Arbeitsvertrag und Direktion: Zweiseitige Leistungsbestimmung im Arbeitsverhältnis [1 ed.] 9783428442072, 9783428042074


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German Pages 388 Year 1978

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Arbeitsvertrag und Direktion: Zweiseitige Leistungsbestimmung im Arbeitsverhältnis [1 ed.]
 9783428442072, 9783428042074

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Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 38

Arbeitsvertrag und Direktion Zweiseitige Leistungsbestimmung im Arbeitsverhältnis

Von

Wolfgang Gast

Duncker & Humblot · Berlin

W O L F G A N G GAST

Arbeitsvertrag und Direktion

Schriften z u m Sozial- u n d A r b e i t s r e c h t Band 38

Arbeitsvertrag und Direktion Zweiseitige Leistangebestimmung im Arbeitsverhältnis

Von Wolfgang Gast

D U N C K E R

&

H U M B L O T

/

B E R L I N

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Mannheim gedruckt m i t Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Alle Redite vorbehalten © 1978 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1978 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany I S B N 3 428 04207 7

Vorwort Ι.

Die Kategorie des „freien" Arbeitsvertrags ist diskreditiert durch die soziale Misere des 19. Jahrhunderts. I n den Ansätzen, die mit Hilfe des Rechts die gesellschaftliche Wirklichkeit zu verbessern suchten, erscheint die Vertragsfreiheit als Quelle des Übels und die Abkehr davon als rettender Ausweg. So qualifizierte Otto v. Gierke das Arbeitsverhältnis als ein Gewaltverhältnis, i n welchem kraft Natur der Sache Unterwerfung gegen Fürsorge geschuldet werde: Dem Unternehmer falle eine Herrschaftsposition zu, gegen die das Vertragsprinzip machtlos bleibe; zum Ausgleich jedoch schulde er umfassende Fürsorgeleistungen, denen er sich nicht länger unter Berufung auf Vertragsfreiheit entziehen dürfe. Radikaler dachte Anton Menger; sein „Juristensozialismus" (Engels) wollte m i t der Vertragsfreiheit, die pure Fiktion sei, zugleich die kapitalistische Produktionsweise überwinden und i n einem legalen Reformprozeß zum „volkstümlichen Arbeitsstaat", einem totalen Wohlfahrtsstaat m i t alles bestimmender Bürokratie, führen. Diese Konzepte, einst i n kritischer Auseinandersetzung m i t dem entstehenden BGB entwickelt, sind keineswegs zur Historie geworden; am wenigsten die Gedanken v. Gierkes, die i n verbreiteten Lehren vom „Wesen" des Arbeitsverhältnisses fortleben. Zumindest i n die Nähe Mengers scheint die Betonung des kollektiven Arbeitsrechts zu führen: so jedenfalls, wenn man die Fortschritte des Hechtsgebiets aus der Sicht ihrer K r i t i k e r begreifen wollte. Als Reaktion auf Fürsorgedenken wie auf Kollektivierungstendenzen ist i n der arbeitsrechtlichen Diskussion eine Rückwendung zum Vertragsprinzip festzustellen; ihre Crux aber ist die Wiederaufrichtung eines abstrakten Vertragsbegriffs, der leicht und zu Recht den Verdacht auf sich zieht, ideologischer Maskierung längst durchschauter Herrschaftsmechanismen zu dienen. M i t der Möglichkeit, materiale Vertraglichkeit i m Produktionsprozeß zü verwirklichen, befaßt sich die vorliegende Untersuchung. Sie handelt ihr Thema juristisch ab, vom Standpunkt des i n der Bundesrepublik Deutschland geltenden Rechts aus. Das Vertragsprinzip kann zweifach m i t dem Prodüktionsprozeß i n Beziehung gebracht werden: unter dem Aspekt der Verteilung der Arbeitsergebnisse und unter

6

Vorwort

jenem der Direktion des Produktionsgeschehens. A n der Verteilung w i r k e n die individuellen Arbeitsverträge und vor allem die Tarifverträge mit, indem sie Arbeitsentgelte festlegen. Bei dieser Funktion treten die arbeitsrechtlichen Verträge i n Konkurrenz mit Prinzipien und Mechanismen des Sozialstaats (und aktuell stellt sich die Frage, i n welchem Ausmaß sie ökonomische Privilegierung der „Arbeitsplatzbesitzer" gegenüber den vom Produktionsprozeß Ausgeschlossenen vermitteln dürfen). A u f den Verteilungsaspekt, soweit er sich vom Direktionsproblem abstrahieren läßt, w i r d i m folgenden allerdings nicht eingegangen, die Untersuchung beschränkt sich auf die arbeitsrechtliche Direktion. Angesprochen ist damit i m weitesten Sinn die Bestimmung der Arbeitnehmerleistung; zur Diskussion steht die Alternative zwischen vertraglicher Regelung durch beide Parteien des („kapitalistisch" genannten) Produktionsprozesses und einseitiger Reglementierung aufgrund eines Direktionsrechts des Unternehmers (Arbeitgebers). Π.

I n „Rechtserkenntnis und Gewaltstrukturen" habe ich versucht, Rechtserzeugung als institutionellen Diskurs zu erklären und dabei den Vertrag als diskursives Verfahren angesprochen (S. 96 ff.). Die Überlegungen dort sind auf eine Theorie der Rectitserkenntnis gerichtet, aus juristischer Sicht m i t h i n — wenn man das Juristische als Theorie (Erklärung) des Rechts auffaßt — metatheoretisch. Den erkenntnistheoretischen Resultaten und ihrer hypothetischen Übersetzung zu rechtlichen Modellen korrespondieren indessen (und für dialektisches Denken notwendigerweise) Institutionen des positiven Rechts; so wie den juristischen Ergebnissen vom metajuristischen Kontext aus Richtigkeit bescheinigt oder verweigert wird, ist der Erkenntnisbegriff, das K r i t e r i u m für Richtigkeit, durch das als rechtens Positive mitbedingt. W i r d einerseits vom Erkenntnisbegriff her, andererseits de lege lata i n juristischer Argumentation eine Rechtslage reflektiert, dann treffen i m Wahrheitsfall beide Wege i m selben Ergebnis zusammen, jedenfalls i m Prinzip des Ergebnisses (nicht unbedingt i n den erkenntnistheoretisch gleichgültigen Akzidentien). Der Diskurs, als Rechtslage erkenntnistheoretisch vorgezeichnet, müßte sich hiernach auch i m geltenden Arbeitsrecht als Struktur der Rechtserzeugung, konkret: der Leistungsbestimmung erweisen — wobei die vorgängige Erkenntnistheorie für die juristische Abhandlung zur bloßen These w i r d und zu nichts verpflichtet, was nicht auch spezifisch juristisch belegt werden kann. Die i n Aussicht genommene „Theorie der institutionellen Wirklichkeit" (Rechtserkenntnis, S. 176 f.) soll demgemäß hier für einen ersten Ausschnitt der gesellschaftlichen Wirklichkeit, die Arbeitswelt, entwickelt werden.

Vorwort

Diskursive Strukturen i n der Fassung durch geltendes Arbeitsrecht (unterstellt, sie können nachgewiesen werden) sind Einlösungen eines allgemeinen Prinzips; das Prinzip selbst ist auf sie aber keineswegs reduzierbar. Diese Einsicht ist wichtig für den erkenntnistheoretischen Rückbezug: Von i h m kann keine Zementierung eines status quo, auch nicht eines diskursiv verfaßten, verlangt werden. Zudem muß klar unterschieden werden, inwieweit aktuelle Rechtswirklichkeit erst den Stoff für Diskurse, also das Problem stellt, und inwieweit sie eine dem Prinzip gemäße Lösung verkörpert. Der Stoff ist ambivalent: I m status quo nach geltendem Recht, der kapitalistischen Produktionsweise m i t ihrer Parteiung zwischen Unternehmer (Arbeitgeber) und Arbeitnehmer, liegt eine Gelegenheit für diskursive, ebenso für herrschaftliche Strukturen. Das Diskursive als Prinzip läßt sich nicht zur Apologie dieser Ausgangslage mißbrauchen; es knüpft dort nur an und zeichnet vor, wie die so konstituierten Probleme m i t Anspruch auf Richtigkeit bewältigt werden können. Die folgende Untersuchung handelt vom institutionellen Diskurs i m Produktionsprozeß unter der Bedingung des Kapitalismus; die Ausgangslage w i r d weder bestätigt noch i m K e r n negiert: Das wäre ein anderes Thema. Ebenso w i r d sich erweisen, daß die aktuell konkurrierenden sozialistischen Produktionsverhältnisse nicht ohne weiteres diskursiv ausfallen. Das Problem diskursiver Strukturierung stellt sich dort lediglich unter anderen Voraussetzungen: nicht für den Verkehr zwischen zwei „antagonistischen Klassen" beziehungsweise ihren Angehörigen, sondern für das Interagieren der „Eigentümer-Produzenten" i m vergesellschafteten Produktionsprozeß. Wie schwer i m etablierten Sozialismus die Einlösung systemimmanenter Prämissen diskursiven Inhalts fällt, w i r d ein Exkurs (unten § 4 I I I 2) verdeutlichen. m.

Das vorliegende Buch ist aus meiner Habilitationsschrift hervorgegangen, die unter dem Titel „Das arbeitsrechtliche Direktionsproblem" i m Wintersemester 1976/77 von den Vereinigten Konventen der Fakultät für Rechtswissenschaft und der Fakultät für Philosophie, Psychologie und Erziehungswissenschaft an der Universität Mannheim akzeptiert wurde. Z u danken habe ich allen meinen Gesprächspartnern aus beiden Fakultäten; i n besonderem Maß aber bin ich Herrn Professor Dr. Günther Wiese verpflichtet, der m i r als seinem Assistenten den Zugang zur Wissenschaft vermittelte. Mannheim, September 1977 W. G.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

§ 1 Thematik

15

I. Die Ausgangslage: Direktionsrecht versus Arbeitsvertrag I I . Die aktuelle Diskussion des Themas

16

I I I . Grundzüge der hier angewandten Methode

21

§ 2 Die Alternative zwischen einseitiger und zweiseitiger Leistungsbestimmung i m Arbeitsverhältnis I. Die rechtsdogmatischen Aspekte 1. Rechtsgeschäftliche oder nicht-rechtsgeschäftliche tungsweise

15

23 23

Betrach-

23

2. Direktionsrecht und Idealtypus des Schuldvertrags

28

3. Direktionsrecht und Typologie des Arbeitsvertrags

33

4. Direktionsrecht und arbeitsrechtliches System

37

5. Die Einheit von Individual- und Kollektivarbeitsrecht

40

I I . Der faktische Kontext

44

1. Die Gegenstände der Direktion

44

2. Organisation der Direktion

49

I I I . Die thematisierten Arbeitsverhältnisse

52

Erstes Kapitel Die faktische Direktionschance des Arbeitgebers und die Ansätze der Arbeitsrechtsordnung für die Lösung des Direktionsproblems § 3 Vorbemerkung: Offenheit und Präjudiz in der Problemfassung

