Argumenta Iuventiana: Entscheidungsbegrundungen Eines Hochklassischen Juristen 3428096274, 9783428096275


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Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Aufgabenstellung
II. Das Recht als ars boni et aequi
Erstes Kapitel: Allgemeiner Teil
§ 1 Gesamtzahl und Verteilung der Entscheidungsbegründungen
§ 2 Ratio und auctoritas
§ 3 Scheinbegründungen
Zweites Kapitel: Fallanknüpfung
§ 4 Fiktion
§ 5 Analogieschluß und argumentum a maiore ad minus
§ 6 Anhang: Darstellung und Fallanknüpfung
Drittes Kapitel: Deduktion
§ 7 Begriff und Anzahl der deduktiven Entscheidungsbegründungen
§ 8 Der Vorrang deduktiver Entscheidungsfindung: D 3.5.9.1 (Pal. 10)
§ 9 Systematische Rechtsfindung
§ 10 Normbildung durch Auslegung: D 4.8.23.1 (Pal. 18)
§ 11 Systematische Gesetzesauslegung
§ 12 Teleologische Gesetzesauslegung
§ 13 Auslegung von Rechtsgeschäften
§ 14 Die Grenzen deduktiver Entscheidungsbegründung
Viertes Kapitel: Fortbildung der Dogmatik
§ 15 Bildung und Abwägung von Rechtsprinzipien: D 24.1.3.12 (Pal. 120)
§ 16 Ein vermeintliches Rechtsprinzip: D 12.6.26.12 (Pal. 50)
§ 17 Transplantation eines Instituts oder Rechtsprinzips
§ 18 Bilder
Fünftes Kapitel: Offene Wertungen und Naturrecht
§ 19 Malitiis non indulgendum est: D 6.1.38 (Pal. 22)
§ 20 Ambiguitas contra stipulatorem
§ 21 Berignitas
§ 22 Utilitas
§ 23 Celsus naturali aequitate motus: D 12.4.3.7 (Pal. 44)
§ 24 Natura rerum und natura hominum
§ 25 lus gentium
Sechstes Kapitel: Bottum et aequum
§ 26 Purgatio morae: D 45.1.91.3 (Pal. 221)
§ 27 Die condictio Iuventiana: D 12.1.32 (Pal. 42)
§ 28 Die ars boni et aequi
Quellenverzeichnis
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Argumenta Iuventiana: Entscheidungsbegrundungen Eines Hochklassischen Juristen
 3428096274, 9783428096275

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Jan Dirk Harke • Argumenta Iuventiana

Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Herausgegeben vom Institut für Rechtsgeschichte und geschichtliche Rechtsvergleichung der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br.

Neue Folge • Band 33

Argumenta Iuventiana Entscheidungsbegründungen eines hochklassischen Juristen

Von Jan Dirk Harke

Duncker & Humblot • Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Harke, Jan Dirk: Argumenta Iuventiana: Entscheidungsbegründungen eines hochklassischen Juristen / von Jan Dirk Harke. Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Freiburger rechtsgeschichtliche Abhandlungen ; N.F., Bd. 33) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09627-4

Alle Rechte vorbehalten © 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-6704 ISBN 3-428-09627-4 Gedruckt auf altemngsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706©

Edith und Hagen

Vorwort Diese Arbeit lag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-LudwigsUniversität Freiburg i m Sommersemester 1998 als Dissertation vor. M e i n Dank gilt vor allem meinem verehrten Lehrer, Professor Joseph Georg W o l f . Er hat mich nicht nur in seinen romanistischen Seminaren an eine fesselnde Wissenschaft herangeführt und die vorliegende Arbeit stets kritisch betreut. Sein Einfluß setzte noch früher und damit an entscheidender Stelle ein: Es war seine herausragende Anfängervorlesung, die mich dazu bewog, das Studienfach zu wechseln und mich der Rechtswissenschaft zu widmen. M e i n so gewecktes Interesse hat er während des Studiums weiter gefördert und i h m die richtige Richtung gegeben. Bedanken möchte ich mich auch bei meinen Freunden und Kollegen am Lehrstuhl Christian Emunds, Sonja Heine, Heiko Rastätter und Hans-Jörg Roth, deren Diskussionsfreude und K r i t i k mich vor so manchem Irrweg bewahrt haben. Herrn Rastätter danke ich darüber hinaus für die Erstellung der Druckvorlage, m i t der ich und mein Computer überfordert waren. Freiburg, i m August 1998 Jan Dirk Harke

Inhaltsverzeichnis Einleitung

11

I. Aufgabenstellung

11

II. Das Recht als ars boni et aequi

14

Erstes Kapitel

Allgemeiner Teil § 1

Gesamtzahl und Verteilung der Entscheidungsbegründungen

17

§ 2

Ratio und auctoritas

20

§ 3

Scheinbegründungen

24

Zweites Kapitel

Fallanknüpfung § 4

Fiktion

29

§ 5

Analogieschluß und argumentum a maiore ad minus

§ 6

Anhang: Darstellung und Fallanknüpfung

32 36

Drittes Kapitel

Deduktion § 7

Begriff und Anzahl der deduktiven Entscheidungsbegründungen

39

§ 8

Der Vorrang deduktiver Entscheidungsfindung: D 3.5.9.1 (Pal. 10)

43

§ 9

Systematische Rechtsfindung

47

§ 10 Normbildung durch Auslegung: D 4.8.23.1 (Pal. 18)

57

§ 11 Systematische Gesetzesauslegung

60

§ 12 Teleologische Gesetzesauslegung

67

§ 13 Auslegung von Rechtsgeschäften

74

§ 14 Die Grenzen deduktiver Entscheidungsbegründung

78

10

Inhaltsverzeichnis Viertes Kapitel Fortbildung der Dogmatik

§ 15 Bildung und Abwägung von Rechtsprinzipien: D 24.1.3.12 (Pal. 120)

83

§ 16 Ein vermeintliches Rechtsprinzip: D 12.6.26.12 (Pal. 50)

95

§ 17 Transplantation eines Instituts oder Rechtsprinzips § 18 Bilder

98 103

Fünftes Kapitel Offene Wertungen und Naturrecht § 19 Malitiis non indulgendum est: D 6.1.38 (Pal. 22)

109

§ 20 Ambiguitas contra stipulatorem

112

§ 21 Beriignitas

114

§ 22 Utilitas

118

§ 23 Celsus naturali aequitate motus: D 12.4.3.7 (Pal. 44) § 24 Natura rerum und natura hominum § 25 lus gentium

121 126 130

Sechstes Kapitel Bottum et aequum § 26 Purgatio morae: D 45.1.91.3 (Pal. 221)

134

§ 27 Die condictio Iuventiana: D 12.1.32 (Pal. 42)

137

§ 28 Die ars boni et aequi

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Quellenverzeichnis

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Einleitung L Aufgabenstellung Die Methode des Celsus ist bereits Gegenstand zahlreicher Einzeluntersuchungen1: In seiner Analyse der celsinischen Polemik stößt Wieacker 2 auf die charakteristische Argumentationsfigur der reductio ad absurdum. Diese hält er für den typischen Ausdruck eines cholerischen Temperamentes, das die Gabe drastischaphoristischer Anschaulichkeit besitze3, dessen Argumentation aber nicht immer treffend und harmonisch ausgereift sei. Wieacker gewinnt den Gesamteindruck eines sprunghaften und unausgeglichenen Geistes4, der gerade deshalb zu großen Innovationen imstande gewesen sei. Hausmaninger hat der Gesetzes-5, Testaments6- und Vertragsauslegung 7 des Celsus eingehende Untersuchungen gewidmet, auf deren Ergebnisse im einzelnen einzugehen sein wird. Hausmaninger stellt fest, daß Celsus die von ihm formulierten abstrakten Interpretationsmaximen auch in seinen Einzelentscheidungen beachtet8. Dementsprechend zeichnet er in seiner allgemeinen Charakterisierung des Celsus9 das Bild eines Juristen, der anstelle bloß kasuistischen Vorgehens eine theoretisch vertiefte Lehre 10 vertritt, und der seine Entscheidungen mit Hilfe einer exakten Methodik gewinnt 11 .

1

Außer Betracht sollen an dieser Stelle mannigfache Arbeiten bleiben, die wie die verschiedenen Untersuchungen zum Durchgangserwerb die Methode des Celsus nur anläßlich eines einzigen Textes beleuchten. 2 Amoenitates Iuventianae, IURA 13 (1962) lff. 3 A.a.O. 19. 4 A.a.O. 21. 5 Zur Gesetzesinterpretation des Celsus, St. Grosso V (1972) 243ff. 6 Zur Legatsinterpretation des Celsus, IURA 35 (1984) 16ff. 7 Id quod actum est als Argumentationsfigur bei Celsus, FS Wesener (1992) 159ff. 8 St. Grosso V (1972), 277 und IURA 35 (1984) 43ff. 9 Publius Iuventius Celsus: Persönlichkeit und juristische Argumentation, ANRW 11.15 (1976) 382ff. A.a.O. 407. 11 A.a.O. 403.

12

Einleitung

Daß Celsus ein Dogmatiker war, ist denn auch die im Anschluß an Hausmaningers Vortrag auf dem 21. Deutschen Rechtshistorikertag (Linz, 1976) überwiegend geäußerte Auffassung 12. Dagegen sieht Bretone 13 den methodischen Grundansatz des Celsus in einer Absage an die formalisierte Wissenschaft. Dies zeige sich nicht nur in der von ihm stammenden Maxime des bonum et aequum als Aufgabe des Rechts14, sondern komme auch in den einzelnen Entscheidungen des Juristen zum Ausdruck 15 , auf deren nähere Untersuchung Bretone allerdings verzichtet. Im Anschluß an Schiavone16 will Scarano Ussani in seiner groß angelegten Studie zur Rechtskultur der spätprokulianischen Schule17 zeigen, daß Celsus im Gegensatz zu Neraz - eine empiristische, jeden Dogmatismus abwehrende Methode geübt habe. Diese sei ausschließlich der pragmatischen Funktion des Rechts als einer sozialen Technologie verpflichtet gewesen. Scarano Ussani konstatiert im Denken des Celsus den Einfluß neoakademischer und neopyhrroneischer Skepsis18, zugleich aber auch humanistische Ideale des philantropischen Stoizismus sowie naturrechtlich bestimmte Ordnungsvorstellungen als Grundlagen der Leitwerte des bonum et aequum 19. Diese Häufung führt nicht selten zu Widersprüchen: so ist das nach Scarano Ussani auf skeptische Doktrin zurückgehende Menschenbild, das sich an den individuellen Besonderheiten orientiert, unvereinbar mit einer Naturrechtsauffassung, die von einer allgemeinen, an sich bestehenden Natur des Menschen ausgeht20. Wie problematisch es ist, einen römischen Juristen anhand einzelner Aussagen auf bestimmte philosophische Überzeugungen festzulegen, zeigt das bekannte Fragment D 33.10.7 (Pal. 168). In diesem Traktat zur Auslegung des supellexLegates sind philosophische Einflüsse am stärksten sichtbar. Während aber Scarano Ussani im Anschluß an Casavola21 und unter Zustimmung von Behrends 22 Celsus eine Übernahme der skeptischen Sprachtheorie des Favorin attestiert,

12

Vgl. den Bericht von Schiemann , SZ 94 (1977) 547. Note minime su Celsus filius, Labeo 9 (1963) 33 lff. = Tecniche e ideologie dei giuristi romani (1971) 91ff. 14 D l . l . l p r . : ... nam, ut eleganter Celsus définit, ius est ars boni et aequi. 15 Labeo 9, 343ff. = Tecniche e ideologie lOlff. 16 Studi sulle logichi dei giuristi Romani (1957) 150ff. 17 Valori e storia nella cultura giuridica fra Nerva e Adriano (1979) 101 ff. (im folgenden als Valore e storia abgekürzt). Das 1989 erschienene Werk 'Empiria e dogmi - La scuola proculiana fra Nerva e Adriano' enthält lediglich eine Wiederholung der in der vorangegangenen Arbeit aufgestellten Thesen; vgl. Waldstein , Gnomon 64 (1992) 456, der eine Auseinandersetzung mit der von Horak> Labeo 29 (1983) 18lff., Krampe , SZ 102 (1985) 586ff. und Behrends , Gnomon 55 (1983) 119ff. geäußerten Kritik vermißt. 18 Valori e storia (1979) 127ff. w A.a.O. 193ff. 20 HoraK Labeo 29 (1983) 188; ferner Krampe , SZ 102 (1985) 597. 21 Giuristi Adreanei (1980) 123ff. 22 Gnomon 55 (1983) 231. 13

I. Aufgabenstellung 23

24

13

25

halten Stroux , Horak und Wieling die Argumentation des Celsus eindeutig für einen Ausdruck stoischer Lehre; nach Wieacker 26 richtet sich Celsus sogar gerade gegen die skeptische Auffassung eines älteren Juristen. Mit vergleichbaren Problemen wie die rechtsphilosophisch orientierte Arbeit Scarano Ussanis hat auch die bisher umfangreichste Untersuchung zur Methode des Celsus, Ceramis 'Concezione celsina del ius' 27, zu kämpfen. Zwar ist das von Cerami verarbeitete Quellenmaterial ungleich größer, doch wird die Aussagekraft der Texte meist überfordert 28, wenn der Autor durchgängig eine am Einzelfall orientierte pragmatisch-empirischen Methode nachweisen will, die sich im Gegensatz zu einer theoretischen Wissenschaft jedes rationalen Schlusses enthalte und einzig auf die Bewertung der sozioökonomischen Fallumstände konzentriere. Es findet keine Bestandsaufnahme der überlieferten Entscheidungen und ihrer Begründungen statt; vielmehr werden die Texte mit Hilfe einer ausschließlich anhand der Maxime vom bonum et aequum entwickelten Deutung interpretiert und einheitlich der Hauptthese unterworfen, Celsus habe Rechtsnormen als bloße Fallösungsmodelle begriffen, die stets zur Verwirklichung des gerechten Interessenausgleichs eingesetzt werden. Was trotz aller Bemühungen um die Methode des Celsus noch aussteht, ist eine Analyse des überlieferten Materials, wie Horak 29 sie beispielhaft für die älteren Juristen bis Labeo unternommen hat. Um bloße Spekulationen über Motive zu vermeiden, sollen dabei nach dem Vorbild Horaks 30 nur solche Texte der celsinischen digesta in Betracht gezogen werden, in denen der Jurist seine Entscheidung ausdrücklich begründet und damit selbst Rechenschaft über die von ihm verwendete Methode der Rechtsfindung ablegt 31 . Die derart ausgewählten Texte sollen wiederum entsprechend der von Horak 32 gewählten Methode ausnahmslos in die Untersuchung einbezogen werden, so daß neben der inhaltlichen Auswertung ein statistisches Ergebnis steht, das Auskunft über die Häufigkeit der Entscheidungsbegründungen insgesamt sowie der einzelnen Argumentationsfiguren gibt. - Ergänzend werden auch methodische Aussagen des Juristen berücksichtigt, die in ihrer überlieferten Form ohne konkreten Fallbezug sind.

23

Atti del congresso internazionale (Roma, 1933) I (1934) 120. Rationes decidendi I (1969) 229. 25 Testamentsauslegung im römischen Recht (1972) 42. 26 RR 1(1988) 654. 27 Presupposti culturali e implicazioni methodologiche I: L'interpretazione degli atti autoritativi, Ann. Pal. 38 (1985) 5ff.; vgl. auch den vorangehenden Aufsatz zu D 39.5.21.1 in SDHI44 (1978) 139ff. 28 Vgl. die Rezension von Hausmaninger , IURA 36 (1985)163ff. 29 Rationes decidendi I. Entscheidungsbegründungen bei den älteren römischen Juristen bis Labeo (1969). 3 0 A.a.O. 5f. 31 Diese Methode der Untersuchung findet Zustimmung bei Bund , IURA 21 (1970) 200, und Wieacker , FS Käser (1976) 5. 32 Vgl. Rationes decidendi I (1969) 71. 24

14

Einleitung

Die Untersuchung soll folgenden Gang nehmen: Nachdem zunächst in einem allgemeinen Teil Gesamtzahl und Verteilung der Entscheidungsbegründungen auf die unterschiedlichen Textarten sowie das Verhältnis von rationaler Begründung und Anführung einer Autorität behandelt werden, beginnt die Untersuchung der einzelnen Argumentationsfiguren mit der Fallanknüpfung, d.h. der Entscheidungsbegründung durch einen Vergleichsfall. Anschließend werden diejenigen Texte analysiert, in denen der Jurist seine Entscheidung ausdrücklich im Wege der Deduktion gewinnt, sei es, daß er unmittelbar unter eine Norm subsumiert, sei es, daß er die Auslegung der Norm als Zwischenschritt einschaltet. In dem nachfolgenden Kapitel 'Fortbildung der Dogmatik' sind diejenigen Begründungen zusammengefaßt, in denen der Jurist nicht aus einer vorgegebenen Norm deduziert, sondern vielmehr selbst den einschlägigen Rechtsgrundsatz erst entwickelt. Schließlich werden mit den offenen Wertungen und der Berufung auf übergeordnetes Naturrecht diejenigen Argumentationen erörtert, die über die positive Rechtsordnung hinausgreifen. Das Schlußkapitel endlich ist dem bonum et aequum in seiner Verwendung als Entscheidungsbegründung vorbehalten. Diese Gliederung folgt materialen Gesichtspunkten. Daher muß die - für Celsus auch bereits hinreichend untersuchte 33 - reductio ad absurdum als eigenständige Kategorie außer Betracht bleiben. Die reductio ist, soweit durch sie nicht die logische Unmöglichkeit, sondern bloß die Inopportunität der Gegenmeinung erwiesen wird, ein bloß formaler Begründungstypus 34. Sie bezeichnet lediglich, daß die Begründung der eigenen Meinung über eine Diskreditierung der Gegenmeinung erreicht werden soll. Ihr materieller Gehalt bestimmt sich danach, anhand welchen Kriteriums ad absurdum geführt wird: Führt der Jurist die wertungsmäßige Inkohärenz einer Entscheidung mit der Lösung eines Vergleichsfalles vor, so handelt es sich um eine Form der Fallanknüpfung; wird dagegen die Verletzung eines allgemeinen Rechtssatzes offengelegt, so liegt eine deduktive Argumentation vor. - Eine gesonderte Untersuchung der reductio ad absurdum kann nur Aufschluß über die rhetorische Bildung oder das Temperament des Argumentierenden geben, nicht aber über die sachlichen Schwerpunkte seiner Argumentation.

II. Das Recht als ars boni et aequi Ausgangspunkt methodologischer Arbeiten über Celsus ist nicht selten seine bekannte Definition des Rechts: 33 Ich verweise auf die eingehenden Darstellungen bei Wieacker , IURA 13 (1962) lff. und Hausmaninger , ANRW 11.15 (1976) 394ff.; ferner Bretone , Labeo 9 (1963) 337f. = Tecniche e ideologie (1971) 97 sowie Reggi, St. Grosso V I (1972) 147ff. 34 Horak , Rationes decidendi I (1969) 79, der aber "Wasser in den Wein der Systematik" gießt und die reductio ad absurdum als eigenständige Kategorie neben die materiellen Begründungstypen stellt; Wieacker , RR I (1988) 589 bezeichnet die unstrenge reductio als äußeren Argumentationsstil.

II. Das Recht als ars boni et aequi

15

D 1.1.1 pr. Ulp 1 inst (Pal. 278)35 ... nam, ut eleganter Celsus definit, ius est ars boni et aequi. Zwischen den Interpreten dieses Satzes besteht weitgehende Einigkeit nur insoweit, als es um die Deutung des Begriffspaares bonum et aequum geht. Dabei handele es sich um autochton römische Begriffe 3 6 , die nicht auf Vorbilder der hellenistischen Welt zurückgehen, sondern Ausdruck spezifisch römischer Wertvorstellungen seien 3 7 : bonum bezeichne nicht 'das Gute' i m allgemein ethischen Sinne, sondern das römische Ideal der Tugenden eines vir bonus38, dem Begriff aequum liege die besondere Vorstellung einer auf Ausgleich der Interessen beruhenden Gerechtigkeit zugrunde 3 9 . Umstritten ist dagegen die Interpretation des Wortes ars. Zwar liegt es nahe, diesen Begriff i m Sinne des von C i c e r o 4 0 gerade an die Jurisprudenz gerichteten Postulats einer systematischen, auf klaren Prinzipien und Distinktionen aufbauenden Wissenschaft zu verstehen 41 . Doch begegnet eine solche Deutung dem

3

5 Literatur: Pringsheim, SZ 52 (1932) 83f.; v. Beseler, Bull. 51/52 (1948) 295f.; v. Lübtow, SZ 66 (1948) 517ff. und St. Sanfilippo V I (1985) 515ff.; Riccobono, Ann. Pal. 20 (1949) 63ff.; Mayer-Maly, Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 9 (1958/59) 156ff.; Martini, Le definizioni dei giuristi romani (1966) 182ff.; Vonglis, La lettre et l'esprit de la loi (1968) 196ff.; Käser, RP 12 (1971) 194 und N.2; Hausmaninger, ANRW 11.15 (1976) 401 ff.; Scarano Ussani, Valore e storia (1979) lOlff.; Cerami, Ann. Pal. 38 (1985) 7ff.; Gallo, SDHI 53 (1987) 7ff. 36 Pringsheim a.a.O. 37 Mayer-Maly 158; Käser 194; v. Lübtow, St. Sanfilippo V I 517. - Strittig ist die Frage, ob die Ausrichtung des Rechtes auf das bonum et aequum Vorbilder in der Rhetorik hat: Pringsheim 82f. und v. Lübtow a.a.O. berufen sich auf den auctor ad Herennium 2.13.20, wonach ex bono et aequo constat ius. Dagegen verweist Mayer-Maly 159 auf die in derselben Schrift vorangehende Aufzählung: ex his partibus constat ius: natura, lege, consuetudine, iudicato, aequo et bono, pacto (2.13.19). Danach ist das bonum et aequum nur eine Rechtsquelle unter mehreren; es fehlt gerade die von Celsus vorgenommene Festlegung des gesamten Rechts auf das bonum et aequum als Endzweck. 38 v. Lübtow, SZ 66, 519, 523 und St. Sanfilippo V I 516; Mayer-Maly 158; Käser 194. Cerami 19, 229 denkt dagegen an das Wohl des einzelnen, gewinnt diesem aber zugleich ein öffentliches Interesse im Sinne des cuique suum tribuere ab. 39 v. Lübtow, SZ 66, 528ff. und St. Sanfilippo V I 518, Käser a.a.O., Cerami 19\ anders nur Mayer-Maly 159. 40 De oratore 1.42.188ff. und Brutus 41.152; dazu Schulz, Die Geschichte der römischen Rechtswissenschaft (1961) 83f. 41 So Beseler 295, Riccobono 66, Frezza, RIDA2 2 (1949), 306, Coing, St. ArangioRuiz II (1952), 388 A.107; aufgrund seiner eigenen Untersuchung der celsinischen Gesetzesauslegung kommt zu diesem Ergebnis auch Hausmaninger 403; zustimmend Wieacker, SZ 94 (1977) 345f. - v. Lübtow, SZ 66, 519 und St. Sanfilippo V I 516 übersetzt ars mit System (Inbegriff), weil er davon ausgeht, Celsus definiere als ius nur die positive Rechtsordnung, nicht die Rechtswissenschaft. Dagegen macht Cerami 9f. geltend, daß sich in einem Juristenrecht Rechtsordnung und Rechtswissenschaft schwerlich trennen lassen.

16

Einleitung

berechtigten Einwand, daß das celsinische Wissenschaftideal nicht unbedingt dem zweihundert Jahre älteren des Cicero entsprochen haben muß 42 . Auf nicht weniger Unwägbarkeiten stoßen aber auch die neueren Versuche, den Satz des Celsus aus bestimmten intellektuellen Strömungen seiner Zeit zu verstehen. Daß der Jurist Celsus den utilitaristischen ar$-Begriff des Rhetorikers Quintilian übernommen habe 43 , ist ebenso bloße Spekulation wie die Annahme, Celsus habe sich dem empiristischen Wissenschaftsideal des Skeptizismus angenähert 44. Was schließlich die Deutung der ars als einer 'freien schöpferischen Gestaltung' 45 anbelangt, so beruht diese Annahme auf der - zumindest für Celsus noch nicht erwiesenen - Behauptung, daß der römische Jurist seine Entscheidungen intuitiv traf und sich dabei im wesentlichen nur auf sein Sachgefühl verließ 46 . Der Satz des Celsus ist zu abstrakt, als daß seine isolierte Betrachtung zu einer befriedigenden Erklärung führen könnte. Erst die Untersuchung sämtlicher Entscheidungsbegründungen des Juristen kann allenfalls Aufschluß darüber geben, was Celsus unter einer ars boni et aequi verstand. Die Untersuchung kann daher nicht mit der vielberufenen Definition des Rechts beginnen; sie muß vielmehr mit dem Versuch einer Deutung dieses Satzes ihren Abschluß finden.

42

Mayer-Maly 157. So Scarano Ussani 104f. 44 So die Deutung von Cerami 13ff. 45 In diesem Sinn Vonglis 199 und Käser 194 u. N.2 im Anschluß an Mayer-Maly 157f., der sich auf den Begriff der ars in Ciceros De natura deorum 2.22 beruft. 46 Ausdrücklich Mayer-Maly a.a.O. 43

Erstes Kapitel

Allgemeiner Teil § 1 Gesamtzahl und Verteilung der Entscheidungsbegründungen I. 1. Als ratio decidendi soll jede Aussage des Juristen gelten, der auch in ihrer überlieferten Form noch der Charakter einer Entscheidungsbegründung zukommt. Jeder Satz, der durch nam, quippe , ideo etc. mit einer Entscheidung verknüpft ist, stellt eine ratio decidendi dar, sofern er nicht eine bloße Umformulierung der ergangenen Entscheidung enthält, sondern ausdrücklich einen bestimmten sachlichen Gesichtspunkt herausstellt. - Ausnahmsweise kann die ratio decidendi auch in die Schilderung des Sachverhaltes eingearbeitet sein, indem das tatsächliche Geschehen bereits in juristisch qualifizierter Form mitgeteilt w i r d 4 7 . Nur etwa die Hälfte der überlieferten Fragmente sind Originalauszüge der celsinischen digesta; bei den übrigen Texten handelt es sich u m Celsus-Zitate, vornehmlich solche des Spätklassikers Ulpian. Die in diesen Fragmenten enthaltenen Entscheidungsbegründungen können nur dann als celsinisch gelten, wenn sie ausdrücklich als ein Zitat des Celsus kenntlich gemacht sind. A u f diese Weise ist sichergestellt, daß nicht Begründungen verwertet werden, die von späteren Juristen stammen und bloß anläßlich einer celsinischen Fallentschei dung angefügt worden sind. Rechnet man ferner noch die interpolationsverdächtigen Begründungen ab, so ergibt sich eine Gesamtzahl von etwa 100 rationes decidendi . Beim Vergleich mit der Zahl der in Lenels Palingenesie aufgenommen Fragmente (279) entsteht annäherungsweise die gleiche Relation, die H o r a k 4 8 für sein Untersuchungsge biet errechnet hat: er zählt in fast 1000 Fragmenten der Lenelschen Palingenesie etwa dreihundert Begründungen, die mit Sicherheit auf die betreffenden Juristen zurückgehen, und kommt damit ebenfalls auf ein Verhältnis von ungefähr 1:3 4 9 .

47

Vgl. dazu unten § 8 II 3. Rationes decidendi I (1969) 289. 49 An diesem Befund ändert sich nichts, wenn man statt der Anzahl der Fragmente die Länge des überlieferten Textes als Bezugsgröße wählt. Den 279 Celsus-Fragmenten entsprechen 42 Spalten Text in Lenels Palingenesie; die von Horak untersuchten 1000 Fragmente nehmen - ganz im Verhältnis - 139 Spalten ein. 48

2 Harke

18

Erstes Kapitel: Allgemeiner Teil

Bereits ein derartiger Befund erschüttert das Vorurteil von der Begründungsarmut der römischen Juristen 50, zumal davon auszugehen ist, daß zahlreiche im Original vorhandene Begründungssätze später weggefallen sind. So ergibt eine isolierte Betrachtung der Originalauszüge aus den celsinischen digesta eine weitaus höhere Begründungsdichte, als sie im Gesamtmaterial einschließlich der bloßen Celsus-Zitate zu finden ist: auf die 135 unmittelbar aus den digesta stammenden Texte entfallen allein etwa 65 Entscheidungsbegründungen. In fast jedem zweiten Fragment hat der Jurist seine Entscheidungsgrundlagen bekannt gemacht. 2. Diese Offenheit des Juristen dokumentiert auch die überraschend hohe Anzahl an rationes dubitandi. Im beschränkten Rahmen des überlieferten Materials teilt Celsus immerhin 16mal mit, warum er oder ein anderer Jurist die getroffene Entscheidung für zweifelhaft hält. Indem er auch entgegenstehende Gesichtspunkte nicht verschweigt, gewährt Celsus dem Leser einen umfassenden Einblick in den Entscheidungsprozeß. Der jüngere Marcian kommentiert dies an einer Stelle ungeduldig mit den Worten: ... et cum diu multumque tractavit , ..., novissime ait , iniquum esse ...51. II. Angesichts der festgestellten Argumentationsdichte ist auffällig, daß eine Gruppe von Texten nahezu vollständig davon ausgespart bleibt: es sind diejenigen Fragmente, die die Entscheidung eines realen Falles enthalten, oder die erkennbar auf eine solche zurückgehen. 1. Von den beiden in Briefform überlieferten Fragmenten 52 enthält D 29.7.18 (Pal. 178) eine kommentarlose Antwort des Juristen; in D 28.1.27 (Pal. 113) bescheinigt der Jurist dem anfragenden Domitius Labeo lediglich, daß der von ihm geäußerte Zweifel an der Entscheidung der Rechtsfrage plus quam ridiculum sei. Auch die von Ulpian in D 17.2.58pr. (Pal.70) berichtete Antwort des Celsus auf einen Brief des Cornelius Felix ist nur von einem knappen Hinweis auf die Partei Vereinbarung begleitet 5 3 .

2. Ein entsprechendes Bild bieten auch die responsa , soweit sie einen realen Fall betreffen: Die Auslegung des Testaments der Ballista in D 36.1.33 (Pal. 180) bleibt unbegründet; mit dem Zusatz perinde quasi specialiter hoc testator expressisset wird lediglich das Ergebnis der Auslegung näher beschrieben. Eine Erklärung, wie diese Interpretation zustande gekommen ist, gibt der Jurist nicht. Ähnlich verhält es sich bei der Testamentsauslegung in D 31.30 (Pal. 252): Wenn es um die Wirksamkeit eines der res publica Graviscanorum ausgesetzten unbestimmten Legats geht, so teilt Celsus zwar die ratio dubitandi mit, für seine

50

Horak a.a.O. 290f. D 36.1.34 (Pal. 179). 52 D 28.1.27: Domitius Labeo Celso suo salutem Iuventius Celsus Labeoni suo salutem D 29.7.18: Plotiana Celso suo salutem Iuventius Celsus Plotianae salutem. ... 53 ... non enim habendae, sed vendendae coitam societatem. 51

§ 1 Gesamtzahl und Verteilung der Entscheidungsbegründungen

19

eigene Entscheidung begnügt er sich aber mit einem bloßen potest tarnen vider/54

Auch die bei Ulpian überlieferten responsa des Celsus enthalten keine ratio decidendi : Ein schlichtes commodius se existimare begleitet die dem Sextus ausweislich von D 42.4.7.17 (Pal. 201) erteilte Antwort. Ohne Begründung bleibt ferner die Entscheidung aus D 17.1.16 (Pal. 67), wo Celsus sich dem von Aurelius Quintus berichteten Fall eines Gastes widmet, der seinen Arzt in Ravenna mit dem Bau bestimmter Einrichtungen beauftragt hat. 3. Auf einen realen Fall gehen möglicherweise auch das in D 31.22 (Pal. 181) erhaltene responsum sowie die Entscheidung in D 28.5.60.1 (Pal. 127) zurück 55 : obwohl jeweils Blankettnamen verwendet werden, ist in dem einen Text von einer militia , in dem anderen von einem vectigal salinarum die Rede. Interessanterweise bleibt die Antwort des Juristen auch in diesen Fällen unbegründet: Kommentarlos erfolgt die Entscheidung von Pal. 181 56 ; in Pal. 127 wird sie von der rhetorischen Frage quid enim vetat ...? begleitet, mit deren Hilfe der Jurist lediglich die Unzweifelhaftigkeit seiner Entscheidung behauptet, ohne dabei einen bestimmten sachlichen Gesichtspunkt zu benennen. 4. Die einzige Ausnahme in dieser Reihe bildet das bei Ulpian D 4.4.3.1 (Pal. 13) überlieferte ausführliche Gutachten im Fall der Prozeßverschleppung zum Nachteil eines Minderjährigen. Anfragender ist hier aber nicht ein Laie, sondern der Prätor Flavius Respectus. Daher überrascht es nicht, wenn Celsus ihm oder

54 Das anschließende si modo non apparet aliam fuisse defuncti voluntatem ... ist wie das zuvor eingefügte und offenbar unsinnige Aureliae interpoliert, vgl. Lenel, Pal. I (1889) Sp. 165 N.7,8. Außer dem typisch kompilatorischen animus-Thtovem enthält der Abschnitt einen Hinweis auf das officium iudicis , durch den die vorangehende Entscheidung tanta summa legata, quanta ei rei sufficeret konterkariert wird. - Anderer Ansicht sind Scarano Ussani , Valore e storia (1979) 163f. und Hausmaninger , IURA 35 (1984) 32 N.41, die die pauschale Umschreibung des officium iudicis zu unrecht mit den konkreten Beispielsfällen zur Ausübung des richterlichen Ermessens in D 6.1.38 (Pal. 22) vergleichen. 55 Anders steht es dagegen mit den Texten D 8.6.6.1 (Pal. 32) und D 23.3.60 (Pal. 92). Zwar heißt es auch hier jeweils ausdrücklich respondit. In Pal. 32 trägt der Anfragende aber mehrere theoretische Fälle vor, die um das Problem der Mitinhaberschaft an einer Servitut bzw. an einem damit belasteten Grundstück kreisen. Auch in Pal. 92 ist die Frage des EGO, nach welchen Kriterien sich die Zustimmung des curator zum Versprechen einer dos richte, abstrakt und ohne konkreten Failbezug. 56 Der Text enthält die typisch kompilatorischen Formeln nisi legaiarius ostenderit testatorem ... voluisse und nisi heres ... decessisse testatorem ostenderit. Auf die Kompilatoren muß daher auch der vorn onus probandi handelnde Begründungssatz am Schluß der Stelle zurückgehen, vgl. LeneL Pal. I (1889) Sp.156 N . l , 2 und Voci , DER 112 (1963), 537. - An die Echtheit des Textes glauben dagegen Scarano Ussani , Valore e storia (1979), 164ff. und Hausmaninger , IURA 35 (1984), 32f., die sich auf die Fragmente IJ 2.20.12 (Pal. 162) und D 342.3 (Pal. 169) berufen. Darin geht es zwar ebenfalls um die Ablehnung einer starren Willenspräsumption, von der Beweislastverteilung ist dagegen nicht die Rede.

2*

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seinen Fachkollegen im consilium des Prätors Rechenschaft über die Gründe seiner Entscheidung ablegt. 5. Die Zusammenschau dieser Texte belegt, daß auch ein begründungsfreudiger Jurist wie Celsus die an ihn gerichteten praktischen Anfragen, soweit sie von einem Laien kamen, ohne Begründung und nur kraft seiner auctoritas beschied 57 . Ferner zeigt sich, daß Celsus diese Entscheidungen auch bei der literarischen Verarbeitung nicht nachträglich um eine Begründung erweitert hat, sondern daß er sie wie im Original stehen ließ und als Illustration in den prinzipiell theoretisch orientierten Text aufnahm.

§ 2 Ratio und auctoritas I . Ebenso wie der Jurist die an ihn gerichtete Anfrage allein aus seiner auctoritas heraus bescheiden kann, hat er auch die Möglichkeit, sich bei seiner Entscheidung auf das persönliche Ansehen eines Vorgängers oder Fachkollegen zu berufen. 1. Daß die auctoritas durchaus geeignet ist, Celsus in seinem Entscheidungsprozeß zu beeinflussen, zeigt seine vorsichtige Kritik an der Auffassung des Tubero in D 33.10.7.2 (Pal. 168), die er mit den Worten einleitet: ... sed etsi magnopere me Tuberonis et ratio et auctoritas movet,...

Angesichts dieses offenen Bekenntnisses fällt aber sogleich auf, daß die auctoritas des älteren Juristen nicht allein, sondern nur in Verbindung mit dessen ratio genannt wird 5 8 . Nicht nur das persönliche Ansehen ist es, was Celsus beeindruckt. An erster Stelle nennt er die Verständigkeit des Tubero, die dieses Ansehen rechtfertigt. 2. Daß Celsus die Auffassung anderer Juristen nicht ohne kritische Prüfung übernommen hat, spiegelt sich auch in seiner Zitierweise: Unter den 39 Stellen 59 , an denen Celsus namentlich auf einen oder mehrere andere Juristen Bezug nimmt, gibt es nur 19 kommentarlose Zitate. In drei Texten gibt Celsus die von dem anderen Juristen stammende sachliche Begründung wieder 60 ; er beruft sich also nicht bloß auf dessen Autorität. Allein elf Texte enthalten dagegen eine zum

57

Daß das responsum eines Juristen bis in die klassische Zeit begründungslos blieb und sich allein auf die persönliche auctoritas stützte, vermuten Wieacker, Vom römischen Recht2 (1961) 139f. und Schulz, Geschichte der römischen Rechtswissenschaft (1961) 147. 58 Darauf weist auch Horak, Rationes decidendi I (1976) 75 hin. 59 Außer Betracht bleiben hier diejenigen Texte, in denen Celsus zusammen mit einem älteren Juristen zitiert wird, ohne daß eindeutig erkennbar wäre, ob bereits Celsus auf diesen Juristen verwiesen hat. 60 D 8.1.9 (Pal. 31): argumentum rivi des Sabinus; D 50.16.158 (Pal. 215): Begründung des Cascellius; D 45.1.72pr. (Pal. 269): Begründung des Tubero.

§ 2 Ratio und auctoritas

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61

Teil harsche Kritik der zitierten Ansicht ; und unter den grundsätzlich positiven Zitaten finden sich ferner sechs Stellen, an denen Celsus die Auffassung des anderen Juristen präzisiert und damit richtigstellt 62 , eigens begründet 63 oder um einen einschränkenden Zusatz ergänzt 64. Daß auf diese Weise auch das affirmative Zitat der Diskreditierung der angeführten Persönlichkeiten dienen kann, zeigt die nachfolgende Bemerkung des Celsus zu einer Entscheidung der Juristen Quintus Mucius, Brutus, Labeo und Sabinus: D 18.2.13pr. Ulp 28 ad Sab (Pal. 76) Sabinus ait, si tribus vendentibus duo posteriori addixerint, unus non admiserit adiectionem, huius partem priori, duorum posteriori emptam ... Celsus quoque libro octavo digestorum refert Mucium Brutum Labeonem quod Sabinum existimare: ipse quoque Celsus idem probat et adicit mirari se a nemine animadversum, quod si prior emptor ita contraxit, ut nisi totum, fundum emptum nollet habere, non habere eum eam partem emptam, quam unus ex sociis posteriori emptori addicere noluit.

Wenn sich bei einem Grundstückskauf zwei der drei Miteigentümer ein besseres Gebot vorbehalten haben, so gilt nur der Anteil des Dritten als verkauft. Die Miteigentumsanteile der beiden anderen fallen an einen späteren Käufer, wenn dieser einen höheren Kaufpreis bietet. Celsus schließt sich dieser Rechtsauffassung an, gibt aber zu bedenken, daß der erste Käufer unter Umständen nur das gesamte Grundstück kaufen wollte. In diesem Fall werde durch das spätere Gebot das gesamte Geschäft hinfällig. Celsus wundert sich, daß keiner der angeführten Autoritäten diesen Fall in Rechnung gestellt hat. Es macht den Eindruck, als ob Celsus die Reihe der Juristen nur aufzählt, um zu zeigen, daß sie sich bei ihrer Entscheidung allesamt realitätsfern gezeigt haben. 3. Daß dem Klassiker die Anführung einer Autorität mehr gegolten habe als die sachliche Begründung 65, läßt sich demnach zumindest für Celsus nicht behaupten. Im Vordergrund seiner Argumentation steht das durch eine Vielzahl von Entscheidungsbegründungen belegte rationale Argument. Wenn Celsus sich 61

Kritik an Proculus: D 4.8.23.1 (Pal. 18), D 19.1.38.2 (Pal. 79), D 34.2.3 (Pal. 169), Coli. 12.7.10 = D 9.2.27.12 (Pal. 260); Kritik an Nerva in D 21.1.29pr. (Pal. 80); Kritik an Celsus pater in D12.4.3.7 (Pal. 44); Kritik an Sabinus in Vat. 75.5 (Pal. 149); jeweils zwei Fachkollegen nennt Celsus bei der Darstellung einer juristischen Diskussion, wobei er sich mit eigenen Argumenten für eine der Parteien entscheidet: gegen Proculus (zugunsten von Labeo) D 3.5.9.1 (Pal.10) und (zugunsten von Nerva) D 16.3.32 (Pal. 91); gegen Labeo (für Tubero) D 15.1.6 (Pal. 62) ; gegen Tubero (für Servius) D 33.10.7.2 (Pal.

168). 62

D 12.1.42 (Pal. 43): Zitat des Labeo. D 17.1.48pr. (Pal. 68): Zitat des Quintus Mucius; D 31.20 (Pal. 158): Zitat des Proculus und Celsus pater; D 8.6.12 (Pal.199): Zitat des Sabinus und Neraz. 64 D 33.10.7.1 (Pal. 168): Zitat des Tubero; D 18.2.13pr. (Pal. 76): Zitat von Quintus Mucius, Brutus, Labeo und Sabinus. 65 So Schulz, Prinzipien des römischen Rechts (1934) 125ff. und Käser , Zur Methode der römischen Rechtsfindung (Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen 1962) 55. 63

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dennoch auf andere Juristen beruft, so sucht er häufig die sachliche Auseinandersetzung. Die Autorität eines Fachkollegen dient ihm nicht notwendig als Gewähr für die Richtigkeit einer Entscheidung. II. Für die Art und Weise, in der Celsus das 'autoritative' Argument einsetzt, ist der folgende Text aufschlußreich: D 8.6.12 Cels 23 dig (Pal. 199) Qui fundum alienum bona fide emit, itinere quod ei fundo debetur usus est: retinetur id ius itineris: atque etiam si precario aut vi deiecto domino possidet: fundus enim qualiter se habens ita, cum in suo habitu possessus est, ius non deperit, neque refert, iuste nec ne possideat, qui talem eum possidet. quare fortius et si aqua per rivum sua sponte perfluxit, ius aquae ducendae retinetur, quod et Sabino recte placet, ut apud Neratium libro quarto membranarum scriptum est.

1. Ist ein Grundstück mit einer Feldservitut belastet, so kann die Freiheit von der Dienstbarkeit durch deren zweijährige Nichtausübung ersessen werden 66 . Die Frage, ob ein non usus vorliegt, ist problematisch, wenn die Dienstbarkeit nicht vom Eigentümer des herrschenden Grundstücks, sondern von einem Dritten in Anspruch genommen wird. Celsus entscheidet, daß ein zugunsten des herrschenden Grundstücks bestellter iter auch dann erhalten bleibt, wenn ein bonae fidei emptor davon Gebrauch macht. Das gleiche gelte, wenn der Weg von einem Prekaristen oder von demjenigen genutzt wird, der den Eigentümer mit Gewalt vertrieben hat 67 . Als Begründung führt er an, daß das herrschende Grundstück solange sein Recht nicht verliere, als es unverändert in seinem Zustand besessen werde. Allein entscheidend ist demnach die faktische Inanspruchnahme der Servitut durch den Besitzer des herrschenden Grundstücks, ohne daß es auf dessen Berechtigung ankäme68. An anderer Stelle formuliert Celsus diesen Grundsatz wie folgt: D 8.6.6.1 Cels 5 dig (Pal. 32) Nam satis est fundi nomine itum esse.69

Es reicht aus, wenn der Weg 'im Namen' des Grundstücks genutzt wird, er muß nicht im Namen des Eigentümers beansprucht werden 70 .

66

PS 1.17.1. Dazu steht nicht in Widerspruch, daß die die Ausübung der Servitut schützenden prohibitorischen Interdikte nur demjenigen zustehen, der die Dienstbarkeit fehlerfrei, d.h. nec vi nec precario nutzt, vgl. Käser, RP 12 (1971) 447. Diese Einschränkungen gelten nur im Verhältnis zum Eigentümer des dienenden Grundstücks. Dagegen kann derjenige, der gegenüber dem Eigentümer des herrschenden Grundstücks vi oder precario besitzt, die Servitut nach außen fehlerfrei nutzen. Wie fein zwischen den beiden Verhältnissen differenziert wurde, zeigen die komplizierten Ausführungen Iulians bei Ulpian D 43.19.1.11. 68 Entsprechend Scaevola D 8.6.24 für den malae fidei possessor. 69 Entsprechend dem vorangehenden Paulusfragment D 8.6.5 ist zu ergänzen: Servitus et per socium et fructuarium et bonaefidei possessorem nobis retinetur. 70 Nach Scaevola D 8.6.22 ist es hinreichend, wenn die Servitut quasi debita in Anspruch genommen wird. 67

§ 2 Ratio und auctoritas

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2.a) In Pal. 199 geht Celsus aber noch einen Schritt weiter. Er hält einen Erstrecht-Schluß auf den Fall für angebracht, daß das Wasser entsprechend einem bestellten ius aquae ducendae von selbst in einem Bach über das dienende Grundstück fließt. Wenn sogar der gegen den Willen des Eigentümers des herrschenden Grundstücks handelnde iniustus possessor die Servitut durch seine Benutzung vor ihrem Erlöschen bewahrt, so darf nichts anderes gelten, wenn die gleichfalls ohne Einflußnahme des Eigentümers waltende Natur für eine faktische Inanspruchnahme der Dienstbarkeit sorgt. b) Dieser Schluß bleibt freilich problematisch. Denn während im Fall des iniustus possessor die Dienstbarkeit immerhin von Menschenhand genutzt wird, fehlt es bei einem von selbst fließenden Bach an dem für die Ausübung der Servitut erforderlichen ducere 71. Deutlich sagt dies Ulpian, wenn er in einem vergleichbaren Fall die Anwendbarkeit des Interdiktes de aqua cottidiana behandelt: D 43.20.1.21 Ulp 70 ad ed Quaesitum est, si quis ante annum aquam duxit, deinde sequenti tempore, hoc est intra annum, aqua influxerit ipsa sibi me non ducente, an hoc interdicto locus sit. et refert Severus Valerius competere ei hoc interdictum, quasi duxisse videatur, licet penitus prospicientibus non videtur iste duxisse.

Ulpian berichtet von der durch einen Zeitgenossen72 des Celsus aufgestellten Fiktion, daß das seit einem Jahr von selbst fließende Wasser quasi duxisse videatur , gibt aber zu bedenken, daß genau besehen nicht davon gesprochen werden könne, daß das Wasser geleitet werde. Diese Unsicherheit muß auch Celsus bewogen haben, wenn er zur Bestätigung seiner Ansicht nicht nur Sabinus anführt, sondern zugleich mitteilt, daß dessen Auffassung sich auch bei seinem Zeitgenossen und Kollegen im Schulvorstand der prokulianischen Rechtsschule Neraz wiederfinde. Diese nachdrückliche Berufung auf andere Autoritäten soll die inhaltliche Schwäche der sachlichen Argumentation kompensieren. Die auctoritas der anderen Juristen kommt hilfsweise zum Einsatz, wenn die eigene rationale Begründung versagt.

71 Ähnlich wohl Capogrossi Colognesi , La struttura della proprietä e la formazione dei iura praediorum (1976) 406, der das Willenselement bei der Inanspruchnahme der Dienstbarkeit vermißt. Der von ihm behauptete Widerspruch zu Celsus D 43.19.7 (Pal. 209) besteht allerdings nicht. Wenn Celsus an dieser Stelle ein id suo iure facere bei der Ausübung der Servitut fordert, so betrifft dies nur die Frage, ob dem Benutzer ein Interdikt gegen den Eigentümer des dienenden Grundstücks zusteht, nicht aber ob die von ihm genutzte Servitut erhalten bleibt. 72 Vgl. zu Severus Valerius Kunkel , Herkunft und soziale Stellung der römischen Juristen (1967) 154.

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§ 3 Scheinbegründungen Das zuletzt besprochene Fragment leitet über zur Frage nach der Qualität der celsinischen Argumente. Betrachtet man nur solche Begründungssätze, die auch tatsächlich eine ratio decidendi enthalten, d.h. einen bestimmten sachlichen Gesichtspunkt herausstellen und nicht nur die Unzweifelhaftigkeit der Entscheidung behaupten, so ist die celsinische Argumentation, von selbstverständlichen Niveauschwankungen abgesehen, insgesamt sachbezogen und auf Überzeugung ausgerichtet. Dies gilt selbst für die auf eine Diskreditierung der Gegenmeinung angelegten reductiones ad absurdum 73. I. In bemerkenswerter Weise aus dem Rahmen fällt dagegen folgender Text: D 41.3.27pr. Ulp 31 ad Sab (Pal. 277) 7 4 Celsus libro trigensimo quarto errare eos ait, qui existimarent, cuius rei quisque bona fide adeptus sit possessionem, pro suo usucapere eum posse nihil referre, emerit nec ne, donatum sit nec ne, si modo emptum vel donatum sibi existimaverit, quia neque pro legato neque pro donato neque pro dote usucapio valeat, si nulla donatio, nulla dos, nullum legatum sit.

1. Nach dem Bericht Ulpians wirft Celsus denjenigen Juristen einen Irrtum vor, die die Ersitzung auch ohne wirksames Grundgeschäft zugelassen haben. Ein bloß vermeintlicher Kauf oder die bloß vermeintliche Schenkung einer Sache könne ebensowenig die Ersitzung begründen wie ein nur vorgestelltes Vindikationslegat oder eine nur vorgestellte dos-Bestellung, denn solange weder eine Schenkung noch eine ¿05-Bestellung noch ein Vermächtnis vorliege, sei eine Ersitzung aufgrund dieser Titel nicht möglich. 2. Das Verständnis dieses Textes wird durch zwei Umstände wesentlich erschwert: a) Zum einen wird die Ansicht der von Celsus bekämpften errantes dahingehend ausgeführt, daß im Fall eines Putativtitels die Ersitzung pro suo möglich gewesen sei. Zwar folgt aus dieser Erwähnung noch nicht, daß Celsus einen

73 Vgl. Hausmaninger, ANRW 11.15 (1976) 394 und Bretone, Labeo 9 (1963) 339ff. = Tecniche e ideologie (1971) 97ff. gegen die von Wieacker, IURA 13 (1962) 9ff. geäußerte Kritik. Der auch von Hausmaninger nicht verteidigte Text D 28.5.60.1 (Pal. 127) enthält mit der rhetorischen Frage quid enim vetat...? überhaupt keine Begründung, sondern lediglich die Versicherung der Unzweifelhaftigkeit der Entscheidung; vgl. oben § 1 113. 74 Literatur: Pernice, Labeo 11.12 (1895) 398; Albertario, SDHI 1 (1935) 293f.; Pflüger, Zur Lehre vom Erwerb des Eigentums (1937) 51 f.; Voci, Modi di acquisto della proprieta (1952) 205f.; v. Lübtow, FS zum 41. Deutschen Juristentag (1955) 157f.; Mayer-Maly, Das Putativtitelproblem bei der usucapio (1962) 31 ff.; Hausmaninger, Die bonafides des Ersitzungsbesitzers (1964) 49ff.; Jakobs, FS Flume I (1978) 74ff.; Cerami, Ann. Pal. 38 (1985) 98ff.; Kränzlein, FG Käser (1986) 129f.; K Bauer, Ersitzung und Bereicherung (1988) 61 ff. und 121 f.

§ 3 Scheinbegründungen

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Ersitzungstitel pro suo anerkannt hätte, denn er bekämpft j a gerade die Lehre der errantes 15. Gleichwohl wäre es verfehlt, wenn Celsus auf die Annahme eines Titels pro suo entgegnet hätte, daß es i m Fall einer bloß vermeintlichen iusta causa keine Ersitzung pro legato , pro donato , pro dote gegeben habe 7 6 . Dies würden auch seine Gegner nicht bestreiten, indem sie in derartigen Fällen eben auf den allgemeinen Ersitzungstitel pro suo auswichen. Es fragt sich indessen, ob dies überhaupt die Auffassung der von Celsus attakkierten Gegner gewesen ist. Der Begriff pro suo erscheint i m Rahmen der Putativtitelproblematik nur noch an drei weiteren Stellen, nämlich bei Proculus 7 7 und in zwei Texten des Pomponius 7 8 , von denen einer Celsus' Zeitgenossen Neraz zitiert. I n den beiden Pomponius-Fragmenten heißt es jedoch nicht pro suo usucapere , sondern pro suo possidere , und gemeint ist damit, daß der Besitzer glaubt, alle Ersitzungsvoraussetzungen seien erfüllt und er sei bonitarischer Eigentümer einer res mancipi geworden 7 9 . A u c h Proculus spricht nicht von pro suo usucapere , sondern von pro suo possidendo usucepit, er trennt damit pro suo possidere als Voraussetzung der Ersitzung von der usucapio selbst. Somit gibt es aber außer unserem Ulpian-Fragment D 41.3.27pr. keinen Beleg dafür, daß die Putativtitelersitzung von ihren Befürwortern als eine Ersitzung aufgrund des Titels pro suo begriffen worden wäre 8 0 . Zumindest von Afrikan wissen w i r denn auch, daß er i m Fall eines vermeintlich wirksamen Kaufs unmittelbar die Ersitzung pro emptore zugelassen h a t 8 1 . Ist es demnach unwahrscheinlich, daß die zeitgenössischen Gegner des Celsus die Putativtitelersitzung als usucapio pro suo angesehen haben, so wissen w i r zugleich aus D 41.10.lpr., daß Ulpian, der auch hier Celsus zitiert, pro suo als einen allgemein-subsidären Ersitzungstitel aufgefaßt hat 8 2 . Daher überrascht es nicht, wenn er die Ansicht der von Celsus kritisierten errantes m i t Hilfe seiner eigenen dogmatischen Vorstellungen erfaßt und deren Zulassung der Putativtitelersitzung als usucapio pro suo begreift. Der dadurch auftretende Widerspruch in der Gedankenführung ist demnach erst durch die Zitierweise Ulpians entstanden. b) Die andere Schwierigkeit, auf die das Textverständnis stößt, ist der Unterschied zwischen den in der Entscheidung und den in der Begründung genannten 75 Mayer-Maly 36 gegen ältere Interpolationsannahmen von Pernice , Albertario , Pflügerund v. Lübtow 158. 76 Hausmaninger 50, Jakobs 75. 77 D 23.3.67. 78 D 41.10.3 und 4.2. ™ Bauer 133ff. 80 Anders aufgrund der Gleichsetzung von pro suo possidere mit pro suo usucapere Mayer-Maly 136 und Hausmaninger 54ff. und 68. 81 D 41.4.11. Die von Bauer 72ff. geübte Textkritik läßt die Stelle insoweit unberührt. Hausmaninger 56 muß hier eine Klassikerkontroverse zwischen den Befürwortern der Putativtitelersitzung annehmen. 82 Anders z.B. Paulus D 41.2.3.21 und D 41.10.2, der pro suo als Spezialtitel für die Fälle des originären Erwerbs betrachtet; dazu Mayer-Maly 129ff.

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Fällen eines Putativtitels. Celsus lehnt die usucapio aufgrund vermeintlichen Kaufs oder vermeintlicher Schenkung ab, begründet dies aber damit, daß es im Fall einer bloß vermeintlichen iusta causa keine Ersitzung pro legato, pro donato oder pro dote gebe. Celsus greift also über die eingangs genannten Fälle hinaus. Aufgrund der Doppelstellung der Putativschenkung sowohl als Entscheidungs- wie auch als Begründungsfall kann es sich hier aber auch nicht um eine fallanknüpfende Argumentation handeln, die von dos und legatum zu Schenkung und Kauf fortschreitet 83. Ohne die Annahme einer Textveränderung 84 läßt sich der Begründungssatz nur als eine willkürliche Aufzählung deuten, mit der Celsus seine grundsätzliche Ablehnung der Putativtitelersitzung 85 zum Ausdruck bringt. Die dreifache Wiederholung von neque und nullum soll dabei ebenso wie die Aufeinanderfolge von nihil referre,... nec ne...nec ne im Eingangssatz den Eindruck einer Absurdität der Gegenmeinung verstärken. 3. Inhaltlich erreicht Celsus diesen Effekt über eine grobe Vereinfachung der bekämpften Auffassung. Es gibt keinen Beleg dafür, daß die usucapio unbedenklich aufgrund der bloßen Vorstellung des Besitzers von einem regulären Erwerb zugelassen worden sei. Eine Putativtitelersitzung kam auch für ihre Befürworter nur in Betracht, wenn ein Erwerbsgeschehen tatsächlich stattgefun83 Letzteres ergäbe auch nur dann Sinn, wenn die Putativtitelersitzung bei dos und Legat nach allgemeiner Meinung abgelehnt worden wäre. Während die usucapio einer vermeintlich vermachten Sache tatsächlich erst in spätklassischer Zeit Anerkennung fand (vgl. Bauer 92ff.), lag zur Putativtitelersitzung bei der dos bereits die positive Entscheidung des Proculus (D 23.3.67) vor, über die Celsus als dessen Nachfolger im Schulvorstand derselben Rechtsschule nicht ohne weiteres hätte hinweggehen können. - Die von Mayer-Maly 34f. geäußerte umgekehrte Auffassung, nach der Celsus von den weniger umstrittenen Fällen des Kaufs und der Schenkung ausgeht, um dann mit dos und legatum auf die eigentlichen Probleme zu stoßen, ist mit der logischen Struktur des Textes nicht vereinbar: die Fälle von dos und legatum werden gerade als Begründung für die Entscheidung bei Kauf und Schenkung angeführt. 84 v. Lübtow 158 und Jakobs 79 wollen die Erwähnung von dos und legatum streichen. 85 Nach Jakobs 77ff. (zustimmend Kränzlein 129f. und Flume, Rechtsakt und Rechtsverhältnis (1990) 62) hat es zwischen den Klassikern überhaupt keinen Streit über die Zulassung der Putativtitelersitzung gegeben; Celsus sei es nur um den (abwegigen) Fall gegangen, daß der Besitzer nicht mehr wisse, ob er eine Sache schenk- oder kaufweise erhalten habe. Wegen der Möglichkeit einer Umgehung des EhegattenschenkungsVerbotes habe Celsus die usucapio verwehrt. - Ein solcher Bezug auf das Problem der donatio inter virum et uxorem läßt sich aber weder dem Text selbst entnehmen noch aufgrund der Palingenesie herstellen. Selbst wenn man entgegen LeneU Pal. I (1889) Sp.169 N.2 den Text in das 34. Buch der celsinischen Digesten einordnen möchte, bleibt die Schwierigkeit, daß Celsus die Ehegattenschenkung im zehnten Buch behandelt, vgl. Lenel a.a.O. Sp.146 N.2. Daß er im Rahmen der augusteischen Ehegesetze nochmals ein derartiges Spezialproblem aus diesem Bereich erörtert hätte, ist unwahrscheinlich. - Daß es Celsus hier um eine Ablehnung der Putativtitelersitzung geht, glauben auch Mayer-Maly 43f., Käser, RP12 (1971) 421 und Behrends, SZ 95 (1978) 221 N.79.

§ 3 Scheinbegründungen

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den hatte, nämlich ein Kauf, eine Schenkung oder eine das-Bestellung zwar vorgenommen, aber unwirksam war 86 . Es ist daher sachlich unzutreffend, wenn Celsus behauptet, daß nach der Auffassung seiner Gegner nihil referre, emerit nec ne, donatum sit nec ne\ und auch die Begründung, es gebe in diesen Fällen nulla donatio , nulla dos, nullum legatum , stellt eine Verkürzung dar. 4. Celsus' Argumentation bleibt ohne großes sachliches Gewicht. Der Jurist beschränkt sich darauf, die Gegenmeinung ins Groteske zu überhöhen. Die bloße Behauptung, daß eine Ersitzung ohne wirksamen Titel einfach undenkbar sei, vermag letzten Endes aber nicht zu befriedigen 87. - Das Fragment Pal. 277 dokumentiert eindrucksvoll die von Wieacker 88 vermutete Verbindung von Drastik im Ausdruck und mangelnder sachlicher Reife der Argumentation 89 . II. Oberflächlich ist auch die Argumentation in D 22.3.12 Cels 17 dig (Pal. 135): Quingenta testamento tibi legata sunt: idem scriptum est in codicillis postea scriptis: refert, duplicare legatum voluerit an repetere et oblitus se in testamento legasse id fecerit: ab utro ergo probatio eius rei exigenda est? prima fronte aequius videtur, ut petitor probet quod intendit: sed nimirum probationes quaedam a reo exiguntur: nam si creditum petam, ille respondeat solutam esse pecuniam, ipse hoc probare cogendus est. et hic igitur cum petitor duas scripturas ostendit, heres posteriorem inanem esse, ipse heres id adprobare iudici debet.

1. Ein Erblasser hat dem Tu sowohl in seinem Testament als auch in einem späteren Kodizill ein Legat über die gleiche Summe ausgesetzt. Strittig ist, ob die zweite Verfügung als eine Verdopplung des Vermächtnisses wirksam ist, oder ob der Erblasser nur aus Versehen die bereits im Testament enthaltene Bestimmung wiederholt hat. Celsus erörtert, wer in diesem Punkt die Beweislast trägt. Grundsätzlich sei der Beweis vom Kläger zu erheben. Demnach müßte der Legatar darlegen, daß der Erblasser ihn in dem Kodizill erneut bedacht hat. Die Beweislast könne allerdings auch den Beklagten treffen. So müsse der auf Rückzahlung verklagte Darlehensnehmer beweisen, daß er bereits geleistet hat. Desgleichen habe der Erbe, wenn ihm Testament und Kodizill entgegengehalten werden, zu beweisen, daß die zweite Verfügung unwirksam ist.

86 Bauer 121f. Käser a.a.O. sieht im Anschluß an Mayer-Maly 140ff. ein kontroversenreiches Bild, geht aber auch davon aus, daß die Juristen immerhin eine unvollkommene iusta causa gefordert haben. 87 Warum Cerami , Ann. Pal. 38 (1985) 99 hier eine Entwicklung der Entscheidung aus bonum et aequum erkennt, bleibt mir verborgen. 88 IURA 13 (1962) 19ff. 89 Die von Wieacker angeführten Stellen verdienen dieses Urteil freilich nicht: D 28.5.60.1 (Pal. 127) enthält überhaupt keine Begründung (vgl. oben § 1 I I 3); der in D 47.2.68.2 (Pal. 106) gerügte emotionale Appell an das Strafbedürfnis ist eine zutreffende Wertung, die die Übertragung der Entscheidung aus einem Parallelfall rechtfertigt (vgl. unten § 5 II 3 und N. 19); zwischen den Entscheidungen in Vat. 75.5 (Pal. 149) und D 41.2.18.1 (Pal. 195; dazu unten § 13 III) sowie in D 24.1.3.12 (Pal. 120) besteht nur scheinbar ein konstruktiver Unterschied, vgl. § 13 III N. 309 und § 15 I I 2 N.341.

