigen nach der Realität der Außenwelt einerseits und derjenigen, ob auch die übrigen Objekte außer dem Leib Wille sind, andererseits – wird von Schopenhauer unter Rückbezug auf

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den § 5 auch in folgender Formulierung vorgenommen: „Ob aber die dem Individuo nur als Vorstellungen bekannten Objekte, dennoch, gleich seinem eigenen Leibe, Erscheinungen eines Willens sind; dies ist, wie bereits im vorigen Buche ausgesprochen, der eigentliche Sinn der Frage nach der Realität der Außenwelt.“ (W I/1, 148). Was ist damit gemeint? In § 5 schreibt Schopenhauer, dass der „innere Sinn“ der Frage, ob die Außenwelt real ist, die Frage sei, was die Außenwelt noch ist, außer, dass sie Vorstellung ist (W I/1, 47). Das heißt offenbar, dass die zweite Frage nach Schopenhauer die von Konfusionen bereinigte Weise ist, das zu fragen, was wir eigentlich wissen wollen, wenn wir die erste Frage stellen. Statt zu fragen, ob die Außenwelt real ist, und damit das Missverständnis zu provozieren, dass wir damit nach einem Dasein des Objekts außerhalb der Vorstellung des Subjekts fragen würden, sollten wir die Frage nach der Bedeutung der uns als Vorstellungswelt gegebenen Erscheinungen stellen. Dass der „Sinn“ der ersten Frage die zweite Frage ist, heißt also, dass wir, um Konfusionen zu vermeiden, die Frage, die wir stellen wollen, in der Form der zweiten Frage stellen sollten. Es heißt aber gerade nicht, dass der im Analogieargument unterstellte Zusammenhang der beiden Fragen bestünde, d. h. dass jemand, der abstreitet, dass die übrigen Objekte der Außenwelt (außer seinem Körper) Wille sind, damit auch abstreiten müsste, dass sie real sind. Die Verknüpfung der beiden genannten Fragen wird also nicht durch den Hinweis darauf gerechtfertigt, dass der „Sinn“ einer dieser beiden Fragen sich durch die andere wiedergeben lässt, weil damit nur gezeigt ist, wie wir die Frage, die wir stellen wollen, kohärenterweise formulieren sollten. An das Analogieargument schließt Schopenhauer ein dieses stützendes Zusatzargument an. Er fragt, welche andere Realität wir denn der Körperwelt zuschreiben sollten, außer dass sie Wille ist. Im eigenen Leib träfen wir, außer dass er Vorstellung ist, nichts an als den Willen, „damit ist selbst seine Realität erschöpft“ (W I/1, 149). Da sich eine anderweitige Realität nirgends finde, müssten wir auch die Körperwelt, außer dass sie Vorstellung sei, als Wille anerkennen. Damit wird unterstellt, dass die Frage, ob die „übrigen Vorstellungen“ außer dem Leib real seien, notwendig mit der Frage nach der qualitativen Beschaffenheit dieser Vorstellungen verbunden ist. Diese Annahme kann man durchaus bestreiten: Man kann einen empirischen Realismus vertreten, also sagen, dass die Objekte der Außenwelt real sind, ohne ihnen deswegen eine bestimmte qualitative Beschaffenheit beilegen zu müssen. Wenn die Objekte der Außenwelt real

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sind, so wie auch der Leib es ist, und wenn weiterhin gilt, dass der Leib Wille ist, heißt das nicht, dass auch die übrigen Vorstellungen Wille sein müssten, denn die Frage, welche Attribute ihnen zuzuordnen sind, könnte von der Frage nach ihrer Realität ganz unabhängig sein. Es wäre jedoch vorschnell, aus diesen Defiziten des Analogieschlusses zu folgern, dass die Willensmetaphysik sich überhaupt nicht rational begründen lasse. Zum einen ist Folgendes zu beachten: Im Kapitel „Über das metaphysische Bedürfniß des Menschen“ (W II/3, Kap. 17) benennt Schopenhauer Kriterien für die Überprüfung metaphysischer Hypothesen, die von dem Analogieschluss unabhängig sind, nämlich das Kohärenz- und das Integrationskriterium.11 Demnach bewährt sich die Wahrheit einer metaphysischen Hypothese – also auch der Annahme, dass die Welt Wille ist – dadurch, dass sie die Erscheinungen der Erfahrungswelt in einen kohärenten Zusammenhang zu bringen geeignet ist (Kohärenzkriterium) und möglichst viele Phänomene der Erfahrungswelt zu erklären vermag (Integrationskriterium). Die Plausibilität der Willensmetaphysik wäre entsprechend an diesen Kriterien zu messen, die, obwohl natürlich ihrerseits kritisierbar, vom Analogieargument unabhängig und nicht auf dieses angewiesen sind. Dies verweist darauf, dass Schopenhauer nicht beabsichtigte, die Kernthese seines Hauptwerks, dass die Welt Wille ist, vollständig vom Argumentationsgang der §§ 17–21 abhängig zu machen, und sich im klaren darüber war, hiermit keine zwingenden Argumente, sondern bestenfalls Plausibilitätsargumente zugunsten dieser willensmetaphysischen Hauptthese vorgelegt zu haben. Es wäre also verfehlt anzunehmen, dass die §§ 17–19 die gesamte Begründungslast für die Willensmetaphysik tragen sollen.12 Zudem lässt sich das Analogieargument in einer abgeschwächten Lesart als ein Plausibilitätsargument lesen, das den oben genannten Einwänden nicht mehr ausgesetzt ist. In dieser Lesart wird die Analogie zwischen dem Leib und den übrigen Vorstellungen von Schopenhauer als Hypothese angesetzt, unter der sich dann die Bestimmung des Dings an sich als Wille plausibel machen lässt. Wenn 11 Vgl. hierzu auch Birnbacher 1988, 11. 12 Nach Jacquette formuliert Schopenhauer auch in Kapitel 18 des zweiten Bandes des Hauptwerkes ein vom Analogieargument unabhängiges Argument für die These, dass die Welt Wille ist: Hier nämlich werde das Verhältnis von individuellem Willen und dem Willen als Ding an sich nicht als Analogieverhältnis, sondern im Sinne strenger numerischer Identität aufgefasst (Jacquette 2005, 82– 92).

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eine Analogie zwischen dem Leib und den übrigen Vorstellungen in der Weise besteht, dass beide nicht nur Vorstellung, sondern auch Wille sind, dann können wir die Erkenntnis unseres Leibes „weiterhin als einen Schlüssel zum Wesen jeder Erscheinung in der Natur gebrauchen“ (W I/1, 148) und alle anderen Objekte „nach Analogie jenes Leibes beurtheilen und daher annehmen“, dass sie ebenso wie dieser Wille sind (W I/1, 148f.). Das Wort „weiterhin“ in diesem Satz zeigt, dass die Analogieargumentation vorwiegend eine stützende Funktion hat, und das Wort „annehmen“ macht deutlich, dass die Analogiethese den Status einer Hypothese, nicht denjenigen einer apodiktisch gewissen Wahrheit, hat: Etwas, das angenommen wird, ist nicht bewiesen. Aber unter der Annahme einer solchen Analogie zwischen dem Leib und den übrigen Vorstellungen können wir – im Sinne des Kohärenz- und Integrationskriteriums – die Erfahrungswelt erklären und verständlich machen, warum sie so ist, wie sie ist. Umgekehrt kann unter der Annahme, dass die Welt Wille ist, die These der Analogie zwischen dem Leib und den übrigen Vorstellungen zwar nicht bewiesen, aber doch plausibilisiert werden. Wenn der (metaphysische) Wille als Ding an sich gesetzt wird, wenn also davon ausgegangen werden kann, dass die übrigen Erscheinungen Wille sind, dann ist damit auch die Annahme einer Analogie zwischen dem Leib und den übrigen Erscheinungen erhärtet. Liest man das Analogieargument in diesem Sinne, kann man – unter Anknüpfung an eine von Spierling entwickelte Interpretationsfigur – von einem wechselseitigen Sich-Abarbeiten und Sich-Annähern zweier Perspektiven sprechen.13 Einerseits wird, ausgehend von der Welt als Erscheinung und auf transzendentalphilosophischer Grundlage, die Welt als Wille bestimmt, andererseits und in Komplementarität zu dieser Perspektive wird unter Setzung der willensmetaphysischen Hauptthese davon ausgegangen, dass die Welt Wille ist, und aus dieser Perspektive die Erfahrungswelt erklärt. Einerseits wird, ausgehend von der Annahme, dass die übrigen Erscheinungen der Erfahrungswelt ebenso wie der Leib Wille sind, damit die Bestimmung des Dings an sich als Willen plausibilisiert, ohne dass sie aber apodiktisch bewiesen werden könnte, andererseits wird, unter Setzung des Willens als Ding an sich, die Erscheinungswelt erklärt und die These der Analogie zwischen dem Leib und den übrigen Vorstellungen erhärtet. 13 Zu dieser Interpretationsfigur der „Drehwende“ vgl. Spierling 1984, 37–55; Spierling 1998, 223– 240; zur Figur des „Standpunktwechsels“ bei Schopenhauer vgl. auch Koßler 2009.

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In dieser Lesart wird das Analogieargument erst im Kontext des gesamten Werkes verständlich, und es wäre verfehlt, es isoliert zu betrachten und seine nicht zu bestreitenden argumentativen Defizite vorschnell zum Anlass zu nehmen, Schopenhauers gesamtes System für unbegründet zu erklären und seine Metaphysik als bloßen Obskurantismus abzutun.

4.3 Der metaphysische Wille (§§ 20–22) War bisher nur vom empirischen Willen die Rede, kann Schopenhauer nunmehr vom Willen als Grundlage aller Erscheinungen sprechen und damit eben den Begriff des metaphysischen Willens einführen, auf den er in den vorhergehenden Paragraphen zwar verwiesen hatte, den er aber dort noch nicht voraussetzen konnte. In § 20 werden empirischer und metaphysischer Wille klar voneinander abgegrenzt: Während der empirische Wille durch Motive und Charakter kausal determiniert ist, ist der metaphysische Wille, da er sich nicht im Bereich der Erscheinungen befindet, „grundlos“ (W I/1, 150), d. h. ursachenlos. Zwischen der These der Totaldetermination des Willens im Bereich der Erscheinungen und derjenigen der Grundlosigkeit des metaphysischen Willens besteht, so betont Schopenhauer, kein Widerspruch. Um am oben geschilderten Projekt einer hermeneutischen Metaphysik, die sich als Erfahrungswissenschaft begreift, festhalten zu können, muss der metaphysische Wille dabei als ein nicht-transzendentes Prinzip begriffen werden: Da wir den Willen als „Urgrund des Seins“ nur identifizieren können, indem wir die Erfahrungswelt deuten und uns um ihr Verständnis bemühen, darf dieser, wenn die durch die Kantische Erkenntniskritik gesetzten Grenzen eingehalten werden sollen, nicht als jenseits der Erfahrungswelt stehend aufgefasst werden.14 Er zeigt sich nur, wie er sich in den Erscheinungen objektiviert. Als metaphysisches Prinzip wird er jedoch als einheitlich konzipiert, d. h. er steht außerhalb von Raum und Zeit und wird vom Individuationsprinzip, dem Prinzip der Vielheit, nicht berührt (W I/1, 157f.; vgl. auch

14 Vgl. hierzu als deutlichste Stellungnahme Schopenhauers berühmten Brief an Frauenstädt vom 21.8.1852 (GBr., 290–292).

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W I/1, § 25).15 Zudem ist er nicht-intentional, erkenntnis- und ziellos (W I/1, § 29). Das Verhältnis zwischen empirischem und metaphysischem Willen wird dabei so aufgefasst, dass letzterer die „Sichtbarwerdung“, die „Erscheinung“ oder „Objektität“ des metaphysischen Willens ist; im empirischen Willen zeigt sich der metaphysische Wille. Der Leib als individueller Wille ist daher teleologisch erklärbar: Seine Teile „entsprechen“ den Hauptbegehrungen, durch welche der Wille sich manifestiert, so wie z. B. Zähne, Schlund und Darmkanal als objektivierter Hunger gelten können (W I/1, 153). Zwischen empirischem und metaphysischem Willen besteht also eine Erklärungsrelation, die aber, da das Kausalgesetz ausschließlich innerhalb der Erscheinungen Anwendung findet, nicht kausaler Natur ist. Mit der Einführung des metaphysischen Willens als „des inneren Wesens jeder Erscheinung“ (W I/1, 152) wird der Willensbegriff nochmals erweitert. Dieser Erweiterungsschritt wird ausdrücklich im § 21 vollzogen, in dem der Wille nunmehr mit dem Kantischen Ding an sich identifiziert und nicht nur auf Belebtes, d. h. Menschen, Tierwelt und Pf lanzen, sondern auch auf die unbelebte und anorganische Natur bezogen wird, die ebenfalls als Objektität, als Sichtbarwerdung des metaphysischen Willens anzusprechen sei. Auch „die Kraft, welche in der Pf lanze treibt und vegetirt, ja, die Kraft, durch welche der Krystall anschießt, die, welche den Magnet zum Nordpol wendet, die, deren Schlag ihm aus der Berührung heterogener Metalle entgegenfährt, die, welche in den Wahlverwandtschaften der Stoffe als Fliehn und Suchen, Trennen und Vereinen erscheint, ja zuletzt sogar die Schwere, welche in aller Materie so gewaltig strebt“ (W I/1, 154), können so als Wille aufgefasst werden. War durch die These der Identität von Leib und empirischem Willen der Willensbegriff in der Weise ausgedehnt worden, dass er von der Bindung an Intentionalität im Bereich menschlichen Verhaltens gelöst wurde, so erhält er mit diesem zweiten Erweiterungsschritt eine weitere 15 Wie (und ob überhaupt) sich das in diesen beiden Sätzen angedeutete Spannungsverhältnis – der Wille steht einerseits nicht jenseits der Erfahrungswelt, andererseits aber als Ding an sich doch außerhalb von Raum und Zeit – auf lösen lässt, ist umstritten; vgl. zu diesem Problem z. B. Janaway 2002, 158–165. Atwell schlägt vor, das Problem über die Annahme aufzulösen, dass bei Schopenhauer zwei Bedeutungen von „Ding an sich“ vorliegen würden, nämlich „Ding an sich in der Erscheinung“ und „Ding an sich als Absolutes“. Nur letzteres wäre dann als außerhalb von Raum und Zeit stehend aufzufassen (Atwell 1995, 126f.).

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Bedeutungsdimension: „Wille“ bezeichnet nunmehr eine allgemeine Naturdynamik, die nicht nur unabhängig von Erkennen und Wollen, sondern von jeder Form des Bewusstseins ist.16 Der Willensbegriff wird, setzt man die uns alltagssprachlich vertraute Bedeutung als Grundbedeutung an, in diesem Erweiterungsschritt in einem übertragenen Sinne verwendet. Ausdrücklich betont Schopenhauer im § 22 die „verlangte Erweiterung des Begriffs Wille“ (W I/1, 156) und hebt hervor, dass der Ausdruck „Wille“ in dieser Ausdehnung auf Vorgänge auch der nicht belebten Natur als denominatio a potiori („bestmögliche Bezeichnung“) verwendet würde, d. h. dass, ausgehend von seiner Ursprungsbedeutung, der Willensbegriff auf dem Willen verwandte und ihm analoge Phänomene übertragen wird, die jedoch, genau genommen, nicht unter den Willensbegriff subsumiert werden können. Das heißt natürlich nicht, dass der Ausdruck „Wille“ zur Bezeichnung dieser Phänomene willkürlich gewählt würde. So wie in einer Metapher etwas uns sinnlich Vertrautes auf einen anderen Bereich übertragen wird, um diesen verständlich zu machen, so bezeichnet der Ausdruck „Wille“ etwas uns Vertrautes, das es ermöglicht, auch andere Erscheinungen zu verstehen. Wenn Naturvorgänge als Willensgeschehen gedeutet werden, so bedeutet das zum einen, dass diese Naturvorgänge so zu verstehen sind wie das uns am intimsten Vertraute, der eigene Wille, zum anderen aber auch, dass dieses uns intimst Vertraute selbst ein Teil des Naturgeschehens ist. Mit der Erweiterung des Willensbegriffes auf Naturvorgänge wird betont, dass menschliches Wollen und allgemeine Naturdynamik als analog zu denken sind und deutlich gemacht, dass dieses Wollen als eine nicht von Erkenntnis gesteuerte Dynamik aufzufassen ist.17 So wie uns der eigene Wille als das uns Vertrauteste die Natur als Willensgeschehen verstehen lässt, so lässt uns die Natur auch den eigenen Willen als Teil des Naturgeschehens verstehen.18

16 Vgl. hierzu Birnbacher 2009, 47–59. 17 Vgl. zu dieser „Naturalisierung des Willens“ z. B. Janaway 2002, 143–151. 18 Für die kritische Lektüre früherer Textfassungen danke ich Matthias Koßler und Wolfgang Weimer.

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Literatur Atwell, John 1995: Schopenhauer on the Character of the World. The Metaphysics of Will, Berkeley/Los Angeles/London. Beckermann, Ansgar 3 2008: Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes, Berlin/New York. Birnbacher, Dieter 1988: Induktion oder Expression? Zu Schopenhauers Metaphilosophie, in: Schopenhauer-Jahrbuch 69, 7–19. – 2009: Schopenhauer, Stuttgart. Hume, David 1992: Principal Writings on Religion including Dialogues Concerning Natural Religion and The Natural History of Religion, ed. by J. C. A. Gaskin, Oxford (erstmals 1779). Jacquette, Dale 2005: The Philosophy of Schopenhauer, Chesham. Janaway, Christopher 2002: Will and Nature, in: Janaway, Christopher (Hrsg.): The Cambridge Companion to Schopenhauer, Cambridge, 138–170. Koßler, Matthias 2009: „Standpunktwechsel“ – Zur Systematik und zur philosophiehistorischen Stellung der Philosophie Schopenhauers, in: Ciracì, Fabio/Fazio, Domenico M./Koßler, Matthias (Hrsg.): Schopenhauer und die Schopenhauer-Schule (Beiträge zur Philosophie Schopenhauers 7), Würzburg, 45–60. Libet, Benjamin 2007: Mind Time. The Temporal Factor in Consciousness, Harvard 2004; deutsch: Mind Time. Wie das Gehirn Bewusstsein produziert, Frankfurt a.M. Malter, Rudolf 1991: Arthur Schopenhauer. Transzendentalphilosophie und Metaphysik des Willens, Stuttgart-Bad Cannstatt. Ryle, Gilbert 1949: The Concept of Mind, London 1949; deutsch: Der Begriff des Geistes, Stuttgart 1969. Safranski, Rüdiger 1987: Schopenhauer und Die wilden Jahre der Philosophie. Eine Biographie, München. Schubbe, Daniel 2010: Philosophie des Zwischen. Hermeneutik und Aporetik bei Schopenhauer (Beiträge zur Philosophie Schopenhauers 9), Würzburg. Spierling, Volker (Hrsg.) 1984: Materialien zu Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung“, Frankfurt a.M. – 1998: Arthur Schopenhauer. Eine Einführung in Leben und Werk, Leipzig.

5 Dieter Birnbacher

Metaphysik des Willens (W I, §§ 23–29)

5.1 Die Einheitlichkeit des Weltwillens (§ 23, §§ 27–28) Die Metaphysik hat sich seit ihren Anfängen eine Reihe von Aufgaben gestellt, deren auffälligste Merkmale einerseits ihre Ambitioniertheit, andererseits ihre Heterogenität sind: Sie sollte die verschiedenartigen Bereiche der äußeren und inneren Erfahrung auf einen „gemeinsamen Nenner“ bringen und den „roten Faden“ finden, der das Ganze der Welt zusammenhält; sie sollte die Erfahrungswelt ihrer Herkunft nach aus letzten Prinzipien erklären; sie sollte Orientierung und Sinn stiften und damit dem Leben ein Ziel vorgeben; und sie sollte das endliche Leben des Menschen in einen ihn übergreifenden Zusammenhang einbetten, der ihm Wege zu über den Tod hinausreichenden Hoffnungen und Tröstungen eröffnet. Das Gemeinsame dieser Aufgaben ist, dass sie allesamt ein erhebliches Risiko des Scheiterns in sich tragen. Dieses Risiko war in der Geschichte der Metaphysik umso beträchtlicher, je mehr diese Aufgaben von einem einzigen Prinzip geleistet werden sollten – wenn von dem, was „die Welt im Innersten zusammenhält“, erwartet wurde, dass es zugleich auch als Schlüssel zur Lösung aller weiteren Aufgaben der Metaphysik fungiert. So sollten bei Platon – um eines der eingestandenen Vorbilder Schopenhauers zu nennen – die „Ideen“ nicht nur die Fähigkeit, in Begriffen zu denken, sondern zugleich auch die Entstehung der Erscheinungswelt aus dem Nichts und die Beschaffenheit von Gut und Böse sowie unsere ästhetischen Ideale erklären. Bei Spinoza – einem weiteren Vorbild

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– sollte die umfassende „Substanz“ nicht nur der Erklärung der Gesetzlichkeit des Weltlaufs und der Möglichkeit ihrer sukzessiven wissenschaftlichen Erforschung dienen, sondern zugleich auch den Weg zum richtigen Leben weisen. Für den Kantianer Schopenhauer ist eine Metaphysik mit diesem umfassenden Anspruch keine ernsthafte Möglichkeit mehr, zumindest nicht auf einer erfahrungsunabhängigen, apriorischen Grundlage. Für ihn sind die metaphysischen Systeme von Descartes, Spinoza oder Leibniz, die diesem Anspruch auf rationalistischer Basis zu genügen versuchten, mit der Kantischen Vernunftkritik obsolet geworden. Er konzipiert seine Metaphysik von vornherein so, dass sie nicht mehr diejenige Gesichertheit und Letztgültigkeit des Wissens beansprucht, mit der die neuzeitlichen Metaphysiker das Konto der Glaubwürdigkeit überzogen haben. Nicht nur ist die Metaphysik des Weltwillens, die er in seinem Hauptwerk ausbreitet, de facto eine andere und neue Art von Metaphysik als die, gegen die sich die Kritik Kants richtete, sie will auch von vornherein etwas anderes sein. Schopenhauers Begriff von Metaphysik unterscheidet sich von dem seiner Vorgänger grundlegend. Metaphysik soll keine spekulative Konstruktion mehr sein, sondern eine Deutung der Erfahrungswelt, die sich an dem bewährt, was jeder Mensch in seiner höchstpersönlichen Lebenswirklichkeit tagtäglich erfährt, zumindest erfahren kann. Sie soll eine im weitesten Sinne empirische Grundlage haben und die Grundzüge dessen abspiegeln, was dem Menschen in der Wirklichkeit – der äußeren und der inneren – konkret begegnet. Dennoch hält Schopenhauer an den methodischen Idealen der herkömmlichen Metaphysik in einem zentralen Punkt fest: ihrer Vorliebe für den Monismus, ihrem Ideal der Erklärung aus einem einzigen letzten Prinzip. Ebenso wenig wie für Platon, Spinoza oder Hegel kommt für Schopenhauer eine Pluralität von Prinzipien in Frage. Ein einziges Prinzip, der „Wille“, soll Zusammenhang in die Vielfalt und Heterogenität des „Ganzen der Erfahrung“ (W II/3, 213) bringen. Auch wenn dieses Prinzip, um seiner Aufgabe gerecht zu werden, zwangsläufig abstrakt sein muss, traut Schopenhauer ihm zu, jede einzelne der zur Erscheinungswelt gehörenden konkreten Phänomene mit einem „gleichmäßigen Licht“ zu überziehen (W II/3, 215). Schopenhauer ist sich im Klaren darüber, dass er die Bedeutung des Ausdrucks „Wille“ in höchst „eigen-williger“ Weise über seine angestammten Inhalte hinaus ausdehnen muss, wenn er diese Funktion erfolgreich übernehmen soll. In der Alltagssprache ist „Wille“ ein Ausdruck, der in der Regel für die konkrete Betäti-

M  W

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gung der Fähigkeit, etwas bewusst zu wollen, steht, also für Akte des Wünschens („N will Kaffee“), für das Treffen von Entscheidungen („N will verreisen“) und für das Ansetzen zu Handlungen („N will seinen Arm heben“). Gelegentlich bezeichnet der Ausdruck auch die die individuelle Willensbetätigung charakterisierenden Dispositionseigenschaften wie Fähigkeiten („N hat einen starken Willen“) oder Charaktermerkmale („N hat einen eigenen Willen“).1 Merkmale des Willens in diesem Sinn sind Individualität, Bewusstheit und, soweit es um Willensakte geht, punktuelle zeitliche Inzidenz. Schopenhauer erweitert diesen Begriff in insgesamt drei Schritten. In einem ersten Schritt dehnt er den Willensbegriff auf sämtliche bewussten psychischen Akte aus, die eine Willenskomponente besitzen oder in Willensakten resultieren können, also Emotionen, Gefühlszustände und Empfindungen, soweit sie eine hedonische Tönung, also einen Wert auf der Skala Lust-Unlust aufweisen.2 Bereits mit diesem Schritt verabschiedet er sich vom Alltagsbegriff des Wollens. In einem zweiten Schritt kommen die unbewussten Motive hinzu, die sich gerade nicht in einem bewussten Wollen, sondern in den leiblichen Regungen des Menschen äußern und ihm vielfach erst aus diesen erschließbar sind. Dazu gehören alle biologisch begründeten Triebregungen, die die zielgerichteten Verhaltensweisen des Menschen erklären können, sich aber nicht auf bewusste Willensentscheidungen zurückführen lassen. Dieser „Wille“ ist zwar weiterhin individuell, er ist dem Subjekt aber gewöhnlich nur in engen Grenzen durchsichtig und nur begrenzt steuerbar. Er muss nicht einmal mehr notwendig „vorbewusst“ sein, d. h. jederzeit ins Bewusstsein gehoben werden können. Er kann dem Individuum in bestimmten Fällen selbst über längere Zeit oder auch auf immer unzugänglich bleiben (vgl. W II/3, 244). Mit dem bewussten Willen hat der unbewusste Wille gemeinsam, dass er auf bestimmte Triebziele wie insbesondere Selbsterhaltung und Sexualität gerichtet ist. Er ist nichts spezifisch Menschliches, sondern etwas, was der Mensch mit der gesamten organischen Welt teilt. Er erklärt die instinktive Todesfurcht des Menschen ebenso wie die Todesfurcht „alles Lebenden“ (W II/3, 280). Der dritte Ausweitungsschritt schließlich ist der für Schopenhauer charakteristische, derjenige, der den Übergang von der Anthropologie zur Metaphysik markiert: die Verallgemeinerung des Willens zum Grundzug der gesamten Erscheinungs1 Zu den Komplexitäten des Willensbegriffs vgl. Waismann 1983. 2 Vgl. Birnbacher/Hallich 2008, 487ff.

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welt, verbunden mit einer weiteren semantischen Ausdünnung des Gehalts des Willensbegriffs. Dieser „Wille“ ist nicht mehr nur unbewusst und unkontrollierbar, sondern auch nicht mehr individuell und nicht mehr zeitlich bestimmt. Er ist nicht mehr der Wille von jemandem, sondern unpersönlich; er ist kein zeitlich lokalisiertes Ereignis mehr, sondern eine Art Grundmuster. Dennoch hat er weiterhin bestimmte wesentliche Merkmale mit dem Alltagsbegriff gemeinsam. Dieser Wille ist erstens ein gerichtetes Streben, gerichtet auf Selbsterhaltung und Selbstreproduktion. In der organischen Natur äußert er sich durchweg als Wille zum Leben und Überleben. So etwas wie einen Freudschen „Todestrieb“ gibt es bei Schopenhauer nicht. Er ist zweitens beharrlich und setzt jedem Versuch, ihn aus seiner Bahn zu lenken, Widerstand entgegen. In der Mechanik entspricht er dem Trägheitsprinzip, in der Anthropologie der Unerbittlichkeit, mit der sich biologische Zwänge gegen Willensanstrengungen zu ihrer Überwindung durchsetzen. Er ist drittens unersättlich und durch keine Erfüllung endgültig zu befriedigen. Auch befriedigt bleibt er „hungrig“ (W I/1, 206). In diesem Sinn lässt sich vielleicht auch eine weitere Eigenschaft verstehen, die Schopenhauer dem Weltwillen beilegt und die der ersten zunächst zu widersprechen scheint: die der Ziellosigkeit. Auch wenn der Wille gerichtet ist und diese Richtung sogar keinerlei Abweichung duldet, so ist doch jedes erreichte Ziel nur ein vorläufiges, es führt nicht zur Ruhigstellung, zum „Verweile doch, du bist so schön“. In der „Ziellosigkeit“ des Willens schwingt aber noch eine weitere, vierte Bedeutungskomponente mit. Sie steht in engstem Zusammenhang mit der Absurditätsdiagnose, die Schopenhauer der Erfahrungswirklichkeit stellt: der Tatsache, dass dieses unersättliche Streben aus menschlicher Sicht absurd, sinnlos und mit allen menschlichen Zwecken inkommensurabel erscheint. Der die gesamte Erscheinungswelt durchwaltende „Wille“ ist nicht nur nicht-rational, er ist auch in mehreren Hinsichten irrational. Zunächst ist er irrational, insoweit er kein irgendwie einsichtiges, für ein vernunftbegabtes Wesen wie den Menschen nachvollziehbares Ziel erkennen lässt. Die Folge dieser verstörenden „Abwesenheit alles Zieles“ (W I/1, 217) ist, dass sich der dem „Willen“ unterworfene Weltlauf jeder Form von Sinngebung entzieht. Wie ein pathologischer Narzisst kennt dieser Weltwille kein anderes und höheres Ziel als sich selbst: die „Erhaltung aller Gattungen“ (W II/3, 411) und damit die eigene Wiederholung ad infinitum. Der Weltwille ist – anders als der individuelle Wille – „blind“ (W I/1, 160), und diese Blindheit überträgt sich auf alle Formen des Willens, die der

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Weltwille in Gestalt von konzentrischen Kreisen in sich schließt: den Lebensdrang der Lebewesen, das Gefühlsleben der bewusstseinsbegabten Wesen und selbst noch das rationale Denken. Das beste Beispiel für diese Blindheit ist der „blind“ Verliebte, der, wie im Kapitel „Metaphysik der Geschlechtsliebe“ des zweiten Bandes gezeigt (W II/4, 621ff.), sich der Erfüllung seiner tiefsten Sehnsucht nahe wähnt, aber unbewusst lediglich bestimmte biologische vorgegebene Naturzwecke ausführt. Und auch da, wo der Mensch am „sehendsten“ ist, beim „überlegten Handeln“ (W I/1, 155) steht es unter dem Diktat des Selbsterhaltungsprinzips. „Irrational“ ist der Wille nicht zuletzt in moralischer Hinsicht. Bei aller Einheitlichkeit ist der Wille durch Selbstentzweiung charakterisiert, durch einen unaufhörlichen Kampf seiner Erscheinungsformen gegeneinander: Fressen und Gefressenwerden, Konkurrenz, Rivalität, Ausbeutung des Schwachen, verbunden mit all der Mitleidlosigkeit, Grausamkeit und den Exzessen entfesselter Gewalt, von denen die Natur- und Menschheitsgeschichte Zeugnis ablegt. Gelegentlich treibt Schopenhauer die „kämpferische“ Deutung der Konf likthaftigkeit der natürlichen und kulturellen Evolution sogar in eine an die Hegelsche Dialektik erinnernde positiv-konstruktive Richtung, indem er aus dem Widerstreit des Willens mit sich selbst stets jeweils höhere Erscheinungsformen hervorgehen sieht (vgl. W I/1,195). Welche traditionellen Aufgaben der Metaphysik will und kann die Willensmetaphysik übernehmen, wenn sie lediglich die Phänomene der Erscheinungswelt „deuten“ und nicht auf transzendente Prinzipien zurückführen will? – Ihr Ziel ist die Herstellung von Zusammenhang, Sinn und Bedeutung. Weder zielt sie auf die Erklärung der Phänomene durch „hinter“ ihnen verborgene Ursachen noch auf die Zurückführung der durch Deutung gewonnenen Bedeutungen auf die Bedeutungsintentionen eines verborgenen Subjekts. Zwar hat Schopenhauer viel dazu beigetragen, die Idee einer nicht-dogmatischen Erklärungsmetaphysik zu entwickeln, die nach dem Vorbild der theoretischen Wissenschaften Prinzipien generiert, die zur Erklärung einer Vielzahl untereinander heterogener Phänomene der Erscheinungswelt herangezogen werden können. Unter dem Namen „induktive Metaphysik“ ist diese Idee einer nach dem „Prinzip der besten Erklärung“ verfahrenden Welterklärung später von Oswald Külpe und anderen – bis in die Gegenwart hinein – weitergeführt worden.3 Aber 3 Vgl. Morgenstern 1987, Birnbacher 1988, 8ff.

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auch wenn Schopenhauers verstreute Äußerungen zu seiner philosophischen Methodik kein ganz eindeutiges Bild ergeben, entspricht diese Konzeption in vielen Hinsichten nicht seinem tatsächlichen Vorgehen. Dieses beruht ganz überwiegend nicht auf der Entwicklung von Hypothesen über möglicherweise „hinter“ den Erscheinungen verborgene Strukturen und Mechanismen, sondern auf einer „hermeneutischen“, auf Sinndeutung angelegten Phänomenologie der Erscheinungswelt. Zeichentheoretisch gesprochen steht der Weltwille zu seinen „Erscheinungen“ weder in einem indexikalischen noch in einem ikonischen Verhältnis: Er äußert sich in seinen „Objektivationen“ weder wie der Luftdruck im Barometerstand noch wie die Stimme des Anrufers im Telefonhörer. Die Beziehung zwischen ihm und seinen Manifestationen ist nicht von kausaler, sondern von semantisch-interpretatorischer Art. In Schopenhauers Bild von der Entzifferung der „Geheimschrift“ des Welt-Textes (W II/3, 213) gesprochen: Die von ihm praktizierte Ermittlung des Sinns dieses Textes kommt ohne jede Rückbeziehung dieses Sinns auf die Intentionen eines wie immer gearteten Subjekts aus. In den „Willens“-Phänomenen der Erfahrungswelt äußert sich weder der Wille eines personalen deus malignus (vgl. W II/3, 408f.) noch ein dem transzendenten Erfahrungssubjekt selbst innewohnender Dämon. Schopenhauers Willensmetaphysik erklärt die Erscheinungswelt weder (mit Berkeley) zum Produkt eines vom Erkenntnissubjekt verschiedenen noch (mit Fichte) eines mit dem Erkenntnissubjekt zusammenfallenden Willens (W I/1, 41). Beide Optionen wären nicht nur unvereinbar mit der „Blindheit“ des Willens, sie beinhalteten auch einen rein spekulativen Schluss auf etwas Unerkennbares (vgl. W I/1, 156). Die erste Option wäre dogmatisch-realistisch, die zweite dogmatisch-idealistisch – zwei Formen einer transzendenten Metaphysik, die Schopenhauer ausdrücklich ablehnt (W I/1, 41; vgl. Schopenhauer 1984, 400). Auch wenn Schopenhauer gelegentlich von dem Willen als dem „Ursprung“ oder der „Basis“ (W I/1, 163) der Natur spricht und damit eine Art Hervorbringungsrelation zwischen Wille und Welt nahelegt, stellt er doch an vielen anderen Stellen klar, dass das, was er „Objektivation“ des Willens nennt, nicht als Produktionsverhältnis verstanden werden soll, sondern als Ausdrucksrelation: Objektivation und das, was sich objektiviert, sind keine verschiedenen Substanzen, sondern Merkmale ein und derselben Sache.

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„Lesbar“ ist die Erscheinungswelt nicht auf ihren Ursprung in einem von ihr Verschiedenen hin, sondern auf ihren immanenten Bedeutungsgehalt.4 Entsprechend darf auch der wiederholte Verweis auf das Selbstbewusstsein als Schlüssel zur Deutung der Erscheinungswelt nicht so verstanden werden, als eröffnete sich der als hermeneutische Phänomenologie verstandenen Willensmetaphysik hiermit ein unmittelbarer Zugang zum Weltwillen (auch wenn Schopenhauers Formulierungen dies gelegentlich nahelegen, vgl. etwa W II/3, 209). Das Selbstbewusstsein ist ebenso Teil der Erscheinungswelt wie alle anderen der Erkenntnis zugänglichen inneren und äußeren Sachverhalte. Das Selbstbewusstsein ist für die Willensmetaphysik in der Tat von entscheidender Bedeutung. Aber diese besteht nicht darin, dass es der Erkenntnis einen Blick „hinter die Kulissen“ der Erscheinungswelt gestattet, sondern darin, dass die Selbsterfahrung des individuellen bewussten Willens das Modell für die Deutung per analogiam der gesamten übrigen Phänomene der inneren und äußeren Welt abgibt. Allerdings lässt sich Schopenhauer gerade an diesem Punkt des Öfteren zu einer an Fichte erinnernden transzendenten Auffassung des Ichs verführen, etwa wenn er meint, uns stehe ein „Weg von innen offen […], gleichsam ein unterirdischer Gang, eine geheime Verbindung, die uns, wie durch Verrath, mit Einem Male in die Festung versetzt, welche durch Angriff von außen zu nehmen unmöglich war“ (W II/3, 228). Aber dieser Weg ist nach dem, was er uns in der Preisschrift über die Willensfreiheit sagt, unergiebig. Der Blick nach innen zeigt, dass es dort „finster [ist], wie ein gut geschwärztes Fernrohr“ (E/6, 61), und diese Diagnose ist zweifellos phänomenologisch adäquater als das Raunen von einem verborgenen Königsweg ins Allerheiligste. Alles, was wir im Bewusstsein vorfinden, ist Teil der zeitlich geordneten Erfahrungswelt, das Subjekt dieses Bewusstseins ist auch im Selbstbewusstsein dem Bewusstsein nicht zugänglich. Die Erfolgsaussichten des Versuchs eines direkten Zugang sind – wie bereits Hume und Kant gesehen haben – null.5

4 Zur Metapher der „Lesbarkeit der Welt“ vgl. Blumenberg 1983. 5 Schopenhauer scheint an dieser Stelle selbst zu spüren, dass er in eine Sackgasse geraten ist: Der Text bricht ab, die Konsequenzen werden nicht weiterverfolgt. Vgl. zu dem aufgeworfenen exegetischen Problem ausführlicher Janaway 2002, 150ff.

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5.2 Erkenntnistheorie des Weltwillens (§ 24, § 27) Bedauerlicherweise finden wir bei Schopenhauer nur wenige systematische Erläuterungen zu der hermeneutisch-phänomenologischen Methode, derer er sich bei der Begründung der Willensmetaphysik bedient. Umso eindeutiger grenzt er diese Methode einerseits gegen die Methode der Kantischen Transzendentalphilosophie, andererseits gegen die Methode der Wissenschaften ab. Die wesentliche Differenz zur Transzendentalphilosophie6 wird klar benannt: Während es in der Transzendentalphilosophie um die Formen der Erfahrungswelt geht, geht es der Willensmetaphysik um den Inhalt der Erfahrung (vgl. W I/1, 166). Schopenhauers Abgrenzung ist nicht als Kritik gemeint. Er selbst übernimmt ja wesentliche Elemente der Transzendentalphilosophie, indem er Zeit, Raum und Kausalität als Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung anerkennt und mit Kant die Möglichkeit einer apriorischen Erkenntnis dieser Formen einräumt. Aber für ihn verfehlt die Transzendentalphilosophie wesentliche Anliegen der Philosophie. Indem sie formal bleibt, spart sie gerade das aus, was nicht nur den Philosophen, sondern jeden Menschen zum Philosophieren treibt: die Verwunderung über die Einrichtung der Welt und was sie für sein irdisches Dasein in concreto bedeutet. Ziel der Philosophie muss eine Wahrheit sein, die über die transzendentale Wahrheit ebenso hinausgeht wie über logische oder empirische Wahrheit. Schopenhauer nennt diese Wahrheit „philosophische Wahrheit“ (W I/1, 146). Sie soll sui generis sein und jenseits der vier in der Schrift zum Satz vom Grund aufgeführten Erkenntnisarten liegen, also weder logische oder metalogische noch empirische oder transzendentale Wahrheit sein (ebd.; vgl. G/5, 122ff.). Sie soll das Ergebnis einer eigenständigen Form von Intuition sein, die sich weder deduktiver noch kausaler Überlegungen bedient, sondern sich unmittelbar und anschaulich auf ihren Gegenstand richtet. Dem entspricht, dass Schopenhauer den Weltwillen als „unergründlich“ (W I/1, 171) bezeichnet. Dass der Weltwille für ihn gleichzeitig „grundlos“ ist (W I/1, 158, 167), drückt dasselbe Merkmal von der Objektseite her aus: „Grundlos“ ist der Weltwille einerseits, insofern er Gegenstand einer unmittelbaren und ohne Ableitung auskommenden Erkenntnis ist. „Grundlos“ ist er aber auch in dem Sinn, dass die Eigenschaften, die ihn in der Erfahrung manifestieren, 6 Ich widerspreche hier Malter, der die Willensmetaphysik insgesamt als eine Form der Transzendentalphilosophie auffasst (vgl. Malter 1991, 53, 257 und passim).

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in keinerlei kausalen Beziehungen zu den von der Wissenschaft beschriebenen Phänomenen stehen. Denn mit dem Merkmal der Unmittelbarkeit grenzt sich die hermeneutische Methode nicht nur gegen die transzendentale, sondern auch gegen die kausal erklärende Methode der Wissenschaften ab. Zwar ist für Schopenhauer eine solide Kenntnis in den Wissenschaften Vorbedingung einer sinnvollen philosophischen Wahrheitsfindung (W II/3, 209). Aber die Wahrheiten der Wissenschaften kommen schon deshalb nicht als die gesuchte „philosophische Wahrheit“ in Frage, weil die Wissenschaft nicht zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem unterscheidet und die Bedeutung ihrer Erkenntnisse stets nur nach theoretischen Kriterien (etwa Kohärenz, Erklärungskraft oder Fundamentalität innerhalb eines Theoriegebäudes) bemisst, nicht aber danach, wie weit sie für das menschliche Verlangen nach Sinn – das „metaphysische Bedürfnis des Menschen“ (W II/3, 186ff.) – ausschlaggebend sind. Zentrale Aufgabe der Metaphysik ist nicht die Welterklärung, sondern die Deutung der Phänomene so, dass sich aus ihnen ein Sinn – oder auch die Abwesenheit von Sinn – ablesen lässt. Kohärenz, die Tatsache, dass „das gefundene Wort eines Rätsels … sich als das rechte dadurch [erweist], daß alle Aussagen desselben zu ihm passen“ (W II/3, 216), ist dafür nur eine notwendige und keine hinreichende Bedingung. Kohärenz gilt als Kriterium auch für die theoretischen Wissenschaften. Entscheidend ist, dass die auf die „philosophische Wahrheit“ zielende Intuition dasjenige in den Erscheinungen erfasst, was „mächtig“, „bedeutend“ und „deutlich“ ist (W I/1, 172), d. h. was den Menschen beeindruckt, ihn interessiert, ihn nicht nur kognitiv, sondern auch affektiv anspricht. Das Sinnbedürfnis des Menschen ist schließlich kein rein kognitives, sondern u. a. auch ein affektives Bedürfnis. Die auf den Weltwillen führende Erkenntnis ist entsprechend eine wertende und hochgradig selektive Erkenntnis, die – in dieser Hinsicht vergleichbar der ästhetischen Erkenntnis – aus einem Wechselspiel von unmittelbarer Anschauung und subjektiver Sensibilisierung, hier: dem Sinnbedürfnis des Menschen resultiert. Wenn Schopenhauer wiederholt vom „inneren Wesen“ der Erscheinungswelt spricht, das die Willensmetaphysik zu ergründen sucht, dann schwingt in dem Ausdruck „Wesen“ auch mit, dass dieses Wesen „wesentlich“ im Sinne von „allerhöchster Wichtigkeit“ ist. Dieses „Wesen“ ist für den Menschen wesentlich, weil es ihn angeht. Wie verhalten sich dazu die von Schopenhauer in § 27 aufgezeigten „Grenzen der Wissenschaft“? Schopenhauers Aufweis der Grenzen, die der Wissen-

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schaft von ihrem Begriff her gesetzt sind, ist zweifellos auch aus heutiger Sicht zu großen Teilen zuzustimmen: 1. Die Wissenschaften leisten keine Letzterklärung. Jede Erklärung greift auf Voraussetzungen zurück, die sie ihrerseits nicht erklären kann. Versteht man unter dem „inneren Wesen eines Steines“ (W I/1, 121) die Gravitation, so kann man zwar erklären, warum der Stein dem Erdmittelpunkt zustrebt, aber die Gravitationskraft bleibt dabei ihrerseits eine „qualitas occulta“ (ebd.). 2. Da sich die Wissenschaft universaler Naturgesetze bedient, ist sie nur bedingt in der Lage, komplex bedingte singuläre Ereignisse in ihrer Konkretion zu erklären. Das Einzelne bleibt für sie „regellos“ (W I/1, 164). Die Geschichtswissenschaft ist insofern „genau genommen, zwar ein Wissen, aber keine Wissenschaft“ (W I/1, 101). 3. Die Wissenschaft bietet keine Erklärung dafür, dass die transzendentalen Bedingungen der Erfahrungswelt erfüllt sind, also dafür, dass die Welt überhaupt existiert, dass sie in drei Raum- und einer Zeitdimension ausgedehnt ist und dass sie kausal geordnet ist. An dieser Stelle liegt allerdings die Frage nahe: So treffend diese Grenzziehungen sind, es bleibt unklar, wodurch sich Schopenhauer zu der implizit gemachten Annahme berechtigt sieht, dass die Willensmetaphysik geeignet sein könnte, die von der Wissenschaft gelassenen Lücken zu schließen. Solange die Willensmetaphysik rein immanent verfährt und die Phänomene der Welt lediglich deutet, und zwar in Hinsicht auf das menschliche Sinnbedürfnis, fällt es schwer zu sehen, wie es ihr gelingen können soll, die transzendenten Fragen der herkömmlichen Metaphysik einer Antwort näherzubringen.

5.3 Ontologie des Weltwillens: „Ding“, Stoff oder Qualität? (§ 25) Dass Schopenhauer den innovativen Charakter seiner philosophischen Methode über weite Strecken im Sinne einer Erklärungsmetaphysik missversteht, hat seine Ursache u. a. auch darin, dass er seine Loyalität Kant gegenüber so weit treibt, dass er für den Weltwillen den Kantischen Terminus „Ding an sich“ verwendet und damit eine hochgradig irreführende Kategorie in seine Philosophie einführt. Man hat den Eindruck, dass Schopenhauer im Laufe seiner Argumentation zunehmend vergisst, dass er sich mit dem „Ding an sich“ ursprünglich nicht mehr als eine semantisch ausgedünnte „stehende Formel“ (W I/1, 155) zu eigen

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machen wollte. Das Irreführungspotenzial dieses Ausdrucks besteht darin, dass er mindestens drei Sachverhalte konnotiert, die nach Schopenhauers Selbstverständnis für den Weltwillen gerade nicht gelten sollen: 1. dass es sich um ein unbekanntes x handelt, über das sich nichts sagen lässt (wohingegen sich über den Weltwillen vieles sagen lässt), 2. dass ihm eine An-Sich-Seite jenseits seiner Erscheinungsweisen zukommt (eine nach Schopenhauers Erkenntnistheorie durch nichts begründete spekulative Annahme), und 3. dass es in einer kausalen Produktivitätsbeziehung zur Erscheinungswelt steht (die Schopenhauer in seiner Kritik an Fichte durchweg als dogmatisch zurückweist). Darüber hinaus legt die Redeweise von einem „Ding an sich“ ein substanzialistisches Verständnis des metaphysischen Willens nahe, die bereits kategorial mit Schopenhauers Charakterisierung des Willens als „freischwebendem“ Kraftvektor unvereinbar ist. Auffällig ist ja, dass Schopenhauer an keiner Stelle von einem Subjekt oder Träger spricht, dem die Attribute des Willens – Streben, Drang, Energiegeladenheit, Beharrlichkeit – zukommen. Nach Schopenhauers immanentistischem Selbstverständnis kann es sich bei diesen Attributen nur um Merkmale der Erscheinungswelt selbst handeln, nicht um solche einer etwaigen hinter der Erscheinungswelt stehenden Substanz. Dass Schopenhauer trotz der Klarstellung, dass er dem Ausdruck „Wille“ eine „größere Ausdehnung (gibt), als er bisher hatte“ (W I/1, 155), dennoch in die selbstgestellte Falle tappt und meint, dass „nach ihrer Aufhebung [sc. der Aufhebung der Objektivation des Dings an sich in der Erscheinung] das Ding an sich übrig bleiben“ würde (W II/3, 286), zeigt eine schwer zu leugnende Schwäche seines Denkens, aber auch, wie wenig er der Versuchung standhält, sich in die Reihe der transzendenten Metaphysiker der Tradition einzureihen und sich deren „überschwängliche“ Erklärungsansprüche anzumaßen. So wenig wie als Substanz kann der Weltwille als ein Teil der Erscheinungswelt oder als der Stoff aufgefasst werden, aus dem die Erscheinungswelt besteht. Die erste Interpretation mag naheliegen, wenn Schopenhauer von dem Willen als dem „Kern“ oder dem „Innersten“ der Welt (W I/1, 155), spricht. Aber sie widerspricht zu eindeutig seiner Auffassung, dass der Wille nicht nur das „Ganze […] aller Erfahrung“ (W II/3, 214), sondern auch jede einzelne ihrer Facetten kennzeichnen soll (W II/3, 212), um ernstlich in Frage zu kommen. Die zweite, von Atwell vorgeschlagene Deutung fasst „Wille“ analog zu „Wasser“ oder „Materie“ als Massenterminus auf: Die Objektivationen des Willens bestehen danach

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aus Wille, wie Seen aus Wasser und Steine aus Quarz bestehen.7 Aber dieser Vorschlag erscheint ebenso unannehmbar: Ein Stein besteht für Schopenhauer nicht „aus Willen“, sondern an ihm zeigen sich Eigenschaften, die sich als „willenhaft“ oder „willenanalog“ deuten lassen, z. B. der Druck, den er auf die Unterlage ausübt, seine Tendenz, sich zum Erdmittelpunkt hin zu bewegen usw. Offensichtlich ist „Wille“ seinem kategorialen Status nach weder eine Substanz noch ein Stoff, sondern eine Qualität – die Qualität, wie man sagen könnte, der Willenhaftigkeit. Nur dass diese Qualität keine empirische Qualität ist, sei es eine physische wie Schwere oder eine psychische wie Begehren, sondern Produkt einer Deutung, an der – ähnlich wie bei der Erkenntnis des Schönen in der Ästhetik – neben der empirischen und intersubjektiv konstanten Beschaffenheit der Erscheinungen stets auch eine subjektive Komponente, eine bestimmte persönliche Perspektive beteiligt ist. Es ist kein Zufall, dass Schopenhauers Beschreibungen der Welt typischerweise das enthalten, was man „Anmutungsqualitäten“ nennen kann: die Art und Weise, wie bestimmte Züge der Erfahrungswelt auf uns wirken (vgl. etwa das „Ueberraschende“ und „Schaudererregende“ der Unfehlbarkeit der Naturgesetze, W I/1, 181). Versteht man den „Willen“ als Qualität, lösen sich zugleich eine Reihe von Fragen auf, die Schopenhauers Charakterisierung des Willens andernfalls aufwerfen würde, z. B. dass der „Wille“ „außer Zeit und Raum“ angesiedelt, also „ewig“ im Sinne von Zeitlosigkeit sein soll (vgl. W I/1, 158). Als Qualität der Willenhaftigkeit ist der „Wille“ ein Universale und insofern trivialiter vom Individuationsprinzip, dem Prinzip der Vielheit, ausgenommen. Anders als Dinge oder Ereignisse existieren Universalien wie Qualitäten über Raum und Zeit verteilt. Sie sind an keinen besonderen Ort und keine besondere Zeit gebunden.