55

§ 4 Die Bedingungen der Direktionschance des Arbeitgebers

58



Inhaltsverzeichnis

10

I. Die Lage infolge der Zuordnung der Produktionsmittel

58

1. Der Ansatz

58

2. Die sachenrechtliche Zuordnung insbesondere

62

3. Die Konfrontation von Inhaberschaft und Bedürfnis

65

4. Die Konstitution der Produktionsmittel 5. Wiederholung der Probleme Rechtsguts Unternehmen I I . Die zuordnungsrechtliche Sicht

durch

Ausgangslage

67

die in

Zuordnung

des

arbeitsrechtlicher

69 70

1. Die Zuordnung der Produktionsmittel und die Typologie des Arbeitsvertrags

70

2. Die Abhängigkeit des Arbeitnehmers

72

3. Die Abhängigkeit des Arbeitgebers

78

I I I . Direktionsproblem und Arbeitsteilung

81

1. Ansätze in der juristischen Literatur 2. Exkurs: Zur sozialistischen Produktionsprozesses

Planung

81 und

Leitung

des

3. Folgerungen

86 95

§ 5 Allgemeine Lösungsansätze: Tendenzen des Arbeitsrechts

98

I. Die Tendenzstruktur des Arbeitsrechts

98

1. Die Ausgangslage

98

2. Tendenz im Arbeitnehmerbegriff

99

3. Die Zweckbestimmung des Arbeitsrechts

101

I I . Der inhaltliche Tendenzbefund

106

1. Vorbemerkung

106

2. Abhängigkeit von fremdem Unternehmertum und die Freiheit zum Arbeitsvertrag 107 3. Weitere Ansätze gegen die Abhängigkeit von fremdem Unternehmertum; insbesondere das Recht auf Arbeit 110 4. Ansätze gegen die wirtschaftliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers 117 5. Ansätze gegen die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers 124 6. Zur Tendenz der Unterscheidung Unternehmen/Betrieb

132

I I I . Insbesondere der Tendenzbefund für das geltende Mitbestimmungsrecht 137 1. Vorbemerkung

137

2. Mitbestimmung nach dem Montanmodell

138

3. Mitwirkungsrechte nach dem Mitbestimmungsgesetz 1976 und nach §§ 76 ff. BetrVG 1952

von

150

Inhaltsverzeichnis 4. Die „Mitbestimmungsgesetze und die Tendenz der Unternehmensverfassung 159 5. Mitwirkungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz

170

6. Mitbestimmung durch Tarifvertrag

181

I V . Zwischenergebnisse

193

Zweites Kapitel Versuche objektivrechtlicher ( = außervertraglicher) Begründung des Direktionsrechts § 6 Vorbemerkung: Die Begründung als juristische Denkform

195

§ 7 Direktionsrecht und Sacheigentum

198

I. Der eigentumsrechtliche Ansatz

198

1. Das Problem der Eigentümerrechte

198

2. Meinungen

198

3. Die Rechtsgrundlagen

202

I I . Anwendung des § 903 BGB auf das Arbeitsverhältnis I I I . Direktionsrecht und positiver Eigentumstatbestand

204 206

1. Die Sachherrschaft

206

2. Sachherrschaft bei fremdem Bedürfnis an der Sache

209

3. Sachherrschaft und fremde Arbeit mit der Sache

213

4. Zweck und Grenzen der Sachherrschaft im Produktionsprozeß 214 IV. Direktionsrecht und negativer Eigentumstatbestand V. Zusammenfassung § 8 Direktionsrecht und Unternehmenseigentum I. Zur Auffindung der Rechtsgrundlagen

222 228 229 229

I I . Gesetzliche Vermittlungen des Unternehmenseigentums

231

1. Deliktsrechtlich vermitteltes Unternehmenseigentum

231

2. Gesellschaftsrechtlich vermitteltes Unternehmenseigentum .. 234 3. Arbeitsrechtlich vermitteltes Unternehmenseigentum

243

I I I . Der allgemeine Tatbestand des Unternehmenseigentums

249

1. Die drei Aspekte der Dogmatik des Unternehmenseigentums 249 2. Eigentumsbedingungen nach Art. 14 GG

250

Inhaltsverzeichnis

12

3. Die These von der Herrschaft dank Risiko

254

4. Eigentumsgarantie und Handlungsfreiheit des Eigentümers 263 5 . Ergebnisse

269

§ 9 Sonstige nicht-vertragliche Begründungs ver suche zum Direktionsrecht des Arbeitgebers 271 I. Die verbliebene Möglichkeit nicht-vertraglicher Begründung . . 271 I I . Direktionsrecht und Wirtschaftsverfassung

272

1. Die Begründungsversuche

272

2. Kritik der Begründungsversuche

274

3. Möglichkeiten der Argumentation aus der Wirtschafts Verfassung 280 I I I . Die Organisationsgewalt des Arbeitgebers

287

IV. Besondere gesetzliche Grundlagen für Direktionsbefugnisse des Arbeitgebers 290 1. Die gesetzlichen Fundstellen

290

2. Überprüfung der gesetzlichen Fundstellen

291

V. Gewohnheitsrecht und Richterrecht als Grundlage für Direktionsbefugnisse des Arbeitgebers 296 V I . Zusammenfassung

298

Drittes Kapitel Direktionsrecht und Arbeitsvertrag § 10 Die zu kritisierenden Lehren vom Arbeitsvertrag

299

I. Vorbemerkung: Vertragsrechtliche und vertragliche Begründung 299 I I . Der Arbeitsvertrag als Vereinbarung einer Verfügungsmacht über Arbeitskraft 302 1. Die Dogmatik des so definierten Arbeitsvertrags

302

2. Der Topos „Verfügungsmacht über Arbeitskraft"

307

I I I . Der Arbeitsvertrag in der Einordnungslehre

3ll

1. Übersicht

311

2. Einordnung als Vertragsinhalt

313

3. Einordnung als Problem des Arbeitsvertrags

318

IV. Das Direktionsrecht (Weisungsrecht) als typischer Inhalt des Arbeitsvertrags «... 319 V. Der Arbeitsvertrag als Vertrag über gattungsmäßig stimmte Dienste . . > . . . ; .

vorbe-

321

Inhaltsverzeichnis §11 Arbeitsvertrag und herrschaftsfreie Sozialordnung

322

I. Der Ansatz

322

I I . Materialien zur Dogmatik der herrschaftsfreien Sozialordnung 326 1. Der rechtsdogmatische Herrschaftsbegriff

326

2. Exkurs zur Theorie der Herrschaft in den Sozialwissenschaften 328 3. Das Interesse i m Recht

331

4. Zum Begriff der Selbstbestimmung

335

I I I . Die herrschaftsfreie ( = selbstbestimmte) Rechtsbeziehung in interessentheoretischer Sicht 337 1. Allgemeine Grundsätze

337

2. Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses

340

I V . Ergebnisse

343

§ 12 Lösung des Direktionsproblems

343

I. Die Prämisse: Materiale Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht I I . iDie Typologie des Arbeitsvertrags

347

1. Der Grundtatbestand des Arbeitsvertrags 2. Bestimmtheit und Geltendmachung der stung

343

347 Arbeitnehmerlei-

3. Der Arbeitsvertrag und § 315 BGB

348 356

I I I . Die kollektive Ausübung der Vertragsfreiheit

357

IV. Die individuelle Ausübung der Vertragsfreiheit

362

V. Besondere Begründung von Direktionsbefugnissen des Arbeitgebers 365 V I . Problemlösung durch die Fortbildung des kollektiven Arbeitsrechts 367

Literaturverzeichnis

372

Einleitung § 1 Thematik I. Die Ausgangslage: Direktionsreeht versus Arbeitsvertrag Das geltende Arbeitsrecht ist Verkehrsrecht für die Parteien des kapitalistischen Produktionsprozesses. Es normiert die Beziehungen zwischen Inhabern von Produktionsmitteln, die fremder Arbeitskraft bedürfen, und ihren Arbeitskraftgebern. Das rechtliche Medium zwischen den Parteien ist der Arbeitsvertrag, rechtlicher Ort der Vertragserfüllung das Arbeitsverhältnis. Entsprechend dieser Musterung der Arbeitswelt w i r d über den Produktionsfaktor Arbeit durch die Begründung und Gestaltung einzelner Arbeitsverhältnisse verfügt. I m Arbeitsverhältnis werden Arbeitsleistungen erbracht und eingezogen: Der „Arbeitnehmer" hat sich vertraglich zur Arbeit i m fremden Unternehmen verpflichtet, sein Vertragspartner, der „Arbeitgeber", einen Anspruch hierauf erworben 1 . Den Inhalt dieser Rechtsbeziehung hätte, legt man das Vertragsprinzip zugrunde, i n den Grenzen zwingenden Rechts der Arbeitsvertrag zu bestimmen. Indessen erwartet die herrschende Meinung von i h m keine definitiven Regelungen und traut sie i h m auch nicht zu. Vielmehr steht für Rechtsprechung und Lehre ein Bestimmungsrecht („Direktionsrecht") einer Vertragspartei, des Arbeitgebers, ganz außer Frage. Dem Arbeitgeber w i r d zugebilligt, Pflichten seines Vertragspartners einseitig festzusetzen, statt nur eine vertraglich bestimmte Leistung einzufordern. Damit ist der Arbeitsvertrag für den Regelungsbereich des Direktionsrechts suspendiert, die Vertragskompetenz seiner Parteien verkürzt. Die Koexistenz der beiden einander entgegengesetzten Regelungsformen i n einer Rechtsbeziehung ist problematisch, der Widerspruch zwischen ihnen verlangt nach juristischer Auflösung. 1 Der herrschende Gebrauch der Ausdrücke „Arbeitnehmer" und „Arbeitgeber" ist diesem Tatbestand unangemessen und darum ideologieverdächtig; hierzu Wiethölter, Rechtswissenschaft, S. 281. Andererseits haben die Bezeichnungen sich wohl zu neutralen Termini der Rechtssprache entwickelt, die durch ihren unmittelbaren Wortsinn das Verständnis der Rollen oder Rechtspositionen beider Parteien nicht (mehr) präjudizieren. M i t dieser Voraussetzung wird der gängige Sprachgebrauch hier beibehalten.