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Erstes Kapitel: Allgemeiner Teil

2. Während es aber in dem Darlehensfall um den Beweis einer Einwendung geht, nach der ein unbestrittener Anspruch wieder erloschen ist, geht es im Ausgangsfall darum, ob überhaupt ein Anspruch zustande gekommen ist, und ob den beiden Testamentsurkunden dafür eine ^nrna-Z^de-Beweiskraft 90 zukommt. Die Behauptung des beklagten Erben, das im Kodizill ausgesetzte Vermächtnis sei trotz der vorgelegten Dokumente unwirksam, ist strukturell nicht vergleichbar mit der Behauptung des Darlehensnehmers, er habe die gegen ihn entstandene Forderung durch solutio bereits getilgt 91 . Die rhetorisch geschickt vorgetragene Parallelisierung der Fälle ist sachlich unzulässig. Der Darlehensfall könnte allenfalls als Beleg für die These gelten, daß probationes quaedam a reo exiguntur. Diese vage Aussage ist aber keine hinreichende Entscheidungsgrundlage für den Ausgangsfall. 3. Bei diesen gravierenden Schwächen in der Argumentation stellt sich die Frage, ob der Text in seiner heutigen Form überhaupt von Celsus stammt. Doch fehlen zureichende Indizien, die eine Interpolationsvermutung stützen könnten: Der verdächtigte 92 Ausdruck prima fronte ist zwar einmalig in den justinianischen Digesten, dem Sprachgebrauch des zweiten Jahrhunderts aber durchaus geläufig 93 ; nimirum findet sich bei Celsus nicht nur hier, sondern gleichfalls in D 34.2.3 (Pal. 169) sowie in dem Celsus-Zitat bei Ulpian D 17.2.52.2 (Pal. 69) 94 . Das Verb ostendere erscheint bei Celsus zwar im Zusammenhang zweier kompilatorischer animus-Theoreme 95, doch die justinianischen Redaktoren bevorzugen ausweislich D 30.34.3 gerade die der celsinischen Entscheidung entgegengesetzte Lösung und bürden dem Legatar die Beweislast auf 96 . Außerdem ist die Gedankenführung des Textes, wenn sie auch nicht überzeugen kann, aus einem Guß. Demnach müssen wir davon ausgehen, daß diese unbefriedigende Argumentation von Celsus selbst stammt, dem also gelegentlich auch bloße Scheinbegründungen nicht zu billig waren. 90 So zutreffend Hausmaninger, IURA 35 (1984) 31 N.39, der aber ebenso wie Scarano Ussani, Valore e storia (1979) 110f. über die mangelnde Vergleichbarkeit der Fälle einfach hinweggeht. 91 Eine gewisse Ähnlichkeit bestünde allenfalls, wenn man mit Voci, DER 112 (1963) 871 annimmt, Celsus gewähre dem Erben gegen den Anspruch des Legatars nur »die exceptio doli. Dagegen spricht jedoch der Wortlaut des Fragments, wonach es darum geht, ob die zweite Verfügung inanis, d.h. zivilrechtlich ungültig ist. - Unerklärlich bliebe in dem von Voci vorgestellten Fall femer, warum Celsus als Vergleich zu einer exceptio doli gerade die zivilrechtlich wirkende solutio heranzieht. 92 Vgl. Ferring Teoria generale dei legati (1889) 317. 93 Pugliese, RIDA3 3 (1956) 360 und N.17. 94 Auf beide Stellen weist Pugliese a.a.O. 361 hin. 95 D 5.3.45 (Pal. 27): ... nisi si evidentissimis probationibus possit ostendere actorem ab initio litis scire eum non possidere...\ D 31.22 (Pal. 181): ... nisi legatarius ostenderit testatorem ... voluisse... nisi heres et ab hoc decessisse testatorem ostenderit. 96 Sed si non corpus sit legatum, sed quantitas eadem in eodem testamento saepius, divus Pius rescripsit, (tunc) saepius praestandam summam, [si evidentissimis probationibus ostendatur testatorem multiplicasse legatum voluisse]...; vgl. Pugliese a.a.O. 361.

Zweites Kapitel

Fallanknüpfung § 4 Fiktion Obwohl die Fiktion eine Methode der Fallanknüpfung ist, kann sie dennoch nicht zu den rationes decidendi gerechnet werden. Denn der Jurist, der seine Entscheidung im Wege der Fiktion gewinnt, beschränkt sich darauf, statt des zu entscheidenden Sachverhalts einen nicht gegebenen Tatbestand zu unterstellen, ohne dabei anzugeben, warum die Übertragung der Rechtsfolge auf den Ausgangsfall gerechtfertigt ist 97 . Die Fiktion erfüllt also lediglich die Aufgabe einer Verweisung 98 . In dieser Funktion stellt sie aber ein willkürlich einsetzbares Instrument dar. Die Beliebigkeit, mit der Celsus sich der Fiktion bedient, zeigen die beiden folgenden Texte, die zum Problemkreis der hereditas iacens gehören: I. D 50.17.193 Cels 38 dig (Pal. 270) Omnia fere iura heredum perinde habentur, ac si continuo sub tempus mortis heredes exstitissent.

Nach dem Antritt der Außenerben werden beinahe alle ihre Rechte so angesehen, als seien sie unmittelbar mit dem Tod des Erblassers Erbe geworden. Diese Aussage paßt zur Thematik des 38. Buchs der celsinischen Digesten, das von den Bürgschaftsgesetzen handelt, wenn man sie auf den Fall einer gesetzlich angeordneten Frist bezieht: 1. Bei den iura heredum könnte es sich um Forderungen aus dem Erblasser geleisteten sponsiones oderfideipromissiones gehandelt haben, für die eine lex Furia die Befreiung des Bürgen nach zwei Jahren vorsah 99. Beim Antritt des Außenerben könnte sich die Frage gestellt haben, ob auf diese Frist die Zwischenzeit der ruhenden Erbschaft angerechnet wird 1 0 0 , während der die Bürgschaftsforderung ohne Inhaber war. 97

Bund , Untersuchungen zur Methode Julians (1965) 124ff. Wieacker , TR 36 (1968) 142 hält die Fiktion immerhin für einen Negativabdruck der Wahrnehmung juristischer Ähnlichkeiten. Auch unter diesem Gesichtspunkt gehört die Fiktion aber nicht mehr zu den ausdrücklichen Entscheidungsbegründungen. 98 Larenz , Methodenlehre der Rechtswissenschaftö (1991) 262; Bund a.a.O. 123. 99 Gai. Inst. 3.121. 100 So Cenderelli , SDHI 30 (1964) 159f., 169 und Cerami , Ann. Pal. 38 (1985) 170.

Zweites Kapitel: Fallanknüpfung

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Wendet man den Satz des Celsus auf diesen Fall an, so ergäbe sich allerdings eine wenig interessengerechte Lösung: Der Bürge würde nach Ablauf von zwei Jahren automatisch befreit, obwohl die gegen ihn bestehende Forderung zeitweise gar nicht geltend gemacht werden konnte. 2. Denkbar wäre auch ein Bezug zur Sechsmonatsfrist der lex Publilia, nach deren Verstreichen der in Anspruch genommene sponsor zusätzlich zur actio mandati eine actio depensi gegen den Hauptschuldner erhält 101 . In diesem Fall ginge es darum, ob die Erben des leistenden Bürgen mit der actio depensi auch dann schon Regreß nehmen können, wenn die gesetzliche Frist von sechs Monaten nur unter Einbeziehung der Ruhezeit der Erbschaft erreicht wird. Auch hier führte die Anwendung der Fiktion nicht zu einem tragbaren Ergebnis: Der Hauptschuldner unterliegt einer verschärften Haftung, obwohl ihm keine vollen sechs Monate zur Verfügung standen, in denen er die gegen ihn bestehende Regreßforderung hätte tilgen können. Denn falls es keinen empfangszuständigen servus hereditarius gab, konnte er seine Leistung während der Ruhezeit der Erbschaft nicht erbringen. 3. Sinnvoll erscheint die Fiktion dagegen, wenn man den Text mit Lenel 1 0 2 auf die lex Cornelia bezieht. Diese verbot dem sponsor undfideipromissor ,sich für denselben Schuldner innerhalb eines Jahres bei demselben Gläubiger für mehr als 20.000 Sesterzen zu verbürgen 103 . Die Anwendung dieses Gesetzes bereitete Schwierigkeiten, wenn sich der Bürge gegenüber einem servus hereditarius verpflichtet hatte, bevor er sich innerhalb eines Jahres noch einmal den Außenerben verpflichtete, wobei der zulässige Höchstbetrag überschritten wurde 104 . Da die Bürgschaftsforderungen schließlich in der Hand der Außenerben vereinigt sind, muß die lex Cornelia auch in diesem Fall eingreifen. Wenn die zur Erbschaft gehörenden Rechte nach Celsus so angesehen werden, als seien die extranei unmittelbar mit dem Tod des Erblassers Erben geworden, so ergibt sich daraus nicht nur, daß die zweite Bürgschaft innerhalb des gesetzlichen Jahresfrist erfolgt, sondern es wird zugleich deutlich, daß die Verpflichtung apud eundem geschieht. II. Eine andere Art der Fiktion findet sich im unmittelbar vorangehenden Buch 37 der celsinischen digesta , in dem der Jurist die lex Aquilia behandelt. D 9.2.13.2 Ulp 18 ad ed (Pal. 255) Si servus hereditarius occidatur, quaeritur, quis Aquilia agat, cum dominus nullus sit huius servi. et ait Celsus legem domino damna salva esse voluisse: dominus ergo hereditas habebitur. quare adita hereditate heres poterit experiri.

101

Gai. Inst. 3.127. Pal. I (1889) Sp.168 N4.; ebenso v. Lübtow , St. Grosso I I (1968) 635. 103 Gai. Inst. 3.124. 104 Die gegen diesen Fall von Cenderelli a.a.O. 160 geäußerte Kritik, iura heredum könne nur ein Forderung, nicht eine Verpflichtung seitens der Erben bezeichnen, beruht auf einem Mißverständnis der Lenelschen Rekonstruktion. 102

§ 4 Fiktion

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1. Die lex A q u i l i a bestimmt in ihrem ersten Kapitel, daß der Eigentümer eines getöteten Sklaven einen Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger erhält. Wenn ein servus hereditarius getötet wurde, war zweifelhaft, ob das Klagerecht überhaupt zur Entstehung gelangt. Denn solange die Erbschaft 'ruhte', hatte der Sklave keinen Eigentümer. Ulpian beruft sich auf Celsus, macht als Zitat aber nur dessen Feststellung kenntlich, daß die lex A q u i l i a den Eigentümer schadlos halten wollte. Da nicht anzunehmen ist, daß Ulpian den älteren Juristen lediglich mit der Wiederholung der Gesetzesbestimmung anführt 1 0 5 , muß auch das folgende dominus ergo hereditas habebitur auf Celsus zurückgehen 1 0 6 . 2. Die darin enthaltene irreale Aussage ist keine Fiktion in dem Sinne, daß eine in Wahrheit nicht vorhandene Tatsache als gegeben unterstellt wird. Die Gleichsetzung des Ungleichen erfolgt vielmehr auf normativer Ebene: Der Jurist n i m m t an, der Sklave habe einen Eigentümer gehabt, obwohl er in W i r k l i c h k e i t herrenlos war. Nach römischem Recht konnte dominus nur eine natürliche Person sein. Wenn Celsus die Erbschaft als dominus ansieht, verleiht er ihr eine rechtliche Qualität, die ihr nach der - auch von Celsus nicht in Zweifel gezogenen - herkömmlichen Dogmatik nicht zukommt. Seine Aussage entspricht nicht der 'juristischen W i r k l i c h k e i t ' 1 0 7 und ist damit Fiktion i m Sinne einer Gleichsetzung ungleicher Rechtsbegriffe 1 0 8 .

105 Aufgrund der Formulierung legem ... voluisse vermuten Hausmaninger , St. Grosso V (1972) 264ff., und Cerami , Ann. Pal. 38 (1985) 167ff., Celsus argumentiere hier mit der Absicht des historischen Gesetzgebers. Für eine solche Annahme besteht jedoch zumindest nach der überlieferten Fassung des Textes kein Raum. Daß der Eigentümer eines getöteten Sklaven seinen Schaden ersetzt bekommen soll, ist kein jenseits des Gesetzeswortlauts liegender Zweck, sondern lediglich der objektive Inhalt der lex Aquilia. Der Ausdruck legem ... voluisse kann demnach nur die Bedeutung haben: "das Gesetz hat bestimmt"; vgl. Vonglis , La lettre et l'esprit de la loi (1968) 173. 106 Entsprechend auch Scholion 8 zu Bas. 60.3.13. 107 Daher besteht ein Unterschied zu den von Esser y Wert und Bedeutung der Rechtsfiktionen (1940) 98ff. sog. deflatorischen Fiktionen, die nur der Bestimmung eines vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichenden Rechtsbegriffs dienen. - Im deutschen bürgerlichen Recht ist § 857 BGB vergleichbar, der abweichend vom Besitzbegriff des § 854 einen Besitzübergang auf den Erben anordnet. Esser 113 sieht hier lediglich ein Nebeneinander von natürlichem und rechtlichem Besitzbegriff. Der von ihm als natürlich qualifizierte Besitzbegriff wird jedoch durch die Aufnahme in § 854 I BGB zum Rechtsbegriff. 108 Diese Fiktion erscheint auch bei Gaius D 28.5.31.1: ... creditum est hereditatem dominam esse... \ vgl. ferner Hermogenian D 41.1.61pr.: Hereditas in multis partibus pro domino habetur... . Pomponius D 11.1.15pr. und Ulpian D 43.24.13.5 sprechen davon, daß die Erbschaft domino loco stehe. In der Sache besteht kein Unterschied zu der häufig belegten Formulierung hereditas personae fungitur (Javolen D 41.3.22, Florentin D 30.116.3 und D 46.1.22, Paulus D 41.3.15) bzw. personam defuncti sustinet (Ulpian D 41.3.34); denn auch in diesem Fällen wird der Erbschaft die Stellung einer natürlichen Person zugesprochen. Der von RabeU Grundzüge des römischen Privatrechts (1915) 533 und v. Lübtow , St. Grosso I I (1968) 598 geäußerte Interpolationsverdacht hinsichtlich der Celsus-Stelle vermag daher nicht zu überzeugen.

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Zweites Kapitel: Fallanknüpfung

3. Die Fiktion erlaubt die unproblematische Anwendung der lex Aquilia mit der Folge, daß im Zeitpunkt der Tötung des Sklaven die Klage entsteht und vom Erben erhoben werden kann. Zum gleichen Ergebnis hätte aber auch die von Celsus in Pal. 270 verwendete Fiktion geführt: wenn die zur Erbschaft gehörenden Rechte so angesehen werden, als sei der extraneus sofort nach dem Tod des Erblassers Erbe geworden, so wäre er zum Zeitpunkt der Tötung des Sklaven bereits dessen Eigentümer gewesen und die actio legis Aquiliae unmittelbar in seiner Person entstanden. Daß Celsus stattdessen die Fiktion einer Rechtspersönlichkeit der Erbschaft wählt, zeigt, daß er im Bereich dieser Methode keine Stringenz walten läßt. Entscheidend ist bei einer Fiktion allein das durch sie erzielte Ergebnis 109 .

§ 5 Analogieschluß und argumentum a maiore ad minus Um einen Analogieschluß handelt es sich, wenn der Jurist die Rechtsfolge eines bereits entschiedenen Falles auf einen anderen überträgt, der infolge seiner Ähnlichkeit zum entschiedenen Fall gleich zu bewerten ist und daher die gleiche rechtliche Beurteilung verdient 110 . Das in der Fallvergleichung eingesetzte argumentum a maiore ad minus unterscheidet sich hiervon nur insoweit, als der Jurist darlegt, daß die dem Ausgangsfall zugrunde liegende Wertung in noch viel höherem Maße auf den zu entscheidenden Fall zutrifft 111 , eine Übertragung der Rechtsfolge also zwingend geboten erscheint.

109

Entsprechend verwenden auch Gaius und Florentin einmal diese, das andere Mal jene Fiktion; vgl. für Florentin einerseits D 29.2.54: ... heres quandoque adeundo here ditatem iam tunc a morte successisse defuncto intellegitur , andererseits D 30.116.3: ... hereditas personae defuncti ... vice fungitur. Gaius schließt sich in D 45.3.28.4 der Auffassung des Cassius an:... quipostea heres extiterit , videretur ex mortis tempore defuncto successisse ; in D 28.5.31.1 schreibt er dagegen: ... creditum est hereditatem dominam esse defuncti locum optinere. - Zum unterschiedlichen Alter der beiden Fiktionsarten Voci, DER 12 (1967) 516f., 571 f. Die Vermutung v. Lübtows a.a.O., daß die Fiktion des sofortigen Erbschaftsantritts auf bestimmte Stipulationsfälle beschränkt war, mag zutreffen, ändert aber nichts an dem Befund mangelnder Konsequenz, wenn es um den Einsatz der Fiktion zur Entscheidungsgewinnung geht. 110 Entgegen Steinwenter , St. Albertario II (1953) 106f. ist diese Schlußform nicht auf ein geschlossenes Rechtssystem genereller Normen beschränkt. Analogie bedeutet nicht notwendig Lückenergänzung; sie liegt bereits dann vor, wenn aus der Vergleichung zweier Tatbestände auf deren rechtliche Gleichbehandlung geschlossen wird, vgl. Esser , Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts2 (1964) 231 und Larenz , Methodenlehre der Rechtswissenschaft (1960) 289 N . l . Für das Ähnlichkeitsurteil bedarf es keines abgeschlossenen Systems, vielmehr genügen einzelne rechtliche Kategorien, die einen hinreichenden Oberbegriff abgeben, vgl. Bund , Untersuchungen zur Methode Julians (1965) 104. 111 Vgl. Larenz , Methodenlehre der Rechtswissenschaftö (1991) 389.

§ 5 Analogieschluß und argumentum a maiore ad minus

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Nach der Auffassung von Bund 1 1 2 kann die Argumentation eines römischen Juristen nur dann als Analogieschluß bezeichnet werden, wenn das gemeinsame Merkmal, das eine Gleichbehandlung der verglichenen Tatbestände rechtfertigt, als solches auch benannt ist. Demgegenüber glauben Wieacker 113 und Horak 1 1 4 , daß auch in den Fällen unkommentierter Fallvergleichung von einer - freilich verkürzten - Form der Analogie gesprochen werden dürfe. Damit ist für eine Untersuchung des Analogieschlusses allerdings nicht viel gewonnen. In der Mehrzahl dieser Fälle verbietet es sich nämlich, von einer ausdrücklichen Entscheidungsbegründung zu sprechen 115. Denn die bloße Anknüpfung durch quemadmodum, sicuit si, perinde ac si oder ähnliche Konjunktionen läßt offen, ob der Jurist wirklich von einer gleichen Bewertung der Fälle ausgeht, oder ob er lediglich im Wege der Fiktion das von ihm befürwortete Ergebnis auf den Ausgangsfall überträgt 116 . Im Rahmen unserer Untersuchung der expliziten rationes decidendi können daher nur solche Texte Berücksichtigung finden, in denen der Jurist selbst klar zum Ausdruck bringt, daß er von einer Gleichbewertung der Fälle ausgeht (wie in dem bereits 117 behandelten Fragment Pal. 199: quare fortius et si... ), oder in denen er das tertium comparationis, das die Gleichbehandlung der Fälle rechtfertigt, ausdrücklich benennt. Nach Bund 1 1 8 kommen allerdings eindeutige Texte dieser Art in der Überlieferung der Schriften der Hochklassiker Celsus, Julian und Afrikan nicht vor. Zwar überwiegt auch bei Celsus der einfache, unkommentierte Vergleich übereinstimmend zu beurteilender Tatbestände. In zumindest zwei Texten aber wird die Ähnlichkeitsbeziehung zwischen bereits entschiedenem und noch zu entscheidendem Fall ausdrücklich nachvollzogen. I. Coli 12.7.10 Ulp 18 ad ed (Pal.260) Celsus libro X X V I I digestorum scribit: si cum apes meae ad tuas advolassent, tu eas exusseris, quosdam negare, competere legis Aquiliae actionem, inter quos et Proculum, quasi apes dominii mei non fuerint. sed id falsum esse Celsus ait, cum apes revenire soleant et fructui mihi sint. sed Proculus eo movetur, quod nec mansuetae nec ita clausae fuerint. ipse autem Celsus ait, nihil inter has et columbas interesse, quae si manum refugiunt, domi tarnen fugiunt. 1 1 9

112

Untersuchungen zur Methode Julians (1965) 107ff. und St. Volterra I (1971) 575. TR 36 (1968) 140f. und FS Käser (1976) 21. 114 Rationes decidendi I (1969) 243f. 115 Auch Horak 6 betont, daß ein nur angedeuteter Sinnzusammenhang nicht als Begründung gelten soll. Seine Kritik (S.243f.) an Bund verliert damit ihr Gewicht. - Wieakker, SZ 88 (1971) 350 N.50 nennt die nicht näher erläuterte Fallvergleichung einen impliziten Analogieschluß. 116 Nicht zu teilen vermag ich die Auffassung von Giaro, SZ 105 (1988) 223f., der aus diesem Grund eine Unterscheidung von Fiktion und Analogie generell für untunlich hält. 117 Oben § 2 II. 118 St. Volterra I (1971) 584f. 119 Eine stark gekürzte Fassung des Textes enthält D 9.2.27.12. 113

3 Harke

Zweites Kapitel: Fallanknüpfung

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In seinem Kommentar zum dritten Kapitel der lex Aquilia schildert Ulpian eine Auseinandersetzung des Celsus mit Proculus. Dieser lehnte einen Schadensersatzanspruch ab, wenn jemand den Bienenschwarm eines anderen verbrannt hatte, weil an frei gehaltenen Bienen kein Eigentum bestehe120. Celsus hält diese Auffassung für falsch. Bienen hätten die Gewohnheit zurückzukehren und ihr Halter die Möglichkeit zur Fruchtziehung. Auf das Bedenken des Proculus, Bienen seien keine zahmen Tiere, an wilden Tieren könne aber nur Eigentum bestehen, wenn sie eingeschlossen seien 121 , antwortet Celsus mit einem Vergleich zu den Tauben, deren Eigentumsfähigkeit offenbar allgemein anerkannt war. Auch die Tauben, wilde Tiere wie Bienen 122 , entziehen sich dem Zugriff, kehren aber wieder zu ihrem Halter zurück. Mit der consuetudo revertendi bezeichnet Celsus das gemeinsame Merkmal, das die Gleichbehandlung beider Fälle rechtfertigt 123 . Er beschränkt sich aber nicht darauf, die faktische Ähnlichkeit der Fälle herauszustellen, wie dies für die republikanischen Juristen typisch ist 1 2 4 . Anders als seine Vorgänger benennt er auch den für die Rechtsähnlichkeit entscheidenden Aspekt der Wertungsgleichheit: Wenn Celsus schon im Zusammenhang mit der consuetudo revertendi der Bienen daraufhingewiesen hat, daß sie auch fructui mihi sint, so ist für ihn nicht der äußere Umstand entscheidend, daß Bienen und Tauben zu ihrem Halter zurückkehren 125 . Die Gleichbehandlung der Fälle ist vielmehr deshalb gerechtfertigt, weil die consuetudo revertendi dem Halter die Möglichkeit der Fruchtziehung eröffnet und ihm damit eine rechtlich schutzwürdige Position verschafft.

120

Daß Proculus nicht etwa an einen Eigentumsübergang durch Vermischung der Bienenstämme gedacht hat, ergibt klar seine grundsätzliche Erwägung: Proculus eo movetur, quod nec mansuetae nec ita clausae fuerint. 121 Daube, Mélanges Lévy-Bruhl (1959) 65. 122 Gaius D 41.1.5.5. Nach Daube a.a.O. 63ff. galten Tauben bis zur Entscheidung des Celsus als zahme Tiere; erst anschließend habe man Tauben wie Bienen als wilde Tiere angesehen. An einer derart ausgefeilten begrifflich-systematischen Erfassung zweifelt zurecht Flume, SZ 79 (1962) 1 lf. 123 Bei Gaius Inst. 2.68 und D 41.1.5.5 dient das von Celsus benutzte Merkmal bereits als abstraktes Kriterium, um das Eigentum an wilden Tieren zu bestimmen. Daher bezeichnet Nörr, SZ 89 (1972) 72 N.257 die Aussage des Celsus als ein sentenziöses dictum. Die Argumentation des Celsus stellt aber keine Subsumtion unter einen bereits feststehenden Obersatz dar. Das Kriterium der consuetudo revertendi wird vielmehr erst anhand des Vergleichsfalles als tauglich erwiesen. Wenn Carcaterra, SDHI 38 (1972) 311 die celsinische Argumentation als Syllogismus konstruiert, so deckt er damit lediglich die für den Analogieschluß notwendige Deduktion aus einem induktiv gewonnen Obersatz auf. 124 Vgl. Wieacker, SZ 88 (1971) 350, FS Käser (1976) 21f. und SZ 94 (1977) 21f., der in dem Mangel an Reflexion auf der Wertungsebene die eigentümliche Schwäche der von den republikanischen Juristen gezogenen Analogieschlüsse sieht. 125 Daß Celsus hier auf einen wirtschaftlichen und damit wertenden Gesichtspunkt abzielt, erkennen schon Frier, Classical Journal 78 (1983) 112 und Hausmaninger, FG v. Lübtow (1991) 57.

§ 5 Analogieschluß und argumentum a maiore ad minus

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II. Anstatt die Ähnlichkeit zweier Fälle aufzuzeigen, kann der Jurist seine Entscheidung auch damit begründen, daß die Unterschiede zwischen schon entschiedenem und noch zu entscheidendem Fall zu gering sind, als daß sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten: D 47.2.68.2 Cels 12 dig (Pal. 106) Infans apud furem adolevit: tarn adulescentis furtum fecit ille quam infantis, et unum tarnen furtum est: ideoque dupli tenetur, quanti umquam apud eum plurimi fuit. nam quod semel dumtaxat furti agi cum eo potest, quid refert propositae quaestioni? quippe, si subreptus furi foret ac rursus a füre altero eum recuperasset, etiam si duo furta fecisset, non amplius quam semel cum eo furti agi posset. nec dubitaverim, quin adulescentis potius quam infantis aestimationem fieri oporteret. et quid tarn ridiculum est quam meliorem furis condicionem esse propter continuationem furti existimare?

1. Ein infans ist gestohlen worden und bei seinem Dieb zum adulescens herangewachsen. Nach Celsus begeht der für Diebstahl sowohl an dem Kind wie auch an dem Jüngling. Gleichwohl liege nur ein (andauerndes) furtum vor. Daher haftet der Dieb dem Eigentümer aus der actio furti auf das Doppelte des Höchstwertes, den der Gestohlene während der Zeit beim Dieb jemals (umquam) hatte. Dies wird regelmäßig der Wert des adulescens sein, der nicht mehr aufgezogen werden muß und unmittelbar zur Arbeit eingesetzt werden kann. Um diesen Höchstwert der richterlichen Schätzung zugänglich zu machen, erstreckt Celsus das furtum auf den gesamten Zeitraum. Denn die Kondemnationsformel der actio furti lautet auf quanta ea res fuit cum furtum factum est 126. 2. Während für Ulpian D 47.2.50pr. problemlos, hält Celsus diese zeitliche Ausdehnung des furtum für begründungsbedürftig. Denn zur Erläuterung der gerade gegebenen Lösung stellt er die Frage, was anderes es im vorliegenden Fall bedeute, daß nur einmal mit der actio furti geklagt werden könne. Diese dogmatische Vorgabe wird nicht in Zweifel gezogen. Soll daraus aber etwa folgen, daß für die Buße nur veranschlagt werden darf, was der infans wert war, als er ergriffen wurde? Daß diese Folgerung falsch wäre, erläutert Celsus an einem Vergleichsfall 127 , dessen Entscheidung nicht zweifelhaft sein könne, für deren Richtigkeit er also Evidenz in Anspruch nimmt: Wäre der infans dem Dieb von einem Dritten entwendet worden und hätte der Dieb sich ihn als adulescens von dem Dritten wie126

LeneU EP3 (1927) 328. Ähnlich ist daher die Argumentation Ulpians in D 47.2.50pr.: ... quod si pretiosor facta sit, eius duplum, quanti tunc, cum pretiosor facta est, fuerit, aestimabitur, quia et tunc furtum eius factum esse verius est. 127 Wieacker hat seine Zweifel an der Echtheit des Vergleichsfalles (IURA 13 (1962) 10ff.) nach der Verteidigung des Textes durch Hausmaninger, ANRW 11.15 (1976) 397f. wieder zurückgezogen, vgl. SZ 94 (1977) 345. Gegen die ältere Textkritik von Beseler, Beiträge zur Kritik der römischen Rechtsquellen IV (1920) 230 bereits Kaiinka, SZ 47 (1927) 333f. Der den Vergleichsfall betreffende Passus enthält die typisch celsinischen Vokabeln quippe und quid refert, vgl. Kalb, Roms Juristen (1890) 47f. Der Einwand, daß ein gesundes Kind mehr wert sein könne als ein kranker Jüngling, greift deshalb nicht, weil Celsus ersichtlich vom Regelfall ausgeht: nec dubitaverim, quin adulescentis potius quam infantis aestimationem fieri oporteret.

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Zweites Kapitel: Fallanknüpfung

derbeschafft, hätte er ersichtlich zwei Diebstähle begangen128. Gleichwohl könnte er nur einmal mit der actio furti in Anspruch genommen werden. Dann aber sei gewiß nicht der Wert des infans , sondern der des adulescens in Anschlag zu bringen. Celsus zeigt an dem Vergleichsfall, daß eine actio furti auch auf mehrere Diebstähle gestützt werden kann mit der Folge, daß nicht notwendig der Wert zu veranschlagen ist, den die Sache beim ersten Diebstahl hatte. Desgleichen hindert bei einem andauernden furtum die nur einmalige Gewährung der actio furti nicht, daß als Bußsumme ein Wert veranschlagt wird, den die Sache erst nach ihrer Ergreifung durch den Dieb gewonnen hat. 3. Die Beweiskraft des Vergleichsfalles reicht aber noch weiter. Celsus fragt: was könne so lächerlich sein wie eine Entscheidung, nach der ein für durch die Fortsetzung seines Diebstahls in eine bessere Lage versetzt werde? Die continuatio furti ist derjenige Umstand, in dem sich Ausgangs- und Vergleichsfall unterscheiden. Nicht nur, daß dieser nicht ausreicht, um eine Ungleichbehandlung der Fälle zu rechtfertigen. Es ist darüber hinaus ein Schluß a maiore ad minus angebracht: Wenn schon derjenige Dieb, dem der infans vorübergehend abhanden gekommen ist, auf den Wert eines adulescens haftet, so muß dies erst recht für den Dieb gelten, der den Jungen ununterbrochen besitzt. Denn er hat den gestohlenen Sklaven dauerhaft zu seiner Verfügung und kann ihn die ganze Zeit über nutzen. Daher ist er noch strafwürdiger. Das über die Gleichbehandlung der Fälle entscheidende Kriterium ist abermals nicht ontologischer Natur. Vielmehr geht es um die Bewertung der Fälle unter dem Gesichtspunkt des mit der actio furti abzugeltenden Strafbedürfnisses 129. 4. Äußerlich gibt Celsus seiner Argumentation die Form einer reductio ad absurdum : er stellt die Inopportunität einer möglichen Gegenmeinung heraus, die auf das schwerere Delikt mit einer geringeren Strafe reagieren würde.

§ 6 Anhang: Darstellung und Fallanknüpfung Obwohl sie außerhalb des Untersuchungsgegenstandes liegt, soll im folgenden auf eine für Celsus typische Form der einfachen, unkommentierten Fallanknüpfung eingegangen werden. I. Eine sprachliche Eigentümlichkeit des Celsus ist die besonders häufige Verwendung von nec refert m. Dieser Ausdruck dient meistens der Fallanknüp128 Daß auch die Wegnahme vom Dieb ein furtum zulasten des Eigentümers darstellt, ist bereits von Quintus Mucius entschieden worden, vgl. Pomponius D 47.2.77.1. 129 Dieser von Wieacker , IURA 13 (1962) 12 sogenannte emotionale Appell an das Strafbedürfnis ist genau die Wertung, die er bei den Fallvergleichungen der republikanischen Juristen vermißt (oben N.14). Im Rahmen einer Strafklage geht es eben um das Strafbedürfnis, vgl. Hausmaninger a.a.O. 397 N.88; dazu Wieacker , SZ 94 (1977) 345. 130 Kalb , Roms Juristen nach ihrer Sprache dargestellt (1890) 50.

§ 6 Anhang: Darstellung und Fallanknüpfung

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fung, indem der Jurist im Anschluß an die Entscheidung eines einfachen Grundfalles darlegt, daß ein weiteres oder mehrere zusätzliche Sachverhaltselemente ohne Einfluß auf die rechtliche Beurteilung bleiben 131 . Auf diese Weise trennt Celsus die für die Fallösung wesentlichen Elemente von denjenigen Merkmalen, die für die Bewertung des Falles unbeachtlich sind. Mit dieser Darstellungstechnik schält er den verbindenden Kern verschiedener Fallgestaltungen heraus und deutet damit den Grund ihrer Gleichbehandlung an. II. Besonders deutlich kommt diese Methode zum Ausdruck in D 31.27 Cels 33 dig (Pal. 248): Si illud aut illud legatum sit, unum legatum est. si sub contrariis condicionibus aliud atque aliud legatum est, unum legatum esse arbitramur. neque refert et heredum et eorum quibus legatum est diversas personas esse, veluti si ita legatum est: 'si Nerva consul factus erit, Titius heres Attio fundum, si non erit Nerva consul factus, Seius heres Maevio centum dato'.

1. Der ursprüngliche Kontext des Fragments ist nicht erhalten. Lenel 1 3 2 ordnet es den Kaduzitätsvorschriften der lex Iulia et Papia zu. 2. Eine mehrere Gegenstände umfassende Vermächtnisanordnung behandeln die Juristen prinzipiell wie mehrere Vermächtnisse 133. Celsus untersucht, unter welchen Umständen ein Legat, das sich auf mehrere Gegenstände bezieht, doch nur als ein Legat aufzufassen ist. Unproblematisch ist das wahlweise Vermächtnis zweier Gegenstände (illud aut illud). Die vermachten Gegenstände stehen im Verhältnis der Ausschließlichkeit zueinander: Mit der Wahl des einen entfällt das andere. Darum liegt nur ein Legat vor. 3. Dies gilt aber auch, wenn zwei Gegenstände unter entgegengesetzten Bedingungen vermacht sind. Da mit Eintritt der einen Bedingung die andere entfällt, liegt auch in diesem Fall nur ein Vermächtnis vor. Celsus fügt hinzu, daß es ohne Bedeutung sei, ob es sich bei Vermächtnisnehmer und beschwertem Erben jeweils um dieselben oder verschiedene Personen handelt. In seinem Beispiel sind die entgegengesetzt bedingten Legate nicht nur zugunsten verschiedener Vermächtnisnehmer ausgesetzt, sondern jeweils auch zulasten eines anderen Erben.

131 So in D 24.1.48 (Pal. 85), D 47.2.68pr. (Pal. 106), D 28.5.60.3 (Pal. 127), D 8.6.12 (Pal. 199), D 17.1.50 (Pal. 266); parvique referre in D 47.2.7.3 (Pal. 100) und D 38.1.7.1 (Pal. 107). In den Zitaten bei Ulpian D 41.2.34.2 (Pal. 196), D 9.2.7.7 (Pal. 253) und D 9.2.49.1 (Pal. 262) heißt es in der gleichen Bedeutung sive ... sive\ wie die zu D 50.16.98 (Pal. 274) existierende Parallelüberlieferung als Zitat bei Ulpian D 4.4.3.3 zeigt, könnte es sich dabei um eine sprachliche Variation des celsinischen nec refert durch den späteren Juristen handeln. 132 Pal. I (1889) Sp.164 N.9 und Sp.165 N . l ; ebenso Astolfi, Lex Iulia et Papia2 (1986)

220.

133 Vgl. Paulus D 31.2: Quotiens nominatim plures res in legato exprimuntur, legata sunt. ...

plura

38

Zweites Kapitel: Fallanknüpfung

Die Lösung dieser komplexen Fallgestaltung leuchtet nur deshalb unmittelbar ein, weil Celsus sie vorher auf den abstrakten Grundsachverhalt der Form sub contrariis condicionibus aliud atque aliud legatum reduziert hat. Dieses Fallgerüst enthält alle für die rechtliche Beurteilung wesentlichen Elemente. Sein leicht einzusehendes Ergebnis ist ohne weiteres übertragbar, solange sich keine Abweichung in diesen grundsätzlichen Merkmalen zeigt. 4. Anders als eine Fallanknüpfung, die detaillierte Einzelfälle nebeneinanderstellt, bringt diese auf Sachverhaltsebene durchgeführte Systematisierung den zugrunde liegenden Ableitungszusammenhang deutlicher zum Ausdruck.

Drittes Kapitel

Deduktion § 7 Begriff und Anzahl der deduktiven Entscheidungsbegründungen I. 1. Nach modernem Verständnis ist deduktive Argumentation vor allem die Subsumtion eines Sachverhaltes unter eine Gesetzesnorm oder die Ablehnung einer solchen Subsumtion. Obwohl dieses Verfahren aufgrund der geringen Kodifikationsdichte des römischen Rechts naturgemäß keinen Schwerpunkt in der Argumentation eines Klassikers darstellen kann, finden sich bei Celsus immerhin zehn Subsumtionsschlüsse, die von der Vorschrift eines Volksgesetzes oder des prätorischen Ediktes ausgehen134. Damit besteht fast ein Zehntel der überlieferten Entscheidungsbegründungen aus der Subsumtion unter eine gesetzliche Norm. Hinzu kommt noch ein Fall der Subsumtion unter das aus den mores stammende, aber weithin gesetzesgleiche Ehegattenschenkungsverbot 135. Unberücksichtigt bleiben diejenigen Fallösungen, die sich aus der bona fides oder einer anderen Klausel ergeben, die dem praetor oder iudex ein Ermessen

134

D 28.5.61 (Pal.240): ... nam lege Aeilia Sentia ita cavetur, ut, si duo pluresve ex eadem causa heredes scripti sunt, uti quisque primus scriptus sit, heres sit; D 9.2.11.3 (Pal. 254): ... quia ex alio vulnere periit... (Subsumtion unter occidere der lex Aquilia); D 9.4.2.1. (Pal. 258): ... nam servum nihil deliquisse, qui domino iubenti obtemperavit... (auf die Zwölf Tafeln zurückgehende actio noxalis zur lex Aquilia); D 9.2.27.15 (Pal. 261): ... quia etiam effusum et acetum factum corrupti appellatione continentur ... (rumpere der lex Aquilia); D 3.2.4.1 (Pal. 6): ... quia ministerium, non artem ludicram exerceant. (Postulationsfähigkeit nach dem Edikt); D 10.4.5pr. (Pal. 37): ... nam.... verum est aut horrearium possidere aut certe ille est, qui possit exhibere .... (actio ad exhibendum); D 15.1.6 (Pal. 62): ... nam eo ipso, quod dominus servo peculium constituit, etiam vicario constituisse existimandus est. {actio de peculio); D 29.4.25 (Pal. 133): ... et qua heres est et qua omissa causa testamenti possidet ex substitutione hereditatem... (Subsumtion unter Edikt si quis omissa causa); D 43.19.7 (Pal. 209): ... nam, ut hoc interdictum competat, ius fundi possedisse oportet (Interdikt de itinere actuque privato); D 43.24.18 (Pal. 211): ...clam videris opus fecisse... (Interdikt quod vi aut clam); nur angedeutet ist die Subsumtion unter den Zwölf-Tafel-Satz nomina ipso iure divisa in D 5.1.31 (Pal. 228). 135 D 24.3.21 (Pal. 88): .... magis pleniore officio fidei praestandae functum maritum quam donasse videri... .

Drittes Kapitel: Deduktion

40

bei der Beurteilung des Einzelfalles e i n r ä u m t 1 3 6 . Zwar werden auch diese Entscheidungen letzten Endes unter Berufung auf die i m Edikt proponierten Klagformeln getroffen. Zur Ausfüllung der Klauseln bedarf es jedoch einer Wertung. 2. Der Anwendungsbereich der Subsumtion ist aber nicht auf die unmittelbare Ableitung der Entscheidung aus gesetzlichen Normen beschränkt. A u c h wenn ein Fall unter Berufung auf eine Rechtsregel oder einen anderen von der Juristenlehre anerkannten Grundsatz gelöst wird, muß der Jurist den Sachverhalt unter den Tatbestand einer N o r m subsumieren. Denn i m Rahmen eines Juristenrechts k o m m t den von der Lehre entwickelten Grundsätzen ebenfalls der Charakter positiver Rechtssätze z u 1 3 7 . In dem von Horak untersuchten Material der älteren Juristen spielt die Subsumtion unter einen von der Juristenlehre entwickelten Rechtssatz die dominierende R o l l e 1 3 8 . Bei Celsus finden sich immerhin 14 Entscheidungen, die auf diese Weise begründet w e r d e n 1 3 9 .

136

Herleitung der Entscheidung aus der bona fides in D 17.1.48pr. (Pal. 68), D 21.2.29pr. (Pal. 80), D 24.3.21 (Pal. 89), D 16.3.32 (Pal. 91) und D 50.17.23 (Pal. 279); Ausfüllung der quod interest- Klausel in D 45.1.97 (Pal. 222); Verneinung der culpa / iniuria bei Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes in D 9.2.49.1 = D 47.9.3.7 (Pal. 262); Entscheidung nach dem Edikt de minoribus viginti quinque annis in D 4.4.3.1 (Pal. 13). Weitere Fälle dieser Art wird die Untersuchung vermeintlich offener Wertungen ergeben; vgl. unten §§ 19, 23 I, 24 II. 137 Horak, Rationes decidendi I (1969) 293, Wieacker, FS Käser (1976) 14f. 138 Horak a.a.O. 139 D 3.5.9.1 (Pal. 10): ... is enim negotiorum gestorum, inquit, actionem habet, qui utiliter negotia gessit: non autem utiliter negotia gerit, qui rem non necessariam vel quae oneratura est patrem familias adgreditur und D 17.1.50 (Pal. 266): ... qui negotia fideiussoris gerebat... idque utiliter fecit ... (negotia utiliter gerere als Voraussetzung der negotiorum gestio)', D 8.6.6 (Pal. 32): nam satis est fundi nomine itum esse und D 8.6.12 (Pal. 199): ... fundus enim qualiter se habens ita, cum in suo habitu possessus est, ius non deperit... (Voraussetzung des usus einer Dienstbarkeit zur Verhinderung ihrer Ersitzung); D 12.6.19.4 (Pal. 49): ... quia, cum decern deberunt, viginti solvissent... (indebitum als Voraussetzung der condictio)', D 17.1.48.1 und § 2 (Pal. 68): ... negotium mihi geras... ceterum ut tibi negotium geras... (Fremdgeschäftsführung als Voraussetzung eines wirksamen Auftrags im Gegensatz zum mandatum tua gratia)', D 12.4.16 (Pal. 73):... an nulla hie alia obligatio est quam ob rem dati re non secuta? in quod proclivior sum: et ideo .... (datio ob rem als Voraussetzung der condictio); D 47.2.43.10 (Pal. 104): ... quia, inquit, res non intervertitur ei, qui earn sponte reiecit ... (Voraussetzung des furtum); Vat. 77 (Pal. 150): ... nam ut Celsus... et Iulianus scribunt, concursu partes habemus ... und D 31.20 (Pal. 158): ... non enim coniunctim, sed partes legatas... (Voraussetzungen des ius adcrescendi)', D 27.5.2 (Pal. 227): ... non enim eadem huius quae tutoris est rerum pupilli administratio... (Rechtsstellung eines protutor)', D 39.5.21 pr. (Pal. 237):... ille enim suum recepit (Regel für den Bereicherungsausgleich im Dreiecksverhältnis); D 34.7.1.1 (Pal. 250): ... nam hoc modo statim mortuus fuerit, non esse datum verius est quam inutiliter datum (Ablehnung einer Subsumtion unter die regula Catoniana). - In D 9.2.7.6 (Pal. 253) schafft Celsus mit mortis causam praestare eine neue begriffliche Kategorie, greift dabei aber auf eine bestehende Entscheidungstradition zurück; vgl. unten § 9 III.

§ 7 Begriff und Anzahl der deduktiven Entscheidungsbegründungen

41

Nicht mitgerechnet sind dabei zahlreiche Definitionen 140 und Rechtssätze mit Regelcharakter 141, sofern sie in ihrer überlieferten Form allein stehen und nicht in eine Schlußkette eingebunden sind. 3. Damit ist der Anwendungsbereich des Subsumtionsschlusses jedoch immer noch nicht erschöpft. Um eine Subsumtion handelt es sich auch, wenn die Fallösung aus Parteivereinbarung oder einem einseitigen Rechtsgeschäft abgeleitet wird. Hier subsumiert der Jurist unter eine von den Parteien oder durch einseitiges Rechtsgeschäft aufgestellte Norm 1 4 2 . Daran ändert sich grundsätzlich nichts, wenn der Jurist einen Zwischenschritt einschaltet und das Rechtsgeschäft auslegt. Denn mit Ausnahme des Testamentsrechts, wo sich die Rechtsgeschäftsinterpretation weitgehend verselbständigt hat, dient die Auslegung eines Rechtsgeschäftes ebenso wie die eines Gesetzes nur der Subsumtion des jeweils zu beurteilenden Sachverhaltes. Die von Horak 1 4 3 vorgenommene Differenzierung, ob unmittelbar unter eine Norm subsumiert werden kann, oder ob die Subsumtion selbst begründungsbedürftig ist, erscheint deshalb inkonsequent, weil er selbst mehrfach betont, daß eine reine Subsumtion nur im Rahmen eines formalisierten Kalküls und einer formalisierten Sprache möglich ist. Daher können 'Begründungen aus dem Willen' und solche 'aus dem Sprachgebrauch' nicht als eigene Kategorien neben die Deduktion gestellt werden 144 . Vielmehr gehören auch Auslegungsentscheidungen zu den Subsumtionsschlüssen. Ob sie aufgrund der Unsicherheit ihrer Prämissen die gleiche inhaltliche Überzeugungskraft besitzen wie ein unproblematischer Subsumtionsschluß, berührt den deduktiven Charakter der Auslegungsentscheidungen nicht. Danach zählen zu den Subsumtionsschlüssen des Celsus weitere 19 Fallösungen, die der Jurist unter Bezugnahme auf das einschlägige Rechtsgeschäft trifft 1 4 5 . - Unberücksichtigt bleiben dabei weitere Auslegungsentscheidungen aus 140 Vgl. D 44.7.51 (Pal. 24: Definition der actio); D 50.16.86 (Pal. 30: iura praediorum); D 15.1.5.4 (Pal. 62: peculium); D 50.16.96pr. (Pal. 208: litus); D 50.16.96.1 (Pal. 214: praedia aliquorum); D 32.80 (Pal. 249: coniunctim heredes institui und coniunctim legari). 141 Vgl. z. B. D 12.5.4.2 (Pal. 45): Quotiens autem solius accipientis turpitudo versatur, Celsus ait repeti posse ....; D 50.17.185 (Pal. 81): Impossibilium nulla obligatio est; Vat. 79 (Pal. 151): ... cuius sententiae congruit ratio Celsi dicentis totiens ius adrescendi esse, qotiens in duobus, qui solidum habuerunt, concursu divisus est. 142 Die Deduktion erfüllt hier die gleiche Aufgabe wie im Bereich der generellen Normen. Sie sorgt für eine Gleichmäßigkeit der Entscheidungen und dementsprechend für Rechtssicherheit, indem sie gewährleistet, daß gleichlautende Rechtsgeschäfte dieselben Rechtswirkungen hervorbringen. 143 A.a.O. 91. 144 So aber Horak a.a.O. 194ff. Dagegen auch Bund, IURA 21 (1970) 203 und Giaro, SZ 105 (1988) 234 N.196. 145 D 4.8.23.1 f. (Pal. 18): ... licet igitur in poenam non committas, quod intra calendas non dederis, quoniam per te non stetit, tarnen comittis in eam partem, quod non das ... und D 4.8.37 (Pal. 19): ... non enim differendarum litium causa, sed tollendarum ad

Drittes Kapitel: Deduktion

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dem Testamentsrecht, die nicht unmittelbar der Subsumtion eines Sachverhaltes dienen. 4. Die Gesamtzahl ausdrücklicher Subsumtionsschlüsse aus Normen des Gesetzes- und Juristenrechts sowie derjenigen aus einem Rechtsgeschäft beträgt demnach 43. Hinzu kommen zwei weitere Entscheidungen, die der Jurist durch Subsumtion unter einen den recuperatores erteilten Judikationsbefehl gewinnt146. II. Z u m Bereich deduktiver Entscheidungsfindung gehört neben der Subsumtion unter eine N o r m freilich auch die Ableitung einer Entscheidung aus dem Wesen eines Rechtsinstiutes 1 4 7 oder der Rekurs auf fundamentale - juristische wie allgemein logische - Grundsätze, die gleichwohl nicht zu einem gebräuchlichen Rechtssatz ausformuliert sind: so die grundsätzliche Überlegung, daß ein benefi-

arbitros itur ... (Subsumtion unter eine im Hinblick auf einen Schiedsrichterspruch abgeschlossene stipulatio poenae); D 8.1.9 (Pal. 31): ... nam quaedam in sermone tacite experiuntur. non enim... (stillschweigende Vereinbarung bei einer in iure cessio ); D 12.6.6.2 (Pal. 47):... quoniam nihil de hoc nomine exigendo mandasse videretur... und D 46.3.87 (Pal. 230): ... quoniam , cum quis procuratorem omnium rerum suarum constituid id quoque mandare videtur, ut creditoribus sui pecuniam solvat... (Auslegung einer dem procurator erteilten Ermächtigung); D 12.6.47 (Pal. 53):... quoniam potes videri id ipsum mandasse, ut tuo nomine solveretur: ... (Auslegung eines Auftrags); D 12.6.48 (Pal. 54): ... non videbitur fecisse quod promisit atque ideo ... (bedingte Stipulation); D 43.26.1 l(Pal. 65):... quippe id actum est, ut usque eo precarium teneret ... (Vereinbarung eines precarium ); D 17.2.58pr. (Pal. 70): ... non enim habendae quadrigae, sed vendendae coitam societatem ... (Gesellschaftsvertrag); D 19.2.9.5 (Pal. 82):... quippe ut artifex, inquit, conduxit... (Werkvertrag); D 38.1.30pr. (Pal. 109): ... eifere ea mens est personam arbitrio substituentium, ut quia sperent eum recte arbiturum, id faciant, non quia vel immodice obligari velint. (eidliches Versprechen zur Leistung von operae libertorum ); D 17.2.75 (Pal. 116): ... nam id ipsum actum est, ne aliter societas sit, quam ut Titius arbitratus sit. (Gesellschaftsvertrag); D 28.5.60.6 (Pal. 127):... nam dúo heredes instituí sunt, sed Titius aut ex semisse aut ex besse: ita ... (bedingte Erbeinsetzung); D 33.2.14 (Pal. 153): ... nam ipsius onus est, ut solidum singulis legatum praestaret: qua parte igitur alterum utifrui sineret heres, ea parte eum non sinere alterum utifrui, ideoque... (legatum sinendi)\ D 41.2.18.1 (Pal. 195): ... illud enim ridiculum est dicere, quod non aliter vult quis dimitiere, quam si transferat: immo vult dimitiere, quia existimat se transferre (Besitzaufgabe); D 43.26.12 (Pal. 212): ... quippe ipsi dumtatxat, non etiam he redi concessa possessio est. (Gewährung eines precarium ); D 50.16.158 (Pal. 215): In usu iuris frequenter uti nos Cascellius ait singulari apellatione, cum plura generis eiusdem significare vellemus. ... nempe aeque si plures heredes sint, continentur stipulatione (Stipulation); D 46.2.8.2 (Pal. 224): ... nam eodem tempore et impleri prioris stipulationis condi cionem et novari ait ... (bedingte Novation); D 46.3.70 (Pal. 225):... totum enim medicum tempus ad solvendum promissori liberum relinqui intellegitur (Auslegung eines Leistungsversprechens auf einen bestimmten Termin). 146 D 42.1.39 (Pal. 23):... quippe omnes iudicare iussi sunt. ... quid enim minus verum est omnes iudicasse? 147

Wie aus der Bestimmung des usus fructus als ius in corpore , vgl. D 7.1.2 (Pal. 146), oder aus dem grundsätzlichen Verhältnis von pupillus und tutor , vgl. D 50.17.189 (Pal.

200).

§ 8 Der Vorrang deduktiver Entscheidungsfindung: D 3.5.9.1 (Pal. 10)

43

dum sinnvollerweise einen Adressatenkreis haben müsse 148 ; oder der Grundsatz, daß ein Rechtsakt nicht zwei entgegengesetzte Wirkungen haben könne (Gebot der Widerspruchsfreiheit) 149; schließlich der Grundsatz, daß ein vom arbiter erteilter Befehl für die einzelnen Parteien nur gleichermaßen verbindlich sein dürfe (Gebot der Gleichheit) 15 °. Durch diese Entscheidungskriterien, die vorzugsweise zu einer reductio ad absurdum eingesetzt werden, erhöht sich die Zahl deduktiver Entscheidungsbegründungen auf 50. Dies entspricht fast der Hälfte aller von Celsus überlieferten rationes decidendi. III. Damit ist der Vorrang deduktiver Entscheidungsfindung im Werk des Celsus manifest. - Auffällig ist insbesondere das Übergewicht im Verhältnis zu den für die römischen Juristen als charakteristisch empfundenen 151 Induktionsschlüssen: Im überlieferten Teil der celsinischen digesta gibt es vier ausdrückliche oder durch eine besondere Einleitung kenntlich gemachte Analogieschlüsse oder argumenta a maiore ad minus. Die Gesamtzahl aller Fallanknüpfungen unter Einschluß der Fiktionen beträgt bei großzügiger Zählung höchstens 34. Dies liegt immer noch deutlich unter der Zahl allein der ausdrücklichen Deduktionsschlüsse. Bereits dieser Statistik läßt sich entnehmen, daß der Jurist nicht kasuistisch vorgegangen ist und bloß von Einzelfall zu Einzelfall geschlossen hat 1 5 2 , sondern daß er die Ableitung der Fallösung aus Normen und übergeordneten Grundsätzen bevorzugte.

§ 8 Der Vorrang deduktiver Entscheidungsfindung: D 3.5,9.1 (Pal. 10) I. Daß Celsus die Deduktion aus abstrakten Rechtssätzen der kasuistischen Beurteilung von Einzelfällen vorzieht, zeigt die folgende Kritik an Proculus, die sich nicht gegen das von diesem erzielte Ergebnis, sondern ausschließlich gegen dessen Methode der Rechtsfindung wendet:

148

D 50.1.1.2 (Pal. 1):... neque enim debuisse caveri, ut vulgo quaesitos matris condicionem sequeretur (quam enim aliam originem hic habet?):... 149 Vat 75.5 (Pal. 149): ... etenim esse incogitabile eandem esse causam cuique et amittendi et recipiendi. 150 D 4.8.21.11 (Pal. 18):... absurdum enim esse iussum in alterius persona ratum esse, in alterius non. 151 Vgl. Käser, Zur Methode der römischen Rechtsfindung (Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen 1962) 59, Bund, St. Volterra I (1971) 586 und Wieacker, FS Käser (1976) 21 f. Speziell im Hinblick auf die Methode des Celsus behauptet auch Cerami, Ann. Pal. 38 (1985) 29f. einen Vorrang der Fallvergleichung. 152 So aber Cerami a.a.O.

44

Drittes Kapitel: Deduktion

D 3.5.9.1 Ulp 10 ad ed (Pal. 10) Is autem qui negotiorum gestorum agit non solum si effectum habuit negotium quod gessit, actione ista utetur, sed sufficit, si utiliter gessit, etsi effectum non habuit negotium, et ideo si insulam fulsit vel servum aegrum curavit, etiamsi insula exusta est vel servus obiit, aget negotiorum gestorum: idque et Labeo probat, sed ut Celsus refert, Proculus apud eum notat non Semper debere dari. quid enim si eam insulam fulsit, quam dominus quasi impar sumptui dereliquerit vel quam sibi necessariam non putavit? oneravit, inquit, dominum secundum labeonis sententiam, cum unicuique liceat et damni infecti nomine rem derelinquere. sed istam sententiam Celsus eleganter deridet: is enim negotiorum gestorum, inquit, habet actionem, qui utiliter negotia gessit: non autem utiliter negotia gerit, qui rem non necessariam vel quae oneratura est patrem familias adgreditur.

1. Laut Ulpian findet sich bei Labeo der Grundsatz, daß dem negotiorum gestor Aufwendungsersatz zusteht, sofern er das Geschäft utiliter geführt hat; nicht erforderlich ist hingegen, daß die getroffenen Maßnahmen auch einen Erfolg gehabt haben. Daher berechtigt die Behandlung eines kranken Sklaven oder die Abstützung eines baufälligen Hauses selbst dann zur actio negotiorum gestorum , wenn der Sklave trotz der Behandlung stirbt oder das Haus später abbrennt 153 . Der von Celsus zitierte Proculus merkt dazu an, daß von diesem Grundsatz in bestimmten Fällen eine Ausnahme zu machen sei. So könne kein Aufwendungsersatz verlangt werden, wenn der Eigentümer das abgestützte Haus wegen zu hoher Kosten vorher aufgegeben habe, oder wenn er es für entbehrlich halte. Nach der Ansicht des Labeo werde der Eigentümer in diesen Fällen belastet, obwohl ihm das Recht zustehe, eine Sache wegen eines drohenden Schadens zu derelinquieren. Celsus verspottet die Auffassung des Proculus. Er wiederholt den Grundsatz, daß demjenigen die actio negotiorum gestorum zustehe, der ein Geschäft utiliter geführt habe. Utiliter handle aber gerade nicht, wer eine unnötiges oder den Geschäftsherrn belastendes Geschäft führe. 2. a) Seiler 154 zufolge enthält der letzte Satz der celsinischen Argumentation eine negative Definition der utilitas. Positiv gewendet, bedeute die Aussage des Celsus, daß die Nützlichkeit der Geschäftsführung nur im Fall ihrer Notwendigkeit anerkannt werde. Diese Gleichstellung von utilitas und necessitas hält Seiler für begrifflich ungenau. Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob dem Satz des Celsus tatsächlich der Charakter einer Definition zukommt. Mit den Worten rem non necessariam vel quae 153 Aus der Art der angeführten Beispiele folgert Seiler , Der Tatbestand der negotiorum gestio (1968) 56f., daß sich die Regel des Labeo nur auf Fälle der Notgeschäftsführung beschränkt habe. Bei allen übrigen Fällen sei hingegen die erfolgreiche Geschäftsführung Voraussetzung eines Anspruchs auf Aufwendungsersatz gewesen. - Im Fragment Pal. 266 wiederholt Celsus jedoch die Formel des negotia utiliter gerere im Fall der Zahlung auf eine Bürgschaftsschuld, ohne daß es einen Anhaltspunkt dafür gäbe, daß eine Notgeschäftsführung vorliegt. An der Abgrenzung von gewöhnlicher und Notgeschäftsführung zweifelt auch Mayer-Maly , SZ 86 (1969) 430f. 154 A.a.O. 51, 59.

§ 8 Der Vorrang deduktiver Entscheidungsfindung: D 3.5.9.1 (Pal. 10)

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oneratura gibt Celsus lediglich verkürzt die von Proculus angeführten Fälle wieder, die ebenfalls mit den Vokabeln non necessaria und onerare umschrieben werden. Bereits Proculus hat aber den Begriff der necessitas nicht exakt, sondern in seiner bloß umgangssprachlichen Bedeutung 155 verwendet: Es geht nicht darum, ob das beschädigte Haus für den Geschäftsherrn objektiv unentbehrlich ist, sondern vielmehr darum, ob er die Unterhaltung des Hauses weiterhin für sinnvoll hält. Wenn Celsus die Terminologie des Proculus beibehält, dann geschieht dies lediglich zur Verdeutlichung, daß er sich auf die von Proculus genannten Fälle bezieht. b) Statt einer Definition des Begriffes utilitas stellt Celsus den Untersatz eines Subsumtionsschlusses auf. Dieser enthält die Feststellung, daß die in Rede stehenden Fälle nicht die im Obersatz geforderte Voraussetzung der utilitas erfüllen: Wer ein Geschäft führt, das vom Geschäftsherrn nicht mehr für sinnvoll oder gar für belastend gehalten wird, handelt nicht utiliter. Celsus zeigt damit, daß anstelle der unnötigen Bildung von Ausnahmetatbeständen schon die korrekte Deduktion aus dem von Labeo aufgestellten Grundsatz zu einer befriedigenden Lösung der Einzelfälle führt 156 . 3. Die von Ulpian als elegans bezeichnete Kritik des Celsus richtet sich gegen die vorschnelle Einschränkung dieses Grundsatzes durch seinen Vorgänger Proculus 157 . Als Reaktion auf dessen voreiligen Verzicht auf eine systematische Rechtsfindung exerziert Celsus in belehrendem Ton 1 5 8 einen Subsumtionsschluß vor: er formuliert Labeos Grundsatz noch einmal ausführlich als Obersatz, der sowohl Tatbestand als auch Rechtsfolge enthält; in einem Untersatz legt Celsus dar, daß der geforderte Tatbestand nicht erfüllt ist, mithin auch nicht die von Proculus abgelehnte Rechtsfolge eintreten kann. II. Celsus wendet den von ihm verteidigten Grundsatz des Labeo noch an einer anderen Stelle an: D 17.1.50pr. Cels 38 dig (Pal. 266) Si is qui negotia fideiussoris gerebat ita solvit stipulatori, ut reum fideiussoremque liberaret, idque utiliter fecit, negotiorum gestorum actione fideiussorem habet obligatum, nec refert, ratum habuit nec ne fideiussor. sed fideiussor etiam antequam solveret procuratori pecuniam, simul ac ratum habuisset, haberet tarnen mandati actionem.

1. Jemand führt die Geschäfte eines Bürgen, indem er an den Gläubiger leistet und damit sowohl den Bürgen als auch den Hauptschuldner befreit. Soweit er 155

Vgl. Mayer-Maly a.a.O. Vgl. Hausmaninger, FG v. Lübtow 56. 157 Sein Spott ist nur angebracht, wenn Proculus diesen Grundsatz bereits kannte oder kennen mußte. Nicht haltbar ist daher die Vermutung von Schanbacher, Gnomon 64 (1994) 625 N.30, wonach erst Celsus dieses Prinzip formuliert habe. 158 Hausmaninger, ANRW 11.15 (1976) 394 und FG v. Lübtow (1991) 56. Daß die Worte des Celsus polemische Bedeutung haben, hebt auch Scarano Ussani, Valori e storia (1979) 150 hervor. 156

Drittes Kapitel: Deduktion

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dabei utiliter gehandelt, d.h. nicht vor Fälligkeit oder trotz Zahlungsbereitschaft des Schuldners geleistet hat 1 5 9 , kann der Geschäftsführer im Rahmen der actio negotiorum gestorum Ersatz seiner Aufwendungen verlangen. Einer ratihabitio durch den Bürgen bedarf es nicht. Dieser kann aber seinerseits vom Hauptschuldner Regreß nehmen, sobald er die Zahlung des negotiorum gestor genehmigt; ein Ersatz der Aufwendungen ist nicht Voraussetzung. 2. Der Bezeichnung als procurator im zweiten Satz des Textes wird gewöhnlich entnommen, daß der Geschäftsführer ein procurator omnium rerum war 1 6 0 . In diesem Fall stünde der Inhalt der Satz jedoch in Widerspruch zu einer anderen Entscheidung des Celsus: D 46.3.87 Cels 20 dig (Pal. 230) Quodlibet debitum solutum a procuratore meo non repeto, quoniam, cum quis procuratorem omnium rerum suarum constituit, id quoque mandare videtur, ut creditoribus suis pecuniam solvat neque post ea exspectandum est, ut ratum habeat. 161

Die Zahlung des procurator omnium rerum auf eine bestehende Schuld des Geschäftsherrn bedarf keiner Genehmigung. Denn mit der Einsetzung zum procurator für das gesamte Vermögen wird der Geschäftsführer zugleich zur Zahlung von Schulden des Geschäftsherrn ermächtigt. Seine Leistung gilt daher unmittelbar als Leistung des Geschäftsherrn 162. Dementsprechend müßte in D 17.1.50pr. der Bürge Regreß vom Hauptschuldner nehmen können, ohne daß die Zahlung seines Geschäftsführers der ratihabitio bedurft hätte. Diese ist nur erforderlich, wenn es sich um einen 'einfachen' procurator handelt, der für den Bürgen gezahlt hat. 3. Damit aber gewinnt auch die Formulierung des ersten Satzes: qui negotia fideiussoris gerebat eine andere Bedeutung. Sie dient nicht etwa der Umschreibung der Tätigkeit eines procurator omnium rerum. Vielmehr enthält sie schon eine rechtliche Qualifizierung der Handlung des Geschäftsbesorgers. In Verbindung mit dem Zusatz idque utiliter fecit stellt Celsus bereits im Rahmen der Sachverhaltsschilderung fest, daß der Tatbestand der negotiorum gestio gegeben ist 1 6 3 . Wenn negotia utiliter gerere vorliegt, entsteht der Anspruch auf Aufwen-

159

Seiler, Der Tatbestand der negotiorum gestio im römischen Recht (1968) 52f. Seiler a.a.O. 106, 314; vgl. auch Watson , Contract of Mandate (1961) 37 m.w.N. 161 Der Text ist parallel überliefert bei Paulus D 12.6.6pr. (Pal. 47): Si procurator tuus indebitum solvent et tu ratum non habeas, posse repeti Labeo libris posteriorum scripsit: quod si debitum fuisset, non posse repeti Celsus: ideo, quoniam cum quis procuratorem rerum suarum constituit, id quoque mandare videtur, ut solvat creditori, neque postea expectandum sit, ut ratum habeat. 162 Käser, SZ 91 (1974) 201. 163 Diese Technik der Verschränkung von Sachverhaltsbeschreibung und juristischer Beurteilung findet sich auch in Celsus D 17.1.48.1 f. (Pal. 68): Cum mando tibi, ut credendo pecuniam negotium mihi geras mihique id nomen praestes, meum in eo periculum, meum emolumentum sit, puto mandatum posse 160

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Systematische

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dungsersatz ipso iure ; eine nach den Umständen denkbare ratihabitio lung ist dafür nicht erforderlich 1 6 4 .