5.4 Die „platonischen Ideen“ (§§ 25–26) Dieselbe Unabhängigkeit von Raum und Zeit gilt für die „platonischen Ideen“, einem vielkritisierten Kuriosum der Philosophie Schopenhauers. Dabei ist allerdings wiederum zu beachten, dass Schopenhauer diesen Begriff für die Zwecke seiner Philosophie nicht weniger produktiv umdeutet als Kants „Ding an sich“. 7 Vgl. Atwell 1995, 177.

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Auch die platonischen Ideen dürfen im Rahmen von Schopenhauers phänomenologischer Metaphysik weder als erfahrungstranszendente noch als selbstständig existierende Entitäten aufgefasst werden. Vielmehr sind sie ebenso wie der „Wille“ qualitative Bestimmungen an den Phänomenen der Erscheinungswelt, die sich erkenntnistheoretisch als Resultate einer deutenden – in diesem Fall typisierenden und idealisierenden – Intuition verstehen lassen. Wie bereits bei Platon selbst8 übernimmt die „platonische Idee“ bei Schopenhauer eine ganze Reihe von unterschiedlichen systematischen Funktionen, von denen alles andere als klar ist, wie weit sie miteinander vereinbar sind. Die wichtigste ist zweifellos die, die sie im Rahmen von Schopenhauers Ästhetik im dritten Buch des Hauptwerks spielt. „Platonische Ideen“ nennt Schopenhauer zunächst die Typen oder Arten von Existierendem, die die Qualität der Willenhaftigkeit aufweisen, und zwar hierarchisch geordnet nach dem Ausmaß, in dem diese Qualität bei ihnen in Erscheinung tritt. So nachvollziehbar diese Zuordnung für sich genommen ist, so verwirrend ist die Art und Weise, wie sie Schopenhauer konkret handhabt. Verwirrend ist erstens die aus dem Text hervorgehende Unentschiedenheit zwischen einer Kontinuumsauffassung des Ausprägungsgrads des Willens in den Weltdingen und einer Unterteilung in diskrete „Stufen“. Die erste Auffassung („unendliche Abstufungen“; W I/1, 176) entspricht den Phänomenen zweifellos besser als die zweite: Die Natur macht „keine Sprünge“, sondern weist vielfältige Übergangsformen zwischen Materie und Organismus (etwa bei den Viren) und zwischen Pf lanzen und Tieren (etwa bei der chlorophyllhaltigen Volvox) auf. Die letztere entspricht besser der platonischen Vorstellung von klar gegeneinander abgegrenzten „Ideen“, die jeweils Idealtypen der jeweiligen Ausprägungsstufen darstellen, also möglichst „reine“ und vollständige Varianten („Musterbilder“, W I/1, 177) unter Vernachlässigung von Übergangs- und Nebenformen. Verwirrend ist aber vor allem, dass Schopenhauer keinerlei Anstrengungen unternimmt, die Korrelation der von ihm vorgenommenen Stufung des Ausprägungsgrads der Willensähnlichkeit mit der „Entwicklungshöhe“ der jeweiligen Bereiche der Erscheinungswelt im Einzelnen zu demonstrieren. Zwar motiviert er die Abstufung dieser Bereiche – die weitgehend der traditionellen Aufteilung der Weltdinge in materielle, 8 Vgl. Cherniss 1936.

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pf lanzliche, tierische und menschliche entspricht – mit den für diese Stufen jeweils charakteristischen typischen Merkmalen. Aber es bleibt unklar, wieso das Moment der „Willenhaftigkeit“ in den jeweils höheren stärker ausgeprägt oder „sichtbarer“ (W I/1, 176) sein soll als in den niederen. Die Abstufungen, mit denen er die scala naturae korreliert, scheinen eher das genaue Gegenteil nahezulegen, nämlich dass das Willen- und Triebhafte mit der Entwicklungshöhe der Wesen stets indirekter, vermittelter, differenzierter und kulturell überformter zutage tritt. Was Schopenhauer aufzeigt, ist einerseits die mit der Entwicklungshöhe zunehmende Individualität der Wesen, andererseits die zunehmende Bewusstheit und Reflektiertheit, durch die hindurch sich der Wille äußert. Schopenhauer beobachtet richtig, dass der Grad der Individuierung mit der Entwicklungshöhe kontinuierlich zunimmt. In modernen Kategorien gesprochen: Wasserstoffatome haben nicht die individuelle Geformtheit von Steinen und Bäumen. Tiere haben teilweise bereits einen hochgradig individuellen Charakter. Ihr „Streben“ äußert sich – besonders bei seit langem mit dem Menschen zusammenlebenden domestizierten Tieren – nicht selten in höchst eigenwilligen Bedürfnissen und Vorlieben. Beim Menschen endlich stellt sich der individuelle Charakter als so komplex und einmalig dar, dass er sich einer vollständigen Typisierung entzieht (er ist „unerklärlich“, W I/1, 187) und die aus ihm resultierenden Präferenzen und Verhaltensweisen nur in engen Grenzen erklär- und vorhersagbar sind. Man kann Schopenhauer zugestehen, dass es sich hierbei in der Tat um eine wichtige kosmische Tendenz handelt. Anders als es die platonisch-dualistische Tradition sieht, ist auch der Mensch ganz und gar „von dieser Welt“. Auch der Mensch an der Spitze der Hierarchie unterliegt als Materie denselben Gesetzen der Schwerkraft wie der Stein, als Lebewesen denselben Mechanismen der Nahrungssuche und der sexuellen Anziehung wie die Tiere und als bewusstseinsfähiges Wesen weitgehend denselben psychologischen Gesetzen wie die übrigen Säugetiere. Der „Wille“ ist ein und derselbe in allen Naturwesen, und zwischen allen Naturwesen bestehen Verwandtschaften und Familienähnlichkeiten (W I/1, 193). Aber gleichzeitig erklärt gerade die von Schopenhauer aufgewiesene zunehmende Individuierung, warum dieser Zusammenhang im Alltagsdenken und -leben eine vergleichsweise geringe Rolle spielt. In der Menschenwelt und insbesondere in der Geschichte haben wir es primär mit Individuen und ihren

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hochgradig differenzierten Strebungen zu tun, weniger mit deren naturaler, allgemeinkreatürlicher Basis. Auch die andere Dimension, in der sich die Erscheinungsformen des Willens in der Stufenfolge der Willensobjektivationen verändern, die zunehmende Ref lektiertheit des Willens, kann Schopenhauers These, dass sich auf den „höheren“ Stufen der Wille in höherem und deutlicherem Maße zeigt, schwerlich stützen. Zwar manifestiert sich auch im bewussten und selbst noch in dem seiner selbst bewussten Willen des Menschen derselbe kreatürliche Wille wie in der Gesamtheit der Natur. Hunger und Liebe haben auch auf der bisher höchsten Stufe der Evolution ihre Vorherrschaft über Gedanken und Strebungen nicht eingebüßt. Auch der „Freigelassene der Schöpfung“ ist weiterhin der Gefangene seiner Verfallenheit an die Natur. Aber gleichzeitig treten beim Menschen die Instinkte infolge der Fähigkeit zur autonomen Willenssteuerung, zum zeitlichen Aufschub der Triebbefriedigung und zur Triebunterdrückung und -sublimierung immer stärker zurück (W I/1, 203), werden kognitiv umgeleitet und überformt, und drängen sich Überzeugungen – wahre wie falsche – zwischen Bedürfnis und Befriedigung. Die Sicherheit und „Untrüglichkeit“ der Willensäußerungen der Tiere (bis auf die der menschenähnlichsten) geht verloren, Täuschung und Selbsttäuschung werden möglich und schaffen damit die für den Menschen charakteristischen und unentrinnbaren Unsicherheiten seiner Ziele und seines Lebenssinns – die eigentlichen Quellen des „metaphysischen Bedürfnisses“ und der Philosophie. Damit ist allerdings nur eine der Aufgaben bezeichnet, mit denen Schopenhauer die „platonischen Ideen“ im Rahmen seiner Philosophie betraut. Die andere ist unvergleichlich wichtiger, vor allem dadurch, dass sie Aufschluss über die Konstitutionsbedingungen des Weltwillens und damit indirekt über den Theoriestatus der Willensmetaphysik insgesamt gibt. Die Rolle der „platonischen Ideen“ als ontologisches Gliederungsprinzip ist nur eine Nebenrolle. Ihre Hauptrolle ist die, als Gegenstand einer der Alltagssicht diametral entgegengesetzten Sichtweise der Welt zu dienen, in der die von der Erscheinungswelt dargebotenen Formen als solche und abgelöst von ihren kausalen und lebensweltlich-zweckbestimmten Zusammenhängen in den Blick kommen. Erst diese Rolle macht verständlich, warum Schopenhauer – auf den ersten Blick überraschend – überhaupt auf die platonischen Ideen zurückgreift: Die Ideen, wie sie Platon beschreibt, sind etwas Statisches,

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Feststehendes, der Prozesshaftigkeit der Welt Entzogenes. Sie stehen über der Wechselhaftigkeit der Erscheinungen. Bei Schopenhauer sind sie der Ruhepol jenseits des vom „Willen“ unaufhörlich gejagten Weltprozesses. Entsprechend charakterisiert er die auf die Ideen statt auf die Prozessdynamik der Welt gerichtete kontemplative Sicht der Dinge durch Merkmale, die zu denen der „gewöhnlichen Betrachtungsart der Dinge“ (W I/1, 231) in einem polaren Gegensatzverhältnis stehen. Die Alltagssicht der Dinge ist zweckbestimmt, interessengeleitet und insofern mehr an den Ursachen und Folgen der Erscheinungen orientiert als an diesen selbst. Die Ängste, Sorgen und Nöte, die das Leben des Durchschnittsmenschen die meiste Zeit über beherrschen, erzwingen einen durch und durch funktionalen Blick auf die Dinge der Welt – funktional in Bezug auf die eigenen Bedürfnisse. Das Interesse gilt primär den Relationen, in denen die Dinge zueinander stehen, letztlich der „Relation zum eigenen Willen“ (W I/1, 231). Nur die von allen Zweckbezügen entlastete Sichtweise des Künstlers und des Philosophen fasst das Einzelne für sich ins Auge, verweilt bei ihm, „verliert“ sich in ihm (W I/1, 232) und befreit sich dadurch aus der Unstetheit und Getriebenheit des Willens. Diese Sichtweise löst sich von den zeitlichen Bezügen der Dinge zueinander, auch wenn sie selbst weiterhin an die transzendentalen Anschauungsformen gebunden und zeitlich bestimmt bleibt.9 Die vielleicht sprechendste Metapher, die Schopenhauer für den Gegensatz zwischen dem zweckbestimmten Alltags- und dem zweckfreien ästhetischem Blick auf die Welt gefunden hat, ist: „Im Kopfe des von seinen Zwecken erfüllten Menschen sieht die Welt aus, wie eine schöne Gegend auf einem Schlachtfeldplan aussieht“ (W II/4, 451). Gleichzeitig nimmt Schopenhauer mit seiner Theorie der auf Strukturen statt auf Prozesse, auf die Dinge selbst statt auf ihre Relationen zueinander gerichteten Kontemplation eine tiefgreifende Relativierung des Status der Willensmetaphysik vor. Nunmehr scheint es, als sei die „Willenhaftigkeit“ der Erscheinungswelt keine unabhängige und der Wahrnehmung schlechthin vorgegebene Größe mehr, sondern abhängig von einer bestimmten Perspektive, einer Perspektive, die keineswegs zwangsläufig ist, sondern abhängig von der „Willensbestimmtheit“ des jeweiligen Betrachters. Das hat gravierende Konsequenzen für die Art von Phänomenologie, die Schopenhauers Willens9 Vgl. Malter 1991, 205.

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metaphysik liefert: Sie beschreibt nicht die Phänomene „an sich“, sondern so, wie sie sich aus der Perspektive eines von starken bewussten und unbewussten Willensregungen beherrschten Betrachters darbieten. Da die Herrschaft des Willens im Prinzip – nämlich in der kontemplativ-platonischen Haltung zur Welt – abzuschütteln ist wie ein Alb, ist diese Perspektive alles andere als universal. Sie mag Schicksal sein, aber wenn sie es ist, ist es eines, dem man entrinnen kann.

5.5 Schlussbemerkungen: Willensmetaphysik als Projektionstheorie? Was, so muss man fragen, ist dann aber der Weltwillen anders als eine Projektion im Freudschen Sinne, eine dem Betrachter unbewusste Spiegelung seines eigenen Unbewussten? In der Tat scheint eine derartige „Projektionstheorie“ ein geeigneter Ansatzpunkt für eine in sich stimmige und insbesondere ihrem tiefenpsychologischen Gehalt gerecht werdende Interpretation der Willensmetaphysik: Nicht die Erscheinungswelt als ganze ist eine Projektion – eine solche Deutung wäre unvereinbar mit Schopenhauers ausdrücklicher Ablehnung des Fichteschen Idealismus, nach dem das transzendente Ich eine Welt als Vergegenständlichung seiner selbst erschafft. Als Projektion zu verstehen wären vielmehr genau diejenigen Züge der Welt, in denen sich für Schopenhauer die „Willenhaftigkeit“ der Erscheinungen manifestiert, das Trieb- und Dranghafte in den Dingen, eben das, was in der kontemplativen Perspektive auf die Welt ausgeblendet ist. Das Subjekt dieser Projektion wäre nicht ein uns erkenntnismäßig unzugängliches transzendentes Ich, sondern das empirische Ich, dessen unbewusste Regungen uns lediglich aus ihren leiblichen Äußerungsformen erschließbar sind. Versteht man die Willensmetaphysik in dieser Weise als eine implizite Projektionstheorie, erweist sie sich nicht nur – bei einer über Schopenhauer hinausweisenden Betrachtung – als Vorläufer von Nietzsches Perspektivismus und von Wittgensteins mysteriösem Satz 6.43 aus dem Tractatus: „Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die des Unglücklichen.“10 Sie erklärt auch 10 Wittgenstein 1984, 83.

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die Annäherung der Alltagserkenntnis an den Traum, auf die Schopenhauer wiederholt zu sprechen kommt und die viel dazu tut, seine Philosophie in dasjenige romantische Halbdunkel zu hüllen, das die Künstler des ausgehenden 19. Jahrhunderts magisch angezogen hat. Was wir im Traum wahrnehmen, ist eine verzerrte und intransparente, aber für den Kundigen deutbare Projektion unseres Unbewussten, das sich in den von unserem Wachbewusstsein gelassenen zeitlichen Lücken frei und ungehindert ausbreitet. Ähnlich spiegeln uns die „willenhaften“ Züge unseres Alltagsbewusstseins unsere eigene innere Unruhe wider. Zumindest was die „willenhaften“ Züge unserer Wahrnehmungswelt betrifft, sind wir in derselben Weise die heimlichen Autoren unserer Welt, wie wir die „heimlichen Theaterdirektoren“ unserer Träume sind (P I/7, 240). Um es mit Schopenhauer zu sagen: „Das Leben und die Träume sind Blätter eines und des nämlichen Buches“ (W I/1, 46). Literatur Atwell, John E. 1995: Schopenhauer on the character of the world. The Metaphysics of Will, Berkeley/Los Angeles/London. Birnbacher, Dieter 1988: Induktion oder Expression? Zu Schopenhauers Metaphilosophie, in: Schopenhauer-Jahrbuch 69, 7–19. –/Hallich, Oliver 2008: Schopenhauer: Emotionen als Willensphänomene, in: Landweer, Hilge/ Renz, Ursula (Hrsg.): Klassische Emotionstheorien. Von Platon bis Wittgenstein, Berlin/New York, 479–500. Blumenberg, Hans 1983: Die Lesbarkeit der Welt, Frankfurt a.M. Cherniss, Harold 1936: The philosophical economy of the theory of ideas, in: American Journal of Philology 57, 445–456. Janaway, Christopher 2002: Will and Nature, in: Janaway, Christopher (Hrsg.): The Cambridge Companion to Schopenhauer, Cambridge, 138–170. Malter, Rudolf 1991: Arthur Schopenhauer. Transzendentalphilosophie und Metaphysik des Willens, Stuttgart-Bad Cannstatt. Morgenstern, Martin 1987: Schopenhauers Begriff der Metaphysik und seine Bedeutung für die Philosophie des 19. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 41, 592–612. Schopenhauer, Arthur 1984: Vom Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt: demnach über Idealismus, Realismus, Materialismus (Vorlesung 1820), in: Spierling, Volker (Hrsg.): Materialien zu Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung“, Frankfurt a.M., 394–414. Waismann, Friedrich 1983: Wille und Motiv, in: F. Waismann: Wille und Motiv, Stuttgart, 5–154. Wittgenstein, Ludwig 1984: Tractatus logico-philosophicus, in: L. Wittgenstein: Tractatus logicophilosophicus. Tagebücher 1914–1916. Philosophische Untersuchungen. Werkausgabe Band 1, Frankfurt a.M., 7–85.

6 Alfred Schmidt

Arthur Schopenhauer und der Materialismus1

6.1 In Schopenhauers Scheidelinie zwischen den Sphären des Idealen und des Realen ref lektiert sich die eigentümlich verwickelte Problemlage seines Philosophierens. Mit Kant hält er an der Distinktion von Erscheinung und Ding an sich fest. Sofern er jedoch, im Einklang mit den (sonst von ihm souverän mißachteten) Vertretern nachkantisch-spekulativen Denkens, das Ding an sich für erkennbar erklärt, überschreitet auch er die kritizistische Grenze von Erkenntnis. Dies freilich nicht im Sinn eines schlechten Widerspruchs. Daß Schopenhauer die Erkennbarkeit des Dinges an sich mit dessen Getrenntheit von der Erscheinungswelt zu vereinbaren sucht, beruht auf seiner entschiedenen Absage an ein positiv Unendliches. Schopenhauer hütet sich, jene Erkennbarkeit mit der „Vergeistigung“ des an sich Erkannten zu erkaufen. Ihm ist das apologetische, den Weltlauf verklärende Moment aller Identitätsphilosophie bewußt. Gleichwohl besteht auch für Schopenhauer keine 1 Der vorliegende Beitrag ist dem Aufsatz „Schopenhauer und der Materialismus“ (in: Alfred Schmidt: Tugend und Weltlauf . Vorträge und Aufsätze über die Philosophie Schopenhauers (1960-2003), Frankfurt a.M. 2004, 115–127) entnommen, in dem sich auch umfangreiche Fußnoten finden, von denen hier – unter dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit der in diesem Band versammelten Beiträge – abzusehen war. Zitate werden in Abweichung vom Originaltext nach den im vorliegenden Band verwendeten Zitierkonventionen belegt. Da der Verfasser am 28. August 2012 verstorben ist, konnte er eine Revision des Textauszugs nicht mehr eigenhändig durchführen.

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unvermittelte Dualität der Bereiche; beide gehören, obzwar ihnen verschiedene Erkenntnisweisen zugeordnet sind, der nämlichen Welt an. Vorstellung und Wille (mit deutlichem Vorrang des letzteren innerhalb der Vermittlung) sind ihre Attribute. Daß Schopenhauer die gemeinhin „materiell“ genannte, raumzeitlich und kausal strukturierte Welt dem „Idealen“ zurechnet, dessen Wesen dagegen: das „Reale“ im Willen erblickt, ist in der Literatur immer wieder als objektividealistischer Grundzug seiner Lehre verstanden worden. Schopenhauer selbst legt diese Interpretation nahe, wenn er sich in seiner naturphilosophischen Schrift folgendermaßen äußert: „Die wahre Physiologie ... weist das Geistige im Menschen (die Erkenntniß) als Produkt seines Physischen nach; ... aber die wahre Metaphysik belehrt uns, daß dieses Physische selbst bloßes Produkt, oder vielmehr Erscheinung, eines Geistigen (des Willens) sei“ (N/5, 220). Die „materialistische“ Abhängigkeit des Geistigen von Hirn- und Nervenprozessen wird so ihrerseits zum bloßen Derivat. Verglichen mit dem, was Schopenhauer anderswo über den alogischen, blind-dranghaften, rast- und ruhelosen Charakter des Willens sagt, nimmt sich die Rede, auch er sei ein „Geistiges“, zunächst befremdlich aus. Sieht man näher zu, so wird jedoch klar, daß das von Schopenhauer als Wille bezeichnete „Geistige“ keineswegs gleichgesetzt werden darf mit dem „Geistigen“ als Erkenntnis, von dem er zuerst spricht; „Begriff liches“ im hegelschen Sinn ist dem Willen fremd. Wenn Schopenhauer ihn trotzdem ein „Geistiges“ nennt, so deshalb, weil er nicht „materiell“ ist, sondern natura naturans: eine allem dinglich-körperhaft verstandenen Stoff gegenüber vorrangige, ihn aber durchdringende Ur- oder Naturkraft. Verdeutlichen wir uns den letzteren Zusammenhang genauer. – Die „Realität“ des Willens (im Sinn der Demarkationslinie zwischen Idealem und Realem) beruht darauf, daß er unabhängig vom menschlichen Erkenntnisapparat und der durch ihn konstituierten Objektwelt existiert. Dies allerdings nicht in freier Schwebe. Stets ist der Wille relativ auf Materie, die das Band zwischen seiner Welt und der Welt als Vorstellung bildet und ihm derart zu drastischer Sichtbarkeit verhilft. So sind „Zähne, Schlund und Darmkanal ... der objektivirte Hunger; die Genitalien der objektivirte Geschlechtstrieb“ (W I/1, 153). Vom Willen konkret sprechend, ist Schopenhauer unentwegt genötigt, sich auf die erscheinende Natur (natura naturata) einzulassen. Diese gewinnt so eine Objektivität, die ihr von der phänomenalistischen Erkenntnislehre gerade entzogen

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wird. Materie, sonst Vordergrund und Staffage, gelangt dadurch zu Eigengewicht, daß der Wille, obgleich primär, durchgängig auf sie verwiesen bleibt. „Was also Schopenhauers andere Seite“, schreibt Bloch, „die zentrale Willensmetaphysik angeht, da gibt es sehr viel Materialismus, sogar der Intellekt erscheint ... als ,Gehirnphänomen‘. Die Willenswelt steigt durchaus vom Mechanismus über Chemismus, Animalität und dergleichen zum Bewußtsein auf; die Stufen dieses Aufstiegs aber heißen – ganz ohne Bezug zum Subjekt – ,Objektitäten‘ oder ,Objektivationen‘ des Willens. Hier kehrt auch Materie wieder, eine zweite Materie, sozusagen, vom bloßen Kausalitätsschein verschieden. Statt des ,bloß Formellen der Vorstellung‘ wird Materie hier zum Kern der Sache, statt des abstrakten Begriffs sogar zur Anschauung“ (Bloch 1972, 273f.). Hüten wir uns jedoch vor Mißverständnissen. Festzuhalten bleibt nämlich, daß Materie auch hier noch „Sichtbarkeit“ des Dinges an sich ist – nicht es selbst. Zur Erscheinungswelt gehörig, ist sie deren (subjekteigenen) Formen unterworfen. Gleichzeitig aber geht Schopenhauer – darin Metaphysiker nachkantischen Typs – von der so bestimmten Materie über zum Willen als dem Ding an sich. Formale Gemeinsamkeiten beider (die auf die „Strukturiertheit“ auch des Willens verweisen) werden deutlich; sie beziehen sich, woran Bloch nachdrücklich erinnert, auf „Einheit, Ganzheit, Substanz“ und „Unzerstörbarkeit“ (Bloch 1972, 274). Bloch kennzeichnet das schwierige Neben- und Ineinander von Kantianismus und nachkantischer Spekulation bei Schopenhauer folgendermaßen: „Wenn das Ding an sich in der Selbsterfahrung, nur unter dem dünnen Schleier der Zeit verborgen, als Wille erscheint, so erscheint dieser in der äußeren Erfahrung, mit Zeit, Raum und Kausalität tingiert, als Materie, differenziert aber ist diese Materie in den Stufen der Willenswelt, eben in den natürlichen Objektivationen des Willens“ (Bloch 1972, 274). Sie bilden eine Abfolge, welche, gesteigert zum Organischen, der Materie eine qualitativ neue Funktion verleiht. In Tier und Mensch ist sie nicht länger nur Sichtbarkeit des Willens, sondern dessen Material. Hieraus entwickelt Bloch, der (anders als Schopenhauer, der dies jedoch nicht durchhalten kann) Materialismus und Metaphysik einander nicht unversöhnbar entgegensetzt, die Konsequenz einer vitalistisch-materialistischen Metaphysik: Materie „wird das Fleisch, das das fressende Tier, als Objektivation des stärkeren Willens, der gefressenen des schwächeren Willens entreißt, und um das hier aller Streit geht. ... Freilich tritt die unterjochte Materie auch am starken Sieger im Tod wieder hervor; dieser macht ... den bloßen Pyrrhussieg der

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Unterjochung, Assimilation kenntlich. Erst recht aber zeigt sich in dem durch Überwältigung entstandenen Stufenbau die Leerheit des Willens selbst: denn da außer ihm nichts existiert, so zerreißt der Wolf, der das Lamm zerreißt und dessen Materie frißt, allemal sich selbst, in bloßer Entzweiung des Einen Willens. Hier wird die Überraschung groß: Materie und Wille rücken endgültig zusammen; denn es ist eben ja Wille, den der Wille in Gestalt von Materie frißt, immer der gleiche, der Eine Wille, ohne Täuschung der Vielheit, der verschiedenen Individuationen, wo nicht gar der Objektivationen“ (Bloch 1972, 275). Die zunächst – unter dem Aspekt der Materie als Sichtbarkeit des Willens – eher formalen Übereinstimmungen jener Sichtbarkeit mit dem Willen selbst erweisen sich nunmehr als inhaltlich. Erfolgt ist ein (im hegelschen Sinn) logischer Übergang vom erscheinenden Wesen zur wesentlichen Erscheinung. Der Wille in der Natur wird von dieser – letztlich – ununterscheidbar; die „kontemplative Schranke“, sagt Bloch, „zwischen Sichtbarkeit des Willens und dem Inhalt der Sichtbarkeit“ entfällt (Bloch 1972, 275). Materie, einerseits Substrat immer höherer Objektivationen, ist „der zentral-metaphysischen Hauptsache nach fressender Wille und gefressene Materie zugleich“ (Bloch 1972, 275f.). Eine Identität, die Schopenhauer im Zweiten Band der Parerga selber ausgesprochen hat: „Der Wille, als das Ding an sich, ist der gemeinsame Stoff aller Wesen, das durchgängige Element der Dinge. ... In ihm, als solchem, sind wir sonach Jedem gleich; sofern Alles und Jedes vom Willen erfüllt ist und davon strotzt“ (P II/10, 651). – Von hier aus gewinnt das […] Verhältnis von Physischem und Metaphysischem bei Schopenhauer eine weitere, bislang kaum beachtete Dimension. Heißt es im zweiten Teil des Hauptwerks, die Materialisten seien zu Recht um den Nachweis bemüht, „daß alle Phänomene, auch die geistigen, physisch sind“, nur entgehe ihnen dabei, „daß alles Physische andererseits zugleich ein Metaphysisches ist“ (W II/3, 204), so tritt – gemäß obigen Überlegungen – zu diesem Verhältnis das gerade umgekehrte hinzu. Erschöpft sich nämlich das Sein des Physischen nicht darin, als bloßer Vor-Schein des Metaphysischen zu fungieren, erweist es sich, obschon auf vielfach vermittelte Weise, zugleich als dessen realer Gehalt, so stellt das Metaphysische sich dar als das Physische im Ganzen – gedeutet unter dem Aspekt perennierenden Leidens.

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6.2 Untersuchen wir jetzt – überleitend zum zweiten Punkt der Diskussion – was Schopenhauer des näheren unter ,Materialismus‘ verstanden hat. Seine Schriften kommen auf die Ansichten seiner Vertreter häufig und an den verschiedensten Stellen zu sprechen. Neben schroff ablehnenden finden sich zustimmende Urteile. Eine bündige, formelhafte Auskunft ist deshalb unmöglich, abgesehen davon, daß wir uns auf wenige Fragen beschränken müssen. Bei der umfassenden Gelehrsamkeit Schopenhauers versteht es sich von selbst, daß er mit der Geschichte des Materialismus ebenso vertraut ist wie mit den Methoden und Resultaten neuerer Naturwissenschaft. Von den antiken Materialisten nennt Schopenhauer Demokrit, Leukipp, Epikur, auch Lukrez, von denen der bürgerlichen Neuzeit die pantheisierenden Autoren Bruno und Spinoza, schließlich Hobbes und die ihm besonders vertrauten Schriftsteller des vorrevolutionären Frankreich, insbesondere Holbach und Helvétius. Schopenhauers Anthropologie und Ethik zeugen von ihrem Einf luß. Hochgeschätzt als Bahnbrecher einer streng objektiven Betrachtungsweise des Intellekts werden von ihm ferner die Physiologen Cabanis und Bichat. Was den hierzulande während der fünfziger Jahre lautstark ausgetragenen ,Materialismusstreit‘ um die Büchner, Vogt und Moleschott betrifft, so hat Schopenhauer ihn verfolgt und bissig kommentiert (vgl. N/5, 184f.; W II/3, 207). Materialismus (wenn wir hier nur den der Neuzeit berücksichtigen) ist für Schopenhauer, nach heutiger Terminologie, mechanischer Materialismus, der – die antike Atomistik erneuernd – Sein mit körperlichem Sein identifiziert. Dieses Sein ist ewig bewegt im Sinn bloßer Ortsveränderung und durchweg mathematisch bestimmbar. Alles Qualitative: äußere Form des Stoffs, läßt sich daher auf Quantitatives reduzieren. Es handelt sich hier um dogmatischen Objektivismus, wie er zu Schopenhauers Zeiten (die allgemeine Rückbesinnung auf Kant stand noch aus) „das Ziel und das Ideal aller Naturwissenschaft“ bildete (W I/1, 58). Schopenhauer ist angesichts der Öde und Dürre solcher Weltansicht sogar bereit, die „Träumereien der Schellingischen Naturphilosophie und ihrer Anhänger“ zu verteidigen; waren sie „doch meistens geistreich, schwunghaft, oder wenigstens witzig“ (W II/3 370). Die Materialisten seiner Zeit hingegen gehen „plump, platt ... und täppisch“ zu Werke; sie vermögen „keine andere Realität zu denken ..., als eine gefabelte eigenschaftslose Materie, die dabei ein absolu-

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tes Objekt ... wäre, und zweitens keine andere Thätigkeit, als Bewegung und Stoß: diese zwei allein sind ihnen faßlich, und daß auf sie Alles zurücklaufe, ist ihre Voraussetzung a priori: denn sie sind ihr Ding an sich. Dieses Ziel zu erreichen“, fährt Schopenhauer fort, „wird die Lebenskraft auf chemische Kräfte ... und alle Processe der unorganischen Natur auf Mechanismus, d. h. Stoß und Gegenstoß zurückgeführt. Und so wäre dann am Ende die ganze Welt ... bloß ein mechanisches Kunststück, gleich den durch Hebel, Räder und Sand getriebenen Spielzeugen, welche ein Bergwerk, oder ländlichen Betrieb darstellen“ (W II/3, 370). Schopenhauer bemängelt, daß es die Materialisten „eigentlich gar nicht ... mit der empirisch gegebenen ... Materie“ zu tun haben, sondern mit einem Produkt bloßer Abstraktion; ihre Materie hat „schlechthin keine andern, als jene mechanischen Eigenschaften“ (W II/3, 368). Sämtlicher ihr wesentlich anhaftender Qualitäten entkleidet, bleibt „Materie zurück als das Eigenschaftslose, das caput mortuum der Natur, daraus sich ehrlicherweise nichts machen läßt“ (W II/3, 371). – Schopenhauer (das verbindet seine Philosophie mit zeitgenössischen Tendenzen etwa Blochs) stellt nun die – freilich für ihn selbst hypothetisch bleibende – Überlegung an, ob nicht ein Materialismus ohne mechanistische Scheuklappen denkbar wäre, der sich an „die wirklich und empirisch gegebene Materie“ hielte, „ausgestattet wie sie ist, mit allen physikalischen, chemischen, elektrischen und auch mit den aus ihr selbst das Leben spontan hervortreibenden Eigenschaften“ (W II/3, 370). Die solcherart qualifizierte Materie wäre die „wahre mater rerum, aus deren dunkelm Schooße alle Erscheinungen und Gestalten sich hervorwinden, um einst in ihn zurückzufallen“; so ließe „aus der vollständig gefaßten und erschöpfend gekannten Materie ... sich schon eine Welt konstruiren ..., deren der Materialismus sich nicht zu schämen brauchte“ (W II/3, 370). Dem ist beizupf lichten. Nur wäre damit das strikt „physikalistische“ Verfahren aufgegeben; man hätte, wie Schopenhauer mit Recht zu bedenken gibt, „die Quaesita in die Data“ verlegt, „indem man angeblich die bloße Materie, wirklich aber alle ... geheimnißvollen Kräfte der Natur, welche ... mittelst ihrer uns sichtbar werden, als das Gegebene nähme und zum Ausgangspunkt der Ableitungen machte“ (W II/3, 371). Was die Materie an höheren Daseinsweisen erst hervorbringen soll, wird ihr von vornherein zugeschrieben, womit das Problem sich verf lüchtigt. Zustande, sagt Schopenhauer, kommt derart „kein eigentlicher Materialismus mehr ..., sondern bloßer Naturalismus, d. h. eine absolute Physik,

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welche ... nie die Stelle der Metaphysik ... ausfüllen kann, eben weil sie erst nach so vielen Voraussetzungen anhebt, also gar nicht ein Mal unternimmt, die Dinge von Grund aus zu erklären. Der bloße Naturalismus ist daher wesentlich auf lauter Qualitates occultae basirt, über welche man nie anders hinauskann, als dadurch, daß man ... die subjektive Erkenntnißquelle zu Hülfe nimmt, was dann ... auf den ... mühevollen Umweg der Metaphysik führt, indem es die vollständige Analyse des Selbstbewußtseyns und des in ihm gegebenen Intellekts und Willens voraussetzt“ (W II/3, 371). Verdeutlichen wir uns nochmals die denkstrategische Rolle des hier von Schopenhauer hypothetisch angesetzten „Naturalismus“ (dem freilich, wie Blochs Studien dartun, philosophiegeschichtlich wichtige Traditionen entsprechen). Er enthält, modern ausgedrückt, eine „vitalistische“ Kritik am reinen Mechanizismus, die (sosehr sie zunächst gegen Mängel der damaligen Naturwissenschaft gerichtet sein mag) das vermittelnde Glied darstellt zwischen diesem und der Willensmetaphysik. Ist nämlich die erkannte Materie, wovon Schopenhauer ausgeht, irreduktibel auf „Aeußerungen der Undurchdringlichkeit, Form, Kohäsion, Stoßkraft, Trägheit“ und „Schwere“ (W II/3, 367f.), ist sie angemessener gekennzeichnet als „Vehikel der Qualitäten und Naturkräfte, welche als ihre Accidenzien auftreten“ (W II/3, 371), und lassen diese sich auf ein intensives Agens: den Willen zurückführen, dann ergibt sich daraus die Lehre von der Materie als seiner ,Sichtbarkeit‘. Was also Schopenhauer am naturwissenschaftlich unterbauten Materialismus der Vergangenheit und noch seiner Gegenwart auszusetzen hat, ist zunächst dies, daß dessen Verfechter ein unzureichendes Bild der Materie liefern; philosophisch unbekümmert, übersehen sie, daß Materie „mehr ein metaphysiches, als ein bloß physisches Erklärungsprincip der Dinge“ ist (W II/3, 365). Es offenbart sich hierin die falsche Selbstgenügsamkeit von Gelehrten, die den Materialismus als unmittelbare, näherer Begründung nicht bedürftige Konsequenz ihrer Forschungspraxis betrachten. Demgegenüber sieht Schopenhauer, für seine Zeit erstaunlich früh, daß der bloß physikalische Materialismus, abgesehen von seiner philosophischen Naivität, sich auch innerwissenschaftlich nicht halten läßt; geht doch „die ganze mechanische und atomistische Naturansicht ihrem Bankrott entgegen, und die Vertheidiger derselben haben zu lernen, daß hinter der Natur etwas mehr steckt, als Stoß und Gegenstoß“ (W II/3, 364). – In Schopenhauers Metaphysik des Willens, der sich „psychisch“ wie „energetisch“

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deuten läßt, einer Metaphysik, die ein absolut Reales jenseits von logischem Geist und roher Dinglichkeit zu benennen sucht, setzt sich die historische und sachliche Notwendigkeit eines qualitativ neuen Naturbildes durch. Der andere Hauptmangel des traditionellen Materialismus, den Schopenhauer mehrfach und entschieden kritisiert hat, besteht darin, daß jener annimmt, die Materie sei „ein schlechthin und unbedingt Gegebenes“ (W II/3, 367); er ist „die Philosophie des bei seiner Rechnung sich selbst vergessenden Subjekts“ (W II/3 21; W II/ 3, 366). Nun ist die Annahme einer transsubjektiven Gegenstandswelt, eines Seienden unabhängig vom Denken nichts Abwegiges; sie drängt sich der alltäglich-praktischen Erfahrung des vorphilosophischen Bewußtseins auf. Davon läßt auch Schopenhauers erkenntnistheoretische Analyse des Materialismus sich leiten: Das „Ausgehn vom Objektivem, welchem die so deutliche und faßliche äußere Anschauung zum Grunde liegt, [ist] ein dem Menschen so natürlicher und sich von selbst anbietender Weg, daß der Naturalismus und ... der Materialismus ... Systeme sind, auf welche die spekulirende Vernunft ... zu allererst gerathen muß: daher wir gleich am Anfang der Geschichte der Philosophie den Naturalismus, in den Systemen der Ionischen Philosophen, und darauf den Materialismus, in der Lehre des Leukippos und Demokritos, auftreten, ja, auch später von Zeit zu Zeit sich immer wieder erneuern sehn“ (W II/3, 371f.). Der Materialismus bildet, so betrachtet, eine beständige, prinzipielle Möglichkeit des menschlichen Geistes; er ist, was seine erkenntnistheoretische Seite betrifft, lebensweltlich bedingt, daher relativ berechtigt. Zunächst jedoch ist er für Schopenhauer Gegenstand von Erkenntniskritik. Deren Hauptmomente sind jetzt darzustellen. – Die „Kontroverse über das Reale und Ideale“ (von ihr war hier bereits die Rede) bezieht sich letztlich auf die „Existenz der Materie“ (W II/3, 20). Ist diese, fragt Schopenhauer, „bloß in unserer Vorstellung vorhanden, oder ist sie es auch unabhängig davon?“ (W II/3, 20). Beide Positionen werden in der bürgerlichen Philosophie des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts verfochten. Wer „eine an sich existirende Materie annimmt, muß, konsequent, auch Materialist seyn, d. h. sie zum Erklärungsprincip aller Dinge machen. Wer sie hingegen als Ding an sich leugnet, ist eo ipso Idealist. Geradezu und ohne Umweg die Realität der Materie behauptet hat, unter den Neueren, nur Locke: daher hat seine Lehre, unter Condillac’s Vermittelung, zum Sensualismus der Franzosen geführt. Geradezu und ohne Modifikationen geleugnet hat die Materie nur Berkeley. Der durchgeführte Gegensatz ist also Idealismus und Materialismus, in

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seinen Extremen repräsentirt durch Berkeley und die französischen Materialisten (Holbach)“ (W II/3, 20). Derart umreißt Schopenhauer die ihm philosophiegeschichtlich vorgezeichnete Ausgangssituation seiner Erwägungen. Systematisch betrachtet, laufen diese auf die Kritik des notwendig zum Materialismus führenden Realismus hinaus. Existieren nämlich die Dinge unabhängig von jeglichem Bewußtsein und außerhalb seiner, so liefert „empirische Anschauung“ (W II/3, 21) eine an sich bestehende Struktur der Welt: die Materie und ihre Modifikationen. Der „Naturlauf“ – dies der für Schopenhauer moralisch bedenkliche Aspekt – wird „absolute und alleinige Weltordnung“ (W II/3, 21). Das, was ist, behält das letzte Wort. Eine Konsequenz, der man durch die „Annahme einer zweiten ..., einer immateriellen Substanz“ (W II/3, 21) beizukommen suchte. Allerdings vergeblich; denn man verblieb so innerhalb des Realismus. Der „von Erfahrung, Beweisen und Begreif lichkeit gleich sehr verlassene Dualismus und Spiritualismus“ (W II/3, 21) wird von Schopenhauer ebenso verworfen wie der Materialismus (wobei dieser, gegenüber einer Seelenhypostase, immer noch mit soliden Tatsachen der Anatomie und Physiologie des Gehirns aufwarten kann). Schopenhauer erinnert an Spinozas Naturmonismus, insbesondere aber an Kant, dessen Kritik der rationalen Psychologie umso stichhaltiger ist, als sie einhergeht mit einer Neubegründung des Idealismus: „Denn mit dem Realismus fällt der Materialismus, als dessen Gegengewicht man den Spiritualismus ersonnen hatte, von selbst weg, indem alsdann die Materie, nebst dem Naturlauf, zur bloßen Erscheinung wird, welche durch den Intellekt bedingt ist, indem sie in dessen Vorstellung allein ihr Daseyn hat. Sonach ist gegen den Materialismus das ... falsche Rettungsmittel der Spiritualismus, das ... wahre aber der Idealismus, der dadurch, daß er die objektive Welt in Abhängigkeit von uns setzt, das nöthige Gegengewicht gibt zu der Abhängigkeit, in welche der Naturlauf uns von ihr setzt“ (W II/3, 21f.). Die erkenntnistheoretische „Grundabsurdität“ des Materialismus beruht Schopenhauer zufolge darauf, daß er „ein Objektives zum letzten Erklärungsgrunde nimmt“ (W I/1, 58); aus ihm läßt er „die organische Natur und zuletzt das erkennende Subjekt hervorgehen“, wohingegen „alles Objektive, schon als solches, durch das erkennende Subjekt ... auf mannigfaltige Weise bedingt ist“ (W I/1, 58.). Alles Stoff liche, gegenständlich Vorhandene, von dem die herkömmlichen Materialisten als einem fundamentum inconcussum auszugehen

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wähnen, ist – näher untersucht – ein „höchst mittelbar und bedingterweise Gegebenes“ (W I/1, 58). Diese unaufhebbare Relativität der jeweils erfahrenen Gegenstände auf den Erkenntnisapparat bedeutet indessen kein Abgleiten in Solipsismus, den Schopenhauer, ohne ihn ernst zu nehmen, „theoretischen Egoismus“ (W I/1, 148) nennt. Die vielerörterte „Realität der Außenwelt“ ist ihm dadurch verbürgt, daß die individuell vorgestellten Objekte zugleich „Erscheinungen eines Willens“ sind (W I/1, 148, vgl. W II/3 14; W II/3, 28). Im ausdrücklichen Gegensatz zum empirischen Idealismus, vertreten etwa durch die Schottische Schule und Jacobi, der die Außenwelt zur „Glaubenssache“ herabsetzt, läßt der transzendentale Idealismus die „empirische Realität der Welt unangetastet“ (W II/3, 15). Er lehrt jedoch, daß „das empirisch Reale überhaupt ... durch das Subjekt zwiefach bedingt ist: erstlich materiell, oder als Objekt überhaupt, weil ein objektives Daseyn nur einem Subjekt gegenüber und als dessen Vorstellung denkbar ist; zweitens formell, indem die Art und Weise der Existenz des Objekts, d. h. des Vorgestelltwerdens (Raum, Zeit, Kausalität) ... im Subjekt prädisponirt ist“ (W II/3,15). Grundgedanken der Erkenntnislehre Schopenhauers, die deren Nähe zu Kant belegen sollen: Objektivität gründet in Subjektivität. Die formale Analogie darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich hier um eine Revision des transzendentalen Denkansatzes von erheblicher Tragweite handelt. Indem Schopenhauer Kants Kritik der reinen Vernunft umstandslos als „Kritik der Gehirnfunktionen“ (W II/3, 19) interpretiert (wobei es wenig verschlägt, daß diese, subjektiv betrachtet, als Funktionen des Intellekts auftreten), sprengt er die Transzendentalphilosophie ‚von innen‘. Konstitutive Subjektivität, bei Kant ein Geistiges: Bewußtsein überhaupt, Inbegriff reiner Formen, wird jetzt ein Stück eben jener Welt, deren Objektivität ihren eigenen Leistungen allererst entspringen soll. Die „unwandelbare Ordnung der Dinge, welche das Kriterium und den Leitfaden ihrer empirischen Realität abgiebt“, geht nach Schopenhauer vom Cerebralsystem aus und hat „von diesem allein ihre Kreditive“ (W II/3, 15). Dazu paßt die handfeste Sprache, deren sich Schopenhauer bedient, wenn er darstellen will, wie es zur intersubjektiv gegebenen Objektwelt kommt. Alles sinnlich, naiv-realistisch Erlebte ist ihm zufolge Material, das immer schon durch die „Maschinerie und Fabrikation des Gehirns“ hindurchgegangen ist (W I/1, 58). Dabei verhält sich das von den Sinnesorganen Gelieferte zu dem, was die Gehirnfunktion (Raum, Zeit und Kausalität) zum Entstehen einer

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anschaulichen Welt beisteuert, „wie die Masse der Sinnesnerven zur Masse des Gehirns, nach Abzug desjenigen Theiles von dieser, der ... zum eigentlichen Denken ... verwendet wird und daher den Thieren abgeht“ (W II/3, 29). Ist Schopenhauers Willensmetaphysik durchsetzt von Momenten des Materialismus, so lassen sich solche, durchaus zwangslos, auch in seiner Erkenntnislehre nachweisen. Dabei ist weniger gedacht an die soeben erörterte ,anthropologische‘ Revision Kants. Sie bedeutet zwar, da sie den Boden der transzendentalen Logik verläßt, einen Schritt weg vom Idealismus. Dieser bleibt jedoch bei Schopenhauer insofern ausdrücklich erhalten, als auch er die „Abhängigkeit“ des Objektiven vom Subjektiven lehrt (vgl. etwa W II/3, 22f.); dessen physiologische Interpretation ändert daran nichts. Materialistische Momente im Bereich des Erkenntnistheoretischen sind vornehmlich solche des naiven Realismus. Auf sie muß es deshalb […] ankommen, so befremdlich sich das, angesichts der erklärten Realismus-Gegnerschaft des hier behandelten Autors, zunächst ausnehmen mag. Zitierte Literatur Bloch, Ernst 1972: Das Materialismusproblem. Seine Geschichte und Substanz, Frankfurt a.M.

Ergänzende Literatur Zum Materialismusproblem: Bloch, Olivier René 1982: Le matérialisme du XVIIIe siècle et la littérature clandéstine, Paris. Brunner, Jürgen 2007: Die Materialisierung bewußter und unbewußter psychischer Phänomene bei Schopenhauer, in: Schopenhauer-Jahrbuch 88, 89–114. Jeske, Michael/Koßler, Matthias (Hrsg.) 2012: Philosophie des Leibes. Die Anfänge bei Schopenhauer und Feuerbach (Beiträge zur Philosophie Schopenhauers 11), Würzburg. Lange, Friedrich Albert 1974: Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart, Frankfurt a.M. Overmann, Manfred 1993: Der Ursprung des französischen Materialismus. Die Kontinuität materialistischen Denkens von der Antike bis zur Aufklärung, Frankfurt a.M.

Weitere Texte Alfred Schmidts: Schmidt, Alfred 1977: Drei Studien über Materialismus. Schopenhauer. Horkheimer. Glücksproblem, München/Wien. – 1989: Physiologie und Transzendentalphilosophie bei Schopenhauer, in: Schopenhauer-Jahrbuch 70, 43–53. – 1994: Die Leiblichkeit des Menschen als Bindeglied zwischen Medizin und Philosophie, in:

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Greven, Michael/Kühler, Peter/Schmitz, Manfred (Hrsg.): Politikwissenschaft als Kritische Theorie (FS K. Lenk), Baden-Baden, 133–149. – 2005: Schopenhauers subjektive und objektive Betrachtungsweise des Intellekts, in: SchopenhauerJahrbuch 86, 105–132. – 2012: Von den philosophischen Ärzten des 18. Jahrhunderts zu Feuerbach, Schopenhauer und Nietzsche, in: Jeske, Michael/Koßler, Matthias (Hrsg.): Philosophie des Leibes. Die Anfänge bei Schopenhauer und Feuerbach (Beiträge zur Philosophie Schopenhauers 11), Würzburg, 11–57.