16

§ 1 Thematik

Π . Die aktuelle Diskussion des Themas Der Konsens hinter der herrschenden Meinung heißt, daß es ein Direktionsrecht des Arbeitgebers gibt. Die Versuche, ein solches Recht zu begründen und seinen Inhalt zu präzisieren, führen jedoch schnell zur Kontroverse u m die richtige arbeitsrechtliche Theorie des Produktionsprozesses. I n seiner Habilitationsschrift hat Alfred Söllner es unternommen, das Arbeitsverhältnis auf den (vermeintlich zwingenden) Grundsatz einseitiger Leistungsbestimmung zu reduzieren. Die Rechtsordnung genüge den realen Produktionsbedingungen, indem sie die Befugnis des Arbeitgebers anerkenne, blanko („inhaltsleer") begründete Arbeitsverhältnisse gemäß seinen Unternehmungen zu gestalten 2 . Zweck des Arbeitsvertrags sei nicht die Vereinbarung von Arbeitnehmerpflichten, sondern die „Unterwerfung" des Arbeitnehmers unter das Bestimmungsrecht des Arbeitgebers 3 . Dessen Recht, die Inhalte der Arbeitnehmerleistung vorzuschreiben, bestehe entsprechend den „sich ändernden Erfordernissen der Arbeitsteilung" 4 , i n den Schranken fehlerfreien Ermessens 5, und soweit die „Geschäftsgrundlage" des Arbeitsverhältnisses reiche 6 . Innerhalb der so umrissenen Grenzen stellt Söllner die Arbeitsbedingungen zur Disposition des Arbeitgebers, gleichgültig ob sie ausnahmsweise vertraglich geregelt worden waren oder der Arbeitgeber sie schon einseitig vorgegeben hatte 7 . Söllners Lehre markiert das Äußerste dessen, was als Direktionsrecht aufgefaßt werden kann: die A l l - und Alleinkompetenz, über die Verwertung bereitgestellter Arbeitskraft zu entscheiden. Gerade diese Zuspitzung aber weckt die Erinnerung daran, daß nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit die Gestaltung des Arbeitsverhältnisses beiden Vertragspartnern zustehen müßte 8 . Der merklichen Tendenz, das Arbeitsrecht wieder stärker i n schuldrechtlicher Denk2 Vgl. Einseitige Leistungsbestimmung, S. 13 ff., 22, 48 ff., 126; entsprechend Arbeitsrecht, S. 29,167, 210. 3 VgL Einseitige Leistungsbestimmung, S. 22, 44. 4 Einseitige Leistungsbestimmung, S. 44. 5 Einseitige Leistungsbestimmung, insbes. S. 132 ff. • Einseitige Leistungsbestimmung, S. 48 ff. 7 Einseitige Leistungsbestimmung, S. 39, 44, 48 ff. Soweit Söllner die Formel „einseitige Leistungsbestimmung" als eigenen Terminus gebraucht, ist damit allerdings nicht nur die Disposition über Arbeitnehmerpflichten, sondern auch über Ansprüche des Arbeitnehmers gemeint. Dieser Teil der Arbeitsbedingungen, also die Gegenleistung des A r beitgebers, wird in der vorliegenden Untersuchung nicht mit angesprochen. Beim Direktionsproblem geht es herkömmlich nur um das vom Arbeitnehmer geschuldete Verhalten; Böttner, Direktionsrecht, S. 5 mit Nachweisen. 8 So Richardi in der Rezension zu Söllners Schrift; RdA 1970, S. 208 (208 f.).

I I . Die aktuelle Diskussion des Themas

17

weise zu betrachten 9 , folgt Walter Böttners Theorie des Direktionsrechts 10 . Böttner fragt, „inwieweit sich m i t der schuldrechtlichen Lehre vom Arbeitsverhältnis die Existenz eines Direktionsrechts des Arbeitgebers vereinbaren läßt" 1 1 . Die A n t w o r t lautet, daß nur solche Direktionsbefugnisse bestehen, die der einzelne Arbeitsvertrag jeweils gew ä h r t 1 2 . Bei diesem Ansatz w i r d ein Vertrag, die Urform zweiseitiger Leistungsbestimmung, zum eigentlichen Gestaltungsgrund des Arbeitsverhältnisses erklärt. Dem Prinzip zweiseitiger Bestimmung soll jedoch nicht nur die definitive vertragliche Regelung genügen, die das geschuldete Verhalten des Arbeitnehmers konkret und bloß einforderbar bezeichnet. Vielmehr gilt der Vertragsgedanke auch als eingelöst, wenn der Arbeitsvertrag die Arbeitnehmerleistung allgemein („nach Gattungsmerkmalen") festlegt 13 und die Einforderung m i t einer Befugnis des Gläubigers zur endgültigen Bestimmung („Spezialisierung") verknüpft. Diese Befugnis hängt nach Böttners Auffassung vom einzelnen Arbeitsvertrag ab, sie darf nicht m i t einem typischen („normalen") Inhalt vorausgesetzt werden 1 4 . Erscheint bei Söllner das Recht des Arbeitgebers zur einseitigen Leistungsbestimmung als Notwendigkeit jedes Arbeitsverhältnisses, so w i r d es bei Böttner zu einer möglichen Rechtslage, die einzuführen den Parteien jedes Arbeitsvertrages freisteht. Für Söllner ist das extensive Bestimmungsrecht des Arbeitgebers die „normale" Rechtswirklichkeit der Arbeitsverhältnisse; Böttner akzeptiert nur die Kategorie Direktionsrecht, die sich m i t individuell zu vereinbarenden Inhalten i n Arbeitsverträgen manifestieren kann. Söllner und Böttner haben die extremen Gegenpositionen vertreten, die bisher i n der Literatur zum Problem arbeitsrechtlicher Leistungsbestimmung und m i t h i n zur Stellung des Arbeitnehmers i m Arbeitsverhältnis entwickelt worden sind. Söllners Konzept ist bei den Rezensenten auf Ablehnung gestoßen 15 ; indessen vermittelt es keine neu9 Vgl. dazu etwa Simitis, Faktische Vertragsverhältnisse, insbes. S. 281 ff., 329 ff., Ergebnis, S. 391 f.; Mayer-Maly, JZ 1961, S. 205 (insbes. 208); Isele, NJW 1964, S. 1441 ff.; Dirk Neumann, RdA 1968, S. 250 (253); Schwerdtner, Fürsorgetheorie und Entgelttheorie, S. 79 ff.; Ernst Wolf, Arbeitsverhältnis, insbes. S. 79 ff.; Richardi, ZfA 1974, S. 3 ff.; Zöllner, AcP 176, S. 221 ff.; ders., Arbeitsrecht, S. 98 ff. 10 Böttner, Das Direktionsrecht des Arbeitgebers (1971). 11 Direktionsrecht, S. 1. 12 Direktionsrecht, S. 70, 72 f., 78 ff. 18 Böttner, Direktionsrecht, S. 32. 14 Böttner, Direktionsrecht, S. 81. 15 Säcker rügt daran die Beschränkung kollektivrechtlicher Zuständigkeiten; BB 1966, S. 1403. Bötticher moniert unter anderem den Schluß von der faktischen Macht des Arbeitgebers zur Direktion auf ein subjektives Recht; AuR 1967, S. 321 (322). Richardi wendet sich gegen Söllners Abkehr vom Prinzip vertraglicher ( = zweiseitiger) Bestimmung der Arbeitsbedingungen;

2 Gast

18

§ 1 Thematik

artige Sicht des Arbeitsverhältnisses, sondern führt nur ein oft bejahtes Prinzip zu Ende. Erinnert sei hier an Nikischs Lehre von der „Einordnung" („Eingliederung") des Arbeitnehmers i n einen fremden „Herrschaftsbereich", den Entscheidungsbereich des Arbeitgebers 16 . Danach bestimmt der Arbeitgeber fremdes geschuldetes Verhalten, indem er für „seinen" Bereich Arbeitsaufgaben stellt und die M i t t e l zu ihrer Lösung festsetzt; der Arbeitnehmer habe sich solchen Dispositionen „unterworfen" 1 7 , i n ihnen und ihnen gemäß werde über seine Arbeitskraft „verfügt" 1 8 . Nach Erich Molitor verweist die Einordnung den Arbeitnehmer an die „Organisationsgewalt" des Arbeitgebers 19 , die grundsätzlich keinen besonderen gesetzlichen Schranken unterliege 20 . Einseitige Bestimmung der Arbeitnehmerleistungen durch den Arbeitgeber macht auch i n diesen Auffassungen das „Wesen" des A r beitsverhältnisses 21 aus. Folgerichtig hat Söllner die Einordnungslehre als wichtigen Beitrag zum Verständnis des Arbeitsverhältnisses gelobt, Böttner sie entschieden abgelehnt 22 . Scheinbar zu einem mittleren Standpunkt zwischen den skizzierten Polen gehört die i n Rechtsprechung und Literatur überwiegende Tatbestandsbeschreibung des Direktionsrechts. I h r zufolge ist der Arbeitgeber ermächtigt, Weisungen zum betrieblichen Arbeitsvollzug — zu A r t , Ort und Zeit der geschuldeten Arbeit und zur Ordnung des Betriebs — zu erteilen; das Weisungsrecht soll jedoch nur „ i m Rahmen" des jeweiligen Arbeitsvertrags bestehen 23 . Hiernach scheint ein von der Rechtsordnung a priori anerkanntes Direktionsrecht des Arbeitgebers sich m i t der Notwendigkeit vertraglicher Bestimmung der Arbeitnehmerleistung zu verknüpfen. Tatsächlich aber ist ein — verglichen m i t Söllners Lehre — eng gefaßter Grundtatbestand des Direktionsrechts kein zwingendes Indiz dafür, daß das Prinzip einseitiger Leistungsbestimmung bereits verlassen wurde. Auch Nikisch definiert das Direktionsrecht i n der zitierten Weise, läßt es jedoch nur als einen Aspekt umfassenden Eingeordnet-seins des Arbeitnehmers i n den RdA 1970, S. 208. Bedenken wegen Überdehnung des Einseitigkeitsprinzips äußert auch Tomandl, ZAS 1967, S. 158 (159). 16 Arbeitsrecht I, S. 7 ff., 164 f., 170 f., 255 f., 283. 17 Nikisch, Arbeitsrecht I, S. 7. 18 Nikisch, Arbeitsrecht I, z. B. S. 171, 172. 19 RdA 1959, S. 2 (5 ff.). 20 RdA 1959, S. 2 (6). Als Ausnahme nennt Molitor die Mitwirkung des Betriebsrats. 21 Molitor, RdA 1959, S. 2 (4); Nikisch, Arbeitsrecht I, S. 5 ff., 255. 22 Söllner, Einseitige Leistungsbestimmung, S. 19 f.; Böttner, Direktionsrecht, S. 20 ff., 62 ff. 23 Vgl. BAG A P Nr. 17 zu § 611 BGB Direktionsrecht (Bl. 1 R); Zapf, Direktionsrecht, S. 7 ff. mit Nachweisen, außerdem ζ. B. Hanau / Adomeit, Arbeitsrecht, S. 144; Schaub, Handbuch, S. 95; Zöllner, Arbeitsrecht, S. 54.