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4. Entscheidungskriterium ist abermals die Subsumtion unter den Tatbestand der von Labeo aufgestellten Regel. Dieser dem Proculus in Fragment D 3.5.9.1 so schulmeisterlich vorgehaltene Satz ist für Celsus dogmatischer Ausgangspunkt i m Recht der negotiorum gestio.

§ 9 Systematische Rechtsfindung I. Der Vorrang deduktiver Entscheidungsfindung, den die Statistik (§ 7) und die Argumentation in D 3.5.9.1 dokumentieren, führt zu der Frage, inwieweit Celsus das ius receptum seiner Zeit als System begriffen und die Lösung von Einzelfällen daraus abgeleitet hat. 1. Daß in der Rechtswissenschaft das aristotelische Ideal eines geschlossenen, widerspruchsfreien und auf einer beschränkten Anzahl unableitbarer Grundsätze beruhenden Systems nicht verwirklicht werden kann, ist heute allgemein anerk a n n t 1 6 5 . Selbst die 'Systeme' der modernen kontinentaleuropäischen Rechtsord-

consistere. Ceterum ut tibi negotium geras, tui arbitrii sit nomen, id est cuivis credas, tu recipias usuras, periculum dumtaxat ad me pertineat, iam extra formam mandati est, quemadmodum si mandem, ut [mihi] quemvis fumdum emas. Es geht um den Unterschied zwischen einem wirksamen Kreditauftrag und einem ungültigen mandatum tua gratia , vgl. Eisele , AcP 84 (1895) 324, Watson a.a.O. 97f. und J.G. Wolf, ; in: Mandatum und Verwandtes (1994) 70 N.10. Der Mandatar, der den Darlehensnehmer auswählen soll, führt ein Geschäft des Auftraggebers, wenn er den aus dem Darlehen entstehenden RückZahlungsanspruch an den Auftraggeber abtreten soll, so daß diesen sowohl die Gefahr als der Nutzen des Kreditgeschäfts treffen. Dagegen handelt es sich um ein Geschäft im alleinigen Interesse des Beauftragten, wenn dieser Inhaber der Forderung bleiben soll und die Zinsen erhält, während der Auftraggeber lediglich die Gefahr einer Insolvenz des Darlehensnehmers übernimmt. Der Auftrag zu diesem tibi negotium gerere fällt nicht mehr unter die forma mandati. - Entscheidend ist dabei der Umstand, daß die Person des Kreditnehmers unbestimmt ist. Andernfalls läge im zweiten Fall ein wirksames Mandat zugunsten eines Dritten vor, vgl. Celsus D 17.1.6.4 (Pal. 66) ebenso wie Sabinus bei Gaius Inst. 3.156. - Als weiteres Beispiel für ein mandatum tua gratia führt Celsus den Fall an, daß sich der Beauftragte irgendein Grundstück kaufen soll. Auch hier ist es nicht die Unbestimmtheit des Gegenstandes, die den Auftrag unwirksam macht (so Arangio-Ruiz , II mandato (1949) 113f.), sondern der Umstand, daß wegen der Freiheit der Wahl jedenfalls nur ein Interesse des Beauftragten besteht, vgl. Watson a.a.O. 98. 164 Zu unrecht folgert Seiler a.a.O. 59f., daß für Celsus der Wille des Geschäftsherrn unbeachtlich sei. Wie das Fragment Pal. 10 zeigt, findet das individuelle Interesse des Geschäftsherrn Eingang in die Bestimmung der utilitas. In Pal. 266 geht es dagegen nicht um den Willen des Geschäftsherrn, sondern um das formale Erfordernis der ratihabitio. 165 Vgl. Engisch , Studium Generale 10 (1957) 173ff; Canaris , Systemdenken und Systembegriff2 (1983) 25ff.; Horak, Rationes decidendi I (1969) 40ff.

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Drittes Kapitel: Deduktion

nungen sind allenfalls Annäherungen an dieses aristotelische Konzept. Daher darf erst recht der Systembegriff des römischen Juristen nicht mit Vorgaben belastet werden, denen er von vorneherein nicht genügen kann 1 6 6 . Für die Annahme eines Systems oder systematischer Ansätze muß es ausreichen, wenn übergeordnete Prinzipien sichtbar werden, die eine Einheit 167 oder zumindest Teileinheiten 168 bilden, und die die Rechtserkenntnis im Einzelfall leiten 169 . 2. Andererseits kann es nicht genügen, wenn diese Prinzipien nur unausgesprochen im Hintergrund stehen. Auch eine ausschließlich am Einzelfall orientierte Rechtsfindung schreitet, wenn auch unreflektiert, nach immanentes Grundsätzen fort und vermag unbewußt ein inneres System hervorzubringen 170 . Dementsprechend billigt selbst Käser 171 , für den die Intuition und nicht das rationale Argument im Vordergrund der römischen Rechtsgewinnung steht, den klassischen Juristen eine innere Konkordanz der empirisch gefundenen Sätze zu und spricht von einem einheitlichen und widerspruchsfreien juristisches Instrumentarium. Eine systematische Rechtsfindung läßt sich aber erst behaupten, wenn der Jurist seine Entscheidung unter bewußtem Rückgriff auf abstrakte Begriffe und Sätze trifft, und wenn zugleich erkennbar ist, daß er diese als Teil eines zusammenhängenden Ganzen begreift. Bei einem so lückenhaft und vor allem in Form von Zitaten überlieferten Werk wie dem des Celsus darf man indessen nicht mehr als einzelne Ansätze erwarten.

166 Wey and, Der Durchgangserwerb in der juristischen Sekunde (1989) 8f. 167 Weyand a.a.O. im Anschluß an die von Canaris a.a.O. 12f. entwickelte allgemeine Charakterisierung des Systems. 168 Zur Möglichkeit von Teilsystemen oder einer Mehrzahl horizontaler Kleinsysteme anstelle eines umfassenden pyramidalen Systems Horak a.a.O. 41 f. und Giaro , SZ 105 (1988) 196. 169 Daß die grundlegenden Voraussetzungen, die Systematisierbarkeit des Rechtsstoffes und die Erkenntnis der Vorteile systematischer Rechtsfindung, Rechtssicherheit und Gleichbehandlung, auch im römischen Recht gegeben waren, macht Giaro a.a.O. 198ff., 207 geltend. Zugleich weist er daraufhin, daß das didaktische System des Gaius in dieser Hinsicht allgemein unterschätzt wird (vgl. z.B. Going , Grundzüge der Rechtsphilosophie5 (1993) 292); denn darstellende und dogmatische Funktion ließen sich nur schwer voneinander trennen. 170 Engisch a.a.O. 189; selbst Viehweg , Topik und Jurisprudenz 5 (1974) 50 spricht davon, daß die römischen Juristen unreflektiert einen Zusammenhang vorausgesetzt haben. 171 Zur Methode der römischen Rechtsfindung (Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen 1962) 66, 73f.

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II. Ein Musterbeispiel systematischer Entscheidungsfindung enthält D 12.4.16 Cels 3 dig (Pal.73)172: Dedi tibi pecuniam, ut mihi Stichum dares: utrum id contractus genus pro portione emptionis et venditionis est, an nulla hic alia obligatio est quam ob rem dati re non secuta? in quod proclivior sum: et ideo, si mortuus est Stichus, repetere possum quod ideo tibi dedi, ut mihi Stichum dares. finge alienum esse Stichum, sed te tarnen eum [tradidisse] cmancipio dedisse>: repetere a te pecuniam potero, quia hominem accipientis non feceris: et rursus, si tuus est Stichus et [pro evictione eius promittere] cmancipare eum> non vis, non liberaberis, quo minus a te pecuniam repetere possim.

1. Der Sachverhalt ist denkbar einfach: EGO hat an TU eine Summe Geldes gezahlt, damit er von TU den Sklaven Stichus erhält. Celsus fragt, ob dieses Geschäft nach Kaufrecht zu behandeln sei, oder ob eine datio ob rem vorliege. Er entscheidet sich zögernd für die zweite Alternative. Der Vorleistende genießt danach nur insofern rechtlichen Schutz, als ihm bei Ausbleiben der Gegenleistung die Kondiktion der eigenen Leistung offensteht; einen klagbaren Anspruch auf Leistung des Sklaven erhält er dagegen nicht. a) Es ist nicht unmittelbar einsichtig, warum Celsus die Vereinbarung über den Austausch einer Summe Geldes gegen den Sklaven Stichus nicht als Kauf gelten läßt. Appleton hat darum angenommen, daß die heutige Form des Textes auf einem Mißverständnis älterer Abkürzungen beruhe, und daß anstelle von pecuniam ursprünglich Pamphilum 113 oder rem 174 gestanden habe. Danach hätte Celsus über die rechtliche Qualifikation eines Tausches zu befinden gehabt. Als Prokulianer habe er entsprechend seiner Schultradition 175 eine Anwendung der für den Kauf geltenden Regeln abgelehnt. Gerade wegen dieser Schultradition bliebe aber unverständlich, warum Celsus' Entscheidung derart vorsichtig ausfällt 176 . Verständlich wäre die Zurückhaltung des Juristen allenfalls, wenn man mit Buckland 177 annähme, Celsus habe nicht pecuniam, sondern Pamphilum et pecuniam geschrieben, so daß es um die Beurteilung eines gemischten Geschäfts aus Tausch und Kauf gegangen wäre. In 172 Lit.: Appleton, RHDFE 30 (1906) 739ff. und RHDFE 31 (1907) lOOff.; Scialoja, Bullettino 19 (1907) 161ff.; Schloßmann, SZ 29 (1908) 309ff.; de Francisci, Synallagma (1913) 126ff.; Seckel-Levy, SZ 47 (1927) 131ff.; Buckland, TR 16 (1939) 359ff.; Kretschmar, SZ 61 (1941) 123ff.; Arangio-Ruiz, La Compravendita I (1956) 15Iff.; Schiavone, Studi sulle logichi dei giuristi Romani (1957) 15Iff.; Thomas, in: Studies in the Roman Law of Sale (1959) 160ff.; Yale , in: Studies in the Roman Law of Sale (1959)171ff.; Käser, SZ 77 (1960) 462f.; Benöhr, Das sogenannte Synallagma von Konsensualverträgen (1965) 9 lf; Meylan, IURA 20 (1969) 287ff.; Scarano Ussani, Valore e storia (1979) 141ff.; Cerami, IURA 33 (1982) 125ff. 173 RHDFE 30, 768ff. Die Richtigkeit der dabei unterstellten Abkürzungen für pecunia und Pamphilus bestreitet Scialoja 166ff., der außerdem darauf hinweist, daß es dedi tibi Stichum ut mihi Pamphilum dares und nicht umgekehrt heißen dürfte. 174 RHDFE 31, lOOff.; dagegen wiederum Scialoja 168ff. 175 Vgl. Gai. Inst. 3.141. 176 Buckland 363. 177 A.a.O. 369ff.

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diesem Fall bereitet jedoch die Annahme eines Abschreibeversehens noch größere Schwierigkeiten, denn ein möglicher Bearbeiter hätte nicht lediglich eine Abkürzung falsch interpretiert, sondern vielmehr eine der Abkürzungen ganz ausfallen lassen. Dies ist um so unwahrscheinlicher, als gleich dreimal von pecuniam die Rede ist, derselbe Fehler also dreimal unterlaufen sein müßte 178 . b) Nach einer anderen Auffassung erfordert das Verständnis der celsinischen Entscheidung zwar nicht die Annahme einer Textveränderung, wohl aber die Unterstellung einer falschen Inskription: Nach Thomas 179 nämlich gehört die Entscheidung des Celsus in einen spezifischen Zusammenhang: zur Erörterung einer Geldzahlung mit der Zweckabrede, daß der Empfänger einen Sklaven freiläßt. Weil dies ein typischer Fall der condictio ob rem dati ist 1 8 0 , habe Celsus sie auch in dem Fall für anwendbar gehalten, daß ein Sklave zum Zwecke seiner späteren Freilassung erworben werden soll. Da Celsus die condictio im 6. Buch seiner Digesten behandelt, unser Text aber ausweislich seiner Inskription aus dem 3. Buch stammt, ist die Annahme eines solchen Zusammenhangs jedoch bloße Spekulation. Mit der gleichen Wahrscheinlichkeit, mit dem Thomas 181 eine Änderung der Inskription von VI zu III annimmt, ließe sich mit Lenel 1 8 2 eine Änderung von VIII zu III vermuten, zumal Celsus im 8. Buch die emptio venditio behandelt. Als Basis für die Interpretation des Textes taugen solche Hypothesen indes nicht 1 8 3 . c) Kaum glaubhafter ist die Rekonstruktion, die Yale 1 8 4 und Käser 185 vorschlagen: EGO soll dem TU Geld aufgedrängt, ihm aber zugleich die Entscheidung überlassen haben, das Kaufangebot anzunehmen oder nicht. In diesem Fall läge zwischen den Parteien noch keine vertragliche Übereinkunft vor, so daß für eine Anwendung des Kaufrechts gar kein Raum bliebe. Aus eben demselben Grund wäre dann aber verwunderlich, warum Celsus einen Kauf oder kaufähnlichen Kontrakt überhaupt erwogen hat 1 8 6 . Wenn es wirklich an einem Vertragsschluß gefehlt hätte, würde der Jurist nicht so behutsam entscheiden haben, daß kein contractus vorliegt.

178

So bereits Scialoja 169 gegen die älteren Vermutungen von Appleton. - Die Erklärung von Buckland 370, Celsus habe im folgenden nur die Rückforderung des Geldes, nicht aber des vorgeleisteten Sklaven thematisiert, ist wenig plausibel. 179 A.a.O. 165ff. 18 ° Vgl. UlpianD 12.4.1 pr., 3.Iff. 181 A.a.O. 169. 182 Pal. 1 (1889) Sp. 139 N.4 183 Andere mögliche Zusammenhänge zählt denn auch Schloßmann 319f. auf, der allerdings von einer Interpolation des Textes ausgeht. 184 A.a.O. 174ff. 185 A.a.O. Geteilt wird diese Auffassung offenbar auch von Mayer-Maly, SZ 83 (1966) 484. 186 So bereits lange vor den Protagonisten dieser Auffassung Scialoja 194.

§ 9 Systematische Rechtsfindung

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Darüber hinaus müßte in einem Fall mangelnder Übereinkunft auch die condictio scheitern. Celsus selbst wird von Ulpian D 12.4.3.7 (Pal. 44) mit den Worten zitiert: ... quamquam constet, ut et ipse (sc. Celsus) ait, eum qui dedit ea spe, quod se ab eo qui acceperit remuneran existimaret vel amiciorem sibi esse eum futurum, repetere non posse opinione falsa deceptum.

Die bloße Hoffnung auf eine Gegenleistung berechtigt, wenn diese ausbleibt, nicht zur Kondiktion der eigenen Leistung. Nur wenn die Parteien eine Vereinbarung getroffen haben, daß die Leistung um einer Gegenleistung willen erfolgt, kommt bei deren Ausbleiben eine Rückforderung mit der condictio in Betracht^?. d) Daher steht fest, daß es auch im vorliegenden Fall zu einer Einigung über den Austausch von Geld und Sklave gekommen sein muß 1 8 8 . Die Annahme eines Kaufvertrages kann nur deshalb ausgeschlossen sein, weil der Empfänger des Geldes den Sklaven übereignen soll: in seiner technischen Bedeutung bezeichnet dare die Verschaffung quiritischen Eigentums 189 . Ein Kaufvertrag verpflichtet den Verkäufer aber nicht zur Eigentums Verschaffung; er schuldet zwar die für die Eigentumsverschaffung erforderlichen Leistungshandlungen, traditio oder mancipatio 19°, nicht aber deren Erfolg, den Eigentumserwerb selbst 191 ; er muß lediglich für das habere licere der Kaufsache eintreten. Daher ist der Rahmen der emptio venditio gesprengt, wenn der Parteiwille auf die Übereignung der Sache abzielt 192 . e) Die unmittelbare Anwendung von Kaufrecht hält Celsus offenbar für völlig ausgeschlossen. Er erwägt allenfalls die Anerkennung eines neuen Vertragsty-

187

Yale 180 versucht seine Interpretation von D 12.4.16 zu retten, indem er annimmt, Celsus verlange als Voraussetzung der Kondiktion lediglich Kenntnis des Empfängers von den Vorstellungen der anderen Partei. Eine Hoffnung bleibt aber eine Hoffnung, auch wenn der Empfänger um sie weiß. Was Celsus fordert, ist vielmehr eine Einigung der Parteien. 188 Entgegen Schiavone 152 und Scarano Ussani 143 läßt sich dem Text nicht entnehmen, daß diese Übereinkunft erst nach der Geldhingabe zustande gekommen ist. 189 Vgl. Gai. Inst. 4.4; Paulus D 50.17.167pr. 190 Für die mancipatio Gai. Inst. 4.131a. 191 Ausdrücklich Afrikan D 19.1.30.1 sowie Ulpian D 18.1.25.1. - Die Prokulianer lehnen deshalb die sabinianische Ansicht ab, daß ein Tausch als Kauf zu gelten habe. Nach Gai. Inst. 3.141 ist ihr Argument, daß sich beim Tausch res und pretium nicht unterscheiden lassen. Dieses Argument ist aber nur darum erheblich, weil zwar der Käufer dem Verkäufer an den Geldzeichen, nicht aber der Verkäufer dem Käufer an der Kaufsache das Eigentum verschaffen muß; vgl. Paulus D 19.4.lpr. 192 So bereits Scialoja 184ff., de Francisci 128f., Seckel-Levy 131 ff. und Kretschmar 130ff., der eine unmittelbare Beziehung der Entscheidung zum Schulenstreit über die Rechtsnatur des Tausches sieht; vgl. auch Arangio-Ruiz 161. Dagegen wendet sich Schloßmann 31 lff., der das Fragment für verfälscht hält.

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pus, der pro portione dem Kauf gleichsteht, weil Leistung und Gegenleistung zumindest teilweise den kaufvertraglichen Schuldinhalten entsprechen 193. Diesen kühnen Gedanken verwirft der Jurist jedoch. Er hält das von den Parteien abgeschlossene Rechtsgeschäft für eine außervertragliche datio ob rem ; und statt eines klagbaren Anspruchs auf die Gegenleistung läßt er unter der Bedingung, daß die Gegenleistung ausbleibt, nur die Rückforderung der Leistung zu. 2. Im Anschluß an die rechtliche Einordnung des Geschäfts fügt Celsus drei denkbare Fallgestaltungen an, um die Konsequenzen seiner Entscheidung vorzuführen: a) In der ersten Variante stirbt Stichus vor seiner Übereignung an EGO. Celsus entscheidet, daß EGO seine Leistung zurückfordern kann. Das einleitende et ideo erhellt, daß diese Lösung eine Konsequenz aus seiner Beurteilung der Rechtsnatur des Geschäfts ist: Da die verabredete Gegenleistung nicht mehr erbracht werden kann, steht EGO, der ob rem geleistet hat, die condictio zu. Anders fiele die Entscheidung aus, wenn Kaufvertragsrecht anzuwenden wäre 1 9 4 : Nach der Regel periculum est emptoris wäre trotz zufälligen Untergangs der Kaufsache die Rückforderung des Kaufpreises ausgeschlossen195. b) In der zweiten Fallvariante ist der Geschäftspartner und Empfänger des Geldes TU nicht Eigentümer des Sklaven, den er aber gleichwohl an den Vorleistenden EGO manzipierte 196 . Nach Celsus greift auch in diesem Fall die condictio Platz. Zur Begründung beruft er sich ausdrücklich auf die ausgebliebene Eigentumsverschaffung: quia hominem accipientis non feceris. Ohne Eigentumserwerb ist die vereinbarte Gegenleistung ausgeblieben; daher kann die mit der Zweckvereinbarung erbrachte Leistung zurückgefordert werden. Anders wäre die Rechtslage wiederum, wenn Kaufvertragsrecht anzuwenden wäre: Da TU den Sklaven manzipiert hat und dem Erwerber EGO das habere 193

Pro portione braucht daher nicht im Sinne von proportio , der lateinischen Übersetzung von analogia, gelesen zu werden. Gegen diese vor allem von Scialoja 174f. vertretene Auffassung (die Zustimmung bei Kretschmar 127 N.7 und Arangio-Ruiz 152 N.l findet) dezidiert Buckland 365f. 194 Vgl. hierzu Seckel-Levy 132, Wubbe , SZ 81 (1964) 512f., Betti , SZ 82 (1965) 21 und Benöhr 92, die den Umkehrschluß zum Kauf anstellen. 195 Aus D 12.4.3.3 und D 19.5.5.1 ergibt sich, daß die Spätklassiker Ulpian und Paulus diesen Grundsatz auch auf den Fall der condictio ob rem dati übertragen haben. SchmittOtt , Pauli Quaestiones (1993) 221 f. hält dies für eine Anpassung des Rechts der condictio an die zwischenzeitlich eingeführte konkurrierende actio praescriptis verbis, die in ihrer intentio wiederum dem Muster der actio empti folgt. 196 Daß tradidisse durch mancipio dedisse bzw. mancipasse ersetzt werden muß, ergibt sich unmittelbar aus dem Zusammenhang: Für die Unwirksamkeit der Eigentumsübertragung ist nicht ein formaler Mangel entscheidend, sondern vielmehr der Umstand, daß T U nicht Eigentümer des Sklaven ist; vgl. Kretschmar 136 N.l und Arangio-Ruiz 158.

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gestattet, bliebe eine Rückforderung des Kaufpreises (oder eine Schadensersatzforderung) solange außer Betracht, wie der Sklave nicht von einem Dritten evinziert worden ist. c) Das Verständnis der dritten Variante wird durch eine Interpolation erschwert: Hier ist TU zwar Eigentümer des Sklaven, aber er weigert sich, eine Handlung vorzunehmen, die von den justinianischen Redaktoren als pro evictione eius (sc. Stichi) promittere benannt wird. (aa) Geht man von einer mechanischen Ersetzungstechnik der Kompilatoren aus, so müßte es im Original satisdare secundum mancipium geheißen haben 197 . Dann aber wäre es schwer zu erklären, warum Celsus dem Vorleistenden auch hier die condictio gewährt. Denn die ausbedungene Gegenleistung ist mit der Manzipation des Sklaven erbracht. Daß Celsus unter dare auch die Übernahme zusätzlicher Garantien verstanden hat 1 9 8 , ist nicht glaubhaft 199 . (bb) Daher ist mit Lenel 2 0 0 davon auszugehen, daß der überlieferte Text nicht das Ergebnis einer mechanischen Interpolation, sondern vielmehr einer überlegten Anpassung an den Rechtszustand nach Abschaffung der Manzipation ist, und darum pro evictione eius promittere für mancipare eum eingesetzt wurde. Auf diese Weise wäre die dritte Variante entsprechend dem einleitenden et rursus auch ein echtes Spiegelbild zum zweiten Fall: Dort ist TU nicht Eigentümer des Sklaven und manzipiert, hier ist TU Eigentümer des Sklaven, weigert sich aber, die mancipatio vorzunehmen; offenbar ist er nur bereit, den Sklaven zu übergeben. Da die nach der Zweckvereinbarung von ihm erwartete Eigentumsverschaffung ausbleibt, kann EGO seine Vorleistung kondizieren. Auch in diesem Fall besteht ein Unterschied zum Kaufvertragsrecht: Mit der Übergabe des Sklaven wäre EGO zu dessen bonitarischem Eigentümer geworden; an der Vornahme der mancipatio hätte er kein Interesse gehabt, das der Schätzung im Rahmen der actio empti zugänglich wäre. 3. Die Lösungen der von Celsus gebildeten Fall Varianten erweisen sich damit sämtlich als Konsequenz aus der zunächst bestimmten Rechtsnatur des Geschäfts. Celsus gewinnt sie jeweils durch schlichte Subsumtion unter den kondiktionsbegründenden Tatbestand re non secuta. Die Anwendung von Kaufrecht, die mit der eingangs abgelehnten Qualifizierung des Geschäfts als contractu verbunden gewesen wäre, hätte in den drei Fällen zu einem anderen Ergebnis geführt.

197 So auch Pernice , Labeo I I . l (1895) 295 N . l , Scialoja 180 und Seckel-Levy 131. Weitergehende Interpolationsvermutungen stellen Kretschmar 140 und Arangio-Ruiz 158 an. 198 So Appleton, RHDFE 30, 775ff., Scialoja 181, Yale 177. 199 Dagegen auch Schloßmann 325ff. 200 Pal. 1 (1889) Sp.140 N.2.

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Drittes Kapitel: Deduktion

Entgegen Scarano U s s a n i 2 0 1 haben w i r es in diesem Text nicht m i t einer A b wägung von pro und contra i m Einzelfall zu tun. Anstelle mühsamer Kasuis t i k 2 0 2 betreibt Celsus systematische Rechtsfindung, indem er das von den Parteien abgeschlossene Rechtsgeschäft zunächst einer der in Frage kommenden Kategorien (contractus oder datio ob rem) zuordnet, u m alsbald die Lösung verschiedener Problemlagen deduktiv aus der getroffenen Zuordnung zu entwikkeln. - A l s Alternativen stellt Celsus dabei ein genus contractus der außervertraglichen datio ob rem gegenüber, die als Fallgruppe der condictio hier erstmals abstrakt benannt w i r d 2 0 3 . I I I . W i e Celsus u m Ablösung der Kasuistik durch abstrakte Kategorien bemüht ist, zeigt D 9.2.7.6 Ulp 18 ad ed (Pal. 253) 2 0 4 : Celsus autem multum interesse dicit, occiderit an mortis causam praestiterit, ut qui mortis causam praestitit, non Aquilia, sed in factum actione teneatur. unde adfert eum qui venenum pro medicamento dédit et ait causam mortis praestitisse, quemadmodum eum qui furenti gladium porrexit: nam nec hunc lege Aquilia teneri, sed in factum. 1. Celsus unterscheidet zwischen occidere als Haftungstatbestand der lex A q u i l i a und mortis causam praestare als Voraussetzung für die Gewährung einer actio in factum ad exemplum legis Aquiliae. Ein mortis causam praestare liegt beispielsweise vor, wenn Gift als Medikament verabreicht oder einem Wahnsinnigen ein Schwert in die Hand gedrückt wird. Der Verantwortliche führt die todbringende Handlung nicht selbst aus, sondern er überläßt es dem Opfer, sich das Gift beizubringen oder den tödlichen Streich gegen sich zu führ e n 2 0 5 . Da der Täter sich einer unwissenden oder nicht zurechnungsfähigen Per-

201 A.a.O. 144f. Der von Scarano Ussani angestrengte Vergleich zu D 6.1.38 (Pal. 38) ist trotz der ähnlichen Verwendung des Verbsfingere inhaltlich nicht zulässig. Anders als im vorliegenden Fall geht es dort nicht um die Subsumtion der Fallvarianten unter einen fest umrissenen Tatbestand, sondern vielmehr um die Ausübung richterlichen Ermessens im Rahmen einer vom Beklagten zum Zwecke des Aufwendungsersatzes geltend gemachten exceptio doli; vgl. oben § 19. 202 So aber auch Cerami 126. 203 Die zeitlich nächste Erwähnung dieser Kategorie erfolgt durch Pomponius D 12.6.52. Häufige Verwendung finden die Begriffe ob rem dare und condicere quasi re non secuta erst bei dem Spätklassiker Paulus, vgl. D 12.4.9pr. und fr. 14, D 12.5.lpr., D 12.6.65pr. und § 4, D 19.4.1.4, D 22.1.38.1, D 39.6.35.3 sowie den Traktat zur actio praescriptis verbis in D 19.5.5 (pr. und § 1; dazu ausführlich Schmitt-Ott, Pauli Quaestiones [1993] 217ff., 232f.). Ulpian bedient sich dieser Bezeichnung dagegen nur ein einziges Mal in D 12.4.lpr. 204 Literatur: Albanese, Ann. Pal. 21 (1950) 108ff., 138f.; Schipani, Responsabilita ex lege Aquilia (1969) 323f.; v. Lübtow, Untersuchungen zur lex Aquilia (1971) 143ff.; Hausmaninger, St. Grosso V (1972) 269ff.; Nörr, Causa mortis (1977) 169ff.; Sotty, Recherches sur les utiles actiones (1977) 67ff.; Cerami, Ann. Pal. 38 (1985) 155ff. 205 Konkreter ist Gaius Inst. 3.219 mit seiner für das 1. und 3. Kapitel der lex Aquilia geltenden Unterscheidung von damnum corpore suo datum - alio modo datum. Es besteht jedoch kein Anlaß, mit Albanese 108ff., 129f. von einer Verfälschung des celsinischen Textes auszugehen, zumal auch Julian D 9.2.5lpr. die Terminologie des Gaius noch nicht

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son bedient, stellt sein Tun eine rechtlich relevante causa mortis dar. Damit der Prätor aber in der Prüfung des Kausalzusammenhangs frei bleibt 2 0 6 , fällt dieses Verhalten nicht unter das eng ausgelegte, nämlich auf unmittelbare Eingriffe begrenzte occidere der lex Aquilia, sondern wird mit einer actio in factum nach dem Vorbild dieses Gesetzes geahndet. 2. a) Celsus' Interesse richtet sich offenbar nicht auf die Lösung der angeführten Einzelfälle. Über die Verabreichung eines tödlichen Medikaments hatte sich, wie wieder Ulpian berichtet, in demselben Sinn, schon Labeo geäußert: D 9.2.9pr. Ulp 18aded: Item si obstetrix medicamentum dederit et inde mulier perierit, Labeo distinguit, ut, si quidem suis manibus supposuit, videatur occidisse: sin vero dedit, ut sibi mulier offerret, in factum actionem dandam,...

Aber auch der gladium-Fall muß im 2. Jahrhundert schon Überlieferungsgut 207 und seine Lösung ius receptum gewesen sein; sonst nämlich hätte Celsus sie nicht zur Begründung anführen können: nam nec hunc lege Aquilia teneri, sed in factum. Von Celsus selbst stammt nur die begriffliche Erfassung dieser Fälle als mortis causam praestare 208. Damit strebt er eine Systematisierung bereits ergangener Entscheidungen an. Indem er die bestehende Kasuistik zu der abstrakten Kategorie des mortis causam praestare zusammenfaßt, will er eine begriffliche Trennung vom occidere der lex Aquilia erreichen 209 . b) Schulz 210 spricht dieser Differenzierung jeden systematischen Wert ab, weil occidere begrifflich ein Unterfall des mortis causam praestare ist. Es kann Celsus jedoch nicht darum gegangen sein, eine im Ausschlußverhältnis zu occidere stehende Formel zu finden 211. Denn die für mortis causam praestare vorgesehekennt. Gegen die Annahme einer einheitlichen Begrifflichkeit bei den Klassikern wendet sich auch Hausmaninger 273. 206 Ob Celsus damit eine weitgehende Gesetzestreue anstrebt oder gar dem Willen des historischen Gesetzgebers genügen will, erscheint mir trotz Hausmaninger IIA fraglich. 207 Für ein Beispiel aus der Rhetorik hält diesen Fall Schipani 324. 208 Hausmaninger 271; vgl. auch v. Lübtow 144. Macquerons, Annales de la Faculté de Droit d A i x 43 (1950) 201 schreibt Labeo die Urheberschaft an diesem Begriff zu. Die Schlußsequenz von D 9.2.9pr.: quae sententia vera est: magis enim causam mortis praestitit quam occidit geht jedoch eindeutig auf Ulpian zurück, der als den Urheber dieser Formel zuvor ausdrücklich den Celsus genannt hat; vgl. auch Hausmaninger 272 N.81 und Nörr 169. 209 Anders Cerami 159f., der in mortis causam praestare lediglich ein praktisches Kriterium für die Arbeit am Einzelfall sieht. Die weitaus handfestere Unterscheidung des Gaius nach damnum corpore suo - alio modo datum erachtet Cerami dagegen für ein abstraktes Prinzip. In Wahrheit verhält es sich genau umgekehrt: anders als Gaius schafft Celsus gerade kein unmittelbar anwendbares Kriterium, sondern gibt einer Kategorie ihre abstrakte Bezeichnung. 210 Geschichte der römischen Rechtswissenschaft (1961) 155. 211 Daß Celsus hier bewußt keinen Komplementärbegriff zu occidere wählt, glaubt auch Willvonseder, SZ 105 (1988) 742.

Drittes Kapitel: Deduktion

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ne Haftung folgt durchaus dem Vorbild der lex Aquilia. Das von Celsus gewählte begriffliche Verhältnis von mortis causam praestare und occidere bringt vielmehr die Relation zwischen einem weiten Bereich rechtlich nur möglicherweise relevanter Vorgänge und einem Kernbereich unbedingt sanktionswürdiger Handlungen gut zum Ausdruck. 3. N ö r r 2 1 2 hält die von Celsus verwendete Formel für einen bloßen Topos von beschränktem dogmatischen Gewicht. Er verweist auf eine Entscheidung des Juristen zum 3. Kapitel der lex Aquilia, wo trotz einer gewissen Ähnlichkeit der Fälle nicht die gleiche Begrifflichkeit verwendet wird : Coli. 12.7.4,5 Ulp 18 ad ed Sed si stipulam in agro tuo incenderis ignisque evagatus ad praedium vicini pervenerit et illud exusserit, Aquilia lex locum habeat an in factum actio sit, fuit quaestio. (5) Sed plerisque Aquilia lex locum habere non videtur, et ita Celsus libro X X X V I I digestorum scribit. ait enim si stipulam incendentis ignis effugit, Aquilia lege eum non teneri, sed in factum agendum, quia non principaliter hic exussit, sed dum aliud egit, sie ignis processit. a) Auch hier geht es um eine bloß mittelbare Verursachung des Schadens: der Täter hat das Nachbarhaus nicht etwa eigenhändig angezündet; er hat vielmehr auf seinem Feld die Stoppeln abgebrannt, als das Feuer auf das Nachbargrundstück übergriff und das Haus des Nachbarn zerstörte. Und auch hier gewährt Celsus, wie die meisten, die sich zu diesem offenbar viel behandelten Fall geäußert haben, nicht die actio legis Aquiliae , sondern eine actio in factum. Die in der Begründung getroffene Unterscheidung zwischen der Schädigung durch principaliter urere und der Schädigung durch non principaliter urere ähnelt der zwischen occidere und mortis causam praestare. Nach Nörr formuliert Celsus hier, für das Töten, "die Mittelbarkeit der Verursachung mit Hilfe des rhetorischen Inventars", dort, für die Schädigung durch urere , "mit Hilfe der Terminologie des Peripatos". Nörr vermutet, daß Celsus die causa mortis Formel i m Brandfall darum vermied, weil sich hier die dem Schadenseintritt vorgelagerte Zwischenursache nur schwer benennen lasse. b) Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob der von Nörr angestrengte Vergleich beider Formeln zulässig ist. (aa) Ihrer grammatischen Form nach gehört die in Coli. 12.7.4.5 gegebene Begründung nicht zum Zitat. Nach dem Fortgang des Textes (cuius sententia et rescripto Divi Servi comprobata est) scheint Ulpian jedoch auch mit ihr die Meinung des Celsus wiederzugeben. Da Ulpian den Modus der indirekten Rede nicht strikt einhielt, könnte aufgrund des Kontextes auch die Begründung dem Celsus zuzuschreiben sein. (bb) Fraglich ist aber, ob die Unterscheidung zwischen principaliter und non principaliter urere ebenfalls die Kausalität der Schadensverursachung betrifft. Näherliegend ist, daß es Celsus und Ulpian um die subjektive Einstellung des 212

A.a.O. 170ff., 180f.

§ 10 Normbildung durch Auslegung

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213

Schädigers zum Schadenseintritt ging . Derjenige, der die Stoppeln auf seinem Grundstück abbrannte, wollte nicht das Nachbarhaus anzünden. Vielmehr griff das Feuer nur auf das Nachbargrundstück über, dum aliud egit. Daß er principaliter exussit, läßt sich mithin nur von demjenigen behaupten, dessen 'hauptsächliches' Ziel es ist, fremdes Gut zu verbrennen. Dieser haftet ohne weiteres lege Aquilia. Wer dagegen unabsichtlich, non principaliter, fremdes Gut verbrannt hat, haftet allenfalls actione ad exemplum legis Aquiliae. c) Selbst wenn man aber mit Nörr davon ausgeht, daß es Celsus um die Unterscheidung von mittelbarer und unmittelbarer Kausalität ging, so bleibt einzuwenden, daß die von Nörr vermißte Anwendung der Formel vom causam praestare hier gar nicht möglich ist. Denn das erste Kapitel der lex Aquilia verlangt mit occidere ein Tun, das nur durch seinen Erfolg, nämlich den Tod eines Lebewesens, bestimmt wird. Daher ist der Täter durch die bloße Verursachung des Schadens bereits in den Bereich des - bedingt oder unbedingt - sanktionswürdigen Verhaltens gelangt. Dagegen verlangt Kapitel 3 neben dem Schädigungserfolg eine spezifische Verhaltensweise, namentlich urere. Demnach kann auch die actio ad exemplum legis Aquiliae allenfalls dann eingreifen, wenn der Täter den Schaden dadurch herbeigeführt hat, daß er das fremde Gut verbrannt hat. Die bloße Schadensverursachung allein genügt nicht, um auch nur die analoge Haftung auszulösen. Erst bei einer Schadensverursachung durch urere wird die Schwelle überschritten, ab der das sanktionswürdige Verhalten beginnt. Auch für die Bezeichnung der Handlung, das nur unter Umständen eine Haftung begründet, ist daher die Angabe der Art und Weise der Schädigung unabdingbar. Dementsprechend kann Celsus nicht bloß von 'damni causam praestare' sprechen; vielmehr muß er die Handlung spezifischer als urere bezeichnen, wobei die Unterscheidung nach principaliter und non principaliter urere als geeignet erscheint, um das Verhältnis zwischen unbedingt und bedingt sanktionswürdigem Verhalten zum Ausdruck zu bringen.

§ 10 Normbildung durch Auslegung: D 4.8.23.1 (Pal. 18) Neben D 3.5.9.1 (Pal. 10) gibt es eine weitere Kritik an Proculus, die sich durch ihr sorgfältiges Deduktionsschema auszeichnet: D 4.8.23.1, 2 Ulp 13 ad ed (Pal. 18)214 Idem (sc. Celsus) ait, si iusserit me tibi dare et valetudine sis impeditus, quo minus accipias, aut alia iusta ex causa, Proculum existimare poenam non committi, nec si post kalendas te parato accipere non dem. sed ipse (Celsus) recte putat duo esse arbitri 213

So auch Cerami 151 f. Literatur: Frezza, Le garanzie delle obligazioni (1962) 343ff; Riccobono;>., Ann. Pal. 29 (1962) 253ff.; Ziegler, Das private Schiedsgericht im antiken römischen Recht (1971) 102f.; Voci, St. Volterra III (1971) 338f.; Knütel, Stipulatio poenae (1976) 109f., 214f.; Sturm, SZ 97 (1980) 426f.; Hausmaninger, FG v. Lübtow (1991) 58. 214

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Drittes Kapitel: Deduktion

praecepta, unum pecuniam dari, aliud intra kalendas dari: licet igitur in poenam non committas, quod intra calendas non dederis, quoniam per te non stetit, tarnen committis in eam partem, quod non das. (§ 2) Idem ait nihil aliud esse sententiae stare posse, quam id agere, quantum in ipso sit, ut arbitri pareatur sententiae.

I. Der Schiedsspruch eines privaten Schiedsrichters war selbständig nicht durchsetzbar. Seine Befolgung sicherten darum Strafstipulationen der Schiedsparteien, die bei Nichtbefolgung des iussum den Verfall der poena vorsahen. Ulpian zitiert Celsus mit dem Fall, daß der arbiter der einen Parteien befohlen hat, zum 1. September 215 an die andere Partei zu leisten, diese aber durch Krankheit oder ex alia iusta causa an der rechtzeitigen Annahme verhindert ist. Nach der von Celsus zitierten Auffassung des Proculus kann in diesem Fall die Strafe nicht mehr verfallen, also auch dann nicht, wenn nach Ablauf der Frist der Gläubiger zur Annahme bereit ist, nunmehr der Schuldner aber nicht mehr zur Leistung. II. Celsus stimmt Proculus darin zu, daß es nicht zu einem Strafverfall kommen darf, weil der Schuldner die Leistung nicht rechtzeitig erbracht hat; diese Nichtbeachtung des Schiedsrichterbefehls habe der Schuldner nicht zu vertreten. In § 2 definiert Celsus das in der Strafstipulation zur negativen Bedingung gemachte sententiae stare: der Adressat des iussum habe alles ihm Mögliche zu tun, um dem Spruch des Schiedsrichters zu genügen. Die von Proculus geforderten Ausnahmen vom Verfall der Strafstipulation berücksichtigt diese Definition durch das abstrakte Kriterium des dem Adressaten seinerseits Möglichen. Bereits Servius hat für den Fall einer vom Gläubiger zu vertretenden Annahmeverhinderung entschieden, daß die vom Schuldner versprochene Strafe nicht verfällt: D 4.8.40 Pomp 11 ex var lect: ... quemadmodum Servius ait, si per stipulatorem stet, quo minus accipiat, non committi poenam. 216

Nach Proculus soll das gleiche gelten, wenn der Gläubiger valitudine oder ex alia iusta causa an der Annahme der angebotenen Leistung gehindert ist. Diese Ausnahmen sind indessen nur erforderlich, wenn der Verfall der Strafe durch den objektiven Tatbestand bedingt ist, daß die befohlene Leistung nicht erfolgt 217 . Dagegen scheiden diese Fälle von vorneherein aus, wenn man mit Celsus das Vermögen des Schuldners in die Bedingung einbezieht un^d die Strafstipulation dahin auslegt, daß nur die vom Schuldner zu vertretende Nicht-

215

Dies ergibt sich schon aus dem Zusammenhang mit dem principium, wo es heißt, daß die Leistung intra kalendas Septembres erfolgen soll. 216 Vgl. die entsprechende Entscheidung des Servius zum Strafversprechen beim fenus nauticum, Ulp. D 22.2.8: Servius ait pecuniae traiecticiae poenam peti non posse, si per creditorem stetisset, quo minus eam intra certum tempus praestitututm accipiat. Dazu KnütellWi. 217 Vgl. Frezza 344ff., Riccobono jr. 254 und Knütel 212ff.

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§ 10 Normbildung durch Auslegung 218

erfüllung des iussum zum Verfall der poena führen soll . Auf diese Weise vermag Celsus die von Proculus vorgeschlagene Lösung deduktiv zu entwikkeln 2 1 9 . III. Celsus gibt der Entscheidung des Proculus aber nicht nur eine dogmatische Grundlage; er korrigiert sie auch im Ergebnis. Entgegen seinem Vorgänger im Vorstand ihrer Schule spricht er sich für einen Verfall der Strafe aus, wenn der Schuldner nach Wegfall der Annahmeverhinderung nicht leistet 220 . Er begründet dies aus dem Leistungsbefehl selbst: Das iussum, bis zum 1. September zu leisten, enthalte zwei Anordnungen, nämlich einmal den Befehl, die Leistung überhaupt zu erbringen, zum anderen den Befehl, innerhalb eines bestimmten Zeitraumes zu leisten. Wenn die Strafe auch wegen der zweiten Anordnung nicht verfalle, so verstoße der Schuldner durch seine spätere Untätigkeit doch gegen die erste Anordnung, nämlich überhaupt zu leisten. Celsus' Differenzierung ist keine begriffliche Spielerei, sondern eine sachgemäße Auslegung des Schiedsrichterbefehls: Der arbiter, der einen Leistungsbefehl erteilt, will in erster Linie, daß der Adressat die Leistung überhaupt erbringt. Mit der zusätzlichen Anordnung der Leistungszeit verfolgt er lediglich den Zweck, der anderen Partei eine übermäßige Wartezeit zu ersparen und ihr nach Ablauf einer zumutbaren Frist die Möglichkeit zu geben, aus der stipulatio poenae vorzugehen. IV. Celsus macht deutlich, daß er seine Entscheidung im Wege exakter Deduktion gewinnt. Durch Auslegung des Leistungsbefehls, dessen Nichtbeachtung die Bedingung der Strafstipulation ist, erhält er zwei getrennte Obersätze, 218

Auch Sabinus legt bei einer Strafstipulation einen subjektiven Haftungsmaßstab zugrunde, vgl. Papinian D 45.1.115.2: Item si quis ita stipuletur: si Pamphilum non dederis, centum dari spondes? ... Sabinus autem existimabat ... et tamdiu ex stipulatione non posse agi, quamdiu per promissorem non stetit, quo minus hominem daret ... . In der Frage der Nichtbeachtung eines Schiedsrichterbefehls entscheidet ebenso wie Celsus auch Afrikan D 44.7.23: ... nam et si arbiter ex compromisso pecuniam certo die dare iusserit neque per eum, qui dare iussus sit, steterit, non committi poenam respondit... ; dazu Knütel 216ff. 219 Anders freilich Sturm 426; nach seiner Meinung soll Celsus sich hier nur mit Ausnahmesituationen beschäftigen und ohne generalisierende Tendenz entscheiden. 220 Ausweislich des nachfolgenden § 3 gilt dies jedoch nicht im Fall der grundlosen Annahmeverweigerung: Idem Celsus ait, si arbiter me tibi certa die pecuniam dare iusserit, tu accipere noluisti, posse defendi ipso iure poenam non committi. Die Zurückhaltung, mit der Celsus seine Entscheidung vorträgt, ist erklärlich, wenn man annimmt, daß der Jurist anders als im Fall der unverschuldeten Annahmeverhinderung eine endgültige Befreiung des Schuldners von der Strafverpflichtung befürwortet. - Daß er hingegen bei unverschuldetem Annahmeverzug grundsätzlich nur eine exzeptionsweise Befreiung des Schuldners anerkannt hätte, ist angesichts seiner Definition des sententiae stare nicht wahrscheinlich: Wenn der Schuldner die nicht fristgemäße Erbringung der Leistung nicht zu vertreten hat, liegen bereits die in der Stipulation selbst genannten Voraussetzungen des Strafverfalls nicht vor und der Schuldner wird - zumindest zeitweilig - ipso iure befreit; vgl. auch Ziegler 102f. und Knütel 112, 119 im Anschluß an Frezza 346 und Riccobono jr. 308f.

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Drittes Kapitel: Deduktion

die als Rechtsfolge jeweils den Verfall der Strafe vorsehen. Während die Subsumtion in dem einen Fall scheitert, weil die Voraussetzung des Vertretenmüssens nicht vorliegt, läßt sich das Verhalten des Schuldners unter den Tatbestand des zweiten Obersatzes regelgerecht subsumieren, so daß die Strafe verfällt. Bemerkenswert ist schließlich, daß Celsus die beiden durch Auslegung gewonnenen Sätze als praecepta bezeichnet. Darin kommt zum Ausdruck, daß er dem durch Interpretation einer Norm erzielten Satz gleichfalls Normcharakter beimißt und ihn für den tauglichen Ausgangspunkt eines Subsumtionsschlusses hält.

§ 11 Systematische Gesetzesauslegung Auch bei der Anwendung der lex Aquilia macht Celsus das Auslegungsergebnis zum Obersatz eines Subsumtionsschlusses: I. D 9.2.27.13 U l p 18 ad ed (Pal. 261)221

Inquit lex 'ruperit'. rupisse verbum fere omnes veteres sie intellexerunt 'corruperit'.

Ulpian kommentiert das dritte Kapitel der lex Aquilia, nach dem der Eigentümer einer Sache die Zahlung einer poena verlangen kann, wenn diese durch ein widerrechtliches urere, frangere oder rumpere beschädigt worden ist. Laut Ulpian haben schon die republikanischen Juristen ganz überwiegend rumpere in einem weiten Sinn als corrumpere verstanden. 1. Was rumpere eigentlich bedeutet, erhellt § 17 desselben

Fragments222;

Rupisse eum utique aeeipiemus, qui vulneraverit, vel virgis vel loris vel pugnis cecidit, vel telo vel quo alio, ut scinderet alicui corpus, vel tumorem fecerit ...

Wenn jedenfalls derjenige ein rumpere begeht, der einem anderen eine blutige Wunde schlägt oder eine Geschwulst verursacht, so meint rumpere im eigentlichen Sinne das Aufreißen oder Zerreißen der Haut oder allgemeiner der Oberfläche einer Sache oder deren Aufbrechenlassen (tumorem facere). 2. Eine Erweiterung erfährt dieser Begriff in zwei überlieferten Entscheidungen der veteres , die zwei vergleichbare Sachverhalte b e t r e f f e n 2 2 3 : in dem einen

221 Literatur zu D 9.2.27.13-16: Pamploni , Bull. 3 (1890) 241ff.; Debray , RHDFE 33 (1909) 643-702; Levy , Die Konkurrenz der Aktionen und Personen I I . l (1922) 217ff.; Ferrini, Opere V (1930) 210ff.; Albanese, Ann. Pal. 21 (1950) 62ff. und 200f.; Fraenkel , SZ 67 (1950) 612ff.; Wesel, Rhetorische Statuslehre und Gesetzesauslegung (1967) 45ff.; v. Liibtow , Untersuchungen zur lex Aquilia (1971) 112ff. und 165ff.; Hausmaninger , St. Grosso V (1972) 265ff. und ANRW 11.15 (1976) 405f.; MacCormack , RIDA3 20 (1973) 34Iff. und SDHI 41 (1975) Iff.; Selb, St. Sanfilippo V (1984) 756f.; Cerami , Ann. Pal. 38 (1985) 125ff.; Nörr , Causa mortis (1986) 129ff.; Zimmermann , The Law of Obligations (1993) 984ff. 222 Hausmaninger 266, Völkl, Die Verfolgung der Körperverletzung im frühen römischen Recht (1984) 47 und Zimmermann 984.

§ 11 Systematische Gesetzesauslegung

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Fall wird eine schwangere Frau geschlagen, so daß sie eine Fehlgeburt erleidet; in dem anderen eine trächtige Stute so verjagt, daß sie ihr Fohlen verwirft. Brutus und Quintus Mucius gewähren dem Eigentümer die Klage aus der lex Aquilia, Brutus mit der Begründung quasi rupto 224, Mucius quia ruperat. Demnach genügte für die Annahme von rumpere bloßes Schlagen oder gewaltsames Vertreiben 2 2 5 , wenn dadurch ein Schaden hervorgerufen wurde. Eine körperliche Verletzung der geschlagenen Sklavin oder der vertriebenen Stute war nicht erforderlich. 3. W i r d in diesen Entscheidungen auch der herkömmliche Bedeutungsrahmen von rumpere verlassen 2 2 6 , so belegen sie noch nicht, daß die veteres das aquilische rumpere grundsätzlich mit corrumpere gleichgesetzt hätten 2 2 7 . Daß Ulpians Nachricht in D 9.2.27.13 gleichwohl zutreffen kann, zeigt die von Festus aus Verrius Flaccus De verborum significatione überlieferte Definition: RUPITIAS X I I significat damnum dederit 228 . Demnach wurde dem rumpere 229 der Z w ö l f t a f e l n 2 3 0 in augusteischer Zeit die allgemeine Bedeutung von 'Schadenszufügung' beigemessen. Da dieses Verständnis auf die republikanischen Juristen zurückgehen m u ß 2 3 1 , liegt es nahe, daß sie auch dem rumpere der lex Aquilia eine entsprechende Bedeutung zuerkannt haben. 223 Ulpian D 9.2.27.22: Si mulier pugno vel equa ictu a te percussa eiecerit, Brutus ait Aquilia teneri quasi rupto . Pomponius D 9.2.39pr.: Quintus Mucius scribit: equa cum in alieno pasceretur, in cogendo quod praegnas erat eiecit: quaerebatur, dominus eius possetne cum eo qui coegisset lege Aquilia agere, quia equam in iciendo ruperat. Si percussisset aut consulto vehementius egisset, visum est agere posse. 224 Die durch v. Lübtow , Lex Aquilia 112 geäußerte Vermutung, wonach Brutus bewußt über die Wortbedeutung von rumpere hinausging und eine Fiktion verwendete, ist angesichts des ulpianischen Gebrauchs von quasi keineswegs zwingend; man vergleiche nur die Formulierung quasi corruperit in D 47.2.3lpr. (41 ad Sab) angesichts der ausdrücklichen Subsumtion unter das Gesetz in dem entsprechenden Fall von D 47.2.27.3 (ebenfalls 41 ad Sab). 225 Zur Vereinbarkeit dieser Entscheidung des Quintus Mucius mit Neraz D 9.2.53. und Gai. Inst. 3.219 vgl. Nörr 132f. 226 Allenfalls in einem übertragenen Sinn ließe sich davon sprechen, daß der Körper der Frau bzw. der Stute durch die Fehlgeburt aufgerissen wird (so Nörr 130 und Zimmermann 984). Die eigentliche Tätigkeit des Schädigers erfüllt diese Qualifikation jedenfalls nicht. 227 Fraenkel 612, Hausmaninger, Studi Grosso V 266 sowie MacCormack , SDHI 41, 5. 228 265 M = Lindsay (1930) 370. 229 RUPITIAS ist nach OLD ein altertümlicher Akkusativ Plural. Oft wird RUPTIAS allerdings für korrupt gehalten; Konjektionen u.a. bei C. O. Müller in seiner Edition (1829) 264; Lindsay (1930) 370; Bruns , Fontes7 30. 230 Zum möglichen Kontext ausführlich Völkl, RIDA3 24 (1977) 469ff. 231 Dafür spricht auch Servius Sulpicius Erklärung der Zwölftafel Wortes SARCITO (322 M = Lindsay , 430), das mit RUPITIAS zu X I I T. 8.5 zusammengefaßt wird: Bruns a. a. O.

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Drittes Kapitel: Deduktion

II. Nicht zu belegen ist hingegen, daß die republikanischen Juristen zur Interpretation von rumpere bereits den Terminus corrumpere verwendeten. Dieser findet sich vielmehr erst bei Celsus 232 , den Ulpian in demselben Fragment zitiert: D 9.2.27.15 Ulp 18 ad ed (Pal. 261) Cum eo plane, qui vinum spurcavit vel effudit vel acetum fecit vel alio modo vitiavit, agi posse Aquilia Celsus ait, quia etiam effusum et acetum factum corrupti appellatione continentur.

Wer Wein verunreinigte, ausgoß oder verdarb, haftet nach Celsus aus der lex Aquilia. Seine Begründung: auch effundere 233 und acetum facere fallen unter corrumpere 234. 1. Diese Entscheidung macht deutlich, was die Interpretation von rumpere im Sinne von corrumpere leistet: Für die Haftung aus der lex Aquilia kommt es nicht mehr auf die Art der schädigenden Handlung an; statt des spezifischen Zeroder Aufreißens genügt ein vitiare. Entscheidend ist allein die Wirkung auf den Gegenstand, der corruptus , d.h. in seinem Zustand verschlechtert oder in seinem Wert vermindert sein muß. Auf diese Weise unterliegt jede Sachbeschädigung unabhängig von ihrer Begehungsweise der aquilischen Haftung 235 ; und es besteht eine Sanktion auch für die Beschädigung solcher Sachen, die wie z. B. Wein einem urere, frangere oder rumpere im eigentlichen Sinne gar nicht zugänglich sind 2 3 6 . 2. In seiner Begründung greift Celsus nicht auf den Gesetzeswortlaut zurück, sondern er subsumiert unmittelbar unter den Begriff corrumpere. Diese durch Auslegung ermittelte Formel rückt an die Stelle der gesetzlichen Vorschrift und 232 Deshalb halten Hausmaninger, Studi Grosso V 266 und MacCormack, SDHI 41, 7, 9 Celsus für den Urheber dieser Interpretation. - Die Gleichsetzung von rumpere und corrumpere findet sich auch bei Julian D 9.2.42 und Gaius Inst. 3.127. 233 Anders entscheidet in einem ähnlichen Fall Labeo bei Ulpian D 9.2.27.35: Item si tectori locaveris laccum vino plenum curandam et ille eum pertudit, ut vinum sit effusum, Labeo scribit in factum agendum. Hier allerdings besteht ein bloß mittelbarer Kausalzusammenhang zwischen der Handlung des Schädigers (pertundere ) und dem schädigenden Ereignis 0effundere ); vgl. auch v. Lübtow 114, Käser , RP 12 (1971) 621f. N.33 und Zimmermann 985; anders Cerami 147 N.271. 234 Albanese 61 f. und 201 hält nur die Sachverhaltsvariante des acetum facere für echt. Zur Begründung stützt er sich aber auf die gar nicht von Celsus stammende ratio decidendi des vorangehenden § 14, vgl. unten IV 2; gegen Albanese auch MacCormack , SDHI 41, 6 und Cerami 146, die sich aber gleichfalls auf die genannte Begründung berufen. 235 Darum wird rumpere vor allem dann als corrumpere interpretiert, wenn es um die Fälschung oder Unterdrückung einer Urkunde durch interlinere geht; vgl. Julian D 9.2.42: ... legis quoque Aquiliae actio ex eadem causa competit: corrupisse enim tabulas recte dicitur et qui eas interleverit ; Ulpian D 47.2.27.3: Sed si quis non amovit huiusmodi instrumenta, sed interlevit, non tantum furti actio locum habet, verum etiam legis Aquiliae: nam rupisse videtur qui corrupit. 236 Diesen Umstand heben besonders MacCormack , SDHI 41, 6 und Cerami 144 hervor.

§ 11 Systematische Gesetzesauslegung

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erhält, ähnlich wie die praecepta in dem Fragment Pal. 18; den Charakter einer Norm 2 3 7 . III. Von den einzelnen bei der Auslegung des Gesetzes notwendigen Schritten teilt Ulpian im folgenden § 16 lediglich eine der von Celsus angestellten Erwägungen mit: Et non negat fractum et ustum contineri corrupti appellatione, sed non esse novum, ut lex specialiter quibusdam enumeratis generale subiciat verbum, quo specialia complectatur: quae sententia vera est.

1. Celsus reagiert auf einen Einwand gegen die Deutung des rumpere als corrumpere : er räumt ein, daß die speziellen Schädigungshandlungen urere und frangere im umfassenden Tatbestand des corrumpere enthalten und damit strenggenommen überflüssig sind 238 . Obwohl also der Gesetzgeber auf ihre Normierung hätte verzichten können 239 , gibt es doch keinen Widerspruch zwischen den einzelnen Bestimmungen des Gesetzes, wenn man rumpere im Sinne von corrumpere als Generalklausel und urere und frangere als Spezialtatbestände versteht. Nach Celsus ist es eine bekannte Gesetzestechnik, zunächst spezielle Tatbestände aufzuzählen, die in einer anschließenden Generalklausel enthalten sind. Auf die gleiche Weise ordnet Paulus das Verhältnis der Körperverletzungstatbestände der X I I Tafeln: Coli. 2.5.5 Paul lib sing de iniuriis Iniuriarum actio aut legitima est aut honoraria. legitima ex lege duodecim tabularum: 'qui iniuriam alteri facit, quinque et viginti sestertiorum poenam subito', quae lex generalis fuit: fuerunt et speciales, velut illa: *si os fregit libero, CCC, si servo, CL poenam subito sestertiorum'.

Nach Aussage des Spätklassikers stellt der Tatbestand der iniuria (tab. 8.4) die Generalklausel dar, während die Bestimmungen zu membrum rumpere (tab. 8.2) und os frangere (tab. 8.3) Spezialtatbestände sind 240 . Anders als bei der lex

237 Die eben aus diesem Grund geäußerten Interpolationsvermutungen von Fraenkel 612ff. und v. Lübtow , Lex Aquilia 113 N.140 sind nicht überzeugend; dagegen auch Hausmaninger , St. Grosso V 266. 238 Vgl Wesel 47, v. Lübtow, Lex Aquilia 112, Hausmaninger , St. Grosso V 266 sowie MacCormack, SDHI 41, 7. 239

So ausdrücklich Gaius Inst. 3.217: ... si quid enim ustum aut ruptum aut fractum fuerit, actio hoc capite constituitur, quamquam potuerit sola rupti appellatio in omnes istas causas sufßcere; ruptum enim intellegitur, quod quoquo modo corruptum est... 240 Ob damit tatsächlich der Rechtszustand der X I I Tafeln wiedergegeben wird, ist umstritten: bejahend v. Lübtow , Labeo 15 (1969) 135f. und teilweise Völkl , Die Verfolgung der Körperverletzung im frühen römischen Recht (1984) 196ff., der zwar ein Spezialitätsverhältnis von os frangere zu iniuria annimmt, diese beiden Tatbestände ihrerseits aber für Ausnahmen vom älteren Talionsprinzip bei der Ahndung des membrum rumpere hält. - Für ein Nebeneinander der drei Tatbestände sind dagegen Pugliese , Studi sull iniuria I (1941) 5ff., Simon , SZ 82 (1965) 134f., Käser , RP 12 (1971) 157 und Wittmann ,

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Drittes Kapitel: Deduktion

Aquilia geht es hier aber nicht bloß um appelationes speciales , sondern um leges specialis , die auch eine von der Generalklausel abweichende Rechtsfolge vorsehen. Das Ordnungsprinzip specialis/generalis , das Paulus auf das ältere Zwölftafelgesetz anwendet, entspricht jedoch dem, welches Celsus zur Interpretation der lex Aquilia heranzieht. 2. Celsus entgeht damit dem Vorwurf, einer eigens aufgestellten Maxime der Gesetzesauslegung nicht gerecht zu werden: D 1.3.24 Cels 9 dig (Pal. 86) Incivile est nisi tota lege perspecta una aliqua particula eius proposita iudicare vel respondere. 241

Daran gemessen, wäre es unzulässig, nur nach der 'particula ' rumpere zu entscheiden, ohne die 'tota lex ' Aquilia zu beachten. Die von Celsus befürwortete Deutung als corrumpere ist erst dann akzeptabel, wenn sie nicht im Widerspruch zu den anderen Bestimmungen urere und frängere steht. 3. Celsus' Argumentation bewegt sich damit im Rahmen dessen, was heute als systematische Auslegung im eigentlichen Sinn gilt: Es geht nicht darum, den Wortsinn einer gesetzlichen Bestimmung aus dem Zusammenhang der sie umgebenden Vorschriften zu gewinnen - in diesem Fall würde die Auslegung nach dem Kontext lediglich als Hilfsmittel zur Auslegung nach dem Wortsinn eingesetzt 242 . Vielmehr wird eine Vorschrift, deren Wortsinn der Jurist als bekannt voraussetzt, auf die sachliche Vereinbarkeit mit den übrigen Bestimmungen des Gesetzes geprüft und so ausgelegt, daß keine Widersprüche entstehen. Nur in dieser Funktion erlangt die systematische Auslegung eigenständige Bedeutung 2 4 3 . 4. Wie Celsus die Bedeutung von rumpere als corrumpere ermittelt hat, ist dem Ulpian-Fragment nicht zu entnehmen. Der Jurist kann diese Deutung jedenfalls nicht dem allgemeinen Sprachgebrauch seiner Zeit entnommen haben. Danach haben rumpere und corrumpere verschiedene Bedeutungen. Celsus muß daher von einem besonderen Sprachgebrauch des Gesetzes ausgegangen sein. Freilich konnte er dem Gesetzgeber nicht die vornehmlich in der

Die Körperverletzung an Freien (1972) l l f . Wiederum anders Birks , TR 37 (1969) 188ff. und 207, der die imiina-Bestimmung für einen Teil der Regelung des osfrangere hält. 241 Entgegen Betti , FS Rabel I I (1951) 101f. ging es Celsus an dieser Stelle ursprünglich nicht um die Auslegung eines Vertrages. Zwar kann lex auch eine Vertragsklausel bezeichnen; tota lex kann aber nicht das Vertragsganze meinen; vgl. Hausmaninger , St. Grosso V 251; vorsichtiger dagegen Vonglis , La lettre et l'esprit de la loi (1969) 115. Nach dem palingenetisehen Zusammenhang gehört das Fragment in den Kontext der actio rei uxoriae. Einschlägig sind in diesem Rahmen beispielsweise die lex Iulia de fundo dotali und die lex Iulia et Papia, vgl. Wesel 136 N.13 und Cerami 104ff., der die Aussage des Celsus spekulativ auf einen konkreten Fall beziehen will. 242 Vgl. Koch/Rüssmann y Juristische Begründungslehre (1982) 167; ähnlich die Unterscheidung bei Larenzy Methodenlehre der Rechtswissenschaft 6 (1991) 324f. 243 Koch /Rüssmann a.a.O.