7 Bart Vandenabeele

Schopenhauer on Aesthetic Contemplation (W I, §§ 30–42)

The core of Schopenhauer’s theory of aesthetic contemplation can be found in §§ 30–42 of his opus magnum. As we shall see, it is no coincidence that it is a haven of peace in the midst of Schopenhauer’s philosophy. For, the central thought of Schopenhauer’s view of man and world is not that reassuring: man and world are permeated by blind, cruel and restless energy, which Schopenhauer calls ,will‘. In human beings this aimless will manifests itself in desires that can never be fulfilled completely and permanently, and which turn life into sheer hell. Since our desires can never be permanently satisfied, we constantly find ourselves in a state of discontent. Desiring and striving result from a sense of being dissatisfied with our current state at a certain moment – from a lack, which we try to remove. The pleasure (or, more accurately, the liberation from suffering) that we experience when we satisfy a desire is never permanent: new unsatisfied desires soon crop up. And we also may get bored when a desire has been satisfied, which is again a state that we experience as unpleasurable, because we have the feeling that nothing interests us any longer, whilst we none the less feel the urge to desire something, even though nothing is presenting itself to us as desirable. Satisfying all our desires once and for all is simply impossible. The essence of human beings is, what Schopenhauer calls, will to life (Wille zum Leben): life is the unchosen goal of our will, we must will, desire and strive for objects to satisfy our wants. Either we do not succeed in satisfying our desires and experience the pain of being dissatisfied, or we do succeed and then experience in the pleasure

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of satisfaction also the urge to strive for other objects, so that we soon become bored. Schopenhauer’s philosophy can thus be summarized as follows: life implies willing; willing implies suffering; hence, it is impossible to live without suffering. If we identify happiness with a state of permanent absence of pain, as Schopenhauer does, then happiness is ultimately impossible. Schopenhauer pessimistically concludes from this that it would have been better if we had never been born and the world had never existed. To Schopenhauer it is clear that there is more suffering than joy in life. And even the slightest presence of suffering is already sufficient to abhor the fact that we exist. The pendulum from suffering to boredom and back again never stops: our desire for objects, and our desire to desire can never be satisfied together. This is because our occurring desires disappear when they are fulfilled. Either new desires crop up, which cause pain, unrest and suffering, or no new desires occur, and we experience boredom, which is the experience of a lack of objects to desire, and ultimately stems from a desire to desire again.1 Such a morose view of life and man could make us believe that Schopenhauer recommends ending life as soon as possible by committing suicide. Nothing could be farther from the truth. For Schopenhauer actually points out that ending your life does not solve the problem of suffering: you yourself are no longer there, but this does not end suffering in the world. On the contrary even, the person committing suicide is really someone who robs himself of life because he ultimately wills life but not its sorrows. He is fond of life but wants to get rid of his or her own (miserable) life circumstances. The suicide presupposes (wrongly, in Schopenhauer’s view) that existence becomes valuable only by striving for goals and fulfilling desires. In a certain sense, Schopenhauer’s pessimism reaches its uncanny culmination (or low point) in his diagnosis of suicide as a failed attempt to overcome suffering. The suicidal person does not manage to stop willing, and that is why he stops living. His ,mistake‘ is thus that he does not recognise that his life conditions are not responsible for his pain and suffering, but that pain and suffering are essential to life as such and pervade every individual manifestation of the will to life. The suicidal person expects too much from life: he wills life so much that he wills the cessation of his own individual existence. He wills life, but

1 For more on boredom in Schopenhauer’s philosophy, see Reginster 2006, 120–123.

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cannot accept the specific deplorable conditions of his individual existence, and hence desires to end it. The only true solution that Schopenhauer offers is, however, no less radical. Those who eventually succeed in accepting Schopenhauer’s truth, that the reason why we suffer is in what we ultimately are, namely willing individuals, will have to acknowledge that the only way really to escape suffering is somehow in overcoming this limited individual standpoint. If I succeed in this, Schopenhauer argues, I become a pure subject of knowing and obtain the valuable insight that everything is ultimately one and the same will, and that, as long as I remain a willing individual, happiness will pass me by. Hence, I shall have to treasure those privileged moments in which my will is suspended or abolished. When I give full attention to the unique way in which an object presents itself to me and devote my attention wholly to it, I may experience such a privileged moment: aesthetic contemplation.

7.1 Aesthetic Contemplation and Platonic Idea (§§ 30–35) One of Schopenhauer’s key thoughts is that to perceive something aesthetically presupposes that our merely personal interests in it are suspended and we focus exclusively on the way in which the object – a natural phenomenon, artifact or artwork – presents itself to us. Whilst we spend the largest part of our lives looking for objects that can satisfy our desires, the beauty of a landscape, novel, string quartet or painting creates the opportunity to admire the unique way in which things present themselves to us. On such occasions, Schopenhauer says, „we relinquish the ordinary way of considering things, and cease to follow under the guidance of the forms of the principle of sufficient reason merely their relations to one another, whose final goal is always the relation to our own will. Thus we no longer consider the where, the when, the what, the why, and the whither in things, but simply and solely the what.“ (W I, § 34, 178 [1, 231f.]). When enjoying the beauty of Mozart’s Requiem, for instance, our attention is not focused on some interest or use the music may have for us, but exclusively on the performance of that particular Requiem as such. My aesthetic interest is, as Kant said, itself disinterested. It may be compared to the way in which we are interested in a person that we deeply love: if I look tenderly at this person, because he or

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she might offer me a job, for instance, this is hardly a case of disinterested love. In that case this person could be easily replaced by another, who could serve my interest as well. However, when I truly love someone, I am interested only in this unique, irreplaceable person. No other person would ,do just as well‘. Schopenhauer thus characterises aesthetic interest as a state of consciousness that is not disturbed by self-interest and loses itself entirely in the present object. He overstates his case here: for, surely, not every aesthetic contemplation demands that „we forget our individuality, our will, and continue to exist as pure subject, as clear mirror of the object“ (W I, § 34, 178 [1, 232]). None the less, Schopenhauer’s contention that pure aesthetic feelings cannot be reduced to satisfying our desires remains plausible. Even though most forms of aesthetic pleasure are perhaps ultimately never completely unconditional, because they fulfil our need for security and harmony, there still remains a difference between the way in which we consider objects in daily life that enable us to fulfil our needs, desires and wants and the way in which we aesthetically engage with objects, i. e., when we no longer consider them as mere means for us but as ,ends in themselves‘. Far less convincing is Schopenhauer’s view that losing ourselves in aesthetic contemplation results in no longer attending to the individual object, but getting to know its Platonic Idea, that is, its eternal, universal essence. Schopenhauer is adamant that both subject and object then „no longer stand in the stream of time and all other relations. It is then all the same whether we see the setting sun from a prison or from a palace“ (W I, § 38, 197 [1, 253]). If we take Schopenhauer’s thought literally, then it is just nonsensical. To admire something aesthetically does not imply at all that I no longer perceive the particular, unique features of it. On the contrary, my aesthetic interest is attached solely to the specific, ,singular‘ properties of a certain object. Enjoying this sunset on 9 June 2012 in Berlin does not guarantee my enjoying another sunset as much. Or, to take an example from Wittgenstein’s Lectures on Aesthetics to clarify this:2 I am listening to a Haydn string quartet; my friend Jill enters my room, starts playing another CD of, say, a Beethoven string quartet, saying „try this, this will do as well“. Jill obviously doesn’t understand a thing about the peculiarity of my interest. She 2 See Wittgenstein 2007, 235: „If I admire a menuet, I can’t say: ,Take another. It does the same thing.‘“. See also Scruton 2009, 20.

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wrongly presupposes that my aesthetic interest for the Haydn quartet will be satisfied by any other piece, including the Beethoven quartet. If I merely wanted to listen to some music to relax a bit, then Jill would have been right: work by Beethoven (or by Mozart, Schubert, Leonard Cohen, etc.) could have helped me to relax, just as taking a bike ride or a nice warm bath could. However, my interest for this specific Haydn quartet is purely aesthetic and it is exclusively devoted to this specific quartet itself. It is thus irreplaceable. As Schopenhauer justly contends, my attentiveness is directed wholly towards this object, and not towards any personal advantage, use or therapeutic effect it may offer. My attention is completely devoted to the way in which this object presents itself to me. From this it does not follow, however, that – as Schopenhauer nevertheless suggests (W I, § 38, 197 [1, 253]) – I no longer consider the object in its singularity but as an instance of the Platonic Idea of its species. The example Schopenhauer himself gives, that of Dutch still life paintings, which „set up a lasting monument of (…) spiritual peace“ (ibid.), is telling. Contrary to what Schopenhauer seems to suggest, such paintings are not concerned with an objective characterization of timeless universals, but with a detailed study of objects and situations that seem, on the surface, banal. The goal of the painter is not to yield insight into timeless essences of f lowers, food, cutlery, but (amongst other things) draw our attention to the specific, particular features of things that we usually fail to consider appropriately. What matters is being attentive to the striking singularity of objects for their own sake, and not to eternal, timeless Ideas. Since the Platonic Idea, i. e., a representation which „has laid aside merely the subordinate forms of the phenomenon, all of which we include under the principle of sufficient reason; or rather it has not yet entered into them“ (W I, § 32, 175 [1, 228]), is the sole proper object of aesthetic contemplation, Schopenhauer overlooks the import of the singularity of objects in aesthetic contemplation. Instead he one-sidedly focuses upon „the most adequate objecthood possible of the will“, i. e., idealised representations that surpass the ,opacity‘ of particular things that can only be apprehended through the „subordinate forms“ of the principle of sufficient reason (W I, § 32, 175 [1, 228]). Schopenhauer interestingly adds that an Idea „develops in him who has grasped it representations that are new as regards the concept of the same name“ (W I, § 49, 235 [1, 297]) – which is clearly reminiscent of Kant’s definition of the

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aesthetic idea in the Critique of Judgment as „a presentation of the imagination which prompts much thought, but to which (…) no determinate concept can be adequate“ (CJ, § 49, 314). Yet, contra Kant, Schopenhauer sets up a contrast between ordinary cognition, which is imperfect for being subordinate to the will and the forms of the principle of sufficient reason, and aesthetic cognition which is „pure“ and „unclouded“, that is to say, yields clear insight into the „grades of objectification of that one will, of the true thing-in-itself“, thus into Platonic Forms or Ideas (W I, § 32, 175 [1, 225]). A more charitable way to interpret Schopenhauer’s views, however, is to take his Platonic considerations not as literal and focus upon the phenomenology of aesthetic consciousness which he offers. We need not interpret Schopenhauer’s view of aesthetic experience too metaphysically then, and can take it rather as a psychological theory. As said, Schopenhauer characterises the essential elements of aesthetic contemplation in Platonic terms. Perceiving an object aesthetically implies the apprehension of timeless Platonic Ideas. Schopenhauer follows Plato in arguing that Ideas exist in reality. They are not concepts, but the most adequate manifestations (or „objectifications“, as he calls them) of the thing-in-itself, the will.3 They are universal essences of nature awaiting discovery, and conceptual thinking is not able to grasp them. They can only be apprehended through imaginative perception, the ability to „see through“ the imperfect phenomena and grasp the inner essences of things. This is perhaps unnecessarily misleading, for in aesthetic contemplation one’s attention is not necessarily devoted to universal forms, of which the particular objects are incomplete manifestations. On the contrary, as said earlier, one attends to the object in its singularity: I contemplate this object – this sunset, this still life painting, this piano concerto, etc. – as such and merely for its own sake. When I manage to do this, my perception is no longer governed by the will, that is, my own desires, urges and needs. Appreciating something aesthetically implies that I no longer consider the object as something that can serve my individual needs and interests. The individual object will not therefore disappear from my consciousness, but it is in and through my intense attentiveness to it that a universal meaning may 3 Concepts, Schopenhauer argues, may be useful in life and science but are „eternally barren and unproductive in art“ (W I, § 49, 235 [1, 297]).

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be discovered. Inspired by Plato and Kant, Schopenhauer rightly suggests that aesthetic values, and especially beauty, do not express merely personal preferences but invest objects with a peculiar significance. Beauty challenges us to capture and assess the exceptional meaning an object has for us. We do not have to agree with Schopenhauer that we perceive Platonic Ideas in aesthetic contemplation to understand that aesthetic values are inextricably entwined with the peculiar meaning of things – things that challenge us to explore and deepen our lives in their light. Schopenhauer exaggerates, when he advances that we lose ourselves completely in the object that we perceive (W I, § 34, 178–179 [1, 231f.]; § 36, 185–186 [1, 240]). Surely, not every aesthetically valuable appreciation implies the radical self-loss which Schopenhauer seems to have in mind. Nor will every aesthetic appraisal be accompanied by an awareness of timelessness. Nevertheless aesthetic contemplation requires us, as it were, to devote ourselves wholly to the object as such and to become temporarily immune to our surroundings: only the sonnet, the painting or the film as such interests us. We stop considering the causal connections the object has with other objects or other personal interests. During aesthetic contemplation we are not interested in ourselves but in the object for its own sake. This sense of ,self-loss‘, which Schopenhauer strongly emphasises, is not a sufficient condition for having an aesthetic experience. Aesthetic experience does require that we temporarily cast aside our self-interest and surrender to the object. Such discarding of our own interests, needs and desires does not, however, preclude us from returning to our individual interests, experiences and emotions during aesthetic contemplation. Thus claiming that in aesthetic contemplation our perception is completely detached from our will and „that the consciousness of our own selves vanishes“ (W II, Ch. 30, 368 [4, 436]) is a bridge too far. Now, Schopenhauer’s attempt to undermine Plato’s critique of the illusory nature of art, by pointing out that art does offer insight into eternal timeless universals, is – as said – hardly plausible as a general characterization of the value of art and beauty. None the less, Schopenhauer’s emphasis on the cognitive value of art, i. e. the knowledge and insights works of art may yield, is hugely important. For, one of the reasons why we value works of art, such as Shakespeare’s King Lear, Flaubert’s Madame Bovary and Munch’s Scream, is that they offer us captivating and valuable insights into human relations and emotions. Those usually

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differ considerably, however, from the kind of knowledge we gain from science and philosophy. Philosophers and scientists offer propositional knowledge: one can formulate it as propositions that express what is the case (e. g. as ,A is B‘). Yet the insights works of art yield are usually tied up with specific experiences that cannot be reduced to propositions. And even though some artworks express experiences that can be formulated as propositions, artworks still connect with, for instance, the peculiar, non-propositional way in which someone experiences certain emotions or ideas. The existential fear that the Munch painting depicts, has been conveyed through propositions by philosophers such as Kierkegaard and Sartre, but Munch shows us none the less in a unique, non-propositional way what it is to be overwhelmed by such an emotion. The painting’s expression enables us to gain insight into the emotion of fear; or, rather, into what it is like to experience such an emotion.4 Schopenhauer thus rightly insists that art can have cognitive value. Less convincing, though, is the Platonic way in which he aims to respond to Plato’s worries about the damaging effects of art. Schopenhauer rightly establishes that artistic knowledge is non-propositional – Platonic Ideas are not concepts – but he passes over the close relation between expression and the expressed, the depicted and the depiction, as well as the fact that artworks do not necessarily convey timeless universals. The disturbing knowledge we acquire through the psychotic main character in Alfred Hitchcock’s Psycho (1960) does not (merely) reveal eternal Ideas but crucial aspects of certain pathologies, on the basis of which we gain insight into the darker aspects of the human mind and the suffocating atmosphere that characterises several parent-child relationships. Instead of offering immediate access to timeless essences, many works of art yield experiential knowledge of historically situated events, characters, views and emotions. This does not preclude valuing works of art because of the universal truths about man and world which they convey. An aesthetic experience is, however, not merely cognitive: aesthetic qualities definitely play an important part as well. Like Kant, Schopenhauer therefore distinguishes two crucial aesthetic categories: the beautiful and the sublime.

4 See Kieran 2005, 112–120.

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7.2 The Beautiful and the Sublime (§§ 39–41) Contrary to the agreeable (or disagreeable) sensations that a Turkish massage, a glass of French wine, a Belgian chocolate, or Italian lemon ice cream can offer us, we cannot reduce enjoying beauty and sublimity to sensations that objects offer us when they satisfy our desires. Obviously we can desire to be surrounded by beautiful things and beauty inspires our desires, also in its more sublime varieties. Especially beautiful people can arouse our erotic desires and make us yearn for their actual presence. Our attitude toward beautiful and sublime objects can be compared to the way in which one admires statues of gods and saints: they are placed on a pedestal and their presence humbles and renders us diffident. Agreeable things charm, but they are ultimately nothing but commodities that we use to satisfy all kinds of (physical) needs. The pleasure they offer us coincides with the satisfaction of our desire to consume or use them. It can hardly be a coincidence, then, that Schopenhauer, who possessed much more delicate aesthetic sensitivity than Kant, does not consider the beautiful but the charming (or the alluring, das Reizende) as the true opposite of the sublime (see W I, § 40). Unlike Kant, Schopenhauer does not offer any moral grounds for sharply distinguishing the beautiful from the sublime. Both are purely aesthetic qualities and there is merely a gradual distinction between them. Whilst Kant characterises the sublime as an aesthetic emotion that reveals the superiority of our moral, rational nature, Schopenhauer considers the sublime as a struggle between our longing for pure contemplation and the satisfaction of our personal needs. We are confronted with „our dependence, our struggle with hostile nature“ as well as with „a certain transcending of the interest of the will (…) a slight challenge to abide in pure knowledge, to turn away from all willing“ (W I, § 39, 204; 203 [1, 261]). The deepest impression of the sublime is caused by a power that is incomparably superior to the individual and threatens to destroy it: „Mountainous waves rise and fall, are dashed violently against steep cliffs, and shoot their spray high into the air. The storm howls, the sea roars, the lightning f lashes from black clouds, and thunder-claps drown the noise of storm and sea. Then in the unmoved beholder of this scene the twofold nature of his consciousness reaches the highest distinctness. Simultaneously, he feels himself as individual, as the feeble phenomenon of will, which the slightest touch of these forces can annihilate, helpless against powerful nature, dependent, abandoned

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to chance, a vanishing nothing in face of stupendous forces; and he also feels himself as the eternal, serene subject of knowing, who as the condition of every object is the supporter of this whole world (…) This is the full impression of the sublime.“ (W I, § 39, 204–205 [1, 262]). Sublime objects are overwhelming and threatening, yet we do not experience all overwhelming and threatening objects as sublime. Just like Kant, Schopenhauer rightly stresses the ambivalent nature of the sublime: it is oppressing and exalting, disturbing and serene, sad and joyful. As in the beautiful, I feel elevated above my individuality, and that offers me considerable peace, but (unlike an experience of the beautiful) I also experience the nothingness and frailty of my empirical, embodied self.5 The experience of the sublime is, however, not a revelation of the power of my moral, rational self, as Kant thought. The struggle between the individual will and the desire for pure contemplation is not being sorted out to the benefit of reason, for the willing self is the ,real self‘ and is not so easily dispensed with. In the sublime, the immediate awareness arises that „the vastness of the world, which previously disturbed our peace of mind, now rests within us“ (W I, § 39, 205 [1, 263]). Just as in the presence of beautiful objects, in the sublime I experience myself as ,pure subject of knowing‘. However, the exalted state of consciousness will only be obtained „by a conscious and violent tearing away“ from the pain and fear the threatening object brings about. Moreover, and this is crucial to understand the true nature of the Schopenhauerian sublime, the „exaltation must not only be won with consciousness, but also maintained, and is therefore accompanied by a constant recollection of the will“ (W I, § 39, 202 [1, 259]). What can this mean? The intensity of the experience of the sublime is irrevocably tied up with awareness that the elevation above the will is unstable and, therefore, we feel restless. The more intensely we feel that our serenity is being threatened by the ,negative‘ emotion that the object procures, the more fiercely we will experience the sublime and the further we are removed from the cheerfulness and peace of pure beauty. Schopenhauer’s emphasis on the uneasiness of the sublime allows him to avoid Kant’s all too moral explanation. In this respect, Schopenhauer’s analysis is closer to those offered by British authors such as John Dennis (1658–1731), Joseph Addison (1672–1719) and Edmund Burke 5 And, hence, of my will, for „My body and my will are one“ (W I, § 18, 102 [1, 143]).

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(1729–1797), who characterises the sublime as „a sort of delightful horror, a sort of tranquillity tinged with terror“.6 Schopenhauer considers the experience of the sublime as contemplation of an object, which – contrary to the experience of pure beauty – necessarily remains tied to the awareness that the object is hostile or threatening. We manage to aesthetically contemplate the dangerous hurricane or daunting size of a canyon, because we somehow succeed in no longer considering the object as threatening to ourselves. This does not lead us wholly to disregard the threatening character of the object. On the contrary, unlike the experience of sheer beauty, the experience of the sublime is accompanied by „a permanent recollection of the will“. Despite my contemplative state, I remain painfully aware of the threat posed by the phenomenon or object: I realise that I am an insignificant being that could be harmed or even destroyed in a second by the object that I perceive. This explains the peculiar experience of tension that essentially characterises the feeling of the sublime: turning away from the experience of threat and giving myself up entirely to contemplation is never realized definitively. Again and again, the awareness of the hostile character of the object to any human being threatens to slide back into a feeling of personal anxiety, because the object may damage or even annihilate me.7 Hence, what is characteristic of a sublime experience is an ongoing change of perspective, or even struggle between my personal view of the threatening nature of the considered object, which deeply disturbs me, and the universal standpoint from which I contemplate the object aesthetically, which provides tranquillity and joy. In the sublime I sense the contrast between the anxiety that I experience as an embodied individual and the sheer joy felt as pure aesthetic subject. Thus, what radically distinguishes an experience of the sublime from the beautiful is not that the sublime reveals to us the superiority of human reason (as Kant thought), but that we feel that the elevation above our willing self is never stable, since it is connected with an awareness of the object’s potential to damage and perhaps even destroy us. My bodily nature cannot be dispensed with; I remain tied to the will that I essentially am. Schopenhauer thus manages to explain the essential precariousness of the sublime better than Kant could, and to give due attention

6 See Burke 2008, 134. 7 See Vandenabeele 2008a, 2008b and Neill 2012, 206–218.

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to the sense of horror which distinguishes the sublime from the beautiful, and offer it the privileged status that it deserves in the domain of the aesthetic.

7.3 Will-lessness, Disinterestedness and the Genius (§§ 36–38, 42) According to Schopenhauer, aesthetic experience is characterised by the contemplating subject’s awareness of the so-called ,will-lessness‘ of its own state. In aesthetic contemplation the will no longer dominates us, so that we can perceive things ,objectively‘.8 Schopenhauer describes the state of will-lessness as a state of bliss, in which we seem to become an eye of the world (Weltauge) that loses itself completely in the object under contemplation. This temporary self-loss involves a transition from a state of willing, desiring and needy individuality to a state of pure objective knowledge.9 The specific aesthetic pleasure that I thus experience originates from two sources. First of all, I realise that my will no longer dominates me: I feel liberated from the burden of willing – this is the ,negative‘ aspect of aesthetic pleasure. Furthermore, I take pleasure in the insight into the essence of the perceived object – this is a form of ,positive‘ (cognitive) pleasure, i. e. it is not reducible to the feeling of liberation from the pain or suffering the will causes. This latter form of pleasure is ,positive‘, as it originates from the ,objective‘ knowledge of the timeless Idea that the object instantiates: „Knowledge of the beautiful always supposes, simultaneously and inseparably, a pure knowing subject and a known Idea as object. But yet the source of aesthetic enjoyment will lie sometimes rather in the apprehension of the known Idea, sometimes rather in the bliss and peace of mind of pure knowledge free from all willing, and thus from all individuality and the pain that results therefrom.“ (W I, § 42, 212 [1, 271]). Several commentators discover remnants from Kant’s aesthetics in „the bliss and 8 As I understand Schopenhauer, this is even the case in the experience of the sublime: I realise that, any moment, my will-less state of consciousness may slide back into a state in which my perception of an object is governed by my will, but the state of mind still remains completely will-less during aesthetic contemplation. The will is present in my consciousness as no more than a „permanent recollection“ (cf. supra). This permanent recollection of the will explains why the sublime is an experience of contrast, but that does not render the experience less ,will-less‘. 9 See Vandenabeele 2012a.

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peace of mind (…) free from all willing“, for this clearly reminds of Kantian disinterested judgement. Nietzsche and Heidegger, amongst others, have linked Schopenhauer’s aesthetics of will-lessness with Kant’s emphasis upon the disinterested nature of aesthetic pleasure and judgement. The relation between Kant’s and Schopenhauer’s aesthetics is, however, much more complicated than has often been assumed.10 Simplifying hugely, Schopenhauer’s characterisation of aesthetic experience could be summarised as ,will-less contemplation of timeless Ideas‘. Schopenhauer describes the subject of aesthetic contemplation as a ,pure mirror‘ of the world (see W II, ch. 30, 367 [4, 435]). This does not apply merely to the aesthetic spectator but also to the artist, which Schopenhauer refers to as the „genius“. The genius stands for something impersonal, not an individual moral being that has merely personal relations but „a pure intellect that as such belongs to the whole of mankind“, and that „has become unfaithful to its destiny“, which is the service of the will (W II, ch. 31, 390; 386 [4, 457, 460]). For, unlike ordinary people, artists are able to remain in a state of pure will-less contemplation and to leave their own interests, willing, and aims entirely out of sight, and „to remain pure knowing subject, the clear eye of the world; and this not merely for moments, but with the necessary continuity and conscious thought“ which enables them to express their insights into artworks (W I, § 36, 185–186 [1, 240]). Geniuses have an unnatural capacity for heightened perception: they see with more detail, intensity and accuracy, which allows them to create imaginative artworks that relay timeless universal Ideas. The genius also has the capacity to distract from the immediate connections between things and „express clearly what nature merely stammers“ (W I, § 45, 222 [1, 282]). As one commentator has emphasised, the genius’s power to tear away cognition from the service of the will – his „thoughtful awareness“, Besonnenheit – has a paradoxical role to fulfil in both the apprehension of the timeless essence of things and the execution of the artwork (see W I, § 34, 178 [1, 232]; § 37, 195 [1, 250]; W II, 384–388 [4, 440–442]).11 For it is hard to understand how thoughtful awareness could offer both an escape from willing, which allows for pure aesthetic contemplation, and the purposeful, hence will-driven activity of conveying 10 See Vandenabeele 2012b. 11 See Koßler 2012, 201–202.

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the perception of timeless Ideas through a work of art. In order to weaken this paradox, Schopenhauer also stresses the importance of the artist’s imaginative capacities (Phantasie, as he calls it) to account for the activity of expressing – instead of merely conveying – the perceived Ideas in a work of art. Schopenhauer is surely right to refrain from reducing artworks to mere replicas of universal essences, and to put great emphasis on the expressive function of imagination, which allows artists to see in things not merely „what nature has actually formed, but what she endeavoured to form, yet failed to bring about“ and „to complete, arrange, amplify, fix, retain, and repeat at pleasure all the significant pictures of life“ (W I, § 36, 186 [1, 241]; W II, 379 [4, 449]). The paradoxical foundations of Schopenhauer’s view of aesthetic contemplation none the less remain intact: whilst the imaginative execution of a work of art, where the purpose is to express timeless perceptions through particular representations, cannot take place without the activity of the will, and is hence subordinate to the forms of the principle of sufficient reason, genius still consists in a decided predominance of pure knowing over willing, that is, the capacity to neglect knowledge according to the principle of sufficient reason, in order to grasp the inner essences of things. And this ability, in its turn, presupposes „that purely objective frame of mind“, which allows becoming „a clear mirror of the object, so that it is as though the object alone existed without anyone to perceive it, and thus we are no longer able to separate the perceiver from the perception, but the two have become one, since the entire consciousness is filled and occupied by a single image of perception.“ (W I, § 34, 178–179 [1, 232]). Hence, both the artist and the lover of natural beauty and art are ultimately spectators that are capable of (momentarily) transcending their limited individual point of view. Thus, put in more general terms, in aesthetic contemplation my awareness of the object is intensified to such an extent that consciousness of my own self disappears, which offers a release from the pressures of the will (see W I, § 34, 178 [1, 232]). Whilst Schopenhauer’s view that in aesthetic experience I give full attention to the object for its own sake is thus clearly reminiscent of Kantian disinterestedness, there are considerable differences between both approaches. Kant does not hold that in aesthetic experience I „have stepped into another world“ and suspend or disregard the necessary conditions of ordinary cognition (W I, § 38, 197 [1, 252]). Someone who judges aesthetically, Kant argues, is not a pure, will-less subject of knowledge that experiences itself as being elevated above time

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and space. Contrary to Kant, Schopenhauer defends a so-called aesthetic attitude theory: he identifies aesthetic experience with a specific type of disinterested perception, in which we suspend our own desires and interests, and become „that one eye of the world which looks out from all knowing creatures“ (W I, § 38, 198 [1, 254]). Kant, too, characterises aesthetic judgement as „contemplative“ (in § 5 of the Critique of Judgement), but he does not advance a peculiar, ,purely objective‘ way of experiencing things, in which the forms of time and space and the categories of ordinary cognition have been transcended. For Kant, the disinterested nature of aesthetic judgement refers to the subject’s attentiveness to the way in which the object’s form provides pleasure or displeasure. Pure aesthetic judging implies that I do not care about the object’s ,real existence‘ and exclusively focus upon the way in which the object presents itself to me. Concluding from this that each and every aesthetic experience requires that we transcend ordinary perception and cognition is a very un-Kantian move. For Kant, in a pure aesthetic judgement we rather evaluate the sources of the pleasure the object affords. This does not, however, lead to complete will-lessness: on the contrary, evaluating the sources of aesthetic pleasure, which on Kant’s view are cognitive, requires ref lection and self-consciousness instead of losing oneself completely, as Schopenhauer argues. Indeed, for Kant, the contemplative, disinterested nature of the judgement of beauty is not connected with an empty, ,objective‘ consciousness that feels itself exalted above the torments of individual desires. Yet Schopenhauer describes will-less contemplation in just those terms, and (as we saw above) relates it to Platonic Ideas (instead of concepts). Schopenhauer argues that one needs to suspend any kind of conceptual knowledge in order to contemplate something aesthetically. That too is hardly Kantian and, if anything, counter-intuitive. Especially when enjoying a work of art, knowledge of the genre, style or function of the work can certainly aid in forming a proper aesthetic judgement and deepening my appreciation of it.12 For instance, I can refine and enrich my judgement of e.g. Gerhard Richter’s Mirror, Grey (1991) not merely by comparing it to other work by the same artist, by reading articles about his oeuvre, by comparing it to work by David Hockney or Frank Stella, but I can also evaluate my former,

12 See Monseré and Vandenabeele 2012.

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perhaps superficial judgement in light of the knowledge about the work and the artist that I have obtained. Yet, even though Schopenhauer’s characterisation of aesthetic experience in terms of will-free objective cognition may not hold for all kinds of aesthetic experience, it is still definitely a plausible and perceptive characterisation of at least some basic aspects of genuine instances of it. For, at least one of the reasons why we value artworks such as Aeschylus’ Oresteia, Shakespeare’s Romeo and Juliet, Beethoven’s string quartets, and Goya’s The Third of May 1808 is because they convey profound universal truths about the world and our place in it, and because (as Schopenhauer rightly insists) they offer us both a release and a renewal, since they return us to something fundamental. And even if we cannot put ,this something‘ adequately into words, the experience „revives“, „cheers“, and „comforts“ us (WWR I, § 38, 197 [1, 254]). In the end, then, Schopenhauer’s aesthetic theory may be too idealistic to be able to account for each and every genuine aesthetic experience, yet it enables us to think through the essential features of the fabric of our consciousness and the primordial significance of aesthetic experience to human life.13 References Burke, Edmund 2008 [1757]: A Philosophical Enquiry into the Sublime and Beautiful, London. Kieran, Matthew 2005: Revealing Art, London. Koßler, Matthias 2012: The Artist as Subject of Pure Cognition, in: Vandenabeele, Bart (Hrsg.): A Companion to Schopenhauer, Chichester, 193–205. Monseré, Annelies & Vandenabeele, Bart 2012: Beauty and Artistic Value, in: Foltyn, Jacque Lynn (Hrsg.): Beauty: Exploring Critical Issues, Oxford, 35–42. Neill, Alex 2012: Schopenhauer on Tragedy and the Sublime, in: Vandenabeele, Bart (Hrsg.): A Companion to Schopenhauer, Chichester, 206–218. Reginster, Bernard 2006: The Affirmation of Life: Nietzsche on Overcoming Nihilism, Cambridge, MA. Schopenhauer, Arthur 1969 [1819/1844]: The World as Will and Representation, 2 vols., trans. E. F. J. Payne, New York. Scruton, Roger 2009: Beauty, Oxford. Vandenabeele, Bart 2008a: Schopenhauer on Aesthetic Understanding and the Values of Art, in: European Journal of Philosophy 16, 194–210. – 2008b: Aesthetic Solidarity ,after‘ Kant and Lyotard, in: Journal of Aesthetic Education 42, 17–30. – 2012a: Schopenhauer and the Objectivity of Art, in: Idem (Hrsg.): A Companion to Schopenhauer, Chichester, 219–233.

13 I would like to thank Violi Sahaj for helpful comments on an earlier draft of this paper.

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– 2012b: Beauty, Disinterested Pleasure, and Pure Contemplation: Schopenhauer’s Response to Kant, in: Schopenhauer-Jahrbuch 93, 241–255. Wittgenstein, Ludwig (2007): Lectures and Conversations on Aesthetics, Psychology and Religious Belief , Malden.

8 Günter Zöller

Ästhetische Welt- und Willenserkenntnis. Schopenhauers Kunst- und Musikphilosophie im dritten Buch der Welt als Wille und Vorstellung (W I, §§ 43–52) Das Hauptaugenmerk des folgenden Beitrags1 liegt auf dem systemarchitektonischen Ort der Kunst, insbesondere der Musik, in der Philosophie Schopenhauers. Nicht spezielle Doktrinen und spezifische Details der Kunst- und Musikästhetik Schopenhauers2 stehen deshalb im Vordergrund der Darstellung, sondern die methodisch-prinzipielle Grundlegung einer Philosophie der Kunst, die in ihrem Kern eine Philosophie der Musik ist, bei Schopenhauer. Im Mittelpunkt der systematischen Rekonstruktion steht die strukturelle und substantielle Zugehörigkeit der Kunst und mit ihr der Musik zum Gegenstandsbereich der Philosophie. Schopenhauers Begründung der herausgehobenen Stellung von Kunst und Musik wird dabei in den systematischen Kontext seiner metaphysischen Doppelbetrachtung der Welt als Wille und als Vorstellung und in den historischen Kontext seiner kritisch-produktiven Auseinandersetzung mit Platon und Kant plaziert. Zu diesem Zweck wird einleitend auch die Grundlegung von Schopenhauers Metaphysik und Epistemologie der Kunst in die Darstellung einbezogen. Durchweg steht das Bestreben Schopenhauers im Vordergrund, die einheitliche Verfaßtheit der komplex strukturierten Welt zu artikulieren. Das besondere Interesse gilt den unterschiedlichen, aber 1 Eine ausführlichere Fassung des vorliegenden Beitrags, mit spezifischem Fokus auf Schopenhauers Musikphilosophie, erschien als Zöller 2011. 2 Zu den Grundzügen und wesentlichen Einzelheiten speziell von Schopenhauers Musikästhetik siehe Zöller 2003.

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zusammengehörigen Ausgestaltungen der systematischen Einheitsleistung in Schopenhauers Philosophie, die das Verhältnis von Metaphysik und Ethik, von Metaphysik und Ästhetik, von Ethik und Ästhetik, von Kunst und Philosophie, von Musik und Welt sowie von Wille und Vorstellung umfaßt.

8.1 Der Kontext der §§ 43–52: Die systematische Einheit von Metaphysik, Ethik und Ästhetik Die systematische Einheit von Metaphysik und Ethik: Kontinuität wie Diskontinuität im Verhältnis zur klassischen deutschen Philosophie kennzeichnen Schopenhauers Grundverständnis von Zweck und Ziel der Philosophie im allgemeinen und speziell ihrer Grundlegung und Verwirklichung als kritisch-postkritischer Metaphysik der Erfahrung. Schon früh, noch in der Phase der Planung und ersten Ausarbeitung, konzipiert Schopenhauer sein System der Philosophie als „Ethik und Metaphysik in Einem“ (HN I, 55). Mit der radikalen Integration von Metaphysik und Ethik in einer einheitlich verfaßten Auffassung von der willensbestimmten Wirklichkeit als zutiefst geprägt von Lust und Leiden und unabdingbar bedürftig des Trostes und der Erlösung nimmt Schopenhauer – in verwandelter Gestalt – das metaphilosophische Junktim von Theorie und Praxis, von theoretischer und praktischer Philosophie sowie von Erkennen und Handeln auf, das insbesondere das Denken Kants und Fichtes durchweg und bis in die intime Faktur ihrer spekulativen Theoriebildungen hinein geprägt hatte. Freilich tritt bei Schopenhauer an die Stelle der theoretisch ermöglichten, „geretteten“ Freiheit zum vernunftbestimmten individuellen und gesellschaftlichen Handeln und der Philosophie des freien, zur Selbstbestimmung bestimmten Menschen die Selbstbefreiung vom Willen und die finale Beruhigung in der Demotivation und Inaktivität. Vor allem aber ersetzt Schopenhauer die normative Konzeption rein-praktischer Vernunft und rein-vernünftiger Willensbestimmung bei Kant und Fichte durch die kognitiv begründete Selbstentmächtigung des Willens in der doppelt-gestuften Gestalt als theoretisch geleisteter Erkenntnis des Leidens und als praktisch wirksamer Erkenntnis durch Leiden. Die Rede Schopenhauers von der Einheit von Metaphysik und Ethik indiziert die originäre wie finale Auffassung der Metaphysik als Ethik sowie die umge-

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kehrte Einschätzung der Ethik als Metaphysik. Die durchgeführte Metaphysik mündet in die zur Metaphysik gewordene Ethik. Die Metaphysik des Willens wandelt sich zur metaphysischen Ethik des Nicht-Wollens. Die Verlaufsform des Systems der Philosophie bei Schopenhauer von der absoluten Freiheit des Willens und der damit gegebenen Unfreiheit des Intellekts zur (Selbst-) Vernichtung des Willens durch den befreiten Intellekt repliziert so den Aufbau des anderen großen Werkes, das Metaphysik und Ethik ineins denkt, der Ethica Spinozas, mit der Schopenhauers System auch die kognitivistische Konzeption der Ethik, die Rückführung des Leidens auf die Leidenschaften und den systematischen Zuschnitt auf die befreiende Funktion der philosophischen Erkenntnis teilt. Die systematische Einheit von Metaphysik und Ästhetik: In der systematischen Anlage von Schopenhauers Philosophie entspricht dem Übergang der Metaphysik vom Wollen zum Nicht-Wollen die Dissoziation des Subjekts des Erkennens vom Subjekt des Wollens, mittels derer die ursprüngliche Eigenständigkeit des Intellekts gegenüber dem Willen in Absetzung von dessen Fungibilisierung durch und für den Willen restituiert wird. Den Übergang von der Freiheit des Willens zur Freiheit des Intellekts und damit von der Metaphysik des Willens zur Ethik des Nicht-Wollens gewährleistet in Schopenhauers System die Kunst in ihrer metaphysischen Bedeutung („Metaphysik des Schönen“ [VMSch, 37]). Schopenhauer plaziert die Philosophie der Kunst an der strategisch zentralen Stelle zwischen der Selbstbejahung des zur Welt werdenden Willens („Welt als Wille“) und der Selbstverneinung des die Welt ihrer Nichtigkeit überführenden Willens. Mit der Weltorientierung des Willens teilt die Sphäre der Kunst die Ausrichtung auf die Vergegenständlichung des Willens („Objektität“ [W I/1, 175]) und die Weisen seiner Vergegenständlichung („Objektivationen“ [WI/1, 135]), mit der Weltabkehr der Ethik verbindet sie das Abzielen auf die Stillegung des Willens in Gestalt ästhetischer Kontemplation. Für Schopenhauer vermag die Kunst das ansatz- und zeitweise zu leisten, was die radikal betriebene ethische Einstellung durch asketische Brechung des Willens vollständiger und dauerhafter gewähren kann. Die Mittelstellung der als Metaphysik der Kunst ein- und durchgeführten Ästhetik begründet Schopenhauer mit dem spezifischen Erkenntnischarakter der Kunst in deren Produktion wie Rezeption. Anders als bei der Erkenntnis un-

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ter dem Satz vom Grund sind die Gegenstände ästhetischer Produktion und Rezeption weder räumlich oder zeitlich zu verorten noch den vierfach differenzierten Verknüpfungsregeln ontischer, effizienter, epistemischer oder motivationaler Rationalität unterworfen. Die Freiheit des Ästhetischen von Rationalität und Individualität erinnert so an die von der Vernunft dissoziierte Selbst- und Eigenständigkeit des Willens diesseits seiner grundgesetzlich geregelten Manifestation als Welt in Raum und Zeit. Schopenhauer betont aber auch die radikale Verschiedenheit der grundlosen ästhetischen Erkenntnis vom grundlosen kosmischen Wollen. Anders als der an sich blinde Wille ist das ästhetische Nicht-Wollen als eine Form oder Gestalt der Erkenntnis mit Sicht oder mit einem Auge begabt. Die ästhetische Erkenntnis hat solches zum Gegenstand, was außerhalb von Zeit, Raum und zureichender Rationalität liegt, ohne deshalb aber mit dem Willen zusammenzufallen. Nach Schopenhauers Auffassung sind die genuinen Gegenstände der Kunst die Ideen als unmittelbar-erste Objektivationen des Willens. In seiner kritisch rangierten Ontologie stehen die Ideen zwischen dem Willen selbst und als solchem und den Einzeldingen in Raum und Zeit (siehe W I/1, 222–227 [§ 31]). Mit dem Willen haben die Ideen die Außerzeitlichkeit und die Außerräumlichkeit (praeter nicht extra) sowie die absolute Grundlosigkeit ihres Bestehens wie ihres Verhältnisses zueinander gemeinsam. Ideen haben keinen Grund, aus dem sie nach einer Gesetzlichkeit folgen, und sie stehen auch nicht in einem Verhältnis von Grund und Folge zueinander. Mit den Einzeldingen in Raum und Zeit, die unter dem Generalprinzip des zureichenden Grundes stehen, haben die Ideen den Status als Erkenntnisgegenstände und damit die Korreliertheit mit einem Subjekt des Erkennens gemeinsam. Doch ist das subjektive Korrelat der Ideen nicht wie im Fall der raum-zeitlich-rational individuierten Gegenstände ein individuelles Subjekt, sondern – in Übereinstimmung mit dem präindividuellen und präterrationalen Charakter der Ideen – das präindividuelle, generische Subjekt des Erkennens unabhängig von Raum, Zeit und Gründen aller Art. Mit den Ideen als exklusiven Erkenntnisgegenständen der Kunst in Produktion und Rezeption hat Schopenhauer den Kantischen Grundansatz seiner neometaphysischen Transzendentalphilosophie um ein Platonisches Element erweitert. Der Sache nach handelt es sich bei den Ideen um Allgemeinbegriffe oder Universalien, genauer: um realistisch aufgefaßte Allgemeinbegriffe, die unabhängig von den sie instantiierenden Einzeldingen Bestand haben sollen (univer-

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salia ante rem). Wie bei Platon und den scholastischen Realisten sind die Ideen bei Schopenhauer nicht diskursive Begriffe, sondern unmittelbare gewahrte Gegenstände höherer Art, pure Anblicke einer höheren nicht-sinnlichen Wirklichkeit (εἶδη, species). Und wie im ontologischen Platonismus fungieren die Ideen bei Schopenhauer als Prinzipieninbegriffe der gegenständlichen Bestimmtheit der Einzeldinge, die erst durch die Ideen, an denen sie partizipieren, indem sie sie instantiieren, das sind, was sie sind: Einzeldinge mit universalen Eigenschaften. Doch Schopenhauers Ideen unterscheiden sich auch wesentlich von den Ideen Platons und den Universalien der Begriffsrealisten. Anders als die selbständig in einem „überhimmlischen Ort“ (ὑπερουράνιος τόπος [Platon, Phaidros 247c]) bestehenden Ideen und Realuniversalien sind die Ideen bei Schopenhauer konstitutiv mit dem Subjekt liiert und bestehen nur korrelativ zu ihm. Das mit den Ideen korrelierte Subjekt ist dabei statt des individuellen Subjekts der empirischen Erkenntnis das überindividuelle, „reine“ Subjekt des Erkennens, bei dem es sich weniger um ein Über-Ich als um den Prinzipieninbegriff von subjektgegründeter Gegenständlichkeit aller Art handeln dürfte, wie denn auch die Ideen selbst bei Schopenhauer als Inbegriffe möglicher gegenständlicher Bestimmungen aufzufassen wären. Vor Schopenhauer hatte schon Kant die Ideen Platons einer subjekttheoretischen Deutung unterzogen und sie dabei – unter der Kennzeichnung „spekulative Vernunftbegriffe“ – zu diskursiven Begriffen von nichtsinnlichen Gegenständen gemacht, die als solche grundsätzlich nicht instantiiert, sondern nur unendlich approximiert werden können (siehe Kritik der reinen Vernunft, A 312ff./B 368ff.). Doch bei Kant sind die Ideen nicht nur mit (transzendentaler) Subjektivität korreliert. Vielmehr sind die Kantischen Ideen wesentlich Hervorbringungen („Produkte“) der reinen (spekulativen) Vernunft, die sich in ihnen nach Maßgabe der auf die Schlußform angewandten Urteilsfunktionen zu Quasi-Objekten („als ob“) vergegenständlicht (siehe Kritik der reinen Vernunft, A 642ff./B 670ff.). Daß Schopenhauer die bei Kant vorliegende subjektive Genetisierung der Ideen wieder zurücknimmt, dürfte allerdings weniger auf eine größere Nähe zu Platons metaphysischem Ideenbegriff zurückzuführen sein, von dem ihn insbesondere seine Auffassung der Ideen als präterrational und damit außerlogisch trennt. Eher manifestiert sich darin Schopenhauers generelle Skepsis gegenüber spezifischen Herleitungen genetischer Art

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und gegenüber dem Entwicklungsgedanken insgesamt in der Anlage und Durchführung der Transzendentalphilosophie. Die systematische Einheit von Ästhetik und Ethik: Anders als Kant und Fichte, die den Einsatz der Transzendentalphilosophie primär am Faktum wissenschaftlicher Erfahrung festmachen, umfaßt die das transzendentale Denken initiierende und dirigierende Erfahrung bei Schopenhauer auch und insbesondere die Unlust und das Leiden als konstitutive Bestandteile der Erfahrung von Selbst und Welt (vgl. Malter 1991, Zöller 1996). Neben die Eruierung der Bedingungen möglicher Leidenserfahrung tritt in Schopenhauers affektiv-emotiv transformierter Transzendentalphilosophie die mögliche Befreiung von der Leidenserfahrung und damit die Ermöglichung der Leidensfreiheit. Der spezifische Beitrag der Kunst zu Schopenhauers transzendentaler Doppeltheorie von Leidenserfahrung und Leidensbefreiung liegt in der kognitiven Emanzipation von Individualität als der Grundbedingung des Leidens. Die in die künstlerische Produktion und Rezeption der außerindividuellen Ideen eingehende Erkenntnis höherer Art entfernt das erkennende Subjekt durch die Ausrichtung auf außer- und überindividuelle, ideale Gegenstände von der Befangenheit in Raum und Zeit und vom Leidensprinzip der Individuation. Das ästhetisch entrückte Subjekt wird über die Korrelation mit den überindividuellen Gegenständen (Ideen) selbst zum reinen, überindividuellen Subjekt, das eine doppelte Distanz vom Leiden trennt: objektiv die Entfernung von den einander Leid zufügenden Einzelwesen und subjektiv die Entfernung von dem für alles Leiden verantwortlichen blinden Willen zum Leben. Mit ihrem Doppelfokus auf dem reinen Objekt der Ideen und dem reinen Subjekt der Ideenerkenntnis präfiguriert Schopenhauers Ästhetik der Deindividuation von Subjekt und Objekt die ethische Befreiung, die in der asketischen Willensverneinung besteht. In der Kunst wie im ethischen Leben liegt die Freiheit für Schopenhauer in der Selbstbefreiung von der Herrschaft des Satzes vom zureichenden Grund als dem principium individuationis. Doch unterscheiden sich die ästhetische und die ethische Gestalt gelebter, lebenswirksamer Willenskritik durch ihre Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Ansichten der Welt. Die ästhetische Weltsicht der Kunst verbleibt mit ihrer konstitutiven Ausrichtung auf die Ideen im Horizont der Welt als Vorstellung, auch wenn die Welt dabei unabhängig vom Satz des Grundes zur Vorstellung kommt. Dagegen

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setzt die ethische Ansicht der Welt bei der Welt als Wille an, um diesen sodann der Selbsterkenntnis und der daraufhin erfolgenden Selbstverneinung zuzuführen. Der unterschiedlichen Weltorientierung entsprechend steht im Mittelpunkt der ästhetischen Weltsicht die willensfreie Erkenntnis und die Lust der Kontemplation und im Zentrum der ethischen Weltbetrachtung der Wille zum Leben samt dessen Verneinung.