I I . Die aktuelle Diskussion des Themas

19

fremden Herrschaftsbereich gelten 2 4 ; damit ist die Frage, wie der Rahmen für betriebliche Weisungsbefugnisse inhaltlich festzulegen sei, unter Abkehr von der Idee vertraglicher Leistungsbestimmung gelöst worden. Entsprechend heißt es i m Bericht der Mitbestimmungskommission, daß das Entscheidungsvorfeld zu betrieblichen Weisungen der „Planungs- und Leitungskompetenz" des Arbeitgebers als Unternehmer unterstehe 25 ; diese Zuständigkeit trete als Rechtstitel neben das Direktions(= Weisungsrecht i m Betrieb, funktional sei sie i h m übergeordnet. M i t einer tatbestandlich engen Fassung des Direktionsrechts kann also einhergehen, daß dieses Recht nur als Ausschnitt oder Konsequenz umfassender „Herrschaftsrechte" („Organisationsgewalt") des Arbeitgebers begriffen wird. Möglicherweise ergibt die Einschränkung sich aus dem formalen Umstand, daß zwar ein einheitlicher Rechtsgrund für die umfassend einseitige Leistungsbestimmung nicht nachgewiesen werden kann, außer dem Direktionsrecht aber noch andere Rechtsgrundlagen vorkommen, die den Arbeitgeber zu Entscheidungen über Arbeitnehmerpflichten ermächtigen 26 . Da ein aus solchen Gründen eng gefaßtes Direktionsrecht die Arbeitgeberbefugnisse nur unvollständig zeigt, muß neben i h m als dem „Direktionsrecht i m engeren Sinn" das Direktionsrecht als Inbegriff sämtlicher Leitungsbefugnisse des Unternehmers und Arbeitgebers („Direktionsrecht i m weiteren Sinn") thematisiert werden. Je weiter aber ein von vornherein bestehendes Direktionsrecht reichen soll, u m so weniger kann der Arbeitsvertrag noch als inhaltlicher „Rahmen" der Direktion begriffen werden. Nicht eine rahmenmäßige vertragliche Leistungsbestimmung zieht dann dem Direktionsrecht Grenzen, sondern allenfalls die von Söllner angeführte „Geschäftsgrundlage", ohne die das Arbeitsverhältnis gar nicht eingegangen worden wäre. Die hier gewonnene Übersicht läßt hinter dem Grundkonsens zugunsten eines Direktionsrechts des Arbeitgebers wesentliche Meinungsverschiedenheiten erkennen. Sie laufen auf die Frage hinaus, ob für das Arbeitsverhältnis das Prinzip einseitiger oder jenes der zweiseitigen (vertraglichen) Leistungsbestimmung gilt. Die Fragestellung macht arbeitsrechtliche Grundlagenforschung notwendig; die bisher vorgelegten Untersuchungen zum Direktionsrecht 2 7 deuten dies allenfalls 24

Arbeitsrecht I, S. 255 f., 283. Bericht, S. 104 ff., 108 ff., 110 ff. 26 Nach Zapf ist auch das Direktionsrecht kein einheitliches Rechtsinstitut, sondern bloße Zusammenfassung unterschiedlich begründeter Arbeitgeberbefugnisse unter einem Namen; Direktionsrecht, S. 244. 27 Neben den Schriften von Söllner und Böttner, die hier schon näher eingesehen wurden, sind aus neuester Zeit noch zu nennen: Böker, Das Weisungsrecht des Arbeitgebers (1971); Zapf, Das Direktionsrecht des Arbeitgebers (1971); schließlich die Habilitationsschrift von Birk, Die arbeitsrecht25



20

§ 1 Thematik

an, verfolgen die Probleme aber nicht hinreichend. Der Widerspruch zwischen Direktionsbefugnissen und dem schuldrechtlichen Charakter des Arbeitsverhältnisses, der Idee schuldvertraglicher Leistungsbestimmung, wurde von keinem Autor außer Böttner als Kernproblem gesehen und abgehandelt. Böttners Untersuchung aber ist selbst alles andere als überzeugend geraten. Einerseits wendet sie das Vertragsprinzip unkritisch an, nämlich nur m i t der Intention, einen schuldrechtlichen Rechtsgrund für das als Kategorie nicht i n Frage gestellte Direktionsrecht zu konstruieren; auf Argumente gegen das Direktionsrecht w i r d der Vertragsgedanke nicht geprüft. Böttner v e r t r i t t das Prinzip zweiseitiger Leistungsbestimmung bei weitem nicht so radikal wie Söllner die Alternative hierzu. Andererseits hat Böttner sich damit zufrieden gegeben, die Abhängigkeit des Direktionsrechts vom einzelnen Arbeitsvertrag abstrakt darzulegen, ohne zugleich die Realisierbarkeit vertraglicher Festlegung der Arbeitgeberbefugnisse und damit des Prinzips zweiseitiger Leistungsbestimmung zu klären. Das verbreitete Vorurteil von der praktischen Bedeutungslosigkeit des Arbeitsvertrags 2 8 w i r d so nicht widerlegt. Darum ist gegen Böttners Ergebnisse alles einzuwenden, was gegen eine „reine" Theorie gesagt werden kann, die zwar innerhalb ihres Normensystems folgerichtig argumentiert und ein wesentliches Prinzip dieses Systems zur Geltung bringen w i l l , jedoch keinen Gedanken auf die praktische Einlösung verwendet. Der Vertragsgedanke taugt zum Argument gegen einseitige Leistungsbestimmung nur, soweit auch seine praktische Durchführung möglich und durch das geltende Recht gewährleistet ist. Böttner hat letztlich nur eine jener Konstruktionen geliefert, auf die Birks V o r w u r f zielt und zutrifft, daß sie „law i n the books" bleiben 2 9 . Rolf B i r k ist die jüngste und bisher umfassendste Abhandlung zum Direktionsrecht — er spricht von „Leitungsmacht" — zu verdanken. Doch auch seine Überlegungen klären die hier angesprochenen grundsätzlichen Fragen nicht. Da B i r k von vornherein die vertragliche Bestimmung des Produktionsgeschehens v e r w i r f t 3 0 , kommt er i n der Sache der Auffassung Söllners zumindest nahe. I m übrigen war es Birks Absicht, eine „Bestandsaufnahme" zum Thema „Leitungsmacht" vorzunehmen 3 1 ; darin läßt seine Arbeit sich nicht überbieten 32 . Was aber noch fehlt, ist eine Kritik des Direktionsrechts. liehe Leitungsmacht (1973) — dazu bald im Text; zum österreichischen Recht Ostheim, Die Weisung des Arbeitgebers als arbeitsrechtliches Problem (1970). 28 Vgl. dazu zuletzt Säcker, Gruppenautonomie, S. 31 Fn. 1; Däubler, Grundrecht auf Mitbestimmung, S. 1 - 6, jeweils mit Nachweisen. 19 Leitungsmacht, S. 2, insbes. Fn. 6. 30 Leitungsmacht, S. 3 ff. S1 Leitungsmacht, S. 1. " Der Rezensent bestätigt dieses Urteil; vgl. E. Frey, AuR 1975, S. 85 (87). Und: Birks Schrift „zeigt, in wie überraschend vielen Fällen man die a r -

I I I . Grundzüge der hier angewandten Methode

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ΙΠ· Grundzüge der hier angewandten Methode M i t der Kennzeichnung als „ K r i t i k " w i r d eine erste Auskunft über die Methode der folgenden Untersuchung gegeben. K r i t i k ist das Vorhaben, einen Gegenstand aus den Bedingungen seiner Möglichkeit zu rekonstruieren 33 , auf juristische Gegenstände angewendet: eine Rechtsfigur aus dem Kontext einer gegebenen Rechtsordnung zu ermitteln. Das Resultat eines solchen Versuchs ist bei seinem Beginn nicht abzusehen. Diese Offenheit unterscheidet kritische von dogmatischen Überlegungen, bei welchen eine Norm oder Rechtsfigur als Prämisse hingenommen w i r d und nur noch Probleme der Harmonisierung m i t dem rechtlichen Kontext auftreten. Eine dogmatische Untersuchung des Direktionsrechts wäre durch das Vertragsprinzip nicht i n allzu große Verlegenheit zu bringen; sie könnte Direktionsbefugnisse von vornherein als Ausnahme davon ansetzen, die nur noch durch besondere Rechtsgründe abgestützt werden müßte. Für eine kritische Untersuchung hingegen ist das Direktionsrecht des Arbeitgebers von Grund auf fraglich; für sie besteht nur ein arbeitsrechtliches Direktions problem, das sich i n der aktuellen Diskussion auf den Gegensatz zwischen einseitiger und zweiseitiger (vertraglicher) Leistungsbestimmung zuspitzt. Von dieser Alternative der Bestimmungsformen hängt überhaupt ab, daß das Direktionsrecht kritisch überdacht, also i n Frage gestellt werden kann. Sinnvoll ist das kritische Verfahren nur, wenn gegen eine zu kritisierende Rechtsform ein alternativer Modus sich anführen läßt, der selbst i m Formen- und Prinzipienvorrat des geltenden Rechts vorkommt und das Problem, das er zu stellen gestattet, zu lösen vermöchte. Folgerichtig w i r d für B i r k das Direktionsrecht nie zweifelhaft, da er i m Ansatz schon die Möglichkeit grundsätzlich zweiseitiger Direktion verneint: Sie sei m i t dem gegebenen rechtlichen „Instrumentarium" nicht darstellbar 34 . Hiernach erscheint „Leitungsmacht" des Arbeitgebers als einziger de lege lata vorbereiteter Lösungsweg. Diese Verengung des Themas zu überwinden, ist Aufgabe des folgenden zweiten Teils der Einleitung; müßte tatsächlich die rechtliche Darstellbarkeit zweiseitiger Direktion verneint werden, so wären alle weiteren Überlegungen darauf beschränkt, die Rechtsgrundlage des Direktionsrechts zu verdeutlichen und Inhalt und Grenzen der Direktionsbefugnisse zu beitsrechtliche Leitungsmacht als Ausgangspunkt für Erörterungen über vorhandene oder fehlende Befugnisse des Arbeitgebers sehen kann" (ebenda S. 87). 88 Dieses Verständnis geht auf Kant (Kritik der reinen Vernunft, Β 20 ff.) zurück. Ein verbreiteter Sprachgebrauch betont demgegenüber das negative Moment: „Kritik" bedeute, Vorstellungen aus den Bedingungen ihrer U n möglichkeit zu widerlegen. 84 Vgl. Leitungsmacht, S. 3 ff., 76 f. Näheres dazu unten § 211.