§ 11 Systematische Gesetzesauslegung

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Dichtung verwendete Stilfigur des simple)t statt compositum unterstellen. Wahrscheinlicher ist, daß der Jurist bei dem hohen Alter der lex A q u i l i a m i t einer Veränderung des Sprachgebrauchs rechnete: Corrumpere erscheint zwar s c h o n 2 4 4 bei Plautus 2 4 5 . Gleichwohl könnte Celsus angenommen haben, daß rumpere ursprünglich eine weitere Bedeutung hatte und diese später an das Kompositum abgegeben h a t 2 4 6 . Die Definition von R U P I T I A S bei Festus lehrt, daß die Juristen auch für das rumpere der X I I Tafeln von einer weiten Bedeutung ausgingen. I V . Es bleibt zu untersuchen, warum Celsus sein Ergebnis durch Auslegung der lex A q u i l i a und damit deduktiv zu erreichen sucht. Stattdessen hätte er wie in den Fällen bloß mittelbarer Schadensverursachung 247 eine actio in factum nach dem V o r b i l d der gesetzlichen Haftung gewähren k ö n n e n 2 4 8 . W a r u m der Jurist diesen W e g nicht gegangen ist, beantwortet § 14 des Ulpian-Fragments: Et ideo Celsus quaerit, si lolium aut avenam in segetem alienam inieceris, quo eam tu inquinares, non solum quod vi aut clam dominum posse agere vel, si locatus fundus sit, colonum, sed et in factum agendum, et si colonus eam exercuit, cavere eum debere amplius non agi, scilicet ne dominus amplius inquietet: nam alia quaedam species damni est ipsum quid corrumpere et mutare, ut lex Aquilia locum habeat, alia nulla ipsius mutatione applicare aliud, cuius molesta separatio sit. 1. Jemand hat Samen von (schädlichem) Schindelhafer oder taubem Hafer in fremde Saat geworfen. Celsus erörtert die Klagemöglichkeiten des Grundtückseigentümers und des Pächters. Für unseren Zusammenhang sind nur die Rechte des Eigentümers von Interesse 2 4 9 : er kann gegen den Schädiger mit dem 244

Vgl. Walde-Hofinann , Lateinisches Etymologisches Wörterbuch3 (1954) 451. Amph. 1058. 246 Der von Wesel 48 erhobene Vorwurf einer Gesetzeskorrektur erscheint mir daher voreilig. 247 Vgl. D 9.2.7.6 (Pal. 253) zur mittelbaren Tötung und vielleicht auch Coli. 12.7.5 zum mittelbar verursachten Brand eines Hauses; dazu oben § 9 III. 248 Einen Widerspruch in der Vorgehensweise sieht darin Zimmermann 985. 249 Die Erwähnung des Pächters wird häufig für eine Interpolation gehalten, vgl. Pamploni 242ff.; Levy 219f. und v. Lübtow , Lex Aquilia 166. An der Zulassung zum interdictum quod vi aut clam ist jedoch sachlich nichts auszusetzen; es steht jedem zu, der ein Interesse daran hat, daß die Veränderung des Grundstücks unterblieben wäre, vgl. JulianUlp D 43.24.11.14 und Paulus fr.löpr. sowie dazu Cerami 138. Unwahrscheinlich ist dagegen, daß Celsus dem Pächter auch eine actio in factum nach dem Vorbild der aquilischen Klage gewährt hat. Neben dem Sonderfall des Pfandgläubigers wäre dies der einzige Beleg dafür, daß ein bloß schuldrechtlich Berechtigter eine Strafklage wegen Sachbeschädigung erheben könnte. Daher ist anzunehmen, daß sich der Zusatz vel , si locatus fundus sit, colonum als Parenthese nur auf das Vorangehende, nicht aber auf den Schluß des Satzes bezieht, vgl. Ferrini 214; anders Debray 665ff. und Cerami 138f. Wenn es im folgenden heißt: et si colonus eam exercuit, cavere eum debere amplius non agi , so könnte damit gemeint sein, daß der Pächter die ihm aufgrund des Pachtvertrages abgetretene actio in factum des Eigentümers als procurator in rem suam geltend macht (so MacCormack , RIDA3 20, 348). Gerade in diesem Fall ist die von Celsus geforderte cautio amplius non agi zu leisten, um sicherzustellen, daß der Beklagte nicht erneut vom Inhaber des Klagrechts in Anspruch genommen wird, vgl. Käser , RZ (1966) 209f. - Un245

5 Harke

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Drittes Kapitel: Deduktion

interdictum quod vi aut clam vorgehen; darüber hinaus sei ihm aber eine actio in factum zu gewähren. Nur auf diesen Teil der Entscheidung bezieht sich der spätere nam-Satz. Er begründet nicht die Klagemöglichkeit, sondern führt nur aus, warum nicht die actio legis Aquiliae directa in Betracht kommt: sie erfordere eine corruptio oder mutatio der Sache selbst; ihr etwas hinzuzufügen, dessen Trennung beschwerlich ist, reiche nicht aus. 2. Es erscheint zweifelhaft, ob diese Begründung, die nicht mehr in indirekter Rede steht, auf Celsus zurückgeht 250 . Denn schon die Urheberschaft Ulpians ist fraglich. Zwar ist die Begründung durchaus nicht falsch: durch das Auswerfen des Hafers ist die Saat nicht in ihrer Substanz betroffen; der Schaden stellt sich erst dadurch ein, daß die Frucht vom Hafer getrennt werden muß. Dies steht aber in Widerspruch zu der Entscheidung in § 20 desselben Ulpian-Fragments 251 : Item si quis frumento harenam vel aliud quid immiscuit, ut difficilis separatio sit, quasi de corrupto agi poterit.

Die bloße Vermischung von Sand und Getreide reicht aus, um dem Eigentümer des Getreides die Klage quasi de corrupto zu gewähren. Damit ist nicht etwa eine actio in factum nach dem Vorbild der gesetzlichen Klage gemeint 252 : Auch in D 10.2.16.5 und D 47.2.3lpr. spricht Ulpian von quasi corrumpere , bezeichnet die gewährte Klage aber eindeutig als actio legis Aquiliae oder mit dem technischen Ausdruck damnum iniuria datum. Zudem fügt sich die Begründung gleich in zweifacher Weise nicht in die Gedankenführung des Textes ein: Einerseits steht sie nicht an der Stelle, wo ihr Platz sein müßte, nämlich unmittelbar im Anschluß an die Gewährung der actio in factum ; stattdessen ist sie unglücklich hinter die Erörterung einer cautio amplius non agi durch den Pächter angehängt. Zum anderen paßt sie auch nicht zu Celsus' Frage, so wie sie von Ulpian wiedergegeben wird: danach erwägt der Hochklassiker die Gewährung der gesetzlichen actio directa erst gar nicht, sondern zieht von vornherein nur die actio in factum in Betracht. 3. Welches der Grund für die Haltung des Celsus war, wissen wir nicht. Denn wir kennen nicht seine Entscheidung zu dem in § 20 geschilderten Fall. Für Ulpian kann der Unterschied zwischen beiden Fallgestaltungen nur in der Mittelbarkeit oder Unmittelbarkeit der Schadensverursachung gelegen haben: So begründet sind dagegen die Interpolationsannahmen von Pamploni 234f., Eisele , SZ 13 (1892) 136, Ferrini 214, Levy 220f. und Cerami 136: auch in Ulp D 9.2.11.9 wird das Pronomen eam verwendet, ohne daß das Substantiv actio zuvor ausdrücklich genannt worden wäre. 250 Anders, aber grundlos Cerami 128; vorsichtiger MacCormack , RIDA3 20, 343 und SDHI 41, 6. 251 Albanese 203f. und Hausmaninger 268 ziehen daraus freilich den entgegengesetzten Schluß und halten § 20 für interpoliert. 252 So Völkl , Die Verfolgung der Körperverletzung im frühen römischen Recht (1984) 46 N.25.

§ 12 Teleologische Gesetzesauslegung

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wie die bloß mittelbare Verursachung des Todes keine actio directa nach dem ersten Kapitel der lex Aquilia zu rechtfertigen vermag, kann es für die Gewährung der Klage aus dem dritten Kapitel gleichfalls nicht genügen, wenn die Vermischung und damit die corruptio erst dadurch eintreten, daß Frucht und ausgestreuter Hafer herangereift sind und geerntet werden 253 . 4. Doch hängt auch die von Celsus und Ulpian befürwortete Gewährung der actio in factum von der Interpretation der lex Aquilia ab. Ulpian hat das CelsusZitat mit et ideo eingeleitet, d.h. die Entscheidung ist eine Konsequenz aus der in § 1 3 dargestellten Auslegung des aquilischen rumpere als corrumpere. Nach Celsus' und Ulpians Auffassung ist die Gewährung der actio in factum also nur möglich, wenn sich für das mittelbar schädigende Verhalten ein zumindest vergleichbarer Tatbestand im Gesetz finden läßt. Da die Verunreinigung der Saat mit anderem Samen weder einem urere , frangere noch rumpere im eigentlichen Sinn ähnlich ist, kann auch die analoge actio in factum erst in Betracht kommen, wenn man dem Gesetz eine umfassende Haftung für corrumpere entnimmt 254 . Mithin hat Celsus die Normen keineswegs nur als bloße Fallösungsmodelle aufgefaßt, wie Cerami annimmt 255 . Vielmehr hat er selbst im Bereich der prätorischen Ersatzklagen nicht losgelöst vom Gesetz entschieden, sondern auch in diesem Rahmen den gesetzlichen Vorgaben Rechnung getragen.

§ 12 Teleologische Gesetzesauslegung I. Den Untersuchungen von Vonglis 2 5 6 und Medicus 257 zufolge scheint die römische Jurisprudenz einer historischen Methode der Gesetzesauslegung ferngestanden zu haben. Nach den übereinstimmenden Ergebnissen dieser Studien beziehen sich die Juristen, wo sie teleologisch argumentieren, in der Regel auf die objektive ratio , den vernünftigen Grund des Gesetzes258; nur in Ausnahmefällen werde die Absicht des Gesetzgebers erwogen 259 . 253 Daß hier ein Fall mittelbarer Schadensverursachung vorliegt, glauben auch v. Lübtow 166 und Käser , RP12 (1971) 621 f. mit N.27. 254 Daher kann die gewährte Klage auch keine actio in factum sui generis sein, wie Cerami 131 ff . glaubt. Wegen der Anknüpfung an die Interpretation des Gesetzes wird man vielmehr mit Pamploni 243, Albanese 63ff. und Selb 757 davon ausgehen müssen, daß eine actio in factum ad exemplum legis Aquiliae vorliegt, deren Formel an die der gesetzlichen Klage angelehnt ist (vgl. hierzu Lenel, EP3 (1927) 204f.). Anstelle des aquilischen rumpere könnte die actio in factum auf corrumpere gelautet haben. 255 Vgl. zu diesem Fragment a.a.O. 122, 142. Über die Verbindung zum vorangehenden § 13 geht Cerami dabei einfach hinweg. 256 La lettre et Tesprit de la loi (1968), vgl. insbesondere S.180. 257 Studien zum römischen Recht (FS Käser 1973) 57ff., insbesondere 77ff. 258 Vonglis a.a.O. 259 Ein Beispiel bietet das Sabinus-Zitat bei Gaius Inst. 3.218, wo der Jurist über das Redaktionsverhalten des Gesetzgebers der lex Aquilia spekuliert, vgl. dazu Medicus a.a.O. 66ff.

5'

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Drittes Kapitel: Deduktion

Anders sieht dies für Celsus Hausmaninger 260: er nämlich findet im Werk unseres Juristen zahlreiche Spuren und Relikte einer historischen Methode der Gesetzesauslegung. Diese Beobachtung hält der Nachprüfung jedoch weithin nicht stand. Zwei der von Hausmaninger angegebenen Belegstellen haben wir schon untersucht. Bei D 9.2.13.2 (Pal. 255) 2 6 1 sahen wir, daß Celsus trotz der Formulierung legem ... voluisse lediglich den objektiven Inhalt des Gesetzes wiedergibt 262 . Ebensowenig läßt sich aus D 9.2.27.16 (Pal. 261 ) 2 6 3 auf eine subjektivteleologische Methode der Gesetzesauslegung schließen. Denn die systematische Auslegung eines Gesetzes orientiert sich nicht am wirklichen Willen des historischen Gesetzgebers. Das Gebot der Widerspruchsfreiheit miteinander in Zusammenhang stehender Normen ist eine Vernunftprämisse, die an das Regelungswerk herangetragen wird 2 6 4 . 1. Für eine historische Methode der Gesetzesauslegung kann auch nicht der berühmte Satz in Anspruch genommen werden: D 1.3.17 Cels 26 dig (Pal. 219) Scire leges non hoc est verba earum tenere, sed vim ac potestatem.

Obwohl der Text aus dem Titel de stipulationibus stammt, ist es unwahrscheinlich, daß er auf eine Vertragsklausel gemünzt war 2 6 5 . Klauseln der stipulatio werden nicht leges , sondern clausulae genannt 266 ; und als Gegenstand der scientia sind nicht konkrete Willenserklärungen, sondern nur generelle Normen denkbar 267 . Indessen ist schon zweifelhaft, ob sich Celsus mit diesem Satz überhaupt zu einer Auslegungsfrage geäußert hat. Im juristischen Sprachgebrauch bezeichnet das Begriffspaar vis ac potestas die Geltungskraft oder Wirkung eines Rechtsin-

260

St. Grosso V (1972) 245ff. und ANRW 11.15 (1976) 403ff. Dazu Hausmaninger , St. Grosso V 264f., und bereits SZ 85 (1968) 485. 262 Vgl. oben § 4 II, insbesondere N.9. 263 Dazu Hausmaninger , St. Grosso V 267 und ANRW 11.15, 406. Ähnlich Cerami, Ann. Pal. 38 (1985) 147. 264 Vgl. Koch/Riissmann , Juristische Begründungslehre (1982) 167, die diese Auslegungsmethode deshalb ablehnen. 265 Anders Betti , FS Rabel II (1954) 95. 266 Albanese, Ann. Pal. 34 (1973) 140f., Cerami , Ann. Pal. 38 (1985) 102. 267 Albanese a.a.O. 142, Cerami a.a.O.; ähnlich Hausmaninger , Studi Grosso V 247. Reine Spekulation bleibt dagegen die von Wesel , Rhetorische Statuslehre und Gesetzesauslegung (1967) 136 und Albanese 147 geäußerte Vermutung, wonach der Text ursprünglich zu einer allgemeinen praefatio vor dem zweiten (Gesetzes-)Teil der celsinischen Digesten gehörte. Dieser beginnt nämlich erst mit dem 28. Buch, vgl. Lenel, Pal. I (1889) Sp.163 N.6, so daß zusätzlich die Annahme einer Veränderung der Inskription nötig ist. Letzteres erscheint jedoch keineswegs zwingend, zumal der Jurist auch anläßlich der Behandlung von Stipulationsverpflichtungen auf einschlägige Gesetze zu sprechen kommen konnte; vgl. auch Hausmaninger 247f und Cerami 103. 261

§1

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268

stituts . Darum läßt sich die Parömie wohl eher als pädagogischer Anruf deuten, die praktischen Konsequenzen einer gesetzlichen Bestimmung zu bedenken. Versteht man den Satz dagegen als Maxime einer Auslegungslehre, so kann mit vis ac potestas jedenfalls nicht die subjektive Vorstellung des historischen Gesetzgebers gemeint sein 269 . Der Jurist könnte mit diesen Begriffen höchstens auf den objektiven Sinngehalt des Gesetzes anspielen 270 . 2. Um den objektiven Sinngehalt des Gesetzes geht es tatsächlich in D 1.3.19 Cels 33 dig (Pal. 246): In ambigua voce legis ea potius accipienda est significatio, quae vitio caret, praesertim cum etiam voluntas legis ex hoc colligi possit.

Im 33. Buch seiner Digesten behandelte Celsus die lex Iulia et Papia 271 . In diesem Rahmen also weist er darauf hin, daß bei doppeldeutigem Gesetzeswortlaut diejenige significatio den Vorzug verdient, die frei von Fehlern ist. Ob der Jurist mit Vitium unzuträgliche praktische Auswirkungen meint oder an rechtssystematische Probleme, insbesondere die Inkonsistenz mit anderen Normen, denkt, läßt sich ohne Kenntnis des konkreten Zusammenhangs nicht entscheiden 272 . Jedenfalls ist vitio carere ein objektives Kriterium. Daher kann auch die auf diese Weise zu ermittelnde voluntas legis nur der 'Wille des Gesetzes' selbst, sein vernünftiger Grund und Sinngehalt, sein. Ob die Vermeidung von vitia auch der Absicht des historischen Gesetzgebers entsprach, bliebe dagegen eine wenig sachgemäße Spekulation. Hausmaningers Vermutung, der Nachsatz {praesertim ... possit) könne interpoliert sein 273 , ist nicht überzeugend. Sie basiert letzten Endes auf der unbewiesenen Voraussetzung, Celsus habe unter voluntas legis immer den Willen des historischen Gesetzgebers verstanden 274.

268 Vgl. beispielsweise Gaius Inst. 4.144 (zum interdictum quorum bonorum ), Inst. 4.166 (zu einer prätorischen Stipulation) und D 9.4.1 (zu den actiones noxales) sowie die Übersichten bei Kubier , SZ 59 (1939) 566 und Kollatz , Vis ac potestas (1963) 28ff. 269 Zweifelnd daher auch Hausmaninger in: Studi Grosso V 252; anders aber schon in: ANRW 11.15,405. 270 So Coing , Gesammelte Aufsätze I (1982) 223f. und Kollatz a.a.O. 39, 221 f. 271 Vgl. LeneU Pal. I (1889) Sp.164. 272 Der von Daube, SZ'76 (1959) 193f., Vonglis , La lettre et l'esprit de la loi (1968) 79 und Cerami , Ann. Pal. 38 (1985) 110f. angenommene Bezug auf das ius librorum ist ohne konkreten Anhalt und darum rein spekulativer Natur, zumal ein solcher Zusammenhang auch für das aus dem gleichen Buch stammende Fragment D 50.17.191 (Pal. 247) keineswegs gesichert ist, sondern allenfalls eine plausible Vermutung darstellt; vgl. Lenel a.a.O. N.8. - Vorsichtiger ist Hausmaninger , St. Grosso V 254ff., der zwar an eine konkrete Fallpolemik denkt, sich aber hinsichtlich der Bedeutung von vitium nicht festlegen will. 273 St. Grosso V 255f. 274 Nicht überzeugend ist auch die Argumentation von Daube a.a.O. 194, der zwar ein kompilatorisches Motiv für die Anfügung des Nachsatzes anzugeben weiß, aber nicht dartut, warum der Passus nicht klassisch sein kann. Zurückhaltender daher Vonglis a.a.O.

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Drittes Kapitel: Deduktion

3. Das aber ist unbezweifelbar nur der Fall in dem von Hausmaninger 2 7 5 gleichsam als Kardinalstelle angeführten Fragment D 1.3.18 Cels 29 dig (Pal. 238) 2 7 6 : Benignius leges interpraetandae sunt, quo voluntas earum conservetur. W i e sich soeben ergeben hat, läßt sich aus der Verwendung des Begriffs voluntas legis noch nicht auf eine subjektiv-teleologische Methode der Gesetzesauslegung schließen 2 7 7 . Entscheidend ist vielmehr das Verb conservan : Während die objektive ratio eines Gesetzes zeitlos ist, kann mit einer über die Zeit zu bewahrenden voluntas legis nur die Absicht des historischen Gesetzgebers gemeint sein. II. E i n konkretes Beispiel für die Berücksichtigung der M o t i v e des Gesetzgebers bietet das Celsus-Zitat 2 7 8 in D 9.4.2pr., 1 Ulp 18 ad ed (Pal. 258) 2 7 9 Si servus sciente domino occidit, in solidum dominum obligat, ipse enim videtur dominus occidisse: si autem insciente, noxalis est, nec enim debuit ex maleficio servi in plus teneri, quam ut noxae eum dedat. (§ 1) Is qui non prohibuit, sive dominus manet sive desiit esse dominus, hac actione tenetur: sufficit enim, si eo tempore dominus, quo non prohibeat, fuit, in tantum, ut Celsus putet, si fuerit alienatus servus in totum vel in partem vel manumissus, noxam caput non sequi: nam servum nihil deliquisse, qui domino iubenti obtemperavit. et sane si iussit, potest hoc dici: si autem non prohibuit, quemadmodum factum servi excusabimus? Celsus tarnen differentiam facit inter legem Aquiliam et legem duodecim tabularum: nam in lege antiqua, si servus sciente domino furtum fecit vel aliam noxam commisit, servi nomine actio est noxalis nec dominus suo nomine tenetur, at in lege Aquilia, inquit, dominus suo nomine tenetur, non servi. utriusque legis reddit rationem, duodecim tabularum, quasi voluerit servos dominis in hac re non obtemperare, Aquiliae, quasi ignoverit servo, qui domino paruit, periturus si non fecisset. 1. Der Eigentümer, mit dessen Wissen der Sklave die U n t a t 2 8 0 begangen hatte, haftete aus der lex A q u i l i a uneingeschränkt, nämlich selbst und in solidum 281,

77f. - Für klassisch hält den Hinweises auf die voluntas legis dagegen Scarano Ussani , Valore e storia (1979) 189. 275 Vgl. St. Grosso V 256ff. und ANRW 11.15,404. 276 Näheres zu diesem Text unten § 22 II. 277 Dagegen grundsätzlich auch Medicus , Studien zum römischen Recht (FS Käser 1973) 65. 278 Von Hausmaninger , St. Grosso V 263, ANRW 11.15, 405, leider nur unzureichend gewürdigt. 279 Literatur: Lévy-Bruhl , Nouvelles Recherches sur le très ancien droit romain (1947) 130ff. ; Albanese, Bull. 70 (1967) 126ff.; v. Liibtow , Untersuchungen zur lex Aquilia (1971) 41 ff.; Nehlsen , Sklavenrecht zwischen Antike und Mittelalter (1972) 76ff.; Casavola , ANRW II. 15 (1976) 150ff. = Giuristi Adreanei (1980) 33ff.; Falchi , Ricerche sulla legitimazione passiva alle azioni nossali (1976) 79ff.; Tilli , Labeo 23 (1977) 17ff., Scarano Ussani , Valore e storia (1979)127ff.; Benöhr , SZ 97 (1980) 275ff.; Cerami , Ann. Pal. 35 (1985) 71 ff. ; Behrends , in: Nomos und Gesetz (1995) 160f. N.64.

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und nicht nur noxal: er konnte sich nicht durch Auslieferung des Sklaven von der Haftung befreien, und wenn er ihn veräußerte oder freigab, haftete er auch weiterhin. Darin stimmt Ulpian mit Celsus überein. Gegen Celsus bezweifelt er aber, daß der Sklave auch dann entlastet werden soll, wenn er die Untat zwar mit Wissen seines Eigentümers, aber nicht auf dessen Befehl, sondern aus eigenem Antrieb begangen hat und sein Herr sie lediglich nicht verhindert hat. Wie der Fortgang der Stelle zeigt, hält Ulpian es für richtig, daß in diesem Fall dem Geschädigten zusätzlich die Noxalklage gewährt wird, die bei einer Veräußerung dem Sklaven folgt und sich bei der Freilassung gegen diesen selbst richtet. Auf diese Lösung zielt Ulpians Einwurf: et sane si iussit, potest hoc dici: si autem non prohibuit , quemadmodum factum servi excusabimus? Celsus schloß bei der scientia des Eigentümers eine zusätzliche Noxalhaftung aus. Er berief sich dafür auf eine grundlegende Änderung des älteren Rechtszustandes durch die lex Aquilia: während nach Zwölftafelrecht der dominus sciens für die Untat seines Sklaven immer nur mit einer actio noxalis habe belangt werden können, hafte er nach der lex Aquilia nicht mehr servi , sondern stets nur suo nomine; eine zusätzliche Noxalklage komme darum nicht in Betracht. 2. Das Verständnis des Textes erschwert die Argumentation, mit der Celsus zitiert wird; sie scheint nicht konsistent zu sein. Die privilegierende Noxalhaftung schloß Celsus für den dominus sciens mit der Begründung aus, daß der Sklave, qui domino iubenti obtemperavit , nichts verbrochen habe. Die scientia des dominus ist dann aber wieder das Kriterium, das nach Zwölftafel- wie aquilischem Recht für den Umfang seiner Haftung entscheidend ist. Die gegenläufigen Lösungen der beiden Gesetze erklärt er schließlich aus ihrer unterschiedlichen ratioj die wieder den dominus iubens voraussetzt: Das alte Gesetz habe gewollt, daß Sklaven rechtswidrigen Befehlen ihres Herrn nicht gehorchen, die

280 Ulpian spricht anfangs nur von occidere. In seinem weiteren Verlauf ist der Text aber allgemein gehalten und offenbar auch auf eine Sachbeschädigung nach dem dritten Kapitel der lex Aquilia zu beziehen. 281 Umstritten ist, ob die actio in solidum bereits im Gesetz selbst vorgesehen war oder sich erst aus der interpretatio der Juristen ergeben hat. In letzterem Sinn Nehlsen 77 m.w.N. und Behrends 160 (N.64). Lenel, EP3 (1927) 199 N.5 und Albanese 127ff. berufen sich für die Gesetzesunmittelbarkeit auf den Wortlaut von § 1, wonach diese Klage in lege Aquilia begründet ist und sogar eine ratio legis dafür angegeben wird. Anführen ließe sich in dieser Hinsicht auch die Formulierung quod detur Aquilia adversus dominum, die innerhalb des Julianzitates im zweiten (nicht abgedruckten) Teil von § 1 erscheint. - Dagegen spricht jedoch die von Ulpian im principium gegebene Begründung: ipse enim videtur dominus occidisse : Die Klage gegen den Herrn ergibt sich durch Subsumtion unter den regelmäßigen Tatbestand der actio legis Aquiliae. In diese Richtung deutet auch Ulpian D 9.2.44, wonach die Klage gegen den Herrn als eine Konsequenz aus der umfassenden cw/pa-Haftung der lex Aquilia erscheint: In lege Aquilia et levissima culpa venit. Quotiens sciente domino servus vulnerat vel occidit, Aquilia teneri dubium non est.

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lex A q u i l i a dagegen den Gehorsamen verziehen, weil der Ungehorsame sein Leben riskiert hätte. Daß Celsus sciens und iubens offenbar nicht unterschied, ist kein Grund, den Text zu verwerfen 2 8 2 . Entweder Celsus orientierte sich bei seiner Argumentation an dem iussum als Extremfall, weil er diesen für den Prüfstein der Gesetzesauslegung hielt, oder er betrachtete den dominus iubens als den häufigsten Anwendungsfall der actio in solidum, nach dem sich auch die Gesetzesinterpretation zu richten h a t t e 2 8 3 . Eine derart realitätsbezogene Auslegungsmethode wäre, wie C a s a v o l a 2 8 4 dargetan hat, ganz i m Sinne des von Celsus formulierten Grundsatzes, daß sich das Recht nach dem typischerweise eintretenden Fall zu richten hat285: D l . 3 . 5 Cels 17 dig (Pal. 134) Nam ad ea potius debet aptari ius, quae et frequenter et facile, quam quae perraro eveniunt. 286 Möglicherweise stammt die Abgrenzung von scientia erst von Ulpian; er nämlich definiert in

282

und iussum überhaupt

So aber Albanese 140ff. und 145f., der für den klassischen Text lediglich mit dem Hinweis rechnet, daß die lex Aquilia im Gegensatz zu den XII-Tafeln den Fall des dominus sciens ausdrücklich geregelt habe. Indessen läßt sich schon nicht eindeutig klären, ob dies tatsächlich der Fall war (vgl. soeben N. 281); vor allem aber könnte die bloße Wiedergabe des Gesetzeswortlauts wohl kaum als eine ratio legis bezeichnet werden. Dagegen auch Cerami 74. 283 Für unwahrscheinlich halte ich dagegen die Annahme v. Lübtows (45) und Ceramis (74ff.), wonach Celsus das für den dominus iubens längst geltende Recht auf den dominus sciens übertragen habe. Zum einen gibt es auch für den dominus iubens kein ius recep tum : zwar scheinen Sabinus (zum furtum bei Gellius, Noctes Atticae 11.18.24, und zur actio arborum caesarum bei Ulpian D 47.7.7.5), Javolen (D 9.2.37pr.) und Paulus (D 50.17.169pr.) eine alleinige Haftung des Eigentümers suo nomine anzunehmen, wenn der Sklave auf Befehl handelte; dagegen haben Alfen (D 44.7.20) und Ulpian (D 50.17.157pr.) offenbar nur bei weniger schweren Delikten auf eine zusätzliche Noxalhaftung verzichten wollen. Zum anderen käme auch diese Deutung nicht ohne die Annahme einer Textveränderung aus. Denn in unserem Text werden dominus iubens und dominus sciens nicht miteinander verglichen; Celsus verwendet beide Begriffe vielmehr promiskue. 284 ANRW 11.15, 152f. = Giuristi Adreanei 35ff. 285 Anders Behrends 160f. (N.64), der im Anschluß an Käser , SZ 74 (1957) 432 N.35 glaubt, Celsus werde von grundsätzlichen Erwägungen geleitet und betrachtete den Sklaven als ein beseeltes Organ des Eigentümers. In diesem Fall hätte Celsus aber das iussum des dominus gar nicht eigens behandeln müssen. Es wäre vielmehr selbstverständlich gewesen, daß das Verhalten des Sklaven dem Herrn zugerechnet wird. 286 Die Kompilatoren haben diesen Text mit D 1.3.4 Cels. 5 dig (Pal. 33) zu einer Einheit verbunden: Ex his, quae forte uno aliquo casu accidere possunt, iura non constituuntur.

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e i s c h e Gesetzesauslegung

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D 9.4.3 Ulp 3 ad ed: In omnibus noxalibus actionibus, ubicumque scientia exigitur domini, sie aeeipienda est, si, cum prohibere posset, non prohibuit: aliud est enim auetorem esse servo delinquenti, aliud pati delinquere.

Auch in unserer Stelle ist es Ulpian, der diese Differenzierung einführt und sich gegen Celsus mit der rhetorischen 287 Frage wendet: et sane si iussit potest hoc dici: si autem non prohibuit , quemadmodum factum servum excusabimus?2%% 3. a) Für Celsus war die iubente domino ausgeführte Untat des Sklaven der maßgebliche Fall für die Haftungsregelung sowohl des Zwölftafel- wie des aquilischen Rechts: Das ältere Zwölftafelgesetz habe nur eine Noxalhaftung des Gewalthabers vorgesehen, weil Sklaven rechtswidrigen Befehlen ihrer Herren nicht gehorchen sollten; die jüngere lex Aquilia dagegen die persönliche Haftung des Eigentümers eingeführt, weil inzwischen den Sklaven eine Befehlsverweigerung nicht mehr zugemutet werden konnte. Celsus entnimmt den Gesetzeswerken einen unterschiedlichen, von ihrer Entstehungszeit abhängigen Regelungszweck. Es kommt ihm hier also nicht auf die zeitlose objektive ratio der Gesetze an. Vielmehr erklärt er die unterschiedlichen Vorschriften aus ihrem historischen Kontext und der durch ihn bestimmten Regelungsabsicht des Gesetzgebers 289. b) Die Motive, die Celsus den Gesetzgebern zuschreibt, sind nicht, wie man angenommen hat 2 9 0 , willkürliche Unterstellungen eines kaiserzeitlichen Juristen. Das zeigt ein Vergleich der Haftungsbestimmungen der beiden Gesetzeswerke über die Verletzung eines fremden Sklaven 291 : Während die X I I Tafeln, wie für die Verletzung eines Freien, als Sanktion eine Buße vorsahen, die lediglich ge-

287

v. Lübtow 45. Eine Differenzierung zwischen iussum und bloßer scientia läßt sich trotz v. Lübtow 45 auch nicht der am Schluß von D 9.4.2.1 wiedergegebenen Stellungnahme des Julian entnehmen: Sed siplaceat, quod Iulianus libro octagensimo sexto scribit si servus furtum faxit noxiamve noeuit etiam ad posteriores leges pertinere, poterit dici etiam servi nomine cum domino agi posse noxali iudicio, ut quod detur Aquilia adversus dominum, non servum excuset, sed dominum oneret. Julian behauptet lediglich, daß die persönliche Haftung des Herrn zur actio noxalis hinzutritt; eine Ausnahme von der Noxalhaftung im Fall eines dominus iubens , wie sie Ulpian - darin zumindest teilweise dem Celsus folgend - vorschwebt, ist damit nicht gemeint. - Daß die römischen Juristen mit Ausnahme des Ulpian nicht scharf zwischen scientia und iussum unterschieden haben, beobachtet Benöhr 277 auch am Beispiel von Marcell D 47.6.5 und Paulus D 9.4.17pr. und 19.2. 289 Dies bestreitet Cerami 76f., der hier aber immerhin eine Offenlegung des sozioökonomischen Hintergrundes sieht. Gerade auf dessen Ermittlung kommt es aber an, wenn man den Willen des historischen Gesetzgebers erforschen will. 290 So aber Nehlsen 11 und Benöhr 275. Auch Levy-Bruhl , 133ff. weiß, daß Celsus sich nicht an die historische Wahrheit hält! 29 1 Dazu Ehrhardt , SZ 68 (1951) 87ff. und Wieacker, RR I (1988) 364 und N.44. 288

Drittes Kapitel: Deduktion

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mindert war , stellte die lex Aquilia die Tötung eines Sklaven der eines Herdentieres gleich und seine Verletzung der Beschädigung einer Sache. Dieser unterschiedlichen Rechtsstellung des Sklaven als Objekt der Untat entspricht die Verantwortlichkeit, die ihm das Recht zuschreibt, wenn er der Täter ist. Als (unfreier) Hausgenosse trägt er Verantwortung auch für die ihm befohlene Untat, weil er der Anordnung widersprechen und den Gehorsam verweigern konnte. Wo er aber als bloßes Sachvermögen der Willkür seines Eigentümers ausgeliefert ist, kann ihm die Rechtsordnung nicht mehr zumuten, einen Befehl seines Herrn nicht auszuführen 293. c) Die von Celsus den Gesetzgebern der X I I Tafeln und der lex Aquilia zugeschriebenen rationes sind also nicht frei erfunden, sondern entsprechen dem sozialgeschichtlichen Kontext, der sich in den Gesetzen widerspiegelt. Der (mutmaßliche) Wille des Gesetzgebers der lex Aquilia führt nun den Juristen dazu, eine über den Gesetzeswortlaut hinausgehende Rechtsänderung anzunehmen: Die auf den X I I Tafeln beruhende actio noxalis wird der ratio des lex Aquilia entsprechend auf die Fälle einer Schädigung insciente domino beschränkt. III. Es gibt also sogar einen praktischen Beleg dafür, daß Celsus die Absicht des historischen Gesetzgebers berücksichtigt. Es kann mithin nicht die Rede davon sein, daß der Jurist das Gesetz als bloßes Fallösungsmodell ohne bindenden Charakter begriffen habe. Die weitgehende teleologische Auslegung zeigt entgegen Cerami vielmehr, daß Celsus der gesetzgeberischen Entscheidung umfassende Geltung beimißt. Wenn er die vom Wortlaut der Vorschrift nicht ausdrücklich erfaßten Fälle unter Rückgriff auf die ratio legis entscheidet, macht er sich gerade nicht von den normativen Vorgaben frei, sondern versucht, seine Lösung deduktiv aus dem Gesetz zu entwickeln.

§ 13 Auslegung von Rechtsgeschäften I. 1. Strengeren Maßstäben als seine Gesetzesinterpretation folgt Celsus' Testamentsauslegung: In D 33.10.7.2 (Pal. 168) erörtert Celsus abstrakt das Spannungsverhältnis zwischen dem individuellen Ausdruck des Erblassers und dem allgemeinen Sprachgebrauch; er entscheidet sich mit Servius und gegen die Auffassung des Tubero für den Vorrang des usus communis. Wie Hausmaninger 2 9 4 in seiner Studie zur Legatsinterpretation des Celsus gezeigt hat, trägt der Jurist dieser theoretischen Grundentscheidung auch in seinen praktischen Fallösungen Rechnung und verschafft dem Willen des Erblassers nur insoweit Gel292

Vgl. X I I T. 8.3 (Bruns, Fontes7 29): M A N U FUSTIVE SI OS FREGIT LIBERO, CCC, SI SERVO, CL POENAM SUBITO. 293 Der Gesetzgeber der lex Aquilia wollte demnach nicht ein unrealistisches edukatives Programm der X I I Tafeln ablösen, wie Casavola 154 und Scarano Ussani 132 meinen. Nach der von Celsus vermuteten ratio legis hat der Gesetzgeber der lex Aquilia vielmehr einer veränderten historischen Situation Rechnung getragen. 294 IURA 35 (1984) 16ff.

§ 13 Auslegung von Rechtsgeschäften

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tung, als dies im Rahmen der nach dem allgemeinen Sprachgebrauch zu beurteilenden verba des Testaments möglich ist. Für die Vertragsauslegung wird eine entsprechende Auffassung bestätigt durch D 50.16.158 Cels 25 dig (Pal. 215): In usu iuris frequenter uti nos Cascellius ait singulari appellatione, cum plura generis eiusdem significare vellemus: nam 'multum hominem venisse Romam' et 'piscem vilem esse' dicimus. item in stipulando satis habemus de herede cavere 'si ea res secundum me heredemve meum iudicata erit' et rursus 'quod ob eam rem te heredemve tuum': nempe aeque si plures heredes sint, continentur stipulatione.

Obwohl das Stipulationsformular nur von einem Erben spricht, ist nach dem usus iuris auch eine Erbenmehrheit erfaßt. Die Beispiele aus der Umgangssprache zeigen, daß der von Cascelius beobachtete juristische Sprachgebrauch auch dem usus communis entspricht. 2. Daß Celsus aber auch unausgesprochene Vorstellungen der Parteien berücksichtigt, soweit es sich dabei um selbstverständliche Erwartungen handelt, zeigt D 8.1.9 Cels 5 dig (Pal. 31): Si cui simplicius via per fundum cuiuspiam cedatur vel relinquatur, in infinito, videlicet per quamlibet eius partem, ire agere licebit, civiliter modo: nam quaedam in sermone tacite excipiuntur. non enim per villam ipsam nec per medias vineas ire agere sinendus est, cum id aeque commode per alteram partem facere possit minore servientis fundi detrimento...

Ein durch in iure cessio bestelltes oder durch letztwillige Verfügung eingeräumtes ius eundi agendi ist in seiner Ausübung auch ohne ausdrückliche Bestimmung auf einen modus civilis beschränkt. Dies ergibt sich nach Celsus unmittelbar aus der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung oder der Verfügung von Todes wegen: Es gilt als stillschweigend ausbedungen, daß der Inhaber die Servitut nicht auf jedwede Art in Anspruch nehmen darf. Beispielsweise soll er nicht durch das Haus oder mitten durch die Weinberge des dienenden Grundstücks gehen, wenn ihm eine schonendere Ausübung seines Rechtes möglich ist. II. Soweit danach die Parteiabsicht oder die voluntas des Erblassers Eingang in die Rechtsgeschäftsinterpretation finden kann, stellt sich die Frage, ob es dem Juristen um die Ermittlung des individuellen Willens geht, oder ob seine Auslegung dem objektiv-typischen Verständnis der Parteiabsicht folgt. Hausmaninger 2 9 5 kommt in seiner Untersuchung der celsinischen Testamentsauslegung zu dem Ergebnis, daß der Jurist sich vor allem um die Ermittlung des konkreten Erblasserwillens bemüht habe; er muß aber zugleich einräumen, daß sich die meisten Entscheidungen an der typischerweise anzunehmenden voluntas des Erblassers orientieren. Für das Vertragsrecht behauptet Hausmaninger dagegen, daß Celsus ausschließlich den individuell-konkreten Willen der Vertragsparteien berücksichtigt 295

IURA 35 (1984) 44.

Drittes Kapitel: Deduktion

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habe; die Unterstellung eines objektiv-typischen Willens habe der Klassiker abgelehnt 2 9 6 . Dieses Resultat verträgt sich jedoch nicht mit zwei - von Hausmaninger nicht bearbeiteten - Texten: 1. D 38.1.30pr. Cels 12 dig (Pal. 109)297 Si libertus ita iuraverit dare se, quot operas patronus arbitratus sit, non aliter ratum fore arbitrium patroni, quam si aequum arbitratus sit. et fere ea mens est personam arbitrio substituentium, ut, quia sperent eum recte arbitraturum, id faciant, non quia vel immodice obligari velint. E i n libertus hat durch E i d versprochen, so viele Dienste zu leisten, wie sein Patron für angemessen hält. Nach Celsus 2 9 8 zeitigt dieser V e r t r a g 2 9 9 nur dann Rechtswirkungen, wenn der Patron das i h m eingeräumte Ermessen in billiger Weise ausübt 3 0 0 . W i e sich aus fere und dem Plural substituentium ergibt, stützt sich der Jurist in seiner Begründung auf den typischen W i l l e n derjenigen, die den Umfang ihrer Leistungsverpflichtung dem arbitrium eines anderen unterstellen: Sie handelten in der Hoffnung, daß das Ermessen richtig ausgeübt werde, und nicht in der Absicht, sich übermäßig zu verpflichten 3 0 1 . Diese Erwartung findet Berücksichtigung, weil es sich um eine stillschweigend zur Voraussetzung gemachte, selbstverständliche Bedingung handelt: quaedam in sermone tacite experiuntur. 2. D 4.8.37 Cels 2 dig (Pal. 19) Quamvis arbiter alterum ab altera petere vetuit, si tarnen heres petit, poenam committet: non enim differendarum litium causa, sed tollendarum ad arbitros itur.

296

FS Wesener (1992) 174f. Literatur: Albertario , Studi di diritto romano I I I (1936) 296f.; Grosso , Obligazioni 2 (1955) 114f.; Lavaggi , St. de Francisci I I (1956) 82ff.; Pescani , Le operae libertorum (1967) 35ff.; Solinas , St. Scherillo I I (1972) 548f. und N.23; Scarano Ussani , Valore e storia (1979) 107f. und 156; Waldstein , Operae libertorum (1986) 244f. 298 Die Annahme von Pescani 36 und Fahre, Libertus (1981) 326 N.71, es handle sich bei dem Text um ein Labeo-Zitat, ist willkürlich, vgl. Waldstein 245 N.32. Zwar könnte der Infinitiv fore darauf hindeuten, daß Celsus die Entscheidung eines anderen Juristen zitiert. Zumindest die Begründung steht aber in direkter Rede und stammt damit jedenfalls von Celsus, vgl. Lavaggi 83. 299 Daß es sich bei dem eidlichen Versprechen um einen contractus handelt, aus dem eine obligatio entsteht, bestätigt ausdrücklich Gaius Inst. 3.96. 300 Albertario 296f. glaubt an eine generelle Unwirksamkeit des Versprechens zahlenmäßig unbegrenzter operae und hält diese Entscheidung dementsprechend für interpoliert. Dagegen Lavaggi 83 sowie Grosso 114 und Solinas N.23, die auf Paulus D 38.1.16.1 und fr. 17 verweisen, worin spezifische Kriterien für arbitrium des Patron angegeben werden. - Aus welchen Gründen die beiden zuletzt genannten Autoren aber den Begründungssatz für verworren halten, ist mir nicht erkennbar. 301 Dies ist der regelmäßige Wille der Vertragspartei. Entgegen Scarano Ussani 156 geht es nicht um die Analyse eines konkreten mentalen Verhaltens. 297

§ 13 Auslegung von Rechtsgeschäften

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Nach verbreiteter Ansicht galt ein compromissum ohne ausdrückliche Erbenklausel nur zwischen den Parteien und verlor mit ihrem Tod seine W i r k u n g 3 0 2 . Dagegen glaubt Celsus, der Erbe sei jedenfalls an die getroffene Vereinbarung gebunden und seine Zuwiderhandlung gegen den Schiedsrichterspruch bewirke einen Verfall der poena. Zur Begründung beruft er sich auf den typischen Parteiwillen: M a n gehe zum arbiter , u m den Streit endgültig zu beenden, und nicht, u m ihn auf den Tod aufzuschieben. Daher gelten die abgeschlossenen Strafstipulationen auch für die Rechtsnachfolger der Parteien, ohne daß dies der ausdrücklichen Erwähnung bedarf 3 0 3 . I I I . E i n objektiv-typisches Verständnis der Parteiabsicht bestimmt auch die nachfolgende Entscheidung, in der Celsus sich gegen eine zu weitgehende W i l lensinterpretation wendet: D 41.2.18.1 Cels 23 dig (Pal. 195)304 Si furioso, quem suae mentis esse existimas, eo quod forte in conspectu inumbratae quietis fuit constitutus, rem tradideris, licet ille non erit adeptus possessionem, tu possidere desinis: sufficit quippe dimittere possessionem, etiamsi non transferas. illud enim ridiculum est dicere, quod non aliter vult quis dimittere, quam si transferat: immo vult dimittere, quia existimat se transferre. W i e a c k e r 3 0 5 konstatiert hier einen 'Überschuß psychologischer Bewertung'. Aber dieser V o r w u r f trifft nicht Celsus, sondern vielmehr die von i h m bekämpfte Gegenmeinung, nach der der W i l l e zur Besitzaufgabe unter der Bedingung seiner Übertragung steht 3 0 6 . Wenn diese Auffassung auch den praktischen

302 Morte solvitur compromissum ; vgl. Julian D 4.8.49.2, Ulpian D 4.8.27.1 und Paulus D 4.8.32.3. Nach Talamanca , Ricerche in tema di compromissum (1958) 86f. und KnüteU Stipulatio poenae (1976) 141 hängt dies mit der Auffassung zusammen, daß Stipulationsschulden in faciendo unvererblich sind: zwar seien die abgeschlossenen Strafstipulationen formal auf die Leistung eines dare gerichtet; das zur Bedingung gemachte sententiae stare rechtfertige aber die gleiche Behandlung wie eine auffacere gerichtete Obligation. 303 Daß Celsus hier stillschweigend von einer Erbenklausel ausgeht, ist trotz Talamanca a.a.O. 88 nicht glaubhaft. Gerade wenn man den Gesichtspunkt für maßgeblich hält, daß die Strafstipulatiön einer obligatio in faciendo nahesteht, darf man nicht mit einer einhelligen Meinung der Klassiker rechnen. Denn die Frage der Vererblichkeit einer Stipulation in faciendo war ausweislich CJ 8.37.13 ihrerseits umstritten. 304 Literatur: Wieacker , IURA 13 (1962) 15ff.; Bretone , Labeo 9 (1963) 339ff. = Tecniche e ideologie dei giuristi'romani (1971) 97ff.; MacCormack , SZ 86 (1969) 115f.; Hausmaninger , ANRW 11.15 (1976) 394f.; Scarano Ussani , Valore e storia (1979) 147f. und 156f. 305 A.a.O. 17. Ähnlich äußert sich Scarano JJssani 148 und 156f., der Celsus anläßlich dieses Textes eine Neigung zu psychologischer Erforschung attestiert. 306 Diese Auffassung findet sich bei Papinian D 43.16.18pr. und Ulpian D 41.2.34pr., der sich sogar namentlich gegen Celsus wendet; vgl. dazu MacCormack 116. - Dagegen besteht kein Widerspruch zu Julian D 41.2.38.1, der von einer ausdrücklich gestellten Bedingung bei der Besitzaufgabe handelt. Auch läßt sich der Entscheidung entgegen Behrends , Gnomon 55 (1983) 237 N.27 nicht entnehmen, daß Celsus die Besitzübertragung in bewußtem Gegensatz zur sabinianischen Doktrin nicht als Vertrag auffaßt. Celsus äußert sich nicht generell zur Zulässigkeit von Bedingungen bei der Besitzübertragung; er

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Drittes Kapitel: Deduktion

Vorteil bietet, daß bei der Übergabe an einen furiosus keine Besitzlosigkeit eintritt 3 0 7 , so erachtet Celsus sie dennoch für lächerlich, weil sie dem natürlichen Verständnis des Geschehens zuwiderläuft 308 : Wer einem unerkannt Geisteskranken den Besitz einer Sache verschaffen will, hat typischerweise den unbedingten Willen, den Besitz aufzugeben 309. Denn er nimmt ja gerade an, daß der andere den Besitz erwirbt 310 .

§ 14 Die Grenzen deduktiver Entscheidungsbegründung I. Insbesondere wenn aufgezeigt werden soll, daß ein bestimmtes Geschäft nicht dem Tatbestand einer Norm unterfällt, ist der Jurist zu sehr feinen begrifflichen Differenzierungen gezwungen. Er muß den Sachverhalt mit Hilfe einer Terminologie erfassen, die in ihrem Abstraktionsniveau dem Tatbestand der einschlägigen Norm entspricht, um so eine begriffliche Abgrenzung herzustellen: D 24.1.5.15 Ulp 32 ad Sab (Pal. 8 8 ) 3 1 1 Si quis rogatus sit praecepta certa quantitate uxori suae hereditatem restituere et is sine deductione restituerit, Celsus libro decimo digestorum scripsit magis pleniore officio fidei praestandae functum maritum quam donasse videri.

Ein Ehemann ist Erbe geworden und mit dem Fideikommiß beschwert, die Erbschaft unter Abzug eines festgesetzten Anteils an seine Frau auszufolgern. Wenn er dessen ungeachtet die gesamte Erbschaft restituiert, stellt sich die Frage, ob wegen des nicht abgezogenen Teils eine verbotene Ehegattenschenkung vorliegt. Celsus verneint dies mit der Begründung, daß eher eine vollständigere Erfüllung des officium fidei gegenüber dem Erblasser als eine Schenkung vorliege. 312 spricht sich nur gegen deren stillschweigende Unterstellung aus. Vorsichtiger zum Verhältnis der beiden Texte daher auch Wieacker 17 N.33a. 307 Diesen Umstand hebt Wieacker 15ff. hervor, der das celsinische ridiculum für ungerechtfertigt hält. Dagegen macht Hausmaninger 395 geltend, daß Celsus eben keine außerrechtlichen Wertungen anstellt, sondern dogmatisch argumentiert. 308 Bretone , Labeo 9, 341 = Tecniche e ideologie 101 spricht nicht zu unrecht von einer offensichtlich gekünstelten Theorie und hält die celsinische Lösung für logischer. 309 Entgegen Wieacker 17f. bedeutet die Aufspaltung der Besitzübertragung in Verlust und Erwerb der possessio keinen Widerspruch zu der Kritik an Sabinus in Vat. 75.5 (Pal. 149): Celsus wehrt sich nicht gegen eine Aufspaltung der in iure cessio , sondern daß daraus einander entgegengesetzte Rechtsfolgen hergeleitet werden; vgl. auch unten § 15 N.341. Gegen Wieacker femer Bretone , Labeo 9, 34 = Tecniche e ideologie 98ff. 310 In gleichem Sinne wie Celsus entscheidet Paulus D 41.2.1.4 und § 20. 311 Literatur: Dulckeit , FS Koschaker I I (1939) 331ff.; Kretschmar , SZ 59 (1939) 169ff.; Schwarz , SZ 63 (1943) 330 und SZ 68 (1951) 298ff.; Solazzi , Scritti di diritto romano IV (1963) 130f.; Archi, La donazione (1960) 34f. und 208; Broise , Animus donandi I (1975) 71ff.; Cerami , SDHI 44 (1978) 158 und N. 42 sowie Ann. Pal. 38 (1985) 68ff.; Manthe , Das senatus consultum Pegasianum (1989) 183, 206f. 312 Der Text fährt fort: et rectam rationem huic sententiae Celsus adiecit, quod plerique magis fidem exsolvant in hunc casum quam donant nec de suo putant proficisci ,

§ 14 Die Grenzen deduktiver Entscheidungsbegründung

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Der Erblasser bringt in der Anordnung des Universalfideikommisses den Wunsch zum Ausdruck, daß möglichst die ganze Erbschaft in das Vermögen der Frau übergehen soll. Das dem Erben zugestandene Abzugsrecht fungiert lediglich als rechtsgeschäftlicher Ersatz für die i h m nach dem SC Pegasianum zustehende falzidische Q u a r t 3 1 3 . Verhält sich der Erbe nun in Gemäßheit des wirklichen Erblasserwillens 3 1 4 , so erfüllt er seine Verpflichtung plenior. Dies bedeutet: er leistet mehr, als er nach dem Wortlaut des Testaments erbringen müßte; zugleich leistet er aber auch nicht zuviel, sondern erfüllt nur vollständiger, nicht jedoch übermäßig. M i t dieser feinsinnigen Formulierung gelingt es Celsus, das Handeln des Ehemannes begrifflich so zu erfassen, daß einerseits zwar der Unterschied zur wortgetreuen Erfüllung der testamentarischen Anordnung deutlich w i r d 3 1 5 , andererseits aber

quod de alieno plenius restituunt voluntatem defuncti secuti. Dies ist einerseits eine sinnentstellende Wiederholung des vorangegangenen Satzes: man kann die begriffliche Erfassung des Geschäftes nicht damit begründen, daß es meistens so sei. Andererseits enthält der Abschnitt eine übermäßig psychologisierende Deutung, die ebenfalls nicht zu der Begründung des Celsus paßt: der Jurist hat die Schenkung nicht etwa deshalb abgelehnt, weil der Mann geglaubt haben könnte, daß nichts aus seinem eigenen Vermögen an die Frau gelangt, sondern weil die von ihm erbrachte Leistung nicht ungeschuldet ist. Die Reflexion über den seelischen Zustand des Ehemannes bietet hierfür aber trotz Manthe 207 und N . l l l keine ratio. Worin die von Archi 35, Broise 72 und Cerami 69 gelobte Klarheit und logische Kohärenz liegen soll, bleibt mir verborgen. Daß die römischen Juristen einen subjektiven Tatbestand der Schenkung gefordert haben (dazu auch Misera, Der Bereicherungsgedanke bei der Schenkung unter Ehegatten [1974] 277 und N.364), bleibt unbestritten, ist an dieser Stelle aber ohne Relevanz. - Klassischen Ursprungs kann m. E. nur der Hinweis sein, daß die vollständigere Erfüllung der Verpflichtung entsprechend dem Erblasserwillen geschehen ist. In dieser Hinsicht wendet sich Manthe a.a.O. zurecht gegen den umfassenden Interpolationsverdacht von Schwarz, SZ 68, 302f. Da es unwahrscheinlich ist, daß ein späterer Bearbeiter die ratio Celsi ohne jeden Anhaltspunkt im klassischen Text hinzuerfand, mag hierin der Kern einer weitergehenden celsinischen Begründung liegen, die einer - freilich sehr verunglückten - Paraphrase zum Opfer fiel. Daß der überlieferte Text nicht ohne klassischen Vorläufer war, glauben auch Dulckeit 333, 336 und Solazzi 131. 313 Vgl. Dulckeit 332ff. und Schwarz, SZ 63, 330 und SZ 68, 300ff., der auf Julian D 35.2.86 i.f. verweist, wonach der Erbe nur im Fall ausdrücklicher Bestimmung sowohl die praeceptio als auch die gesetzliche Quart behalten soll. 314 Daher der - vermutlich klassische - Hinweis auf die voluntas defuncti im ansonsten stark gestörten zweiten Teil des Textes; vgl. oben N.312. Daß der Verzicht auf das Abzugsrecht dem Willen des Erblassers entspricht, betont ausdrücklich auch Marcell D 39.5.20.1, ferner Justinian CJ 6.50.19 (a. 532). 315 Dies ist nicht erforderlich, wenn das Abzugsrecht nicht im Testament selbst vorgesehen ist, sondern bloß aufgrund einer gesetzlichen Bestimmung besteht. In diesem Fall sprechen die Juristen lediglich vonplenam (integram) fidem praestare (vgl. Papinian D 42.8.19, Ulpian D 24.1.5.15 a.E. und PS 4.3.4); denn derjenige Erbe, der auf sein gesetzliches Abzugsrecht verzichtet, erfüllt die testamentarische Anordnung nicht über, sondern nur vollständig; vgl. Manthe 183ff. - Problematisch bleibt CJ 6.50.1 Sev et Ant (a.197), wo anscheinend der Verzicht auf ein bloß gesetzliches Abzugsrecht mit pleniorem fidem exhibere umschrieben wird. Zum Beweis, daß es sich in Wirklichkeit um ein testamenta-

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Drittes Kapitel: Deduktion

auch eine freiwillige ungeschuldete Leistung verneint werden kann: für den nicht abgezogenen A n t e i l bietet das fideicommissum die causa, so daß das Schenkungsrecht keine Anwendung findet. II. Daß Celsus bereit ist, bis an die Grenzen der deduktiven Methode vorzustoßen, und sich nicht scheut, feinste begriffliche Abgrenzungen vorzunehmen, zeigt eindrucksvoll D 34.7.lpr., § 1 Cels 35 dig (Pal. 250)316; Catoniana régula sic définit, quod, si testamenti facti tempore decessisset testator, inutile foret, id legatum quandocumque decesserit, non valere. quae definitio in quibusdam falsa est. (§ 1) Quid enim, si quis ita legaverit: 'si post kalendas mortuus fuero, Titio dato? an cavillamur? nam hoc modo si statim mortuus fuerit, non esse datum legatum verius est quam inutiliter datum. 1. Die Regula Catoniana 3 1 7 bestimmte, daß ein Legat unwirksam ist, wenn es unwirksam gewesen wäre, falls der Erblasser i m Zeitpunkt der Testamentserrichtung gestorben w ä r e 3 1 8 . Celsus behauptet, daß diese Regel in mancher Hinsicht falsch sei. Z u m Beweis bildet er den Fall, daß ein Legat unter der Bedingung ausgesetzt wird, daß der Testator erst nach einem bestimmten Termin stirbt. Verstürbe der Erblasser zur Zeit der Testamentserrichtung, erlangte das Legat keine Wirksamkeit, so daß es nach der Regula Catoniana überhaupt unwirksam wäre. Der Erblasser w i l l hier aber gerade, daß das Legat nur bei einem späteren Todeszeitpunkt wirksam wird, und gerade nicht, daß es wirksam wird, wenn er vorher, etwa zur Zeit der Testamentserrichtung, stirbt. Bei Anwendung der Regula Catoniana wäre für die Beurteilung der Wirksamkeit des Legats ein Zeitpunkt maßgebend, zu dem es nach dem erklärten W i l l e n des Testators gar nicht

risches Abzugsrecht handelt, kann sich Manthe 183 N. 10 und 197 N.46 nur unmittelbar auf die Verwendung des Komparativs stützen. 31 6 Literatur: Grosso, I legati (1962) 306f.; Voci, DER 112 (1963) 998ff.; Stein, Regulae iuris (1966) 66f. und 70f.; Hausmaninger, Celsus und die regula Catoniana, in: TR 36 (1968) 469-488; Schmidlin, Die römischen Rechtsregeln (1970) 56 und 68ff.; Nörr, SZ 89 (1972) 55f.; Scarano Ussani, Valore e storia (1979) 119ff.; Cerami, Ann. Pal. 38 (1985) 182 und 225f. 317 Als Urheber dieser Regel gilt zumeist der jüngere Cato (Licinianus), vgl. Hausmaninger 469 m.w.N. Dagegen macht Stein 66 geltend, daß in diesem Fall das Adjektiv nicht aus dem praenomen, sondern aus dem cognomen gebildet worden wäre. - Da Servius bei Gaius Inst. 2.244 die Regel offenbar völlig ignoriert, glaubt Nörr 56, daß sie erst in frühklassischer Zeit Autorität erlangt hat. Hausmaninger 481 hält gar Celsus für ihren eigentlichen Schöpfer, zumal sie zum ersten Mal von ihm als regula angeführt wird. Dagegen wendet sich Schmidlin 56 und N.31, der der Auffassung ist, Celsus könne nicht einen Satz zur Regel erhoben haben, den er selbst für teilweise falsch erklärt. Ob Celsus dies wirklich tut, soll der Fortgang der Untersuchung zeigen. 318 Nach Schmidlin 69f. entspricht die Regel dem Charakter eines formstrengen Rechts, indem sie auf dem unmittelbaren Zusammenhang von Rechtsakt und Rechtswirkung beharre. Da Julian D 36.2.17 von einer regula iuris spricht, ordnet Schmidlin 68 diesen Satz den normativen Rechtsregeln zu.

§ 14 Die Grenzen deduktiver Entscheidungsbegründung hätte wirksam werden können kundig absurd 320 .

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. Die Anwendung der Regel wäre hier offen-

2. Der Jurist bemüht sich gleichwohl, das Ergebnis deduktiv zu gewinnen. Er argumentiert, daß der Tatbestand der Regel nicht gegeben sei und sie darum auch gar keine Anwendung finden könne. Wenn nämlich der Erblasser alsbald gestorben ist, sei es richtiger zu sagen: ein Legat sei gar nicht ausgesetzt worden, als es sei unwirksam ausgesetzt worden. 3. Celsus fragt: an cavillamur? Bedeutet dies, daß Celsus die folgende Begründung nicht ernst nimmt, daß die Unterscheidung von non datum und inutiliter datum bloße Spielerei ist, und der Jurist so seinen Spott für begriffsjuristische Differenzierungsversuche zum Ausruck bringt 3 2 1 ? a) Welche Bedeutung die Juristen dem Begriff cavillatio beilegen, enthüllt D 50.17.65 Iul 54 d i g 3 2 2 : Ea est natura cavillationis, quam graeci acopiTT|v appellant, ut ab evidenter veris per brevissimas mutationes disputatio ad ea, quae evidenter falsa sunt, perducatur.

Julian setzt die cavillatio mit dem Fangschluß der Megariker gleich 3 2 3 . Schon durch geringste Umformungen werde so die Untersuchung vom offensichtlich Wahren zum offensichtlich Falschen geleitet 324 . b) Nicht ohne weiteres einzusehen ist dagegen, worin Celsus in unserem Fall die cavillatio sieht: Meint er damit seine eigene begriffliche Unterscheidung zwischen non datum und inutiliter datum, die zur Nichtanwendung der Regula Catoniana führt, oder betrachtet er es als Fangschluß, wenn man die Regel

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Voci 999. - Die gleiche Sachlage besteht in dem zweiten von Celsus angeführten Fall, worin es ebenfalls um ein bedingtes Vermächtnis geht: (§ 2) Item si tibi legatus est fundus, qui scribendi testamenti tempore tuus est, si eum vivo testatore alienaveris, legatum tibi debetur, quod non deberetur, si testator statim decessisset. 320 Hausmaninger 479 spricht von einem Appell an die Evidenz. 321 So Grosso 307 und entschieden Hausmaninger, 478ff. 322 Annähernd wortgleich ist Ulp. D 50.16.177: Natura cavillationis, quam Graeci 0(0pivr \v appellaverunt, haec est, ut ab evidenter veris per brevissimas mutationes disputatio ad ea, quae evidenter falsa sunt, perducatur. 323 Damit sind freilich die Sophismen der Megariker allgemein und nicht nur der Haufenschluß des Eubulides gemeint. Der eigentliche Sorites bestand aus der Frage: Wie viele Getreidekörner machen einen Haufen? Dadurch sollte gezeigt werden, daß manche Begriffe wegen ihrer Abhängigkeit von quantitativen Verhältnissen nicht zur Abstraktion geeignet seien (vgl. Prantl, Geschichte der Logik im Abendlande, Bd. I [1855] 54f.). Dies war eine der Stützen der megarischen Auffassung, daß die Erkenntnis nicht weiter als bis zur isolierten Auffassung des Begriffs mittels des im Moment als faktisch bestehend Erkannten reichen könne. - Eine etwas entstellte Erklärung des Begriffs Sorites liefert Cicero, Acad. 11.16.49, der meint, der Trugschluß geschehe gleichsam in der Weise, daß durch die Hinzufügung ein ganzer Haufen gebildet werde. 324 y o n d e r cavillatio iuris als der juristischen Trickserei spricht Scaevola D 35.1.85; mit verba cavillatus meint Ulpian D 38.17.2.44 die Wortverdrehung. 6 Harke

Drittes Kapitel: Deduktion

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grundsätzlich für anwendbar hält, um dann in diesem Fall aber eine Ausnahme zu machen? Celsus trifft mit seiner Unterscheidung die Sache genau auf den Punkt: Wenn der Erblasser, der nach der Testamentserrichtung stirbt, ein Vermächtnis ausgesetzt hat, das nur im Falle seines weiteren Überlebens gelten soll, so liegt darin nicht etwa der vergebliche Versuch, ein wirksames Legat auszusetzen (inutiliter datum), sondern der Testator will unter diesen Umständen überhaupt nicht vermachen (non datum). Die Regula Catoniana schreibt aber nur die Fortwirkung äußerer Wirksamkeitshindernisse vor, sie erfaßt dagegen nicht vom Erblasser selbst gestellte Bedingungen, die das Legat nicht nur unwirksam machen, sondern gänzlich beseitigen, wenn die Bedingung nicht eintritt. Die Unterscheidung zwischen inutiliter datum und non datum stellt eine sachgemäße und begrifflich exakte Differenzierung dar, die eine Ablehnung der Subsumtion unter den Tatbestand der Regel voll rechtfertigt 325 . Celsus kann sie daher kaum als Trugschluß bezeichnen. Ein Fangschluß liegt aber vor, wenn man wegen der Gleichheit der Rechstfolgen das legatum non datum mit dem legatum inutiliter datum verwechselt. Diese brevissima mutatio führt dazu, daß die Regel grundsätzlich anwendbar, aber im vorliegenden Fall evidenter falsa ist. Daß sich die Frage: an cavillamur? nicht auf die folgende Unterscheidung, sondern auf die vorangehende, verkürzte Aussage definitio in quibusdam falsa bezieht, zeigt auch die Einleitung des Schlußsatzes mit nam. Die genaue Differenzierung zwischen non datum und inutiliter datum ist nicht etwa selbst ein Trugschluß; sie ist vielmehr das Mittel, mit dem der vorangehende Fangschluß entlarvt wird 3 2 6 .