8.2 Die systematische Einheit von Philosophie und Kunst (W I, §§ 42–51) Die systematische Zuordnung der Kunst zur Welt als Vorstellung, insofern sie unabhängig vom Satz vom Grund betrachtet wird, bedingt den spezifisch kognitiven Charakter der ästhetischen Einstellung zu Selbst und Welt bei Schopenhauer. Kant hatte die ästhetische Kontemplation in Absetzung von der rationalistischen Tradition (Baumgarten) vom Erkenntnisanspruch gelöst und ihr allenfalls die Quasi- oder Meta-Erkenntnis zugewiesen, die generelle Tauglichkeit der beteiligten Erkenntnisvermögen (Einbildungskraft, Verstand) zu einer möglichen Erkenntnis anzuzeigen (siehe Kritik der Urteilskraft, § 9 [V, 217]). Bei Kant ist das Medium solcher ästhetischen Selbstvergewisserung theoretischer Subjektivität nicht die Selbsterkenntnis und auch nicht die Erkenntnis der involvierten Gegenstände, sondern das rein subjektive Gefühl, genauer das Gefühl der Lust und Unlust an ästhetischer Form im Fall des Schönen und an ästhetischer Formlosigkeit im Fall des Erhabenen. Schopenhauer wendet die von Kant beim ästhetisch gestimmten Subjekt geltend gemachte Disponiertheit zur Erkenntnis vom Subjektiv-Zuständlichen (Gefühl) ins Objektiv-Gegenständliche und macht sie zu einer Erkenntnis sui generis – der Ideen-Erkenntnis der reinen Formen alles einzelnen Erkennbaren. Die Ideen Schopenhauers erweisen sich damit in Kantischer Perspektive nicht so sehr als übersinnliche Superobjekte für künstlerische Supermänner denn als die anschaulich gegebenen Prinzipien gegenständlicher Erkenntnis. Die Kunst leistet für Schopenhauer das im Nu und in jedem ihrer (gelungenen) Werke, was die Philosophie immer nur erstreben und in approximativer Annäherung erreichen kann: die Prinzipienerkenntnis der Welt als Vorstellung. Im übrigen hatte Kant selbst mit dem Konzept der ästhetischen Ideen als Vorstellungen,

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die sich grundsätzlich der begriff lichen Artikulation entziehen („inexponible Vorstellungen“; siehe Kritik der Urteilskraft, § 57 [V, 342]), Schopenhauer ein Vorbild geliefert für die Fähigkeit der Kunst, Dinge zur Darstellung zu bringen, die diskursiv nicht zu vermitteln sind. Faßt man im Ausgang von Kants Erkenntniskritik und im Rückgriff auf seine Kritik ästhetischen Urteilens die ästhetische Ideenerkenntnis bei Schopenhauer als künstlerisch präsentierte Quasi-Erkenntnis der präindividuierten Welt als Vorstellung, dann schärft sich auch der Blick für die Distanz, die Schopenhauers Metaphysik der Kunst von der Ideenlehre Platons trennt. Für Platon haben die Ideen zusätzlich zu ihrer Funktion als Prinzipien der Bestimmtheit sinnlicher Gegenstände den Status von selber in bestimmter Gegenständlichkeit anschaulich präsenten, genauer: sich präsentierenden Formen, die Gegenstand von Wissen sind und die den eigentlichen und streng genommen den einzigen Gegenstand der Wissenschaft (ἐπιστήμη) ausmachen. Den in der Kunst ästhetisch präsentierten Ideen bei Schopenhauer fehlt aber die eigene gegenständliche Bestimmtheit ebenso wie die wissenschaftliche Darstellbarkeit. Auch in einer anderen, spezifisch kunstphilosophischen Hinsicht manifestiert sich ein nicht unerheblicher Unterschied zwischen Schopenhauers ästhetischer Ideenlehre und Platons Wissenschaft von den Ideen. Für Platon ist alle Kunst als nachahmende Darstellung (μίμησις) abbildlich auf die Einzeldinge bezogen und nicht etwa auf die Ideen. Daraus resultiert die ontologische Minderwertigkeit aller imitatorischen Kunst bei Platon, die, statt sich in philosophischer Absicht den Ideen zuzuwenden, nur die minderwertige Nachahmung der übersinnlichen, geistigen Wesenheiten durch die Sinnenwelt und die Sinnenwesen ihrerseits noch einmal zum Gegenstand nunmehr bestenfalls zweitrangiger Nachahmung macht. Mit der konstitutiven Ausrichtung der Kunst auf die Ideen unterläuft Schopenhauer die Platonische Kunstkritik und überbietet den diskursiv vermittelten Zugang der Wissenschaft zur Welt als Vorstellung durch den intuitiven, direkten Zugang der Kunst zu ihr. In völliger Verkehrung der Platonischen Verhältnisse sind bei Schopenhauer die Wissenschaften auf die raum-zeitlichen Abhängigkeitsrelationen der Einzeldinge bezogen und beschränkt, während gerade die Kunst hinter die Dinge in das Wesen der Welt als Vorstellung vorzudringen vermag. Einzig die Philosophie kann es bei Schopenhauer mit der aller Individualität – in ihren Grundformen als Temporalität, Spatialität und Rationalität –

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überlegenen Ansicht der Welt durch die Kunst aufnehmen. Wie die Kunst ist die Philosophie auf die Welt insgesamt und im ganzen bezogen und zielt ab auf die Darstellung der Welt als solcher. Allerdings unterscheiden sich Philosophie und Kunst im Hinblick auf Medium und Modalität der Darstellung der Welt, die bei der Philosophie diskursiv vermittelt und in unendlicher Annäherung erfolgt, während die Kunst mit ihrem intuitiven Zugriff auf die IdeenStruktur der Welt „überall am Ziel“ ist (W I/1, 239). Das der Kunst und der Philosophie im Grundsätzlichen gemeinsame imitatorisch-mimetische ebenso wie revelatorisch-apophantische Verhältnis zur Welt faßt Schopenhauer bevorzugt als „Wiederholung“ (siehe W I/1, 332). Philosophie und Kunst bieten beide eine Wiederholung der Welt, die eine im Begriff, die andere im Bild. Mit der gemeinsamen Wesensbestimmung von Kunst und Philosophie als Weltwiederholung hat Schopenhauer eine weitere Wendung weg von Platons Einschätzung der Kunst getan. Statt wie Platon die philosophisch-unkünstlerische Ideenerkenntnis dem künstlerisch-unphilosophischen Kopieren der Einzeldinge entgegenzustellen, überträgt Schopenhauer das Grundverständnis der Kunst als Nachahmung auf die Philosophie, die sich damit als Begriffskunst in der Nachahmung der Welt erweist. Schopenhauer selbst betont den Kunstcharakter der Philosophie in dessen spezifischer Verbindung von Intuitivitität und Artifizialität, wenn er die eigene Philosophie versteht und vorstellt als die künstliche diskursive Entfaltung einer einzigen unmittelbaren Grundeinsicht, die sich aber nicht als solche, sondern nur indirekt, über ihre diskursive Vermittlung mitteilen läßt (siehe hierzu Malter 1988). Mit der tendenziellen Assimilation der Philosophie an die Kunst geht auch Schopenhauers Grundeinschätzung des Geltungsmodus seines philosophischen Systems zusammen, der nicht in logisch zwingenden Beweisen und unkontroversen Evidenzen bestehen soll, sondern auf der quasi-experimentellen kumulativen Plausibilisierung einer metaphysischen Doppelhypothese – der Welt als Wille und als Vorstellung – beruht, die ihrerseits den Charakter einer gut begründeten, aber nicht eigentlich bewiesenen und auch gar nicht beweisbaren Analogie hat, mittels derer etwas Anthropomorphes, unsere Willensnatur, ins Kosmische extrapoliert wird („Welt als Makranthropos“ [W II/4, 753]). Die ästhetisch-affektive Erkenntnisrelation zwischen dem desindividuierten Subjekt und der überindividuellen Idee prägt auch Schopenhauers Systematik der Künste, die in der Tradition der Einteilung und Vergleichung der medial

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verschiedenen Künste steht, wie sie noch Kant vorgenommen hatte (siehe Kritik der Urteilskraft, § 51 [V, 320–330]). In Schopenhauers Rekonstruktion bilden die Künste eine aufsteigende Reihe, die nach dem zunehmenden Anteil der objektiven (Ideen-)Erkenntnis angeordnet ist. Am Beginn der Skala steht die Baukunst, die ganz um die einfachen Ideen von Schwere und Starrheit zentriert ist (siehe W I/1, 273–277), gefolgt von der künstlerischen Darstellung f lüssiger Materie durch Brunnen und Becken („schöne Wasserleitungskunst“ [W I/1, 277f.]). Den Übergang von der Darstellung der Ideen von starrer Materie zu denen von belebter Materie macht die künstlerische Landschaftsgestaltung („schöne Gartenkunst“) und daran anschließend die künstlerische Darstellung der tierischen Natur („Thiermalerei“, „Tierbildhauerei“ (W I/1, 278–280 [§ 44]). Den höchsten Grad an Objektivität repräsentiert für Schopenhauer die Wiedergabe „menschlicher Schönheit“ durch Skulptur und Historienmalerei (siehe W I/1, 280–295 [§§ 45–48]). Als religiös geprägte Übersteigerung der Historienmalerei jenseits konkreter geschichtlicher oder mythischer Begebenheiten versteht Schopenhauer die künstlerischen Gruppendarstellungen mit christlichen Heiligen – namentlich bei Raffael und Correggio –, die in bildlich-räumlicher Form die Aufhebung des Willens und damit die „Erlösung“ des Willens anschaulich machen sollen (W I/1, 294f.). An die Systematik der bildenden Künste schließt Schopenhauer die systematische Einschätzung der Dichtung („Poesie“) an (W I/1, 306). Während die bildenden Künste die ihnen jeweils zugrundeliegenden Ideen unmittelbar zur Anschauung zu bringen vermögen, ist die Dichtung, die durch Worte und damit diskursiv statt intuitiv operiert, auf die indirekte Evokation der anschaulichen Ideenerkenntnis angewiesen. Schopenhauer versteht dichterische Hilfsmittel wie Rhythmus und Reim als Verfahren zur gefühlsmäßigen Suspension des primär konzeptuellen Charakters der Sprache zugunsten von begriffsfreier Einstimmung und Einfühlung (siehe W I/1, 307). Den Stoff der Dichtung bildet für Schopenhauer der Mensch als solcher. Der eigentliche Gegenstand der Dichtung ist deshalb die „Erkenntnis des Wesens der Menschheit“ (siehe W I/1, 310), unabhängig von den zufälligen Umständen von Ort und Zeit. Unter den Dichtungsarten unterscheidet Schopenhauer die stark subjektive lyrische Dichtung („eigentliches Lied“ [W I/1, 314]) von der überwiegend objektiven Dichtung in Roman und Epos. Als am meisten objektive Dichtungsform gilt ihm das Drama und speziell die Tragödie („Trauerspiel“ [W I/1, 318]), in der

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der „Widerstreit des Willens mit sich selbst“ samt der Selbstaufgabe des Willens zur sinnfälligen Darstellung gelangen kann. Im Zentrum der dramatischen Kunst steht für Schopenhauer immer ein „großes Unglück“, das auf drei Arten und Weisen herbeigeführt werden kann: durch die außerordentliche Bosheit eines Charakter (wie in der Person Richards III. bei Shakespeare), durch Zufall oder Irrtum (wie im Fall des Ödipus des Sophokles) oder durch die „bloße Stellung der Personen gegeneinander“ (wie in Goethes Clavigo). Dem letzten Fall, bei dem der tragische Konf likt aus dem Tun und den Charakteren der Menschen „leicht und von selbst“ entsteht, spricht Schopenhauer die größte Wirkung auf die ästhetisch beabsichtigte resignative Wende der Zuschauenden zu (siehe W I/1, 320f.).

8.3 Die systematische Einheit von Musik und Welt (W I, § 52) Die von Schopenhauer geltend gemachte Verwandtschaft von Kunst und Philosophie scheint an ihre Grenzen zu stoßen beim systematischen Übergang der Philosophie von der Betrachtung der Welt als Vorstellung zu ihrer Betrachtung als Wille. Zwar soll die Kunst im Medium der Ideen auch den willensbewegten, Lust und Leiden mit sich bringenden Charakter des Willens zur anschaulichen Darstellung bringen können. Schopenhauer betont insbesondere die Befähigung der tragischen Kunst („Trauerspiel“) zur Darstellung des Leidens wie zur Darstellung der aus dem Leiden erwachsenden Resignation (siehe W I/1, 318–321). Die antike und moderne Tragödie wird dadurch für Schopenhauer zu einer ästhetischen Propädeutik der Ethik der Willensverneinung. Doch ist für die Kunst insgesamt einschließlich der Tragödie ein Element von ästhetischer Distanz konstitutiv, ohne das Kunst und Leben unterschiedslos zusammenfielen, durch das Kunst und Leben aber auch auf immer getrennt bleiben. Doch die grundsätzliche Getrenntheit vom Leben bei aller imitatorisch-revelatorischen Bezogenheit darauf gilt außer für die Kunst auch für die Philosophie. Die transzendentale Theorie von der Welt als Wille und als Vorstellung ist durchweg auf die Welt im Modus der Nachbildlichkeit bezogen. Die Wiederholung der Welt im Begriff umfaßt dabei auch die Ethik im vierten Buch der Welt als Wille und Vorstellung, in der die Willensbejahung und die Willensverneinung theoretisch präsentiert werden, ohne daß damit der Anspruch auf direkte

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ethische Wirkung beim Leser verbunden wäre. Ganz im Gegenteil betont Schopenhauer die Unmöglichkeit, durch moralische Theorie Moralität zu befördern (siehe W I/2, 343). Erst die von jedem selbst und eigenständig zu leistende Befreiung des Intellekts vom Willen in der gelebten Philosophie des asketischen Ethos hebt den Abstand, den die philosophische Erkenntnis zum Leben hält, auf. Doch zielt die asketische Lebenspraxis gerade auf die Verneinung des Willens zum Leben und damit auf die Verneinung des Lebens selbst. Mit der Distanz zum Leben hebt die ethisch gewordene philosophische Ethik tendenziell das Leben selbst auf. Den sich doppelt entziehenden Willen, der in der ästhetischen Darstellung theoretisch distanziert bleibt, während er im ethischen Leben praktisch verneint wird, glaubt Schopenhauer aber doch noch der Kunst vindizieren zu können, indem er das metaphysische Wesen und die ästhetische Wirkung einer Kunstform – der Musik – vor der Leistungsfähigkeit der anderen Künste mit Emphase und Empathie auszeichnet. Für Schopenhauer ist der Unterschied zwischen der Musik und den anderen Künsten kein bloß äußerlicher, der sich in der Differenz des Mediums und des Materials erschöpfte. Vielmehr soll die Kreation wie die Konsumption der Musik ganz anders geartet sein als die ästhetische Produktion und Rezeption in den anderen Künsten. Doch bei aller spezifischen Differenz der Musik gegenüber den anderen Künsten, die Schopenhauer geltend macht, betont er auch die generische Identität aller Künste, einschließlich der Musik, in ihrem „nachbildlichen Verhältnis“ zur Wirklichkeit (siehe W I/1, 322). Für Schopenhauers Philosophie der Musik stellt sich damit die doppelte Aufgabe, die Musik spezifisch von aller anderen Kunst zu unterscheiden, ohne ihren grundsätzlich imitatorischen Charakter zu vernachlässigen. Die von ihm entwickelte Lösung des ästhetischen Problems der Musik trägt Schopenhauer wiederum, wie seine ganze Philosophie und ihre Hauptbestandteile, nicht apodiktisch und mit dem Anspruch auf völlige Gewißheit vor, sondern im deliberativen Modus einer ihm zuteil gewordenen ursprünglichen Einsicht, die sich durch ihre explanatorische Leistungsfähigkeit vor etwaigen anderen Erklärungen der Wesens- und Wirkungsart der Musik auszeichnet und empfiehlt (siehe W I/1, 323). Das Spezifische der Musik als Kunst ist, so Schopenhauer, darin zu sehen, daß das abbildliche Verhältnis der Musik nicht der Welt als solcher gilt, sondern dem der Welt zugrundeliegenden und in ihr erscheinenden Willen selbst. Bemerkenswert an dieser Identifikation des spezifischen Gegenstandes musikali-

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scher Mimesis ist, daß die Absetzung der Musik von den anderen Künsten nicht unter Rückgriff auf die zentrale Unterscheidung der Welt als Vorstellung von der Welt als Wille erfolgt. Schopenhauer trägt damit dem Umstand Rechnung, daß nicht etwa nur die Welt als Vorstellung, sondern durchaus auch die Welt als Wille Gegenstand der imitatorischen Darstellung durch die anderen Künste sein kann – dann nämlich, wenn sich die künstlerische Imitation im Medium der Ideen auf die willensbestimmte Konf liktualität des Weltgeschehens bezieht, wie dies paradigmatisch in der Tragödie der Fall ist. In formaler Hinsicht macht Schopenhauer die spezifische Differenz der Musik von den anderen Künsten am Fehlen der imitatorischen Beziehung zu den Ideen im Fall der Musik fest (siehe W I/1, 324). Alle anderen Künste beziehen sich nachbildend auf die Ideen als die Welt gegenständlich strukturierende Prinzipien. Sie referieren damit mittelbar, vermittels der Ideen, auf die Welt. Einzig die Musik umgeht die Ideen und damit auch die von diesen strukturierte Welt, um in ein abbildliches Verhältnis zu etwas ganz anderem als der Welt und ihren Ideen zu treten, dem Willen selbst. Zwar ist auch der Wille auf die Welt bezogen, indem er in ihr erscheint – so wie umgekehrt auch die Welt auf den Willen bezogen ist, nämlich als dessen Erscheinung. Doch ist der Wille selbst und als solcher bei Schopenhauer unabhängig von der Welt. Weder geht er in ihr als seiner Erscheinung auf, noch ist sie mit ihm als ihrem heimlichen Wesen identisch. Natürlich ist sich Schopenhauer darüber im klaren, daß die Musik nicht einfach oder nicht eigentlich etwas derart Ungegenständliches und Unverfügbares wie den Willen selbst und als solchen abzubilden vermag. Schopenhauer modifiziert deshalb die generische Beschreibung der Kunst als Nachahmung, indem er für den Sonderfall der Musik und ihres darstellerischen Verhältnisses zum Willen keine absichtliche Nachahmung geltend macht, sondern ein Verhältnis von Manifestation – der Manifestation des Willens in der Musik und als Musik. Doch dann besteht auch ein Verhältnis der „Analogie“ oder des „Parallelismus“ (W I/1, 324) zwischen dem kleinen, musikalischen Manifestationsverhältnis des Willens in der Musik und als Musik und dem großen, kosmischen Manifestationsverhältnis des Willens in der Welt und als Welt. In beiden Fällen erscheint der Wille außerhalb seiner und doch als er selbst – sozusagen im Bild, im Kleinbild der Musik und im Großbild der Welt.

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Somit ergibt sich eine doppelte Referenz der Musik als Kunst. Ihr „Objekt“ oder ihren Gegenstand hat die Musik im Willen, der sich in ihr manifestiert, so daß sie als sein unmittelbares „Abbild“ gelten kann (siehe W I/1, 331 bzw. W I/1, 330). Doch hat sie zusätzlich zu dieser direkten Referenz auf den Willen eine indirekte, vermittelte Referenz auf die Welt, insofern die Musik wie die Welt eine Erscheinung oder Manifestation des Willens ist. Der Wille fungiert so als der „Vergleichungsspunkt“ von Musik und Welt, die als parallel fungierende und deshalb in Analogie zueinander stehende Manifestationsweisen des Willens anzusehen sind (siehe W I/1, 322f.). Die exorbitante, metaphysisch zu nennende Stellung der Musik bei Schopenhauer besteht demnach in ihrer Gleichursprünglichkeit mit der Welt. Wenn für Schopenhauer alle Kunst schon die „eigentlich metaphysische Thätigkeit“ des Menschen repräsentiert, dann ist die Musik als exzeptionelle Kunst zugleich die Kunst par excellence oder die eigentlich metaphysische Kunst. Denn anders als die übrigen Künste ist sie der Welt nicht imitatorisch nachgeordnet im mimetischen Medium der Ideen, sondern ihr gleichgestellt als gleichermaßen ursprüngliche Erscheinung des Willens, als Musik-Welt und Welt-Musik, wie man sie im Licht von Schopenhauers Auffassung und Darstellung nennen könnte. Ja Schopenhauer geht einmal sogar so weit, die Musik der Welt nicht nur bei- und zuzuordnen, sondern sie ihr über- und vorzuordnen, insofern die Musik das unmittelbare Abbild des Willens darstellt und damit dem Willen noch näher steht als die Welt mit ihren multiplen Objektivationen des Willens: „Man könnte demnach die Welt eben so gut verkörperte Musik als verkörperten Willen nennen“ (VMSch, 222).

8.4 Die systematische Einheit von Wille und Vorstellung (W I, § 52; W II, Kap. 39) Schopenhauer entwickelt seine dezidiert metaphysische Deutung der Musik als weltparalleler Willensmanifestation aus der allgemeinen Perspektive ästhetischer Erfahrung und speziell im phänomenologischen Rückgriff auf die besondere Wirkungsweise der Musik. Im Hinblick auf den ästhetischen Effekt der Musik stellt Schopenhauer fest, „daß sie (sc. die Musik) auf den Willen, d. i. die Gefühle, Leidenschaften und Affekte des Hörers, unmittelbar einwirkt“ (W II/4, 527). Schopenhauer sieht in der allgemeinen affektiven Betroffenheit

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durch die Musik – ihrer tiefen Wirkung auf den menschlichen Willen – ein Anzeichen ihrer besonderen und exklusiven Nähe zum Willen selbst und als solchem. Bei der Musik wirkt, nach Schopenhauers Einschätzung, der in und als Musik manifest gewordene Wille unmittelbar, ohne das Dazwischentreten vermittelnder Erkenntnisse und insbesondere ohne die Vermittlung der Ideen, auf den Willen des Subjekts der musikalischen Erfahrung. Trotz ihrer konstitutiven Unmittelbarkeit ist die ästhetische Wirkung der Musik aber nicht unbestimmt und undifferenziert. Vielmehr macht es, so Schopenhauer, gerade die besondere Wirkungsweise der Musik aus, daß in ihr ein deutlich differenzierter Wille zur Wirkung gelangt. Dabei entspricht der mannigfaltigen Ausgestaltung des Willens selbst als menschlichem Willen zu pluralen, ja infiniten Willensmodifikationen oder Gefühlen – wie Freude oder Traurigkeit – eine analoge Wirkung im willensgestimmten Rezipienten von Musik, in dem sie solche differenzierten Gefühlszustände induziert. Wegen ihrer Rolle als vielgestaltiger Vermittlerin von Gefühlen aller Art und ihrer Befähigung, dies unmittelbar und allgemein zu leisten, vergleicht Schopenhauer die Musik mit einer begriffslosen Universalsprache, die verstanden werden kann, ohne daß sie adäquat in eine andere Art und Weise des Ausdrucks übersetzt werden könnte (siehe VMSch, 222f.; siehe auch W I/1, 329). Allerdings ist – nach Schopenhauers Einschätzung – die affektive Bestimmtheit der Musik und damit die von ihr bewirkte affektive Erfahrung nicht völlig identisch mit den analogen außermusikalisch bewirkten Willensregungen. Die musikalischen Willensbestimmungen sind zwar in formaler Hinsicht bestimmt, aber inhaltlich unbestimmt oder leer. Insbesondere fehlt den musikalischen (Quasi-)Emotionen die gegenständliche Bestimmtheit oder die intentionale Objektivität der Gefühle. Wenn die Musik Freude oder Trauer bewirkt und aufgrund dieser Wirkung mit gutem Grund als deren Ausdruck angesehen wird, dann ist dies nicht bestimmte Freude oder Trauer in Hinblick auf einen bestimmten Sachverhalt, sondern das generische Gefühl der Trauer oder der Freude. Für Schopenhauer reduzieren sich deshalb die musikalischen Gefühle auf die Struktur von Gefühlen, so daß die Musik in ihrer Gefühlsdimension als „bloße Form, ohne den Stoff“ und als „Geisterwelt, ohne Materie“ anzusehen ist (siehe W II/4, 529). Doch die Differenz der musikalischen Willensbestimmungen zu den außermusikalischen Willensmodifikationen ist nicht auf den Unterschied von

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Vollgefühlen und Formgefühlen beschränkt. Als von den wirklichen Gefühlen losgelöste Formen des Fühlens sind die musikalischen Gefühlsformen auch nichts mehr, das, wie die wirklichen Gefühle, wirklich gefühlt werden könnte. Vielmehr werden die musikalischen Quasigefühle erkannt, sind also Gegenstand des Vorstellung und insofern der Welt als Vorstellung zuzuordnen. Damit bestätigt sich einmal mehr die Analogie der Musik mit den anderen Künsten, an der Schopenhauer trotz der Dissoziation der Musik von der Ideenerkenntnis festhält: „Wir sehn also hier die Willensbewegungen auf das Gebiet der bloßen Vorstellung hinübergespielt, als welche der ausschließliche Schauplatz der Leistungen aller schönen Künste ist; da diese durchaus verlangen, daß der Wille selbst aus dem Spiel bleibe und wir durchweg uns als rein Erkennende verhalten“ (W II/4, 531). Nur die ästhetische Angleichung der Musik an die anderen Künste und die damit verbundene Einziehung der ästhetischen Differenz von künstlerisch abgebildeter Welt und weltwiedergebendem Bild verhindert, daß die musikalischen Willensmodifikationen unmittelbar den Willen affizieren und so außerästhetisch – als wirkliche Gefühle – wirken. Die Musik als Kunst hat es deshalb nicht mit gefühlten Gefühlen, sondern nur mit vorgestellten oder erkannten Gefühlen zu tun. Kunstmusik bietet immer nur fingierte Gefühle und führt auch immer nur zu fiktiver Emotionalität. Nach Schopenhauers Einschätzung ersetzt dabei die emotionale Fiktionalität der Musik die wirklichen Gefühle durch künstliche, künstlerisch nachgebildete Gefühle: „Daher dürfen die Affektionen des Willens selbst, also wirklicher Schmerz und wirkliches Behagen, nicht erregt werden, sondern nur ihre Substitute, das dem Intellekt Angemessene, als Bild der Befriedigung des Willens, und das jenem mehr oder weniger Widerstrebende, als Bild des größern oder geringern Schmerzes“ (W II/4, 531). So ist die Musik bei Schopenhauer zwar das Abbild des Willens als solchem und insofern die eigentlich metaphysische Kunst, aber dabei doch immer nur das Abbild des Willens und insofern – wie alle Kunst – vom Leben und seinem endlosen Alternieren von Lust und Leiden verschieden und geschieden. Die ästhetische Reduktion der Gefühle auf deren kognitive Substitute in Gestalt generischer Gefühlsformen verleiht der Musik bei Schopenhauer einen formalen Fokus, der dem deklarierten inhaltlichen Abzielen der Musik auf den Willen durchaus die Waage hält. Zum ergänzenden und ausgleichenden Verständnis der Musik als Form gehört auch der von Schopenhauer geltend

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gemachte konstitutive Wiederholungscharakter der Musik. Für Schopenhauer wiederholt die Musik als solche nicht nur die Welt als solche in ästhetischer Spiegelung, auch innermusikalisch ist die Musik zutiefst vom Formprinzip der Wiederholung geprägt. Schopenhauer selbst erinnert an die Da capo-Form in Arien und anderen musikalischen Satzformen (siehe W I/1, 331f.). Aber auch in weiterer und wesentlicherer Hinsicht wäre die Musik in Schopenhauerischer Perspektive als Wiederholungskunst par excellence anzusehen: im Hinblick auf den Formverlauf der finalen Rückkehr des Beginns, im Hinblick auf die Praxis multipler Aufführung desselben Werks, im Hinblick auf das gesamte Repertoirewesen des musikalischen Betriebs, vor allem aber im Hinblick auf den Grundcharakter der Musik, mit minimalen Mitteln – klassischerweise mit einem Dutzend unterschiedlicher Töne und zwei Tongeschlechtern, ausnahmsweise mit „zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“ (A. Schönberg) – immer anders, aber niemals ohne den Rückgriff auf das gleiche Material, eine hochdifferenzierte Welt der Klänge entstehen zu lassen. Auch darin ähnelt die Musik der wirklichen Welt, in der es sehr bunt zugehen mag, die aber eigentlich mit ganz wenigen Farben und Formen gemalt ist. So erweist sich Schopenhauers Philosophie der Musik in ihrer Begründung des musikalischen Ausdrucks von Gefühlen sowie von deren Erregung mit musikalischen Mitteln als eigentümlich entfernt von Emotionalität und wesentlich auf musikalische Formverläufe und speziell auf die verändernde Wiederholung oder „entwickelnde Variation“ (A. Schönberg) als Kunstprinzip von Musik ausgerichtet. Damit zeichnet sich aber – jenseits der evidenten Wirkung von Schopenhauers Kunst- und Musikdenken auf den metaphysischen Kunstkult Nietzsches – eine klandestine Affinität oder doch Kompatibilität von Schopenhauers Metaphysik der Musik mit der scheinbar ganz entgegengesetzten ästhetischen Position ab, die zusammen mit der Ton-Deutung Schopenhauers das Denken über Musik und in Musik im weiteren Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts und bis in das zwanzigste Jahrhundert hinein geprägt hat: dem radikalen Formalismus von Eduard Hanslick in dessen maßgeblicher Abhandlung Über das Musikalisch-Schöne aus dem Jahr 1854, demzufolge der spezifisch ästhetische Inhalt der Musik „tönend bewegte Formen“ sind (Hanslick 1976, 32; im Original Hervorhebung). Ganz so wie Hanslicks formalistische Bestimmung der Musik als Kunst die ergänzende Berücksichtigung des „geistigen Gehalts“ der Musik erlaubt und sogar vorsieht (siehe Hanslick 1976, 103 [„Vindication

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G Z

des geistigen Gehalts“]), ermöglicht und verlangt Schopenhauers metaphysische Bestimmung der Musik die Vervollständigung durch die artistische Auffassung der Musik als Form.3 Dem metaphysischen Doppelcharakter der Musik als Wille und Vorstellung entspricht so ihr ästhetischer Doppelcharakter als Gefühl und Form. Literaturverzeichnis Adorno, Theodor W. 1993: Beethoven. Philosophie der Musik. Fragmente und Texte. Hrsg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt/M. D’Alfonso, Matteo Vincenzo 2008: Schopenhauers Kollegnachschriften der Metaphysik- und Psychologievorlesungen von G. E. Schulze (Göttingen, 1810–11), Würzburg. Fichte, Johann Gottlieb 1962: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Hrsg. von Reinhard Lauth u. a., Stuttgart-Bad Cannstatt. Fichte, Johann Gottlieb 1996: Züricher Vorlesungen über den Begriff der Wissenschaftslehre. Februar 1794. Nachschrift Lavater. Hrsg. von Erich Fuchs, Neuried. Hanslick, Eduard 1976: Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Ästhetik der Tonkunst, Leipzig 1854. Nachdruck Darmstadt. Kant, Immanuel 1900: Gesammelte Schriften. Hrsg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften (Bd. 1–22), der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (Bd. 23) und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (ab Bd. 24), Berlin, später Berlin/New York. Malter, Rudolf 1988: Der eine Gedanke. Hinführung zur Philosophie Arthur Schopenhauers, Darmstadt 2 2010. Malter, Rudolf 1991: Arthur Schopenhauer. Transzendentalphilosophie und Metaphysik des Willens, Stuttgart-Bad Cannstatt. Nietzsche, Friedrich 1999: Kritische Studienausgabe. Hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Berlin/New York. Zöller, Günter 1996: Schopenhauer und das Problem der Metaphysik. Kritische Überlegungen zu Rudolf Malters Deutung, in: Schopenhauer-Jahrbuch 77, 51–63. – 2003: Arthur Schopenhauer, in: Sorgner, Stefan/Fürbeth, Oliver (Hrsg.): Musik in der deutschen Philosophie. Eine Einführung, Stuttgart/Weimar, 99–114. – 2011: Die Musik als Wille und Vorstellung, in: Koßler, Matthias (Hrsg.): Musik als Wille und Welt. Schopenhauers Philosophie der Musik, Würzburg, 15–30.

3 Zur heimlichen Affinität von Schopenhauer und Hanslick siehe Zöller 2003, 109f.

9 Michael Hauskeller

Schopenhauers Leidensethik (W I, §§ 53–59)

9.1 Die Ethik kann Handeln immer nur beschreiben, aber niemals vorschreiben (§ 53) In der Vorrede zur ersten Auf lage seines Hauptwerks erklärt Schopenhauer, daß dieses der Mitteilung nur eines einzigen Gedankens diene. Welcher Gedanke das sei, verrät er uns allerdings nicht, aber man darf annehmen, daß es eben das ist, was wir im Titel des Werks ausgedrückt finden, nämlich daß die Welt Wille und Vorstellung ist – oder, wie es Rudolf Malter (1991) in seinem Standardwerk zu Schopenhauers Philosophie ausdrückt, daß die Welt die Selbsterkenntnis des Willens ist. Die vier Bücher des Werks entfalten diesen einen Gedanken, und zwar jeweils von einer unterschiedlichen Warte aus. Das erste Buch handelt vom Wissen und Erkennen und wie dieses notwendig dem Satz vom Grund gehorcht und uns damit verleitet, die Welt als etwas mißzuverstehen, was sie nur ihrer Erscheinung nach, aber eben nicht ihrer wahren Natur nach ist. Im zweiten Buch richtet sich die Aufmerksamkeit dann darauf, wie die Welt wirklich ist, ihrem innersten Wesen nach, und wie sich das in den Erscheinungen der Welt niederschlägt. Das dritte Buch widmet sich der Ästhetik (das heißt, einer Betrachtungsweise, die nicht mehr dem Satz vom Grund unterworfen ist und somit dem wahren Wesen der Dinge näher steht), und das vierte schließlich der Ethik, das heißt der Frage, was all das für das Tun des Menschen bedeutet.

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Nun erwarten wir gewöhnlich, daß uns die Ethik etwas darüber verrät, was wir tun sollen, das heißt, wir erwarten von ihr, daß sie uns dabei hilft, im Zweifel die richtige Handlungsentscheidung zu treffen. Gerade diese Erwartung aber weist Schopenhauer gleich zu Beginn des Buches zurück. Wenn die Ethik den Versuch unternimmt, handlungsleitend zu werden, also Menschen vorzuschreiben, was sie zu tun haben, dann ist sie zum Scheitern verurteilt. Alles, was der Philosoph machen kann, ist die Welt, so gut er eben kann, beschreiben. Insofern ist alle Philosophie, einschließlich der üblicherweise als praktische Philosophie geltenden Ethik, theoretisch. Das darf man aber nicht so verstehen, daß es unmöglich wäre, durch das, was man sagt oder tut, das Verhalten anderer Menschen zu beeinf lussen. Daß dies möglich ist, steht außer Frage. So können wir etwa Menschen dazu motivieren, einander nicht umzubringen, indem wir ihnen empfindliche Strafen androhen, sollten sie es doch tun. Das kann durch das Gesetz geschehen (Gefängnisstrafen oder gar die Todesstrafe), durch Religion (ewige Höllenqualen) oder anderswie (etwa soziale Ächtung). Ebenso kann man Belohnungen in Aussicht stellen für moralkonformes Verhalten. Oder es kann eine Situation so lebendig geschildert und damit so nachdrücklich ins Bewußtsein gerufen werden, daß wir uns zum Handeln genötigt fühlen, etwa wenn wir mit Bildern von verhungernden Kindern konfrontiert werden und uns daraufhin zu einer Spende bereitfinden. Wenn aber einer versucht, uns durch eine Reihe von klugen, vermeintlich logisch zwingenden Argumenten nachzuweisen, daß ein bestimmtes Verhalten moralisch falsch und eben darum zu vermeiden sei, dann läßt uns das völlig kalt, es sei denn, wir wären schon vorher dieser Meinung gewesen, oder besser gesagt, wir hätten es schon vorher als falsch empfunden. Die Tugend ist, wie schon Sokrates feststellen mußte, nicht lehrbar, und die Menschen sind, wie sie sind: Sie lassen sich nicht durch Ethik (oder sonst irgendwie) besser machen (genauso wenig wie einer zum Künstler wird dadurch, daß er viele Bücher über Kunst liest). Um sie besser zu machen, müßte man mehr als bloß ihr Handeln ändern. Tatsächlich müßte man ihr Wollen ändern. Nun ist aber ja dieses Wollen in Schopenhauers Verständnis identisch mit der Person selbst. In meinem Wollen kommt mein innerstes Wesen zur Erscheinung. Aus meinem Handeln hingegen läßt sich nicht unmittelbar ableiten, wer und was ich bin. Obwohl sich mein Wille zweifellos in meinem Handeln ausspricht, ist dieses doch auch durch die Umstände bestimmt, so daß ein und derselbe Wille sich in unterschiedlichen Handlungskontexten in unterschiedlicher Weise mani-

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festieren kann, so wie verschiedene Willen in derselben Weise des Handelns. Ich muß also erst die ganze Situation kennen, um aus seinem Handeln den Menschen erkennen zu können. So kann man Gutes tun, ohne ein guter Mensch zu sein (etwa weil man sich davon einen Vorteil verspricht), und Schlechtes tun, ohne ein schlechter Mensch zu sein (etwa weil man sich über die Umstände täuscht und fälschlich glaubt, es sei das Richtige). In meinem Wollen aber zeige ich mich immer ganz unverstellt. Wie ich will, so bin ich. Daran ist nichts zu ändern. Um anders zu wollen, müßte ich ein anderer sein. Ich kann aber kein anderer werden, nicht nur weil dies logisch widersprüchlich wäre, sondern auch, weil dazu die Zeit wirklich sein müßte, was sie aber, wie Schopenhauer im ersten Buch nachgewiesen zu haben glaubt, nicht ist. Eine echte Entwicklung des Charakters kann es darum gar nicht geben. Was auch immer wir sind, das waren wir auch immer und werden wir auch immer sein. Darum hat es keinen Sinn, Vorschriften für das Wollen zu erlassen und uns zu erklären, wie wir wollen sollen. Ein Philosoph, der dies versucht, mißversteht seine eigene Aufgabe. Was dem Philosophen zu tun aufgegeben ist, ist die Welt zu beschreiben und in ihrem Wesen zu verstehen. Dazu gehört aber auch das Handeln der Menschen, dem dieses vierte Buch von Schopenhauers Hauptwerk gewidmet ist. Es wird also darum gehen zu verstehen, was Menschen tun und warum sie es tun, das heißt, was sie faktisch antreibt, in bestimmter Weise zu handeln. Um diese Frage zu beantworten, muß man sich anschauen, was Menschen begehren und fürchten, hochschätzen und geringschätzen, für gut und für schlecht halten, denn das ist es ja, woran sie sich in ihrem Handeln orientieren. Ferner muß man untersuchen, warum sie es tun, das heißt, welche Überzeugungen solchen Einschätzungen zugrundeliegen und ob diese Überzeugungen zurecht bestehen. Eine in ihrer Bedeutung für unser Handeln kaum zu überschätzende, grundlegende Überzeugung ist nun die, daß der Tod ein Übel sei und das Leben ein Gut, und es ist diese doppelte Überzeugung, die Schopenhauer in den folgenden Paragraphen genauer in den Blick nehmen wird.

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9.2 Dem Willen zum Leben ist das Leben gewiß (§ 54) Nach allem, was wir wissen, ist mit dem Tod alles zu Ende. Wenn wir sterben, hören wir auf zu sein. Wir kehren zurück in die Nicht-Existenz, aus der wir auch gekommen sind. Die Aussicht aber, irgendwann, und zwar recht bald, nicht mehr zu existieren, ängstigt uns. Wir klammern uns ans Sein, was sich nach Schopenhauer daraus erklärt, daß wir unserem innersten Wesen nach Wille sind. Der Wille nämlich ist immer Wille zum Leben, weil zum Willen notwendig die Bejahung der eigenen Existenz gehört. In der Angst vor dem Tod drückt sich also unser innerstes Wesen aus. Gleichwohl ist die Furcht vor dem Ende, so sehr sie auch der Natur des Willens gemäß ist, ganz und gar unberechtigt, weil diese Furcht auf einer Verwechslung von Erscheinung und Wirklichkeit beruht. Tatsächlich ist ja die Zeit nur, wie bereits Kant gezeigt hatte, eine reine Anschauungsform, das heißt eine Weise, wie uns die Welt erscheint. Das wahre Wesen der Dinge bleibt von der Zeit unberührt. Veränderung, Werden und Vergehen gibt es also nur dem Anschein nach, für ein erkennendes Subjekt, aber nicht an sich. Wenn wir aber wesentlich Wille sind, der Wille aber nicht der Zeit unterworfen ist, so daß er auch nicht entstehen und vergehen kann, dann können auch wir nicht wirklich entstehen und vergehen. Der Wille, das heißt die Lebenskraft, die in uns wirkt und von deren Gestalten wir eine sind, ist unsterblich, und insofern sind auch wir unsterblich. Schopenhauer nennt dies im zweiten Band seines Hauptwerks, in dessen 41. Kapitel er diese Lehre weiter ausführt, „zeitliche Unsterblichkeit“ (W II/4, 561).1 Das darf man aber nicht so verstehen, daß wir eine unendliche Zeit hindurch (also vor unserer Zeugung) gänzlich unbewußt existiert haben, gewissermaßen als nackter, blinder Wille, dann für eine kurze Zeit eine bestimmte Gestalt annehmen und zu einem erkennenden Subjekt geworden sind, um dann (nach dem Tod) für eine zweite Ewigkeit wieder als bewußtloser Wille fortzuexistieren. Das würde ja wieder eine Veränderung und somit Zeit voraussetzen. Stattdessen werde ich immer sein, was ich jetzt bin: nicht nur Wille, sondern ein erkennendes Subjekt. Es ist das Bewußtsein selbst, das wir nicht verlieren können, und zwar aus folgendem Grund: Weil die Welt, die wir kennen, also die Welt der Erscheinung, nicht für sich besteht, sondern nur ein „Spiegel des 1 Eine ganz ähnliche Theorie zeitlicher Unsterblichkeit hat in jüngerer Zeit ohne Bezug auf Schopenhauer und ohne Rückgriff auf eine Metaphysik der Zeitlosigkeit Arnold Zuboff (1990) entwickelt.

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Willens“, also die Art und Weise ist, wie der Wille seiner selbst bewußt wird, muß sie notwendig mit dem Willen zusammen existieren. Die Welt wiederum kann aber nicht sein ohne ein sie wahrnehmendes Subjekt. Die Welt ist nicht einfach da und wird dann, so wie sie da ist, von jemandem wahrgenommen. Vielmehr wird sie erst geschaffen in der Wahrnehmung, wie auch umgekehrt der Wahrnehmende erst geschaffen wird durch die Welt, die er wahrnimmt. Subjekt und Objekt der Wahrnehmung bedingen sich also gegenseitig. Keines von beiden kann ohne das andere sein, der Erkennende nicht ohne das Erkannte und das Erkannte nicht ohne den Erkennenden. Anderes zu behaupten wäre so, als behaupte man, daß es Eltern auch ohne Kinder geben könne. So wie Eltern, nämlich als Eltern, nur im Verhältnis zu ihren Kindern existieren und umgekehrt, so existiert das Erkenntnis- und Wahrnehmungssubjekt nur im Verhältnis zu einem Erkenntnis- und Wahrnehmungsobjekt, und dieses wiederum nur im Verhältnis zu einem erkennenden und wahrnehmenden Subjekt. Wenn aber nun der Wille ewig ist und die Welt den Willen notwendig begleitet (als dessen Spiegel), das Bewußtsein aber die Welt notwendig begleitet, als der „Zuschauer aller Erscheinungen“ (W I/2, 348), dann ergibt sich, daß das Bewußtsein ebenso unvergänglich ist wie der Wille. Dies erklärt auch, warum es uns gewöhnlich so schwer fällt, uns unseren eigenen Tod vorzustellen. Wir zweifeln zwar nicht wirklich daran, daß wir sterben müssen, weil dies, nach allem, was wir wissen, eben der Lauf der Dinge ist, aber die Gewißheit bleibt doch rein theoretisch, weil es uns nämlich zugleich auch unmöglich erscheint, daß wir irgendwann einmal nicht mehr sein werden. Wir sind uns gewissermaßen selbst so wirklich, daß wir den Gedanken unserer Nichtexistenz niemals konkret zu fassen vermögen. Das hat nun auch damit zu tun, daß sich der eigene Tod, so wie er sich uns in der Erscheinung darstellt, kaum widerspruchsfrei denken läßt. Es kommt uns ja so vor, als würde, wenn wir sterben, die Welt weiterbestehen, und zwar deshalb, weil wir aus Erfahrung wissen, daß die Welt weiterbesteht, wenn andere sterben. So denken wir uns selbst aus der Welt fort. Wenn wir aber näher darüber nachdenken, finden wir, daß das gar nicht möglich ist. Die Welt ist doch da für uns, und wenn wir nicht mehr sind, wie kann dann die Welt weiterbestehen? Für uns werden ja nicht nur wir verschwunden sein, sondern auch die Welt mit uns, und wenn die Welt für uns verschwunden ist, ist sie dann nicht in einem gewissen Sinne ganz verschwunden? Daß die Welt ohne uns weiterbesteht, scheint deshalb gar nicht möglich

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zu sein. Ebenso unmöglich aber scheint es zu sein, daß die Welt mit uns untergeht. Also bleibt nur die Möglichkeit, daß weder wir noch die Welt untergehen und daß somit sowohl die Welt als auch wir immer da sind. Die Gegenwart ist darum für uns unverlierbar: sie wird niemals Vergangenheit sein und uns immer begleiten. Könnten wir jemals nicht sein, so wären wir es schon.2 Der Tod ist also nicht wirklich. Daß der Tod in diesem Sinne nichts bedeutet, läßt sich auch daran erkennen, daß die Natur selbst keinerlei Wert auf das Individuum zu legen scheint. Wir werden geboren, pf lanzen uns fort, sterben. Der Einzelne dient der Erhaltung der Art. Darin scheint sich sein ganzer Zweck zu erfüllen. Schopenhauer rät nun, daß wir uns diese offensichtliche Gleichgültigkeit der Natur zum Vorbild nehmen. Die Natur zeigt uns die Wahrheit an. Der Tod bedeutet nichts. Ihn aufhalten, gar überwinden zu wollen, wäre so, als würde man seinen Kot aufbewahren wollen. Die Art allein ist wirklich, der einzelne nur ein Abfallprodukt oder ein f lüchtiger Traum. Für die Ethik wirft eine solche Sichtweise jedoch ein Problem auf, das Schopenhauer merkwürdigerweise gar nicht zur Sprache bringt. Wenn das Leben des einzelnen nichts zählt, erstens weil der einzelne in Wahrheit gar nicht oder eben nur in der Erscheinung existiert und zweitens weil sein Tod auch nur in der Erscheinung stattfindet und sein eigentliches Wesen gar nicht betrifft, dann scheint es auch für uns keinen Grund zu geben, dem Leben des einzelnen irgendeinen Wert beizumessen. Warum sollte es dann noch als falsch gelten, einen Menschen zu töten? Und in der Tat legt Schopenhauer eine solche Sichtweise nahe, wenn er beifällig aus dem Bhagavat Gita die Episode nacherzählt, wie Ardschuna zunächst sein Heer zurückziehen möchte, um den Tod so vieler Menschen in der Schlacht zu verhüten, um dann von Krischna auf den richtigen Standpunkt gestellt zu werden, woraufhin er das Zeichen zur Schlacht gibt, da ihn „der Tod jener Tausende“ nun „nicht mehr aufhalten“ kann (W I/2, 358). Ironischerweise nennt Schopenhauer diesen Standpunkt den der „gänzlichen Bejahung des Willens zum Leben“ (W I/2, 359). Die Alternative hierzu wäre die gänzliche Verneinung des Willens zum Leben, in deren Beschreibung später die Diskussion der Ethik münden wird, was aber der Ethik auch nichts bringt. So wie die Bejahung sich nämlich als Rücksichtslosigkeit zeigt, so zeigt sich die Verneinung als Gleichgültigkeit gegenüber allem, was in dieser Welt geschieht. 2 Vgl. W II/4, 573.