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§ 1 Thematik

erforschen. Die Untersuchung wäre dann ausschließlich rechtsdogmatisch, durch ein „Negationsverbot" gegenüber dem Ausgangspunkt „ D i rektionsrecht" geprägt 85 . Allerdings darf nicht übersehen werden, daß die Offenheit von K r i t i k keineswegs allein die Überprüfung einer Rechtsfigur leiten könnte. Die Verschränkung m i t dogmatischen Momenten ist i m Kritisieren selbst angelegt 36 und w i r d i n der Definition von „ K r i t i k " miterwähnt: Soll eine Rechtsfigur anhand der rechtlichen Bedingungen ihrer Möglichkeit ergebnisoffen diskutiert werden, so kommt es andererseits zu dogmatischen Ableitungen aus dem bedingenden Kontext; die Bedingungen werden nicht i n Frage gestellt, sondern zur Geltung gebracht. Entsprechend verbindet die K r i t i k des Direktionsrechts sich mit der Dogmatik des Vertragsprinzips; die Untersuchung ist kritisch, soweit sie das Direktionsrecht des Arbeitgebers betrifft, und sie ist rechtsdogmatisch, soweit sie hierbei das Vertragsprinzip (und später noch andere Rechtsformen, zumal das Eigentum) theoretisch entfaltet. Unter ihrem rechtsdogmatischen Aspekt sind die folgenden Überlegungen darauf gerichtet, normative Inhalte immanent zu einem gegebenen Ordnungsmodell — dem geltenden Recht — zu erkennen. I h r Gegenstand sind „Sinnzusammenhänge" eines Systems der Rechtsnormen und Rechtsbegriffe, ihr Ziel inhaltliche Ableitungen hieraus 37 . Diese A r t des Thematisierens ist für die Rechtswissenschaft nicht verzichtbar 3 8 ; i n jüngster Zeit hat eine gründliche metadogmatische Diskussion ein solches Forschungskonzept bestätigt 39 . Es intendiert die Widerspruchslosigkeit („Harmonisierung") der Rechtsordnung, denn: ex falso sequitur quodlibet. Neben dem Verlangen nach Konsequenz zieht der Geltungsanspruch des Rechts eine Grenze für dogmatische Reflexion: Dogmatik kann sich nicht m i t dem abstrakten Entwurf rechtlicher Handlungsmöglichkeiten begnügen, sie muß auch deren 85 „Am Begriff der Dogmatik ist für das gewohnte Verständnis das wichtigste Kennzeichen ein Negationsverbot: die Nichtnegierbarkeit der Ausgangspunkte von Argumentationsketten." Luhmann, Rechtssystem und Rechtsdogmatik, S. 15. 36 Zum erkenntnistheoretischen Hintergrund, der Logik des Erfragens: Rechtserkenntnis und Gewaltstrukturen, S. 77 ff. 87 So das traditionelle Verständnis von Rechtsdogmatik; vgl. Betti , Allgemeine Auslegungslehre, S. 441 f., 458 f.; Rothacker, Die dogmatische Denkform in den Geisteswissenschaften, S. 249, 252, 263, 264; Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 185. 88 Simitis, AcP 172, S. 131 (138). 30 Vgl. aus der Fülle des Materials etwa L. Raiser , DRiZ 1968, S. 98; Esser, Vorverständnis, S. 87 ff., 94 ff.; ders., AcP 172, S. 97 ff.; ders., Festschrift für L. Raiser, S. 517 ff.; Jahr, Rechtstheorie (ed. Jahr / Maihof er), S. 303 (307 ff.); W. Paul, Rechtstheorie (ed. A. Kaufmann), S. 53 ff. (insbes. S. 63); Simitis, AcP 172, S. 131 ff.; Luhmann, Rechtssystem und Rechtsdogmatik, insbes. S. 15 ff.

I. Die rechtsdogmatischen Aspekte

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Realisierbarkeit i n der Praxis systemimmanent nachweisen 40 . Bei der Konkretisierung der Normen und Rechtsgrundsätze stößt Dogmatik an ihre Grenzen, sobald den denkbaren Folgerungen keine rechtlich verbürgte Chance der Verwirklichung einhergeht. I n formaler H i n sicht schließlich darf der Anspruch an dogmatische Stringenz nicht überzogen werden: Die rechtlichen Prämissen lassen weder Ableitungen zu, die der Strenge formallogischer Deduktion entsprechen, noch findet eine Subsumtion statt, w o r i n eine bestimmte, geringer abstrakte Aussage einer allgemeineren zwingend zuzuordnen wäre 4 1 . Möglich ist nur ein Argumentieren, das u m inhaltliche Folgerichtigkeit und subj e k t i v u m Überzeugungskraft bemüht sein muß.

§ 2 Die Alternative zwischen einseitiger und zweiseitiger Leistungsbestimmung im Arbeitsverhältnis I. Die rechtsdogmatischen Aspekte 1. Rechtsgeschäftliche oder nicht-rechtsgeschäftliche Betrachtungsweise

a) Zu Birks Lehren gehört der Satz von der Unzulänglichkeit „rechtsgeschäftlicher" Betrachtung des Direktionsproblems 42 . Das bürgerliche Recht begegne „organisatorischen Tatbeständen nach wie vor ziemlich hilflos"; das rechtsgeschäftliche Instrumentarium sei für die Erfassung „organisatorischer Zusammenhänge" strukturell unzureichend. Konkreter ist damit gemeint, daß die Pflicht des Arbeitnehmers, Arbeit unter den Bedingungen und entsprechend den Erfordernissen einer gegebenen „Organisation" zu verrichten, sich der Regelung durch den Arbeitsvertrag (weithin) entziehe. Der Arbeitsvertrag scheint als rechtliches Instrument, eine solche Pflicht zu bestimmen, als inhaltlicher Rechtsgrund für das jeweils vom Arbeitnehmer geschuldete Handeln, zu versagen. T r i f f t dies zu, dann ist jedoch nicht nur der unmittelbaren Leistungsbestimmung durch den Vertrag eine frühe Grenze gesetzt; den Vertragsparteien bleibt auch kaum Entscheidungsfreiheit 40 Dies erst nimmt den Vorwurf bloß „formaler Rationalität" von ihr, wie Unterseher ihn zumal im Hinblick auf rechtlich versprochene Freiheiten des Arbeitnehmers erhoben hat; Kritische Justiz 1968, S. 95 ff. 41 Zur Kritik solcher VorsteUungen in der juristischen Methodenlehre vgl. Friedrich Müller, Normstruktur und Normativität, insbes. S. 24 ff., 40 ff., 70, 140, 173 f. 42 Leitungsmacht, S. 3 ff.

§ 2 Einseitige oder zweiseitige Leistungsbestimmung

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darüber, ob sie das Bestimmungsrecht einer Partei, des Arbeitgebers, einführen wollen 4 3 . Geboten scheint eine vom Vertragsdenken sich lösende Problembehandlung 4 4 , die auf ein a p r i o r i bestehendes D i r e k tionsrecht des Arbeitgebers hinausläuft. Hierzu steht i m Kontrast, daß der Arbeitsvertrag als schuldrechtlicher Vertrag, das Arbeitsverhältnis als ein hierauf beruhendes Schuldverhältnis beurteilt werden 4 5 . Der Arbeitsvertrag n i m m t also an der Doppelfunktion jedes Schuldvertrags teil, eine besondere Rechtsbeziehung seiner Parteien zu begründen und zu regeln 46. Die Begründungsf u n k t i o n verlangt nach dem Arbeitsvertrag als Bedingung für den rechtlichen Bestand eines Arbeitsverhältnisses; der Vertrag erzeugt jeweils für seine Parteien Rechte und Pflichten, die andernfalls zwischen diesen konkreten Rechtssubjekten nicht bestehen würden 4 7 . Die Regelungs- oder Gestaltungsfunktion bedeutet darüber hinaus, daß auch die Entscheidung über den I n h a l t der zu begründenden Rechtspositionen den Vertragspartnern überantwortet ist, soweit nicht zwingende Normen eine Regelung vorgeben. Dieses zweite M e r k m a l des Schuldvertrags w i r d durch die These vom notwendigen Direktionsrecht des Arbeitgebers i n Frage gestellt. Sie bietet, da der Arbeitsvertrag unzulänglich für die Regelung „organisatorischer" Tatbestände sei, den Ausweg an, der Gestaltungsfunktion mehr oder weniger zu entsagen und die vertragliche Gestaltungsfreiheit (Inhaltsfreiheit) des A r b e i t nehmers zugunsten von Alleinkompetenzen des Arbeitgebers zu vermindern. I m Grenzfall umfassend einseitiger Leistungsbestimmung ist die Gestaltungsfunktion des Vertrags dann aufgehoben 48 . Indessen ist fraglich, w i e weitgehend sie preisgegeben werden darf, ohne daß der Arbeitsvertrag den Sinn u n d Zweck eines Vertrags — die materiale Vertraglichkeit 4 0 — einbüßt. Die Befürworter des Direktionsrechts nei48

So die Mitbestimmungskommission,

Bericht, S. 108; Birk, Leitungsmacht,

S. 76. 44

Vgl. Birk, Leitungsmacht, S. 5. Dies ist wieder allgemeine Meinung; vgl. z. B. Nikisch, Arbeitsrecht I, S. 161, 164 — anders noch in der 1. Auflage, S. 79 f.; A. Hueck, in: Hueck/ Nipperdey, Lehrbuch I, S. 131 f. mit S. 114 f.; Wiedemann, Arbeitsverhältnis, S. 7, 9; Fabricius, Leistungsstörungen im Arbeitsverhältnis, S. 6 ff., 28; Schwerdtner, Fürsorgetheorie und Entgelttheorie, S. 79 ff.; Ernst Wolf, Arbeitsverhältnis, S. 79 ff.; Lieb, Arbeitsrecht, S. 10; Wiese, HPW, Sp. 395; Söllner, Arbeitsrecht, S. 207 f.; Zöllner, Arbeitsrecht, S. 95 f. Anders in der älteren Lehre z.B. Potthoff, ArbR 1922, Sp. 267ff.; ders., Arbeitsrecht, S. 39, 47 ff. 4 · Adomeit, Rechtsquellenfragen, S. 92 ff.; Zöllner, AcP 176, S. 221 (227 ff.). 47 Soweit der Grundsatz; die Ausnahmeproblematik des sog. faktischen Arbeitsverhältnisses kann hier übergangen werden. 48 Söllner beschreibt diesen Fall als das Normale; Einseitige Leistungsbestimmung, S. 11, 16 f. Er schließt sich dem an und läßt sogar die einseitige Fortbildung der (ausnahmsweise) vereinbarten Arbeitsbedingungen zu (S. 48). 45

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I. Die rechtsdogmatischen Aspekte

gen dazu, den Arbeitsvertrag auf die Begründungsfunktion einzuschränken 50 , ohne an Konsequenzen für die rechtliche Qualifizierung des Arbeitsverhältnisses — Schuldverhältnis oder nicht? — zu denken. b) Zweifel an der Einordnung des Arbeitsvertrags i n das Schuldrecht sind freilich erst berechtigt, wenn die Einwände gegen die rechtsgeschäftliche (vertragliche) Betrachtung des Direktionsproblems sich als zwingend erweisen. B i r k verwirft die „Reduktion auf die vertragliche Ebene", w e i l der V e r t r a g b e i e i n i g e n Sachbereichen