325

Weshalb Hausmaninger 479 hier zusätzlich ein argumentum ad absurdum sieht, wonach auch eine spitzfindige begriffliche Unterscheidung nicht zu einem tragfähigen Ergebnis führe, ist mir nicht verständlich. 326 Daher kann in den einleitenden Worten des Celsus entgegen Scarano Ussani , Valore e storia 121 ff. und Cerami 225f. auch keine generelle Zurückweisung der Rechtsregel liegen. Obwohl sie Celsus Frage anders interpretieren, kommen zu diesem Ergebnis auch Hausmaninger 481, 488 und Stein 71, der den Unterschied zur Auffassung des Sabinus (bei Paulus) D 50.17.1 hervorhebt, wonach quae simul cum in aliquo vitiata est, perdit officium suum. Daß die Einschränkung vorhandener Regeln durch die klassischen Juristen gerade ein Ausdruck der Benutzung dieser Regeln ist, glaubt Giaro , SZ 105 (1988) 206.

Viertes Kapitel

Fortbildung der Dogmatik § 15 Bildung und Abwägung von Rechtsprinzipien: D 24.1.3.12 (Pal. 120) I. Wenn ein Fall zur Entscheidung ansteht, der mit dem vorhandenen Instrumentar an Normen und Grundsätzen nicht befriedigend zu lösen ist, so hat der Jurist zwei Möglichkeiten, Fallösung und Normensystem miteinander in Einklang zu bringen: Entweder er wählt zur Herleitung der Entscheidung eine Fiktion und läßt das bestehende Normensystem unangetastet, oder er modifiziert dieses System 327 , so daß sich die Lösung des Falles daraus ableiten läßt. Falls die einschlägige Norm eine eindeutige Bestimmung des Gesetzesrechts ist, kann nur der zuerst genannte Weg beschritten werden. Geht es dagegen um einen Grundsatz des Juristenrechts, so ist der Jurist frei, eine Veränderung der hergebrachten Dogmatik vorzuschlagen. Zum einen kann er den zwingenden Charakter bestehender Rechtssätze widerlegen. Er kann aber auch anhand bereits ergangener Entscheidungen seinerseits einen neuen Grundsatz entwickeln, der weiterreichende Schlußfolgerungen zuläßt. Einer der wesentlichen Gründe dafür, daß sich das Recht niemals als geschlossenes System darstellen läßt, ist der Umstand, daß einzelne Rechtsprinzipien im Einzelfall miteinander in Konflikt geraten können 328 . In dieser Situation kann der Jurist nicht einfach deduzieren, sondern er ist gezwungen, über den Vorrang eines der widerstreitenden Grundsätze zu entscheiden. II. Beides, sowohl die Formulierung eines neuen Rechtsgrundsatzes wie auch die Entscheidung über dessen Vorrang vor einem anderen Prinzip, findet sich in Celsus' Argumentation in

327

Vgl. Giaro , SZ 105 (1988) 200. Engisch, Studium Generale 10 (1957) 176; vgl. auch die von Canaris , Systemdenken und Systembegriff2 (1983) 53ff. vorgeschlagene Ordnung allgemeiner Rechtsprinzipien, die sich dadurch auszeichnet, daß die Prinzipien einander gegenseitig beschränken und erst im Zusammenspiel ihren Sinngehalt entfalten. 328

6*

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Viertes Kapitel: Fortbildung der Dogmatik

D 24.1.3.12 Ulp 32 ad ed (Pal. 120)329; Sed si debitorem suum ei solvere iusserit, hic quaeritur, an nummi fiant eius debitorque liberetur. et Celsus libro quinto decimo digestorum scribit videndum esse, ne dici possit et debitorem liberatum et nummos factos mariti, non uxoris: nam et si donatio iure civili non impediretur, eum rei gestae ordinem futurum, ut pecunia ad te a debitore tuo, deinde a te ad mulierem perveniret: nam celeritate coniungendarum inter se actionum unam actionem occultari, ceterum debitorem creditori dare, creditorem uxori. nec novum aut mirum esse, quod per alium accipias, te accipere: nam et si is, qui creditoris tui se procuratorem esse simulaverit, a debitore tuo iubente te pecuniam acceperit, et furti actionem te habere constat et ipsam pecuniam tuam esse. 1. Ein Ehemann befiehlt seinem Schuldner, an die Ehefrau zu z a h l e n 3 3 0 . A n weisungsgemäß übergibt der Schuldner das Geld der Frau. Dies ist zwar nicht ausdrücklich erwähnt, ergibt sich aber aus der anschließenden Fragestellung, ob die Ehefrau 3 3 1 das Geld zu eigen erwirbt und der Schuldner befreit wird. Ulpian gibt darauf keine direkte Antwort, sondern er zitiert Celsus, der die weitergehende Frage aufwirft, ob statt des v o m Schenkungsverbot gehinderten Eigentumserwerbs der Frau ein solcher des Ehemannes angenommen werden könn e 3 3 2 . In dieser Frage liegt zugleich ein vorsichtig formulierter Lösungsvorschlag, den Celsus i m folgenden ausführlich begründet 3 3 3 : Der erste gedankliche Schritt ist, sich das Schenkungsverbot unter Ehegatten fortzudenken 3 3 4 .Unter dieser Voraussetzung würde die Ehefrau das v o m Schuldner gezahlte Geld zu eigen erwerben. A n diesem Fall macht Celsus eine Beobachtung, die er auch dann für maßgeblich hält, wenn das Schenkungsverbot eingreift. Diese Beobachtung betrifft die Ordnung des Geschäftes: das Geld

329 Literatur: Betti, Bull. 41 (1933) 197ff.; Haeberlin, SZ 74 (1959) 126ff.; Endemann, Der Begriff der delegatio (1959) 36ff. und 55f.; Wieacker, FS Erik Wolf (1962) 421 ff.; Wolff, Mélanges Meylan (1963) 409ff.; Sacconi, Ricerche sulla delegazione (1971) 19ff. und 47f.; Jakobs, SZ 91 (1974) 219ff.; Misera , Der Bereicherungsgedanke bei der Schenkung unter Ehegatten (1974) 27ff.; Kupisch, SZ 93 (1976) 60ff. und St. Sanfilippo I I (1982) 285ff.; Cerami y SDHI 44 (1978) 185ff.; Käser, Labeo 26 (1980) 24ff. sowie Römische Rechtsquellen und angewandte Juristenmethode (1986) 255ff.; Weyand, Der Durchgangserwerb in der juristischen Sekunde (1989) 79ff. ; Flume, Rechtsakt und Rechtsverhältnis (1990) 64ff.; Giaro, SZ 105 (1988) 222ff.; Schanbacher, Gnomon 66 (1994) 621 ff. 330 Aus dem vorangehenden § 11 ergibt sich, daß Subjekt des Satzes der Ehemann und mit ei die Ehefrau gemeint ist. 331 Mit eius kann abermals nur die Ehefrau gemeint sein. 332 Nach Cerami 186f. soll Celsus dem Ehemann eine condictio gegen die Ehefrau gewährt haben. Mit der Formulierung nummos factos mariti bezeichnet Celsus jedoch eindeutig einen Eigentumserwerb des Ehemannes, der diesem zuvörderst die rei vindicatio eröffnet. Die zusätzliche Gewährung einer condictio bedürfte daneben der ausdrücklichen Erwähnung. 333 Entgegen Haeberlin 127 enthält der Text damit doch eine klare Entscheidung. 334 Wenn von einer Behinderung durch das ius civile abstrahiert werden soll, kann damit nur das Ehegattenschenkungsverbot gemeint sein, das eine zivilrechtliche Ungültigkeit des jeweiligen Rechtsaktes bewirkt; vgl. Ulpian D 24.1.5.18, der bei Ehegattenschenkungen ebenfalls von donationes iure civili impedites spricht.

§ 15 Bildung und Abwägung von Rechtsprinzipien: D 24.1.3.12 (Pal. 120)

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gelange zunächst vom angewiesenen Schuldner an den anweisenden Ehemann und von diesem an den Anweisungsempfänger, die Ehefrau; denn durch die Schnelligkeit der untereinander zu verbindenden Rechtsakte werde ein Rechtsakt verborgen. Andernfalls zahle der Schuldner an den Gläubiger und dieser wiederum an die Ehefrau. Celsus fährt fort, es sei weder neu noch verwunderlich, daß man erwerbe, was man durch einen anderen erwerbe. Damit endet das Celsus-Zitat. Zum Zeichen seines Einverständnisses führt Ulpian einen Parallelfall an: Auch wenn ein Schuldner auf Anweisung seines Gläubigers an einen falsus procurator zahlt, werde das Geld zum Eigentum des anweisenden Gläubigers, der zudem die actio furti erhalte 335 . 2. Die im Schrifttum immer noch herrschende Ansicht 3 3 6 unterlegt der Begründung des Celsus die Vorstellung eines sachenrechtlichen Durchgangserwerbs durch den Anweisenden: Celsus habe zum Ausdruck bringen wollen, daß bei der delegatio ad solvendum das Eigentum zunächst vom Angewiesenen auf den Anweisenden übertragen werde, bevor es auf den Anweisungsempfänger übergehe. Dieser Zwischenerwerb des delegans finde gewöhnlich bloß in einem unendlich kleinen Zeitraum statt, der sog. juristische Sekunde. Wenn jedoch die Übertragung des Eigentums auf den Anweisungsempfänger aus rechtlichen Gründen scheitere, werde daraus eine endgültige Rechtsposition. a) Daß Celsus die logische Sekunde als Vorstellungshilfe kannte, ergibt sich aus D 50.16.98.1 Cels 39 dig (Pal. 274): Cato putat mensem intercalarem additicium esse: omnesque eius dies pro momento temporis observat extremoque diei mensis februarii adtribuit Quintus Mucius.

Die von Celsus zitierten Cato und Quintus Mucius beschäftigen sich mit der Frage, wie der Schaltmonat, der nach dem vorcäsarischen Kalender alle zwei Jahre nach dem Februar eingeschoben wurde 337 , im gewöhnlichen kurzen Jahr zu behandeln war. Juristisch relevant ist dieses Problem, wenn eine nach Jahren bemessene Frist im zusätzlichen Monat eines Schaltjahres begonnen hatte 338 .

335

Daß dieser Fall auf Ulpian und nicht mehr auf Celsus zurückgeht, wird nicht nur durch das Ende der indirekten Rede angezeigt. Die Eigentumsfrage wird hier ersichtlich mit einer ähnlichen Lösung bedacht, wie Celsus sie für den Ehegattenschenkungsfall vorschlägt. Celsus könnte aber letztere nicht mit den vorsichtigen Worten videndum est, an ne dici possit einleiten, um im Vergleichsfall davon zu sprechen, daß die Rechtslage constat. Ob Celsus den auf diese Weise erstmals von Pomponius D 47.2.44pr. gelösten Fall überhaupt entschieden hat, läßt sich nicht beantworten. Daher sind entgegen Kupisch , SZ 93, 72 N.55 und Weyand 105 keine Rückschlüsse auf die von Celsus für den Ehegattenschenkungsfall vorgeschlagene Lösung angebracht. 336 Vgl. Endemann 36f., Wieacker 423ff., Wolff 409 und 406, Käser , Rechtsquellen 260ff., Misera 28ff. sowie neuerdings Weyand passim. 337 Dazu Sontheimer , RE XVI. 1 (1933) Sp.59f. 338 Entsprechend der für das principium dieser Stelle bestehenden Parallelüberlieferung bei Ulpian D 4.4.3.3 ging es Celsus vermutlich um das Alter einer Person, die kurz vor

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Viertes Kapitel: Fortbildung der Dogmatik

Nach Cato zählte der Schaltmonat auch i m gewöhnlichen Jahr als ein Monat; seine Tage fielen aber in einem Augenblick zusammen und bestanden nur pro momento temporis. (bb) Zur juristischen Konstruktion benutzt Celsus die logische Sekunde vermutlich eingesetzt in D 46.2.8.2 Ulp 46 ad Sab (Pal. 224): Si quis ita stipulatus a Seio sit: 'quod a Titio stipulatus fuero, dare spondes?', an, si postea a Titio stipulatus sim, fiat novatio solusque teneatur Seius? et ait Celsus novationem fieri, si modo id actum sit, ut novetur, [id est ut Seius debeat quod Titius promisit]: nam eodem tempore et impleri prioris stipulationis condicionem et novari ait. Noch bevor Titius eine Stipulationsverpflichtung eingeht, hat Seius bereits versprochen zu leisten, was Titius zukünftig versprechen wird. Celsus entscheidet, daß die nachfolgende Stipulation des Titius noviert und Seius allein verpflichtet w i r d 3 3 9 . Die Novation setzt aber eine bestehende Verbindlichkeit vora u s 3 4 0 . Daher faßt Celsus die Stipulation des Seius als bedingt auf: wenn Titius die Hauptverbindlichkeit eingegangen ist, soll sie wirksam werden, u m i m selben Augenblick die Verbindlichkeit des Titius zu tilgen. Beides geschieht eodem tempore, aber notwendig nacheinander, d.h. in einem unendlich kleinen Zeitabstand. 3 4 1 b) Kehren w i r zu D 24.1.3.12 zurück, so stellt sich die Frage, ob hier eine vergleichbare Konstruktion zugrunde liegt. Celsus sagt nicht, daß zwei Vorgänge pro momento oder eodem tempore stattfänden. W o h l spricht er von der celeritas, m i t der bei der anweisungsgemäßen Zahlung die Geschehnisse aufeinander folgen. Aber er sagt nicht, daß nacheinander mehrere dationes stattfinden, son-

Erreichen des 25. Lebensjahres noch als minor viginti quinque annis eine in integrum restitutio begehrte. 339 Während es sich bei dem dilettantischen Zusatz [id est ut Seius debeat quod Titius promisit] um eine Glosse handelt, ist die Einschränkung si modo id actum sit, ut novetur zumindest inhaltlich echt. Denn nachdem man das Erfordernis einer Gleichzeitigkeit von Hauptstipulation und Sponsionsbürgschaft aufgegeben hat (Gaius Inst. 3.178), bleibt als Unterscheidungskriterium zwischen Novation und Bürgschaft nur der Parteiwille, vgl. Käser, RP 12 (1971) 648 und N.14 (zu diesem Text), Apathy , Animus novandi (1975) 206 und Hausmaninger, FS Wesener (1992) 168; anders Frezza, Le garanzie dellle obligazioni I (1962). Umstritten ist, ob dieser Einschub von Celsus selbst stammt, vgl. Apathy 203 einerseits und Hausmaninger a.a.O. andererseits. 340 Vgl, Ulpian D 46.2. lpr.: Novatio est prioris debiti in aliam obligationem ... transfusio atque translatio.... 341 Dazu steht es nicht in Widerspruch, wenn Celsus Sabinus bei Ulpian Vat. 75.5 (Pal. 149) folgendermaßen tadelt: ... quamquam Sabinus respondent, ut et Celsus libro XVIII digestorum refert, eum, qui partem ususfructus in iure cessit, et amittere partem et ipso momento recipere. Quam sententiam ipse ut stolidam reprehendit: etenim esse incogitabile eandem esse causam cuique et amittendi et recipiendi. Entgegen Wieacker 428f., 452 wendet sich Celsus hier nicht gegen die Verwendung der juristischen Sekunde, sondern gegen die Herleitung entgegengesetzter Rechtsfolgen aus demselben Rechtsgeschäft, vgl. Wey and 116f.

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dem er verwendet den sehr vagen Begriff actio. Aus welchem Grund sollte sich der Jurist so unklar ausdrücken, wenn er doch nur dationes bezeichnen wollte? Dies paßt zu der Vorstellung eines sachenrechtlichen Durchgangserwerbs ebensowenig wie der Begriff des ordo rei gestae : (aa) Mit ihm kann Celsus nicht die zeitliche Abfolge zweier selbständiger Übereignungstatbestände 342 meinen. Dann müßte es ordo rerum gestarum heißen. Der ordo rei gestae kann nur die innere Ordnung eines Geschäftes 343, das in ihm enthaltene Schema bezeichnen. (bb) Celsus präzisiert den ordo rei gestae dahingehend, daß das Geld von dem Schuldner an den anweisenden Ehemann und von diesem an die Ehefrau gelange. Pecunia pervenit heißt es noch an einer anderen Stelle im Werk des Celsus 344 , wo dieser Ausdruck jedenfalls nicht zur Bezeichnung eines Übereignungsvorgangs dienen kann: D 12.1.32 Cels 5 dig (Pal. 4 2 ) 3 4 5 Si et me et Titium mutuam pecuniam rogaveris et ego meum debitorem tibi promittere iusserim, tu stipulatus sis, cum putares eum Titii debitorem esse, an mihi obligaris? subsisto, si quidem nullum negotium mecum contraxisti: sed propius est ut obligari te existimem, non quia pecuniam tibi credidi (hoc enim nisi inter consentientes fieri non potest): sed quia pecunia mea ad te pervenit, eam mihi a te reddi bonum et aequum est.

Gleichviel ob man annimmt, daß der zur Abgabe eines Stipulationsversprechens angewiesene Schuldner überhaupt an den Anweisungsempfänger gezahlt hat oder nicht, stellt Celsus selbst ausdrücklich fest, daß zwischen dem Anweisenden und dem Anweisungsempfänger keine Rechtsbeziehung besteht, die einen Eigentumsübergang von EGO auf TU tragen könnte. Dennoch heißt es: pecunia mea ad te pervenit. Von pecunia pervenit spricht auch Iavolen in D 12.4.10 Iav 1 ex Plaut: Si mulier ei cui nuptura erat cum dotem dare vellet, pecuniam quae sibi debebatur acceptam fecit neque nuptiae insecutae sunt, recte ab eo pecunia condicetur, quia nihil interest, utrum ex numeratione pecunia ad eum [sine causa] an per acceptilationem pervenerit. 346

Eine dos ist durch acceptilatio bestellt, die Ehe aber nicht geschlossen worden. Zur Begründung der Kondiktion führt der Jurist aus, daß es irrelevant sei, ob das Geld durch Auszahlung oder Erlaß an den Verlobten gelangt sei. Für beide Formen der Zuwendung heißt es pecunia pervenit.

342

So die Deutung von Käser , Rechtsquellen 259 und Weyand 95. Ähnlich KupiscK SZ 93, 76. 344 Auf die Entsprechung weist Flume 68 hin. 345 Näheres zu diesem Text unten § 27. 346 Zu dem unsinnigen Zusatz [sine causa] vgl. Schwarz , Die Grundlage der condictio (1952) 196f. und J.G. Wolf \ Causa stipulationis (1970) 52 N.14 und 106. 343

Viertes Kapitel: Fortbildung der Dogmatik

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Daraus ergibt sich: Pecunia pervenit deckt den Eigentumserwerb durch datio , reicht in seiner Bedeutung darüber hinaus 3 4 7 . V o n pecunia pervenire sprechen die Juristen auch dann, wenn zwar eine datio fehlt, sie an den Vorgang aber gleichwohl dieselben Rechtsfolgen knüpfen w o l l e n 3 4 8 . Dies gilt auch bei der delegatio ad solvendum. Obwohl bloß eine Zahlung des Angewiesenen an den Anweisungsempfänger vorliegt, treten dennoch in den Kausalverhältnissen die Rechtsfolgen ein, die eine datio des Angewiesenen an den Anweisenden und eine solche des Anweisenden an den Anweisungsempfänger gehabt hätte: bestand in dem betreffenden Verhältnis eine Schuld, so bewirkt die i m Zuwendungsverhältnis erfolgte Zahlung die E r f ü l l u n g 3 4 9 ; ist das Kausal Verhältnis dagegen mangelhaft, so greift zwischen den daran beteiligten Parteien die Kondiktion P l a t z 3 5 0 . - Dieses Prinzip erfaßt Celsus abstrakt, wenn er den ordo des Delegationsvorgangs dahingehend bestimmt, daß zwischen Delegat und Delegant sowie zwischen diesem um dem Anweisungsempfänger pecunia pervenirt , also eine Vermögensverschiebung stattfindet 3 5 1 . (cc) W e i l er einen begrifflich noch nicht umrissenen Grundsatz darstellen w i l l , spricht Celsus i m folgenden auch derart vage von actiones . Er kennzeichnet damit die durch pecunia pervenit umschriebenen Vorgänge, die dieselben Rechtsfolgen wie eine datio auslösen 3 5 2 . Daß eine solche Vermögensverschie347

Eine technische Verwendung erfährt pervenire im Erbrecht. In diesem Zusammenhang dient der Begriff zur umfassenden Bezeichnung dessen, was im Wege des Erbgangs aus einem bestimmten Nachlaß erlangt worden ist. Dadurch werden nicht nur zu eigen erworbene Gegenstände erfaßt, sondern auch solche, auf die lediglich ein schuldrechtlicher Anspruch besteht, vgl. Maier, Prätorische Bereicherungsklagen (1932) 15 und 164f. - In dieser Bedeutung erfolgt auch die Erwähnung von pervenire in dem auf Celsus zurückgehenden SC Iuventianum (D 5.3.20.6b, 17f. und fr. 26) sowie in den Fragmenten D 28.5.60.7 (Pal. 127), D 36.1.34 (Pal. 179), D 36.1.33 (Pal. 180) und D 50.16.97 (Pal. 245). - In dem zuletzt genannten Text geht es die vom Verkäufer einer Erbschaft zu leistende Stipulation, vgl. Torrent , Venditio hereditatis (1966) 214,228 , Voci , DER 12 (1967) 29 und Käser, RP 12 (1971) 723 N.37. Anders Cerami , Ann. Pal. 38 (1985) 173ff., der ungeachtet dessen, daß Titius kein Blankettname für einen Sklaven ist, annimmt, es handle sich um die Stipulation eines Ehemannes, der einen Dotalsklaven freigelassen hat. Dieser Ehemann haftet aber bereits gesetzlich, vgl. D 24.3.64pr., 6, 10. - Auf die Stipulation des Erbschaftsverkäufers bezieht sich vermutlich auch die Definition von pervenire bei Ulpian D 50.16.71; vgl. die annähernd gleichlautende Formulierung in D 18.4.2.3. 348 Pecunia pervenit bedeutet demnach gleichsam Vermögensverschiebung. Entgegen Schanbacher 622 kann damit nicht Leistungszweckbestimmung gemeint sein. 349 Für das Deckungsverhältnis sagt dies Paulus D 50.17.180, für das Valutaverhältnis Julian D 46.1.18. 350 Zum DeckungsVerhältnis beispielsweise Ulpian D 16.1.8.3, zum Valutaverhältnis D 44.5.1.11 351 In diesem Sinn wohl auch Flume 67ff., der glaubt, Celsus verweise hier auf die Wertung der anweisungsgemäß erfolgten Zahlung als einer Doppelleistung. 352 Ähnlich Weyand 98f., der die Ausdrucks weise des Celsus ebenfalls als Problem für seine Deutung im Sinne einer Durchgangstheorie erkennt und vermutet, es sei nicht die den Eigentumsübergang tragende Erwerbshandlung, sondern nur deren Ergebnis gemeint. Wie bereits die Untersuchung des Begriffs pervenire ergeben hat, kann aus dem Eintritt

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bung im Valutaverhältnis stattfindet, ist durch die tatsächlich erfolgte Zahlung an den Anweisungsempfänger manifest. Verborgen wird dagegen die im Dekkungsverhältnis stattfindende actio , denn es kommt zu keiner Zahlung an den Anweisenden. c) (aa) Läßt sich der vorsichtig formulierte Text bis hierher nicht für eine sachenrechtliche Durchgangstheorie in Anspruch nehmen 353 , so ist der anschließende Halbsatz auf einmal um so deutlicher, als Celsus nun von einer datio des Schuldners an den Gläubiger und des Gläubigers an die Ehefrau spricht. Sieht man darin mit der herrschenden Auffassung bloß eine erneute Umschreibung des Durchgangserwerbs, so bereitet das Verständnis des einleitenden ceterum Schwierigkeiten. Denn es bestünde kein Gegensatz, der den adversativen Ausdruck rechtfertigen könnte. Statt auf entfernte Übersetzungsmöglichkeiten von ceterum auszuweichen354, liegt es näher anzunehmen, daß Celsus den Begriff in seiner herkömmlichen Bedeutung von 'sonst, andernfalls' verwendet und hier nicht anders als sonst auch 355 einen Vergleichsfall einleitet. Darin findet überhaupt keine delegatio statt, sondern der Schuldner zahlt tatsächlich an den Ehemann, bevor dieser das Geld seiner Frau übergibt. Der auffallende Wechsel in der Terminologie findet damit eine Erklärung: Während das Prinzip einer Zahlung auf Anweisung mit ungewöhnlichen Ausdrücken wie ordo rei gestae , actio und pervenire dargestellt wird, ist die Begrifflichkeit nun eindeutig: anders als im Ausgangsfall treten nicht nur die Rechts Wirkungen zweier dationes ein, sondern es findet jeweils auch der Rechtsakt der datio statt. (bb) Die Funktion des herangezogenen Vergleichsfalles besteht darin, das Prinzip des Anweisungsrechts anschaulich zu machen. Mit der Anweisung, die nämlich der celeritas dient, ist bloß eine Abkürzung des hier beschriebenen Leistungsweges bezweckt. Auf den Ausgangsfall werden hier aber nur die eingetretenen Rechtsfolgen übertragen. An eine Übernahme der sachenrechtlichen Konstruktion denkt Celsus an dieser Stelle ebenso wenig wie in dem folgenden Text: D 39.5.21.1 Cels 28 dig (Pal. 237) Sed si debitorem meum tibi donationis immodicae causa promittere iussi, an summoveris donationis exceptione necne, tractabitur. et meus quidem debitor exceptione te agentem repellere non potest, quia perinde sum, quasi exactam a debitore meo summam tibi donaverim et tu illam ei credideris.

der Rechtsfolgen einer datio aber nicht auf das Vorliegen des Erwerbsaktes geschlossen werden. 353 Die aufgezeigten Probleme bleiben bestehen, wenn man mit Sacconi 47f., Misera 28 und Käser, Rechtsquellen 294 davon ausgeht, daß Celsus den Durchgangserwerb bloß fiktiv verstanden hat. Eine Fiktion zwingt nämlich gerade nicht zu untechnischem Sprachgebrauch. Daß der von Celsus konstatierte ordo rei gestae nicht fiktiv gemeint ist, glauben dagegen Wolff 432 und Weyand 94. 354 So aber Käser , Labeo 26, 27 und Weyand 95, die die (seltene) Bedeutung von in Wahrheit unterstellen. 355 Vgl. D 17.1.48pr. und § 2 (Pal. 68) sowie das Zitat bei Ulpian D 10.4.5.3 (Pal. 37).

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Viertes Kapitel: Fortbildung der Dogmatik

EGO möchte TU beschenken und weist seinen Schuldner an, sich dem TU zu verpflichten. Für Celsus stellt sich die Frage, ob das im Valutaverhältnis geltende Schenkungsverbot der lex Cincia Rechtsfolgen im Zuwendungsverhältnis auslöst. Zum Vergleich zieht er einen Fall heran, dessen Lösung unproblematisch ist: EGO hat die geschuldete Summe eingezogen, das Geld anschließend dem TU geschenkt, und dieser hat es dem Schuldner wiederum als Darlehen gegeben. Zwischen EGO und TU liegt eine donatio perfecta vor, so daß auch der Schuldner gegenüber seinem neuen Gläubiger keine Einrede aus der lex Cincia geltend machen kann. 356 Anders als in D 24.1.3.12 geht es nicht um eine Zahlungsanweisung, sondern um eine delegatio obligandi. Ferner hat der Angewiesene auf die gegenüber dem Anweisungsempfänger abgegebene Stipulation noch nicht gezahlt, so daß es zu keiner Eigentumsübertragung gekommen ist, bei der ein Durchgangserwerb des Anweisenden denkbar wäre 357 . Dennoch hält Celsus einen Vergleich mit dem Fall für gerechtfertigt, daß sowohl im Deckungs- wie auch im Valutaverhältnis eine reale Eigentumsübertragung stattgefunden hat. 3. Wenn die Annahme eines sachenrechtlichen Durchgangserwerbs nur schwer zu Celsus* Argumentation in D 24.1.3.12 paßt, so spricht gegen sie zudem eine Äußerung Ulpians. Der Spätklassiker, der Celsus zustimmend zitiert und seine Lösung auch in dem weiteren Fall einer Zahlung an den falsus procurator anwenden will, bemerkt zur Zulässigkeit eines Anweisungsdarlehens:

356 Der Text fährt fort: sed ego, si quidem pecuniae a debitore meo nondum solutae sint, habeo adversus debitorem meum rescissoriam in id, quod supra legis modum tibi promisit ita , ut in reliquum tantummodo tibi maneat obligatus: sin autem pecunias a debitore meo exegisti, in hoc, quod modum legis excedit, habeo contra te condictionem . Dieser Zusatz kann nicht echt sein, vgl. J.G. Wolf Causa stipulationis (1970) 168f. N.21 und Haeberlin 141 ff., der die Unvereinbarkeit mit den für die delegatio geltenden Regeln herausstellt. Anders Archi , Scr. Ferrini I (1947) 740ff. sowie Biondi , St. Solazzi (1948) 117ff. und Successioni testamentarie e donazione (1955) 614f. Für die Echtheit spricht sich neuerdings auch Cerami 162f. aus, der glaubt, Celsus lasse eine in integrum restitutio bzw. eine condictio zu, weil er das subjektive Element einer donatio perfecta vermisse. Selbst wenn man bereit ist, den so entstehenden Widerspruch zu Julian D 39.5.2.1 auf eine Klassikerkontroverse zurückzuführen (so Cerami 152), bleibt der zweite Teil des Celsus-Fragments inhaltlich unvereinbar mit dem Beginn des Textes: Wenn der anweisende Schenker so steht, als habe er selbst das von dem Schuldner eingezogene Geld an den Beschenkten gezahlt, so liegt eine wirksame donatio perfecta vor (vgl. Wolf a.a.O) und es bleibt weder für eine restitutio in integrum im Verhältnis zum angewiesenen Schuldner noch für eine condictio gegen den Schenker Raum. Unzulässig ist insoweit der von Cerami 185ff. angestrengte Vergleich zu D 24.1.3.12, denn das bis auf donationes imperfectae sanktionslose Schenkungsverbot der lex Cincia kann nicht mit dem zivilrechtlich wirkenden Ehegattenschenkungsverbot gleichgesetzt werden. 357 Wenn Wieacker 424 behauptet, hier liege die gleiche Konstruktion wie in D 24.1.3.12 zugrunde, so relativiert er seine Annahme eines sachenrechtlichen Durchgangserwerbs freilich sehr stark.

§ 15 Bildung und Abwägung von Rechtsprinzipien: D 24.1.3.12 (Pal. 120)

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D 12.1.15 Ulp 31 ad e d Singularia quaedam recepta sunt circa pecuniam creditam. nam si tibi debitorem meum iussero dare pecuniam, obligaris mihi, quamvis meos nummos non acceperis ...

Ulpian betont, daß das Anweisungsdarlehen nun ausnahmsweise anerkannt sei, weil der Darlehensnehmer in diesem Fall kein Geld des Darlehensgebers erhalte. Diese Aussage wäre schlicht falsch, wenn bei der Zahlung auf Anweisung grundsätzlich ein Durchgangserwerb des Anweisenden stattfände 359. Warum aber sollte Ulpian hier auf diese Konstruktion verzichten, wenn er sie in anderen Fällen anerkannt hätte? Schließlich ist der ordo rei gestae derselbe 360 ; der Jurist wäre also nicht gezwungen, das Anweisungsdarlehen zu den singularia recepta zu zählen. Dies erhellt: auch für Ulpian kann der von Celsus konstatierte ordo rei gestae keine andere Bedeutung haben als die abstrakt-begriffliche Erfassung des anweisungsrechtlichen Grundsatzes, daß die im Zuwendungsverhältnis erfolgte solutio in den Kausalverhältnissen eine Vermögensverschiebung bewirkt und die Rechtsfolgen von dationes auslöst. 4. Welchem Zweck dient nun diese Betrachtung? Geht es Celsus darum, die Anwendbarkeit des Ehegattenschenkungsverbotes auch in den Fällen zu begründen, in denen der Ehemann nicht selbst an seine Frau zahlt, sondern einen Schuldner anweist 361 ? Der Tatbestand des Schenkungsverbotes, das nur eine Entreicherung des einen und eine Bereicherung des anderen Ehegatten voraussetzt 362 , ist bei der Zahlung auf Anweisung offensichtlich erfüllt. Eine Analyse des für Anweisungsverhältnisse allgemein geltenden ordo rei gestae wäre in diesem Zusammenhang völlig überzogen 363.

358 Auf die Bedeutung dieser Stelle für unseren Zusammenhang weisen Sacconi 47, Jakobs 208 und Flume 71, 77 N.61 hin. 359 Unzutreffend ist die von Weyand 133 vorgeschlagene Deutung, wonach das Eigentum zunächst auf den Darlehensnehmer übergehe, um dann in einem doppelten Übertragungsakt zum Darlehensgeber und von diesem wieder zurück zum Darlehensnehmer zu gelangen. In diesem Fall wäre das Vereinbarungsdarlehen der Grundfall, das Anweisungsdarlehen nur daraus abgeleitet. Ulpian entwickelt aber gerade die Zulässigkeit des Vereinbarungsdarlehens aus dem Anweisungsdarlehen, wenn er im Fortgang sagt: quod igitur in duabus personis recipitur, hoc et in eadem persona recipiendum est, ut, cum ex causa mandati pecuniam mihi debeas et convenerit, ut crediti nomine eam retineas, videatur mihi data pecunia et a me ad te profecta. 360 Es handelt sich um ein bei der delegatio allgemein geltendes Prinzip, vgl. Kupisch , St. Sanfilippo I I 297 und Weyand 95 gegen Käser, Rechtsquellen 295, wonach wir es mit einem Beispiel fallrechtlichen Denkens zu tun hätten. 361 So Haeberlin 129, Kupisch , St. Sanfilippo I I 291, 299ff. und neuerdings Giaro 230ff. 362 Vgl. beispielsweise Terentius Clemens D 24.1.25: ... nam ius constitutum ad eas donationes pertinet, ex quibus et locupletior mulier et pauperior maritus in suis rebus fit ... ; dazu Misera 6f. 363 Daß es sich um eine sehr allgemeine Betrachtung handeln würde, muß auch Kupisch, St. Sanfilippo II 300 zugeben.

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Viertes Kapitel: Fortbildung der Dogmatik

Sie macht dagegen Sinn, sobald man sie auf die Frage des Eigentumserwerbs durch den Ehemann bezieht. Dem ordo rei gestae, wonach in den Kausalverhältnissen die Rechtsfolgen einer datio eintreten, unterliegt nämlich auch eine Anweisung zur Zahlung an den Ehegatten. Wenn diese wegen des Schenkungsverbotes keine Rechtswirkungen im Valutaverhältnis zeitigen darf 3 6 4 , so kann sich der ordo aber wenigstens insoweit verwirklichen, als die vom Verbot nicht umfaßten Rechtsfolgen einer Zahlung des Delegat an den Delegant eintreten. Daraus folgt, daß der anweisende Ehemann Eigentümer des Geldes werden muß und zugleich Befreiung des Schuldners eintritt. Dieser hat nur gezahlt, um die gegen ihn bestehende Forderung zum Erlöschen zu bringen; an den im Valutaverhältnis auftretenden Problemen ist er nicht beteiligt. Demnach darf auch die Rückabwicklung nur zwischen Anweisendem und Anweisungsempfänger stattfinden; dem Angewiesenen darf nicht das Risiko einer Klage gegen den Delegatar aufgebürdet werden. Versteht sich diese Lösung bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung von selbst, so kann nichts anderes gelten, wenn das Valutaverhältnis zivilrechtlich ungültig ist. 5. Liegt damit fest, welches Ergebnis der ordo rei gestae im vorliegenden Fall gebietet, so steht eine sachenrechtliche Konstruktion des Eigentumserwerbs durch den Ehemann noch aus. Celsus geht auf dieses Problem auch erst im dem letzten Satz seiner Argumentation ein: nec novum aut mirum esse, quod per alium accipias, te accipere. Die Schlichtheit dieser Aussage ist bislang nicht hinreichend berücksichtigt worden. Celsus betrachtet weder die Frau als Stellvertreterin ihres Ehemannes 365 , noch glaubt er an eine Übereignung durch den angewiesenen Schuldner im Wege der Einräumung eines Besitzkonstituts 366 . Er stellt bloß fest, daß es bereits Fälle gibt, in denen man anerkanntermaßen durch einen Dritten er-

364 Der Einleitung nam et si... ist entgegen Kupisch, St. Sanfilippo I I 297 und Schanbacher 621 nicht zu entnehmen, daß das im Fall der gewöhnlichen delegatio beobachtete pecunia pervenit auch im Ehegattenschenkungsfall in beiden Kausalverhältnissen stattfindet. Worauf es Celsus ankommt, ist daß im Normalfall der delegatio eine Vermögensverschiebung im Deckungsverhältnis stattfindet. Indem er diese Lösung auf den Ehegattenschenkungsfall überträgt, fällt die Entscheidung von Ausgangs- und Vergleichsfall teilweise gleich aus, so auch daß das einleitende et gerechtfertigt ist. 365 So aber Wieacker 423. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Ehefrau einem procurator omnium bonorum gleichgestellt würde. Dagegen auch Käser, Rechtsquellen 268f. 366 So Weyand 106ff., der vermutet, Celsus habe in der Anweisung des Schuldners durch den Ehemann zugleich die Vereinbarung eines Besitzmittlungsverhältnisses gesehen. Das als Beleg für die Anerkennung einer Besitzmittlung herangezogene Fragment D 41.2.18pr. (Pal. 195) handelt jedoch ausdrücklich nur von dem Fall eines In-sichKonstitutes durch den procurator; vgl. unten § 18 1 1. Ferner stellt sich die Frage, ob ein Eigentumserwerb, an dem der Ehemann selbst beteiligt ist, noch als per alium accipere bezeichnet werden könnte.

§ 15 Bildung und Abwägung von Rechtsprinzipien: D 24.1.3.12 (Pal. 120)

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w i r b t 3 6 7 und in denen der Grundsatz per extraneam personam nobis adquiri non possem nicht g i l t 3 6 9 . Celsus subsumiert den vorliegenden Sachverhalt nicht unter eine der bestehenden Ausnahmen 3 7 0 , sondern er schlägt vor, hier eine weitere Ausnahme zuzulassen, um eine dem ordo rei gestae entsprechende L ö sung zu ermöglichen. Das anweisungsrechtliche Prinzip hat Vorrang vor dem ohnehin in einigen Fällen durchbrochenen Grundsatz der eigenhändigen Tradition. Daher erwirbt die v o m Eigentumserwerb ausgeschlossene Frau hier für ihren Mann. 6. Da ihr nicht die Vorstellung eines Durchgangserwerbs zugrunde liegt, stellt die Argumentation des Celsus keine Konstruktion dar: es findet weder eine Kombination Übertragung körperweltlicher Zustände auf die Rechtsdogmatik 3 7 1 statt, noch werden anerkannte Rechtsinstitute 3 7 2 kombiniert. Anstatt die Fallösung aus dem bestehenden Normensystem zu entwickeln, bemüht sich Celsus vielmehr u m eine Fortbildung der Dogmatik: Er formuliert einen begrifflich bislang noch nicht erfaßten Rechtsgrundsatz und stellt diesen einem anderen zwar anerkannten, aber bereits mit Ausnahmen versehenen - Prinzip gegenüber. Die Fallösung ergibt sich als Ableitung aus dem zuerst genannten Grundsatz, dem Celsus den Vorrang einräumt. 3 7 3 367

Die Aussage, daß man erwirbt, was man durch einen anderen erwirbt, mag zunächst als Tautologie erscheinen; zuvörderst ist sie belehrend: Die Möglichkeit eines Eigentumserwerbs durch einen anderen ist so unzweifelhaft, daß eine mögliche Gegenmeinung leugnen würde, daß man erwirbt, was man erwirbt. Darin steckt ansatzweise eine der charakteristischen reductiones ad absurdum. 368 Vgl. Gaius Inst. 2.95. 369 Dies sind die Fälle des procurator (vgl. Neratius D 41.1.13pr. und 41.3.41) und des tutor (vgl. Neratius D 41.1.13.1). 370 Daß Celsus hier nicht auf bereits bekannte Rechtsinstitute zurückgreift, sondern daß wir es mit einer Neuschöpfung zu tun haben, glauben auch Betti 199ff. und Käser , Rechtsquellen 268ff. 37 1 So Wieacker 448ff. 372 So Weyand 139. 373 Konservativer ist Julian, der das Zivilrecht unberührt läßt und das gleichfalls angestrebte Ergebnis mit den Mitteln des Honorarrechts zu erreichen sucht: er gewährt dem angewiesenen Schuldner keine Befreiung ipso iure , sondern räumt ihm bei Abtretung seiner Klagen an den Ehemann eine exceptio doli ein; vgl. die Lösung der zweiten Fallvariante in D 24.1.39 mit dem - für die Entscheidung unwesentlichen - Unterschied, daß der ungültigen Zahlung des Schuldners an die Ehefrau eine ebenso unwirksame Stipulation vorausgeht; femer Afrikan D 46.1.38.1 zum Fall der anweisungsgemäßen Zahlung an einen falsus procurator. Hier ist der Ehegattenschenkungsfall unecht: einerseits ist es unverständlich, warum dem Schuldner gegen die Ehefrau nur eine condictio zustehen soll; insofern hat der Bearbeiter einfach die Lösung des Ausgangsfalles übertragen, wo dem Angewiesenen gegen den falsus procurator die condictio furtiva zusteht; andererseits bezieht sich der Schlußsatz des Textes, in dem von einer actio furti die Rede ist, wieder ausdrücklich auf den Ausgangsfall; vgl. Wolff 462 im Gegensatz zu Käser , FS Felgenträger (1969) 290 N.77.) - Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 13 des Ulpian-Fragments D 24.2.3. Im Anschluß an das Celsus-Zitat und den von Ulpian angefügten Vergleichsfall heißt es dort: Huic sententiae consequens est, quod Iulianus libro septimo decimo digestorum scripsit, si donaturum mihi iussero uxori meae dare: ait enim

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Viertes Kapitel: Fortbildung der Dogmatik

I I I . Eine vergleichbare Durchbrechung des Traditionsprinzips n i m m t Paulus vor, wenn es u m die Rückgewähr einer Kaufsache an den Nichtberechtigten geht: D 20.6.10.1 Paul 3 quaest 374 Creditor quoque si pignus distraxit redhibitus, dominium ad debitorem concessum est rem alienam vendere: emptore ius recipiunt: sed in pristinam

et ex venditione recessum fuerit vel homo revertitur. idemque est in omnibus, quibus non enim quia dominium transferunt, ideo ab causam res redit resoluta venditione.

Paulus betrachtet zunächst nur den Fall, daß ein Pfandgläubiger das Pfand m i t W i l l e n des Schuldners 3 7 5 verkauft und übereignet hat; seine Entscheidung gilt aber in allen Fällen, in denen ein Nichtberechtigter eine res aliena m i t Zustimmung des Eigentümers verkauft und veräußert hat. W i r d der Kaufvertrag einverständlich aufgehoben 3 7 6 oder verlangt der Käufer eines Sklaven die Wandlung, so fällt das Eigentum an den ehemals Berechtigten zurück, obwohl die Sache nicht diesem, sondern dem Verkäufer zurückgegeben wird. Konstruktiv ableitbar ist diese Lösung, wenn es sich bei der verkauften Sache u m eine res mancipi handelt: Der nichtberechtigte Verkäufer kann dem Käufer nur bonitarisches Eigentum verschaffen; mit der Rückabwicklung des Kaufvertrages entfällt die exceptio rei venditae et traditae, so daß der Eigentümer m i t seiner rei vindicatio wieder durchdringt 3 7 7 . Anders verhält es sich, wenn eine res nec mancipi verkauft und übereignet worden ist. D a Paulus den Sklaven nur anläßlich der Wandlung erwähnt, ansonsten aber allgemein von res und dominium spricht, ist davon auszugehen, daß er auch i n diesem Fall, in dem der Käufer quiritisches Eigentum an der Kaufsache Iulianus nullius esse momenti, perinde enim habendum, atque si ego acceptam et rem meam factam uxori meae dedissem: quae sententia vera est. Die Übereinstimmung mit Celsus besteht lediglich in der Anwendung des Ehegattenschenkungsverbotes (vgl. Sturm, SZ 79 (1962) 133 und Kupisch, St. Sanfilippo I I 311). Anders als bei der Anweisung eines Schuldners ist dies nicht ohne weiteres einzusehen, wenn im Deckungsverhältnis eine Schenkung vorliegt. Der von Julian bemühte Vergleichsfall dient nur der Feststellung nullius esse momenti, ein Eigentumserwerb des anweisenden Ehemannes soll damit nicht begründet werden; vgl. Käser, Rechtsquellen 288 und Weyand 124f. gegen Wolff 431 f. - In dieser Entscheidung liegt freilich auch kein direkter Widerspruch zu Celsus: wenn der Schutz des angewiesenen Schuldners eine Verwirklichung des ordo rei gestae auf Kosten des Traditionsprinzips rechtfertigt, so bedarf der angewiesene Schenker, der freiwillig ein Vermögensopfer bringt, dieses Schutzes nicht; vgl. Flume 71. 374 Literatur: Dernburg, Das Pfandrecht nach den Grundsätzen des heutigen römischen Rechts (1864) 232f,; Knütel, Contrarius Consensus (1968) 54ff.; Wesel, SZ 85 (1968) 120ff; Flume, FS Käser (1976) 312f. sowie Rechtsakt und Rechtsverhältnis (1990) 153f.; Krampe, TR 59 (1991) 25ff.; Schmitt-Ott, Pauli Quaestiones (1993)174ff. 375 Dies ergibt sich aus dem Zusammenhang mit dem principium, vgl. Schmitt-Ott 174, ferner Krampe Iii. 376 Daß dies nicht nur re integra möglich ist, zeigt Knütel 44ff. 377 Flume, FS Käser 312f. sowie Rechtsakt 153; ausführlich Krampe 30f. Anders Schmitt-Ott 175, der annimmt, auch in diesem Fall könne der Käufer quiritisches Eigentum erwerben.

§ 16 Ein vermeintliches Rechtsprinzip: D 12.6.26.12 (Pal. 50)

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erworben hat, einen Rückerwerb des ehemals Berechtigten annimmt 378 , obwohl dieser die Sache nicht erhält. Konstruktiv erfassen ließe sich dieses Ergebnis nur bei Annahme eines rückwirkenden Wegfalls der iusta causa traditionis 379. Daß dies aber nicht der Ansicht des Paulus entspricht, ergibt D 21.1.43.8, wonach ein vom Käufer zwischenzeitlich bestelltes Pfandrecht durch spätere Redhibition nicht zum Erlöschen gebracht wird 3 8 0 . In Form einer ratio dubitandi teilt Paulus denn auch unmißverständlich mit, daß seine Entscheidung mit der hergebrachten Dogmatik nicht vereinbar ist: non enim quia dominium transferunt, ideo ab emptore ius recipiunt. Der Nichtberechtigte, der das Eigentum übertragen hat und die Kaufsache nun zurückerhält, müßte nach dem Traditionsprinzip eigentlich das Recht erwerben. Wichtiger ist für Paulus aber der Grundsatz, daß die Rückgängigmachung des Kaufvertrags eine Wiederherstellung des früheren Zustands bewirkt: sed in pristinam causam res redit resoluta venditione m. Dieses Prinzip nennt er auch einmal ausdrücklich in D 21.1.60 Paul 69 ad e d 3 8 2 : Facta redhibitione omnia in integrum restituuntur, perinde ac si neque emptio neque venditio intercessit.

Es hat - ebenso wie der von Celsus formulierte Grundsatz des Anweisungsrechts - Vorrang vor dem ohnehin durchbrochenen Traditionsprinzip.

§ 16 Ein vermeintliches Rechtsprinzip: D 12.6.26.12 (Pal. 50) Um das Zusammenspiel zweier Rechtsgrundsätze, von denen einer nicht ohne Ausnahme gilt, geht es auch in Dl2.6.26.12 Ulp 26 ad ed (Pal. 5 0 ) 3 8 3 : ... et Celsus libro sexto digestorum putat eam esse causam operarum, ut non sint eaedem neque eiusdem hominis neque eidem exhibentur: nam plerumque robur

378

So Flume a.a.O. und Krampe 29, der darauf hinweist, daß die gleichen Schwierigkeiten auch nach der Ersitzung einer res mancipi durch den Käufer entstehen 379 So Wesel 123. 380 vgl. Flume, FS Käser 313 N.16 und Rechtsakt 154 N.115; ausführlich wiederum Krampe 33f. 381

Entgegen Krampe 33 und Schmitt-Ott 175 hat diese Aussage Begründungsfunktion und ist nicht nur eine Beschreibung des Ergebnisses. 382 Die Bedeutung dieses Fragments für die Interpretation von D 20.1.60.1 hat bereits Dernburg 232f. und N.7 herausgearbeitet. 383 Literatur: Käser, Quanti ea res est (1935) 117ff.; v. Lübtow, Beiträge zur Lehre von der condictio (1952) 51 ff.; Niederländer, Die Bereicherungshaftung (1953) 4ff.; Flume, FS Niedermeyer (1953) 104ff.; Pescani, Le operae libertorum (1967) 128ff.; Cerami, SDHI 44 (1978) 181f. N.97; Scarano Ussani, Valore e storia (1979) 124ff.; Waldstein, Operae libertorum (1986) 367ff. (vgl. auch FG Käser (1986) 325ff.); Masi Doria, Civitas operae obsequium (1993) 65ff.

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Viertes Kapitel: Fortbildung der Dogmatik

hominis, aetas temporis opportunitasque naturalis mutat causam operarum, et ideo nec volens quis reddere potest. sed hae, inquit, operae recipiunt aestimationem: et interdum licet aliud praestemus, inquit, aliud condicimus: ut puta fundum indebitum dedi et fructus condico: vel hominem indebitum, et hunc sine fraude modico distraxisti, nempe hoc solum refundere debes, quod ex pretio habes: vel meis sumptibus pretiosiorem hominem feci, nonne aestimari haec debent? sie et in proposito, ait, posse condici, quanti operas essem conducturus. I. Celsus beschäftigt sich mit der Kondiktion rechtsgrundlos geleisteter operae 3* 4. Als entscheidendes Problem sieht er dabei an, daß operae wegen der unterschiedlichen persönlichen und objektiven Gegebenheiten nicht wiederholbar s i n d 3 8 5 , so daß selbst eine freiwillige Rückerstattung der erbrachten Leistung unmöglich ist. Die condictio könnte dabei an der von Celsus selbst formulierten Regel impossibilium nulla obligatio est 386 scheitern. Diesem Einwand versucht Celsus allerdings mit dem Hinweis zu begegnen, daß operae nach ihrem Wert geschätzt werden können, und daß der Kondiktionsgegenstand nicht unbedingt dem Leistungsgegenstand entsprechen muß. Anders sieht dies noch Marcian, der die Kondiktion irrtümlich geleisteter operae aus eben diesem Grund ablehnt: D 19.5.25 Marc 3 reg ... quod autem indebitum datur, aut ipsum repeti debet aut tantundem ex eodem genere, quorum neutro modo operae repeti possunt. 387 Doch auch in anderen Fällen w i r d zuweilen etwas kondiziert, was zuvor nicht geleistet worden ist, ohne daß die Verpflichtung zur Rückerstattung deshalb als unmöglich gilt. A l s Beispiel nennt Celsus 3 8 8 die Kondiktion der von einem irr384 Weder aus Celsus Worten noch aus Ulpians Zitierweise ergibt sich, daß es dem älteren Juristen ausschließlich um die Kondiktion von operae fabriles durch einen libertus ging, wie v. Lübtow 52, Waldstein 367 und Masi Doria 69ff. meinen. Dies ist lediglich der Kontext, in dem Ulpian die allgemeingültige Aussage des älteren Juristen anführt. Daher besteht auch nicht der von Cerami 181 N.97 und Scarano Ussani 125 behauptete Widerspruch zu Julian, der ausweislich desselben Ulpian-Fragments dem libertus eine Kondiktion geleisteter operae verweigert: libertus cum se putaret operas patrono debere, solvit: condicere eum non posse, quamvis putans se obligatum solvit, Iulianus libro deeimo digestorum scripsit: natura enim operas patrono libertus debet. (Daß Julian sich hierbei nur auf operae officiales bezieht, vermuten v. Lübtow 51 und Waldstein 365, um die von ihnen selbst erzeugte Klassikerkontroverse wieder zu beheben.) 385 Nach Scarano Ussani 126f. bricht sich hier ein empirisches Bewußtsein der veränderlichen Realität Bahn. 386 D 50.17.185 (Pal. 81). 387 Anders urteilt Marcian wiederum in D 12.6.40.2. Zum Verhältnis der beiden Texte Pescani 134ff. und Waldstein 360. 388 Daß die genannten Beispiele nicht von Ulpian stammen, ergibt sich aus der anschließenden Bezugnahme sie et in proposito im letzten Satz, der wieder ausdrücklich als Zitat kenntlich gemacht ist. - Wider die von Käser 118 und v. Lübtow 53 aufgestellten Interpolationsvermutungen gilt es festzuhalten, daß der Ausdruck nempe für Celsus gleich dreimal belegt ist, vgl. D 42.1.11 (Pal. 57), D 36.1.2 (Pal. 183) und D 50.16.158 (Pal. 215); ferner verwendet Celsus fraus anstelle von dolus auch in D 16.3.32 (Pal. 91),

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tiimlich geleisteten Grundstück gezogenen Früchte , ferner die condictio pretii m in dem Fall, daß der Empfänger eines nichtgeschuldeten Sklaven diesen gutgläubig zu einem niedrigeren Preis veräußert hat 3 9 1 . Probleme bereitet das Verständnis des dritten von Celsus angeführten Falles. Der Jurist springt von der Betrachtung der condictio auf das Problem des Ersatzes für wertsteigernde Aufwendungen. Es geht ihm nun nicht mehr um die Unterschiedlichkeit von Leistungs- und Kondiktionsgegenstand, sondern darum zu zeigen, daß die Schätzung erbrachter Dienstleistungen nichts Ungewöhnliches ist 3 9 2 : Indem er sein Retentionsrecht ausübt, kann auch der zur Rückerstattung eines Sklaven Verpflichtete seine wertsteigernden Aufwendungen nach ihrem Schätzwert zurückverlangen. Ebenso könne bei rechtsgrundlos geleisteten operae eine Schätzung entsprechend der Höhe des Lohnes erfolgen, zu welchem die operae anderweitig hätten erbracht werden können 393 . II. Die Argumentation des Celsus ist zweigeteilt: Einerseits zeigt der Jurist anhand des Verwendungsersatzes, daß die aestimatio von Dienstleistungen möglich und bereits üblich ist. Zum anderen erweist er anhand von zwei Ausnahmefällen, daß es kein zwingendes Dogma der Identität von Kondiktions- und Leistungsgegenstand gibt. Wenn dieses Prinzip aber nicht gilt, greift auch der Grundsatz impossibilium nulla obligatio est nicht ein: ist es zulässig, die condictio nicht auf die Rückgewähr der operae selbst, sondern bloß auf ihren Schätzwert zu richten, liegt auch kein unmögliches Leistungsbegehren vor. und eine mit nonne eingeleitete rhetorische Frage findet sich ebenfalls in D 19.1.38.2 (Pal. 79). 389 Daß der Zuwachs den Charakter der Muttersache teilt, ändert entgegen v. Lübtow 53 nichts daran, daß in diesem Fall mehr kondiziert wird, als ursprünglich geleistet worden ist. 390 Käser 118 zweifelt im Gegensatz zu v. Lübtow 53 an der sachlichen Echtheit dieser Klage. Die von Julian bei Afrikan D 12.1.23 zugelassene condictio pretii nennt er aber an anderer Stelle (FS Felgenträger (1969) 278f.) eine fortschrittliche Schöpfung der Hochklassik. 391 Die Formulierung quod ex pretio habes bedeutet entgegen v. Lübtow 54 und Niederländer 6 keine (byzantinische) Beschränkung der Haftung auf die noch vorhandene Bereicherung. Es heißt: "was du aus dem Kaufpreiserlös hast", nicht "was du noch hast"; vgl. Flume 105ff. Inhaltlich besteht kein Unterschied zu der von Afrikan D 12.1.23 verwendeten Formulierung: ... posse te mihi pretium condicere Iulianus ait, quasi ex re tua locupletior factus sim. Auch hier ist keine Beschränkung auf die noch vorhandene Bereicherung gemeint. 392 Daher ist hier weder an die unklassische condictio impensarum, noch an eine (gleichfalls verdächtige) Anrechnung der Aufwendungen ipso iure gedacht, wie Käser 119 und v. Lübtow 57 meinen. Da es eben nicht mehr um die Frage der Identität von Leistungs- und Kondiktionsgegenstand geht, liegt auch kein anstößiger Subjektwechsel in der Person von Kläger und Beklagtem vor. 393 EGO ist hier wie in dem vorangegangenen Fall derjenige, dessen Leistungen geschätzt werden, nicht derjenige, der die Leistungen erhalten hat. Gegenstandslos sind daher sowohl die von Käser 119 und v. Lübtow 57 vorgetragenen Bedenken gegen eine Berechnungsmethode nach dem Interesse des Kondiktionsschuldners als auch die hierauf abzielende Verteidigung von Flume 112 und Waldstein 369. 7 Harke

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Viertes Kapitel: Fortbildung der Dogmatik

§ 17 Transplantation eines Instituts oder Rechtsprinzips Eine Weiterentwicklung der Dogmatik ist auch dadurch möglich, daß der Jurist auf ein Rechtsinstitut zurückgreift, das sich bislang nur in einem anderen Bereich bewährt hat, oder daß er einen Grundsatz auf ein verwandtes Rechtsgebiet ausdehnt: I. D 37.6.6 Cels 10 dig (Pal. 90)394 Dotem, quam dedit avus paternus, an post mortem avi mortua in matrimonio filia patri reddi oporteat, quaeritur. occurrit aequitas rei, ut, quod pater meus propter me filiae meae nomine dedit, perinde sit atque ipse dederim: quippe officium avi circa neptem ex officio patris erga filium pendet et quia pater filiae, ideo avus propter filium nepti dotem dare debet. quid si filius a patre exheredatus est? existimo non absurde etiam in exheredato filio idem posse defendi, nec infavorabilis sententia est, ut hoc saltem habeat ex paternis, quod propter illum datum est.

1. Stirbt die Ehefrau, so unterliegt die von einem männlichen Anverwandten bestellte dos profecticia grundsätzlich nur dann der Rückforderung, wenn der Besteller die Ehefrau überlebt hat 3 9 5 . Gleichwohl entscheidet Celsus, daß der Vater der Braut eine vom Großvater bestellte dos zurückfordern könne, wenn dieser bereits vorverstorben ist. Denn der Großvater habe die Mitgift nur anstelle seines Sohnes, des Vaters der Braut, bestellt, und sein officium gegenüber der Enkelin bestehe nur vermittels seines officium gegenüber seinem Sohn. Daher könne der Sohn die Mitgift zurückfordern, so als habe er sie selbst bestellt. Vorsichtig fügt Celsus hinzu, daß dies selbst dann gelte, wenn der Großvater seinen Sohn enterbt habe, denn auch in diesem Fall habe er nur für seinen Sohn geleistet. 2. Im Text wird nicht ausdrücklich klargestellt, ob der rückforderungsberechtigte Sohn im Zeitpunkt der dos-Bestellung bereits sui iuris gewesen ist. Es wäre jedoch voreilig, aus dem Umstand, daß der Großvater die Mitgift geleistet hat, zu schließen, Sohn und Enkelin hätten sich damals noch in der Gewalt des Großvaters befunden 396 . Denn eine dos profecticia kann nicht nur der Gewalthaber der Braut, sondern jeder männliche Anverwandte bestellen 397 . Der Großvater

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Literatur: Beckmann , Das römische Dotalrecht I (1863) 428; v. Czyhlarz , Das römische Dotalrecht (1870) 317f.; Solazzi , La restituzione della dote (1899) 41 Off.; Castelli , Scritti Giuridici (1923) 134ff.; Astolfi, Studi sull' ogetto dei legati I (1964) 256ff.; Söllner , Zur Vorgeschichte und Funktion der actio rei uxoriae (1969) 56, N.7; Scarano Ussani , Valore e storia (1979) 114ff. 395 Ulp Ep. 6.4; vgl. Käser , RP12 (1971) 334. 396 So aber Castelli 135 und Astolfi 256ff. 397 Ulp D 23.3.5pr. Dies gilt sogar, wenn die Braut gewaltfrei ist, vgl. Ulp fr. 5 § 11. Dazu eingehend Guarino , FS Koschaker I I (1939) 55ff. N. 31, der auch den abweichenden Wortlaut von Ulp Ep. 6.3-5 unter Hinweis auf die Begriffsbestimmung von pater in D 50.16.201 hinreichend erklären kann; zustimmend Schindler , Justinians Haltung zur Klassik (1966) 22f. und Söllner 56f.

§ 17 Transplantation eines Instituts oder Rechtsprinzips

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wäre dazu auch in der Lage gewesen, wenn sein Sohn im Zeitpunkt der Eheschließung bereits gewaltfrei war. Daß es Celsus genau um diesen Fall geht, läßt sich der von ihm gegebenen Entscheidungsbegründung entnehmen. Es heißt, daß den Sohn die Verpflichtung treffe, der Enkelin eine Mitgift zu gewähren: ... quia pater filiae ... dotem dare debet m. Dies trifft aber nur dann zu, wenn er seinerseits gewaltfrei ist. Andernfalls bestünde für den Großvater als Gewalthaber der Enkelin ein unmittelbares officium gegenüber dieser; es wäre nicht vermittelt durch sein officium gegenüber dem Sohn 3 ". 3. Fraglich ist, ob die zur Begründung angeführte aequitas rei tatsächlich von Celsus stammt 400 . Während der Text ansonsten in der 3. Person von Avis, pater und neptis handelt, ist in dem mit occurit aequitas rei eingeleiteten Satz plötzlich von ego, einem pater meus und einer filia mea die Rede. Auf der anderen Seite fiele bei einer Streichung gerade derjenige Satz weg, der die eigentliche Entscheidung enthält, und zur Rekonstruktion der klassischen Vorlage wäre man auf bloße Vermutungen angewiesen. Die Berufung auf die aequitas rei darf jedenfalls nicht dahingehend mißverstanden werden, daß im Wege einer reinen Billigkeitsentscheidung 401 das bestehende Normensystem überspielt werde 402 : Die für die Rückforderung der dos profecticia zuständige actio rei uxoriae 403 enthält die Klausel quod melius aequius erit^. Der Hinweis auf die Sachgerechtigkeit hat daher einen konkreten 398

Daß debere nicht nur zur Bezeichnung einer Rechtspflicht verwendet wird, sondern daß damit auch eine Anstandspflicht gemeint sein kann, zeigt Astolfi 257, der sich gegen den von Castelli 135 behaupteten Widerspruch zwischen den Begriffen officium und debere wendet. 399 Dies verwirrt v. Czyhlarz 317, der die Ansicht des Celsus demzufolge für unzutreffend erachtet. Im Ergebnis wie hier Beckmann 428. 400 Einen entsprechenden Interpolationsverdacht äußert Pringsheim, SZ 42 (1921) 645f. N.8. 401 In diesem Sinn erscheint die aequitas rei bei Ulpian D 38.6.6, Paulus D 36.1.76.1 und Tryphonin D 16.3.31.1, wo eine durch die Besonderheiten des Einzelfalles motivierte Ausnahmeentscheidung begründet werden soll. Zur allgemeinen Feststellung, daß ein Urteil nicht gegen die Sachgerechtigkeit verstoßen darf, dient der Begriff der aequitas rei dagegen bei Scaevola D 41.1.28.2 und Ulpian D 50.13.2. 402 So aber v. Czyhlarz 317 sowie Solazzi 411 und Söllner 56 N.7. Scarano Ussani 115f. glaubt, Celsus habe mit der Tradition gebrochen und sich sensibel für die Familie als Gefühlsbeziehung gezeigt. Die Analyse der Familienverhältnisse dient jedoch der Einführung einer juristischen Figur; vgl. unten 4. 403 Daß diese Klage auch für die Rückforderung einer dos profecticia einschlägig ist, ist zwar nicht ausdrücklich belegt, wird aber allgemein angenommen, vgl. Käser, RP 12 (1971) 339 N.23 m. w. N. v. Czyhlarz 48 beruft sich zum Beweis auf Paulus Vat. 108, wo die repetitio einer dos durch den Vater unter dem Titel de re uxoriae behandelt wird. 404 Cicero top. 17.66. Gaius D 4.5.8 bezeichnet die actio rei uxoriae als in bonum et aequum concepta. Der Komparativ melius aequius drückt den Vergleich aus, daß die Herausgabe besser und gerechter sein muß, als daß die dos beim Mann verbleibt; vgl. Käser, SZ 83 (1966) 34 N.161 und Söllner 138ff.