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9.3 Wir handeln immer, wie wir handeln müssen (§ 55) Nun steht es uns aber keineswegs frei, unser Verhältnis zur Welt, also unsere Haltung zum Leben und zum Tod, selbst zu wählen. Der allem zugrunde liegende Wille selbst ist zwar frei, insofern er nicht dem Satz vom Grunde unterworfen ist und damit nicht den damit verbundenen Notwendigkeiten von Zeit, Raum und Kausalität, aber alles, was sich in der Erfahrung zeigt, und das heißt alles, was irgendwie erscheint, hat immer schon ein ganz bestimmtes Wesen, das sich schlechterdings nicht ändern läßt. Das gilt auch für den Charakter jedes einzelnen Menschen, von dem allein es abhängt, wie wir auf wechselnde Umwelteinf lüsse, die Motive des Handelns, reagieren. Wir sind das, wozu sich der von jeder Notwendigkeit freie Wille entschieden hat. Wir sind also sozusagen diese Entscheidung und damit festgelegt. Wir kommen ins Leben als Resultat eines freien Aktes, sind aber eben als ein solches Resultat gerade nicht mehr frei. Schopenhauer nennt diesen einen bestimmten, außerzeitlichen oder vor der Zeit stattfindenden Akt des Willens, der unser je eigenes Wesen ein für alle Mal festlegt, den intelligiblen Charakter des Menschen. Unter den Bedingungen von Raum und Zeit aber entfaltet sich dieser intelligible Charakter dann als empirischer Charakter. Es ist dieser empirische Charakter, den wir allein erkennen können. Der intelligible Charakter entzieht sich unserer Wahrnehmung. Auch den empirischen Charakter erkennen wir aber nicht sofort und gleichsam in einem Stück. Vielmehr wird er mir und anderen im Laufe meines Lebens zumeist, wenn überhaupt, dann ganz allmählich enthüllt. Wer ich bin, weiß ich oft gar nicht, bis ich genügend Erfahrung mit mir selbst und der Art und Weise, wie ich mich in bestimmten Situationen zu handeln entschließe, gewonnen habe. Ich muß gleichsam erst mit mir selbst bekannt werden. Diese Unvertrautheit mit dem eigenen Wesen ist mit ein Grund dafür, daß ich mir selbst zunächst in meinem Handeln frei erscheine. Sich selbst kennenzulernen ist allerdings gar nicht immer so einfach, weil unser Handeln nicht nur aus unserem Charakter entspringt, sondern auch davon beeinf lußt ist, was wir für wahr und falsch halten, was wir also über die Welt glauben. So können sehr verschiedene Menschen in derselben Weise handeln, und sehr ähnliche Menschen sehr unterschiedlich. Es kann einer etwa sein ganzes Vermögen der Hungerhilfe spenden, ohne daß sich daraus ohne weiteres schließen ließe, daß er ein gutes Herz habe. Denn vielleicht tut er es ja nur deshalb, weil

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er gläubig ist und davon überzeugt, daß ihm seine gute Tat in einem zukünftigen Leben belohnt werden wird, so daß er also aus reinem Egoismus Gutes tut. Derselbe Mensch aber würde ganz anders handeln, wenn er nicht an ein Leben nach dem Tod und göttliche Belohnung und Strafe glauben würde. Und da wir uns oft über unsere eigenen Beweggründe täuschen, kann es eine Weile dauern, bis wir wissen, wer wir sind. Haben wir es aber einmal verstanden, wenn wir also wissen, was wir wollen, dann erst können wir, wie Schopenhauer sagt, „etwas Rechtes vollbringen.“ (W I/2, 381). Wir haben uns dann einen, oder genauer gesagt unseren, Charakter erworben, was keine geringe Errungenschaft ist, da wir erst dann mit unserem Leben zufrieden sein können, wenn wir erkannt und akzeptiert haben, wer und was wir sind. Schopenhauers Philosophie ist immer auch ein Stück Lebenskunst. Aus der beschriebenen Spannung von, dem Grunde nach, freier Setzung und Notwendigkeit des Gesetzten erklärt sich nun die eigentümliche Art und Weise, wie wir uns als Handelnde erfahren, nämlich als zugleich frei und unfrei.3 Wann immer wir eine Entscheidung zu treffen haben, kommt es uns ja so vor, als hätten wir tatsächlich eine Wahl, als könnten wir so oder so entscheiden, dieses oder jenes wählen. Wenn wir aber unsere Entscheidung einmal getroffen haben, dann sehen wir oft, wenn wir darüber nachdenken, daß wir, so wie wir nun einmal sind, letztlich unter diesen besonderen Umständen gar nicht anders konnten, als so zu handeln, wie wir es tatsächlich taten. Die Ref lexion lehrt uns also die Notwendigkeit unseres Handelns, das Gefühl aber besteht hartnäckig auf dessen Freiheit. Wenn es nun scheint, als müsste entweder die Ref lexion oder das Gefühl sich irren, dann erlaubt uns Schopenhauers Philosophie, beiden Recht zu geben: Unser Handeln folgt notwendig unserem Charakter, so daß wir in dieser Hinsicht nicht frei sind, aber da unser Charakter selbst ja nur wiederum eine Erscheinung des Willens ist, wir also, unserem innersten Wesen nach, dieser Wille sind, der Wille selbst aber frei ist, sind auch wir ursprünglich frei. Unser Gefühl der Freiheit (und der Verantwortlichkeit für unsere Handlungen)4 wurzelt also in einer metaphysischen Wahrheit. Das Gefühl trügt uns keineswegs, bedarf 3 In seiner Preisschrift über die Grundlage der Moral erklärt Schopenhauer darum Kants Lehre „vom Zusammenbestehen der Freiheit mit der Notwendigkeit (...) für die größte aller Leistungen des menschlichen Tiefsinns“ (E/6, 216). 4 Vgl. E/6, 215–217, wo es das ethische Gefühl der Verantwortlichkeit für unser Tun ist, das auf die ursprüngliche Freiheit des Willens zurückgeführt wird. Entsprechend müsse die tatsächlich bestehende

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aber der richtigen Auslegung. So darf es etwa nicht als Beleg empirischer Willensfreiheit mißverstanden werden. Grundsätzlich gilt für Schopenhauer immer, daß sich das Wesen der Welt an deren Erscheinung ablesen läßt. Aber man muß eben auch richtig zu lesen verstehen. Schopenhauer zeigt uns, wie wir die Welt, so wie sie sich uns in der Erfahrung zeigt, lesen müssen, so daß sie verständlich wird. Scheinbare Widersprüche werden dann gelöst, und die Welt fängt an, sinnvoll zu sein.5 Im Handeln sind wir also nicht frei. Um anders handeln zu können, als wir es tun, müßten wir anders wollen können, und das heißt, wir müßten ein anderer sein. Das können wir aber nicht, weil das Wollen und damit das Sein selbst nicht der Zeit unterworfen sind. Auch was uns als gut oder schlecht erscheint und was wir entsprechend begehren oder zu vermeiden suchen, liegt nicht in unserer Hand. Wie immer läuft auch hier das Erkennen dem Wollen hinterher.6 Es ist nicht so, daß wir etwas als gut erkennen und deshalb wollen, sondern wir wollen etwas und verstehen es deshalb als etwas Gutes. Anders ausgedrückt ist Wollen eben nicht lehrbar, und das ist der Grund, warum die Ethik Handeln immer nur beschreiben, aber niemals (sinnvoll, also mit der Aussicht, irgendetwas bewirken zu können) vorschreiben kann.

9.4 Alles Leben ist Leiden (§ 56) Der Wille will also, wie er will, und wird sich von seinem Wollen durch nichts abbringen lassen, was auch immer geschieht – es sei denn, was geschieht ist so einschneidend, daß es den Willen gegen sich selber kehrt und damit aufhebt. Die Möglichkeit einer solchen Verneinung des Willens zum Leben ist aber nur ausnahmsweise gegeben. Sie liegt nicht in unserem Charakter begründet und kann nicht aufgrund eines Entschlusses erfolgen. Sie ist auch letztlich nicht weiter erVerantwortlichkeit dann so verstanden werden, daß wir nicht eigentlich verantwortlich für das sind, was wir tun, sondern vielmehr für das, was wir sind. 5 Zur Sinnsuche als oberster Richtschnur von Schopenhauers Philosophie vgl. Hauskeller 1998, 17– 27. 6 Schopenhauer erweist sich hier als echter Erbe des von ihm bewunderten David Hume. „Die Vernunft“, erklärte dieser (1978, 153), „ist nur der Sklave der Affekte und soll es sein; sie darf niemals eine andere Funktion beanspruchen, als die, denselben zu dienen und zu gehorchen.“

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klärbar. Was eine solche Möglichkeit bedeutet und wie sie überhaupt entstehen kann, davon handeln die letzten Paragraphen der Welt als Wille und Vorstellung. Diese werden hier zunächst nur angedeutet und vorbereitet. In der Lehre von der sich als Weltentsagung vollziehenden Ruhigstellung des Willens kulminiert aber nicht nur Schopenhauers Ethik, sondern seine ganze Philosophie. Auf sie steuert alles hin. Damit aber dieses Zur-Ruhe-Kommen des Willens als die große Erlösung erscheinen kann, die Schopenhauer in ihr sieht, und somit als wünschenswert, muß zuvor gezeigt werden, daß das Leben selbst eigentlich gar keinen Wert hat. So macht sich Schopenhauer nun daran darzulegen, daß nicht nur der Tod kein Übel ist (weil er, recht betrachtet, gar nicht existiert), sondern darüber hinaus auch das Leben kein Gut. Tatsächlich ist das Leben das größere Übel und entsprechend der Tod, oder besser die Nicht-Existenz (die der Tod uns ja nur scheinbar, aber nicht wirklich bringt), dem Leben bei weitem vorzuziehen. Der Grund dafür liegt aber im Wesen des Willens selbst. Der Wille will, und das bedeutet, daß er aus sich heraus niemals zum Ziel kommen und damit niemals Befriedigung finden kann. Zugleich ist der Wille, nämlich in der Erscheinungswelt, zersplittert in eine Vielzahl von Einzelwesen, die sich alle für allein wirklich halten und in ihrem rastlosen Wollen ständig gegeneinander anrennen und sich ihren Anteil am Leben streitig machen. Jedes lebt vom Tod des anderen. Der Wille des einen hemmt den Willen des anderen, und diese Hemmung erleben wir als Leiden. Aber selbst wenn es nichts gäbe, das sich gegen ihn stellte, könnte der Wille doch niemals zufrieden sein, und das heißt, daß auch wir es nicht können, die wir doch nichts als dessen Erscheinung sind. Jedes Begehren beruht doch auf einem Mangel, und die Empfindung eines Mangels ist immer eine Art des Leidens. Wird das Begehren aber gestillt, so wird es sogleich, da der Wille eben seiner Natur nach rastlos ist, durch ein neues Begehren ersetzt, so daß das Leiden, selbst wenn es das Leben ansonsten gut mit uns meint, niemals ein Ende nimmt. Da alles Leben Wille ist, der Wille aber immer mehr will, ewig nach etwas verlangend, was er doch niemals erreichen kann, ist alles Leben notwendig Leiden. Und am meisten von allen leidet der, der die wahre Natur der Welt am besten erkennt und diese am deutlichsten zum Ausdruck bringt: der Mensch.

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9.5 Wir selbst sind die Quelle all unseres Leidens (§ 57) Da nun das Leiden dem Leben wesentlich ist und grundsätzlich nicht vermieden werden kann, ist das Leben also tatsächlich, wenn man genau hinsieht, nicht wert gelebt zu werden. Der Tod ist nichts Schlechtes, und das Leben nichts Gutes. Schopenhauer wird nicht müde, seinen Lesern diesen Gedanken einzuschärfen. So eindringlich spricht er von der Unausweichlichkeit und Allgegenwärtigkeit des Leidens, daß man meinen könnte, es sei dies der eine Gedanke, der in seinem Werk entfaltet werde: daß alles Leben Leiden sei. Es fängt schon damit an, daß unser Leben ständig vom Tod bedroht ist, der zwar in sich kein Übel ist, weil er nur unsere Erscheinung betrifft, aber nicht unser Wesen, der uns aber eben aufgrund dieses Wesens immer als schlimmste Bedrohung erscheinen muß. Das heißt, wir fürchten den Tod, auch wenn wir wissen oder glauben, daß er nicht real ist. Wir klammern uns, als der blinde Wille zum Leben, der wir sind, an die Erscheinung und finden den Gedanken unerträglich, daß diese Erscheinung irgendwann ein Ende nehmen muß. Die Zeit selbst macht darüber hinaus das Leben immer schon zum Sterben, nicht nur weil wir im Prozeß des Lebens ständig dem Tod näherrücken, sondern weil wir dabei immerzu Gegenwart verlieren und ein immer größeres Stück unseres Lebens in die Vergangenheit rückt. Weil wir wesentlich Wille sind, fürchten wir den Tod und leiden unter dieser Furcht. Ebenso ist, weil wir wesentlich Wille sind, unsere Existenz bestimmt von Bedürftigkeit. Der Wille ist sich niemals selbst genug. Wir brauchen immer etwas, was wir nicht haben, und dieser Mangel ist immer mit Leiden verbunden. Und niemand hat mehr Bedürfnisse als der Mensch. Selbst aber wenn wir bekommen, was wir brauchen, alle unsere Bedürfnisse erfüllt sind und für den Augenblick keine neuen Bedürfnisse an ihre Stelle treten, fangen wir sogleich an, aufs Neue zu leiden, diesmal an der Langeweile. Und wieder ist der Grund der, daß wir wesentlich Wille sind. Wir brauchen darum etwas, auf das sich unser Streben richten kann, so beliebig dieses auch sein mag. Der Wille muß etwas haben, das er wollen kann. Ohne ein solches Ziel fällt der Wille auf sich selbst zurück und das Dasein wird ihm, wie Schopenhauer sagt, „zur unerträglichen Last“ (W I/2, 390). Selbst also wenn das Leben nicht von dem letztendlich vergeblichen Versuch bestimmt wäre, unsere vielen Bedürfnisse zu erfüllen, so wäre es doch darum keineswegs lebenswerter. Im Gegenteil: das reine, ganz und gar gesicherte, bedürfnislose Leben ist die unerträglichste Sache der Welt.

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Das Leben ist aber nur deshalb eine solche Qual, weil wir eben Wille sind. Es liegt letztlich in unserer eigenen Natur begründet, und das bedeutet, daß letztlich wir selbst an diesem Leiden schuld sind. Das zeigt sich auch darin, daß die Gemütsstimmung der Menschen gewöhnlich von äußeren Ereignissen nur wenig oder nur für eine kurze Zeit beeinf lußt wird. Wer etwa einen großen Gewinn macht, wird sich vielleicht freuen, aber schon sehr bald wird er genauso über sein Leben klagen wie zuvor. Wir finden immer etwas zum Klagen, und wenn es nichts Großes gibt, dann erscheint uns eben das Kleine groß. Umgekehrt wird wer ein großes Unglück erlebt, meist nach einer gewissen Zeit wieder so glücklich oder unglücklich sein, wie er es vor dem Unglück war. Wie sehr die Menschen an der Welt leiden, ist unterschiedlich, aber es hängt nicht davon ab, was ihnen geschieht, sondern davon, was und wer sie sind.7 Und daß sie leiden, ist eben darum unvermeidlich. Wenn wir uns glücklich glauben, dann liegt dem immer eine Selbsttäuschung zugrunde, die früher oder später sich auch als solche erweisen wird, und wenn das geschieht, dann werden wir die Wahrheit nur umso schmerzlicher empfinden.

9.6 Alles Glück ist nur die Abwesenheit von Schmerz (§ 58) Glücklich zu sein ist für den Menschen schon allein deshalb nicht möglich, weil es das Glück, als eigenen, in sich selbst erfahrbaren Zustand, gar nicht gibt. Das Gefühl des Glücks resultiert nämlich immer aus der Beseitigung eines Mangels und damit eines Leidens. Es ist tatsächlich nichts anderes als das Bewußtsein, daß dieses bestimmte Leiden nicht mehr besteht. Sobald es aber nicht mehr besteht, besteht auch schon der Wunsch nach seiner Beseitigung nicht mehr, und mit dem Wegfall dieses Wunsches oder Begehrens schwindet sogleich auch die Freude über die Beseitigung des Leidens. Das Leiden allein wird deshalb positiv empfunden, das Glück hingegen ist nur sein Schatten, konstruiert aus der 7 Die These, daß jeder Mensch eine bestimmte, genetisch bedingte Glücksstufe („set point of happiness“) habe, zu der er immer wieder zurückkehre, wurde vor gar nicht langer Zeit noch von zwei Psychologen vertreten (Lykken and Tellegen 1996). Die These ist allerdings umstritten und später von Lykken selbst dahingehend korrigiert worden, daß es solche Stufen zwar gebe, diese sich aber auch (durch bewußte Einf lußnahme oder bestimmte Lebenserfahrungen) verschieben könnten. Schopenhauers Philosophie kann die Möglichkeit einer solchen Veränderung jedoch nicht erklären.

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Erinnerung an das überstandene Leiden. Es ist nicht wirklich, nur ein perspektivischer Trug, etwa so, wie selbst ein trüber Tag uns hell erscheint, wenn wir aus einem dunklen Zimmer in ihn hineintreten. Diese permanente Selbsttäuschung, dieses hartnäckige Übersehen der wahren Beschaffenheit des Lebens, mit der wir uns immer wieder zum Narren machen, gibt unserer Existenz mitunter den Charakter einer Komödie. In Wahrheit aber und im ganzen betrachtet handelt es sich um eine Tragödie, weil es wirklich keine Hoffnung auf Besserung gibt und jeder Versuch, dem Leiden zu entkommen, letztlich vergeblich ist. Die Welt ist tatsächlich die schlechteste aller möglichen, so schlecht nämlich, daß, wäre sie noch etwas schlechter, sie gar nicht existieren könnte.8 Freilich müssen wir uns als Leser fragen, wie überzeugend Schopenhauers Diagnose eigentlich ist. Ist das Leben wirklich seinem Wesen nach, also nicht nur in bestimmten Fällen, sondern grundsätzlich und unweigerlich von ständigem Leid durchzogen und das Glück immer nur eine kurzlebige perspektivische Illusion? Ist nicht das Glück durchaus mehr als nur das Bewußtsein eines hinter uns gelassenen Unglücks? Wir kennen doch Freude, reine, erinnerungslose Freude, das Glück des Augenblicks. Anders als Schopenhauer behauptet, leiden wir ganz und gar nicht ständig.9 Wir kennen lange Phasen der Zufriedenheit, in denen wir nichts entbehren, was wir nicht leicht entbehren könnten. Sicher haben wir auch dann Bedürfnisse, aber solange sich diese einigermaßen schnell und sicher stillen lassen, leiden wir nicht im mindesten darunter. Im Gegenteil, das Begehren selbst, also etwas zu wollen, was man nicht hat, muß keineswegs immer unangenehm sein: Es kann vielmehr selbst eine Quelle der Freude und des Glücks sein. Und was den Tod angeht und die Angst davor, so ist auch diese keineswegs so lebensbestimmend, wie Schopenhauer uns glauben machen will; jedenfalls muß sie es nicht sein. Wir können uns durchaus mit der Tatsache des Todes abfinden, ja unserer Sterblichkeit sogar etwas Gutes abgewinnen.10 Keineswegs muß sie uns daran hindern, das Leben zu genießen.

8 Vgl. W II/4, 683. 9 Eine schöne Darstellung tatsächlich möglichen Glücks gibt Sissela Bok in ihrem Buch Exploring Happiness (2010). 10 Vgl. Hauskeller 2011.

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9.7 Gut, daß das Leben wenigstens kurz ist (§ 59) Nun braucht man aber, so erinnert uns Schopenhauer, gar nicht erst über die Natur von Glück und Leid, von Begehren und Befriedigung, zu ref lektieren, um einzusehen, daß das Leben kaum wert ist, gelebt zu werden. Man braucht sich nur in der Welt umzuschauen, um deutlich zu erkennen, was es mit dem Leben auf sich hat. Das Leiden ist allgegenwärtig. Der Grausamkeit der Natur, der Bosheit der Menschen und der Gleichgültigkeit des Schicksals kann letztlich niemand entgehen, so daß es kaum jemanden geben dürfte, der am Ende seines Lebens ehrlich von sich sagen könnte, daß sein Leben all der Mühe wert gewesen sei und daß es nicht besser gewesen wäre, wenn er nie existiert hätte. Wenn man sich all die Qualen vor Augen führt, die der Mensch gewöhnlich während seines Lebens erdulden muß, dann müßte man eigentlich zu der Einsicht gelangen, daß das Beste an diesem Leben am Ende seine Kürze sei. Das Leben für gut und schätzenswert zu erklären, und das heißt: optimistisch auf die Welt zu blicken, ist deshalb nicht nur falsch, sondern eine „wahrhaft ruchlose Denkungsart“ (W I/2, 408), da damit so getan werde, als sei das beträchtliche Leiden der Menschheit gar nicht der Rede wert. Diese letzte Bemerkung, mit der dieser Paragraph und damit die Exposition von Schopenhauers (seiner Ethik zugrundeliegenden) Lebensphilosophie endet, ist besonders interessant, weil sich darin der moralische Impuls kundtut, der Schopenhauers Denken antreibt. Dieses beginnt nämlich mit der Erfahrung und der Ref lexion auf diese, und zwar mit einer ganz bestimmten Erfahrung. Die philosophische Urerfahrung par excellence ist die Erfahrung des Leidens und die diese Erfahrung begleitende moralische Empörung: Überall ist Leiden – wie ist das möglich? Wie kann das sein? Wie darf das sein?11 Schopenhauers Interesse ist also von Anfang an nicht rein theoretisch, sondern praktisch. Seine Fragehaltung ähnelt der eines Menschen, der mit menschlicher Grausamkeit konfrontiert ist und sich fragt, wie so etwas möglich ist: wie Menschen einander so etwas antun können. Wer so fragt, ist weniger an Ursachenforschung interessiert, als vielmehr an einer Erklärung, die sein moralisches Gefühl für Gerechtigkeit zufriedenstellt. Die Frage richtet sich darum letztlich immer auf, oder vielleicht sogar an, die Welt als ganze. Wer etwa fragt, wie Auschwitz möglich war, will nicht in erster Linie wissen, wie es dazu kommen konnte. Vielmehr zweifelt und 11 Vgl. Hauskeller 1986, 11–17.

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verzweifelt er am Wesen der Welt. So fragt auch Schopenhauer angesichts der Fülle des Leidens in der Welt: Wie kann die Welt uns so etwas antun? Wie kann die Welt uns Leben schenken und uns dann so schmählich behandeln? Was ist der Sinn des ganzen Trauerspiels? Oder in der direkten Anklage: Warum tust du uns das an, Welt? Dieses Rätsel zu lösen wird damit selbst zur moralischen Pf licht, etwas, was wir uns selbst und allem anderen Lebendigen schulden. Entsprechend gilt, daß wer das Rätsel leugnet, wer also meint, daß es gar nichts zu lösen gibt, daß die Welt im großen und ganzen eigentlich ganz in Ordnung ist (oder gar, wie Leibniz meinte, die „beste aller möglichen Welten“),12 sich selbst einer moralischen Verfehlung schuldig macht. Der Optimismus leibnizscher Prägung ist moralisch verdächtig, der Pessimismus Schopenhauers hingegen, der die Welt zur schlechtesten aller möglichen erklärt, ist die Philosophie der Wahl für jeden anständigen Menschen. Für die später noch zu entwickelnde Mitleidsethik hat diese Haltung jedoch merkwürdige, tatsächlich paradoxe Konsequenzen. Nicht nur hat es gar keinen Zweck, mitleidig sein zu wollen, da ich ja nie etwas anderes wollen kann als was ich tatsächlich will und ich somit entweder immer schon mitleidig bin oder es eben nicht bin (oder jedenfalls mitleidig immer schon in einem bestimmten, sich nicht ändernden Ausmaß). Darüber hinaus ist es auch völlig nutzlos, anderen irgendwie helfen zu wollen, wenn das Leiden nämlich tatsächlich seinen Ursprung nicht in äußeren Umständen hat, sondern vielmehr in der Willenshaftigkeit eines jeden individuellen Daseins. Wenn jeder letztlich selbst an seinem Leiden schuld ist, weil dieses eine direkte Folge seiner Willensnatur ist, dann können wir einander gar nicht helfen, und dann kann das Mitleid, wenn es überhaupt einen Zweck hat, diesen entsprechend auch nicht darin haben, uns dazu zu bewegen, anderen zu helfen und ihr Leiden zu lindern. Und selbst wenn wir einander helfen könnten, wäre damit gar nichts gewonnen, denn wir können ja die Welt nicht so verändern, daß das Leben mit einem Mal lebenswert wird. Wenn das Leiden allgegenwärtig und unvermeidlich ist, dem Leben also immer zukommt, egal was wir tun, und wenn dieses Leiden so schlimm ist, daß die Nichtexistenz tatsächlich dem Leben vorzuziehen ist, dann sollten wir, statt uns vergeblich darum zu bemühen, das Leiden in der Welt zu lindern, einander helfen, aus dieser Welt zu entkommen. Und wenn dies nur dadurch möglich wird, daß das Leiden über12 Leibniz 1985, 219.

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hand nimmt und gar nicht mehr zu ertragen ist, wie Schopenhauer in der Folge darlegen wird, dann scheint es, als würden wir einander am besten dadurch helfen, daß wir einander so viel wie möglich Leid zufügen. Ausdrücklich gesagt wird das von Schopenhauer freilich nicht. Aber es scheint mir logisch aus dem bisher Gesagten zu folgen. So führt der moralische Impuls bei Schopenhauer letztlich zu einer Aufhebung der Moral selbst. Literatur Bok, Sissela 2010: Exploring Happiness. From Aristotle to Brain Science, New Haven und London. Hauskeller, Michael 1998: Vom Jammer des Lebens. Einführung in Schopenhauers Ethik, München. Hauskeller, Michael 2011: Is Ageing Bad for Us?, in: Ethics and Medicine 27/1, 25–32. Hume, David 1978: Ein Traktat über die menschliche Natur, Bd. 2, Hamburg. Leibniz, Gottfried Wilhelm 1985 (erstmals 1710): Die Theodizee von der Güte Gottes, der Freiheit des Menschen und dem Ursprung des Übels, Werke II.1, Darmstadt. Lykken, David/Tellegen, Auke 1996: Happiness is a Stochastic Phenomenon, in: Psychological Science 7, 186–189. Malter, Rudolf 1991: Arthur Schopenhauer. Transzendentalphilosophie und Metaphysik des Willens, Stuttgart-Bad-Cannstatt. Zuboff, Arnold 1990: One Self: the Logic of Experience, in: Inquiry 33, 39–68.

10 Jean-Claude Wolf

Bejahung und Verneinung des Willens (W I, §§ 60–67)1

Schopenhauer ist bekannt als Pessimist, der den Willen zum Leben verneint. Er ist weniger bekannt als Verfasser einer deskriptiven Metaphysik, welche auch die Bejahung des Willens differenziert behandelt. Unter die bewusste Bejahung des Willens, die bereits im § 54 des vierten Buches eingeführt wird, fallen so wichtige Bereiche wie die Lebenskunst, die reine Rechtslehre, die Betrachtung zur ewigen Gerechtigkeit und teilweise und nach verschiedenen Graden (von der Tugend der Gerechtigkeit bis zur Tugend der Liebe) auch die Ethik. In den Bereichen der privaten Lebensklugheit und des bürgerlichen Lebens unter Gesetzen rehabilitiert Schopenhauer sogar einen aufgeklärten Egoismus – eine Position, die er als angemessene Begründung in diesen Sphären akzeptiert, obwohl er sie als im Widerspruch zur Ethik stehend betrachtet. In Schopenhauers Verständnis von Ethik haben egoistische Gründe und Motive keinen Platz – aber immer noch eine teilweise Bejahung des Lebens. Die Ethik gilt als wichtigste Gegeninstanz zur Macht des Egoismus, aber sie bricht nicht vollständig mit dem principium individuationis, d. h. mit der ontologischen Annahme von Individualität als separater Realität. Die Kluft zwischen den Individuen wird verringert, aber nicht abgeschafft. Das Räsonnement des gesunden Menschenverstandes, das in den Aphorismen zur Lebensweisheit zur Sprache kommt, geht einen Kompromiss zwischen Egoismus und Ethik ein. Das Fundament der rei1 Für Anregungen und Kritik danke ich den Herausgebern und Florian Häubi.

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nen Rechtslehre ist sogar rein egoistisch, allerdings im Sinne eines erweiterten, vernünftigen Egoismus. Die Bejahung des Willens zum Leben enthält stets einen Rest von Täuschung oder Illusion, sofern sie die Individualität als ens realissimum betrachtet, das nicht bloß als Erscheinung, sondern als Ding an sich in Raum und Zeit existiert. Eine solche Konzeption, die einem transzendentalen Realismus gemäß ist, gilt nach Schopenhauers Maßstäben als eine contradictio in adiecto. Der illusorische Charakter der Individualität besteht nicht darin, dass sie in den Bereich der Erscheinungen gehört, sondern darin, dass sie im Alltagsbewusstsein für das Ding an sich gehalten wird. Der „Schleier der maya“ besteht in dieser Verwechslung. Die Optionen einer Bejahung oder Verneinung des Willens werden erst den Menschen bewusst – außerhalb der menschlichen Spezies gibt es keine Lebewesen (Tiere oder andere Organismen), welche den Willen bewusst bejahen oder, wie etwa die Heiligen, bewusst verneinen. Alles Leben ist zwar vom Willen als blindem Impuls getrieben, doch eine urteilsmäßige Bejahung (die besagt: Es ist gut, den Willen zu bejahen) oder Verneinung (die besagt: Es ist schlecht/böse, den Willen zu bejahen) ist das Prärogativ des denkenden Menschen. Der Untertitel des vierten Buches unterstreicht diese erst mit dem Selbstbewusstsein des Menschen erreichte Stufe der kognitiven Entwicklung: „Der Welt als Wille zweite Betrachtung: Bei erreichter Selbsterkenntnis Bejahung und Verneinung des Willens zum Leben“.

10.1 Willensbejahung und Egoismus (§§ 60–61) Die Bejahung des Willens äußert sich in der Erhaltung des Leibes, in der Sorge für das eigene Wohl und in der Sexualität. Die Vielfalt der Motive und die Variabilität des empirischen Charakters verschiedener Individuen verdanken sich den Unterschieden des Intellekts; der Wille ist hingegen immer derselbe. Dass sich die Individuen in die Quere kommen und bekämpfen, ist ein Indiz für einen tieferen Widerspruch im Willen selbst. Der Egoismus erstreckt sich in der Sexualität über den eigenen Leib hinaus. Das Dogma der Erbsünde wird als tiefsinniger Mythos dafür gedeutet, dass mit der Sexualität Leben und damit Leiden und Tod weitergegeben werden. Verweist Adam auf die Bejahung des Lebens, so repräsentiert Christus den erlösungsfähigen Menschen. Auch im Mythos der

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Proserpina wird dieser Zusammenhang von Sexualität und Sünde angedeutet. Schopenhauer spricht dagegen sehr direkt über die Genitalien als Brennpunkt des Willens und Gegenpol zum Gehirn – eine Redeweise, die zwar einprägsam ist, aber wohl die neurophysiologische Tatsache verkennt, dass sich die Sexualität zuerst im Gehirn, erst danach in den Genitalien abspielt. Am Ende des § 61 wird die Lehre von der ewigen Gerechtigkeit angedeutet, die darin besteht, dass die Leiden gerechtfertigt sind: Sie sind der Preis für die Bejahung des Willens. Im § 61 wird der Egoismus als Ausdruck einer Illusion dargestellt, die darin besteht, sich zum Mittelpunkt der Welt zu machen. Die Neigung zum Egoismus ist ein Spiegel des einen und mächtigen Willens, der sich in allen Individuen gleichermaßen bemerkbar macht, nämlich als Trieb zu besitzen und zu herrschen. Der Wille ist einer und damit per se nicht teilbar; er wird durch seine Aufteilung auf Individuen nicht „verdünnt“, aber er ist in sich selbst entzweit. Weil sich jedes Individuum als Mikrokosmos dem Makrokosmos gleichsetzt, wird der eigene Tod auch als Ende der Welt angesehen. Hinter dem Kampf und Krieg der Individuen steckt demnach eine gleichsam apokalyptische Todesangst, der es mit dem eigenen Leben, Wohl und Nachwuchs um alles oder nichts geht. Man kann Schopenhauers Metaphysik des Willens skeptisch gegenüberstehen, doch es ist nicht von der Hand zu weisen, dass er der Deutung des Egoismus eine Tiefenresonanz verleiht, die weit über die Plattitüde hinausgeht, dass die Menschen eben Egoisten sind.

10.2 Rechts- und Staatslehre (§ 62) Eine bewusste und aufgeklärte Bejahung des Willens wird in der reinen Rechtslehre thematisiert, einer modernen Variante des Naturrechts, mit der Schopenhauer das bürgerliche Leben im Staat theoretisch fundiert. Die rechtliche Bejahung des Willens besteht darin, dass jedermanns vitale (und egoistische) Interessen, nicht an Leib, Leben und Eigentum geschädigt zu werden, gleichermaßen affirmiert und mit der ganzen Autorität des Staates garantiert werden. Damit wird nicht ein sozialer Fürsorgestaat anvisiert, sondern eher ein liberaler Minimalstaat. Die liberale Seite wird insbesondere dadurch betont, dass der Staat nicht als moralische Erziehungsanstalt konzipiert wird, welche sich anmaßt, neue (d. h. nicht-egoistische) Menschen zu schaffen.

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Die reine Rechtslehre präsentiert das Recht, wie es sein sollte; sie bildet das Kriterium zur Unterscheidung von moralisch erträglichem und moralisch unerträglichem positivem Recht. Ausgangspunkt ist der ungeordnete Egoismus des sogenannten Naturzustandes, insbesondere das natürliche Streben nach eigenem Leben und Wohlsein und nach dem dazu erforderlichen Eigentum. Im Naturzustand mangelt es, ähnlich wie in einem bürgerkriegsähnlichen Zustand, an Vertrauen und Zusammenarbeit. Der bürgerliche Zustand dagegen ist eine vertraglich gesicherte Form des geordneten Egoismus, eine gesetzlich garantierte Eigentumsordnung, ein System des gegenseitigen Gebens und Nehmens, das allerdings einen gewissen Verzicht voraussetzt, nämlich den Verzicht eines jeden darauf, in der widerrechtlichen Schädigung anderer Vorteile zu suchen. Dass des einen Vorteil des anderen Nachteil sein kann, wird damit nicht kategorisch ausgeschlossen. Wie gesagt: Nicht der Egoismus selbst, sondern nur einige seiner unerwünschten Nebenwirkungen im Naturzustand sollen eliminiert werden. Manche Konf likte werden zwar weiterhin vorkommen und sich zu Rivalität, Konkurrenz und Ausbeutung steigern, aber das kriminelle Streben nach dem Leben und Eigentum anderer wird so weit als möglich neutralisiert. Das Strafrecht unterstützt und f lankiert diesen Vertrag, indem es dafür sorgt, dass die Schädigung anderer negative Sanktionen nach sich zieht, welche den erhofften Vorteil aus dem Unrecht übertreffen. Straftaten sollten sich nicht lohnen. Das Strafrecht spielt eine wichtige Rolle als Kanon von negativen Motiven, die mich und alle anderen durch Androhung von Strafen davon abhalten, den bürgerlichen Vertrag zu verletzen und mich als einseitigen Nutznießer des Rechtsgehorsams der anderen über diese zu erheben. „Folglich ist der unmittelbare Zweck der Strafe im einzelnen Fall Erfüllung des Gesetzes als eines Vertrages.“ (W I/2, 433). Dieser unmittelbare Zweck entspricht der Tatsache, dass es kein Strafrecht außerhalb des Staates gibt, und erfüllt damit die Maxime: Nulla poena sine lege. Damit wird ein „wilder Präventionismus“ ausgeschlossen, der sich über bestehende Gesetze hinwegsetzt. Ob Schopenhauer damit auch die Unschuldsvermutung und die Beweispf licht der Gerichte zu begründen vermag, bleibe dahingestellt. Es ist denkbar, dass sich eine Rechtskultur entwickelt, welche den Eifer der Prävention über die strikte Unschuldsvermutung setzt. Sollte dies allerdings durch eine Häufung von Justizirrtümern, durch systematische Überwachung der Bürger und eine massive Einschränkung der Privatsphäre geschehen, so würde das dem liberalen Geist von Schopenhauers Staatsauffassung offensichtlich wider-

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sprechen. Schopenhauer verteidigt sogar ein Recht auf Lüge und Täuschung gegenüber den Versuchen, das Eigentum und die Privatsphäre zu verletzen (vgl. Wolf 1988). „Der einzige Zweck des Gesetzes aber ist Abschreckung von Beeinträchtigung fremder Rechte […]. Dies unterscheidet Strafe von Rache […].“(W I/2, 433). Abschreckung ist allerdings nur ein, vielleicht das wichtigste Mittel der Prävention; andere Mittel – wie die Erschwerung der Beeinträchtigung fremder Rechte durch Bußen oder Steuererhebungen, die Belohnung normkonformen Verhaltens oder Nichtigkeitsklauseln – sind ebenfalls vorgesehen. Ob es sinnvoll ist, die zentrale Funktion des Strafrechts auf das ganze Gesetz zu übertragen, ist allerdings fragwürdig. Nicht alle Gesetze sind nach dem Modell von Imperativen oder Verbotsnormen konzipiert! Die ultimative Legitimation des Strafrechts liegt in der Prävention, nicht wie bei Kant im ius talionis. Vergeltung ist nur ein Antrieb, keine Rechtfertigung der Strafe. Wie Schopenhauer gegen Kant richtig festhält, ist es gar nicht zu vermeiden, dass das Strafrecht die zu strafenden Individuen als Mittel der Prävention verwendet. Ein absolutes Instrumentalisierungsverbot ist weder gut begründet noch praktisch umsetzbar. Auch ein prima-facie-Verbot, andere nicht nur als Mittel zu benutzen, ist nicht dazu geeignet, konkrete Normen zu begründen, sondern setzt bereits eine Auffassung von legitimen Ansprüchen und ihrer Verankerung in der Selbstachtung voraus (vgl. Schaber 2010).

10.3 Ewige Gerechtigkeit (§§ 63–64) Vergeltung, die durch eine weltliche und fehlbare Justiz geübt wird, ist nur so weit vernünftig und legal, wie sie der Verhütung oder Einschränkung künftiger Straftaten dient. Vollkommene und verdiente Vergeltung, welche auch die Befriedigung unbeteiligter Beobachter über die gerechte Bestrafung Schuldiger einschließt, wäre nur in einem hypothetischen Szenario denkbar, das Schopenhauer in den §§ 63–64 unter dem Stichwort „ewige Gerechtigkeit“ skizziert. Dass die weltliche Justiz nur eine approximative Gerechtigkeit realisiert, ist ohnehin evident. Von ‚Gerechtigkeit‘ ist allerdings in der Lehre von der ewigen Gerechtigkeit nur in einem analogen oder übertragenen Sinne die Rede. Der Zeitfaktor entfällt; es handelt sich weder um retrospektive Vergeltung noch um prospektive

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Prävention, sondern um das Bild einer vollkommenen Balance zwischen Schuld und Leiden. Die Lehre der ewigen Gerechtigkeit ist ein philosophischer Mythos für einen Sachverhalt, der jenseits von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit besteht. Der edle Rächer, der sich „für die Idee des Menschen“ einsetzt, will sich zum Arm dieser ewigen Gerechtigkeit machen; als praktizierender Rächer verkennt er aber ihr eigentliches Wesen (vgl. W I/ 2, 447). Selbstjustiz unterliegt einem fatalen Irrtum, nämlich der Verwechslung einer unsichtbaren moralischen Ordnung mit einer in Raum und Zeit erkennbaren und herstellbaren Gerechtigkeit. Das weltliche Recht setzt voraus, dass die Menschen separate Individuen sind, die sich gegenseitig achten oder verletzen können. In der Welt der Phänomene sind klare und distinkte Begriffe von Täter und Opfer anwendbar. Metaphysisch betrachtet, d. h. unter Abstraktion von Raum, Zeit und Kausalität, sind die Menschen jedoch keine separaten Individuen, sondern Teile des Willens. Die TäterOpfer-Dichotomie wird daher gegenstandslos. Alle Lebewesen sind als Teilnehmer am einen Willen zum Leben auf eine schicksalhafte Weise verbunden. Wer eine andere Person schädigt, schädigt sich nach dieser Betrachtungsweise unmittelbar und zugleich selbst. Die Strafe folgt der Untat auf dem Fuße. Es gibt keine zeitliche Verzögerung zwischen Straftat, Entdeckung derselben und Bestrafung, weil es metaphysisch betrachtet keine temporalen Differenzen gibt. Es gibt keinen Unterschied zwischen Täter und Opfer, weil es im Bereich des Dinges an sich überhaupt keine räumlichen Differenzen gibt. In welchem Körper der Schmerz stattfindet, ist, so betrachtet, irrelevant. Und es gibt keine Ursache-WirkungRelation zwischen Verbrechen und verdienter Strafe oder Vergeltung, weil es überhaupt keine Kausalität gibt. Der Wille wirkt seit der Geburt durch mich hindurch; insofern wird jeder Mensch bereits durch seine Geburt „schuldig“. Wer geboren wird, beginnt damit, diesen vitalen Willen zu leben und den Leib und Willen anderer zu eigenen Zwecken zu gebrauchen. Erst im Verlaufe seiner moralischen Entwicklung gelangt der Mensch zum lebhaften Bewusstsein, dass er Leben ist, das leben will, inmitten von Leben, das leben will (vgl. Schweitzer 1960, 229). Die Lehre von der ewigen Gerechtigkeit ist eine atheistische Version der Idee einer moralischen Weltordnung. Es wird nicht mehr unbefangen auf das symbolische Repertoire einer göttlichen Weltordnung zurückgegriffen. Doch im Unterschied zu „frivolen“ Atheisten und Freidenkern ist Schopenhauer nicht bereit,

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die Idee einer moralischen Weltordnung preiszugeben: „Daß die Welt bloß eine physische, keine moralische, Bedeutung habe, ist der größte, der verderblichste, der fundamentale Irrthum, die eigentliche Perversität der Gesinnung, und ist wohl im Grunde auch Das, was der Glaube als den Antichrist personificirt hat.“ (P II/9, 219; vgl. auch P II/9, 114). In der Lästerung des Antichrist kommt die Leugnung des Sinnes der Leiden Christi zum Ausdruck. Hat Christus, hat jede leidende Kreatur vergeblich gelitten? War der Tod am Kreuz vergeblich? Dies widerspricht Schopenhauers Hochschätzung der symbolischen Macht des leidenden Christus, den er sogar über den stoischen und den indischen Weisen stellt (vgl. W I/1, 134). Wer die Idee der moralischen Weltordnung preisgibt, macht die Entsagung der Heiligen, die freiwilligen Opfer aus Mitgefühl und das Martyrium zur reinen Torheit. Der Welt erscheint der Entsagende als „reiner Tor“. Vernünftig und sinnvoll wären für den common sense nur jene Leiden, von denen sich nachweisen ließe, dass sie dem Entsagenden selbst oder anderen Individuen zugutekämen (was nicht von allen Leiden gesagt werden kann) oder dass sie dazu beitragen, dass der Entsagende trotz oder gerade wegen der Entsagung ein sinnvolles Leben führt (was unwahrscheinlich ist, gibt es doch auch frustrierte, neurotische, ausgebrannte oder geistig verwirrte Asketen). Die moralische Bedeutung aller Leiden und Entbehrungen ist in der Welt der Erscheinung mehr als zweifelhaft; sie ist nur im Rahmen einer moralischen Weltordnung garantiert, und zwar nicht durch ein endzeitliches Strafgericht und die Etablierung von Himmel und Hölle, sondern im nunc stans der atemporalen und körperlosen Welt des Dinges an sich. Die ewige Gerechtigkeit ist das atheistische Äquivalent einer gelungenen Theodizee. In der moralischen Weltordnung ist jede Grausamkeit und jedes Unrecht nichts als ein Wüten des einen Willens gegen sich selbst, ein Sich-selbst-Fressen und -Versehren. Umgekehrt erfährt die Entsagung aus Mitleid mit dem anderen, der mir als der „Nächste“ erkennbar wird, eine symbolische oder mythologische Ausdeutung. Die Lehre von der Identität des Weltwillens in allen Erscheinungen leistet Ähnliches wie die symbolische Erzählung, dass wir alle Kinder Gottes und deshalb im Wesen mit den anderen (Geschwistern) und mit Gott (als dem Grund allen Seins) vereinigt sind. Was im Bereich der Phänomene getrennt erscheint, ist im Wesen der Welt ungeschieden. Es ist diese Nähe und Vereinigung im Wesen, welche Schopenhauers Metaphysik – trotz seiner gegenteiligen Beteuerungen – zu einer Form des Panthe-

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ismus macht (vgl. Frauenstädt 1876, 26, 95). Zwar hat sich Schopenhauer zum Pantheismus sarkastisch geäußert (vgl. P II/9, 111–114); ein Einwand lautet, der Pantheismus habe keine Erklärungskraft – aber warum sollte er weniger Erklärungskraft haben als Schopenhauers Wille? Überdies glaubt Schopenhauer, der Pantheismus sei notwendigerweise optimistisch – doch ist das der Fall? Warum sollte ein werdender oder wachsender Gott, der mit seiner Schöpfung leidet, weniger plausibel oder gar optimistischer sein als der von Schopenhauer entthronte allmächtige Gott (vgl. Wolf 2013)?

10.4 „Gut“, „böse“ und das moralische Gewissen (§ 65) Bevor Schopenhauer in seiner Mitleidsethik die „moralische Bedeutsamkeit“ des Handelns aufzuklären unternimmt, widmet er sich der Bedeutung jener Ausdrücke, mit denen diese moralische Bedeutsamkeit erfasst wird, nämlich des Ausdrucks „gut“ sowie dessen beiden Gegenbegriffen „schlecht“ und „böse“. „Gut“ wird, so Schopenhauer, in einem primären Sinne ausschließlich relativ verwendet; genauer: Die Verwendung dieses Ausdrucks ist relativ auf den Willen dessen, für den etwas gut ist. Jemanden als „guten Menschen“ zu bezeichnen heißt z. B., ihn als bestimmten Zwecken des Sprechers günstig oder förderlich einzustufen. Erst sekundär löst sich die Verwendung von „gut“ von der Bezugnahme auf Willensbestrebungen; „gut“ wird dann nicht mehr zur Bezeichnung des Gutseins für jemanden, sondern in einem nicht-relationalen Sinne verwendet. Wir verstehen Gutheit dann als eine separate Eigenschaft des Dinges, das einer Willensbestrebung angemessen ist. So gelangen wir dann z. B. dazu, vom Gutsein eines Menschen im Sinne eines absoluten, nicht mehr auf Willensbestrebungen relativierten Gutseins zu sprechen. Ähnlich wie Hume vertritt also Schopenhauer eine „Projektionstheorie“ der Werte: Die Annahme, dass es Werteigenschaften gebe, führt er auf unsere Neigung zurück, unsere eigenen Gefühle und Emotionen, die durch die Objekte hervorgerufen werden, auf diese Objekte zu projizieren und sie ihnen als Eigenschaften zuzuschreiben. Einen Wertobjektivismus, dem zufolge Werte unabhängig von menschlichen Gefühlen und Neigungen in rerum natura existieren würden, lehnt Schopenhauer – wiederum ähnlich wie Hume – ab.

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Analog zur Analyse von „gut“ werden auch die beiden Gegenbegriffe zu „gut“ expliziert, nämlich „schlecht“ und „böse“. Zwischen beiden wird so differenziert, dass „schlecht“ auf unbelebte Gegenstände, „böse“ hingegen auf Menschen Anwendung finde. (Einleuchtend ist dies nicht, denn offensichtlich sprechen wir auch von „schlechten Menschen“, und es ist üblich, „schlecht“ als Gegenbegriff zu „gut“ in seiner relationalen Verwendung und „böse“ als Gegenbegriff zu „gut“ in seiner absoluten Verwendung aufzufassen.) „Schlecht“ und „böse“ würden also das „dem jedesmaligen Streben des Willens nicht Zusagende“ (W I/2, 448) ausdrücken. Auch das Böse gibt es also für Schopenhauer nicht im – stets einer Mystifikation verdächtigen – Sinne eines „Bösen an sich“, sondern nur im Sinne des Bösen für jemanden. Inhaltlich bestimmt Schopenhauer den bösen Charakter erstens durch die Heftigkeit des in ihm zum Ausdruck kommenden Willens, zweitens durch seine Befangenheit im Individuationsprinzip, aufgrund derer er die anderen als „Larven, ohne alle Realität“ (W I/2, 451) auffasst. Wird der böse Charakter sich dieser Heftigkeit des eigenen Willens bewusst und regt sich in ihm die Ahnung von der Scheinhaftigkeit des Individuationsprinzips, merkt er also ansatzweise, dass er mit dem Quälen anderer „gegen sich selbst seine Waffen wendet“ (W I/2, 454), so empfindet er Gewissensangst. Das moralische Gewissen verweist also für Schopenhauer auf die metaphysische Wahrheit der Scheinhaftigkeit des Individuationsprinzips und ist mit Selbsterkenntnis verbunden. Allerdings ist es nicht etwa mit der Einsicht in „moralische Wahrheiten“ verbunden und würde daher nach Schopenhauer auch nicht als Maßstab der Moral taugen. Die den bösen Willen auszeichnende Grausamkeit, die ihn das Leid der anderen nicht nur als Mittel zum Zweck in Kauf nehmen, sondern aktiv suchen lässt, erklärt Schopenhauer dadurch, dass der böse Wille sein eigenes, aus der Heftigkeit des Wollens resultierendes Leiden durch den Anblick fremden Leidens zu lindern suche, denn „der Anblick fremder Leiden lindert die eigenen“ (W I/2, 452). Die Implikationen dieser Bestimmung sind weitreichend; sie würde u. a. bedeuten, dass der erste Schritt zur Bekämpfung des Bösen in der – wenngleich sicher nur approximativ möglichen – Minderung der Leiden des bösen Charakters bestünde: Auch der böse Charakter ist ein Leidender und Getriebener, der eher der Hilfe als der Strafe bedarf. Welche Konsequenzen dies für die Frage der Verantwortlichkeit des bösen Menschen für seine Taten hätte, wäre zu untersuchen.

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10.5 Mitleidsethik (§§ 66–67) Der Grund der Welt oder „Gott“, der uns untereinander verbindet, weil wir in ihm vereinigt sind, ist weder eine planende Vernunft (der Welt-Logos) noch eine Person, die Absichten hat und handelt. Er ist auch nicht bedeutungsgleich mit dem Brahman der Veden, obwohl Schopenhauer durch diese nachhaltig inspiriert wurde (vgl. Singh 2010, 104, 113, 118). Es gibt trotz aller scheinbaren Zweckmäßigkeit und Schönheit kein intelligent design, sondern Ordnung entsteht aus dem Chaos des blinden Willens. Tiefere Einsicht in diesen Willen stiftet ein Gefühl von Zusammengehörigkeit und Gemeinschaft mit allen Lebewesen. Dieser Wille wütet gegen sich selbst, wenn wir uns im struggle of life bekämpfen, aber er hat auch das Potential, im Menschen zur Besinnung zu gelangen. Der Mensch hat die Option, den Willen als Ursache aller Konf likte zu beruhigen, indem er jene Energien übt und bündelt, die aus dem Mitgefühl stammen. Das Mitgefühl ist zugleich eine Wirkung der Einsicht in die Einheit des Willens und ein Hinweis auf die Einheit des Willens. Deutlicher wird das Mitleid in der Preisschrift über die Grundlage der Moral als ein empirisch gegebenes Motiv zu solidarischem Handeln im Umgang mit allen Lebensformen herausgearbeitet; es ist ein antiegoistisches Motiv, das ohne Privilegierung des eigenen Ichs wirksam ist. Dessen metaphysische Ausdeutung ist dagegen sekundär (vgl. E/6, 235–251 [§§ 14–16]). In der Darstellung des Hauptwerks dagegen gelangt Schopenhauer auf dem Umweg der Metaphysik des Willens zum Mitleid, und zwar mit dem (wie er es nennt) paradoxen Satz: „Alle Liebe (agapē, caritas) ist Mitleid.“ (W I/2, 464).2 Die aus Einsicht praktizierte Zurücknahme oder gar „Mortifikation“ des Willens ist nicht notwendigerweise eine Verachtung des Lebens; nach der Auffassung Albert Schweitzers kulminiert sie vielmehr in der gleichen Ehrfurcht vor allem Leben. Schweitzers Ehrfurcht vor dem Leben in all seinen Erscheinungsformen durch Hingabe an alles Leben wäre das Modell einer Entsagung ohne Ressentiment, ohne systematische Abwertung des Lebens. Inwiefern diese noch durch eine Verneinung des Willens im eigenen Leibe überboten werden kann oder sollte oder ob man es wie Albert Schweitzer bei einer vertieften und denkenden Bejahung allen Lebens belassen sollte, bleibe dahingestellt. Ein Sollen im Bereich dieser letzten Optionen ist ohnehin fragwürdig. Möglicherweise ist die 2 Zur Kritik an dieser Gleichsetzung vgl. Hartmann 2009, 230f., 256ff. Hartmann formulierte diese Kritik bereits in der ersten Auf lage der Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins von 1879.