„multipersonalen

Charakters",

so

beim Arbeitsverhältnis, als Gestaltungsmittel versage. Der Arbeitsvertrag sei nur als „Sanktion" der bereits für andere maßgeblichen Ordnung aus der Sicht des neu hinzukommenden Arbeitnehmers zu verstehen; die Relativierung auf eine Zwei-Personen-Beziehung erkläre nicht die Geltung eines solchen „privaten Normensystems" insgesamt 51 . — Darin sind einige richtige Annahmen enthalten. So ist nicht zu bestreiten, daß die Leistungspflicht des einzelnen Arbeitnehmers (üblicherweise) m i t einer vorhandenen „Organisation" verschränkt ist: Schon entschiedene Unternehmenszwecke und die gestellten betrieblichen Bedingungen der Zweckverwirklichung 5 2 determinieren das Leistbare. Vertragsgegenstand ist eine bestimmte Arbeit i n einem gegebenen faktischen Kontext; nach dem Vertragsgrundsatz aber müßte dieser Kontext, als wesentliches Moment der zu begründenden Leistungspflicht, Vertragsinhalt sein und der Inhaltsfreiheit der Vertragsparteien unterstehen. Folgerichtig hierzu wäre, daß bei jedem Vertragsabschluß die Organisation, soweit sie für die Leistung des Arbeitnehmers relevant werden soll, zur Disposition der Parteien zu stehen hätte. Dies wäre eine Forderung ohne Realitätsgehalt. Der einzelne Arbeitsvertrag vermag demnach zwar zu bewirken, daß eine seiner Parteien, der Arbeitnehmer, vorgegebenen Arbeitsbedingungen unterstellt wird, jedoch erzeugt er nicht erst die leistungsbestimmende „Ordnung". B i r k führt zu Recht gegen die Gestaltungsfunktion des Arbeitsvertrags das factum brutum des schon bestehenden Unternehmens und Betriebs an. Ist andererseits zu irgendeinem Zeitpunkt der 49 „Die eigentliche Funktion des Vertrags . . . besteht darin, dem einzelnen die selbstbestimmte und eigenverantwortliche Regelung seiner Rechtsverhältnisse zu ermöglichen. Wo solche selbstbestimmte Regelung völlig ausgeschlossen ist, ist auch kein Raum für den Vertrag, und sein Wirkungsbereich wird in unerträglicher Weise beschränkt, wo die Gestaltung ihres Interessenausgleichs den Parteien entzogen wird." — Manfred Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 59 f. 60 Vgl. neben Söllner (oben Fn. 48) etwa Mitbestimmungskommission, Bericht, S. 109; Birk, Leitungsmacht, S. 4 f., 76; allgemein Adomeit, Rechtsquellenfragen, S. 93. 51 Leitungsmacht, S. 4 f. 52 Näheres dazu unten § 2 I I .

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§ 2 Einseitige oder zweiseitige Leistungsbestimmung

bestimmende K o n t e x t doch zu verändern, so k a n n der einzelne Arbeitsvertrag n u r f ü r jeweils seine Parteien, m i t W i r k u n g f ü r einen i n d i viduellen Arbeitnehmer, Regelungen treffen. Bei einer Organisation, die mehrere Arbeitnehmer angeht, begründet der Arbeitsvertrag des einen keine Pflichtinhalte auch für die anderen Beteiligten. Die schließlich gültige „Ordnung" ist darum auf keinen der vorhandenen Arbeitsverträge rückführbar; der „multipersonale" Sachverhalt übersteigt die Regelungsmacht des einzelnen Arbeitsvertrags. Die Einwände B i r k s gegen das Vertragsdenken widerlegen gleichwohl weniger als sie möchten. Daß der Vertrag eingeführte Arbeitsbedingungen oft n u r hinnehmen kann, rechtfertigt noch nicht, auch die Veränderung einmal gegebener Sachlagen oder die Neuschaffung von Arbeitsbedingungen der Vertragszuständigkeit zu entziehen. Die Tatsache aber, daß solche Gestaltungen mehrere Arbeitnehmer betreffen, schränkt den Regelungsspielraum des individuellen Arbeitsvertrags ein, nicht das Vertragsprinzip: Der Arbeitsvertrag ist zur Regelung unzureichend, w e i l er Individualvertrag ist, nicht w e i l er Vertrag ist. Der Schluß vom geschmälerten Kompetenzbereich des einzelnen A r beitsvertrags auf unvermeidbare Leitungsmacht, die als Antithese zum Vertrag einseitige Leistungsbestimmung gewährt, ist also nicht z w i n gend. Er enthält ein Übermaß an Folgerungen, die — soweit ursprüngliche Leitungsmacht die Vertragskompetenz ersetzen soll — eine A b k e h r von Wertentscheidungen des positiven Rechts bedeuten. Verzichtet w i r d auf Grundsätze („Werte"), die i n der Rechtsfigur Vertrag ihren Ausdruck u n d die F o r m ihrer praktischen Einlösung gefunden haben, daher m i t der Verkürzung des Arbeitsvertrags auf die Begründungsfunktion zunächst außer K r a f t gesetzt werden 5 3 . Bleibt ein denaturierter Vertrag als das rechtliche M i t t e l übrig, A r beitsverhältnisse überhaupt anzubahnen, so k a n n allerdings nach neuen rechtlichen Wegen gesucht werden, den Sinn u n d Zweck vertraglicher Gestaltung, die Selbstbestimmung jedes Vertragspartners, doch noch zu retten. Die Aufgabe könnte heißen, losgelöst v o m Arbeitsvertrag den „ W e r t " der Vertraglichkeit zu realisieren, statt bei der Alternative, der einseitigen Leistungsbestimmung, stehen zu bleiben 5 4 . E i n solches Vorhaben müßte, nachdem der Arbeitsvertrag keine oder k a u m Gestaltungsfreiheit v e r m i t t e l n soll, n u n auch eine eigene formelle Rechtsgrundlage nachweisen. Als hilfreich erscheint der Ansatz, das Versagen 53

Diesen Zusammenhang erkennt und rügt Richardi, RdA 1970, S. 208. So Richardi, RdA 1970, S. 208 f. : Arbeitsrechtlich sei zwar nicht das „formale Vertragsprinzip", wohl aber der „in der Vertragsfreiheit anerkannte Grundsatz der Selbstbestimmung auch für die Arbeitnehmer" einzulösen. Dies ist auch der Ansatz, von dem aus Däubler zum Grundrecht auf Mitbestimmung findet; vgl. Zf A 1973, S. 201 (213 ff.) und Grundrecht auf Mitbestimmung, S. 6, 130 ff., 155 ff., 174 f. 64

I. Die rechtsdogmatischen Aspekte

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des einzelnen Arbeitsvertrags gegenüber „multipersonalen" ( = kollektiven) Sachverhalten förmlich und sachlich durch kollektives Arbeitsrecht zu kompensieren. Die Idee der Selbstbestimmung, die i n anderen Rechtsbeziehungen durch die Gestaltungsfunktion des Vertrags dargestellt wird, wäre demnach i m Produktionsprozeß an das kollektive A r beitsrecht übergegangen und dieses aus dem Selbstbestimmungsgedanken zu interpretieren. Teilt man diese Sicht, dann ist zugleich der Fundus an Argumenten gegen einseitige Leistungsbestimmung erheblich vermehrt. Ob aus i h m die Zweiseitigkeit aller fälligen Regelungen, die i m Vertragsprinzip angelegt ist, rekonstruiert werden kann, ist eine andere Frage; die A n t w o r t hängt vom Entwicklungsstand des kollektiven Arbeitsrechts ab. Statt eines neuen, formal vom Arbeitsvertrag gelösten Konzepts steht dem geltenden Recht jedoch ein Modell näher, welches berücksichtigt, daß der Arbeitsvertrag (vor allem) an seinem Individualcharakter scheitert; der Schluß gegen seine Gestaltungsfunktion, also gegen Vertraglichkeit reicht weiter und ist nicht zwingend. Eine Sachlage, die über die Regelungskraft des Einzelvertrags geht, ist durch eine Summe zusammenwirkender Einzelverträge oder stattdessen durch einen K o l lektivvertrag erfaßbar, der die Gesamtheit einzelner Regelungszuständigkeiten i n sich vereinigt; wegen dieser Möglichkeit besteht u m so weniger Grund, dem Arbeitsvertrag eine Vertragsfunktion abzusprechen. Als eigentliches Problem darf daher nicht die Ersetzung des A r beitsvertrags 55 erscheinen, mag sie auch von der Intention getragen sein, durch andere Rechtsformen Werte zur Geltung zu bringen, die u r sprünglich i n der Figur dieses Vertrags ihren Ausdruck fanden. Gefordert ist vielmehr die Einlösung des Arbeitsvertrags als Kategorie. Eine solche Problemfassung kann natürlich nicht dazu führen, daß objektive Hindernisse gegen die Inhaltsfreiheit i m Einzelfall schwinden; der A r beitsvertrag m i t vollgültigen Vertragsfunktionen w i r d jedoch als A n satzpunkt bei Legitimationsfragen erheblich. Kann etwa das kollektive Arbeitsrecht als adäquates M i t t e l zur Einlösung von Vertragsfunktionen begriffen werden, so bezieht es aus ihnen seine sachliche Berechtigung und seine formelle Grundlage, der Arbeitsvertrag als Kategorie steigt zur Grundnorm des kollektiven Arbeitsrechts auf. Bei diesem Rang verlangt er dogmatisch, daß das kollektive Arbeitsrecht keine Einbuße an den ursprünglichen Zuständigkeiten zu zweiseitiger Leistungsbestimmung m i t sich bringen darf. Bliebe es dahinter zurück, so wäre auf Wege für seine Fortbildung zu sinnen und von Rechts wegen zu insistieren. 55 So aber Adomeit, Rechtsquellenfragen, S. 93: Der Arbeitsvertrag sei als Regelungsmittel „funktionell ersetzbar" und werde tatsächlich weithin ersetzt.