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Viertes Kapitel: Fortbildung der Dogmatik

Bezugspunkt im Formular der einschlägigen Klage und stellt keine offene Wertung dar. 4. Daß Celsus nicht losgelöst von der bestehenden Dogmatik entscheidet, zeigt seine ausführliche Begründung. Der Jurist versucht, die Analyse der familiären Beziehungen mit einer Figur aus dem Schuldrecht zu verbinden: Wenn die Anstandspflicht des Großvaters gegenüber seiner Enkelin nur deshalb besteht, weil ihn eine Anstandspflicht gegenüber seinem Sohn trifft 4 0 5 , schuldet der Großvater die Bestellung der dos nicht aus eigenem officium , sondern er erfüllt eine Verpflichtung seines Sohnes und leistet propter filium 406. Indem Celsus hier auf das Institut der Drittleistung verweist, macht er einen von Servius und Labeo erhobenen Einwand gegenstandslos: D 23.3.79pr. Lab 3 post a Iav epit Avus neptis nomine filio natae genero dotem dedit et moritur. negat Servius dotem ad patrem reverti et ego cum Servio sentio, quia non potest videri ab eo profecta, quia nihil ex his sui habuisset.

Die beiden älteren Juristen verweigern dem Vater der Braut eine Rückforderung der dos mit dem Hinweis, daß aus seinem Vermögen nichts an den Ehemann gelangt sei. Dies ist aber auch nicht erforderlich, wenn man mit Celsus von einer Drittleistung ausgeht: die Leistung des Großvaters wird dem Sohn wie eine eigene zugerechnet, so daß er auch die Rückforderung berechtigt ist. Daher bleibt es auch unerheblich, ob der Großvater seinen Sohn zum Erben eingesetzt oder ihn enterbt hat: Die Forderungszuständigkeit entsteht nämlich unmittelbar mit der drittbefreienden Leistung des Großvaters zugunsten seines Sohnes. 5. Mit dieser Entscheidung führt Celsus die bestehende Dogmatik fort, indem er das aus dem Schuldrecht stammende Institut der Drittleistung auch in dem Bereich bloß sittlicher Verpflichtung einsetzt und für die juristische Beurteilung der familiären Beziehungen fruchtbar macht. II. Auf Celsus geht möglicherweise auch die nachfolgende Entscheidungsbegründung zurück, in der ein Grundsatz aus dem Bereich der Austauschverträge auf das Gesellschaftsrecht angewandt wird:

405 Der von Astolfi 256f. aufgestellte Syllogismus ist eingedenk des Wortlautes in dieser Hinsicht etwas großzügig formuliert. 406 Für das Innen Verhältnis zwischen dem Großvater und seinem Sohn denkt Bechmann 428 an eine negotiorum gestio , Solazzi 412 dagegen an eine Schenkung. Beides ist unzutreffend: Celsus selbst sagt, daß die Leistung aufgrund eines officium patris erga filium erfolgt. Bei der Erfüllung einer sittlichen Pflicht kommt eine Schenkung aber nicht in Betracht; vgl. Schwarz , SZ 68 (1951) 298f. Entsprechendes gilt für die Annahme einer Geschäftsführung ohne Auftrag.

§ 17 Transplantation eines Instituts oder Rechtsprinzips

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D 17.2.52.2 Ulp 31 ad ed (Pal. 69)407 Utrum ergo tantum dolum an etiam culpam praestare socium oporteat, quaeritur. et Celsus libro septimo digestorum ita scripsit: socios inter se dolum et culpam praestare oportet, si in coeunda societate, inquit, artem operamve pollicitus est alter, veluti cum pecus in commune pascendum aut agrum politori damus in commune quaerendis fructibus, nimirum ibi etiam [culpa] praestanda est: pretium enim operae artis est [velamentum]. quod si rei communi socius nocuit, magis admittit culpam quoque venire.

1. Celsus erörtert die Haftungsformen bei der societas: Allgemein gilt, daß die Gesellschafter untereinander für dolus und culpa einzustehen haben 408 . Letzteres soll nach dem Schlußsatz der Stelle insbesondere dann der Fall sein, wenn ein Gesellschafter eine res communis beschädigt hat 4 0 9 . Zuvor betrachtet Celsus allerdings die Konstellation, daß ein Gesellschafter sich zur Leistung von Diensten oder Arbeiten verpflichtet hat, die eine gewisse Kunstfertigkeit erfordern, und die Mitgesellschafter ihm zu diesem Zweck eigene Sachen anvertraut haben. Als Beispiele nennt er das gemeinsame Weiden des Viehs oder die Überlassung eines Feldes an einen Landwirt zur Fruchtziehung für die Gemeinschaft. Trotz des überlieferten Wortlauts müßte nach dem Duktus des Textes hier eine strengere Haftung als die für culpa eingreifen. Denn es heißt im Anschluß an die Erwähnung der cw//?a-Haftung, daß in diesen besonderen Fällen sogar in der angegebenen Weise gehaftet werde. Ferner wird der anschließende Fall der Beschädigung einer gemeinschaftlichen Sache adversativ mit quod si... eingeleitet, obwohl abermals die Haftung für culpa statuiert wird 4 1 0 . Ist danach ein schärferer Haftungsmaßstab zu vermuten, so erhellt der nachfolgende § 3 des Ulpian-Fragments, daß es sich dabei um custodia gehandelt haben muß 4 1 1 . Dort heißt es nämlich ausdrücklich, daß derjenige Gesellschafter,

407 Literatur: Scialoja, Bull. 13 (1900) 85f.; Kariowa, Römische Rechtsgeschichte I I (1901) 658 N . l ; Mitteis, RP I (1908) 330 N.43; Kubier, Berliner FG Gierke I I (1910) 254f.; LeneU SZ 49 (1929) 462f.; Wieacker, SZ 54 (1934) 44ff. und 58ff.; Pflüger, SZ 65 (1947) 188ff.; Arangio-Ruiz, La societä (1950) 191ff.; Nörr, SZ 73 (1956) 70f.; Hausmaninger, FS Käser (1976) 270; Zimmermann, The Law of Obligations (1993) 464f. 408 Mitteis a.a.O., Wieacker 40 und Arangio-Ruiz 191 f. behaupten, daß es sich bei et culpam um einen späteren Zusatz handelt. Dies ist jedoch keineswegs zwingend: das nachfolgende nimirum ibi etiam ... ist hinreichend erklärt, wenn man entsprechend dem nachfolgenden § 3 an dieser Stelle custodia für culpa einsetzt. 409 An der Echtheit dieser cw/pa-Haftung zweifelt auch Arangio-Ruiz 193 nicht, der auf die Parallele zur actio communi dividundo hinweist. 410 Darauf verweisen Kübler 255 und neuerdings Zimmermann 464. Hausmaninger a.a.O. geht über diesen Punkt einfach hinweg, wenn er an dem überlieferten Wortlaut festhält. 411 Wieacker 46, Arangio-Ruiz 192f. Wegen des Zusammenhangs mit § 3 ist auch die Annahme von Pflüger 189f. unwahrscheinlich, wonach in unserem Text bloß culpa zu streichen sei. Die Aussage des Celsus reduzierte sich dann darauf, daß derjenige, der opera artemve versprochen hat, auch dafür haftet.

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der das Weiden von Vieh übernommen hat, für custodia haftet 412 . Anders als bei § 2 müssen die Kompilatoren diese Stelle bei der planmäßigen Ersetzung der obsoleten custodia-Haftung übersehen haben. 2. Die erweiterte Haftung des Arbeitsgesellschafters wird begründet mit den Worten: pretium operae artis.... Dieser Satz steht zwar nicht in indirekter Rede. Dennoch ist es wahrscheinlich, daß er auf Celsus zurückgeht, weil nicht nur die unmittelbar vorangehenden Aussagen, sondern ausweislich von magis admittit auch die nachfolgende Entscheidung von dem Klassiker stammt. In seiner überlieferten Form ist der Begründungssatz zweifelsohne verdorben: es fehlt nicht nur das Suffix -ve hinter artis\ auch der Begriff velamentum ergibt weder in seiner Grund- noch in seiner übertragenen Bedeutung als 'Vorwand' irgendeinen Sinn. Unabhängig davon, ob es sich bei velamentum um eine in den Haupttext geratene Randglosse zu pecus namens vel armentum 413 oder um ein falsch abgeschriebenes emolumentum 414 oder augmentum 415 handelt, läßt sich der Sinngehalt der Rumpfaussage pretium enim operae artisve est heute noch ermitteln: Die custodia-Haftung greift ein, wenn der Verpflichtete eine fremde Sache im eigenen Interesse in den Händen hat 4 1 6 . Der socius, der sich gegenüber der Gesellschaft zu einer Leistung von Diensten verpflichtet hat, erhält als Entgelt für seine Arbeit eine Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft. Wegen dieses Eigeninteresses ist es folgerichtig, daß er für die ihm von den Mitgesellschaftern anvertrauten Sachen verschärft haftet 417 .

412 ... ideoque si pecus aestimatum datum sit et id latrocinio aut incendio perierit, commune damnum est, si nihil dolo malo aut culpa acciderit eius, qui aestimatum pecus acceperit: quod si a furibus subreptum sit, proprium eius detrimentum est, quia custodia praestare debuit, qui aestimatum accepit. haec vera sunt, et pro socio erit actio, si modo societatis contrahendae causa pascenda data sunt quamvis aestimata. 413 So Lenel 462, der damit einen Gedanken von Scialoja 86 aufgreift, wonach velamentum eine Kombination aus vel und einem Wort ähnlich amentum darstellt. 414 So Kariowa a.a.O. Den Ursprung der Anfangsbuchstaben ve vermutet er in dem weggefallenen Suffix hinter artis. 415 Augmentum klingt ähnlich wie amentum und könnte entsprechend der von Kariowa a.a.O. geäußerten Vermutung ebenfalls durch Zusammenziehung mit dem vermißten -ve entstanden sein. In der Bedeutung von Zuwachs, Gewinn erscheint augmentum in dem Celsus-Zitat bei Marcian D 36.1.34 (Pal. 179). 416 Dies ergibt sich aus Gaius Inst. 3.206, wo die Haftung des Entleihers aus der Haftung des conductor hergeleitet wird: Quae de fullone aut sarcitore diximus, eadem transferemus et ad eum, cui rem commodavimus. nam ut Uli mercedem capiendo custodiam praestant, ita hic quoque utendi commodum percipiendo similiter necesse habet custodiam praestare. Den von Gaius genannten Fällen des fullo und des sarcitor kommt vermutlich nur Beispielscharakter zu; vgl. Käser, RP 12 (1971) 508 N.41, der auf Inst. 3.205 verweist. 417 Lenel 462; Wieacker 48, 59ff.; Nörr 71. Von einer Anpassung des Haftungsrechts der Arbeitsgesellschaft an das des Arbeitsvertrages sprechen im Anschluß an Wieacker auch Arangio-Ruiz 192 und Zimmermann 464f.

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3. Ähnlich begründet Gaius die custodia-Haftung der conductores , denen eine Sache übergeben worden ist: illi mercedem capiendo custodiam praestant 418. Anders als Celsus kann sich Gaius einer technischen Ausdrucksweise bedienen, wenn er das in der Gegenleistung liegende Eigeninteresse des Werkunternehmers mit mercedem capere bezeichnet. Dagegen muß Celsus, wenn er das Eigeninteresse des Arbeitsgesellschafters zum Ausdruck bringen will, eine Metapher aus*dem Kaufrecht wählen: Indem er den Gewinnanteil des Gesellschafters als pretium 419 bezeichnet, überträgt er den Gedanken eines Austauschs von Leistung und Gegenleistung in das Gesellschaftsrecht, wo eine solche Vorstellung eigentlich unbekannt ist.

§18 Bilder Die von Wieacker beobachtete Übertragung körperweltlicher Zustände auf die Rechtsdogmatik ist zwar nicht anhand des in D 24.1.3.12 vermuteten Durchgangserwerbs nachzuweisen. Im Werk des Celsus gibt es aber andere Argumentationen, in denen der Jurist Bilder aus der realen Welt verwendet, um die juristische Vorstellung zu bereichern: I. Eine Anleihe bei den Zuständen der wirklichen Welt enthält allerdings nur scheinbar D41.2.18pr. Cels 23 dig (Pal. 195) 4 2 0 : Quod meo nomine possideo, possum alieno nomine possidere: nec enim muto mihi causam possessionis, sed desino possidere et alium possessorem ministerio meo facio. nec idem est possidere et alieno nomine possidere: nam possidet, cuius nomine possidetur, procurator alienae possessioni praestat ministerium.

1. Der Jurist erörtert einen Fall der Besitzübertragung durch Einräumung eines Besitzkonstituts: der bisherige Inhaber der possessio gibt seinen Eigenbesitz auf

418 Inst. 3.206 (oben N. 23). Auf diese Parallele verweist Wieacker 49. Dagegen besteht die von ihm behauptete Ähnlichkeit zu D 19.2.9.5 (Pal. 82) nicht. Dort leitet Celsus die weitergehende Haftung des Werkunternehmers für imperitia aus der Partei Vereinbarung ab: ... quippe ut artifex, inquit , conduxit. - Ferner ist zweifelhaft, ob imperitia ohne weiteres durch custodia ersetzt werden darf; dagegen sind Kunkel , RR (1949) 178 N.30, Käser , RP 12 (1971) 509 N.47 und Cannata , Per lo studio della responsabilitä per colpa (1968) 249ff., 315ff.: schon die Klassik könnte zwei unterschiedliche Arten der Garantiehaftung gekannt haben. Auffällig ist hingegen, daß Celsus an dieser Stelle den pascitor zusammen mit den aus Gaius bekannten Fällen des fullo und sarcitor nennt. 419 Daß es sich dabei um einen einzigartigen Sprachgebrauch handelt, bemerkt Wieakker 49. 420 Literatur: Schulz, Einführung in das Studium der Digesten (1916) 78; Buckland , RHDFE4 4 (1925) 356f. und 366f.; Arangio-Ruiz , La societä (1950) 13lf. N.2; Wesenberg , Studi Albertario I I (1953) 45ff.; Gordon , St. Biondi I (1965) 314ff. und Studies in the transfer of property (1970) 28ff.; Hausmaninger , GS Rudolf Schmidt (1966) 405ff.; Wacke, Das Besitzkonstitut als Übergabesurrogat (1974) 10f. und SZ 103 (1986) 244f.; Käser , Römische Rechtsquellen und angewandte Juristenmethode (1986) 295ff.

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und vermittelt die possessio an einen anderen, indem er die Sachherrschaft fortan in dessen Namen ausübt. Daß es Celsus um den spezifischen Fall eines Insich-Konstituts durch den Vermögensverwalter geht 421 , ergibt sich zwar nicht notwendig aus der Verwendung des Begriffs procurator im Schlußsatz422. Eine Abgrenzung zu der Regel nemo sibi ipse causam possessionis mutare potest ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn an der Änderung der Besitzverhältnisse lediglich eine Person beteiligt ist. Ein In-sich-Geschäft vermag außer dem tutor aber nur der procurator omnium bonorum vorzunehmen 423. Dieser ist zugleich selbständige Rechtsperson und Stellvertreter des Geschäftsherrn und könnte daher durch sein alleiniges Handeln eine Besitzübertragung herbeiführen. Daß der procurator unvermittelt erst am Ende des Textes erwähnt wird, geht wohl auf eine Kürzung am Beginn der Stelle zurück 424 . 2. Celsus weist nach, daß der eintretende Wechsel von possessio meo nomine zur possessio alieno nomine nicht unter das Verbot der eigenmächtigen Veränderung einer causa possessionis fällt. Anstatt die causa seines Besitzes zu wechseln, verliere der procurator vielmehr seine possessio und mache einen anderen zum Besitzer, indem er anfängt, die possessio in dessen Namen auszuüben. Angesichts der Doppeldeutigkeit des Begriffs possidere sieht Celsus sich zu einer terminologischen Klärung veranlaßt 425 und stellt noch einmal ausdrücklich den Unterschied zwischen Eigenbesitz und possessio alieno nomine fest: Inhaber der possessio civilis sei in letzterem Fall nicht derjenige, der die Sachherrschaft ausübt, sondern derjenige, in dessen Namen sie ausgeübt wird. 3. Den durch die Einräumung des Besitzkonstituts eintretenden Besitzerwechsel veranschaulicht Celsus mit Hilfe der Metapher vom ministerium: der procurator wird vom Inhaber der possessio zum Diener eines anderen Besitzers, dem er durch seine Dienstbarkeit die possessio vermittelt. Wie Wieacker 426 bereits angedeutet hat, enthält dieses Bild durchaus konkrete juristische Bezüge: Mit ministerium wird gewöhnlich die Gesamtheit der von 421

So Schulz 78, Wacke, Besitzkonstitut 10f. und SZ 103, 245, Käser 299, Honsell/Mayer-Maly/Selb, RR (1987) 140. Für ein bloßes Beispiel halten den procurator in diesem Text dagegen Buckland 367 und Gordon, Transfer of property 31 f. 422 Vgl. die untechnische Verwendung dieses Ausdrucks durch Celsus in D 17.1.50pr. (Pal. 266); dazu oben § 8 II. Arangio-Ruiz 132 N.2 verweist auf das weite Verständnis von procurator bei Cicero, pro Caec. 20.57. 423 Schulz 78, Gordon, St. Biondi 314ff., Hausmaninger 405f. 424 Geht man davon aus, daß zur Begründung der Besitzmittlung ein Detentionsverhältnis erforderlich ist, kommen mandatum bzw. negotiorum gestio in Betracht; vgl. Wacke, Besitzkonstitut 10 N.34 und SZ 103, 245 N.72 sowie Käser 297 N.54. - In den beiden anderen klassischen Texten, die inhaltlich ein Besitzkonstitut bezeugen, Iavolen D 41.2.21.3 und Ulpian D 6.1.77 besteht zwischen den Parteien ein precarium bzw. ein Mietverhältnis; dazu ausführlich Gordon, Transfer of property 16ff. und 22ff. 425 Hausmaninger 406 gegen Gordon, Transfer of property 30f., der den mit nec idem est... eingeleiteten Satz für eine überflüssige Glosse hält, die den Gedankengang des Textes störe. 426 IURA 13 (1962) 19.

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einem Sklaven zu erbringenden Dienstleistungen bezeichnet . Celsus knüpft daher begrifflich an die ehemalige Stellung des procurator an. Als Gewaltunterworfener konnte dieser seinem Herrn früher unmittelbar den Besitz erwerben. Wenn er nach seiner Entlassung nun freiwillig ein ministerium leistet, so kann er den Geschäftsherrn nach dem Vorbild des ehedem bestehenden Gewaltverhältnisses ebenfalls zum Inhaber der possessio machen, indem er auf seinen Eigenbesitz verzichtet und im Namen des Herrn besitzt. Bei der von Celsus eingeführten Vorstellung eines ministerium handelt es sich daher weniger um ein Bild aus der empirischen Welt als vielmehr um eine Metapher, mit der bestehende besitzrechtliche Dogmatik aus dem Recht der Gewaltunterworfenen in das für Gewaltfreie geltende Besitzrecht transportiert wird. Die Argumentation des Juristen entspricht daher eher den im vorangehenden Abschnitt behandelten Fällen der Übertragung eines Rechtsinstiutes auf ein verwandtes Rechtsgebiet. 4. Bemerkenswert ist, daß sich die Metapher vom ministerium praestare auch bei Paulus findet: D 13.5.15 Paul 29aded Et licet libera persona sit, per quam tibi constitui, non erit impedimentum, quod per liberam personam adquirimus, quia ministerium tantummodo hoc casu praestare videtur. 4 2 8

In dem von den Kompilatoren vorangestellten Ulpian-Fragment 429 wird die Formlosigkeit des constitutum erörtert und dargelegt, daß dieses auch per nuntium abgeschlossen werden kann. Wenn Paulus von einer Person spricht, per quam tibi constitui, bezieht er sich vermutlich auf den Empfangsboten des Gläubigers 430 . Er grenzt den mit dessen Hilfe erfolgten Vertragsschluß von einem unzulässigen Rechtserwerb durch Dritte ab, indem er die Tätigkeit des Boten als ministerium praestare qualifiziert. Auf diese Weise bringt er die untergeordnete Rolle des nuntius zum Ausdruck, der nicht als selbständige Rechtsperson auftritt, sondern wie ein Gewaltunterworfener gleichsam als Sprachrohr des Gläubigers fungiert, und dessen Handeln Rechtswirkungen ebenfalls nur in der Person des Gläubigers zeitigen kann. Wie bei Celsus dient der Begriff ministerium auch hier dazu, die Zulässigkeit eines Erwerbsvorgangs, an dem ein anderer Gewaltfreier beteiligt ist, mit Hilfe einer Assoziation zum Recht der Gewaltunterworfenen für zulässig zu erklären. 431 427

Vgl. Heumann/Seckel. Präziser wäre der Text, wenn man mit Eisele, SZ 30 (1909) 112 ergänzt:... non erit impedimentum, quod per liberam personam adquirimus... 429 D 13.5.14.3: Constituere autem et praesentes et absentes possumus, sicuti pacisci, et per nuntium et per nosmet ipsos, et quibuscumque verbis. 430 Astuti, II costituto di debito nell'etä classica I I (1941) 15 N.16; Roussier, Le constitut, in: VARIA III (1958) 78 N.4. 431 Ganz entsprechend verwendet Paulus auch den Begriff officium in D 22.1.24.2 (vgl. Buckland 358), wo es um die Herbeiführung der mora durch interpellatio seitens eines Geschäftsführers des Gläubigers geht: Mora videtur creditori fieri, sive ipsi sive ei cui mandaverat sive ei qui negotia eius gerebat mora facta sit: nec hoc casu per liberam 428

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II. E i n regelrechtes B i l d aus der realen Welt zur Erleichterung der juristischen Vorstellung enthält dagegen Vat. 77 Ulp 17 ad Sab (Pal. 150) 4 3 2 : Interdum tarnen etsi non sint coniuncti, tarnen usus fructus legatus alten adcrescit, ut puta si mihi fundi usus fructus separatim totius et tibi similiter fuerit usus fructus relictus; nam ut Celsus libro X V I I I digestorum et Iulianus libro X X X V scribunt, concursu partes habemus. quod et in proprietate contingeret; nam altero repudiante alter totum fundum haberet. sed in usu fructu hoc plus est (contra quam Atilicinum respondisse Aufidius Chius refert), quod et constitutus nihilo minus amissus ius adcrescendi admittit. omnes enim auctores apud Plautium de hoc consenserunt: et, ut Celsus et Iulianus eleganter aiunt, usus fructus cotidie constituitur et legatur, non, ut proprietas, eo solo tempore quo vindicatur. cum primum itaque non inveniet alter eum, qui sibi concurrat, solus utetur in totum. 4 3 3 1. A l s Beispiel dafür, daß auch unter disiunctim eingesetzten Mitlegataren Akkreszens eintreten kann, behandelt Ulpian den Fall, daß ein Erblasser jeweils den gesamten usus fructus an einem Grundstück zwei verschiedenen Personen per vindicationem 434 vermacht hat. Zur Begründung zitiert er Celsus und Julian, nach denen durch das Zusammentreffen der Legatare eine anteilsmäßige Berechtigung entsteht. Dies ist eine Kurzfassung der i m nachfolgenden Fragment Vat. 79 wiedergegebenen ratio Celsi : ... cuius sententiae congruit ratio Celsi dicentis totiens eius adcrescendi esse, quotiens in duobus, qui solidum habuerunt, concursu divisus est. Wenn eine Mitberechtigung nur deshalb entsteht, weil mehrere m i t dem gesamten Gegenstand bedachte Vermächtnisnehmer zusammentreffen, so muß beim Ausfall eines Legatars sein A n t e i l den übrigen zuwachsen 4 3 5 . Denn grundsätzlich ist jeder der Legatare in solidum berechtigt.

personam adquiri videtur, sed officium impleri ... item cum procurator interpellaverit promissorem hominis, perpetuam facit stipulationem. Der Begriff officium ist Synonym zu ministerium und bezeichnet gleichfalls die Gesamtheit der von einem Sklaven zu erbringenden häuslichen Dienste; vgl. Heumann/Seckel. 432 Literatur: Buckland , LQR 43 (1927) 334ff.; Grosso , Usufrutto2 (1958) 347ff.; Wieacker, Textstufen klassischer Juristen (1960) 297ff.; Voci , Teoria dell acquisto del legato (1963) 87 und DER 112 (1963) 316; Wesener , SZ 81 (1964) 104f.; Hausmaninger , ANRW 11.15 (1976) 391 f. 433 Eine nur unwesentlich veränderte Fassung enthält D 7.2.1.3. 434 Dies ergibt sich aus dem Zusammenhang des Textes sowie ausdrücklich aus dem am Ende verwendeten vindicatur: ; vgl. Wieacker 297. 435 Diese ratio findet sich auch bei Celsus D 32.80 (Pal. 249), dort aber als Definition für coniunctim heredes institui aut coniunctim legari. Dahinter kann nur ein anderes Verständnis der Begriffe coniunctim - disiunctim stehen. Denn Ulpian führt die Begründung des Celsus gerade ausdrücklich für den Fall einer disiunctim erfolgten Einsetzung von Mitlegataren an. Während es Celsus offenbar um den materiellen Zusammenhang der Legate bzw. Erbeinsetzungen geht, unterscheidet Ulpian im Anschluß an Gaius nach dem bloßen Wortlaut des Testaments; vgl. Ulp. Ep. 24.12 und Gai. Inst. 2.199. Dazu Vaccaro Deloqu , Laccrescimento (1941) 55.

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2. In Vat. 77 fährt Ulpian fort, daß dies auch für ein Legat gilt, durch welches das Eigentum an einer Sache vermacht wird. Der Unterschied zum legatum usus fructus bestehe aber darin, daß bei letzterem das Anwachsungsrecht nicht nur im Zeitpunkt des Vermächtniserwerbs, sondern auch nachträglich Platz greife, wenn ein bereits am Nießbrauch berechtigter Legatar später ausfällt. Nach dem Bericht des Aufidius Chius entspreche dies zwar nicht der Auffassung des Atilicinus, werde aber von sämtlichen Autoren ad Plautium angenommen. Ferner sei dies auch die Auffassung von Celsus und Julian, die wiederum mit einer gemeinsamen Begründung zitiert werden: Im Unterschied zum Eigentum werde der Nießbrauch nicht nur in dem Zeitpunkt der Vindikation begründet; vielmehr werde er tagtäglich neu bestellt und vermacht, so daß nach dem Ausfall eines der Berechtigten der andere fortan den gesamten Nießbrauch erhalte. 3. Zur Interpretation dieser von Ulpian als elegans bezeichneten Begründung beruft man sich überwiegend auf Vat. 59 Ulp 17 ad Sab: Verum est usu fructu legato diem semel tantum cedere. quamquam enim usus fructus ex fruendo consistât, id est facto aliquo eius, qui fruitur et utitur, tarnen ei semel cedit dies.

Ebenso wie Ulpian gehe es Celsus und Julian darum, den faktischen Charakter des Nießbrauchs zu beschreiben, der in dem täglichen Akt der Nutzung und Fruchtziehung bestehe436. Insbesondere hätten beide Juristen an die stete Aufteilung der Früchte gedacht, zu deren Zweck sich die Mitinhaber des usus fructus tagtäglich neu versammelten 437. Zwar erscheint eine solche Deutung von. usus fructus cotidie constituitur durchaus möglich. Der Zusatz et legatur legt jedoch nahe, daß es Celsus und Julian nicht um die Tätigkeit der Usufruktuare geht, sondern vielmehr umgekehrt um den Akt der Überlassung des Grundstücks durch den Eigentümer bzw. den Erblasser als ehemaligen Eigentümer. Darin kommt der Charakter des Nießbrauchs als eines beschränkten dinglichen Rechts zum Ausdruck, das im Gegensatz zum Eigentum als Vollrecht nicht selbständig existiert, sondern nur abgeleitet ist und in einer dauernden Gestattung durch den aktuellen Eigentümer oder aufgrund des Legates besteht. Während das vermachte Eigentumsrecht fortan unabhängig ist, bleibt der Nießbrauch an das ihm zugrunde liegende Legat gebunden. Dieses zeitigt so eine Art Dauerwirkung und ist dementsprechend für eine spätere Akkreszens unter den Mitlegataren offen. 4. Zur Erleichterung der Vorstellung verwenden Celsus und Julian die Vorstellung, daß der Nießbrauch täglich neu vermacht werde. Danach fällt es nicht schwer zu begreifen, daß der Anteil eines nachträglich ausgefallenen Legatars 436

Voci, Acquisto del legato a.a.O., Wesener 104f. - Wenig hilfreich ist der Hinweis von Buckland 337 und Voci auf Vat. 60: an dieser Stelle sagt Julian, daß ein Nießbrauch erst dann begründet wird, wenn die Fruchtziehung (rechtlich) möglich ist; dagegen behauptet er nicht, daß der Nießbrauch gerade durch die Fruchtziehung konstituiert wird. 437 Grosso 348, Hausmaninger 391.

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Viertes Kapitel: Fortbildung der Dogmatik

bei der am darauf folgenden Tag erneut stattfindenden Begründung des Rechts den übrigen Vermächtnisnehmern anwächst. Daß dabei nicht an eine Vervielfachung des dies cedens gedacht ist 4 3 8 , erhellt das Fragment Vat. 59: Ulpian könnte nicht einerseits die Meinung des Celsus und Julian zustimmend zitieren, im gleichen Buch seines Sabinuskommentars aber andererseits betonen, daß nur ein dies cedens stattfinde. Demnach ist die Vorstellung, daß der einmal vollzogene Rechtsakt täglich neu stattfindet, ein bloßes Bild, daß die dogmatischen Zusammenhänge lediglich veranschaulicht und eine leicht faßbare Ableitung der Entscheidung ermöglicht.

438

Vgl. Voci, , DER 112 a.a.O. und Grosso 349.

tes

Kapitel

Offene Wertungen und Naturrecht § 19 Malitiis non indulgendum est: D 6.1.38 (Pal. 22) I. Eine 'offene Wertung' liegt dann vor, wenn der Jurist seine Entscheidung mit Hilfe moralischer Werturteile oder durch Zweckmäßigkeitserwägungen begründet, die außerhalb der positiven Rechtsordnung l i e g e n 4 3 9 . Nicht zu den offenen Wertungen zählt eine Argumentation, die bloß in der Ausfüllung eines von der Rechtsordnung vorgegebenen normativen Begriffes wie bona fides oder dolus besteht 4 4 0 . Entscheidende Bedeutung kommt daher dem Kontext zu, in dem das jeweilige Werturteil steht: D 6.1.38 Cels 3 dig (Pal. 22)441: In fundo alieno, quem imprudens emeras, aedificasti aut conseruisti, deinde evincitur: bonus iudex varie ex personis causisque constituet. finge et dominum eadem facturum fuisse: reddat impensam, ut fundum recipiat, usque eo dumtaxat, quo pretiosior factus est, et si plus pretio fundi accessit, solum quod impensum est. finge pauperem, qui, si reddere id cogatur, laribus sepulchris avitis carendum habeat: sufficit tibi permitti tollere ex his rebus quae possis, dum ita ne deterior sit fundus, quam si initio non foret aedificatum. [constituimus vero, ut, si paratus est dominus tantum dare, quantum habiturus est possessor his rebus ablatis, fiat ei potestas:] neque malitiis indulgendum est, si tectorium puta, quod induxeris, picturasque corradere velis, nihil laturus nisi ut officias. finge earn personam esse domini, quae receptum fundum mox venditura sit: nisi reddit, quantum prima parte reddi oportere diximus, eo deducto tu condemnandus es. Isoliert betrachtet, scheint die Aussage von neque malitiis indulgendum est, daß dem Besitzer aufgrund moralischer Erwägungen ein i h m grundsätzlich zu-

439

Zum Begriff der offenen Wertung umfassend Wieacker , SZ 94 (1977) Iff. Wieacker a.a.O. 5. 441 Literatur: Eisele , Die Compensation (1876) 82ff.; Erman , SZ 25 (1904) 352ff.; Lévy, Les impenses dotales (1937) 246ff; Riccobono , Bull. 47 (1940) 8ff. und Scritti II (1964) 171 ff . und 252f.; Nardi , Studi sulla ritenzione I (1947) 326ff.; Medicus , Id quod interest (1962) 89; Scarano Ussani , Valore e storia (1979)136ff.; Bürge , Retentio im römischen Sachen- und Obligationenrecht (1979); Backhaus , SZ 98 (1981) 507f. 440

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Fünftes Kapitel: Offene Wertungen und Naturrecht

stehendes Wegnahmerecht verwehrt wird, wenn er es mißbraucht, u m den Eigentümer des vindizierten Grundstücks zu schikanieren 4 4 2 . Doch verkennt eine solche Deutung die Natur des ius tollendi. Es ist kein selbständiges Recht, sondern ergibt sich erst aus der besonderen prozessualen Situation, in der sich der gutgläubige Besitzer 4 4 3 befindet: er verteidigt sich gegen die rei vindicatio des Eigentümers, indem er wegen der von ihm auf das Grundstück gemachten Aufwendungen die exceptio doli erhebt 4 4 4 . II. Celsus mahnt den bonus iudex , bei seiner Entscheidung nach den Umständen des Einzelfalles zu differenzieren, und er fügt drei Fallvarianten a n 4 4 5 , von denen er die zweite mit Hilfe der malitiis non indulgendum est M a x i m e entscheidet. 1. W i r betrachten zunächst die Lösung der beiden anderen Sachverhaltsvarianten: Wäre der Eigentümer ebenso wie der Besitzer verfahren (1. Fall) oder w i l l er das Grundstück verkaufen (3. Fall), so entgeht sein Herausgabe verlangen dem V o r w u r f des dolus nur, wenn er dem Besitzer zugleich den Betrag zahlt, u m den das Grundstück wertvoller geworden i s t 4 4 6 . Eine Ausnahme soll allerdings i m Fall der übermäßigen Wertsteigerung gelten: Sobald der Mehrwert den Preis des Grundstücks übersteigt, muß der Eigentümer lediglich die angefallenen Kosten ersetzen 4 4 7 .

442 So Stroux , Summum ius summa iniuria (1926) 9 und Käser , RP 12 (1971) 222 N.5; vgl. femer Pernice , Labeo 11.12 (1895) 61 und Erman 353ff. 443 Als imprudens wird der bonaefidei emptor auch bei Julian D 19.1.24.1 (entspricht Paulus D 12.1.31.1) bezeichnet; vgl. Riccobono , Scr. I I 173. 444 Eisele 82, Riccobono a.a.O. Ausdrücklich sagt dies Paulus D 6.1.27.5: In rem petitam si possessor ante litem constestatam sumptus fecit, per doli mali exceptionem ratio eorum haberi debet, si perseveret actor rem suam non redditis sumptibus. ... - Das Eigentum an dem vom gutgläubigen Besitzer eingebauten Material bzw. den gesäten Pflanzen geht nach dem Grundsatz superficies solo cedit auf den Grundstückseigentümer über; vgl. Meincke, SZ 88 (1971) 157, vorsichtiger Käser , SZ 65 (1947) 235 und RP 12 (1971) 430 N.48. 445 Scarano Ussani 139 sieht hierin einen Einfluß der neoakademischen Skepsis, die sich um möglichst große Annäherung an die Realität bemüht habe. Dabei darf dem Klassiker jedoch nicht eine prinzipienlose Suche nach bloßer Einzelfallgerechtigkeit unterstellt werden. Die Exegese wird vielmehr ergeben, daß die einzelnen Sachverhaltsvarianten wie in D 12.4.16 (Pal. 73; vgl. oben § 9 I I 3) nach einem durchgängigen Maßstab entschieden werden, namentlich ob dem Eigentümer dolus vorgeworfen werden kann oder nicht. 446 Bürge 61. Anders Backhaus 507 N.15, der der Wendung dumtaxat entnimmt, daß die Wertsteigerung des Grundstücks nicht Maßstab, sondern Begrenzung des Verwendungsersatzes sein soll. In diesem Fall wäre aber die anschließend von Celsus gemachte Einschränkung auf die tatsächlichen Kosten nicht erklärlich: ... et si plus pretio fundi accessit, solum quod impensum est. 447 Die im Schlußsatz vorgesehene Teilverurteilung muß nicht auf einer kondemnationsmindernden Wirkung der exceptio doli beruhen. Denkbar wäre auch eine Abänderung des Restitutionsbefehls auf Antrag des Klägers; vgl. Eisele 84. Dagegen halten Riccobono, Scr. I I 172 und Nardi 333f. den Schlußsatz insoweit für interpoliert. Vergleichbare

§ 19 Malitiis non indulgendum est: D 6.1.38 (Pal. 22)

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2. a) Anders liegt der Fall dagegen, wenn der Eigentümer zu arm ist, um Verwendungsersatz zu leisten. Sollte er nur durch Verkauf des Grundstücks mit seinen Ahnengräbern dazu in der Lage sein, so kann ihm nicht der Vorwurf des dolus gemacht werden 448 , falls er das Grundstück herausfordert, ohne zugleich die Verwendungen zu ersetzen. Hier genügt es, wenn er dem Besitzer die Wegnahme der eingebauten Bestandteile gestattet449 - aber freilich nur in dem Maße, daß das Grundstück seinen ursprünglichen Wert behält. b) Dieses Wegnahmerecht soll nach dem folgenden mit constituimus... eingeleiteten Satz abgewendet werden können, wenn der Eigentümer bereit ist, dem Besitzer dessen Interesse an der Wegnahme in Geld auszugleichen. Darin liegt eine schwer nachvollziehbare Wendung 450 : nach dem von Celsus angegebenen Sachverhalt ist der Eigentümer zu arm, um ohne einen Verkauf des Grundstücks Verwendungsersatz zu leisten; jetzt wird dagegen vorausgesetzt, daß er dem Eigentümer zumindest dessen Interesse an der Wegnahme ersetzen kann. Letzteres kann zwar geringer ausfallen als die Wertsteigerung, die das Grundstück erfahren hat; dies ist aber keineswegs zwangsläufig. Durch die hier vorgeschlagene Lösung wird die vorangehende Entscheidung konterkariert, bei der der Vorwurf des dolus gerade wegen der besonderen Armut des Eigentümers entfiel. Gegen die Echtheit des Satzes sprechen zudem formale Indizien 451 : Während der Text den Besitzer ansonsten als TU bezeichnet, heißt es hier plötzlich pos~ sessor 452. Ferner fällt der Plural constituimus aus dem Rahmen: eingangs des Textes spricht Celsus davon, daß ein bonus iudex zur Fallösung berufen ist 4 5 3 . Für einen Wechsel in der Person hat er anders als die Kompilatoren, die als Subjekt den Kaiser betrachteten, keinen Grund 454 .

Formulierungen finden sich jedoch auch bei Paulus D 12.4.9.1 und D 40.7.20pr.; dazu Eisele 86. 448 Vgl. Medicus 89. Backhaus 507f. glaubt, der von Celsus angeführte Fall sei ein bloßes Beispiel dafür, daß der Eigentümer kein Interesse an der durch die Verwendungen eingetretenen Bereicherung habe; anders Bürge 56ff., wonach nur ein Mittelloser geltend machen könne, daß die objektive Werterhöhung des Grundstücks für ihn ohne Belang sei. 449 Darin liegt keine Verletzung des XII-Tafel-Satzes vom tignurn iunctum. Dieser verbietet nur Eingriffe in die Bausubstanz, nicht die Wegnahme von Anfügungen; vgl. Riccobono, Bull. 47, 9 und Bürge 55f., der auch das Verhältnis zur kaiserlichen Gesetzgebung gegen Häuserabbruch beleuchtet. 450 Vgl. Levy 248. 451 Eine Übersicht über die insoweit einstimmige ältere Textkritik bei Nardi 330f. 452 Darauf verweisen Erman 361 und Levy 247. 453 Constituere kann zwar auch die Entscheidung eines Juristen bezeichnen, vgl. Liebs, Die Klagenkonkurrenz im römischen Recht (1972) 187 N.326. Im Werk des Celsus wird dieser Begriff jedoch außerhalb dieses Textes nur für die Entscheidung eines Richters verwendet: D 50.16.96pr. (Pal. 208) und D 48.3.11.1 (Pal. 48.3.11); vgl. Erman 361. 454 Eisele 84f.

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Fünftes Kapitel: Offene Wertungen und Naturrecht

c) Echt ist aber jedenfalls der nachfolgende Satz, der das Schikaneverbot enthält 4 5 5 . Nach Celsus muß der Grundstückseigentümer den bloß in Schädigungsabsicht vorgenommenen Abriß einer Stuckarbeit oder eines Gemäldes nicht hinnehmen. Entscheidend ist hier - wie in den anderen Fällen - wiederum die Frage, ob ihm dolus vorgeworfen werden kann: Der Eigentümer handelt nicht arglistig, wenn er trotz des fehlenden Verwendungsersatzes eine Wegnahme verweigert, die dem Besitzer keinerlei Nutzen bringt. Wer sich bloßer malitia widersetzt, ist frei von dolus. III. Damit geht es hier aber nicht um die auf außerrechtliche Werturteile gestützte Versagung eines positivrechtlichen ius tollendi 456. Vielmehr entfällt das Recht auf Wegnahme, weil seine prozessuale Grundlage, die exceptio doli , tatbestandsmäßig nicht vorliegt. Der Satz malitiis non indulgendum stellt keine moralische Maxime, sondern die Ausfüllung des einschlägigen normativen Tatbestandsmerkmals im konkreten Fall dar.

§ 20 Ambiguitas contra stipulatorem Um die Schutzwürdigkeit des Parteiinteresses geht es in D 45.1.99pr. Cels 38 dig (Pal. 267) 457 : Quidquid adstringendae obligationis est, id nisi palam verbis exprimitur, omissum intellegendum est: ac fere secundum promissorem interpretamur, quia stipulatori liberum fuit verba late concipere. nec rursum promissor ferendus est, si eius intererit de certis potius vasis forte aut hominibus actum.

I. Obwohl im Text anfangs allgemein von obliagtio die Rede ist, wird im weiteren Verlauf deutlich, daß Celsus nur die Stipulation behandelt 458 : Ist die verschärfte Haftung 459 des Schuldners streitig, so kann sie nur dann geltend gemacht werden, wenn sie sich ausdrücklich aus den verba des Stipulationsformulars ergibt; andernfalls gilt die entsprechende Klausel als weggelassen. Verallgemeinernd fährt Celsus fort, daß fast immer entsprechend der Auffassung 455 Eingehend Erman 362ff. Vgl. auch Kalb , Roms Juristen nach ihrer Sprache dargestellt (1890) 48, der die verwendeten Partizipialkonstruktionen für typisch celsinisch hält. 456 Auch den von Wieacker , IURA 13 (1962) 20 N.41 und Cerami , SDHI 44 (1978) 183f. angenommenen direkten Bezug zum bonum et aequum vermag ich nicht zu erkennen. 457 Literatur: Troje, SDHI 27 (1961) 143ff.; Gandolfi , Studi sull' interpretazione degli atti negoziali (1966) 390ff.; Krampe , SZ 100 (1983) 185ff.; Cerami , Ann.Pal. 38 (1985) 226f.; Honsell, FG Käser (1986) 75ff.; Hausmaninger , FS Wesener (1992) 169ff. 458 Krampe 201. 459 Quidquid adstringendae obligationis meint eine Klausel, wonach die Haftung des Schuldners erweitert wird; vgl. Honsell 82 und Hausmaninger 170. Troje 153 nimmt aufgrund des palingenetischen Zusammenhangs an, Celsus bezeichne damit die Leistung einer Bürgschaftsstipulation; Krampe 201 übersetzt als Bekräftigung einer Obligation. Dazu paßt aber nicht das anschließende omissum intellegendum est, das sich nur auf eine bestimmte Klausel, nicht aber auf die ganze Stipulation beziehen kann.

§ 20 Ambiguitas contra stipulatorem

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des promissor interpretiert werde. Denn dem Stipulator habe es frei gestanden, den Wortlaut der Stipulation unmißverständlich zu formulieren. Hat er von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht, so sind seine Interessen nicht mehr schutzwürdig. Z u m Beweis, daß diese Regel aber nur fere g i l t 4 6 0 , fügt Celsus hinzu, daß umgekehrt der promissor nicht gehört werde, wenn er bloß der Gattung nach Gefäße oder Sklaven versprochen hat, nun aber daran interessiert ist, seine Verpflichtung auf bestimmte Gefäße oder Sklaven zu beschränken. Wenn sich der Parteiwille i m Zeitpunkt des Vertragsschlusses zweifelsfrei ermitteln läßt, bleibt für eine Auslegung nach den Angaben des Schuldners kein R a u m 4 6 1 . Diese greift nur Platz, wenn id quod actum est nicht mehr feststellbar i s t 4 6 2 : D 34.5.26pr. Cels 26 dig (Pal. 219) 4 6 3 Cum quaeritur in stipulatione, quid acti sit, ambiguitas contra stipulatorem est. 4 6 4 Durch das Gebot der interpretatio secundum promissorem w i r d also nur die Beweislast für die Parteivereinbarung verteilt. Sie begründet eine zweifache Vermutung: zum einen, daß die Parteien einig geworden s i n d 4 6 5 , zum anderen, daß sie sich in der Weise geeinigt haben, wie der Schuldner vorträgt. II. Die Regel, daß mehrdeutige Vertragsklauseln gegen ihren Verwender ausgelegt werden, geht nach Paulus bereits auf Labeo zurück; Papinian schreibt sie sogar den veteres zu. W e i l Celsus zur Begründung auf die mangelnde 460

Krampe 202f. gegen einen von Troje 153 geäußerten Interpolationsverdacht. Krampe 203. 462 Nichts anderes ergibt sich aus § 1 des Fragments, den Lenel als Pal. 268 bereits einem anderen Titel zuordnet: Si stipulatus hoc modo fuero: si intra biennium Capitolinum non ascenderis, dari? non nisi praeterito biennio recte petam: nam etsi ambigua verba sunt, sie tarnen exaudiuntur, si inmutabiliter verum fuit te Capitolinum non ascendisse. Celsus trifft eine schuldnerfreundliche Entscheidung, o b w o h l er den Wortlaut der Stipulation für doppeldeutig hält, eben weil sich id quod actum est eindeutig ermitteln läßt; vgl. Krampe 211 und Honseil 83. Zur Frage, worin hier die ambiguitas liegt, Knütel, Sipulatio poenae (1976) 96 m. w. N. 463 Vgl. auch Ulpian D 45.1.38.18: In stipulationibus cum quaeritur; quid actum sit, verba contra stipulatorem interpretanda sunt 464 Kaum nachvollziehbar Honsell 82, der den Zusammenhang zwischen diesem Fragment und Pal. 267 leugnet. Dagegen zu Recht Krampe 202, nach dem die hier wiedergegebene ambiguitas-Regel und die in D 45.1.99pr. geforderte interpretatio secundum promissorem Ausdruck desselben Gedankens ist. 465 Die allgemeine Geltung der Auslegungsregel wird entgegen Krampe 224 und 227f. nicht dadurch in Frage gestellt, daß die Juristen zuweilen einen Vertrag wegen mangelnder Einigung für nichtig halten. Als bloße Beweislastregel kann die interpretatio secundum promissorem nicht über den Umstand hinweghelfen, daß sich die Parteien unstreitig oder erwiesenermaßen nicht geeinigt haben. Sie enthält bloß die Vermutung, daß der Vertrag im Zweifel zustandegekommen ist, und bürdet demjenigen, der einen Dissens behauptet, die Beweislast hierfür auf. Wenn Gandolfi 398f. die ambiguitas-Regel als ein subsidiäres Prinzip bezeichnet, das immer dann eingreift, falls sich id quod actum nicht ermitteln läßt, so kann diese Annahme zumindest nicht mit Hilfe der Dissensentscheidungen entkräftet werden. 461

8 Harke

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Fünftes Kapitel: Offene Wertungen und Naturrecht

Schutzwürdigkeit des stipulator hinweist, glaubt Cerami 466 , Celsus habe die hergebrachte Auslegungsregel nicht unkritisch angewandt, sondern erst auf der Basis einer eigens angestellten Interessenbewertung übernommen. Dabei übersieht er offenbar, daß die von Celsus gegebene Begründung geradezu stereotyp auch in anderen Texten wiederkehrt: D 18.1.21 Paul 5 ad Sab Labeo scripsit obscuritatem pacti nocere potius debere venditori qui id dixerit quam emptori, quia potuit re integra apertius dicere. D 2.14.39 Pap 5 quaest Veteribus placet pactionem obscuram vel ambiguam venditori et qui locavit nocere, in quorum fuit potestate legem apertius conscribere.

Eine unklare lex venditionis oder lex locationis geht zulasten des Verkäufers oder des locator , denn dieser hatte die Möglichkeit, sich klarer auszudrücken. Der annähernd gleiche Wortlaut der beiden Texte läßt darauf schließen, daß nicht nur die ambiguitas-Regel, sondern auch ihre ratio Teil der auf Labeo und die veter es zurückgehenden Überlieferung sind. Damit erweist sich aber auch die von Celsus für das Stipulationsrecht formulierte Begründung nicht als eine originäre Interessenbewertung durch den Hochklassiker; der Jurist übernimmt lediglich eine üblicherweise angestellte Erwägung 4 6 7 .

§ 21 Benignitas Der vormals pauschalen Verdächtigung des Begriffs benignitas ist Wubbe in zwei umfangreichen Studien 468 entgegengetreten. Er hat dargetan, daß benignitas kein spezifisch christliches Gedankengut darstellt, sondern ebenso wie hu466 A.a.O. 226f. Ähnlich Hausmaninger 170, wonach Celsus zeigt, daß die interpretatio secundum promissorem nicht formal angewendet werden dürfe. 467 Diese begegnet darüber hinaus dem Einwand eines übertriebenen Formalismus. Denn sie knüpft an den bloß äußeren Umstand an, welche Partei die Geschäftsformel ausspricht. Es wird ausgeblendet, daß der andere Teil beim Abschluß des Vertrages gleichermaßen daran interessiert sein muß, den Vertragsinhalt hinreichend genau zu bestimmen, und daß er durch die Verweigerung seines Einverständnisses ebenfalls dafür sorgen könnte, daß der Wortlaut der Stipulation eindeutig ist; vgl. Troje 154 und Honseil 76f., 88, der die ambiguitas-Regel für ein Relikt aus dem Sakralrecht hält. - Der materielle Gesichtspunkt, der hinter einer Anwendung der Auslegungsregel im Bereich des Stipulationsrechts stehen könnte, ist der Gedanke des Schuldnerschutzes (vgl. Hausmaninger 172). Das von Krampe 203, 212, 227 vermutete Prinzip restriktiver Interpretation des Schuldinhaltes stößt dagegen auf die gleichen Bedenken wie die klassische Begründung: Anknüpfungspunkt ist auch hier letztlich nur der Formalakt des Aussprechens der Formel, obwohl sich beide Seiten in gleichem Maße an der Formulierung des Stipulationswortlautes beteiligen können. 468 Benignus redivivus , Symbolae David I (1968) 237ff. und Benigna interpretatio als Entscheidungskriterium, FG Herdlitczka (1972) 295ff.

§21 Benignitas

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manitas bereits dem intellektuellen Horizont der Stoa angehört 4 6 9 , und daß sie weder bei Justinian noch i m weströmischen Vulgarrecht eine besondere Rolle als Entscheidungskriterium s p i e l t 4 7 0 . A u c h gerade die Verteilung dieses Ausdrucks auf die Juristenschriften widerspricht einer späteren Einarbeitung 4 7 1 . Gibt es demnach keinen Anlaß, die zweimalige Erwähnung von benignius i m W e r k des C e l s u s 4 7 2 zu verdächtigen, so bedarf aber wiederum der Zusammenhang, in dem dieser Ausdruck verwendet wird, der besonderen Beachtung. I. D 8.3.11 Cels 27 dig (Pal. 233) 4 7 3 Per fundum, qui plurium est, ius mihi esse eundi agendi potest separatim cedi. ergo subtili ratione non aliter meum fiet ius, quam si omnes cedant et novissima demum cessione superiores omnes confirmabuntur: benignius tarnen dicetur et antequam novissimus cesserit, eos, qui antea cesserunt, vetare uti cesso iure non posse. 1. E i n i m Miteigentum stehendes Grundstück kann mit einer Dienstbarkeit belastet werden, indem die Eigentümer jeweils einzeln die in iure cessio zugunsten des Berechtigten vornehmen. Die Bestellung der Servitut w i r d jedoch erst dann wirksam, wenn alle Miteigentümer die Verfügung getroffen h a b e n 4 7 4 . Strenggenommen zeitigen die einzelnen Übertragungsakte daher keine Rechtswirkungen, solange sie nicht durch die letzte Zession konfirmiert werden. Celsus hält es jedoch für benignior, wenn diejenigen Miteigentümer, die bereits verfügt haben, dem Zessionar die Ausübung der Servitut nicht verbieten dürfen.

469

Symbolae David I 239, 245. FG Herdlitczka 297f. 471 FG Herdlitczka 304. 472 Dagegen gibt es keine Entscheidungsbegründung, in der sich der Jurist ausdrücklich auf die humanitas beruft; Celsus wird lediglich aus Anlaß einer entsprechenden Entscheidung des Julian zitiert, D 28.2.13pr. (Pal. 115): ... licet enim suptili iuris regulae conveniebat ruptum fieri testamentum, attamen cum ex utroque nato testator voluerit uxorem aliquid habere, ideo ad huiusmodi sententiam humanitate suggerente decursum est, quod etiam Iuventio Celso apertissime placuit. Ungewöhnlich sind an diesem einzigen Celsus-Zitat des Julian der Superlativ apertissime und die Nennung des Juristen mit seinen beiden Namen; an der Echtheit zweifeln daher H. Krüger, SZ 19 (1898) 24, Wolff.\ Seminar 7 (1949) 82 N.43 und Bretone, Tecniche e ideologie dei giuristi romani (1971) 104. Hausmaninger, IURA 35 (1984) 42f. vermutet, daß Julian von einer Diskussion im kaiserlichen consilium berichtet; die Berufung auf die humanitas schreibt er aber nicht unmittelbar den Juristen, sondern der anschließenden Entscheidung des Kaisers zu; ähnlich Nörr, Rechtskritik in der römischen Antike (1974) 115. 473 Literatur: Riezler, Venire contra factum proprium (1912) 4ff.; Maschi, Bull. 46 (1939) 298ff.; SolazzU Requisti e modi di costituzione delle servitü prediali (1947) 68ff.; Biondi, Le servitü prediali2 (1969) 164f.; Grosso, Le servitü prediali (1969) 153; Cerami, Ann. Pal. 38 (1985) 86ff.; Hausmaninger, IURA 36 (1985) 166f. 474 Auffallend ähnlich Paulus D 8.4.18: Receptum est, ut plures domini et non pariter cedentes Servitutes imponant... ut tarnen ex novissimo actu etiam superiores confirmentur perindeque sit, atque si eodem tempore omnes cessissent ... . Maschi 297ff. muß auch diesen Text für interpoliert halten, wenn er annimmt, die Bestellung einer Servitut sei nur durch einen gemeinsamen Übertragungsakt aller Miteigentümer möglich gewesen; dagegen auch Grosso 153. 470

8*

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Fünftes Kapitel: Offene Wertungen und Naturrecht

In rechtstechnischer Hinsicht bedeutet dies, daß der Zessionar einer actio negatoria des Zedenten die exceptio doli entgegenhalten kann. Der klagende Miteigentümer handelt dolos, weil er sich in Widerspruch zu seinem factum proprium setzt, das auf die Begründung der Servitut gerichtet war 4 7 5 . Der von Celsus beschworene Gegensatz zwischen subtilis ratio und benignitas 476 erhält so eine konkrete Bedeutung als Unterschied zwischen Zivil- und Amtsrecht: nach ius civile bringt der Verfügungsakt des einzelnen Miteigentümers keine Rechtswirkungen hervor; im Rahmen des ius honorarium ist er dagegen beachtlich, weil er bei einem späteren widersprüchlichen Verhalten des Zedenten zum Anknüpfungspunkt einer exceptio doli werden kann. Subtili ratione bedeutet demnach schlicht 'genau genommen', also nach den strengen Regeln des Zivilrechts, während benignius die für den Zessionar großzügigere Entscheidung des Honorarrechts bezeichnet477. 2. In der gleichen Bedeutung erscheinen die Begriffe subtilitas und benignitas auch bei Javolen: D 39.5.25 Iav 6 epist Si tibi dederim rem, ut Titio meo nomine donares, et tu tuo nomine eam ei dederis, an factam eius putes? respondit, si rem tibi dederim, ut Titio meo nomine donares eamque tu tuo nomine ei dederis, quantum ad iuris subtilitatem accipientis facta non est et tu furti obligares: sed benignius est, si agam contra eum qui rem accepit, exceptione doli mali me summoveri.

EGO gibt TU eine Sache, damit dieser sie dem Titius im Namen des EGO schenkt. Wenn TU die Sache im eigenen Namen übergibt, scheitert die Übereignung, weil zwischen dem Eigentümer EGO und dem Empfänger Titius keine Einigung zustande gekommen ist. Nichtsdestoweniger kann Titus einer rei vindicatio des EGO die exceptio doli entgegenhalten. Denn EGO setzt sich durch die Rückforderung in Widerspruch zu seinem bisherigen Verhalten, das darauf gerichtet war, Titius zum Eigentümer der Schenksache zu machen 478 . Wie im Fall des Celsus geht es auch bei Javolen um die Gewährung prätorischen Rechtsschutzes nach einer zivilrechtlich unwirksamen Verfügung. Anders als Celsus nennt Javolen jedoch ausdrücklich die exceptio doli und stellt damit 475

Riezler 8 und neuerdings Hausmaninger 166. - Dagegen gibt es kein Anzeichen dafür, daß die Parteien eine Stipulation abgeschlossen haben, wie Maschi 306 und Solazzi 70f. meinen. - Unzutreffend ist auch die Annahme von Biondi 163ff. und Cerami 93f., wonach Celsus dem ungültigen Verfügungsakt des einzelnen Miteigentümers teilweise zivilrechtliche Wirksamkeit zuschreibe. In dem von beiden Autoren herangezogenen Fragment D 21.2.10 (Pal. 232) haftet der verfügende Miteigentümer, der sich als Alleineigentümer geriert hat, aufgrund des Kaufvertrages; mit der Einführung einer beschränkten Wirksamkeit der in iure cessio hat dies nichts zu tun. 476 Pauschale Textkritik üben hier noch Maschi 299f., Solazzi 69 N.185, Biondi 164 und Grosso 153. Zu benignitas vgl. die oben, N.468, genannten Arbeiten von Wubbe. Daß auch der Begriff der subtilitas durchaus klassisch ist, zeigt Nörr y Rechtskritik in der römischen Antike (1974) 115. 477 So bereits Riezler 5. 478 Ähnlich Eckhardt , Iavoleni epistulae (1978) 26.

§ 21 Benignitas

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unmißverständlich klar, daß das Begriffspaar subtilitas - benignitas den Gegensatz zwischen ius civile und ius honorarium kennzeichnet. Weder Javolen noch Celsus verbinden mit diesen Worten eine Absage an die logisch-rationale Wissenschaft oder gar das Postulat einer empirischpragmatischen Methode 479 . Anstatt das geltende Recht durch außerrechtliche Wertungen zu korrigieren, beschreiben die Juristen mit subtilitas - benignitas bloß den Gegensatz, zweier getrennter Rechtsmassen, deren Anwendung im Einzelfall zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. II. Programmatische Bedeutung scheint der Begriff benignitas dagegen in dem folgenden Fragment zu haben: D 1.3.18 Cels 29 dig (Pal. 238) Benignius leges interpraetandae sunt, quo voluntas earum conservetur.

Vor ihrem zeitgeschichtlichen Hintergrund ließe sich die von Celsus geforderderte benignior interpretatio vielleicht als Ausdruck einer humanistischen Ideologie deuten 480 . Dagegen hat jedoch Hausmaninger 481 zu Recht eingewandt, das allgemeine Postulat einer benignior interpretatio sei eine gänzlich inhaltsleere Maxime, da offen sei, welcher der von der Gesetzesnorm betroffenen Parteien die benignitas zuteil werden und zu wessen Nachteil sie wirken sollte. Unter dem Deckmantel der benignitas erhielte der Jurist eine völlig ungebundene Ermessensfreiheit 482. Aus dem von Celsus angefügten Nebensatz ergibt sich jedoch, daß die benignior interpretatio einem bestimmten Zweck dient, nämlich der Konservierung der voluntas legis, der Absicht des historischen Gesetzgebers 483. Demnach kann die eingeforderte benignitas auch nur eine Großzügigkeit gegenüber dem Gesetzgeber sein 484 , dessen voluntas in einem mißglückten 485 oder nicht mehr zeitgemäßen486 Gesetzeswortlaut keinen entsprechenden Ausdruck findet.

479

So aber Cerami 87ff., 94ff., der ohne weiteres eine Textkürzung annimmt und den inhaltlich unzulässigen - Vergleich zu D 45.1.91.3 (Pal. 221) anstrengt (dazu unten § 26 II); teilweise Zustimmung signalisiert leider auch Hausmaninger 167. 480 So Casavola, ANRW 11.15 (1976) 156 und Scarano Ussani, Valore e storia (1979) 193f. 481 St. Grosso V (1972) 258. 482 In diesem Sinn versteht den Ausspruch des Celsus denn auch Cerami, Ann. Pal. 38 (1985) 119. Der von Cerami mit Hilfe von D 28.5.61 (Pal. 240) rekonstruierte konkrete Fallzusammenhang mutet ziemlich willkürlich an, zumal Celsus nach dem überkommenen Wortlaut dieses Fragments keine korrigierende Auslegung vornimmt, sondern gänzlich unkritische Gesetzesanwendung betreibt. 483 Vgl. oben § 121 3. 484 Hausmaninger, S. Grosso V (1972) 262. 485 Daran denkt Hausmaninger a.a.O. 260, 276. 486 Das Verb conservari paßt eher zum Fall eines obsoleten Gesetzestextes; trotz der m. E. verfehlten ideologischen Erklärung verkennen dies auch Casavola, ANRW 11.15 (1976) 156 und, ihm folgend, Scarano Ussani, Valore e storia (1979) 194 nicht.

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Fünftes Kapitel: Offene Wertungen und Naturrecht

Im Zusammenhang dieses Textes verliert ideologischen Gehalt. Der Jurist trägt kein auslegung heran, sondern räumt lediglich rang vor einer anderen ein: entscheidend sondern der Wille des Gesetzgebers.

der Begriff benignitas also jeglichen moralisches Gebot an die Gesetzeseiner Auslegungsmethode den Vorist nicht der Wortlaut einer Norm,

Da dem Ausdruck benignius an dieser Stelle eine völlig andere Bedeutung zukommt als im bereits behandelten Fragment Pal. 233, ist es erst recht nicht möglich, mit Scarano Ussani 487 von einer 'Zentralkategorie der celsinischen Theorie' zu sprechen.

§ 22 Utilitas Offene Wertungen sind nicht notwendig moralischer Natur; auch wenn der Jurist Zweckmäßigkeitserwägungen anstellt, gibt er ein außerrechtliches Werturteil ab. Die Untersuchungen von Leptien 488 und Ankum 4 8 9 haben ergeben, daß sich vor allem die Spätklassiker Papinian, Ulpian und Paulus auf die Nützlichkeit einer Entscheidung berufen 490 . Doch dient die utilitas bereits seit Labeo und Pegasus491 vereinzelt als Entscheidungskriterium der Juristen 492 . I. Für Celsus ist der Begriff utilitas nur einmal belegt 493 : D 40.9.1 Ulp 1 ad Sab (Pal. 192) Celsus libro duodecimo digestorum utilitatis gratia motus surdum ita natum manumittere posse ait.