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Grundoption der Verneinung des Willens zum Leben, sofern sie durch eine mystische Einsfühlung mit allem Leben inspiriert ist, offen für verschiedene, mehr oder weniger asketische Ausprägungen der Ethik, von der eher passiven der Resignation und des Absterbens in der Mortifikation des Willens bis zur energischen und aktiven Hingabe für alle leidenden Wesen, vom differenzierenden und abwägenden Schutz der verschiedenen Qualitäten des Lebens bis zu einer konsequent egalitaristischen pro-life-morality. Letztere müsste nicht nur Abtreibung, Sterbehilfe und Geburtenkontrolle verbieten, sondern auch die Vernichtung von Pf lanzen und Tieren. Sie müsste auch zugestehen, dass wir uns auf Schritt und Tritt in tragische moralische Konf likte verstricken. Wie dem auch sei, eines steht fest: Eine religiös und metaphysisch begründete Ethik wird nicht bei einer minimalen Rechtsethik stehen bleiben, welche die negativen Rechte der Menschen schützt, ohne ihre positiven Ansprüche auf Hilfe und Fürsorge zu beachten. Schopenhauer vermeidet allerdings den performativen Widerspruch, der darin bestehen würde, dass wir einerseits auf Glück verzichten und andererseits andere glücklich machen sollten. Da er ohnehin nicht an ein künftiges Schlaraffenland auf Erden glaubt, das nicht durch Langeweile vergällt würde, wird sich die helfende und liebende Haltung angesichts der massiven Leiden in der ganzen Welt auf die Linderung und Beseitigung von Leiden konzentrieren müssen. Da niemand ein Recht darauf hat, glücklich zu sein, hat auch niemand eine moralische Pf licht, andere glücklich oder noch glücklicher zu machen. Die Bejahung des Willens als gleiche Anerkennung der elementaren Rechte der Individuen und Anerkennung der Autorität des Staates ist die Grundlage des konf liktreichen, aber mehr oder weniger friedlichen Zusammenlebens im Staate. Das Grundmotiv dafür ist wie bei Thomas Hobbes die Angst vor einem miserablen und kurzen Leben im Naturzustand. Die Ethik dagegen bewegt sich bereits im Übergang zur abgestuften teilweisen Verneinung des eigenen Willens. Die helfende Hingabe an andere aus Mitleid wird nur noch durch die religiöse Verneinung des Willens übertroffen. Weitere Phänomene der gesteigerten moralischen Sensibilität sind die Gewissensangst, der freiwillige Verzicht auf fremde Dienste und Eigentum sowie die stellvertretende Empörung des Betrachters über die an Dritten begangenen Verbrechen. Man erinnert sich an Adam Smiths „ideal observer“: Diese Phänomene sind „intimations of monism“, d. h. Indizien für die Einheit des Willens, mit denen die teilweise Erkenntnis des Dinges an sich, wenn auch auf unvollkommene und immer noch vom principium

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individuationis überschattete Weise, in vielen Nuancen und Annäherungen im natürlichen Gerechtigkeitsempfinden bestätigt wird. Aus ethischer Selbstlosigkeit wird asketische Selbstauslöschung. Ob dieser letzte Schritt zwingend oder auch nur nötig ist, lässt sich diskutieren. Schopenhauer betont (gegen Kant), dass das ethische Mitleid keineswegs einem schwachen oder geschwächten Willen entstammt (vgl. W I/2, 461, 466). Mitleid ist keine „letzte Versuchung“ eines starken Willens und kein dekadenter Schwächeanfall, wie Nietzsche unterstellen wird!

10.6 Zusammenfassende Interpretation der §§ 60–67: Egoismus und Lebensbejahung bei Schopenhauer Der Egoismus und die Bejahung des Lebens werden von Schopenhauer nicht ignoriert. Es lohnt sich, die verschiedenen Auffassungen des Egoismus und seiner Nachwirkungen selbst in Teilen der Ethik nochmals zu überblicken. (1) Der individuelle/partikuläre Egoismus: Dies ist der gedankenlose, impulsive Egoismus, der vielleicht nicht einmal berechnet, sondern lediglich das eigene Wohl und Wehe im Blick hat. Durch diesen Egoismus fühlt sich das Herz zusammengezogen (vgl. W I/2, 463). Dieser Egoismus hat autistische Züge; er ist verwandt mit dem Solipsismus, der die Existenz einer kausal unabhängigen Außenwelt und eines kausal unabhängigen alter ego leugnet. Er bleibt exklusiv, d. h. er schließt alle direkten Rücksichten auf das Wohl und Wehe anderer aus. (2) Der zur Bosheit und Grausamkeit gesteigerte Egoismus: Schopenhauer schwankt zwischen der Auffassung von Bosheit als gesteigertem Egoismus (vgl. W I/2, 452) und der Auffassung von Bosheit als nicht-egoistischer Motivation sui generis. In der Preisschrift über die Grundlage der Moral wird explizit eine Trichotomie der Motive eingeführt (vgl. E/6, 239f., 249); die Bosheit bildet dabei eine eigene Klasse von Motiven, die nicht aus dem Egoismus abgeleitet werden kann. So gesehen gibt es keine Kontinuität zwischen Egoismus und Bosheit, sondern einen Bruch. Allerdings bereitet Schopenhauer die Deutung der Selbstlosigkeit der Bosheit Kopfzerbrechen. Auf eine seltsame Weise verringert auch die aktive Grausamkeit – im Kontrast zur passiven Gleichgültigkeit – die Kluft zwischen den Individuen; Hass kann als eine Form von „Zuwendung“ und Bindung an die gehasste Person verstanden werden. Das Ziel boshafter

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Handlungen besteht nicht im eigenen Nutzen, sondern in der Schädigung anderer. Die dabei empfundene Schadenfreude ist eher eine Nebenwirkung als das primäre Ziel. Echte Bosheit will schaden und nimmt dafür sogar Nachteile oder den eigenen Ruin in Kauf. Sollte der Wille zur Macht ein eigenes Motiv sein, das sich nicht auf die egoistische Freude am Gefühl der Macht reduzieren lässt? Oder sind Bosheit, Schadenfreude, die Lust an der Zerstörung und der Hang zur Grausamkeit keiner metaphysischen Deutung zugänglich, sondern einfach als empirische Gegebenheiten hinzunehmen? (3) Der universelle Egoismus: Er bildet die Grundlage der reinen Rechtslehre. Es geht um einen Vertragsegoismus: Das eigene Wohl und Leben wird durch einen gegenseitigen Vertrag unter der Hoheit eines souveränen Staates garantiert. Dieser auf Egoismus basierende Kontraktualismus ist eine Leistung der Vernunft. Vernunft als die Fähigkeit zu Begriffen und zur Abstraktion erlaubt es, eine gewisse Distanz zum eigenen Ego zu gewinnen und es als ein Ego unter anderen zu betrachten und zu gewichten. Vernunft als Berechnung künftiger Folgen für mein eigenes Wohl und Wehe empfiehlt mir, auf die Zufügung von Leiden und die Verletzung anderer zu verzichten, um Retorsionen und eine Untergrabung des sozialen Friedens, die mir letztlich selbst schaden würden, zu vermeiden. Dieser Egoismus wird durch ein System f lankierender Strafnormen mit präventiver Wirkung etabliert. (4) Ein Rest von Egoismus in der Tugend der Gerechtigkeit: Im Bereich der Ethik verkörpert die Tugend der Gerechtigkeit zunächst eine Form der passiven Sympathie, die darin besteht, dass ich darauf verzichte, andere absichtlich oder wissentlich aktiv zu schädigen, die sich allerdings bis zur freiwilligen Besitzlosigkeit steigern kann. Die Mitleidsethik ist nicht mehr an die Forderung der Reziprozität gebunden. Die Tugenden basieren nicht auf einem gegenseitigen Vertrag, sondern auf einer einseitigen Achtung aller leidensfähigen Wesen. Diese Achtung entstammt dem Mitleid, ist aber im Normalfall kein grenzenloses Mitleid, sondern ein „Mitleid auf Sparf lamme“. Es wird übersetzt in eine Regel, nämlich das Verbot der Schädigung anderer, das zu beachten ist, auch wenn ich spontan in einer konkreten Situation kein Mitleid empfinde oder durch konkurrierende Motive abgelenkt werde. Das principium individuationis bleibt im Hintergrund unangefochten bestehen und hindert die Tugend der Gerechtigkeit daran, in eine grenzenlose Sympathie überzugehen. Man könnte auch sagen, dass der universelle oder aufgeklärte Egoismus sowie der Sinn

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für Gerechtigkeit in seiner durchschnittlichen Ausprägung der Neigung zur maßlosen Sympathie enge Grenzen setzen. Das Höchste, was Gerechtigkeit zustande bringt, ist freiwilliger Verzicht auf Eigentum und die Dienste anderer: „Daher wird der Beste Mensch durchaus freiwillig arm seyn.“ (HN I, 179). Demnach steckt im scheinbar so natürlichen und evidenten Anspruch auf Eigentum ein Rest von ungerechtem Egoismus! Der Gerechte in extremis wütet jedoch nicht wie der Asket gegen den Willen im eigenen Leib. Um Schopenhauers Theorie besser zu verstehen, ist es zweckmäßig, zwischen Motiv und Ziel zu unterscheiden. Das Ziel des rechtlichen und gerechten Handelns ist die Vermeidung der Schädigung der vitalen Interessen und Rechte anderer – dieses Ziel ist „inklusiv“, d. h. andere werden in die Abwägung des eigenen Wohls und Wehes mit eingeschlossen. Die Motive zur Realisierung dieses Ziels, der Wunsch nach Sicherheit und die Furcht vor Sanktionen, bleiben jedoch im Rahmen der reinen Rechtslehre egoistisch. In der Ethik ist dagegen bereits ein altruistisches Motiv (Mitleid) im Spiel, das – solange die Ethik bei der Tugend der Gerechtigkeit stehen bleibt – noch durch egoistische Motive gedämpft wird, außer wenn sich der Gerechte auch noch dazu überwindet, auf sein Eigentum zu verzichten. So gesehen kann man also gerecht und gerechter, mehr oder weniger egoistisch sein! (5) Die Bejahung der „ewigen Gegenwart“ des Lebens: Die bewusste Bejahung und Wertschätzung der Gegenwart wird auch in der Lebenskunst zu einem Mittel, sich illusorischen Hoffnungen und übertriebenen Ängsten für die Zukunft zu verweigern. Das Genießen der Gegenwart kommt einer positiven Konzeption von Lust und Glück nahe. Es fällt den Dummen am leichtesten und ist von klugen und phantasiebegabten Menschen nicht direkt zu erreichen, sondern nur durch Zügelung der Einbildungskraft und indirekte Überlegungen zur Abwesenheit von Schmerzen und Leiden bzw. Strategien gegen Langeweile. Auf dieser Ebene wird die Gegenwart als „ewig“ erlebt. Metaphysisch betrachtet entspricht dieser Erfahrung die Betrachtung der Welt unter dem Aspekt der Atemporalität. Die Bejahung der ewigen Gegenwart hat ihren Seinsgrund und ihre Berechtigung in der Einheit des Willens. Diese beinhaltet, dass ich bereits am Ziel bin und von der Zukunft nichts zu befürchten habe. De facto ist das selige Leben in der Gegenwart jedoch höchst prekär und ephemer und gleicht darin dem vorübergehenden Zustand des interesselosen Betrachtens in der ästhetischen Anschauung (vgl. W I, § 38; W II, Kap. 34). Bedeutungsvoll ist nicht der zufällige

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empirische Gehalt der Gegenwart, sondern die Form der Gegenwärtigkeit (vgl. W I, § 54; vgl. hierzu Stanek 2010, 252ff.). (6) Die ewige Gerechtigkeit: Sie repräsentiert vielleicht die höchste Form der mit der Erkenntnis der Ideen verknüpften Haltung unter der Bedingung der Bejahung des Lebens. Die entsprechende Deutung der Welt als einer moralischen Ordnung versteht die Aspekte von Leiden und Schuld, indem sie sich teilweise von der Befangenheit durch das principium individuations befreit. Teilweise ist diese Befreiung, solange die moralische Ordnung noch als eine sichtbare Ordnung verstanden wird, die sich in der Welt der Erscheinung deutlich sehen oder (durch den edlen Rächer) herstellen lässt. Dies ist ein letztes Selbstmissverständnis, das überwunden werden muss: Die moralische Ordnung der ewigen Gerechtigkeit ist eine dem Auge verborgene Ordnung. Die Vorteile dieser Betrachtungsweise bestehen in der festen Überzeugung, dass es kein sinnloses Leiden, keine sinnlosen (freiwilligen) Opfer, aber auch keine sinnvolle Ausbeutung anderer geben kann. (Diese Überzeugung besteht gegen jede empirische Evidenz und kann nicht auf empirischem Weg bewiesen werden. Darin liegt auch ihre Schwäche!) Die ewige Gerechtigkeit kennt keine zeitlich verzögerte Vergeltung, keine Justizirrtümer, keine Parteilichkeit in der Distribution von Vorteilen und Lasten, also keine Ansatzpunkte für eine Anklage der Ungerechtigkeiten der Welt. Sie macht Schluss mit dem endlosen Grübeln und Brüten über vermeintlich unschuldiges und unverdientes Leiden. Die Suche nach einem Sündenbock oder nach einem bösen Dämon als Welturheber oder Ursache der Sündenkorruption wird unterbunden. Ich bin ja selber in gewisser Weise zu diesem bösen Dämon geworden. Ich bin nicht nur ein Teil des Leidenszusammenhanges, sondern ein aktiver Teilnehmer, und ich vermag mich jetzt auch als solchen zu sehen und zu verstehen. Die ewige Gerechtigkeit verschafft keine Erleichterung, sondern drückt wie eine Zentnerlast, vergleichbar mit der Last eines Atlas oder eines Christus, der die gesamten „Sünden“ der Welt trägt: „Dem wahren Wesen der Dinge nach hat Jeder alle Leiden der Welt als die seinigen, ja alle nur möglichen als für ihn wirklich zu betrachten, solange er der feste Wille zum Leben ist, d. h. mit aller Kraft das Leben bejaht.“ (W I/2, 440). Der Egoismus ist noch einmal im Spiel, sofern ich mich als Zentrum der Welt erleben kann, aber dieses Mal als Zentrum, auf dem alles lastet, alle Leiden und alle „Sünden“ aller Zeiten und aller Lebewesen. Der Egoismus wird angesichts dieser Einsicht kontraproduktiv oder jedenfalls selbstaufhebend. Der Egoismus der Gleichgültigkeit und Selbstprivi-

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legierung ist ausgeschaltet. Ich kann nicht mehr sagen: „Der Lauf der Welt geht mich nichts an. Ich wasche meine Hände in Unschuld. Hauptsache ich bewahre meine eigene Integrität.“ Es kann mir nicht mehr gelingen, andere zu belasten, um mir zu nützen, denn es gilt: „Der Quäler und der Gequälte sind Eines.“ (W I/2, 441). Die ewige Gerechtigkeit bedeutet also grenzenlose Verantwortung und setzt gleichwohl die Bejahung des Lebens in der eigenen Person voraus! Die Betrachtungsweise der ewigen Gerechtigkeit ist ein vorläufiger Höhepunkt bei der Besteigung des Hochgebirges, dessen Gipfel die religiöse Askese, die Verneinung des Willens im eigenen Leibe ist. Was die Theodizee hätte leisten sollen, ist geleistet in der Einsicht, dass das Leiden zur asketischen Umkehr führen kann: „Und dies ist die wahre Theodizee, die vergeblich versucht wurde, solange man das irdische Wohlseyn zum Zweck, wenn auch nur zum Nebenzweck des Lebens machte. Leiden befreit vom Lebenwollen […].“ (HN I, 1818). Schuld und Leiden sind unvermeidbar, sofern ein Wille waltet und ich auch den Willen im eigenen Leibe bejahe. Niemand kann (mit Einsicht in die Einheit des Willens!) das Leben wollen, ohne leiden zu wollen. (Doch wer will wirklich leiden?) Die ewige Gerechtigkeit wirkt wie eine Herausforderung, die uns vor die Entscheidung für oder gegen die Bejahung des Willens führt; sie ist eine instabile und transitorische Sichtweise. Ihr größter Mangel besteht in ihrer Unsichtbarkeit und in ihrem grundlosen Sinnoptimismus, der sie sogar in eine gefährliche Nähe zum Leibniz-Pope’schen Optimismus rückt. Es kann keine sinnlosen Leiden geben, doch vermeintlich sinnlose Leiden bleiben in der Welt der Erscheinungen gleichwohl dominierend. Wer auf dieser kontrafaktischen Sichtweise beharren würde, wäre zur Tatenlosigkeit verurteilt. Dies wäre der „Quietismus“ im schlechten Sinne, die „Resignation“ im Sinne der vollständigen Paralysierung. Auch der Rückfall in den Egoismus des Selbstmitleids ist möglich und äußert sich im Weinen (vgl. W I/2, 466–468). Die ewige Gerechtigkeit bietet dem schwer Leidenden in seiner Situation keinen echten Trost; sie enthält die tiefe Zweideutigkeit, dass wir zum einen von Geburt aus schuldig sind – die Dogmen der „Erbsünde“, der „Reinkarnation“, der Schuld durch Geburt sind mythologische Varianten dieser Auffassung (vgl. W I/2, 441–443) – und dass zum anderen der Lauf der Welt unschuldig ist, sofern man keine bestimmten Individuen anklagen kann. Diese „Unschuld des Werdens“ ist die unlogische, aber untrennbare Kehrseite der „Erbsünde“. Aus diesem Widerspruch resultiert eine

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Unruhe, die neue Kehrtwendungen erforderlich macht. So ist die Lehre von der ewigen Gerechtigkeit – wie auch jene von der Erbsünde und der Wiedergeburt – eine hybride Form von philosophischem Gedanken und religiösem Mythos. Der Gedanke der Strafgerechtigkeit wird in ihr vollendet und gleichzeitig ausgehöhlt. Literatur Frauenstädt, Julius 1876: Neue Briefe zur Schopenhauerschen Philosophie, Leipzig. Hartmann, Eduard von 2009: Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins, hrsg. von J.-Cl. Wolf, 4. Auf lage, Göttingen [1. Auf lage 1879]. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 1995: Grundlinien der Philosophie des Rechts, Hamburg [1. Auf lage 1820]. Schaber, Peter 2010: Instrumentalisierung und Würde, Paderborn. Schweitzer, Albert 1960: Kultur und Ethik. Sonderausgabe mit Einschluss von Verfall und Wiederaufbau der Kultur, München [1. Auf lage 1923]. Singh, Raj 2010: Schopenhauer. A Guide for the Perplexed, London/New York. Stanek, Vincent 2010: La métaphysique de Schopenhauer, Paris. Wolf, Jean-Claude 1988: Kant und Schopenhauer über die Lüge, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie 10, 69–80. – 1997: Schopenhauers Liberalismus, in: Schopenhauer-Jahrbuch 78, 63–86. – 2013: Schopenhauers Ethik, in: J.-Cl. Wolf: Pantheismus nach der Aufklärung. Religion zwischen Häresie und Poesie, München/Freiburg, 130–150.

11 Matthias Koßler

Schopenhauers Soteriologie (W I, §§ 68–71)

11.1 Einleitung Schopenhauers Erlösungslehre stellt den erstaunlichsten und umstrittensten Teil seines philosophischen Systems dar. Erstaunlich ist schon, daß eine Philosophie, die sich als „immanent“ (W II/3, 212, W II/4, 750),1 also in den Grenzen der Möglichkeit der Erfahrung bleibend, versteht, überhaupt eine Soteriologie2 enthält. Daß die Erlösung dann nicht in einer Affirmation, sondern in der Verneinung des Wesens der Welt besteht, ist der nächste erstaunliche Umstand. Umstritten ist diese Lehre nicht allein wegen der ungewöhnlichen, den traditionellen Vorstellungen widerstreitenden Grundaussagen, sondern auch weil sie selbst innerhalb dieses Rahmens eine Reihe von Widersprüchen aufweist. Nietzsche hat als prominentester Kritiker vor allem an der Verneinung des Willens zum Leben, in der die Erlösung bei Schopenhauer besteht, Anstoß genommen (vgl. Janaway 1998). In der Literatur hat man des öfteren versucht, die Soteriologie aus dem philosophischen System herauszunehmen, man hat sie als pathologische Zuspitzung des Pessimismus betrachtet (Magee 1983, 242 f.; Janaway 1999, 1 Vgl. GBr., 291: „Meine Philosophie redet nie von Wolkenkukuksheim, sondern von dieser Welt, d. h. sie ist immanent, nicht transcendent.“ 2 Die Anwendung des religiösen Begriffs ‚Soteriologie‘ auf die Erlösungslehre Schopenhauers ist problematisch und birgt die Gefahr, ihre Interpretation in eine bestimmte Richtung zu lenken. Da er sich in der Literatur für die behandelten Abschnitte eingebürgert hat, sei er hier beibehalten.

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341) oder einfach ignoriert. Aber die Lehre von der Erlösung ist doch der Kulminationspunkt, das „Ziel“ des Schopenhauerschen Denkens (Malter 1991, 51), indem sie den ganzen Zweck des Lebens zum Inhalt hat, den der junge Schopenhauer schon ausgesprochen hatte: „Der Zweck des Lebens (…) ist die Erkenntniß des Willens. Das Leben ist der Spiegel des Willens, dessen in innrer Entzweiung bestehendes Wesen darin Objekt wird, durch welche Erkenntniß der Wille sich wenden kann und Erlösung möglich ist“ (HN I, 167). Andererseits ist gegen die Rede vom Zielpunkt auch immer wieder auf die organische Struktur des „einen Gedankens“ hingewiesen worden, nach dem kein Teil des Systems den anderen übergeordnet ist. So kann die Verneinung des Willens auch im Sinne der Deutung einiger Phänomene der Erfahrungswelt als Ausdruck einer bestimmten Perspektive auf die Welt verstanden werden, neben der andere, durchaus gleichrangige Standpunkte betrachtet werden (Spierling 1994, 235 ff.; Schubbe 2010, 193 ff.). Die Phänomene, um die es dabei geht, sind Formen der Askese und Entsagung, Bekehrungsgeschichten und Berichte über mystische Erfahrungen.

11.2 Wege zur Willensverneinung (§ 68) Innerhalb der Ethik, die das vierte Buch der Welt als Wille und Vorstellung ausmacht, wird jedoch zunächst einmal die Verneinung des Willens zum Leben aus der im Mitleid stattfindenden Durchschauung des principium individuationis linear abgeleitet. Im Mitleid erreicht das Wiedererkennen des eigenen Wesens im Anderen, aus dem „Güte, Liebe, Tugend und Edelmuth entspringt“ (W I/2, 468), einen solchen Grad, daß kein Unterschied mehr zwischen dem Wohl und Wehe der eigenen Person und dem der anderen gemacht wird. Da mit der Aufhebung des Unterschieds zwischen Ich und Du im konkreten Fall mitleidigen Handelns die Einsicht in die Aufhebung des Unterschieds zwischen Ich und Nicht-Ich überhaupt, also die lebendige Erkenntnis des selben Wesens in allen Dingen, verknüpft ist und das Leben wesentlich durch Leiden geprägt ist, „folgt von selbst […], daß ein solcher Mensch … auch die endlosen Leiden alles Lebenden als die seinen betrachten und so den Schmerz der ganzen Welt sich zueignen muß“ (W I/2, 469, Hervorhebung M. K.). Die logische Konsequenz der Durchschauung des principium individuationis hat wiederum eine praktische Folge, denn wenn die Leiden aller Wesen dem Menschen so nahe sind „wie dem

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Egoisten nur seine eigene Person: Wie sollte er nun, bei solcher Erkenntniß der Welt, eben dieses Leben durch stete Willensakte bejahen […]?“ (ebd.). Diese Erkenntnis wird daher „zum Quietiv alles und jedes Wollens. Der Wille wendet sich nunmehr vom Leben ab: ihm schaudert jetzt vor dessen Genüssen, in denen er die Bejahung desselben erkennt. Der Mensch gelangt zum Zustande der freiwilligen Entsagung, der Resignation, der wahren Gelassenheit und gänzlichen Willenslosigkeit“ (W I/2, 470). Dieser Zustand wird von Schopenhauer als „wahres Heil, Erlösung vom Leben und Leiden“ (W I/2, 491) angesehen. So plausibel diese Ableitung auf den ersten Blick erscheinen mag, so ist sie bei genauerer Betrachtung in mehrerer Hinsicht fragwürdig. Allein daß dem Menschen auf dem Standpunkt „erreichter Selbsterkenntniß“ – wie es im Titel des 4. Buchs heißt – also dem Menschen, der das principium individuationis durchschaut hat, ein Denken in Folgerungen zugeschrieben wird, widerspricht schon der Voraussetzung, daß die Durchschauung mit der Überwindung des Denkens unter dem Satz vom Grunde verbunden sein soll. Die Übernahme des Leidens der Welt ist als eine Folgerung nach dem Satz vom Grunde des Erkennens, die Abwendung von der Welt als ein Fall des Gesetzes der Motivation (Satz vom Grunde des Handelns) dargestellt. Bei der Erörterung des Gewissens hatte Schopenhauer Konsequenzen aus der Überwindung dieses Denkens gezogen, indem er dem Mitleidigen aufgrund seiner „Erkenntniß seines eigenen Wesens in allem Lebenden“ gerade eine „gewisse Gleichmäßigkeit und selbst Heiterkeit der Stimmung“ zusprach (W I/2, 464), eben weil der egoistische Wille als Hauptursache des Leidens durch diese Erkenntnis zumindest modifiziert und gemindert ist. Im Übergang zur Askese dagegen wird der Egoismus rehabilitiert: Weil das Leiden alles Lebenden ihm so nah ist „wie dem Egoisten“ das eigene, wendet sich der Mensch ab. Insofern ist die Askese der Tugend gegenübergestellt, die Wendung des Willens ist „der Uebergang von der Tugend zur Askesis“ (W I/2, 470). Wie sich gleich zeigen wird, kann der Übergang aber wegen der Rehabilitierung des Egoismus nicht zur gewünschten „wahren Gelassenheit“ führen. Die Rede vom „Abscheu“ vor dem Willen zum Leben (ebd.) legt nahe, daß der Egoismus in der Form der Leidensvermeidung die Triebfeder der Verneinung des Willens sei. Es ist jedoch zu beachten, daß es Schopenhauer dabei nicht um einen Affekt gegen das Leiden geht, sondern umgekehrt gegen die Genüsse: um den Abscheu vor der „Süße des Lebens“, vor der „Befriedigung der Wünsche“ (W I/2, 472). Vom Egoisten unterscheidet sich der Asket also durch seine Wen-

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dung gegen Genuß und Befriedigung, aber er hat mit ihm – im Unterschied zum Mitleidigen – die affektive Beziehung der Dinge auf seine eigene Person gemein. In einer Anmerkung zu den Ergänzungen zum § 68 im zweiten Buch der Welt als Wille und Vorstellung (W II/4, 710) hat Schopenhauer dementsprechend dem „eigenen Wohl“ im Fall des Egoismus das „eigene Wehe“ als Triebfeder der Askese gegenübergestellt (während im Mitleid das „fremde Wohl“, bei der Bosheit das „fremde Wehe“ motiviert). In der antiken und christlichen Tradition der Askese ist die „Übung“ (Askesis) letztlich in ein Streben nach eigenem Wohlergehen, sei es im Diesseits oder im Jenseits, eingebunden. Schopenhauer radikalisiert den Askesebegriff durch die Umkehrung der Triebfeder bis hin zur Konsequenz des Todes (W I/2, 472, 480) und beruft sich dabei auf Beispiele aus der christlichen (insbesondere pietistischen) und indischen Mystik. Aber abgesehen davon, daß er damit den logischen Widerspruch zwischen Willenlosigkeit und Motivation so wenig los wird wie in der Mitleidsethik, spricht Schopenhauer auch vom „Zustand“ des heiligen Asketen, den „ein unerschütterlicher Friede, eine tiefe Ruhe und innige Heiterkeit“ auszeichne (W I/2, 482), der dennoch „durch steten Kampf immer aufs Neue errungen werden“ müsse (W I/2, 484). Auch wenn man von einer zeitlichen Koinzidenz dieses „beständigen Kampfes“ und der „wahren Gelassenheit und gänzlichen Willenlosigkeit“ (W I/2, 470) ausginge, wäre letztere der Zweck des ersteren. Ganz deutlich wird das, wenn Schopenhauer betont, daß er unter Askese die „vorsätzliche Brechung des Willens […] zur anhaltenden Mortifikation des Willens“ versteht (W I/2, 484 f.). „Verneinung des Willens“ scheint nun beides bedeuten zu können, sowohl den mühsamen Weg der Übung, die durchaus von der Triebfeder des eigenen Wohls – und nicht des eigenen Wehes – bestimmt ist, als auch den Zustand des „auf immer beschwichtigt[en]“ Willens (W I/2, 483), der mit dem Hinweis auf die Willenlosigkeit der ästhetischen Betrachtung erläutert wird. Diesem Anschein widerspricht allerdings Schopenhauers Annahme eines „zweiten Wegs (δευτερος πλους)“ (W I/2, 485) zur Verneinung des Willens, bei dem nicht die Erkenntnis und der Kampf des Asketen die „Brechung des Willens“ herbeiführen, sondern das übermäßige selbst empfundene Leiden3 . 3 Vgl. auch W II/4, 710, wo selbst in bezug auf den ersten Weg gesagt wird, daß viele, „und vielleicht mit Recht, die Askese im allerengsten Sinne […] als überf lüssig verworfen“ hätten.

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Dieser Weg, den Schopenhauer in beiden Bänden des Hauptwerks mit verschiedenen Bekehrungsgeschichten illustriert, ist der weitaus häufigere. Wie seine Beispiele zeigen, sind daher die aus dem Mitleid entspringenden Tugenden der Gerechtigkeit und Menschenliebe, die beim ersten Weg durch die Steigerung der Durchschauung des principium individuationis stufenförmig zur Verneinung des Willens hinführen, gar keine notwendigen Voraussetzungen der letzteren. Im Gegenteil, da für Schopenhauer das Maß an Bosheit und Leidenschaftlichkeit mit dem des eigenen Leidens korreliert, findet der Umschlag oft vom Extrem der Bejahung des Willens zu dessen Verneinung statt. Hier bedeutet „Verneinung des Willens zum Leben“ eindeutig das Resultat der Brechung des Willens und fällt nicht mit dieser zusammen. Sie bezeichnet die Erkenntnis der Nichtigkeit des Lebens, die in der Haltung der Resignation und Selbstlosigkeit zum Ausdruck kommt. Den § 68 zusammenfassend läßt sich festhalten, daß es sich bei der in ihm thematisierten „Verneinung des Willens zum Leben“ weder um ein einheitliches Phänomen noch um ein einheitliches philosophisches Konzept handelt. Sie bezeichnet einmal den Zustand der „wahren Gelassenheit“, der aus der Erkenntnis als einem „Quietiv alles und jeden Wollens“ hervorgeht (W I/2, 470); sie ist einmal die Erkenntnis selbst, hervorgegangen aus übermäßigem Leiden; und sie bezeichnet auch die asketische Praxis, den (willentlichen) Kampf gegen das eigene Wollen (vgl. Hallich 1998, 31). Schopenhauer scheint sich der Unzulänglichkeit seiner Konzeption bewußt zu sein, wenn er schreibt, daß „vielleicht […] hier zum ersten Male, abstrakt und rein von allem Mythischen, das innere Wesen der Heiligkeit, Selbstverleugnung, Ertödtung des Eigenwillens, Askesis, ausgesprochen“ sei (W I/2, 474; Hervorhebung M. K.). Wenig später konkretisiert er diese Unzulänglichkeit mit der Feststellung, daß die Verneinung des Willens „ihren vollkommenen Ausdruck auch nicht in abstrakten Begriffen, sondern allein in der That und dem Wandel“ findet (W I/2, 475). Es handelt sich also um ein philosophisch nicht adäquat faßbares Ineinander von Erkenntnis und Praxis, das wir anhand von Schilderungen in der Literatur und in Tatsachenberichten zu studieren haben, „um völliger zu verstehen, was wir philosophisch als Verneinung des Willens zum Leben ausdrücken“ (ebd.).

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11.3 Selbstmord (§ 69) Eine weitere philosophische Annäherung unternimmt Schopenhauer dennoch, indem er die Verneinung des Willens vom Selbstmord abgrenzt. Gerade der „zweite Weg“, bei dem die Verneinung aus einem Übermaß des Leidens entspringt, legt eine Identifizierung mit dem Selbstmord nahe, wie sie Philipp Mainländer unter Berufung auf Schopenhauer in Theorie und Praxis umgesetzt hat. Schopenhauer weist auf den Unterschied hin, daß das Motiv des Selbstmords die Aufhebung des Leidens sei und eben nicht der die Verneinung des Willens kennzeichnende Abscheu vor den Genüssen des Lebens. Der Selbstmörder verneint das Leben, aber nicht den Willen zum Leben, und um den letzteren allein ist es zu tun. Der physische Tod ist nicht das Ziel der Verneinung, er tritt sozusagen akzidentell ein, wenn der Asket aus Willenlosigkeit verhungert (W I/2, 495); der Selbstmord dagegen ist „ein Phänomen starker Bejahung des Willens“ (W I/2, 492). Plausibel ist diese Abgrenzung nur für diejenigen Fälle von Selbstmord, bei denen die Beendigung eines Leidens das Motiv bildet. Warum die Erkenntnis der Nichtigkeit des Lebens nicht (wie bei Mainländer) zu einem nüchternen und überlegten Entschluß seiner aktiven Beendigung führen können soll, ist aus der Argumentation so wenig zu entnehmen wie Gründe für die Ablehnung des Selbstmords etwa aus moralischen Motiven.4 Ob Schopenhauer die „seltsamen sophistischen Gründe“, die Ethiker und Geistliche zur Verdammung des Selbstmordes beibringen, tatsächlich durch überzeugende ersetzen kann, bleibt fraglich. Und so gesteht er auch am Ende des § 68 zu, daß es „mancherlei Zwischenstufen und Mischungen“ zwischen dem freiwilligen Tod des Asketen und dem Selbstmord geben mag (W I/2, 497).5 Schließlich sind spätere Formulierungen Schopenhauers für die mit der Verneinung verbundene Erkenntnis, wie 4 In seiner Auseinandersetzung mit dem Stoizismus spricht Schopenhauer von dem Selbstmord als Ausdruck der Gelassenheit, mit der er „nach vorhergegangener Ueberlegung, gefaßtem Entschluß oder erkannter Nothwendigkeit“ begangen wird (W I/1, 127). 5 Vgl. W II/3, 420, wo das Nachlassen des Lebenswillens mit dem „Hang zum Selbstmord“ zusammengebracht wird, der auch „ohne allen besonderen Anlaß“ verwirklicht wird. In dem Kapitel „Ueber den Selbstmord“ in den Parerga und Paralipomena verteidigt Schopenhauer den Selbstmord gegen die übliche Verdammung und läßt nur seinen „asketischen Grund“ gelten: Sieht man von ihm ab, „so giebt es keinen haltbaren Grund mehr, den Selbstmord zu verdammen“ (P II/9, 336, § 157).

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die vom Leben als einem „Geschäft, das nicht die Kosten deckt“ (W II/4, 671), nicht gerade geeignet, die Abgrenzung vom Selbstmord zu präzisieren. Immerhin wird aber durch den Versuch der Abgrenzung deutlich, daß bei der Verneinung des Willens die Erkenntnis vorrangig ist. Der Wille „kann durch nichts aufgehoben werden, als durch Erkenntniß“ (W I/2, 495); die Handlungen und der Wandel sind die „Symptome“ (W I/2, 503) dieser Erkenntnis, nicht – wie in Schopenhauers Mitleidskonzeption – Voraussetzung oder Bestandteil derselben. Daher kann die Verneinung keinen willentlichen Akt bedeuten, sie kann nicht mit Absicht herbeigeführt werden. Dieser Gesichtspunkt wird im § 70 ausführlicher behandelt.

11.4 Freiheit (§ 70) Dieser Abschnitt beginnt jedoch zunächst mit der Behauptung, daß die Verneinung eine Äußerung der Freiheit des Willens ist, und zwar als „der einzige Fall, wo jene Freiheit auch unmittelbar in der Erscheinung sichtbar werden kann“ (W I/2, 497). Schopenhauer betont sogleich, daß die sich hier äußernde Freiheit nicht mit der einer Willensentscheidung des empirischen Individuums, mit einem „liberum arbitrium indifferentiae“ zu verwechseln sei; sie komme vielmehr „nur dem Willen als Ding an sich zu, nicht seiner Erscheinung, deren wesentliche Form überall der Satz vom Grunde, das Element der Nothwendigkeit, ist“ (ebd.). Wie ist diese Freiheit, die in der Preisschrift über die Freiheit des Willens „transscendental“ (E/6 , 139; vgl. a. W I/2, 365) genannt wird, zu verstehen? Es wäre ein – allerdings durch Schopenhauers Terminologie nahegelegtes – Mißverständnis, im Willen als Ding an sich eine substantiell vom empirischen Willen unterschiedene Entscheidungsinstanz, etwa einen ‚Weltwillen‘ anzunehmen.6 Gerade im Hinblick auf die im § 70 vorgenommene Identifizierung mit der christlichen „Gnadenwirkung“ ist auf Schopenhauers Anspruch der Immanenz seiner Philosophie zu verweisen. So wie der Wille als Ding an sich im allgemeinen der Schlüssel zur Deutung der Erscheinungen in der Welt ist (s. Hallich 2014), so ist es im Fall des Menschen der Charakter, den wir jemandem zusprechen, um uns seine Handlungen erklären zu können. Diese Funktion kann 6 ‚Weltwille‘ ist ein Ausdruck, der leider häufig in der Sekundärliteratur anzutreffen ist, von Schopenhauer selbst aber nie verwendet wurde.

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der Charakter nur erfüllen, wenn er als individuell und konstant gedacht wird, so daß er zusammen mit gegebenen Motiven den zureichenden Grund der Handlungen ausmacht. Da aus der Beobachtung der empirischen Handlungen allein ein solcher Charakter nicht sicher erschlossen werden kann (denn jede neue Handlung modifiziert ihn), setzt Schopenhauer den „intelligiblen Charakter“ als die zeitlose, individuelle „Idee“ (W I/1, 208), an die der empirisch erschlossene Charakter immer nur eine Annäherung darstellt. Der intelligible Charakter ist also als Deutungsschlüssel der Wille als Ding an sich beim Menschen, und seine Erscheinung sind die ihm entsprechend notwendig nach dem Satz vom Grund erfolgenden Handlungen. Was bedeutet es nun, daß der intelligible Charakter „frei“ ist? Hier ist zu berücksichtigen, daß der Begriff der Freiheit für Schopenhauer „ein negativer“ ist, dessen „Inhalt bloß die Verneinung der Nothwendigkeit“, also der Sphäre der vom Satz vom Grunde bestimmten Erscheinungen ist (W I/2, 361). Freiheit des intelligiblen Charakters bedeutet also, daß die Notwendigkeit der empirischen Handlungen negiert wird. Da die Freiheit nicht in den einzelnen Handlungen, sondern im Wesen an sich, dem „Daseyn überhaupt“ des Menschen liegt, kann sie nur darin bestehen, daß dieses „überhaupt nicht daseyn oder auch ursprünglich und wesentlich ein ganz Anderes seyn“ könnte (W I/2, 361 f.).7 Das Bewußtsein der Freiheit im zweiten Fall bewirkt das Gefühl der Verantwortlichkeit und moralischen Zurechnungsfähigkeit, das dem Menschen vorhält, daß er anders hätte handeln können, „wenn nur Er ein Anderer gewesen wäre“ (E/6, 134). Diese Freiheit, ein Anderer sein zu können, kommt natürlich in der empirischen Realität nicht vor, sie bleibt „transscendental“ (E/6, 139). Im ersten Fall dagegen, der bloßen Negation des intelligiblen Charakters, tritt die Freiheit in Erscheinung, jedoch nicht so, wie der Charakter sich in den Handlungen zeigt, sondern so, daß sie sich „als ein Widerspruch der Erscheinung mit sich selbst darstellt“ (W I/2, 362). Der Widerspruch besteht darin, daß zwar nichts Äußerliches das Zustandekommen von Handlungen gemäß dem Charakter auf gegebene Motive hin hindert, diese aber dennoch nicht erfolgen, weil sie nicht gewollt werden. Schopenhauer führt hierfür Beispiele an, die den Gattungscharakter des Menschen betreffen, nämlich das Phänomen, daß „die Genitalien, als Sichtbarkeit 7 Daher liegt die Freiheit nicht im „operari“, sondern im „esse“ (E/6, 138). In der Preisschrift über die Freiheit des Willens drückt Schopenhauer das so aus, daß das „ganze Seyn und Wesen (existentia et essentia) des Menschen […] als seine freie That“ gedacht werden müsse (E/6, 137).

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des Geschlechtstriebs, da und gesund“ sind, aber dennoch „keine Geschlechtsbefriedigung gewollt“ wird (W I/2, 497); aber der Widerspruch des Nichtwollens trifft auch und vor allem auf die individuellen Charaktere zu, die den spezifischen Unterschied des Menschen vom Tier ausmachen. Die Freiheit kann nicht darin bestehen, daß eine andere als die durch den Charakter determinierte Handlung vollzogen wird, aber der Charakter selbst „kann völlig aufgehoben werden“ (W I/2, 498). Die Verneinung des Willens bedeutet also nicht mehr als den bloßen Akt des Nichtwollens. In einem Briefwechsel mit Julius Frauenstädt von 1852 erinnert Schopenhauer seinen Schüler an die Immanenz seiner Philosophie, der gemäß der Wille nur der Schlüssel dafür ist, die Welt „wie eine Hieroglyphentafel“ zu lesen; die Verneinung des Willens sei daher „nicht die Vernichtung eines Objekts oder Wesens, sondern bloßes Nichtwollen“ (GBr., 291). Passagen dieses Briefwechsels wurden dann in den Pargerga und Paralipomena zusammengefaßt: „Gegen gewisse alberne Einwürfe bemerke ich, daß die Verneinung des Willens zum Leben keineswegs die Vernichtung einer Substanz besage, sondern den bloßen Aktus des Nichtwollens: das Selbe, was bisher gewollt hat, will nicht mehr. […] Die Bejahung und Verneinung des Willens zum Leben ist ein bloßes Velle et Nolle. – Das Subjekt dieser beiden actus ist Eines und das Selbe, wird folglich als solches weder durch den Einen, noch den andern Akt vernichtet.“ (P II/9, 339 f.).8 So einfach die Rede von einem „bloßen Akt des Nichtwollens“ klingt, so schwer ist dieser begriff lich zu fassen, steht doch der Akt als Affirmation eines Wollens im Widerspruch zur Negation des Willens. Gewöhnlich – und durchaus auch bei Schopenhauer (W II/4, 437) – bleibt „noluntas“ oder Nichtwollen im Bereich der Bejahung des Willens und bezeichnet die Abwehr, den Unwillen gegen alles, was dem Willen zuwiderläuft. Nichtwollen ist in dieser Bedeutung kein Widerspruch, sondern im Gegenteil die notwendige Begleiterscheinung des Wollens: Wenn ich etwas will, will ich dessen Gegensatz nicht. Nun soll aber nicht dieses und jenes, sondern alles und jedes Wollen verneint werden. Und da wird es weitaus schwieriger, den Aktcharakter des „Nolle“ zu fassen, der nun nicht mit dem lieber Wollen von etwas anderem zusammenfällt. Es handelt sich um ein bloßes Lassen des Wollens, für das die mystische 8 Vgl. GBr., 293. Dem Brief ging eine längere Auseinandersetzung mit Frauenstädt über das Problem der Freiheit des Willens als Ding an sich voraus; vgl. GBr., 283–292, und die Analyse dieser Diskussion in Koßler 1999, 175–213.

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Tradition, ausgehend von Meister Eckhart, den Begriff der „Gelassenheit“ geprägt hat, den Schopenhauer ja auch für die Verneinung des Willens verwendet. Unabhängig von der Mystik, auf deren Bedeutung für Schopenhauer noch zurückzukommen sein wird, ist ein solches absolutes Nichtwollen durchaus auch im alltäglichen Leben zu erfahren, immer dann nämlich, wenn die Wirkung von Motiven durch Besinnung und Überlegung aufgeschoben wird. Zumindest für eine gewisse Zeitspanne muß hierbei das Wollen, so wie es von Schopenhauer als dem Charakter gemäße Reaktion auf gegebene Motive bestimmt wird, aufgehoben werden, und zwar ‚willentlich‘ in einem Sinne, der von demjenigen unterschieden ist, der sich auf die Wirkung von Motiven bezieht. Diese zeitweise Suspension des Willens durch Besinnung bei der Abwägung von Motiven gibt eine Vorstellung von der Aufhebung der Wirkung von Motiven überhaupt. So ist, wie Schopenhauer betont, „die Besonnenheit der Vernunft, welche, unabhängig vom Eindruck der Gegenwart, das Ganze des Lebens übersehn läßt, Bedingung“ der Verneinung des Willens (W I/2, 499).9 Während die besonnene Überlegung als vorübergehende Betrachtung der Dinge unabhängig von ihrer Beziehung auf den subjektiven Willen am Ende doch im Dienst des Willens steht, indem sie dem stärksten Motiv Geltung verschafft und zum Handeln führt, wird die Wirkung der Besonnenheit in der Verneinung des Willens auf alle möglichen Gegenstände, auf „das Ganze des Lebens“ ausgedehnt. Wenn die Freiheit derart als Freiheit „vom Wollen“ (GBr., 288) in einer objektiven Betrachtungsart der Dinge gefaßt wird, kann Schopenhauer sagen, daß der Fall, in dem die Freiheit in Erscheinung tritt, „nicht unmittelbar vom Willen ausgeht, sondern von einer veränderten Erkenntnißweise“ (W I/2, 498). Der Unterschied zum § 68 liegt darin, daß hier nicht von der (inhaltlichen) Erkenntnis des Wesens der Dinge – als Durchschauung des principium individuationis oder als Erkenntnis des essentiellen Leids und der Nichtigkeit der Welt – die Rede ist, sondern von einer veränderten Erkenntnisweise, die durch die gewöhnliche, nach dem Satz vom Grunde verfahrende und die Dinge als mögliche Motive auffassende Erkenntnisweise „verdunkelt“ (ebd.) wird. Die Betrachtung der Dinge unabhängig vom Satz des Grundes war schon in der ästhetischen Kontempla9 Im darauf folgenden Satz wird die Verwandtschaft von Besinnung und Verneinung des Willens noch deutlicher: „Das Thier ist ohne alle Möglichkeit der Freiheit, wie es sogar ohne Möglichkeit einer eigentlichen, also besonnenen Wahlentscheidung, nach vorhergegangenem vollkommenen Konf likt der Motive, die hierzu abstrakte Vorstellungen seyn müßten, ist.“

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tion gegeben, aber dort war sie nicht mit einer Veränderung der Erkenntnisweise verbunden, sondern ergab sich aus einem zeitweiligen „Vergessen“ der eigenen leiblichen Individualität. Hier entspricht sie einer bewußt eingenommenen Haltung, die von einer bestimmten Erkenntnis hervorgerufen wird, wie sie im § 68 darzulegen versucht wurde. Als solche ist sie „nicht durch Vorsatz zu erzwingen, sondern geht aus dem innersten Verhältniß des Erkennens zum Wollen hervor, kommt daher plötzlich und wie von außen angef logen“ (W I/2, 499). Aufgrund dieser Charakteristika, des umfassenden Wandels der Einstellung zu den Dingen und zur Welt sowie der Absichtslosigkeit und Unverfügbarkeit, vergleicht Schopenhauer den Eintritt der Verneinung des Willens mit der „Wiedergeburt“ und der „Gnadenwirkung“ in der christlichen Religion (ebd.), die veränderte Erkenntnisweise mit dem Glauben im Sinne von Augustinus und Luther (W I/2, 503). Dabei möchte er diese Hinweise auf Parallelitäten mit der christlichen Religion, die auch die „asketische Tendenz“ (W II/4, 721), die Erbsündenlehre, die Unfreiheit des (individuellen) Willens u. a. umfassen (vgl. Koßler 1999), nur als Beleg dafür verstanden wissen, daß seine Lehre, „wenn sie auch dem Ausdruck nach neu und unerhört wäre, dem Wesen nach es keineswegs ist, sondern völlig übereinstimmt mit den ganz eigentlich Christlichen Dogmen […]; wie sie denn auch eben so genau übereinstimmt mit den wieder in ganz anderen Formen vorgetragenen Lehren und ethischen Vorschriften der heiligen Bücher Indiens“ (W I/2, 504). Es ist allerdings in der Literatur (Malter 1991, 426 f.) die Frage aufgeworfen worden, ob die Bezugnahme auf den Begriff der Gnadenwirkung über die historische Parallelisierung mit der Absichtslosigkeit der Verneinung des Willens hinaus nicht auch eine explikative Funktion hat, indem sie eine Parallele hinsichtlich der mit dem Gnadenbegriff unabtrennbar verknüpften Vorstellung einer die Gnade spendenden Macht suggeriert. Dieser Verdacht wird dadurch genährt, daß Schopenhauer nur erklären kann, wie die Veränderung der Erkenntnisweise nicht zustande kommt – nämlich weder absichtlich durch einen Akt des Willens noch als notwendige Folge einer Erkenntnis: „der Wille bleibt frei“ (W I/2, 488). Das Problem wird in einer in der zweiten Auf lage hinzugefügten Fußnote deutlich, in der Schopenhauer den Unterschied seiner Lehre von der christlichen in dem Satz ausspricht: „die Gnadenwirkung aber ist unsere eigene“ (W I/2, 502). Wie können wir uns selbst die Gnade ‚wie von außen kommend‘ gewähren bzw. was ist das für ein Wille, der ‚frei bleibt‘? Für Schopenhauer überschreiten diese Fragen die Grenze des

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Erkennbaren und Erklärbaren, und zumindest für seine Auffassung der Möglichkeiten menschlicher Erkenntnis, die mit dem Erkennen unter dem Satz vom Grunde auf der einen und mit der Deutung der Welt durch den Willen auf der anderen Seite erschöpft sind, ist das nur konsequent: Für das, was in der Verneinung des Willens wirksam ist, was affirmiert wird und somit nach ihrem Vollzug noch bleibt, „fehlt es uns an Begriffen, ja, an allen Datis zu solchen. Wir können es nur bezeichnen als Dasjenige, welches die Freiheit hat, Wille zum Leben zu seyn, oder nicht. Für den letzteren Fall bezeichnet der Buddhaismus es mit dem Worte Nirwana […]. Es ist der Punkt, welcher aller menschlichen Erkenntniß, eben als solcher, auf immer unzugänglich bleibt.“ (W II/4, 656). Diese äußerste Grenze der Philosophie ist das Thema des letzten Abschnitts der Welt als Wille und Vorstellung.