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§ 2 Einseitige oder zweiseitige Leistungsbestimmung

A n dieser Stelle dürfen die Überlegungen zunächst abbrechen. Sie haben erbracht, daß man der Prämisse Birks, der Absage an das Vertragsprinzip, nicht folgen muß. Andererseits schließt diese Erkenntnis die Möglichkeit objektivrechtlich ( = außervertraglich) begründeter Direktionsbefugnisse des Arbeitgebers nicht von vornherein aus. Sind solche Befugnisse nachweisbar, dann werden sie zwar die Frage nach der Schuldrechtlichkeit des Arbeitsvertrags aufwerfen; jedoch werden sie i n dieser Fragestellung keinerlei Bestätigung finden, sondern i m Gegenteil den Verlust an Vertragsqualität dogmatisch erzwingen müssen. c) Ein zweites geläufiges Argument gegen den Vertragsgedanken i m Arbeitsrecht muß hier ebenfalls angesprochen werden: die Einsicht, daß der einzelne Arbeitnehmer typischerweise dem Arbeitgeber nicht i n einer Situation der Chancengleichheit begegnet, der Arbeitgeber als überlegene Vertragspartei darum den Vertragsinhalt entsprechend seinen Interessen zu diktieren vermag 5 6 . Tatsächlich büßt i n einem faktischen Machtgefälle der Vertrag leicht seinen Zweck ein, Medium der Selbstbestimmung beider Parteien, Instrument ihres Interessenausgleichs 57 zu sein. Machtsymmetrie zwischen den Vertragspartnern ist wesentliche Bedingung für die Verwirklichung des Vertragsprinzips; i m Machtgefälle w i r d materiale Vertraglichkeit, die Einlösung der Kategorie Vertrag, zum Zufallstreffer. Der Vertrag kann sich auf seinen formalen Aspekt (sein äußeres Erscheinungsbild) reduzieren und, während er Zweiseitigkeit vorspiegelt, zum Versteck für einseitige Leistungsbestimmung ohne Rechtsgrundlage werden. So wenig wie vor den „multipersonalen" Sachlagen muß die Vertragsidee jedoch a priori vor dem Problem des Machtausgleichs kapitulieren; als Hilfsmittel, die Idee zu verwirklichen, kommt hier wie dort das kollektive Arbeitsrecht i n Betracht. Ein haltbarer Einwand gegen die rechtsgeschäftliche Betrachtung des Direktionsproblems ist wiederum nicht zu gewinnen. 2. Direktionsrecht und Idealtypus des Schuldvertrags

a) Als idealtypisch darf ein Schuldvertrag aufgefaßt werden, dessen Gestaltungsfunktion erschöpfend wahrgenommen wurde. Ein solcher Vertrag verhält sich zu einer Rechtsbeziehung, die seine Parteien eingegangen sind, als konkretes Abbild. Er bezeichnet verbindlich, was die 56 Vgl. zuletzt Adomeit, Reditsquellenfragen, S. 93; Säcker, Gruppenautonomie, S. 87 ff.; Däubler, Grundrecht auf Mitbestimmung, S. I f f . ; Fabricius, Festschrift für E. Fechner, S. 171 (177 ff.). — Birk ist auf diesen Tatbestand nicht eingegangen; Zöllner bestreitet ihn zu Unrecht, AcP 176, S. 221 (227, 230 ff.). Eine ausführliche Analyse dazu s. unten § 4.

57

Vgl. oben Fn. 49.

I. Die rechtsdogmatischen Aspekte

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Parteien einander schulden; aus i h m ist zu erfahren, wie sie i m Falle der Erfüllung handeln werden. Die vertragliche Regelung ist nicht notwendig offenkundig; Unklarheiten darin führen zur Vertragsauslegung. Die Auslegung bringt jedoch nur den einzigen, vorgegebenen Inhalt eines Vertrags zutage; heillos mehrdeutige Vertragserklärungen sind nichtig 5 8 . Der Bestimmtheit vertraglicher Regelungen entspricht, daß der Gläubiger nur zur Einforderung (Einziehung, Abrufung) der vertraglich vorbezeichneten Leistung befugt ist. Das Arbeitsverhältnis weicht, sobald ein Direktionsrecht des Arbeitgebers besteht, vom Idealtypus ab. Vom Arbeitsvertrag w i r d die konkrete Benennung der Arbeitnehmerpflichten dann nicht erwartet. Vielmehr soll dem Arbeitgeber vorbehalten sein, ein als Vertragserfüllung gedachtes Handeln erst festzusetzen; die fällige Leistung w i r d einseitig bestimmt statt nur, unter Rekurs auf die bestimmende Rechtsgrundlage, eingefordert. A m Idealtypus des Schuldvertrags gemessen, bedeutet Direktion durch den Arbeitgeber aber nicht nur Gestaltung des Schuldinhalts, sondern überhaupt erst Begründung einer Leistungspflicht 5 9 . Gerade je diese bestimmte Pflicht hatte bis dahin nicht bestanden, eine Rechtsgrundlage, die inhaltlich entschieden auf sie gelautet hätte, nicht vorgelegen. Was vorausging, war die Ermächtigung zur Direktion und allenfalls die inhaltliche Eingrenzung dieser Befugnis. Soweit das Direktionsrecht reicht, ist vor seiner Ausübung nicht bekannt, wie der Arbeitnehmer i n Erfüllung seiner Vertragspflicht jeweils zu handeln hat, sondern nur, daß er Weisungen des Berechtigten befolgen muß. Bekannt sind allenfalls auch die Grenzen zulässiger Direktion, die jedoch verschiedene, einander ausschließende Erfüllungshandlungen umfassen. Der Arbeitsvertrag i n Verbindung m i t dem Direktionsrecht ermächtigt — statt nur zum Abruf einer geschuldeten Leistung — zur rechtsgültigen Disposition über fremdes Verhalten 6 0 . Wegen dieses Effekts wurde das Direktionsrecht, i m Unterschied zum schuldrechtlichen A n spruch gegen eine Person, als „Herrschaftsrecht über Personen" quali58

Flume , Rechtsgeschäft, S. 314. Deutlich in diesem Sinn etwa BAG A P Nr. 2 zu § 611 BGB Direktionsrecht (Bl. 2); Söllner, Einseitige Leistungsbestimmung, S. 24; Ostheim, Weisung des Arbeitgebers, S. 42 f.; Bydlinski, ZfA 1970, S. 249 (281 ff.); Böttner, Direktionsrecht, S. 48; Birk, Leitungsmacht, S. 86. eo Söllner verdeutlicht den Unterschied zwischen Geltendmachung des entschiedenen Anspruchs und einseitiger Leistungsbestimmung durch folgenden Vergleich: „Das Handeln des Arbeitgebers . . . ähnelt nicht der Präsentation eines Wechsels, sondern dem Ausfüllen eines Blanko-Wechsels." Einseitige Leistungsbestimmung, S. 24. — Doch auch Böttners restriktive Sicht des Direktionsrechts trennt streng zwischen der bloßen „Erfüllungsaufforderung" und der Weisung, die eine Leistungspflicht zur Einforderbarkeit individualisiere; Direktionsrecht, insbes. S. 50 f., auch S. 37,42 f., 57. 59

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§ 2 Einseitige oder zweiseitige Leistungsbestimmung

fiziert 6 1 . Einige Autoren kennzeichnen die Direktion durch den Arbeitgeber hingegen als den spezifischen Weg, einen Anspruch auf die A r beitsleistung des Vertragspartners zu erheben 62 ; der Unterschied zur sonstigen Gläubigerstellung w i r d für rechtlich nicht wesentlich erachtet. I n dieser Beurteilung kann ein Versuch liegen, das Direktionsrecht einzuschränken und die Ansprüche des Arbeitgebers möglichst weitgehend an die vertragliche Vorbestimmung zu binden. Ohne solche Tendenz ist die Gleichstellung beider Positionen nicht zu rechtfertigen 63 , und sie kann auch dann nicht den sachlichen Unterschied gegenüber der Einziehung definitiv bestimmter Leistungen beseitigen. Für den Gläubiger einer vertraglich bestimmten Leistung ist allenfalls Entscheidungsfreiheit i n einem Punkt denkbar: bei der Frage, ob er sein Recht geltend machen w i l l . Diese Freiheit ist bloß formaler A r t , verglichen m i t einer auf inhaltliche Regelung lautenden Befugnis. b) Auch vom konkret bezeichnenden Vertrag w i r d keine lückenlose Regelung der jeweiligen Rechtsbeziehung verlangt. Ergänzende Normen des objektiven Rechts und notfalls die sogenannte „ergänzende Vertragsauslegung" greifen ein, wo die individuelle Abmachung selbst schweigt. Gesetze, deren Anwendbarkeit der Vertrag vermittelt, halten jedoch (der Idee nach) eine bestimmte und allein verbindliche Lösung bereit 6 4 . Soweit ein Vertrag sein Schuldverhältnis nur unvollkommen darstellt, ist es durch die korrespondierende Rechtsordnung a priori geregelt. Daß i m Streitfall der Richter die konkrete Lösung aus dem abstrakt formulierten Gesetz herleitet, gehört dabei zur objektivrechtlich vorgeleisteten Bestimmtheit; der gesetzlich ergänzte Ausschnitt des Schuldverhältnisses ist für die Parteien immer schon so vorentschieden, wie er nach dem Urteil des Richters sich i n den Rechtsnormen darstellt. Fehlen ausnahmsweise die Normen, dann obliegt es dem Richter, durch ergänzende Vertragsauslegung den Vertrag seinem Sinn und Zweck gemäß zu Ende zu denken 65 . 61 So z.B. Nikisch, JherJB Bd. 80, S. 1 (128); zuletzt E. Stein, Wirtschaftsaufsicht, S. 59; Pawlowski, Allgemeiner Teil 1, S. 152 f. 62 v. Tuhr, Allgemeiner Teil I I , 1, S. 149 Fn. 31; Adomeit, RdA 1967, S. 297 (301); Hefermehl, BAB1. 1967, S. 310 (317); Böker, Weisungsrecht, S. 12, 14 ff., 25 ff., 56, 103. Zur selben Sicht neigt wohl auch Bötticher, AuR 1967, S. 321 (326). es Bei v. Tuhr (oben Fn. 62) ergibt die Gleichstellung sich, weil dieser auch die schuldrechtlichen Ansprüche als „Herrschaftsrechte an Personen" begreift; Allgemeiner Teil I, S. 133, 140 f., 143. Gegen diese Sicht zutreffend Larenz, Schuldrecht I, S. 12 ff. M Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 300 ff. — Dies gilt natürlich nicht allein von dispositiven Normen, die eine Lücke in der Vereinbarung schließen, sondern ebenso von zwingendem Recht, das vertragliche Regelungen ausschließt und an das der Vertrag nur verweist. ·* Vgl. z.B. M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 53; Pawlowski, Allgemeiner Teil 2, S. 256 ff.; Larenz, Allgemeiner Teil, S. 446 ff., mit weiteren Nachweisen; ders., Methodenlehre, S. 286 f.