1. Laut Ulpian ist Celsus der Auffassung, daß auch ein Tauber wirksam eine Sklavenfreilassung vornehmen könne. Unverständlich erscheint dabei der offenbar einschränkende Zusatz ita natum : wenn ein Taubgeborener einen Sklaven freilassen kann, so muß dies erst recht für einen nachträglich Ertaubten gelten. Glaubhafter als die Annahme einer Interpolation 494 erscheint hier freilich aber die Vermutung, daß vor ita natum ein et ausgefallen ist 4 9 5 .

487

A.a.O. 197. Utilitatis causa, Diss. Freiburg 1967; eine gekürzte Fassung enthält SDHI 35 (1969) 51ff. 489 Utilitatis causa receptum , Symbolae David I (1968) lff.; vgl. auch RIDA3 15(1968) 119ff. 490 Leptien , SDHI 35 (1969) 71 f. führt dies auf die in der spätklassischen Zeit eingetretene Verfestigung der Dogmatik zurück. 491 Vgl. Papinian D 46.3.95.7: ... quod quidem Labeo et Pegasus putaverunt utilitatis causa recipiendum ... 492 Vgl. den Katalog bei Ankum , Symbolae David I (1968) 5. 493 Auch in dem von Lenel in die Palingenesie aufgenommenen Fragment D 40.7.2.4 (Pal. 119) teilt Ulpian mit, daß eine Entscheidung utilitatis causa recepta sei. Celsus wird aber erst anschließend zitiert, wenn es um die Entscheidung einer weiteren Frage geht. 494 So Ankum , Symbolae David I (1968) 8 N.2. 495 Wlassak , SZ 26 (1905) 428. 488

§ 22 Utilitas

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Nach der überlieferten Fassung des Fragments bezieht sich Celsus auf die Freilassung schlechthin, also auch auf die zivilrechtliche Form der manumissio vindicta. Bei der prätorischen Freilassung inter amicos oder per epistulam kommt es auf die Hörfähigkeit des manumissor ohnehin nicht an. Der Rückgriff auf die utilitas erscheint nur angemessen, wenn es um den Formalakt der Stabfreilassung geht, bei dem der Freilassende dem adsertor in libertatem oder dem lictor gegenübertritt und dessen Worte vernehmen muß 4 9 6 . Ulpian vermutet, daß Celsus bei seiner Entscheidung utilitatis gratia motus gewesen ist 4 9 7 . Dies bedeutet freilich noch nicht, daß sich Celsus ausdrücklich auf die Zweckmäßigkeit seiner Lösung berufen hätte. Wir erfahren lediglich, daß Ulpian dies für den wahren Grund der Entscheidung hält 4 9 8 . 2. Daß Celsus in Wahrheit anders argumentierte, erhellt eine Konstitution Justinians aus dem Jahre 531, durch die der Taube zu omnia quae voluit facere zugelassen wird: CJ 6.22.10.3 (Pal. 114) Si enim vox articulata ei a natura concessa est, nihil prohibet eum omnia quae voluit facere, quia scimus quosdam iuris peritos et hoc subtilius cogitasse et nullum esse exposuisse, qui penitus non exaudit, si quis supra cerebrum illius loquatur, secundum quod Iuventio Celso placuit.

Celsus wird als einziger der quidam iuris periti genannt, die herausgefunden haben, daß es überhaupt keine Menschen gibt, die gar nicht hören können, wenn man ihnen nur nah genug an ihren Kopf spricht. Danach ist Taubheit keine absolute Unfähigkeit zu hören, sondern nur eine überwindbare körperliche Schwäche, durch die die Geschäftsfähigkeit der Betroffenen nicht beeinträchtigt wird 4 9 9 . Wenn es für Celsus den Hinderungsgrund 'Taubheit' damit faktisch gar nicht gibt, so kann er ihn aber auch nicht unter Rückgriff auf die utilitas für rechtlich irrelevant erklärt haben 500 .

496

Ankum a.a.O. 8. Anders Leptien, Utilitatis causa (1967) 178ff., der einfach einige Abstriche von der Stellungnahme des Celsus machen will. Um eine Harmonisierung mit PS 4.12.2 und Ulp Ep 20.13 zu erreichen, muß er aber auch die Argumentation des Celsus in CJ 6.10.22.3 (Pal. 114; dazu im folgenden) umdeuten. 497 Die hier gemeinte utilitas ist konkret eine utilitas libertatis; vgl. Bas. 48.7.1. 498 Ankum a.a.O. 5 N.2. - Daß die Spätklassiker häufig eine Entscheidung auf die utilitas gründen, die die angeführten älteren Juristen ohne dieses Argument getroffen haben, beobachtet Leptien, SDHI 35 (1969) 71. 499 Lenel, Pal. I (1889) Sp.145 ordnet den Text dem Titel de testamentis zu. Die Argumentation des Juristen hat aber weitergehende Bedeutung; vgl. Wlassak, SZ 26 (1905) 429 N.l. 500 Dies gilt trotz der Beobachtung von Leptien, SDHI 35 (1969) 70, daß die Juristen die Berufung auf die utilitas in der Regel mit dogmatischen Hilfsbrücken verbinden. Denn Celsus durchbricht keinen juristischen Grundsatz, sondern leugnet das Vorliegen eines Faktum, ohne das sich ein mit Hilfe von Dogmatik oder Wertung zu lösendes juristisches Problem überhaupt nicht stellt.

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Fünftes Kapitel: Offene Wertungen und Naturrecht

Es nimmt jedoch nicht wunder, daß Ulpian die unerhörte Argumentation des älteren Juristen vernachlässigt hat und nur das vermutete Motiv nennt, das er in der ihm vertrauten Kategorie der utilitas sieht. Daß dieses Werturteil von Celsus selbst stammt, ist nach der bei Justinian überlieferten Begründung jedenfalls auszuschließen. II. Wenn sich der Jurist in seinen Entscheidungsbegründungen auch nicht auf die unpräzisierte utilitas beruft, so gibt es im Werk des Celsus aber durchaus konkrete Zweckmäßigkeitsüberlegungen. Anders als bei den sonst üblichen Nützlichkeitserwägungen, die alle als schutzwürdig anerkannten Ziele umfassen 501 , betreffen diese im Fall des Celsus aber nur Fragen im Zusammenhang mit der Ermittlung des Parteiwillens 502 ; sie gehören damit demselben Problembereich an, dem auch die Begründung der ambiguitas-Rcgd zuzuordnen ist 5 0 3 : 1. D 19.1.38.2 Cels 8 dig (Pal. 7 9 ) 5 0 4 Firmus a Proculo quaesiit, si de plúmbeo castello fistulae sub terram missae aquam ducerent in aenum lateribus circumstructum, an hae aedium essent, an ut ruta caesa viñeta fixaque quae aedium non essent. ille rescripsit referre, quid acti esset, quid ergo si nihil de ea re ñeque emptor neque venditor cogitaverunt, ut plerumque in eiusmodi rebus evenisse solet, nonne propius est, ut inserta et inclusa aedificio partem eius esse existimemus?

Celsus teilt eine Entscheidung des Proculus mit, wonach die Parteivereinbarung darüber entscheidet, ob bestimmte unterirdische Wasserleitungen als Bestandteil des verkauften Gebäudes gelten oder nicht. Celsus hält es dagegen für proprius , im Regelfall alle durch das Gebäude umschlossenen Sachen als mitverkauft zu betrachten. Ein diesbezüglicher Parteiwille lasse sich nämlich normalerweise gar nicht feststellen, da weder Käufer noch Verkäufer daran gedacht hätten. 2. D 5.1.61pr. Ulp 26 ad ed (Pal. 41) Solemus quidem dicere id venire in iudicium, de quo actum est inter litigantes: sed Celsus ait periculose esse ex persona rei hoc metiri, qui Semper ne condemnetur hoc 501

Vgl. Ankum a.a.O. 29 und Leptien a.a.O. 62, der auf Paulus D 1.3.16 verweist, wo von einer aliqua utilitas die Rede ist. - Um den besonderen Fall einer dogmatischen Zweckmäßigkeit geht es in fr. Vat. 1, wo Julian auf Kosten der Systemgerechtigkeit das dauerhafte Auseinanderfallen von Eigentum und Besitzrecht verhindern will; vgl. K. Bauer , Ersitzung und Bereicherung (1988) 141f., und TR 54 (1986), 99f. 502 Nicht von Celsus stammt die in D 7.1.13.3 (Pal. 177) wiedergegebene Zweckmäßigkeitserwägung zu der Frage, ob der Prätor bei einem Streit unter Usufruktuaren vorzeitig einschreiten soll; der Jurist wird von Ulpian nur anläßlich einer ausdrücklich auf Julian zurückgehenden Entscheidung zitiert. - Nicht als Zitat des Celsus kenntlich gemacht ist auch die bei Ulp D 4.8.17.7 (Pal. 17) angestellte Überlegung zur Anwesenheitspflicht dreier Schiedsrichter: ... quia in plures fuit compromissum et potuit praesentia eius trahere eos in eius sententiam .... Daß es sich höchstens beim ersten Teil der Begründung um ein unsauberes Zitat handeln kann, zeigt die Argumentation des Celsus zum parallelen Fall der Anwesenheitspflicht dreier Rekuperatoren, D 42.1.39 (Pal. 23): Duo ex tribus iudieibus uno absente iudicare non possunt , quippe omnes iudicare iussi sunt. 503 Vgl. oben § 20 I. 504 Dazu Hausmaninger , FG v. Lübtow (1991) 59 und FS Wesener (1992) 160f.

§ 23 Celsus naturali aequitate motus: D 12.4.3.7 (Pal. 44)

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dicet non convenisse. quid ergo? melius est dicere id venire in iudicium non de quo actum est ut veniret, sed id non venire, de quo nominatim actum est ne veniret.

Nach Ulpian hält Celsus es für unzweckmäßig, den Streitgegenstand 505 aus dem beiderseitigen Parteiwillen zu bestimmen. Denn der Beklagte werde zur Vermeidung einer Verurteilung immer behaupten, daß über den betreffenden Gegenstand keine Vereinbarung getroffen worden sei. Die gleiche Erwägung findet sich auch bei Paulus, der als einen Vertreter der von Celsus bekämpften Gegenansicht dessen Zeitgenossen Aristo nennt: D 45.1.83.1 Paul 72aded Si Stichum stipulatus de alio sentiam, tu de alio, nihil actum erit. quod et in iudiciis Aristo existimavit: sed hic magis est, ut is petitus videatur, de quo actor sensit, nam stipulatio ex utriusque consensu valet, iudicium autem etiam in invitum redditur et ideo actori potius credendum est: alioquin Semper negabit reus se consensisse.

Während Paulus aber den Schluß zieht, daß der Wille des Klägers allein entscheidend sei, begnügt sich Ulpian, der Celsus in D 5.1.61pr. zitiert, mit der Lösung, daß der beiderseitige Parteiwille nur insoweit Berücksichtigung finden dürfe, als dasjenige nicht zum Streitgegenstand werde, was die Parteien gemeinsam ausdrücklich ausgeschlossen haben. Obwohl diese Textpassage nicht mehr als ein Zitat des Celsus kenntlich gemacht ist, spricht die große formale und sachliche Ähnlichkeit zu der Argumentation in Pal. 79 für eine Urheberschaft des älteren Juristen 506 : Wie in dem zuletzt genannten Fragment folgt auf die rhetorische Frage quid ergo? ein Lösungsvorschlag, der mit dem Komparativ melius bzw. propius eingeleitet wird. Dieser zeigt an, daß die Gegenauffassung grundsätzlich anerkannt wird, aber einer praktikableren Lösung weichen muß.

§ 23 Celsus naturali aequitate motus: D 12.4.3.7 (Pal. 44) I. Entgegen Bretone 507 und Scarano Ussani 508 kommt der Billigkeit als einem vorrechtlichen Wertungsmaßstab außerhalb der Formel von bonum et aequum 505 Wegen der Ähnlichkeit der hier vorgeschlagenen Lösung zu D 10.3.13 Ulp 71 ad ed nehmen Fugliese, Scritti Scialoja IV (1953) 370 und Jahr, Litis constestatio (1960) 153 an, daß sich der Text ursprünglich nur auf die actio communi dividundo bezog. Nach dem palingenetischen Kontext stand die Aussage des Ulpian jedoch im Zusammenhang der actio certae creditae pecuniae; vgl. LeneU EP3 (1927) 237 und Sturm, St. Grosso I I (1968) 321 und N.8. Allgemein von iudicia handelt auch das vergleichbare PaulusFragment D 45.1.83.1 (siehe unten); Pugliese 371 und Jahr 152 müssen sich hierbei mit einer Interpolationsvermutung behelfen. 506

Hausmaninger, FS Wesener (1992) 166f.; ohne Begründung so schon Cerami, Ann. Pal. 38 (1985) 229 N.466; anders offenbar Sacconi, La pluris petitio nel processo formulare (1977) 10, 13. 507 Labeo 9 (1963) 343f. = Tecniche e ideologie dei giuristi romani (1971) 102 und N.20.

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Fünftes Kapitel: Offene Wertungen und Naturrecht

keine hervorragende Rolle in den Entscheidungsbegründungen des Celsus zu. Zwar erscheinen die Ausdrücke aequitas , aequum und iniquum mehrfach in der Palingenesie des celsinischen Werkes 509 . Sie gehen jedoch häufig nicht auf den Juristen selbst zurück: In D 22.3.13 (Pal. 242) gibt Celsus den Wortlaut eines kaiserlichen Reskriptes wieder. Wo Celsus seinerseits von Marcian D 8.5.19 (Pal. 12) zitiert wird, ist es gar nicht der von ihm entschiedene Fall, bei dem Marcian von non est aequum spricht. In einer Reihe von Zitaten bei Ulpian stammt die Erwähnung der aequitas aus der Feder des jüngeren Juristen: Nicht auf den Hochklassiker geht das typisch ulpianische 510 aequissimum est in D 11.1.11.8 (Pal. 36) zurück, auf das ein wenig aussagekräftiges et ita Celsus scribit folgt. Außerhalb des eigentlichen Celsus-Zitates steht auch die mit aequum est eingeleitete Entscheidungsbegründung von D 19.1.13.17 (Pal. 78). In D 7.1.13.3 (Pal. 177) schließlich gehört die Formulierung aequissimum esse ausdrücklich zu einem Julian-Zitat, anläßlich dessen nur von einer grundsätzlichen Zustimmung des Celsus die Rede ist. Über die Begründungen, mit denen Celsus seine Entscheidungen jeweils selbst versehen hat, sagen diese Texte nichts. Unter den verbleibenden Fragmenten gibt es zwei, in denen der aequitas keine Begründungsfunktion zukommt: In D 38.1.30 (Pal. 109) 511 stützt Celsus seine Entscheidung auf den Parteiwillen und kommt lediglich im Ergebnis auf eine billige Ermessensausübung als Kriterium der Wirksamkeit eines Vertrages. In D 22.3.12 (Pal. 135) 512 dient die Formulierung prima fronte aequius videtur der Einleitung einer allgemeinen Regel 513 , von der der Jurist gerade eine Ausnahme im Wege der Analogie machen will. Nicht um die vorpositive aequitas geht es schließlich in den Fragmenten D 37.6.6 (Pal. 90) 5 1 4 und D 36.1.34 (Pal. 179): in dem einen Fall nimmt Celsus Bezug auf die aequius melius-Klausel der actio rei uxoriae , in dem anderen füllt er den Ermessensspielraum aus, den die an der Billigkeit orientierte 515 cognitio extraordinaria bei der Beurteilung eines Fideikommisses einräumt. Entsprechendes gilt auch für D 27.8.7 (Pal. 97): Die actio subsidiaria gegen die Munizipalmagistrate, die sich bei der Tutorenbestellung pflichtwidrig verhalten ha-

508

Valore e storia (1979) 105ff. Daß es sich dabei aber nur um eine durchschnittliche statistische Häufigkeit handelt, stellt Horak, Labeo 29 (1983) 190 fest. 510 Vgl. Honoré , Ulpian (1982) 78f. 511 Dazu oben §13 I I I . 512 Dazu oben § 3 II. 513 Dies betont Hausmaninger , IURA 35 (1984) 30f. N.39 gegen Scarano Ussani , Valore e storia (1979) 110f. 514 Dazu oben § 17 I. 515 Käser, RP 12(1971)759. 509

§ 23 Celsus naturali aequitate motus: D 12.4.3.7 (Pal. 44)

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ben, wird nur nach Maßgabe einer causae cognitio gewährt, in deren Rahmen der Prätor grundsätzlich nach der aequitas urteilt 516 . II. Von einer vorrechtlichen Billigkeitsvorstellung inspiriert erscheint dagegen die nachfolgende Entscheidung, die nach der Aussage Ulpians auf die naturalis aequitas gegründet ist: D 12.4.3.7 Ulp 26 ad ed (Pal. 4 4 ) 5 1 7 Sed si servus, qui testamento heredi iussus erat decem dare et liber esse, codicillis pure libertatem accepit et id ignorans dederit heredi decem, an repetere possit? et refert patrem suum Celsum existimasse repetere eum non posse: sed ipse Celsus naturali aequitate motus putat repeti posse. quae sententia verior est, quamquam constet, ut et ipse ait, eum qui dedit ea spe, quod se ab eo qui acceperit remunerari existimaret vel amiciorem sibi esse eum futurum, repetere non posse opinione falsa deceptum.

1. Ein Erblasser hat in seinem Testament per vindicationem die Freilassung eines Sklaven angeordnet, falls dieser die gestellte Bedingung erfüllt und dem Erben zehntausend Sesterzen leistet. Der Sklave zahlt die festgesetzte Summe, ohne zu wissen, daß ein Testamentszusatz seine unbedingte Freilassung vorsieht 518 . Celsus berichtet, daß sein Vater eine Rückforderung des Geldes für ausgeschlossen hielt. Er selbst spricht sich dagegen für eine Rückerstattung an den ehemaligen Sklaven aus, räumt aber ein, daß eine Leistung, die in der bloßen Hoffnung auf eine Gegenleistung oder auf künftiges Wohlwollen des Empfängers erfolgt, grundsätzlich nicht zurückgefordert werden kann. 2. Das prozessuale Mittel, mit dessen Hilfe der Rückerstattungsanspruch geltend gemacht werden kann, ist die condictio 519. Dies ergibt sich insbesondere aus dem vorangehenden § 6 des Ulpian-Fragments, in dem es generalisierend heißt:

516

Voci, IURA 21 (1970) 139. Auch die anderen Juristen berufen sich in diesem Zusammenhang immer wieder auf die aequitas; vgl. Julian D 27.8.3 und fr. 5, Ulp. Fr. Argent. § 11 und D 27.8.6. 517 Lit.: Pringsheim, SZ 52 (1932) 141 f.; Maschi, La concezione naturalistica del diritto e degli istituti giuridici romani (1937) 216f.; Voci, L'errore nel diritto romano (1937) 86ff. und SDHI 15 (1949) 158f.; Donatuti, Lo statulibero (1940) 166ff.; Frezza, RIDA3 2 (1949) 297ff.; Schwarz, Die Grundlage der condictio (1952) 253f. und 304f.; Reggi, SDHI 18 (1952) 105ff.; Simonius, FS Lewald (1953) 169f.; Burdese, Archives de droit privé 16 (1953) 32f.; Wolff, St de Francisci III (1956) 95ff.; Zilletti, La dottrina dell' errore nella storia (1961) 117ff.; Santoro, Ann. Pal. 32 (1971) 308ff.; Cerami, SDHI 44 (1978) 174ff.; Scarano Ussani, Valore e storia (1979) 113f. 518 Der Formulierung codicillis pure libertatem accepit läßt sich entnehmen, daß der Testamentszusatz ein konfirmiertes Kodizill war, das im Unterschied zu einem nicht angekündigten Testamentszusatz ein Vindikationslegat enthalten kann; vgl. auch unten 3. 519 Anders nur Voci, L'errore 87, der seine Meinung aber ausweislich SDHI 15, 159 N.31 geändert hat.

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Fünftes Kapitel: Offene Wertungen und Naturrecht

Si quis quasi statuliber mihi decem dederit, cum iussus non esset, condicere eum decem Celsus scribit. 5 2 0

Die Kondiktion durch einen vermeintlichen Sklaven ist denkbar, wenn er mit Geld gezahlt hat, das er als Freier erlangt hat und das weder ex operis suis noch aus dem Vermögen des vermeintlichen Gewalthabers stammt 521 . Denn an diesem Geld erwirbt ein Uber homo bonafide serviens Eigentum 522 , so daß er nach einer verfehlten Leistung grundsätzlich auch zur Rückforderung berechtigt sein kann. 3. Der Grund, warum Celsus pater ihm im vorliegenden Fall dennoch die Kondiktion verwehrt, liegt nach überwiegender Auffassung darin, daß er die im Kodizill enthaltene Bestimmung im Unterschied zu seinem Sohn lediglich als Bestätigung der testamentarischen Freilassung ausgelegt habe, die ohne Einfluß auf die beigefügte Bedingung bleibe 523 . Celsus filius habe dagegen die im Testamentszusatz enthaltene unbedingte Freilassung als Widerruf der testamentarisch festgesetzten Bedingung gedeutet. - Der von Ulpian als Motiv angegebenen naturalis aequitas könnte dabei insofern Bedeutung zukommen, als sich der jüngere Celsus zugunsten der voluntas des Erblassers einfach über die verba des Testaments hinweggesetzt habe 524 . Eine Durchbrechung der bestehenden Dogmatik läge hierin jedoch allenfalls dann, wenn es sich bei dem Testamentszusatz um ein nicht konfirmiertes Kodizill gehandelt haben sollte: in diesem Fall hätte der Zusatz lediglich eine fideikommissarische Freilassung enthalten können und wäre ohne Einfluß auf das testamentarisch ausgesetzte Vindikationslegat geblieben. Dagegen spricht jedoch die Formulierung codicillis pure libertatem accepit , die darauf schließen läßt, daß das Kodizill im Testament angekündigt war und ein wirksames Vindikationslegat enthält. 4. Diese Ausdrucksweise macht es zugleich unwahrscheinlich, daß es hier überhaupt um die Auslegung der letztwilligen Verfügung geht: die Formulierung codicillis pure libertatem accepit wäre als Sachverhaltsbeschreibung schlicht

520

Nach einer verbreiteten Auffassung geht es hier anders als in § 7 nicht um die Zahlung an den Erben, sondern an einen Dritten; vgl. Voci, L'errore 87, Reggi 106, Zilletti 118; vorsichtiger Santoro 311. Für eine solche Annahme bietet der Text jedoch keinerlei Anhaltspunkte, zumal sich die inhaltliche Redundanz auch so erklären läßt, daß Ulpian in einem Einleitungssatz die nachfolgende Entscheidung des Celsus leitsatzartig zusammenfaßt. - Dagegen glauben Schwarz 163 N.3 und Wolff 95 N . l , daß es sich bei § 6 um eine Randglosse zu § 7 handelt, die später in den Haupttext geraten ist. 521 ScaevolaD 12.6.67pr. 522 Gai. Inst. 2.91 f. 523 So Pernice, Labeo I I I . l (1892; 41 N.4, Pringsheim 142, Frezza 291U Burdese 33, Schwarz 253, 305, Zilletti 118f. und Scarano Ussani 113. 524 Frezza 298 sowie im Anschluß daran Scarano Ussani 113f.; ähnlich bereits Maschi 216f. Für eine Interpolation der naturalis aequitas sind dagegen Pringsheim 141, Schwarz 304f. und Zilletti 118 N.59.

§ 23 Celsus naturali aequitate motus: D 12.4.3.7 (Pal. 44)

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falsch, wenn es in der Entscheidung gerade um die Frage ginge, ob eine unbedingte Freilassung des Sklaven gewollt und wirksam ist 5 2 5 . Daß die einschlägige quaestio iuris in Wahrheit anders lautete, erhellt die von Celsus angeführte ratio dubitandi. Darin benennt der Jurist den fragwürdigen Punkt, der seinen Vater zu einer gegenteiligen Entscheidung veranlaßt hat: quamquam constet, ut et ipse ait, eum qui dedit ea spe, quod se ab eo qui acceperit remuneran existimaret vel amiciorem sibi esse eum futurum, repetere non posse opinione falsa deceptum. Mithin geht es nicht um die Auslegung der letztwilligen Verfügung, sondern um die Qualifikation der Zuwendung des vermeintlichen Sklaven an den Erben 5 2 6 : Ist die Herbeiführung des Bedingungseintritts bloß das Motiv einer unentgeltlichen Verfügung, oder ist sie als Zweckbestimmung der Leistung in das Rechtsgeschäft einbezogen, so daß bei Nichtbestehen der Bedingung die condictio Platz greift? Während Celsus pater die Erfüllung der Bedingung als rechtlich unbeachtliche Hoffnung des Leistenden auffaßt, hält sein Sohn sie für eine relevante causa der Zuwendung, die gegebenenfalls zu ihrer Rückforderung berechtigt. 5. Die Berufung auf die naturalis aequitas ist in diesem Zusammenhang gänzlich unpassend, denn der jüngere Celsus widerspricht seinem Vater nicht, was die Geltung des Grundsatzes betrifft: auch für Celsus filius steht fest, daß ein bloßes Motiv des Leistenden nicht die Kondiktion begründen kann 527 . Wenn sich der Jurist von seinem Vater aber nur in der Qualifikation des konkreten Geschäfts unterscheidet, so ist für naturrechtliche Wertvorstellungen kein Platz. 528 525

Vgl. Simonius 170. Dies erkennen auch Simonius a.a.O. und Cerami 175ff. 527 Daher kann es hier auch nicht um den von Donatutti 167 unterstellten (unrealistischen) Fall gehen, daß der angebliche Sklave bei der Übergabe des Geldes keinerlei Angaben über den Zweck der Leistung gemacht hat. 528 Zur Klärung der Funktion der naturalis aequitas trägt auch nicht der nachfolgende § 8 des Ulpian-Fragments bei, in dem Celsus zur Wirksamkeit der Zahlung äußert: Suptilius quoque illud tractat, an ille, qui se statuliberum putaverit, nec fecerit nummos accipientis, quoniam heredi dedit quasi ipsius heredis nummos daturus, non quasi suos, qui utique ipsius fuerunt, adquisiti scilicet post libertatem ei ex testamento competentem. et puto, si hoc animo dedit, non fieri ipsius: nam et cum tibi nummos meos quasi tuos do, non facio tuos ... - Dem Wortlaut nach geht nur die Fragestellung auf Celsus zurück, während die Entscheidung von Ulpian stammt. Angesichts der bereits suggestiv formulierten Frage des Celsus wird man das ulpianische et puto ... jedoch nicht als eigene Lösung, sondern als Zustimmung zur Auffassung des älteren Juristen ansehen dürfen; vgl. Santoro 317. - Danach bestreitet Celsus schon einen Eigentumserwerb seitens des Erben. Denn der vermeintliche Sklave ist nicht als rechtsfähige Person, sondern als Gewaltunterworfener aufgetreten. Dementsprechend hat er das ihm gehörende Geld nicht als eigenes geleistet, sondern er hat in der Annahme gezahlt, daß es sich dabei um Pekuliargeld handelt, das ohnehin im Eigentum des Erben steht. Damit gewinnt der Jurist ein zusätzliches Argument gegen seinen Vater, indem er nachweist, daß dem angeblichen Sklaven bis zu einer Konsumtion des Geldes durch den Erben sogar die rei vindicatio offenge526

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Fünftes Kapitel: Offene Wertungen und Naturrecht

Daher ist anzunehmen, daß die Berufung auf die natürliche Gerechtigkeit nicht der Argumentation des Celsus entstammt, sondern auf Ulpian zurückgeht 529 . Ebenso wie utilitatis gratia motus in D 40.7.1 (Pal. 192) gibt der Zusatz naturali aequitate motus nur das von dem Spätklassiker unterstellte Motiv der celsinischen Entscheidung wieder. Bezeichnenderweise erscheint der Begriff naturalis aequitas auch regelmäßig in den ulpianischen Ediktslaudationen 530 , wo der Spätklassiker die von ihm angenommene Motivation des Prätors bei der Rechtsschutzverheißung mitteilt. In vergleichbarer Weise versucht er an dieser Stelle, eine positivrechtliche Entscheidung des Celsus naturrechtlich zu verankern.

§ 24 Natura rerum und natura hominum I. Die Berufung auf die natura rerum stellt eine naturrechtliche Wertung dar, wenn der Jurist den außerrechtlichen natürlichen Gegebenheiten normative Sinnelemente entnimmt und sie zur Ergänzung oder Korrektur der positiven Rechtsordnung einsetzt. Im Werk des Celsus kommen in dieser Hinsicht zwei knappe Aussagen in Betracht, die in ihrer überlieferten Form zwar nicht als Entscheidungsbegründungen kenntlich gemacht sind, von denen man aber immerhin annehmen kann, daß sie in ihrem ursprünglichen Kontext die Rolle einer ratio decidendi gespielt haben: 1. Eine allgemeine Aussage über das Verhältnis von Natur und Recht enthält scheinbar D 50.17.188.1 Cels 17 dig (Pal. 142): Quae rerum natura prohibentur, nulla lege confirmata sunt.

standen hat (vgl. Wolff91). - Santoro 323 und Cerami 179f. verbinden diese Analyse des Übereignungsgeschäftes mit der Berufung auf die naturalis aequitas und sehen in der mangelnden Wirksamkeit des Übertragungsaktes den Grund für einen Durchgriff auf naturrechtliche Wertvorstellungen. Da es an einer wirksamen datio fehle, stelle die zugestandene Rückforderungsklage eine Durchbrechung der bestehenden Dogmatik dar und könne nur auf allgemeine Gerechtigkeitserwägungen gestützt werden. - Gegen diese Interpretation spricht aber die Gedankenführung des Celsus-Zitates: Nach den Angaben Ulpians war Celsus naturali aequitate motus , als er die Herbeiführung des Bedingungseintritts entgegen der Ansicht seines Vaters nicht als bloßes Motiv, sondern als causa der Leistung erachtete. Mit der Frage des Eigentumserwerbs wird die naturalis aequitas dagegen nicht in Verbindung gebracht. Wie sich aus den Zitaten des Neraz und Julian in § 5 desselben Ulpian-Fragments ergibt, ist die Kondiktion durch einen Uber Homo bona fide serviens von den Zeitgenossen des Celsus auch allgemein zugelassen worden. Daß sich die kondiktionsbegründende datio erst im Wege einer Konsumtion verwirklichte, stellte dabei offenbar kein dogmatisches Problem dar, welches die Berufung auf die naturalis aequitas rechtfertigen könnte. Zur Gleichsetzung der Konsumtion einer unwirksamen Leistung mit einer datio äußert sich Julian D 12.1.19.1 529 In diesem Sinne bereits Wolff 98; andeutungsweise auch Gradenwitz , FG Schirmer (1900) 158 N.l 530 Vgl. D 2.14.1pr.; D 4.4.1pr.; D 13.5.1pr.; D 37.5.1pr. D 43.26.2.2 und D 47.4.1.1; vgl. dazu Käser , lus gentium (1993) 63.

§ 24 Natura rerum und natura hominum

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Bevor man zu der Schlußfolgerung gelangt, Celsus gebe hier eine naturrechtliche Grundsatzerklärung ab 5 3 1 , sollte man dem Kontext dieser Aussage genauere Beachtung schenken. Der Text stammt aus dem Titel de legatis und das principium desselben Fragments lautet: Ubi pugnantia inter se in testamento iuberentur, neutrum ratum est.

Darauf bezogen gewinnt die Aussage des Celsus eine andere Bedeutung: zwei einander widersprechende Testamentsbestimmungen heben sich gegenseitig auf, denn ihre gleichzeitige Verwirklichung ist logisch ausgeschlossen532. Die betroffenen leges testamenti scheitern nicht an außerrechtlichen natürlichen Vorgaben; mit natura rerum prohibere ist bloß die Denkunmöglichkeit ihrer gleichzeitigen Geltung gemeint. 2. Auf natürliche Gegebenheiten spielt Celsus dagegen wohl in dem folgenden Fragment an: D 50.17.186 Cels 12 dig (Pal. 110) Nihil peti potest ante id tempus, quo per rerum naturam persolvi possit: et cum solvendi tempus obligationi additur, nisi eo praeterito peti non potest.

Aus dem palingenetischen Zusammenhang ergibt sich, daß die von den Kompilatoren zur allgemeinen Regel gemachte Aussage ursprünglich dem Themenbereich der operae libertorum angehörte. Demnach ging es Celsus vermutlich um die Frage, wann der Patron die von seinem libertus versprochenen Dienste mit der actio operarum einfordern kann 533 . Nach Celsus ist dies erst dann möglich, wenn die natura rerum eine vollständige Erbringung der Dienste zugelassen hätte. Damit könnte der Jurist auf die bei der Durchführung der operae zu beachtenden faktischen Besonderheiten verweisen. Wahrscheinlicher ist dagegen, daß Celsus auf das Erfordernis der Anzeige (indictio ) der Dienste durch den Patron anspielt 534 . In verblüffend ähnlichen Worten heißt es nämlich bei Paulus D 45.1.73pr. 535 : Interdum pura stipulatio ex re ipsa dilationem capit, veluti si id quod in utero sit aut fructus futuros aut domum aedificari stipulatus sit: tunc enim incipit actio, cum ea per rerum naturam praestari potest ... item si operas a liberto quis stipulatus sit, non ante dies earum cedit, quam indictae fuerint nec sint praestitae.

Als Beispiel dafür, daß unter Umständen ex re ipsa ein Aufschub der Verbindlichkeit eintreten kann, führt der Spätklassiker die stipulatio operarum an. 531 So Voggensperger , Der Begriff des ius naturale (1952) 112 und N.10 sowie Scarano Ussaniy Valore e storia (1979) 199f. An eine empirisch-deskriptive Bedeutung von natura rerum glauben dagegen Cerami , SDHI 44 (1978) 181, Ann. Pal. 38 (1985) 46, 51 und Behrends , Gnomon 55 (1983) 241 N.38. 532 Lex wird durchaus zur Bezeichnung einer Testamentsklausel verwendet; vgl. Heumann/Seckel. 533 Vgl. LeneU Pal. I (1889) Sp.145 N.l. 534 In diesem Sinn auch Lenel a.a.O., der auf Ulpian D 38.1.13.2 verweist. 535 Auf diese Parallele macht Daube, SZ 76 (1959) 230f. aufmerksam.

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Fünftes Kapitel: Offene Wertungen und Naturrecht

Ähnlich wie bei der Stipulation zukünftiger Früchte oder eines zeitraubenden Werkes ist die Klage aus dem Versprechen eines Freigelassenen per rerum natura gehindert, solange der Patron die zu erbringenden Dienste nicht durch Anzeige konkretisiert hat. 3. Wenn sich das Recht in diesem Fall den natürlichen Vorgaben anzupassen hat, so bedeutet dies aber noch nicht, daß den natürlichen Gegebenheiten selbst ein normativer Gehalt beigemessen wird 5 3 6 . Hinter dem Verweis auf die natura rerum steht ebenso wie hinter der Regel 'impossibilium nulla obligatio est' auch die rein ethische Forderung, daß 'richtiges Recht' nicht entgegen den natürlichen Voraussetzungen wirken dürfe. II. Als unmittelbarer Bestimmungsgrund eines rechtlichen Gebotes erscheint die natura nur in D 16.3.32 Cels l i d i g (Pal.91) 5 3 7 : Quod Nerva diceret latiorem culpam dolum esse, Proculo displicebat, mihi verissimum videtur. nam et si quis non ad eum modum quem hominum natura desiderat diligens est, nisi tarnen ad suum modum curam in deposito praestat, fraude non caret: nec enim salva fide minorem is quam suis rebus diligentiam praestabit.

1. Der Text bezeugt eine Auseinandersetzung innerhalb der prokulianischen Rechtsschule: Nerva befand, daß ein Depositar auch für latior culpa hafte, weil eine besonders grobe Fahrlässigkeit dem dolus zuzurechnen sei. Während sein Nachfolger Proculus widerspricht, schließt sich Celsus, der letzte Vorstand der Rechtsschule, dem älteren seiner beiden Vorgänger an und begründet diese Stellungnahme wie folgt: Wer nicht wenigstens in dem Maße sorgfältig ist, wie es die Natur des Menschen verlangt, begehe fraus, solange er nicht zumindest die eigenübliche Sorgfalt walten lasse 538 . Alles andere sei nämlich nicht mit der fides unvereinbar. 539 536 So aber Waldstein , ANRW 11.15 (1976) 50 und N. 173; an eine Ableitung von Sollen aus Sein glaubt auch Mayer-Maly , St.Volterra II (1971) 121. 537 Literatur: Pernice , Labeo II. 1 (1900) 202, 215; Mitteis , RP I (1908) 328 (N.42), 331 f.; Rotondi, Scritti Giuridici I I 102ff.; Kühler, Berliner FG Gierke I I (1910) 247ff.; Lenel, SZ 38 (1917) 277ff.; Kunkel , SZ 45 (1925) 297f., 313; Ehrhardt , Mnemosyna Pappulias (1934) 125ff.; Maschi , La concezione naturalistica del diritto e degli istituti giuridici romani (1937) 8ff.; Arangio-Ruiz , Responsabilita contrattuale2 (1958) 259ff.; Selb, Synteleia Arangio-Ruiz II (1964) 1173ff.; Käser , RP 12 (1971) 366 N.37 und 510; Sitizia , Bull. 74 (1971) 191ff.; Hausmaninger , FS Käser (1976) 265ff.; Waldstein , ANRW 11.15 (1976) 45f.; Scarano Ussani , Valore e storia (1979) 172ff.; MacCormack , SDHI 52 (1986) 272f.; Zimmermann , The Law of Obligations (1993) 210f. 538 Durch den ms/...-Satz wird eine negative Voraussetzung statuiert; vgl. Selb 1178f., zustimmend Sitizia 192. Dagegen glauben Hausmaninger 268 und Zimmermann 210, Celsus reagiere gezielt auf einen Einwand des Proculus, der dem Nerva entgegengehalten haben könnte, daß es Menschen gibt, die gewöhnlich sehr sorglos sind. - Für das logische Verhältnis der beiden aufgeführten Haftungsmaßstäbe bleibt diese Frage ohne Bedeutung. 539 Eine Interpolation des Textes, wie sie von Kübler 248, Lenel Uli., Kunkel 298 und Arangio-Ruiz 260f. vermutet wird, ist äußerst unwahrscheinlich. Denn weder ein nachklassischer Autor noch die Kompilatoren hätten eine Kontroverse zwischen den klassischen Juristen erfinden können; vgl. Rotondi 102 und Selb 1174. Femer ist hier nicht von

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2. Grundlegend ist für Celsus zunächst der objektive Maßstab der natura hominum : wer in seiner Nachlässigkeit dieses Mindestmaß an Sorgfalt unterschreitet, muß sich der individuellen Prüfung unterziehen, ob er auch in eigenen Angelegenheiten ebenso sorglos verfährt 5 4 0 . Ist dies der Fall, so muß eine Haftung des Verwahrers ausscheiden, weil es an der für dolus erforderlichen individuellen Vorwerfbarkeit fehlt. Wendet der fahrlässige Schuldner dagegen nicht einmal die eigenübliche Sorgfalt ein, so hat er auch subjektiv vorwerfbar gehandelt und die dolus - Haftung kann i h m nicht erspart werden. 3. Der Schlußsatz wiederholt diesen Gedanken, enthält aber mit dem Hinweis auf die fides zugleich einen wichtigen Anhalt für den dogmatischen Ausgangspunkt der celsinischen Argumentation: Der Jurist bezieht sich auf dieformula in ius concepta der actio depositi und bemüht zur extensiven Interpretation des Begriffs dolus die bona fides-Klausel 541. Nach dem Gebot der Treue darf der Hinterleger von dem Verwahrer nicht nur das Unterlassen einer vorsätzlichen Schädigung erwarten; der Depositar darf ohne Verletzung der fides die hinterlegte Sache auch nicht grob fahrlässig behandeln, wenn er dabei sorgloser als mit seinen eigenen Sachen verfährt 5 4 2 . der nachklassischen Kategorie der culpa lata die Rede, sondern Celsus verwendet den einmaligen Begriff der culpa latior (Selb 1175 und Sitizia 192). Außerdem paßt die von Kubier beanstandete Entwicklung der Fahrlässigkeitshaftung aus dem Begriff des dolus gerade nicht zur nachklassischen Doktrin, die culpa und dolus nebeneinanderstellt; vgl. Sitizia 196. - Daß es sich hier um den klassichen Ursprung der späteren Haftungsformen culpa lata und diligentia quam in suis handelt, glaubt auch Käser 510. - Zweifelhaft ist dagegen, ob sich der Text ursprünglich auf das depositum bezogen hat. Denn die Erwähnung des Verwahrungsvertrages erfolgt erst innerhalb der von Celsus gegebenen Begründung, und nach seinem palingenetischen Zusammenhang ist das Fragment dem Titel de tutelis zuzuordnen. Aus diesem Grund nehmen Pernice 202, 215, Mitteis 328 N.42, 332 N.51, Ehrhardt 127ff. und Käser 366 N.37 an, Celsus habe in Wirklichkeit den Haftungsmaßstab der actio tutelae erörtert. Doch läßt sich Gai. Inst. 1.200 sowie Pomponius D 27.5.4 und Ulpian D 26.10.8 entnehmen, daß für die Haftung des Tutors bereits in klassischer Zeit ein allgemeiner diligentia-Maßstab galt; vgl. Hausmaninger 272, 279ff. (dort auch zur fraglichen Echtheit von D 27.3.lpr. und D 26.7.33pr., in denen die eine allgemeine diligentia-Haftung unsinnigerweise um das Element der eigenüblichen Sorgfalt erweitert wird). - Umgekehrt paßt die Argumentation von Nerva und Celsus gerade zum klassischen Haftungsrecht der actio depositi : Gai. Inst. 3.207 und Collatio 10.2.1 bezeugen, daß dolus hier verbindlicher Haftungsmaßstab war. - Für die nachklassische und byzantinische Zeit ergibt sich dagegen ein verwirrendes Bild: während die Alexander-Konstitution in CJ 4.34.1 (a.234) eine Haftung des Depositars für culpa lata vorsieht, welche in dem parallel überlieferten Text von Coli. 10.8 noch fehlt, unterdrückt Justinian andererseits in IJ 3.14.3 gezielt einen nachklassischen Ansatz zur Ausdehnung der Haftung auf grobe Fahrlässigkeit (vgl. D 44.7.1.5 Gai 2 aur). Für eine nachklassische Einfügung des depositum ließe sich daher nicht einmal ein bestimmter Urheber benennen. 540 Daß es hier einerseits um einen objektiven, andererseits um einen subjektiven Haftungsmaßstab geht, verkennt die Textkritik von Kubier 248. 541 Pernice 202, Mitteis 329 N.42; neuerdings auch MacCormack 272f. 542 Damit fällt zugleich ein Licht auf das Alter der formula in ius concepta : während sie in der Aufzählung der bonae fidei iudicia bei Cicero de off. 3.17.70 noch fehlt, erscheint sie bei Gaius Inst. 4.47. Nach dem vorliegenden Fragment steht fest, daß jeden-

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Fünftes Kapitel: Offene Wertungen und Naturrecht

4. Die von Celsus angestellte Wertung folgt also den gesetzlichen Vorgaben. Zur Ausfüllung des in der Klagformel enthaltenen normativen Merkmals der bonafides bedient sich der Jurist aber zumindest teilweise eines naturrechtlichen Prinzips: Wie das Verb desiderare anzeigt, ist die von allen Menschen grundsätzlich zu erwartende Mindestsorgfalt kein empirisch ermittelter Standard 543 , sondern sie ergibt sich als ethischer Maßstab unmittelbar aus der natura hominum544. Auf diese Weise wird jedoch nur die absolute objektive Grenze des dolus bestimmt. Entscheidend ist letztlich der subjektive Maßstab der eigenüblichen Sorgfalt. Dadurch wird der individuellen Verschiedenheit der Menschen Rechnung getragen 545 und die von der abstrakten Menschennatur ausgehende Forderung entscheidend relativiert 546 .

§ 25 Ius gentium Als das allen Völkern gemeinsame Recht entspricht das ius gentium im wesentlichen dem Naturrecht 547 . In der juristischen Literatur findet der Begriff des ius gentium erst seit Gaius und Pomponius häufige Verwendung 548 , Bei Celsus kommt er in einem Text über das Kondiktionsrecht vor. Es könnte die früheste Erwähnung des ius gentium in einer Juristenschrift sein: D 12.6.47 Cels 6 dig (Pal. 5 3 ) 5 4 9 Indebitam pecuniam per errorem promisisti: eam qui pro te fideiusserat solvit. ego existimo, si nomine tuo solvent fideiussor, te fideiussori, stipulatorem tibi obligatum fore: nec exspectandum est, ut ratum habeas, quoniam potes videri id ipsum mandasse,

falls Celsus, vielleicht aber auch schon Nerva die formula in ius concepta mit der bona fides-Klausd kannten. - D'Ors , SZ 78 (1957) 78 N.17 will die Einführung dieser Formel erst später ansetzen und beruft sich auf das Neratius-Zitat bei Ulpian D 16.3.1.21: wenn der IGassiker an dieser Stelle auf dolus rekurriert, so bedeutet aber dies noch nicht, daß ihm ein bonae fidei iudicium im Rahmen des Verwahrungsvertrages unbekannt war. Auch für Celsus ist dolus der allein verbindliche Haftungsmaßstab, seine Interpretation steht jedoch unter dem Einfluß des bonae fidei iudicium . 543 So aber Cerami , Ann. Pal. 38 (1985) 46 N.92. Ähnlich schon Maschi 10. 544 Zutreffend Waldstein 46. 545 Scarano Ussani 174f. vermutet hier einen Einfluß des skeptischen Empirismus. 546 Daß die Orientierung am individuellen Menschen einer Naturrechtsauffassung gerade entgegensteht, betont Horak , Labeo 29 (1983) 188. Zu Unrecht behauptet Waldstein 46 N.155, daß der nwi-Satz für die Würdigung des naturrechtlichen Gehalts der Argumentation keine Bedeutung habe. 547 Zum begrifflichen Verhältnis Käser , Ius gentium (1993) 57f. 548 Vgl. dazu Mayer-Maly , IURA 34 (1983) lOOff. und die historische Übersicht bei Käser a.a.O. 40ff. 549 Literatur: Donatuti, Contributi alla teoria del mandato I (1927) 91 ff.; Schwarz , Die Grundlage der condictio (1952) 44f.; Schulz , IURA 3 (1952) 15ff.; Käser , FG Herdlitczka (1972) 142ff. und Ius gentium (1993) 43ff., 155f.; Scarano Ussani , Valore e storia (1979) 202ff.

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ut tuo nomine solveretur: sin autem fideiussor suo nomine solvent quod non debebat, ipsum a stipulatore repetere posse, quoniam indebitam iure gentium pecuniam solvit: quo minus autem consequi potent ab eo cui solvit, a te mandati iudicio consecuturum, si modo per ignorantiam petentem exceptione non summoverit.

I. Hauptschuldner TU hat aufgrund einer in Wahrheit nicht bestehenden Verbindlichkeit irrtümlich ein Stipulationsversprechen abgegeben und einen fideiussor als Bürgen gestellt, der den Gläubiger schließlich befriedigt. Dem mitgeteilten Sachverhalt läßt sich nicht entnehmen, ob das von TU abgegebene Versprechen auf das zugrunde liegende mangelhafte Schuldverhältnis Bezug nahm, oder ob es abstrakt formuliert war. Im ersten Fall wären sowohl die Stipulation des Hauptschuldners als auch diefideiussio unwirksam gewesen. Eine abstrakt gefaßte Stipulation wäre dagegen ebenso wie das Bürgschaftsversprechen zivilrechtlich gültig gewesen; sowohl Hauptschuldner als auchfideiussor hätten dem Gläubiger aber die exceptio doli entgegenhalten können 550 . Welche der beiden Alternativen hier in Betracht kommt, läßt sich erst anhand der von Celsus gegebenen Fallösungen entscheiden. II. Der Jurist differenziert zwischen zwei denkbaren Sachverhaltsvarianten. Zunächst betrachtet er den Fall, daß der Bürge tuo nomine, also im Namen des Hauptschuldners geleistet hat. Celsus entscheidet, daß dem Hauptschuldner ein Kondiktionsanspruch gegen den Gläubiger zusteht; aufgrund des Bürgschaftsauftrags ist er seinerseits dem fideiussor zum Aufwendungsersatz aber verpflichtet. Celsus betont, dies gelte unabhängig von einer ratihabitio der Zahlung durch den Hauptschuldner. Denn das dem Bürgen erteilte Mandat umfasse auch eine Leistung im Namen des TU. Der mit nec expectandum ... eingeleitete Satz fällt zwar stilistisch insofern aus dem Rahmen, als er im Gegensatz zum Rest der Entscheidung in direkter Rede steht 551 . Inhaltlich ist er jedoch nicht zu beanstanden: Der Jurist behauptet nicht, daß das Mandat zur Übernahme einer Bürgschaft den Beauftragten stets zur Zahlung im Namen des Hauptschuldners zwingt 5 5 2 , sondern er befindet im Rahmen einer Auslegungsentscheidung (potes videri), daß eine Zahlung im Namen des Hauptschuldners noch nicht den Rahmen des erteilten Auftrags sprengt. Denn die Übernahme einer Bürgschaft kann in der Konsequenz ebenfalls zu einer Tilgung der Hauptschuld führen 553 . Für die Frage, ob Hauptstipulation und fideiussio zivilrechtlich unwirksam oder bloß exzeptionsweise gehindert sind, ergibt dieser Teil der Entscheidung noch nichts: Zahlt der Bürge im Namen des Hauptschuldners, so wird die Leistung dem Hauptschuldner zugerechnet, und dieser erwirbt unabhängig von der Art des Mangels einen Kondiktionsanspruch.

550

Dazu ausführlich Käser, FG Herdlitczka (1972) 149ff. Darauf verweisen Schwarz 45 und Schulz 19. 552 So aber Donatuti 92f. und Schulz 18f. 553 Für Echtheit dieses Satzes daher jetzt auch Käser, Ius gentium 44 N.158, der früher noch an einen nachklassischen Eingriff glaubte (vgl. FG Herdlitczka 145) 551

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Fünftes Kapitel: Offene Wetungen und Naturrecht

III. In der anderen von Celsus betrachteten Fallvariante ist der Bürge nicht im Namen des Hauptschuldners aufgetreten, sondern er hat suo nomine, also auf die Bürgschaftsforderung gezahlt. Nach Celsus kann er nun selbst mit der condictio gegen den Gläubiger vorgehen; ein Anspruch auf Aufwendungsersatz gegen den Hauptschuldner steht ihm nur insoweit zu, als der Gläubiger ihn nicht befriedigen kann. Zur Art des Mangels von Hauptschuld undfideiussio enthält diese Textpassage widersprüchliche Angaben: während es einerseits heißt, der Bürge habe gezahlt quod non debebat , wird ein eventueller Regreß gegen den Hauptschuldner davon abhängig gemacht, ob der Bürge es bloß irrtümlich unterlassen hat, eine ihm zustehende exceptio gegen den Gläubiger geltend zu machen. Nur eine dieser beiden Aussagen kann echt sein. Während es keinen Grund gibt, an der Authentizität von quod non debebat zu zweifeln 554 , unterliegt die angehängte Einschränkung des Anspruchs auf Aufwendungsersatz durchgreifenden Bedenken. Zum einen enthält sie die bislang ohnehin stillschweigend gemachte Voraussetzung, daß der Bürge nicht wissentlich auf die mangelhafte Forderung gezahlt hat. Hätte er dies getan, so wäre nicht erst der Regreß gegen den Hauptschuldner, sondern schon die Kondiktion gegen den Gläubiger ausgeschlossen gewesen. Ferner heißt es plötzlich, daß der Gläubiger petens war, während man nach dem bisherigen Text von einer freiwilligen Zahlung des Bürgen ausgehen mußte. Diese Brüche in der Gedankenführung können nur auf dem Mißverständnis eines späteren Bearbeiters beruhen. Dieser ging offenbar von einer exzeptionsweise gehinderten Forderung aus, während Celsus ausweislich von quod non debebat den Fall einer zivilrechtlich ungültigen Hauptschuld und fideiussio behandelte. Folglich kann auch die Begründung quoniam indebitam iure gentium pecuniam solvit nicht von Celsus stammen. Denn in dem von ihm vorgestellten Fall liegt ein indebitum nicht erst wegen des ius gentium , sondern bereits nach ius civile vor. Dagegen hatte der Bearbeiter ein berechtigtes Motiv für die Anführung des ius gentium , mußte er doch zwischen seiner eigenen Annahme einer bloß exzeptionsweise gehinderten Forderung und dem celsinischen quod non debebat vermitteln. 555 554

Die Interpolationsannahme von Schwarz 45 stützt sich auf die eigene petitio principa, daß es in dem Text um eine prätorische Nichtschuld gegangen sei. 555 Die Anführung des ius gentium wäre auch dann nicht haltbar, wenn mit der h.M. davon ausgeht, schon Celsus habe den Fall einer bloß prätorischen Nichtschuld behandelt. Denn ius gentium wäre eine unkorrekte Bezeichnung der prätorischen Rechtsmasse (vgl. die dementsprechenden Interpolationsannahmen von Pflüger, Ciceros Rede Pro Roscio Comoedo (1904) 67 N.104, Pringsheim 140f., Schulz 19 und Schwarz 45). Wenn Käser , Ius gentium 45f. dagegen geltend macht, daß der Begriff ius honorarium erst seit Gaius üblich sei, so vermag er aber auch nicht zu erklären, warum das ius gentium erst an dieser Stelle bemüht wird. Denn der in der ersten Fallvariante befürwortete Rückgewähranspruch des Hauptschuldners gegen den Gläubiger hat keine andere Rechtsgrundlage als der Anspruch des Bürgen in der zweiten Variante. - Unzulässig ist auch der von Scarano

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Ussani 203f. und Käser, Ius gentium 155f. angestrengte Vergleich zu Marcian D 25.2.25: Kerum quidem amotarum iudicium sie habet locum, si divortii consilio res amotae fuerint et secutum divortium fuerit. sed si in matrimonio uxor marito res subtraxerit, licet cessat rerum amotarum actio, tarnen ipsas res maritus condicere potest: nam iure gentium condici puto posse res ab his, qui non ex iusta causa possident. Da es einerseits kein furtum unter Eheleuten gibt, andererseits aber auch die actio rerum amotarum erst nach der Auflösung der Ehe erhoben werden kann, gewährt Marcian in einer Ausnahmeentscheidung einen der condictio furtiva nachgebildeten Kondiktionsanspruch, den er nur auf das ius gentium stützen kann (dazu Wacke, Actio rerum amotarum (1963) l l l f . ) . Dagegen wird bei Celsus D 12.6.47 nicht unmittelbar die Gewährung der condictio aus dem Völkergemeinrecht hergeleitet, sondern das ius gentium wird lediglich zur Begründung dafür herangezogen, daß das gezahlte Geld pecunia indebita gewesen ist. Der daraus resultierende Rückgewähranspruch eröffnet aber anders als bei Marcian keinen neuartigen Anwendungsbereich der condictio, sondern gehört zu einer längst etablierten Fallgruppe dieser Klage.

Sechstes Kapitel

Bonum et aequum § 26 Purgatio morae : D 45.1.91.3 (Pal. 221) Das für die Defintion von ius verwendete Begriffspaar bonum et aequum verwendet Celsus auch als Argument zur Lösung konkreter Fälle. Besonders temperamentvoll gibt sich der Jurist dabei in D 45.1.91.3 Paul 17 ad Plaut (Pal. 221)556; Sequitur videre de eo, quod veteres constituerunt, quotiens culpa intervenit debitoris, perpetuari obligationem, quemadmodum intellegendum sit. et quidem si effecerit promissor, quo minus solvere possit, expeditum intellectum habet constitutio: si vero moratus sit tantum, haesitatur, an, si postea in mora non fuerit, extinguatur superior mora. et Celsus adulescens scribit eum, qui moram fecit in solvendo Sticho quem promiserat, posse emendare eam moram postea offerendo: esse enim hanc quaestionem de bono et aequo: in quo genere plerumque sub auctoritate iuris scientiae pemiciose, inquit, erratur. et sane probalis haec sententia est, quam quidem et Iulianus sequitur. I. Aus einem iudicium strictum , das auf Leistung einer certa res gerichtet ist, kann nur verurteilt werden, wenn die geschuldete Sache zum Zeitpunkt der litis contestatio noch existiert. Ist sie vorher untergegangen, so greift bei Verschuld e n s 7 des Beklagten die von den veteres eingeführte perpetuatio obligationis ein: es w i r d fingiert, daß die Sache i m Zeitpunkt der Streitbegründung noch vorhanden w a r 5 5 8 . Dementsprechend w i r d der Schuldner auch dann verurteilt, wenn er sich seine Leistung selbst unmöglich gemacht hat oder wenn sie, nachdem er mit ihr in Verzug geraten war, unmöglich geworden ist. I m Verzugsfall zweifelte man, ob ein nachträgliches Angebot der Leistung den Verzug auch mit der Folge beseitigt, daß eine perpetuatio obligationis nicht mehr eintritt so daß, wenn nunmehr die geschuldete Sache zufällig untergeht,

556 Literatur: Guarneri Citati, Contributi all dottrina della mora (1923) 108ff.; MayerMaly , IURA 7 (1956) 16ff.; Magdelain , Melanges Levy-Bruhl (1959) 199ff.; Riccobno jr„ Ann. Pal. 29 (1962) 296ff.; Jakobs , TR 42 (1974) 25ff.; Knütel, Stipulatio poenae (1976) 185ff.; Hausmaninger , ANRW 11.15 (1976) 400f.; Archi , FS Flume I (1978)16f.; Scarano Ussani , Valore e storia (1979) 117ff.; Cerami , Ann. Pal. 38 (1985) 96ff. 557 Jakobs a.a.O. glaubt, der Begriff culpa habe hier keine technische Bedeutung, sondern stehe synonym für die Formel si per debitorem steterit , quominus solvent . 558 Vgl. uipian D 45.1.82. 1; PS 5.7.4. - Mayer-Maly , SDHI 36 (1970) 458 N . l hält diese Fiktion für eine spätklassische Verflachung der constitutio veterum.

§ 26 Purgatio morae: D 45.1.91.3 (Pal. 221)

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der Schuldner die Unmöglichkeit der Leistung nicht mehr zu vertreten hat. Der von Paulus zitierte Celsus trat offenbar ohne zu zögern für diese Lösung ein und wandte sich damit gegen die Auffassung, die den einmal eingetretenen Verzug für immer ausreichen ließ, die Obligation im Fall des Sachuntergangs zu 'verewigen'. Diese Auffassung leugnet nicht, daß eine Beendigung des Verzugs möglich ist; sie bestreitet aber, daß mit der Beendigung auch die superior mora aufgehoben wird. Bleibt sie jedoch bestehen, liegt bei einer später eintretenden Unmöglichkeit automatisch der Tatbestand der perpetuatio obligationis vor, denn nach Ulpian D 30.47.6 und D 45.1.82.1 genügt, daß die Sache post moram untergeht. Celsus dagegen glaubt, daß mit dem nachträglichen Angebot nicht nur der Verzug beendet, sondern auch die frühere mora getilgt werde. Dies sei eine Frage des bonum et aequum: er hält es für unbillig, dem Schuldner weiterhin die Gefahr des zufälligen Sachuntergangs aufzubürden, wenn er die geschuldete Leistung angeboten und der Gläubiger sie nicht angenommen hat. II. Seine Gegner attackiert Celsus ungewöhnlich scharf 559 : Was bonum et aequum angehe, unterliefen häufig, gedeckt durch das Ansehen der Rechtswissenschaft, verderbliche Irrtümer 560 . In dieser Gegenüberstellung von bonum et aequum und auctoritas iuris scientiae sieht Cerami 561 eine Parallele zu D 8.3.11 (Pal. 235), wo Celsus der subtilis ratio eine benignius zu treffende Entscheidung entgegenhält562. Dieser Vergleich wäre statthaft, wenn es wie dort so auch in diesem Text um das Gegenspiel von ius civile und ius horiorarium ginge, mit anderen Worten: wenn der Anspruch aufgrund der perpetuatio bestehen bliebe und der Schuldner die Beendigung des Verzugs durch sein nachträgliches Angebot nur im Wege einer exceptio doli geltend machen könnte 563 . Wenn Celsus und Paulus aber von emen559

Paulus gibt vielleicht seinem Verständnis für diesen jugendlichen Überschwang Ausdruck, wenn er Celsus als adulescens bezeichnet; vgl. Hausmaninger 400 und Wieakker, SZ 94 (1977) 345 N.177. Scarano Ussani 118 vermutet, Paulus verwende adulescens als Synonym zu filius. 560 Behrends, Gnomon 55 (1983) 238 stellt die Dinge auf den Kopf: er sieht hierin einen Ausbruch gegen die Billigkeitsjurisprudenz, der sich Celsus im Ergebnis freilich nicht verschließen könne. Abgesehen davon, daß es keine besonders geschickte Argumentation wäre, die eigenen Entscheidungsgrundlagen zu desavouieren, bedeutet die Formulierung in quo genere... erratur keineswegs, wie Behrends will, daß nach der Auffassung des Celsus gerade die Berücksichtigung des bonum et aequum zu Irrtümern führt: im genus des bonum et aequum irrt auch, wer bonum et aequum überhaupt nicht beachtet. Behrends eigenwilliges Verständnis des Textes ist ersichtlich den Kategorien verpflichtet, nach denen er die Juristen einteilt. 561 A.a.O. 96ff. 562 Dazu oben § 211. 563 So deuten die Begründung Guarneri Citati 108ff., Riccobono jr. 301 und offenbar auch Pringsheim 85. Guarneri Citati argumentiert, daß Celsus von einer quaestio de bono et aequo spricht. Der Jurist meint damit aber nicht die richterliche Untersuchung im Rahmen der exceptio doli. Er verschiebt das Urteil nicht auf eine causae cognitio, son-

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Sechstes Kapitel: Bonum et aequum

dare und extinguere der superior mora sprechen, so kann damit nur eine ipso iure wirkende Aufhebung der mora gemeint sein 564 - mit der Konsequenz, daß die perpetuatio obligationis nicht stattfindet und der Schuldner zivilrechtlich befreit wird 5 6 5 . Celsus korrigiert die Auswirkungen des Zivilrechts nicht mit den Mitteln des Honorarrechts; vielmehr greift er unmittelbar in das ius civile ein, indem er den einmal eingetretenen Verzug mit dem Angebot nicht nur für beendet, sondern rückwirkend für aufgehoben erklärt. Zur Begründung dieser Operation beruft er sich auf die Grundwerte des bonum et aequum, die er nicht im Gegensatz zum ius civile sieht 566 , sondern die als Endzweck des gesamten ius auch dieser Rechtsmasse inhärent sind. III. In einem vergleichbaren Fall entscheidet Celsus abweichend: D4.8.23pr. Ulp 13 ad ed (Pal. 18) Celsus ait, si arbiter intra kalendas septembres dari iusserit nec datum erit, licet postea offeratur, attamen semel commissam poenam compromissi non evanescere, quoniam Semper verum est intra kalendas datum non esse: sin autem oblatum accepit, poenam petere non potest doli exceptione removendus....