11.5 Nichts (§ 71) Obwohl in den Graden der Durchschauung des principium individuationis im Gewissen, der freiwilligen Gerechtigkeit und der Menschenliebe eine Annäherung an den Zustand der Verneinung des Willens stattfindet und auch beim „zweiten Weg“ das Ausmaß des selbst empfundenen Leids der Wahrscheinlichkeit, diesen Zustand zu erreichen, korreliert, ist es doch erst ein nicht ableitbarer Sprung, der die Veränderung der Erkenntnisweise (mit den Worten von Matthias Claudius) als „katholische [d. h. gänzliche], transcendentale Veränderung“ (W I/2, 498) und damit als Erlösung qualifiziert. Deswegen wurde die Erlösung mit den Parallelen zur christlichen Wiedergeburt und Gnadenwirkung illustriert, und deswegen ist sie von der Bejahung des Willens zum Leben, mit der die Formen der Durchschauung des principium individuationis gemischt bleiben, radikal getrennt. Auch wenn die Erkenntnis der Nichtigkeit des Lebens und das Wiedererkennen des eigenen Wesens im Anderen die Veränderung der Erkenntnisweise vorbereiten, gibt es keine Kontinuität in diesem Wandel; „ein Heiliger kann voll des absurdesten Aberglaubens seyn, oder er kann umgekehrt ein Philosoph seyn: Beides gilt gleich.“ (W I/2, 474). In einem Brief an Johann August Becker wendet sich der alte Schopenhauer explizit gegen den Gedanken einer graduellen Minderung der Wirksamkeit der Motive und vergleicht den Eintritt der Verneinung des Willens in Relation zur Durchschauung des principium individuationis mit

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dem Siedepunkt des Wassers: Am höchsten Punkt der Durchschauung (oder des Leidens) „kann, als ein ganz neues Phänomen, die Verneinung des Willens eintreten […].“ (GBr., 213 f.). Die Ablehnung jeglicher Kontinuität in der Veränderung der Erkenntnisweise läßt sich bis zu den frühen handschriftlichen Aufzeichnungen Schopenhauers zurückverfolgen, in denen er das „bessre Bewußtseyn“ vom empirischen Bewußtsein durch eine ausdehnungslose „mathematische Linie“ abgetrennt sieht: „[…] wir wollen den Himmel verdienen, und dabei die Blumen der Erde pf lücken. Das geht aber nicht: wie wir das eine Gebiet betreten, haben wir auch gleich das andre verlassen und verleugnet: zu vermitteln und zu verbinden ist nichts, nur zu wählen, für jeden Augenblick.“ (HN I, 111). In dieser Phase seines Denkens hatte Schopenhauer das ‚Gebiet‘ des besseren Bewußtseins noch mit positiven Bestimmungen beschrieben, indem er den Gottesbegriff oder das Sittengesetz als das Übersinnliche dem sinnlich-empirischen Bewußtsein gegenüberstellte (vgl. Koßler 2008, 66 ff.). Aufgrund der vor allem in der Dissertation weitergeführten Erkenntniskritik wurden diese positiven Bestimmungen jedoch fallengelassen, so daß die philosophische Erkenntnis sich mit bloß negativen Aussagen begnügen muß: An die Stelle des besseren Bewußtseins tritt die Verneinung des durch den Willen zum Leben gekennzeichneten empirischen Bewußtseins, dessen ‚Gebiet‘ für die Erkenntnis „das leere Nichts“ (W I/2, 504) ist. Daß die Philosophie, wenn sie sich nicht in transzendente Spekulationen verlieren will, keine positiven Bestimmungen des Vorgangs und Zustandes der Verneinung des Willens zum Leben angeben kann, daß „meine Lehre, wann auf ihrem Gipfelpunkte angelangt, einen negativen Charakter annimmt, also mit einer Negation endet“ (W II/4, 716), sieht Schopenhauer selbst als ein Problem an, dem „abzuhelfen schlechthin unmöglich ist“ (W I/2, 504). Es handelt sich um das Problem einer „immanenten“ Metaphysik (W II/3, 212), wie sie Schopenhauer anstrebt, nämlich um die Frage, wie „eine aus der Erfahrung geschöpfte Wissenschaft über diese hinausführen“ kann (W II/3, 213). Aus der Erfahrung geschöpft war noch die Deutung des Wesens der Welt als Wille, insofern er erscheint, also in seiner Bejahung; über sie hinaus führt die Deutung, indem sie die Möglichkeit der Verneinung und damit des Nichterscheinens einschließt. Schopenhauer versucht, der mit dem negativen Charakter seiner Philosophie einhergehenden Gefahr des Nihilismus zunächst mit der Behauptung der prinzipiell relativen Bedeutung des Begriffs ‚Nichts‘ entgegenzutreten. Dabei beruft er

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sich auf Kants Unterscheidung zwischen dem nihil negativum und dem nihil privativum, deutet diese Begriffe aber in einer Weise um, die seiner Bestimmung des Nichts als „bloße[m] Verhältnißbegriff“ (HN I, 34 f.) im Zusammenhang mit der Konzeption des besseren Bewußtseins entspricht. Demnach wird „das was mit einem Anderen in keiner Art von Verhältniß steht, […] von diesem Anderen Nichts genannt und nennt auch wieder dieses Andere Nichts“ (ebd.). Im Hauptwerk fügt Schopenhauer als logische Bedingung für diese Relativität des Nichts die Unterordnung beider unter einen weiteren Begriff hinzu, die von einem „höhern Standpunkt“ aus die Negation als umkehrbares Verhältnis erblicken läßt: „So wird also jedes nihil negativum, oder absolute Nichts, wenn einem höhern Begriff untergeordnet, als ein bloßes nihil privativum, oder relatives Nichts, erscheinen, welches auch immer mit Dem, was es negirt, die Zeichen vertauschen kann, so daß dann jenes als Negation, es selbst aber als Position gedacht würde“ (W I/2, 505). Daß in der früheren Version die Negation nicht als eine Art von Verhältnis bezeichnet wurde, rührte von dem Bestreben her, die beiden Formen des Bewußtseins voneinander zu trennen, obwohl sich dort schon mit dem gemeinsamen Begriff „Bewußtsein“ ein höherer Standpunkt andeutete, von dem aus die Rede von einem nihil privativum erst ihre Berechtigung hat. Dieses Bestreben der Scheidung des besseren Bewußtseins vom empirischen hatte Schopenhauer in seinem Studienheft zu Fichtes Kritik aller Offenbarung 1812 als den Kern seines philosophischen Projekts eines „wahren Kriticismus“ angesehen: „So wird der wahre Kriticismus das beßre Bewußtseyn trennen von dem empirischen, wie das Gold aus dem Erz, wird es rein hinstellen ohne alle Beimengung von Sinnlichkeit oder Verstand, – wird es ganz hinstellen, Alles wodurch es sich im Bewußtseyn offenbart, sammeln, vereinen zu einer Einheit: dann wird er das empirische auch rein erhalten, nach seinen Verschiedenheiten klassifiziren […]“ (HN II, 360). Obwohl mit dem Wegfall einer positiven Bestimmung des besseren Bewußtseins im Zuge der Entwicklung einer immanenten Metaphysik eine derartige Scheidung nicht mehr möglich ist, versucht Schopenhauer, mit dem Begriff des nihil privativum dem an die Stelle des besseren Bewußtseins getretenen Zustand der Willensverneinung einen wenigstens potentiell positiven Status zuzusprechen, der dann ebenso von jeder Beimischung mit dem empirischen Bewußtsein rein zu halten ist. Zwar endet Schopenhauers immanente Philosophie mit dem Nichts, aber „[e]in umgekehrter Standpunkt, wenn er für uns möglich wäre, würde die Zeichen vertauschen lassen, und das für uns Seiende als das Nichts

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und jenes Nichts als das Seiende zeigen“ (W I/2, 506). Als logische Bedingung für das nihil privativum war indessen ein höherer Standpunkt und ein diesem entsprechend weiterer Begriff gefordert. Als das Seiende und seine Negation übergreifender Begriff kommt nur ein transzendenter, das Ding an sich, in Frage. Nun wird das Ding an sich von Schopenhauer als der Wille bezeichnet, dessen Verneinung mit der Negierung des Seienden zusammenfällt, so daß er nicht als beiden Sphären übergeordneter Begriff dienen kann. Gerade daß der Wille nur in bezug auf das Seiende, seine Erscheinung, „Ding an sich“ genannt wird, macht für Schopenhauer die Immanenz seiner Philosophie aus. Die Frage, „was denn jener Wille, der sich in der Welt und als die Welt darstellt, zuletzt schlechthin an sich selbst sei?“, ist für ihn „nie zu beantworten“ (W II/3, 231). Aber allein „die Möglichkeit dieser Frage“ genügt ihm, die Negation des Willens als relatives Nichts zu fassen: „Wäre der Wille das Ding an sich schlechthin und absolut; so wäre auch dieses Nichts ein absolutes; statt daß es sich […] uns ausdrücklich nur als ein relatives ergiebt.“ (ebd.). Die bloße Möglichkeit der Frage nach dem absoluten Ding an sich berechtigt aber noch nicht zur Annahme eines nihil privativum: Sie berechtigt lediglich dazu, es offen zu lassen, ob das Nichts, mit dem Schopenhauers Werk schließt, ein relatives oder ein absolutes ist. In diesem Sinne ist auch der Verweis auf die Berichte, Darstellungen und Ausdrucksformen des Zustandes der zur Verneinung des Willens Gelangten zu verstehen, eines Zustandes, „den man mit den Namen Ekstase, Entrückung, Erleuchtung, Vereinigung mit Gott u. s. w. bezeichnet hat“, der indessen „nur der eigenen, nicht weiter mittheilbaren Erfahrung zugänglich ist.“ (W I/2, 506). In einer früheren Fassung dieser Passage, in der dieser Zustand mit den „Asketen unter den Indiern und Christen“ in Verbindung gebracht wurde, hieß es noch, daß die in einer derartigen Erfahrung aufgehende „Erkenntniß […] verunreinigt wird, sobald sie mitgetheilt werden will“ (HN I, 245). Nun zieht er die Konsequenz, daß der Zustand „nicht eigentlich Erkenntniß zu nennen ist, weil er nicht mehr die Form von Subjekt und Objekt hat“ (W I/2, 506). In den späteren Auf lagen der Welt als Wille und Vorstellung scheint die Soteriologie mehr und mehr der „Mystik im weitesten Sinne“ nahe zu kommen, wobei Schopenhauer unter Mystik „jede Anleitung zum unmittelbaren Innewerden Dessen, wohin weder Anschauung noch Begriff, also überhaupt keine Erkenntniß reicht“, versteht

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(W II/4, 715).10 Daß dies jedoch nicht der Fall ist und die Philosophie auch in diesem Punkt immanent, d. h. auf dem Boden der Allen gemeinsamen und mitteilbaren Erfahrung bleibt, daran will Schopenhauer nie Zweifel aufkommen lassen. Der Philosoph „soll sich daher hüten, in die Weise der Mystiker zu gerathen und etwan, mittelst Behauptung intellektueller Anschauungen, oder vorgeblicher unmittelbarer Vernunftwahrnehmungen, positive Erkenntniß von Dem vorspiegeln zu wollen, was, aller Erkenntniß ewig unzugänglich, höchstens durch eine Negation bezeichnet werden kann.“ (W II/4, 716). Dementsprechend kann die Soteriologie Schopenhauers nichts in Aussicht stellen, was durch die Erlösung an die Stelle der Leidensexistenz tritt. Die Erlösung besteht nur in der Überwindung dieses Lebens, aus dem heraus allein sich ja auch die Furcht vor dem Nichts und die drängende Frage nach einer positiven Bestimmung des Zustands der Erlösung erklärt. Wenn die Furcht vor dem Nichts durch die Berichte über das Leben und den Wandel der Heiligen und deren Darstellung in der Kunst „verscheucht“ ist, wird der Blick frei auf die Tatsache, daß die Aussicht auf das Zerf ließen der Welt in das „leere Nichts“ angesichts der Unmöglichkeit einer transzendenten Metaphysik die „einzige“ Betrachtung ist, „welche uns dauernd trösten kann“ (W I/2, 507). So gibt Schopenhauer zum Schluß folgerichtig den Gedanken der Austauschbarkeit der Begriffe ‚Sein‘ und ‚Nichts‘ wieder auf und setzt sich auch konsequent gegen die sonst von ihm hochgeschätzten indischen Lehren von Brahman und Nirwana als „Mythen und bedeutungsleere Worte“ ab: „Wir bekennen es vielmehr frei: was nach gänzlicher Aufhebung des Willens übrig bleibt, ist für alle Die, welche noch des Willens voll sind, allerdings Nichts. Aber auch umgekehrt ist Denen, in welchen der Wille sich gewendet und verneint hat, diese unsere so sehr reale Welt mit allen ihren Sonnen und Milchstraßen – Nichts.“ (W I/2, 508).11

10 Zum Mystikbegriff Schopenhauers vgl. Lemanski 2011, 289 ff. 11 Im seinem Handexemplar hat Schopenhauer zu dieser Stelle angemerkt: „Dieses ist eben auch das Pradschna-Paramita der Buddhaisten […]“. Daß diese Anmerkung von Arthur Hübscher als Fußnote in seine Ausgabe der Welt als Wille und Vorstellung aufgenommen wurde und von hier aus in viele anknüpfende Editionen und Übersetzungen gelangt ist, ist zu recht kritisiert worden, wird doch das auf den „vermutlich gravierendsten Gedankenstrich der deutschen Philosophie“ folgende Wort ‚Nichts‘ dadurch wieder relativiert: „Der untergangsgefährdete Lebenswille kann sich im Verein mit der Vorstellungswelt des gelehrten Menschenverstandes wieder auf den festen Boden einer akademischen Fußnote retten.“ (Lütkehaus 2006, 22).

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11.6 Versuch einer Interpretation Bereits in der Einleitung wurde angedeutet, daß Schopenhauers Lehre von der Verneinung des Willens auf verschiedene Weisen interpretiert werden kann. Das hängt zweifellos mit den unterschiedlichen und teils widersprüchlichen Bestimmungen zusammen, nach denen sich die Verneinung als Vorgang oder Zustand, Erkenntnis oder Erfahrung, Kampf (des Asketen) oder Resignation, Ekstase oder Gelassenheit zeigt. Die Spannbreite der Auslegungsmöglichkeiten reicht von solchen, die Schopenhauer in die Nähe der Mystik oder einer religiösen Soteriologie bringen (Schirmacher 1988; Sauter-Ackermann 1994, 246 ff.; Wilhelm 1994, 160 ff.), über Versuche, die Verneinung des Willens in die Mitleidsethik (Hallich 1998, 38 f.) oder in die Charakterlehre (Koßler 2002, 109) zu integrieren, bis hin zur konsequent nihilistischen Deutung (Lütkehaus 2003, 221 ff., 634 f.). Daß – anders als in religiös fundierten Soteriologien – in der immanenten philosophischen Konzeption Schopenhauers von einem mit der vollständigen Verneinung zusammenfallenden Zustand der Erlösung nicht gesprochen werden kann, hat Rudolf Malter deutlich gemacht: „Wenn sinnvoll vom Vollendungszustand der Willensverneinung gesprochen werden soll, so kann weder gesagt werden, der Vollendungszustand komme in diesem Leben vor (denn er hebt das Leben auf) noch er werde jenseits dieser Existenz erreicht (denn wir haben nur diese Existenz) noch er werde im Tod erreicht (denn in ihm verschwindet auch die Willensverneinung).“ (Malter 1991, 441). Angesichts dieser Problematik auf einen bewußten „Vorläufigkeitsstatus“ der Soteriologie bei Schopenhauer zu verweisen (Malter 1991, 420) ist wenig befriedigend, wird damit doch die Faktizität eines transzendenten Zustands nur in die Zukunft verschoben und die „Kongruenz zwischen philosophisch- und religiös-soteriologischen Aussagen“ (Malter 1991, 422) zur Voraussetzung gemacht. Eine immanente Interpretation kommt daher nicht umhin, die Rede von einem Zustand der Erlösung jenseits des philosophisch Sagbaren dem Umstand zuzuschreiben, daß Schopenhauer an diesem Punkt Gedanken verhaftet bleibt, die er vor der Entwicklung seiner Konzeption einer immanenten Metaphysik im Zusammenhang mit dem Begriff des besseren Bewußtseins gefaßt hatte. Sie muß dort ansetzen, wo die Verneinung des Willens als im Überlegen gemeinhin erfahrbarer Akt des Nichtwollens auf etwas verweist, das die Freiheit hat,

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Wille zum Leben zu sein oder nicht. Die zeitweise Aufhebung der Wirksamkeit von bestimmten Motiven in der vernünftigen Besinnung bringt den Gedanken an die Möglichkeit eines gleichartigen Nichtwollens mit sich, das sich auf alle möglichen Motive bezieht und damit zeitlos wird. Eine Explikation der kognitiven und voluntativen Momente des Nichtwollens ist nicht Voraussetzung dieses Gedankens, weil die Besinnung ein unstrittiger Vorgang ist. Insofern mit Schopenhauer die empirische Welt an die durchgängige Gültigkeit des Satzes vom Grunde gebunden wird, schließt der Gedanke zum einen die Möglichkeit des Nichtseins der Welt ein, andererseits die Möglichkeit eines Subjekts, das die Freiheit hat, Wille zum Leben zu sein oder nicht. Beide Aspekte werden, wie gezeigt wurde, von Schopenhauer dem „absoluten Ding an sich“ zugesprochen, das nicht Gegenstand seiner Philosophie sein kann, wohl aber die Frage danach. Die (unbeantwortbare) Frage oder die bloße Denkbarkeit des absoluten Dinges an sich hat sich als Bedingung sowohl der Freiheit des Willens als auch der Offenheit für die Möglichkeit einer nur relativen Bedeutung des Nichts der Welt erwiesen – also als Bedingung sowohl der Ethik als auch der Möglichkeit von Erlösung. Es ist entscheidend für eine immanente Interpretation, daß nur die Denkbarkeit bzw. Möglichkeit eines absoluten Dinges an sich ins Spiel kommt. Wenn Schopenhauer schreibt: „Ein umgekehrter Standpunkt, wenn er für uns möglich wäre, würde die Zeichen vertauschen lassen, und das für uns Seiende als das Nichts und jenes Nichts als das Seiende zeigen“ (W I/2, 506), so stellt er damit keinen Erlösungszustand in Aussicht, sondern bestreitet bloß die Notwendigkeit des für uns Seienden, der Welt als Wille und Vorstellung. Die Bestreitung dessen, daß das Daseyn und die Welt „ein schlechthin nothwendiges Wesen wäre“ (W II/3, 199), ist nicht nur philosophisch erlaubt, sondern stellt sogar den Beginn der Philosophie dar. Die Bedeutung der Verneinung des Willens, wenn man sie derart als das „Bewußtseyn, daß das Nichtseyn dieser Welt ebenso möglich sei, wie ihr Daseyn“ (W II/3, 200), deutet, wird allerdings erst vor dem Hintergrund der Bestimmung der empirischen Welt durch Schopenhauer sichtbar, denn diese ist gekennzeichnet durch die Herrschaft des Satzes vom Grunde und die Unstillbarkeit des Willens. Die mit der Verneinung des Willens verknüpfte Möglichkeit oder Denkbarkeit von Freiheit und das Bewußtsein, „daß die Ordnung der Natur nicht die einzige und absolute Ordnung der Dinge sei“ (W II/3, 205), bringen schon, ohne daß die Wirklichkeit der Freiheit und einer anderen Ordnung erwie-

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sen wäre, eine Befreiung mit sich, die Ethik möglich und Erlösung wenigstens denkbar macht. Es ist wohl kein Zufall, daß Schopenhauer im letzten Satz seines Werks die empirische Welt durch „ihre Sonnen und Milchstraßen“ charakterisiert und damit auf die die Herrschaft des Satzes vom Grunde in höchstem Maße ausdrückende naturwissenschaftliche Weltsicht anspielt, die er an prominenter Stelle beschreibt: „Im unendlichen Raum zahllose leuchtende Kugeln, um jede von welchen etwan ein Dutzend kleinerer, beleuchteter sich wälzt, die inwendig heiß, mit erstarrter, kalter Rinde überzogen sind, auf der ein Schimmelüberzug lebende und erkennende Wesen erzeugt hat […].“ (W II/3, 9). Wird diese Weltsicht als die absolute Ordnung der Dinge genommen, so spricht Schopenhauer von einer „absoluten Physik“, die „für die Ethik zerstörend seyn“ müßte (W II/3, 205). Was Schopenhauer also mit der Lehre von der Verneinung des Willens und mit dem Abschluß im Nichts intendiert, ist keineswegs der Nihilismus, sondern gerade im Gegenteil die Verhinderung des Nihilismus, den er mit dem Aufstieg der Naturwissenschaften kommen sah. In diesem Sinne kann die Rede von der Austauschbarkeit der Begriffe ‚Sein‘ und ‚Nichts‘ immanent ausgelegt werden. Der von dem Erleben einer Welt, die keinen Raum für Freiheit und Sinn läßt, Erlöste muß weder tot sein noch in einem Jenseits leben. Er hält dem sinnlosen Kampf ums Überleben und der Unfreiheit ein gelassenes „Nein“ entgegen, so daß sie ihre „Schrecknisse“ verlieren und er dadurch den Menschen und sich selbst „eine erfreuliche Erscheinung“ ist (HN I, 245). Literatur Hallich, Oliver 1998: Mitleid und Moral. Schopenhauers Leidensethik und die moderne Moralphilosophie, Würzburg. – 2014: Die Welt als Wille und Vorstellung: Der Übergang von der Transzendentalphilosophie zur Metaphysik (§§ 17–22), in diesem Band, 51–69. Janaway, Christopher 1998 (Hrsg.): Willing and Nothingness. Schopenhauer as Nietzsches’s Educator, Oxford. – 1999: Schopenhauer’s Pessimism, in: Janaway, Christopher (Hrsg.): The Cambridge Companion to Schopenhauer, Cambridge, 318–343. Koßler, Matthias 1999: Empirische Ethik und christliche Moral. Zur Differenz einer areligiösen und einer religiösen Grundlegung der Ethik am Beispiel der Gegenüberstellung Schopenhauers mit Augustinus, der Scholastik und Luther, Würzburg. – 2002: Die Philosophie Schopenhauers als Erfahrung des Charakters, in: Birnbacher, Dieter/ Lorenz, Andreas/Miodoński, Leon (Hrsg.): Schopenhauer im Kontext, Würzburg, 91–110. – 2008: „Nichts“ zwischen Mystik und Philosophie bei Schopenhauer, in: Bonheim, Günther/

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Regehly, Thomas (Hrsg.): Philosophien des Willens. Böhme, Schelling, Schopenhauer, Berlin, 65–80. Lemanski, Jens 2011: Christentum im Atheismus. Spuren der mystischen Imitatio Christi-Lehre in der Ethik Schopenhauers, Bd. II, London. Lütkehaus, Ludger 2003: Nichts. Abschied vom Sein, Ende der Angst, Zürich. – 2006: Einleitung zu Lütkehaus, Ludger (Hrsg.): Arthur Schopenhauers Werke in fünf Bänden, Beibuch, Frankfurt a.M., 9–34. Magee, Bryan 1983: The Philosophy of Schopenhauer, Oxford. Malter, Rudolf 1991: Arthur Schopenhauer. Transzendentalphilosophie und Metaphysik des Willens, Stuttgart-Bad Cannstatt. Sauter-Ackermann, Gisela 1994: Erlösung durch Erkenntnis? Studien zu einem Grundproblem der Philosophie Schopenhauers, Cuxhaven. Schirmacher, Wolfgang 1988: Das Heilige als Lebensform, in: W. Schirmacher (Hrsg.): Schopenhauers Aktualität. Ein Philosoph wird neu gelesen (Schopenhauer-Studien 1/2), Wien, 181–198. Schubbe, Daniel 2010: Philosophie des Zwischen. Hermeneutik und Aporetik bei Schopenhauer, Würzburg. Spierling, Volker 1994: Arthur Schopenhauer. Eine Einführung in Leben und Werk, Leipzig. Wilhelm, Karl Werner 1994: Zwischen Allwissenheitslehre und Verzweiflung. Der Ort der Religion in der Philosophie Schopenhauers, Hildesheim.

12 Wolfgang Weimer

Schopenhauers Nachwirkung

Schopenhauers Wirkung auf das Geistesleben beginnt mit der Veröffentlichung seiner Parerga und Paralipomena, also im Jahre 1851; seine früheren Werke waren bis dahin vom lesenden Publikum weitgehend ignoriert worden. Zu den bekannteren Persönlichkeiten, auf die er gewirkt hat und die sich mit ihm auseinandergesetzt haben, gehören Philosophen (Eduard von Hartmann, Philipp Mainländer, Friedrich Nietzsche, Ludwig Wittgenstein, Max Horkheimer), Musiker (Richard Wagner, Hans Pfitzner), Literaten (Thomas Mann, Samuel Beckett), Psychologen (Sigmund Freud) und die ersten deutschen Indologen (Karl Eugen Neumann, Paul Deussen), insgesamt – als gemeinsamer Nenner vielleicht – Kulturkritiker. Ein etwas rätselhafter, aber erkennbarer Teil der Wirkungsgeschichte Schopenhauers ist seine Bedeutung für Adolf Hitler. Anziehend mag auf sie gewirkt haben, wodurch sich Schopenhauer von den bisherigen europäischen Philosophen am deutlichsten unterschied: (a) sein Atheismus, (b) sein Pessimismus, (c) seine Ablehnung einer europazentrierten Weltsicht, (d) eine gefühlsbasierte statt rationale Ethik, (e) der von ihm vertretene quasi-religiöse Erlösungsweg, (f) seine Leiborientiertheit, (g) seine für die europäische Tradition ungewöhnliche, unorthodoxe Perspektive (etwa eine starke Betonung der Ästhetik oder seine Einbeziehung der Tiere in die Moral) auf viele Dinge, und zwar eine erlebens- und erfahrungsgesättigte, (h) schließlich auch seine Neigung zur Judenfeindschaft (um den rassistisch orientierten Begriff

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des Antisemitismus zu vermeiden), die bemerkenswerterweise nicht verhindert hat, dass dem Judentum entstammende Philosophen (Wittgenstein, Horkheimer) sich intensiv mit Schopenhauer befasst haben. Daneben gibt es eine Wirkungsgeschichte, welche sich auf den allgemeinen Zeitgeist bezieht, also auf eine Zeit, in der Schopenhauer modisch war, sowie auf eine, die Schopenhauers Denken ungünstig war und die repräsentiert wird von Philosophen, die Schopenhauer sehr negativ gegenüberstanden (Martin Heidegger, Theodor W. Adorno und Georg Lukács beispielsweise). Schopenhauers berühmtester Schüler – der sich als ein solcher auch selbst bezeichnet hat – ist gewiss Friedrich Nietzsche (1844–1900). Bei ihm handelt es sich freilich um einen überaus kritischen Schüler, der seinem Lehrer dankt, indem er eben nicht nur sein Schüler bleibt – ein Phänomen übrigens, das bei vielen berühmten Lehrer-Schüler-Beziehungen in der Geschichte der Philosophie zu finden ist; wer nur Schüler bleibt, wird natürlich schwerlich berühmt werden. In jungen Jahren widmete Nietzsche dem Lehrer im Rahmen seiner „Unzeitgemäßen Betrachtungen“ einen eigenen Teil: „Schopenhauer als Erzieher“. Er zeigt Nietzsche als einen Kulturkritiker auf den Spuren Schopenhauers und dabei als einen Schüler, der sich noch nicht zu dem späteren Maß an Selbständigkeit durchgearbeitet hat. Der spätere Nietzsche ist im Gegensatz zu Schopenhauer nicht nur ein Antimetaphysiker, d. h. er denkt zwar vom Willen her, sieht diesen jedoch nicht als metaphysische Entität; vor allem kehrt er eine wesentliche, im Grunde ethische Alternative Schopenhauers um: Wenn die durch den Willen bestimmte Weltordnung den Maßstäben der Moral nicht entspricht, dann entscheidet Schopenhauer sich gegen die Welt (Pessimismus, Ziel der Erlösung) und für die Moral, Nietzsche jedoch für die Welt und gegen die Moral. Seine Umwertung der Werte übernimmt also von Schopenhauer die Alternative als solche, nicht aber die Schlussfolgerung daraus. Dies ist nicht nur geistesgeschichtlich bedeutsam, sondern konfrontiert uns mit einer systematisch höchst wichtigen Entscheidung: Entweder bestreiten wir die Gegensätzlichkeit unserer tradierten moralischen Maßstäbe und der natürlichen (heute darwinistisch verstandenen) Weltordnung – für Schopenhauer unmöglich und für Nietzsche ebenso; oder wir müssen uns auf die eine oder die andere Seite schlagen, also unseren Optimismus (wie Schopenhauer) oder unsere Moral (wie Nietzsche) in Frage stellen. Die im 20. Jahrhundert gemachten

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Erfahrungen mit einer neuen Moral lassen Schopenhauers Standpunkt als durchaus aktuell erscheinen. Im Hinblick auf Atheismus und die Bedeutung der Kunst für das Leben, auch hinsichtlich einer starken Betonung von Sinnlichkeit und Leiblichkeit denkt Nietzsche durchaus in den Bahnen Schopenhauers, wobei jener freilich die mit dem „Tod Gottes“ gegebene Krise der Moral stark betont, während Schopenhauer auch als Atheist die Moral nicht in Frage stellt. Für den Komponisten und Dichter Richard Wagner (1813–1883) wird Schopenhauers Konzept von Erlösung durch Willensverneinung bestimmend – neben dessen Einschätzung der Musik als der höchsten aller Künste. Mit Wagners künstlerischen Ideen (Leitmotivik, ungewohnte Harmonik, Gesamtkunstwerk) wusste Schopenhauer, der Wagner noch kennenlernte, wenig anzufangen – was sicher nicht nur darauf zurückzuführen ist, dass die wichtigsten Kompositionen Wagners ihre Uraufführung erst nach Schopenhauers Tod erlebten. Vielmehr dürfte es so stehen, dass für Schopenhauer Musik die Erlösung, zumindest auf Zeit, sein sollte (er machte diese Erfahrung vor allem mit der Musik Rossinis), dass sie hingegen nicht das durch die Erotik gehemmte und zugleich geförderte Ringen um die Erlösung selbst ausdrücken sollte. Insofern erweist sich auch Wagner als sehr eigenständiger Schüler. Immerhin hat er Schopenhauer den Ring der Nibelungen sowie Tristan und Isolde übersenden lassen, den Ring sogar mit der Widmung „Aus Verehrung und Dankbarkeit“; aber eine Antwort erhielt er nicht, und Schopenhauers erhaltene Randbemerkungen zum „Ring“ kann man nur als bissig bezeichnen. Man kann aber wohl sagen, dass ein neues Thema in der Musik, die erotische Sehnsucht nach Erlösung eben, sich Schopenhauers Wirkung auf Richard Wagner verdankt. Erotik, das ist für Schopenhauer der Brennpunkt des Willens – und damit des Leidens in einem. Das Gleiche gilt für die Ende des 19. Jahrhunderts entstehende deutsche Indologie, für welche die Namen von Karl Eugen Neumann (1865–1915) und Paul Deussen (1845–1919), dem ersten Präsidenten der Schopenhauer-Gesellschaft, stehen. Hier kommt nicht nur das Bedürfnis nach einer anderen Art von Religiosität jenseits des europäischen Theismus zum Zuge, sondern auch die von Schopenhauer initiierte Tendenz, sich von der Fokussierung auf die eigene, die europäische Tradition zu befreien. Indien bot sich dafür insofern an, als hier am ehesten, und zwar sowohl im Hinduismus als auch im Buddhismus, zugleich eine Entsprechung für den Pessimismus zu finden war – im Falle des Hinduis-

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mus sogar metaphysische Orientierung an einer anderen als der sinnenfälligen Realität. Neumann hat bei seiner Übersetzung großer Teile des buddhistischen Pali-Kanons ausdrücklich auf Schopenhauer Bezug genommen, und Deussen hat seine Übersetzung der Upanischaden Schopenhauer gewidmet; Deussens eigene philosophische Werke sind orthodoxe Popularisierungen der Gedanken Schopenhauers, und von seiner Funktion als Gründungspräsident der SchopenhauerGesellschaft war bereits die Rede. Noch in späteren Jahren trat der bekannte Indologe Helmuth von Glasenapp als Autor in den Schopenhauer-Jahrbüchern hervor. Weit weniger offenkundig fällt der Einf luss Schopenhauers auf die sich Ende des 19. Jahrhunderts entwickelnde Psychoanalyse Sigmund Freuds (1856–1939) aus – dies auch deshalb, weil Freud nicht so leicht geneigt war, seinen Lehrern eine offene Anerkennung zu zollen. Zur Zeit von Freuds jüngeren Jahren war Schopenhauers Philosophie freilich dermaßen allgegenwärtig in der geistigen Welt Deutschlands und Österreichs – er war geradezu ein Modephilosoph: „die geistige Lebensluft der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts“, wie Thomas Mann in seinem „Schopenhauer“-Essay (694) sagt –, dass man eine Kenntnis seiner Gedanken (die sich gar nicht einmal eigener Lektüre verdanken muss) Freud getrost unterstellen darf. Was Freud interessiert haben dürfte, ist der von Schopenhauer (und ebenso von Nietzsche) vertretene Gedanke, dass nicht der Intellekt, nicht der Geist die treibende Kraft im Menschen ist, sondern etwas, das Schopenhauer Willen und Freud Trieb (Es) nennt, und dass diese treibende Kraft dem Menschen als solche nicht bewusst ist, sondern in einer – wie auch immer gearteten – Analyse eigens bewusst gemacht werden muss. Wenn man die Parallele weiterverfolgen will, kann man sogar Freuds dritte Komponente der Persönlichkeit, das Über-Ich, in der Stellung der Moral bei Schopenhauer angelegt finden; freilich ist Schopenhauer nicht so weit gekommen, über die Vermittlung dieser Moral durch Erziehung und Gesellschaft intensiv nachzudenken, auch wenn es Ansätze dazu in seinem Werk gibt, vor allem hinsichtlich der Religion, von der er klar sieht, dass sie ihre ganze ‚Plausibilität‘ einer frühkindlichen Dressur verdankt. Die oft traumatische Bedeutung der Kindheit für das spätere Leben des (neurotischen) Erwachsenen, speziell die Rolle verdrängter Sexualität dabei, schließlich die Therapie der Neurosen durch Analyse dieser Kindheitstraumata – dies alles verdankt sich eher einer ärztlichen als einer philosophischen Perspektive und findet sich daher bei Schopenhauer nicht. Aber

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sein Ansatz des Unbewussten mag Freud inspiriert haben; soll man es an einem bestimmten Abschnitt seines Werkes festmachen, dann kommt vor allem das Kapitel 19 des zweiten Bandes der Welt als Wille und Vorstellung in Frage: „Vom Primat des Willens im Selbstbewußtseyn“. Dies gilt unabhängig von der alten Frage, ob Schopenhauer seinerseits für sein Konzept Anleihen etwa bei Schelling gemacht hat, denn mit wesentlich größerer Wahrscheinlichkeit wird Freud Schopenhauers als Schellings Werk näher gekannt haben. Dass sich bei Schopenhauer wie auch bei Freud eine analoge Tendenz findet, die Wichtigkeit des Triebhaften im Menschen zu betonen, ohne dieses deshalb – wie bei Nietzsche geschehen – dionysisch zu vergotten, mag in der Moralität beim einen, in den Erlebnissen von Weltkrieg und Antisemitismus beim anderen wurzeln. Humanität, in der Beherrschung oder Kultivierung des Wollens bzw. Triebes, bleibt für beide eine zu erstrebende Leistung. Ein spannendes Thema ist der Einf luss, den Schopenhauers Philosophie auf das Denken Ludwig Wittgensteins (1889–1951) ausgeübt hat. Ähnlich wie bei Freud gilt auch hier, dass Wittgenstein einerseits in einer geistigen Atmosphäre aufgewachsen ist, in welcher Schopenhauer sehr populär war, andererseits aber nicht dazu neigte, Einf lüsse auf sein Denken namhaft zu machen. Zudem ist Wittgensteins Vorgehen dermaßen originell, dass man sicher nicht davon sprechen kann, er habe philosophische Konzepte von Schopenhauer (oder irgendjemand anderem) übernommen, ohne daraus etwas durch und durch Eigenes zu machen. Vor allem zwei Eindrücke sind jedoch auffallend. Der erste betrifft die Strukturierung seines Tractatus logico-philosophicus. Erinnern wir uns an den Aufbau des ersten Bandes der Welt als Wille und Vorstellung: vier Bücher, beginnend mit Erkenntnistheorie über Metaphysik und Ästhetik zur Ethik und Mystik als Wege zur willensverneinenden Erlösung. Wittgenstein geht von sieben Leitsätzen aus (mit zahlreichen Untersätzen und Untersätzen zu den Untersätzen), deren Themen mit der Frage beginnen, was der Fall ist, und die am Ende münden in ein Schweigen über das, „wovon man nicht sprechen kann“. Der Weg vom einem zum anderen führt über eine Analyse des strukturellen Zusammenhangs von Logik, Sprache und Welt. Daran ist auf den ersten Blick nichts Metaphysisches, und der Aspekt der Ästhetik kommt überhaupt nicht zur Sprache. Blicken wir aber hinter diese äußerliche Struktur auf das, was Schopenhauer seinen „Einen Gedanken“ nennt – die Einsicht, dass unsere Welt aus Vorstellung (Erkenntnis) und Wollen besteht, dass dieses

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Wollen leidhaft ist und durch Einsicht überwunden werden kann –, dann wird die Analogie zu Wittgenstein deutlicher. Dieser analysiert die Struktur von Erkenntnis und begrenzt deren Möglichkeiten auf den Bereich von Tatsachen – einen Bereich, der die wesentlichen Fragen unserer Existenz unbeantwortet lässt: „Wir fühlen, daß selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind. Freilich bleibt dann eben keine Frage mehr; und eben dies ist die Antwort.“ (6.52) „Die Lösung des Problems des Lebens merkt man am Verschwinden dieses Problems.“ (6.521) „Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.“ (6.522) Man gewinnt den Eindruck, dass nicht nur das Anliegen Wittgensteins demjenigen Schopenhauers eng verwandt ist, sondern ebenfalls die Lösung: Beide charakterisieren die Welt (die Tatsachen) und ihre Erkennbarkeit, finden in ihr keine Lösung unseres zentralen Lebensproblems, ordnen die Ethik als nicht in diesen Bereich fallend ein und führen den Leser in einen anderen Bereich als den der Welt (der Tatsachen), wo die Lösung zu finden ist – der allerdings für uns „Nichts“ ist bzw. etwas „Unaussprechliches“. Was bleibt, was hilft, ist nicht die Wissenschaft, sondern die Mystik, ist das Verstummen. Metaphysik und Ästhetik, bei Wittgenstein ausfallend, gewinnen ihre Bedeutung für Schopenhauer ausschließlich innerhalb dieser entscheidenden Fragestellung: Wie finden wir den Weg zur Erlösung? Dass Wittgenstein diesem Weg nicht exakt folgt, ändert an der grundsätzlich gemeinsamen Struktur beider Gedankengänge nichts Entscheidendes – jedenfalls, wenn man Wittgensteins Tractatus so liest, dass er durch die Abgrenzung des Sagbaren (das in einem moderneren Sinne als bei Schopenhauer wissenschaftlich bestimmt ist) zum Unsagbaren als dem Eigentlichen fortschreitet. Beide Autoren gehen vom Erlebnis des Leidens aus (indem ich Wittgensteins Ausdruck „unsere Lebensprobleme“ diesen Sinn gebe) und su-

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chen einen Weg, dieses Leiden zu überwinden – einen Weg, den sie in der Welt (der Tatsachen) nicht zu finden vermögen. Wittgensteins späteres Werk, das in seinen Philosophischen Untersuchungen kumuliert, behält – auch wenn dies wiederum auf den ersten Blick befremdlich erscheint und dieser erste Blick keinerlei Entsprechung zu Schopenhauer erkennen lässt – diesen Ansatz bei, wenn auch auf eine ganz neue Weise entfaltet: durch ein neues Bild der Sprache, die im Tractatus als der Bereich des (wissenschaftlich) Sagbaren bereits präsent war. Schopenhauer ist nun gewiss kein herausragender, sondern ein ganz konventioneller Sprachphilosoph. Allenfalls wird man erste Ansätze zu einer Verpf lichtung, Begriffe durch Bezugnahme auf empirische Tatsachen oder zumindest ein ausweisbares Sprechen über Sprache zu legitimieren, erkennen können. Für Wittgenstein, der in dieser Hinsicht Schopenhauer ‚gegen den Strich‘ liest, d. h. in freier Einstellung zu dessen eigener Intention, wird daran das Folgende wesentlich: Das tradierte Verständnis von Sprache als Ausdruck irgendwie innerlicher, also nicht wahrnehmbarer Gedanken und Empfindungen bindet für Schopenhauer alles, was wir sagen können, an einen subjektiven Faktor – eine Annahme, die Schopenhauer als (transzendentalen) Idealismus bezeichnet. An einigen wenigen Stellen seines Werkes erkennt Schopenhauer, dass dies die Gefahr des Solipsismus herbeiführt, nämlich ein in seinen letztlich nicht adäquat mitteilbaren Gedanken und Empfindungen gefangenes Individuum. Diese Gefahr muss Wittgenstein tief beeindruckt haben. Sein Ansatz, Sprache neu, und zwar durch ihren sozialen Gebrauch Bedeutung gewinnend, zu bestimmen, bannt diese Gefahr (oder soll sie zumindest bannen) auf eine Weise, die Schopenhauer fremd ist; aber die Gefahr lernt und erkennt Wittgenstein bei Schopenhauer. Schopenhauer gibt also gleichsam die Aufgabe vor, zu welcher Wittgenstein die Lösung sucht. Trifft diese Deutung zu, dann kann man sagen, dass Schopenhauer Wittgenstein – und zwar im Früh- wie im Spätwerk – die Themen vorgibt, an denen dieser sich dann auf sehr originelle Weise abarbeitet. Es erscheint mir, als ob in beider Leben und Werk das gleiche Leitthema am Werk wäre: Leiden an Einsamkeit und unerfülltem Bedürfnis nach Nähe. Den Hang zur Mystik gibt Wittgensteins Spätwerk dabei freilich auf; das Unsagbare gibt es zwar weiterhin, aber es entbehrt nun des Heilsversprechens. Die Annahme, ein atomisiertes Individuum zu sein, ist durch ein neues Verständnis des sozialen Bezugs im Spre-

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chen therapierbar. Eines bleibt: Philosophie ist in wesentlichen Teilen Therapie – für Schopenhauer ebenso wie für Wittgenstein. „Was ist dein Ziel in der Philosophie? – Der Fliege den Ausweg aus dem Fliegenglas zeigen“ (PU 309). Das sicherlich seltsamste Kapitel in Schopenhauers Wirkungsgeschichte besteht in der Bedeutung, die ihm Adolf Hitler (1889–1945) gibt. Man kommt nicht leicht darauf, welche Nähe zwischen dem Philosophen des Mitleids einerseits und dem skrupellosen Machtpolitiker, dem Völkermörder andererseits bestehen soll. Und doch hat Hitler sich, weniger in seinem Werk Mein Kampf , doch in seinen späteren Gesprächen (Monologen) im Führerhauptquartier während des Zweiten Weltkrieges häufiger zu Schopenhauer geäußert und ihn dabei als den für ihn wichtigsten deutschen Philosophen charakterisiert, dessen Werke er während des (Ersten) Weltkrieges beständig im Tornister mit sich herumgetragen zu haben behauptete. Bereits in Mein Kampf macht er deutlich, worauf er sich dabei bezieht. Es handelt sich, klarerweise, nicht um die Ethik Schopenhauers, nicht um die Metaphysik, den Idealismus, die Mystik, sondern – um seine Einstellung zu Juden. Sie ist bei Schopenhauer in der Tat negativ, wenn auch nicht primär rassistisch (der Rassismus war zu Schopenhauers Lebenszeiten erst im Entstehen begriffen), sondern religiös bestimmt: Monotheismus und Optimismus (die von Gott geschaffene gute Weltordnung) sind ihm ein Gräuel; es klingen allerdings in seinen handschriftlichen Randbemerkungen zu seinem letzten Werk, den Parerga und Paralipomena, auch Äußerungen an (wie „große Meister im Lügen“ und „Rasse Mauschel“), die den zweifelhaften Geist einer neuen Zeit ahnen lassen. Es kennzeichnet Hitlers Einstellung, dass er sich gerade von ihnen gerne in seinen eigenen Ansichten bestätigen lässt, ohne sich in irgendeiner Weise auf ein Anliegen einzulassen, das man ein philosophisches nennen könnte. Für Schopenhauer bleiben diese unappetitlichen Ausfälle buchstäblich Randbemerkungen, von denen man hoffen darf (wenngleich nicht sicher sein kann), dass er sie nicht in eine Neuauf lage seines Buches aufgenommen hätte. Seine späteren Herausgeber haben es getan, und Hitler war nicht der Mann, einen feinen Unterschied zwischen einer vom Verfasser autorisierten Druckversion und handschriftlichen Notizen zu machen. Man kann freilich, wenn man will, auch diese Traditionslinie bei Schopenhauer angelegt finden. Von anderem geistigen Kaliber ist Thomas Mann (1875–1955). Er hat sich an zwei Stellen seines Werkes ausführlicher über Schopenhauer geäußert: in seinem 1901 (also noch in der Zeit der Blüte von Schopenhauers Ansehen)

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erschienenen Roman Buddenbrooks und in einem 1938 als Vorwort für eine in Stockholm erschienene Schopenhauer-Auswahl veröffentlichten Essay unter dem Titel „Schopenhauer“. Was Thomas Mann an Schopenhauer beeindruckt, ist der ästhetische Charakter seiner Philosophie, die er als „Künstlerphilosophie par excellence“ (666) bezeichnet. In der idealen Philosophie seien Wahrheit und Schönheit aufeinander zu beziehen, indem die Freude an einem metaphysischen System von ästhetischer Natur sei. Diese Auffassung ist dem sprachmächtigen Schopenhauer freilich günstig. Dem stilistisch ebenfalls beeindruckenden Nietzsche tritt Thomas Mann nicht in gleicher Weise nahe, was mit der anders gearteten Einstellung zur Ethik zusammenhängen kann, aber wohl stärker mit der Deutung des ästhetischen Zustandes bei diesen beiden Autoren zu tun hat: Die Transzendierung der Individualität statt deren intensivem Auskosten ist der Gedanke, den Thomas Mann bewundert. Dies vor allem drückt sich auch in dem bekannten Schopenhauer-Erlebnis Thomas Buddenbrooks aus, das den Höhepunkt oder zumindest einen Höhepunkt des Romans Buddenbrooks bildet und in dem Thomas Mann seine eigenen Eindrücke von der Lektüre der Welt als Wille und Vorstellung beschreibt, das Gefühl einer „schweren, dunklen Trunkenheit“ (668), eines Rausches der intuitiven Gewissheit, nicht bloß ein Individuum, sondern Teil eines Ewigen zu sein. Dem Pessimismus Schopenhauers gibt Thomas Mann eine eigentümliche Deutung als einer nicht eigentlich modernen, sondern zukünftigen Form der Humanität. Diese Humanität sei durch die Anti-Humanität der damaligen Zeit (1938) in eine Krise geraten – eine Krise, aus der weder die „Vernunftdürre“ (Hegels) noch die „Instinktvergottung“ (Nietzsches, aber natürlich auch der Nationalsozialisten) herausführen könnten, sondern Schopenhauers Einsicht in die Stärke instinktiver Kräfte (des Willens) bei gleichzeitiger, ethisch (human) motivierter Ablehnung ihrer Verherrlichung. Dies wiederum sieht Thomas Mann, zu seiner Eingangsthese zurückkehrend, im Künstlertum Schopenhauers realisiert. Die Existenz des Künstlers bildet das neue Ideal der Humanität. „Denn die Kunst, den Menschen begleitend auf seinem mühsamen Wege zu sich selbst, war immer schon am Ziel“ (716). So lautet das letzte Wort seines Essays. Nicht so deutlich und auf den ersten Blick auch nicht so zentral für das eigene Werk fällt die Bezugnahme Samuel Becketts (1906–1989) auf Schopenhauer

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aus. Sie betrifft zunächst seinen frühen (1931) Essay Proust. Um den vollen Umfang der Wirkung Schopenhauers auf Beckett nachzuweisen, bedurfte es einer eigenen, umfangreichen Untersuchung von Ulrich Pothast: Die eigentlich metaphysische Tätigkeit. Über Schopenhauers Ästhetik und ihre Anwendung durch Samuel Beckett (1982). Die eingestreuten Erwähnungen schopenhauerscher Schlagworte im Proust-Essay (z. B. „Wille zum Leben“, „perniziöser und unheilbarer Optimismus“, „Objektivation des Willens“, „unwillentliche Erinnerung“ sowie Kausalität als „Zeit und Raum zusammengenommen“) deuten das, was Pothast in Becketts Gesamtwerk diagnostiziert, allenfalls an – zumal Beckett ja hier eine Deutung von Prousts Werk vorlegt, die, selbst wenn sie Kategorien der Philosophie Schopenhauers verwendet, nicht notwendig sein eigenes Denken widerspiegeln. Immerhin belegen sie, wie Pothast zeigt, dass Beckett Schopenhauer nicht bloß in Zusammenfassungen, sondern im Original gelesen hat. Bedeutsamer aber ist der Umstand, dass Pothast in seiner Interpretation des Proust-Essays eine vollständige und an Schopenhauer orientierte Kunstphilosophie herausgearbeitet hat, orientiert an der ästhetischen Einstellung der Kontemplation, der willenslosen Anschauung – eine Kunstphilosophie zudem, deren Wirkung sich auch in den späteren Werken Becketts aufzeigen lässt. Die Kunst allein, nicht die abstrakte und durch den Willen gelenkte Erkenntnis eröffnet den Zugang zum unsichtbaren Wesen der Dinge. Dieser Gedanke geht über Schopenhauer hinaus, zumal diesem die Kunst ja nicht als der Weg zur dauerhaften Befreiung vom versklavenden Willen gilt; der Gedanke bezeugt vielmehr eine eigenständige Adaption, wie sie für so viele Schüler Schopenhauers typisch ist, und er ist auffallend dadurch, dass Beckett sich in dieser Frage nur auf Schopenhauer beruft. Später, wenn Beckett nicht mehr an Marcel Proust und dessen Nähe zu Schopenhauer interpretierend gebunden ist, wird diese Nähe noch bezeichnender. Mir erscheint die konsequente Verweigerung jeglichen Sinnes im Lieben, im Kommunizieren, im Begreifenwollen, im Handeln als eine deutliche Spur von Schopenhauers Denken. Wie Pothast deutlich macht, übernimmt Beckett, wie Wittgenstein, auch das Thema des Solipsismus von Schopenhauer. Was bleibt, ist die Existenz des Künstlers, ist die Kunst selbst, welche diese Sinnlosigkeit aufdeckt und darstellt. Leben als solches ist Leiden, und allein durch die Kunst wird es erträglich.