I. Die rechtsdogmatischen Aspekte

Innerhalb eines Direktionsrechts des Arbeitgebers entfallen diese objektiven Formen der Lückenschließung. Die „Lücke" i m Arbeitsvertrag kommt n u n einer Verweisung an die Entscheidungszuständigkeit des Arbeitgebers gleich 66 ; an die Stelle des ergänzenden Gesetzes oder der richterlichen Fortbildung des Vertrags t r i t t das Ermessen 67 des Gläubigers. Doch auch das objektive Recht, das der Arbeitsvertrag anwendbar macht, kann auf Direktionsbefugnisse befragt werden. Ein definitiv regelndes Gesetz würde die allein gültige Lösung einer Rechtsfrage beiden Vertragsparteien vorschreiben; dagegen überläßt ein Gesetz, das Direktionsbefugnisse einräumt, dem rechtsanwendenden A r beitgeber die Wahl aus mehreren gleich normgemäßen Gestaltungen. Verträge und Normen, die zur Direktion ermächtigen, grenzen einen Ermessensspielraum ein, geben aber keine Grundlage für die E r m i t t lung einer allein geschuldeten Leistung ab. A n richterlicher Betätigung bleibt nur die Überprüfung, ob Direktionsmaßnahmen des Arbeitgebers die rechtlich gezogenen Grenzen eingehalten haben. c) Die Bestimmtheit des idealtypischen Schuldvertrags und die Unbestimmtheit der direktionsrechtlich fixierbaren Leistung bedeuten nicht nur einen formalen Gegensatz. Bestimmtheit, die (in den Grenzen zwingenden Rechts) vom Vertrag, hilfsweise von dispositiven Normen ausgehen soll, erfüllt eine Aufgabe innerhalb der Teleologie des Vertrags. Neben der Selbstbestimmung des einzelnen — einem Rechtsgedanken, der schon angesprochen w u r d e 6 8 und nun vertieft werden kann — ist die inhaltliche Richtigkeit rechtlicher Gestaltungen essentielles Vertragsziel; die Bestimmtheit der Leistung dient beidem. Nach herrschender Auffassung hat der Schuldvertrag „Richtigkeitsgewähr" für die Gestaltung des Schuldverhältnisses zu übernehmen 69 . Die Richtigkeit einer Regelung soll aus dem Konsens der Beteiligten folgen 70 . M i t h i n aber muß jede Partei diese Regelung kennen und vertreten, Überraschungen durch Entscheidungen des anderen darf es nicht geben. Erst was inhaltlich bestimmt ist, und zwar so weitgehend bestimmt, daß jede Partei i n der Regelung ihre Interessen als befriedigt erkennen kann 7 1 , ist beurteilbar u n d akzeptierbar, konsensfähig. Werββ Über diese Bedeutungsveränderung des Terminus „Lücke" vgl. Franke, BB 1967, S. 963 (964). 67 Die Gleichung zwischen Direktionsrecht und Ermessen ziehen Söllner, Einseitige Leistungsbestimmung, S. 118 passim; Birk, Leitungsmacht, S. 99, 283 - 304. 68 Vgl. oben Fn. 49 und § 2 1 1 c. 69 Vgl. zu der von Schmidt-Rimpler begründeten Lehre fürs erste Säcker, Gruppenautonomie, S. 205 ff. Weitere Nachweise unten § 11 Fn. 192. 70 Dies ist der (erkenntnistheoretische) Kern der Lehre Schmidt-Rimpler s ; vgl. AcP 147, S. 130 (156). 71 Vgl. Schmidt-Rimpler, AcP 147, S. 130 (151).

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§ 2 Einseitige oder zweiseitige Leistungsbestimmung

den andererseits die Lücken einer Vereinbarung durch das objektive Recht geschlossen, so handelt derjenige, der sich auf die einschlägige Norm beruft, nicht etwa nach seinem Belieben. Er rekurriert vielmehr auf eine Gestaltung, die aus einem anderen Verfahren ihre Richtigkeit bezieht 72 , nämlich aus der Gesetzgebung, und die (der Idee nach) für den Vertragspartner a priori erkennbar vorlag. Dagegen überspielt das Direktionsrecht, inhaltlich ein Blankett, die Grundlagen der Vertragsrichtigkeit. Der Gegensatz zwischen Einseitigkeit und Richtigkeit ist freilich nicht zwangsläufig, beide Prinzipien können auch i n Einklang gebracht werden. Der Konsens der Parteien könnte als richtig anerkennen, daß unter angebbaren Bedingungen und für vorher absehbare Regelungen eine Partei die definitive Bestimmung der gemeinsamen Rechtsbeziehung — hier: der geschuldeten Leistung des Arbeitnehmers — übernimmt. Entsprechend offene Regelungen, die unter dem Aspekt der Richtigkeit den definitiven Bestimmungen gleichwertig sind, können vom Gesetzgeber vorgegeben werden. I n beiden Fällen ist ein Direktionsrecht aber an enge Grenzen zu binden; werden sie überschritten, dann geht die vertraglich oder gesetzlich erreichbare Gewähr der richtigen Gestaltung verloren. Ein weiterreichendes Direktionsrecht wäre erst zu rechtfertigen, wenn es selbst — anstelle von Vertrag und Gesetz — als spezifische Richtigkeitsbedingung für die Gestaltung von Arbeitsverhältnissen nachgewiesen werden könnte. Die Erwartung, primär durch den Arbeitsvertrag zur richtigen Leistungsbestimmung zu kommen, wäre zu entkräften, folglich auch die Schuldrechtlichkeit des Arbeitsverhältnisses i n Zweifel zu ziehen; zugleich müßte bewiesen werden, daß bei der Bestimmung von Arbeitnehmerpflichten Richtigkeit erst durch die einseitige Entscheidung des Arbeitgebers verbürgt ist. Ein weiteres Moment vertraglicher Bestimmtheit ist, daß sie (auch) i m bestehenden Schuldverhältnis eine Partei der W i l l k ü r der anderen entzieht. Jede Partei des Schuldverhältnisses ist an die eigene Erklärung und an die des Vertragspartners gebunden, ohne Möglichkeit zur einseitigen Veränderung der einmal durch Konsens festgeschriebenen Leistungsinhalte 73 . Ungewißheit über das Geschuldete w i r d rational, durch methodisch gesteuerte Auslegung der vertraglichen und gesetzlichen Rechtsgrundlagen behoben, führt also nicht dazu, daß der Gläubiger seinem aktuellen Interesse gemäß die Vereinbarung korrigieren darf. Eine Abänderung der bestehenden Rechte und Pflichten geschieht durch Vertrag (§ 305 BGB). Das Direktionsrecht des Arbeitgebers hin72 Bei der „einseitigen Willenserklärung (gestaltet) grundsätzlich der Wille nicht allein, sondern setzt schon anderweit begründete Gestaltung voraus"; Schmidt-Rimpler, AcP 147, S. 130 (156). 78 Grundlegend hierzu Larenz, Allgemeiner Teil, 1. Aufl., S. 8 0 - 8 5 ; speziell für den Arbeitsvertrag G. Hueck, RdA 1968, S. 201 (204, unter 8).

I. Die rechtsdogmatischen Aspekte

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gegen setzt die Gewähr fortdauernder Selbstbestimmung i m Schuldverhältnis außer Kraft. 3. Direktionsrecht und Typologie des Arbeitsvertrags

a) Nicht nur die allgemeine rechtliche Qualität des Arbeitsvertrags — seine Zugehörigkeit zu den Schuldverträgen — hängt vom Stellenwert des Direktionsrechts ab. Auch der besondere Vertragstyp „Arbeitsvertrag" ist verschränkt m i t der Auffassung zum Direktionsrecht. Die besondere Typologie steht vor der Alternative zwischen prinzipiell zweiseitiger, schuldrechtsadäquater Direktion und prinzipiell einseitiger Direktion. Der eine wie der andere Bestimmungsmodus ist auf den Arbeitsvertrag projizierbar. Dem direktionsrechtslosen Arbeitsverhältnis entspräche ein Vertrag über die entgeltliche Leistung einer bestimmten Arbeit bei (individuell und/oder kollektiv) vereinbarten Arbeitsbedingungen, welche der Gläubiger ( = Arbeitgeber) einzuräumen hätte. Der strikte Gegensatz dazu wäre die vertragliche Unterordnung unter die Entscheidungsbefugnis des Arbeitgebers, der Verzicht auf zweiseitige Gestaltungen. b) Scheinbar zwischen diesen beiden Polen siedelt die herrschende Lehre, indem sie das Direktionsrecht als Recht zur „Konkretisierung" von Arbeitnehmerpflichten definiert 7 4 . N i m m t man den Ausdruck „Konkretisierung" wörtlich, so verweist er auf den Gegensatz „abstrakt/konkret" und unterstellt, daß ein Schuldinhalt abstrakt vorgegeben, also eine abstrakte Formulierung durch Vertrag und (oder) objektives Recht erfolgt ist. Das Direktionsrecht muß „ n u r " noch den Schluß vom abstrakten Programm für ein Schuldverhältnis auf eine konkrete, programmgemäße Situation, auf die geschuldete Handlung, tragen 7 5 . Eine abstrakte Aussage (ein abstrakter Begriff) enthält Merkmale, die an einer Vielzahl individueller Gegenstände, hier: an vielen einzelnen Handlungen nachgewiesen wer74 BAG A P Nr. 10 zu § 615 BGB (Bl. 1 R); BAG A P Nr. 23 zu § 611 BGB Direktionsrecht (Bl. 1R); Karch, Leitungsbefugnis (1931), S. 31; Leonhardi, Anordnungsrecht (1934), S. 2; Nikisch, BB 1950, S. 538; ders., Arbeitsrecht I, S. 255 f.; Koch, BB 1955, S. 353; Maurer, AuR 1956, S. 137 (138); Zöllner, D B 1957, S. 117 (118); ders., Arbeitsrecht, S. 54; Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 260 f.; A. Hueck, in: Hueck / Nipperdey, Lehrbuch I, S. 158 (sinngemäß); Säcker, BB 1966, S. 700 (701); Gaul, Arbeitsbewertung, S. 367; Ostheim, Weisung des Arbeitgebers, S. 37, 46, 105 f.; Böttner, Direktionsrecht, S. 28 ff., 48, 83 passim (er spricht von Spezialisierung, Individualisierung); Rüthers, Arbeitsrecht und politisches System, S. 54; Wiese, U F I T A 1972, S. 145 (164); ders., HPW, Sp. 400; Lieb, Arbeitsrecht, S. 15. — Nach Söllner macht Konkretisierung nur einen Fall der einseitigen Leistungsbestimmung aus; Einseitige Leistungsbestimmung, S. 45 ff. 76 M i t aller Strenge vertritt diesen Standpunkt Böttner, Direktionsrecht, insbes. S. 78 passim.

3 Gast

§ 2 Einseitige oder zweiseitige Leistungsbestimmung

den können. Identifiziert w i r d auf diese Weise eine Klasse (Gattung) von Handlungen 7 6 . Noch nicht voneinander unterschieden sind die individuellen Gegenstände innerhalb der Gattung. Unter den abstrakten Begriff A fallen die Handlungen αϊ, a