Kommt eine Schiedspartei dem Leistungsbefehl des Schiedsrichters nicht innerhalb der von ihm gesetzten Frist nach, so verfällt die stipulatio poenae, ohne daß dies durch ein späteres Angebot rückgängig gemacht werden könnte. Der Schuldner wird aber mit einer exceptio doli geschützt, wenn der Gläubiger die verspätet angebotene Leistung angenommen hat. Durch den Schiedsrichterbefehl ist nämlich ein Faktum, die Nichtleistung innerhalb der Frist, zur Bedingung des Strafverfalls gemacht worden; und dieses Faktum kann nicht rückgängig gemacht werden: semper verum est intra kalendas datum non esse 567. dem trifft die allgemeine Entscheidung, daß ein nachträgliches Angebot des Schuldners die superior mora aufhebt. Daß Celsus von einer quaestio de bono et aequo spricht, bedeutet, daß die Entscheidung eben um dieser Prinzipien willen getroffen wird. Nur so ist auch die anschließende Polemik schlüssig, daß in quo genere häufig geirrt werde. 564 Dies verkennt auch Guarneri Citati 110f. nicht, der sich darum aber mit einer entsprechenden Interpolationsannahme behelfen muß. 565 Auf eine zivilrechtliche Wirkung der purgatio morae deuten auch Marcell D 46.3.72.1 a.E. und Paulus D 45.1.73.2 hin, wo die zivilrechtliche Befreiung bei der Speziesschuld einer bloß honorarrechtlichen bei der Gattungsschuld gegenübergestellt wird; vgl. Knütel 190f. N.19ff. Femer belegen Marcell D 46.3.72.3, Papinian D 13.1.17 und Ulpian D 13.1.18pr. die zivilrechtliche Wirkung des Angebots im Rahmen der condictio furtiva , wo der Anspruchsgegner zunächst einmal automatisch in mora ist; vgl. Magdelain , 199 N.3; anders in diesem Fall Knütel 190 N.20, der im Anschluß an Käser, RP 12 (1971) 516 N. 31 davon ausgeht, daß das Angebot hier keine Aufhebung des Verzuges bewirke, sondern zu einem Ende der Furtivität führe. - Die von Guarneri Citati 111 ff. angenommene durchgängige Interpolation dieser Texte ist unwahrscheinlich. 566 Mayer-Maly , IURA 7, 19. 567 Eine ipso iure wirkende Befreiung des Schuldners kommt dementsprechend nur in Betracht, wenn der Leistungsbefehl des arbiter unbefristet ist; vgl. Celsus bei Ulpian D 4.8.21.12: Intra quantum autem temporis, nisi detur quod arbiter iusserit, committatur stipulatio, videndum est. et si quidem dies adiectus non sit, Celsus scribit libro secundo

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Dagegen kann mora als Rechtsfolge der Nichtleistung rückwirkend beseitigt werden. Wegen der Anknüpfung an die Nichtleistung fällt mora als 'Rechtszustand' zwar regelmäßig mit dem zugrunde liegenden tatsächlichen Zustand zusammen - deshalb kann sie auch mit diesem 'beendet' werden -, weil sie aber doch Rechtsfolge und kein Faktum ist, kann sie anders als der tatsächliche Zustand auch rückwirkend wieder wegfallen. Sollte eine Rechtswissenschaft dies nicht beachten, so irrt sie nicht nur i m genus von bonum et aequum; sie ist sich, anders als Celsus, auch nicht des - methodisch unabdingbaren - Unterschieds zwischen Tatsachen und Rechtsfolgen bewußt. Daher ist zweifelhaft, ob Celsus in D 45.1.91.3 seinen Gegnern w i r k l i c h deren Positivismus v o r w i r f t 5 6 8 oder ob er sich nicht gegen ein falsches Verständnis der Seinsweise von 'Rechtszuständen' und eine das Argument verdrängende auctoritas iuris scientiae wendet.

§ 27 Die condictio Iuventiana: D 12.1.32 (Pal. 42) Der andere Text, in dem Celsus seine Entscheidung auf bonum et aequum stützt, ist D 12.1.32 Cels 5 dig (Pal. 4 2 ) 5 6 9 : Si et me et Titium mutuam pecuniam rogaveris et ego meum debitorem tibi promittere iusserim, tu stipulatus sis, cum putares eum Titii debitorem esse, an mihi obligaris? digestorum inesse quoddam modicum tempus: quod ubi praeterierit, poena statim peti potest: et tarnen, inquit, et si dederit ante acceptum iudicium, agi ex stipulato non poterit. Leistet der Schuldner nicht, so kann der Gläubiger zwar nach Ablauf eines modicum tempus aus der Strafstipulation vorgehen; bis zur Streitbefestigung kann der Schuldner aber noch durch Erfüllung des schiedsrichterlichen iussum den Verfall der Strafstipulation verhindern; vgl. Talamanca, Ricerche in tema die compromissum (1958) 90, Frezza, Le garanzie delle obligazioni I (1962) 329 und Käser, Restituere als Prozeßgegenstand2 (1968) 219. Einem bloß auf dare lautenden Leistungsbefehl des arbiter ist nämlich bereits genüge getan, wenn der Schuldner überhaupt geleistet hat; vgl. Knütel, 149, 182f. Dies ist auch der Sinn des Schlußsatzes von fr. 23pr.: ... contra, ubi dumtaxat dare iussus est. 568 So die herrschende Meinung; vgl. Riccobono jr. 301 f., Hausmaninger 401, Archi 17, Scarano Ussani 119 und Cerami 96f. 569 Literatur: v. Salpius, Novation und Delegation (1864) 110; Pflüger, Ciceros Rede Pro Roscio Comoedo (1904) 96ff.; Pringsheim, SZ 52 (1932) 151; Rabel, Scr. Ferrini IV (1949) 218f.; Endemann, Der Begriff der delegatio (1959) 29f., 53ff.; v. Lübtow, Beiträge zur Lehre von der condictio (1952) 38f., Die Entwicklung des Darlehensbegriffs 47ff.; Schwarz, Die Grundlage der condictio (1952) 12f., 245ff., 304f.; Zilletti, La dottrina dell'errore nella storia di diritto romano (1961) 97ff.; Watson, SDHI 29 (1963) 285ff.; Wunner, Contractus (1964) 210f.; Raber, TR 33 (1965) 63ff.; J.G. Wolf,\ Causa stipulationis (1970) 88f. N.27; Santoro, Ann. Pal. 32 (1971) 272ff.; Sacconi, Ricerche sulla delegazione (1971) 74f.; Jakobs, SZ 91 (1974) 216ff.; Cerami, SDHI 44 (1978) 168ff. und Ann. Pal. 38 (1985) 204f.; Scarano Ussani, Valore e storia (1979) 105ff.; Käser, Römische Rechtsquellen und angewandte Juristenmethode (1986) 278f.; Flume, Rechtsakt und Rechtsverhältnis (1990) 68.

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subsisto, si quidem nullum negotium mecum contraxisti: sed propius est ut obligari te existimem, non quia pecuniam tibi credidi (hoc enim nisi inter consentientes fieri non potest): sed quia pecunia mea ad te pervenit, eam mihi a te reddi bonum et aequum est.

I. T U hat EGO und Titius um die Gewährung eines Darlehens gebeten. EGO hat daraufhin seinen Schuldner angewiesen, TU die gewünschte Summe Geldes zu versprechen. Beim Abschluß der Stipulation glaubt TU jedoch, daß der Promittent Schuldner des Titius sei. Darum stellt sich die Frage, ob TU EGO verpflichtet ist. Celsus hat Zweifel; zwischen TU und EGO bestehe kein negotium contractum. Gleichwohl entscheidet er sich für einen RückZahlungsanspruch des EGO, stellt aber sogleich klar, daß dieser Anspruch nicht auf einem Darlehensvertrag beruhe: ohne Einigung der Parteien komme kein Vertrag zustande. TU sei EGO verpflichtet, weil es bonum et aequum entspreche, wenn EGO sein an TU gelangtes Geld zurückerhalte. II. Das Problem ergibt sich durch den Irrtum des Delegatars TU über die Person des Deleganten 570 . Hätte TU den Promittenten nicht verwechselt, sondern zutreffend als den Schuldner des EGO identifiziert, so wäre eine wirksame Darlehensvereinbarung zustande gekommen, bei der der Promittent als Erklärungsbote seines Gläubigers EGO mitgewirkt hätte 571 . Durch Abschluß der Stipulation wäre zugleich das Erfordernis einer Zuwendung der Darlehensvaluta erfüllt gewesen 572 . Denn wie wir von Celsus selbst wissen, ersetzt die anweisungsgemäße Stipulation eine Zahlung des Deleganten an den Delegatar: D 39.5.21.1 Cels 28 dig (Pal. 237) Sed si debitorem meum tibi donationis immodicae causa promittere iussi, an summoveris donationis exceptione necne, tractabitur. et meus quidem debitor exceptione te agentem repellere non potest, quia perinde sum, quasi exactam a debitore meo summam tibi donaverim et tu illam ei credideris. 573

Wenn sich der angewiesene Schuldner dem Delegatar durch Stipulation verpflichtet hat, ist der Fall so zu beurteilen, als hätte der Delegant die geschuldete Summe vom Delegaten eingezogen und an den Delegatar gezahlt, der das Geld wiederum seinerseits als Darlehen an den Delegaten ausgegeben hätte. III. Ein Mangel im Valutaverhältnis war grundsätzlich ohne Einfluß auf die im Zuwendungsverhältnis abgeschlossene Stipulation 574 . So versteht sich, daß die Stipulation, die der Schuldner des EGO anweisungsgemäß mit T U vereinbarte, 570 Anders nur Zilletti 99f., der glaubt, Celsus behandle zuvörderst die Frage, ob ein Darlehen auch durch delegatio promittendi begründet werden kann. Unerklärlich bliebe in diesem Fall aber, warum der Jurist den Sachverhalt zusätzlich mit der Irrtumsproblematik befrachtet; vgl. Santoro 289. 571 Eine Darlehensabrede unter Mitwirkung eines nuntius belegt Ulpian-Julian D 12.1.9.8. 572 v. Salpius 110, Pflüger, Pro Roscio 98, v. Lübtow , Darlehensbegriff 48f. und Sacconi 75; anders nur Santoro 291. 573 Vgl. zu diesem Text oben § 15 I I 2 c (bb). 574 Vgl. Ulpian D 44.5.1.11, wonach der angewiesene Schuldner eine dem Anweisenden zustehende exceptio nicht gegenüber dem Delegatar geltend machen kann.

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von Bestand und durchsetzbar war. Ihre Wirksamkeit wird darum von Celsus nicht eigens erwähnt. Er setzt sie jedoch voraus, wenn er in der Begründung sagt, daß pecunia mea ad te pervenit. Mit dem Abschluß der Stipulation wurde der Schuldner zugleich von seiner Verpflichtung gegenüber EGO frei. Nahm das Versprechen auf die Verbindlichkeit gegenüber EGO Bezug (centum, quae tu Marco Tullio debes etc.), so erlosch sie ipso iure; tat es das nicht (lautete es einfach auf centum) 575, so blieb die Verbindlichkeit zwar bestehen, war aber nicht mehr durchsetzbar; der beklagte Schuldner konnte die Anweisung mit der exceptio doli geltend machen, im bonaefidei iudicium wurde sie ohne weiteres berücksichtigt 576 . IV. 1. Eine Rückabwicklung kann daher nur im Valuta Verhältnis, zwischen EGO und TU, stattfinden. Celsus benennt nicht die Klage, die dafür in Betracht kommt. Durch die Abgrenzung zum Darlehen ist jedoch klar, daß es die actio certae creditae pecuniae war. 2. Der Gewährung dieser Klage steht indessen entgegen, daß durch den irrtumsbedingten Einigungsmangel kein negotium contractum zustande gekommen ist. Das negotium contractum ist eine allgemeine Tatbestandsvoraussetzung der condictio und nicht etwa eine Umschreibung der Darlehensabrede 577. Darum kann Celsus auf das mutuum auch noch eingehen, nachdem er sich über das Erfordernis des negotium contractum schon hinweggesetzt hat. Als Voraussetzung der condictio auf Herausgabe der 'ungerechtfertigter Bereicherung' erscheint das negotium contractum auch bei Julian: D 12.6.33 Iul 39 dig (Pal. 551) Si in area tua aedificassem et tu aedes possideres, condictio locum non habebit, quia nullum negotium inter nos contraheretur: nam is, qui non debitam pecuniam solvent, hoc ipso aliquid negotii gerit: cum autem aedificium in area sua ab alio positum dominus occupat, nullum negotium contrahit.

Anders als die Zahlung einer Nichtschuld berechtigt die Bauführung auf fremdem Grund nicht zur Kondiktion. Denn der Inhaber des Grundstücks erwirbt das Eigentum an dem Gebäude aufgrund einer sachenrechtlichen Regel; zwischen ihm und dem Bauherrn gibt es kein Geschäft, durch das die Zuwendung an den Eigentümer zu einer Leistung des Bauherrn würde 578 . 57 5

Rabel 219, Endemann 29f., v. Lübtow, Darlehensbegriff 48 und Watson 285f. behaupten, nur im Fall eines abstrakt gefaßten Versprechens habe T U ein Irrtum über die Person des Darlehensgebers unterlaufen können. Es ist aber lebensfremd, davon auszugehen, daß sich der angewiesene Schuldner gegenüber T U überhaupt nicht zur Person des Anweisenden geäußert hat. Wahrscheinlicher ist es, daß Celsus an den Fall denkt, daß T U die Namen von Titius und EGO verwechselt hat; vgl. J.G. WolfW N.27. 57 6 J.G. Wolf a.a.O. Aus diesem Grund kann der Text nicht für die These in Anspruch genommen werden, daß die auf Anweisung erfolgte Stipulation auch ohne Benennung der alten Verbindlichkeit ipso iure befreiend wirkte. 577 So aber Schwarz 13 und Raber 64f.; anders Santoro 286f. und 293. 57 8 Käser, RP 12 (1971) 594 nennt das negotium contractum ein vom Geschäftswillen getragenes Zusammenwirken der Parteien.

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Ganz entsprechend fehlt es auch in D 12.1.32 an der Vereinbarung, die die 'Abtretung' der Stipulationsforderung zu einer Leistung des Anweisenden EGO an den Anweisungsempfänger TU machen könnte. 3. Dessen ungeachtet gewährt Celsus die condictio, weil er diese Lösung für propius hält. Schon diese Wortwahl macht deutlich, daß er die bestehende Dogmatik zugunsten einer anderen Wertung vernachlässigt. Gleichwohl ordnet er seine Entscheidung systematisch ein: er betont, daß er nicht an einen Anspruch aus Darlehensvertrag denkt; ausdrücklich erklärt er, daß eine condictio aus Darlehen nur zwischen consentientes in Betracht komme, und stellt damit klar, daß er nicht die Grundlage des Vertragsrechts außer Kraft setzen will. Die von ihm geforderte Durchbrechung der geltenden Dogmatik beschränkt sich auf das 'Bereicherungsrecht'. Nur in diesem engen Rahmen erscheint es ihm angebracht, zugunsten von bonum et aequum auf das Erfordernis des negotium contractum zu verzichten. V. Zur näheren Begründung, warum ein Rückerstattungsanspruch der Billigkeit entspricht, führt Celsus aus, daß pecunia mea ad te pervenit. Santoro 579 und Käser 580 entnehmen dieser Begründung, daß der Schuldner auf sein TU gegebenes Stipulationsversprechen bereits gezahlt haben muß 5 8 1 und daß Celsus entsprechend der Durchgangstheorie einen Eigentumserwerb des EGO annehme. Auch wenn wir davon absehen, daß für Celsus die Vorstellung eines Durchgangserwerbs weder durch D 24.1.3.12 noch durch einen anderen Text belegt ist, stößt diese Deutung in mehrfacher Hinsicht auf Bedenken: Die Zahlung des Schuldners an den Delegatar beruht nicht mehr unmittelbar auf der Anweisung, sondern ist Leistung solvendi causa auf eine wirksam begründete Forderung. Sollte aber selbst unter diesen Umständen noch ein Durchgangserwerb des Anweisenden möglich gewesen sein, stellt sich die Frage, warum Celsus ihn nicht auf die rei vindicatio verwies, sondern eine auf bonum et aequum gestützte condictio vorsieht 582 ; wegen des Einigungsmangels im Valutaverhältnis müßte nämlich das Eigentum wie in D 24.1.3.12 beim Anweisenden bleiben und könnte nicht auf den Anweisungsempfänger übergegangen sein. Nach Santoro 583 hat Celsus die condictio aus Billigkeitserwägungen stets auch dann zugelassen, wenn der Beklagte kein Eigentum an der zurückgeforderten Sache erworben hat. Santoro stützt diese Ansicht auf D 12.5.6 Ulp 18 ad Sab (Pal. 46): Perpetuo Sabinus probavit veterum opinionem existimantium id, quod ex iniusta causa apud aliquem sit, posse condici: in qua sententia etiam Celsus est. 579

A.a.O. 292ff. Rechtsquellen 278f. 581 Davon geht offenbar auch Wunner, Contractus (1964) 211 aus. Dagegen v. Lübtow, Darlehensbegriff 48f. und Sacconi 75 N.58. 582 Daß bei Annahme eines Durchgangserwerbs keine Berufung auf bonum et aequum nötig wäre, macht auch Jakobs 218 geltend. 583 A.a.O. 304ff. 580

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Santoro ist zuzugeben, daß die vage Formulierung apud aliquem esse wohl nicht nur die Fälle deckt, in denen der Kondiktionsschuldner Eigentum erworben hat. Dagegen ist keineswegs ausgemacht, ob die condictio ex iniusta causa den Generaltatbestand der ungerechtfertigten Bereicherung darstellte und nicht nur für eine besondere Fallgruppe zuständig war. 1. Santoro 584 sieht in D 12.5.6 die Begründung der Entscheidung eines anderen Textes, der aus dem 18. Buch des Sabinuskommentars stammt, wo sich Ulpian auch auf Celsus und Sabinus beruft: D 7.5.5.1 Ulp 18 ad Sab (Pal. 152) Si pecuniae sit usus fructus legatus [...] nec cautio interveniat, videndum, [...] an pecunia quae data sit [...] condici possint. [...] Sabinus putat posse condici: quam sententiam et Celsus libro octavo décimo digestorum probat: quae mihi non inarguta videtur. 5 8 5

Nießbrauch an Geld ist vermacht worden. Normalerweise erwirbt der Legatar das Geld zu eigen und haftet dem Erben auf Rückerstattung aus einer eigens abgeschlossenen cautio usufructuaria 586. Falls ihr Abschluß unterblieben ist, gewähren Sabinus und Celsus dem Erben eine condictio gegen den Nießbraucher. Nach Santoro hat in diesem Fall der Legatar das Geld nicht zu eigen erworben, weil sein Eigentumserwerb durch den Abschluß der cautio usufructuaria aufschiebend bedingt war. Gegen die Interpretation spricht indessen schon der Wortlaut des Fragments, wonach es sich bei dem Kondiktionsgegenstand um pecunia data handelt 587 . Außerdem stellt Ulpian im gleichen Buch und verwandtem Kontext ausdrücklich fest, daß die Kondiktion einer Sache durch ihren Eigentümer auf den Fall der condictio furtiva beschränkt ist: Ein Erbe hat Vasen, deren Nießbrauch vermacht war, dem Legatar übergeben und versäumt, die cautio 'boni viri arbitratu usurum fruiturum' zu vereinbaren; er kann sie darum vindizieren. Der Text fährt fort:

584 A.a.O. 225. Vgl. auch Pflügen SZ 32 (1911) 175, Schwarz 276 und Daube, SZ 76 (1959) 239f. 585 Zur Textkritik siehe die eingehende Darstellung bei Santoro 192ff. 586 Käser, RP 12(1971)454. 587 Auch die anderen von Santoro 203ff. angeführten Texte machen keinen Beweis für seine These: Bei Julian D 36.4.6pr. geht es um die Auslegungsfrage, ob ein usus fructus pecuniae, der mit der Maßgabe vermacht ist, daß der Legatar keine cautio zu leisten braucht, als Vermächtnis der proprietas anzusehen ist. Daß der Eigentumserwerb des Usufruktuars gewöhnlich aufschiebend bedingt ist, läßt sich daraus nicht entnehmen. Gleiches gilt für die Ulpian-Fragmente D 7.9.7pr. und D 7.9.12: in beiden Fällen geht es nicht um einen usus fructus irregularis an verbrauchbaren Sachen. - Dagegen dokumentiert Ulpian D 7.5.10.1 eindeutig die Unabhängigkeit von cautio und Eigentumsübergang; Santoro 208f. muß sich hier mit einer Interpolationsannahme behelfen.

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D 7.9.12 Ulp 18 ad Sab ... videndum est de condictione, an possit locum habere: et proditum est neminem rem suam nisi furi condicere posse.

Dieser sprichwortähnliche Satz legt aber auch den Schluß nahe, daß die condictio ex inusta causa, da sie offenbar gegen den Nichteigentümer gewährt wurde, ein Derivat, eine Nach- oder Fortbildung, der condictio furtiva war 5 8 8 . 2. Schließlich ist ein drittes Fragment aus dem 18. Buch des Sabinuskommentars einschlägig, in dem Ulpian, wie in D. 12.5.6 und D 7.5.5.1, Celsus und Sabinus zitiert: D 13.3.2 18 ad Sab (Pal. 103) Sed et ei, qui vi aliquem de fundo deiecit, posse fundum condici Sabinus scribit, et ita et Celsus, sed ita, si dominus sit qui deiectus condicat: ceterum si non sit, possessionem eum condicere Celsus ait.

Nach klassischem Recht war furtum an einem Grundstück nicht möglich 5 8 9 . Sabinus und Celsus gewähren aber dem fundo deiectus die condictio. Daß diese condictio nicht die condictio furtiva war 5 9 0 , ergibt sich aus einem weiteren Celsus-Zitat Ulpians: D 47.2.25pr., 1 Ulp 41 ad Sab Verum est, quod plerique probant, fundi furti agi non posse. ( § 1 ) Unde quaeritur, si quis de fundo vi deiectus sit, an condici ei possit qui deiecit. Labeo negat: sed Celsus putat posse condici possessionem, quemadmodum potest re mobili subrepta.

Ulpian stellt apodiktisch fest, daß es kein furtum fundi gibt, zeigt sich aber unentschieden, ob dem vom Grundstück vertriebenen Eigentümer eine condictio zu gewähren ist. Während Labeo dies ablehnt, ist nach Celsus für die condictio ebenso Platz wie im Fall einer entwendeten res mobilis. Nach der Gedankenfolge des Textes kann die von Celsus gewährte condictio nicht die furtiva sein. Denn der Darstellung Ulpians zufolge widerspricht Celsus nicht dem Grundsatz, daß es kein furtum fundi gibt. Was er dem Grundstückseigentümer zugesteht, ist eine Klage, die nach dem Vorbild der Kondiktion gestohlener res mobilis gestaltet ist 59 *. 588 Dies vermutet bereits Ehrhardt , Iusta causa traditionis (1930) 44. Auf einen dem furtum vergleichbaren Tatbestand beziehen sich nämlich auch Paulus D 25.2.6.5 und Marcian D 25.2.25, wenn sie im Fall des Diebstahls unter Ehegatten von ex iniusta causa apud eam esse und ex iniusta causa possidere sprechen und eine Rückforderungsklage nach dem Vorbild der condictio furtiva zulassen, weil die actio rerum amotarum ausnahmsweise versagt. 589 Gaius Inst. 2.51 = D 41.3.38, Ulpian D 47.2.25pr. Gellius, Noct. Att. 11.18.13 spricht davon, daß die Gegenauffassung vulgo inopinatum ist. Wenn er zugleich einen Fall aus Sabinus Monographie de furtis zitiert, in dem der Diebstahl eines Grundstücks anerkannt wird, so muß dies nicht bedeuten, daß Sabinus selbst diese Entscheidung gebilligt hat. Er kann sie auch nur berichtet haben; vgl. Niederländer , SZ 67 (1950) 241f. 590 Dagegen auch Pika , Ex causa furtiva condicere (1986) 73f. 591 Daß Celsus dies als possessionem condicere bezeichnet, könnte zugleich der Schlüssel für das Verständnis des (verfälschten) zweiten Teils von D 13.3.2 sein: sed ita, si dominus sit qui deiectus condicat: ceterum si non sit, possessionem eum condicere

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Nach all dem liegt nahe, das Fragment D 12.5.6 entgegen Santoro nicht mit D 7.5.5.1 zu verbinden, sondern vielmehr mit L i e b s 5 9 2 auf D 13.3.2 zu beziehen. 3. Die condictio ex iniusta causa in D 12.5.6 ist folglich eine der condictio furtiva nachgebildete besondere Klage, zuständig für einen Sondertatbestand des Bereicherungsrechts. Sie ist keine aus Billigkeitserwägungen eingerichtete Generalklage, die eine Rückforderung auch dann gestattete, wenn der Beklagte den Kondiktionsgegenstand nicht zu eigen erworben hatte. Demnach kann sich Celsus auch in D l 2 . 1 . 3 2 nicht auf diese condictio berufen. V I . M i t diesem Ergebnis scheidet zugleich auch die Annahme eines dinglichen Durchgangserwerbs aus. Pecunia mea ad te pervenit bedeutet nicht, daß T U Geld erhalten hat, dessen Eigentümer E G O ist. W i e Jakobs 5 9 3 erkannt hat, bedeutet pecunia mea 'mir zustehendes Geld'. Diese Zuordnung wird bewirkt durch den von Celsus in D 24.1.3.12 analysierten ordo rei gestae einer anweisungsgemäß erbrachten L e i s t u n g 5 9 4 . Danach treten mit einer Zuwendung des Angewiesenen an den Anweisungsempfänger i m Deckungsverhältnis diejenigen Rechtsfolgen ein, die eine Leistung des Delegaten an den Delegant gehabt hätte. Anders als in D 24.1.3.12 bewirkt aber in D 12.1.32 die Gültigkeit der i m Zuwendungsverhältnis abgeschlossenen Stipulation, daß auch i m Valutaverhältnis pecunia pervenit, nämlich diejenigen Rechtsfolgen eintreten, die bei einer Leistung des Deleganten an den Delegatar eingetreten wären: der Anweisungsempfänger T U steht so, als habe E G O das von seinem Schuldner eingezogene Geld T U übereignet und T U es wiederum an den Schuldner als Darlehen gegeben 5 9 5 . Wenn die Rechtslage dem ordo rei gestae aber soweit entspricht, ist es bonum et aequum, ihm vollständig Geltung zu verschaffen und v o m Erfordernis des

Celsus ait . Trampedach, SZ 17 (1895) lOOff. und H. Krüger, SZ 21 (1899) 425 halten diese Textpassage ungeachtet der merkwürdigen Verbindung et ita et Celsus, sed ita für authentisch und glauben, Celsus habe dem vertriebenen Besitzer eines Grundstücks die condictio possessionis gewährt, wie sie später auch Paulus D 12.6.15.1 im Fall der nichtgeschuldeten Besitzübertragung anerkennt. In diesem Fall bestünde aber ein Widerspruch zu D 47.2.25.1, wo Celsus allgemein von possessionem condicere spricht, ohne dabei nach der Person des Anspruchsinhabers zu differenzieren. Tatsächlich kann auch der vertriebene Eigentümer, der sein Recht an dem Grundstück ja nicht verloren hat, mit der condictio nichts anderes begehren als die Wiedereinräumung der possessio. Die Unterscheidung von fundum condicere und possessionem condicere in D 13.3.2 ist insofern irreführend. Vermutlich ist sie eine spätere Entstellung, die auf einem Mißverständnis des celsinischen possessionem condicere beruht. Damit hat Celsus wie D 47.2.25.1 nur die Wirkungsweise der condictio gegen den Nichteigentümer beschrieben; einen Kondiktionsanspruch des Besitzers hat er nicht eingeführt. 592 Essays Honoré (1986) 170 und N.42. Zustimmend Zimmermann, The Law of Obligations (1993) 840. 593 A.a.O. 218, zustimmend Flume 68. 594 Flume a.a.O. 595 Celsus D 39.5.21.1 (Pal. 237); vgl. oben II.

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Sechstes Kapitel: Bonum et aequum

negotium contractum abzusehen, das die bewirkte Zuwendung des EGO an TU zu einer kondizierbaren Leistung machen würde 596 . Durch die Einsicht, daß pecunia mea ad te pervenit , stellt der Celsus klar, daß er nicht etwa einen neuen Kondiktionstypus einführt, um der Billigkeit genügen 5 9 7 , sondern daß seine Entscheidung dem Anweisungsrecht entspricht 598 . So bleibt er im Schema der Leistungskondiktion, stellt jedoch ausnahmsweise geringere Anforderungen 599 . VII. Wie im Fall der purgatio morae gebietet die Billigkeit auch hier einen unmittelbaren Eingriff in das ius civile : Der Anweisende EGO erhält keinen prätorischen Rechtsbehelf, sondern für die Rückforderung 'seines Geldes' steht ihm die zivilrechtliche condictio offen. Da ihr gewöhnlicher Tatbestand nicht vorliegt, kann sie aber nur aus der Anforderung von bonum et aequum begründet werden. Durch seine Argumentation weist Celsus diesem Werturteil jedoch einen dogmatisch fest umrissenen Ort zu: Er zeigt, daß der Rückforderungsanspruch des EGO eigentlich an der Tatbestandsvoraussetzung des negotium contractum scheitert. Obwohl er sich über diese Voraussetzung hinwegsetzt, macht er deutlich, daß er nicht an einen Anspruch aus Darlehen denkt, das Konsensprinzip des Vertragsrechts unangetastet bleibt und folglich nur ein außervertraglicher Anspruch wegen ungerechtfertigter Bereicherung in Betracht kommt. Da durch die Anweisung und das Stipulationsversprechen eine Rechtslage eingetreten ist, wie sie auch bei einer datio des Geldes durch EGO an TU eingetreten wäre, erscheint es gerechtfertigt, ausnahmsweise auch die Rückforderung zuzulassen.

§ 28 Die ars boni et aequi Das zuletzt besprochene Fragment offenbart im Kleinen, was die Untersuchung aller Entscheidungsbegründungen des Celsus an methodischen Charakteristika zutage gefördert hat: I. In der Erörterung der Rechtsfrage legt Celsus nicht nur die eigene ratio decidendi offen; er verschweigt auch entgegenstehende Gesichtspunkte nicht und gewährt dem Leser so einen umfassenden Einblick in den Entscheidungsprozeß. 596 Die Beobachtung, daß pecunia mea ad te pervenit , ist noch keine ausreichend Begründung. Die zu bonum et aequum geäußerten Interpolationsannahmen von Pflüger 97f., Pringsheim 151 und Schwarz 248, 304f. sind daher nicht stichhaltig. 597 So aber Cerami, SDHI44, 168ff., Ann. Pal. 38, 205 im Anschluß an Santoro . 598 Auch Scarano Ussani 106f. verkennt den juristischen Gehalt dieses Satzes; er hält ihn für eine bloße Tatsachenbeschreibung. 599 Nicht zur Begründung einer Ausnahmeentscheidung, sondern als grundsätzliche Rechtfertigung der condictio erscheint die Kategorie des bonum et aequum dagegen bei Papinian D 12.6.66 und Paulus D 12.6.65.4, wo im Stil einer Ediktslaudation der materielle Grund des positivrechtlichen Instituts angegeben wird. Vergleichbar ist auch Paulus D 12.6.15pr.: Indebiti soluti condictio naturalis est... .

§ 28 Die ars boni et aequi

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Die Auswertung vor allem der Orignialauszüge der digesta hat eine besonders hohe Begründungsdichte ergeben 6 0 0 . Hinzu k o m m t eine größere Zahl von rationes dubitandi 601, die den Eindruck noch verstärken, daß Celsus daran gelegen war, über seine Entscheidungsgrundlagen Auskunft zu geben. Eine Ausnahme bilden nur die offenbar von einem Laien stammenden Anfragen, die Celsus ex auctoritate sua entschied 6 0 2 . I n seinen Entscheidungen dominiert eindeutig das rationale Argument. W o er sich von der Autorität eines älteren Juristen leiten läßt, verbirgt er es n i c h t 6 0 3 . Durch seine Zitierweise macht er deutlich, daß er die Meinungen und Lehren aber nicht kritiklos ü b e r n i m m t 6 0 4 ; häufig zieht er überlieferte Entscheidungen oder ihre Herleitung in Z w e i f e l 6 0 5 . Das affirmative Zitat ist i h m freilich auch nicht fremd; es erscheint, wenn die eigene rationale Argumentation angreifbar ist606. 600 In den 135 unmittelbar aus den digesta übernommenen Texten finden sich immerhin 65 der insgesamt etwa 100 überlieferten Entscheidungsbegründungen, die sicher auf Celsus zurückgehen. Die Zahl der in Lenels Palingenesie aufgenommenen Fragmente beträgt 279, so daß sich insgesamt ein Verhältnis von 1:3 ergibt. (Hierzu § 1 I.) 601 In den überlieferten Texten teilt Celsus an 16 Stellen mit, inwiefern die eigene Entscheidung Zweifeln begegnet; vgl. §11. 602 Dies zeigen die in Briefform überlieferten Fragmente D 29.7.18 und D 28.1.27 sowie die einen realen Fall betreffenden responsa in D 17.1.16, D 31.22, D 36.1.33, D 31.10 und D 42.4.7.17. Diese Entscheidungen behielten offenbar auch bei ihrer Aufnahme in die digesta ihre Originalfassung und wurden nicht um eine Begründung erweitert. Eine ausführliche Erläuterung enthält dagegen das auf Anfrage des Prätors Flavius Respectos erstattete Gutachten zu einem Fall der Prozeßverschleppung zum Nachteil eines Minderjährigen in D 4.4.3.1. Gegenüber dem Prätor oder den Juristen in dessen consilium sah sich Celsus offenbar zu einer umfassenden Auskunft über seine Entscheidungsgrundlagen veranlaßt. (Vgl. zum ganzen § 1 II.) 603 So in D 33.10.7.2, wo er sich von der ratio und auctoritas des Tubero bewegt zeigt. Auffällig ist dabei freilich, daß die ratio zuerst genannt wird; vgl. § 2 1 1 . 604 Unter den 39 Zitaten, die überliefert sind, finden sich nur 19 kommentarlose. An drei Stellen gibt Celsus die sachliche Begründung des anderen Juristen wieder, an weiteren sechs Stellen präzisiert er die Auffassung des Zitierten oder gibt ihr eine eigene Begründung. Der bloßen Diskreditierung dient das - formal betrachtet - affirmative Zitat von Quintus Mucius, Brutus, Labeo und Sabinus in D 18.2.13pr.: Celsus zählt die Reihe der Juristen nur auf, um zu zeigen, daß sie alle realitätsferne Erwägungen anstellen, wenn sie darüber befinden, ob bei einem Grundstückskauf bloß der Anteil des einen Miteigentümers als verkauft gilt, falls die beiden anderen sich ein besseres Gebot vorbehalten und bekommen haben; der Käufer wird nämlich im Regelfall nur das Alleineigentum an dem gesamten Grundstück erwerben wollen. (Dazu § 2 I). 605 An elf Stellen äußert Celsus zum Teil scharfe Kritik an den Zitierten ( § 2 1 ) . 606 So in D 8.6.12, wo Celsus einen Erst-Recht-Schluß ziehen will: Wenn auch der iniustus possessor eines Grundstücks durch Ausübung einer Servitut verhindert, daß die Freiheit von der Dienstbarkeit ersessen wird, so müsse dies schon gar in dem Fall gelten, daß ein durch ius aquae ducendae gesicherter Wasserlauf von selbst über das dienende Grundstück fließt. Während aber durch den iniustus possessor die Dienstbarkeit wirklich ausgeübt wird, liegt bei einem von selbst fließenden Bach ersichtlich kein aquam ducere vor. Celsus bemüht darum sowohl seinen Zeitgenossen und Kollegen im prokulianischen

10 Harke

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II. In D 12.1.32 w i r d das Fallproblem mit der Methode einer deduktiv arbeitenden Wissenschaft systematisch erfaßt: Der Jurist nennt ausdrücklich das entscheidende Tatbestandsmerkmal und grenzt den Entscheidungsspielraum gegen systemtragende Rechtsgrundsätze scharf ab. Diese A r t der Entscheidungsfindung kennzeichnet die meisten rationes decidendi : Die Zahl von Analogieschlüssen ist ausgesprochen g e r i n g 6 0 7 ; regelmäßig gewinnt der Jurist seine Entscheidung durch Subsumtion unter eine N o r m oder einen anderen übergeordneten Rechtssatz 6 0 8 . Daß Celsus dieser A r t der Entscheidungsfindung bewußt den Vorrang einräumt, zeigen sowohl seine K r i t i k an Proculus in D 3.5.9.1 (Pal. 1 0 ) 6 0 9 wie auch die Ansätze systematischer Rechts-

Schulvorstand Neraz als auch Sabinus, um die begrenzte Überzeugungskraft seiner Argumentation wettzumachen. Vgl. § 2 II. 607 Es gibt nur einen Analogieschluß und ein argumentum a maiore ad minus , die durch Nennung des tertium comparationis als ratio decidendi ausgewiesen sind: In Coli. 12.7.10 (dazu § 5 I) gewährt Celsus die Klage aus der Lex Aquilia wider denjenigen, der einen frei gehaltenen Bienenschwarm vernichtet hat; an frei gehaltenen Bienen bestehe ebenso Eigentum wie an Tauben, die zwar entfliegen, aber die consuetudo revertendi haben und deshalb ihrem Halter die Fruchtziehung erlauben. In D 47.2.68.2 (vgl. § 5 II) entscheidet Celsus, daß der Dieb eines infans, der bei dem für zum adulescens herangewachsen ist, aus der actio furti auf den Höchstwert des Sklaven hafte; es bleibe unerheblich, daß nur einmal mit der actio furti geklagt werden könne, denn auch wenn der Dieb den Sklaven zwischenzeitlich wieder verloren und ihn als adulescens erneut gestohlen habe, gebe es nur eine actio furti , mit der auf den Wert des adulescens gehaftet werde; die continuatio furti als das unterscheidende Merkmal rechtfertigt es nicht, im Ausgangsfall nur den Wert des infans anzusetzen; wegen der noch größeren Strafwürdigkeit gebietet sie vielmehr, daß der Dieb, der den Sklaven ununterbrochen in seiner Gewalt hatte, erst recht auf den höheren Wert des adulescens haftet. - In beiden Entscheidungen ist das herausgearbeitete Vergleichsmerkmal wertender Natur: die Möglichkeit zur Fruchtziehung verschafft dem Halter der Bienen eine ebenso schutzwürdige Position wie dem Taubenhai ter, die continuatio furti bezeichnet die noch höhere Strafwürdigkeit desjenigen Diebes, der den Sklaven ununterbrochen besitzt, gegenüber demjenigen, der ihn ein zweites Mal stiehlt. - Darüber hinaus gibt es 32 weitere Fallanknüpfungen, die mit zwei Ausnahmen gänzlich unkommentiert bleiben und in denen die Gleichbewertung der Fälle noch nicht einmal durch eine besondere Einleitung (z. B. quare fortius) gekennzeichnet ist. 608

Die Subsumtionsschlüsse machen zusammen mit den Entscheidungen aus dem Wesen eines Rechtsinstiutes und den Ableitungen aus logischen Grundsätzen fast die Hälfte aller überlieferten rationes decidendi aus: Zehn Entscheidungen gewinnt Celsus durch Subsumtion unter eine gesetzliche Vorschrift oder eine Bestimmung des prätorischen Edikts; vierzehnmal subsumiert er unter eine Rechtsregel. Hinzukommen 19 Auslegungsentscheidungen, die der Subsumtion unter eine Parteivereinbarung dienen. Vgl. § 7 I. 609 Celsus wendet sich gegen die Bildung unnötiger Ausnahmetatbestände und führt vor, wie sich das von Proculus befürwortete Ergebnis durch Subsumtion unter den seit Labeo geltenden Grundsatz erreichen läßt, wonach zur actio negotiorum gestorum schon zugelassen wird, wer ein Geschäft zwar erfolglos, aber utiliter geführt hat. Ist das Geschäft aus Sicht des Geschäftsheim nicht mehr sinnvoll oder gar belastend, so kann die Geschäftsführung auch nicht utiliter gewesen sein. Vgl. § 8 I.

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findung immer dort, wo die Kasuistik einer abstrakten Begrifflichkeit unterworfen wird 6 1 0 . Im Rahmen der deduktiven Rechtsfindung kommt der Normauslegung größte Bedeutung zu: Für Celsus ist das durch Auslegung ermittelte Ergebnis selbst Norm, die zum Ausgangspunkt eines Subsumtionsschlusses werden kann 6 1 1 . Durch bewußte systematische612 und teleologische 613 Gesetzesinterpretation vermag er auch diejenigen Sachverhalte, die vom Wortlaut eines Gesetzes nicht 610 In D 12.4.16 entscheidet Celsus über die Rechtsnatur einer Vereinbarung, durch die der Empfänger einer Summe Geldes verpflichtet werden soll, das quiritische Eigentum an einem Sklaven zu übertragen. Er erwägt die Anerkennung eines neuen Vertragstypus pro portione emptionis et venditionis, ordnet das Geschäft dann aber der außervertraglichen Kategorie der datio ob rem zu, die er als Fallgruppe der condictio erstmals benennt. Welche Konsequenzen die Entscheidung hat, demonstriert Celsus an drei Fall Varianten, deren Lösungen sich durch Subsumtion unter den kondiktionsbegründenden Tatbestand re non secuta ergeben und die sämtlich im Gegensatz zum Kaufrecht stehen. (Siehe § 9 II.) - In D 9.2.7.6 faßt Celsus bereits entschiedene Fälle der mittelbaren Todesverursachung zur Kategorie des mortis causam praestare zusammen, das er dem occidere der Lex Aquilia gegenüberstellt. So wird die unbedingt sanktionswürdige unmittelbare Todesverursachung begrifflich von Vorgängen geschieden, die nur unter Umständen eine Haftung aus einer actio in factum ad exemplum legis Aquiliae auslösen. (Dazu § 9 III.) 611

In D 4.8.23.1 (dazu § 10) legt Celsus das iussum eines Schiedsrichters aus, der einer Partei befohlen hat, innerhalb einer Frist an die andere Seite zu leisten. Celsus sieht darin zwei praecepta, zum einen, innerhalb der Frist zu leisten, zum anderen, überhaupt zu leisten. Konnte der Adressat des Befehls die Leistung ohne sein Verschulden nicht rechtzeitig erbringen, so verfällt die Strafstipulation zwar nicht deshalb, weil er nicht innerhalb der festgesetzten Frist geleistet hat. Bleibt er aber auch nach Wegfall des Leistungshindernisses untätig, so verstößt er durch sein Verhalten gegen das zweite praeceptum - mit der Folge, daß die Bedingung der Strafstipulation eintritt. Durch Auslegung des Schiedsrichterbefehls erhält Celsus zwei getrennte Obersätze, so daß sich auch das Verhalten der zunächst unverschuldet säumigen, dann aber nicht mehr zur Leistung bereiten Partei regelgerecht als Nichtbeachtung des iussum subsumieren läßt. 612 Celsus legt das aquilische rumpere als corrumpere aus. Um dem Einwand zu begegnen, daß die beiden anderen Tatbestände des dritten Kapitels, urere und frangere, dann strenggenommen überflüssig sind, deutet er die Systematik des Gesetzes dahingehend, daß zunächst Spezialtatbestände aufgezählt werden, die in der folgenden Generalklausel (rumpere) enthalten sind (vgl. D 9.2.27.16). So vermeidet er einen Widerspruch zwischen seiner Interpretation von rumpere und dem Kontext dieser Bestimmung. Denn es wäre incivile nisi tota lege perspecta una aliqua partícula eius proposita iudicare vel respondere (D 1.3.24); Vgl. § 11 III. 613 Wegen des unterschiedlichen historischen Kontextes schreibt Celsus in D 9.4.2pr., 1 dem Gesetzgeber der Lex Aquilia eine andere Regelungsabsicht als dem des XII-TafelGesetzes zu: Nach Ansicht des früheren Gesetzgebers war dem Sklaven als unfreiem Hausgenossen ein Widerspruch gegen die Anordnungen seines Herrn zumutbar, und er wurde deshalb für die von ihm begangene Untat verantwortlich gemacht. Dagegen hat der Gesetzgeber der Lex Aquilia anerkannt, daß einem Sklaven der Ungehorsam gegenüber seinem Herrn nicht zugemutet werden kann. Daraus folgt, daß mit Einführung der Eigenhaftung des Herrn für ein sciente domino begangenes Delikt zugleich die Haftung aus der actio noxalis weggefallen ist, die dem Sklaven im Falle seiner Veräußerung oder Freilassung folgte. Hierzu § 12 II, III. 10*

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mehr erfaßt werden, nach der N o r m zu beurteilen. A l s ratio legis w i r d zum einen die subjektive Absicht des Gesetzgebers 6 1 4 angesehen, zum anderen der objektive Zweck des Gesetzes 6 1 5 . D e m entspricht es, wenn bei der Interpretation von Rechtsgeschäften bald der konkret-individuelle 6 1 6 , bald der objektivt y p i s c h e 6 1 7 Parteiwille Ziel der Auslegung ist. Dabei berücksichtigt der Jurist auch den nicht zum Ausdruck gekommenen Parteiwillen, soweit er sich von selbst versteht 6 1 8 . I I I . In D 12.1.32 setzt sich Celsus i m Ergebnis über die geltende Dogmatik hinweg; er tut es aber nicht unvermittelt. Vielmehr unterlegt er dem Sachverhalt eine von i h m für das Anweisungsrecht formulierte Rechtsfolgenordnung und bestimmt damit präzise den dogmatischen Ansatzpunkt seines die Entscheidung tragenden Werturteils. Dieser vorsichtige Umgang mit dem Werturteil ist kennzeichnend für Celsus' Methode der Rechtsfortbildung: Während offene Wertungen und naturrechtliche Erwägungen in der Regel nur dann bemüht werden, wenn positivrechtliche V o r gaben dies ausdrücklich gebieten 6 1 9 , geschieht die Rechtsfortbildung vor allem 614 So in D 9.4.2pr., 1 (vgl. die vorangehende Fußnote) und D 1.3.18, wonach Gesetze so zu interpretieren seien, daß die Absicht des Gesetzgebers bewahrt werde (dazu § 121). 615 In D 1.3.17 fordert Celsus dazu auf, die vis ac potestas eines Gesetzes zu erkennen; in D 1.3.19 meint er, dem Zweck eines seinem Wortlaut nach doppeldeutigen Gesetzes könne nur durch diejenige Auslegung entsprochen werden, die Fehler vermeidet. Vgl. §

121.

616

Dazu eingehend Hausmaninger , IURA 35 (1984) 16ff. und FS Wesener (1992)

174f. 617

Ein compromissum gilt auch ohne ausdrückliche Erbenklausel für die Rechtsnachfolger der Parteien, denn man gehe zum arbiter , um den Streit endgültig zu bereinigen, und nicht, um ihn auf den Tod der Parteien aufzuschieben (D 4.8.37). - Der Eid eines libertus , seinem Patron so viele Dienste zu leisten, wie dieser für angemessen halte, ist nur wirksam, wenn der Patron sein Ermessen in billiger Weise ausübt, denn liberti leisteten solche Versprechen nicht, um sich übermäßig zu verpflichten, sondern weil sie auf ein gerechtes arbitrium ihres Patrons hofften (D 38.1.30pr.). Dazu § 13 II. 618 Ein durch in iure cessio bestelltes oder durch letztwillige Verfügung eingeräumtes ius eundi agendi darf nur civiliter modo ausgeübt werden; dies sei stillschweigend ausbedungen (vgl. D 8.1.9; dazu § 13 1). Entsprechendes gilt auch für das durch den Eid eines libertus eingeräumte Ermessen des Patrons (D 38.1.30pr.; vgl. die vorangehende Fußnote). 619 So dient die scheinbar moralische Formel neque malitiis indulgendum est in D 6.1.38 nicht zur Beschränkung eines bestehenden ius tollendi ; vielmehr wird der durch die exceptio vorgegebene Begriff dolus ausgefüllt: dem Herausgabeverlangen des Grundstückseigentümers, der, ohne Verwendungsersatz zu leisten, dem Besitzer die Wegnahme der eingebauten Bestandteile verwehrt, kann nicht die exceptio doli entgegengehalten werden, wenn die Wegnahme dem Besitzer keinen Nutzen bringt und bloß zur Schikane des Eigentümers dienen soll; vgl. § 19. - Um eine exceptio doli geht es auch in D 8.3.11: nach der subtilis ratio des Zivilrechts zeitigt die Einräumung einer Dienstbarkeit durch den Miteigentümer eines Grundstücks keine Rechtswirkungen, solange nicht sämtliche Miteigentümer den Bestellungsakt vollzogen haben; es ist aber benignius , wenn derjenige Miteigentümer, der die in iure cessio bereits vorgenommen hat, die Ausübung der

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149

durch Umgestaltung des bestehenden Normengefüges: Der Jurist modifiziert das Normensystem, indem er bereits anerkannte Fallösungen zu einem Grundsatz Dienstbarkeit nicht untersagen kann, weil er sich in Widerspruch zu seinem factum proprium setzt und mithin dolos handelt; ebenso wie bei Iavolen D 39.9.25 kennzeichnet der Gegensatz von subtilitas und benignitas hier den Unterschied von Zivil- und Honorarrecht, nicht aber eine vorpositive Wertung, mit der das bestehende Normensystem außer Kraft gesetzt werden soll; vgl. § 21 I. - Dafür können auch nicht die Texte D 27.8.7, D 36.1.34 und D 37.6.6 in Anspruch genommen werden: wenn der Jurist hier die aequitas bemüht, so dient dies nur zur Ausfüllung des vorgegebenen Entscheidungsspielraumes bei der cognitio extraordinaria und bei der causae cognitio zur Gewährung einer actio subsidiaria gegen die Munizipalmagistrate sowie der Konkretisierung der aequius meliws-Klausel der actio rei uxoriae. (Vgl. § 23 I.) - In D 12.4.3.7 ist es Ulpian, der Celsus attestiert, er sei bei seiner Entscheidung naturali aequitate motus gewesen; daß Celsus seine Entscheidung in Wahrheit mit Hilfe der bestehenden Dogmatik traf, offenbart die angegebene ratio dubitandi, die das juristische Problem einkreist, um das Celsus mit seinem Vater gestritten hat: anders als Celsus pater meint er, der vermeintliche Sklave, der auf die im Testament festgesetzte Bedingung seiner Freilassung zahlt, obwohl er durch Kodizill unbedingt freigelassen worden ist, füge der Zuwendung an den Erben eine zur Rückforderung berechtigende Leistungszweckbestimmung bei und zahle nicht bloß aufgrund einer rechtlich unbeachtlichen Erwartung; vgl. dazu § 23 II. - Auch die Behauptung Ulpians in D 40.9.1, Celsus sei utilitatis gratia motus zur Entscheidung bestimmt worden, trifft nicht die von Celsus selbst gegebene Begründung: wie aus CJ 6.22.10.3 zu ersehen, hielt Celsus die Freilassung durch einen Tauben deshalb für wirksam, weil es nach seiner Auffassung die absolute Hörunfähigkeit gar nicht gab, die Taubheit vielmehr nur eine überwindliche körperliche Schwäche von gradueller Stärke war; vgl. § 22 I. - Was den Einfluß des Naturrechts angeht, bietet sich ein ähnliches Bild wie bei den offenen Wertungen: In D 12.6.47 ist die Erwähnung des ius gentium nicht echt (siehe § 25); Celsus behandelt die Zahlung des Bürgen bei zivilrechtlich ungültiger Hauptschuld; die ihm zu gewährende condictio kann also nicht so begründet werden: quoniam indebitam iure gentium pecuniam solvit. Die von der natura hominum gebotene Mindestsorgfalt wird in D 16.3.32 lediglich als ein Maßstab dafür angelegt, unter welchen Umständen sich der Verwahrer fraus und damit eine Verletzung der bona fides vorwerfen lassen muß; dazu § 24 II. - Damit bleiben neben den beiden Stellen, in denen Celsus die Grundwerte bonum et aequum bemüht, nur wenige Texte, in denen ein vorpositiver Bestimmungsgrund zum Tragen kommt: In D 50.17.186 entscheidet Celsus, daß die actio operarum erst dann erhoben werden kann, wenn die Erbringung der geforderten Dienste per rerum naturam möglich ist; dahinter steht die Forderung, daß richtiges Recht die natürlichen Gegebenheiten nicht transzendieren darf. Ferner gehören hierher die Entscheidungen zur Beweislast, für die Gründe der Praktikabilität (utilitas) oder der Schutzwürdigkeit des Parteiinteresses angeführt werden: Da sich ein entsprechender Parteiwille regelmäßig nicht feststellen läßt, gelten alle von einem Gebäude umschlossenen Sachen als mitverkauft (D 19.1.38.2; vgl. § 22 II). Weil der Beklagte nachträglich immer bestreiten wird, daß ein bestimmter Umstand zum Streitgegenstand des Prozesses gemacht worden ist, findet der beiderseitige Parteiwille hier nur insoweit Berücksichtigung, als die Parteien übereinstimmend angeben, daß etwas nicht zum Streitgegenstand gemacht wurde (D 5.1.61pr.; dazu ebenfalls § 22 II). Für die Stipulation gilt, daß ambiguitas contra stipulatorem geht (D 34.5.26pr.), mit der auf die veteres zurückgehenden Begründung, daß es dem Stipulator freigestanden habe, den Wortlaut der Stipulation präzise zu fassen (D 45.1.99pr.; vgl. § 20); auch hier geht es um eine Beweislastfrage, denn die Entscheidung betrifft den Fall cum quaeritur quid acti sit.

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zusammenfaßt oder ein in einem Teilbereich geltendes Prinzip auf ein verwandtes Rechtsgebiet überträgt 621 ; er entscheidet über den Vorrang zwischen zwei Rechtsprinzipien 622 , oder er zeigt, daß es sich bei einem vermeintlichen Grundsatz nicht um ein zwingendes Dogma handelt 623 . Seltener verwendet der Jurist Bilder aus der Welt der empirischen Zustände, um die juristische Vorstellung zu erleichtern 624 . 620 In D 24.1.3.12 analysiert Celsus die Rechtswirkungen einer Zahlung auf Anweisung und versucht, die Ordnung des Geschäfts abstrakt-begrifflich zu erfassen: Weil die anweisungsgemäß erbrachte Leistung sowohl im Deckungs- als auch im Valutaverhältnis die Rechtsfolgen einer datio auslöst, kommt es grundsätzlich in beiden Beziehungen zu einer Vermögensverschiebung (pecunia pervenit). Scheitert diese nun im Valutaverhältnis, weil das Ehegattenschenkungsverbot eingreift, so gebietet der ordo rei gestae , daß zumindest im Deckungsverhältnis die Rechtswirkungen einer datio eintreten - mit der Folge, daß der anweisende Ehemann Eigentümer des an die Ehefrau gezahlten Geldes und der Schuldner von seiner Verbindlichkeit befreit wird; vgl. § 15 II und unten N. 622. 621 In D 37.6.6 überträgt Celsus das schuldrechtliche Institut der Drittleistung auf die sittlichen officia und begründet so, warum der Vater einer Braut die vom Großvater bestellte dos profecticia selbst und auch dann zurückfordern kann, wenn der vor der Braut gestorbene Großvater seinen Sohn enterbt habe: das officium des Großvaters gegenüber der Enkelin bestehe nur kraft des officium gegenüber seinem Sohn; der Großvater leistet daher propter filium , so daß dieser wie bei einer eigenen Leistung auch unmittelbar zur Rückforderung berechtigt wird, ohne daß seine spätere Enterbung daran etwas ändern könnte; vgl. dazu § 17 I. - Hat sich ein Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft zur Leistung von Diensten verpflichtet, so haftet er für custodia , wenn die anderen Gesellschafter ihm zu diesem Zweck Sachen anvertraut haben; Celsus betrachtet die Gewinnbeteiligung des Gesellschafters als Gegenleistung für die zu erbringenden Dienste (pretium enim operae artisve est), so daß im Gesellschaftsrecht auch der eigentlich bei Austauschverträgen geltende Grundsatz Anwendung finden kann, wonach derjenige, der eine fremde Sache im eigenen Interesse innehat, für custodia einzustehen hat (D 17.2.52.2; vgl. § 17 II). 622 Der vom Anweisungsrecht gebotenen Lösung steht im Fall von D 24.1.3.12 das Traditionsprinzip entgegen: Nicht der anweisende Ehemann, der nach dem ordo des Geschäfts Eigentümer des Geldes sein soll, sondern die Ehefrau hat die Valuta von dem angewiesenen Schuldner erhalten. Da der Grundsatz der eigenhändigen Tradition bereits von Ausnahmen durchbrochen ist, räumt Celsus der Ordnung des Anweisungsgeschehens den Vorrang ein und schlägt vor, in diesem Fall eine weitere Ausnahme vom Traditionsprinzip zuzulassen; vgl. § 15 II. 623 In D 12.6.26.12 (dazu § 16) legt Celsus anhand zweier Beispiele dar, daß es keinen Grundsatz gebe, wonach der Kondiktionsgegenstand mit dem Gegenstand der vorangehenden Leistung identisch sein müsse: etwas anderes gelte nicht nur, wenn Früchte eines zu Unrecht übereigneten Grundstücks kondiziert werden, sondern auch, wenn der Erwerber eines nichtgeschuldeten Sklaven diesen gutgläubig zu einem niedrigeren Preis veräußert hat; daher könne einer condictio operarum nicht entgegengehalten werden, daß nicht die Dienste selbst, sondern nur ihr Schätzwert zurückverlangt werden kann, zumal die Schätzung von operae bereits beim Verwendungsersatz anerkannt ist. 624 Ebenso wie Julian begründet Celsus die Möglichkeit nachträglicher Anwachsung beim Nießbrauchslegat damit, daß usus fructus cotidie constituitur et legatur, non, ut proprietas, eo solo tempore quo vindicatur (Vat. 77; vgl. § 18 II); mit diesem Bild bringen beide Juristen zum Ausdruck, daß der Nießbrauch im Gegensatz zum Eigentum als Vollrecht nicht selbständig besteht, sondern eine dauernde Gestattung durch den Eigen-

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151

Obwohl der Jurist in diesen Fällen über das bestehende Recht hinausgreift, so steht diese Methode gerade im Gegensatz zur puren Einzelfallgerechtigkeit. Durch die Modifikation der bestehenden Dogmatik strebt der Jurist vielmehr danach, eine Übereinstimmung zwischen Fallösung und Normensystem herzustellen, so daß sich die Entscheidung deduktiv entwickeln läßt. IV. Ausschlaggebend für die Entscheidung von D 12.1.32 waren letzten Endes bonum et aequum. Das bestehende Normensystem einschließlich neu entwikkelter Rechtssätze führte nicht zu einem tragbaren Ergebnis. So war ein Rückgriff auf diese Werte geboten, die den Endzweck allen Rechts darstellen. Eine solche Korrektur der geltenden Rechtsordnung erachtet Celsus nur in Ausnahmefällen für erforderlich. Deuten wir das Gesamtbild, das wir von seiner Arbeit gewonnen haben, richtig, so war er der Überzeugung, das der beste Garant einer Verwirklichung von bonum et aequum eine systematische Wissenschaft ist, die ihre konkreten Urteile aus Normen und Prinzipien gewinnt und den unmittelbaren Rückgriff auf vorpositive Werturteile nach Möglichkeit vermeidet.

tümer darstellt, die durch das Legat vermittelt wird; kommt dem Vermächtnis auf diese Weise Dauerwirkung zu, so ist es folgerichtig, daß der nachträgliche Wegfall eines Legatars zur Akkreszens führt. - Kein bloßes Bild aus der realen Welt stellt dagegen die in D 41.2.18pr. verwendete Figur des ministerium possessionis dar, mit deren Hilfe Celsus begründet, warum der procurator omnium bonorum dem Geschäftsherrn den Besitz an Sachen verschaffen kann, die er zuvor selbst in Eigenbesitz hatte: es finde keine eigenmächtige mutatio der causa possessionis statt, vielmehr verliere der procurator seine possessio civilis und verschaffe dem Geschäftsherrn den Besitz, indem er fortan in dessen Namen besitze; mit dem Begriff ministerium knüpft Celsus an die frühere Stellung des procurator als Sklaven des Geschäftsherrn an: in dieser Rolle konnte er seinen Eigentümer zum Inhaber der possessio an Sachen machen, über die er die tatsächliche Gewalt ausübte; der Begriff ministerium hat daher juristischen Bezug und dient der Übertragung der besitzrechtlichen Dogmatik aus dem Recht der Gewaltunterworfenen in das für Gewaltfreie geltende Besitzrecht (vgl. § 181).

Quellenverzeichnis

A. Vorjustinianische Schriftsteller und Sammelwerke

Gai institutiones 1 2 2 2 2 2 3 3

200 51 68 91 199 244 124 127

3 3 3 3

141 156 178 205

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3 3 3 3

207 217 218 219

4 4 4 4 4

4 47 131a 144 166

Collado 129 N. 539 142 N. 589 34 N. 123 124 N. 522 106 N. 435 80 N. 317 30 N. 103 30 N. 101,63 N. 232 49 N. 175 47 N. 163 86 N. 339 102 N. 416, 103 N. 418 102 N. 416, 103 N. 418 129 N. 539 63 N. 239 67 N. 259 54f. N. 205, 61N. 225 51 N. 189 129 N. 539 51 N. 190 69 N. 268 69 N. 268

2 10 10 12

5 2 8 7

5 1 4

12

7

10

63f. 129 N. 539 129N. 539 5 56f., 65 N. 247 21 N. 61, 33f., 146 N. 607

Fragmenta Vaticana 59 75

107f. 21 N. 61, 27 N. 89,43 N. 149, 78 N. 309, 86 N. 341 40 N. 139, 106ff., 150f. N. 624 41 N. 141, 106 99 N. 403

5

77

79 108 Pauli Sententiae 4 4 5

3 12 7

4 2 4

79N. 315 119 N. 496 134 N. 558

Ulpiani Epitome 6 20 24

4 13 12

98 N. 395 119 N. 496 106 N.435

Quellenregister

153

s Civilis Institutiones 2 3

20 14

19 N. 56 129 N. 539

12 3

Digesta 1 1 1 1 1

1 3 3 3 3

1 4 5 16 17

1

3

18

1 1 2 2 3 3

3 3 14 14 2 5

19 24 1 39 4 9

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8 8 8

27 32 37

4

8

40

12N.14,14ff. 72 N. 286 72f. 120 N. 501 68f., 148 N. 615 70,117f., 148 N. 614 69, 148 N. 615 64, 147 N. 612 126N. 530 114 39 N. 134 21 N. 61,40 N. 139,43ff., 57, 146 126 N. 530 19f.,40N. 136, 145 N. 602 37 N. 131,85 N. 338 99 N. 404 120 N. 502

2 3 1 3

145, 57ff., 147 N. 611 41N. 145,58 59N. 220 77N. 302 77N. 302 41 N. 145,76f., 148N. 617 58

4 5 5

8 1 1

49 31 61

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20

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8 8 9

6 6 2

22 24 7

2 77 N. 302 39 N. 134 pr 120f., 149 N. 619 6b 88 N. 347 17 18 88 N. 347 28 N. 95 5 110N. 444 19 N. 54, 54 N. 201,109ff., 148N. 619 104 N. 424 42 N. 147 3 120 N. 502, 122 3 106N. 433 1 141ff. 1 141N. 587 pr 141N. 587 141 N. 587, 142 20 N. 60, 42 N. 145,75, 148 N. 618 115f., 135f„ 148f. N. 619 115 N. 474 122 22 N. 69 19 N. 55, 22, 40N. 139 21 N. 61, 22f., 33,37 N. 131, 40 N. 139, 145 N. 606 22 N. 70 22 N. 68 6 40 N. 139, 54ff., 65 N.

154

Quellenverzeichnis

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9 11

9 9

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13 27

9 9 9 9 9

2 2 2 2 2

37 39 42 44 49

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51 53 1 2

9 9 9 10 10 10 11 11 12 12 12 12 12

4 4 4 2 3 4

3 17 19 16 13 5 11 15 15 19 23 31 32

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87,137ff., 144ff.

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12 12 13 13 13 13 13

6 6 1 1 3 5 5

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5 6 1

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21 21 21 22 22 22 22 23

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136 8 95 95 116 N. 475 2 105 f. N. 431 58N. 216 27f., 122 122 pr 98 N. 397 11 19 N. 55 25 N. 77, 26 N. 83 Pr 100 11 84 N. 330 12 27 N. 89, 83ff., 140, 143, 150 N. 620f. 13 93f. N. 373 15 39 N. 135, 78ff. 18 84 N. 334 25 91N. 362 93 N. 373 37 N. 131 40 N. 136 pr 88 N. 347 6 10 5 142 N. 588 133 N. 555, 142 N. 588 pr 129 N. 539 129 N. 539 Pr 129 N. 539 40 N. 139 129 N. 539 123N.516 123N.516 122, 149 N. 619 18, 145 N. 602 Pr 115 N. 472 1 31N. 108, 32 N. 109 1 19, 24 N. 73,

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36 37 37

4 5 6

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141N. 587 126N. 530

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Pr 1 2 4 1 Pr 2

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1

pr Pr Pr

136 N. 535 136 N. 535 42 N. 145,46 118 N. 491 37 N. 131 142 143 N. 593 61 N. 224, 62 N. 235 61 N. 224, 66 40 N. 139 85 N. 335 35 27 N. 89, 35f., 37 N. 131, 14( N. 607 36 N. 128 126 N. 530 73 N. 288 72 N. 283 40 N. 136 I H N . 453 43 N. 148 99 N. 401 81 41 N. 140 41 N. 140, I I I N. 453 41 N. 140 88 N. 347 37 N. 131 85 f. 20 N. 60, 42 K 1 4 5 , 7 5 , 9 6 N. 388 81 N. 322 98 N. 397 82 N. 326 40 N. 134 72 N. 283 51 N. 189 72 N. 283 88 N. 349 41 N. 141,96 N. 386 127f., 149 N.

Quellenverzeichnis

158

50

17

188

50 50 50

17 17 17

189 191 193

619 pr 127 1 126f. 42 N. 147 69 N. 272

29f.

Codex Iustinianus 4 6

34 22

1 10

6 6 8

50 50 37

1 19 13

129N. 539 3 119f., 149 N. 619 79N. 315 79 N. 314 77 N. 303