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Max Horkheimer (1895–1973) war nicht nur Mitglied der Schopenhauer-Gesellschaft, er hat auch in deren Jahrbüchern Aufsätze veröffentlicht, die seine Beschäftigung mit Schopenhauer dokumentieren: „Die Aktualität Schopenhauers“ (1961), „Religion und Philosophie“ (1967), „Pessimismus heute“ (1971) und, kurz vor seinem Tode, „Bemerkungen zu Schopenhauers Denken im Verhältnis zu Wissenschaft und Religion“ (1972). Offensichtlich beschränkt sich diese Beziehung, zumindest soweit sie durch Publikationen gesichert ist, auf seine Spätzeit. Das ist durchaus ungewöhnlich, bedenkt man Thomas Manns Diktum, Schopenhauers Denken sei „recht etwas für junge Leute“ (695), weil „Schopenhauers Weltgedicht das Gepräge des Lebensalters trage, in welchem das Erotische dominiert“ (696). Es ist auch ungewöhnlich, vergleicht man Horkheimer mit den anderen Persönlichkeiten, die hier vorgestellt wurden. Ein Fall von Alterspessimismus also? In seinem ersten Aufsatz zu Schopenhauer, dem über dessen Aktualität, billigt Horkheimer Schopenhauer zunächst zu, sich der wohlfeilen Aktualität des Marktes, welcher nahezu jedes Kulturgut in ein Konsumgut zu verwandeln vermag, besser als so mancher andere Philosoph entzogen zu haben. In einer Horkheimers Verständnis von Dialektik eigentümlichen Weise liegt gerade darin – man ist versucht zu sagen: in seiner Unzeitgemäßheit – seine eigentliche Aktualität begründet. „In seinem Werk wird nichts versprochen“ (249), kein Weg des Heils aufgezeigt. Die idealistischen Götzen weder von Schopenhauers noch von Horkheimers Zeit finden hier einen Ansatz zur Vereinnahmung: der Staat nicht, die Nation nicht, das Volk nicht, der Fortschritt nicht. Dafür sei Schopenhauers Blick für die tatsächlichen Triebkräfte in Menschen und ihrer Geschichte zu scharf: „materielles Interesse, Streben nach Dasein, Wohlsein und Macht“ (251). Die Katastrophen des 20. Jahrhunderts hätten Schopenhauer weniger überrascht, hätte er sie kennengelernt, als die meisten anderen seiner Zeitgenossen. Horkheimer nennt ihn daher einen „hellsichtigen Pessimisten“ (253). Gewiss hätten sie Horkheimers materialistische Ahnen aus dem 19. Jahrhundert überrascht, und es mag daran liegen, dass er nach diesen Traumata des Fortschrittsglaubens, dem Nationalsozialismus und dem Stalinismus (den Horkheimer als zum Nationalismus degenerierten Sozialismus und totalitäre Bürokratie auffasst), nunmehr Schopenhauer seine Aufmerksamkeit widmet. Dem reinen Denken so wenig Heilsverheißung zuzutrauen wie der Empirie (der Empirismus resp. Positivismus seiner Zeit gehört zu Horkheimers

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Hauptfeinden), dem metaphysisch Allerrealsten so wenig wie den materiellen Bedürfnissen – das ist es, was Horkheimer als Schopenhauers bedeutendste Leistung hervorhebt. Dabei die Helligkeit des Gedankens beibehalten zu haben, attestiert er ihm ausdrücklich, und er sieht ihn nicht, wie Georg Lukács, als Meilenstein in der Geschichte der „Zerstörung der Vernunft“, die letztlich in den Faschismus mündete. Im Gegensatz zu dieser Ansicht sieht Horkheimer bei Schopenhauer eine klare Einsicht (wie sie die Jugend heute, 1961, ahne), „daß es keine Macht gibt, bei der die Wahrheit aufgehoben wäre, ja daß sie den Charakter der Machtlosigkeit an sich trägt“ (263). So bietet Schopenhauers Philosophie keinerlei Ansatzpunkt für irgendwelche verabsolutierten Zwecke – er nennt vor allem den Nationalismus –, für die als Götzen Menschenleben geopfert werden. Schopenhauer denunziere derartige Götzen konsequent, ohne sich der Verherrlichung dessen, was ist, zu verschreiben. Allerdings – und dies ist ein interessanter, bei anderen Autoren nicht auftretender Gedanke – bezweifelt Horkheimer, ob in der Gestalt der Philosophie Schopenhauers Europa noch einmal der Welt eine Inspiration geben könne; zu sehr habe die bisherige Praxis der Europäer das europäische Denken diskreditiert. Der Islam komme dem Erwachen „wilder Völkerstämme“ (267) näher. Es sei denn, so eine mögliche Alternative, es gelinge eine illusionslose Politik, vereint mit der Kraft des begriff lichen Ausdrucks im Sinne unserer (europäischen) theologischen und philosophischen Tradition. Für diese stünden Schopenhauers Gedanken, „die, bei aller Hoffnungslosigkeit, weil er sie ausspricht, mehr von Hoffnung wissen“ (268) als andere. In seinem Aufsatz „Pessimismus heute“ bekräftigt Horkheimer diesen relativ optimistischen Charakter der Philosophie Schopenhauers, insofern dieser – dadurch dem Christentum nahe – einen Weg zur Erlösung durch Überwindung der Eigenliebe kennt. In den beiden Aufsätzen über Religion und Philosophie vertieft Horkheimer diesen Blick auf die Nähe Schopenhauers zum Christentum; er vertritt dabei den Standpunkt, dass Schopenhauers Denken einerseits mit der Wissenschaft, andererseits mit dem ethischen Kern des Christentums vereinbar sei (was Schopenhauer selber ja ebenfalls betont), und zwar besser als die Philosophen des Rationalismus und Kritizismus (was auf Kant anspielt). Dass Schopenhauers Rettung des christlichen Glaubens im Hinblick auf seine Ethik bei Schopenhauer im Widerspruch zu den christlichen Theoremen (Dogmen) erfolgt, akzeptiert

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Horkheimer. Allerdings erkennt er auch, dass die Bedeutung ethischer Entscheidungen des Individuums durch die Entwicklung der Technik und der durch sie bedingten Spezialisierung abnimmt und der Zerfall kultureller Sphären zunimmt – was Schopenhauer nicht thematisiert. Diese Auseinandersetzung mit Schopenhauer in Horkheimers Spätwerk steht also erkennbar unter der Leitfrage, ob es bei allem Grund zum Pessimismus nicht in unserem religiösen Traditionsbestand einen Grund zur Hoffnung ohne Verdrängung gibt – eine Verdrängung, die Horkheimer nach den Erfahrungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (und auch mir) indiskutabel erscheint; und er findet diese Hoffnung gerade in einer durch Schopenhauer geleiteten Interpretation von Religiosität. Auf dem Boden des Pessimismus die Hoffnung, den Optimismus entdecken – auch dies mag eine Form von Horkheimerscher Dialektik sein. Sie muss nicht seinem Lebensalter als solchem, sie wird seinen Erfahrungen geschuldet sein. Wenn man abschließend und jenseits der berühmten Beispiele, die hier für Schopenhauers Nachwirkung genannt worden sind, erwägt, unter welchen Umständen das Denken dieses Philosophen populär sein kann und unter welchen es als unzeitgemäß erscheinen muss, dann gibt es die Zeiten enttäuschter Hoffnungen, die Zeiten eines Gefühls der Bedrohung durch äußere Ereignisse oder neue, umstürzende Ideen; in solchen Phasen trifft Schopenhauers Skepsis gegenüber jeder Hoffnung auf Veränderung den Zeitgeist. Die gescheiterte Revolution von 1848 war eine solche Zeit, aber auch die Epoche, da der Glaube an die Macht der Vernunft in Frage gestellt wurde (das späte 19. Jahrhundert); nicht in der Aufbauphase nach dem 2. Weltkrieg, bemerkenswerterweise, sondern in der Phase, da dieser materielle Aufbau seine Schattenseiten zeigt, die zu beheben misslingt, nimmt das Interesse an Schopenhauers Denken wieder zu: in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. In den übrigen Zeiten, den Zeiten der Tat und der Hoffnung, dominieren andere Autoren. Schopenhauer bleibt dann nur dies: unzeitgemäß zu sein und eben dadurch ein mögliches Korrektiv. Man kann ihn also gemäß dem Trend oder gegen den Trend lesen und adaptieren. Er erscheint zudem durch die Wellenbewegungen des Zeitgeistes dauerhaft verbunden mit seinen beiden großen Kontrahenten, von denen einer zugleich sein Schüler war: Hegel und Nietzsche. Und es ist zu vermuten, dass diese beiden Tendenzen der Bejahung, der Hoffnung und der Tat einerseits, der Verneinung, des Aufgebens und der Besinnung

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andererseits, zwei Aspekte des menschlichen Lebens sind, die beide ihre Zeit haben und haben müssen. Der Kohelet, der große Pessimist unter den Autoren des Tanach, hatte doch auch dafür einen Sinn: dass ein jegliches seine Zeit hat unter der Sonne. Literatur Quellen Beckett, Samuel: Proust. Essay, Frankfurt a.M. 1989. Deussen, Paul: Die Elemente der Metaphysik, Leipzig 5 1913. –: Sechzig Upanishad’s des Veda, Leipzig 3 1921. Nachdruck Darmstadt 1963. –: Allgemeine Geschichte der Philosophie. Zweiter Band, dritte Abteilung: Neuere Philosophie von Descartes bis Schopenhauer, Leipzig 3 1922. Freud, Sigmund: Studienausgabe in zehn Bänden. Herausgeben von Alexander Mitscherlich et al., Frankfurt a.M. 2000. Hartmann, Eduard von: Philosophie des Unbewußten. 3 Bände, Leipzig 12 1923. –: Geschichte der Metaphysik. 2 Bände, Bd. 2: Seit Kant, Leipzig 1900. Nachdruck Darmstadt 1969. Hitler, Adolf: Monologe im Führerhauptquartier 1941–1944. Die Aufzeichnungen Heinrich Heims. Herausgegeben von Werner Jochmann, Hamburg 1980. Horkheimer, Max: Die Aktualität Schopenhauers, in: Schopenhauer-Jahrbuch 42 (1961), 12–25. Nachdruck in (zit.): M. Horkheimer: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, Frankfurt a.M. 1967, 248–268. –: Religion und Philosophie, in: Schopenhauer-Jahrbuch 48 (1967), 3–9. Nachdruck in (zit.): M. Horkheimer: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, Frankfurt a.M. 1967, 229–238. –: Pessimismus heute, in: Schopenhauer-Jahrbuch 52 (1971), 1–7. Nachdruck in: M. Horkheimer: Sozialphilosophische Studien, Frankfurt a.M. 1972, 137–144. –: Bemerkungen zu Schopenhauers Denken im Verhältnis zu Wissenschaft und Religion, in: Schopenhauer-Jahrbuch 53 (1972), 71–79. Nachdruck in: M. Horkheimer: Sozialphilosophische Studien, Frankfurt a.M. 1972, 145–155. Lukács, Georg: Die Zerstörung der Vernunft. Band I: Irrationalismus zwischen den Revolutionen, Darmstadt/Neuwied 1973. Mainländer, Phillip: Philosophie der Erlösung. Ausgewählt von Ulrich Horstmann, Frankfurt a.M. 1989. Mann, Thomas: Buddenbrooks. Verfall einer Familie. Gesammelte Werke in Einzelbänden. Frankfurter Ausgabe. Herausgegeben von Peter de Mendelssohn, Frankfurt a.M. 1981. –: Schopenhauer, in: Th. Mann: Leiden und Größe der Meister. Gesammelte Werke in Einzelbänden. Frankfurter Ausgabe. Herausgegeben von Peter de Mendelssohn, Frankfurt a.M. 1982, 664–716. Nietzsche, Friedrich: Unzeitgemäße Betrachtungen III – Schopenhauer als Erzieher, in: Giorgio Colli und Mazzino Montinari (Hrsg.): Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, München 1980, Bd. 1, 335–427. Wagner, Richard: Dichtungen und Schriften. Jubiläumsausgabe in zehn Bänden. Herausgegeben von Dieter Borchemeyer, Frankfurt/Main 1983.

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Wittgenstein, Ludwig: Schriften 1. Tractatus logico-philosophicus, Tagebücher, Philosophische Untersuchungen, Frankfurt a.M. 4 1980.

Sekundärliteratur Birnbacher, Dieter (Hrsg.) 1996: Schopenhauer in der Philosophie der Gegenwart. Beiträge zur Philosophie Schopenhauers, Würzburg. Fischer, Jens Malte (Hrsg.) 2000: Richard Wagners „Das Judentum in der Musik“. Eine kritische Dokumentation als Beitrag zur Geschichte des Antisemitismus, Frankfurt a.M./Leipzig. Gödde, Günter 2000: Traditionslinien des „Unbewußten“. Schopenhauer – Nietzsche – Freud, Tübingen. Hübscher, Arthur 1973: Schopenhauer und Wagner, in: Arthur Hübscher: Denker gegen den Strom. Schopenhauer gestern – heute – morgen, Bonn 1973, 286–291. Kaiser-El-Safti, Margret 1987: Der Nachdenker. Die Entstehung der Metapsychologie Freuds in ihrer Abhängigkeit von Schopenhauer und Nietzsche, Bonn. Lange, Ernst Michael 1989: Wittgenstein und Schopenhauer, Cuxhaven. Nitzschke, Bernd 1978: Die reale Innenwelt. Anmerkungen zur psychischen Realität bei Freud und Schopenhauer, München. Pothast, Ulrich 1982: Die eigentlich metaphysische Tätigkeit. Über Schopenhauers Ästhetik und ihre Anwendung durch Samuel Beckett, Frankfurt a.M. Safranski, Rüdiger 1987: Schopenhauer und die wilden Jahre der Philosophie. Eine Biographie, München/ Wien. Salaquarda, Jörg (Hrsg.) 1985: Schopenhauer (Wege der Forschung 60), Darmstadt. Spierling, Volker (Hrsg.) 1984: Materialien zu Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung“, Frankfurt a.M. – (Hrsg.) 1987: Schopenhauer im Denken der Gegenwart. 23 Beiträge zu seiner Aktualität, München/ Zürich. Weiner, David Avraham 1992: Genius and Talent. Schopenhauer’s Influence on Wittgenstein’s Early Philosophy, London/Toronto. Zentner, Marcel 1995: Die Flucht ins Vergessen. Die Anfänge der Psychoanalyse Freuds bei Schopenhauer, Darmstadt. Zimmer, Robert 2012: Arthur Schopenhauer. Ein philosophischer Weltbürger, München.

Auswahlbibliographie 1. Ausgaben der Welt als Wille und Vorstellung 1.1 Im Rahmen von Werkausgaben Arthur Schopenhauer: Sämtliche Werke, nach der ersten, von J. Frauenstädt besorgten Gesamtausgabe, neu bearbeitet und hrsg. von Arthur Hübscher, 7 Bände, Leipzig 1937ff., Wiesbaden 3 1972, Mannheim 4 1988, Bd. 1–2. Arthur Schopenhauers Werke in fünf Bänden, nach den Ausgaben letzter Hand hrsg. von L. Lütkehaus. Dazu ein Beibuch mit Übersetzung und Nachweis der Zitate, Chronik und Register von M. Bodmer sowie einem Grundkurs über Schopenhauer-Editionen von L. Lütkehaus, Zürich 1988, 3 1994, Frankfurt a.M. 2006, Bd. 1–2. Arthur Schopenhauer: Zürcher Ausgabe. Werke in zehn Bänden, bearbeitet von Angelika Hübscher, redigiert von C. Schmölders, F. Senn, G. Haffmanns, Zürich 1977 (Text folgt der Ausgabe von Arthur Hübscher Wiesbaden 3 1972), Bd. 1–4. Arthur Schopenhauer: Sämtliche Werke, textkritisch bearbeitet und hrsg. von W. Frhr. von Löhneysen, 5 Bände, Stuttgart/Frankfurt a.M. 1976, Bd. 1–2. Arthur Schopenhauer: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe nebst dem handschriftlichen Nachlaß und den gesammelten Briefen, hrsg. von O. Weiß, Leipzig 1919, Bd. 1–2. Arthur Schopenhauer: Sämtliche Werke, hrsg. von P. Deussen, München 1911–16, Bd 1–2. Auch digital verfügbar als CD-Rom: Schopenhauer im Kontext III. Werke, Vorlesungen, Nachlaß und Briefwechsel auf CD-Rom. (Literatur im Kontext 31), hrsg. v. K. Worm, Berlin 2008.

1.2 Einzelausgaben Faksimilenachdruck der 1. Auflage der Welt als Wille und Vorstellung, hrsg. von R. Malter, Frankfurt a.M. 1987. Die Welt als Wille und Vorstellung, hrsg. von H.-G. Ingenkamp, Stuttgart 1987.

1.3 Englische, französische, italienische und spanische Ausgaben (Auswahl) Arthur Schopenhauer: The World as Will and Representation. Translated from the German by E. F. J. Payne in two Volumes, Vol. I and II, New York 1966–69. Arthur Schopenhauer: The World as Will and Representation, Vol. I and II. In: The Cambridge Edition of the Works of Schopenhauer. General Editor: C. Janaway, Cambridge 2010. Arthur Schopenhauer: The World as Will and Presentation, Vol. I and II. Translated by David Carus and Richard E. Aquila, Upper Saddle River 2011. Arthur Schopenhauer: Le monde comme volonté et comme représentation. Quatre livres, avec un appendice qui contient la Critique de la philosophie kantienne. Hrsg. von Christian Sommer. Paris 2009.

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Arthur Schopenhauer: Il mondo come volontà e rappresentatzione. A cura di Sossio Giametta. Milano 2002. Arthur Schopenhauer: El mundo como voluntad y representación, Vol. I/II. Traducciôn, introducciôn y notas de Pilar Lôpez de Santa Maria, Madrid 2003/4. Arthur Schopenhauer: El mundo como voluntad y representación, Vol. I/II. Traducciôn, introducciôn y notas de Roberto R. Aramayo, Madrid 2003.

2. Hilfsmittel 2.1 Handbuch Koßler, Matthias/Schubbe, Daniel (Hrsg.): Schopenhauer-Handbuch, Stuttgart/Weimar 2014.

2.2 Bibliographien Hübscher, Arthur: Schopenhauer-Bibliographie, Stuttgart-Bad Cannstatt 1981 (Berichtszeitraum 1813–1980). Die Schopenhauer-Bibliographie wird jährlich von Margit Ruffing im Schopenhauer-Jahrbuch fortgeführt und aktualisiert.

2.3 Register Wagner, Gustav Friedrich: Schopenhauer-Register, neu hrsg. von Arthur Hübscher, Stuttgart-Bad Cannstatt 3 1982. Spierling, Volker: Schopenhauer-ABC, Leipzig 2002.

3. Periodika Schopenhauer-Jahrbuch, 1912 begründet von P. Deussen, 1912–1936 hrsg. von P. Deussen (1912–1919), F. Mockrauer (1920–1925), H. Zint (1927–1936), 1937–1983 hrsg. von A. Hübscher, 1984 hrsg. von W. Schirmacher, 1985–1992 hrsg. von R. Malter/W. Seelig/H.-G. Ingenkamp, 1993–2000 hrsg. von H.-G. Ingenkamp/D. Birnbacher/L. Baumann, 2001–2005 hrsg. von H.-G. Ingenkamp/D. Birnbacher/M. Koßler und (2005) G. Baum, seit 2006 hrsg. von M. Koßler/D. Birnbacher. Erscheint seit 1992 Königshausen&Neumann, Würzburg. Beiträge zur Philosophie Schopenhauers, 1996–2003 hrsg. von D. Birnbacher/H.-G. Ingenkamp, seit 2004 hrsg. von D. Birnbacher/M. Koßler. Schopenhaueriana. Collana del Centro interdipartimentale di ricerca su Arthur Schopenhauer e la sua scula dell’Università del Salento, hrsg. von D. M. Fazio, M. Koßler e L. Lütkehaus, Lecce Pensa Multimedia. Revistas Voluntas. Estudios sobre Schopenhauer (online: http://www.revistavoluntas.org/index.html)

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4. Biographien Abendroth, Walter: Arthur Schopenhauer mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek b. Hamburg 1967. Cartwright, David E.: Schopenhauer – A Biography, Cambridge 2010. Safranski, Rüdiger: Schopenhauer und Die wilden Jahre der Philosophie. Eine Biographie, München/Wien 1987. Zimmer, Robert: Arthur Schopenhauer. Ein philosophischer Weltbürger, München 2012.

5. Gesamtdarstellungen und Einführungen Atwell, John: Schopenhauer on the Character of the World. The Metaphysics of Will, Berkeley/Los Angeles/London 1995. Barbera, Sandro: Une philosophie du conflit: Etude sur Schopenhauer, Paris 2004. Birnbacher, Dieter: Schopenhauer, Stuttgart 2009. Fauth, Søren R.: Schopenhauers filosofi. En introduktion, Kopenhagen 2010. Félix, François: Schopenhauer ou les passions du sujet, Lausanne 2007. Fleischer, Margot: Schopenhauer, Freiburg i.Br. 2001. Grün, Klaus-Jürgen: Arthur Schopenhauer, München 2000. Hamlyn, David W.: Schopenhauer. The Arguments of the Philosophers, London 1980. Hübscher, Arthur: Denker gegen den Strom. Schopenhauer gestern – heute – morgen, Bonn 3 1982. Invernizzi, Giuseppe: Invito al pensiero di Schopenhauer, Mailand 1995. Jacquette, Dale: The Philosophy of Schopenhauer, Chesham 2005. Janaway, Christopher: Schopenhauer: A Very Short Introduction. Oxford 2 2002. Magee, Brian: The Philosophy of Schopenhauer, Oxford/New York 1983. Malter, Rudolf: Der eine Gedanke. Hinführung zur Philosophie Arthur Schopenhauers, Darmstadt 1988, 2 2010. Malter, Rudolf: Arthur Schopenhauer. Transzendentalphilosophie und Metaphysik des Willens, StuttgartBad Cannstatt 1991. Spierling, Volker: Arthur Schopenhauer. Eine Einführung in Leben und Werk, Frankfurt a.M. 1998. Spierling, Volker: Arthur Schopenhauer zur Einführung, Hamburg 2002. Weimer, Wolfgang: Schopenhauer (Erträge der Forschung 171), Darmstadt 1982. Young, Julian: Schopenhauer, London 2005.

6. Zur Welt als Wille und Vorstellung 6.1 Sammelbände zur Welt als Wille und Vorstellung und zur Philosophie Schopenhauers Janaway, Christopher (Hrsg.): The Cambridge Companion to Schopenhauer, Cambridge 1999, 7 2009. Salaquarda, Jörg (Hrsg.): Schopenhauer (Wege der Forschung 60), Darmstadt 1985. Schmidt, Alfred: Tugend und Weltlauf. Vorträge und Aufsätze über die Philosophie Schopenhauers (1960–2003), Frankfurt a.M. 2004.

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Spierling, Volker (Hrsg.): Materialien zu Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung“, Frankfurt a.M. 1984. Vandenabeele, Bart (Hrsg.): A Companion to Schopenhauer, Oxford 2012.

6.2 Zur Erkenntnistheorie Booms, Martin: Aporie und Subjekt. Die erkenntnistheoretische Entfaltungslogik der Philosophie Schopenhauers, Würzburg 2003. Schmidt, Alfred: Drei Studien über Materialismus. Schopenhauer. Horkheimer. Glücksproblem, München/ Wien 1977. Koßler, Matthias: Substantielles Wissen und subjektives Handeln, dargestellt in einem Vergleich von Hegel und Schopenhauer, Frankfurt a.M. 1990. Schubbe, Daniel: Philosophie des Zwischen. Hermeneutik und Aporetik bei Schopenhauer. Würzburg 2010. Welsen, Peter: Schopenhauers Theorie des Subjekts. Studien und Materialien zum Neukantianismus, Würzburg 1995.

6.3 Zur Metaphysik Berg, Robert Jan: Objektiver Idealismus und Voluntarismus in der Metaphysik Schellings und Schopenhauers, Würzburg 2003. Birnbacher, Dieter: Induktion oder Expression? Zu Schopenhauers Metaphilosophie, in: Schopenhauer-Jahrbuch 69 (1988), 7–19. Koßler, Matthias/Jeske, Michael (Hrsg.): Philosophie des Leibes. Die Anfänge bei Schopenhauer und Feuerbach, Würzburg 2012. Lorenz, Andreas: Gewißheit versus Hypothese. Postmetaphysische Untersuchungen zur Philosophieauffassung bei Kant, Newton und Schopenhauer, Würzburg 2013. Schmidt, Alfred: Die Wahrheit im Gewande der Lüge: Schopenhauers Religionsphilosophie, München 2 1987.

6.4 Zur Ästhetik Baum, Günther/Birnbacher, Dieter (Hrsg.): Schopenhauer und die Künste, Göttingen 2005. Koßler, Matthias (Hrsg.): Musik als Wille und Welt. Schopenhauers Philosophie der Musik, Würzburg 2011. Jacquette, Dale (Hrsg.): Schopenhauer, philosophy, and the arts, Cambridge 1996. Neymeyer, Barbara: Ästhetische Autonomie als Abnormität. Kritische Analysen zu Schopenhauers Ästhetik im Horizont seiner Willensmetaphysik, Berlin/New York 1996. Pothast, Ulrich: Die eigentlich metaphysische Tätigkeit. Über Schopenhauers Ästhetik und ihre Anwendung durch Samuel Beckett, Frankfurt a.M. 1989.

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6.5 Zur Ethik Beisel, Marie-Christine: Schopenhauer und die Spiegelneurone. Eine Untersuchung der Schopenhauerschen Mitleidsethik im Lichte der neurowissenschaftlichen Spiegelneuronentheorie, Würzburg 2012. Birnbacher, Dieter: Schopenhauers Idee einer rekonstruktiven Ethik (mit Anwendungen auf die moderne Medizin-Ethik), in: Schopenhauer-Jahrbuch 71 (1990), 26–44. Birnbacher, Dieter/Sommer, Andreas Urs (Hrsg.): Moralkritik bei Schopenhauer und Nietzsche, Würzburg 2013. Dörpinghaus, Andreas: Mundus pessimus. Untersuchungen zum philosophischen Pessimismus Arthur Schopenhauers, Würzburg 1997. Fleischer, Margot: Schopenhauer als Kritiker der Kantischen Ethik. Eine kritische Dokumentation, Würzburg 2003. Hallich, Oliver: Mitleid und Moral. Schopenhauers Leidensethik und die moderne Moralphilosophie, Würzburg 1998. Hauskeller, Michael: Vom Jammer des Lebens. Einführung in Schopenhauers Ethik, München 1998. Koßler, Matthias: Empirische Ethik und christliche Moral. Zur Differenz einer areligiösen und einer religiösen Grundlegung der Ethik am Beispiel der Gegenüberstellung Schopenhauers mit Augustinus, der Scholastik und Luther, Würzburg 1999. Mannion, Gerard: Schopenhauer, Religion and Morality: The Humble Path to Ethics, Aldershot 2003. Sauter-Ackermann, Gisela: Erlösung durch Erkenntnis? Studien zu einem Grundproblem der Philosophie Schopenhauers, Cuxhaven 1994. Weiper, Susanne: Triebfeder und höchstes Gut. Untersuchungen zum Problem der sittlichen Motivation bei Kant, Schopenhauer und Scheler, Würzburg 2000.

7. Zur Wirkungsgeschichte Barua, Arati (Hrsg.): Schopenhauer and Indian Philosophy: A Dialogue Between India and Germany, Neu Delhi 2008. Baum, Günther/Koßler, Matthias (Hrsg.): Die Entdeckung des Unbewußten. Die Bedeutung Schopenhauers für das moderne Bild des Menschen (= Schopenhauer-Jahrbuch 86), Würzburg 2005. Birnbacher, Dieter (Hrsg.): Schopenhauer in der Philosophie der Gegenwart, Würzburg 1996. Ciracì, Fabio/Fazio, Domenico M./Koßler, Matthias (Hrsg.): Schopenhauer und die SchopenhauerSchule, Würzburg 2009. Haffmanns, Gerd (Hrsg.): Über Arthur Schopenhauer, Zürich 1977. Koßler, Matthias (Hrsg.): Schopenhauer und die Philosophien Asiens (Beiträge zur Indologie 42), Wiesbaden 2008. Sorg, Bernhard: Zur literarischen Schopenhauer-Rezeption im 19. Jahrhundert, Heidelberg 1975. Thiergen, Peter: Schopenhauer in Russland. Grundzüge der Rezeption und Forschungsaufgaben, in: Schopenhauer-Jahrbuch 85 (2004), 131–166. Weiner, Thomas: Die Philosophie Arthur Schopenhauers und ihre Rezeption, Hildesheim 2000.

Personenregister

Addison, J. 110 Adorno, Th. W. 192 Antisthenes 48 App, U. 4 Aristoteles 24, 40 Atwell, J. 67, 81f. Augustinus 181 Baumgarten, A. G. 125 Becker, J. A. 182 Beckermann, A. 57 Beckett, S. 191, 199f. Berkeley, G. 19, 76, 96f. Bichat, M. F. X. 93 Birnbacher, D. 16, 52, 58, 64, 68, 73, 75 Bloch, E. 91f., 94 Bloch, O. R. 95 Blumenberg, H. 77 Bok, S. 149 Booms, M. 11 Bruno, G. 93 Büchner, L. 93 Burke, E. 110f. Cabanis, P.-J.-G. 93 Cherniss, H. 83 Chrysipp 48 Claudius, M. 182 Condillac, E. B. de 96 Correggio, A. da 128 Darwin, Ch. 192 Demokrit 93, 96 Dennis, J. 110 Descartes, R. 19, 55, 57, 72 Deussen, P. 191, 193f. Dür, W. 8 Eckhart 180 Epiktet 48

Epikur 93 Euklid 46f. Euler, L. 40 Fichte, J. G. 3, 26, 31, 45, 54, 76f., 81, 87, 120, 124, 184 Frauenstädt, J. 5, 66, 160, 179 Freud, S. 74, 87, 191, 194f. Gadamer, H.-G. 8f. Glasenapp, H. von 194 Goethe, J. W. von 3, 129 Hallich, O. 73, 175, 177, 187 Hanslick, E. 135 f. Hartmann, E. von 162, 191 Hauskeller, M. 145, 149f. Hegel, G. F. W. 2, 72, 75, 90, 92, 199, 203 Heidegger, M. 113, 192 Helvétius, C. A. 93 Heraklit 22 Hitler, A. 191, 198 Hobbes, Th. 93, 163 Holbach, P. H. T. de 93, 97 Hooke, R. 29 Horkheimer, M. 191f., 201–203 Hübscher, A. 11, 186 Hume, D. 5, 25f., 29, 59f., 77, 145, 160 Jacobi, F. H. 98 Jacquette, D. 64 Janaway, Chr. 52, 67f., 77, 171 Jones, W. 19 Kant, I. 2, 4f., 9–11, 15f., 19, 21f., 24, 27, 31, 35f., 38, 43–45, 47f., 51f., 56, 67, 72, 77f., 80, 82, 89, 91, 93, 97–99, 103, 105–111, 113–115, 119f., 122–126, 128, 140, 144, 157, 184, 202 Kieran, M. 108

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PERSONENREGISTER

Kierkegaard, S. 108 Klaproth, J. 4 Kleanthes 48 Koßler, M. 11, 65, 113, 179, 181, 183, 187 Külpe, O. 16, 75 Kuhlenbeck, H. 32 Lavoisier, A. L. de 29 Leibniz, G. W. 72, 151 Lemanski, J. 186 Leukipp 93, 96 Libet, B. 58 Locke, J. 36, 96 Lütkehaus, L. 186f. Lukács, G. 192, 202 Lukrez 93 Luther, M. 181 Lykken, D. 148 Maggee, B. 171 Mainländer, Ph. 176, 191 Majer, F. 4 Malter, R. 5, 7, 15f., 61, 78, 86, 124, 127, 137, 172, 181, 187 Mann, Th. 191, 194, 198f., 201 Moleschott, J. 93 Monseré, A. 115 Morgenstern, M. 75 Neill, A. 111 Neumann, K. E. 191, 193f. Nietzsche, F. 1, 87, 113, 135, 164, 171, 191– 193, 195, 199, 203 Pfitzner, H. 191 Platon 22, 42, 71f., 82–85, 103–108, 119, 122f., 126f. Pothast, U. 200 Proust, M. 200 Pythagoras 47 Raffael 128 Reginster, B. 102 Reinhold, C. L. 31

Rogler, E. 32 Rossini, G. 195 Ryle, G. 57 Safranski, R. 52 Sartre, J.-P. 108 Sauter-Ackermann, G. 187 Schaber, P. 157 Schelling, F. W. J. 31, 93, 195 Schirmacher, W. 187 Schleiermacher, F. 3, 41 Schlesinger, B. 32 Schmidt, A. 10 Schönberg, A. 135 Schopenhauer, H. F. 2 Schopenhauer, J. 2 Schubbe, D. 12, 52, 172 Schweitzer, A. 158, 162 Scruton, R. 104 Shakespeare, W. 129 Singh, R. 162 Smith, A. 163 Sophokles 129 Spierling, V. 11f., 52, 59, 65, 172 Spinoza, B. de 22, 71f., 93, 97 Stanek, V. 167 Tellegen, A. 148 Tennemann, W. G. 41 Vandenabeele, B. 111–113, 115 Vogt, C. 93 Wagner, R. 191, 193 Waismann, F. 73 Wilhelm, K. W. 189 Wittgenstein, L. 87, 104, 191f., 195–198, 200 Wolf, J.-Cl. 157, 160 Zeller, E. 32 Zeno 48 Zöller, G. 119, 124, 136 Zuboff, A. 140

Sachregister

Analogieschluss 59–66, 77, 127 Anschauung – empirische A. 24–26, 28–30, 33, 35–37, 39, 41–47, 79 – reine A. 44–47 – s. auch Intuition Antinomien 9–11 – a. auch Aporien Aporien 12, 33 – s. auch Antinomien Askese 124, 130, 164, 166, 168, 172–176, 181, 185, 187 Atheismus 191, 193 Begriff, begrifflich 36f., 39, 41–45, 47f., 106, 115 Besonnenheit, Besinnung 18, 23, 113, 162, 180, 188, 203 besseres Bewusstsein 3, 183f., 187 Böses 161, 164f., 174f. Buddhismus 182, 186, 193f. Charakter 38, 66, 139, 143–145, 177–179, 187 Christentum, christlich 49, 128, 154, 159, 167, 174, 181f., 185, 202 Ding an sich 4, 22, 28, 53, 56, 65, 67, 80–82, 89, 91f., 96, 106, 158f., 177f., 185, 188 Drehwende 12, 65 Egoismus 153–156, 162, 164–168, 173f. Ein Gedanke/Einheit 7f., 11f., 137, 172, 195 Empfindung 24–26 empirischer Realismus 19, 51, 62f., 98 Empirismus 30, 36, 201 Erfahrung, Erfahrungswelt 11, 18, 22, 25, 52f., 65f., 71f., 76, 78, 81, 183, 186, 191 Erhabenes 108–112, 125 Erkenntnis, Erkennen 10, 18, 35–50, 106, 121, 124f., 177, 180f., 183, 185

Erlösung 171–173, 182, 186–189 Erscheinung 11, 22, 53, 55, 65, 76f., 81, 83, 86f., 89, 91, 131, 177f., 185 Ethik 138, 145, 153 Evidenz 46f. Freiheit 6, 38, 66, 77, 121, 143–145, 177–182, 187f. Gefühl 41, 43, 79, 125, 132–136, 191 Gehirn/Hirnparadox 10, 29, 32, 57, 59, 90f., 97–99, 155 Genie 42f., 113 Gerechtigkeit 153, 155, 157f., 165–169, 175, 182 Gewissen 160f., 163, 173, 182 Glück 102, 148–150, 163 Gnade 177, 181f. „gut“ 160f. heilig 43, 49, 128, 154, 159, 174f., 181f., 186 hermeneutischer Zirkel 8 Hinduismus 193 f. Idealismus 9f., 26f., 31f., 35, 76, 87, 90, 96–99, 116 Idee 32, 42, 82–87, 103–108, 112–115, 122– 129, 131–134, 167, 178 Identitätsthese 56–59, 67 Indische Philosophie 3f., 19, 181, 186, 193f. Individuationsprinzip 7, 66, 82, 124, 153, 161, 163–165, 167, 172f., 175, 180, 182 Integrationskriterium 64f. Intellekt 12, 24f., 32, 59, 91, 93, 95, 97f., 113, 121, 130, 134, 154, 194 – s. auch Verstand, Vernunft Interesse 103–105, 155 Interesselosigkeit 112–116 Intuition 29, 35–37, 39, 41–47, 78, 127 – s. auch Anschauung

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Sachregister

Kausalität 5, 13–18, 21–26, 28–31, 35, 53–57, 59, 67, 76, 78–81, 85, 107, 160 – s. auch Satz vom Grunde Kohärenzkriterium 64f., 79 Kontemplation 86f., 101–116, 121, 125, 166, 180, 200 – s. auch Anschauung, Intuition Körper 56f. – s. auch Leib Kunst 107f., 119–136, 199f. Künstler 86, 113f., 199 Langeweile 102, 147, 163 Leib 10, 21, 24, 28f., 55–65, 67, 110f., 191, 193 – s. auch Körper Leiden 2, 7, 15, 37, 48–50, 92, 101–103, 112, 120, 124, 129, 137, 145–152, 154f., 158f., 161, 163, 165, 167f., 172–176, 180, 182, 186, 193, 196f., 200 Logik 40 Materialismus 9f., 12, 31f., 59, 89–99, 201 Materie 10, 23–25, 83f., 90–93, 95–97 Mathematik 46f. Metaphysik – hermeneutische M. 52, 72, 75f., 78–80 – immanente M. 11, 52, 80, 179, 183–187 – induktive M. 75 – Verständnis von M. 5, 10f., 15f., 31f., 51–53, 71f., 75–77, 79f., 85, 120–122, 183f., 186f. Mitleid 6, 50, 151, 159, 162–166, 172–175, 177, 187 Moral, moralisch 6, 36, 38, 41, 43, 50, 75, 97, 109f., 113, 130, 138, 150–152, 155–163, 167, 176, 178, 191–195 Motiv 29, 38, 48, 66, 143, 162, 164–166, 174, 178, 180, 182, 188 Musik 119, 129–136, 193 Mystik 174, 179f., 185–187, 197 Natur 68, 83, 90, 92–97, 142 Naturalismus 94–96 Nichts 182–186, 188f. Nihilismus 183, 187, 189

Objekt 17, 20, 23, 55, 59, 61 – s. auch Subjekt Optimismus 150f., 160, 168 Pessimismus 102, 151, 153, 171, 191–193, 199, 201–203 Philosophie 2, 16, 46–48, 52, 78f., 85, 119, 126f., 129f., 177, 179, 186, 198 Quietiv 172, 175 Rationalismus 72, 202 Rationalität 44, 74f. Realismus 26f., 76, 97, 99 Realität der Außenwelt 25–28, 61–64, 98 Recht 153–158, 163, 165f. Religion, religiös 41, 128, 138, 163, 168f., 181, 187, 191, 193f., 198, 201–203 Resignation 129, 163, 168, 173, 175, 187 Satz vom Grunde 16–18, 20–23, 25–27, 33, 36, 39, 47, 53, 58f., 78, 103, 105f., 114, 122, 124, 137, 143, 173, 177f., 180, 182, 188f. – s. auch Kausalität Schönes, Schönheit 107–112, 114f., 121, 125, 128 Selbstbewusstsein 77, 95, 115, 154, 195 Selbsterkenntnis 7, 16, 33, 54, 125, 154, 161, 173 Sinn 74, 76, 79f. Solipsismus 61f., 98, 164, 197, 200 Soteriologie 171, 185–187 – s. auch Erlösung Spiegel, spiegeln 36, 72, 87f., 104, 113f., 135, 140f., 155, 172 Spiritualismus 97 Sprache 38f. Stoizismus 48f., 176 Strafen 156–158, 165, 169 Subjekt 20f., 33, 54–56, 61, 77, 87, 97, 104, 111, 113, 123, 124, 127, 140f. – s. auch Objekt Subjekt/Objekt-Korrelation 9, 16–18, 20–21, 23, 25f., 31–33, 35, 56, 98f., 141

Sachregister Suizid 49, 102, 176f. System 7–9 Theodizee 159, 168 Tiere 24f., 29f., 37f., 42 Tod 139–142, 146f., 149, 154f. transzendentaler Idealismus 6, 9–12, 19, 51, 98, 197 Transzendentalphilosophie 8, 10–12, 15, 17, 32f., 51–53, 55f., 61, 65, 78, 86, 98, 124 Traum 27, 88 Unbewusstes 88 Urteil 39–41 Urteilskraft 30, 46 Verantwortlichkeit 144, 161, 168, 178 Vernunft 16, 24, 28–30, 35–40, 42f., 45, 48– 50, 111, 118, 165, 180 – praktische V. 48 Verstand 18, 24f., 28–31, 33, 35 Vorstellung 6, 10, 12, 17–33, 51, 53f., 59–65, 90, 126, 131, 134 – intuitive vs. abstrakte V. 21–23, 39 Wahrheit 79

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Wille – „W.“ (Begriff) 58, 67f., 72–74, 81 – empirischer W. 56–67, 134, 140, 156, 183 – metaphysischer W. 7, 10, 12, 16, 28f., 50, 54, 56, 59, 66–68, 71–82, 84f., 87f., 90–92, 101f., 106, 122, 125, 129, 130–132, 134, 140f., 145–148, 154f., 158, 162, 166, 168, 172, 177–179, 183, 185, 194 – W.nlosigkeit 112–116, 121, 146, 163, 173f., 176, 179f., 187 – W.nsakt 57f. – W.nsbejahung 129, 142, 153–155, 162–164, 166–168, 173, 175f., 179, 182f. – W.nsverneinung 7, 50, 125, 129, 142, 145, 153f., 159, 162f., 168, 171–177, 179–185, 187–189, 193 – zum Leben 74, 101, 125, 130, 140, 142, 145, 147, 153f., 158, 163, 167, 171–176, 179, 182f., 188, 200 – s. auch Wollen Wissen 41–43, 45f., 112, 114 Wissenschaft 45–47, 53, 79f., 93, 126, 202, 189 Wollen 37, 57, 67f., 73, 101f., 138f., 145, 161, 175, 179–181, 188

Hinweise zu den Autorinnen und Autoren

Dieter Birnbacher ist Professor für Philosophie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Wichtige Veröffentlichungen: Verantwortung für zukünftige Generationen (1988, frz. 1994, poln. 1999), Tun und Unterlassen (1995), Analytische Einführung in die Ethik (2003, 3. Aufl. 2013), Bioethik zwischen Natur und Interesse (2006), Natürlichkeit (2006), Schopenhauer (2009, niederl. 2010), Negative Kausalität (2012, zus. mit David Hommen).

Oliver Hallich ist Professor für Philosophie mit dem Schwerpunkt Praktische Philosophie an der Universität Duisburg-Essen. Wichtige Veröffentlichungen: Mitleid und Moral. Schopenhauers Leidensethik und die moderne Moralphilosophie (1998), Richard Hares Moralphilosophie. Metaethische Grundlagen und Anwendung (2000), Die Rationalität der Moral. Eine sprachanalytische Grundlegung der Ethik (2008), Platons „Menon“ (2013). Michael Hauskeller ist Associate Professor an der University of Exeter, UK. Wichtige Veröffentlichungen: Atmosphären erleben. Philosophische Untersuchungen zur Sinneswahrnehmung (1995), Geschichte der Ethik: Antike (1997), Vom Jammer des Lebens: Einführung in Schopenhauers Ethik (1998), Was ist Kunst? (1998), Geschichte der Ethik: Mittelalter (1999), Versuch über die Grundlagen der Moral (2001), Biotechnology and the Integrity of Life (2007), Better Humans? Understanding the Enhancement Project (2013). Christopher Janaway ist Professor für Philosophie an der University of Southampton, England. Wichtige Veröffentlichungen: Self and World in Schopenhauer’s Philosophy (1989), Images of Excellence. Plato’s Critique of the Arts (1995), Schopenhauer. A Very Short Introduction (2002), Beyond Selflessness. Reading Nietzsche’s Genealogy (2007). Zahlreiche Aufsätze zu Schopenhauer, Nietzsche und zur Ästhetik.

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Zu den Autorinnen und Autoren

Matthias Koßler ist apl. Professor für Philosophie und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Mainz. Er ist Präsident der Schopenhauer-Gesellschaft, Leiter der Schopenhauer-Forschungsstelle an der Universität Mainz, geschäftsführender Herausgeber des Schopenhauer-Jahrbuches und Mitherausgeber der Reihe Beiträge zur Philosophie Schopenhauers. Wichtige Veröffentlichungen: Substantielles Wissen und subjektives Handeln, dargestellt in einem Vergleich von Hegel und Schopenhauer (1990), Empirische Ethik und christliche Moral. Zur Differenz einer areligiösen und einer religiösen Grundlegung der Ethik am Beispiel der Gegenüberstellung Schopenhauers mit Augustinus, der Scholastik und Luther (1999). Zahlreiche Aufsätze zu Schopenhauer, Kant, zum Deutschen Idealismus und zur Philosophie des Mittelalters. Margit Ruffing ist Akademische Oberrätin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der dortigen Kant-Forschungsstelle und Redakteurin der Kant-Studien. Wichtige Veröffentlichungen: „Wille zur Erkenntnis“ – Die Selbsterkenntnis des Willens und die Idee des Menschen in der ästhetischen Theorie Arthur Schopenhauers (2001), (Hrsg.) Kant-Bibliographie 1896–1944 und 1945–1990, (Mithrsg.) Recht und Frieden in der Philosophie Kants, Berlin/New York 2008, (Mithrsg.) Kant und die Philosophie in weltbürgerlicher Absicht, Berlin/Boston 2013. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Schopenhauer und Kant.

Alfred Schmidt (1931–2012) war von 1972 bis 1999 Professor für Philosophie und Soziologie an der Universität Frankfurt als Nachfolger von Jürgen Habermas auf dem Lehrstuhl von Max Horkheimer. Wichtige Veröffentlichungen u. a.: Der Begriff der Natur in der Lehre von Karl Marx (1962), Geschichte und Struktur. Fragen einer marxistischen Historik (1971), Die Kritische Theorie als Geschichtsphilosophie (1976), Drei Studien über Materialismus. Schopenhauer. Horkheimer. Glücksproblem (1977), Kritische Theorie, Humanismus, Aufklärung. Philosophische Arbeiten (1981), Die Wahrheit im Gewande der Lüge. Schopenhauers Religionsphilosophie (1986), Idee und Weltwille. Schopenhauer als Kritiker Hegels (1988), Tugend und Weltlauf. Vorträge und Aufsätze über die Philosophie Schopenhauers (1960–2003) (2004). Bart Vandenabeele ist Professor für Philosophie an der Universität Ghent, Belgien. Wichtige Veröffentlichungen: Seduction, Community, Speech (2004),

ZU DEN AUTORINNEN UND AUTOREN

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(Hrsg.) A Companion to Schopenhauer (2012), The Sublime in Schopenhauer’s Philosophy. From Pessimism to Art (i. E., 2015). Zahlreiche weitere Publikationen zur philosophischen Ästhetik, Sprachphilosophie und Geschichte der neuzeitlichen Philosophie.

Wolfgang Weimer ist Gymnasiallehrer für Philosophie und Geschichte in Düsseldorf. Wichtige Veröffentlichungen: Schopenhauer (1982), Logisches Argumentieren (2005), Schlachthof Schlachtfeld. Tiere im Menschenkrieg (2010, zus. mit Rolf Schäfer).

Jean-Claude Wolf ist ordentlicher Professor für Ethik und politische Philosophie an der Universität Freiburg/Schweiz. Wichtige Veröffentlichungen: Sprachanalyse und Ethik. Eine Kritik der Methode und einiger Folgeprobleme sowie der Anwendung des universalen Präskriptivismus von Richard Mervyn Hare (1983), Verhütung oder Vergeltung? Einführung in ethische Straftheorien (1992), Kommentar zu Mills „Utilitarismus“ (1992), Tierethik. Neue Perspektiven für Menschen und Tiere (1992), Utilitarismus, Pragmatismus und kollektive Verantwortung (1993), Freiheit – Analyse, Bewertung (1995), Analytische Moralphilosophie (1998, zus. mit Peter Schaber), Pantheismus nach der Aufklärung (2013).

Günter Zöller ist Professor für Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Wichtige Veröffentlichungen: Theoretische Gegenstandsbeziehung bei Kant (1984), Fichte’s Transcendental Philosophy (1998), Kritischer Geist. Erkennen und Handeln bei Kant, Fichte und Nietzsche (auf Kroatisch, 2012), Fichte lesen (2013), Res publica: Plato’s „Republic“ in Classical German Philosophy (2014).